Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. Text, Halbband 2 [Reprint 2019 ed.] 9783486738636, 9783486738629


185 11 99MB

German Pages 430 [1448] Year 1910

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Dreizehntes Kapitel. Der Beginn der Neuzeit
Vierzehntes Kapitel. Das gleichzeitige öffentliche Recht
Fünfzehntes Kapitel. Die Begründung der historischen schule.
Sechzehntes Kapitel. Die Frühblütezeit der historischen schule
Siebentes Kapitel. Die Hochblüte der historischen schule
Achtzehntes Kapitel. Positivismus und Hegelianismus
Neunzehntes Kapitel. Die Krisis der historischen Schule
Zwanzigstes Kapitel. Die jüngere historisch-praktische Richtung
Namenregister
Front Matter 2
Vorwort
Erklärung der häufigst gebrauchten Abkürzungen
Zum dreizehnten Kapitel
Zum vierzehnten Kapitel
Zum fünfzehnten Kapitel
Zum sechzehnten Kapitel
Zum siebzehnten Kapitel
Zum achtzehnten Kapitel
Zum zwanzigsten Kapitel
Nachtrag, Berichtigungen und Ergänzungen zu beiden Halbbänden
Recommend Papers

Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. Text, Halbband 2 [Reprint 2019 ed.]
 9783486738636, 9783486738629

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Geschichte der

Wissenschaften in Deutschland lenere Seit

Achtzehnter Band

Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Äöt-itrmg, 2. HalLLa»-, Start.

AUF VERANLASSUNG

HERAUSGEGEBEN

UND MIT

DURCH DIE

UNTERSTÜTZUNG

HISTORISCHE KOMMISSION

SEINER MAJESTÄT

BEI DER

DES KÖNIGS VON BAYERN

KÖNIGE. AKADEMIE DER

MAXIMILIAN II.

WISSENSCHAFTEN.

München «ab Berlin 1910. Druck und Verlag von R. Oldenbourg.

Geschichte der

Deutschen Rechtswissenschaft Dritte Abteilung von

Ernst Landsbrrg Zweiter Halbband, Text. Fortsetzung zu der Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, erste und zweite Abteilung, von R. Stintzing.

AUF VERANLASSUNG

HERAUSGEGEBEN

UND MIT

DURCH DIE

UNTERSTÜTZUNG

HISTORISCHE KOMMISSION

SEINER MAJESTÄT

BEI DER

DES KÖNIGS VON BAYERN

KONIGL. AKADEMIE DER

MAXIMILIAN II.

WISSENSCHAFTEN.

München »nd Berlin 1910. Druck und Verlag von R. Oldenbourg.

Erst in unserer zeit, nachdem das studium des römischen rechts auf seine alte reinheit und strenge zurückgeführt, das des

einheimischen zu vollen ehren gebracht worden ist, darf man eine

langsam heranrückende reformation unserer rechtsverfassung hoffen und voraussehen. I. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, vor­ rede, S. XVII der ersten, S. XIX der 4ten Auflage; auch motto vor Wilhelm Arnold, Cultur und rechtsleben, Berlin 1865.

Vorwort. Endlich kann ich das letzte Stück der Geschichte der deutschen

Rechtswissenschaft

vorlegen,

um meinen

Verpflichtungen gegen

die

historische Kommission bei der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften,

gegen die vielen Förderer dieses Werkes, denen ich hiermit für alle

Auskunftserteilung zugleich meinen besten Dank sage, und gegen meine Leser nachzukommen.

Die Verzögerung ist zum Teil veranlaßt durch

das Gebot der Amtspflicht, mich mit dem deutschen Bürgerlichen Gesetz­ buche abzuflnden.

Zum größeren Teile aber erklärt sich die Ver­

zögerung aus dem Schwergewicht des zu bewältigenden Stoffes selbst. Damit hängt es ferner zusammen, daß der Umfang unliebsam

angeschwollen

ist.

Sollte der bisherige Stil des Buches gewahrt

werden, der ja wohl im allgemeinen Billigung gefunden hat, so war dem 19. Jahrhundert wesentlich mehr Platz einzuräumen, als für das 18. aufgewandt zu werden brauchte.

Das war geboten schon durch

die so viel stärkere Masse der wissenschaftlichen Erzeugung, im An­

schlüsse an die so viel wichtigere Rolle der Einzelstaaten, vollends aber durch den Zuwachs an innerem Reichtum.

Ferner kommt dem

hier behandelten Abschnitte unserer Wissenschaftsgeschichte vorzügliche

Bedeutung zu nicht nur an sich, sondern auch für die Gegenwart, in die er unmittelbar hinüberführt.

Darum schien es angemessen,

die Verbindungsglieder überall nachdrücklich zu berücksichtigen, was wiederum nicht ohne Raumaufwand möglich war. — Um so mehr war an dem Verfahren des vorigen Halbbandes festzuhalten, das

Noten und Exkurse in einen besonderen Anlageband verweist; dort

VIII

Vorwort.

sind denn auch Nachträge und Verbesserungen zu beiden Halbbänden„ zu Text und Noten, beigegeben.

Dagegen ist das Register über Text,

Noten und Exkurse wieder hier (dem Textbande) beigefügt. Die abschließende Grenzbestimmung habe ich im wesentlichen so

getroffen, wie ich mir in deni Vorworte von 1897 die Aufgabe ge­ steckt hatte: bis zum neuen Reiche und bis zu der durch dessen Gesetz­

gebung bedingten Epoche der Rechtswissenschaft vorzudringen, aber nicht darüber hinaus.

Von da ab beginnt die Rechtswissenschaft der

Gegenwart, deren Geschichte hier nicht geschrieben werden soll. Das ergibt zunächst eine feste sachliche Grenze für einige Materien.

Alle Sonderzweige

(wie z. B. Jmmaterialgüterrecht),

die erst nach

1870 sich entwickeln, sind .dadurch ausgeschlossen; deutsches Staats­

recht, Strafrecht und Prozeß sind dadurch mit 1870 (oder ein wenig früher oder später) abgeschlossen.

Aber freilich, für das bürgerliche

Recht in seiner Hauptmasse würde das viel zu weit, bis 1900 führen;

und vollständig versagt diese sachliche Art der Grenzziehung für die übrigen dogmatischen Fächer, sowie für alle rein rechtsgeschichtliche

Wissenschaft.

So blieb hier nichts übrig, als persönlich, nach biographischem Zusammenhang zu verfahren.

In Betracht gezogen ist wissenschaft­ liches Schrifttum außerhalb der sachlich abgegrenzten Gebiete, soweit

es von Schriftstellern herrührt, die mit bedeutsamen Werken bis 1870 schon hervorgetreten sind; Gelehrte, die erst später zu eingreifender

wissenschaftlicher Wirksamkeit gelangt sind, finden nur gelegentlich Er­ wähnung. — Dagegen habe ich mich nicht entschließen können, einen

Unterschied zwischen Toten und Lebenden zu machen; Männer wie

Unger oder E. I. Bekker sind für die Geschichtsentwicklung der Zeit auch vor 1870 unentbehrlich; und Ältere einmal zugelassen, obschon ihre Tätigkeit noch unabgeschlossen sein mag — warum sollte dann

wohl nicht dasselbe für Jüngere gelten? Für derartige Fälle habe ich es mir jedoch zur Regel gemacht, mich durch keinen,

weder persönlichen noch sachlichen Zusammenhang

über das Jahr 1900 hinauslocken zu lassen.

Das neue Jahrhundert

und das neue bürgerliche Recht (sowie was zu dessen unmittelbarer Vorbereitung gehört) gelten mir als verbotenes Gebiet.

Soweit ich

früher abbreche, wird sich, wer Vervollständigung wünscht, nicht um­ sonst an eine trefflich zusammengestellte Übersicht über „Rechtsforschung

und Rechtsunterricht auf den deutschen Universitäten" wenden, die

IX

Vorwort. auch mir vielfach nützlich gewesen ist.

Sie ist von O. Fischer, Berlin

1893, als Teil des für die Universitätsausstellnng in Chicago heraus­

gegebenen Werkes „Die deutschen Universitäten" aus Beitrügen der hervorragendsten Fachkenner zusammengestellt. Dort kam es mehr auf die statistische Vollständigkeit an.

Mir

lag mehr daran, zu einer gewissen inhaltlichen Geschlossenheit zu ge­ langen, ähnlich wie für den vorigen Halbband eine solche sich hatte erzielen lassen.

Bot dieser im wesentlichen die Geschichte des Natur­

rechts, so bietet der hiermit vorgelegte Halbband im wesentlichen die

Geschichte des Historismus in der Rechtswissenschaft, wobei wieder die Geschichte der historischen Schule in den Mittelpunkt tritt. Bonn, den 12. Oktober 1910.

CrnK EanliHbtrg.

Inhalt. 13. Kapitel.

Der Wegi«n der Aeuzeit. Seite

I. Gustav Hugo. 1) Leben und erste Schriften . .................................................... 1 2) Hauptwerke.................................................. 9 3) Würdigung.......................................................... 31 II. Antiquarisch-historische Gruppe......................................... 48 1) Haubold...................................................... 49 2) Cramer..............................................................................................................56 3) Schrader.................................................................. 59 4) Wenck................................................................................................ 62 5) E. Spangenberg.............................................................................................64 6) Kindlinger und Bodmann............................ 66 III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut und die Kodifikation.................... 69 2) Thibaut als Dogmatiker. :.................................................................. 83 3) Heise und Cropp.............................................................................................88 IV. Das französische Privatrecht. 1) Im allgemeinen.............................................................. 98 2) C. S. Zachariae.................................................................. 100

14. Kapitel. Das gleichzeitige öffentliche Wecht. I. Strafrecht............................................................................................................111 1) Feuerbach................................. 112 2) Stübel undGrolman................................... 139 3) v. Almendingen........................................................................................... 144 II. Prozeß. 1) Gönner...................................................... 147 2) Martin....................................................' ...................................................160

XII

Inhalt.

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht. Seite 1) Klüber, Leben................................................................................................165 2) Klüber, Schriften............................................................................................169 3) Klüber, Würdigung....................................................................................... 176 4) Pätz............................. 178 IV. Katholisches Kirchenrecht. 1) Verschiedene Kanonisten............................. 180 2) v. Droste-Hülshoff....................................................................................... 183

15. Kapitel. Die Begründung der historischen Schule. I. Savigny bis 1814. 1) Leben...................................................... 186 2) Recht des Besitzes ........................................................................................190 3) Weiteres Leben und Vorarbeiten.............................................................. 196 LT. Savigny als Gründer der historischen Schule............................................. 199 1) Ihr Programm ...................................................... 200 2) Dessen Bestandteile.................................................................................... 207 3) Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter..................................... 217 4) Römische Rechtsgeschichte...........................................................................223 III. Savigny 1840—1861 ................................................................... 226 1) System des römischen Rechts...................................................................... 227 2) Verhältnis zur historischen Schule..........................................................229 3) Ministerium....................................................................................................235 4) Lebensabend und letzte Schriften........................................................... 240 IV. Savignys Stellung und Bedeutung für die Geschichte der RW. . . . 241 V. Eichhorn. 1) Lebenslauf....................................................................................................253 2) Staats- und Rechtsgeschichte........................................................................ 257 3) Deutsches Privatrecht................................................................................... 264 4) Staats- und Kirchenrecht.......................................... 269 5) Stellung und Bedeutung..................................... 272 VI. Jakob Grimm, als Jurist......................................... - 277 1) Erstling..................................................................................................... - 278 2) Deutsche Rechtsaltertümer...........................................................................279 3) Kleinere Beiträge........................................................................................... 281 4) Weistümer................................................................................................- 282 5) Stellung und Bedeutung..................................... 284

16. Kapitel. Die Irnhvkütezeit der historischen Schule. I. Die Frühblüte selbst. 1) Romanistik......................... 287 2) Germanistik.................................................................................................... 307 3) Lehen-, Kirchen- und Strafrecht............................................................. 328

Inhalt.

XIII Seite II. Die Spekulation............................. 344 1) Hegel.............................................................................................................. 345 • 2) Gans.............................................................................................................. 354 3) Stahl..............................................................................................................370

III. Der Positivismus. 1) Mühlenbruch...............................................................................................375 2) Linde und Bayer....................................................................................... 380 3) Das Strafrecht und Wächter......................................................................883 4) Deutsches Staatsrecht.................................................................................. 393 5) Das Territorialstaatsrechtund Mohl.................................................... 401 IV. Mittermaier. 1) Leben................................................................................................................413 2) Schriften....................................................................................................... 419 3) Würdigung......................................... 433

17. Kapitel.

Are Kochvtüte der historischen Schute.

I. Puchta..................................................................................................................438 1) Lebenslauf................................................................................................... 439 2) Schriften....................................................................................................... 442 3) Bedeutung....................................................................................................... 458 II. Sonstige Romanisten...................................................................................... 461 1) Rudorfs........................................................................................................... 462 2) Keller............................................................................................................... 465 3) v. Bethmann-Hollweg.................................................................................. 471 4) Bluhme........................................................................................................... 475 5) Bücking........................................................................................................... 476 6) Die Byzantiner...........................................................................................481 7) Römisches Staats- und Strafrecht......................................................... 487 8) Die Dogmatiker mitArndts........................................................................492 III. Der germanistische Ansturm und Beseler....................................................495 1) Bernhard und Falck...................................................................................... 497 2) Reyscher und Wilda.................................................................................. 500 3) Beseler...................................................................... 507 4) Die Germanistenversammlungen ............................................................. 519

IV. Sonstige Germanisten. 1) Dunker und Kraut...................................................................................... 523 2) Homeyer....................................................................................................... 525 3) Zum Schwabenspiegel.................................................................................. 530 4) Zu den Volks- undStadlrechten................................................................532 5) Verfassungsgeschichte..................................... 538 6) Zöpfl................................................................................................................543 7) Osenbrüggen...................................................................................................548 8) Die Schweiz mit Bluntschli und die russischen Ostseeprovinzen mit v. Bunge.............................................. 552

XIV

Inhalt. Seite

V. Der Zivilprozeß ............................................................................................... 561 1) Briegleb.......................................... ...................................................... ... 562 2) I. W. Planck................................................................................................... 564 3) Wetzell.............................................. 568 VI. Das Kirchenrecht........................................................................................ 1) Ämilius LudwigRichter...............................

. 569 570

2) Phillips. . ........................... 576 3) Die SchülerRichters .. ..................................................................................579

18. Kapitel, ^osttivismus und Hegelianismus. I.Gemeines Zivilrecht......................................................................................... 587 1) Der spekulative Positivismus...................................................... 588 2) Der unbefangene Positivismus..............................................................597 3) Vangerow und der quellenmäßige Positivismus................................ 602 II. Die Territorialrechte . ........................ .1) Ältere Zeit.........................................

606 . . . 607

2) Wächter.................................................. 3) Ausblick.................

612 618

III. Wechsel- und Handelsrecht...............................................................................619 1) Eineri...................................................... 620 2) Liebe.................................. . 623 3) Thöl.............................................. 625 4) Nachfolger................. . ....................................................... .... . ; . 634 5) F. A. Diener............................. 637

IV. Otto Bähr.............................

639

V. Publizistisches und Philosophisches . . . ..................................................647 1) Völkerrecht .................................................................... . . 648 2) Naturrecht.................................. .’............................................ 654 3) H. A. Zachariae...........................................................................................658 4) Partikuläres Staatsrecht....................................................................... 664 VI. Das Strafrecht unter Hegel...................................................... 668 1) Abegg............................................................................... 669 2) Köstlin.............................................. 672 3) Berner............................................................................................................ 680 4) Hälschner.................................................. 687 5) Geyer ................................................................................ 690 6) Verschiedenes, besonders territoriales Strafrecht................................ 692 7) John und Merkel.......................................................................................706 8) v. Hvltzendorff............................................................... .714

VII. Die letzten Hegelianer. 1) Lorenz v. Stein.................... 2) Ferdinand Lassalle.........................

.

......................... 718 728

Inhalt.

19. Kapitel.

DieKrisisder historischen Schule.

XV

Seite

Vorbemerkung...................................................... 732 I. Das Ende der alten Schule. 1) Kirchmann.............................. .................................................................736 2) Wetter- undSturmzeichen........................................................................ 743 II. Übergang. Die Mediävisten ............................................................ . 750 1) Bruns........................................................................................................... 751 2) Delbrück ............................................................................... 756 3) Arnold ............................................................................... 760 4) Rezeptionsgeschichtliches.............................................................................. 765 III. Die neue Richtung, Gerber und Jhering. 1) Gerber, erste Werke.................................................................................. 778 2) Jhering, erste Periode.............................................................................. 788 3) Gerber und Jhering, 1857—1863 ...................................................... 800 4) Jherings Spätzeit................. ................................................................. 807 5) Gerbers Spätzeit...................................................................................... 825

20. Kapitel.

Die jüngere historisch-praktische Wichtung.

I. Gemeines Zivilrecht . . . ........................................................................ 834 1) Leist und Kuntze...................................................................................... 835 2) Brinz........................................................................................................... 842 3) E. I. Better...............................................................................................847 4) Verschiedene...............................................................................................852 5) Windscheid...................................................................................................854 II. Römische Rechtsgeschichte . 865 1) Theodor Mommsen.................................................................................. 866 2) Mitarbeiter................................................................................................... 879 3) Fortsetzer.......................................................................................................882 III. Die Germanistik. 1) Paul Roth, Anfänge...................................................... 886 2) Ficker........................................................................................................... 889 3) Stobbe........................................................................................................... 891 4) Verschiedene...................................................................................................894 5) Herausgeber, besonders Boretius......................................................... 899 6) Konrad v. Maurer.......................................................... 902 7) Brunner und Gierke, Anfänge................................................................. 908 IV. Das territoriale Privatrecht .......................................................................... 916 1) Österreich mit Unger.................................................................................. 917 2) Roth, Meibom und Böhlau......................................................................925 3) Preußen mit Förster und Dernburg..................................................... 929 4) Zusammenfassungen.................................................................................. 935 V. Handelsrecht. 1) L. Goldschmidt...........................................................................................938 2) Verschiedene, besonders Endemann..........................................................949

XVI

Inhalt.

VI. Sonstige Rechtszweige. Seite 1) Zivilprozeß, besonders Bülow.................................................................... 953 2) Glaser und die österreichische Strafrechtsschule...................................... 954 3) Gneist und das Verwaltungsrecht . .. ....................................................... 963 4) Staatsrecht, besonders H. Schulze ............................................................ 975 5) Völkerrecht.............................. 979 VII. Abschluß............................................................ 979

Namenregister...........................................................................................982

Dreizehntes Kapitel.

Der Beginn der Neuzeit. I. Gustav Hugo. 1) Leben und erste Schriften. 2) Hauptwerke. 3) Würdigung. II. Antiquarisch - historische Gruppe. 1) Haubold. 2) Cramer. 3) Schrader. 4) Wenck. 5) E. Spangenberg. 6) Kindlinger und Bodmann. III. Wissenschaft­ licher Positivismus. 1) Thibaut und die Kodifikation. 2) Thibaut als Dog­ matiker. 3) Heise und Cropp. IV. Das französische Privatrecht. 1) Im all­ gemeinen. 2) C. S. Zachariae.

I.1) Endlich kam Hugo?). 1. Gustav Hugo ist geboren am 23. November 1764 zu Lörrach int Wiesenthal als Sohn des badischen Justiz- und Verwal-

tungsbeamtcn Johann Michael Hugo, eines Mannes von altem Schrot

und Korn, tüchtig, charaktervoll und ehrenfest, wie der Sohn ihn geschildert hat''), offenbar sich selbst zur bewußt vergleichenden Er­ klärung. Denn des Vaters gelvissenhafter Fleiß, strenge Selbstzucht und unabhängiger Eigensinn sind Züge, die sich bei Gustav Hugo

wiederfinden. Dasselbe scheint zu gelten von einem grobkörnigen, schlagfertigen Humor süddeutscher Prägung. Die gründliche juristische Schulung des Gedächtnisses und der Denkart hat sicherlich der Sohn dem Vater zu verdanken, der ihn schon als Knaben unter seiner Anleitung bie Institutionen des Heineccius durcharbeiten ließ. Aber selbst der starr-konservative, allen Neuerungen — z. B. der damals in Baden herrschenden physiokratischen Schule — abholde Sinn des Vaters ist es, den wir bei dem Sohne nach dem Sturm und Drang der Jugendjahrc wiederfindenZ, wenn er vom höheren Mannes­ alter ab weiter mit der Zeit zu gehen sich weigert, um desto ent­

schiedener an dem einmal eingenommenen Standpunkt festzuhalten. Landsb erg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

I

Dreizehntes Kapitel.

2

Nach dem Besuch der guten Schule zu Lörrach, um derent­ willen der Vater sich eben dorthin hatte versetzen lassen, wurde der

Knabe, noch nicht volle 12 Jahre alt, nach Mümpelgard ins fran­ zösische Ausland auf das Gymnasium gesandt. Französische Lite­

ratur und Denkweise haben auf ihn während der dort zugebrachten zwei Jahre eingewirkt. Jedoch darf man die Bedeutung dieses Um­ standes nicht, wie es wohl geschehen ist, überschätzen. Wohl mochte

er infolgedessen eine seltene Beherrschung der fremden Sprache ge­ wonnen haben, wohl mochte die Vorliebe für Voltaire zu weiteren naturrechtlichen Gedankenverbindungen anregen, wohl mochte endlich jene Vergangenheit später es ihm erleichtern, mit der Herrschaft der Franzosen und des französischen Rechts in dem Göttingen JerSmes

sich abzufinden5): aber den Grundzügen seines festgefügten Charakters

ist französisches Wesen stets fremd geblieben. Nicht einmal die scharfen Ecken und Kanten sind dadurch abgeschliffen worden. Wesent­ licher Gewinn dieser Jahre ist vielmehr, wie Hugo selbst hervor­ hebt , der frühzeitige Einblick in die Gegensätze" nationalen Lebens und Schrifttums und damit der Erwerb einer gewissen Vorurteils­

losigkeit. Nicht Fremdes hat die Herrschaft über ihn gewonnen, sondern die Einsicht in Fremdes hat ihm dazu verholfen, sein

Eigenstes frei nach eigenem Gesetz zu entfalten; so hat er sich auch später immer wieder bewährt, selbst dem Einflüsse eines Kant gegen­ über. Zunächst kam Hugo in die Heimat zurück und vollendete seine

Vorstudien an dem Karlsruher Gymnasium illustre seit 1779. Dann bezog er im Herbst 1782 die Universität Göttingen, an welcher er nunmehr mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seinem Lebensende verbleiben sollte. Er wird wohl die meisten Rechtslehrer, welche in jenen Jahren dort tätig waren, gehört haben, wenigstens erwähnt er ihrer mehr­

fach mit Bemerkungen, die auf eigener Kenntnis offenbar beruhen; besonders günstigen Eindruck scheint er indessen nicht von ihnen gewonnen zu haben, am wenigsten von den Romanisten. Nur zu einem Mitglied der Fakultät trat er in ein näheres Verhältnis, zu Pütter; dazu gesellten sich der Philosoph Feder und der Historiker

Ludwig Timotheus Spittler. Über Feder ist bereits in dem vorangehenden Abschnitte dieses Buches gehandelt.

Seine skeptisch-vorsichtige Behandlungsweise des

I.

Gustav Hugo.

1) Leben und erste Schriften.

3

Naturrechts ist offenbar Hugo von vornherein besonders sympathisch

gewesen,

der hier doch gleichzeitig die alte Schule gründlich durch­

machte, um an ihr später das Zersetzungswerk gründlich vornehmen zu können; ist doch sein Anti-Naturrecht Feder gewidmet, ohne jede

ironische Nebenabsicht.

Auch sonstige gediegene philosophische Vor­

schulung und manche persönliche Förderung verdankt Hugo diesem

seinem Lehrer.

An erster Stelle freilich nennt er selbst stets unter seinen Lehrern Spittlerb). „Seinem Unterrichte, seinem Muster und seiner Liebe verdanke ich, was ich nur einem Menschen, der 15 Jahre meines Lebens mich fast ununterbrochen geleitet hat, verdanken kann."

Die Aussicht, mit ihm zu leben, entschied Hugo zur Wahl der akademi­ schen Laufbahn in Göttingen. Fast eine jede Bücherbesprechung, fast jeder Aufsatz des Zivilistischen Archivs seien bis zu Spittlers Weggang aus Göttingen unter dessen Augen und Zensur entstanden;

bis auf den Stil und die Satzbildung ist Spittler Hugos Muster

geworden. Daneben tritt denn aber doch für die eigentlich juristische Ausbildung der Einfluß Pütters in den Vordergrund. Hier muß der Historiker zurücktreten gegenüber demjenigen, der mit juristischer Begabung und Schärfe nachweisbar zuerst das Programm eines Romanisten, wie er sein sollte, entworfen hatte Z, ein Programm, das Hugo genau übernehmen und seiner ganzen Tätigkeit zugrunde­ legen sollte; gegenüber demjenigen, der dann auch dies Programm dem Studenten Hugo in juristischen Vorträgen und Schriften selbst übermittelt hat, wie des Schülers gewissenhafte Dankbarkeit fort­ während bezeugtb); gegenüber demjenigen schließlich, der Hugo zu

Ende seiner Studienzeit die zivilistische Richtung geradezu aufgedrängt

hat^). Pütters germanistisch-historische Auffassung, in noch etwas unbehilflicher Übertragung statt der späteren freieren Anpassung, aber eben deshalb besonders greifbar, bildet denn auch die Grundlage für Hugos erste wissenschaftliche Arbeit und für deren Erfolg. Pütter hatte stets betont, daß die Eigentümlichkeiten des gelten­

den deutschen Privatiürstenrechts durchweg nur früher allgemein gültige altdeutsche Rechtssätze seien, die für das allgemeine Privat­ recht dem römischen Recht hätten weichen müssen und nur deshalb

jetzt, im Fürstenrecht erhalten wie sie seien, den Anschein der Sonder­ barkeit erwecken. Dahin rechnete er zunächst den Ausschluß der Töchter von der Erbfolge, der nach altdeutscher Uranschauung nicht 1*

4

Dreizehntes Kapitel.

Ausnahme, sondern Regel sei, um von da aus die berühmte und berüchtigte Streitfrage der Regredienterbiu oder Erbtochter zugunsten letzterer zu lösen10).

Was so Pütter als altes deutsches Recht mit

Vorliebe bezeichnete, das erschien nun Hugo, indem dieser in der

Weise Montesquieus nach den Verhältnissen und Bedürfnissen einer jeden Zeit deren Recht sich aufzubanen suchte, als ein Satz, der offenbar für alle wahrhaft jugendlichen Volker zutreffen müsse.

In

eigener jugendlicher Keckheit nahm er deshalb keinen Anstand, ihn nicht nur ohne, sondern sogar gegen spätere römische Zeugnisse,

gegen die Autorität aller bisherigen Rechtslehrer und Montesquieus selbst 'auf die römische Urzeit zu übertragen; eine kühne Hypothese, von der aus freilich die lveitere Entwicklung des römischen Erb­ rechts helles Licht zu gewinnen schien. Auf diese Weise entstand,

bestimmt zur Lösung der ersten in Göttingen gestellten juristischen Preisaufgabe und mit dem Preise gekrönt am 4. Juni 1785, Hugos

erste Abhandlung: »De fandamento successionis ab intestato ex iure Romano antiquo et novo.« Sie ist reich an geistvollen Einzelheiten und bereits merkwürdig gewandt in der Darstellung und im geschichtlichen Aufbau. Der Einsicht der Göttinger Fakultät gereicht es zu nicht ge­ ringem Ruhme, sofort in diesem übermütig gärenden Most den edlen Wein durchgekostet zu haben. Wie ehemals Pütter von Münchhausen frühzeitig und planmäßig als Staatsrechtslehrer für

Göttingen festgelcgt und ausgebildet worden Ivar, genau so verfuhr man nun auf Pütters Anregung, um sich Hugo als Zivilisten zu

erziehen, mit gleich erfreulichem Erfolg.

Sofort wurden feste Zusiche­

rungen auf Mehrere Jahre im voraus ausgetauscht und eingehalten; unwesentlich, daß Hugo die Zwischenzeit statt zu einer Studienreise,

wie ursprünglich in Aussicht genommen, vielmehr dazu verwandte, bei dem Erbprinzen Friedrich von Dessau seit Ostern 1786 als

juristischer Lehrer zu wirken. Brachte ihm doch diese Anstellung in reichlichem Maße, was die Reisezeit hätte bringen sollen: nahe Be­

ziehungen zu hervorragenden Männern verschiedenster Art11), reichere Bildung und Einblicke in das freiere Treiben der großen Welt; und daneben doch die nötige Muße,

um sich innerlich fortzuent­

wickeln. Eben diesen Jahren verdankt Hugo die erste Bekanntschaft mit Kant, dessen „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" in Dessau studiert wurde, während er zu der Beschäftigung „mit den

1. Gustav Hugo.

1) Leben und erste Schriften.

5

drei Kritiken und was dazu gehört" erst zehn Jahre später gelangt ist12). In Dessau auch entstand die Dissertation, mit welcher Hugo sich in Halle am 10. Mai 1788 den Doktorhut holte, um darauf

das Göttinger Lehramt im Herbst desselben Jahres anzutreten. Seine förmliche Ernennung zum außerordentlichen Professor erfolgte am 19. September; daran reihte sich, um diese Äußerlichkeiten

gleich vorwegzunehmen,

seine Beförderung zum ordentlichen Pro­

fessor am 29. Juni 1792, zum Hofrat am 5. Juni 1802, zum Mit­

glied der Honoreufakultät am 9. März 1807, zum Geheimen Justizrat am 24. August 1819; auf letzteren in Göttingen verhältnismäßig

seltenen Titel scheint er besonderes Gewicht gelegt zu haben; von

den Arbeiten des Spruchkollegiums, in welches er mit dem Ordi­ nariate eintrat, war er auf seinen Wunsch, um ausschließlich lehren und schreiben zu können, bereits 1797 wieder entbunden worden. Fast 80jährig, in ähnlich hohem Alter wie sein Lehrer und Vorbild

Pütter, ist er zu Göttingen gestorben am 15. September 1844. Während indessen für Pütter bezeichnend ist, daß sein Geist und sein Stil zu voller Entfaltung

und Reife

erst im höheren

Mannesalter gelangten, sehen wir Hugo fast sofort auf derjenigen

Höhe des Standpunktes, über welche er nicht mehr hinauswachsen sollte. Die voreilige Keckheit der Preisschrift ist schon vollständig überwunden und durch wissenschaftliche Kühle abgelöst in der Halleschen Doktordissertation, die »De bonorum possessionibus« handelt. Ein Mittel- und Kernpunkt für jede historisch eindringende Auf­ fassung des römischen Rechts ist das Thema, dem damit Hugo sich zugewendet hat. Handelt es sich doch um richtige Auffassung für Stellung und ediziercnde Tätigkeit des Prätors, um Erkenntnis des Verhältnisses zwischen zivilem und prätorischem Recht; ferner aber um Überblick über nationale Eigenheiten, sowie schließlich um Er­

ledigung zahlreicher kasuistisch verwickelter Einzelfragen. Und da ist es nun bezeichnend, daß Hugo allerdings von zutreffender Auffassung

der allgemeinen Probleme ausgeht; daß hierbei treffendes historisches Gefühl allerdings ihn geleitet hat; daß er aber in der Ausführung nunmehr den Nachdruck legt auf die quellenmäßige Beweisbarkeit und Genauigkeit. Und zwar liefert ihm den Schlüssel, mittels dessen er die Rätsel seiner Materie in noch für uns maßgebender

Weise löst, eine Stelle aus UtpmnS Fragmenta (XXVIII, 13), die

Dreizehntes Kapitel.

6

bisher unbeachtet

geblieben war mangels Aufnahme in Justinians

Corpus Juris. Auf letzteres als eigentliche Rechtsquelle und auf die neuere Literatur hatten sich seit dem Erlöschen der französisch­ humanistischen Richtung des 16. Jahrhunderts wesentlich Bemühungen

und Kenntnisse der deutschen Praktiker, die sich mit solchen erbrecht­ lichen Einzelheiten abgaben, beschränkt. Die antike Literatur, selbst die juristische, hatten sie darüber unbeachtet gelassen. anderseits die „eleganten Juristen"

hatten

Und wiederum

sich wohl gehütet, mit

ihren klassisch sauber gepflegten Fingerspitzen in jene staubigen Winkel­ gänge des Erbrechts hineinzugreisen. So blieb es Hugo Vorbehalten,

jener Stelle die Entscheidung zu entnehmen. Man sieht in seiner Darstellung ordentlich, wie ihm selbst durch jene Stelle blitzartig der

Weg klar wurde.

Dieser Weg aber ist gleichzeitig derjenige seiner

ganzen Lebensarbeit, ja es ist derjenige, auf dem hinter ihm die gesamte deutsche Zivilistik zu der Höhe ihrer klassischen Glanzzeit emporgelangen sollte: die Behandlung des römischen Rechts aus der Fülle der Altertumsforschung hervor. Den genauen Zusammen­ hang dieser Wege enthüllt uns unsererseits aber wieder blitzartig jene Verwertung Ulpians in Hugos Doktordissertation; als erster Höhepunkt auf dieser weitgestreckten Bahn wird jedem Romanisten der Veroneser Fund des echten Gaius ohne weiteres aufleuchten.

So war denn auch eine neue Ausgabe der Ulpianischen Frag­ mente 13) Hugos erste Sorge, um bei Beginn seiner Lehrtätigkeit darüber ein exegetisches Kolleg halten zu können. Mit Recht ver­ wies er für die Notwendigkeit solcher Übungen in der Jurisprudenz auf die Analogie der Theologie.

Soweit war man seit den Zeiten

des mos Italicus und seines übertriebenen Haftens an den Quellen in das entgegengesetzte Extrem geraten, daß es solcher Rechtfertigung überhaupt bedurfte! Das läßt sich, mag man eine noch so schlimme Erschlaffung des Studiums voraussetzen, doch nur erklären, wenn man bedenken will, daß die Quelle des damals wirklich geltenden Rechts allerdings mehr im Gerichtsgebrauch, in den kasuistischen Sammelbänden und Systemen des usus theoretico-

gemeinen

practicus als

in

dem justinianischen

Gesetzbuch

zu

finden

war,

geschweige denn in den Schriften der klassischen römischen Juristen außerhalb der Pandekten. Mit solchen Dingen mochte sich abgeben, wer aus den Nechtsaltertümern sich eine mehr philologische als juristische Bildung erwerben, wer „eleganter Jurist" werden wollte;

I. Gustav Hugo.

1) Sehen uud erste Schriften.

7

für die juristische Praxis galten sie als überflüssig, wo nicht gar als

irreführend. Es ist seinerzeit nachgewiesen worden, wie diese traurige Abson­ derung der antiquarischen Gelehrsamkeit von der praktischen Rechts­ behandlung") zurückgeht auf die heillose Äußerlichkeit des herrschenden

Lehrbuches der Rechtsgeschichte, auf des Heineccius Antiquitatum Roman ar um iurisprudentiam illustrentium Syntagma. Mit fast instinktiver Sicherheit erkennt Hugo von vornherein in Heineccius

den Gegner, dessen Einfluß gebrochen werden muß, um besserer Er­

kenntnis Platz zu schaffen.

Gegen des Heineccius schiefe und minder­

wertige Auffassung von der Stellung des römischen Prätors richten

sich Hugos erste scharf polemische Wendungen^); gegen die Art des Heineccius, Geschichte und Rechtsgeschichte zu behandeln, appelliert Hugo an einen wahrhaften Historiker, an Gibbon und dessen Ge­ schichte des sinkenden römischen Reiches. In deutscher Übersetzung gab er, Göttingen 1789, heraus das 44. Kapitel dieses Werkes unter dem Titel: „Eduard Gibbons historische Übersicht des römischen Was Hugo in dieser Darstellung anzog, das war offenbar außer ihrer ausdrücklich gerühmten äußeren Eleganz der übersichtlich hohe Standpunkt, der Nachweis einheitlich großzügiger

Rechts" mit eigenen Noten.

Grundlinien, die wohlgelungene Periodisierung und namentlich der Umstand, daß bei alledem die Innenseite der Rechtsentwicklung her­ vorgekehrt wird. Die innere Rechtsgeschichte Juristen und Laien wieder einmal vor Augen zu rücken, das bezweckte diese Übersetzung; zu Reitemeiers vor einigen Jahren erschienener, von Hugo stets voll

anerkannter „Enzyklopädie und Geschichte" sollte sie hinzutreten, um deren mehr gelehrten durch ihren populären Ton zu ergänzen. So sollte sie in weitestem Kreise die Überzeugung von dem Ungenügen

des bisherigen Zustandes und eine Ahnung erwecken davon, „wie herrlich und schön das römische Recht sich betreiben ließe", wenn man bei rein historischem Studium zunächst einmal absähe von der prak­ tischen Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit der Ergebnisse, wenn man

solche Ergebnisse streng sachlicher Forschung dann in Verbindung und

Vergleich brächte mit dem Rechte der Gegenwart; und wenn man auf diese Weise dem großen „Ideal von einem Werke über den Geist des römischen Rechts" sich wenigstens möglichst zu nähern suchte. Nur eine Ahnung von alledem wohlgemerkt sollte Gibbons geniale Laienleistung dem Leser einstweilen vermitteln; aber auch aller

Dreizehntes Kapitel.

8

weiteren Arbeit, mochte sic noch so weit über Gibbon hinaussühren,

erreichbar erscheint Hugo nur die Annäherung an jenes Ideal.

Mit

Vorbedacht, in streng philosophischem Sinne gebraucht er dieses Wort bereits 1789 als Bezeichnung für ein stets anzustrebcndes, nie ganz zu gewinnendes Ziel; mit Zähigkeit hat er von da ab stets an der hierdurch mit mathematischer Schärfe festgelegten Auffassung sich ge­

halten ; darin liegt der wesentliche Unterschied in der Stellung Hugos gegenüber seinen Vorgängern unter Püiters Schülern, gegenüber der aufstcigenden Reihe der Habcrnikkel, Hofacker und Reitemeier; da­ durch ist er, was diesen versagt blieb, zum Gründer einer neuen Richtung geworden.

Auch diese hatten nicht ermangelt, Pütters methodologischen An­

regungen ähnliche leitende Gesichtspunkte zu entnehmen wie Hugo. Verlangt wird Scheidung des römischen vom nichtrömischen Recht; sodann innerhalb des römischen Rechts Scheidung des älteren von dem heute anwendbaren; endlich historisch periodisierende Anordnung des ersteren, systematische Anordnung des letzteren im Gegensatz zu

der herrschenden Legalmethode. An diese Aufgaben waren nun jene Vormänncr Hugos herangegangen mit der Absicht, sie binnen kürzester Zeit, in Erstlingsleistungen, durch ein rasch geschaffenes Lehrbuch zu lösen; dieser Überschätzung ihrer Kräfte entsprach cs, daß, als diese

ersten Bemühungen nicht sofort zu den gewünschten Ergebnissen führten, sie sich alsbald abschreckcn ließen, ihren Prinzipien untreu wurden oder sich andern Gebieten zuwandten. Fast wurden dadurch ihre Strebungen mehr diskreditiert als gefördert. — Ganz anders Hugo. Er weiß und sieht, welch gewaltige und* entsagungsschwere Arbeit es gilt, er ermißt, daß das Ziel nur ganz von ferne winkt, aber eben deshalb verzagt er nicht beim ersten Anlauf, sondern be­ schließt, sich nachhaltig in unermüdlich zäher Lebensarbeit einzu­ setzen, um so weit auf dem Wege zu gelangen, wie ihm möglich; und er hat die moralische Kraft gehabt, diesem Entschlüsse treu zu bleiben. Daher sein peinliches,' bisweilen fast kleinliches Interesse für Wortgebrauch und Wortstellung, seine fast schulmeisterliche Kritik gegenüber Nachlässigkeiten in dergleichen Dingen; daher aber auch seine Sicherheit und Überlegenheit auf dem einmal gewählten Felde.

Sein stetiges Fortschreiten in der Einzelerkenntnis gegenüber dem

Konservatismus in der Grundauffassung und seine erziehlich wirkende Methode entstammen derselben Wurzel. Nicht bloß einige Arbeitszeit

1. (Gustav

2) Hauptwerke.

nein, die Arbeit eines Lebens hat er seiner

wie jene Vormänner,

Sache gewidmet, sich selbst damit vereinheitlicht, für sic kämpfend, lehrend, schreibend gewirkt, für sie späterhin einen Größeren neidlos als solchen anerkannt, aber dadurch eben auch sie zum Sieg gebracht.

2. Als Hugo seine Tätigkeit begann, sah er sich in seinem Fache

umgeben von Männern, denen sein Beginnen fast zwecklos, wenn

nicht ruchlos erschien, während er umgekehrt erschrecken mußte über die Dürftigkeit und Öde ihrer quellenentfremdeten Leistungen. Kein Wunder,

daß

unter

solchen

Umständen

er sich

mit Vorliebe

der

kritischen Tätigkeit zuwendete, für die überdies die Spalten eines hochangesehenen gelehrten Journals, der Göttinger Gelehrten An­

zeigen, ihm von vornherein unbedingt durch Pütter, Spittler und

zur Verfügung gestellt wurden — eine für einen Reformator

Heyne

selten günstige Fügung.

In diesen Anzeigen17) verfolgt nun Hugo

Jahrzehnte hindurch die gesamte zivilistische Literatur, anfangs fast nur mit scharfem Tadel, später mit wachsender Anerkennung, dann

mit der Freude desjenigen, der selbstgesäete Frucht herrlich gedeihen

sieht, schließlich nicht ohne einige senile Herbheit, stets aber mit dem ehrlichsten und angestrengtesten Streben nach wissenschaftlicher Ge­

rechtigkeit.

Auch seine eigenen Lehrbücher hat er eben dort, Auflage

für Auflage, selbst angezeigt, schon deshalb, um dabei seine Methode zu verteidigen und zu empfehlen, gleichzeitig aber auch, um kleinere

Mängel und Versehen des eben erschienenen Werkes, sobald entdeckt, auch öffentlich richtig zu stellen.

An der scharfen Kritik, die er gegen

andere übte, hat er es sich selbst gegenüber wahrlich nie fehlen lassen.

Scharf freilich war diese Kritik, namentlich während der ersten

Zeiten, um die es sich hier zunächst handelt; aber scharf mußte sie sein, um so zu wirken, wie Hugo es beabsichtigte, gegen die gesamte herrschende Richtung einer naturrechtlichen, quellenfremden, unhistori­ schen,

vollkommen

selbstbesriedigten Verschwommenheit.

Nicht bloß

allerhand untergeordnete Erscheinungen des Büchermarktes werden da

schonungslos abgetan, sondern mit Vorliebe wendet sich Hugo gerade

gegen die zur Zeit seiner Anfänge leitenden Fachgenossen und gegen deren Hauptwerke: Höpfners Institutionen- und Glücks Pandekten­

kommentar sind die beliebtesten Angrisfsgegenstände, aber ebensowenig

entgeht Weber und selbst der Kanzler Koch den Pfeilen des jungen Phöbus Apollo.

Dabei gelingt es diesem schon recht wohl, nachdem

der erste Anfall kritischer Hitze überwunden ist, nicht nur Person von

Sache zu trennen, sondern selbst Anerkennung der relativen Tüchtig­ keit eines Gelehrten und seiner Schriften mit derjenigen Verurteilung zu verbinden, welche sich erst bei Anlegung von Hugos Maßstab er« gibt Eben weil er sich bewußt ist, einen ganz neuen Maßstab mitzubringen und eine ganz neue Arbeitsweise zu fordern; eben weil er dartun will, wie ohne diese Weise der Wissenschaft absolut nicht aufgeholfen werden kann: eben deshalb greift er sich die begabtesten, fleißigsten, gelehrtesten unter den Autoren seiner Zeit und deren be­ deutsamste Werke heraus, um ihre Mängel als Mangelhaftigkeit ihrer Methode nachzuweisen. Wenn selbst ein Hopfner unter der glatten Vornehmheit seines gepflegten Stils, wenn selbst ein Glück unter der Massenhaftigkeit seiner gemeinrechtlichen Gelehrsamkeit fortwährend die Sprache und das Recht der römischen Juristen mißhandeln, wenn selbst eines Koch dreißig Jahre hindurch herangereistes Werk über bonorum possessio zu einer ganzen Reihe elementarer Ausstellungen Anlaß gibt: beweist das nicht, daß alle Vorwürfe berechtigt sind, die Hugo gegen die Methode jener Männer erhebt? „Dieser^) Vorwurf gegen die ältere Schule ist kurz der: Vernachlässigung der Geschichte und der Philosophie, die sich dann nachher auch bei dem fast allein geschätzten Praktischen rächen." Dafür Punkt für Punkt Proben zu geben, das ist die durchgehende Aufgabe für die Gesamtheit aller dieser Rezensionen bis etwa 1800. Sie bilden eine Sammlung von Mängelrügen der bisherigen Methode, aber fortlaufend untermischt mit Auseinandersetzungen über das, was an die Stelle zu treten habe, beides in immer wieder neuen Wendungen und mit zahlreichen nicht selten geistreichen Einzelheiten, Bildern und Vergleichen, durch die Hugos Stil während dieser Kampfzeit sich auszeichnet. Hand in Hand damit gehen einzelne mehr positiv fördernde Beiträge zu den Stoffen der besprochenen Werke, in reicher Fülle nur nebenbei ein­ gestreut ; so verbinden sich formaler und kritischer Reiz dieser Polemik mit gediegenem Inhalt, um sie zu einer vorbildlichen Gesamtleistung zu stempeln. Neben den Göttinger Gelehrten Anzeigen,, die ja nur der Kritik dienen konnten, schuf sich dann Hugo für selbständige Aufsätze die eigene Zeitschrift, etwa so, wie bisher Universitätslehrer der aka­ demischen Dissertationen und Programme sich bedient hatten, nament­ lich so lange die Sitte oder Unsitte herrschte, daß die Doktorschristen nicht von den Doktoranden, sondern von dem „Präses" herrührten.

1. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

11

Das Abkommen dieses Mißbrauches, das etwa um diese Zeit fällt, mußte zu der Gründung solcher wissenschaftlichen Zeitschriften führen'^"); dieser Zusammenhang erklärt es denn auch, wenn damals nicht auf­ fiel, was heutzutage eigentümlicher wirken würde, daß nämlich, zu­

nächst wenigstens, fast alle Artikel dieses seines „Zivilistischen Maga­ zins" von Hugo selbst ausschließlich herrühren. In die erste Zeit seines Auftretens fallen im wesentlichen die zwei ersten Bände (8 Hefte) des Magazins, erschienen von 1790 bis 1796, davon die ersten 6 Hefte schon bis 1792. Sie enthalten zu­

nächst viel Programmatisches und Methodologisches, Entwicklung und Begründung von Hugos Prinzipien und Lehrart, teilweise mit Be­

rufung auf Autoritäten älterer Tage,

unter denen Leibniz?*) mit

seinen historischen Postulaten und seinem Vergleiche zwischen den Fächern der Theologie und Jurisprudenz voransteht. Sodann kommen sie auf einzelne Werke zurück, bei bereit Zerpflückung Hugo sich nicht genug tun kann, um nicht sowohl deren Eigentümlichkeiten, als viel­ mehr die dort eben nur besonders greifbar und autoritativ nieder­ gelegten „gewöhnlichen Vorstellungsarten" zu berichtigen. Gleichfalls der

Berichtigung einer solchen üblich und selbstverständlich gewordenen, aber quellenmäßig unhaltbaren Vorstellung auf besonders wichtigem Gebiete gilt der Artikel des ersten Heftes: „Was ist obligatio?", der den Kampf gegen die Verdeutschung und Verwechslung dieses römischen Begriffes mit unserem „Verpflichtung" aufnimmt, einen Kampf, auf den Hugo später immer wieder und immer ausführlicher zurückgekommen ist. Im Verlaufe solcher Kämpfe hat sich ihm dann der für die Romanistik so folgenschwer gewordene Anspruch ergeben, die Kunst­

wörter der alten Juristen streng von scholastischen Neubildungen und Umdeutungen zu sondern und zu säubern. Mag er solche Unter­ suchungen über Wortsinn und Wortstellung^) später auch etwas pedantisch getrieben haben: mit jenem Ansprüche war doch der Kern dessen getroffen, was die neue historische Schule zur Entwirrung jener

formlosen Masse von Unklarheiten und Widersprüchen des usus modernus Pandectarum zu leisten hatte. Die Geschichte der Wörter ist eben durchweg die der Sachen, darauf hat Hugo hier die Hand

gelegt.

Kein Wunder, wenn dieses Vorgehen auch des großen Göt­

tinger Philologen Heyne Beifall gewann, der demgemäß das „Zivili­ stische Magazin" durch Überlassung eines wenn schon nur kleineren

Dreizehntes Kapitel.

12

Beitrages 2>h ehrenvoll auszeichnete. Daneben ist Spittlers biogra­ phische Notiz über I. F. Brandts zu neunen24), welche tatsächlich

wesentlich den Zweck verfolgt, die Methode und Tätigkeit Hugos zu empfehlen, sowie der Hoffnung auf ihren Sieg Ausdruck zu verleihen. Womöglich noch bezeichnender sind endlich diejenigen Artikel, die

Hugo den Quellen des vorjustinianischen Rechts widmet.

Zunächst

handelt es sich da allerdings um eine blinde Fährte, die zu Erkun­

digungen nach einem angeblich in England vorhandenen Manuskript Ulpians »de edendo« oder auch »de iudiciis« führte, um dann bloß

das Mißverständnis eines alten Katalogs anfzudecken2^). Aber freilich hätte, wie Hugo treffend bemerkt, dieses Mißverständnis längst auf­

geklärt sein müssen, wenn man einer derartigen, überdies bei Heineccius

abgedruckten, Notiz nur entfernt die ihr gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

Das hatte eben Heineccius und hatten alle die ele­

ganten Juristen, die auf seinen Spuren gegangen waren, Hugo zu besorgen übriggelassen. Alsbald aber gelangte dieser denn auch zu einem lohnenderen Ergebnisse, indem er auf eine soeben (1795) in

Italien an wenig auffallender Stelle veröffentlichte Entdeckung auf­ merksam machte: Eine Erztafcl, deren Text er mit Übersetzung und

angeknüpften Betrachtungen schon 1797 veröffentlichte, und die er damals schon richtig als Bruchstück einer römischen Prozeßordnung

für das cisalpinische Gallien erkannte; es ist dasselbe Gesetz, das uns seit Puchtas Entdeckung seines Namens als lex Rubria bekannt ist26). Damit verband sich sofort der Hinweis ans die Tafeln von Heraklea27), die erst später im dritten Bande des Magazins von Hugo

bearbeitet und dann von Savigny dem Inhalte nach als lex Julia municipalis bestimmt wurden (1838). Mit Recht konnte gelegentlich einer Besprechung2^) von Dirksens Inauguraldissertation über letzteres Gesetz Hugo 1812 darauf Hinweisen, wie es seiner Anregung zu ver­

danken sei, wenn jetzt dergleichen in Deutschland überall als bekannt selbstverständlich vorausgesetzt und wissenschaftlich bearbeitet werde. Einstweilen mußte er sich mit dieser Ausbeute auf diesem Gebiete bescheiden. Übrigens waren ihm alle diese Abhandlungen und Besprechungen

doch nur Ergänzung der Haupttätigkeit. Diese bestand ihm in seinen Vorlesungen und in der Abfassung von Kompendien als Grundlagen dazu. Dabei ging sein Plan von vornherein auf einen ganzen „zivilistischen Kursus". Daraus verbannte er grundsätzlich alle ger-

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

13

monistischen Bestandteile des Privatrechts und alles öffentliche Recht,

wozu er entschieden das Strafrecht verwies. Was übrig blieb, waren Enzyklopädie und Naturrecht (wesentlich des Privatrechts) als ein­

leitende Vorlesungen; heutiges römisches Recht in systematischer Dar­ stellung, statt der üblichen Legalfolge, als dogmatische Vorlesung;

äußere und innere Geschichte des römischen Rechts^) bis auf unsere

neben allen diesen theoretischen endlich praktisch-exegetische Vorlesungen über Ulpian oder Paulus

Tage als historische Vorlesungen;

oder auch über ausgewählte Stellen der justinianischen Rechtsbücher. Außer diesen bleibenden Bestandteilen des Kursus erscheint bisweilen noch zur Vervollständigung der historischen Abteilung der Versuch einer systematischen Darstellung

des reinen römischen Privatrechts,

wie dasselbe etwa zu den Zeiten der großen klassischen Juristen ge­ staltet gewesen. In der Anordnung dieser Bestandteile hat Hugo mehrfach gewechselt, bald mehrere zu einem Kolleg zusammengezogen, bald einen in mehrere Kollegien aufgelöst; bald hat er, wie namentlich zu Anfang seiner Professur, vorgezogen, mit dem praktisch fesselnden

geltenden Recht zu beginnen und das geschichtliche nachfolgen zu lassen, bald hat er sich zur entgegengesetzten Reihenfolge entschlossen. Dabei war namentlich ein Fortschritt die (1800 vorgenommene) Spaltung

des großen historischen Kollegs in eine römische Rechtsgeschichte bis auf Justinian und eine Literaturgeschichte des römischen Rechts seit Justinian. Im übrigen können wir diesen Veränderungen, so furcht­ bar schwer Hugo sie nimmt, keine solche Bedeutung beimessen. Uns

ist die Hauptsache das stetig Beibehaltene: die Sonderung des römi­ schen Rechts vom deutschen Recht; die Sonderung dann wieder des älteren römischen Rechts vom justinianischen Recht; die Betonung der inneren Nechtsgeschichte; und die Berücksichtigung der Exegese. Dadurch namentlich wurden jene Vorlesungen verdrängt, die unter dem Namen „Institutionen" und „Pandekten" römisches, deutsches

und gemeines Recht in unauflöslicher Verwirrung, nur hier knapper, dort breiter, hier nach der Reihenfolge der Institutionen, dort nach der Reihenfolge der Pandektentitel, sonst aber beide ohne jede Quellen­

müßigkeit, vortrugen. Hugo hat deshalb auch gerne die von ihm dafür eingesetzten Vorlesungen als „Anti-Institutionen" oder „AntiPandekten" bezeichnet, in demselben Sinne, in dem die ByzantinerBuch 20—22 der Digesten als Anti-Papinian, d. h. als an Papinians

Stelle getreten, bezeichneten^).

Für das 19. Jahrhundert sind dann

Dreizehntes Kapitel.

14

Hugos Anti-Institutionen und Anti-Pandekten wieder zu Institutionen

und Pandekten kurzweg geworden, so vollständig sind durch sie jene früher üblichen Vorlesungen abgelöst. Für die neuen Vorlesungen bedurfte es neuer Kompendien. Auf deren Herstellung hat deshalb Hugo sich mit besonderem Eifer ver­

legt, ja darauf seine schriftstellerische Tätigkeit immer mehr vereinigt. Er ging dabei einerseits aus von der Überzeugung, daß es für den ersten Wurf nur auf die augenblickliche Brauchbarkeit ankomme, daß

dann aber Vollständigkeit und Genauigkeit von Ausgabe zu Ausgabe zu fördern sei. Er hat demgemäß mit fortwährend heißem Be­

mühen alle Ergebnisse unausgesetzter Einzelforschung, manche tief­ greifende Entdeckung und Erklärung und daneben tausenderlei feine Einzelbeobachtungen allmählich in diese Kompendien hineingearbeitet, die so fortwährend anschwellen, immer unübersichtlicher und ungleich­ mäßiger werden, insofern sich die einfachen Grundlinien elementarer

Lehrbücher fortwährend kreuzen mit der Erörterung feinster Sub­

tilitäten oder mit der Einflechtung gelehrter Forschung. Dazu kommt, daß anderseits Hugo meint, diesen Lehrbüchern absichtlich einen ge­ wissen geheimnisvollen Anstrich geben zu müssen, da sie als selb­ ständige Werke gar nicht erscheinen sollen, sondern nur als Grund­

Deshalb sollen sie beim Lesen ungenügend und unbefriedigend wirken, dem Leser eine Reihe von Rätseln auf­ geben, die in der Vorlesung mündlich gelöst werden sollen: ein eigentümliches Rezept, das Hugo von Spittler übernommen zu haben lagen zu Vorlesungen.

scheint. Leider hat Hugo daran auf Lebenszeit festgehalten und das ist um so bedauerlicher, als das uns verbleibende Ergebnis

dieser Lebenszeit nun wesentlich bloß in solchen Rätselsammlungen besteht, ohne daß etwas für die Erhaltung der Lösungen geschehen wäre, seit Hugos Mund verstummt ist. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit diesen Kompendien auseinanderzusetzen, wie sie nun einmal uns vorliegen, mit Lücken, Verweisungen, An­ spielungen, die der mündliche Vortrag ergänzte und erklärte, während wir uns hindurcharbeiten müssen, so gut wir können. Zuerst erschien 1789 das Lehrbuch des heutigen römischen Rechts (7. und letzte Ausgabe 1826),

Kursus eröffnete.

mit dem damals Hugo den

Es ist wohl das am besten geschriebene dieser

Werke, wohl auch dasjenige, welches selbst späterhin am wenigsten mit Nachträgen überladen wurde, so daß ihm die ursprünglichen Vor-

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

15

züge wenigstens in etwas erhalten blieben: die freie Gestaltung des Stoffes

und die scharfe Begrenzung

beides in der

ersten Auflage

auf

das

heute Brauchbare,

mit seltener Energie durchgeführt,

letzteres namentlich zum Skandal der alten gelehrten Herren, die sich in die Scheidung zwischen geltendem Recht und historischer Be­

trachtung nicht hineinzufinden wußten.

Man kannte Hugos ältere

historische Abhandlungen nicht, man wußte nicht oder wollte nicht wissen, daß ihm dieses Kompendium nur ein Stück eines größeren

Kursus war, und hielt sich deshalb darüber auf, daß alles fehlte,

was man bisher nur mühselig in den Pandekten mitgeschleppt hatte, um es nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen; wie z. B- das Recht der römischen Sklaven und Freigelassenen mit allen Ab­

stufungen und Eigenheiten, unter dem Vorwande, daß es doch viel­ leicht noch auf gefangene Türken sich anwenden lasse. Mag sein, daß es immer noch besser war, so zu verfahren, als dergleichen ganz

unerörtert zu lassen, schon weil, wer nichts davon weiß, von jedem

Verständnis

und jedem Genuß

der klassischen Rechtsquellen, die

damit fortwährend arbeiten, ausgeschlossen ist. Eben aber indem Hugo vorhatte, der geschichtlichen Entwicklung ein besonderes Stück zu widmen, gewann er hier die Möglichkeit, kräftig und rücksichtslos zu streichen, sich von jenen schiefen Begründungen und Beziehungen zu befreien, um anderswo das ältere Recht voll und frei zu ent­

wickeln. Dabei legte er zunächst ein selbständig gebildetes System zugrunde, wie es seinen prinzipiellen Forderungen entsprach und nur von ferne an das der justinianischen Institutionen erinnerte; diesem ist dann allerdings das System späterer Auflagen wesentlich ange­ nähert, nicht eben zum Vorteil des Buches. — Man kann sich nach alledem leicht erklären, wie fremdartig das Werk bei seinem ersten Erscheinen die Fachgenossen berührte: Weiß doch Hugo selbst, als

einzigen Vorläufer, nur Domat anzuführen81), nämlich dessen Werk »Les lois civiles dans leur ordre naturel« von 1694! Diesem in Frankreich so beliebt gewordenen Werke gegenüber springen denn

allerdings Hugos Vorzüge in die Augen.

Namentlich bedeutsam für

den Unterschied französischer und deutscher Auffassung dürfte es z. B. sein, wenn Domat die Unterscheidung von ius in rem32) und

obligatio als überflüssige Subtilität ablehnt, während Hugo gerade daraus einen Grundgewinn zieht und dabei mit am längsten ver­ weilt.

Ist doch die Geringschätzung des Unterschiedes zwischen ding-

Dreizehntes Kapitel.

16

lichem und persönlichem Recht einerseits, die Betonung dieses Unter­

geworden für die großen

schiedes andererseits geradezu entscheidend

nationalen Gesetzgebnngen beider Völker zu Anfang

und zu Ende

des vorigen Jahrhunderts. Es folgt bereits im Jahre 1790 die erste Auflage des Kom­ pendiums für die Rechtsgeschichte, so kurz gehalten, daß sie bis auf die Gegenwart in nur 17 Bogen reicht.

Hier kam es Hugo haupt­

sächlich darauf an, zu periodisieren, und ferner von dem Gange der

inneren Rechtsgeschichte und Rechtsentwicklung,

gemäß Reitemeiers

synchronistischer Methode, eine Vorstellung dadurch zu geben, daß er

am Ende jeder Epoche den damals

matisch zusammenfaßt. schloß

erreichten Rechtszustand syste­

In den dafür angenommenen vier Perioden

er sich Gibbon an,

um namentlich in der dritten Periode

(von Cicero bis Alexander Sever) die Rechtsausbildung als Tat der

Juristen zusammenzuhalten und so überzeugend darzutun, daß zur Zeit Marc Aurels die Glanzhöhe römischer Jurisprudenz liege —

nicht erst, wie die überliefert byzantinische Meinung sich bis dahin immer noch erhalten hatte, zur Zeit Justinians und seiner Kompi­

latoren.

Unnötig zu betonen, wie durch diese bessere Einsicht Hugos

uns erst die ganze römische Rechtsgeschichte ins rechte Licht gerückt

worden ist!

Aus

derselben Einsicht hervor legt aber auch Hugo

besonderen Wert auf die systematische Darstellung des Rechtszustandes zu Ende dieser seiner

dritten Periode.

Um dafür Raum und freie

Bewegung zu gewinnen, ist diese Darstellung planwidrig aus diesem Kompendium ausgeschieden (wenigstens in

der ersten Ausgabe von

1790) und ihr vielmehr ein besonderes, zugleich exegetisches Kolleg

nebst

entsprechendem Kompendium

gewidmet.

Dieses,

unter

dem

Titel „Lehrbuch und Chrestomathie des klassischen Pandektenrechts zu exegetischen Vorlesungen", erschien gleichfalls schon 1790.

wohl das kühnste der kühnen Wagnisse,

Es ist

in die wir Hugo während

dieser Jahre sich stürzen sehen. Man bedenke, was es heißen wollte, zu jener Zeit, fast ohne brauchbare Vorarbeiten für die innere Rechtsgeschichte, vor der Entdeckung des echten Gaius, eine ausführ­

liche, systematische Darstellung desjenigen römischen Rechtszustandes

entwerfen, der zur Zeit der klassischen Juristen bestanden haben soll! Gewiß konnte didaktisch kein besseres Schulmittel gewählt

werden

als die Verbindung von Vorträgen über diesen Stoff mit der Aus­

legung ausgewählter Pandektenstellen; aber zu einer geschlossenen wissen-

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

17

schaftlichen Darstellung fehlten doch noch so gut wie alle Voraus­ setzungen — es handelt sich da um ein Werk, das selbst bis auf

den heutigen Tag die hochentwickelte Romanistik nns schuldig ge­ blieben ist, zu dem immer noch nur Bruchstücke vorliegen. Hier

war Hugo im starken Reformdrange

denn

doch einmal

das

be­

gegnet, was er sonst zu vermeiden weiß: die Unterschätzung der ge­ waltigen Schwierigkeiten, die Behandlung eines Zieles, das ihm

nach seinen eigenen Worten nur als ein ideales vorschweben durfte,

als eines augenblicklich erreichbaren.

Und wenn er auch, um sich

die Sache wenigstens etwas zu erleichtern, bei der Ausarbeitung die Quellenauslegung in den Vordergrund schob, also hauptsächlich die alten Juristen reden ließ, so daß seine Ausführungen oft nur als Summarien zu den Abschnitten der Chrestomathie erscheinen: so konnte dies doch nicht über die Mangelhaftigkeit der Grundlage hinweghelfen, es konnte vielmehr umgekehrt nur verdeutlichen, wie wenig dem großartigen Plan die Ausführung entsprach. Das hat denn auch Hugo unmittelbar darauf selbst empfunden

und zugegeben. Bereits 1791 bemerkt er33), es sei an diesem Buche, das abgerechnet, was in seiner Rechtsgeschichte auch stehe, und ab­ gesehen von einigen Textkonjekturen, „vielleicht nichts erträglich als der Gedanke eines solchen Werkes selbst". Demgemäß hat er auf die Fortsetzung des Buches von 1790 verzichtet und sich vielmehr entschlossen, statt dessen bei der zweiten Auflage seiner Rechtsgeschichte, 1799, nur an das Ende der dritten Periode die knrzübersichtliche Darstellung des Rechtszustandes zur Zeit der klassischen Jnristen

zu setzen, die plangemäß dorthin gehört. Diese unendlich bescheidenere Aufgabe ließ sich mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen,

und in Muße doch schon weit eher lösen, und so kann man denn diese zweite Ausgabe der Rechtsgeschichte, durch- und umgearbeitet wie sie ist, als eine schöne, abgerundete Leistung getrost anerkennen, deren Wert erst dann völlig einlenchtet, wenn man bedenken will, daß doch auch sie noch immer in das 18. Jahrhundert, wennschon

in das letzte Jahr desselben, zurückreicht.

Sie macht geradezu Epoche in der Behandlung der Geschichte des römischen Rechts und nament­ lich in deren Verinnerlichung, durch die Gesamtauffassung wie durch zahlreiche Einzelheiten.

Ist sie doch diejenige Leistung Hugos, durch

die er bei Savigny sich zuerst volle Anerkennung und anregenden Einfluß erworben hat (vgl. Savignys Rezension darüber von 1806)34). Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text. 2

Dreizehntes Kapitel.

18

Sie ist gleichzeitig von der zweiten Hälfte der ersten Auflage, der

bloß literärgeschichtlichen Entwicklung seit Justinian, befreit, nichts­ destoweniger aber durch alle möglichen Zutaten bereits auf 412 Seiten angeschwollen; fortwährende weitere Zusätze, Nachträge und Berich­ tigungen aller Art haben die elfte und letzte Ausgabe (von 1832)

bis zu 1898 Seiten gleichen Druckes und Formates gesteigert! Der­ artige Zahlen der Ausgaben und der Seiten muß man sich Vor­ halten, wenn man ermessen will, was Hugo von Arbeitskraft und

von Arbeitsergebnissen in diese seine Kompendien hineingehäuft hat. Aus dem Jahre 1792 stammt das erste Lehrbuch einer juristi­

schen Enzyklopädie, bestimmt in den zivilistischen Kursus einzuführen und für das Studium die allgemeine Grundlage zu legen. Das Werk, das deshalb alle Zweige der Rechtswissenschaft umfassen muß, ist mehrfach umgearbeitet worden; es zeigt fast in jeder der acht Ausgaben (letzte 1835) ein verschiedenes Gesicht, namentlich auch je nach der Lage der staatlichen Verhältnisse, übrigens gehört es zu den weniger eingreifenden Leistungen von Hugo; für die nichtromanistischen Rechtszweige sind bloß die älteren herrschenden Lehr­

bücher von Böhmer, Pütter, Meister, Martens, Runde, zugrunde­ gelegt. Um so bedeutender ist das „Naturrecht als Philosophie des positiven Rechts" von 179835), das sich in der Reihe der Kom­ pendien zunächst anschließt. In diesen letzten Jahren des 18. Jahr­ hunderts steht Hugo überhaupt wohl auf der Höhe seiner Leistungs­ kraft und Geistesentfaltung. In das rüstigste Mannesalter eben

eingetreten, fühlt er, wie er mit seinen Anschauungen durchzudringen im Begriffe steht, wohl ein noch köstlicherer Moment als der des endgültigen Siegs, bei welch letzterem so leicht das Triumphgefühl in die Enttäuschung über das, was denn nun erreicht ist, umschlägt. In Göttingen wenigstens ist bereits damals seine Stellung voll­ ständig anerkannt, von der Last des Spruchkollegiums hat man ihn

deshalb rücksichtsvoll befreit, eine gewisse Ermüdung, die um die Mitte der 90er Jahre eingetreten war, weicht nunmehr frischer

Arbeitsfreudigkeit.

Eine

neue

Ausgabe von Paulus,

Receptae

sententiae, analog derjenigen des Ulpian, mit der er seine Göt­ tinger Tätigkeit begonnen hatte, war 1795 besorgt und ihr ein um­

fassender Index ähnlicher Quellenausgaben3«) beigefügt worden; im Jahre 1796 hatte er den zweiten Band des „Zivilistischen Magazins"

I. Gustav Hugo.

fertiggestellt,

worin

jetzt

schon

Geiste geschriebene Artikel auftreten.

neben

eines

Im Jahre 1799

2) Hauptwerke.

die

folgte

Auflage der Rechtsgeschichte.

seinen

Haubold

19

im

eigenen

bereits

gleichen

C. S. Zachariae

und

besprochene zweite

Mitten in dieser Tätigkeit, während

dieser Erfolge entstand jenes eigentümlichste seiner Werke, das Natur­

recht,

von

dem

er

sagt,

selbst

daß

es

als eine grundstürzende

Neuerung auftrete.

Es handelt sich darin zum Teil um Anschauungen, die schon

früher gelegentlich

bei Hugo hervortreten, mit denen wir uns zu

beschäftigen aber hier erst Gelegenheit finden. — So datiert nament­ lich Hugos Kriegserklärung gegen das landläufige Naturrecht über­

haupt schon

von

178937).

Allgemeine

natürliche Privatrecht seien wertlos

Spekulationen

über

das

für die Gesetzgebung, da diese

kein Fach sei, worin ein Gelehrter für sich Experimente machen könne. Vielmehr müsse man sich da an die Vergleichung schon vorhandener

und erprobter Gesetze halten.

Dagegen

auf das ganz allgemeine

Naturrecht lasse sich bei der Betrachtung der Rechtssätze oder Gesetze

eines

bestimmten Volkes

durchaus keine Rücksicht nehmen:

leicht, könne man aus den

metaphysischen Lehren

von

den

ebenso allge­

meinen Eigenschaften der Körper ein ärztliches Rezept herleiten, wie einen Satz

des positiven Rechts aus den abstrakten Spekulationen

über die letzten Gründe allen Rechts. — Dem entspricht es, wenn

Hugo weiterhin einer ganzen Reihe von Lieblingssätzen des ratio­ nalistischen Naturrechts und der Aufklärung widerspricht.

So bricht

er im Anschlüsse an I. G. Schlossers „Briefe über die Gesetzgebung"33)

eine Lanze für die richterliche Bewegungsfreiheit, gegen die damals herrschende

Neigung

zu

kasuistischer

Gesetzgebung.

So

kennt er

ferner gegenüber dem aufklärerischen Wahn von der Allmacht des

Gesetzgebers sehr wohl die diesem gezogene Grenze, die sich ihm ein­

fach daraus ergibt, „daß . . . Rechtsgelehrte, die ihre Meinung dem Regenten zur Unterschrift vorlegen dürfen, im Durchschnitt genommen

so klug und nicht klüger sind

als ihre Lehrer und Zeitgenossen"33).

Aber nicht bloß aus solchen Gründen ergibt sich ihm dergleichen. Versteht er doch auch sehr wohl und kommt ost, ja mit Vorliebe

darauf zurück^3), daß überhaupt weit mehr „Recht" und zwar selbst „positives Recht" ist, als

„die Gesetze"

ausdrücklich sagen und an­

ordnen — so daß es ein Unding ist, das Recht in Gesetze einschließen

und durch Gesetze erschöpfen zn wollen.

Gilt doch daneben soviel 2*

20

Dreizehntes Kapitel.

nicht bloß Gewohnheitsrechtliches, sondern überhaupt „was sich ohne Gesetzgebung so ganz von selbst macht". Nach einer allerdings nur gelegentlichen Äußerung") Hugos wäre es sogar das ganze Privat­

recht, das sich so im wesentlichen selbst macht.

Namentlich aber im

römischen Privatrecht gibt es ganze Lehren, die bis auf Justinian fast ohne

alle Gesetzgebung

sich

entwickelt haben,

und

gerade

in

diesen herrscht ein ganz anders lauterer, ein wissenschaftlicher Geist,

während man bei Legislationen nur zu oft auf Einseitigkeiten, Wider­ sprüche oder noch Schlimmeres stößt. — In diesen Anschauungen

berührt sich Hugo nahe mit I. G. Schlosser; Hugo ist wohl durch die.Wahrnahme dieser Übereinstimmung, die auch zu literarischem Verkehr führte"), zu einer Zeit, da er sonst noch ganz einsam seines

Weges zog,

gestärkt und ermutigt worden.

Davon aber, daß er

die Wcgerichtung durch Schlosser erhalten hätte, kann keine Rede

sein,

weder nach den greifbar vorliegenden Daten, noch namentlich

nach Hugos eigenem unbedingt glaubwürdigen Berichte, der das wahre

Verhältnis in anschaulichster Weise klar legt").

Wenn so Hugo

einerseits dem üblichen alten Naturrecht ferne

steht, so hat aber auch anderseits dasjenige ihm nie einleuchten wollen,

was dafür die ersten Kantianer einsetzten").

Mit Recht erkannte er

sofort, wie das kein juristischer Fortschritt war, sondern nur eine Auf­ frischung derselben blaß verschwommenen Allgemeinheiten wie bisher,

indem man sich mit einer Veränderung des obersten Stichwortes be­ gnügte und sonst das alte, aprioristisch hohle Verfahren beibehielt.

War doch eben für dieses Verfahren nichts bezeichnender, als daß unter dem neuen obersten Leitsätze ruhig alle alten Folgesätze wieder erscheinen konnten.

Den Fehler erkennt deshalb Hugo in der Methode,

die diesen Kantianern mit den Wolfianern gemeinsam ist: Vorstellung, als könne man aus einem obersten Satze

in der

das ganze

Naturrecht, aus diesem dann das ganze positive Recht einfach folgern.

Dagegen stellt bereits der letzte Satz von Hugos Preisschrift (1785) fest, zur Beurteilung dessen, was in Zukunft geschehen soll,

biete den Schlüssel allein Kenntnis dessen, was bestanden habe, dessen, was täglich geschehe, und der dabei erzielten Erfolge").

Vom posi­

tiven Rechte ist also auszugehen, was da zu verschiedenen Zeiten bei

den verschiedenen Kulturvölkern gegolten hat, das muß man wenigstens in etwa überblicken, dann mag man es vergleichen, gruppieren, wür­ digen; erst so gelangt man zu einer „Philosophie des positiven Rechts",

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

21

die auf Tatsachen aufgebaut ist, die den Gedankenkreis erweitert, statt ihn, wie das alte Naturrecht, einzuengen, die von Vorurteilen befreit, statt in den hergebrachten Vorurteilen zu bestärken.

Zu solchen Vor­ urteilen gehört namentlich das, als wären nur diejenigen Rechtssätze möglich, die man irgendeinem einzelnen nächstliegenden positiven Recht

unbewußt entnommen hat, um sie sodann scheinbar aprioristisch aus irgendeinem obersten Prinzip des Naturrechts als Naturrechtssätze zu

erschließen; und damit weiterhin das Vorurteil, als gäbe es einerseits irgendwelche physische Möglichkeiten, die nicht auch unter Umständen rechtliche Wirklichkeit und selbst moralisch hinnehmbar gewesen seien oder werden könnten, wennschon sie uns noch so fremdartig und un­

geheuerlich erscheinen mögen; oder anderseits, als wäre schon durch die heute bei uns geltenden Rechtssätze das Ideal der Gerechtigkeit und der menschlichen Glückseligkeit wenigstens annähernd erreicht. So steckt Hugo sich das Ziel, durch seine naturrechtlichen Betrachtungen darzulegen, wie selbst uns empörend, ja unmenschlich dünkende Rechts­

sätze der Vorzeit damals berechtigt gewesen sein mögen, und wie die uns selbstverständlich und unentbehrlich erscheinenden Einrichtungen

unseres Staats- und Nechtslebens noch überaus ungenügend erscheinen können, wenn man sie mit absolut idealem Maße mißt. Gar weit sind wir noch von dem entfernt, was Kant „peremptorisches Recht" heißt; wie die Völker der älteren Rechtsgeschichte werden auch wir uns mit dem „Provisorischen" Recht begnügen müssen. Es ist durch­ aus kein einziges Rechtsverhältnis möglich, das sich nicht schikanieren

ließe, d. h. von dem man nicht zeigen könnte, es sei der Freiheit eines Menschen entgegen46) oder beruhe auf dem Zufall oder sei bei höherer Moralität oder bei besserer Staatsverfassung entbehrlich.

Darum bedürfen wir, um zu begründen, warum wir an unserem Rechte festhalten, fortwährender Bezugnahme auf unseren provisorischen

Zustand, während unsere Gesetze als peremptorische sich gar nicht rechtfertigen lassen würden; auf solche Weise, als bloß provisorischer Rechtszustand, läßt sich aber auch regelmäßig Alles rechtfertigen, was jemals oder irgendwo positiv gegolten hat. Das sind die Vordersätze, durch die Hugo zu den Ausführungen fast paradoxen Charakters gelangt, denen wir in seinem Naturrecht begegnen.

Zunächst beginnt es deshalb mit einer Art von Anthropo­

logie, um nämlich festzustellen, was menschenmöglich ist, denn dies stellt für ihn die einzig zuverlässige Abgrenzung des juristisch Mög-

22 lichen dar.

Dreizehntes Kapitel.

Bereits

in diesem Zusammenhang

kommt er auf die

staatsbegründende Begabung des Menschen und stellt fest, daß sie die unentbehrliche Grundlage aller Rechtsbildung ist, indem „ohne Staat gar kein juristisches Recht sein würde"47). Was aber in einem Staate je als positives Recht gegolten hat, das muß sich umgekehrt auch So werden selbst Einrichtungen wie die Sklaverei, die Polygamie, die Folter als durchaus nicht naturrechtlich rechtfertigen lassen.

moralisch absolut unmöglich hingestellt. Deshalb heißt es auch von dem Vertrage, seine verbindliche Kraft lasse sich naturrechtlich ebensowohl leugnen wie behaupten.

Es sei Torheit, auf ihn das Recht auf­

bauen zu wollen, während er seine Kraft erst aus dem Rechte empfange, das zu ihm nur als Notbehelf mangels besserer Sicherungsmittel der

Zukunftsgestaltung greife48). Deshalb heißt es vom Eigentum, es sei insofern ein Übel, als gewiß bei idealen Verhältnissen die Sachen weit besser ökonomisch zum Nutzen derer, die ihrer gerade bedürfen,

würden verwertet werden, statt daß sie jetzt oft ungenutzt beim Eigen­ tümer liegen, während ein anderer ihrer noch so dringend bedarf. Daß bei einem der (idealen) Vernunft so wenig gemäßen Rechte auch die Rechtserwerbsarten nicht vernunftgemäß sein können, ist selbst­

verständlich, namentlich alle Erbfolge ist willkürlich.

Erst recht sind Einzelsätze des Privatrechts willkürlich, wie der, daß Miete vor Kauf oder Kauf vor Miete gehen soll; oder der, daß es zur Übereignung

einer Sache ihrer Tradition bedürfen oder nicht bedürfen soll, daß die Verträge unter Formalitäten oder ohne solche abgeschlossen werden. Ja selbst Ehen und Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern ließen

sich privat- und öffentlichrechtlich ganz anders gestaltet denken, auch wohl noch weit idealer, als es uns selbstverständlich erscheint. Über­

haupt wäre ein Zustand denkbar, in dem, um des allgemeinen Inter­ esses willen, alles Privatrecht abgeschafft wäre, die Regelung sämt­ licher juristischer Verhältnisse zwischen Personen und zu Sachen lediglich

im öffentlichen Interesse nach Sätzen des öffentlichen Rechts durch die Staatsgewalten besorgt würde. Und der Staat selbst — ist es nicht ein Vorurteil, daß wir ihn uns stets bloß als ein Stück der Erdoberfläche umfassend vorstellen? Gibt es nicht, abgesehen

von allen anderen Mängeln und Vernunftwidrigkeiten unseres öffent­

lichen Rechts, zahllose Mängel, die schon einfach daraus herrühren, daß mehrere Staaten nebeneinander bestehen, die einander begrenzen und bekämpfen? Wäre da nicht das Ideal, sich die ganze Erde zu

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

23

einem Einheitsstaat zusammengeschlossen zu denken, wo denn natur­ rechtlich von einem ins belli ac pacis überhaupt nicht mehr die

Rede sein könnte?

So reiht sich an die „philosophische Prüfung des Privatrechts oder der Lehre von Mein und Dein" die philosophische Prüfung von Staats- und Völkerrecht. Der Weltbürger des 18. Jahrhunderts ver­

trägt sich

trefflich mit dem Sozialisten,

der die Entwicklung des

19. Jahrhunderts vorwegnimmt. Auf solchen sozialistischen Anschau­ ungen aber besteht Hugo sogar mit Vorliebe. Die Folgen eines ganz unvernünftigen Zufalles, der Armut des einen gegenüber dem ererbten Reichtum des anderen, ziehen sich durchs ganze Leben hindurch. Das Kind des Armen wird dem reichen Wüstling geopfert, muß ekelhafte Berufe ergreifen, findet bei Krankheit schlechte Pflege, muß ungebildet

bleiben („das strengste Bücherverbot ist die Armut"), ja selbst die Tugenden, die für den Reichen so bequem sind, sie sind dem Armen unzugänglich, z. B. „alles Selbstgefühl, Schamhaftigkeit, Gefühl für das Schöne und Erhabene in der Natur und der Kunst ist dem

Armen vollends unmöglich". „Auch von der Regierung hat der Arme fast nur Nachteil. Die beste Verfassung bietet ihm nichts." Kein Gottesdienst schützt ihn vor Aberglaube. Die Ziviljustiz nützt ihm nichts, da er nichts hat, die Strafjustiz pflegt ihn mit doppelter Schwere zu treffen, seine Familienverhältnisse drücken ihn doppelt,

der härteste Wucher trifft seine kleinen Anleihen uff., als läse man ein wildagitatorisches Pamphlet der Gegenwart. Dann folgt freilich, wie in diesem Werke Hugos stets, der Kritik die Antikritik. Die

üblen Seiten bei der Lage des Reichen werden gleichfalls hervor­ gekehrt ; aber mit geringerer Schärfe und Ausführlichkeit. Man bleibt

schließlich doch unter dem Eindruck, daß dieses neue „natürliche Privatrecht" lehrt, alles Privateigentum ist von Übel; ja fast schon: alles Privateigentum ist Diebstahl. Wenn wir aber solche Zustände wie die geschilderten ruhig er­ tragen, so rührt das nun wieder her von der Macht der Gewohnheit. „Unter gegebenen Zuständen ist... . fast die Hauptsache, daß man

etwas einmal gewohnt sei.

Alle Menschen haben auf der einen Seite

eine Anhänglichkeit an ihre gewohnte Verfassung und an ihr ge­ wohntes Privatrecht, wo sich denn gar oft findet, der Erfolg ist bei

dem einen fast ganz so wie bei dem anderen."

„Was diese Unvoll­

kommenheit allein rechtfertigt, ist, daß der gegenwärtige Zustand, die

24

Dreizehntes Kapitel.

Gewohnheit, für sie entscheidet". Dieser Rechtfertigungsgrund paßt aber wieder überall, er rechtfertigt alles, was als positives Recht

gilt49); nur ein Wort noch fehlt bei Hugo, um Hegel vorwegzu­ nehmen, wenigstens für das Gebiet des Rechts: alles, was positives Recht ist, ist vernünftig. So schwankt Ijiefeg Naturrecht Hugos, wie er selbst treffend be­

merkt, hin und her zwischen platonischem Idealismus und Voltaire-

schem Pessimismus99); in seinem Skeptizismus mag es, was bisher noch nicht bemerkt worden sein dürfte, sich unmittelbar an Montaigne an­ lehnen, der ganz ähnliche Ausführungen gibt99') und dem mit der französischen Literatur so vertrauten Hugo sicherlich bekannt gewesen

ist. Jedenfalls aber zeigt es mehr Neigung dazu, sich auf solchen Gedankenabwegen zu ergehen, als die zu Anfang entworfene Marsch­

route eigentlicher Rechtsvergleichung innezuhalten.

Dazu mangelt

ihm ja vor allem noch fast vollständig der Stoff. Außerdem aber offenbar auch der ernsthafte Vorsatz. So mußte das in den ver­ schiedensten Farben schillernde Werk den Zeitgenossen einen höchst befremdenden Eindruck machen94). Neben einzelnen Lobeserhebungen herrscht das Gefühl verwirrten Befremdens vor. Man weiß nicht,

wie man das Buch verstehen, erst recht nicht, wie man sich zu ihm stellen soll. Selbst das grobe Mißverständnis kommt vor, als sei es Hugo ernst um das Lob aller Dinge, die er für allenfalls ver­ fechtbar erklärt, und um die Verwerfung aller Dinge, die er für den idealsten Ansprüchen noch nicht voll entsprechend erklärt. Spuren eines tiefer eindringenden Verständnisses dürften, wenigstens bei den

Juristen, kaum anzutreffen sein. Hugo hat auch fernerhin nichts ge­ tan, um seine Lehre in helleres Licht zu setzen, weder durch sonstige Schriften über denselben Gegenstand, noch in den späteren Auflagen dieses Buches, obschon er deren noch drei gegeben hat. Eine gewisse Unklarheit über Charakter und Bedeutung des Werkes dürfte daher

noch bis heute obwalten. Soweit sie nicht schon durch das bisher darüber Bemerkte beseitigt ist, wird sie ihre Aufklärung erst weiter

unten im Zusammenhänge mit der Besprechung der philosophischen Rechtsanschauung, die sich Hugo in selbständigem Anschlüsse an Kant gebildet hat, finden können.

Seit dem Beginne des neuen Jahrhunderts ist es Hugos Haupt­ sorge, Kompendien und Vorlesungen in immer neuen Auflagen immer

sorgfältiger auszuarbeiten, die große Anzahl neuer Ergebnisse, die

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

25

der lebhafte Aufschwung der romanistischen Schule zutage fördert, dafür zu verwerten, und eigene Einzelgewinne einzuarbeiten. Selbst die scheinbar neuen Werke, die nun folgen, sind nichts als Aus­

arbeitungen oder Abzweigungen älterer Handbücher, so die Chresto­ mathie von 1802 zum Vorlesungsgebrauche, rückgreifend auf die Sammlung, die dem verunglückten Lehrbuch des klassischen Pandekten­

rechts von 1790 beigegeben war. Sie bildet jetzt für sich den 7., später den 5. Band von Hugos „Lehrbuch eines zivilistischen Kursus", und pflegte ihren Herausgeber regelmäßig zu allen seinen romanisti­ schen Vorlesungen auf das Katheder zu begleiten. — So ferner die zivilistische Literärgeschichte von 1812, sie ist die ursprünglich zweite Hälfte der Geschichte des römischen Rechts bis auf unsere Zeit, jetzt der 6. Band jenes Lehrbuches in der Stärke von 427 Seiten. Die

dritte und

letzte Ausgabe von

1830 ist auf 672 Seiten

schwollen M). Mit diesem Werke hat Hugo

sich

ein

ange­

dauerndes Monument

seiner gewaltigen Gelehrsamkeit und Belesenheit nicht nur, sondern auch seiner überlegenen Einsicht errichtet. Es behandelt die gelehrte

Geschichte des Privatrechts und daneben, wennschon in mehr unter­ geordneter und sprunghafter Weise, der meisten übrigen Rechtszweige. Es dehnt sich aus über alle für unsere Rechtsentwicklung, wenn­ schon nur nebensächlich, in Betracht kommenden Völker, z. B. Schotten und Spanier, von der fortlaufenden Berücksichtigung Italiens, Frank­ reichs und der Niederlande als selbstverständlich gar nicht zu reden. Hin für für von

und wieder mag dabei etwas zu sehr nach Universitäten (z. B. das 18. Jahrhundert Halle-Göttingen) vorgegangen werden; aber die Hauptabteilungen wird eine Periodisierung geschaffen, die tiefem und weitblickendem Verständnis für die großen Züge und

Gegensätze der Entwicklung eingegeben ist, so daß mittels dieser Ab­ schnitte jedes Zeitalter in seiner Bedeutung klar hervortritt. Diese Periodisierung ist deshalb bis heute ebenso die durchweg herrschende geblieben, wie für die einzelnen Juristen, besonders für die bedeutenderen

Persönlichkeiten darunter, die Vorstellung, die uns Hugo von ihnen, oft mittels weniger, aber scharf kennzeichnender Worte aufgenötigt hat. — Schon dadurch, durch diese fortwährende Rücksicht auf die innere Entwicklung der Rechtswissenschaft, ist Hugo seinen Vorgängern,

einem Nettelbladt oder Hammel, wesentlich

diesem Felde,

überlegen,

ähnlich

auf

wie Heineccius gegenüber bei der Behandlung der

Dreizehntes Kapitel.

26 römischen Rechtsgeschichte.

Vorzüglich aber zeigt er seine Überlegen­

heit durch den breiteren Rahmen, in den er die Geschichte der Rechts­

Wenigstens ^Philosophie und Altertumswissen­

wissenschaft einfügt. schaft

sind die Schwesterwissenschaften, die, als

fortwährend

mit

herangezogen, Hugo selbst ausdrücklich anführt53). Sehen wir aber, daß er keineswegs bloß eingeht auf die Zusammenhänge mit Petrus Ramus, Bacon, Descartes, Wolf, Rousseau und Kant einerseits, sowie mit Petrarca, Bessarion, Valla, Erasmus, Skaliger, Saumaise, Gesner und Gibbon anderseits, sondern auch schließlich auf Männer

wie Guttenberg, Luther, Melanchthon, Machiavelli, Franz I., Pascal, Seckendorf und Münchhausen, ferner auf große weltgeschichtliche

Strömungen wie die Renaissance, die Reformation und die franzö­ sische Revolution; sehen wir, wie er alles dies nicht bloß äußerlich berührt, sondern in einen inneren Zusammenhang der Entwicklung

mit seinem Thema bringt: so können wir uns der-Einsicht nicht ver­ schließen, daß ihm weit mehr bereits innerlich klar war, als was er

in der noch unentwickelten Ausdrucksweise seiner Zeit zu sagen ver­ mochte. Wir bemerken, daß es nicht bloß um jene zwei Schwester­ wissenschaften sich ihm handelt, sondern darum, die Geschichte der

Rechtswissenschaft als

einen Zweig der Kulturgeschichte überhaupt

aufzufassen. In vielen Punkten ist ihm sogar schon die Lösung dieser hohen Aufgabe gelungen, so häufig auch neben solchen feinen Werk­ stücken unbehauene Materialtrümmer lagern. Überhaupt ist wohl bei

keinem der Werke von Hugo tiefer als bei diesem sein unglücklicher Kompendienstil zu beklagen, das Abgerissene, Ungleichmäßige des Ausdruckes nicht bloß, sondern auch der Sachbehandlung, die Neigung zu rätselhaften Andeutungen, der Widerwille, sein Licht auf den

Leuchter zu stecken, teilweise wohl auch hervorgehend aus der stolzen Zuversicht, der Leser werde sich bequemen, danach hinter dem Scheffel Bekanntlich aber lehnt der Leser meist es ab, sich diese Mühe zu geben; so hat Hugo sich selbst um den vollen Erfolg seiner schriftstellerischen Tätigkeit gebracht und später dann wieder schwer zu suchen.

an der kränkenden Enttäuschung jener Zuversicht gelitten. Inzwischen erschienen weitere Hefte des „Zivilistischen Magazins" und weitere Anzeigen in dem „Göttinger Journal". Von Hugos Magazinartikeln aus den zwei ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sei hervorgehoben die Studie über Cujas als Sonderbeitrag zur Ge­ lehrtengeschichte ®5).

Mehr aber noch die „Vollständige Darstellung

I. Gustav Hugo.

2) Hauptwerke.

27

der Lehre vom titulus und modus adquirendi", eine ausgedehntere

Wiederholung derjenigen Widerlegung eines alt eingewurzelten, aus mittelalterlichen Verunstaltungen hervorgegangenen Irrtums, die Hugo im wesentlichen vor 20 Jahren schon gegeben hatte.

Häufig recht

schwerfällig, bisweilen fast absonderlich sind Betrachtungen über System und Einteilung der Pandekten^), über den technischen Ge­

brauch einzelner Wörter bei den alten und neuen Juristen, ja, über

die Reihenfolge der Wörter in den technisch üblichen Wörterverbin­ dungen und über eine bequemere Weise, Stellen aus dem Corp. iur. civ. anzuführen ^). Neben diese Artikel von Hugo aber treten jetzt die von Savigny, Cramer, Göschen, Biener, Schrader und Puchta. Dem entsprechend ist dies der Augenblick, von dem ab der

Ton der „Anzeigen" wenigstens für eine Weile umschlägt, indem

statt des wilden Kampfesrufes, mit dem Hugo allein gegen die ge­ schlossene Feindesschar anstürmt, die freudig lobspendenden Betrach­ tungen eines Mannes treten, der überall reichlich die von ihm aus­ gestreute Saat aufblühen sieht. Freilich, nicht immer entspricht die Frucht genau den Wünschen des Säemanns. Und wo Hugo dies bemerkt, da kommt auch wieder der alte kritische Ton zur Geltung, um allmählich zu der unfruchtbaren, so unwürdigen wie unleidlichen Klage des überholten Alters gegen die weiter eilende Jugend hinüberzuklingen. Der Schriftsteller versetzt sich damit ins Unrecht

bisweilen selbst da, wo der Jurist und Gelehrte sachlich nicht ganz unrecht haben mag. Es dürfte einen gewissen Reiz gewähren, die Tonleiter von jenen

Lobpreisungen bis zu dieser Altersgrämlichkeit etwas näher zu ver­ folgen. Mit welcher Freude, mit welchem Stolze wird das aufgehende

Gestirn, wird Savigny begrüßt und während des Aufstieges seiner Bahn verfolgt! Mit wie lebhaftem Lobe werden die beiden ersten Doktordissertationen der Berliner Fakultät, von Göschen und von Dirksen, besprochen! Und daran schließt sich die Reihe der Artikel, die durch den

Fund des echten Gaius veranlaßt sind, von der ersten vorläufigen Mitteilung (1816, Stück 202), weitergeführt durch Berichte über jeden Fortschritt, bis zu der Besprechung des endlich erschienenen Druckes (1821, Stück 202).

Wahrlich mit Recht durfte Hugo später sich als

den Glöckner bezeichnen, der, wenn kein anderes, so doch mindestens das Verdienst habe, zu diesem glücklichen Ereignisse am lautesten

Dreizehntes Kapitel.

28

geläutet und damit die allgemeine Aufmerksamkeit dafür gefördert zu

haben. Eher wäre diese Wendung, die man ihm wohl gar noch als Anmaßung vorgeworfen hat, zu bescheiden zu heißen, wenn man auf

den inneren Zusammenhang mit Hugos Bemühungen

um Ulpian

und um die römische Rechtsgeschichte überhaupt sehen will. So ver­ folgt er denn auch auf ähnliche Weise die sich weiter anreihenden Entdeckungen, vermittelt sogar teilweise die zu ihrer Verwertung nötigen materiellen Mittel und verkündigt ihren Ruhm dem Aus­

landes.

Ja, selbst schon das überblickt er und weiß es hervor­

zuheben, daß diese ganze Bewegung nun endlich Deutschland, nach­ dem wir zuerst von Italien, sodann von Frankreich und Holland vielfach uns haben beeinflussen oder übertreffen lassen, international

an die Spitze der Rechtswissenschaft hebt, die deutschen Rechtsgelehrten zu anerkannten Mustern und Meistern für das Ausland macht. Mit besonderer Anerkennung aber kommt er immer wieder auf Blumes schöne Beobachtung, betreffend die Ordnung der Pandekten-Fragmente, zurück, die er als „an Wert gleich auf die neu aufgefundenen Quellen folgend" rühmt59). Wer möchte es Hugo verdenken, wenn bei alledem eine gewisse Vaterfreude mit unterläuft? Wer, wenn er sich gekränkt fühlte, da ihm die Zeitgenossen alle Ansprüche darauf abzusprechen schienen? Um so weniger, als er Savigny stets und unbedingt in seiner vollen Überlegenheit anerkennt, ihm persönlich gegenüber auch stets ein gutes,

ja freundschaftliches Verhältnis aufrechterhalten hat°°). Aber bald verdroß Hugo der Ton der Schüler — und dann erst recht der Ton der Schule.

Schon 1816, indem er der „Zeitschrift für ge­

schichtliche Rechtswissenschaft" und ihrem Programm gegen alle Feinde und Neider wacker zur Seite trat, hatte er doch angedeutet, er habe

mit der geschichtlichen Schule, „wie sie nun leider heißt", gar nichts zu tun. Und nur zu rasch haben sich denn auch innerhalb dieser Schule die Übelstände unbescheidenen Auftretens, vornehmer Aus­ schließlichkeit, die Hugo nur zu richtig vorhergesehen hatte, eingestellt.

Diese spätere Generation wußte nichts mehr von Hugo und von seinen Verdiensten, sie verehrte nur ihre Schulhäupter und sah da­

neben in jenem nur den alten, einsamen Sonderling, der ihre Schlag­ wörter nun einmal nicht mitsprechen mochte, der ihren Übertreibungen gegenüber sein persönliches Urteil unbedingt wahrte.

Unter solchen

Umständen begann auch Hugos Hörsaal immer mehr sich zu leeren,

I. Gustav Hugo.

29

2) Hauptwerke.

ein Umstand, der ihn gegenüber der philosophischen Ruhe eines Pütter

bei ähnlicher Sachlage besonders gekränkt zu haben scheint.

Wohl

mochten ihm zum 50jährigen Doktorjubiläum nach Savignys Vor­ gang Festschriften und Gratulationsschreiben

volltönendsten Klanges

von allen Seiten zugehen — nur zu deutlich fühlte er selbst aus ihnen heraus, wie sie ihn in der Vergangenheit lobten, um für die

Gegenwart sich über ihn hinwegzusetzen. wohl wieder

verleiten,

mit

Dadurch ließ er sich denn

kleinlichem Tadel Anderer verhülltes

Selbstlob peinlich zu vermischen, ja selbst sachliche Anschauungen vor­ zubringen, mit denen er sich selbst gegenüber rückläufig erscheint. Es handelt sich um die Frage, ob man für die Lehre des gel­ tenden römischen Rechts sich an die Reihenfolge der Pandekten halten oder ein besseres, selbständiges System suchen solle.

Mit welcher

Energie war in Programm und Ausführung der jugendliche Hugo

für letztere Behandlungsart eingetreten!

Kein Vorwurf war ihm zu

hart gewesen gegen die tribonianische Unordnung und gegen die zu­

rückgebliebenen Pandektisten, die sich ihr fügten.

Aber freilich, eine

so freie Systematik, wie z. B. die von Thibaut, hatte ihn nie ange­ sprochen ei).

Dazu kommt dann

die

neue Beobachtung,

daß

jene

tribonianische Unordnung oder Ordnung immerhin auf die bei den

klassischen Juristen übliche zurückgeht, und weiter die Erfahrung, daß für das Schülerverständnis eines älteren Rechts es doch wohl förder­

lich sein mag, sich auch in System und Form an das zur Zeit seiner Geltung Übliche zu halten. Aber all dies würde doch wohl nicht genügt haben, Hugo, den sonst so unwandelbar Starren, zur Umkehr seines früheren Prinzips zu bestimmen, hätte nicht Abneigung gegen die Neuesten ihn auf die entgegengesetzte Seite gezogen.

So entschließt

er sich nun dazu, die alte, abgekommene legale Ordnung wieder zu

empfehlen; sie sei mindestens neben den neueren Systemen für den

akademischen Vortrag zu berücksichtigen, schon damit den Juristen die Reihenfolge der Pandekten nicht ganz fremd werde; ein entsprechendes

Kolleg wird deshalb dem zivilistischen Kursus als letztes abschließendes Stück beigefügt 62).

Was Hugo darin seinen Zuhörern vortrug, kann nicht ganz unbedeutend gewesen sein.

Das erhellt schon daraus, daß er babei63)

mit Vorliebe an den alten Westenberg angeknüpft zu haben scheint, womit denn zugleich angedeutet ist, daß er hier mehr justinianisches als heutiges gemeines Recht berücksichtigt.

Allein, was Hugo auch

30

Dreizehntes Kapitel.

immer gesagt haben mag, — aus dem Kompendium für diese Vor­ lesung, das 1822 unter der Bezeichnung als „Lehrbuch der Digesten"

erschien, erfahren wir fast nichts davon. Enthält dasselbe doch nur insgesamt 24 Seiten Text, die sich lediglich über Reihenfolge der Titel und Fragmente aussprechen, und sonst nur Tabellen, die jene Ordnung veranschaulichen oder durchführen sollen. Das Prinzip der „Rätselhaftigkeit des Kompendiums" ist hier bis zum Ausschlüsse

jeder Verständlichkeit,

ja eigentlich jeder sachlichen Mitteilung ge­

steigert. Mit diesem Lehrbuche, mit den letzten Auflagen der übrigen Kompendien und mit dem 6. Bande des „Zivilistischen Magazins", dessen vier Hefte nur langsam 1827 bis 1837 erschienen, stehen wir vor dem Abschlüsse von Hugos produktiver Tätigkeit. Die kritische

in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen" hat ja noch etwas länger, bis zum Jahre 1844, sortgewährt, aber ohne gerade Erfreuliches zu bieten. Zu allen sonstigen Ursachen des Nachlassens von Hugos Leistungskraft in seinem hohen Alter, die uns bisher schon begegnet

sind, muß nun noch mannigfache körperliche Gebrechlichkeit hinzu­ genommen werden, so energisch er sich auch gegen diese Wirkung seines Hüftleidens zur Wehre setzte^). An Energie und Fleiß, an Redlich­ keit und Stetigkeit der Bemühung hat Hugo es nimmermehr fehlen lassen bis zum letzten Aufgebot seiner Kräfte. Aber sein Blick war nicht mehr klar, seine Auffassung erscheint immer befangener, sein Haften an Kleinigkeiten immer pedantischer und fruchtloser. Er kämpft einen rührenden, aber aussichtslosen Kampf, um noch als Mitlebender zu erscheinen, während er tatsächlich nur noch als Über­

rest aus einer anderen Welt in eine neue Zeit hineinragt. Die Gabe,

dies anzuerkennen, sich des Kritisierens und Nörgelns zu enthalten, und sich friedlich oder skeptisch lächelnd der Enkel und ihres Treibens zu freuen, war ihm nun einmal versagt. — Die Entfremdung, die

dadurch , eintrat, besonders zwischen ihm und dem jüngsten Juristen­ geschlecht, das er noch erlebte, hat sicherlich ganz wesentlich dazu beigetragen, daß in den überlieferten Anschauungen und Urteilen der

Fachgenossen über Hugo bei fast widerwilliger Anerkennung seiner bahnbrechenden Verdienste eine gewisse Lauigkeit und Rückhaltung vorzuwalten pflegt, die als Folie Savigny zugute kommt. Hallt

für diesen der bewundernde Päan der Schule, die ihn

begeistert

umgab, bis heute nach, so hat jener noch heute zu leiden unter

I. Gustav Hugo.

seiner selbstwilligen Einsamkeit.

3) Würdigung.

31

Sache der Geschichte ist es dem­

gegenüber, die einzige Bedeutung des Juristen und Denkers Hugo wieder voll hervorzuheben.

3. Hugo ist nach Anlage und Ausbildung wesentlich Eines: der vorurteilslose Beobachter des Tatsächlichen. Er verbindet damit in seiner ersten glänzenden Zeit die Gabe, das Beobachtete in große Gruppen historisch oder systematisch übersichtlich zu ordnen. Das Abnehmen dieser Gestaltungskraft, das einseitige Überhandnehmen

der Beobachtung um ihrer selbst willen, erklärt Hugos Lebensschicksal. Beide Kräfte zusammen erklären seine Lebensleistung. Der Nach­ druck aber fällt stets auf die bleibende Grundlage, den Empirismus.

Die Neigung, sich an das Gegebene zu halten,

hatte Hugo,

-wie oben bereits erwähnt, schon vom Vater überkommen. Damit -zugleich die peinliche Gewissenhaftigkeit, die unbedingte wissenschaft-liche Ehrlichkeit, die stets das Zeichen desjenigen Forschers sein

werden, dem mehr am Material liegt als an seiner subjektiven Auf­ fassung, und der deshalb vor dem zurückscheut, was jedem System­ zimmerer leicht fällt, sich zunächst über solche gegebene Einzelheiten

hinwegzusetzen, die sich seinem Plan so recht nicht fügen wollen. Wenn Hugo Wort für Wort prüft, in welchem Sinne es von den Römern,' von dem Mittelalter, von uns gebraucht wird; wenn er

ein jedes Wort, das er selbst einmal in früheren Auflagen ungenau gebraucht hat, in den späteren Ausgaben „kreuzigt"; wenn er in seinen Kompendien die Zeilen zählt, wie in dem justinianischen

Rechtsbuche die Titel und Gesetze, um stets neue Zahlenkombina­ tionen zu versuchen; wenn er in bio- und bibliographischen Notizen über Kleinigkeiten die peinlichste Sorgfalt entwickelt und nichts dabei zu gering findet, um polemisch dafür einzutreten, so lange er es für richtig hält, freilich auch nichts zu bedeutsam, um es nicht laut zurückzunehmen, sobald er eines Besseren sich überführt sieht; wenn er sich nicht genug tun kann in endlosen Nachträgen, Er­ läuterungen und Verbesserungen; wenn es ihm bis zu seinem Ende

unmöglich ist, nachsichtig oder einsichtig schweigend hinzunehmen, was hm unzutreffend erscheint; so sind dies eben die bezeichnenden Äuße­ rungen einer Richtung auf das Empirische, in deren Dienst sich ein

Temperament von leidenschaftlicher Zähigkeit gestellt hat. Diese Zreude am Beobachten, die überwiegende Wertschätzung des Beob-

ichtungsergebnisses als solchen müssen wir als natürliche Begabung

32

Dreizehntes Kapitel.

bei Hugo schon deshalb annehmen, überwuchert.

Aber auch deshalb,

weil sie im Alter so peinlich

weil Hugo

den

mannigfachen

Bildungsfaktoren, mit welchen er während seiner bildsamen Zeit in Berührung kam, für sich stets nur solche Elemente entnommen hat, die ihn in dieser seiner Eigentümlichkeit wiederum bekräftigen mußten.

Der Aufenthalt im Auslande, in Mümpelgard, zeigt ihm nicht, wie ähnlich, sondern wie verschieden alle menschlichen Dinge sind. Am Ho fe zu Dessau wird er nicht zum heiteren Weltmann, sondern zum ironischen Menschenkenner. Aus der Universität tritt Hugo in nähere Beziehungen nur zu solchen Lehrern, die als Philosophen, Historiker oder Juristen den Nachdruck auf die Tatsachen legen: Feders natur­

rechtliche Skepsis — Spittlers Geschichtschreibung der feinen politi­ schen Wirrungen und Entwirrungen — Pütters früher genügend gekennzeichnete Richtung. Von den beiden Dichterfürsten, deren

Meisterwerke er hat erscheinen sehen, finde ich Goethe häufig bei

ihm zu Anspielungen, wie er sie so sehr geliebt hat, verwertet, kaum je Schiller. Namentlich aber ist hier der Nachdruck zu legen auf das Verhältnis, in das Hugo zu Kant getreten ist, und auf den Gewinn, den er daraus gezogen hat. Es handelt sich dabei um Maßgebendes für den Ausgangs­ punkt der neueren Rechtswissenschaft seit Hugo überhaupt, wie auch

für die Abwandelung dieser Rechtswissenschaft unter Savigny und in dessen historischer Schule. Die Beschäftigung Hugos mit Kant ist eine sehr eindringliche gewesen, soviel steht ohne weiteres fest, sowohl aus Hugos Angaben

über sich selbst, wie aus seiner literarhistorischen Darstellung von Kant, im Naturrecht und in der Literärgeschichte^). Einmal, unter dem ersten Einflüsse eines gründlichen Studiums der drei Kritiken, ist Hugo sogar soweit gegangen (etwa um 1797), seinen

Zuhörern anzubieten, er wolle ihnen eine „philosophische Enzy­ klopädie für Juristen" vortragen, wie ähnlich es in Halle 30 Jahre hindurch Thomasius und dessen Schüler getan hatten — ein Plan,

zu dessen Ausführung es

dann freilich

nicht

gekommen

zu sein

scheint. Immerhin waren die ersten Bogen eines Kompendiums für diese Vorlesungen 1799 gedruckt, wennschon sie nicht in den Buchhandel gekommen sind; das Kompendium sollte „in manchen Punkten ein systematischer Auszug aus allen Kantischen Schriften"

werden.

L Gustav Hugo.

33

3) Würdigung.

Ebenso steht fest, daß Hugo bei diesem Kantstudium zu immer höherer Verehrung für Kant gelangt ist. Er erkennt schließlich geradezu in Kants kritischer Philosophie das Euklidische Fundament

dieser Wissenschaft. Und dabei war ihm diese nicht etwa ein für sein Fach, die Rechtswissenschaft, gleichgültiges, davon getrennt zu haltendes neutrales geistiges Besitztum. Im Gegenteil, wo er von der Kantischen Philosophie spricht, erwähnt er ihrer stets in lebendigem Zusammenhänge mit den Fragen des juristischen Verständnisses und

der juristischen Entwicklung.

Ist doch für Hugo „die wissenschaft­

liche Jurisprudenz (wenn wir die Juristerei als Handwerk aus dem Spiele lassen) schlechterdings nichts anderes, als Philosophie auf historische Data angewendet". Als diejenige Philosophie aber, die dabei anzuwenden ist, erscheint ihm die Kantische, sie ist ihm zeit­ lebens die Philosophie schlechtweg geblieben. Endlich steht fest, daß dieser Einfluß Kants auf Hugo

nicht

sich

beschränkt aus die einfache Hinübernahme einzelner Schlag­

wörter oder auch Grundsätze. Vielmehr ist damit Hugo recht spar­ sam. Außer dem schon erwähnten Punkte, daß Kants Unterscheidung

zwischen provisorischem und peremptorischem Recht von Hugo für das Naturrecht verwertet worden ist, ließe sich in dieser Richtung etwa nur noch anführen die Übereinstimmung, die zwischen Kant und Hugo besteht in bezug auf die Auffassung des positiven Rechts als eines bloß im Staat und durch den Staat, nie gegen den Staat möglichen. Im übrigen führt Hugo ja wohl häusig aus Kant all­ gemeine philosophische Obersätze an, er preist die Kantische Philo­ sophie bei jeder Gelegenheit als einen der größten Kulturfortschritte der Menschheit, er behauptet, daß seine Behandlung des natürlichen wie des positiven Rechts mit dieser Philosophie in vollem Einklänge stehe, ja wesentlich darauf beruhe; man hat auch deutlich die

Empfindung, daß diese Behauptung durchaus zutrifft, nur fehlt der nähere greifbare Nachweis im einzelnen. Diesen mag Hugo unter­

drückt haben, weil er sich so ganz von Kant gesättigt und in Kant befestigt wußte, daß ihm darüber zu reden überflüssig schien, oder auch gemäß dem „rätselhaften Kompendienstil"; dieses Rätsel aber

müssen wir lösen. Das Problem bezieht sich also auf die genauere Bestimmung dieser Verhältnisse. Es betrifft die Frage, wie denn Hugo die Kantische Philosophie verstanden hat, welche ihrer mannigfachen Land-berg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

3

34

Dreizehntes Kapitel.

Seiten und Gestaltungen für ihn Ausgangspunkt seiner Weltanschauung geworden ist, inwiefern damit seine Behandlung der Rechtswissenschaft unmittelbar zusammenhängt. Die älteren Erörterungen über diese Dinge haben zur Lösung dieses Problems wenig beigetragen. Sie kommen durchweg über allgemeine Wendungen nicht hinaus, indem sie etwa die Selbständig­

keit oder die Tiefe des Philosophierens bei Hugo rühmen; die Ver­ bindung zwischen seiner juristischen Richtung und seiner Philosophie wird dann mehr postuliert als dargetan. Der einzige ernsthafte Versuch, unserm Ziele näherzukommen, rührt von Mejer her^). Er wählt dazu den Ausgangspunkt von dem Kantischen Gegensatze zwischen Natur und Vernunft. Er meint, darin die Wurzel von Hugos Kantverständnis gefunden zu haben, um zusammenfassend

Hugos Rechtsauffassung als „eine Konsequenz der Kantischen Ethik" zu bezeichnen. Hugo habe in seinem Naturrecht alle Rechts- und Staatseinrichtungen als unvernünftig nachgewiesen; er habe dann deshalb Staat und Recht als Dinge nicht der Vernunft, sondern

der Natur angesehen und sei so zu dem Schlüsse gekommen, daß sie als Gegenstände nur der Erfahrung, nicht der Spekulation zu behandeln seien. Mit dem positiven Teil dieses letzten Satzgliedes wird man sich einverstanden erklären dürfen. Dagegen schon nicht mehr mit dem negativen Teile und erst recht nicht mit der Her­ leitung. Daß die Spekulation auf dem Gebiete des Rechts ganz aus­

geschlossen sei, ist keineswegs Hugos Ansicht. Definiert er doch seine „Philosophie des positiven Rechts" ausdrücklich als „die Ver­

nunftserkenntnis aus Begriffen, von dem, was (juristisch) Rechtens sein kann". Deutlicher und an entscheidenderer Stelle kann man doch wohl nicht der Vernunftserkenntnis ihre Rolle für die Rechts­ erkenntnis wahren. Damit fällt aber auch ohne weiteres die Mög­ lichkeit hinweg dafür, daß Hugo das Recht ausschließlich zum Ge­

biete der Natur im scharfen, Kantischen Sinne des Wortes gerechnet

haben soll. Dieser Satz, dem es überdies an direkten Belegen mangelt, ist ja ohnehin schwer glaublich"). Denn wer wird ohne weiteres anzunehmen geneigt sein, Hugo habe das Vernünftige im Recht ganz verkannt, bloß weil er an den einzelnen Rechtseinrich­ tungen das Unvernünftige hervorhebt? Wer nun gar wird deshalb glauben mögen, Hugo habe das Recht als reines Naturerzeugnis

I. Gustav Hugo.

angesehen?

3) Würdigung.

35

Zu solchen mystischen Übertreibungen mochten wohl die

Späteren durch Savignys Ausdrucksweise verführt toerbcn68); der

gesundrealistischen, noch aus den Zeiten des pragmatischen Ratio­ nalismus herrührenden Denkart Hugos lag dergleichen doch wohl noch recht fern. Als drastischer Beleg diene etwa der Vergleich von Savignys Schrift „Über den Beruf", mit der kurzen Bemerkung Hugos über die beschränkte Leistungsfähigkeit des Gesetzgebers, wie sie bereits oben S. 19 mitgeteilt und verwertet wurde. Im übrigen kann es dahingestellt bleiben, ob Hugo den Kanti­

schen Gegensatz zwischen Natur und Vernunft besonders gewürdigt hat oder nicht. Ausgangspunkt der Kantauffassung ist er für Hugo keinesfalls gewesen, wie sich aus Hugos eigenen Worten zeigen läßt. Erst indem wir bei diesen Worten selbst einsetzen, kommen wir über die auf solchem Gebiete doppelt bedenklichen Annahmen und indirekten

Schlußfolgerungen hinweg. „Könnte ich es doch dahin bringen,

daß jeder von meinen

Lesern eine ältere Schrift von Kant, die .Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze ... der Moral' recht beherzigte!" — das ist der Ausruf88) Hugos, an den wir anzuknüpsen haben. In dieser Schrift von Kant — fast möchte man in bezug auf sie dem Leser den Wunsch Hugos auf eigene Rechnung wiederholen dürfen — ist nämlich mit seltener Faßlichkeit dargetan, daß unsere Erkennt­ nis in allen nicht mathematischen Wissenschaften nur der Erfahrung

entspringen kann, und nur so weit sicher ist, wie sie auf der Erfahrung beruht. Die Mathematik definiert willkürlich ihre Begriffe, deshalb kann sie synthetisch mit diesen Definitionen beginnen und dann darauf

weiter bauen. In allen anderen Wissenschaften aber sind uns die Objekte der Untersuchung gegeben. Diese muß man zergliedern,

durch die Zergliederung Merkmale entdecken,

„verschiedene abstra­

hierte Merkmale verknüpfen, ob sie einen zureichenden Begriff geben, und untereinander zusammenhalten, ob nicht zum Teile einer die anderen in sich schließt." „Wollte ich hier synthetisch auf eine De­ finition ... zu kommen suchen, welch ein glücklicher Zufall müßte

sich ereignen, wenn dieser Begriff gerade derjenige wäre, der die uns gegebene Idee völlig ausdrückte." Auch betrachtet die Mathe­ matik in ihren Auflösungen, Beweisen und Folgerungen das All­ gemeine unter konkreten Zeichen, andere Wissenschaft das All­ gemeine durch abstrakte Zeichen, nämlich durch Wörter. Deshalb 3»

Dreizehntes Kapitel.

36

muß man hier sich immer wieder vorhalten, welcher Gegenstand hinter dem Worte steckt, um nicht durch bloße Wortgebilde irre­ geführt zu werden, während man dort den Gegenstand stets greifbar vor sich hat. Endlich sind in der Mathematik nur wenig unauflös­ liche Begriffe und unerweisliche Sätze, überall sonst aber stößt man Schritt für Schritt auf Unzähliges derart, so oft es sich nämlich um elementare Gefühle oder Tatsachen handelt. Aus alledem folgt, daß von mathematischer Methode ebensowenig wie von mathemati­ scher Gewißheit in den nichtmathematischen Wissenschaften die Rede

sein kann. Es folgt aber auch weiter daraus, daß man bisher in den philosophischen Wissenschaften den gerade verkehrten Weg ge­ gangen ist, wenn man bei der Definition anfing und sich dann bemühte, aus ihr alle möglichen Einsichten zu erschließen. Vielmehr „fließen die Regeln derjenigen Methode, nach welcher die höchst­

mögliche

metaphysische Gewißheit einzig

und allein

kann erlangt

werden", ganz natürlich aus den voraufgeschickten Betrachtungen. „Die erste und vornehmste Regel ist diese, daß man ja nicht von Erklärungen anfange."

„Die zweite Regel ist: daß man die un­

mittelbaren Urteile von dem Gegenstand in Anschauung desjenigen, was man zuerst in ihnen mit Gewißheit antrifft, besonders auf­ zeichnet" und zusammenstellt. Diese Methode ist „mit derjenigen im

Grunde einerlei, die Newton in die Naturwissenschaft einführte." „Ebenso in der Metaphysik: suchet durch sichere innere Erfahrung, d. h. ein unmittelbares augenscheinliches Bewußtsein, diejenigen Merk­ male auf, die gewiß im Begriffe von irgendeiner allgemeinen Be­ schaffenheit liegen, und ob ihr gleich das ganze Wesen der Sache nicht kennt, so könnt ihr euch doch derselben sicher bedienen, um vieles in dem Dinge daraus herzuleiten." An diese analytische Me­

thode hat man sich zunächst zu halten; sie liefert das nötige Maß von Kenntnissen mit der nötigen Sicherheit; erst weit später, „wenn die Analysis uns wird zu deutlich und ausführlich verstandenen Begriffen verhalfen haben, wird die Synthesis den einfachsten Er­ kenntnissen die zusammengesetzten wie in der Mathematik unterordnen

können." Nach alledem, was wir bisher über Hugo bemerkt haben, wird man es zu würdigen vermögen, wie er sich von derartigen Ausführungen angesprochen, wie er geradezu darin die feste philo­ sophische Begründung aller seiner natürlichen Neigungen und Ab-

I. Gustav Hugo.

3) Würdigung.

37

So ist er denn auch offenbar mit diesem

Neigungen finden mußte.

Schlüssel in der Hand an das Studium der Kritiken herangetreten und war dadurch darauf hingewiesen, daß sie stets erkenntnistheore­ tisch, in Fragestellung wie in Antwort, zu verstehen sind.

Als die

große Leistung Kants bezeichnet er e§70), daß dieser den beispiel­

losen Entschluß „mit ebenso beispiellosem Glücke ausführte, in jahre­

langer Meditation die Kräfte des menschlichen Gemütes zu prüfen und mit Absonderung alles Empirischen, also Zufälligen, das einzige

bei allem menschlichen Denken Notwendige, also ganz Gewisse und a priori Erkennbare, zu

lernen."

die Form des Denkens selbst,

es

Damit steht

für

Hugo

kennen

unerschütterlich fest,

im

Gegensatz zu der Schar der ersten Kantianer, daß die Prinzipien der Kantischen Moral wie des Kantischen Naturrechts nur formal als Begrenzungs- und Prüfnngsmaximen gelten sollen, ohne einen

materiellen Inhalt liefern zu können. die

durchaus

Anwendung

folgerichtige

positiven Rechts:

„Dazu

Und daraus macht er denn

auf seine Philosophie

des

gehören freilich auch Begriffe und Sätze

a priori, Metaphysik, allein diese entscheiden nichts als die Form,

welche an und für sich durchaus auf alles paßt oder vielmehr völlig leer ist",

der Inhalt muß also aus Erfahrung und Geschichte

nommen werden,

„um etwas zu haben,

worauf die Form

ge­

anzu­

wenden sei, und nun an den Folgen zu erkennen, was zu einem allgemeinen Gesetz mehr oder weniger taugt."

Bei jeder einzelnen

Lehre soll wieder gezeigt werden, wie „außerordentlich wenig des

Metaphysischen"

dabei ist,

wie

„die Zensur des positiven Rechts

nach der praktischen Vernunft ... so gar kein materielles Resultat" gibt.

Wir stehen vor dem Ergebnisse: was nach Hugos Auffassung

der Kantischen Philosophie der Jurist zu tun hat, das ist zu beob­ achten und zu analysieren,

das

jetzt

gültige

und das geschichtlich

gültig gewesene positive Recht, in allen seinen Sätzen und Bestand­

teilen; und nur selten, mit äußerster Selbstbeschränkung und Behut­ samkeit, die Ergebnisse zusammenzufassen zu zusammengesetzten Be­ griffen.

Denn

diese sind ebenso gefährlich

wie

im

besten Falle

nutzlos: sie lehren uns nicht mehr, als wir vor ihrer Zusammen­ fügung wußten. Eben weil Hugo so Kant auffaßte und daraufhin sein Natur­

recht schrieb,

fand er mit diesem seinem Naturrecht die freudige Zu­

stimmung von Frieses.

Rührt doch von diesem Kantianer der Aus-

38

Dreizehntes Kapitel.

spruch her, den Hugo dann so oft angeführt hat: Hugos Naturrecht sei ein konsequenter kantisches als das von Kant selbst. Das hat man ja wohl, indem man es außerhalb des Zusammenhanges, in dem es bei Fries steht, aufnahm, so verstanden^), als habe Fries

sagen wollen, Hugo habe seine einzelnen Naturrechtssätze oder auch sein ganzes Naturrecht aus dem obersten Sittlichkeitsprinzip Kants

richtiger gefolgert als Kant selbst. Doch kann hiervon gar keine Rede sein; weder folgert Hugo aus dem Kantischen Sittlichkeitsprinzip in seinem Naturrecht irgend etwas, noch verwirft er die von Kant

in dessen Naturrecht aufgestellten wesentlichen Folgesätze; noch hätte Fries auf solche einzelne Verbesserungen solchen Wert gelegt. Viel­ mehr handelt es sich für Fries um viel Tiefergreifendes: es handelt

sich ihm darum, daß seiner (Fries') Ansicht nach Kant in seinem Naturrecht vielfach in die dogmatische Methode zurückgefallen ist unter Verleugnung der wichtigsten Errungenschaft seiner eigenen

Kritik; während Hugo folgerichtig es durchgeführt habe^), „daß alle Philosophie des Rechts nur die Form einer allgemeinen Gesetzgebung und nur das Prinzip in einer Kritik aller positiven Gesetzgebung geben könne", die den Stoff „bei der Leerheit des Kantischen kate­ gorischen Imperativs" der Erfahrung notwendigerweise zu entnehmen

hat. Darauf aber kommt es Fries an, weil durch sein ganzes Werk wie ein roter Faden sich hindurchzieht die Lobpreisung des Wertes der Beobachtung, der Erfahrung, der empirisch-analytischen Methode, im Gegensatze zu dem Arbeiten mit Begriffsbestimmungen und Ein­ teilungen. Darum tadelt Fries die Trias Reinhold, Fichte und Schelling, weil sie ihm von jener Methode zu der aprioristischen rückfällig erscheint; darin findet er den Vorzug der kritischen Methode, „daß sie in Sachen der freien Spekulation immer unmittelbar ana­ lytisch oder zergliedernd, niemals sogleich synthetisch oder ableitend verfährt, indem sie jedesmal zuerst vom konkreten Einzelnen zum Allgemeinen fortschreitet, niemals gleich allgemeine Formen auffaßt,

welche sich der Faßlichkeit der gemeinen Erfahrung entziehen". „Kritik", so heißt es eben dort an anderer Stelle, „ist aber Er­ fahrungswissenschaft und beruft sich nur auf Tatsachen der inneren Erfahrung, welche jeder selbst beobachten oder berichtigen kann, wenn er die Mühe nicht scheut." Deshalb ist freilich die Arbeit für den Anhänger dieser Philosophie eine mühseligere und langwierige, denn

er „braucht zu jeder Erklärung erst weitläufige Vorbereitungen, um

I. Gustav Hugo.

39

3) Würdigung.

sich in der Erfahrung zu orientieren, und muß sehr oft seine Er­ klärung bis auf weitere Kombination verschieben"; derjenige, der anders verfährt, hingegen ist gleichsam immer schon bei der Erklärung,

das Einzelne ist ihm schon erklärt, ehe es ihm noch gegeben wird;

aber das Richtige treffen kann auf die Dauer einzig der erstere.

Diesen fundamentalen Gegensatz findet Fries schon zwischen Plato

und Aristoteles; ihn festgelegt und nach der richtigen Seite hin mit klaren Beweisen gelöst zu haben, ist die große Leistung von Kant.

Trotzdem wieder in die bequeme und „vornehme" Art des Philo­ sophierens aus bloßen Begriffen hervor verfallen zu sein, bildet den unverzeihlichen Fehler derjenigen, gegen die Fries deshalb schreibt. Weil also Fries für diese seine Kantauffassung in Hugo den ent­ schiedensten Gesinnungsgenossen findet, weil er sie besser in Hugos als in Kants Naturrecht eingehalteu findet, eben deshalb fühlt er sich

von

Hugo

angezogen

und

spendet

ihm

jenes

volltönende

Lob74). Damit stimmt aber endlich auch überein, was wir von der Ab­ stufung wissen, in der Hugo sich Kant genähert hat. Obschon zuerst bekannt geworden mit der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", hat Hugo sich doch nicht bestimmen lassen, die hier gebotene Maxime als magische Formel zur Lösung aller naturrechtlichen Fragen hin­ zunehmen. Vielmehr erst, sals er dann zu den drei Kritiken Kants gelangt ist, wird er durch diese zum Kantianer. Nun bemerkt er, daß ihm Kants Lehre immer vollendeter erscheine, je tiefer er in deren Verständnis eindringe; ausdrücklich betont er, daß er nun mit

Kant auch da übereinzustimmen gelernt habe, wo er anfangs gemeint habe, von ihm abweichen zu müssen. Worauf soll sich das beziehen, wenn nicht auf das rückwärts nunmehr gewonnene erkenntnistheore­

tische Verständnis auch des Kantischen,Naturrechts, das Hugo inhalt­ lich abgelehnt hatte? Hugos Sinn für peinlich genaue Beobachtung, seine Abneigung gegen hohle Abstraktion und Deduktion, sie sind es, die ihn zuerst selbst einem Kant gegenüber zu selbständiger Stellung­ nahme gezwungen haben. Sie sind es sodann, die in der kritischen Philosophie ihre volle Bestätigung, ihre bewußte Begründung und

ihre endgültige Befriedigung gewonnen haben. Dadurch hat Hugo über die der Vergangenheit zugewendeten Züge der Kantischen Philo­ sophie hinweg das Verständnis der für die Zukunft maßgebend ge­ wordenen Kantischen Prinzipien errungen.

Auf diese unerschütterliche

40

Dreizehntes Kapitel.

erkenntnistheoretische Grundlage hat er den Bau der neueren Rechts­

wissenschaft gegründet. Hugo erscheint damit als der Begründer der neueren Rechts­ wissenschaft überhaupt, soweit dieser historische, d. h. empirische Auf­ fassung und Behandlung durchgehends eigentümlich ist. Er darf dagegen, falls man genau reden will, nicht bezeichnet werden als der Begründer der „historischen Schule" im engeren Sinne, derjenigen Schule, für die dieser Name durch Übung feststeht.

Von Hugo datiert die neuere deutsche historische Rechtswissen­ schaft überhaupt; er hat ihr Raum geschaffen negativ durch Beseiti­

gung des alten Naturrechts; er hat für sie positiv diejenige Methode

und diejenige Richtung festgestellt, die seither im wesentlichen inne­ gehalten worden sind; er ist der erste Autor in der Kette der Literärgeschichte, bei dem wir Heutigen vollständig das Gefühl haben, ohne

weiteres zu Hanse zu sein. Wir brauchen uns nicht in fremde Vor­ stellungskreise, unter ungewohnte Voraussetzungen zu versetzen, um ihn zu verstehen und zu würdigen; er ist Fleisch von unserem Fleische, Blut von unserem Blute. Vor allem hat er der Betätigung positiver Rechtskunde freie Bahn eröffnet, indem er mit den Waffen der Kan­ tischen Philosophie das alte Naturrecht zu Scherben geschlagen hat. Hugos naturrechtliches Kompendium wird uns erst voll verständlich,

wenn wir es als die zersetzende Kritik, als die deductio ad absur­ dum des bisherigen Naturrechts auffassen. Freilich möchte es nicht nur zerstören, sondern auch einen rechtsphilosophischen Neubau geben,

dieser aber gelangt nicht über die ersten Ansätze. Es wäre durchaus mißverständlich, wollte man dem Hauptinhalt wegen seiner positiven Form positive Bedeutung beilegen; da handelt es sich durchweg nur um Widerlegung, Auflösung, Verspottung der naturrechtlichen Prin­ zipien an der Hand der Erfahrung. Dieser werden alle Möglich­ keiten abscheulich oder ideal erscheinender Nechtseinrichtungen ent­ nommen, und es wird dann gezeigt, wie man nach dem alten Natur­

recht sie alle entwickeln kann. Das heißt, die allgemeinen Vordersätze des alten Naturrechts enthalten alles und eben deshalb nichts. Ein neues und brauchbares Naturrecht ließe sich allenfalls induktiv ge­ winnen durch Vergleichung aller positiven Rechte, die jemals bestanden

haben, die jetzt bestehen und die denkbarerweise noch einmal ent­ stehen werden; die deduktive Methode des alten Naturrechts aber ist absolut aussichtslos und irreführend.

Es ist wohl klar, wie sich

I. Gustav Hugo.

41

3) Würdigung.

diese Einsicht, der sich zwei Jahrhunderte fast ganz verschlossen hatten, unbedingt ergeben mußte, sobald man sich mit fester Überzeugung

auf den Boden stellte, den Kant bei seiner Abhandlung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral gelegt hatte.

Die oben kurz wiedergegebenen Sätze dieser Abhandlung

gegen die falsche deduktive Methode treffen ja fast Wort für Wort besonders zu gegen das bisherige naturrechtliche Verfahren. Da

hatte man sich irgendein Prinzip frei erdacht, um daraus das ganze Recht herzuleiten, d. h. man hatte eine Unzahl uns positiv gegebener Dinge zunächst unbeobachtet gelassen und mit einem Begriffe, der sie alle umspannen sollte, begonnen — „welch ein glücklicher Zufall

müßte sich ereignet haben, wenn dieser Begriff gerade derjenige wäre,

der die uns gegebene Idee völlig ausdrückte." In dem Augenblicke, in dem das klare Verständnis hierfür in die Jurisprudenz eindringt, hat offenbar das letzte Stündlein des Pufendorf-Wolfschen Natur­ rechts geschlagen. Merkwürdig, wie sich dies fortlaufend im Verhältnis zur Mathe­ matik äußert! Der Wahn, als ließen sich alle möglichen Wahrheiten

anderer Ordnung

in mathematisch-demonstrative Verkettung

unter­

einander bringen, als sei es möglich, in allen Wissenschaften zu den evidenten Beweisen der Mathematik zu gelangen, er war die Be­

gleiterscheinung des aufkommenden Naturrechts gewesen. Die Form der Spinosaschen Ethik hatte sich zu dem syllogistisch-pedantischen Riesenbau der Wolsschen Folianten ausgewachsen, als das Natur­ recht auf seiner Höhe stand. Der Nachweis, warum außerhalb der Mathematik deren analytische Methode unanwendbar ist, war es jetzt, den Kant führte; und mit der richtigen Erfassung dieser Un­ möglichkeit hat Hugo das Naturrecht überwunden. Damit aber ist zugleich wieder das positive Recht auf den ihm gebührenden Herrscherthron gesetzt. Deshalb eben fand Hugo in der Kantischen Philosophie, so wie er sie verstand, die Bestätigung seiner wissenschaftlichen Richtung, weil ihm die eingehende, liebevolle

Beschäftigung mit dem Positiven von jeher Hauptsache gewesen war. Deshalb aber auch ward es Hugo leicht, von der Konstruktion eines neuen Naturrechts an Stelle des alten tatsächlich fast ganz abzu­ sehen, obschon er ein theoretisches Bedürfnis danach unbedingt zu­ gibt, weil ihm nämlich an Stelle eines jeden Naturrechts das positive Recht

bei

empirisch-historischer Auffassung

des damit

gegebenen

Dreizehntes Kapitel.

42

Rechtsstoffes vollständig genügte.

Das positive Recht verfolgt er

mit dem liebevollen Blick des Naturforschers, dem jedes Insekt und jedes Blatt Wunder der Schöpfung sind, er verfolgt es in alle

Einzelheiten, die ihm von den mannigfachen Bedürfnissen des Menschen, von den reichen Verschlingungen des Lebens und von deren Beherrschung durch die Regsamkeit des menschlichen Geistes Zeugnis ablegen.

Daher seine Anhänglichkeit für das Quellenstudium,

für die Schriften derjenigen Juristen ganz besonders, die eben des­ halb, weil sie hier das Höchste leisten, von seinem Feinsinn als die

Klassiker des römischen Rechts erkannt werden. Daher aber auch seine Einsicht, daß es unbedingt nötig ist, die ganze Vergangenheit

eines positiven Rechts gründlichst zu durchforschen und zu beherrschen, um dieses selbst zu verstehen. Und darum endlich seine Einsicht, daß es für einen Forscher unmöglich ist, das ganze Gebiet des Rechts, ja selbst nur des Privatrechts, zu bewältigen. Darauf beruht sein Entschluß, sich auf das in Deutschland geltende Privat­ recht römischen Ursprungs fachmäßig ausschließlich zu richten. Hugo hat diesen Entschluß im wesentlichen streng durchgeführt. Zwar konnte er sich zur Franzosenzeit der Beschäftigung mit dem französischen Zivilrecht nicht entziehen; zwar hat er ferner in Natur­ recht und Enzyklopädie auch das öffentliche Recht akademischem Her­ kommen gemäß bedenken müssen. Damit ist denn aber auch bereits die Liste der Ausnahmen, zu denen er sich drängen ließ, geschlossen. Mit um so größerem Nachdrucke konnte er sich dem engeren Kreise

seiner Studien widmen. Hier hat er zuerst mit weitem historischem Blick, sodann mit peinlichster Genauigkeit gearbeitet, um das Werk zu fördern, an dessen Ende zu gelangen er selbst nicht hoffte. Als dieses erstrebenswerte Ziel aber hat ihm stets vorgeleuchtet, volle Einsicht zu gewinnen in den Geist des römischen Rechts, und zwar auf allen seinen Entwicklungsstufen, von den ältesten Zeiten Roms bis zu dem römischen Recht der Neuzeit in seiner gemeinrechtlichen Umbildung. Zwar mag Hugo in seinen späteren Jahren dies Ziel hin und wieder aus den Augen verloren haben über den müh­ seligen, teilweise kleinlichen Vorarbeiten dazu, die er für nötig hielt.

Darin kann man aber denn doch immer nur schlimmstenfalls eine Übertreibung dessen finden, worin sein hauptsächlicher Vorzug be­

steht, seiner empirischen Gewissenhaftigkeit. der Jugend

bisweilen

Hatte ihn der Wagemut

über die strengeren Ansprüche fortgerissen,

I. Gustav Hugo.

3) Würdigung.

43

mochte ihm greisenhafte Erstarrung später den freien Flug allzusehr hemmen: die Marschrichtung ist stets dieselbe geblieben, wie Hugo sie gleich zu Anfang seiner Tätigkeit programmatisch festgestellt hat.

Die Grundzüge dieser seiner Methode sind aber dieselben, die

uns noch heute als die wesentlichen Vorbedingungen jeder wissen­ schaftlichen Leistung erscheinen: unbedingte Hingabe an den Stoff und fachmäßige Einschränkung auf ein übersehbares Forschungsgebiet. An Stelle der verlockenden rationalistischen Selbstherrlichkeit unseres Denkens, die mühelos die Welt mit abstrakten Phantomen bevölkert, tritt der mühsame Fleiß, die peinlich genaue Sammlung und Sich­

tung des tatsächlich vorliegenden Materials.

An Stelle der poly­

historischen oder wenigstens alle Fächer der Jurisprudenz umfassen­ den Gelehrsamkeit tritt zielbewußte Pflege des einzelnen Fachs. Diese doppelte Beschränkung als den Weg zur Meisterschaft hat Hugo

unsere Wissenschaft gelehrt durch sein Wort wie durch sein Beispiel. Die Zeit nicht nur der Juristen ist mit ihm vorbei, die auS ab­ strakten Vordersätzen alles Recht herleiten wollen, sondern auch die Zeit solcher Rechtsgelehrten, die gleichgültig alle Zweige und Ge­

biete des Rechts lehren und schriftstellerisch bearbeiten.

Die Spezia­

lisierung des wissenschaftlichen Berufs, wie sie in den besten Zeiten von Halle aufgekommen war, wie sie sodann in Göttingen gepflegt worden war, wie sie aber selbst dort nie ganz hatte durchdringen können, wird nun zur Regel; Erscheinungen wie Nettelbladt, die die Universalität geradezu methodologisch verlangen, werden unmöglich.

Die prinzipielle Scheidung in Staatsrecht, Kirchenrecht, Strafrecht, Deutsches Privatrecht, Römisches Privatrecht — dies dürfte etwa die damals aufkommende Facheinteilung sein, indem dabei Handels­

recht zum deutschen Privatrecht gerechnet wird, Zivilprozeß zum römischen Privatrecht, Strafprozeß zum Strafrecht und Völkerrecht zum Staatsrecht — diese Scheidung tritt schon bei Hugo selbst klar hervor, indem er das Strafrecht aus dem Privatrecht aus­ scheidet und das Privatrecht wieder nach der Nationalität seines Inhalts in deutsches und römisches zerlegt. Welche Vorteile diese Beschränkung verbürgt, hat dann Hugo durch seine Leistungen dargetan. An die Stelle der Verschwommen­

heit und Ungenauigkeit, die bei aller Pflege gefälliger Form in den

Lehrbüchern des ausgehenden 18. Jahrhunderts herrscht, tritt reiches Leben, Feinheit der Quellenauslegung und Sauberkeit der Formu-

44

Dreizehntes Kapitel.

lierung, und damit alsbald eine Überlegenheit des positiven Wissens

und Könnens, der die Gegner aus der alten Schule hilflos erliegen müssen. Erst indem eine neue Generation von Juristen stillschweigend

und selbstverständlich sich dieser Hugoschen Errungenschaft bemäch­ tigte, wurde es den Anhängern einer mehr philosophischen oder systematischen oder praktischen Rechtsauffassung allmählich wieder möglich, in den Kampf einzutreten. Im wesentlichen aber stehen dabei diese Kämpfer selbst wie ihre historischen Gegner auf demselben Boden der empirisch fachmäßigen Methode, die von Hugo herstammt. Indem Hugo mit dieser Methode gerade das römische Recht behandelt, hat er zugleich diesem eine Vorzugsstellung auf einige

Zeit gesichert, wennschon natürlich die anderen Fächer über kurz oder lang folgen mußten. — Naturrecht, deutsches Recht, Staats­ recht, Strafrecht, sie alle

hatte das 18. Jahrhundert mächtig ge­

fördert; die Kenntnis desrömischen Rechts war darüber zurück­ geblieben, ja eher zurückgegangen. Es war, als hätte das Naturrecht, das sich ja hauptsächlich aus dem Mark des römischen Rechts nährte, diesem damit die Lebensfrische entzogen; in der Verstrickung

durch das Naturrecht war es dem Erdreich, in dem es so fest wurzelte, entrissen und nahrungslos in den Himmel erhoben worden; es war zum Recht der Natur verklärt worden, aber darüber als positives Recht nahezu abgestorben. Da grub Hugo aufs neue

seine Nahrungsquellen auf und setzte es mit diesen wieder in innigste Verbindung; aufs neue durchdringt frische Kraft, frischer Schuß lebhaft strömender Säfte den alten mächtigen Körper; und damit tritt die Wissenschaft des römischen Rechts wiederum an die Spitze

der Entwicklung, an der sie während des ganzen Mittelalters und während der Renaissancezeit gestanden hatte. Wie aber stets dem­ jenigen Volke Europas, bei dem die römische Rechtswissenschaft be­

sonders blühte, währenddessen die Leitung der europäischen Rechts­ wissenschaft zugefallen war, so gewinnt nunmehr alsbald anerkannter­ maßen die deutsche Rechtswissenschaft diesen Primat. Mag auch dieser neue Triumphzug des römischen Rechts später, von der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ab, zur Selbstauslösung dieses Rechts geführt haben, mag es der letzte Aufschwung vor dem positiv­ rechtlichen Ende gewesen sein: daß er für das ganze Jahrhundert richtunggebend geworden ist, wird dadurch nicht nur nicht widerlegt,

sondern eher bestätigt..

I. Gustav Hugo.

3) Würdigung.

45

Selbstverständlich sollen nicht etwa alle diese Ergebnisse und Entwicklungsreihen Hugo allein gutgeschrieben werden. Es gehörte

dazu die vorbereitende Tätigkeit der Juristen, der Historiker und des Philosophen, deren Einflüsse auf Hugo zu würdigen wir ver­ sucht haben; es gehörte ferner dazu die parallele Entwicklung anderer Wissenschaften, vor allen der Geschichte und der Philologie, nicht zu

vergessen die Analogiewirkung des naturwissenschaftlichen Aufschwungs; und dann kommen selbstverständlich alle die Denker und Forscher

ersten und zweiten Ranges hinzu, denen wir im folgenden begegnen werden. Sollte doch Hugo selbst die freie Höhe romanistischer

Forschung, zu der es ihn emporzog, und die ein Savigny erreichte,

nicht erklimmen. Aber an der Spitze dieser ganzen historisch-kritischen Bewegung steht er; ihr Methode und Richtung gewiesen zu haben,

das allerdings darf er beanspruchen. Dabei kommt ihm besonders das Verdienst zu, für diese Be­ wegung die Erkenntnis von der Bedeutung geschichtlicher Rechts­ auffassung beigesteuert zu haben. Unmittelbarer noch als für die neuere Rechtswissenschaft im allgemeinen ist er der Pfadfinder für deren geschichtlichen Betrieb.

Seine Beobachtungsgabe richtet sich

weit entschiedener auf das Werden als auf das Sein. Nicht dog­ matische, erst recht nicht systematische Fragen stehen ihm im Vorder­

gründe der Betrachtung, sondern geschichtliche. Das erhellt so recht deutlich daraus, daß er schließlich für die Anordnung selbst des

dogmatischen Kompendiums aus historischen Gründen zu der quellen­ mäßigen Ordnung oder Unordnung zurückkehrt. Richten sich doch auch meist seine Einzelforschungcn auf die römische Rechtsgeschichte,

namentlich auf Wort- und Quellenkunde zu ihr. Und so liegt denn wohl auch auf diesem Gebiete seine bedeutsamste Sonderleistung, nämlich die Wiedererweckung der inneren Rechtsgeschichte, ja man

darf wohl sagen die erstmalig vollständige Ausbildung einer Vor­ stellung davon, was die Rechtsgeschichte als innerliche zu leisten be­ rufen ist. Selbst in den glänzendsten Zeiten des Humanismus, selbst in den Händen eines Cujas und seiner Schüler war die Rechts­

geschichte doch mehr Altertumswissenschaft und Philologie und ge­ legentliche Anwendung dort gewonnener Ergebnisse auf das Recht gewesen, als Geschichte der Rechtseinrichtungen und der Rechts­ gedanken. Darum hatte diese Richtung unschwer in die Bahn der eleganten Jurisprudenz einlenken und diese elegante Jurisprudenz

Dreizehntes Kapitel.

46

schließlich so entarten können, wie wir das seit Heineecius immer be­ dauerlicher zu verfolgen hatten.

Demgegenüber ist Hugo das, was

er der philologischen Schwesterwissenschaft entnimmt, nur das gelehrte Rüstzeug.

Eigentlicher Gegenstand

Rechtskunde.

der Untersuchung

ist ihm

die

Aus dem Rechte der Gegenwart will er die Einsicht

entnehmen in das, was über das Recht der Vergangenheit zu er­ forschen ist, aus dem erforschten Rechte der Vergangenheit tiefere

Einsicht in das Recht der Gegenwart.

Stets schießen ihm die Fäden

hinüber und herüber und so entsteht ihm das Gewebe derjenigen Rechtsgeschichte, welche die Lehre von dem jetzt geltenden Recht in sich schließt.

Diese faßt er eigentlich nur auf als den Abschluß der

Rechtsgeschichte, als den letzten ihrer Abschnitte.

Nach der dogmati­

schen Seite hin bedurfte seine Arbeitsleistung daher am dringendsten der Ergänzung, die ihr denn auch durch eine praktisch-dogmatische Parallelbewegung bald zuteil geworden ist. Doch ist nicht zu ver­ kennen, daß auch diese Bewegung erst ihre volle Bedeutung, ja eigentlich erst ihre Möglichkeit erhielt durch die historische Wieder­ belebung des römischen Rechts, die Hugo gelungen ist. Wenn nun daran die Haupterscheinung der Folgezeit, die historische Schule an­ knüpft, so ist es doch verkehrt, Hugo gerade als deren Führer oder Begründer hinzustellen76). Die historische Schule, wie sie nach Hugos ersten Jahrzehnten die Herrschaft in der deutschen Rechtswissenschaft erobert und eine Glanzzeit derselben herbeiführt, ist eine Äußerung derjenigen Geistesrichtung, die durch ganz Europa nach Überwindung der revolutionären und der napoleonischen Wirren zum Durchbruch gelangte. Wie bei dieser ganzen Geistesrichtung handelt es sich da

nicht um geschichtliche Auffassung schlechtweg, sondern um solche ge­ schichtliche Auffassung, die die Vergangenheit romantisch verklärt, um die Gegenwart auf sie zurückzulenken. Ganz bestimmte geschichts­ philosophische und nationale Vorstellungen und Empfindungsgehalte liegen dabei zugrunde, wie unten (in Kapitel 15) nachzuweisen sein wird.

Als bereits wesensähnliche Vorläufer dafür mag man Möser,

mehr noch Herder anführen. Hugo steht allen den Imponderabilien, auf welchen jene Richtung beruht, noch ganz fremd gegenüber. Sein

geistiger Nährboden ist noch ganz die kosmopolitische Bildung des 18. Jahrhunderts, und sein vernünftig-besonnenes Denken schließt noch alles Unbewußte aus. Spekulativ und erkenntnistheoretisch mag er Kant folgen, für die Erkenntnis der Wirklichkeiten in Leben

I. Gustav Hugo.

3) Würdigung.

47

und Geschichte ist er noch reiner Nationalist, in der geschichtlichen

Entwicklung sieht er nur real greifbare Faktoren und individuelle

Gedankenprozesse, nicht die Wirkung eines von den Einzelpersönlich­ Auch hat er sich ja ausdrück­

keiten getrennt lebenden Volksgeistes.

lich gegen den schulmäßigen Abschluß der historischen Schule erklärt. Man wird ihn nicht gegen seinen Willen, der bequemen Übersichtlich­

keit halber, nun doch in diese Gruppe einschließen dürfen. Wenn man wohl Hugo kurzerhand als den Gründer

der

historischen Juristenschule in Deutschland bezeichnet hat, so hat man ihm damit ein doppeltes Unrecht angetan, mag sein sogar in der Absicht, ihn besonders hochzustellen und zu ehren. Man ist wohl dazu gekommen, indem man die spezifisch so zu heißende, von Savigny gegründete und mit bestimmten Lehrsätzen ausgestattete, persönlich und wissenschaftlich eng geschlossene „historische Schule"

verwechselt hat mit der geschichtlichen Auffassung von Recht und Rechtswissenschaft überhaupt, die das ganze 19. Jahrhundert durch­ zieht.

Infolgedessen hat man von Hugo durch jene Bezeichnung

zu viel und doch gleichzeitig zu wenig ausgesagt, Zu viel — denn bei Hugo finden sich noch keineswegs die Charakterzüge der histori­

schen Schule, weder insoweit sie etwa Fortschritte über Hugo hinaus

bedeuten, noch insoweit sie bedenkliche Einseitigkeiten darstellen mögen. Wenn man dies anerkennt, wird zugleich die Unklarheit überwunden, zu der die Bezeichnung Hugos als Gründers der historischen Schule weiter zu führen Pflegt, indem man dann nämlich diesem als dem

Gründer Savigny als das Haupt der Schule entgegensetzt, ohne recht zu bedenken, wie diese beiden Stellungen auseinanderfallen sollen, und wie es möglich sein sollte, daß ein Mann wie Hugo, wenn überhaupt Mitglied und gar Gründer einer Schule, nicht

auch ihr Haupt wäre. — Aber es ist auch anderseits zu wenig, was man von Hugo durch jene Formel aussagt. Nicht nur die historische Schule, die ganze historisch-empirische Methode und Richtung der Rechtswissenschaft, wie sie von zahlreichen Juristen, die nie An­ hänger der historischen Schule gewesen sind, geübt wurde und geübt wird, und wie sie uns Allen heutzutage selbstverständliche Voraus­ setzung geworden ist, sie muß in Hugo ihren ersten Vordermann

erkennen. Wenigstens ihren ersten juristischen Vordermann, insofern die Reihe von ihm unmittelbar auf Kant als auf ihr philosophisches Ankerglied zurückführt. Aber von Kant geht eben alle Wissen-

Dreizehntes Kapitel.

48

schaftlichkeit des 19. Jahrhunderts aus und Hugo hat diesen Quell der Kantischen Gedankenwelt durch eigene, tiefgreifende und selb­ ständige, methodologische und ausführende Arbeit der Rechtswissen­

schaft erschlossen und zugeführt. Darum kommt ihm in der Ge­ schichte der positiven Rechtswissenschaft die Stelle zu, die Kant in einer Geschichte der Wissenschaften anzuweisen wäre. Demgegenüber treten die Einzelverdienste Hugos in den Hinter­ grund, Verdienste, welche übrigens im Laufe der Darstellung bereits genügend hervorgehoben sein dürsten. Ebenso wie seine eigenartigen, im Alter überhandnehmenden Schwächen. Die bedauerlichste dieser

Schwächen ist ja wohl die des Stils, der, anfangs nicht ohne einen gewissen prickelnden Reiz, dann immer mehr verkümmert und ver­

wildert. Hinzukommt, daß wir von Hugo bloß Kompendien und einzelne Aufsätze besitzen, kein größeres, frei angelegtes Werk, das seine wissenschaftlichen Leistungen geschlossen der Nachwelt über­ liefert hätte. Auf stärkere literarische Wirkung und auf dauernden schriftstellerischen Nachruhm hat Hugo damit verzichtet. II. Hugo am nächsten unter den Zeitgenossen steht wohl eine Gruppe von gleichalterigen Nechtsgelchrten antiquarisch-historischer

Richtung. Dieselben unterscheiden sich einerseits von Hugo und von den Späteren dadurch, daß sie den Zusammenhang zwischen sich und der Vergangenheit keineswegs so scharf abschneiden wie jene. Sie sind Nachfolger der eleganten Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts, betrachten sich auch selbst als solche und halten deren Überlieferungen aufrecht.

deckt,

Sie lehnen die prinzipiellen Gegensätze, die Hugo auf­ die systematischen Neuerungen, die Hugo einführt,

sowie

durchweg ab. Selbst in Hugos Verwerfung des Naturrechts und jeder aprioristischen Rechtsbehandlung erblicken sie eine Einseitigkeit, obschon sie die der historischen Forschung günstigen Folgen gern hinnehmen. Wie ihre Vorgänger beschränken sie sich nicht streng

auf Romanistisches, sondern widmen sich daneben gerne noch der einen oder anderen germanistischen Aufgabe. So dürfen ihnen wohl einige andere, überwiegend oder rein germanistisch gerichtete Antiquitätenforscher derselben Zeit hier angeschlossen werden. Anderseits aber rücken manche Juristen dieser Gruppe Hugo nahe

durch den lebhaften Anteil, den sie ihm und seinen Bestrebungen entgegenbringen, und einige selbst durch den entsprechenden Geist

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

49

1) Haubold.

ihrer eigenen Forschung. Sie sind eifrig bemüht, wieder einen Zu­ sammenhang herzustellen zwischen ihren antiquarischen Studiengebieten

und der praktischen Jurisprudenz, der sich ihre eleganten Vorgänger

entfremdet hatten. Sie sind aber noch weit eifriger bemüht, jene ihre antiquarischen Studien selbst zu verjüngen, die in ihrer Schule herrschend gewordene Anschauung zu überwinden, als sei nach

Heineccius und Bach nichts wesentliches mehr zu leisten, als bleibe seitdem nur noch gelehrte Ausarbeitung von untergeordneten Einzel­

heiten übrig.

Aus dieser Anschauung war greisenhafte Verzagtheit

und pedantische Kleinigkeitskrämerei hervorgegangen, unter deren Bann der freie Geist klassischer Forschung erstickt war. Dieser Holländerei gegenüber greifen die Männer unserer Gruppe zurück

auf die großen französischen Juristen, auf Cujas und dessen Schule, und damit auf das Streben nach lebendiger Erfassung der Antike, um das römische Recht als Teil des römischen Lebens zu verstehen. Sie wenden sich mit objektiver Hingabe den Quellen zu, um die altbekannten philologisch zu behandeln und womöglich neue zu ent­ decken. Wenn sie in jenen ihren kritischen Bemühungen weniger erfolgreich gewesen sind, so rührt das wohl hauptsächlich daher, daß ihnen damals die Philologie selbst noch keine fest ausgebildete, exakt kritische Methode zu liefern imstande war. Noch lehrte diese nicht die Spreu der Handschriften und Ausgaben später Hand vom Weizen scheiden, auf die beste Überlieferung sich beschränken, die

Quellenvermengung und Kontamination

aus

unlauteren Wässern

peinlich meiden. Vielmehr strebte man immer noch der Fata Morgana nach, durch inhaltliche Würdigung der verschiedenen, auch der bedenklichsten Überlieferungen einen inhaltlich möglichst vollkommenen Text zusammenzusetzen, so daß Text- und Konjekturalkritik fort­ während ineinander übergehen. So mußte unendlich viele und un­ endlich peinliche Arbeit vergebens aufgewandt bleiben. Aber die Freude an dieser Arbeit, der Geist der Genauigkeit und Quellen­ mäßigkeit verbleiben doch stets als unleugbarer Gewinn. Diese Er­ rungenschaften sind unserer Gruppe mit Hugo gemeinsam; sie sind

es, die aufwärts führen im Gange der Entwicklung. 1. Der bedeutendste dieser Juristen ist Christian Gottlieb Haubolb.1) Er wurzelt am festesten in den früheren Verhältnissen, indem er sich als Leipziger Professor alten Schlages in Lebensführung,

Charakter und praktischer Spruchtätigkeit an die Bach, Hommel und Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschast. II. Text.

4

50

Dreizehntes Kapitel.

Püttmann anschließt.

Das bekundet er schon äußerlich durch das

wohlgepflegte elegante Latein, dessen er sich zu allen seinen romanistischen Schriften, namentlich zu akademischen Reden bedient hat.?) Er ist aber doch zugleich auch derjenige, der sich Hugo am frühesten

und am eifrigsten

angeschlossen

und am erfolgreichsten

in dieser

Richtung mitgearbeitet hat. Zu seinen späteren Lebzeiten hat man wohl von einem Triumvirat der neuen historisch-antiquarischen Juris­ prudenz gesprochen, indem man Haubold, Hugo und Savigny meinte. Vermögen wir ihm eine derartig leitende und hervorragende Stellung

auch nicht mehr anzuweisen, so dürfen seine Verdienste nicht umgekehrt deshalb allzusehr unterschätzt werden, weil er alle Mängel der philo­ logischen Methode seiner Zeit teilt. Eher dürfte zuzugeben sein, daß ihm der große Zug, die Fähigkeit zu weitführenden Gedanken­

verbindungen und zu freier historischer Konstruktion fehlt, kurz, diejenige Eigenschaft, durch die sich Hugos Jugend auszeichnet, und

durch die Savigny auf seine Zeit fortreißend gewirkt hat. Dagegen ist Haubold mehr der Mann der gediegenen Einzelarbeit. Er ist der stille, weltscheue, bescheidene, allen. Streit ängstlich fliehende Gelehrte, der nur für sich gern ungestört forschen möchte und nicht

einmal dazu kommt, da er mit Aktenarbeit überbürdet wird, im Ge­ gensatz zu Hugos selbstbewußter Kämpfernatur, die Programmsätze in die Welt hinausschleudert, jede andere Anschauung scharf angreift und sich für solche Tätigkeit durch Befreiung vom Spruchkollegium Muße zu schaffen versteht. So ist Hugo bewußt und planmäßig der Re­

formator der Jurisprudenz geworden; Haubold hat dazu mehr unter der Hand, durch Pflege des überlieferten Wissens, unter freudiger Emp­ fänglichkeit für jeden Fortschritt und Gewinn der Gegenwart mitgewirkt. Man hat Haubolds Genauigkeit im einzelnen wohl erklären wollen aus der Gewohnheit eines jugendlichen Lebensabschnittes

(1781—1783), während dessen er als Setzer in der Offizin seines Stiefvaters Saalbach tätig war. Dem mag auch seine Neigung für Literärhistorisches und Bibliographisches entsprechen. Innerhalb seiner Arbeitsweise aber war es keineswegs ein kleiner Kreis, in dem er

sich bewegte; vielmehr umfaßt er hier römisches und byzantinisches Recht einerseits, während er sich andererseits ausdehnte auf das ein­ heimische Recht seines engeren sächsischen Vaterlandes.

Diese Ab­ weichung von dem neuen Hugoschen Ideal zivilistischer Fachmäßigkeit

war übrigens schon bedingt durch die alte Leipziger Einrichtung des

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

1) Haubold.

51

Vorrückens in immer andersartige Professuren: 1789 außerordent­

licher Professor der Antiquitates iuris, ward Haubold so 1796 zum ordentlichen Professor (neuer Stiftung) des sächsischen Rechts befördert. Dieses hat er dann freilich gegen frühere Übung, trotz weiteren Auf­

stieges bis zur zweiten Professur alter Stiftung, zeitlebens beibehalten. Das Leipziger Ordinariat blieb ihm verschlossen durch das Überleben

des alten, ihm keineswegs wohlgesinnten Christian Gottlob Biener; so vermißt man ihn ungerne in der Kette der großen Leipziger Or­ dinarien. Erst lange nach seinem Tode, in den 40 er Jahren, zur Zeit Karl Friedrich Günthers, der' dem alten Biener im Ordi­

nariate (1828—1862),

unserm Haubold

in

der Bearbeitung des

heimischen Rechts sich anschließt, wurde durch Umwandlung der alten Fakultätsverfassung auch offiziell in Leipzig der Verbleib eines jeden Professors bei seinem Fache als Regel anerkannt. Haubolds Leistungen liegen, wie nach dem Bemerkten leicht verständlich, zum guten Teile in der Menge seiner kleinen akademischen

Schriften und Reden 3), wozu sich die in Zeitschriften veröffentlichten Aufsätze ^) gesellen. Dazu gehören antiquarische Arbeiten von großer Gelehrsamkeit, aber ganz im alten Stile, wie die beiden Abhandlungen de consistorio principum von 1788 und 1789;

aber

auch eine

Reihe von Untersuchungen zur inneren Rechtsgeschichte des römischen und des sächsischen Rechts, wie die Dissertationen de emendatione

iurisprudentiae ab Imp. Valentiniano III instituta von 1796 oder de origine atque fatis usucapionis rerum mobilium Saxonicae

von 1797; ferner natürlich dogmatische Einzelheiten aus dem römi­ schen Recht, in großer Anzahl und in der üblichen Weise behandelt. Literärhistorische Studien sind veröffentlicht als Beiträge zu Hugos „Magazin": „Über die Versuche, das prätorische Edikt herzustellen.

Ein Beitrag zur zivilistischen Literärgeschichte" in Band 2 Heft 3 von 1796; und: „12 ungedruckte Briefe von Peter Burmann, David

Ruhnken, W. O. Reitz uff. an Joh. Dan. Ritter" in Band 5 Heft 3 von 1817. Davon bietet ersterer manche scharfe Kritik, durch die der Atem einer neuen Zeit weht, so daß er sich nicht unwürdig an seiner Stelle Hugos ersten Aufsätzen anschließt. Letzterer bringt

interessantes Material, das im vorigen Bande dieser Geschichte mehr­ fach benutzt werden konnte. Einen „Beitrag zur Literargeschichte des Novellen-Auszuges von Julian" lieferte sodann Haubold zu Savignys Zeitschrift für geschichtl. RW. 4, 133 f. von 1819. 4»

Den

Dreizehntes Kapitel.

52

Abschluß dieser kleinen Schriften endlich bildete, als die Geschichte

des römischen Rechts im Mittelalter zum Gegenstände

allgemeinen

Interesses geworden war, eine Ausgabe von Rogerii »Dissensiones

Dominorum« (Leipzig 1821) und ein Programm: »Praetermissorum inprimis ad Breviarium Alaricianum pertinentium Promulsio I« von 1822, worin Hänelsche Reise- und Studienergebnisse

mitgeteilt und verwertet sind. Welche ununterbrochen fortschreitende Reihe der Entwicklung

in diesen kleinen Schriften, von den

ersten

lediglich

elegant

anti­

quarischen zu den letzten, die sich den Leistungen der historischen Schule nähern! Wie zeigt sich dieser Fortschritt in der Mitarbeit bei den Zeitschriften von Hugo und Savigny!

Den entscheidenden

Wendepunkt bildet aber auch hier, wie für die ganze Romanistik der

Folgezeit, der Fund des echten Gaius nebst den weiteren, Maischen

Entdeckungen.

An dem Funde des echten Gaius ist Haubold be­

kanntlich mitbeteiligt durch ein merkwürdiges, für die Regsamkeit der Zeit bezeichnendes Zusammentreffen. „Bei allen Entdeckungen ein Präkursor Johannes", so hat ihn deshalb und wegen der Wieder­ holung ähnlicher Fälle sein Freund und Bewunderer A. W.

Im dritten Bande des Nouveau traitä diplomatique der Benediktiner hatte er nämlich °) eine Stelle de in terCramer geheißen^).

dictis gefunden, welche von den Benediktinern aus Scipio Maffeis Istoria teologica entlehnt war.

Maffei seinerseits

gab an,

diese

Stelle aus einer alten verstümmelten Handschrift der Kapitular-

bibliothek zu Verona abgeschrieben zu haben. Haubold nun bemerkte, daß die Stelle bisher den Juristen unbekannt geblieben sei, und fühlte ferner sofort heraus, daß sie aus einem größeren Werke eines

römischen Juristen herrühren müsse. Er war deshalb eben im Begriffe, eine Veröffentlichung darüber vorzubereiten, die

klassischen

auf jenes Manuskript zu Verona die Aufmerksamkeit lenken sollte —

als er den Brief von Savigny erhielt, worin ihm dieser die große

Neuigkeit

erzählte,

starken Werkes eines

wie Niebuhr zu Verona

die Handschrift eines

klassischen römischen Juristen

gefunden habe.

Haubold konnte diese Notiz noch eben zu Ende des geplanten, bereits großenteils gedruckten Programmes beifügen.

An dem allgemeinen

Jubel und an der allgemeinen Zusammenarbeit behufs Hebung dieses Schatzes, der sich bekanntlich alsbald als der echte Gaius heraus­ stellte, hat Haubold dann sein redlich Teil genommen; lag ihm dies

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

1) Haubold

53

doch um so näher, als er vorher bereits zweimal den westgotischen Gaius herausgegeben hattet,

das

erste Mal allein für sich zum

Zwecke akademischer Schulübungen etwa so, wie Hugo seinen Ulpian ediert hatte; sodann in Hugos Ius civile antejustinianeum. Den

Wert des neuen Besitztums versuchte schließlich Haubold einem größeren

Kreise vorzuführen durch die akademische Rede »Quantum fructum ceperit iurisprudentia Romana et Universa antiquitatis cognitio e recens inventis Gaji institutionibus genuinis«, gehalten am

30. Oktober 1821,

wohl das inhaltreichste dieser sonst mehr for­

malistischen Prunkstücke akademischer Eloquenz. Anderweitige Beiträge Haubolds zur römischen Rechtskunde sind

aus den Bedürfnissen seines akademischen Unterrichts hervorgewachsen. Anfangs erteilte er diesen ganz nach Überlieferung, indem er Bach für die Rechtsgeschichte, Heineccius für die Altertümer, Hellfeld für

die Pandekten folgte. Daher seine synoptischen Tafeln zu Bach, die 1790 erschienen sind 8). Daher wohl auch seine mit philo­ logischer Strenge von Zusätzen Späterer gesäuberte Ausgabe des Heineccius, 18229); daher endlich seine »Doctrinae Pandectarum monogrammata«, die sich Heüfeld in der Reihenfolge anschließend und

nur

einen Vorlesungsgrundriß

liefern.

Zu

diesen

üblichen

Kollegien traten jedoch alsbald Jnterpretationsübungen hinzu, wie Hugo sie hielt; und aus den 1796 erschienenen »Praecognita iuris romani privat! novissimi« geht hervor, daß nun ihr Verfasser

weit genug gelangt war, um selbständig seine Wege zu gehen. In dieser Schrift, die seinen Beitrag zu den mannigfachen Methodologien ihrer Zeit darstellt, entwickelt Haubold das Unterrichtsverfahren,

welches ihm als das wünschenswerteste erscheint, dahin: Es seien zwei Vorlesungen über römisches Recht zu halten, eine einfach und elementar, eine zweite, die alles gründlich darlegt und dabei namentlich die praktische Anwendbarkeit berücksichtigen soll. Die erstere möge etwa Institutionen, die andere Pandekten genannt werden. In beiden Vorlesungen sei ausschließlich reines römisches und zwar justinianisches Privatrecht unter steter Bezugnahme auf die

Quellen und in vollem Umfange zu lehren, nach einem frei zu bil­ denden, womöglich für beide Vorlesungen gleich bleibenden System. Getrennt davon sei Geschichte des vorjustinianischen Privatrechts und des öffentlichen römischen Rechts vorzutragen, wofür Haubold die synchronistische Methode Hugos entschieden verwirft und vielmehr

54

Dreizehntes Kapitel.

festhält an dem Verfahren, für jede Materie den ganzen geschicht­ lichen Verlauf in sich geschlossen darzustellen. Das hat ihn später (seit 1809)11) sogar dazu zurückgeführt, die Vorlesungen über Rechts­ geschichte und über Institutionen zu verbinden, um so in der inneren

Rechtsgeschichte an das Ende der geschichtlichen Darstellung einer jeden Lehre unmittelbar den justinianischen Rechtszustand anschließen zu können. Dadurch tritt eine vorbereitende Vorlesung „Institutionen und Rechtsgeschichte", in der das Historische vorherrscht, der dogma­

tischen Pandektenvorlesung gegenüber; innerhalb der ersteren aber wird zur Hauptunterscheidung die zwischen äußerer und innerer Rechtsgeschichte.

Bekanntlich hat diese Behandlungsweise dann auch

bei Savigny und bei seiner Schule'3) sowie weiterhin bei uns viele

Freunde gefunden, allenfalls unter Annahme der synchronistischen Methode für die weniger bedeutsame äußere, d. h. Quellengeschichte. Auf die systematische Reihenfolge der Unterabschnitte legt Haubold bei beiden Vorlesungen geringeren Wert, er verlangt da nur Klarheit und Natürlichkeit ohne tiefer greifende Ansprüche. Diesen Vorlesungen entsprechen die Grundrisse zu Institutionen,

Rechtsgeschichte und Pandekten, die Haubold von da ab wiederholt herausgegeben Ijot13). Nicht als ob ihm solche Grundrisse eigentlich

genügt hätten, da er vielmehr weit lieber ausgeführte Lehrbücher gegeben hätte; aber bei seiner Überlastung mit Aktenarbeit einerseits,

bei seiner peinlichen Genauigkeit im einzelnen andererseits ist er dazu, trotz mehrerer Anläufe, nie gekommen. Wo eines solcher Bücher äußerlich den Umfang des Grundrisses übersteigt, rührt das tatsäch­

lich nur her von den massenhaft beigegebenen Literaturnachweisen oder auch vom Abdrucke der Quellenstellen, die als Chrestomathie dem Fachwerk des Grundrisses eingefügt sind. Außerdem enthält die Epitome zu den historisch-dogmatischen Institutionen von 1821,

die sich selbst als Novae editionis prodromus bezeichnet, nach dem Plane eines ganz neuen Systems im Anhänge eine Restitution der

zwölf Tafeln, des prätorischen und des ädilitischen Edikts"). Wenden wir uns nunmehr Haubolds umfassenderen literärgeschichtlichen Werken zu, so stehen in erster Linie die Institutiones iuris romani literariae, Leipzig 1809 erschienenes, besonders durch ihren biographischen Teil. Er stellt in allerdings ziemlich willkür­

licher Auswahl eine Reihe von Juristen zusammen, und zwar fast

nur solche, die auf dem Gebiete der eleganten Jurisprudenz etwas

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

geleistet haben.

55

1) Haubold.

Auf Grund dieser Leistungen werden sie aber in

feinsinnigster und bei aller Knappheit eindringlichster Weise gewürdigt. Hinzukommt die seltene Genauigkeit und Vollständigkeit der biblio­ graphischen Angaben, so daß das Ganze besonderen, bleibenden Wert

hat.

Das gilt ja wohl kaum in demselben Maße von dem »Manuale

Basilicorum« (Leipzig 1819), einer bloßen, aber genauen und wohl­

geordneten Sammlung von Verweisungen, ohne die Grundlage be­ sonderer handschriftlicher oder sonstiger kritischer Forschungen.

Da­

gegen kommt diesem Werke das Verdienst zu, die Benutzung byzan­ tinischer Quellen für die Auslegung der justinianischen Rechtsbücher

frisch angeregt und dafür nicht unwesentlich erhöhte Bequemlichkeit geboten zu haben. Haubold wurde zu dieser Arbeit geführt haupt­ sächlich durch sein Bestreben, an die Zeit der großen Franzosen

wieder anzuknüpfen, und hat auch dadurch zur Wiederbelebung echt humanistischen Wissens und Sinnes bei den Juristen des 19. Jahr­

hunderts zweifellos beigelragen. Von zahlreichen Sammlungen, die Haubold sich zu Werken ähn­ licher Richtung angelegt hatte, sind aus seinem Nachlasse78) noch verwertet worden diejenigen, die sich bemühen, Stellen aus antiken Inschriften und aus antiken, aber nicht juristischen Schriften, soweit sie der Erläuterung des römischen Rechts dienen können, in mög­ lichster Vollständigkeit zusammenzutragen. Ernst Spangenberg hat dieses Material gesichtet und mit den ergänzenden Noten Haubolds zum Drucke befördert (Berlin 1830)17). Dabei ist besonders verdienst­ lich die Blütenlese aus allen möglichen, selbst den entlegensten Schrift­ stellern. Eine kritische Leistung war wiederum gar nicht beabsichtigt; und was das inschriftliche Material betrifft, so ist dasselbe ja be­

kanntlich gerade erst seitdem stark vermehrt und wissenschaftlich ver­ arbeitet worden. Immerhin ist auch dieses Werk ein Zeichen des mächtigen Strebens, das diese Epoche erfüllt. Es ist für den da­ maligen Zustand der philologisch-juristischen Kenntnisse das, was ein Menschenalter später von dem Standpunkt seiner Zeit aus Bruns in seiner bekannten Sammlung geleistet hat. Die reifste Frucht des Hauboldschen Fleißes aber ist überhaupt nicht auf zivilistischem Gebiete,

sondern auf dem

des

heimischen

Rechts gezeitigt. Hier besitzen wir von ihm ein ganz ausgearbeitetes Lehrbuch, das des königlich sächsischen Privatrechts, erschienen Leip­

zig 182018).

Die hohe wissenschaftliche Bedeutung beruht darauf,

56

Dreizehntes Kapitel.

daß damit zum ersten Male,

wennschon ohne hochklingende pro­

grammatische Ankündigung, einfach und tatsächlich die soeben erst auf

auf ein deutsches Partikularrecht übertragen ist; und zwar auf ein solches, romanistischem Gebiete aufgekommene historische Methode

das sich für die Anwendung dieser Methode besonders dankbar er­ weisen mußte, da es nicht auf einer abgeschlossenen Kodifikation, sondern auf eigenartig organischem Jneinandergreifen

von

altem

Sachsenrecht, gemeinem Recht, zahlreichen Einzelerlassen der Landes­ gesetzgebung und Gerichtsgebrauch beruhte. Auf der vielfach bis zu den Akten selbst zurückgreifenden Arbeit, die Haubold aufgeboten

hat, um diese Wirrnis zu entwirren, und namentlich die Geschichte und Geltung der berühmten kursächsischen Konstitutionen und Dezi­ sionen festzustellen, ist sein Lehrbuch fest begründet. Es bietet bis

heute die zuverlässigsten Angaben und verwertet sie selbständig. Hinzukommt, daß es einerseits den germanistischen Einrichtungen gerne und unbefangen gerecht wird, andererseits durch fortlaufende Heranziehung des gemeinen Rechts wissenschaftliche Gediegenheit erzielt. Auch das System") ist bemerkenswert, das an eine Lieb­ lingsidee des alten Thomasius anklingt, unmittelbar aber im An­

schlüsse an Weißes „Einleitung in das deutsche Privatrecht" (Leipzig 1817) und an einen dort gegebenen Grundriß aufgebaut ist. In allen diesen Punkten erweist sich Haubold als Vorläufer der späteren wissenschaftlichen Bearbeitung deutscher Partikularrechte, wie sie erst mit Wächters Württembergischem Privatrecht, für das ja ähnliche Quellenverhältnisse vorlagen, wieder einsetzt, vgl. unten Kap. 18, II, 2. 2. Andreas Wilhelm Cramer^) ist Zeitgenosse Haubolds, dessen Studiengenosse er unter Sammet gewesen ist. Er kam dann nach Kiel, wo Reitemeier, Thibaut und Feuerbach zeitweilig neben ihm wirkten, Cramer aber seine gesamte akademische Tätigkeit

entfaltet hat, auf juristischem sowie auf philologischem^) Gebiete. So ist er denn weit ausschließlicher noch als Haubold Anhänger

der antiquarisch-philologischen Richtung in der Rechtswissenschaft, deren dogmatische Seite er nur ganz vereinzelt und in unter­ geordneter Weise betrieben hat^). Der Pflege^) des vaterländischen Rechts steht er fast ganz fremd gegenüber. Aber auch innerhalb seiner eigensten Provinz, der zivilistischen Quellenforschung und Kritik, erkennt er gerne Haubold als den Überlegenen an, wie denn tat­ sächlich bei aller Begabung und Gelehrsamkeit, trotz vielfach treffen-

II. Anti,iiiarisch-historischc Gruppe.

2) Cramer.

57

der Einzelbeobachtung die Summe von Cramers Leistungen an die von Haubold nicht heranreicht. Das mag daher rühren, weil

Cramer selbst in einer Weise, die dem ruhigen Wesen des anderen ganz fremd ist, von Zweifeln über die Ersprießlichkeit seiner Richtung vielfach geplagt und gehemmt toarb24). Der Empfindung, daß er praktisch nutzlos totes Material häufe, konnte er dann nur Herr werden, indem er sich als durch seine eigene Freude an der ge­

lehrten Arbeit genügend belohnt auffaßte — eine Auffassung, die der schriftstellerischen Ausarbeitung wenig günstig ist. So verbohrte Cramer sich immer nur mehr in einzelne Liebhabereien; während er sich dafür auf das Beispiel eines Cujas und anderer Humanisten

berief, äußerte er gegen die späteren eleganten Juristen nicht ungerne einen gewissen Unwillen, als gegen Nachtreter, die die Verdienste ihrer Vorgänger nur verdunkelt hätten. Überhaupt ist Cramer eine Erscheinung von ausgeprägter Eigen­

tümlichkeit, fast ein Sonderling.

Nicht ohne phantastischen Sinn

vom Vater her und doch der trockensten Buchstabenforschung aus Vorliebe hingegeben; unbefriedigt von den bisherigen Methoden und Zuständen und doch nicht imstande, sich entschieden der Re­

form anzuschließen; sich wohl bewußt der Kleinlichkeit eines gewissen akademischen Betriebes und doch dieser kleinlichen Mittel bedürftig, um sich den nötigen „Beifall" zu sichern: so greift er behufs Über­ windung aller dieser Gegensätze und Unfertigkeiten zum Mittel der Ironie, womit sich wohl auch das Mittel innerer „Anfeuchtung"

verbindet. Sein Wesen schillert unklar zwischen Stimmungen aus der Zeit Klopstocks, dem sein Vater nahe gestanden hatte, und der Romantiker, vor denen er seine Kinder meint warnen zu müssen25). Daneben die Äußerlichkeiten: Behaglich und anschaulich schildert er

es später, wie er seinen „Hans" zur Ferienreise vor sein Wäglein zu schirren pflegte, wie er dann in die Welt hinausfuhr, selbst kut­ schierend, neben sich

die treue Ehegenossin, und wie er so von

Universität zu Universität, von Bibliothek zu Bibliothek gezogen ist, kreuz und quer durch ganz Deutschland, an Rhein und Mosel, bis nach Bern, München nnd Wien, stets auf der Suche nach Menschen und nach Handschriften, die er hätte kennen lernen mögen und doch kaum getroffen wieder verlassen mußte. So legt er bisweilen die Hand auf einzelnes, das er als brauchbar erkennt, kommt aber nur

selten dazu, es auszunutzen.

Bisweilen auch greift er daneben, wie

Dreizehntes Kapitel.

58

ihm das zu Cues widerfahren ist in des weinberühmten Hospitals alter Bücherei, der Hinterlassenschaft des großen Nikolaus Cusanus.

Stets aber ist er angeregt und guter Dinge, eine wohl etwas derbe und unausgeglichene Natur, aber aus dem vollen geschnitzt und der

eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit eigentlich überlegen. Bei solchen Männern kommt es häufig mehr auf einzelne Winke, Ideen und Funde an als auf größere Werke.

So ist Cramer wohl

am bekanntesten geworden durch seine diplomatische Erklärung22) des üblichen Zeichens >fi« für die Digesten aus einem in die Länge ge­ zogenen und verschlungenen, dann mißverstandenen D. Wissenschaftlich bedeutsamer sind seine Anschauungen darüber, ob unser Pandekten­ text ausschließlich auf die Florentina zurückgeht, was ihm mindestens zweifelhaft erscheint, und über die Entstehung der bononiensischen Vulgata, wofür sich ihm dann Savigny anschloß27). Ferner die

Bemerkungen über die Geschichte der Novellen22) und die (wechseln­ den) Anschauungen über Natur und Alter des Brachylogus iuris civilis, die dann von Bücking noch der Beachtung wert gefunden

worden

sind22).

Aber auch

der Epitome Exactis regibus tut

Cramer bereits Erwähnung, und angelegentlich empfiehlt er, endlich ein Corpus Inscriptionum herzustellen, denn „nichts wäre ver­

dienstlicher, um des ewigen Nachschlagens überhoben zu sein, und keine Akademie der Wissenschaften könnte sich größeres Verdienst machen als dadurch22)." wähnen Cramers Notiz

In demselben Sinne ist etwa noch zu er­ über ein wiederentdecktes Fragment des

Pomponius27); auch ist es Cramer, der die beiden fingierten Kaiser­ gesetze aufgefunden und abgeschrieben hat, die dann merkwürdiger­

weise die Bezeichnung als „Klenzesche Konstitutionen" daher emp­ fangen haben, daß Klenze ein über sie an ihn gerichtetes Send­ schreiben Cramers, sowie nach Cramers Tode dessen Apograph in

der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft veröffentlicht hat. Von Klenze stammt bei alledem sachlich nur die Herstellung eines bequemer lesbaren Textes, und er selbst hat dabei kein weiteres Verdienst in Anspruch genommen22).

Am meisten planmäßige Ausdauer verwandte Cramer auf Vor­

studien zu

einer Pandektenausgabe und auf Sammlung von Er­

gänzungen zu des Brissonius Juristischem Lexikon. In bezug auf jene Ausgabe kam es ihm hauptsächlich darauf an, die zu beobachtenden Prinzipien festzustellen22).

Als Fortschritt

11. Antiquarisch-Historische Gruppe.

59

3) Schrader.

dabei mag es erscheinen, daß er vorschlug, den ganzen Ballast von

Lesarten und Schriftsteller-Zitaten für sich zu geben, um die Text­ ausgabe davon zu entlasten; als Versuch eines Beispiels hierfür erschien, zugleich Vorlesungszwecken zu dienen bestimmt, der Titel de Verborum Significatione,

Kiel 1811, mit gründlicher Vorrede.

Sonst findet sich da in den prinzipiellen Forderungen wie in der tatsächlichen Ausführung nur der alte Standpunkt möglichst massen­ hafter Anhäufung aller eben zugänglichen Handschriften und Drucke

von verschiedenstem Wert

und Alter festgehalten.

Und zwar trotz

der eben hier angestellten feinsinnigen Untersuchung über deren Wert, deren Ergebnis schon oben mitgeteilt wurde; es macht sich eben die Herrschaft

der alten

philologischen

Methode

noch

unbeschränkt

geltend. Bei der Sammlung von Nachträgen zu Brissonius vertrat Cramer die offenbar richtige Auffassung, es handle sich darum, mög­ lichst reiches Auslegungsmaterial zu gewinnen, auch für die byzan­ tinische Zeit. Es seien deshalb nicht nur, wie darauf Brisson sich im wesentlichen beschränkt hatte, die Autoren besserer Latinität bis

etwa auf Konstantin zu berücksichtigen, sondern auch die des spätesten, tiefsten Verfalles. So war hier allerdings noch reiche Ausbeute zu gewinnen. Leider ist nur Cramer mit der Herausgabe seiner Samm­ lung nicht über ein Spezimen hinausgediehen, das nicht über die Anfänge des A hinausreicht; und ein Gelehrter, der dieses Werk weiter

geführt hätte, hat sich seither nicht gefunden^). 3. Mit Eduard Schrader^), der 1801 bis 1804 in Göttingen

studiert hat, gelangen wir zu einem der wenigen persönlichen Schüler Hugos. Schulgemäß und quellentreu behandeln seine ersten Aufsätze^) zivilistische Einzelheiten. Bereits aber tritt in ihnen ein StudienObjekt hervor, das Schrader immer mehr zum ausschließlichen Gegen­ stände der Beschäftigung werden sollte, um bald den Fleiß eines

langen Lebens sich ganz anzueignen,

ohne daß doch entsprechender

Gewinn für die Wissenschaft daraus erwachsen wäre. Es handelt sich um eine kritische Ausgabe des Corpus iuris civilis. Zwar zunächst nur den Plan zu einer Handausgabe entwickelt Schrader in der ersten Serie jener Aufsätze ^), aber doch bereits mit so vielen nnd so uferlosen Ansprüchen in bezug aufzu verwertendes Material, daß man ordentlich hier schon kommen sieht, wie das ausgehen muß. Schlimme Ahnungen findet man bestätigt, wenn man bemerkt,

wie

alsbald dieser Plan einer kleinen, zweckdienlichen Ausgabe verschwindet

60

Dreizehntes Kapitel.

und wie an ihre Stelle tritt das Streben nach endgültiger Gestaltung, zu der alle überhaupt erreichbaren Handschriften, Drucke und lite­ rarischen Hilfsmittel unterschiedslos herangezogen werden sollen.

Nicht einmal die Idee von Cramer, den Text von der Material­ mitteilung zu sondern, findet Billigung. Sondern es soll die ganze Masse zusammengearbeitet werden. Es ist wohl der lveitestgehende unter den vielen Jrrplänen, die damals durch Übereifer und schiefe

philologische Auffassung auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft ge­ zeitigt worden sind; Schrader aber hat sich darin immer nur mehr

verbohrt, je tiefer er in das Labyrinth hineingeriet.

Im Jahre 1818 verband er sich zur Bewältigung dieser Arbeit mit dem Philologen G- L. Tafel38) und mit dem juristischen Privat­ dozenten Clossius38),

demselben,

der sich

auch

selbständig

durch

mannigfache ähnliche Arbeiten bewährt und namentlich bedeutende Stücke des Theodosischen Kodex in der Ambrosiana (1820) entdeckt hat. Von da ab beginnt ein unendlich weitschichtiger Briefwechsel

nach allen Weltgegenden, um die nötigen Angaben zusammenzubringen. Stichproben zur Vergleichung aus den verschiedenen Teilen des Rechts­ buches werden festgestellt, Fragebogen versandt, Tabellen entworfen, bedeutende Kosten aufgewendet, um nur ja keine der nach neuerer Ansicht ganz wertlosen spätesten und entferntesten Rezensionen, Glossen und Bearbeitungen unausgebeutet zu lassen. Eine vorläufige Aus­ gabe von zwei Digestentiteln (12,5 und 22,5) erschien 1819, bearbeitet nach 16 Handschriften, mit ausführlichem Vorwort. Einen Verleger für das Ganze, das nun Corpus iuris Tubingense geheißen werden soll, zu finden, gelang etwa gleichzeitig. Die Reisen, die Clossius

1819 und 1820 durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Italien unternahm, waren wesentlich zur Förderung dieses Unter­ nehmens bestimmt. 1823 legten die drei Arbeitsgenossen dem Pub­ likum eine Übersicht über den Plan des Ganzen und über die

Materialien vor, die sie bisher bloß für die Institutionen — allein dafür etwa 50 Handschriften, ohne die gleichfalls berücksichtigten Drucke — gesammelt hatten, in einem »Prodrom us corporis iur. civ. edendi«, dem außerdem einige Proben der Ausgabe selbst beigegeben sind.

Dann kam es wenigstens zu dieser Jnstitutionenausgabe ganz im Jahre 183240); sie bildet einen mächtigen Quartband, von dem man wohl alles Rühmliche beigebracht hat,

wenn man ihn (mit Bruns)

als „ein Muster deutschen Fleißes und deutscher Gründlichkeit" be-

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

zeichnet.

Namentlich

die

3) Schrader.

auslegenden Noten werden

61 vielfach

als

Fundgrube gerühmt. Nachdem man aber so weit gelangt war, verloren sich die Mit­ arbeiter. Schon vorher (1824) war Clossius nach Dorpat berufen worden, von wo aus er nun nicht ohne Ausbeute das Schleppnetz seiner kritisch forschenden Tätigkeit über Rußland auswarf, den

Tübinger Verhältnissen aber sich entfremdete.

An seine Stelle war

ein ganz junger Mann, der kaum seine Studienzeit hinter sich hatte, Christian Johann 2Raier41), getreten, von dem später nichts mehr verlautet. Auch Tafel zog sich nun, da es an die Hauptarbeit eigentlich erst ging, zurück. Schrader blieb allein, aber unverdrossen

am Werk. Zu dem Jubiläum Hugos, das überall an deutschen Hochschulen festlich begangen wurde, 1837, ließ er vier Paragraphen aus der berühmten lex 2 des Pandektentitels de origine iuris er­ scheinen. Nach außen wurde es dann wieder still. Schrader blieb

am Werk, Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Notizen, Va­ rianten, Auszüge, Tabellen häufend. Die Wissenschaft schritt fort, andere Gesichtspunkte und Methoden traten in den Vordergrund, neue brauchbare Ausgaben des Corpus iur. civ. waren längst er­ schienen, darunter namentlich die weitverbreitete der beiden tüchtigen philologischen Juristen, der aus Gottfried Hermanns und Haubolds Schule hervorgegangenen Gebrüder Kriegel4?); Schrader blieb un­ verzagt am Werke. Wenige Wochen vor seinem Tode gelangte er zum Ende des 14. Titels des zweiten Buches der Pandekten. Daß

die inzwischen in andere Hände übergegangene Verlagsfirma, an die er sich nunmehr mit dem Ersuchen wandte, das Fertige einstweilen zu drucken, sich dessen weigerte, war nur zu selbstverständlich. Diese

Ablehnung und das fast gleichzeitige Ende Schraders bilden den Ab­ schluß dieses Dramas. Nun liegen die Schraderschen Papiere in endlosen Faszikeln auf der Tübinger Universitätsbibliothek, ein trau­ riges Monument ausdauernden und rastlosen, aber irregeleiteten Gelehrtenfleißes. Ganz fruchtlos ist er denn aber doch nicht ge­ blieben: wenigstens hat die Durchsicht der Schraderschen Papiere später Mommsen dazu gedient, einige wenige beste Vulgata-Hand­ schriften für seine Zwecke auszuwählen.

Demgemäß fällt das Hauptgewicht für Schraders Bedeutung auf seine persönliche akademische Tätigkeit in Tübingen. Er ist da

als der erste Vertreter der neuen Richtung erschienen und hat ihr

62

Dreizehntes Kapitel.

dort eine Heimstätte bereitet.

Männer wie Wächter und R. v. Mohl

sind aus dieser seiner Schule hervorgegangen. So hat sich, wenn auch nicht seine literarische Arbeit, so doch der Geist als fruchtbar erwiesen, aus dem hervor Schrader sich ihr gewidmet hat.

Wesentlich in diesem Zusammenhang ist es, daß Schrader von

den Gelehrten dieser Gruppe wohl am stärksten über die ursprüng­ liche Hugosche Schulung hinaus sich dem Einflüsse Savignys zu­

gänglich erwies. Und zwar gerade denjenigen Auffassungen Savignys, die der historischen Schule eigentümlich sind, den historisch-romantischen über Entstehung und Fortbildung des Rechts aus dem Volksbewußt­

sein im Gegensatze zur Gesetzgebung.

Auf diesem Boden erwuchs

Schraders Aufsatz: „Die prätorischen Edikte der Römer auf unsere Verhältnisse übertragen, ein Hauptmittel, unser Recht allmählich gut und volksmäßig zu bilden."

Freilich liefert gerade dieser Vorschlag,

so ernst und nachdrücklich er gemeint und ausgeführt ist, doch wieder wohl tatsächlich nur den Beweis für seines Urhebers rettungslos unpraktische Art. Diese eigenartige Verbindung feinen geschichtlichen

Verständnisses für die Vergangenheit mit völligem Mangel von Ver­ ständnis für die Gegenwart, ihre Möglichkeiten und Bedürfnisse, ist

aber Schrader mit manchen anderen Gelehrten der Savignyschen Schule gemeinsam. 4. Die entgegengesetzte Stellung zu der geschichtlichen Schulbildung wird eingenommen von Karl Friedrich Christian $8end43),

einem Schüler Haubolds. Zwar ein erster Überblick über Wencks literarische Tätigkeit scheint eine solche literarische Stellungnahme nicht bei ihm zu bestätigen. Denn da findet sich zuerst eine ziemlich farblose Enzyklopädie und Methodologie, Leipzig 1810, die den verschiedensten Richtungen, Kant und Fichte, Hugo und Thibaut, Eichhorn und Klüber gleichzeitig ge­ recht werden will. Sodann treffen wir neben Arbeiten aus der ele­ ganten Jurisprudenz44) in Haubolds erster Art und neben Abhand­

lungen über die Quellen des sächsischen Rechts43), die gleichfalls auf Haubold zurückverweisen, sowie endlich neben erfreulichen Bemühungen

um die vorjustinianischen Rechtsquellen46), wie sie der ganzen neueren

Strömung gemeinsam sind, zwei Schriften, die aufs engste sich an

Savignys Arbeitsstoffe anschließen: eine Abhandlung de traditione Inter possessionis et proprietatis transferendae modum fluctuante

von 1809, und das Buch über Magister Vacarius, Leipzig 182047).

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

4) Wenck.

63

Namentlich dieses letztere zeichnet sich durch gründliche Forschung und

durch brauchbare Ergebnisse aus.

Es hat seines Verfassers Namen

bekannt gemacht und erhalten; besonders beleuchtete es wohl zum erstenmal die Zusammenhänge zwischen der kontinental-romanistischen und der englischen Rechtsentwicklung, und bot Savigny eine der wenigen zuverlässigen Vorarbeiten für seine Rechtsgeschichte des Mittel­ alters, wie er selbst dort anerkennend hervorhebt"). Dagegen ist Savignys Urteil über Wencks Besitzstudie etwas herbe ausgefallen"); und da andererseits Wenck nicht eben seines

Lehrers Haubold friedliche Natur überkommen zu haben scheint88), so dürfte hier vielleicht der Anlaß dafür zu suchen sein, daß Wencks Äußerungen gegen die Herrschaft der historischen Schulprinzipien

wiederum etwas scharf klingen.

Diese Äußerungen84), wie sie be­

sonders in mehreren seiner akademischen Reden vorliegen, sind übrigens weder unberechtigt noch maßlos, ja man wird von ihnen annehmen

dürfen, daß sie der Stimmung dieses ganzen antiquarisch-philologischen Kreises um Haubold ziemlich getreuen Ausdruck verleihen. Sie be­ klagen namentlich, daß man über der historischen Betrachtung sich jetzt von der philosophischen ganz abgewandt habe und wollen insofern selbst dem älteren Naturrechte noch seine Brauchbarkeit wahren. Sie heben ferner hervor, wie solche bloß geschichtliche Auffassung auf staats- und kirchenrechtlichem Gebiete leicht zu reaktionären Bildungen

hinüberführe, wobei sie namentlich gegen v. Hallers Theoreme sich wenden. Sie lassen sich endlich trotz aller Ausführungen Savignys

nicht irre machen darin, „daß klare und jedermann verständliche Ge­ setze den Vorschriften vorzuziehen sind, die nur die Gelehrten aus den verschiedensten Quellen zusammensuchen können, daß etwas Voll­ endetes nnter Menschen nicht zustandekommt, aber ein unvollkommener Zustand immer besser ist als ein ganz schlechter." Deshalb sei der

„chaotische Zustand unserer Rechtsquellen, so interessante Aufgaben er der Wissenschaft darbietet,.... dennoch für den praktischen Gebrauch ein unerträgliches Übel. Was man gegen neue Gesetzbücher gesagt hat,

mag vom Standpunkte des Katheders sich verteidigen lassen, aus dem höheren staatswissenschaftlichen Gesichtspunkte ist es irrig und einseitig." Alle diese Bedenken gegen die neueste Schule vereinigen sich endlich zu dem Vorwurfe, sie treibe einem gewissen Mystizismus

zu, gegen den vorzugehen Wenck vor allem für unbedingt erforder­ lich erachtet.

64

Dreizehntes Kapitel.

5. Während so bereits bei den ersten Schülern von Hugo und Haubold die Gegensätze sich zu regen beginnen, zu deren Verstärkung später die Schulbildung treiben sollte, geht Ernst Spangenberg^) gleichzeitig in den seiner Familienüberlieferung entsprechenden Bahnen

eleganter Forschung und auf der Spur seines Lehrers Hugo mit stets sachgemäßem Fleiße in merkwürdiger Unbefangenheit fürbaß, ohne viel kritische oder methodologische Skrupel, aber eben darum fruchtbar als Schriftsteller, obwohl er nicht 50 Jahre alt wurde und

stets daneben durch seine Berufsgeschäfte Anspruch genommen war.

als praktischer Jurist in

Er ist einer der letzten Vertreter jener

germanistisch-eleganten hannöverschen Praxis, aus deren Archiven er

geschöpft und in deren Stil er selbst gearbeitet hat; als Anhänger Hugos aber erscheint er schon durch deu Stoff seiner Doktordisser­ tation, die (Göttingen 1806) sich mit der Geschichte der Frauen im

römischen Privatrecht beschäftigt. Die hauptsächlichsten Schriften

unseres Spangenberg

sind

in

chronologischer Reihenfolge etwa die folgenden: „Einleitung in das römisch-justinianische Rechtsbuch oder Corpus iuris civilis romani, handelnd von dessen Quellen, Entstehung, Plan,

Verbreitung, gesetzlicher Kraft in Deutschland, Verhältnisse zu den übrigen teutschen Rechtsquellen, Auslegung, exegetischen und kritischen Bearbeitungen, Übersetzungen, Handschriften und Ausgaben", Han­

nover 181763). Es ist ein gewaltiges Sammelwerk, ohne Anspruch auf Neuheit oder Selbständigkeit der Gedanken, wie der bescheidene „Vorbericht" hervorhebt, als solches aber eine stattliche'und ver­ dienstvolle Leistung. Das Gewicht fällt deshalb weniger auf die

historischen und dogmatischen Abschnitte,

die nur eine sorgfältige

Literaturzusammenstellung geben, als vielmehr auf bibliographischer Natur. Darin und namentlich in peinlichen Aufzählung aller Ausgaben des Corpus seiner Teile ist eine Arbeit geleistet, die wohl wenige

die Abschnitte der besonders iur. civ. und in solcher Zu­

verlässigkeit und Gründlichkeit zu bewältigen vermocht hätten, viele

aber seither mit Vorteil benutzt haben. In der Geschichte der gelehrten Bearbeitung der justinianischen Rechtsquellen hat sich Spangenberg damit neben der Ausgabe seines Vaters ein dauerndes Denkmal gesetzt. „Beiträge zu den deutschen Rechten des Mittelalters, vorzüglich zur Kunde und Kritik der alt-germanischen Rechtsbücher

und des

Sachsen- und Schwabenspiegels", Halle 1822, und „Beiträge zur

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

5) E. Spangenberg.

65

Kunde der teutschen Rechtsaltertümer und Rechtsquellen, enthaltend Mitteilungen aus Dreyers und Grupens handschriftlichem Nachlasse und ungedruckten Nechtsquellen des Mittelalters", Hannover 1824. durch die Spangenberg wesentlich den Nachlaß der beiden Germanisten verwertet hat, die im Titel

Das sind die beiden Schriften,

der zweiten genannt sind; namentlich Grupens umfassende Vorarbeit

über den Sachsenspiegel und dessen gesamter Apparat sind erst durch

die Beiträge von 1822 veröffentlicht worden (vgl. im vorigen Halb­ band dieser Geschichte S. 254). Die Gewinnung und Druckbearbeitung dieser Stücke war keine mühelose; daneben sind Spangenbergs eigene Beisteuern, Abdrucke einiger mittelalterlicher Rechtsquellen und Va­

rianten zur Kritik einiger Volksrechte,

an Umfang und Wert nur

geringfügig. „Jakob Cujas und seine Zeitgenossen", Leipzig 1822, zwar im wesentlichen nur Übersetzung aus dem Französischen des Berriat-

Saint-Prix^) mit fast nur bibliographischen Nachträgen des Be­ arbeiters, aber doch zu erwähnen als in den Zusammenhang der Zeit und ihres Interesses für die großen Humanisten des 16. Jahr­ hunderts gehörig. Hatte doch Hugo im „Zivilistischen Magazin" dem Franzosen vorgearbeitet, und selbst Savigny an dieser Stelle ein Wort der Aufklärung über einen dunkeln Punkt beigesteuert. Und

gehört doch ferner Berriat-Saint-Prix selbst zu denjenigen Franzosen, die nun wieder Anregung zur historischen Rechtsbehandlung von Deutschland her empfingen und sich ein dieser Richtung entsprechendes Organ in der Zeitschrift »Thömis ou Bibliothöque du Jurisconsulte < (Band 1, Paris 1819) schufen, einer Zeitschrift, die mit einem Artikel von Warnkönig über die Revolution in der deutschen Rechtswissenschaft der letzten 30 Jahre beginnt und alle Fortschritte derselben ihren Lesern vorführt. In diesen Zusammenhang muß diese Übersetzung von Spangenberg gerückt werden, die offenbar darum Hugo gewidmet ist. »Juris romani tabulae negotiorum solemnium, modo in

aere, modo in marmore, modo in Charta superstites«, Leipzig 1822. Wohl die gediegenste Leistung des fleißigen Gelehrten auf diesem Gebiete, der damit Haubold am nächsten gekommen ist. Durch zahlreiche Neufunde ■ ist diese Sammlung ja bald überholt worden;

sie bildet aber eine für ihre Zeit mustergültige Leistung und einen Merkstein der Entwicklung. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtrwissenschast. II. Text.

5

Dreizehntes Kapitel.

66

„Die Lehre von dem Urkundenbeweise in bezug auf alte Ur­ kunden", zwei Abhandlungen, Heidelberg 1827. Es handelt sich darum, „juristischen Geschäftsmännern" diplomatische Regeln zur Be­ urteilung älterer Urkunden an die Hand zu geben, wobei als letzte Grenze die Mitte des 17. Jahrhunderts angenommen ist, weil von

da ab die jetzt übliche, daher keine weitere Schwierigkeiten bietende Urkundenform herrsche.

Indem das Buch für die ältere Zeit zahl­

reiche Musterbeispiele liefert und

den Urkundenstil auf die antike

Form zurückführt, bildet es gewissermaßen eine Fortsetzung des vor­

her genannten Werkes,

wennschon

es von

dessen wissenschaftlicher

Sicherheit weit entfernt ist. „Praktische Erörterungen aus allen Teilen der Nechtsgelehrsam-

keit, hin und wieder mit Urteilssprüchen des Celleschen Tribunals und der übrigen Gerichtshöfe bestärkt." Mit Anhängen, die lokale Rechtsquellen veröffentlichen. Diese Sammlung von gründlichen Ab­

handlungen gelegentlich praktischer Fälle erinnert nach Form, Inhalt und vorwiegend germanistischer Auffassung an die berühmten han­ növerschen Praktiker des 18. Jahrhunderts, einen Strube und Esaias Pufendorf, deren Ton darin vollständig beibehalten ist. Sie ist be­ gründet von einem tüchtigen Nachfolger dieser Männer, Theodor Hagemann 55), der auch sonst sich durch Abhandlungen über lokale

Verhältnisse des Lehn-, Deich-, Meier- und Bienenrechts, namentlich aber durch sein lange hochgeschätztes „Handbuch des Landwirtschafts­ rechts" (Hannover 1807) hervorgetan hat. Die ersten vier Bände der praktischen Erörterungen gab Hagemann seit 1798 heraus zu­ sammen mit dem späteren preußischen Geheimen Staatsrat und Ober­ präsidenten August Friedrich Wilhelm von Bülow 56). Dann besorgte Hagemann Band 5—7 allein; des 8. Bandes erste Abteilung wurde aus seinem Nachlasse von Spangenberg veröffentlicht, und von diesem allein und selbständig rühren dann endlich her des 8. Bandes Ab­ teilung 2, Hannover 1829, und Band 9, Hannover 1831. Die

darin von Spangenberg gelieferten Anhänge betreffen das Recht der Gegenden von Stade, Lüneburg und Braunschweig; ein Unterschied gegen die Vormänner ist nicht zu bemerken. 6. Im Zusammenhänge mit dieser germanistischen Seite von Spangenbergs Tätigkeit seien schließlich hier noch zwei Männer ge­ nannt, Bodmann und Kindlinger, die als Forscher auf dem Felde

deutscher Altertumswissenschaft sich genügend ausgezeichnet haben, um

II. Antiquarisch-Historische Gruppe.

6) Kindlinger u. Bodmann.

67

von I. Grimm in dem Vorworte seiner „Rechtsaltertümer" aus dem allgemeinen Verdammungsnrtcil ausgenommen zu werden, das dort

über die Studien seiner Vorgänger gefällt wird; während sie doch nach Art und Weise ihrer Tätigkeit noch ganz in der Schule des 18. Jahrhunderts wurzeln, dem sie entstammen.

Aber ihre Freude

am Zusammentragen von Urkunden und Notizen, wohl auch die ihnen anläßlich der Nevolutionsstürme dazu gebotene günstige Ge­ legenheit haben ihnen zu dieser ehrenvollen Auszeichnung durch Grimm Verholfen. Dadurch bleiben ihre Namen zusammengehörig,

so verschieden auch

spätere Forschung über Verdienst und Zuver­

lässigkeit beider urteilt. In recht bedenklichem Licht erscheint uns nämlich heute der Mainzer Bibliothekar Franz Joseph Bodmann^), obwohl er technisch

und juristisch besser vorgeschult an seine Aufgabe herangetreten ist. Er war schon vor der Revolution Professor der Rechte in Mainz und hatte sich dort durch urkundlich belegte Studien über staatsund dcutschrechtliche Stoffe hervorgetan, namentlich durch sein Werk über das Abzugs- und Nachsteuerrecht (in drei Abteilungen, Frank­ furt 1791—1795), sowie über das Besthaupt (Frankfurt 1794). Auch

sein aus den jüngsten Kriegserfahrungen hervorgegangenes Werk: „Erörterung der Grundsätze, wonach die Kriegsschüden. . . festzu­ stellen, auszugleichen und zu vergüten sind" (Frankfurt 1798) wird als brauchbar für seine Zeit gerühmt.

Seine wesentliche Tätigkeit

hat dann aber in dem Zusammenbringen von Urkunden während der Revolutionswirren bestanden, die keineswegs alle, wennschon viele

von ihnen, in seinen „Rheingauischen Altertümern", zwei Teile Mainz 1819, ziemlich unordentlich verwertet sind. Er soll ihrer, allein an unedierten — während er auch bereits edierte mit den Originalen verglich und dabei zu manchen Verbesserungen gekommen sein will

— im ganzen 21462 Stück besessen haben, über deren legitimen

Erwerb sich auszuweisen ihm freilich schwer gefallen sein würde. Manches davon mag durch ihn dem völligen Verderb entrissen worden sein, manches hat er selbst unausgebeutet, alles, nachdem er es in seiner Weise verwertet hatte, zugrunde gehen lassen. Da ihm nun trotzdem eine Reihe von Fälschungen nachgewiesen sind, so

wird dadurch seine Glaubwürdigkeit überhaupt stark erschüttert und der Wert dessen, was er zum Drucke gebracht hat, wesentlich ver­ mindert.

So bringt namentlich sein sogenanntes „Rheingauer Land5*

Dreizehntes Kapitel.

68 recht"

ausschließlich

holländischen Rechtsstoff

aus

niederländischen

Drucken, eine Unterschiebung, die bis zu seiner Entlarvung gewiß den Benutzer stark irrezuführen geeignet war; und ebensowenig er­

weisen sich sonst vielfach seine Angaben und Mitteilungen, wo sie nachprüfbar sind, als zuverlässig: es scheint ihm auf Manuskript­ fabeln aller Art wenig angekommen zu sein. So bleibt allerdings

nur ein recht unerfreuliches Ergebnis hier übriges. Gegen Nikolaus Kindlinger^) sind ähnliche Vorwürfe nicht laut geworden, obschon auch dieser eine Sammlung von über 200 Folio-

und Quartbänden an handschriftlichem Material zusammengcbracht hat. Vor allem hat er dafür gesorgt, diese auch weiterer Benutzung zugänglich zu erhalten, wie sie denn solche z. B. durch Grimm er­ fahren hat. Sie wird heute noch zum bei weitem größten Teile im Königlichen Staatsarchiv zu Münster aufbewahrt 60) und hat selbst

eine gedruckte Katalogisierung (durch den Domkapitular Meyer, Pa­

derborn 1828) gefunden. Die Archive, aus denen Kindliuger geschöpft hat, sind wohl wesentlich diejenigen, mit deren Ordnung er der Reihe nach

zuerst

als Franziskanermönch,

dann

als Weltgeistlicher be­

traut war, nämlich, abgesehen von denjenigen mehrerer westfälischer Adelsgeschlechter, die der Domkapitel von Münster und Paderborn,

darauf die kurkölnischen Archive, weiterhin die der Stifter Essen und Corvey und endlich die des Fürsten von Fulda, Wilhelm von Dränten. Dabei wurde Kindliuger wohl durchweg mehr von geschichtlichen als juristischen Interessen geleitet, wie denn auch seine Hauptwerke

historischer Natur sind61). Seine Anregung zu allen diesen Arbeiten geht aber zurück auf Justus Möser, namentlich auf dessen osnabrückisches Geschichtswerk. So ist denn auch wohl überwiegend in dessen Sinn geschrieben Kindlingers juristisch bedeutsame „Geschichte der deutschen Hörigkeit, insbesondere der sogenannten Leibeigenschaft", Berlin 1819, obschon er selbst in der Vorrede versichert, er folge bloß seinen eigenen Ansichten, welche „entweder auf Urkunden beruhen oder in der Natur der Sachen ihren Grund finden". Habe er doch deshalb auch schon in seinen jüngeren Jahren mit Beifall sehr schätz­

den Entschluß gefaßt, das römische Recht nie zu studieren, um seine Begriffe, von jedem fremden Einfluß rein, deutsch zu erhalten und um so dem Wahren in unserer vaterländischen barer Männer

Geschichte näher zu treten. Das Ergebnis kennzeichnet I. Grimm a. a. O. bei allem sonstigen Lobe als „ein Muster von verworrener,

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut u. die Kodifikation.

mit sich selbst unfertiger Darstellung".

Man

wird

unter

69

solchen

Umständen wohl geneigt sein, mehr Wert als auf des Verfassers Ausarbeitung auf die reichlich beigegebenen Mitteilungen aus seinen

Urkundenschätzen zu legen. Der Besprechung dieser beiden Altertumsforscher mag endlich noch der Vollständigkeit halber angeschlossen werden die Erwähnung

des Abtes Montags), letzten Abtes der Cisterzienser-Abtei Ebrach in Er wurde zu einer umfassenden Sammler- und Schrift­

Ostfranken.

stellertätigkeit aus dem Gebiete der deutschen Staats- und Rechts­ geschichte geführt zunächst durch alte Konflikte zwischen seinem Kloster

und dem Hochstifte Würzburg, betreffend die Reichsunmittelbarkeit

des ersteren,

daun

aber durch wirkliche Liebe zur Sache an diese

Studien gefesselt. So entstand zunächst 1778 die »Disquisitio de ducatu et iudicio provinciali episcopatus Wirceburgensis«, aber

selbst noch 1812 und 1814 machen die beiden nach seinem Tode gedruckten Bände: „Geschichte der deutschen staatsbürgerlichen Freiheit oder die Rechte der gemeinen Freien, Deutschlands" keine zu schlechte Figur.

des Adels und der Kirche Der Einfluß von Johannes

von Justus Möser ist dabei deutlich wahrnehmbar, namentlich aber wird die „durchaus solide quellenmäßige Grundlage" gerühmt. Insofern mag dieser letzte Vertreter altreichsrechtlicher Klosterherrschaft und Klostergelehrsamkeit zu den neueren Abschnitten der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte den Übergang bilden. Müller und

III.

1.

Der Zivilist

für diese

aufsteigende Zeit ist Anton

Friedrich Justus Thibaut Ü, geboren zu Hameln am 4. Januar 1772, gestorben zu Heidelberg am 28. März 1840. Sein Vater, aus einer reformierten Refugiefamilie stammend, war hannöverscher Major, seine Mutter eine Tochter des uns bekannten Rechtsgelehrten U. Grupen. Diese Mischung hugenottischer Strenge, französischer praktischer Ver­ nunft und Lebhaftigkeit mit deutscher Wissenschaftlichkeit und Bürger­

tüchtigkeit ist in Thibauts Persönlichkeit deutlich wahrnehmbar. So schon in seinen Anfängen. Getäuscht durch ein selbsterdachtes Ideal

von freiem romantischem Waldleben, hatte er sich zuerst dem Forst­

wesen widmen wollen und deshalb fast zwei Jahre bei einem Forst­ beamten zugebracht; mit doppeltem Eifer ist er sodann zum Ge­ lehrtenstudium zurückgekehrt; aber zeitlebens ist er der Mann lebhaften

Empfindens, für Vaterland und Volkswohl, für Kunst und Natur, mit bereits romantischer Inbrunst geblieben.

70

Dreizehntes Kapitel.

Thibaut teilt mit Hugo zwei wichtige, für die Neuzeit aus­ schlaggebende Momente. Negativ ist es das Moment des Ab­ scheus gegen alles axiomatisch-demonstrative Wesen, gegen die Her­ leitung Positiver Rechtssätze aus abstrakt philosophischen Vordersätzen, gegen die Öde und Dürftigkeit, die als Folge davon bei vielen Privatrechtsgelehrten

des

18. Jahrhunderts

eingetreten

war,

be­

sonders also auch die Abneigung gegen Hcineccius, Nettelbladt und Hopfner. Positiv ist es das Moment der Fachmäßigkeit, der bewußt

strengen Beschränkung auf denjenigen Teil des gemeinen Privatrechts,

der auf dem römischen Recht beruht,

mit der dadurch gewonnenen

Möglichkeit, sich in dieses Gebiet mit wissenschaftlicher Gründlichkeit

zu vertiefen. Andererseits aber treten schroff die Gegensätze zu Hugo hervor. Zunächst in der Begründung: Thibaut löst sich nicht wie Hugo mit scharfem Schnitte von der Vergangenheit ab, sondern, wie er aus der Schulung des'18. Jahrhunderts hervorgeht, so hat er manches davon stets festgehalten, z. B. die Anerkennung für große Praktiker und Zivilisten wie I. H. Böhmer und Weber, den Sinn für prakti­

sches

Räsonnement und namentlich die naturrechtliche Auffassung,

die er wesentlich einschränkt und in ernste Zucht nimmt, nie aber ganz aufgibt. Sodann in der Richtung: Thibaut kommt es weit

mehr als Hugo auf den prakiischen Zweck des Rechts an, auf die Rechtsanwendung und deshalb auf die Herausarbeitung der einzelnen

geltenden Rechtssätze und Rechtseinrichtungen.

Klar erfaßt er das

Recht als eine Summe von Regeln für die möglichst vernünftige, vorteilhafte und angenehme Ausgestaltung menschlicher Verhältnisse.

Auch die Vergleichung fremder, selbst stammesfremder Rechte emp­

fiehlt er daher gelegentlich, nicht nur als Mittel den juristischen Horizont zu erweitern, sondern weil man dort vielleicht Brauchbares finden werde. Brauchbares aber wäre Thibaut bereit, sogar aus der Türkei anzunehmen. Während es Hugo gelegentlich widerfahren kann, mit einer gewissen Verächtlichkeit von der Tätigkeit des juristi­ schen Praktikers als einer handwerksmäßigen zu reden, während ihm die Rechtswissenschaft fast nur Selbstzweck zur Befriedigung des all­ gemein menschlichen Erkenntnistriebes ist, so will Thibaut auf wissen­

schaftlichem Wege der Rechtsanwendung und der Gesetzgebung Vor­

arbeiten, mit allen Mitteln, die hier fördern können. Daher seine spätere Gegnerschaft gegen die Einseitigkeiten der historischen oder

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut u. die Kodifikation.

kritischen Methode, wo diese als alleinberechtigte auftritt.

71

Thibauts

Stärke besteht darin, daß er diese Methode keineswegs verwirft, wo sie sich als zweckmäßig erweist; ja, er gibt gerne zu, daß sie im ge­

meinen

Privatrecht infolge

der Eigenart von dessen Quellen

be­

sonders häufig anwendbar ist2), wie er denn auch selbst sich der Quellenkritik mit Sicherheit und Erfolg gelegentlich bedient 3). Aber er heischt neben ihr ein mindestens gleiches Recht für die dogmatische

Methode, d. h. für die grammatikalische und logische Auslegung der Gesetzestexte und für die systematische Verarbeitung der hierbei ge­

wonnenen Einzeleinsichten. Daher seine lange fortgesetzten und tief­ grabenden Bemühungen um die Theorie der Auslegung Z, daher ferner seine immer wieder umpflügenden systematischen Bestrebungen, wie sie namentlich in den verschiedenen Anordnungen der verschiedenen

Auslagen

seines

Lehrbuchs

hervortreten,

aber auch zu wichtigen

Svnderstudien über die Berechtigung einzelner Unterscheidungen und des Unterscheidungswesens im allgemeinen führen 5). Bei alledem jedoch ist Thibaut weder so recht eigentlich Inter­ pret noch Systematiker. Die Auslegung einzelner Quellenstellen tritt nicht bei ihm wie bei seinem Geistesverwandten Bangerow, seinem Nachfolger auf dem Heidelberger Lehrstuhl, mit selbständiger Vorliebe in den Vordergrund, sondern sie dient nur als Mittel zum Zweck; und ebenso dient ihm das System bloß dazu, das Ganze übersichtlich zu gestalten, Auslassungen und Schiefheiten zu vermeiden. Eben weil es ihm nicht Hauptsache ist, wechselt er so leicht damit, wenn ihm ein neuerer Versuch bessere Ergebnisse in Aussicht stellt, während der eigentliche Systematiker sich in das einmal aufgestellte, aus höheren Gesichtspunkten abgeleitete System verbohrt und verbeißt, es als das

„einzig richtige" ansieht und verficht. Sv ergibt sich das für Thibaut Bezeichnende. Bei ihm fällt der Nachdruck auf die Mitte zwischen der Erläuterung des einzelnen Ge­ setzes und dem Aufbau des Systems, nämlich auf die quellengemäße Begründung und Entwicklung der einzelnen Rechtslehre und Rechts­ einrichtung. Wo ihn einzelne Probleme größeren oder geringeren

Umfanges wegen bisher dabei begangener Fehler oder wegen der Schwierigkeit des Stoffes oder wegen ihrer weittragenden Bedeutung

anziehen,

da setzt er ein,

geht der Verwicklung der Quellen oder als bis er ein

auch der Dogmengeschichte nach und ruht nicht eher,

klar gefälliges,

praktisch brauchbares Ergebnis

gefunden zu haben

Dreizehntes Kapitel.

72

glaubt. Am nächsten reiht er sich in dieser Art der Nechtsbehandlung unter den Älteren an A. D. Weber, von dessen naturrechtlicher

Und wenn dann auch

Färbung er sich keineswegs abgestoßen fühlt.

Thibaut

später

dazu

fortgeschritten

ist,

ein Lehrbuch des gesamten

Pandektenrechts zu schreiben, so ist dies doch wesentlich nur die Zu­ sammenfassung

es

seiner Einzelstudien:

Fülle, Sonderinhalt und Bedeutung,

eines Hellfeld

oder selbst

eines

erhält

daraus

Stoff

und

im Gegensatze zu den Werken

Hopfner,

die

nichts sind als ge­

schmacklose oder formgewandte, knapp oberflächliche oder ausführliche Darstellungen eines von Hand zu Hand weitergegebenen, dabei aber

ungenau und quellenfremd gewordenen Nechtsstoffes. Von den „Praktikern"

dann

aber

wieder Thibaut

jene richterliche Urteile

Wo

nahmen,

darauf

um

ohne

früherer Jahrhunderte

durch

unterscheidet sich

das Zurücktreten der Kasuistik^).

oder Fakultätssprüche haufenweise Hin­

bauend den usus theoretico-

weiteres

practicus herzustellen, wie es namentlich seit Carpzov üblich ward,

da verlangt man seit Thibaut Ouellenmäßigkeit

und

systematische

Einfügbarkeit des Einzelsatzes ins Ganze. Nicht mehr auf die tat­ sächliche Übung kommt es an, sondern auf deren wissenschaftliche Rechtfertigung.

Daneben bleibt selbstverständlich der Praxis ihr Recht,

sei es im Sinne der alsbald bei

bloßen Materialsammlung,

Heise und Cropp

sehen

gründlicher theoretischer Forschung; mehr

blindlings

von

werden,

sei

es,

wie

wir

als Ausgangspunkt

aber die Theorie läßt sich nicht

ihr beherrschen.

Selbst in den 70er Jahren

des 19. Jahrhunderts hat daran das Schwergewicht der Autorität des Reichsgerichts zunächst nichts zu ändern vermocht; erst allmählich ist

dann

wieder die alte Kasuistik,

der alte Präjudizialbetrieb der

„großen Praktiker" unter der neuen Form der „großen Kommentare"

zur Herrschaft gelangt. Der Positivismus eines Thibaut dürfte demgemäß als wissen­ schaftlicher sich kennzeichnen lassen.

Er bleibt ein Positivismus im

Gegensatze nicht nur gegen die neuere historische, sondern auch gegen

die ältere naturrechtliche Auffassung, mag letzterer Thibaut auch weit näher stehen als Hugo.

Abzusehen ist dabei, wenn es uns hier um

Thibauts eigentliche Gesinnung und Wirksamkeit zu tun ist, zunächst von solchen naturrechtlichen Äußerungen, wie sie ihm wohl gelegent­ lich gerade der Gegensatz zu Hugo übertreibend in den Mund legt7),

oder wie sie auch wohl bei ihm nur tastender Ausdruck dafür sind.

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut u. die Kodifikation.

73

daß er Gesichtspunkte der vernünftigen Zweckmäßigkeit berücksichtigt

Manches bleibt jedoch selbst dann noch übrig, das ernster genommen werden muß: so namentlich die häufig wieder­ wissen will.

kehrende Annahme, „daß ein vollendetes System des Naturrechts möglich und denkbar ist, und zwar ein solches System, aus welchem

die äußere Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit jedes vorkommenden Falles entschieden werden kann und mufe8); oder etwa die Bemerkung?),

daß sich „nicht wenige Materien finden . . ., worin aus der Natur der Sache räsonniert werden kann". Und dennoch würde man sich durch solche Äußerungen täuschen lassen, wollte man deshalb Thibaut

als Naturrechtler im Sinne des 18. Jahrhunderts ansehen. Dazu ist denn doch der Einfluß viel zu stark, den auch auf ihn Kant aus­ geübt hat, namentlich während Thibaut bei diesem 1793 zu Königs­ berg hörte, wenn er cs auch ablehnt, als Kantianer schlechtweg oder

als Vertreter der kritischen Philosophie in ihrer Anwendung auf die Rechtswissenschaft zu gelten. Was für Hugos ganze Denkart maß­ gebend wurde, mag bei Thibaut mehr auf Einzelheiten beschränkt

geblieben sein, ihm nur einzelne Gedankengänge angeregt haben. Für die Stellung zum Naturrecht aber sind gerade diese wiederum ent­ scheidend. Einerseits lehrt Kant seinen selbstdenkenden Schüler^), „daß nichts in der Welt indifferent ist, und daß in dem Menschen kein herrschendes Vermögen weder über noch neben der prak­ tischen Vernunft existiert" —, in diesem Sinne als Prüfstein und Orientierungsmittel für das positive Recht denkt Thibaut sich das Naturrecht an den oben angeführten Stellen, als Zweig der prakti­ schen Philosophie, der daher auch die Aufgabe zufällt, das System eines solchen Naturrechts auf moralischer und psychologischer Grund­ lage aufzubauen:

aus dem Fache der Rechtswissenschaft im eigent­

Und andererseits hat Thibaut von Kant gelernt, philosophisches Denken auf das Ge­ biet zu beschränken, wo es hingehört, in Angelegenheiten der Er­ fahrung aber sich an diese als an die einzige zuverlässige Quelle lichen Sinne scheidet damit dieses Naturrecht aus.

unseres Wissens zu halten. Deshalb verlacht Thibaut^) wie Hugo die Meinung derjenigen, die glauben, einzelne positive Rechtssätze aus dem Naturrecht herleiten zu können;

die nach einem merk­ würdigen „Akkommodationsgrundsatze" nicht solche Gründe und Grund­

sätze suchen, „von welchen die Urheber des Rechts ausgingen", sondern solche, „von welchen sie hätten ausgehen können oder sollen".

Dreizehntes Kapitel.

74

die „aus dem Begriff der Sache" ableiten wollen, wie viele Gat­ tungen dinglicher Rechte es gebe, warum der Usufruktuar eine Vin­

dikation hat, die dem Pächter versagt bleibt, oder gar daß zu jedem

dinglichen Rechtserwerb modus und titulus acquirendi gehören. Nimmt man beides zusammen, so ergibt sich, daß zwischen Thibauts Naturrecht und seiner Behandlung des positiven Rechts eine unüber­ schreitbare Grenzlinie gezogen ist, die beide voneinander unabhängig macht, namentlich auch das positive Recht von den Einflüssen der damals so unsteten philosophischen Strömungen befreien soll12). Das ist aber die Hauptsache, wennschon Thibaut gelegentlich einmal naturrechtlich rückfällig werden mag; selbst wo ihm dies begegnet,

erkennt er doch grundsätzlich und ausnahmslos an, daß das positive Recht allein zur Herrschaft in seinem Bereiche berufen ist, während Einzeleinflüsse des Naturrechts nur so weit denkbar seien, wie sie durch

die Natur des einzelnen gerade eben behandelten positiven Rechts oder durch dessen besondere Vorschriften zngelassen werden. Höchstens, daß Thibaut gelegentlich solcher Zulassung im Einzelfalle zuneigt. Man wird daher wohl zugeben müssen, naturrechtlich-philosophisches Interesse hat,

daß Thibaut ein starkes bestimmt vielfach auch

durch den Wunsch, Vernunft und Moralität im Rechte zu finden und zu fördern; aber das ist ein Zug, der, abgesehen von der Kantischen Tönung, zu allen Zeiten bei zahlreichen Juristen hervor­

getreten ist,

und

der wohl auch immer wieder hervortreten wird,

gerade bei Praktikern und Positivisten, wenn sie nur außerdem etwas mehr sind und etwas weiter sehen, als auf die positive Praxis. Von diesem allgemein rechtsphilosophischen Zuge wird man dagegen

wohl zu sondern haben den Geist des alten Naturrechts, der dieses

als Teil des Rechts selbst ^trachtet, der aus abstrakten naturrecht­ lichen Forderungen Folgesätze bis auf die geringsten Einzelheiten hin zieht und diese Folgesätze in das geltende Recht ohne weiteres über­ trägt. Demgegenüber bemerkt Thibaut, er würde lieber noch als reiner Historiker gelten, denn als axiomatischer oder demonstrativer Jurist. — Damit ist denn aber auch, unter wesentlich Kantischen

Einflüssen, in dem was sonach Hugo und Thibaut gemeinsam bleibt,

der gemeinsame Boden gegeben für die Entwicklung der deutschen Privatrechtswissenschaft als eines Zweiges der deutschen Wissenschaft

überhaupt während des 19. Jahrhunderts, ein Boden, auf dem Juristen sonst noch so verschiedener Richtung zu gemeinsam

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut u. die Kodifikation.

75

fördernder Arbeit wie zu prinzipieller Bekämpfung einander begegnen können. Es ist anerkannt, daß Non den beiden Richtungen, die hier einander prinzipiell befehdet haben, die eine wesentlich auf Hugo

zurückgreift, und daß sie sodann ihren Meister in Savigny gefunden hat; auch erfreut sie sich eines anerkannten Namens als die historische oder kritische Richtung, wovon die historische Schule im engeren, schulmäßigen Sinne des Wortes nur einen, wennschon den haupt­

sächlichen Zweig darstellt.

Für Thibauts Verfahren dürfte sich da­

gegen wohl unter Ablehnung der ungerechten und kränkenden, von den Gegnern vorgeschlagcnen Bezeichnung seiner Methode als einer „unhistorischen"*3), die Bezeichnung als „wissenschaftlicher Positivis­ mus" empfehlen. Unter diesem Schlagworte läßt sich dann wohl

die der historischen Schule entgegentretende Richtung überhaupt zu­ sammenfassen, bei der wir als gemeinsame Züge antreffen einerseits die Richtung auf das praktisch Brauchbare, die Überzeugung davon,

daß Recht und Rechtswissenschaft nur dazu da sind, dem sittlichen und ökonomischen Wohlergehen und Fortschritte der Menschheit zu dienen; andererseits die Beschränkung auf theoretisch-wissenschaftliche Mittel zur Förderung dieses Zweckes unter Ausschluß der unmittel­ baren Unterordnung unter die Praxis. Daraus ergibt sich aber zugleich für diese ganze Richtung wie schon für Thibaut die mög­ lichst gleichmäßige Würdigung aller wissenschaftlichen Mittel, seien sie nun solche der Gesetzesauslegung, der historischen Kritik, des syste­ matischen Aufbaus oder auch solche des Rüsonnements aus Gesichts­

punkten der Vernunft, der Zweckmäßigkeit oder der Moral, mit ge­ legentlich rechtsvergleichendem oder naturrechtlichem Anklange. Der Kampf zwischen historischer Schule und wissenschaftlichem

Positivismus erscheint als einer der bedeutsamsten für die ganze Ent­ wicklung, die uns zu durchmessen bleibt. Er ist vielleicht wichtiger als der bisweilen lauter hervortretende, schließlich doch bloß stoff­ liche Gegensatz zwischen Romanisten und Germanisten.

Er ist ein

Gegensatz des ganzen juristischen Denkens und wissenschaftlichen Empsindens und dehnt sich deshalb von dem zivilistischen Ursprungs­ gebiete auf das Gebiet der gesamten Rechtswissenschaft immer weiter

aus, zuerst auf das privatrechtliche überhaupt, dann auch auf die öffentlich-rechtlichen Fächer aller Art. Eine Ausnahme bildet da etwa

nur das Fach des Strafrechts, weil auf ihm die historische Richtung

76

Dreizehntes Kapitel.

nie zu starker Bedeutung gelangt ist; hier geht vielmehr damit parallel der Kampf zwischen einer rein spekulativen Richtung und dem wissen­ schaftlichen Positivismus^), der also hier ebenso gegen die Über­ treibung nach der philosophischen Seite hin, wie dort gegen die ge­ schichtliche Einseitigkeit hin Front macht, wozu er, seiner oben ge­ schilderten Natur gemäß, beiderseitig in der Lage ist. Fassen wir so

nun aber den wissenschaftlichen Positivismus im weiteren Sinne auf als den wissenschaftlichen Gegensatz gegen jede, sei es spekulative, sei es geschichtliche Überspannung, so wird seine Geschichte zu einem Teile der Geschichte der wissenschaftlichen und kulturellen Strömungen

in Deutschland während des 19. Jahrhunderts überhaupt. Es er­ scheint dann das zeitweilige Übergewicht der entgegengesetzten Ein­ seitigkeiten als eine Folge nicht nur des persönlichen Übergewichts von Männern wie Savigny und Feuerbach, sondern weiterhin als sachliche Folge des Übergewichts, das in der damaligen deutschen

Geisteswelt dem spekulativen Denken und dem historischen Betrachten

über das praktische Handeln zufiel. Es erscheint dann ferner der Umstand, daß gegenüber solchem Übergewicht der Positivismus stillen Unterstand eine Zeitlang wesentlich bei der Pflege der deutschen Partikularrechte fand, nur als eine Äußerung unserer politischen

Geschicke. Und es erscheint dann endlich fast als selbstverständlich, daß der übelverrufene, nur mühsam aber zäh durch seine Unentbehr­ lichkeit am Leben erhaltene Positivismus in dem Augenblicke wieder begann sieghaft hervorzutreten, in dem das deutsche Volk aufgehört hatte, ein Volk bloß von Dichtern und Denkern zu sein, in dem Augenblicke, in dem unsere politische Entfaltung ihre Rückwirkung übt auf unsere Gesamtaufsassung von Wissenschaft, Staat und Recht und von deren Aufgaben. Wie weit freilich dabei der jüngste Posi­ tivismus in seinem Triumphe noch den Typus des Wissenschaftlichen festzuhalten vermocht hat — das ist eine Streitfrage der Gegenwart, die sich der Beurteilung des Historikers entzieht.

Schroffen Anpralles stoßen die Gegensätze, wie auf die Dauer,

so zum ersten Male zusammen bei Gelegenheit der theoretischen Er­ örterung einer praktischen Frage. Jedermann weiß es: diese Frage betrifft die Kodifikation des gesamten Privatrechts für ganz Deutsch­ land, die Herstellung eines gemeinsamen deutschen bürgerlichen Gesetz­ buches. Bereits in einer seiner frühesten Schriften, die sonst nach Stil und Methode noch wesentlich vom 18. Jahrhundert abhängt, nämlich

III Wissenschaftlicher Positivismus 1) Thibaut u. die Kodifikation.

77

in seiner „Juristischen Enzyklopädie und Methodologie"16) (Altona

1797) kommt da bei Thibaut gelegentlich der Quellengeschichte eine persönliche Anschauung zum Durchbruche, die für sein späteres Auf­ treten grundlegend ist.

Es handelt sich um einen scharfen Tadel der

justinianischen Kodifikation rind ihrer Aufnahme in Deutschland, aus­

mündend in den Satz, „daß unsere Rechtsverfassung weit einfacher, konsequenter und unseren Sitten angemessener sein würde, wenn wir

Geduld, Mut und Selbstvertrauen genug gehabt hätten, durch eigenen Fleiß ein Werk aus eigener Kraft hervorzubringen." Die hiermit an­ klingende Reihe von Vorstellungen war dann immer lebendig in ihm

geblieben; sie macht sich immer wieder in einzelnen Wendungen Luft, namentlich auch gelegentlich romanistischer Einzelstudien, und wird in ihm nur um so mächtiger, zu je tieferer und feinerer Kennerschaft

des römischen Rechts er »erbringt16). Nichts macht wohl dem männlichen Gerechtigkeitssinne von Thibant mehr Ehre, nichts spricht wohl deutlicher für die Kraft und Wahrhaftigkeit seiner praktischen Rechtsauffassung und seiner wissenschaftlichen Gesinnung, als daß er sich in das römische Recht so ganz zu vertiefen, es so voll zu würdigen

und auszubeuten versteht, wie das stets nur die Zivilisten ersten Ranges vermocht haben, zu denen er zweifellos gehört; und daß er doch sich frei hält von jeder Überschätzung, besonders von der Neigung,

die sich so leicht einstellt, für die Herrschaft des uns theoretisch ver­ trauten Rechts auch praktisch unbedingt einzutreten, womöglich gar in dessen Unvollkommenhelte» und Unklarheiten Vorzüge zu finden. Ebensowenig aber ist Thibaut ein eifernder Gegner des römischen Rechts geworden, wie es etwa Thomasius gewesen war. Über solche

Maßlosigkeit ist er weit erhaben.

Die Vermittlung beider Extreme

wird ihm vielmehr gegeben durch seine rechtsphilosophische Auffassung des Naturrechts als eines Ideals für das positive Recht, das als solches nie vollendet, sondern zu steter Fortentwicklung berufen ist. So übt er seine Kritik an allen ihm bekannten positiven Rechten,

namentlich auch durch Rechtsvergleichung, nicht mit zersetzend para­ doxaler Schärfe wie Hugo, sondern im rationalistisch-praktischen Sinne, um durch sie über sie hinaus zu gelangen und damit der Gesetzgebung

vorzuarbeiten. Er fühlt sich Manns genug, sein Gebiet auszudehnen und zu wechseln. Nicht an den zufällig geschichtlich gegebenen, viel­ fach so verkünstelten Eigenheiten des geltenden gemein en Rechts haftet sein zivilistisches Können und sein Blick, sondern der im Ringen mit

78

Dreizehntes Kapitel.

dem romanistischen Stoff gekräftigte Geist führt ihn zu höheren Ge­ sichtspunkten, zu dem Wunsche nach freieren, neueren Bildungen, wohl auch aus der Empfindung hervor, daß erst durch diese ihm

volle Entfaltung seiner Kräfte ermöglicht werden würde. Nun erschien im Dezember 1813 die Schrift von A. W. Reh­ bergs) „Über den Code Napoleon und dessen Einführung in Deutsch­ land".

In ihren maßlosen, keineswegs stets zutreffenden, namentlich

oft von der juristischen in die reaktionär-politische Betrachtung ab­ schweifenden Schmähungen gegen das französische Nechtsbuch ist sie ein wohlbegreiflicher Rückschlag gegen die servilen Lobhudeleien, denen man sich bis dahin vielfach in Deutschland, mehr oder weniger der

Not gehorchend, ergeben hatte, aber eben daru'm wissenschaftlich ebenso bedeutungslos wie jene Lobpreisungen. Rchberg äußert

darin gleichzeitig Anschauungen, die jeder Kodifikation abgeneigt sind, indem er vor allem das Althergebrachte, auf Gewohnheit Beruhende oder doch dadurch Ergänzte rühmt, dagegen sehr geringen Wert der

Einheit des Privatrechts beimißt und namentlich die Gefahren jeden starken Wechsels im Recht betont. Natürlich, daß er scharf gegen die Idee vorgeht, die zur deutschen Rechtseinheit einfach auf dem Wege allgemeiner Annahme des französischen Rechts gelangen wollte; aber er verlangt auch schleunigste Austreibung des fremden, auf­ gedrungenen Rechts da, wo es schon eingeführt ist, und „die Wieder­ herstellung der alten deutschen Gesetze und Verhältnisse an seiner Statt", ohne den Widerspruch mit seinen eigenen Bedenken gegen jeden umfassenden Wechsel im Recht zu verkennen, hier jedoch sich darüber hinwegsetzend. Darin zeigt sich deutlich die Tendenz: Wenn­ schon Rehberg keineswegs mit dem blinde» Zufahren gegen alle Er­ gebnisse der Fremdherrschaft einverstanden ist, wie es etwa in Kur­ hessen beliebt wurde, — einem Verfahren, auf das er deutlich unter scharfer Mißbilligung anspielt, — so ist diese Tendenz denn doch

offenbar weit weniger national als vielmehr gemäßigt-reaktionär. Der Wahlspruch, für den er eintritt, lautet: Zurück zu den alten

Verhältnissen! Dagegen wendet sich eine anonyme Rezension in den Heidel­ berger Jahrbüchern^). Selbst wenn Thibaut sich nicht alsbald zu ihr bekannt hätte19), man würde nach Stil wie nach Gedankeninhalt keinen Augenblick an seiner Autorschaft zweifeln. Meisterhaft ist es schon, wie da Rehbergs schiefe oder gehässige Einwände gegen den

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut u. die Kodifikation.

79

Code Napoleon zurückgewiesen, dagegen die wirklichen schweren Mängel dieses Gesetzbuches deutlich bezeichnet werden.

Den Beweis, daß ein

Deutscher ein solches würde haben besser machen können, ist es, den

Thibaut durch seine Kritik erbringen will, dann aber wendet er sich gegen Rehbergs prinzipiellen Quietismus. „Was man hier also mit Wahrheit sagen kann, ist nur dies: es ist schwer, gute, weise Gesetz­ geber zu finden.

Man soll das Herkommen ohne Grund nicht ver­

lassen und sich vorzüglich gegen das Eindringen fremder Gesetze auf­ lehnen, wenn diese mißraten und bloßer Ausdruck der Eigentümlich­ keit eines fremden Volks sind; aber man soll, wo man kann, kräftig

Hand ans Werk legen, um das wuchernde Unkraut auszurotten, um der niedergedrückten, verkleinlichten guten Natur Luft zu ver­

schaffen ; und wehe dem Volk, welches träge und abgestumpft nichts anderes lieben und kennen will, als was ihm nun einmal durch Sehen oder Hörensagen geläufig geworden ist! — Diese Worte

können jetzt nicht kräftig genug ausgesprochen werden. Die Deutschen sind viele Jahrhunderte durch ein Labyrinth buntscheckiger, zum Teil sinnloser, verderblicher Gebräuche gelähmt, herabgestimmt, voneinander

getrennt. Gerade jetzt bietet sich für die Verbesserung des bürger­ lichen Rechts eine unerwartet günstige Gelegenheit dar, wie sie sich nie dargeboten hat und vielleicht in tausend Jahren nicht wieder­ kehren wird Die Überzeugung, daß Deutschland bisher an vielen Übeln kränkelte, daß es besser werden kann und muß, ist allgemein. Selbst das frühere französische Übergewicht hat dazu beigetragen. Denn kein Unparteiischer kann es leugnen, daß in den französischen Ein­ richtungen sich manches sehr Gute aussprach und daß der Code und die Diskussionen und Reden über denselben sowie das preußische und österreichische Gesetzbuch in unsere Rechtsphilosophie mehr frisches

Leben und zivilistische Kunst gebracht haben als der ganze Schwarm unserer Lehrbücher über Naturrecht. Wollten sich die deutschen Re­ gierungen jetzt über die Abfassung eines allgemeinen deutschen Zivil-, Kriminal- und Prozeßgesetzbuches vereinigen und nur fünf Jahre hindurch darauf verwenden, was ein halbes Regiment Soldaten kostet, so könnte es nicht fehlen, daß wir etwas Treffliches und Gediegenes

erhalten würden.

Der positive Gewinn eines solchen Gesetzbuches

wäre aber unermeßlich." Diese Stelle mußte wörtlich angeführt werden, denn sie ist der Keim, aus dem dann, ohne daß Nehberg wiederum genannt toürbc20),

Dreizehntes Kapitel.

80

Thibauts bekannteste Schrift hervorgegangen ist, die sofort wissen­ schaftlich zum Kreuzungspunkt regster Polemik zu werden bestimmt

war, während ihre praktische Wirksamkeit durch sechs oder sieben

Jahrzehnte hindurchreicht.

Auch für Savignys Stellung in diesem

Kampfe dürfte immerhin der Nachweis bedeutsam sein, daß nicht,

wie heute allgemeinhin angenommen wird, er der erste gewesen ist,

welcher der Kodifikationsidee widersprochen hätte.

Vielmehr ist es

Rehberg, der zuerst mit diesem Widersprüche gegen die überall ge­

wissermaßen in der Luft liegende Idee hervortritt.

Dadurch wird

dann Thibaut auf den Kampfplatz gerufen; und wenn ihm dann wieder Savigny gegenübertritt, so geht daraus ein sachlicher Zu­

sammenhang zwischen diesem letzteren und Rehberg hervor, den die weitere Entwicklung der historischen Schule nicht eben verleugnet.

Ob durch den Gedankeninhalt notwendig gegeben, das mag man mit Fug bezweifeln, tatsächlich aber, nach der Eigenart und besonderen

Färbung ihres geschichtlichen Auftretens, wohnt der historischen Schule

eine gewisse reaktionär-quietistische Neigung vom Anfang an inne, wie der naturrechtlichen Schule eine gewisse politisch revolutionäre, kul­ turell aufklärerische Richtung stets geeignet hat.

Thibauts Flugschrift von 181421) trägt den Titel:

„Über die

Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland".

Sie ist das Glänzendste und zugleich das Gediegenste, was über den Fluch des alten gemeinen Rechts einerseits, über den Segen einer

einheitlichen

deutschen

worden ist.

Gewiß gibt ihr Hintergrund und Tragweite der Um­

Kodifikation

andererseits

jemals

geschrieben

stand, daß es ein allezeit vom ganzen Volke gehegter, zu jener Zeit nationaler Erhebung besonders lebhafter Einheitsdrang ist, dem sie

Ausdruck verleiht; aber ihr Ruhm ist es eben, diesem Drange klassi­

schen Ausdruck verliehen zu haben.

Und daß sie das getan hat,

geht ja schon aus dem einen deutlich hervor: mochte sie auch nach

einem

ersten,

sehr

lebhaften

und

allgemeinen

Erfolge22)

alsbald

durch den Gang der Politik und durch das Uberhandnehmen der historisch-romantischen Stimmung beiseite gedrückt, mochte sie gar als Äußerung eines wissenschaftlich überwundenen Standpunktes zum Gegenstände vornehm oder mitleidig verächtlicher Betrachtung

ge­

worden sein; sie ist es doch, woran in den 80er und 90er Jahren alle die Aufsätze und Lehrbücher, alle die Einleitungen zum Gesetzestext mit oder ohne Kommentar immer wieder anknüpfen, um die traditionell

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 1) Thibaut u. die Kodifikation.

81

notwendige, schablonenhafte „historische Einführung" in die Entstehung des deutschen Bürgerlichen

Gesetzbuches zu liefern.

Daß

die von

Thibaut vertretene Idee in dem gleichen Augenblicke, wo der politische

Boden für sie vorhanden war, wieder mit aller Macht hervorgetreten ist, das verdankt sie natürlich nicht Thibaut, sondern ihrer eigenen

Lebenskraft, die aller Ersticknngsversuche ebenso gespottet hat wie die Aber daß ein jeder, der nun unter den

deutsche Einheitsidee selbst.

neuen günstigen Verhältnissen jene Idee ausspricht, dafür gerade auf Thibaut wieder zurückgreift und regelmäßig ein gut Teil des Rüst­

zeuges dafür nach aller Zwischenzeit noch unverrostet und brauchbar gerade bei Thibaut findet,

das eben verleiht der Schrift den Berech-

tignngstitel national-geschichtlicher Bedeutung. „Freilich" (S.423 der „Abhandlungen") „ist cs nicht zu leugnen, daß die Einführung des römischen Rechts unserm gelehrten Treiben

besonders dem Studio der Philologie

vielfach sehr förderlich war, und Geschichte,

und

daß

die

ganze

große

rätselhafte Masse

dem

Scharfsinn und der Kombinationsgabe der Juristen immer viel Ge­ legenheit gab und geben wird, sich zu üben und zu verherrlichen. Allein der Bürger wird immer darauf bestehen dürfen, daß er nun einmal nicht für den Juristen geschaffen ist, so wenig als für die Lehrer der Chirurgie, um an sich lebendigen Leibes anatomische Ver­

suche anstellen zu lassen."

„Was" (S. 418) „eigentlich für Deutsch­

land vom römischen Recht unbedingten Wert hat, sind nur die, ich

möchte sagen, exegetischen Teile desselben; aber im Grunde auch nur insofern, als sie zum Muster dienen können, keineswegs aber als Ge­

setze".

Daß gute Rechtsideen in schwer zugänglicher Form,

wie

die

Schütze im Boden, in diesem Rechte ruhen, die allenfalls allmählich von der Wissenschaft werden zutage gefördert werden können, nutze den Bürgern jetzt wenig.

Diesen liegt daran (S. 415),

„daß das

Recht lebendig in den Köpfen der Richter und Anwälte wohne und daß es diesen möglich sei, sich umfassende Rechtskenntnisse zu erwerben. Dies wird aber bei dem römischen Recht stets unmöglich bleiben.

Die

ganze Kompilation ist zu dunkel, zu flüchtig gearbeitet und der wahre

Schlüssel dazu wird uns ewig fehlen.

römischen Volksideen,

Denn wir besitzen nicht die

welche den Römern unendlich vieles leicht ver­

ständlich machen mußten, was uns ein Rätsel ist; etwa wie unendlich

viele seichte französische Juristen mit Leichtigkeit den Code von der rechten Seite ansehen, wo die deutsche Gründlichkeit mit schwerfälliger

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

6

Dreizehntes Kapitel.

82

Arbeit immer das Ziel verfehlte."

Und nun dagegen der Gewinn,

der uns aus einem einheitlichen, nationaldeutschen Gesetzbuche zufließen würde!

Thibaut entwickelt diesen Gewinn nicht bloß von Gesichts­

punkten des praktischen Bedürfnisses und der politischen Wirkung aus, sondern auch mit Rücksicht auf die Wissenschaft und auf den akade­

mischen Unterricht für Lernende und Lehrende.

Selbst das Studium

der Philologie und der Rechtsgeschichte können nur gewinnen, wenn (S. 431) „man nur die Sache von der rechten Seite ansieht und ge­ hörig behandelt." Ernst durchdachte und gemeinte Vorschläge für solche richtige Behandlung bilden den Abschluß dieser positiven Aus­

führung, an die sich endlich noch eine vorweggenommene Widerlegung zu erwartender Einwendungen anschließt.

Die eigenartige und neue

Wendung, die dann Savigny der Sache gab, konnte dabei freilich

nicht schon vorgeahnt werden. In der ganzen Schrift bewährt sich Thibaut als der Mann, dem es auch zuzutrauen gewesen wäre, an dem großen Werke, nach dem er ruft, in dem dort gewünschten Stil wesentlich mitzuwirken. Die Schrift ist selbst durchweht von dem „neuen Hauch", der uns nach Thibaut in bürgerlicher, privatrechtlicher Hinsicht nottut, „um

das Erstarrte aufzulösen und alles in das Leben hervorzurufen." Namentlich aber bewährt er in ihr überall das, was er selbst als „zivilistischen Mut" bezeichnet (Heidelberger Jahrbuch a. a. O. S. 24),

d. h. die auf das Ganze, auf die großen Züge gerichtete Gesinnung, die „nicht über jedes kleine, zur Rettung des Ganzen unabwendbare Übel wehklagt, nnd sich davon überzeugen kann, daß das gewöhnliche

juristische Mitleiden nichts anderes ist als Bestehlen des einen zum Besten des anderen." Wer weiß, ob ein unter- Mitwirkung des Freundespaares Thibaut und Feuerbach zustandegebrachtes Gesetzbuch nicht außergewöhnliche Vorzüge aufgewiesen haben, ob es nicht eine Grundlage abgegeben haben würde, auf der weiterbauend wir heute

zu Besserem gekommen wären als dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch

unserer Tage?

Selbstverständlich freilich, daß diesem außer den Fort­

schritten unserer nationalpolitischen und wirtschaftlichen Bildung die juristischen Forschungsergebnisse der Zwischenzeit wesentlich zustatten

gekommen sind, aber hätten diese Gewinne nicht auch einem Thibaut-

Feuerbachschen Gesetzbuche in moderner Umarbeitung zugeführt werden

können? — Wie dem auch sei, eines hat jedenfalls das Ergebnis er­ wiesen: auf die Dauer hat Thibaut recht behalten. Und daraus

in. Wissenschaftlicher Positivismus. wird man weiter folgern dürfen:

2) Thibaut als Dogmatiker.

83

wenn damals zunächst Savigny

obgesiegt hat, so geschah es nicht kraft der seiner Theorie innewohnenden

objektiven Wahrheit, sondern infolge der traurigen politischen Ver­ Die nur zu rasch enttäuschte bessere Ansicht über diese

hältnisse.

aber hat damals Thibaut geteilt mit den Besten und Edelsten unseres

Volkes, ja wohl selbst mit manchen Politikern in hoher amtlicher

Stellung23). 2. Als Thibaut die Schrift über ein allgemeines deutsches bürger­

liches

unter

Recht

feinen

merkte er (S. 406) dazu:

„Abhandlungen"

wieder herausgab,

be­

„In der Gesellschaft exegetischer Abhand­

lungen über das römische Recht wird denn diese Abhandlung auch

den Lesern,

welche sonst nichts von meinen Schriften kennen, zum

Beweise dienen, daß ich dem römischen Recht nicht deshalb abhold

bin, So

weil ich gelehrte Nachforschungen über dasselbe gescheut habe."

gewinnt

wohl auch unsere bisherige Betrachtung über Thibaut

erst dadurch ihren vollen Nachdruck, daß wir nunmehr in gewohnter

Weise die Besprechung seiner sonstigen juristischen Leistungen damit verbinden. Diese Leistungen,

voraufgehende und nachfolgende,

lassen sich

etwa in drei Perioden gliedern.

Der ersten Periode gehören an die Schriften, die zu Kiel ent­ standen, während Thibaut dort (seit seiner Doktorpromotion 1796,

als ao. Prof,

seit 1798,

als o. Prof, seit 1801)

lehrte,

wie

er

ebendort (1794—1796) hauptsächlich studiert hatte24), letzteres gleich­

zeitig mit Niebuhr,

mit dem er dabei in ein herzliches,

lebensläng­

liches Freundschaftsverhältnis trat — gewiß nicht eben ein Zeichen

unhistorischen Sinnes.

Die Werke dieser Periode23) zeigen durchweg

ein angestrengtes Ringen mit allgemeinen Fragen, wie mit denjenigen der Methode und der Quellenauslegung im allgemeinen, ein Ringen,

das zugleich ein Losringen von der zunächst noch recht starken Ge­ bundenheit an die alte Weise des naturrechtlichen Denkens darstellt.

So entstand eine Reihe von Arbeiten23), von der gegen Hugo ge­

richteten

Inauguraldissertation über

den wahren Sinn

der

Wen­

dungen ins personarum und ius rerum (Kiel 1796) bis zu den freundschaftlichen

(Hamburg 1802).

prinzipiellen Auseinandersetzungen

mit

Feuerbach

Zur Klarheit durchgedrungen und zur Herrschaft

über das Gebiet des römischen Rechts gelangt ist Thibaut schon gegen Ende dieser Zeit; das beweist ihre Hauptleistung, die „Versuche über 6*

Dreizehntes Kapitel.

84

einzelne Teile der Theorie des Rechts", zwei Teile, Jena 1798 und

Sie behandeln eine Reihe verschiedenartigster Dinge, all­

1801'-").

gemein grundlegende Fragen oder zivilistische einem gemeinsamen Geiste.

Einzelheiten,

Nicht auf die Namen,

sondern

aber in

auf

die

Sache wird gesehen; nicht auf die Schule, sondern aus das praktisch

angeregt,

die noch uns in

Verwertbare.

Tiefe Probleme

Atem halten,

sei es allgemeinster Art (z. B. über die Berechtigung

werden

der Entscheidung aus Analogie), sei es auch streng zivilistischen Cha­

des Irrtums oder der Bedingung bei Ver­

rakters (z. B- Wirkung

trägen).

Besonders

geworden

wichtig

für

die Entwicklung unserer

Wissenschaft sind die zwei Aufsätze des zweiten Bandes über dingliches

und persönliches Recht und über dominium directum und utile, der erstere

in seiner

Rückführung

des

modernen

nichtung

einer falschen

materiellen

auf

der andere in seiner Ver­

einen römisch-aktionenrechtlichen Gegensatz,

Begriffsbildung,

beide

in ihrer Herleitung

tiefgreifender Verfälschungen des römischen Rechts aus der Verwilderung

der mittelalterlichen Dogmatik.

In der dabei angewendeten Methode,

die auch die mittelalterliche Dogmengeschichte nach dem Studium der reinen römischen Quellen zur Erschließung vollen Verständnisses für

die geschichtliche Entwicklung heranzieht, zeigt sich Thibaut manchem

Werk

der

historischen Schule auf deren eigenstem Boden überlegen.

Das Ergebnis der zweiten von jenen beiden Abhandlungen steht seit­ her wohl unangefochten fest;

dagegen

hat

die

erstere zu lebhafter

Polemik, namentlich mit Feuerbachs) und mit G. A. W. du 9?oi29),

Anlaß gegeben. Die zweite Periode ist Thibauts Glanzzeit, diejenige, während

deren

er

allgemein

als

erster deutscher Zivilist anerkannt dastand.

Sie beginnt mit seiner Berufung nach Jena (1802), wo er nicht nur

zu Voß und Knebel, sondern auch zu Goethe und Schiller in per­ sönliche Beziehungen

trat.

die letzten Blütejahre Jenas

Nachdem es ihm so noch gegeben war, mitzuerleben,

wurde er 1806,

gerade

als hier ein Niedergang eintrat, an die unter der Pflege des Groß­ herzogs Karl Friedrich, durch die verständnisvolle persönliche Für­

sorge

ihres Kurators

Siegmund Karl

Freiherrn

von Neitzenstein

frisch emporblühende3Q) Universität Heidelberg gezogen.

Damals wurde

die feste Grundlage zu dem Rufe der Heidelberger juristischen Fakul­ tät gelegt

unter eifriger Mitwirkung von Savignh,

obschon dieser

selbst sich nicht gewinnen ließ; wohl aber veranlaßte und vermittelte

III. Wissenschaftlicher Positivismus.

2) Thibaut als Dogmatiker.

85

er wesentlich^) die Berufungen von Heise und von Pätz, woran sich dann wieder eben die von Thibaut, weiterhin die von K. S. Zachariae, Martin und Klüber reihten. Auf diese Weise entstand binnen kür­ zester Frist an Stelle einer veralteten und halb ausgestorbenen Körperschaft die neue Fakultät Heidelberg. Thibaut ist ihr zeitlebens treu geblieben; in Heidelberg, inmitten einer herrlichen Natur und einer warmherzigen Bevölkerung, Vorzügen dieses Aufenthalts, die er beide gleichmäßig zu schätzen wußte, hat er von da ab seine um­

fassendste Lehrtätigkeit ausgeübt. In dieser Periode entstand^) vor allem Thibauts Hauptwerk, noch zu Jena, in Schillers Gartenhaus, das ihm dort als Wohnung

diente, geschrieben, sein „System des Pandektenrechts", zuerst er­ schienen in zwei Bänden, Jena 1803, sodann weitergeführt in zahl­ reichen Auflagen, deren letzte aus dem Jahre 1846 datiert ^). — Der wohlbegründete Ruhm dieses Werkes mag später von solchen, die der Savignyschen Schule angehören oder wenigstens deren Ergeb­ nisse benutzen, verdunkelt worden sein; die spätesten Auflagen mögen

nicht mehr voll auf der Höhe stehen, obgleich sie stets (wie selbst Bekker anerkennt), mit größtem Eifer weitergebildet sind; sein bleiben­ des Verdienst beruht vor allem darauf, daß es das erste ist, das ein Ziel erreicht, nach dem die Rechtswissenschaft während der letzten 30 Jahre, etwa seit Hofackers Institutionen (Göttingen 1773) be­ wußt, aber bis dahin vergebens gestrebt hat:

eine frei systematisch

geordnete, durchaus quellenmäßige, dogmatisch eindringliche, in Be­ nutzung der Literatur vollständige und dennoch wissenschaftlich selb­ ständige Gesamtdarstellung des Pandektenrechts. Mißlungene oder teilweise gelungene Versuche dazu lagen vor von Hosacker, L. G. Madihn und Dabelow; Hugo hatte nicht einmal Hand ans Werk gelegt;

Thibaut hat das Ziel erreicht, weil er mit der genauen, durch gründ­ liche Einzelforschung gewonnenen Beherrschung der Einzelheiten den weiten Blick verband, der die Zusammenfügung zum Ganzen ermög­ licht, und die Selbständigkeit freien Urteils, das diesem Ganzen den unerläßlichen

persönlichen

Stempel

aufprägt.

Das System, um

dessentwillen das Werk oft gelobt wird, war dabei eher die schwache Seite, namentlich in den früheren Auflagen f die noch der älteren Überlieferung gemäss alles hineinziehen, was in Justinians Pandekten

berührt wird, auch große publizistische Stücke, nicht nur das peinliche, sondern selbst Polizei- und Kameralrecht;

unter ersteres muß sich in

Dreizehntes Kapitel.

86

der ersten Auflage noch das ganze Familienrecht einstigen lassen; der ist in den früheren Auflagen umfassend mitbehandelt,

Prozeß

spät ausgelassen.

erst

Alles das ist erst nach und nach klar und fest ge­

worden, namentlich wird in den späteren Auflagen Nichtprivatrecht­

immer

liches

strenger

ausgemerzt,

der inzwischen fest­

entsprechend

stehend gewordenen Fachscheidung und dem neuen Sprachgebrauche

für das Wort „Pandekten".

Auch sonst wird das System oft, bis­

weilen von Auflage zu Auflage,

umgemodelt.

liegt in den dogmatischen Ausführungen,

Die Stärke dagegen

auch in der Sprache des

Textes, die bei aller Knappheit frisch lebendig ist, und in den Noten

Alles in

mit ihren vollständigen, übersichtlichen Literaturangaben. allem

hat Thibaut damit den Typus

des Pandektenlehrbuchs

ge­

schaffen, wie wir daran festgehalten haben. Außerdem fallen in diese zweite Periode, abgesehen von zahl­

reichen Rezensionen u. dgl., die „Zivilistischen Abhandlungen", Heidel­ berg 181434). Sie sind durchweg kürzer gehalten als die „Versuche",

indem der springende Punkt ohne alles Beiwerk erfaßt wird.

Mitten

darunter, wie schon erwähnt, steht ein Abdruck von des Verfassers

Flugschrift über ein allgemeines deutsches Bürgerliches Gesetzbuch.

Wie das Erscheinen dieser Flugschrift

wohl den Höhepunkt

in

Thibauts Laufbahn bezeichnet, so ist wohl von Savignys Auftreten

dagegen ein gewisses Nachlassen seiner Autorität33) zu datieren. Etwa gleichzeitig damit verließen Heise und namentlich Martin Heidelberg,

letzterer durch eine kleinlich törichte, politische Skandalaffäre33) Ver­ trieben ,

womit

diese

erste

glänzende Zeit

Ruperto-Karolina traurig abbricht.

der

wiederhergestellten

Eine scharfe Grenze

läßt

sich

hier nicht ziehen; bezeichnend aber für den Eintritt Thibauts in die dritte Periode seiner Tätigkeit dürfte auch der Umstand sein, daß die Pandektenauflagen nach der von 1822 nur mehr in immer längeren Zwischenräumen einander folgen.

Während dieser Periode hat Thi­

baut kein größeres Werk mehr herausgegeben, sondern sich darauf

beschränkt, zahlreiche Artikel, oft in einem Bande mehrere, in den „Heidelberger Jahrbüchern" und namentlich in dem „Archiv für die zivilistische Praxis"

erscheinen zu lassen,

mit dem fünften Bande eingetreten war.

in

dessen Redaktion

er

Darunter sind etwa her­

vorzuheben die Aufsätze „Verteidigung der Praxis gegen neue Theorien" in Band 5 und „über possessio civilis" in Band 18 des Archivs.

Nachträge hierzu bilden Thibauts letzte juristische Arbeit, fertiggestellt

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 2) Thibaut als Dogmatiker.

87

acht Tage bot seinem Tode, erschienen nach diesem in Band 23 des Archivs, mit ebenso knrzem wie gehaltvollem Nachruf Mittermaiers.

Mehr

Aufsehen

hatte ein anderer

freilich

als

diese

strengwissenschaftlichen

Arbeiten

letzten Thibautschen Archivbciträge

dieser

erregt,

ein Artikel aus dem Jahre 1838 in Band 21, der sich äußert „Über die sogenannte historische und nichthistorische Rechtsschule". Die Schwächen dieses Gemütsausbruches sind oft und hart gerügt worden"), aber sie werden doch wohl begreiflich, wenn man bedenkt, wie

bitter

es

einen Mann wie Thibaut berühren mußte,

bei dem

jüngeren Gelehrtengeschlecht als unhistorisch verschrien zu sein,

und

daß ihm bei seinem temperamentvoll erreg­

wenn man hinzunimmt,

baren, humanen Wesen die vornehme Kälte des soviel jüngeren Savigny als aristokratisch-unwissenschaftliche Arroganz erscheinen mochte.

Übrigens spricht jener Artikel doch auch manch treffendes Wort gegen

kopfhängerisch

quietistisches Wesen,

gegen Verwechslung

des Stand­

punktes von Rechtsbedürfnis und Rechtsgelehrsamkeit, gegen die Unter­ stellung, als ob, wer Neues wünscht, deshalb die Erkenntnis des Alten gering achten müsse. Durch diese und ähnliche Äußerungen

hat Thibaut

in einer seiner Vergangenheit doch

nicht ganz unwür­

digen Weise mit der historischen Schule Schlußabrechnung gehalten.

Veröffentlichungen, die auf Grund von Thibauts Kollegienheften teils noch zu seinen Lebzeiten33) — ein damals viel erörtertes literari­

sches Skandalosum — teils nach seinem Stöbe39) erschienen sind, bleiben

hinter seinen sonstigen Werken weit zurück, trotz aller Sorgfalt, die der berechtigte Herausgeber der posthumen Ausgaben, Guyet, darauf verwendete.

Es

fehlt

die

persönliche

Note, die

sonst

durch

alle

Schriften des Mannes hindurchklingend den Leser anregt und fesselt,

die frisch sprudelnde Sprache, der Reichtum an geistreichen Bildern und treffenden Beispielen, die stete Äußerung warmer Empfindung

und unmittelbarer Anschauung.

Denkt man sich diese Vorzüge über­

tragen auf das freie Wort des Lehrvortrags,

persönliche Wirkung einer

und nimmt man die

majestätischen äußeren Erscheinung hinzu,

so wird man sich von Thibauts Lehrerfolge

einigermaßen Rechen­

schaft ablegen können — einem Erfolge, der uns zuverlässig als

ganz außerordentlich geschildert wird und der ihm bis in die späteren

Lebensjahre treu geblieben ist.

Demgemäß soll Thibaut

auch auf

die Gesamtuniversität weitgehenden Einfluß gehabt haben.

Daß er

dabei frei blieb von allem Hochmut und Neid, von aller Rechthaberei

Dreizehntes Kapitel.

88 und Affektation,

der liebevollste Freund, der verträglichste Kollege,

bezeugt ihm Mittermaier.

Allerlei Eigenheiten und Schrullen seines

Alters bezogen sich hingegen offenbar nur auf Kleinigkeiten der täg­ lichen Lebensführung. — In dieser hat während der ganzen Heidel­

berger Zeit eine besondere Rolle gespielt der „Singverein", den Thibaut leitete.

Seine innige, fast religiöse Verehrung für ältere, strenge

Kirchenmusik und für Volkslieder hat auch musikivisseitschaftlichc Ver­

dienste

gezeitigt,

die hier nicht gewürdigt werden können").

Wohl

aber mußte auch hier dieser Zug in das Gesamtbild der Persönlich­

keit eingezeichnet werden, für deren spätere Ausgestaltung er bezeichnend ist

wie für

die Anfänge die romantische Neigung zum Waldleben.

Und wert der Feststellung bleibt es immerhin, daß der Gegner der

juristischen historischen Schule sich nicht genug tun konnte Pflege der Musikgeschichte; ja,

in

der

daß derselbe Mann, der im Rechte

für bewußtes gesetzgeberisches Schaffen, gegen den Savignyschen Volks­

geist eintrat, in der Musik neben den ältesten Meistern

nur

das

Volkslied gelten lassen mochte.

3. Als Vertreter des wissenschaftlichen Positivismus gesellt sich zu Thibaut, dem Dogmatiker, der Systematiker G. A. Heise.

Georg Arnold Heise"), geboren zu Hamburg am 2. August 1778, und als dortiger Kaufmannssohn durch die Schule des alten

Büsch hindurchgegangen, dem er dabei besonders nahetrat, hatte seit Michaelis 1798 zu Jena studiert.

Er hatte dort nicht nur mit den

Brüdern Gries, seinen Landsleuten, sondern auch mit seinen Lehrern Feuerbach und Hufeland näher

verkehrt,

bei

letzterem auch schon

Savigny im Sommer 1800 kennen gelernt, mit dem er in regem

Verkehr ab

blieb").

in Göttingen

Er hatte seine Studien dann von Ostern 1801 fortgesetzt

unter Pütter

und Martens einerseits,

Hugo und Martin andererseits, ohne daß der Einfluß dieser jüngeren

den jener älteren

überwogen hätte").

Er hatte es hierauf noch in

Göttingen selbst zum Extraordinariate gebracht, als ihn den traurigen

politischen Ereignissen und Wirren Hannovers der Ruf nach Heidel­ berg entzog, folgte").

den

er Savigny verdankte, nnd dem er Herbst 1804

Zwar war er formal dorthin hauptsächlich für protestan­

tisches Kirchenrecht berufen; tatsächlich aber warf er sich daneben so­

fort mit allem Nachdrucke auf die romanistischen Vorlesungen, mit Vorliebe auf deren praktisch-dogmatischen Teil, die Pandekten.

jeher eben,

wenn

er

auch

zunächst anderes

Von

hatte treiben müssen,

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 3) Heise und Cropp. empfand er sich so recht eigentlich als Zivilisten; lich dieses Feldes bemächtigte,

erkennung.

89

indem er sich end­

erzielte er sogleich durchschlagende An­

Er las nun in Heidelberg, seitdem Thibaut dort neben

ihm wirkte, regelmäßig abwechselnd mit diesem und mit gleichmäßigem Erfolge die Pandekten; daneben auch Kirchenrecht, deutsches Privat­ recht und Institutionen, all dies verbunden mit praktischen Übungen;

und schrieb ferner sofort für den ersten Band (1805), der von Daub und Creuzer herausgegebenen, das allgemeine Aufblühen von Heidel­

berg begleitenden „Studien" einen Aufsatz über die Gewissensfreiheit

im Staate^).

Auch beteiligte er sich durch verschiedene Rezensionen

an dem gleichgearteten Unternehmen der „Heidelberger Jahrbücher"46)

und lieferte die „Erörterung eines merkwürdigen Sukzessionsfalls" für den ersten und einzigen, 1808 von Martin herausgegebenen Band der

Rechtsgutachten und Entscheidungen des Spruchkollegii der Universität Heidelberg. Namentlich aber entstand dort damals, aus Anlaß jener so mühsam erstrittenen Pandektenvorlesung, der „Grundriß eines Systems

des gemeinen Zivilrechts", der Heises dauernd wertvollster und wichtigster

literarischer Beitrag zur Forderung unserer Wissenschaft geblieben ist. Denn zu einer größeren Veröffentlichung hat Heise sich niemals entschließen können, sei es aus übertriebener Bescheidenheit, oder auch

wegen peinlich ausschließlicher Indienststellung seiner Arbeitskraft für

seine unmittelbaren Berufsgeschüfte, vielleicht auch, weil er die literarische Wirksamkeit gegenüber der unmittelbar praktischen geringer

wertete.

Es handelt sich um dieselbe Äeistesrichtung, die auch den Ausschlag

gab zu dem Entschlüsse, die akademische Laufbahn, zu der Heise nur ungerne sich hatte drängen lassen, mitten aus außerordentlichen Er­

folgen hervor aufzugeben. Göttingen zurückgekehrt

Heise war 1814 von Heidelberg

und

hatte

dort

das Handelsrecht

nach

seinen

anderen Vorlesungen zugesellt unter stets zunehmendem Beifall; trotz­ dem sah er sich veranlaßt,

1817 die immerhin untergeordnete Stel­

lung eines vortragenden Rats im Hannoverschen Justizdepartement

anzunehmen4Z.

Es

war

freilich

nur

eine Durchgangsstelle.

Aus

ihr wurdx Heise bekanntlich 1820 abberufen, um als Präsident an die Spitze

des von den vier freien Städten errichteten Oberappella­

tionsgerichts zu Lübeck zu treten.

vember 1820 feierlich eröffnet

Er hat dieses Gericht am 13. No­

und ihm dreißig Jahre hindurch

ununterbrochener Arbeit und Fürsorge vorgestanden, am 6. Februar 1851 eingetretenen Tode.

bis

zu

in

seinem

Dreizehntes Kapitel.

90

Sem Grundsatz dabei war der, die Prozesse lieber länger dauern und selbst Reste sich aufhäufen zu lassen, wie das denn auch nicht

ausgeblieben ist,

als die Sache zu beschleunigen auf Kosten ihrer

Dann übernahm er stets das Korreferat

vollständigen Aufklärung.

und erstattete sein Votum mit einer Universalität des immer präsenten

Wissens, mit einer Klarheit der Darstellung und einer Strenge des Gerechtigkeitssinnes, derentwegen ihm bis in seine letzten Tage die

volle Bewunderung seiner Beisitzer zuteil ward.

Das hervorragende

Ansehen, das seinem Gerichtshöfe alsbald über ganz Deutschland er­ worben wurde, ging so weit, daß dieses Tribunal wesentlich in die

Lücke eintritt, die zwischen dem Erlöschen der alten Reichsgerichte und dem Beginne des neuen Leipziger Oberhandelsgerichts liegt, wie denn

auch die Lübecker Praxis unsere Wechsel- und Handelsgesetzgebung

wesentlich mitvorbereitet hat.

Dabei wurde entscheidend nicht nur die

persönliche Tüchtigkeit Heises als Präsidenten, sondern auch dessen Gabe, fortwährend hervorragende richterliche Kräfte zu gewinnen und

bei diesen die innige Verbindung des wissenschaftlichen Geistes mit dem praktischen Verständnisse zu pflegen, für die er selbst das leuch­

tende Vorbild

Namentlich sehen wir sein

abgab.

Gericht in un­

ausgesetzt reger Verbindung mit den Universitäten, so daß bald Professoren in dasselbe eintreten, bald auch seine Richter zur Über­

nahme einer Professur es verlassen.

So brachte vor allem Heise gleich zu Beginn seiner Lübecker Tätigkeit dorthin mit den Heidelberger Professor Friedrich Croppt), einen Juristen von besonders vielseitiger und tiefer Vorbildung.

Sein

Ruf als Theoretiker erhellt aus dem Umstande, daß man ihn von Heidelberg nach Königsberg und Tübingen, nach Jena und Halle zu gewinnen versucht hatte;

als Praktiker wird ihm nachgerühmt „ein

fester männlicher Ernst im Rechte, der dqs weichliche Billigkeitsgefühl zurückweist, aber doch die volle Aufmerksamkeit für die Erscheinungen

und

Bedürfnisse

(Frensdorfs.)

Heises,

der

des

ihn

umgebenden

wirklichen Lebens

behält."

Das war offenbar so recht ein Mann nach dem Herzen

ihm

außerdem

durch Familienbeziehungen

nahestand.

Was Cropp auch allein zu leisten vermochte, beweist namentlich seine

selbständige, in der germanistischen Literatur ihrer Zeit

einzig da­

stehende und maßgebende Monographie über den Diebstahl nach dem älteren Recht der Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck.

Be­

sonders glücklich aber war Cropps nahe Verbindung mit Heise, da

III. Wissenschaftlicher Positivismus.

3) Heise und Cropp.

91

sich beide Männer trefflich ergänzten: der eine mehr Romanist, der andere mehr Germanist, der eine mehr das Ganze zu überblicken gewohnt, der andere mehr für monographische Einzelarbeit begabt. Aus dieser Vereinigung sind hervorgegangen die beiden Bünde der

„Juristischen Abhandlungen mit Entscheidungen des Oberappellations­ gerichts der vier freien Städte Deutschlands", Hamburg 1827 und 1830.

in

Das Werk kann heute noch als Muster gelten, wie schon

den 40er Jahren

Thöl von

Meisterschaft" Zeugnis abgelegt hat.

seiner Verfasser

„unvergeßlicher

Die Autorität des Werkes und

des Lübecker Gerichtshofes sind untrennbar miteinander verbunden. Die besprochenen Fälle betreffen meist das deutsche Privatrecht, nament­ lich der Hansestädte, und das Handelsrecht einschließlich des See- und

Wechselrechts. Sie sind alle, wennschon bisweilen in recht entferntem Zusammenhang, angeregt durch die Zufälle der gerichtlichen Praxis,

sie sind aber vom höchsten wissenschaftlichen Standpunkte her aus­ gewählt und bearbeitet, historisch und dogmatisch erörtert unter nament­

lich ausgiebiger Verwertung der Analogie aus fremden und aus ein­ heimisch-partikulären Gesetzgebungen. Der Zweck ist, wie die Vorrede selbst versichert, „durchaus nicht auf eine Sammlung von Rechtsfällen

und Urteilssprüchen, sondern vielmehr auf die wissenschaftliche Er­ örterung einzelner praktisch wichtiger Gegenstände gerichtet" und dem entspricht es, daß die Urteile nur in Noten auszugsweise mitgeteilt werden. Bisweilen sind ganze Gruppen von Fällen in sachlichem Zusammenhang bearbeitet. So scheidet das Werk sich wesentlich von der bloß berichtenden und summierenden Art der alten Praktiker und eröffnet einen neuen Weg wissenschaftlicher Arbeit. Eine Zeit, die überall nach tiefer wissenschaftlicher Erkenntnis strebt,

begnügt sich eben nicht mit dem Präjudiz als solchem, dem man sonst so gern blindlings folgt; sie will von der Richtigkeit des Erkenntnisses überzeugt sein, bevor sie sich danach richtet; und das Gericht selbst fühlt das Bedürfnis, von den Gründen seiner Erkenntnisse wie von

ihrer Tragweite für die Rechtsentwicklung in wissenschaftlicher Aus­ führung, gründlicher als innerhalb des Nahmens einer Urteilsbegrün­ dung möglich, Rechenschaft abzulegen. Unzweifelhaft kommt für die Ausführung, mag auch Anregung und Durchgeistigung von Heise

ausgehen, Cropp das überwiegende Verdienst zu, da von den 46 vor­ liegenden Abhandlungen volle 42 von ihm herrühreu, nur drei von Heise, wozu noch eine tritt, die von dem Sekretär C. W. Pauli")

Dreizehntes Kapitel.

92 geliefert ist.

So ist die Sammlung, obschon ein dritter Band über

das Recht der Erbgüter und der Vergabungen von Todeswegen in

Aussicht gestellt war, nicht fortgesetzt worden, nachdem Cropp früh­

zeitig, am 8. August 1832 von der Cholera dahingerafft war.

Mit Cropps Tode ist auch Heise verstummt.

Sein Nachlaß

enthält tief eindringende Studien zur Kritik der römischen Quellen,

namentlich. einen ganzen Apparat zum Kodex mit besonderer Berück­ sichtigung der leges restitutae50); von allen Seiten wurde er dringend

angegangen, auf Grund seiner Vorlesungsheftc, wovon Abschriften umgingen und mit Gold ausgewogen wurden, Lehrbücher der Pandekten und des Handelsrechts61) herauszugeben; erschienen ist tatsächlich aus seiner Feder während dieser ganzen lübischen Zeit — und auch vorher

hatte er sich doch wahrlich nicht durch Fruchtbarkeit ausgezeichnet52) — nichts als jene drei Beitrüge in den juristischen Abhandlungen, die

nicht einmal zu den ausführlicheren oder bedeutsameren Stücken dieser Sammlung gehören. Die damals (1830) geschriebene Abhandlung „Über die Beweislast bei der actio negatoria", so bedeutsam und

praktisch einflußreich sic geworden ist, wurde erst nach der Verfasser, Heise

und

öffentlicht.

du

Roi,

Tode

Was Wunder,

1857

im

„Zivilistischen

Archiv"

das; dieses Verhalten Heises zu

weitiger Ausnutzung seiner Kollegienhefte geführt hat?

ver­

ander­

Wie davon

namentlich die Pandekten sich des Rufes besonderer Fülle und Ge­

diegenheit erfreuten,

und wie dieser Ruhm sich frisch erhielt, längst

nachdem Heise den Lehrstuhl verlassen hatte, so sollten eben sie einer besonders bedenklichen Ausbeutung verfallen.

Auch sonst mochte es

ja wohl damals bei den noch unklaren Begriffen und dem erst recht ungenügenden Rechtsschutze des literarischen Eigentums vorkommen, daß

Vorlesungen eines beliebten Lehrers plötzlich ohne dessen Wissen irgend­ wo im Druck erschienen, wie es z. B. Thibaut hatte erleben müssen.

Immer aber doch waren es bloß dunkle Persönlichkeiten gewesen, die sich zur Herausgabe solcher Machwerke durch gewinnsüchtige Verleger hatten

bewegen

lassen.

Nun

aber

veröffentlichte

der

ordentliche

Professor des Zivilrechts an der Universität Landshut, wo kurz vor­ her noch

ein Savigny

tätig gewesen war,

der

Johann Nepomuk von Wening-Jngenheim^) ein

meinen Zivilrechts"

bayerische Hofrat

„Lehrbuch des ge­

in drei Bünden (München 1822, 1823, 1825),

als dessen Verfasser er sich selbst bezeichnete, wennschon mit dem Zu­

satze, es sei nach Heises Grundriß angeordnet, das aber sofort von

III. Wissenschaftlicher Positivismus. 3) Heise und Cropp.

93

jedem Kenner als genaue Wiedergabe von Heises Pandektenkolleg, als Zusammenstellung aus verschiedenen Nachschriften dieses Kollegs an­

gesprochen wurde.

Seinem „Verfasser",

so

sehr

sein

ganzer Ruf

dabei beteiligt war, ist es nicht gelungen, sich von diesen Vorwürfen

zu reinigen; er mag einiges, namentlich zur Benutzung der zwischen­ zeitigen Literatur, hinzugearbeitet haben;

es mögen dann auch diese

seine Zutaten zu späteren Auflagen stärker geworden sein, keineswegs übrigens zum sachlichen Gewinn dieser Ausgaben5^; feststeht mindestens für den ersten Band in erster Auflage, daß er „ein wörtlicher Abdruck

des Heiseschen Pandektenwerks"

gewesen ist — und da wird man

wohl annehmen dürfen, daß die beiden anderen Bände die Vorzüge

der Vollständigkeit, Klarheit, Quellenmäßigkeit und Umsicht in der

Stoffbehandlung, die sie mit dem ersten Bande teilen, auch nicht anderswoher haben werden. Immerhin hat so wenigstens unter dem Namen Wening-Jngenheim Heises Pandektenheft längere Zeit hindurch Einfluß auf Praxis

und Theorie ausgeübt und behauptet55).

Dagegen war die Ausgabe

von Heises Vorlesungsheft über Handelsrecht,

die Agathon Wunder­

lich 1858 besorgte56), ja freilich durchaus legitim sowie offen bezeichnet als wortgetreuer Abdruck nach des verstorbenen Verfassers Original­

manuskript, wie es aus seinen Göttinger Zeiten sich in seinem Nach­

lasse vorfand; aber eben darum, weil lveder Heise selbst inzwischen irgend etwas darin nachgetragen hatte, noch Wunderlich zu irgend­

einem

Zusatz

sich

hatte

entschließen mögen,

kaum mehr recht brauchbar.

war

sie

doch

wohl

Auf dem Gebiete des Handelsrechts hat

also Heise fast nur persönlich gewirkt, so freilich wiederum im bedeut­

samsten

Maße,

akademische

durch

Tätigkeit.

seine

richterliche

Zunächst

hat

er

sowohl

wie

durch

seine

durch das Beispiel dieser

letzteren nach dem Vorgänge Martens' dem Handelsrechte zu regel­ mäßigen besonderen Vorlesungen an deutschen Universitäten verholfen,

und dadurch zugleich dessen Anerkennung als besonderen Zweig der

Wissenschaft wie wohl auch als Gegenstand für eine eigene Gesetz­ gebung gefördert.

Der Gesetzgebung hat dann wieder die Praxis des

hanseatischen Oberappellationsgerichts unter Heises Leitung vorge­ arbeitet, so daß wesentlich gerade duräh das Ergebnis dieser Praxis

Heises altes Vorlesungsheft, als es 1858 im Druck erschien, überholt

war.

Durch diesen ausgeprägten Sinn für

das Handelsrecht und

für praktische Wirksamkeit erscheint Heise so recht als Vertreter des

Dreizehntes Kapitel.

94

hansestädtischen Geistes, besonders als der treue Sohn seiner Vater­ stadt Hamburg.

Nimmt man hinzu den persönlichen und sachlichen

Zusammenhang zwischen Büsch, Martens und Heise, der so weit geht,

daß

das Lehrbuch

von Martens auf Büsch beruht^),

Heise aber

wieder Handelsrecht nach dem Lehrbuche von Martens gelesen hat°b), und bedenkt man endlich, was später nachzuweisen sein wird, daß ein

ähnlicher Zusammenhang besteht zwischen Heise seinerseits und Thöl:

so tritt erst vollständig klar hervor, was Alles das deutsche Handels­ recht den Hansestädten und besonders Hamburg als seiner Heimstätte verdankt69). Gewiß soll nach alledem Heises persönlicher Einfluß, namentlich

auch soweit er auf seiner Wirksamkeit von hoher richterlicher Stelle her beruht, nicht gering geschätzt werden.

Literarisch aber bleibt er

denn doch im wesentlichen der Verfasser eines Buches, des „Grund­ risses eines Systems des gemeinen Zivilrechts", das bereits oben ge­ nannt wurde, nun aber noch näher zu betrachten bleibt. Es erschien

zuerst Heidelberg 1807, dann in neuen,

wesentlich erweiterten Auf­

lagen 1816 und 1819, endlich seit 1833 noch mehrfach in bloßen

Abdrucken.

Entscheidend aber ist die erste Auflage; darum ist denn

auch von Heise schon in diesem Zusammenhang, inmitten der Dar­ stellung des ersten zivilistischen Aufschwunges, nicht etwa erst anläß­

lich der Tätigkeit seiner späteren Jahrzehnte zu handeln.

Im Jahre 1757 hatte Pütter in seinem „Entwürfe einer juristi­ schen Enzyklopädie und Methodologie" (s.

Werkes, S. 337) darauf gedrungen,

den

1. Halbband dieses

daß man für den Vortrag der

Pandekten die Schablone der Legalfolge aufgebe und statt ihrer ein

befriedigendes System

frei zu

erfinden

sich

bemühe.

freilich zunächst zahlreiche verschiedene Versuche

Das

werde

hervorrufen,

durch

diese Vielgestaltigkeit aber das Studium des römischen Rechts ebenso­ wenig geschädigt werden, „als

bisher in anderen Teilen unserer

Rechtsgelehrsamkeit, z. B. im Staatsrecht,

im peinlichen Recht,

im

Lehenrecht, im teutschen Recht nachteilig gewesen, wenn fast ein jedes

neue Lehrbuch eine neue Ordnung erwählet hat.

Derjenige, der am

gründlichsten zu Werke geht, wird doch am Ende den Preis davon­ tragen und sich in der Tat ein unsterbliches Verdienst machen." Wie vollständig der erste Teil dieser Vorhersagung in Erfüllung

ging, zunächst durch die Habernikkel, Hofacker, Lobethan, Madihn, Dabelow

und

Günther,

sodann

durch Hugo,

Thibaut und deren

in. Wissenschaftlicher Positivismus.

Schüler

braucht

hier

kaum

mehr

Buntscheckigkeit der Systematik

95

3) Heise und Cropp.

hervorgehoben zu werden;

wurde

da

hervorgerufen,

vor

eine der

Hugo selbst erschreckt zur Legalfolge zurückflüchtete, während Thibaut in immer neuer Umprügung das Heil suchte.

jene Vorhersagung eingetroffen,

Ja auch insofern war

als die Wissenschaft des römischen

Rechts selbst unter dieser Vielgestaltigkeit keineswegs zu leiden hatte,

im Gegenteil während dieser systematologischen Wirren und Kämpfe, teilweise selbst durch die darauf verwendete geistige Kraft ihren Auf­

schwung nahm.

Nun aber, mit Heises Grundriß,

war

auch

der

Augenblick gekommen, in dem der zweite Teil jener Prophezeiung sich erfüllen sollte. Heises System, tote es im wesentlichen fertig schon in der ersten

Auflage des Grundrisses vorliegt, hat die Aufgabe gelöst, an der man

in letzter Zeit wiederum so

seit Doneau und Vultejus vergeblich, angestrengt sich abmühte. lehnung

an

Es ist ganz frei gebildet, ohne jede An­

das Jnstitutionensystem,

Hugos früheren Versuchen.

unter einiger Benutzung von

Es ist durchsichtig in außergewöhnlichem

Maße, paßt sich dem Stoffe bequem an, eignet sich für dogmatische wie für didaktische Darstellung und fördert die Sacherkenntnis, indem

es regelmäßig dazu führt, sachlich Verschiedenes

innerlich Zusammengehöriges zusammen,

getrennt zu behandeln.

Von diesem System

liefert Heise nicht etwa bloß die Grundzüge, sondern er führt es auch schon in die Einzelheiten durch in einer bis auf wenige untergeordnete

Punkte mustergültigen Weise. — Sein Vorzug nun beruht wohl zu­ nächst darauf, daß Heise mit durchgreifender Energie alle nicht rein

privatrechtlichen Stoffe ausgeschieden hat.

Von Staatsrecht, Strafrecht

und Prozeß finden sich nicht einmal mehr Spuren, während doch die zum Privatrecht hinneigenden Zwischengebide, wie Aktionenrecht, Straf­

klagen aus Delikten u. dgl. m. festgehalten sind.

So war das dem

System zu unterwerfende Gebiet zuerst einmal selbst systematisch genau abgegrenzt.

Sodann stellt Heise an die Spitze seiner Ordnung einen

„Allgemeinen Teil". Dafür hatte ihm ja die Nettelbladtsche Schule vor­ gearbeitet, aber wie viel klarer erkennt Heise,

worum es sich dabei

handelt, wie sicher versteht er es, den besonderen Teilen ihr Recht zu lassen, während sich die wirklich allgemeinen Lehren zu wenigen be­

deutsamen Gebilden

zusammenschließen.

Weiterhin

sondert

er von

allen sonstigen die erbrechtlichen Materien ab, um diese, wie es dem Bedürfnisse des Lebens und der Wissenschaft entspricht, zu einem eigenen

Dreizehntes Kapitel.

96

Hauptteile verbunden an das Ende des Systems zu stellen, ein bisher noch nie in dieser Weise versuchtes Verfahren,

Note besonders gerechtfertigt totrb60).

das deshalb in einer

Ferner verwendet Heise den

Kantischen Begriff der dinglich-persönlichen Rechte^), potestatis«

zu

um die »iura

einem weiteren Hauptteil züsammenzufügen;

da er

darunter die Rechte der Ehe, der Vaterschaft und der Vormundschaft versteht, so ist es tatsächlich, bis in die Einzelheiten hinein und von

der rechtsphilosophischen

oder

rechtsgeschichtlichen

Begründung oder

Bezeichnung unabhängig, das Familienrecht, das durch diesen Haupt­ Endlich werden die übrig bleibenden einzelnen Rechts­

teil entsteht.

verhältnisse in dingliche und obligatorische geteilt, nach einem durch­ schlagenden

Einteilungsgrunde,

den

in

neueste romanistische Rechtswissenschaft klar herausgearbeitet hatte. —

seiner Bedeutung die

dieser

Thibaut) soeben

(Hugo und

Es wird jeden, der diese Entwicklung

der Heiseschen Haupteinteilnng verfolgt, ansprechen, wie sie nicht aus

einzelnen

abstrakten

Vordersätzen naturrechtlich abgeleitet oder nach

einer dichotomischen Schablone entfaltet ist, sondern mit einer gewissen Freiheit sich bewegt, dem gegebenen Stoffe sich anpaßt, um zu ihren großen Gruppen zu gelangen.

innerhalb

dieser Gruppen an

bindet sich Heise

Ebensowenig aber

irgendeine systematologische Vorschrift,

um die Unterabteilungen zu gewinnen, vielmehr läßt er auch hier sich leiten durch sein Gefühl für sachliche Zusammengehörigkeit, durch das

er zu gleich vortrefflichen Ergebnissen gelangt.

So wird z. B. im

Obligationenrechte wieder die allgemeine Lehre von der Obligation der Erörterung der einzelnen Obligationen gegenübergesetzt, im Erbrechte

Anfall und Erwerb geschieden,

und so fort in ähnlicher Selbständig­

keit, überall anders nach Zahl und Prinzip, aber überall in vorzüglich passender und sachfördcrlicher Weise, bis zur Sonderung der einzelnen Paragraphen herab.

Auf solche Weise ist das Heiscsche Pandekten­

system entstanden. Es fand sofort allgemeine Zustimmung — und, was mehr ist, Befolgung.

Natürlich nicht immer gerade Paragraph für Paragraph,

obschon es auch daran nicht gefehlt hat, aber doch im wesentlichen. Entscheidend dürfte dafür

Heiseschen Grundriß

wohl

geworden

sein,

daß Savigny den

seinen Vorlesungen zugrundelegte;

und so

ist

denn ganz feststehend anerkanntermaßen, mit wenigen unbedeutenden

Abschleifungen,

die

sich

gewissermaßen

von

selbst

ergaben^),

das

Heisesche System dasjenige geworden, das für Vorlesungen und Lehr-

HI. Wissenschaftlicher Positivismus.

über Pandekten

bücher

Deutschland

dieses

ganze Jahrhundert

außer

fast selbstverständlich,

97

3) Heise und Croll.

von

hindurch in ganz

einigen

unbedingten

Es hat in dieser

Freunden der Eigentümlichkeit, angewendet wurde.

seiner allgemeinen Verwendung die Einheitlichkeit des Lehrvortrages sowie der dogmatischen Entwicklung zweifellos mächtig gefördert, freilich auch unser systematisches und dogmatisches Denken stark gebunden und

voreingenommen.

Es ist

uns

dabei so in Fleisch nnd Blut

daß wir es ganz ohne

gegangen,

wir können

über­

weiteres Nachsinnen beherrschen;

nicht einmal mehr beurteilen,

ob dieser feste Sitz aller

Einzelheiten im System^) sich aus diesem als innerlicher Vorzug ergibt oder nur als Ergebnis der stets gleichmäßigen Übung. Wir liegen so fest im Banne dieses Systems, daß wir uns von ihm selbst

da kaum losreißen können, wo durch weitere Entwicklung der Rechts­ erkenntnis und der Gesetzgebung neue Begriffe (z. B. des absoluten

Rechts als Oberart des dinglichen) erzeugt worden sind.

Und eben

darum, weil uns die Einordnung des Privatrechts in dieses System

so zur zweiten Natur

geworden ist,

weil es mit seinen innerlichen

Vorzügen die gewohnheitsmäßig hinzuerworbenen verbindet, ist denn

ja bekanntlich auch Heises System von Anfang an dazu ausersehen deutschen

gewesen,

dem

werden.

Sowohl für die Bestimmung

Bürgerlichen

Gesetzbuch

der

zugrundegelegt zu

Materien,

die in das

Gesetzbuch hineingezogen worden sind unter Ausscheidung aller soge­

nannten Sonderrechte64), wie für die Anordnung des Stoffes in fünf Bücher

ist demgemäß

das Heisesche System maßgebend

geworden.

Auch in zahlreichen der Unterabteilungen unseres Gesetzbuches lebt es,

wennschon hier nicht so durchgreifend, fort. Diese Wirksamkeit ist ihm dadurch noch auf lange Zeit hinaus gesetzlich gesichert.

Auf die Dauer ist sonach sonder Zweifel diese systematologische

die bedeutsaniste Wirkung des Heiseschen Grundrisses.

Für die nächste

Zeit nach seinem Erscheinen läuft daneben eine andere her, die nament­

lich für den akademischen Rechtsunterricht ins Gewicht siel und von

den Zeitgenossen besonders betont toirb65). darum,

daß durch

Es handelt sich nämlich

das Beispiel dieses Grundrisses die Gewohnheit

über Kompendien zu lesen verdrängt und statt dessen das Lesen über einen solchen „Grundriß" üblich wurde.

Typus

dafür

wurde

So recht der mustergültige

freilich Heises Grundriß

erst

in den

beiden

spätern Auflagen, die zu den wenigen und kurzen, lediglich die Syste­ matik

rechtfertigenden Noten

der

ersten Auflage ein

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

starkes Noten-

7

Dreizehntes Kapitel.

98

material hinzufügen, das Quellen und Literatur zu jedem Paragraphen beibringt, unter Verdoppelung des Umfanges66). In dieser Weise will nun jeder Dozent für

haben, und die

seine

erste Folge

seinen eigenen Grundriß

Vorlesungen

war

massenhaften Mittelgutes davon.

denn allerdings

eine Produktion

Wenigstens aber haben die Grund­

risse vor den Kompendien den Vorzug der Kürze und der größeren

Bewegungsfreiheit für den mündlichen Lehrvortrag. die trüben Voraussagungen,

damals

die

So haben sich

vielfach an

die Neuerung

geknüpft wurden, nicht bestätigt, im Gegenteil, sie hat sich eher bewährt und als erster Schritt zu noch freierer Gestaltung des akademischen Vortrages im Sinne reiner Mündlichkeit erwiesen. Wie dem aber auch sein mag, in der Geschichte der Rechtswissenschaft spielt dieser Über­ gang vom Kompendium zum Grundriß wohl nur eine untergeordnete

Rolle. IV. Der zionistische Aufschwung ist unmittelbar einem anderen privatrechtlichen Studienzweige zugute gekommen, nämlich der Pflege des nach Deutschland übertragenen französischen Zivilrechts. — Bei

der Bearbeitung, die dieses Recht in Deutschland fand, mag es sich

ja oft nur um Abhilfe für die Not des Augenblicks gehandelt haben. Aber

es

wäre

unwahrhaftig,

die Tatsache unterdrücken zu wollen,

daß, wie das französische Recht sich praktisch dauernde Beliebtheit in weitesten

Kreisen

erworben hat,

so

ihm

auch eine vielseitige und

gründliche wissenschaftliche Bearbeitung in Deutschland zuteil geworden

ist.

Dazu

mögen

zusammengewirkt

haben

Umstände

wie

die ger­

manistische Natur vieler seiner Jnhaltsbestandteile oder die liberali­

sierende politische Stimmung oder die geschlossene Einheitlichkeit dieser ; Gesetzgebung oder schließlich auch ihre eigentümliche Form und Kürze,

die wissenschaftlicher wie praktischer Ausarbeitung weitestgehende Frei­ heit läßt: jedenfalls hat sich der äußeren Aufnahme dieses Rechts eine'

wahrhaft innerliche Rezeption gesellt. 1. An mancherlei Bearbeitung des französischen Rechts hat es selbst in den Landen nicht gemangelt, in denen es nur ganz vor­

übergehend zur Geltung gelangte. Während der ersten Lustren seiner Existenz haben nicht nur ein Dabelow, sondern auch Männer wie Hugo, E. Spangenberg, G. H. Österley, Seidensticker, Pfeiffer und F. H. von Strombeck auf den Code Napoleon

gerichtetx).

ihre Leistungskraft

Aber diese ganze Literatur ist außerhalb der Rheingegen­

den eine ephemere Erscheinung geblieben, wie die Gültigkeit des Ge-

setzes

99

1) Im allgemeinen.

IV. Das französische Privatrecht.

Auch in der preußischen

selbst im Herzen von Deutschland.

Rheinprovinz2) kam es zunächst nur zu untergeordneten Leistungen, zu Übersetzungen, Materialsammlungen und Gelegenheitsschriften. Die

tieferen

Kenntnisse

die geistreich-schöpferische

und

Literatur,

und

auch

eines

Auffassung

sind ja nur der französischen

Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels3)

dieser nur mittelbar, zugute gekommen,

durch

Verwertung der Vorträge, die dieser deutsche Jurist, hervorgegangen aus dem Studiuni des römischen Rechts und der kurkölnischen Pro­

vinzialrechte, früherer Bonner Richter und Professor, in seinen Stel­ lungen als substitut du procureur genöral und später als avocatgdndral am Pariser Kassationshof zu

halten hatte.

Auch nachdem

er, in seine deutsche Heimat zurückgekehrt, an die Spitze des rheini­ schen Appellationsgerichtshofes getreten war, hat er sich schriftstellerisch kaum

mehr

seine

amtliche

betätigt,

sondern

bildung des rheinisch-stanzösischen Rechts für

dessen

Verbindung mit

Jurisprudenz

an

durch

seine Tatkraft dahin gerichtet,

die wissenschaftliche

Tätigkeit

dem

und praktische

Durch­

und namentlich den Sinn

großen Strom der stanzösischen

hohen Gerichtshöfe zu pflegen. — Anders

jenem

aber gestalteten sich die Dinge in Rheinhessen, in Nassau und in Baden.

Für Rheinhessen war es Karl Ludwig Wilhelm von Grolman''),

von

dessen bedeutender Stellung als Kriminalist

weiter

unten

zu

handeln sein wird, der von Gießen aus seine ganze Kraft dem auf­ gedrungenen Fremdling zugute kommen ließ, nämlich in seinem aller­ dings nur bis zum 3. Bande (b. h. bis zu der Lehre von der Ehe­

scheidung einschließlich) fortgeführten Kommentar: „Ausführliches Hand­ buch über den Code Napoleon zum Behufe wissenschaftlich gebildeter

deutscher Geschäftsmänner", Gießen 1810—1812, sowie in der seinen Monographie: „Über holographische und mystische Testamente", Gießen

1814. — Für Nassau andererseits war es der Feuerbach und Grolman so nahestehende,

hervorragende Jurist Ludwig Harscher

von

Almendingen3), der sich, vielleicht mit der Nebenabsicht, dadurch die Rezeption des Code in sein Vaterland bis zu befreiender Änderung

der politischen Lage zu verzögern, bemühte, durch gründliche Unter­ suchung und Darstellung des französischen Gesamtrechtszustandes dar­ zutun, wie jenes Zivilgesetzbuch nur ein organisch damit verbundenes, davon unablösliches, daher ohne gründliche Anpassung an die ein­

heimischen Zustände des

Prozesses,

der Verwaltung und der Be­

steuerung auf uns nicht übertragbares Bruchstück davon sei.



Indem

Dreizehntes Kapitel.

100

er dies in allgemeinen, durch den Hinweis aus den Zusammenhang

des Rechts mit dem gesamten Volks- und Staatslebcn, namentlich aber auch und besonders an zahlreichen Einzelheiten der französischen Gesetzgebung nachwies, und indem er daran gegen die mattherzig ent­ gegenkommende Rezeptionsneigung eines Grolman und Gönner mit

zäher Verbissenheit festhielt, hat sich Almendingen um die deutsche

Sache wie um das deutsche Recht in jenen traurigen Tagen zweifellos ein besonderes Verdienst erworben. — Aber während er noch diese

Kontroverse führte, wurde bekanntlich die Ausgabe, die er als eine so schwierige und umständliche schilderte, in raschem Zugriffe in Baden

gelöst.

Dort wieder war es dann derselbe vielgewandte, scharfsinnige

und gelehrte Staatsmann und Gesetzgeber, der das französische Gesetz­ buch zum badischen Landesgesetz umgestaltet hatte, Johann Nikolaus

Friedrich Brauers, der nun selbst dazu die „Erläuterungen zu dem

Code Napoleon" in sechs Bänden, Karlsruhe 1809—1812 herausgab.

Diese Erläuterungen dürfen auch abgesehen von diesem ihrem autori­ tativen Ursprung für das französische Recht im allgemeinen und für

dessen badische Umformung besonders nicht geringe Bedeutung in An­ spruch nehmen, etwa in derselben Art, wie früher die ähnliche Ver­ öffentlichung eines Kreittmayr für das gemeine Recht und für dessen

Verarbeitung durch den bayerischen Gesetzgeber. — Aber freilich, alle diese bisher hier genannten Schriften stehen unendlich zurück an wissen­ schaftlichem Werte, wie an Dauer und Ausdehnung des Einflusses

hinter demjenigen Werke, um dessentwillen hier wesentlich von dem

fremdländischen Rechte die Rede ist.

Dieses Werk, das unmittelbar

der Befruchtung seines Verfassers durch das Heidelberger wissenschaft­

liche Leben dieser Jahre seinen Ursprung verdankt, ist das „Handbuch des französischen Zivilrechts"

von Karl Salomo Zachariae?), zuerst

erschienen Freiburg 1808 in zwei Bänden, sodann aber in 2. Auflage, wesentlich umgearbeitet, auf das Doppelte verstärkt und dadurch erst

zu seinem bleibenden Werte nach allen Seiten

hin erhöht in vier

Bänden, Freiburg 1811 und 18128). 2. Carl Salomo Zachariae ist eine Proteusnatur.

Die

Vielgestaltigkeit in seinen Werken wie in seiner Lebensführung erklärt sich wohl zu gutem Teile aus dem Gegensatze zwischen seiner natür­ lichen Anlage und dem, was er ihr abgewinnen möchte, also doch

wohl

in

letzter Linie

aus

einer gewissen Charakterschwäche.

Von

Hause aus deutscher Gelehrter im engeren Sinne des Wortes, Syste-

IV. Das französische Privatrecht.

2) C. S. Zachariae.

101

matiker, abstraktem und dialektischem Denken geneigt, eher pedantisch

und altfränkisch befangen, in vielen Beziehungen noch ein Mann des 18. Jahrhunderts, von eisernem Fleiße und durchhaltender Zähigkeit,

wirft er sich andererseits mit Eifer auf alles Moderne, möchte vor allem geistreich erscheinen und legt besonderes Gewicht auf das „Lob

einer weltmännischen Zierlichkeit und vornehmen Leichtigkeit" (v. Mohl a. a. O. S. 514).

Bei alledem aber gelingt es ihm nie vollständig,

den altsüchsisch-wittenbergischen Provinzialprofessor abzustreifen; und

bei dem vergeblichen Versuche, über den eigenen Schatten zu springen,

verliert er immer wieder Sicherheit und Stetigkeit, einen so lebhaft angeregten Geist, einen so starken Verstand und ein so fachwissen­ schaftlich gründliches Wissen, ergänzt dnrch gewandte Beutezüge ins

Ausland sowie aus die Gebiete anderer Wissenschaften, er dazu auch aufzubieten in der Lage ist.

Die Entwicklung im geistigen Leben Zachariaes, die durch diese Gegensätze bedingt ist,

vollzieht sich wesentlich in drei Abschnitten.

Der mittleren von diesen drei Perioden aber, die von 1807 bis etwa

1813 reicht, entstammen die wissenschaftlich gediegensten und geistig be­

deutsamsten Werke; cs ist die Zeit eines gewissen Gleichgewichts in seinen Leistungen und Strebungen, in seinem Wissen und Können,

in der Mitte zwischen der zopfigen Gebundenheit der ersten und der geistreichelnden Ungebundenheit der dritten Periode.

Zuerst in Wittenberg finden wir ihn als festen Kantianer der ältesten Observanz, etwa in der Art, wie der Kantianismus in den

Lehrbüchern von Schmalz und von ®ro§9) auftritt, d. h. als eine

neue Scholastik, und, auf das Recht bezogen,

als ein neues Natur­

recht von der Ausdehnungsfähigkeit des Wolfischen.

Dem entsprechen

die damaligen philosophierenden Schriften, die „Anfangsgründe des

philosophischen Privatrechts nebst einer Einleitung in die philosophische Rechtswissenschaft überhaupt", Leipzig 1804; die „Anfangsgründe des philosophischen Kriminalrechts mit einem Anhänge über die juristische

Verteidigungskunst", Leipzig 1805; und „Die Wissenschaft der Gesetz­ gebung

als Einleitung

1806.

Wie schon die Titel andeuten, wollen diese Werke philosophische

zu

einem

allgemeinen

Gesetzbuche", Leipzig

Begründungen liefern, die für jedes positive Recht tauglich sein sollen.

So ist denn auch wirklich in dem ersten dieser Werke ein privatrecht­

liches System aufgestellt und mit einer apodiktischen Sicherheit bis in

alle untergeordneten Einzelheiten durchgeführt, wie dies nur je ein

Dreizehntes Kapitel.

102

Naturrecht des 18. Jahrhunderts geleistet hat.

Im Strafrecht folgt

Zachariae seinem Meister Kant so weit wie nur eben möglich, indem er an Stelle der Kantischen Talio eine Freiheitsstrafe einsetzt, deren Dauer berechnet werden soll aus dem Vermögensverluste, zu dem die

Wirkung des Delikts angeschlagen werden kann, und aus dem Satze

des landesüblichen Tagelohns: so viel Tage Freiheitsstrafe, wie nach der Höhe des Tagelohns der Delinquent brauchen würde, um erstere

Summe abzuverdienen10).

Und in der „Wissenschaft der Gesetzgebung"

ist eigentlich bereits eine allgemeine Staatslehre

ganz enthaltenu),

entwickelt vom streng Kantischen Gesichtspunkte aus und durchgeführt nach den älteren, damals in Kursachsen noch unbedingt herrschenden

Anschauungen über Staat und Politik. In denselben Zusammenhang gehören Zachariaes bekanntere Be­

trachtungen

das

über

allgemeine Kirchenrecht

und das Verhältnis

zwischen Staat und Kirche aus dieser Epoche, mit ihrer Unterscheidung zwischen hierarchischem, Territorial- und Kollegialsystem12), von welchen

allein das letzte auf den Namen eines Rechtssystems soll Anspruch machen dürfen.

Derartige Dinge erörtert namentlich die Schrift über

von 17971S), der daun

die „Einheit des Staates und der Kirche"

noch einige Nachträge gefolgt sind. — Dagegen bewegt sich bereits

wesentlich freier ein Aufsatz über den „Geist der deutschen Territorial­

verfassung",

treffender

Leipzig

nnd

1800,

eine

wirklich

fördernder Ansichten,

so

anziehende Leistung recht

voll

für den

ein Beleg

„denkenden Kopf" des Verfassers, der durch solchen, gelegentlich immer wieder glückenden Wurf auch immer wieder zu hindern weiß, daß

Handelt es sich dabei in späterer Zeit

man an ihm ganz irre werde.

gewissermaßen um Wiederaufzüngeln der geistigen Flamme, so ist es hier ein erstes Auflodern, dem wir begegnen. Daneben

erinnern

andere

mathematisch-scholastischen

Erzeugnisse

derselben

Gebundenheit ihrer

Form

Zeit

und

in

der

in ihrer

sachlichen Unfruchtbarkeit an die schlimmsten Erzeugnisse der starren Wolfschen Schule.

So

die

unglaublich

dürftigen

und

gespreizten

„Grundlinien einer wissenschaftlichen juristischen Enzyklopädie", Leipzig

1795, ferner in besonderer Anwendung auf das römische Recht die Schrift „Über die wissenschaftliche Behandlung des römischen Privat­

rechts", Wittenberg 1795;

und

die

direkt

mathematisch

folgernde

„Wissenschaftliche Entwicklung der Lehre des römischen Rechts von

den dinglichen Servituten", die,

obschon sie allen Errungenschaften

IV. Das französische Privatrecht.

2) C. S. Zachariae.

103

der neuesten Zeit geradezu ins Gesicht schlägt, merkwürdigerweise aus­ genommen ist in Hugos „Zivilistisches Magazin" (2, 328 f.) von 1796. In Übertragung auf das positive Staatsrecht gehört ebendahin die

lediglich formal, nach abstrakter Schablone, systematisierende »Iuris publici Germanici in artis formam redacti delineatio«, Leipzig 1797, mit einer Vorrede de iure a populis condito in artis for­

mam redigendo.

Immer wieder die Vorstellung, als ob sich irgendein

System finden ließe, unter das jedes positive Recht vergewaltigt werden dürfte! Wirklich hat denn auch später Zachariae das System des Privatrechts, das er als das philosophisch richtige in den Anfangs­

gründen von 1804 deduziert hatte, ganz unverändert seinem franzö­ sischen Privatrecht zugrunde gelegt. — Neben diesen abstrakten Ar­

beiten war aber Zachariae zu Wittenberg beschäftigt mit der trockensten positiven Materie des dort geltenden Partikularrechts, mit dem sächsi­ schen Lehnrecht. Neben allerhand kleinen Abhandlungen") entstand da das treffliche „Handbuch des knrsächsischen Lehnrechts", Leipzig

1796, das noch 1823 eine zweite vermehrte Auflage unter etwas ver­ ändertem $itet15) erfahren hat. Es ist eine grundgelehrte Verarbeitung lediglich des positiven Materials, die sich durch Klarheit der Dar­ stellung, wie durch systematische Vollständigkeit (diese im Anschlüsse an G. L. Böhmer) auszeichnet und deshalb mit Recht jahrzehntelang als Hauptwerk über den Gegenstand gegolten hat. So vollständig hatte Zachariae cs verstanden, während er daneben mit den allge­

meinsten, raum- und zeitlosen Philosophemen sich befaßte,

in das

Labyrinth dieser mittelalterlich provinziellen Verhältnisse sich einzuleben. Das wenigstens ist ihm nicht eingefallen, ein philosophisches Lehnrecht oder gar ein philosophisches kursächsisches Lehnrecht zu schreiben, dafür war er denn doch zu geistreich und zu vernünftig.

Eher noch versucht

er es, seinem Stoffe eine etwas anziehendere Seite abzugewinnen, indem er hier zur Abwechslung einmal den patriotischen $on16) an­ schlägt und rühmt, daß das sächsische Lehnrecht „den Rechtsgewohn­

heiten unserer Voreltern treuer geblieben" sei, als sonst durchweg die deutsche Rechtsentwicklung es mit sich gebracht habe; eine merkwürdige Äußerung im Munde des Mannes, der alsbald zur Bearbeitung des rheinbündischen Staatsrechts und des französischen Privatrechts über­

gehen sollte! Es ist oft hervorgehoben worden, wie die Berufung von Witten­ berg nach Heidelberg, der Zachariae Ostern 1807 folgte, ihn in eine

Dreizehntes Kapitel.

104

Hier streng konservativ lutherisches,

ganz neue Welt versetzt hat.

ökonomisch dürftiges Wesen,

alles fest abgemessen,

ein bis zur Er­

schöpfung der Fruchtbarkeit durchgearbeitetes Recht — dort frei pul­

sierendes Leben, Mischung aller Konfessionen, Behaglichkeit der Lebens­ führung auf dem Grunde weitverbreiteten Wohlstandes, ganz junge

Bildungen in Staat und Recht, die nach wissenschaftlicher Bearbeitung ordentlich schrieen.

Dazu die blühenden Verhältnisse der Universität,

die zum Wetteifer anspornende Gesellschaft hervorragender Gelehrter, die aufregenden politischen Ereignisse!

Zachariae war so recht der

Mann, eben inmitten solcher sein Bestes zu leisten, wo die Arbeits­ kraft einer mehr auf stille Abgeschlossenheit gestellten Natur versagt haben würde, ebenso wie ihn das Neue, Unfertige der Verhältnisse

nur stärker reizte, seine ganze Kraft zu deren wissenschaftlicher Be­ wältigung einzusetzen.

Hauptsächlich aber eines: die Lage, in der er

die seiner Arbeit sich aufdrängenden neuen Rechtsstoffe vorfand, war

eine solche, daß sie ihm Verbindung seiner philosophisch-systematischen Methode und der am Lehnrechte geübten positivistischen Arbeitsweise Genau dem Verhältnisse, in dem jene Stoffe einer solchen

gestattete.

Verbindung

entgegenkommen,

entspricht

das

Wertverhältnis

der

Leistungen. Da

hatte Zachariae

„Rheinischen

Bund"

zunächst

mit der

vor

sich

den

neu geschaffenen

staatsrechtlich so knappen und unge­

nügenden Grundlage der rheinischen Bundesakte;

und die einzelnen

mit der ebenso neu geschaffenen Souveränität ausgestatteten Bundes­

staaten,

denen

nun

jede historisch gewordene staatsrechtliche

ebenso

Grundlage mangelte — man hätte denn eine solche aus den nicht­

souveränen Zeiten des alten Reiches herüberzuretten versuchen mögen. Statt dessen greift Zachariae zu dem echt naturrechtlichen Mittel, alles dieses

positive

gründen

und

Staatsrecht positiv

aus

dem

philosophischen Rechte zu be­

fehlende Einzelheiten

daraus zu ergänzen17).

Er erreicht dabei zugleich den Vorteil, sich den politischen Wünschen

kleiner und großer Machthaber, dem Souveränitätsdünkel und der Fremdsüchtelei weit besser anpassen zu können, als das mit jener ge­ schichtlich-reichspublizistischen Methode entstand zunächst, kaum daß

möglich

gewesen

wäre.

So

er Heidelberger Boden berührt hatte,

bereits 1807, das kurze System eines »Ins publicum quae foederi rhenano ad scriptae sunt«;

und

civitatum

dann 1810 das

„Staatsrecht der rheinischen Bundesstaaten und das rheinische Bundes-

105

2) C. S. Zachariae.

IV. Das französische Privatrecht.

Und deutlich

recht, erläutert in einer Reihe von Abhandlungen".

zeigen diese Schriften18) die Vorzüge und Nachteile einer solchen Ent­

stehung.

Sie zeichnen

sich

rühmlich

aus,

das System durch ge­

drängte Kürze, klare Einteilung und wissenschaftlichen Zusammenhang;

das größere Werk durch geschickte Auswahl und glatte Lösung einer Reihe von schwierigen Fragen, sowie außerdem durch gefällige Sprache; beide durch vollkommene Beherrschung des schwer zugänglichen, weit zerstreuten Stoffes.

Aber daneben herrscht ein bedenklicher Geist der

politischen Konnivenz, der um so gefährlicher ist, da er hier nicht plump byzantinisch auftritt, sondern stets geschickt den juristischen An­

Die Einzelheiten darüber gehören mehr in die politische

stand wahrt.

Geschichte

jener

Zachariae.

trüben Zeit

oder

zur

des

Beurteilung

Menschen

Bedeutsamer für die Geschichte der Rechtswissenschaft ist

der methodische Fehler, durch den jene Vorzüge erkauft werden, die Übertragung des abstrahierenden Verfahrens auf das positive Recht

im allgemeinen, und besonders die grundfalsche Auffassung, als gäbe es ein aprioristisch zu

gewinnendes gemeines Bundesstaatsrecht der

War eine solche Konstruktion

einzelnen Glieder des Rheinbundes.

schon recht bedenklich gewesen für das sogenannte gemeine Territorial­

recht des alten Reiches, war sie da aber doch immerhin durch ge­ meinsame nationale nnd geschichtliche Grundlagen in etwa erträglich

gemacht, so muß sie ganz unerträglich erscheinen, übertragen wie sie

hier ist19)

auf

das

unorganische,

widerhistorische,

gewalttätig

ge­

schaffene Gebilde des Rheinbundes und seiner Bundesstaaten. Doppelt unerträglich, da hier das positive Material weit knapper ist, die durch philosophische Abstraktion zu füllenden Lücken also weit augenfälliger

hervortreten.

Wenn trotzdem die Werke Zachariaes auf diesem Ge­

biete einen höheren Rang einnehmen,

so wird das besonders

der

persönlichen Begabung des Verfassers zugute zu schreiben sein.

Gerade umgekehrt auf dem Gebiete rechts.

des

französischen

Privat­

Hier war eine gesetzliche Ordnung geboten von genügender

Ausführlichkeit, um weiteren Betrachtungen die positive Grundlage zu geben, aber summarisch genug, um der Ergänzung aus weiteren

Kenntnissen und Gesichtspunkten zu bedürfen.

Zur Anwendung als

Quelle solcher Ergänzungen empfahlen sich sachlich zwei Rechtskreise, die Zachariae

nahe

lagen:

das

römische Recht,

als

welches jener

Gesetzgebung selbst in so weitgehendem Maße allgemeinhin zugrunde liegt; und für Einzelheiten germanistische Anschauungen, ähnlich denen,

Dreizehntes Kapitel.

106 deren

Kenntnis Zachariae aus Kursachsen

mitbrachte.

Namentlich

aber hatte der französische Gesetzgeber das römische Recht ganz in demselben Sinne verwendet, der der Überlieferung des 18. Jahr­ hunderts entsprach,

als raison öcrite.

nämlich philosophisch-naturrechtlich verstanden, Wie der französische Heineccius, Pothier nämlich,

es ist, aus dessen Schriften ganze Stücke des Code geschöpft sind, so hegte Zachariae — für seine Zeit veraltet, hier aber glücklich zu­ treffend — eine besondere Verehrung eben für Heineccius^) und für

dessen glatten Lehrvortrag, wie er der romanischen Empfindung so

sehr zusagt und wie ihn offenbar Zachariae zum Muster genommen hat. Die Beratungen des französischen Staatsrats, die denn auch Zachariae besonders als Auslegungsmaterial benutzt hat^), stehen noch ganz auf jenem Standpunkte teils utilitarischen, teils natur­ rechtlichen Räsonnements; und so war denn hier für das Prinzip Zachariaes, das positive Recht philosophisch zu bearbeiten, das glück­ lichste Anwendungsgebiet gegeben. Deshalb fühlt sich denn auch

Zachariae in dem neuen siemden Recht sofort zu Hause, er meint wohl gelegentlich^), der Code Napoleon könne „füglich nur als ein populärer Unterricht über das Zivilrecht" (dieses offenbar als ein ohnehin gegebenes angenommen) „betrachtet werden". Nimmt man zu alledem die Anregung hinzu, die Zachariae in Heidelberg seitens seiner Kollegen wurde, namentlich durch Thibaut, dessen Pandekten­ system ihm als Beispiel und Vorlage für das zum Vergleich heran­

gezogene gemeine Recht fortlaufend gedient hat: so wird man wohl im wesentlichen die Elemente zusammen haben, die es erklären, das; hier eine Glanzleistung zustandekam.

Als solche ist das Werk von Deutschen wie von Franzosen gleich­

mäßig anerkannt und hat dadurch über die deutschen Länder des fran­ zösischen Rechts nicht nur, sondern in Frankreich selbst dauernde Herrschaft gewonnen, wie demzufolge weiter in anderen Ländern, die das napoleonische Gesetzbuch adoptiert haben. Die zahlreichen deutschen Ausgaben, die mehrfachen Übersetzungen ins Französische und Italie­ nische bezeugen diesen Erfolg ebenso, wie die Äußerungen französischer

Juristen, bei denen Zachariae zu den klassischen Autoritäten gerechnet wird. Auch nach seinem Tode haben sich ja fortwährend neue tüchtige Bearbeiter gefunden, durch die das Werk in immer weiteren Auflagen mit den nötigen Zusätzen und Nachträgen versehen worden ist. Dabei ist wenigstens bei uns der letzte Zachariaesche Text von 1837 Pietät-

2) C. S. Zachariae.

IV. Das französische Privatrecht.

107

voll festgehalten worden, bis die letzte Umarbeitung von 1894 aller­ dings zu einer vollständigen Neugestaltung geführt hat.

Diesen ganz außerordentlichen Erfolg zu erklären hat man mehr­ fach versucht.

Von deutscher Seite beruft man sich dafür gerne auf

den Vorsprung, den Zachariae vor seinen französischen Nebenbuhlern durch romanistische Schulung gehabt hätte, wobei man indessen über­

sieht, daß gerade er an dem neueren Aufschwünge noch recht geringen Anteil

hatte,

vielmehr in

rein

zivilistischer Hinsicht

der

veralteten

Nichtnng angehörte, bevor er 1807 mit Thibaut in Beziehung trat; die ältere Schule

deutscher Romanistik

aber

dürfte

vor der gleich­

zeitigen französischen nichts voraus haben. Von französischer Seite23)

fühlt man sich erst recht getrieben, besondere Gründe zu suchen für die stets vorurteilslos anerkannte Überlegenheit eines Ausländers.

Hier beruft man sich deshalb wohl schlankweg

auf den doch recht

zweifelhaften Vorteil, den Zachariae gerade dadurch gehabt habe, daß

er an diese Materie ganz frisch und unvoreingenommen herangetreten

man darin,

Zachariaes Stärke in seinem

dogmatisch-systematischen Verfahren zu

finden, den bloßen Kommen­

sei.

Einstimmig aber ist

taren gegenüber, von denen er umgeben ist.

Damit dürfte ja sicher­

lich schon eher etwas Zutreffendes ausgesagt sein.

Das Entscheidende

ist es aber doch wohl noch immer nicht; ist doch jenes so berühmte

System Zachariaes tatsächlich keineswegs besonders rühmenswert, weder an sich besonders elegant, noch für das französische Recht besonders

glücklich — wie das ja auch ein merkwürdiger Zufall wäre, da es einfach aus einer dessen

philosophisch-abstrakten Deduktion Zachariaes, aus

Wittenberger Zeit

hierher

übertragen ist.

Vielmehr

die oben genannten Umstände dazu genommen werden müssen.

werden

Dazu

gehört einerseits der Einflllß von Thibaut und von dessen Pandekten­

system, das für Zachariae überall dogmatische Anregung, Sicherheit und Fülle des Stoffes

liefert;

deshalb eben ist Zachariae,

obschon

ursprünglich nicht hierher gehörig, dieser Gruppe des zivilistischen Auf­

schwunges

zuzuordnen.

Andererseits

aber

sind

hinzuzugesellen die

erörterten individuellen Umstände, die Eigentümlichkeiten von Zachariaes

Begabung, seiner juristisch-philosophischen Methode und seiner geistigen Entwicklung, die, wie oben dargetan, hier sachlich und zeitlich zu einem Höhepunkte führen.

Dieser Höhepunkt

ist überschritten,

sobald Zachariae

die alte

Schulstrenge ganz aufgibt, ohne neue feste Prinzipien oder Methoden

108

Dreizehntes Kapitel.

anzunehmen.

Das alte solide Wittenberger Rüstzeug zu lockern war

ein Fortschritt. Aber wenigstens eines Restes davon bedurfte Zachariae nach Anlage des Geistes wie des Charakters zur festigenden Stütze.

Nun ist diese unter der Sonne Heidelbergs und des Erfolges ganz Er bindet sich nun an nichts mehr,

hinweggeschmolzen.

die Kantische Philosophie noch an positive Rechtsregeln. an jene hat er

abgestreift,

nicht etwa zugunsten

weder an

Den Glauben

vertiefter Einsicht,

sondern infolge latitudinarischer Skepsis; die früher wenigstens mit Ernst und Überzeugung gepflegten philosophischen Studien haben jetzt für ihn nur noch den Wert dialektischer Schulung;

nicht mehr die

Sache interessiert ihn, sondern das Behagen am Spiele des eigenen

Geistes mit der Sache. Er mochte weder seine früheren Anschauungen

unmittelbar verleugnen, noch sich an sie binden; er .möchte gerne ein

moderner Mensch sein, und doch konservativ-reaktionären Tendenzen

entgegenkommen, ohne das Prinzip des Konstitutionalismus preiszu­ geben; solche Widersprüche scheut er nicht nur nicht, fast möchte man sagen, daß sie ihn anziehen, daß es ihn lockt, seine Gewandtheit bei ihrer Überbrückung zu zeigen. Nur eines ist ihm auch in dieser Periode, auch nachdem diese Richtung ganz überwuchert, bis ins höchste Lebens­

alter hinein, neben vereinzeltem Aufflammen der alten Kraft, von den

früheren soliden Eigenschaften überall geblieben, Beharrlichkeit

in

unterstützt durch

der Durchführung die

seiner

reiche Masse des

der Fleiß

und die

schriftstellerischen Pläne,

angesammelten Wissens und

durch die feste Gewohnheit gründlicher Verarbeitung.

Mag er sich

auch dieser Vorzüge gewissermaßen schämen und deshalb bemüht sein,

sie zu verstecken; sie sind

doch da

seinen Schriften ein

und sichern

gewisses Schwergewicht. Daß dabei einzelne Stücke stets vorzüglich bleiben, alle aber noch bedeutend als Äußerungen eines bedeutenden Geistes, ist ohnehin selbstverständlich.

Indessen scheiden die meisten der späteren Werke von Zachariae aus unserer Darstellung aus,

da Zachariae sich

nun

immer mehr

einem Fache zuwandte, zu dem ihn seine jetzige Geistesrichtung stärker

zog, der Wissenschaft von dem allgemeinen Staatsrecht, deren Geschichte (in dieser Sammlung der Wissenschaftsgeschichten) von Bluntschli ge­ schrieben ist24).

Es kann deshalb hier auch nicht ausgeführt werden,

'weshalb ich mich dem allgemein so günstigen Urteile nicht anschließen möchte bezüglich des umfassenden Hauptwerkes dieser Epoche, desjenigen Werkes,

in dem Zachariae

die

Summe

alles

seines

Wissens und

IV. Das französische Privatrecht. 2) C. S. Zachariae.

109

Denkens zu ziehen bemüht gewesen ist, nämlich seiner „Vierzig Bücher

vom Staate"2^). manche

Dieses eigentliche Lebenswerk Zachariaes mag ja

treffende Bemerknng

Betrachtung enthalten,

Gedanken Zeugnis ablegen: sprüchen

und

cs mag

nianche von

ihre Zeit

für

förderliche

mannigfachen Kenntnissen und

aber es wimmelt im ganzen von Wider­

und im einzelnen von Kleinlichkeiten, es ist eine unbefrie­

digende Vermengung der alten, Kantischen Prinzipien aus dem Werke von 1806

politisch-utilitaristischen Gesichtspunkte,

und der neuesten

vielfach unter Augenblickseindrücken geschrieben und schon daher be­ Nainentlich aber entbehrt es jeder ehrlichen

stimmt, rasch zu veralten.

Grundüberzeugnng und vermag deshalb auch beim Leser keine solche

hervorzurufen.

Das muß einmal gesagt werden, uni mit dem alten

Banne zu brechen, denken wird es ohnehin jeder, der sich durch die geistreiche Gespreiztheit und öde Fülle dieser Bände heute noch hin­

durchliest. — Nicht viel besser steht es übrigens auch meiner Ansicht

nach um die oft gerühmten

„Staatswissenschaftlicheu Betrachtungen

über Ciceros wiedergefundenes Werk vom Staate", Heidelberg 1823. Eher wird man noch zu einer gewissen Anerkennung sich aufschwingen können für die Monographie über Lucius Cornelius Sulla, Heidel­

berg 1834, namentlich für die darin

gebotenen

rechtsgeschichtlichen

Untersuchungen über die sullanische Gesetzgebung. In dem Boden der positiven Rechtswissenschaft wurzelt eben,

so gerne er darüber hinaus möchte, für Zachariae einzig Kraft und Heil.

daß

Nur

leider

der bei weitem stärkste Teil seiner positiv­

rechtlichen Tätigkeit in diesen späteren Jahrzehnten, soweit dafür neben

den Neuausgaben des französischen Privatrechts übrig

bleibt,

aus ganz

anderen Gründen recht

Zeit und Neigung

unerfreulich wirkt,

nämlich die zahlreichen Gutachten, um die er von allen Seiten ange­

gangen wurde — durchweg „Gelegenheitsschriften, in welchen es dem Klienten hauptsächlich um den Namen Zachariaes zu tun war, aber um den Klienten"26).

ihm

Mögen hier auch eine Anzahl wichtiger

Rechtsfragen mit größter Feinheit und Gelehrsamkeit behandelt sein,

mögen selbst darunter treffliche Leistungen

„wo es sich traf, Anspruch,

sondern

daß nicht ein

vorkommen,

mit Scheingründen ein

wirkliches Recht

mit

da nämlich,

unbegründeter

der ganzen Kraft der

Wahrheit zn vertreten war"26) — der Umstand, daß man nie wissen kann, welcher von beiden Fällen vorliegt, muß dieser ganzen Kate­

gorie

Zachariaescher Schriften

ihre Stellung

außerhalb

der

reinen

Dreizehntes Kapitel.

110

Wissenschaft anweisen; sie erscheinen als Wiederaufnahme des schlimm­ sten, in der alten Reichspublizistik vor I. I. Moser üblichen Treibens.

Es bleiben übrig eine Reihe geistreich-paradoxer Improvisationen über rechtsgeschichtliche S)inge27),

meist in

der Form von Journal­

artikeln; und verdienstliche Bemühungen um Verbreitung der Kenntnis des ausländischen Rechts,

diese namentlich durch Zachariaes Beteili­

gung an der „kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetz­ gebung des Auslandes", die er mit Mittermaier seit 1829 herausgab. Er hat da manche treffliche Einführung in die Welt des englischen oder amerikanischen Rechts, manchen guten Bericht über englische oder

amerikanische Bücher oder Gesetze geliefert. An, besten und günstigsten

aber nehmen wir wohl Abschied von ihm, indem wir zwei Beiträge

zu dem „Archiv für die zivilistische Praxis" von 1833 und 1834 er­ Sie behandeln die Fragen:

wähnen.

„Erstreckt sich das richterliche

Entscheidungsrecht auf die Frage, ob die Regierung eine Verordnung, auf welche sich in einer Streitsache die Parteien beziehen, zu erlassen

berechtigt gewesen sei?" und „Sind in den deutschen konstitutionellen Monarchien die Gerichte befugt, über Klagen zu entscheiden, welche vor ihnen wegen gesetzwidriger Äußerungen eines Mitgliedes der ersten

oder der zweiten Kammer erhoben werden?"

Zachariae hat da mit

umfassender Kenntnis des positiven Territorialrechts und mit metho­ disch durchaus zutreffender Voranstellung desselben die gebotene Rück­ sicht auf fundamentale Rechtsanschauungen bestimmt und zielklar zu

so daß die Abhandlungen an

verbinden

gewußt,

erinnern.

Für beide so wichtige Fragen gelangt er zu Antworten,

seine besten Zeiten

die der aufrichtig gemeinten Repräsentativverfassnng förderlich sind, ohne

berechtigten Ansprüchen anderer Art zu nahe zu treten.

Man wird

sich hier noch einmal von ihm befriedigt erklären dürfen.

Nichtsdestoweniger, und wenn man selbst die staatswissenschaft­ lichen Leistungen Zachariaes höher einschätzen will, als dies hier ge­

schehen

ist:

in

der Geschichte der

Zachariaes Stellung

nicht durch

Rechtswissenschaft jedenfalls ist jene

maßgebend

durch sein Handbuch des französischen Zivilrechts.

bedingt, sondern

Damit aber gehört

er nächst Thibaut und Heise in die Epoche, die der Griindung der historischen Schule unmittelbar vorangeht.

INerzehntes Kapitel.

Das gleichzeitige öffentliche Recht. I. Strafrecht. 1) Feuerbach. 2) Stübel und Grolman. 3) v. Almendingen. II. Prozeß- 1) Gönner. 2) Martin. III. Staats-, Völker- und Lehnrecht. 1) Klüber, Leben. 2) Klüber, Schriften. 3) Klüber, Würdigung. 4) Pätz. IV. Katholisches Kirchenrecht. 1) Verschiedene Kanonisten. 2) v. Droste-Hülshoff.

I. Selbständig gegenüber der Entwicklung des Privatrechts derläuft die des Strafrechts1); diese Scheidung ist für längere Zeit maß­ gebend geblieben. Was für die Zivilistik der Jahrhundertwende Hugo und Thibaut, das sind für deren Kriminalistik Feuerbach und Grol­

man; mit ihnen beginnt die moderne Strafrechtswissenschaft, wie mit jenen das moderne Privatrecht. Dabei stehen aber Feuerbach und Grol­ man einander weit näher als jene beiden. Von einem Gegensatze zwischen antiquarisch-historischer und positivistischer Methode kann nämlich inner­ halb des Strafrechts nicht die Rede sein. Vielmehr vollzieht sich da der ganze Prozeß von demselben spekulativen Ausgangspunkte aus, in Anlehnung an Kant, in geringerem Gegensatze zum Naturrecht;

die Kluft, die das aufgeklärte Strafrecht von dem mittelalterlichen scheidet, ist zu tief, als daß historische Herleitung des Rechts der

Gegenwart aus dem der Vergangenheit so wie im gemeinen Zivilrecht angängig erschienen toäre2). Lebendig bleibt aus dem Zeitalter der

Aufklärung namentlich die Gewohnheit, mit der Betrachtung des gel­ tenden Rechts den Hinblick auf wünschenswerte Reformen zu ver­ binden. Die ganze Strenge der Selbstüberwindung, mit der der Zivilist sich dem geltenden Rechte gefangen gibt, ist daher wohl von

Vierzehntes Kapitel.

112

den Kriminalisten kaum je erreicht worden;

andererseits haben diese

eben darum es weit früher gelernt, vom Boden der positiven Wissen­

schaft her die Gesetzgebung vorzubereiten.

Steht doch an ihrer Spitze

der Mann, dessen Hauptruhmestat in seinem Gesetzgebungswerk be­

steht, der Mann, den man nicht mit Unrecht als den genialsten und

mutigsten deutschen Gesetzgeber,

mindestens seit Schwarzenberg, be­

zeichnen durfte.

1. Dieser, Paul

Johann

Anselm Feuerbachs), ist ge­

boren am 14. November 1775 zu Hainichen bei Jena, doch siedelte

bald darauf sein Vater Dr. jur. Anselm Feuerbach

nach Frankfurt

am Main über, wo er sich als Advokat niederließ. Die Mutter war

eine Enkelin des bekannten Juristen

Salomo

Brunquell.

Bereits

1792 entfloh der junge Feuerbach dem engen Abhängigkeitsverhält­

nisse des Elternhauses, um sich in Jena, nur kärglich durch Ver­ wandte unterstützt,

dem Studium der Kantischen Philosophie unter

Reinhold

widmen.

ganz

zu

Erst nachdem er (am 12. September

1795) den philosophischen Doktorgrad erworben,

auch

schon

durch

mehrere philosophische Schriften sich ausgezeichnet hatte, vermochten ihn äußere Rücksichten dazu, sich der Rechtswissenschaft zuzuwenden.

Namentlich entsprach er damit einem dringenden Befehle seines Vaters, der ihm lediglich unter dieser Bedingung Verzeihung und Unterstützung zuteil werden ließ, was ihm dann ftühe Heirat ermöglichte.

dem Ansporn aller dieser Verhältnisse später selbst einmal

Lage meiner

war,

seinem Sohne Anselm, als dieser in ähnlicher

geschrieben5),

geliebten

„mit raschem

Philosophie zur

aber

abstoßenden

festem Entschluß von

Jurisprudenz.

wurde mir bald minder unangenehm,

weil ich wußte,

liebgewinnen

es

müsse;

Unter

„wandte ich mich", so hat er

und

so

gelang

meiner

Sic

daß ich sie

Unverdrossenheit,

meinem durch die bloße Pflicht begeisterten Mut bei verhältnismäßig

beschränkten Talenten, daß ich schon nach zwei Jahren den Lehrstuhl besteigen, meine Zwangs-, Not- und Brotwissenschaft durch Schriften bereichern und so einen Standpunkt fassen konnte, von welchem ich

rasch zu Ruhm und äußerem Glück mich emporgeschwungen und von

der Mitwelt das laute Zeugnis gewonnen habe, daß mein Leben der Menschheit nützlich gewesen ist." In diesen Worten zeigt sich greifbar

deutlich der Mensch wie der Kantianer in Feuerbach, sein eisernes

Pflichtbewußtsein, sein gewaltiger Tätigkeitstrieb, seine glühende Liebe zu Wissenschaft und Menschheit, aber auch seine vulkanische Natur,

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

113

sein leidenschaftlicher Drang nach Anerkennung und Erfolgs).

Nur

darin statt des absichtlich unterschätzenden Urteils über seine

wäre

Talente einzusetzen die Berufung auf eine eminente Begabung, welche die Befähigung, eine tiefe philosophische Gedankenkettc mit all ihren

Verzweigungen im ersten Augenblicke zu übersehen, in seltenem Maße

verbindet mit der sichersten Herrschaft über positiv noch so verwickelt An der inneren Zuversicht aus die

gegebene praktische Verhältnisse.

hierdurch gesicherte Leistungsfähigkeit hat es denn auch Feuerbach nie gemangelt: mit Bestimmtheit schreibt er dem Vater, sowie er eben erst

den Boden der Nechtswissenschaft betreten hat'):

„Es wird mir ein

bald in der Jurisprudenz das zu werden, was ich jetzt

leichtes sein,

in der Philosophie geworden bin."

Das ließ sich um so zuversichtlicher aussprechen, als denn doch

auch schon die früheren philosophischen Schriften dem juristischen Grenz­

gebiete sich zuwenden. So bereits die (anonym Gera 1795 ver­ öffentlichte) Abhandlung „Über die einzig möglichen Beweisgründe gegen das Dasein und Gültigkeit der natürlichen Rechte"; und zum Abschlüsse gebracht in der

fortgesetzt

„Kritik des natürlichen Rechts

als Propädeutik zu einer Wissenschaft der natürlichen Rechte", Altona

Auf diese Schrift hin wurde Feuerbach, noch nicht 21 jährig,

1796.

von einem Würzburger Rezensenten als der „wahre Vater des Natur­

rechts" begrüßt 8).

Und zwar

im Geiste

der Zeit

nicht

ganz

mit

Unrecht; denn so entschieden Feuerbach darin, terminologisch wie sachlich,

auf Kantischer Grundlage steht, so sehr geht er doch auch schon darin für sein besonderes Gebiet über das durch Kant unmittelbar Gegebene

hinaus, namentlich um der Naturrechtswissenschaft ihre Selbständigkeit zu sichern.

Vor Kants eigenem Naturrecht und vor Fichtes einschlä­

gigen Werkens, von denen Feuerbach ganz unabhängig ist, führt er

den Nachweis, daß es „ein vergebliches Unternehmen ist, das Recht (wie es die bisherigen Naturrechtslehrer taten) aus dem Sittengesetz,

sei es nun aus dem Sittengcsetz des Berechtigten oder des Verpflich­ teten

oder

aus

beiden

zugleich,

abzuleiten".

Vielmehr habe das

Recht seinen besonderen, vom Sittengesetze verschiedenen, in dem be­ rechtigten Subjekte an sich gelegenen Grund, nämlich in einem beson­

deren juridischen Vermögen der praktischen Vernunft, das dazu dient, dem Menschen diejenige äußere Freiheit zu um

freiwillig

können.

dem

Sittengesetz zu

folgen,

sichern, deren er bedarf, d. h. um sittlich sein zu

So erlaubt z. B. das Recht den Selbstmord, da es andern-

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

8

Vierzehntes Kapitel.

114

falls kein moralisches Verdienst wäre, den Lockungen dazu zu wider­

stehen.

Darlim ist überhaupt, während das Sittengesetz stets gebietet,

das Rechtsgesetz stets erlaubend,

zwar erteilt es die Erlaubnis

und

zum Zwange gegen andere, soweit nicht diese selbst wieder ihrerseits

dadurch in der Möglichkeit freier sittlicher Betätigung Eintrag leiden

würden. — Von dieser Grundlage aus Hütte man sowohl die Ab­ von der Moral hervorkehren können, wie es

hängigkeit des Rechts

andererseits Feuerbach dadurch

ständigkeit des Rechtsgebietes zu betonen. seitigkeit

und

trotziger

die

möglich wurde,

Mit jugendlich starrer Ein­

beschränkt

Selbherrlichkeit

formale Selb­

zweite dieser beiden Betrachtungsarten10).

er

sich

auf

die

alle Härten

Namentlich

seines kriminalistischen Systems werden fortwährend gerechtfertigt durch die Berufung darauf, es handele sich hier nicht um moralische, sondern nm juristische Dinge;

unbedenklich

Theorie führe in Fällen, wo derter Zurechnungsfähigkeit

Strafe,

während

Beurteilung

Strafe müsse

ausdrücklich sagt er,

geradezu

im

umgekehrten

Prinzip der sittlichen Beurteilung.

zu

besonders

harter

da zu

besonders

milder

werde,

delinquiert

die sittliche Betrachtung

führe;

seine

entwickelt Feuerbach selbst,

aus Not, aus Leichtsinn, aus gemin­

das Prinzip

der äußeren

Verhältnisse

stehen

zum

„Hätte daher der Freiheitsbegriff

auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft überhaupt einige Bedeutung,

so müßte man sagen, — nicht, daß die Strafbarkeit um so größer sei mit je mehr Freiheit der Verbrecher gehandelt hat, sondern: daß sie um so größer sei, mit je weniger Freiheit er gehandelt hat."

Weiter wird man den Wagemut einseitiger Folgerichtigkeit kaum treibe» können.

Der philosophisch Recht dient Feuerbach

erschlossene

Gegensatz

ferner dazu,

zwischen

Moral

und

eine andere Anschauung zu be­

gründen, die für sein Lebenswerk maßgebend geworden ist: die An­

schauung, wonach der Richter als Diener des positiv gegebenen Rechts

ausschließlich zu dessen Anwendung berufen ist, während die Aufgabe es fortzubilden bloß dem Gesetzgeber

zufüllt,

beide

aber unterstützt

von einer Rechtswissenschaft, zu deren erster Pflicht es somit wird,

in jedem einzelnen Falle genau zu sondern, ob sie das positive Recht behufs richterlicher Anwendung

Vorschläge macht.

Denn

erklärt,

oder ob sie

wenn das Recht in

seinem

gesetzgeberische

letzten philo­

sophischen Grunde etwas ganz anderes ist als die Moral, so folgt eben

daraus,

daß

es

nicht

Sache

der

Rechtsanwendung

sein darf,

die

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

115

Rechtsregeln zu verbessern, weder nach allgemeinen ethischen Prinzipien noch nach der Billigkeit des Einzelfalles, sondern sie lediglich zu starrer

Durchführung zu bringen. Nur soweit die positiven Gesetze selbst uns entweder verlassen oder auf Philosophie verweisen, bleibt uns „nichts übrig, als uns der Philosophie in die Arinc zu werfen und

von ihr ein wohltätiges Licht zu entlehnen" n). Offenbar weil das Strafrecht an solchen Lücken oder Verweisungen reich ist, hat sich Feuerbach, nachdem er doch einmal zur Jurisprudenz übergehen mußte, diesem Zweige gewidmet. Bereits epochemachend für ein Sondergebiet dieses doch gerade erst ergriffenen Faches ist Feuerbachs „Philosophisch-juridische Unter­

suchung über das Verbrechen des Hochverrats", deren Vorrede vdm

Neujahrstage 1798 datiert ist. Maßgebend für Wahl dieses Stoffes war offenbar ein Doppeltes: Einerseits eine tief innerliche, int besten Sinne des Wortes liberale Gesinnung, die den Jüngling schon dazu gebracht hatte, Naturrecht und „Menschenrechte" (im Sinne der Politik) unwillkürlich zu identisizieren12), wie derselbe Geist das Leben

des Mannes

in den verschiedensten

Stellungen

und Verhältnissen

durchziehen sollte; und andererseits die Aussicht, daß eben hier eine reife Frucht seiner philosophisch-juristischen Grnndanschauung zu pflücken

war. Daher beginnt hier Feuerbach mit einer Anführung aus Montes­ quieu, mit dessen Aussprtich, „nichts sei gefährlicher für einen Staat,

als wenn das Majestätsverbrechen unbestimmt sei". Daher dient ihm daun ein ganz kurzer Ausblick auf die geschichtliche Entwicklung nur dazu, festzustcllen, daß ihr kein Leitfaden zu entnehmen sei, „durch

welchen wir die verschiedenartigen nntcreinandergemischten Verbrechen abscmdern konnten, nm alsdann die gemeinschaftlichen Merkmale zur Bildung des Begriffs vom Hochverrat abzusondern

Philosophie

bleibt also hier unsere einzige Retterin und ihr wird um so weniger auf Kosten der Rechtsgelahrtheit ein Opfer gebracht, je mehr uns die Gesetze selbst die Erlaubnis erteilen müssen, uns ihrer Hilfe ztt be­ dienen." Und zwar ist die Philosophie,

die nun verwendet wird, ent­ nommen dem Hnfelandschen Naturrecht, das weit stärker als Kant selbst in die naturrechtliche Anschauung znrücksällt^), indem es nicht

nur viel strenger als Kant an der Begründung des Staates durch

gewisse Grundverträge festhält, sondern auch, ähnlich wie Fichte, deren ein für allemal feststehende Trias angeben zu können meint, nämlich 8*

Vierzehntes Kapitel.

116

den Gesellschafts- oder Vercinignngsvertrag, den llntcrwerfungsvertrag und den Verfassungsvertrag. Daraus tvcrden dann von Feuer­ bach die drei Arten der Revolution hergeleitet, die allein „sowohl

nach naturrechtlichen als nach positiven Prinzipien mit diesem Namen bezeichnet lverden können"; die Revolution selbst wird bestimmt als

die „gewaltsame Umkehrung oder Veränderung der bestehenden Verfassung des Staates". So lverden mit einem Ruck, bis in die Einzelheiten hinein fertig, die drei Tatbestände aufgestellt, die uns noch heute als diejenigen des Hochverrats erscheinen. Und zwar dies nicht etwa aus Grund eines dauernd richtigen .Ausgangspunktes, sondern eher trotzdem die Grundlage, von der aus Feuerbach folgert, seither längst überwunden, selbst für jene Zeit nur eine zurückgebliebene naturrechtliche Spielerei mit Begriffen und Fiktionen ist. Nur um so deutlicher erhellt die geniale Kraft von Feuerbachs Begabung, besonders in der fast instinktiven Sicherheit, mit der er an Stelle

unbestimmt allgemeiner Verbrechensbezeichnnngen genaue Verbrechens­ tatbestände zu setzen weiß. Man hat Wohl, lobend oder bedauernd, hervorgehoben, ein gut Teil der kriminalistischen Arbeit lvährend des 19. Jahrhunderts habe darin bestanden, solche Tatbestände immer schärfer zuzuspitzen, in dem Sinne, daß einerseits immer mehr alles Strafwürdige hineingezogen, andererseits immer mehr Nichtstraf­ würdiges aus ihnen ausgeschieden wurde; die Grundlage dieser ganzen Arbeitsrichtung haben aber die Feucrbachschen Tatbestands­

bestimmungen gelegt. Weit mehr als in philosophierenden Allgemein­ heiten, über die wir längst zur Tagesordnung hinweggegangen sind, wird man hierin den dauernden Einfluß Feuerbachs zu erkennen haben. Aber freilich steht seine Bemühung um scharfe Tatbestandsbestimmungeu im engsten Zusannuenhange mit den allgemein philo­ sophischen und kriminalistischen Grundideen, deren System schon in diesen Jahren sich bei ihm festgeschlossen haben muß, unter allmäh­ licher Überwindung des naturrechtlichen Einschusses. Denn für dieses

System

wurde

schon

die Grundlage,

die

psychologische

Zwangs­

theorie, gelegt in dem übrigens naturrechtlich politisierenden „Antihobbes" von 1798 (S. 201 f); namentlich aber wird es bis in

die Einzelfolgen hinein deutlich erkennbar, nunmehr von natur­ rechtlichen Schlacken ganz gereinigt, in der Dissertation, auf Grund deren Feuerbach am 15. Januar 1799 zu Jena die juristische Doktorwürde erhielt. Sie handelt de causis mitigandi ex capite

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

117

impeditae libertatis. Das Strafgesetz fasse nicht den einzelnen zu bestrafenden Verbrecher, sondern alle Bürger als mögliche Verbrecher, um sie vom Verbrechen abzuschrecken, ins Auge; daher dürfen seine Strafdrohungen nicht nach solchen Umständen des Einzelfalles, die

der Gesetzgeber nicht selbst berücksichtigt habe, von den Richtern um­ gestaltet werden; wenn das Gesetz bestimmte Strafen vorschreibe, so dürfe der Richter diese nicht herabsctzen, auch nicht wegen moralischer

Gründe, als verminderte Freiheit, mangelhafte Zurechnungsfähigkeit

od. dgl. mehr;

sonst stelle er sich über das Gesetz,

dung doch einzig seine Aufgabe fei.

dessen Anwen­

Die ganze hergebrachte Lehre

von den Strafmilderungsgrüilden, die den Richter von der gesetz­ lichen Schranke befreien, müsse daher gestrichen werden. Der Ausbau dieses Systems erfolgt dann durch das große Werk,

mit dem Feuerbachs Ruhm begründet wurde, die „Revision der Grund­ sätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts", zwei Bände,

1. Band Erfurt 1799, 2. Band Chemnitz 1800. Das Buch ist zunächst schon fesselnd durch den gleichzeitig leichten und sicheren Stil, der eine großartige Festigkeit der Überzeugung aus­ drückt^). Es zeigt sodann in einer Reihe von Einzelausführungen Feuerbach bereits als den Meister im psychologischen Verständnisse des Verbrechertums, wodurch die Darstellung einen besonderen Reiz und der Inhalt einen von den dogmatischen Dingen unabhängigen Wert gewinnt. Dennoch wird man in den theoretischen Ausführungen nach wie vor den Kern der Arbeit zu erblicken haben. In diesem Werke nämlich vollzieht Feuerbach die Übertragung der Kantischen Psychologie und Moral auf das Strafrecht; nicht etwa in äußerlicher Anlehnung, sondern in bewußter Herübernahme der metaphysischen

Grundlage unter ebenso selbständiger wie strenger Durchführung der Folgerungen, ohne vor irgendwelchem Zusammenstoß mit dem Her­ kommen in Gesetzgebung, Wissenschaft oder Praxis zurückzuscheuen. Im wesentlichen handelt cs fief)15) zunächst um die Trennung von Moralität und Legalität, sowie um die Aussonderung des Begriffes

der Freiheit, letzteren im Kantisch-transzendenten Sinne genommen, der sie nur noch als Postulat der praktischen Moral bestehen läßt. So kommt Feuerbach zu einer Auffassung, die praktisch ganz und gar mit der übereinstimmt, zu der der reine Determinist gelangen müßte. Angewendet werden diese mehr philosophischen Grundsätze hauptsächlich auf die Jmputationslehre; die Erörterung dieser Lehre

118

Vierzehntes Kapitel.

bildet den eigentlichen Gegenstand beider Bände.

Der Grundirrtum

der überlieferten Anschauungen über die Zurechenbarkeit und über die Grade der Zurechnung liegt nämlich nach Feuerbach in der Ver­

wechslung von Moral und Recht. Nicht ob und wie schwer jemand seine Tat moralisch zuzurechnen, ist juristisch bedeutsam, sondern nur, ob auf die Sinnlichkeit des Verbrechers die Furcht vor der Strafdrohung des Gesetzes einzuwirken vermag, und wie hoher Straf­ drohung es dann bedarf, um jener Einwirkung das Übergewicht über die Wirkung anderer Triebfedern zu geben. Also nicht in der Frei­ heit liegt die Wurzel der juristischen Schuld, sondern in der Fähigkeit, durch normale Motive normal bestimmt zu werden; und nicht der

Schwere

der moralischen Schuld hat die Härte der Strafe zu ent­

sprechen, sondern der Macht der zum Delikte führenden Reize. Bei der näheren Ausführung dieses letzten Punktes in der zweiten Hälfte des zweiten Bandes kommt übrigens Feuerbach, so entschieden er von der Generalprävention als von seinem einzigen Strafzwecke ausgeht, den Folgerungen merkwürdig nahe, die kurz vorher sein Freund und Gegner Grolman aus dem bekanntlich ebenso einseitig festgehaltenen

Spezialpräventionsprinzip gewonnen hatte. Im Grunde sind es naturrechtliche Anschauungen, Feuerbach damit vorstößt^), und so Gegensatz zum Naturrecht überhaupt.

gegen die

kommt er nun in schärferen Sein früher etwas schwacher

Positivismus wird dadurch wesentlich verstärkt. So wenig wie Moral und Recht, so wenig dürfen Naturrecht und positives Recht vermischt werden^). Ins positive Recht gehören nicht einmal solche Sätze, „die zwar keinem positiven Gesetz widersprechen, aber doch schlechthin und in jeder Rücksicht natürliche Rechtssütze sind." „Es ist schon oft und ganz richtig gesagt worden, daß der Kodex des natürlichen Rechts

der subsidiarische des positiven ist. Allein ganz etwas 'anderes ist: ob man das Recht hat, die Grenzen des Naturrechts mit den Grenzen

des positiven Rechts zu verwirren und die naturrechtlichen Grundsätze bloß wegen ihrer Nutzbarkeit zu einheimischen Rechtssätzen der positiven Jurisprudenz zu machen.

Und so lange man nicht zeigen kann, daß

entweder die positive Rechtswissenschaft keine positive Rechtswissen­

schaft, oder daß es nicht notwendig sei, in einer Wissenschaft, wenn

sie diesen Namen verdienen soll, das Fremdartige und Heterogene von ihr abzusondern, so lange wird man auch jene Frage mit einem kategorischen Nein beantworten müssen."

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

119

Bezeichnend, wenn Feuerbach nach diesen Worten noch fortfahren

muß mit der Wendling: „Ich weiß es wohl, daß ich hier die Majorität des juristischen Publikums zu meinen Gegnern habe."

Aber eben

deshalb sieht er sich veranlaßt, immer wieder, in unermüdlicher Wieder­ holung der herrschenden Meinung zu Leibe zu gehen, die selbst ganz bestimmten Strafdrohungen des positiven Rechts gegenüber dem Richter gestattet, die Strafe beliebig zu mildern, wenn er dafür nur irgend­

welchen Anhalt den besonderen Umständen des Falles, d. h. dem Arsenal Für die Notlage der Prak­

des Naturrechts, zu entnehmen vermag.

tiker der unmittelbar vorhergehenden Zeit, die zwischen veraltet grau­

samen Gesetzesbestimmungen und aufgeklärten Anschauungen eingeklemmt

sich nur durch solche Kunstgriffe zu helfen und sich dessen selbst zu rühmen gewußt hatten, hat der Sohn einer neueren Zeit wenig Sinn. Kein Hohn ist ihm zu ätzend gegen die, welche so dem positiven Recht,

statt es anzuwenden, Neuerungen unterschieben, etwa gar, wenn sie diese Neuerungen verstecken unter der Behauptung, das sei als selbst­

verständliche

Meinung

des

Gesetzgebers

anzusehen.

Daß

dadurch

Feuerbach dann freilich selbst wieder nicht gehindert wird, zahllose

Sätze, die ihm als philosophisch oder legislativ notwendig oder auch nur wünschenswert erscheinen, in dem positiven Recht wiederzufinden, und dazu dasselbe Verfahren anzuwenden, nämlich sie als selbstver­

ständlich stillschweigend vom Gesetzgeber mitangeordnete aus dem Ge­ setzesbegriff zu entwickeln — das mag ja auch wieder selbstverständlich

sein.

Begegnen ihm doch noch ganz anders ausfällige Verstöße gegen

den Grundsatz getreuer Gesetzesauslegung,

so z. B- wenn er einmal

ganz unbefangen vorbringt, falls nicht alle nach der Carolina objektiv

erforderlichen Momente der Notzucht vorliegen, sondern dieses oder jenes, z. B. die Vollendung des Stuprum oder die Unverleumdetheit der Vergewaltigten oder selbst die Gewalt (!) fehlte, so sei — nicht

etwa kein Delikt vorhanden, sondern — die Strafe entsprechend zu mildern!

Man muß dergleichen lesen, um sich zu überzeugen, wke

weit es im Strafrecht unter der Herrschaft des Naturrechts und der Willkür gelangt war, und um damit das Verdienst Feuerbachs wür­ digen zu können, der die Rückkehr zu strenger Gesetzlichkeit betrieben

hat, mag er schon selbst dabei gelegentlich rückfällig geworden sein. Daß diese strenge Gesetzlichkeit,

eine

Satzes nulla poena sine lege poenali18),

festere

Handhabung des

der Ausschluß frei er­

fundener Strafmilderungsgründe, die Bemühung um klare Begriffe

Vierzehntes Kapitel.

120

und Tatbestände auf Feuerbachs allgemeiner Strafrechtstheorie beruhe,

ist weithin bekannt.

Gerade diese Seite seiner sogenannten psycho­

logischen Zwangstheorie19) ist ja von jeher allgemein beachtet und seither bei allen Erörterungen und Überblicken über die Entwicklung der Strafrechtstheorien vorgeführt worden.

Man mag sich mit einer

Dialektik, die lediglich die Berechtigung der Strafdrohung nachweisen will und dann die Strafe vollzieht, damit jene Drohung nicht leer

und verächtlich werde, noch so wenig befreunden können: unbestreitbar bleibt ihr Verdienst, Feuerbach zum Kampfe gegen die damals herr­ schende kriminalistische Willkür den festen Ausgangspunkt geboten zu haben.

Viel weniger beachtet ist dagegen99) eine andere Seite der Feuer-

bachschen Strafrechtstheorie, die freilich erst in diesen: Revisionswerk hervortritt, nämlich die Herleitung der staatlichen Berechtigung zur Strafandrohung aus Gesichtspunkten,, die über die bloße Zweckmäßig­

keit weit hinaus und damit wieder auf Kant so nahe zurückführen, daß man deshalb Feuerbach fast mehr zu den Vertretern einer abso­ luten Strafrechtstheorie als, wie üblich, zu den relativen Utilitäts-

kriminalisten zu stellen versucht ist.

Denn wesentlich lutrb in letzter

Linie immer doch für diese Stellung bleiben, ob man gestraft wissen will quia peccatum est — also auch nur so lueit delinquicrt worden

ist, alsdann und so weit aber auch stets; oder ne peccetur, so weit damit im sozialen Kampfe gegen das Verbrechen etwas erreichbar ist, zu diesem Zwecke aber auch schonungslos,

ohne Rücksicht auf die

Schwere des vorangegangenen Delikts, zur Sicherung gegen Geinein­ gefahr.

In dieser Alternative aber tritt Feuerbach auf das entschie­

denste, so herb und folgerichtig wie nur Kant selbst, auf die Seite

derjenigen, die um der begangenen Missetat willen strafen.

Gerade

das ist tEjm21) der Begriff der Strafe im Gegensatze zu Züchtigung oder Verteidigung, daß Strafe ein Übel bedeutet, welches um be­ gangener gesetzwidriger Handlung und zwar

einem Subjekte zugefügt wird.

bloß um dieser willen

„Dieses Subjekt wird bloß darum

bestraft, weil es jene gesetzwidrige Handlung begangen hat."

Und

weiter: „Untersuchen wir etwa, um die Strafbarkeit seiner Handlung

festzusetzen, ob er sich nicht schon gebessert habe, ob er wirklich mit neuen Gefahren den Staat bedrohe, ob es nötig und nützlich sei, sich vor ihm in Sicherheit zu setzen?

Ich finde von allem diesen in

meinem Bewußtsein nichts und finde es ebensowenig in dem Bewußt-

1) Feuerbach.

I. Strafrecht. sein

Die Übertretung

anderer.

des Gesetzes

121 ist allein

reichend, um ihn der Strafe für würdig zu halten.

Recht geschehen,

schon

hin­

Ihm ist sein

sagen wir von dem Mörder, an dem die Ge­

rechtigkeit ihr Amt verwaltet hat, und, indem wir dies sagen, haben

wir das Gesetz im Auge, das er wirklich übertreten, die Gerechtigkeit,

die er durch seine begangene Handlung beleidigt, nnd welche wegen Wenn cs auch ganz

dieser Beleidigung Genugtuung gefordert hat.

gewiß scheint, daß sich der Verbrecher durch keine Strafe (juridisch) bessern werde oder daß er sich schon durchaus gebessert hat,

so hat

dies auf das Urteil unseres gemeinen Verstandes über seine bürger­

liche Strafbarkeit auch nicht den geringsten Einfluß."

Wer sieht hier

nicht den fast vorahnend vorweggenommenen Gegensatz gegen neueste

kriminalistische Strömungen, wer aber nicht auch die Übereinstimmung mit Kant, die bis ins einzelne geht, ja geradezu bis zum Anklang an den berühmten Kantischen Satz, der die Notwendigkeit aufstellt, daß der letzte Mörder vor der Auflösung des letzten Staates hin­ gerichtet werde,

um des kategorischen Imperativs der Gerechtigkeit

willen, wie Kant sagt, „damit ihm sein Recht geschehe", wie Feuerbach

iu Anlehnung an die Redeweise des Volkes es ausdrückt? Weil der einzelne nicht, um uns gegen Rückfall seinerseits zu

schütze», gestraft werden soll, eben darum war offenbar für Feuerbach die Grolmanschc Theorie unannehmbar;

schien sie ihm doch selbst

mit dem Kantischen Prinzip von der Würde Menschen als einer Person unvereinbar.

nnd dein Rechte des

Darum blieb ihm, wollte

er überhaupt neben die Rücksicht auf die absolute Gerechtigkeit noch

eine

Zweckmäßigkeitserwägnng

setzen,

nur

die

Generalprävention

übrig; und für diese wieder, da die Strafzufügung schon aus der Gerechtigkeitsidee voll begründet war, als das durch sie zu Recht­

fertigende nur die Strafandrohung.

Aus diesen Elementen in künst­

lich dialektischem Aufbau ist ihm offenbar seine bekannte Strafrechts­

theorie erwachsen.

Man mag diese deshalb mit Richard Schmidt^)

als eine Amalgamierung der Kantischen Lehre

mit den Ideen der

Generalprävention bezeichnen; primär und theoretisch liberwiegend sind aber die Käntischen Elemente.

Sie sind es schon deshalb, weil sie

eben dafür ausschlaggebend geworden sind, daß Feuerbach die Spezial­ prävention verworfen und die Generalprüvention angenommen hat,

nicht umgekehrt.

mann

und

Später für den Gesetzeskritiker, Gesetzgeber, Staats­

Gerichtspräsidenten

Feuerbach

mögen

die

Praktischen

122

Vierzehntes Kapitel.

Momente mehr Bedeutung gewonnen haben. Geschichtlich aber wird man diese Verbindung und diese Reihenfolge der Übergänge festhalten müssen, wenn man verstehen will, wieso eine Epoche, die so ganz unter Kants Ägide steht, zu einer so schroffen Entwicklung des Gegen­

satzes zwischen zwei Theorien gelangt ist, die scheinbar zunächst beide bloß utilitaristischer Natur sind, und die man bisher getrost neben­

einander durchführen zu können geglaubt hatte23).

Bei dem Kampfe

zwischen Feuerbach und Grolman, zwischen General- und Spezial­ prävention handelt es sich nicht bloß um den Kampf zlveier bald widerstrebender, bald vereinbarer praktischer Interessen, sondern in letzter Linie um den Kampf zwischen absoluter und relativer Straf­

rechtsbegründung. Daß übrigens denn doch

auch

der

Grolmanschen Lehre

bei

wissenschaftlicher Begründung und Durchführung durchaus nicht von vornherein jede Berechtigung abzusprechen sei, hat Feuerbach schon

dadurch anerkannt, daß er stets von Grolman nur im Tone höchster Wertschätzung redet. Nahe persönliche Beziehungen zwischen beiden Männern sind trotz Feuerbachs leidenschaftlichem Temperament nie getrübt worden. Gemeinsam ist ihnen der Sinn für voraussetznngslose, nur im Streben nach freier Erkenntnis der Wahrheit Ziel und Regel findende Forschung, die Liebe für die wissenschaftliche Erkennt­ nis als solche und die an der spekulativen Philosophie geschulte Strenge

und Schärfe des Denkens. So konnten sich diese beiden selbst miteinander und mit Harscher

von Almendingen zusammenfinden zur Herausgabe einer gemeinschaft­ lichen Zeitschrift, der „Bibliothek des peinlichen Rechts"^), die ihnen gleichmäßig und gleichzeitig zu weiteren Entwicklungen zur Verfüglmg stand. Feuerbach hat sie in einer Reihe von Artikeln unter anderem^) dazu benutzt, sich über solche grundlegende Fragen des Strafrechts zu äußern, die von der Revision nicht oder doch nur weniger be­

rührt wurden. Darunter sind von hervorragendem Interesse die „Betrachtungen über dolus und culpa überhaupt und den dolus indirectus insbesondere", Band 2 Stück 1 S. 193 f.

Wird doch

hier ein großartiger, wennschon wohl verzweifelter Versuch gemacht, nicht bloß den dolus, sondern auch die culpa auf einen bewußten Willensfehler, nämlich auf die bewußte Verletzung der Verbindlich­

keit zum gehörigen Fleiße zurückzuführen, und damit die Zwiespältig­ keit der ganzen Schuldlehre zu überwinden.

In Verbindung hiermit

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

123

macht diese Abhandlung dem älteren (von dem heute üblichen wesent­ lich verschiedenen) Begriff des dolus indirectus, der ja allerdings schon mehrfach angegriffen worden war, endlich gründlich den Garaus; an seine Stelle iverden eingeführt einerseits der dolus indetermi-

natus,

andererseits die so treffend bezeichnete culpa

dolo deter-

minata. So wohl vorbereitet erschien 1801 Feuerbachs „Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts," durch dessen zahlreiche Auflagen^) die Feuerbachsche Lehre ja wohl am meisten Verbreitung gesunden hat. — Das Lehrbuch bringt für denjenigen, der seines Verfassers ältere Schriften kennt, kaum mehr Überraschungen innerhalb seines allgemeinen Teils.

Um so bedeutsamer aber tritt

als neue Lcistuug die Ausarbeitung des besonderen Teils des materiellen Strafrechts hervor. Hier hatte Feuerbach bisher nur das Gebiet der politischen Staatsdeliktc berührt; nunmehr löst er

die ihm durch feine Strafrechtstheorie gestellte Aufgabe, jede einzelne Deliktart auf Grund des positiven gemeinen Rechts genau zu be­

stimmen und dabei eine gewisse Ordnung und Vollständigkeit zu er­ zielen. Er baut sein System auf die richtig erkannten, wennschon bisweilen eigenartig, gehandhabten^) Gegensätze zwischen Verbrechen und Polizeidelikt, zwischen gemeinen Verbrechen und Verbrechen be­ sonderer Stände, zwischen öffentlichen und Privatverbrechen, außer­ dem auf die bedenkliche Unterscheidung zwischen determinierten und vagen Verbrechen, die verhängnisvoll weitergewirkt hat. Sie bericht

auf der Vorstellung, als gebe es Delikte, die ohne Rücksicht auf einen bestimmten Gegenstand noch auf einen bestimmten Erfolg bloß durch die Form der Handlung strafbar würden, weil sie nämlich entweder gewalttätig oder betrügerischerweise verübt werden. Die Delikte der

Nötigung, der Fälschung und des Betruges haben lange unter dieser formalen Auffassung zu leiden gehabt. Darüber ist jedoch nicht zu vergessen, welch gewaltigen Fortschritt über die unmittelbar voran­ gehende Zeit schon das bedeutet, daß solche begriffliche und kon­ struktive Fragen überhaupt nur auftauchen. Erst indem Feuerbach

weit über Claproths erste Ansätze^) hinweg aus den bisher unge­ feste Individuen bildete und

klärten Massen der Deliktstatbestände

diese zu Gruppen vereinigte, konnte überhaupt weiterer Untersuchung die Aufgabe gestellt werden. Eher hat man zu bewundern, wieviel

schon treffend angelegt und durchgeführt ist, ohne daß darüber viel

124

Vierzehntes Kapitel.

Worte gemacht würden.

Recht knapp und luenig eindringlich ist da­

gegen freilich die Darstellung des Strafprozesses ausgefallen, die nach damaliger Auffassung

noch

in

ein solches Lehrbuch

hmeingehörte.

Man sieht, daß Verfasser mit diesem Stoff, den er später so groß­ zügig meistern

sollte,

sich noch wenig befaßt hatte.

Auch in den

späteren Auflagen beschränkt er sich auf eine farblose Skizze des ge­

meinen Strafprozesses. gehoben lvorden,

Es ist wohl für das ganze Lehrbuch hervor­

daß die einfache Knappheit nnd elegante Durch­

sichtigkeit seines Aufbaues nur damals möglich war, bei der Gering­ fügigkeit und Bildsamkeit des zu bewältigenden Stoffes, im Gegensatze zu der Masse und Sprödigkeit unseres Strafrechts.

In dem prozes­

sualen Abschnitt erscheint dies Verhältnis besonders ausgeprägt.

Mit dem Erscheinen der letztbesprochenen Werke war Feuerbach

ziveifellos an die Spitze seiner Wissenschaft getreten

Dennoch ver­

mochte man ihm m Jena nur den Titel eines außerordentlichen Pro­ fessors

und

das Versprechen

baldiger Beförderung zu geben,

ohne

jedes Gehalt, während damals (1801) Thibaut als ordentlicher Pro­ fessor der Institutionen für Jena gewonnen wurde. Die in Kiel frei gewordene

Stelle Thibauts

erhielt

nun Feuerbach,

der

dorthin zu

Ostern 1802 übersiedelte. Er übernahm hauptsächlich zivilistische Vvr-

lesungeu und wurde dadurch, ivie er selbst hervorhebt, eigentlich zum

ersten Male mit privatrechtlichen Materien genauer beschäftigt

Daß

infolge dieser Anregung 1803 „Zivilistische Versuche" von ihm erschienen,

ist wohl weniger bedeutsam, denn diese Erörterungen, die an Thibauts frühere Arbeiten erinnern, sind nicht sehr tiefgreifend

Wertvoller für

Feuerbachs Zukunft mag diese Kieler Episode deshalb geivorden sein,

weil sie wohl erst ihn befähigt hat, mannigfachen Ansprüchen genug zu tun, die alsbald der bayerische Justizdienst an ihn stellte. So eifrig und freudig Feuerbach nämlich sich nach Kiel und 511111 Privatrecht begeben hatte, so wenig wurde er dadurch auf die Dauer

befriedigt.

Der jähe Rückschlag der Stimmung, wie er sich sehr rasch

in abfälligen Urteilen über Land nnd Leute seiner neuen Umgebung äußert,

ist

bezeichnend

für

des Mannes nngestümes

Temperament.

Eben damit aber auch kehrte er zum Strafrecht zurück, indem er zu

der vernichtenden Kritik des eben erschienenen Klemschrodschen Entwurfes eines Strafgesetzbuches für die Kurpfalzbayerischen Staaten vorging. Von dieser Kritik ist schon bei Gelegenheit dieses Entwurfes die Rede gewesen29).

Einseitig ist sie gewiß, da sie stets Feuerbachs Straf-

I. Strafrecht.

rechtstheorie

1) Feuerbach.

125

als einzig richtige Grundlage eines jeden Strafrechts

voraüssetzt und immer »nieder jeden Widerspruch dagegen als Verstoß

brandmarkt, gleich als ob Kleinschrod den Auftrag gehabt hätte, sich unentwegt an jene Theorie zu halten. Aber Wie großartig einheitlich wird die Kritik doch auch eben dadurch, und Ivie scharfsinnig sind die Einzelheiten durchgeführt, mit einem technischen Verständnis für die

Kunstaufgaben machend tvird

und Kunstfehler, dessen Auftreten man als epoche­ ansehen dürfen. Diese Kritik versetzt uns über die

Gesetzgebnngsart des 18. Jahrhunderts hinweg in eine ganz neue Zeit, die ihre Aufgaben ganz anders scharf zuspitzt, prinzipiell das Werk der Gesetzgebung von theoretisch-dogmatischen Ausführungen wie von väter­ licher Belehrung scheidet und die Kunst richtiger Befehlsgebung in den Vordergrund rückt. Verlangt man von dem Richter strengen Gehorsam gegen das Gesetz, so muß ihm dieses solchen ermöglichen, indem es sich fest und Ividcrsprnchslos ansspricht über alle denkbaren Fälle. Dem­ gegenüber hatte Kleinschrod noch ganz im alten Stile gearbeitet, mehr eine Sammlung von Musterbeispielen nnd Ratschlägen als ein Gesetz­

buch im strengen Sinne geboten. Daß sein Werk gegen Feuerbachs Ansprüche nicht bestehen konnte, ist einleuchtend. Dem hat bekanntlich der äußere Erfolg Feuerbachs durchaus entsprochen. Nicht nur ließ man in Bayern den Kleinschrodschen Entwurf ohne weiteres fallen, sondern es geschah bereits in Aus­ führung des festen Planes, nunmehr Feuerbach selbst mit der Gcsetzgebnngsarbeit zu betrauen, daß er Herbst 1803 als kurpfalzbayerischer Hofrat nnd ordentlicher Professor des gemeinen Zivil- nnd Kriminal­

rechts nach Landshut berufen würbe.

Er erschien dort Frühjahr 1804,

las sofort Pandekten vor 127 Zuhörern, bezog ungewöhnlich hohes Gehalt und bekam alsbald den Auftrag „zur Reform der Kriminal­

gesetzgebung in den bayerischen Staaten".

Zwar war seines Bleibens

auch in Landshut nicht gar lange; schwere akademische Zerwürfnisse zwischen ihm nnd Gönner, der ursprünglich seine Berufung betrieben

hatte, setzten ein, und cs gelang dem getvandten nnd ruhelosen Alt­ bayern Gönner gar rasch, dem empfindlichen und ruhebedürftigeu

Landfremden den neuen Aufenthalt, kaum daß er sich einzurichten

begonnen hatte, tvieder zu verleiden. Ein akademischer Zwischenfall gelegentlich einer Doktorpromotion trieb die Sache auf die Spitze. Aber das Ergebnis wurde für Feuerbachs große Pläne eher günstig. Er legte das akademische Lehramt nieder, um nie wieder zu einem

126

Vierzehntes Kapitel.

solchen zurückzukehren; statt dessen ging er Ende 1805, als Geheimer

Referendar im Justizministerium, nach München, um sich dort aus­ schließlich gesetzgeberischen Arbeiten zu totbnten30). Man hat oft der bayerischen Regierung schwere Vorwürfe ge­ macht, weil sie aus dem „Auslande" herangezogene tüchtige Kräfte nicht genügend gegen neidische Anfeindungen zu schützen und zu stützen verstanden hätte; man hat diesen Vorwurf auch erhoben im Hinblicke

auf die späteren Erfahrungeit Feuerbachs. Demgegenüber muß denn aber doch auch einmal die andere Seite hervorgekehrt werden. Wie nahe lag doch, als Feuerbach Ende 1805 in Zorn und Verwirrung/

ordnungs- und disziplinwidrig Landshut verließ, als er die freudig angetretene akademische Stellung nun nicht genug herabsetzen konnte,

für eine Verwaltung, die nach Bequemlichkeit und Normalmaß ver­ fahren wäre, die Verlockung, sich dieses Feuerbrandes zu entledigen!

Statt dessen hat man damals für Feuerbach eine neue Stellung zu schaffen verstanden; man hat ihn darin gegen die verschiedenartigsten Angriffe gehalten; man hat sein großes Strafgesetzgebungswerk in ganz außergewöhnlicher Geschwindigkeit und Unversehrtheit zur Gesetzeskraft gefördert; und man hat sich denn doch auch später, als man teils anderer Stimmung geworden war, teils auch Feuerbach sich wirklich

fast unmöglich gemacht hatte, immer wenigstens bemüht, ihn ehrenvoll zu behandeln oder doch irgendwie für ihn zu sorgen. Beauftragt wurde in seiner neuen Stellung als jetzt bald „König­

licher" Justizministerialbeamter Feuerbach nicht nur mit der Kriminal­ gesetzgebung, sondern auch mit der Abfassung eines neuen Bürgerlichen Gesetzbuches, wofür ihm durch die politischen Zeitverhältnisse engste Anlehnung an den französischen Code vorgeschrieben War31), ferner mit den Übergangsgesetzen für die vielen neuerworbenen Landesteile

und mit dem Entwürfe einer „Reichskonstitution" für das ganze Königreich; außerdem hatte er den Vortrag beim König in der Gnaden­

instanz.

Da ist nun gewiß nicht alles durchgedrungen, was seine

rastlose Arbeitskraft und seine kühn zugreifende Gesetzgebungskunst schufen. Indem er, der Not des Augenblicks nur widerwillig ge­ horchend, doch den großen Plan einer Zivilrechtseinheit mit Begeiste­ rung ergriff, wußte er dem Code gerade nur die politisch und sozial

liberalisierenden Ideen zu entnehmen und so die beiden großen poli­ tischen Gruppen des damaligen Bayern, die französelnden Großbayern und die konservativen Altbayern, sich gleichzeitig zu Gegnern zu machen.

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

ein solcher zivilrechtlicher Entwurf

Daß

politischen Zwange,

sofort

127 mit

dem

brutalen

unter bent inan sich zu ihm entschlossen hatte,

wegfiel, war ohnehin selbstverständlich; eher bleibt es Feuerbachs Ver­ dienst, durch seine Forderung mindestens ctwelcher Umarbeitung des Code soviel Zeit gewonnen zu haben, das; der Sturz der napoleoni­ schen Zwangsherrschaft erfolgte, ehe man noch zu einer Verwirklichung

der ärgsten Pläne gelangt war.

Wäre erst einmal der Code civil

oder ein ihm wesentlich angenähertes Gesetzbuch vor 1815 in ganz

Bayern, gar etwa durch Feuerbachs Feder zu vollendeter Formschönheit

gebracht, in Geltung getreten, wer weiß, ob sich diese Geltung nicht weiter erhalten Hütte, ganz Südwestdeutschland mit den Rheinlanden

zu einem antipreußischen Rcchtskreise vereinigend? Demgegenüber wird

man es gerne verschinerzen, tvenn auf diesen: Gebiete Feuerbachs Geist

und Eifer ergebnislos geopfert worden finb32).

Weit bedauerlicher, aber doch nur allzu begreiflich, daß auch im Strafgesetzbuch Feuerbach wenigstens so tveit nicht durchdrang, wie er

„Die schönsten,

grundstürzende Neuerungen des Prozesses vorschlug.

glänzendsten Ideen, wodurch mir die schwere Aufgabe, den finsteren

Jnquisitionsprozeß zu humanisieren, die Vorzüge des öffentlichen Ver­ fahrens

mit

den Vorzügen

des

alten

Untersuchungsverfahrens

kombinieren geglückt war, stürzten zuletzt im Geheimen Rat."

zu So

klagt er selbst, zeigt damit aber auch deutlich, waruin dem so werden mußte.

So rasch lassen sich doch solche Reformen nicht durchführen,

am wenigsten auf dem praktisch-prozessualen Gebiete.

Man bedenke,

daß gerade erst unter Feuerbachs Leitung das Edikt vom 7. Juli 1806

zustande gekommen war, durch das endlich in Bayern die Folter auf­

gehoben wurde;

inan

bedenke,

daß selbst damals

noch

der

gute,

Feuerbach persönlich so tvvhlgesinnte König Max Josef I. ängstlich

fürchtete, durch dieses Edikt dem Verbrechen Vorschub zu leisten, daß

es darum nicht veröffentlicht, sondern mir unter der Hand zur Be­

achtung den Gerichten mitgeteilt werden durfte — und man vergleiche damit, was Feuerbach glaubte durchsetzen zu können!

nichts

weniger

als

Parteirechte

mündliches Verfahren!

des Angeklagten,

Im Grunde

öffentliches

und

Selbst das mag doch schließlich zweifelhaft

sein, ob alles Genie Feuerbachs hingereicht haben würde, diese Ge­

danken, mit denen er seiner Zeit über ein Menschenalter vorausgeeilt war, die damals praktisch noch ganz unerprobt und wissenschaftlich

unverarbeitet waren, sofort in brauchbarer Weise gesetzgeberisch durch-

Vierzehntes Kapitel.

128

zudenken und zu gestalten.

War doch damals Feuerbach selbst noch

ohne die reiche Prozeßerfahrung, die ihm seine späteren Stellungen

bringen sollten, und ohne die gründlichen Kenntnisse des französischen Verfahrens, die er sich später, besonders auch durch eine französische

Studienreise 1821,. erwerben sollte.

So lief es schließlich

darauf

hinaus, daß er sich für das bayerische Strafgesetzbuch wie für sein Lehrbuch mit

einer

möglichst

klaren Fassung

Jnquisitionsrcgeln begnügen mußte;

der gemeinrechtlichen

nur einige Einzelreformen im

Interesse der Humanität und Gerechtigkeit wurden eingeschoben. Um so erfolgreicher war er auf dem Gebiete

Rechts.

Zwar beklagt er sich auch hier, daß

des materiellen

im letzten Augenblicke

tioch Gönner einen gewissen Einfluß gewann und einige Einzelheiten

umgestaltete; aber was verschlügt das gegen das große Ganze?

Ist

doch diesem der Feuerbachsche Geist so tief und großzügig eingeprägt,

daß selbst die schlimmere, alsbald nachhinkende Erscheinung, der Um­ stand, daß Gönner mit einer Art von offiziöser Erläuterung betraut

und diese mit dem offiziellen Text zusammen

veröffentlicht wurde,

dem Werke und seiner Wirkung keinen Eintrag zu tun vermochte. Wohl selten wird es trotz aller dieser mehr oder weniger berechtigten Einschränkungen einem Sturm- und Dranggeiste wie Feuerbach ge­ gönnt sein, seine Ideen so voll und ganz in einem Werke so eines

Gusses, unmittelbar im schärfsten Gegensatze zu der bisher bestehenden Rechtsordnung, zu praktischer Gesetzesgeltung zu bringen, wie ihm dies durch das bayerische Strafgesetzbuch von 1813 dessen materiell-rechtlichem Teile geglückt war.

wenigstens

in

Dies bayerische Straf­

gesetzbuch von 1813 ist ja jedem Juristen bekannt als eine der her­

vorragendsten

gesetzgeberischen Leistungen

aller Zeiten

und Völker.

Mit ihm gewann Bayerns Strafgesetzgebung vor dem gesamten übrigen Deutschland, so weit man sich nicht einfach zur Herübernahme dieses

Gesetzes entschloß, den Vorsprung um mindestens ein Menschenalter.

Die Probleme sind hier aufgeworfen und der Lösung zugeführt, deren feinere Zuarbeitung ein Jahrhundert hindurch Praxis, Theorie und Gesetzgebung beschäftigen sollte.

Wohl mag das Gesetz für die un­

mittelbar praktische Anwendung infolge der dogmatischen Härte, mit

der Feuerbachs Strafrechtstheorie durchgeführt ist, seine augenblicklich

fühlbar gewordenen Fehler gehabt haben, die zu rascher Verbesserung (sog. Diebstahlsnovelle vom 25. Mürz 1816) führten; Feuerbachselbst hat in reiferen Jahren, durch Erfahrung und Alter milder geworden,

I Strafrecht. einen Abänderungsentwurf

in

1) Feuerbach.

derselben

129

Richtung

ausgearbeitet33);

aber diese Vorgänge betreffen wesentlich nur die Geschichte der Gesetz­

gebung, mit der wir es hier als solcher nicht zu tun haben.

Für

die Geschichte der Rechtswissenschaft ist das Gesetzbuch von 1813 mit allen seinen Einseitigkeiten und in seiner theoretischen Starrköpfigkeit

Hauptsächlich deshalb, weil hier die Aufgabe

eine bleibende Großtat.

des Gesetzgebers mit solcher Klarheit und Sicherheit durchgeführt ist, das ist die Aufgabe, dem Richter lauter klare, feste, durchdachte, genau

umriffene Begriffe und Bestimmungen in die Hand zu geben, statt bloßer Namen und allgemeiner Belehrung; ohne daß sich doch Feuer­ bach die unlösbare Aufgabe gestellt hätte, jede Freiheit des vernünftigen

richterlichen Ermessens auszuschließen, durchaus würdigte3^).

da er dessen Unentbehrlichkeit

Zu dem Behufe ist vor allem der allgemeine

Teil herausgearbeitet und die Einteilung des besonderen Teils klar

angelegt.

Ferner ist jede Tatbestandsbestimmung für jedes einzelne

Delikt möglichst scharf gegeben.

Daß der Code pönal dem schon in

manchen Punkten vorgearbeitet hatte und dafür als Muster vorlag,

soll ja gewiß nicht verkannt werden; aber wie weit läßt ihn Feuerbach an Vollständigkeit des allgemeinen Teils, an Sorgfalt der ein­

zelnen Deliktsbestimmungen hinter sich zurück!

auch inhaltlich gerühmt werden,

Und dabei muß doch

wie Feuerbach,

so streng er auch

Strafwürdiges straft, doch milde ist in der Auswahl des überhaupt

Strafwürdigen, wie er da alte Strebungen der Aufklärung zu gesetz­ lichen Errungenschaften erhebt, z. B. durch Ausschluß der Strafbarkeit bloßer Laster oder Irreligiositäten, durch Abstufung der Majestäts­ delikte und in zahlreichen anderen Einzelheiten.

Geradezu eine Muster­

leistung hierfür auf einem Gebiete, das sonst privilegiertes Betätigungs­ feld gehässiger Klassengesetzgebung gewesen war, dem der Jagddelikte,

bespricht Feuerbach selbst in einer Sammlung

Gesetzgebung, erschien33).

die

unter

von Aufsätzen

dem Titel „Themis" zu Landshut

über 1812

Und wie großartig liberal ist seine Auffassung von dem

Gegensatze der eigentlichen Kriminalität zu den Polizeidelikten36)!

Die

mit überlegenem Humor und zersetzender Ironie geschriebene Abhand­ lung

gegen

das Unwesen

überwuchernder Polizeistrafverordnungen,

gegen das unübersehbare Detail und gegen das unausrottbare Ba­ nausentum dieser Verwaltungszweige, gegen alle diese unzähligen Straf­

schlingen,

in

die selbst der gewissenhafteste und ordnungsliebendste

Mann sich täglich verfangen muß, bietet dem Leser einen wahren Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

9

130

Vierzehntes Kapitel.

Genuß; sie gründlich jedes Jahr durchzustudieren, sollte allen zum

Erlaß von Polizeiverordnungen befugten Organen von Amts wegen auch heute noch aufgegeben werden — unter Androhung von Polizei­ strafe für den Unterlassungsfall.

Ein Glück, daß Feuerbachs Strafgesetzbuch 1813 unter Dach und Fach gebracht war, ehe die Stürme der Befreiungskriege ein­ setzten. Möchte man die deutsch-patriotische Gesinnung, die Feuerbach

da betätigt hat, auch in seinem Charakter nicht gerne missen, ebenso­ wenig wie die glänzenden populären Schriften ^), mit denen er in diesem Sinne hervortrat, in seinen Werken — für einen höheren Re­

gierungsbeamten in leitender, zentraler Stellung bleibt es doch eine bedenkliche Inkorrektheit, zu der ihn seine vulkanische Natur fortriß, wenn er, während die bayerische Politik noch napoleonisch orientiert war, durch Überlistung der Zensur eine Schrift veröffentlichte „Über

die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europas", die in weitesten Kreisen zündend einschlug. Unbedenklicher einige weitere ähnliche Aus­ führungen, die herauskamen, als die Dinge schon zuungunsten Frank­

reichs umgeschlagen waren, wie namentlich die groß gedachte Abhand­ lung „Die Weltherrschaft, ein Grab der Menschheit". Dann aber folgte bald wieder die Schrift über „Teutsche Freiheit und Vertretung

teutscher Völker durch Landstände", durch welche neben der nationalen die liberale Note angeschlagen wird. Daß man in engeren Regierungs­

kreisen und bei Hofe nicht gesonnen sein konnte, sich solche Eingriffe in die peinlichsten und schwierigsten Fragen seitens eines politischen

Staatsbeamten ruhig gefallen zu lassen, wird nicht wundernehmen dürfen. Gewiß, ein Mann wie Feuerbach ist nicht nach der Schablone zu beurteilen, die für irgendwelchen vortragenden Rat gelten mag; daß er sich dieser Schablone nicht fügte, sondern die Verpflichtung verstand, als einer der führenden Geister der Nation in diesen schweren Tagen hervorzutreten, und mit seinem ebenso sachverständigen wie beredten Worte auf weiteste Kreise zu wirken, bereits Überzeugte zu

erbauen, Schwankende fortzureißen, der Regierung die Rückenstärkung der öffentlichen Meinung für patriotisches und liberales Vorgehen zu verschaffen, wer fände den Mut in sich, es zu mißbilligen?

Um so

weniger als Feuerbach sich weder patriotisch noch politisch zu Maß­ losigkeiten versteigt, selbst z. B. in diesem Augenblicke den Franzosen und ihrer Kultur gerecht zu bleiben vermochte. Alle diese Betrach­

tungen aber helfen darüber nicht hinweg,

daß

sein Auftreten mit

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

seiner Beamtenstellung nicht wohl vereinbar war.

131

So wird man es

als eine immerhin noch schonende Lösung ansehen müssen, die man

damals in München fanb38), wenn er nämlich aus jener Stellung durch Dekret vom 21. Juni 1814, unter voller Wahrung seines Ge­ haltes und Ranges, in diejenige eines zweiten Präsidenten des Appel­ lationsgerichts zu Bamberg versetzt wurde.

Das hat er auch selbst

zunächst dankbar anerkannt38), obschon bald darauf eine bittere Stim­

mung die Oberhand in ihm gewann, aus der hervor er sich scharf über Undankbarkeit und über das ihm angewiesene „glänzende Exil" zu beschweren liebte.

Diese Stimmung mag ja zunächst hervorgerufen worden sein dadurch, daß Feuerbach in Bamberg neben dem weit älteren Ersten

Präsidenten nicht die richtige Stellung zu finden vermochte und sich daher in einer Art von Ehrennotwehr zu möglichster Untätigkeit selbst verdammte.

Dazu traten allerhand Verdächtigungen und Intrigen,

wie sie in den nun einsetzenden trüben Jahren an der Tagesordnung waren, und als deren Ziel und Opfer er sich fern von München wohl noch mehr empfand, als es vielleicht tatsächlich zutraf. Mußte er doch auch in Bamberg ungerne die Schätze der Münchener Biblio­ thek entbehren, wofür ein gelegentlicher Münchener Aufenthalt keinen

Ersatz bieten konnte. Auch Unterhandlungen wegen einer Berufung nach Preußen zerschlugen sich. Das bayerische Angebot einer Art von Regierungspräsidentenstellung in Salzburg mochte er mit Recht fast als Hohn empfinden; da erfolgte wiederum ein Umschlag, zu seinen Gunsten, durch den Sturz des Ministeriums Montgelas, der unter dem Einflüsse Wredes und des Kronprinzen (späteren Königs Ludwig I.) am 2. Februar '1817 eintrat40). Gerade diesen beiden Männern stand Feuerbach aus den begeisterten Tagen der Freiheits­ kriege — bekannt ist des jugendlichen Kronprinzen patriotischer, selbst in kritischen Tagen kaum zu bändigender Haß gegen den Korsen —

besonders nahe. So erklärt es sich leicht, wenn unmittelbar darauf Feuerbachs berechtigten Beschwerden gegen das »otium sine dignitate« in Bamberg abgeholfen wurde durch seine Ernennung zum wirklichen

ersten Präsidenten des Appellationsgerichts zu Ansbach, eine Stellung, in der er nun zeitlebens verblieben ist. Nach München in die leitende

Ministerialinstanz hat selbst der neue Kurs ihn nicht zurückberufen. In Ansbach sind dann eine Reihe weiterer Feuerbachscher Werke entstanden. Zuerst dasjenige, das nun erst den prozessualen Pro9*

132

Vierzehntes Kapitel.

blemen gerecht wird. Anfänge davon reichen freilich noch in die Napoleonische Münchener Zeit zurück, .die „Betrachtungen über das Geschworenengericht" aus dem Jahre 181241); daran hatte sich 1819 eine „Erklärung über meine angeblich geänderte Überzeugung im An­

sehen der Geschworenengerichte" angeschlossen ^).

Aber erst durch die

Erfahrung des praktischen Richteramtes und durch die französische Studienreise sind diese Ideen gefördert und gereift zu dem Buch, dessen erster Band Gießen 1821 erschienen ist, unter dem Titel „Betrach­ tungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeits­ pflege", mit einer Widmung abermals an Grolman von halb weh-

mütigem halb zuversichtlichem Pathos; daran reiht sich der zweite Band, Gießen 1825, auch unter dem Sondertitel: „Über die Ge­

richtsverfassung und das gerichtliche Verfahren Frankreichs." Der Standpunkt, den Feuerbach in allen diesen Schriften und Fragen einnimmt, ist nun aber ein auffallend besonnener und ver­ mittelnder; dürfte sich doch sogar die darin gelegentlich gegen Sa-

vigny geführte Polemik^) zusammenfassen lassen in die vorsichtige Wendung, mit der sich so oft das Alter des Ansturmes der Jugend zu erwehren sucht, — daß das von dieser Vorgebrachte soweit wahr, nicht neu (so z. B. betreffs Geburt des Rechts aus dem Volksgeiste),

soweit neu, nicht wahr sei. Ebenso vorsichtig verführt jetzt auch Feuer­ bach, wo er selbst Vertreter des Neuen ist, wo er modernen Ideen nahesteht. Im Jahre 1812 hatte er sich gegen die unmittelbare Ein­

führung der Geschworenengerichte für Bayern schon aus Abneigung wider Rheinbündelei und wider Napoleonische zwangsmäßige Gleich­

macherei erklärt — obschon man damals mit Hochdruck dafür wirkte, daß Bayern mit dieser Einrichtung beglückt werde „unbeschadet (wie

sich von selbst verstand) der Rechte der hohen Polizei, außerordentlicher Gerichte, Kommissionen nnd Standrechte und anderer dergleichen Ausnahmsanstalten. Eine Jury in den Zeiten des Jahres 1812 hieß ungefähr so viel, als eine türkische Volksvertretung in einem Saale

des Serails unter dem Vorsitze des Großwesirs.

Von der Knecht­

schaft und Unsicherheit der Personen konnte kein Geschworenengericht uns retten; die Freiheit, die wir nicht hatten, konnte kein Ge­

schworenengericht beschützen; nichts konnte es uns damals bringen als neue Zerstörung und unabsehbare Verwirrungen".") Genau

derselben Gesinnung ist Feuerbach dauernd geblieben:

juristisch nach

wie vor durchdrungen von den zahlreichen Mängeln der Geschworenen-

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

133

einrichtung; politisch sie verwerfend, wo sie bloß ein trügerisches Blendwerk, bloß eine spanische Wand wäre, hinter der hervor die Willkür eines absoluten Regiments sich erst recht bequem und gedeckt zu betätigen vermöchte; aber über alle Bedenken sich gerne hinweg­ setzend, wo die Geschworenengerichtsbarkeit eine wirklich lebendige, kraftvolle Betätigung außerdem vorhandener und gesicherter politischer

Volksfreiheit und politischen Volksselbstbewußtseins wäre.

Indem er

so in den Kern der Dinge eindringt, der juristischen wie der politischen Seite gerecht wird, Macht und Lebenswahrheit scharf von Gaukel­

bildern sondert, kommt er auch dazu, die oft begangene Verwechslung

zu rügen, als sei die Einführung der Geschworenengerichte unlösbar verbunden mit der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens.

Immerhin gehören diese Dinge nun einmal in den Vorstellungen und Streitfragen der Zeit zusammen; und so richtet sich denn nun Feuer­ bachs kritisch wägender Geist auch auf die beiden anderen Schlag­

worte, um sie in ihre Elemente zu zersetzen und jedes Element für sich zu prüfen. Dabei spielen ebenso gründlich wie feinfühlig rechts­ geschichtliche wie rechtsvergleichende45) Erwägungen ihre Rolle, wo­

durch der Unterschied namentlich zwischen altdeutschen Schöffengerichten

und neufranzösischen Geschworenengerichten herausgearbeitet ist; unter Ausbeutung der neueren historischen Forschung, von Savigny sowohl

wie von Eichhorn, die nicht nur Mitarbeit, sondern auch wahres inneres Verständnis bezeugt. Von irgendwelchem Verständnis für die Bedeutung der Unmittelbarkeit bei der Beweiserhebung ist dabei freilich noch jede Spur ausgeschlossen (). S. 319 die einem solchen Verständnis geradezu ins Gesicht schlagenden Bemerkungen); im übrigen aber werden die Vorzüge und Nachteile mit einer Unpartei­ lichkeit gewürdigt, die Möglichkeiten einer Verbindung von Schriftlich­

keit und Mündlichkeit mit einer Einsicht erwogen, die älteren und gleichzeitigen Prozeßordnungen stammverwandter und fremder Kultur­ völker mit einer Sicherheit zum Vergleiche herangezogen, die dem Werke den Stempel der Meisterschaft aufprügen. Namentlich wird

auch aufs dringlichste eine Hebung der Gesamtstellung des Rechts­ anwaltstandes gefordert und dies Verlangen eingehend begründet. Die vergleichenden Studien aus dem damaligen Musterlande der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, besonders auch die ausführliche Ent­ wicklung der Ergebnisse der französischen Studienreise im 2. Bande

sind aus demselben Geiste vorsichtig vermittelnder Mäßigung hervor

Vierzehntes Kapitel.

134

geschrieben.

Demgemäß

hat

das Buch

eine unmittelbare Durch­

schlagskraft, wie sie älteren Schriften Feuerbachs eignet, nicht ge­

äußert^); wohl aber ist es auf die Dauer zum Ausgangspunkte aller ernsthaft eindringlichen, wissenschaftlich unparteiischer Studien über Neuerungen im Zivil- und Strafprozeß geworden. So gilt es noch heute als ein Merk- und Wendepunkt der prozessualen Entwicklung4'). Nicht als ob in Feuerbach der alte Feuergeist erloschen gewesen

wäre!

Das Gegenteil ergibt sich aus der so edlen wie unglückseligen

Verirrung, in die ihn damals der Kaspar Hauser-Handel stürmte48). Man wird über die Angelegenheit dieses Hysterikers, der mit seinen betrugslüsternen Machenschaften so bereitwilligen Glauben fand, heute kurz hinweggehen dürfen. Richtig ist, daß Feuerbach nicht nur für

ihn Partei nahm, nicht nur aus seinem Fall Anlaß zur Bildung eines neuen Delikts, des Vergehens gegen das Seelenleben des Menschen,

gewann, sondern wenigstens vorübergehend sogar für eine der kühnsten und oberflächlich haltlosesten Lösungen dieses damals sogenannten

Mysteriums auf Grund ungenügender Indizien eintrat, in einer eines solchen Juristen kaum würdigen Weise"). Richtig ist auch wohl ferner,

daß wenn dieser Handel und der Name des unglücklichen jungen Mannes dauernde europäische Berühmtheit erlangt haben, dabei das

Verhalten Feuerbachs, der Einsatz seines Ansehens und seiner rührigen Feder, bedeutend mitgewirkt haben. Aber all dies beweist denn doch schließlich nur, wie gerade die der Gerechtigkeit ohne Unterschied der

Person am wärmsten zugetane Gesinnung, gerade der eindringlichste Scharfsinn und der kühnste Gedankenflug von einmal angenommener irriger Grundlage aus am weitesten abirren können; und wie dasselbe Publikum, das den tiefgründigen, weitschauenden Untersuchungen er­ lesenster Geister gegenüber stumpf bleibt, sich von ihnen nur zu leicht

und gerne dahin fortreißen läßt, wohin es sich durch die eigene innere Neigung zu Grusel- und Skandalsucht gezogen fühlt. Besser als mit dieser unerfreulichen Angelegenheit beschließen wir die Wanderung durch Feuerbachs Schriften mit der Betrachtung des menschlich und künstlerisch reifsten und bestgeratenen seiner literarischen

Werke, der „Aktenmäßigen Darstellung merkwürdiger Verbrechen"""). Was ist nicht alles über menschlich oder sachlich interessante

Kriminalrechtsfälle zusammengeschrieben worden von lügnerischen Partei­ schriften bis zum Schrei der empörten Gerechtigkeit, von der Schauer­

literatur bis zum Pitaval.

Aber turmhoch, sogar über den besten

I. Strafrecht.

Erzeugnissen

dieser allerdings bedenklich

Feuerbachs Sammlung.

135

1) Feuerbach.

gemischten Gesellschaft, steht

Nicht nur, daß bis da obenhin kein Hauch

des kleinlichen Gezänks, der Parteileidenschaft oder gar der Blutlüstern­ heit dringt, sondern wie ist da alles mit tiefster Einsicht und feinstem

Geist zum Kunstwerke verarbeitet. liche, das Typische und

Das Juristische und das Mensch­

das Individuelle,

das Leidenschaftliche und

das Jämmerliche, der Gang und Zusannnenhang des Vorlebens und

der Verbrechensentdecknng, die Bedeutung des Rechts- und Wirtschafts­ lebens und des Seelenlebens:

solche Züge

wie sind alle

scharf be­

künstlerisch wiedergegeben.

Welche

Akten- nnd Menschenkenntnis, welches Geschick anatomischer

Zerglie­

psychologisch aufgefaßt,

obachtet,

derung und physiologischen Wiederaufbaues zum lebendigen Ganzen, welche Klarheit des Verstandes und welcher Reichtum des Gemütes

kommen hier zu Worte!

Dies letzte dürfte das Großartigste, das bei

diesem Kriminalisten Beachtenswerteste sein.

Wie oft ist nicht Feuer­

bach, dem Kriminalphilosophen und Gesetzgeber,

allzugroße Strenge,

Wo ihm solche Vor­

fast Erbarmnngslosigkeit vorgeworfen worden.

würfe zu Ohren kamen, hat er stets darauf entgegnet, daß es dem Juristen und namentlich dem Gesetzgeber unbedingt untersagt sei, der Stimme des Mitleids mit dem einzelnen Verbrecher Gehör zu geben, da dies zur Grausamkeit gegen das Gemeinwohl werden würde; einzig

zu dessen Schutz, nicht unter Rücksicht auf moralische Momente, die

etwa für den einzelnen Verbrecher sprechen, sei das Schwert der Ge­ rechtigkeit

zu

handhaben.

Daß

dies nicht

etwa Ausflüchte waren,

bloß vorgebracht, weil ihm jene Stimme nicht vernehmlich zu Herzen

gedrungen wäre, daß das nicht Abneigung war,

die moralischen Ele­

mente, die moralischen Entschuldigungsgründe zu würdigen: das zeigt

sich in der Darstellung merkwürdiger Verbrechenseinzelfälle aufs deut­ lichste.

Hier gestattet sich Feuerbach nicht bloß, hier macht er es sich

geradezu zum Gesetze, die entschuldigenden und versöhnenden psycho­ logischen Entwicklungen nnd Züge aufzusuchen und dem Leser vorzu­ führen, wie er sie in Begnadigungsvorträgen dem Könige vorgeführt

haben wird.

Und dabei tritt eine Tiefe, eine Großherzigkeit des Ver­

ständnisses für die Welt des Verbrechertums hervor, die von keinem

modernen „Kenner der Verbrecherseele" überboten werden kann — nur daß freilich hier all dies Äußerung einer festen und mannhaften

Gesinnung, nicht jämmerlicher Schwäche ist, so daß es nicht Greuel, Roheiten und Scheußlichkeiten mit menschlich entschuldbaren Schwächen

Vierzehntes Kapitel.

136

und Leidenschaften verwechselt, sondern die wahre sittliche Verworfen­ heit ebenso treffend wie Jammer und Elend kennzeichnet.

weiß Feuerbach,

Sehr Wohl

daß es sich für die Welt der Verbrecher nur um

ganz dieselben Menschlichkeiten handelt, die auch in höheren Sphären,

z. B. in den Machtkämpfen der hohen Politik, ihre verborgene Rolle spielen, während der ertappte Verbrecher der Untersuchung stillhalten, sich gefallen lassen muß, daß alle Züge seiner Tat, seines Vor- und

So soll das Werk,

Nachlebens durchforscht und aufgehellt werden.

indem es merkwürdige Kriminalfälle darstellt, der Aufklärung mensch­ lichen Lebens und Treibens überhaupt dienen; indem es die Schlupf­ winkel des Verbrechertums beleuchtet, soll es zugleich auf diejenigen

der Weltgeschichte ein Seitenlicht werfen.

aber auch ist die

Darum

Form der Darstellung so gewählt, daß sie den Inhalt jedermann zu­

gänglich

und

gefällig

klassischen Muster

Der Stil zeigt eine an die höchsten

macht.

gemahnende Klarheit

und Sicherheit,

ohne

daß

darum irgend etwas von dem fehlte, dessen der strengste Jurist zur Beurteilung des Falles bedürfte.

Nur ein Jurist, aber auch nur ein

Mann wie Feuerbach, konnte ein solches Buch schreiben, höchster allseitiger Bildung, hervorgegangen

großen

Dichter

und Denker

ein Mann

aus der Schule unserer

und genährt

von

dem

Marke

ihrer

Schriften, aufrechter Gesinnung, bis ins Alter gewahrter warmherzigster

Begeisterungsfähigkeit und Menschenliebe, von freiester, allem Banalen

und Banausischen

todfeindlicher

Mann die Abfassung

Vorurteilslosigkeit.

dieses Buches Jahrzehnte

Indem dieser

hindurch sich „zum

erheiternden und belehrenden Geschäfte wahrer Mußestunden" machte^),

d. h. indem er ihin seine besten Stunden mit innerlicher Freude wid­ hat er hier ein Werk hervorgebracht,

mete,

dem man das Höchste

nachrühmen kann, das für den Fachgelehrten erreichbar ist: zugleich

und in

unlösbarer Verbindung miteinander

ein bleibendes Meister­

werk der allgemeinen und der Fachliteratur zu sein, eine wesentliche Förderung

zu bedeuten sowohl für die Berufswissenschaft wie für

die Allgemeinbildung.

Denn auch das wird nicht bezweifelt werden dürfen,

daß dem

Buche auch für die Geschichte der Rechtswissenschaft im engeren Sinne

eine solche Bedeutung znkommt.

Es bildet

hier

das

Gegengewicht

gegen die sonst einseitig abstrakt philosophierende strafrechtliche Rich­ tung, gegen die durch Feuerbachs sonstige Werke begründete Neigung,

nur die Formeln

der Gesetzesparagraphen

und

das

objektive Ver-

I. Strafrecht.

1) Feuerbach.

brechen, nicht daneben auch das Weltgetriebe

des Verbrechers ins Auge zu fassen.

137 und die Persönlichkeit

So mögen die sonstigen Werke

Feuerbachs mehr maßgebend geworden sein für die unmittelbar sich anschließende Entwicklung;

in ihnen hat Feuerbach

theoretisch und

legislativ die Aufgaben gestellt und die Lösungen umrissen, um deren

Fortführung

die besten Kräfte des 19. Jahrhunderts sich

bemühen

sollten; in der „aktenmäßigen Darstellung merkwürdiger Verbrechen" wird umgekehrt gerade die neueste soziale und psychologische Strömung

im Strafrecht einen Vorläufer zu erblicken haben: Es schallt daraus, vielleicht nicht bewußtermaßen von Feuerbach hineingelegt,

aber hell

nnd deutlich ein Ton, der an die Fanfaren der jüngsten Schule an­

klingt.

Wir

nähern

uns Feuerbachs letzten Jahren.

Mit voller Be­

friedigung hatte Feuerbach zunächst den Ansbacher Posten angetreten52). Er hatte dort eine

bedeutsame Tätigkeit gefunden,

im ganzen auch

politische Ruhe; es beschäftigten ihn jetzt die Schicksale seiner Heran­ wachsenden Söhne, es erfreuten ihn nahe Beziehungen zu Tiedge und

zu dessen sanfter Freundin Elise von der Recke55).

Aber allmählich

bricht denn doch in seiner zeitweilig ruhig gewordenen Korrespondenz wieder die Unzufriedenheit durch, die ihn mit Ausnahme der Münchener

Jahre überallhin verfolgt hat.

In letzter Linie handelt es sich dabei

doch offenbar um etwas ganz anderes als

Unstetigkeit oder Alters­

mürrischkeit; es handelt sich vielmehr um die nagende Empfindung, nicht zur vollen Entfaltung seiner ganzen Kraft und Begabung ge­ langt zu sein, den genialen Schaffensdrang zu Gesetzgebungstaten in

großem Stil nicht mehr betätigen zu tonnen54). Eine wahrhaft tragische Ironie der Verhältnisse!

Zu derselben

Zeit, da Thibaut seinen beredten Ruf nach einem gemeinsamen deut­

schen Bürgerlichen Gesetzbuch ausstößt, zu derselben Zeit, da Deutsch­ land die gesetzgeberische Begabung nnd Tatkraft eines Feuerbach zur

Verfügung steht, gerade damals liegen die politischen und allgemein

staatlichen Verhältnisse so, daß wenigstens für den Augenblick Savignys gesetzgebungsfeindliche Anschauung die allgemeine Zllstimmung einer ruhebedürftigen Zeit und der regierenden Kreise findet55). Die poli­ tische

Impotenz jener Tage

den Beruf

ergreift

freudig Savignys Schrift über

als wohltätig wisfenschaftliche Konsekration ihrer Untätig­

keit, so daß selbst Gönners lärmende Denunziation dagegen machtlos abprallte, um wie viel mehr der feinsinnige Widerspruch eines stets als

Vierzehntes Kapitel.

138

liberaler Eiferers verdächtigen Mannes wie Feuerbach.

Wie mag

diesen Aufkommen und Herrschaft der „historischen Schule" gekränkt

haben, wie muß er gelitten haben unter dem Politischen Drucke, der sich damals auf ganz Deutschland

lagerte, und besonders unter der

sich immer vertiefenden Kluft zwischen norddeutschem Geistesleben und

bayerischer Abgeschlossenheit, während er doch nun einmal in Bayern Wurzel geschlagen hatte und bayerischer Staatsdiener bis zu Ende

blieb.

Daß es da denn auch wieder an kleinlichen Reibungen und

Aufregungen nicht gefehlt haben kann, ist selbstverständlich.

Besonders

tief erschütterte ihn die Verfolgung, die sein Sohn Karl in der Zeit

der allgemeinen Demagogenhetze, obschon ganz schuldlos, ertragen mußte. Überhaupt lastet der Druck dieser Zeit mit ihren Rechts­ brüchen, ihren Intrigen und Polizeimachenschaften, ihrer Maßregelung aller Aufrechten und Beförderung skrupelloser Bigotterie und Kriecherei

schwer auf Feuerbach.

Eine Reihe von Briefen an Klüber^),

be­

sonders aus dem Jahre 1832, gibt für die Unerträglichkeit dieser Zustände in dem damaligen Bayern zahlreiche Belege; so klagt Feuer­ bach am 12. Januar 1832, es sei ihm „die ganze Jurisprudenz in allen ihren Teilen so zum Greuel geworden, daß ich mich nicht weiter

mehr damit befasse, als soweit ich schlechterdings muß. Mit dem Recht ist jetzt ebensowenig etwas anzufangen als mit der Vernunft, wer davon etwas hat, tut wohl, es für sich zu behalten. Was ich noch für mich treibe, sind schöne Literatur, etwas Geschichte, vor allein aber Physiologie und Psychologie. Wie ich schon lange die Juris­

prudenz verlassen habe, so hat sie auch mich verlassen. Ich verstehe fast gar nichts mehr davon und glaube, dabei nichts verloren zu haben." Dazu bemerkt Klüber sich am Rande: „Was wird Themis dazu sagen, wenn ein solcher Priester ihr den Dienst versagt? Ohne Zweifel mit

Schiller: Wenn solche Köpfe feiern, welch' ein Verlust für den Staat!" Liest man diese und eine Reihe ähnlicher ungedruckter Briefe Feuerbachs — schroffste Stellen führe ich absichtlich nicht an — in Verbindung mit dem gedruckten Material, so fühlt man es ordentlich mit, wie die durch den „Feuerstrom der Leidenschaft und des Schaffens­ dranges"^) bereits angegriffenen Kräfte des seltenen Mannes unter diesen fortwährenden Verletzungen und Verbitterungen aufs schwerste leiden mußten.

Die Katastrophe nähert sich unverkennbar mit der

zweiten Hälfte des Jahres 1832.

Im März 183359) ist sie schon

fast eingetreten, als er der Schwester schreibt: „Eigentliche Geistes-

I. Strafrecht.

2) Stllbel und Grolman.

139

arbeiten, wozu man die Feder braucht, kann ich gar nicht mehr ver­

richten, bin also, wie du mich kennst, schon ein halbtoter Mann"; am 29. Mai 1833 ist Feuerbach in Frankfurt gestorben. In wie tiefer Verstimmung gegen seine Umgebung, dafür zeugt laut, daß er auf seinen Wunsch dort und nicht in Ansbach bestattet wurde, weil —

so lautet die Familienüberlieferung — er „den Ansbachern nicht das Vergnügen einer Präsidentenleiche vergönnen" mochte. So verbissen und bitter dies Schlußwort auch klingt, immer tönt noch hindurch des Mannes gewaltiges und berechtigtes Selbstbewußtsein, seine einzig­ artige Persönlichkeit, aus deren Zeugungskraft für Deutschland geistig

das heutige Strafrecht, körperlich die berühmte Schar hervorragen­ der Philosophen, Gelehrter und Künstler seines Namens hervorge­

gangen ist. 2. Gilt Feuerbach weiteren Kreisen hauptsächlich als der Ver­ treter der psychologischen Zwangstheorie, so ist Grolman mit größerem Rechte hauptsächlich als der Vertreter der speziellen Präventions­ theorie bekannt geblieben. Nicht als ob nicht auch Grolman seine Vorgänger darin hätte. Unter diesen reicht einer sogar zeitlich und sachlich besonders nahe an ihn heran, der treffliche Stübel, von dem Grolman selbst bemerkt °°): „Den ersten Versuch, auf der reinen Präventionstheorie ein System des Kriminalrechts aufzubauen, machte Herr Professor Stübel zu Wittenberg." Damit ist auch schon an­ erkannt, daß bei Christoph Karl Stübel^) (1764—1828) sogar schon in der Handhabung dieses Prinzips der für unsere Periode ent­

scheidende Schritt getan ist: es wird nicht nur gelegentlich, zur Er­ klärung herangezogen, sondern prinzipiell und im Gegensatz zu anderen Möglichkeiten dem ganzen Aufbau zugrunde gelegt in Stübels, freilich Bruchstück gebliebenem, „System des allgemeinen peinlichen Rechts", 2 Bände, Leipzig 1795. Aber Stübel hat doch daneben noch fortwährend mit natur­ rechtlichen Anklängen und Rückfällen zu kämpfen, an denen die Kantische Kriminalistenschule Anstoß nehmen mußte. Und selbst davon abgesehen, ist er denn doch nicht so entschieden der Mann jenes Prinzips, nicht so damit verwachsen, daß sein Name typisch dafür

hätte werden können.

Ist er doch selbst später durch Feuerbachs

Ausführungen grundsätzlich wieder schwankend geworden62). Sodann aber auch hat er viel zu ausgeprägten Sinn und viel zu offenes Verständnis für die Einzelheiten positiv-rechtlicher Art, wie das nament-

Vierzehntes Kapitel.

140

lich bekundet wird durch sein bekanntestes und angesehenstes Werk „Über den Tatbestand der Verbrechen, den Urheber derselben und

die zu einem verdammenden Endurteile erforderliche Gewißheit des ersten, besonders in Rücksicht der Tötung, nach gemeinen, in Deutsch­ land geltenden und kursächsischen Rechten", Wittenberg 1805. Das Buch ist in seiner Art eine ebenso kühne Neuerung für die Strafrechtswissenschaft, wie Feuerbachs Revision in ihrer Art. Es

wirft Dinge,

die

bis dahin

als

unumstößliche Rechtswahrheiten

galten, mit einem Anprall ein für alle Male nieder. So die Meinung, als ob nur der alleinige, unmittelbare und notwendige Verursacher eines verbrecherischen Erfolges Urheber des Verbrechens sei; als ob also nur derjenige Urheber einer Tötung wäre, der dem

Getöteten eine unvermeidlich tödliche, sog. letale, Verletzung beige­ bracht hat; als ob ferner der Beweis durch Zeugen oder Geständnis eine absolute oder auch nur höhergradige Gewißheit schüfe, als der seit Abschaffung der Folter unentbehrliche Beweis durch Anzeigen (indirekter Indizienbeweis); als ob es ein Zwischending gebe zwischen Schuldbefund auf Grund genügenden Beweises jeder Art und Frei­

sprechung mangels Beweises; und als ob die Verurteilung zum Tode absolute, das heißt höhere Gewißheit des Tatbestandes des verübten Verbrechens verlangte, während man sich bei geringerer Strafe mit geringerer Gewißheit begnügen dürfe. Durch die gründliche Auf­ klärung solcher alteingewurzelten Irrtümer und ihrer ursächlichen Zusammenhänge ist Stübel der Urheber aller unserer Anschauungen

über Kausalität und über Beweis in Strafrecht und Strafprozeß ge­ worden. Wir stehen da alle auf dem von ihm gewonnenen Boden, so viele Kontroversen daraus dann auch im einzelnen hervorgegangen sind, die Stübel noch nicht vorhersieht. — Namentlich ist es eine wahre Befreiung, bei ihm zu lesen, was er gegen die unglückliche

Verirrung vorbringt, die nach Abschaffung der Folter zu den außer­ ordentlichen Verdachtsstrafen geführt hatte. Wie weit er damit über die unmittelbar vorangehende aufklärerische Periode hinausgeht, er­ hellt am deutlichsten bei seiner mustergültigen Kritik der berühmten Preisfrage der Berner Ökonomischen Gesellschaft von 1780: ihre ganze Fassung wird als verkehrt, sie selbst deshalb als unlösbar er«

klärt 6b). Denn entweder, so führt er immer wieder aus, ist der Richter von der Schuld des Jnkulpaten vollkommen überzeugt:. so kann man nicht sagen, daß derselbe nicht überführt sei; oder er ist

2) Stübel und Grolman.

I. Strafrecht.

141

nicht überführt, dann ist er auch nicht „gefährlich" und mit keinerlei Übel zu belegen, weder mit dem der ordentlichen, noch mit dem da­

mit nächstverwandten Übel der außerordentlichen Strafe. Jede andere

Behandlung widerspricht der Vernunft und dem gemeinen Menschen­ verstand; man setzt dabei „als ausgemacht voraus, daß ein voll­ kommener Beweis und die Überführung durch Anzeigen nicht möglich

sei, da doch das noch gar nicht erwiesen, vielmehr ein Grundsatz ist, welcher sich wohl zu der Zeit, wo die Peinl. Gerichtsordnung entworfen wurde,

entschuldigen ließ, heutzutage aber der übrigen Aufklärung

in dem Kriminalrechte sehr nachstehet und mit derselben einen auf­ fallenden Kontrast ausmacht".

Im Gegenteil:

„Es widerspricht die

Meinung, als ob durch Anzeigen in Kriminalsachen niemand über­

allen Gesetzen des vernünftigen Denkens

führt werden könne und der Logik."

Indem dies allseitig beleuchtet und der Praxis als

unmittelbar brauchbar vor

gerückt

Augen

wird, bricht endlich der

alte Wahn zusammen unter dem das Strafrecht solange gelitten hatte:

von hier aus zur Einführung der freien Beweiswürdigung ist nur noch ein Schritt, die schwierigste Wegesstrecke ist zurückgelegt.

So

verdient allerdings Stübels Name schon wegen dieses einzigen Werkes denjenigen eines Feuerbach und Grolman gesellt zu werden. — Übrigens sei

wegen

der

Gleichartigkeit

praktischen Verdienstes,

positivistischen Richtung nnd des

der

wennschon auf viel

engerem

Gebiete, hier

gleichfalls erwähnt Karl Kliens^) „Revision der Grundsätze über das Verbrechen des Diebstahls, das bei ^dessen Untersuchung zu beob­

achtende Verfahren und dessen Bestrafung nach gemeinem in Deutsch­ land geltendem, in Sonderheit kursächsischem Recht", Nordhausen 1806.

Von Stübels späteren Schriften hat lediglich praktisches Ver­ dienst

das fünfbändige

Werk

über

Kriminalverfahren, Leipzig 1811.

deutsches,

Dagegen

besonders

stehen

sächsisches

wieder

auf

der

alten Höhe manche kleinere Abhandlungen seiner letzten Jahre, be­ sonders die: „Über gefährliche Handlungen als für sich bestehende Verbrechen", Halle 182665);

und die Schrift: „Über die Teilnahme

mehrerer Personen an einem Verbrechen", Dresden 1828.

Nament­

lich letzteres Buch ist von seltener psychologischer Feinheit und logi­

scher Eindringlichkeit; es fördert die Lehre von der Kausalität und Schuld in ihrer Anwendung auf die Lehre von der Teilnahme wesent­ lich, wennschon es nicht so grundlegend ist, noch so viel Beachtung

gefunden hat wie die Arbeit über den Tatbestand von 1805.

Vierzehntes Kapitel.

142

Zu der streng philosophischen Richtung Kantischer Schulung und zu der speziellen Präventionstheorie im klassischen Sinne kehren wir zurück

mit

Antagonisten

Feuerbachs

Wilhelm von ©rolntan66).

und

Freund Karl Ludwig

Nicht nur, daß er von Kant gerne

als von „unserem großen Lehrer" oder „Meister" redet, sondern er

setzt auch überall Kants Anschauungen von der Menschenwürde, von der Erhabenheit der Moral über die bloße Zweckmäßigkeit, von der

gemeinsamen Grundlage und dem Unterschiede zwischen Moral und Recht als selbstverständlich voraus; auch ist seine ganze Denkweise Kantisch gebildet, streng deduktiver Durchführung stets bedürftig, ohne

sich darum den Lehren der Erfahrung zu verschließen. Betrachtungsweisen

stehen

einander gegenüber;

freilich

bei

Grolman

arg

Diese beiden

unvermittelt

er kann aus der Tiefe und Abstraktion philo­

sophierender Untersuchung jäh in Betrachtungen untergeordneter, flach­ praktischer Art umschlagen, die peinlich berühren, und mehr an den Geschäftsmann im Sinne des 18. Jahrhunderts als an den Rechts­

denker erinnern.

Insofern kommt es ihm nicht efcqn zustatten, wenn

ihn die Geschichte der Rechtswissenschaft neben Feuerbach stellen muß; die Nachbarschaft

drückt

da

ihn,

ihm

große Zug Feuerbachs

der

mangelt, dessen Temperament und Pathos, dessen allgemein humane

Bildung

und

schriftstellerische

fesselnde Persönlichkeit.

der

scharfsinnige

und

praktischen Anforderung

Begabung,

ausgeprägte und

dessen

Im Gegensatze dazu ist

fleißige Arbeiter. und

keinem

Er

neuen

Grolman

Gedanken,

einfach

sich keiner

verschließt

weder dem

napoleonischen Zivilrecht, noch der Philosophie Fichtes °7).

Mer er

bleibt schließlich doch immer der Mann der einen Auffassung, von

der er ausgegangen ist, der speziellen Präventionstheorie, sotiel er

daran von Zeit zu Zeit auch im einzelnen ummodeln mag.

Neben­

verdienste auf anderen Gebieten, besonders auf dem des Zivilprozesses, worüber mehr unten (II, 1), mögen nebenher gehen68); auch im Straf­ rechte kommen einige andersartige Werke hinzu69); auf die Vertretung

der speziellen Präventionstheorie aber fällt bei Grolman der Nachdruck. Er hat sie hauptsächlich dargestellt und

verbreitet durch seine

„Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft" von 1798, die weder in

mehrfachen Ausgaben erschienen finb70).

Da dies Werk indessen lehr­

buchmäßig knapp gehalten ist, so sind ergänzend hinzuzunehmm die Schrift: „Über die Begründung des Straflechts und der Stratzesetz-

gebung nebst

einer Entwicklung

der Lehre von

dem Maßstab:

der

I. Strafrecht.

2) Stübel und Grolman.

143

Strafen und der juridischen Imputation", Gießen 1799; und die Ab­

handlung „Sollte es denn wirklich kein Zwangsrecht zur Prävention

geben? Einige Bemerkungen zur Beantwortung dieser Frage", 180071). Die späteren dieser Auseinandersetzungen nehmen regelmäßig Bezug auf Feuerbachs gleichzeitige Schriften, mit denen sie in freundschaft­

Aber auch bei der ersten Auflage der Grund­

lichem Kampfe stehen.

sätze kennt und berücksichtigt Grolman schon Feuerbachs Theorie, die ja damals durch kleinere Arbeiten ihres Autors schon schriftstellerisch

ausgesprochen war, und selbst schon den Plan zu Feuerbachs „Revision", obgleich diese erst 1799 erschienen ist72). Männer

gleichmäßig die

Es kann also, wenn beide

gesamte Strafrechtswissenschaft auf ein ein­

heitliches, streng bis in alle Einzelheiten hinein durchgeführtes Grundprinzip aufbauen, für diese Neuerung von einer Priorität Grolmans,

Viel­

obschon die Daten dies nahelegen, ernsthaft nicht die Rede sein.

mehr haben in dieser Beziehung offenbar beide Männer, angeregt dazu durch dasselbe spekulative Bedürfnis, gefördert darin durch die gleich­

artige philosophische Schulung,

gleichzeitig

und

unabhängig vonein­

ander dieselbe Richtung eingeschlagen und denselben Plan unter gegen­

seitig

anregendem

wennschon

Gedankenaustausche

der eine

schlüsse gelangt ist.

damit

etwas

etwa

gleichzeitig

rascher als der

ausgeführt,

andere zum Ab­

Daß dabei der eine die Form des Lehrbuches,

der andere zuerst die einer freien Untersuchung gewählt hat, beide recht bezeichnend.

geprägten Lehre

ist für

Auch daß Feuerbach starr an seiner einmal

festhält,

tvährend Grolman sofort bereit war, in

Einzelheiten und Nebenpunkten dem Rechnung zu tragen, was er in

den Ausführungen Anderer berechtigt sinket.

Bei alledem wird man

sich hüten müssen, Grolmans Verdienste, seinen Scharfsinn und seine

Gewandtheit,

Feinheit in

sein Verständnis

für

den

der Einzeldurchführnng zu

Theorie die Strafe

Zusammenhang und

unterschützen.

auf die Notwendigkeit begründet,

seine

Indem seine

die von

dem

Verbrecher bekundete verbrecherische Energie für die Zukunft aufzu­

heben oder unschädlich zu machen, und indem sie den Gegensatz dieser Auffassung gegen die rohe Abschreckungstheorie herausarbeitet, gestattet sie nicht nur — was für Grolman und seine Zeit die Hauptsache war72) — den Forderungen der ausgleichenden Gerechtigkeit strenge

Rechnung zu tragen, sondern auch mit der Persönlichkeit des Täters als einem Maßstabe der Strafe zu rechnen. Weil diese Theorie soweit

mit neuesten Strömungen zusammentrifft, pflegt Grolman heutzutage

Vierzehntes Kapitel.

144

wieder viel angeführt zll werden; als ob die Modernen, die ihn an­ führen, für sich irgend etwas aus Grolman entnommen hätten oder

entnehmen könnten, als ob Grolman je an psychologische Feinheiten,

an soziale Einschätzung von Verbrecher und Strafe gedacht hätte! Theoretisch, rein verstandesmäßig mag man einen Zusammenhang finden^); historisch wirksam für die neuere soziale Auffassung sind

sachlich weit eher Vorbilder gewesen, wie die lebendigen Schilderungen eines Feuerbach, als derartige abstrakte, erst nachträglich ausgeklügelte Möglichkeiten, — obschon Feuerbachs Theorie der neuesten Richtung diametral gegenübersteht. Das ist eben der Vorzug des wahrhaft

großen Geistes, daß er Anregungen gibt, die weit über den ihm selbst bewußt gewordenen Gedankeninhalt hinausreichen; lvährend eines Grolman Einfluß nicht weit über seine Zeit hinausreicht. 3. Feuerbach und Grolman gesellt erscheint regelmäßig Ludwig

Harscher von Allmendingen^), bis es zwischen den beiden ersteren und ihm gelegentlich der Gießener Konferenzen (September 1809 bis Anfang April 1810) zum Bruche kam. Der Umstand, der zu diesem Bruche führte (s. o. S. 100), mag ja Almendingen eher zum Ruhme gereichen; seine erfolg- und einflußreiche wissenschaftliche Tätigkeit jedoch ist damit wie abgeschnitten. Bei aller Begabung, infolge deren er als Gleichberechtigter in jenes Triumvirat des philosophischen Strasiechts

eintrat, hat er sich denn doch nicht als auf die Dauer leistungs- und widerstandsfähig herausgestellt, als er auf seine vereinzelte Kraft an­ gewiesen war.

Dazu mangelte ihm Ruhe des Lebens und Gleichmaß

des Charakters. Überwiegt bei Grolman der trockene Geschäftsmann, so ist Almen­ dingen der temperamentvoll leidenschaftliche Schwärmer, der den prak­ tischen Aufgaben des Lebens haltlos und unbelehrbar gegenübersteht. Von einem hochgebildeten und ehemals in höherem diplomatischen

Range stehenden,

dann aber verarmten Vater ausschließlich in der

Stille erzogen, war Almendingen im wesentlichen Autodidakt, bis ihn 1789, als schon 23 jährigen, Wohltätigkeit eines entfernten Verwandten in die Lage setzte, die Universität Göttingen zu

beziehen und dort unter Runde, Hugo, Pütter und Spittler zu studieren. Infolge dieser Umstände schon früh genötigt, durch literarische Arbeit aller Art dem

Erwerb nachzugehen,

hat Almendingen noch

das besondere Unglück

gehabt, nicht in einer der Sammlung förderlichen akademischen Lauf­ bahn zu bleiben, die sich ihm zunächst öffnete. Aber die Herborner

I. Strafrecht.

3) v. Almendingen.

145

Professur, die er 1794—1803 bekleidete, war ja wohl wenig geeignet,

seinem Ehrgeiz und seinem Streben Genüge zu tun; Berufungen an größere Hochschulen hatte er in der Zeit, da er hohen Ansehens zu genießen anfing, aus Familienrücksichten ablehnen müssen; so ließ er

sich denn 1803 bestimmen, den Posten eines Rats im Nassauischen Gesamtoberappellationsgericht zu Hadamar zu übernehmen; und von dort führte ihn die Huld seines Landesherrn, die ihn auch später bei traurigen Wendungen und Schicksalen nie ganz hat fallen lassen, zu jenen Gießener Konferenzen, von dort in der trübsten Rheinbundzeit als Vizedirektor des Hofgerichts und Geheimreferendar ins herzogliche

Staatsministerium nach Wiesbaden. So ward er hineingezogen in die hohe Politik nnd in kleinstaatlich dynastische Verwicklungen7^); als diese ihn, der ohnehin im Gerüche des Demokraten und geheimen

Jakobiners ftanb77), als Prozeßvertreter einer anhaltischen Sache mit den preußischen Gerichten, vor denen diese Sache schwebte, in Kon­ flikt brachten, und er dabei seine Leidenschaftlichkeit nicht zu zügeln vermochte, trat die Katastrophe ein, der er schon längere Zeit ent­ gegentrieb. Eine Kriminaluntersuchung vor dem Berliner Kammer­ gericht (1822) endete mit seiner Verurteilung zu einjährigem Festungs­

arrest wegen „frechen unehrerbietigen Tadels der Landesgesetze und Anordnungen im Staate". Blieb dies Urteil auch nnpubliziert und unvollstreckt in Nassau, wo er inzwischen (1816) Vizepräsident des neuen Hofgerichts Dillenburg und Staatsrat geworden war, so konnte man ihn doch daraufhin nicht mehr in. diesen Ämtern belassen, sondern

pensionierte ihn unter Erteilung eines Verweises. Seine letzten Lebens­

jahre vergingen dann unter vergeblichen Bemühungen, zu voller Re­ habilitation zu gelangen; was er dafür in eigener Sache schrieb auch nur in den Druck zu bringen, mißlang dem jetzt ebenso allgemein diskreditierten wie früher beliebten Schriftsteller; bald fand er keinen

Verleger, bald scheiterte er am Zensurverbot; so verbittert und ver­ stört, aber in seiner näheren Umgebung doch stets als vornehmer Mensch von idealer Gesinnung anerkannt, ist er zu Dillenburg am

16. Januar 1827 gestorben. Man muß sich diese Lebensschicksale vor Augen halten, um dem Wirken Almendingens trotz aller seiner Absonderlichkeiten7#) gerecht zu werden.

Zu ähnlicher Bedeutung wie Feuerbach und Grolman ist er

ja nicht gelangt; kein großes in sich abgeschlossenes Werk hat er ge­

schaffen; aber er hat doch, wennschon nur wenige, so gerade die entLandsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenichast. II. Text. 10

Vierzehntes Kapitel.

146

scheidenden Jahre hindurch neben jenen beiden im Vordertreffen ge­ kämpft; er hat damals neben jenen seinen vollen Anteil geliefert an dem Radwerk ineinandergreifender Zähne, durch die sie sich gegenseitig

kritisierten, anregten, vervollständigten, vor autokratischer Schulhäupt­ lingsschaft bewahrten und zugleich der Aufmerksamkeit der Fachgenossen aufnötigten.

In diesen Zusammenhang gehören namentlich Almen­

dingens Aufsätze^) in der „Bibliothek für die peinliche Rechtswissen­ und in Grolmans

schaft und Gesetzgebung" eine Rezension

über

Grolmans „Grundsätze"

„Magazin",

darunter

vom Umfange eines

vollständigen Buches. Sodann die selbständig erschienenen Bücher „Über die rechtliche Imputation und über das Verhältnis derselben zur moralischen Zurechnung", Gießen 1802, und „Untersuchung der

Natur des culposen Verbrechens", Gießen 1804, letzteres namentlich

angeregt durch Feuerbachs oben besprochene Betrachtungen über dolus und

culpa im 2. Bande

der „Bibliothek".

In

prinzipiellen

der

Grundlegung ist dabei Almendingen nicht selbständig, sondern folgt

zuerst Grolman, später der stärkeren Persönlichkeit Feuerbachs, was

ja wohl das Zerwürfnis mit Grolman vorbereitet haben mag. Almen­ dingens Auffassung tritt vielmehr in den Einzelheiten hervor, in deren

Begründung sowohl wie in deren Durchführung, worin er sich beson­ ders scharfsinnig und folgerichtig erweist, während sich zugleich seine klare Logik

bei der

Kritik der

gegnerischen Meinungen

eingreifend

betätigt.

Neben dem Strafrecht und dem ftanzösischen Zivilrecht ist diese

Tätigkeit Almendingens noch dem Zivilprozeß zugute gekommen, wo er sich hauptsächlich bemüht, den zersplitternden Kleinigkeiten zu ent­

gehen, indem er aus der „Natur der Sache" argumentiert.

Das ist

gemeint, wenn sein Hauptwerk auf diesem Gebiete den Titel trägt: „Versuch einer Metaphysik des Zivilprozesses", Gießen 1808 “J.

Es

handelt sich darum, für Lösung prinzipieller Fragen leitende Gesichts­ punkte zu gewinnen und von dort aus die Einzelheiten zu ordnen. Wennschon dabei häufig gegen Gönner polemisiert wird, so ist diesem doch jenes Verfahren offensichtlich

und

zugegebenermaßen entlehnt,

von Gönner die Anregung ausgegangen, wie ähnliches bei Grolmans

zivilprozessualem

Werke

zutrifft.

Wir werden

damit

auf Gönner,

auf die von ihm ausgehenden und gegen ihn hervortretenden Einflüsse

und Bewegungen abermals zurückgeführt.

II. 1. Nikolaus Thaddäus (Sönnet1) ist geboren den 18. Dezember 1764 zu Bamberg und dort zunächst in die akademische und administrative Laufbahn als fürstbischöflicher Beamter eingetreten2). Demgemäß ist seine Grundrichtung staatsrechtlich im alten reichs­ publizistischen Sinne. Umständliche Deduktionen über staatsrechtliche und staatskirchenrechtliche Streitfälle bilden seine ersten schriftstelle­ rischen Leistungen2); auch Lehnrechtliches ist darunter1). Doch muß man sich gegenwärtig halten, daß gerade die Püttersche Publizisten­ schule jede staatsrechtliche Absonderung verwirft, einer Verbindung mit dem Prozeß eher zuneigt. So erklärt es sich leicht, daß Gönner alsbald auch sich letzterem Gebiete zuwandte, namentlich2) in dem zweiten Teil seiner „Juristischen Abhandlungen", der zu Bamberg anfangs 1799 erschien, auch unter dem bezeichnenden Sondertitel: „Erörterungen über den gemeinen Prozeß, ein Zusatz6) zu den Grund­ sätzen des Professor Danz". Diese Erörterungen sind es, die in der wissenschaftlichen Behand­ lung des gemeinen deutschen Zivilprozesses eine Art von Epoche machen. Durch sie ist angeregt und bedingt Grolmans „Theoriedes gerichtlichen Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" von 1800, ein Lehrbuch, das auf ihnen fußt, sie fortsetzt und eine förderlich systematische Anordnung selbständig seinerseits hinzutut. Diese Ord­ nung an Stelle der Danzschen — der Anschluß an Danz ist von vornherein nur ganz äußerlich, tatsächlich wird fast nur gegen ihn polemisiert — hat dann wieder Gönner angenommen in seinem Hauptwerke, das zunächst als Fortsetzung zu den Erörterungen ge­ dacht war, dann aber selbständig ausfiel, dem „Handbuch des deut­ schen gemeinen Prozesses in einer ausführlichen Erörterung seiner wichtigsten Gegenstände", 4 Bände, Erlangen 1801—18037). Nimmt man noch Almendingens Metaphysik des Zivilprozesses hinzu, und bedenkt man die zahlreichen Ausgaben, die Grolmans Lehrbuch ge­ funden hat, so dürfte man diese Gonuersche zivilprozessuale Richtung ziemlich vollständig2) überblicken. Wir haben bei dieser Richtung keineswegs, wie etwa bei Hugo für das Zivilrecht oder bei Feuerbach für das Strafrecht, einen Bruch mit der wissenschaftlichen Bewegung des 18. Jahrhunderts vor uns. Nicht Vertiefung der philosophischen noch der geschichtlichen Grund­ legung bildet hier den Ausgangspunkt. Sondern es handelt sich im wesentlichen darum, daß in der Art etwa, wie Justus Friedrich Runde 10*

Vierzehntes Kapitel.

148

es für das deutsche Privatrecht gemacht hatte, aber ganz ohne dessen

gründliche Quellenmäßigkeit, die Entwicklung aus der Natur der Sache hervor für den deutschen Zivilprozeß versucht wird.

Dabei ist es

Gönners leichtflüssiger Begabung geschickt gelungen, eine Reihe wichtiger Fragen aufzuwerfen, diese nach prinzipiellen Gesichtspunkten zu er­ örtern und vielfach einleuchtend zu lösen, um dadurch die sonst so

zerstreuten und verlvirrten Einzelheiten des gemeinen Zivilprozesses zu sammeln und zu gruppieren

eine gerade auf diesem Gebiet



keineswegs zu unterschätzende Leistung.

Es bedurfte dazu praktischen

Verständnisses9) für das Jneinandergreifen der prozessualen Maschinerie

und sicherer theoretischer Einsicht in den juristischen Kern der Einzel­

vorschriften.

Dem entspricht das von Gönner eingeschlagene Verfahren,

nicht Schritt für Schritt jedes Stück des Prozesses vorznnehmen,

sondern einzelne springende Punkte herauszugreifen und fast mono­ graphisch zu behandeln.

Die sachliche Vollständigkeit, die dennoch,

namentlich in der zweiten Ausgabe des Handbuches,

erzielt wurde,

rechtfertigt diesen Namen wenigstens innerlich, wennschon er äußerlich

irreleiten könnte.

Bei der Natur der gemeinrechtlichen Quellen mochte

unter einer solchen Behandlungsweise die positivrechtliche Seite und Zuverlässigkeit der Ergebnisse im einzelnen leiden; aber die Übersicht­ lichkeit, Deutlichkeit und Lesbarkeit gewinnt, und so wird man denn

doch einen Fortschritt, z. B. über den unerträglich trockenen Danz Es ist, als ob das unter dem

hinaus, darin anerkennen müssen.

Schlagwort von der Natur der Sache gemildert wiederkehrende natur­ rechtliche Element sich hier so recht noch einmal in seiner zweiseitig

schillernden Natur zeigen wollte,

einerseits der exakten Einzelbeob­

achtung des Positiven schädlich, andererseits aber als anregend für die allgemeinere

und

grundsätzliche

Betrachtung.

Wenn

dies,

wie

früher bei Runde, so jetzt bei Gönner mit einem gewissen juristischen

Takt und mit Sicherheit des Griffes geschieht, so erhält dadurch die

erfreuliche Seite mindestens das Gleichgewicht.

Und wenn dann gar

noch, wie bei Gönner der Fall, in bezug auf eine Reihe wichtiger Materien wirklich klärende Gesichtspunkte teils neu aufgestellt, teils frisch aufgefaßt toerben10), so wird dieser Gewinn ausschlaggebend in

die Wagschale fallen. Überhaupt wird man es Gönner, wenigstens dem Gönner dieser

Jahre, nicht bestreiten können, daß er, wennschon fest in den alten

Zuständen und Auffassungen verwurzelt, doch mit der Frische eines

II. Prozeß. 1) Gönner.

149

leicht erregbaren Geistes auch neuen Ideen zustrebt und dadurch selbst verbrauchten Stoffen neue Seiten abzugewinnen weiß. Gilt das doch

selbst auf dem Gebiete der Reichspublizistik, auf dem wir ihn nun wieder tätig finden. Zunächst durch die Monographie „Entwicklung des Begriffes uni) des rechtlichen Verhältnisses deutscher Staatsrechts­ dienstbarkeiten", Erlangen 1800; sodann durch eine Reihe kleinerer Abhandlungen"); namentlich aber durch sein umfassendes „Deutsches

Staatsrecht", Landshut 1804 erschienen. Zu letzterem Werke hat Gönner noch etwa gleichzeitig zwei Vervollständigungen") gegeben: Eine Art von Vorrede „Über die Notwendigkeit einer Verbesserung der Ansicht vom Staate und über den Einfluß dieser Reform auf Geschichte, Politik, Statistik, Staatswirtschaft und Völkerrecht"; und eine Ausführung „Über das rechtliche Prinzip der teutschen Territorial­

verfassung". Die erstangeführte, bekannte Studie über Staatsdienstbarkeiten1S)

wurzelt noch ganz in den Bambergischen Erfahrungen und Anschauungen, obgleich Gönner inzwischen, 1799, in kurbayerische Dienste als Pro­ fessor des Staatsrechts nach Ingolstadt übergegangen war. Die Unterscheidung zwischen der Völkerrechtsdienstbarkeit und den inner­ deutschen Staatsrechtsdienstbarkeiten im damaligen engeren Sinne ist

scharf aufgestellt und durchgeführt, das Material erschöpfend durch­ gearbeitet und ähnlich wie in Gönners prozessualen Werken leitenden Gesichtspunkten klar untergeordnet, unter Vermeidung der damals so üblichen Häufung bloßer Einzelheiten und Präzedenzfälle; die Lehre von diesen Dienstbarkeiten ist damit zu einem gewissen Abschlüsse gebracht;

aber immerhin überwiegt noch die rein privatrechtliche Auffassung, noch hat hier Gönners staatsrechtliche Theorie „die Überlieferungen der patrimonialen Staatsauffassung nicht völlig abgestreift""). Dagegen ist der entscheidende Schritt nach dieser Seite hin ge­

tan durch das Gönnersche Staatsrecht und die näher dazugehörige Schriftengruppe. Es handelt sich offenbar um Anregungen, die der Verfasser empfing, als er aus den patriarchalisch engen Bambergischen Verhältnissen sich in das Staatsleben Kurbayerns versetzt sah. Dort bereitete sich mit den Säkularisationen eben damals die Umgestaltung zu einem selbständigen Einheitsstaate vor, die alsbald durch Länder-, Titel- und Souveränitätserwerb, wennschon von Napoleons Gnaden,

ihren Abschluß finden sollte.

Unter Maximilian Josefs einsichtigem

und wohlwollendem Regiment,

unter Montgelas',

was man auch

150

Vierzehntes Kapitel.

immer vom patriotischen Standpunkte aus gegen ihn einzuwenden haben mag, jedenfalls doch großzügiger und fester Leitung, regte es sich in vorsichtig aufklärerischer Weise nach allen Richtungen. Wie im September 1803 an die altbischöfliche, nun bayerisch reorgani­ sierte Universität Würzburg Schelling aus Jena berufen wurde, so wurde die alte Jesuitenuniversität Ingolstadt schon einige Jahre vor­ her einer gründlichen Reform unterzogen. Wie in Durchführung dieser Reform dort 1799 ein Kameralinstitut, gleichsam eine fünfte Fakultät für die bisher fast ganz mangelnden nationalökonomischen Fächer, errichtet worden war, so erfolgte auch Gönners Berufung nach Ingolstadt int Sinne und im Interesse einer Wiederaufnahme der seit Jckstatts Tagen unterdrückten Aufklärung. Zu deren weiterer Stärkung wurde 1800, unter besonders rühriger Mitwirkung Gönners^), die Universität nach Landshut verlegt, wo man auf einen frischeren Luftzug hoffte. Hier in Landshut übernahm Gönner, in wenig er­ freulich agitatorischer und persönlicher Weise freilich, aber doch ent­ schieden zunächst zur Sicherung der erzielten Ergebnisse, eine Art von Universitätsprinzipat, zuerst als Rektor, daraus 1803 und 1804 als Vizekanzler. Er war es ja auch, der 1804 Feuerbachs, 1808 Savignys Berufungen nach Landshut wesentlich durchsetzte, wennschon er mit seinem herrischen, eitlen und intrigensüchtigen Wesen dann auch wieder zu Feuerbachs Fortgang Anlaß gab und Savignys gründ­ liches Mißfallen erregte. Wie dem aber auch sein mag, es sind denn doch nun auch die Jüngeren in Landshut aufgetreten, nicht nur Henke, Mittermaier und Unterholzner, die wohl mehr auf Feuerbach zurück­ gehen, sondern auch Hieronymus Bayer, der besonders unter Gönners Einfluß steht. Jedenfalls ist der Aufschwung in Landshut zu Beginn des 19. Jahrhunderts ebenso ausgesprochen, wie der Niederstand vor­ her zu Ingolstadt tief gewesen war. Mit diesem Aufschwünge auch wissenschaftlich in Verbindung gesetzt zu werden, erhält Gönner das volle Recht durch seine staatsrechtlichen Auffassungen und Leistungen. Zunächst nämlich wendet Gönner hier nun auf das deutsche Staatsrecht das Prinzip an, das sich im Zivilprozeß bewährt hat, leitende Gesichtspunkte zu suchen, dadurch den Geist der Sache zu erfassen und von da aus erst wieder zu den Einzelheiten herabzu­ steigen. Es läßt sich nicht verkennen, daß allein schon die An­ wendung dieses Verfahrens einen wissenschaftlichen Fortschritt über die veraltete Reichspublizistik hinaus darstellt, der sich schon äußerlich

II. Prozeß.

1) Gönner.

151

darin zeigt, daß es Gönner dadurch gelingt, an Stelle ganzer Bände­ reihen ein Buch mäßigen Umfanges zu setzen. Weit entschiedener aber

noch liegt der Fortschritt in der Art und Weise, wie jene Gesichts­

punkte ausgesucht sind, indem da nämlich eine wahrhaft öffentlichrechtliche Auffassung einerseits, andererseits eine gewisse national­ ökonomische Einsicht, schließlich sogar ein Streben hervortritt, alle Seiten des Staats- und Gesellschaftslebens als Teile einer großen Einheit aufzufasfen.

So will Gönner von einem Territorium, dys

»modo herili« regiert werde, überhaupt nichts mehr wissen, „denn die Patrimonialrechte, wenn sie sich auch über das ganze Territorium erstrecken, sind von den Hoheitsrechten allemal wesentlich verschieden";

der Begriff der Herrschergewalt ist nur einheitlich denkbar, unmöglich lassen sich daraus einzelne Stücke abtrennen, wie man vielfach an­ nimmt, indem man „unbegreiflicherweise" auf derartige Fragen privat­ rechtliche Vorstellungen überträgt. Darum ist auch jeder Nachfolger verpflichtet, eigentliche Regentenhandlungen seines Vorgängers anzu­ erkennen; darum sind die Beamten nicht privatrechtlich angestellte Fürstendiener, sondern durch einen Akt der Staatsgewalt herange­ zogene Staatsdiener. — Die nationalökonomische Seite, wohl ge­ fördert durch das junge Kameralinstitut, äußert sich besonders darin, daß ein besonderer Abschnitt gebildet ist „von der Staatswirtschafts­ gewalt". Im Gegensatze gegen die strenge Kantische Schule, aber unsern Vorstellungen wieder näherkommend, wird dort ausgeführt, mit der Erhöhung der wirtschaftlichen Einsichten, namentlich seit Adam

Smith, und mit der dadurch dem Staate gesetzten höheren Aufgabe stehe die Beschränkung des Staatszwecks auf bloße Sicherung des Rechtszustandes unter den Menschen in scharfem Widerspruch, viel­ mehr sei Förderung auch der wirtschaftlichen Wohlfahrt seiner Bürger Aufgabe des (Staates16): wofür denn Gönner bereits zahlreicher Einzel­ heiten habhaft zu werden vermag. — Hinter alledem liegt aber namentlich noch eine neue Auffassung großen Stils: die des Staats als eines Organismus, als eines organischen Naturerzeugnisses von organischer Einheit und Zusammengehörigkeit. In der Form wie in der Sache weist das zurück auf Schelling1?), der' zu Gönner wohl

auch in persönliche Beziehungen getreten war. Ist doch Schellings ganze damalige Philosophie ausgesprochen Einheitsphilosophie, der

Begriff des Organischen einer der Zentralbegriffe seiner damals ge­ haltenen „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums";

152

Vierzehntes Kapitel.

die zehnte Vorlesung läuft geradezu aus in den Versuch einer organi­

schen Staatskonstruktion, bei deutlicher Ausprägung des Gegensatzes zu der mechanischen Staatsauffassnng der Kantischen Schule.

Begriffe und Wörter vielfach

Freilich

hat

Energie

merkenswerter

Dieser

sich Gönner bemächtigt und sie mit be­

auf

das

im Dienste

positive

Staatsrecht

übertragen.

absolutistisch-politischen Tendenz,

einer

aber doch zugleich auch der Wissenschaft.

Wie für Schelling die

Rechtsordnung eine höhere Naturordnung, das Rechtsgesetz eine Art von Naturgesetz organisch;

ist,

heißt e§18) bei Gönner:

so

„Der Verein ist

das Universum ist nur ein Organismus und alle Teile

können im Universum nur organisch existieren.

Sind, wie nicht ge­

leugnet werden kann, Staaten ein Produkt der Natur, nur durch

und

nur

können

als

im Organismus organisch

da,

gedacht

so

sind sie

folglich Teile desselben, und

werden."

Und weiter:

„Daß

Staaten, als organischer, durch die Natur selbst produzierter Verein

der Kräfte, auch unter physischen Naturgesetzen stehen, zeigt sich am deutlichsten durch das Dasein mehrerer Völker und durch die Not­

wendigkeit ihres Daseins.

Jede Kraft kann nur in einer bestimmten

Entfernung und in bestimmten Richtungen wirken; jeder Staat muß also auf einen bestimmten Teil des Erdenrunds beschränkt sein". — Meint man in dergleichen Sätzen nicht schon einen Naturphilosophen

Schellingscher Schule,

etwa

einen Oken,

reden

hören?

zu

Das

trifft zu selbst einschließlich der Neigung, aus solchen Philosophemen

dann

heraus

unbefangen

die

positiven Einzelheiten

und im Notfälle zu vergewaltigen,

zu

eines Verfahrens,

erschließen, das sich bei

Gönner bequem mit seinen älteren, aufklärerisch naturrechtlichen Ideen verbindet.

So faßt er unbedenklich das allgemeine Staatsrecht als

Quelle des deutschen Staatsrechts auf, und zwar „um so mehr, je weniger

die Reichsgrundgesetze ein vollendetes Ganzes liefern und viele Lücken lassen,

welche nur aus dem allgemeinen Staatsrecht ergänzt werden

können". Denn — fast könnte man es vergessen — dem alten deutschen

Reichsrecht als einem noch gültigen gilt noch dieses Werk Gönners! Es fängt selbst an mit der altbeliebten Lobpreisung der alten deutschen Reichsverfassung als einer besonders glücklichen und freiheitlichen.

Ja,

es verwendet selbst, getreu seinem Grundsätze der Einheitlichkeit, be­

sondere Mühe darauf, das Reich als ein Ganzes aufzufassen und ihm

die Territorien ein- und unterzuordnen;

es will in diesen lediglich

II. Prozeß.

1) Gönner.

153

Reichsanstalten zur Regierung der Reichsteile, in ihrem Staatsrecht nur einen Teil des Reichsrechts sehen19). Darum verwirft es die be­

liebte Einteilung des deutschen Staatsrechts in Reichs- und Territorial­ staatsrecht, da es unmöglich sei, die Staatsgewalt, die das Ganze

beherrscht, von der Regierungsgewalt der Teile abzutrennen. mehr wird das Kunststück ausgeführt,

Viel­

beides stets miteinander zu

verbinden. Das geht natürlich nicht ab ohne eine Summe von Schief­ heiten; immerhin mochte Gönner meinen, damit für die Kräftigung des Reichsrechts, ja des Reichsgedankens zu wirken. Um so mehr sind wir bereit, es ihm zu glauben, wenn er uns berichtet, daß der Zusammenbruch des Reichs ihn wenigstens zu-

nächst wissenschaftlich zerschmetternd traf. Doch ist er schon 1808 wieder auf dem Platzt mit dem Werke, durch das er in die neuen, königlich bayerisch-souveränen Verhältnisse hineintritt; „Der Staats­ dienst, aus dem Gesichtspunkte des Rechts und der Nationalökonomie betrachtet, nebst der Hauptlandespragmatik (üom 1. Januar 1805) über

die Dienstverhältnisse der Staatsdiener im Königreiche Bayern mit erläuternden Anmerkungen". Es ist Montgelas gewidmet als Dank für den Erlaß jener Pragmatik, der die Grundsätze dieses Werkes entnommen seien, der Gönner „Klarheit und Vollendung der hier

wissenschaftlich entwickelten Ansicht verdankt." Diese Lobsprüche mußten freilich Gönner um so leichter fallen, da die bayerische Pragmatik fast ganz auf den gleichen Prinzipien über den Staatsdienst beruht, wie sie Gönner selbst schon in dem „deutschen Staatsrecht" (§ 424) vor­ getragen hatte. Diese Prinzipien werden jetzt entwickelt nach national­ ökonomischen und organischen Gesichtspunkten. Der Staat ist ein

Organismus;

ihm die nötigen Beamtenorgane zu verschaffen,

ist

Negierungsaufgabe des Herrschers, aus dessen Auftrag diese ihre Be­ fugnisse herleiten. Auf Vertrag nach der landläufigen naturrechtlichen

Ansicht beruhen Staat, Staatsrecht und Beamtenstellung so wenig,

wie es eines Vertrages zwischen Füßen und Händen bedarf, damit jene gehen, diese greifen; oder eines Vertrages zwischen Kopf und Magen, wonach jener denken, dieser verdauen soll.

Vielmehr erklärt

sich alles zwanglos als natürliche Folge des lebendigen Verkehrs der in einem Organismus vereinigten organischen Kräfte. Damit über­ windet Gönner ganz die Auffassung des privatrechtlichen Dienstver­ hältnisses, wie sie bis dahin noch ausschließlich bestand, und setzt an deren Stelle den einseitigen staatshoheitsrechtlichen Anstellungsakt. Das

Vierzehntes Kapitel.

154

führt freilich einerseits zu viel geringerer Sicherung des Beamten als

die Sätze,

zu denen Gönners

weit

mannhafterer Freund Seuffert

schon 1793 gelangt War21); Gönner spaltet Amtstätigkeit nnd privat­ rechtlichen Besoldungsanspruch und läßt dem Beamten in Ausübung seines Amtes fast nur die gloria obsequii. Darum kann man denn

aber doch nicht sich der Einsicht verschließen, daß diese wissenschaftliche

Grundlegung einen Fortschritt bedeutet; von dieser Grundlage aus

wieder zu brauchbareren Folgen zu gelangen, Vorbehalten bleiben.

mußte der Folgezeit

Streng positiv-juristisch ließ sich damals Wohl

kaum anders argumentieren,

gewiß nicht

für

die Verhältnisse des

absolut regierten Einheitsstaates Bayern, die Gönner jetzt ebenso klar auffaßt, wie er vor 1806 die Reichssouveränität festzuhalten bemüht gewesen war.

Damit meldet sich nun Gönner bei Montgelas mit dem dienst­ willigen Anspruch, mitzuwirken bei der organisatorisch gesetzgeberischen

Ausgestaltung des jungen Königreichs, an die der Minister damals so energisch herantrat.

Gönner, der gleichzeitig an Stelle von Danz (ge­

storben 1803) in die Redaktion des „Kritischen Archivs der neueren

juridischen Literatur und Rechtspflege" eingetreten war, und dort in einer Reihe

breiter und

selbstgefälliger Artikel

über die allgemeinen

Strömungen der Zeit oder über einzelne Werke des kritischen Zensor­

amtes

waltete,

dessen Selbstgefühl und

skrupelloser Tatendrang in

diesen verworrenen Zeitläuften immer unverschleierter hervortritt, war offenbar keineswegs gesonnen,

den Vorrang zu belassen,

auf irgendwelchem Gebiete Feuerbach

selbst nicht auf strasiechtlichem22),

vo er

gegen ihn auftrat mit der Abhandlung „Revision des Begriffes und der Einteilung des dolus", Landshut 1810.

Auf zivilistischemFelde

aber war zu ähnlichen Zwecken offenbar bestimmt das von Gönner begründete

und fast

ausschließlich zusammengeschriebene „Archiv für

die Gesetzgebung und Reform des juristischen Studiums", 4 Bände, Landshut 1808—1814.

Dem Eifer, mit dem dieses Archiv sich der

Erörterung und Empfehlung des napoleonischen Rechts widmet un­ eingeschränkt, liebedienerisch, fast servil und aller patriotischen Rück­

haltung bar,

entspricht der Mangel wissenschaftlichen Wertes; von

einem solchen

kann wohl ebensowenig für die Abhandlung übe den

dolus die Rede sein.

So mag man es als gerechte Vergeltung an­

sehen, wenn der Erfolg, den Gönner mit alledem bei seiner Regörung

gegen den in halbe Ungnade gefallenen Feuerbach erzielte, ihm nichts

II. Prozeß. 1) Gönner. verschafft hat

155

als eine dauernde Mißberühmtheit,

die seine voran­

gehenden bedeutenden Leistungen zum guten Teil in der allgemeinen

Erinnerung ausgelöscht hat.

Setzte er doch,

nachdem er in diesem

Zusammenhänge aus der akademischen Stellung weg 1811 als Mit­ glied

der Geheimratkommission

zur Ausarbeitung

gesetzbuches nach München berufen

worden war,

des neuen Straf­ bekanntlich durch,

nicht nur, daß einige Änderungen des Feuerbachschen Entwurfes in seinem Sinne vorgenommen wurden, sondern auch, daß er mit der Abfassung der offiziösen Motive zu dem Feuerbachschen Strafgesetz­

buche beauftragt wurde. Mit Recht konnte Feuerbach sich durch diesen

Auftrag, der den Bock zum Gärtner, den Gegner des Werkes zu dessen fast authentischem Interpreten machte, verletzt fühlen und seiner Ent­ rüstung lauten, weithin widerhallenden Ausdruck

geben.

Ja,

kaum

begreift man es, daß ein Gelehrter vom Range Gönners einen solchen Auftrag annehmen mochte.

Immerhin wird man anerkennen müssen,

daß sein Werk dann nicht übel gelungen ist, daß er dabei mit Geschick

Gesetz und Motive in Widerspruch miteinander zu bringen vermieden,

sogar dem Buchstaben und Geiste des neuen Gesetzes in etwa gerecht zu werden verstanden hat.

Aus dieser Geschicklichkeit, aus Gönners

allgemeiner Brauchbarkeit als vielerfahrener23), administrativ gefügiger

Arbeiter auf dem weitschichtigen und mannigfachen Gebiete der Gesetz­ gebung mag nian es denn auch erklären, daß selbst nach dem Sturze seines

Gönners Montgelas die bayerische Regierung auf seine Dienste keines­ wegs Verzicht leistete24); sein wissenschaftlicher Name aber ging aus

diesen Wirren stark geschmälert, sein persönliches Ansehen in weiteren Kreisen Deutschlands nur getrübt daraus hervor.

So schon etwas auf die Seite gedrückt, drängte sich Gönner aus dieser ihm unerträglichen Lage abermals in den Vordergrund durch seine Streitschrift gegen Savigny: „Über Gesetzgebung und Rechts­

wissenschaft in unserer Zeit", Erlangen 181525). — Gönner hatte schon einmal versucht, der historischen Methode zu einer Zeit, da

Hugo sie eben zu entwickeln anfing, in einem Programm von 1805

entgegenzutreten23).

Er hatte darin schon sich gegen die Speichen des

ins Rollen gebrachten Wagens gestemmt mit der Forderung, daß das

Privatrecht nicht nach der Verschiedenheit seiner Quellen aufgelöst

werden dürfe, sondern, wie es jetzt liege, als geschlossene Einheit des römisch-deutschen Rechts

bringen sei.

unter wissenschaftlich oberste Prinzipien zu

Indessen war diese kleine,

an abgelegenem Orte der-

156

Vierzehntes Kapitel.

öffentliche Schrift damals weiter nicht viel beachtet worden.

Nun­

mehr tritt Gönner ganz anders auf, in schwerer Rüstung und in ausgesprochener Gegnerschaft gegen Hugo und Savigny, in einem fast 300 Seiten starken Buche, das Savignys „Beruf" Schritt für Schritt verfolgen und widerlegen soll. Er wappnet sich mit Autoritäten, mit Vorliebe ruft er Baco und Leibniz an. Er mochte sich als be­

rufenes Mundstück aller deutschen, mit gesetzgeberischer Tätigkeit be­ faßter Regierungen und Beamten vorkommen. Sein maßloser Ehrgeiz hegte wohl die Zuversicht, durch diese Schrift eine zum Siege über Savigny berufene antihistorische, „echt wissenschaftliche" Richtung der deutschen Rechtswissenschaft hervorzurufen und an deren Spitze zu

treten. So stürzte er in sein Verderben. Gewiß — wer wird es heute leugnen? — es lies; sich gar Vieles und Ernsthaftes gegen Savignys Programm vorbringen. Und gewiß hat Gönner davon vieles in der Sache richtig, in der Fassung treffend vorgebracht. Nicht ohne Grund rügt er, daß Savignys sogenannte

historische Begründung doch wieder nur philosophisch sei; daß Savigny den Segen eines klaren Gesetzesrechts und seiner Einheitlichkeit ver­ kenne^); daß ein eben erträgliches Gesetzbuch besser sei als gar keins

oder als ein unerträglich veraltetes, wie das Corpus iuris civilis; daß Savigny in übereilter und ungenügend begründeter Weise über die drei großen Gesetzgebungswerke der Zeit aburteile; daß die histo-

rffche Methode den Zusammenhang der Rechtswissenschaft mit dem Leben bedrohe, zugunsten einer einseitigen Gelehrsamkeit; daß es ein merkwürdiges Lob sei, das Savigny der juristischen Fakultät der Uni­ versität Berlin zolle, daß nämlich an ihr Vorlesungen über preußisches Recht nicht gehalten würden.

Das sind schwache Punkte Savignys, die Gönner mit dem Auge des Neides treffend wahrgenommen hat; auch weiß er es weidlich auszunutzen, wenn Savigny die römischen Juristen gleichsam fungible Personen und Repräsentanten der Gattung

nennt — etwa wie ein Regiment Kalmücken, darin man keinen Mann vom anderen unterscheiden könne. Gewiß wird man ferner Gönner selbst das nicht übelnehmen dürfen, daß durch seine Polemik ein persönlich gereizter Ton gegen Savigny durchdringt. Savignys ganze Haltung, Äußerungen von

ihm wie die, daß fast das ganze 18. Jahrhundert sehr arm an großen Juristen gewesen sei, sein Verlangen, daß man sich zunächst aus­

schließlich mit historischer Rechtsbehandlung befasse, sie legten es den

157

1) Gönner.

n. Prozeß.

älteren Männern jener Zeit wohl nahe, anzunehmen, es sollten damit alle Juristen, die nicht unter die Fahnen der neuen Schule zu treten

vermochten, auf die Proskriptionsliste gesetzt werden;

Savignh wolle

ihnen damit eine Stelle anweisen unter jenen, »qui ex vinculis Ein gewisses Maß ehrlicher Entrüstung wird man

sermocinantur«.

da als begreiflich anerkennen müssen, um so mehr, je schwerer Gönner

sich getroffen fühlen mochte, während stärkere Geister, wie Thibaut und Feuerbach, ihre Empfindung besser im Zaume hielten. Aber freilich, nicht mehr zu rechtfertigen ist Gönner, wenn er sich nun zu Maßlosigkeiten, zu bedenklichen Kunstgriffen und gar zu

Denunziationen fortreißen läßt.

Maßlosigkeiten, wie wenn er sagt,

den historischen Sinn Hütten die Juristen des vorigen Jahrhunderts mit

den Juristen

des

neuen Jahrhunderts

gemein.

Bedenklichen

Kunstgriffen, wie wenn er seine naturrechtlich-doktrinäre Methode als die einzig wissenschaftliche bezeichnet, um dann von Savignh zu sagen,

dessen Methode leiste nichts für die Rechtswissenschaft, streng historische Methode und Rechtswissenschaft widersprächen einander im Begriffe, leider habe nur Herr von Savignh von Rechtswissenschaft gar keinen Begriff.

Denunziationen,

hauptet wird,

wie wenn schon ziemlich zu Anfang be­

Savignys Auffassung

von Recht

und

Gesetz

laufe

darauf hinaus, als ob die Staaten nicht von Regenten, sondern vom

Volke und von den Juristen beherrscht wiirden, als ob die Rechts­ lehrer

Sache bloß

auch Rechtsgebieter, ja sei,

wie

man

sehe,

Die

die einzigen Gesetzgeber seien.

ernsthafter

technisch-juristischem Gebiete;

und

folgereicher, als

ziehung Hugo mit Savignh durchaus übereinstimme.

selben Sinne heißt es später wieder: recht gebildet durch Juristen

auf

wie denn gerade in dieser Be­

Und in dem­

„Das lebendige Gewohnheits­

ist"

(für Savignh) „der Götze,

den er anbetet, das goldene Kalb, worüber die wahren Gesetztafeln zerschlagen werden

Wir sind dem Herrn von S.

vielen

Dank für seine Aufrichtigkeit schuldig; ohne sie hätte die Welt lange

noch im süßen Wahn an der historischen Schule geachtet das Streben,

uns mit dem wahren Inhalt des bestehenden Gesetzes bekannt zu

machen"; nun sei ihre Richtung unverkennbar, dieses zu vernichten und sich selbst an seine Stelle zu

setzen. — Das heißt allerdings

mit vergifteten Waffen kämpfen; man muß an die politische Stickluft

jener Tage sich erinnern, um die ganze Gehässigkeit dieses Angriffes zu ermessen.

Vierzehntes Kapitel.

158

Und schließlich und hauptsächlich: mag man nun diese Einzelheit bei Gönner noch entschuldigen können, jene verurteilen müssen; mag

man ihm sachlich oder persönlich mancherlei zugute halten, mag man

annehmen, daß seine Verständnislosigkeit für den Kern der Savignyschen Lehre auf bösem Willen oder auf Unfähigkeit

beruht:

das

Wesentliche ist doch eben diese Verständnislosigkeit. Da tritt klar zu­

tage der Konflikt zweier Geistesarten, ja zweier Jahrhunderte. Offen­ bar mit Recht fühlt sich Gönner persönlich durch Savignys Äußerung über die Wissenschaft des 18. Jahrhunderts getroffen;

hüllt

sich

Rationalist

dieser Gelegenheit ganz

bei

dieser

ebbenden

er selbst ent­

der

als der Naturrechtler,

die

Strömung;

mühsam

darüber

ge­

hefteten Flicken Schellingscher und Patriotischer Schlagworte — letztere in diesem Munde peinlich unangebracht —

daraus hervor der

fallen

ab und es tritt

kleinpartikularistische, in der Stickluft des Epi­

skopalstaats großgewordene, josephinisch aufklärerische Anhänger des Da ihm feststeht, daß allem Recht ein gemeinsames

Vernunftrechts.

Naturrecht zugrunde liegt,

so

braucht

sich

Gönner

auch weniger

daraus zu machen, wenn ein gemeinsames deutsches Zivilgesetzbuch,

das

Thibaut

vorgeschwebt

hatte,

nicht

zustande

kommt.

Diese

große Seite des Thibautschen Vorschlages gibt er ohne weiteres Preis;

vielmehr so^en die einzelnen Territorien jedes sich selbst ihr Gesetz­ buch schaffen,

wenigstens die größeren unter ihnen.

„Die kleineren

Staaten können sich aneignen, was in den größeren Gutes geschieht." Etwa sechs partikularrechtliche Gesetzbücher, die in der Grundlage ein­

förmig, in einzelnen Bestimmungen voneinander abweichend sein würden,

das ist das Ideal, mit dessen Preis Gönner seine Ausführungen ab­ schließt. Kein Wunder, daß, wer in einem solchen Gedankenkreis lebte, Savignys neue

Ideen

nicht

in

sich aufzunehmen vermochte.

Es

handelt sich um den Verzweiflungskampf des Alten gegen das Neue.

Aber es ist eben darum auch der Zusammenstoß eines tönernen Gefäßes — hier überdies noch eines aus der napoleonischen Zeit, aus dem Feuerbachschen Handel her schon gesprungenen — mit einem eisernen Gefäß.

Die Aufnahme, die das Buch allgemeinhin fand,

war zwar verschieden in der Tonart,

doch

einhellig

ablehnendes.

Selbst Thibaut bleibt zurückhaltend^ konstatiert in den Grundlagen eine gewisse Übereinstimmung und befehdet dann den Gedanken

mehrerer Gesetzbücher, für jeden deutschen Staat je eines verschiedenen. Ein Anonymus in der Hallischen Literaturzeitung behandelt Gönner

H. Prozeß.

1) Gönner.

159

anständig, deckt aber gründlich alle seine Mißverständnisse, die Hohl­ heit seines naturrechtlichen Dogmatismus auf und tritt überwiegend

Hugo verspottet Gönner in seiner ironischsten

auf die Seite Savignys.

Weise, hechelt seine Leistung nach allen Seiten durch und verweist auf Savignys eben erschienenen ersten Band der Geschichte der Rechts­

wissenschaft im Mittelalter.

Vollends aber Savigny selbst replizierte

in Form einer Rezension:

von oben herab,

persönlich erbarmungslos.

Eine Hinrichtung.

herb brutal, ironisch, Nach Savigny würde

es sich bei Gönner nicht bloß um Unfähigkeit, sich in Savignys Ge­ dankenwelt hineinzufinden, handeln, sondern auch um elementare Un­ wissenheit oder selbst um absichtliche Fälschung.

weit gehens. seiner

Das wird wohl zu

Das Richtigere aber trifft wohl Savigny zum Schluffe

Rezension,

wo

er

auf

Gönners

Stellungnahme

gegen

die

Grundregel der historischen Schule, gegen die Regel historischer Betrach­ tung aller gegenwärtigen Tatsachen zurückkommt. Diese Regel hatte der

alte Rationalist und Aufklärer eine „Mönchsregel" genannt,

so fährt Savigny nun fort,

„was",

„in seinem Mnnde unendlich viel sagen

will und ganz unübersetzbar ist.

Er selbst lebt nämlich in dem un­

schuldigen Glauben, in welchem ihm seine Ansicht als die absolute Weltansicht erscheint.

Sollte er jemals zu der lebendigen Einsicht

kommen, daß er selbst mit allem, was er denkt und schreibt und nicht

weiß, in der Geschichte lebt, und ein geschichtliches Faktum ist, ab­ hängig von den oben bemerkten Einflüssen, so würde sein Erstaunen dem berühmten Erstaunen des Monsieur Jourdan ähnlich sein, als dieser im gesetzten Alter inne wurde, daß er zeitlebens Prosa geredet

habe."

Man ziehe hiervon die satirische Zuspitzung ab, und es bleibt

ein Urteil übrig, würdiger eines wahren Historikers,

als sonst es

Savigny im Nahkampf seinen Gegnern zuteil werden zu lassen ge­

neigt ist. Gönner hat nach dieser Niederlage nur noch einmal, im Jahre 1826, wieder versucht, literarisch hervorzutreten auf einem nicht durch

die Verbindung mit seiner ihn

gesicherten Bodens.

bayerischen

gesetzgeberischen Tätigkeit für

Sein Werk

„von Staatsschulden,

deren

Tilgungsanstalten und dem Handel mit Staatspapieren", hat er aber

nur bis zur ersten Abteilung fertigstellen können. am 18. April 1827 gestorben.

Er ist darüber

Einiges Mitleid wird man dem tra­

gischen Geschick des reich beanlagten, irregegangenen Mannes nicht versagen mögen,

der zweimal seine besten Kräfte

an eine verlorene

Vierzehntes Kapitel.

160

Sache zu setzen sich berufen gefühlt hat: das eine Mal an das alte

deutsche Reichsstaatsrecht, das andere Mal an die naturrechtliche Auf­

fassung von Recht und Staat.

Darüber geriet selbst sein organisches

Staatsverständnis in Vergessenheit.

So erklärt es sich, daß lediglich

seine frühesten Arbeiten, die zivilprozessualen, dauernde Anerkennung gefunden haben. Aber auch hier sollte Gönner rasch überholt werden.

Kaum waren seine „Erörterungen" 1799 erschienen, so folgte auf sie, Göttingen 1800, Martins „Lehrbuch des teutschen gemeinen bürger­ lichen Prozesses". 2. Christoph Reinhard Dietrich Martin^) ist gegenüber

Gönner der Mann ruhiger Lebensführung, abgesehen von einem ver­

einzelten politischen Zwischenfalle, und einheitlich stetiger wissenschaft­ licher Stellungnahme.

Von Anfang an tritt er uns als wissenschaft­

licher Positivist entgegen, fest gegründet in dem Boden des gemeinen Prozesses, auf dem er während eines außergewöhnlich langen Lebens

(1772—1857) unerschütterlich beharrt. Das Verdienst solcher Männer liegt in der Arbeitstrcue, in der lückenlosen und quellenmäßigen Er­

forschung, gebietes.

Beherrschung

und Darstellung

eines

bestimmten Rechts­

Es ist deshalb schwer im Rahmen einer nicht allzu fach­

wissenschaftlichen Darstellung zu würdigen, gegenüber den Leistungen anderer, die neue Töne anschlagen, neue Gedankcnreihen anregen, den

Kampf gegen Rückständigkeiten

aufnehmen oder durchführen.

Und

doch sind gerade da, wo die Wissenschaft durch Neuerer stark erregt

wird, solche konservative Elemente unschätzbar. Sie mögen berechtigte

Fortschritte zeitweilig hemmen,

sie sichern aber weit mehr noch vor

unreifen Phantasien und vor unwissenschaftlicher Oberflächlichkeit.

Sie

legen den festen Boden, damit der Durchschnitt der Wissenschaft nicht ins Ungewisse hinabsinke und damit höhere Geister höheren Aufflug

wagen dürfen.

Gerade daß solche treue, quellenmäßige Berufsarbeit

der zweiten Hälfte

18. Jahrhunderts

des

durch

die Bequemlichkeit

einer überlieferten Praxis und eines aprioristischen Naturrechts sowie

unter der Verhüllung eines eleganten Betriebs selten geworden war,

mag man als den letzten Grund der Erschlaffung, die wir für jene Zeit festzustellen hatten, Grundlage mit

seinen

anführen.

freieren

Daß Gönner

ohne solch: feste

prozessualen Betrachtungen

vorgeht,

hat er mit jener Zeit gemeinsam; ebendarum aber setzt Martins Be­ handlungsweise jenem Verfahren gegenüber ein mit dem Übergewicht

des nunmehr zeitgemäß Erforderlichen.

II. Prozeß.

2) Martin.

161

Martin war, tote die meisten der bisher uns bekannt gewordenen Männer, die an dem Aufschwung unserer Wissenschaft um 1800 teil­ haben, hervorgegangen aus der Göttinger Schule der Pütter, Claproth, Runde. Überdies gewann er prozessuale Erfahrung durch längere praktische Tätigkeit.

So ist denn auch sein erstes erfolg­

reiches Buch eine überwiegend praktische „Anleitung zur Abfassung von Aufsätzen über nichtstreitige Rechtsgegenstände" (Göttingen 1796)32). Daran schließt sich das bereits erwähnte Lehrbuch von 1800.

Dieses Werk legt seine exakt positivistische Richtung von vorn­ herein durch eine doppelte Maßregel fest. Einmal indem es seinen Gegenstand, den Zivilprozeß, im Gegensatze zu dem damals noch herrschenden Verfahren scharf

sowohl von dem materiellen Privat­

recht wie von dem Strafprozeß sondert; so wird hier eine neue Fachwissenschaftlichkeit begründet. Das andere Mal, indem es eine strenge Quellentheorie aufstellt, die den einheimischen Quellen, als Reichsgesetzen und erweislichen allgemeinen Gewohnheiten, den Vor­

zug wahrt, das Naturrecht aber als Quelle33) „dieses bloß positiven Instituts" ganz, selbst subsidiarisch, ablehnt. Das führt zu gründ­ licher Gegnerschaft gegen Gönner, mit dem Martin sich diesbezüglich sowohl prinzipiell wie in Einzelheiten, durch den Nachweis positiver Unstimmigkeiten, wiederholt auseinandersetzt34). Auch die Überein­ stimmung lediglich mehrerer Provinzialprozeßordnungen wird als Quelle des gemeinen Rechts, in unmittelbarer Anlehnung an Runde33), abgewiesen. Die auswärtigen Quellen, nämlich römisches und kano­ nisches Recht, werden als verbindlich erklärt, „nur unter der Vor­ aussetzung, daß ihre Anordnungen mit der deutschen Gerichts­

verfassung vereinbar seien".

Das ist die Grundlage, auf der dann

Martin sein Prozeßgebäude qufführt. Die Sorgfalt, mit der er sich auf dieser Basis zu halten und zu bewegen weiß, die Besonnenheit

und Klarheit, womit er demgemäß in aller Kürze die Einzelheiten aus den Quellen gewinnt, bilden seine besonderen Vorzüge und verschaffen ihm gegenüber Gönners naturrechtlich ungenauem Ver­

fahren den Vorzug, namentlich auch zuverlässig praktischer Brauch­ barkeit. Das Buch ist, mindestens für das erste Jahrhundertdrittel, in der Literatur und an den Universitäten herrschend geworden33). Es

hat im ganzen 13 Auflagen, die letzte 1862, mit mehr als 12000 Exemplaren erlebt und durch die Arbeit dafür den Verfasser Landöberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

11

Vierzehntes Kapitel.

162

Es sind zahlreiche Abhandlungen oder Ergänzungen dazu von teilweise recht tüchtigen Schriftstellern

wesentlich in Anspruch genommen.

erschienen3?). Es ist aber bei alledem stets unverrückt auf dem ursprünglichen Boden stehen geblieben. Namentlich hat Martin nie neueren prozessualen Anschauungen, die nach Öffentlichkeit, Mündlich­ keit, Unmittelbarkeit drängten, Gehör gegeben.

Seine Überzeugung

ist stets und unverbrüchlich dahin gegangen, daß diese Vorzüge des französischen Prozesses, in denen er „im ganzen genommen nur Sophismen, Gaukelspiele und Formelkrämerei" erblickte, wobei er namentlich die „öffentliche Verhandlung jeder Privatstreitigkeit" als

bloße „Komödie" ansah, zurücktreten müßten gegenüber dem „leiden­

schaftslosen, genau zu kontrollierenden aktenmäßigen Verfahren" des gemeinen Prozesses, den er jenen französischen Einrichtungen als den „deutschen" Prozeß entgegenstellt38). Man wird diese Auffassung als Martins ernste und gediegene wissenschaftliche Überzeugung anerkennen

müssen, namentlich nicht etwa in Zusammenhang mit politisch reaktio­ nären Momenten bringen dürfen. Ist doch Martin vielmehr, soweit politisch überhaupt, als Anhänger und Verfechter konstitutionell-ver­ fassungsmäßiger Rechtsgarantien aufgetreten sowohl bei den badischen Verfassungshändeln 1815 wie wesentlich später, 1837, in seiner Vor­ rede zu den drei Nechtsgutachten über die Entlassung der Göttinger Sieben. Hinter den hervorragenden Juristen, neben denen Martin 1805—1815 in Heidelberg tätig war, einem Thibaut, Heffe und

Zachariae, mochte er an Tiefe und Eigenart des Geistes zurück­ stehen ; dagegen brachte er die praktische Geschäftserfahrung und Sicher­ heit aus Göttingen mit, die dann auch gleich dem Spruchkollegium der in ihrer neuen Gestalt jungen Fakultät wesentlich zugute kam. Davon zeugen im Druck gesammelte „Rechtsgutachten und Ent­ scheidungen des Spruchkollegiums der Universität Heidelberg", von Martin dort 1808 herausgegeben. Davon zeugt auch das Ansehen, dessen er dort genoß, so

daß Heise den Ruf an die Spitze des

lübischen Oberappellationsgerichtes nicht annehmen, mochte, bevor er sich nicht die Überzeugung verschafft hatte, daß Martin ihn nicht

wünsche.

Durch

eine

Reihe

weiterer

Abhandlungen

auf zivil­

prozessualem Gebiete33), namentlich durch die über die Natur der Streitgenossenschaft und deren Einfluß auf den Prozeß, hat Martin seinen Ruf auch als Theoretiker weiter befestigt.

II. Prozeß.

2) Martin.

163

Dem Zivilprozeß stellte Martin als besondere, aber parallele Wissenschaft den Strafprozeß, unter Abtrennung vom materiellen Strafrecht, gegenüber. Für die Anerkennung des Strafprozesses als einer Fachwissenschaft hat er dadurch zusammen mit Grolman und mit Stübel den Ausschlag gegeben40), während bekanntlich selbst Feuer­

bach noch den Prozeß als zweiten Teil des Kriminalrechts darstellt

und behandelt. Martins „Lehrbuch des teutschen gemeinen Kriminal­ prozesses" erschien zuerst Heidelberg 1812 und hat dann noch vier Auflagen erlebt"). Es ist besonders bemüht, den Strafprozeß fort­ laufend mit dem Zivilprozeß zu vergleichen, sowohl Ähnlichkeiten wie Verschiedenheiten hervorzuheben, irreführende Übertragungen aber, z. B. für die Rechtskraft des Urteils, abzuwehren. Diese Ver­ gleichung gelingt dem Verfasser um so besser, als er auch hier wieder die volle Überzeugung fast ungeändert bis ans Lebensende

hegt von dem unbedingten Vorzüge des gemeinrechtlichen, schrift­ lichen Jnquisitionsverfahrens vor allen modernen und dem Auslande entnommenen Prozeßgestaltungen. So bringt Martin beide Zweige des gemeinen Prozesses mit gleicher Liebe und Treue, unvermischt

mit Territorialrechten, zur Darstellung"). Kaum daß er in späteren Auflagen sich entschließt, neben dem gemeinrechtlichen Verfahren auch

nur das auf gleicher Grundlage beruhende des bayerischen Gesetz­ gebungswerkes zu berücksichtigen, so hoch er auch dessen Urheber Feuerbach einschätzt. Daher hat Martins Lehrbuch des Strafpro­

zesses hier noch die besondere wissenschaftliche Bedeutung, daß es gewissermaßen die abschließende Darstellung des gemeinen Inquisitions­ prozesses bietet, noch ungetrübt durch jedes Hinüberschielen nach Reformidecn, aber unter sauberster und peinlichster Hervorhebung der Kautelen, die auch dieses Verfahren, namentlich seit Beginn der Aufklärungsperiode, zugunsten der Gerechtigkeit und zur Sicherung

des Angeklagten zu entwickeln vermocht hat. Diese Bedeutung erwächst Martin gewissermaßen von selbst aus seinem methodologischen Ver­ dienst strenger quellenmäßiger Auffassung. Dasselbe Verfahren übxrträgt er auf das materielle Strafrecht durch sein „Lehrbuch des teutschen gemeinen Kriminalrechts mit be­ sonderer Rücksicht auf das im Jahre 1813 publizierte Strafgesetz­ buch für das Königreich Bayern", erschienen in Abschnitten, weil

durch Krankheit unterbrochen, Heidelberg 1821—1825.

Dieses Ver­

fahren wird hier noch besonders begründet durch die von Martin 11*

Vierzehntes Kapitel.

164 gegen Feuerbach

und Grolman

aufgestellte Strafrechtstheorie

der

„analogen Notwehr", die alles auf den Schutz der bestehenden Ge­ setze abstellt.

Doch kommt es wohl weniger auf diese oberste theo­

retische Begründung an, führt doch Feuerbachs Prinzip zu ähnlicher

positivistischer Folgerung, ohne daß Feuerbach dadurch jemals wirk­ lich innerlich sich gebunden gefühlt hätte.

Vielmehr ist das Ent­

scheidende, daß Martin die Gewohnheit, sich tatsächlich und im ein­ zelnen streng an die Quellen zu halten, von den Prozeßgebieten hier­ her ungemindert

herübernahm.

So

mag

er in dieser Beziehung

einen gewissen Vorzug vor Feuerbach und Grolman aufroetfen43);

während

er aber auf dem Felde des Zivilprozesses eines ähnlichen

Gegensatzes zu Gönner so scharf sich bewußt ist, hat er ihn hier

eher unterdrückt.

Vielmehr knüpft er fortwährend an die Förderung

an, die der Wissenschaft des Strafrechts in entscheidender Weise durch Feuerbach und Stübel widerfahren sei, so daß er sogar diesen beiden

deshalb dieses sein Werk gewidmet hat.

Trotzdem freilich muß sich

die im Titel hervorgehobene Rücksicht auf das bayerische Gesetzbuch von 1813 in die Noten verweisen lassen; im Text bleibt Martin

seinem Grundsatz getreu, Rechtsvermischung zu meiden, ausschließlich das gemeine Recht vorzutragen.

Dagegen aber auch wieder bleibt

er auf die Dauer ebenso treu seiner einmal gefaßten Verehrung für Feuerbach; ihr gibt er

auch in der Vorrede zur zweiten Auflage,

182944), Ausdruck unter Ablehnung aller Späteren, die er dabei recht

abfällig behandelt.

Zwar die Bezeichnung als Vielschreiber wird sich

denn doch wohl nur auf Jarcke beziehen; aber wenig fteundlich ist

doch

auch

der Ton

gegenüber Wächters inzwischen (1825/26) er­

schienenem römisch-deutschen Strafrecht.

Und vollends der historischen

Methode als solcher steht Martin bis zu Ende ganz abgeneigt und

verständnislos gegenüber.

Das zeigt sich nicht nur in einer Einzel­

heit seiner Strafrechtsbegründung 45);

in Einzelheiten fehlt Martin

der Sinn für historische Beobachtung so wenig,

daß er zuerst auf

die Bedeutung der Tiroler Malefizordnung für die Entstehung der

Carolina aufmerksam gemacht hat4°);

aber der Kern der/geschicht­

lichen Methode ist es, der von Martin, z. B. noch in der Vor­ rede

zur

dritten Auflage

des

Strafprozesses,

worfen wird, nämlich jedes Verfahren,

grundsätzlich

ver­

das die historische Begrün­

dung des jetzt bestehenden Rechts mit dessen dogmatischer Erörterung verwebt.

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

1) Klüber, Leben

165

Man wird nach alledem Martins Verdienste um die Wissenschäft des Zivilprozesses in erster Linie, sodann auch um die Wissen­ schaften des Strafprozesses und des materiellen Strafrechts wesentlich

in seinem selbstbewußten Positivismus zu finden haben. Dem entspricht, wie er, namentlich als Zivilprozessualist, Schule gemacht hat; unter seinen Schülern werden wir Positivisten wie u. a. einem Linde, H. v. Baier und Sintenis begegnen47). III. Der bekannteste Publizist dieser und der nächstfolgenden Zeit, der unmittelbare Fortsetzer der Überlieferungen Mosers und

Pütters ist weder Zachariae noch Gönner, sondern Klüber.

Neben

ihm und jenen beiden stehen nur noch einige weniger bedeutende Persönlichkeiten4); für das Lehnrecht tritt Pätz ergänzend dazu.

1. Johann Ludwig Klüber?) ist geboren am 10. November 1762 in dem reichsfreien Städtchen Tann, das zum Ritterkanton Rhön-Werra des fränkischen Kreises gehörte. Dort war sein Vater

Johannes Klüber Kantonsarchivar, so daß

unser Klüber in der

nächsten Berührung mit den verschnörkeltsten und Verstaubtesten Ur­ kunden alten deutschen Reichsrechts aufwuchs. Er kam 1778 auf das Gymnasium zu Schweinfurt, bezog um Ostern 1780 die Aka­

demie Erlangen und ein Semester darauf die Universität Gießen. Nach einigem Schwanken, eine Zeitlang geneigt, sein Glück in dem Rußland Katharinas II. zu suchen, entschloß er sich 1784 zur aka­

demischen Laufbahn in Erlangen. Er wurde dort 1786 ao., 1787 o. Professor der Rechte. Im Auftrage des Markgrafen Karl Alexander und zugleich als kurbraunschweigischer Bevollmächtigter wurde er 1790 zur Kaiserwahl Leopolds II. nach Frankfurt am Main geschickt und war eben von dort nach Erlangen heimgekehrt, als Hardenberg, der spätere preußische Staatskanzler, zur Übernahme des markgräf­ lichen Landesministeriums in Ansbach eintraf. Damit suchte unseren Klüber, der einmal geträumt hatte, der großen europäischen Politik

nach St. Petersburg entgegenzureisen, diese nun ihrerseits in seinem akademischen Studienwinkel auf, und bald sollte sich an ihm, wie seinerzeit an Pütter, der fördernde Einfluß derartiger Beziehungen auf die publizistisch-wissenschaftliche Leistungsfähigkeit bewähren, wie denn auch Klübers äußerer Lebensgang später wesentlich dadurch bedingt wurde. Aus den zunächst dienstlichen Beziehungen zu Harden­ berg wurden alsbald freundschaftliche, die bis zu Hardenbergs Tod

währen

sollten.

Als Hardenberg November

1797

nach

Berlin

Vierzehntes Kapitel.

166 berufen wurde,

ist ihm freilich Klüber zunächst noch nicht dorthin

gefolgt. Vielmehr blieb Klüber in Erlangen, bis ihn im Herbste 1804 Karl Friedrich von Baden als Geheimen Referendar, bald als Kabinetts­ und Staatsrat zu sich berief und ihm den Unterricht des Erbprinzen Karl in den Staatswissenschaften übertrug. Er wurde dort auch mit diplomatischen Missionen betraut; so begleitete er April 1806

den Erbprinzen

nach Paris

zur Vermählung mit der Prinzessin

Stephanie Beauharnais. Im Jahre 1807 aber siedelte er nach Heidelberg über, um dort mit seinen sonstigen Ämtern die akademische Tätigkeit zu verbinden. So gesellte er sich, 1807 — 1817 zum Lehr­ körper der Universität formal gehörig, der Schar Heidelberger Dozenten zu, von der in diesem Kapitel schon so oft zu handeln

war.

Dieses Jahrzehnt bedeutet aber auch die Zeit seiner reichsten

und reifsten literarischen Fruchtbarkeit, nur gefördert durch die mannigfachen politischen Zwischenfälle und Erschütterungen, die andersartige Publizisten zum Stillschweigen brachten, und durch mannigfache praktische Inanspruchnahme, durch die eine gewöhnliche

Arbeitskraft erschöpft worden wäre. Diese Verbindung erreichte ihre Höhe in den Jahren des Wiener Kongresses, die Klüber großenteils

auf Einladung Hardenbergs und mit Urlaub der badischen Regierung in Wien zubrachte. Er wurde dort von preußischer Seite zu den bedeutsamsten Vorarbeiten und Überlegungen mit herangezogen, blieb so auch nicht ohne einigen mittelbaren Einfluß auf die Kongreßver­ handlungen selbst, kam aber namentlich in die Lage, nach allen Seiten Beziehungen und Verbindungen anzuknüpfen und diese zur Gewinnung urkundlichen Materials über die Völker- und staatsrechtlich entscheidenden Vorgänge jener Tage auszunutzen. Die Stellung, die Klüber damals dort als Vertrauter Hardenbergs, als Konsulent zahl­

reicher Mitglieder des deutschen hohen Adels, gelegentlich selbst von auswärtigen Souveränen und Gesandten gehört, einnahm, scheint wirklich persönlich einzig gewesen zu sein — jedenfalls ist sie von ihm wissenschaftlich eifrigst ausgebeutet worden, ohne daß je der

leiseste Vorwurf der Indiskretion oder Taktlosigkeit sich gegen ihn erhoben hätte. Diese Ausbeute hat dann Klüber noch in Heidelberg verarbeitet und von dort aus wesentlich veröffentlicht, obschon er schon 1816 wieder durch diplomatische Missionen nach Berlin und Petersburg geführt wurde. Bis dahin war er dem badischen Dienste

III. Staats-, Völker- und Lehnrccht.

1) Klüber, Leben.

167

treu geblieben; erst 1817 ließ er sich unter Ablehnung verlockender russischer Anträge3) von Hardenberg für den preußischen Staatsdienst

im Departement des Staatskanzlers selbst und daneben im Mini­ sterium des Auswärtigen, unter dem Titel eines Geheimen Legations­

rates, gewinnen. In dieser Stellung übernahm Klüber vorzüglich solche Aufträge,

die ihm außerhalb Berlins zu verweilen gestatteten, wie die Ordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse der Standesherren in der Rhein­ provinz und in Westfalen und die Begleitung seines Freundes, des Fürsten Hardenberg, auf den Aachener Kongreß; schließlich die Ver­ tretung Preußens in Frankfurt am Main bei der Kommission zur Auseinandersetzung der Verhältnisse, wie sie sich aus der Auflösung

des Großherzogtums Frankfurt ergaben. Dabei erzielte er zweifellos Erfolge und erwarb sich manche Verdienste; der eigentlich preußischen Beamtenschaft aber blieb er, der Reichs- und Süddeutsche, der sich in Berlin offenbar nie wohl gefühlt hat, äußerlich wie innerlich

fremd; seine einzige Stütze im preußischen Dienste war und blieb Hardenberg. Dessen Tod (26. November 1822) und das damit zusammenfallende Überhandnehmen der politischen Reaktion zeitigten

daher für Klüber die schlimmsten Folgen. Klüber hatte stets, wennschon äußerst gemäßigte, so doch ent­ schieden liberale politische Anschauungen gehegt. Er war namentlich stets für die Notwendigkeit parlamentarischer Verfassung eingetreten, sowohl vom Standpunkte des politischen Nutzens, wie vom Stand­ punkte des in Wien festgelegten Rechtsbodens aus. Diese seine Über­ zeugung hatte er in allen seinen Schriften vorgetragen, ohne persön­ liche oder gar antidynastische Spitze, mit politisch wie publizistisch wohl abgewogenen Wendungen, aber doch mit juristischer Klarheit

und Folgerichtigkeit, ja selbst mit einer gewissen Neigung zu naturDaß man das in dem Preußen

rechtlich-aprioristischer Begründung.

der Karlsbader Beschlüsse peinlich empfand, ist schließlich begreiflich. Unbegreiflich aber, wie man das bloße Erscheinen einer zweiten Auf­

lage, die darüber nicht mehr, freilich auch trotz umgeschlagener poli­ tischer Konjunktur nicht weniger sagte als die erste Auflage desselbeik wohlbekannten Werkes (des„Öffentlichen Rechts des deutschenBundes"), zum Vorwande eines disziplinarischen Vorgehens gegen ihn ergreifen

mochte und konnte. Dieses Verfahren, auf eine Denunziation hin mit fast schamloser Schnelligkeit nach Hardenbergs Hinscheiden in die

168

Vierzehntes Kapitel.

Wege geleitet, gegen den in Frankfurt durch verwickelte Staats­ geschäfte festgehaltenen Beamten ohne ordnungsmäßiges Gehör durch­

geführt, begann schon damit, daß allen Rechtslehrern auf preußischen Universitäten untersagt wurde, das Buch bei Vorlesungen zugrunde zu legen -y was freilich, wie Klüber selbst treffend bemerkt, die wissenschaftliche Ausnutzung nicht zu hindern vermochte. Es endigte

nach dreivierteljähriger Untersuchung damit, daß gegen Klüber durch Ministerialbeschluß eine Rüge ausgesprochen wurde, welche die wich­ tigsten publizistischen Anschauungen und Äußerungen Klübers aufs

schärfste verurteilt, jedoch mit einem eigenen Zusatze: Nicht dem bösen Willen, sondern der verkehrten publizistischen Urteilskraft des Ver­

urteilten sei sein Verstoß zuzurechnen.

Wer ihn kenne, werde sich

keinen Zweifel darüber erlauben, daß er in der Darstellung seines Systems nach bester Wissenschaft und Überzeugung zu Werke ge­

gangen sei; aber die Nichtkenner müßten darin eine böse Absicht „zu erkennen glauben"^. Fast weiß man nicht, ob man das Verdammungsurteil selbst oder diesen Zusatz, ausgesprochen gegen den in Deutschland und Europa berühmtesten Publizisten seiner Zeit, den Berater der Monarchen

und Staatsmänner auf dem Wiener Kongresse, unerhörter finden soll, ob mehr bestimmt den Betroffenen, mehr geeignet das Ministerium, das dergleichen aussprach, zu beschämen. Jedenfalls sind Einleitung, Durchführung und Abschluß der ganzen Angelegenheit gleich sympto­ matisch für das gehässige Denunziations- und Verfolgungswesen der Reaktion °). Klüber entgegnete mit der einzigen Maßregel, die seine persönliche wie wissenschaftliche Würde zu wahren geeignet war, mit einem Entlassungsgesuche. Daß er auf seine amtlichen Bezüge damit zu verzichten infolge literarischer Einkunftsquellen in der Lage war,

empfand er mit Recht als besonderes Glück. Daß man ihm die er­ betene Entlassung von Berlin aus nach vier Monaten (März 1824) gewährte, statt sie ihm abzuschlagen und ihn damit schriftstellerisch mundtot zu machen, mußte er schließlich noch als fast überraschendes Entgegenkommen zu würdigen lernen. ' Klüber hat seitdem als Privatmann in Frankfurt am Main ge­ lebt, am Sitze der Bundesversammlung, deren Tätigkeit er so genau zu verfolgen in der Lage war. Er hat sich dort offenbar sehr wohl

gefühlt und sich nunmehr fast ausschließlich °) schriftstellerischer und konsultativer Tätigkeit gewidmet. Letzterer in Vertretung sehr freier

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

2) Klüber, Schriften.

169

Ebenbürtigkeitsprinzipien mit geringem Glück, wennschon stets mit strengster wissenschaftlicher Ehrlichkeit7). Im Laufe der Jahre hat

er da noch manche, auch internationale wissenschaftliche Auszeichnung erfahren b). Nach kurzem Unwohlsein ist er zu Frankfurt am Main am 16. Februar 1837 gestorben. 2. Dieser Lebensgang Klübers ist der Schlüssel zum Verständnis seiner wissenschaftlichen Leistungen. Diese sind durch jenen ermöglicht

und bedingt, nach Inhalt und Auffassung, auch nach Entstehungs­ perioden. Die Erlanger Zeit, zugleich die Zeit des alten deutschen Reiches, ist die Periode der Grundlegung, des Erwerbes jener soliden

und umfassenden Sach- und Literaturkenntnisse,

durch die Klüber

stets die Späteren beeindruckt hat. — Die Heidelberger Zeit, zugleich die Zeit des Rheinbundes, des Wiener Kongresses und der Entstehung des deutschen Bundes, ist für Klüber die Periode der großen Würfe, der bleibenden Lehrbücher und Sammelwerke, durch die sein Name zur Berühmtheit, seine wissenschaftlichen Anschauungen zum festen

System, sein Schaffensdrang zur Befriedigung gelangen, wenn wir uns nur gestatten dürfen, diese Periode um zwei Jahre über die Heidelberger Professur hinaus bis zum Erscheinen des Völkerrechts

(1819) auszudehnen. — In den dann noch folgenden Lebensjahren handelt es sich wesentlich nur mehr um den sorgfältigen weiteren Ausbau, um Vorbereitung und Besorgung neuer, mächtig anschwel­ lender Auflagen neben einigen Einzelleistungen. — Selbständig neben

dieser Dreiteilung gehen Arbeiten ganz anderer Art her, teils wirt­ schaftspolitischen, teils diplomatischen, teils auch zeitgeschichtlichen In­ halts. Ihrer wird zur Kennzeichnung ihres Verfassers schließlich wenigstens kurz gedacht werden müssen. Der ersten vorbereitenden und sammelnden Periode gehören zu­ nächst an geschichtliche Studien über mittelalterliche und reichsrecht­ liche Altertümer und über deren Literatur ^). Dabei zeigt sich Klüber hauptsächlich als Sammler, von vornherein erfreulich geneigt, Kulturund Rechtsgeschichte miteinander zu verbinden und deren Wurzeln

nachzugraben, aber freilich noch ganz in der kritik- und methodelosen Weise seiner Vorgänger in der mittelalterlichen Reichs- und Rechts­ geschichte. — Den Übergang zu dogmatischen Werken von da aus mag man finden in der »Isagoge in elementa iuris publici quo

utuntur nobiles immediati in imperio romano germanico«, Er­ langen 1793, insofern diese freilich zunächst wieder nur geschichtliche

170

Vierzehntes Kapitel.

Entwicklung die Einführung zu einem reichsrittersch östlichen Staats­

rechtssystem bilden sollte, dessen Ausarbeitung jedoch unterblieben ist. Statt dessen folgte eine „Einleitung zu einem neum Lehrbegriff des Staatsrechts", Erlangen 1803, dieses Mal nicht geschichtlich, sondern eine systematologische Vorstudie für die Bearbeitung des ganzen Staatsrechts, mit Darstellung der Quellen und mit sonstigen Vor­

Sollte dieses Programm auch auf das Recht des alten deutschen Reiches nicht mehr Anwendung sinden können, dessen letzte Zuckungen Klüber mit einigen kleineren Gelegenheitsschriften be­ erörterungen.

gleitet hat, so ist es doch maßgebend für Klübers späteres Wirken geworden, indem er den dort gegebenen Grundriß fast unverändert, mit naturrechtlich-apodiktischer Sicherheit, auf die späteren bundes­ rechtlichen Verhältnisse übertragen hat, genau wie Zachariae seinen

Grundriß auf das französische Privatrecht.

Jedoch handelt es sich

bei Klüber um die Aufstellung einer historisch-dogmatischen Methode, die als die für das deutsche Staatsrecht geeignete deshalb bezeichnet

wird, weil dieses Recht kein rein rationales, sondern teils historisch,

teils positiv gegeben sei. Das ist die Grundlage, auf die sich mit entschieden liberalisierender Neigung schon hier Klüber stellt, um sie für alle seine späteren Leistungen beizubehaltcn. Dazu tritt dann als Quelle seiner Leistungsfähigkeit der Reichtum an Einzelkenntnissen, den er sich damals erworben hat, von umfassender Ausdehnung und nie versagender Sicherheit. Dadurch gewinnt er Neigung und Fähig­ keit, zwischen den neuen Verhältnissen und dem alten Reichsrechte die scheinbar ganz abgeschnittencn historischen und juristischen Zusammen­ hänge doch wieder herzustellen, eine Aufgabe, an der Gönner einfach verzweifelt war. Ganz anders Klüber. Kaum in Heidelberg angckommen und

mit den neuen Verhältnissen bekannt geworden, veröffentlicht er Tübingen 1808 sein „Staatsrecht des Rheinbundes", ein Werk, das selbst im Titel rückdeutend auf des Verfassers methodologische Stel­

lungnahme von 1803 verweist, indem es sich als „Lehrbegrisi" be­ zeichnet. So zerfällt es weiter, wie das alte Reichsstaatsrecht Klübers ein allgemeines Territorialstaatsrecht neben sich führt, in zwei Ab­

schnitte, ein eigentliches Bundesstaatsrecht und ein „Staatsrecht der Bundesstaaten", das ist eine Abstraktion des Gemeinsamen aus den einzelnen Staatsrechten aller am Rheinbünde beteiligten Staaten — in diesem Punkte also genau übereinstimmend mit dem Konkurrenz-

UI. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

2) Klüber, Schriften.

171

werke von Zachariae, mit allen unverkennbaren positivrechtlichen Schwächen solcher Abstraktion, aber doch auch mit deren wissen­

schaftlich fördernder Jllusionsbedcutung^).

Daß beides, besonders

aber das Bundesstaatsrecht, dürftig ausfällt, liegt in der Natur der

Sache, doch ist immerhin wesentlich mehr geleistet, als in Zachariaes vorangcgangcnem erstem Versuche. Dazu trägt wesentlich bei, daß Klüber keineswegs wie jener die für die junge Souveränität und

Napoleon erwünschte Vorstellung vollkommener Staatsneubildung seit Gründung des Rheinbundes übernimmt, sondern stets, wo irgend nur den Zeitverhältnissen gegenüber und' juristisch zulässig, an die Vergangenheit anknüpft.

Auch geht er in beiden Hauptabschnitten

die ganze Schablone aller einzelnen Staatshoheitsrechte durch, ob­ schon er dabei manche Unterabteilungen mangels jeden positiven An­ halts nur mit allgemeinen Betrachtungen anfüllen kann. Daher konnte denn Zachariae wieder für sein umfangreicheres Werk von 1810 aus Klüber das Material entnehmen. — Die eigentlich publi­ zistische Grundlage des Rheinbundes läßt Klüber eher im dunkeln; es klingt fast gleichgültig, wenn er bemerkt, man könne diesem Bunde ebensowohl ein gemeinsames Staatsrecht zusprechen, wie die Be­ ziehungen der einzelnen Bundesstaaten zueinander als lediglich völker­ rechtliche anschen. Vollends zurückhaltend konstruiert er die Rolle des „Protektors", lediglich formal-juristisch, wogegen dann die Zitate aus napoleonischen Deklarationen mit ihren Berufungen auf die Übergewalt um so brutaler wirken. Überhaupt wird man zum Ver­

ständnisse des Buches stets gut tun, der Zeitumstände zu gedenken; man wird dann weit entfernt von törichten, ihm später wohl ge­ machten Borwürfen ihm nicht bloß ein juristisches, sondern auch ein patriotisches Verdienst zuerkennen. Darauf deutet in aller Kürze und Verhüllung selbst schon die lakonische Vorrede: „Die Erscheinung dieses Buches bedarf keiner Entschuldigung. Nicht Alles, nur das Nötige sollte gesagt werden nach eigenem Urteil, ohne anderes Inter­ esse als für Wahrheit, Recht und Staatswohl". Mehr war damals einfach unmöglich; in der napoleonischen 3eitn) ist Klüber darüber

nicht hinausgegangen. Um so lebhafter scheint die Befriedigung gewesen zu sein, die Klüber über die Ergebnisse des Wiener Kongresses empfand. Ehrlich

glaubte er, die dort gewonnene Grundlage werde Europa Frieden und Gedeihen, Deutschland die Heilung von Trennung und Zer-

.172

Vierzehntes Kapitel.

rissenheit, den einzelnen deutschen Staaten die Einführung landstän­ discher Verfassungen und ein gemäßigt liberales Regiment sichern. Das durch die deutsche Bundesakte gewährleistete Mindestmaß an Einheit und Konstitutionalismus erschien ihm genügend, wenn nur

solche Errungenschaften entschieden durchgeführt würden, wozu er die leitenden Hauptstaaten für fest entschlossen hielt12). Zur wissen­ schaftlichen Bewältigung der dem Staats- und Völkerrecht damit gestellten Aufgaben schickte er sich nunmehr an. So erschienen die

großen Werke dieser seiner Glanzperiode:

Die „Akten des Wiener

Kongresses, in den Jahren 1814 und 1815", 8 Bände, Erlangen 1815 fund Nachtragsband ebenda 1835), eine für Historiker wie Juristen, aber auch für Diplomaten kaum entbehrliche Sammlung

der Originalurkunden von seltener Vollständigkeit, obwohl auf pri­ vatem Wege zusammengetragen, in systematischer Ordnung, mit Er­ läuterungen, Vorerinnerungen, Übersichten, Verweisungen und Register. Sodann die quellenkritisch verdienstliche und praktisch brauchbare Aus­ gabe der Schlußakte und der Bundesakte, Erlangen 18151S). Weiter die „Übersicht der diplomatischen Verhandlungen des Wiener Kon­ gresses überhaupt und insonderheit über wichtige Angelegenheiten des Deutschen Bundes", 3 Bände, Frankfurt a. M. f816, denselben Gegenstand hauptsächlich von der diplomatischen Seite politisch be­ leuchtend, auf Grund zahlreicher, zum erstenmal veröffentlichter

Mitteilungen und Notizen beteiligter Staatsmänner, mit längeren Exkursen über die innerdeutschen Fragen"), jedoch von überwiegend

historischem Interesse. - Und endlich die beiden großen systematischen Leistungen, die erst Klübers wissenschaftlichen Ansprüchen an einen „Lehrbegriff" genügen: „Öffentliches Recht des Bundes und der Bundesstaaten", Frankfurt a. M. 1817; und »Droit des gens mo­ derne de l’Europe«, 2 Bände, Stuttgart 1819, in französischer Sprache, mit einem Anhang bibliographischer Art. Die vielbändigen Urkundensammlungen bilden eine staunenswerte Leistung, zur Seite zu stellen etwa den älteren großen Werken von

Datt und von Meiern, auch insofern, als der Stoff nicht roh wieder­ gegeben, sondern bereits zur Ausnutzung vorbearbeitet ist. Die Exkurse der „Übersicht" legen Klübers Programm und Auffassung ein für allemal bezüglich der Grundlinien des Staats- und Bundesrechts fest, namentlich anlangend: Errichtung und Wirksamkeit eines Bundes­ gerichts; Vertretung des Volkes bei der Staatsregierung durch Lcnd-

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

2) Klüber, Schriften.

173

stände, d. h., wie Klüber bestimmt hier und später allen Gentzschen Verdrehungen und aller politischen Reaktion zum Trotz immer wieder gelehrt hat, durch eine wahrhafte Volksvertretung mit Dezisiv-Votum; Bestimmung der Rechte der Untertanen in den deutschen Bundesstaaten überhaupt; und Rechte einzelner Bevölkerungsklaffen (Standeshcrren, unmittelbarer Reichsadel, Suben15), Kirchengenossenschaften, Pensionen

Säkularisierter). — Unbedingt wird jetzt zugegeben, daß dieser Bund

nur ein völkerrechtliches Verhältnis der verbündeten Staaten, keinen Bundesstaat, also auch kein Bundesstaatsrecht geschaffen hat. Dar­ auf baut sich dann wieder der „Lehrbegriff" des öffentlichen Rechts

auf, der das junge Bundesrecht (nicht Bundesstaatsrecht) als ersten Teil, das gemeine Staatsrecht der Bundesstaaten als zweiten Teil enthält, genau nach dem bisherigen Schema Klüberscher Lehrbegriffe.

Was dem Werke schon in dieser ersten Auflage nachgerühmt werden muß, das ist besonders seine Vollständigkeit; es gibt nicht bloß einige

Grundzüge, sondern weiß diese schon jetzt ins einzelne durchzuführen. Das zeigt sich in dem starken Umfange und dem entspricht der sach­ liche Gehalt. Das ist aber wiederum wesentlich dadurch erreicht, daß Klüber mit dem abstrakten Grundriß den Ausbau seiner histo­

risch-positiven Methode, die an das alte Reichsrecht anknüpft, ver­ bindet. Das System, das er so geliefert hat, sand mit Recht sofort in allen beteiligten deutschen Kreisen eine Aufnahme, die ihm ohne weiteres die Stellung als maßgebendes Lehrbuch des neuen Staats­ rechts sicherte. Um ähnliche Stellung in internationalen Kreisen zu gewinnen, hat offenbar Klüber für sein System des Völkerrechts die französische Sprache gewählt. Der Erfolg hat dem wohl kaum so ganz ent­ sprochen^), denn das Werk ist doch in erster Linie trotz der franzö­ sischen Gewandung ein deutsch-wissenschaftliches, mit aller dadurch be­

dingten systematischen Strenge in der Anlage, und ebenso trocken in der Erörterung der allerdings reichen und förderlichen Einzelheiten. Die philosophische Grundlage ist wesentlich noch naturrcchtlich im vorkantischen Sinne, unter Verwertung einiger äußerer Anklänge an Kant und selbst an Fichte; sie führt so weit, daß man überhaupt

wohl daran hat zweifeln können, ob Klüber ein positives Völker­

recht auch nur vortragen wolle. Sagt doch Klüber selbst in der Vorrede, die allgemeine Theorie, wie er sie gebe, müsse, in jedem einzelnen Falle durch die besonderen Rechtsquellen oder Tatsachen

174

Vierzehntes Kapitel.

ergänzt werden; er leljrc nur, was unter freien Völkern mangels besonderer Verhältnisse und Abmachungen eigentlich beachtet werden solle. Also gewissermaßen eine Art abstrakt allgemeinen Völkerrechts,

nach Analogie des gemeinen deutschen Staatsrechts, aber wesentlich stärker beeinflußt durch das Naturrecht, das nicht nur die Lücken ausfüllt, sondern auch dem ganzen System als „Bindemittel" dient,

„indem nach ihm die Grundsätze geordnet und aneinandergereihet werden". Diese Ordnung ist die nach unbedingten Rechten (der Selbsterhaltung, Unabhängigkeit und Gleichheit) und bedingten Rechten (je nach friedlichem oder kriegerischem Verhältnisse). — Indessen ist sodann die Ausführung positiver und förderlicher als man hiernach

erwarten sollte. Denn da kommt Klüber -für die Einzelheiten auf die historisch-positive Methode zurück, die er sich in unbefangenem

Eklektizismus ja schon für sein Bundesstaatsrecht neben der naturrechtlich-systematisierenden zurecht gelegt hatte. Dadurch ermöglicht er sich Verwendung aller gründlichen Kenntnisse und reichen Erfah­ rungen, die ihm zweifellos zu Gebote standen. Er gelangt sogar dazu, dem Tagesinteresse (so z. B. dem Seerecht der Neutralen)

Rechnung zu tragen, ohne sich durch systematische Skrupel einengen zu lassen. Mit derartigen Einzelheiten, bei denen es weniger auf

Prinzipienfragen ankommt, hat er stets besonderes Lob gesunden. Von nun ab besteht Klübers Aufgabe nur noch darin, der weiteren sachlichen wie literarischen Entwicklung zu folgen und dar­ nach seine Systeme auf dem Laufenden zu halten. Dabei ist geringeres

Gewicht zu legen auf die deutsche Umarbeitung des Völkerrechts, die Stuttgart 1821 erschien und von der eine abermals ergänzte und weitergeführte zweite Auflage fast druckfcrtig vorlag, als Klüber ver­ schied, eine Auflage, die dann, von Mörstadt durchaus nicht ohne Pietät besorgt, Heidelberg 1851 erschienen ist. Ebensowenig treten in den Vordergrund einzelne auf den deutschen Rechtskreis bezügliche Sonder­ ausführungen aus diesen späteren Jahren, namentlich mancherlei Gutachtliches aus dem Privatfürstenrecht, gesammelt in Klübers „Abhandlungen und Beobachtungen für Geschichtskunde, Staats- und Rechtswissenschaft", 2 Bände, Frankfurt a. M. 1830 und 183417).

Dagegen sind bedeutsam die weiteren Auflagen des „öffentlichen Rechts des deutschen Bundes" von 1822, 1831 und, nach des Ver­ fassers hinterlassenen Papieren sorgfältig durch Mörstadt und des Verfassers Sohn Friedrich Adolfs) zusammcngestellt, 1840. Nicht

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

2) Klüber, Schriften.

175

nur weil diese ferneren Auflagen mit größter Genauigkeit alle Einzel­ heiten aus den Ergebnissen der zwischenzeitigen Entwicklung in das Werk eingetragen und ihm dadurch vollends die Stellung als praktisch

sondern auch des­ politisch-juristischen Grund­

unentbehrliches Staatshandbuch verschafft haben,

halb,

weil sie unerschütterlich an

den

anschauungen festhalten, die, in der glücklicheren Zeit des Beginns festgelegt, nunmehr Klüber reaktionäre Verfolgung zuziehen sollten.

Ein recht bescheidenes Maß von Volksrecht mag es sein, das Klüber

da in Anspruch nimmt, aber dies um so entschiedener, in positiv­ rechtlicher Begründung, und um so wirksamer, da getragen durch das Schwergewicht des Buches und durch dessen stets wachsende Ver­ breitung. Längst hatte Klüber einsehen müssen, daß seine Hoffnungen aus dem Jahre 1815 unerfüllt zu bleiben bestimmt waren, aber er läßt es sich nicht verdrießen, immer wieder hervorzuheben, wie nach dem Sinne der Wiener Bundesakte und nach den ersten Äußerungen

der Bundesorgane die Dinge sich hätten entwickeln sollen.

So un­

gerne man dies in späteren Jahrzehnten hörte, so mußte man es doch eben in Klübers Werk mit hinnehmen. Zu dieser eigenartigen Be­

deutung der späteren Auflagen trat ergänzend hinzu das Aufsehen, das eine kleinere Schrift über „die Selbständigkeit des Richteramts", Frankfurt a. M. 1832, erregte, indem sie gegen eine allerdings recht bedenkliche preußische Ministerialverfügung die Selbständigkeit und Würde des richterlichen Berufes wahrte"). Auf diese Weise ist allmählich für den doktrinären Liberalismus der 48 er Jahre Klüber, der peinlich abwägende Jurist, der Diplomat und Staats­

mann, der Freund von Ministern und Fürsten, zu einer Art von Freiheitshelden geworden, zum Nestor des Konstitutionalismus, zum Felsen in der politischen Brandung. „Der ehrwürdige Klüber", so heißt er ständig z. B. bei Welcker, wo dieser aus Klübers Nachlaß

die von letzterem gesammelten und mit Glossen versehenen Proto­ kolle der Karlsbader Konferenzen herausgibt, unter dem Titel: „Wich­ tige Urkunden zur deutschen Geschichte",

1844.

Offenbar besaß

Klüber diese Protokolle noch infolge seiner,preußisch-Hardenbergischen Beziehungen und hatte sich persönlich deshalb der Veröffentlichung,

durchaus korrekterweise, enthalten. Nun kam das bis dahin ängstlich behütete Geheimnis an den Tag, und wiederum wurde, noch posthum, Klübers Haupt mit einer politisch-liberalen Aureole umgeben.

176

Vierzehntes Kapitel.

Dazu paßt es ja recht gut, wenn die letzte der von ihm selbst

herausgegebenen größeren Arbeiten behandelt die „Pragmatische Ge­

schichte der nationalen Wiedergeburt Griechenlands bis zum Regierungs­ antritte König Ottos", Frankfurt am Main 183520). — Näher stehen seinem staatsrechtlichen Berufe recht eindringliche und fortschritts­ förderliche Studien über Post- und Münzwesen, sowohl aus der Er­

langer Zeit wie aus den Tagen des deutschen Bundes2*); und ebenso berühren seinen diplomatisch-staatsmännischen Beruf die umfassenden, „von Fleiß, Literatur und Scharfsinn erfüllten" Auseinandersetzungen

über das Chiffrieren und Dechiffrieren, die er Tübingen 1809 er­ scheinen ließ unter dem Titel einer Kryptographik. — Er hat aber auch außerdem noch über die Sternwarte in Mannheim (deren Kurator

er war) und über russische Stubenöfen, über eine „neue Erfindung, metallene Abgüsse zu machen", Stuttgart 1806, und über „Mnemo­ technisches", Nürnberg 1805, dann aber auch wieder über „BadenBaden und dessen Umgebung", Tübingen 1807 und 1810 geschrieben, letztgenanntes Werk voll gelehrt-geschichtlichen Materials wie voll ent­

zückter Naturschilderungen. Das Werk sei genannt, da es dem sonst etwas peinlich steifen Bilde Klübers einen liebenswürdigen Zug ein­

zeichnet, den man ihm nicht wird vorenthalten wollen. 3. Die juristische Würdigung von Klübers Leistungen wird frei­ lich von solchen Seitenblicken ebenso wie von späterer liberaler Mär­ tyrerglorie abzusehen haben; hier werden wir uns allein an die fach­ mäßigen Leistungen anschließen müssen. Dabei wird man Eines getrost an die Spitze setzen dürfen: Klüber war kein tiefer Denker, nicht einmal der Mann besonderer juristischer Schärfe, eindringlicher Logik, überhaupt nicht von aus­

geprägt juristischer Begabung. Seine allgemeine Welt- und Menschen­ anschauung geht entschieden auf die naturrechtliche Aufklärung des 18. Jahrhunderts zurück, ohne das Bedürfnis, einzelne Elemente aus Kant und Fichte damit innerlich zu versöhnen oder die obersten Grundsätze durch alle Einzelheiten des Stoffes durchzuführen,

zu gegenseitiger Beleuchtung. Sondern er nimmt getrost eine systematische

Einteilung, das eine oder andere staatsrechtliche, juristische oder­ politische Prinzip an die Spitze, ohne später in der Fülle des nur

äußerlich nach dem Schema geordneten Details sich viel mehr darum zu kümmern, ja ohne auch nur um die Übereinstimmung aller Einzel­ heiten unter sich allzu ängstlich zu sein.

In den Einzelheiten hat er

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

daher seine Stärke.

3) Klttber, Würdigung.

177

In ihrer säuberlichen Nachweisung und Durch­

arbeitung, in der Angabe der Literatur über sie, in der Klarstellung ihres altreichsrechtlichen Ursprungs und in der Zusammenstellung des zugehörigen diplomatisch-aktenmäßigen Materials. Daher war er be­

sonders geeignet znm Publizisten

einer Zeit,

deren staatsrechtlich

krause, politisch absichtlich unzulängliche Ausgestaltung der deutschen Bundesverhältnlsse einen systematischen Einheitsbau auch auf wissen­ schaftlichem Gebiete weder ermöglichte, noch geduldet haben würde. Klübers Verdienst ist, da unverdrossen unter Einsetzung seines ganzen

Fleißes und seiner außergewöhnlichen Gelehrsamkeit mit Ernst und

Ehrlichkeit geleistet zu haben, was zu leisten war.

Wo an das alte

Staatsrecht angeknüpft, wo seit der Wiener Kongreßzeit eine positive Grundlage für deutsche Einheit und Freiheit aus dem Wüste der

diplomatischen Verhandlungen hervorgehoben werden konnte, da hat Klüber es in unanfechtbarer Weise getan. Wo Beiträge zu sammeln, Akten auszunutzen, laufende Begebenheiten für die Ausgestaltung des Rechts zu verwerten waren, da fand sich Klüber in seinem Element. Er hat damit für seine Zeit das praktisch Erforderliche gebracht, kaum aber die Wissenschaft selbst gefördert, weder im Sinne eines strengeren wissenschaftlichen Positivismus, da er stark Naturrechtler

bleibt, noch im Sinne, der historischen Auffassung. Dies letztere ist vielleicht das Merkwürdigste. Man möchte es wohl auf den ersten Blick bestreiten, da doch Klüber so gerne anti­ quarische Studien betrieb, und sein Wirken stets darauf gerichtet hat, die Verbindung zwischen dem alten deutschen Neichsrecht und dem

Recht des neuen deutschen Bundes, unter Vermittlung sogar des Rheinbundrechts, zu betonen und zu verwerten. Aber dieser seiner

äußerlich historischen Behandlung, der von ihm selbst sog. historisch­

dogmatischen Methode des deutschen Staatsrechts, mangelt gerade das, was damals für die historische Behandlung des Prioatrechts das Entscheidende werden sollte: der Sinn für die innere Not­ wendigkeit geschichtlichen Zusammenhanges in Rechts- und Staats­

leben, für das organische Werden und Wachsen der Rechtsverhält­ nisse und damit kontradiktorisch-komplementär die entschlossene Ab­ wendung von allem naturrechtlichen Rationalismus. So hat er sich denn auch mehrfach gegen Savigny und die historische Schule, und

zwar wohl ohne volles Verständnis für sic, ausgesprochen. Er steht in seiner eigenen Wissenschaft wohl Moser näher als Pütter, ist Landsberg, Geschichte der deutlchen Rechtswissenschaft. II. Text. 12

178

Vierzehntes Kapitel.

mehr Mann der Akten als Jurist, mehr Sammler als Denker, mehr

anerkennenswerter Charakter und Heller Kopf als Pfadfinder. So mag gerade sein Übergewicht in der Publizistik dazu beigetragen

haben, daß diese damals entschieden hinter das Privatrecht in der wissenschaftlichen Entwicklung zurücktritt.

Dabei handelt es sich aber

freilich um einen Vorgang, dessen letzte Ursache unendlich viel tiefer liegt als in der Persönlichkeit eines einzelnen, selbst eines für sein Fach leitenden Mannes, wie Klüber. Es handelt sich um einen historischen Prozeß, der eine gewisse Ähnlichkeit bieten mag mit Vor­ gängen der römischen Kaiserzeit,, als die Flucht aus dem Jammer

des öffentlichen Staatslebens die tüchtigsten Männer, die diesem sich zu widmen sonst berufen gewesen wären, dem Privatrecht zuführte. Weder die verfassungsrechtlichen noch die politischen Verhältnisse des

deutschen Bundes

boten öffentlich-rechtlich juristischer Betätigung

lockende Ziele, während Romantik und Philosophie das Jndividualitätsprinzip in den Vordergrund rückten. Dem entspricht es, daß

Anregungen nach der staatsrechtlichen Seite hin, die von feiten der historischen Schule keineswegs ausblieben, ihre Wirkung erst weit später zu äußern vermocht haben; erst die vollständige Umgestaltung unseres national-politischen Lebens seit den 60er Jahren konnte hier­ für die Grundlage abgeben22). 4. Anders auf einem Seitengebiet des öffentlichen Rechts, das im praktischen Leben absterbend eben damals wissenschaftlich durch

den Eingriff eines einzelnen Mannes, der überdies noch in jugend­ lichstem Alter vom Tode hinweggerafft werden sollte, eine Neu­ begründung und Neubelebung erfuhr: auf dem Gebiete des Lehn­ rechts nämlich. Wilhelm Pätz2^, geboren zu Ilfeld am 11. Juni 1781, gest, zu Göttingen am 26. März 1807, ist es, dem dieses Verdienst zu­

kommt. Sein Programma de vera librorum iuris feudalis longobardici origine erschien zu Göttingen 1805, also lange, bevor von einer Savignyschen historischen Schule (etwa seit 1814), erst recht lange, bevor von einem Einflüsse von Savignys mediävistischen

Forschungen die Rede sein kann. Die nahen Beziehungen zu Hugo, persönlich und wissenschaftlich, liegen ja freilich auf der jpanb24); von dort her kann aber doch Pätz für dieses Sondergebiet höchstens allgemeine Anregung und ermunternde Zustimmung, sonst weder stoff­ lich noch methodologisch irgendwelche Förderung erfahren haben. Viel-

III. Staats-, Völker- und Lehnrecht.

4) Pütz.

179

mehr ist er offenbar ganz selbständig, allenfalls in Anlehnung an

das philologische Vorbild Heynes oder an das historische Vorbild

von Heeren oder Spittler^), vorgegangen und zu Ergebnissen ge­ langt, die seither durch methodisch besser geschulte, der historischen Richtung entsprossene, auf seinen Schultern stehende Forscher wohl

in vielen Einzelheiten vervollständigt und verbessert, im allgemeinen aber immer nur wieder als durchaus richtig und epochemachend an­

erkannt worden sind^). Sie sind durchaus neu und Pätz eigentüm­ lich, mögen auch einige alte, damals vergessene Feudisten schon ähn­ liches gelegentlich gesagt haben und wissenschaftliche Vorbereitungen dafür sich bei Cujas finden^). Die Entdeckung von Pätz

geht bekanntlich dahin,

daß das

Quellenwerk der libri feudorum nicht aus einer und derselben Zeit und noch viel weniger von demselben Verfasser herrührt. Es ist vielmehr im Laufe des 12. Jahrhunderts aus verschiedenen einzelnen

Abhandlungen und Kollektaneen allmählich erwachsen, nicht plan­ gemäß entstanden, nicht von einem Gesetzgeber oder Juristen ge­ schaffen, sondern eine gewissermaßen spontane Bildung,

ein Kon­

glomerat verschiedenartigster Elemente, das dann zu gesetzesähnlicher Festigkeit und Gültigkeit erstarrt ist. Pätz erweist das aus dem Text der libri feudorum selbst, nach philologischer und historisch­ kritischer Methode, als deren Meister neben ihm nur Savigny genannt werden kann. Trotzdem sind ja freilich weitere Einzelheiten,

die Pätz über die einzelnen Bestandteile und ihren Ursprung aufstellt, seither vielfach richtiggestellt worden; die Grundanschauung mit ihrer für die Auslegung so bedeutsamen Tragweite aber ist seither unbezweifelt wissenschaftliches Gemeingut. Wie schon diese Anschauung die Ideen der historischen Schule vom naturgemäßen organischen Entstehen und

Wachsen des Rechts vorwegnimmt, ist einleuchtend, aber gerade darum muß immer wieder hervorgehoben werden, daß es sich um eine ganz für sich stehende Erscheinung bei Pätz handelt.

Ihn haben

nicht etwa allgemeine romantisch-historische Ideen über die Rechts­

entstehung schlechthin geleitet, sondern lediglich sein Spürsinn und sein Verständnis für das auf diesem einzelnen Gebiete tatsächlich Vor­ liegende; nicht vorgefaßte Neigung geschichtskonstruktiver Art, sondern die Beobachtung der geschichtlichen Tatsachen und der sprachlichen Eigentümlichkeiten des gegebenen Textes sind für ihn Ausgangs­ punktes. So ist es ihm gelungen, der Wissenschaft des Lehnrechts 12*

180

Vierzehntes Kapitel.

zu einem mächtigen Aufschwung den Anstoß zu geben in demselben

Augenblicke, da das Lehnsinstitut selbst seiner politischen Auflösung entgegenging. Ja, trotz seines frühen Todes hat Pätz es selbst noch vermocht, aus seiner Entdeckung, die ja zunächst nur einen vereinzelten Punkt

betrifft,

für fast das gesamte Lehrgebäude der Fachwissenschaft die

Folgen zu ziehen, und dabei auch sonst den Geist klarer juristischer Auffassung und echt geschichtlicher Forschung zu betätigen, so daß jene Entdeckung dadurch abermals als ein nicht etwa bloß durch Gunst des Zufalls ihm in den Schoß geworfener Gewinn bestätigt Sein „Lehrbuch des Lehnrechts" war, als er 1807 starb, bereits fertig ausgearbeitet bis § 118; nur noch die Fertigstellung

wird.

der übrigen 72 Paragraphen nach Pätz' Plan hat der Herausgeber Göde^), sein Nachfolger auf dem Göttinger Lehrstuhl, besorgt, wie Göde selbst in der Vorrede (datiert 13. Oktober 1807) zu dem Göt­

tingen 1808 erschienenen, 1832 neu aufgelegten Lehrbuche berichtet. Man wird daher getrost die mit außergewöhnlicher Kürze verbundene Klarheit, Gediegenheit, kritische Schärfe und durchgehende Wissen­

schaftlichkeit dieses Lehrbuches noch Pätz zugute zu bringen haben. Göde bezeichnet in seiner Vorrede das Lehnrecht als einen „Wust elender Formeln, welche dem Geiste der Zeit und der jetzigen poli­

tischen Verfassung der Staaten widersprechen", so daß die Welt durch seinen Untergang nicht viel verlieren würde. Das klingt nicht eben nach hoher Begeisterung für das Fach; wie wir denn anch

weiter keine juristische Leistung Gödes, der freilich auch schon wieder 1812 verstorben ist, zu verzeichnen haben. Die weitere Förderung der durch das Zusammentreffen politischer und litcrärhistorischer Elemente so entschieden geschichtlich orientierten Lehnrechtswissenschaft ist dann vielmehr der. rein historischen Schule im Anschlüsse an Savigny und Eichhorn fast selbstverständlich zugefallen 30). IV. 1. Am wenigsten Erfreuliches, ja schlechtweg am wenigsten

läßt sich wohl aus dieser Zeit über die Wissenschaft des katholischen Kirchenrechts berichten. Während sonst bekanntlich die ersten Jahr­ zehnte des 19. Jahrhunderts in Deutschland wie in den romanischen

Ländern eine Zeit des kirchlichen Wiedererwachens sind, einer reli­ giösen Neubelebung, deren romantisch-mittelalterlicher Geist haupt­ sächlich dem Katholizismus zugute kommt; und während die hervor­ ragenden Diplomaten der Kurie jetzt weithin und auf lange hinaus

IV. Katholisches Kirchenrecht.

1) Verschiedene Kanonisten.

181

den verwüsteten Bau der Kirchenverfassung wieder ordnen: herrscht auf dem Gebiete der eigentlichen Kirchenrechtswissenschaft unbestritten die alte naturrechtliche Richtung weiter, ohne Saft und Kraft, ohne

Anregung noch Anlehnung an die Fortschritte der Kirche oder der Rechtswissenschaft im allgemeinen. Das gilt für beide Fälle, sei es, daß man, wie Wessenbergs Gegner, Franz Andreas Frey*) in Bam­ berg (Hauptwerk: Kritischer Kommentar über das Kirchenrecht, frei

bearbeitet nach Anton Michls Kirchenrecht, drei Teile, Bamberg 1812

bis 1820) mehr der kurialistischen Richtung, wennschon immer noch mit einiger Mäßigung huldigt, oder sei es auch, daß man, wie Sebald Brendels in Würzburg (Hauptwerk: Handbuch des katholischen und protestantischen Kirchenrechts, mit geschichtlichen Erörterungen und

steter Hinsicht auf die kirchlichen Verhältnisse der deutschen Bundes­ staaten, namentlich des Königreichs Bayern, 2 Bände, Bamberg 1823, 1827, 1840 und Nürnberg 1851) die älteren liberalen Anschauungen nochmals zur Geltung zu bringen sich bemüht. Auf diesem aus­ getretenen Wege öder und abstrakter Folgerung aus allgemeinsten Vordersätzen, unwissenschaftlicher Systematik und Einmengung einzelner

territorialrechtlicher Bruchstücke war nicht weiterzukommen. Dieses Urteil muß im wesentlichen auch von der österreichischen Gruppe der Kanonisten gelten. Freilich haben diese deshalb mehr praktische Bedeutung, weil sie die reichfließenden positiven Rechts­ quellen eines großen Gebietes mit reger kirchenstaatsrechtlicher Gesetz­ gebung eifrig bearbeiten; wissenschaftlich aber sind sie weder methodo­ logisch noch historisch noch dogmatisch vom Zuge der neuen Zeit berührt. Sie arbeiten zum Teil mit neuen Stoffen, aber ganz in der alten Weise und in den alten, nicht selten noch etwas durch die josephinistische Überlieferung beeinflußten Bahnen. Das gilt besonders von dem namhaftesten unter ihnen, dem durch allgemeine juristische Bildung, durch Mitarbeit am österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuche

und durch rastlose Förderung emporstrebender junger Kräfte (v. Pratobevera, v. Hormayr, v. Raumer, Pertz), sowie überhaupt durch seine Persönlichkeit besonders hochstehenden Historiker und Rechtsgelehrten Thomas Dolliner^), 1760—1839, und von seinem „Österreichischen

Eherecht", 2 Bände, Wien 1814 und 1816, sowie von dem daraus erwachsenen vierbändigen Handbuches, Wien 1834—1836. In Form eines Kommentars zum zweiten Hauptstücke des Bürgerlichen Gesetz­ buches geht es auch auf das kanonische Recht und auf andere kirch-

182

Vierzehntes Kapitel.

liche Quellen ein, Prozessuales, Administratives und Theologisches ist herangezogen, und so immerhin in dieser Art Treffliches geleistet, wie das Buch denn auch auf die österreichische Jurisprudenz von

größtem Einfluß gewesen zu sein scheint. — Dasselbe trifft aber wohl auch noch zu auf die sonst so anders geartete Persönlichkeit von Joseph Helfers), 1791—1847, und auf dessen „Handbuch des Kirchenrechts aus den gemeinen und österreichischen Quellen zusammen­

gestellt", Wien 1845, 18466), sowie auf seine zahlreichen und fleißigen

Abhandlungen und Monographien.

„Ihren Hauptstoff bilden überall

die königlich kaiserlichen österreichischen Verordnungen in publicoecclesiasticis. Das lag im Geiste der Zeit, in den Zensnrverhältnissen und namentlich in dem Bestreben, brauchbare Bücher zu geben.

Verkennen läßt sich aber nicht, daß Helfert, der auch, abgesehen von jenen Schwierigkeiten, viel zu devot war, um eigentliche Kritik an Einrichtungen und Gesetzen zu üben, in vielfacher Beziehung dem tat­ sächlichen Rechtszustande nicht

huldigte

und

ein

sehr gemäßigter

Josephiner war. In keiner Schrift ist dem Gegenstand eine neue Seite abgewonneu oder derselbe wissenschaftlich weiter gebracht

worden, gleichwohl muß man sagen, daß Helferts Werke durch Zurückgehen auf die Quellen, klare Darstellung, Faßlichkeit, gleiche Rücksichtnahme auf die kirchlichen wie die staatlichen Vorschriften und auch durch historische Bezugnahmen zu den besten gehören, welche die österreichische Literatur in jener Periode hervorbrachte7)."

Ihre weitestgehende kurialistische Prägung fand diese Kirchen­ rechtsbehandlung endlich durch Joseph Scheill^), 1784—1834, in Braunsberg, der weniger durch eigene Schriften 9) als durch Be­ arbeitung oder Fortsetzung älterer Werke dieser naturrechtlichen Gruppe gewirkt hat. So namentlich durch die 2. Ausgabe von Freys großem Kommentar, Kitzingen 1823 f., mit eigener Fortsetzung über die geistliche Gerichtsbarkeit, Kitzingen 1833, und durch die Besor­

gung der stark umgeänderten 9. und 10. Ausgabe von Schenkls Institutiones iuris ecclesiastici, Landshut 1822 und 1830. Hat

Frey doch noch ein wissenschaftliches Streben^), wennschon er es

wenig zu betätigen vermag, und ein Mäßigungsbedürfnis, wennschon seine Einschränkungen, wenig Gehör gefunden haben, so ist Scheills unleugbarer Reichtum an Wissen und Scharfsinn lediglich in den Dienst seiner kirchenpolitischen oder innerkirchlichen Strebungen gestellt,

und er scheut sich nicht, diesen seinen Anschauungen einen maßlosen,

IV. Katholisches Kirchenrecht.

2) v. Droste-Hülshoff.

183

unter Umständen selbst gehässigen Ausdruck zu geben. Der Umstand, daß seine Richtung dem in der Kirche selbst wieder zur Alleinherr­ schaft gelangenden Geiste entsprach, und die praktische Vollständigkeit

und Brauchbarkeit seiner umfassenden Werke haben ihm einen weit­ gehenden und bleibenden Einfluß verschafft, um dessentwillen denn doch auch hier seiner erwähnt werden mußte. 2. Abseits

dieses mehr kirchenpolitischen als wissenschaftlichen

Betriebs, dem das Naturrecht nur als bequeme Handhabe dient, steht ein vornehmer Charakter und ein reiner Jünger der Wissenschaft,

Clemens August Maria Antonius Aloysius Paulus Freiherr v. DrosteHülshoff^), 1793—1832. Von Hause aus zum Geistlichen bestimmt,

ist er erst nach längerem Studium der Theologie und nach mehr­ jähriger unterrichtender Tätigkeit am Gymnasium zu Münster zur Jurisprudenz übergegangen. Er hat so als bereits gereifter Mann in Berlin seit 1817 bei Boekh und Wolf Philologie, bei Hegel Natur­ recht, bei Hasse deutsches, bei Savigny römisches Recht, bei Neander Kirchengeschichte, ferner 1820 zu Göttingen bei Eichhorn deutsches Privat- und Lehnrecht und bei Hugo Enzyklopädie, Institutionen und Literärgeschichte des Rechts gehört. Demgemäß zeigt er sich auch gelegentlich als tüchtiger Zivilist^) und vermochte es, sich 1822 in Bonn nicht nur für Natur- und Kirchenrecht, sondern auch für Strafrecht zu habilitieren, bei dem es ihm allerdings wesentlich bloß auf die allgemeine Grundlegung Qiitommt13). Mehr entscheidend aber als all dies waren für ihn die nahen Beziehungen zu Hermes, die

bereits 1804—1807 zu Münster, wo Hermes damals sein Klassen­ lehrer war, begonnen hatten, in Bonn nun aber, wo der ehemalige Schüler den ehemaligen Lehrer als Kollegen wiederfand, zu beson­ derer Innigkeit gediehen. So ist Droste der Vertreter des Hermesianismus im Kirchenrecht, geradezu der hermesianische Kanonist ge­

worden, wie er auch wesentlich Begründer und Leiter der den Hermesianismus überhaupt vertretenden „Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie" gewesen ist. Drostes reicher und vielseitiger, gegen persönliche Gegner in Lessingscher Weise scharf polemischer"), gegen ehrlich Andersgesinnte und Glaubende irenischer und gemäßigter,

stets aber hochstehender schriftstellerischer und akademischer Tätigkeit bereitete ein früher Tod ein vielbeklagtes jähes Ende. v. Drostes Hauptwerke sind sein „Naturrecht"16) und seine „Grundsätze des gemeinen Kirchenrechts der Katholiken und Evan-

184

Vierzehntes Kapitel.

gelischen, wie sie in Deutschland gelten"16).

Auch in ihnen zeigt er

sich auf der Höhe seiner Zeit in der allgemeinen wie in der juristi­ schen Bildung. Namentlich im Kirchenrechte ist reiches positives

Wissen, gründliche juristische Schulung, ernstes wissenschaftliches Stre­

ben und eifrige Bemühung, neben dem katholischen auch dem evan­ gelischen Rcchtsstandpunkte gerecht zu werden, unverkennbar. Für den Aufbau des katholisch-kirchlichen Verfassungsrechts hat sich v. Droste zu dem gallikanischen System entschieden.

Für das Verhältnis der

Kirche zum Staat, dem er gerne das ©einige läßt, benutzt er nicht nur die neuen preußischen, sondern auch durch Wiener Archivstudien

ihm bekannt gewordene österreichische Quellen11). Lebendiger Vortrag, gründliches Eingehen auf historische und dogmatische Einzelheiten, gelegentliche Gefühlsdurchbrüche geben der Darstellung eine ansprechende Färbung. Überall fühlt man die sympathische Persönlichkeit von künst­ lerischem Stil und strenger Charakterfestigkeit.

folg bald beschieden Und Vernunft-

Auch der äußere Er­

notwendig werdender zweiter Auflagen ist beiden Werken

gewesen. dennoch ist auch v. Droste dem allgemeinen Bann des und Naturrechts nicht entronnen. Was verschlägt es

schließlich für die wissenschaftliche Entwicklung, ob dieses sein Natur­ recht auf Vordersätzen der hcrmesianischen oder, wie sonst damals üblich, einer verflacht Kantischen oder einer scholastischen Philosophie beruht? Was nutzt es ihn selbst, wenn er der geschichtlichen Rich­ tung ihr Recht zuteil werden lassen möchte, aber bloß für die inner­

kirchliche Rechtsgeschichte, während er für die staatskirchenrechtliche Seite fast ausschließlich zur rechtsphilosophischen Behandlungsweise greift?18) Bei alledem wird er doch weder für sich persönlich noch für seine Werke, nicht einmal da, wo er die Geschichte zu Hilfe ruft, Herr der mit Elementargewalt durchdringenden rationalistischen Grundauffassung, wie denn ja auch das Grundwesen des Herme-

sianismus ein reiner, selbst der Theologie untergebreiteter, sogar die Offenbarung vernunftgemäßer Nachprüfung unterstellender Rationalis­ mus ist.

Die Vernunft ist es schließlich, die für Droste entscheidet,

was Recht sein kann nach Form und Inhalt, die Vernunft, auf Grund von deren Zulassung allein die positiven Quellen auf den einzelnen

Rechtsgebieten wirksam sind18). Für eine wahrhaft historisch posi­ tivistische Rechtsbehandlung ist damit die Unterlage entzogen, und

das tritt auch in den Einzelheiten um so unvermeidlicher hervor, je

IV. Katholisches Kirchenrecht.

2) v. Droste-Hülshoff.

185

mehr wir es gerade hier mit einer festphilosophisch begründeten Lehre

und mit einem folgerichtigen Denker zu tun haben. So ist auch v. Droste und sein Hermesianismus bei allen Einzelverdiensten und

bei allem edlen Streben nicht zu einer Neubelebung des katholischen Kirchenrechts gelangt; erst durch Befruchtung von historischer Seite her vermochte da, zuerst vereinzelt (Walter, 1822), dann in immer stärkerer Entfaltung eine neue, aufstrebende Bewegung einzusetzen.

Zum Teile durchkreuzt sich diese zeitlich noch mit den späteren Werken der älteren Richtung, die vorstehend schon besprochen sind. Das protestantische Kirchenrecht sollte ja schon weit früher, schon

durch die Personalunion mit der Germanistik unter Eichhorn, unter die ausschließliche Herrschaft der historischen Richtung kommen. Ein

Werk, wie „Das Kirchenrecht nach Grundsätzen der Vernunft und im Lichte des Christentums dargestellt", Leipzig 1826, aus der Feder des Universal- und Populärphilosophen, des liberalen Aufklärers und Vielschreibers Wilhelm Traugott Krug hervorgegangen, bezeichnet auf diesem Gebiete wohl die letzte Grenze, zu der eine natur­ rechtliche Behandlung noch möglich war; schon kurz nach seinem Er­ scheinen ist es nur noch eine fossile Merkwürdigkeit?°).

Aünfzehntes Kapitel. Die Begründung der historischen schule. I. Savigny bis 1814. 1) Leben. 2) Recht des Besitzes. 3) Weiteres Leben und Vorarbeiten. II. Savigny als Gründer der historischen Schule. 1) Ihr Programm. 2) Dessen Bestandteile. 3) Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. 4) Römische Rechtsgeschichte. III. Savigny 1840—1861. 1) System des römischen Rechts. 2) Verhältnis zur historischen Schule. 3) Ministerium. 4) Lebensabend und letzte Schriften. IV. Savignys Stellung und Bedeutung für die Geschichte der RW. V. Eichhorn. 1) Lebenslauf 2) Staats- und Rechts­ geschichte. 3) Deutsches Privatrecht. 4) Staats- und Kirchenrecht 5) Stellung und Bedeutung. VI. Jakob Grimm, als Jurist. 1) Erstling. 2) Deutsche Rechts­ altertümer. 3) Kleinere Beiträge. 4) Weistümer. 5) Stellung und Bedeutung.

I. 1. Friedrich Karl von Savigny i) ist geboren zu Frank­ furt am Main am 21. Februar 1779. Seine Familie, in geschlossener

Geschlechtssolge nachweisbar seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, gehört der von alters erbgesessenen reichsadligen Ritterschaft des Herzogtums Oberlothringen an, wo das feste Schloß und die Herr­ schaft Savigny an einem Nebenflüßchen der Mosel lag. Seine Vor­ fahrens wanderten 1630 um ihrer protestantischen Religion willen von Metz nach Deutschland aus und haben dort, während die Familie in Frankreich als erloschen galt, bald fest gewurzelt durch eine Reihe tüchtiger Männer und durch bodenfest gegründeten Wohlstand.3) Dies sind die bedeutsamen Stammes- und Standesverhältnisse, aus denen der berühmteste deutsche Jurist des 19. Jahrhunderts hervor­

gegangen ist. Den ersten Rechtsunterricht in der damals üblichen katechetischen Form erhielt v. Savigny durch den Assessor am Reichskammergericht

I. Savigny bis 1814.

1) Leben.

187

v. Neurath, in dessen Haus und unter dessen Vormundschaft der früh Verwaiste zu Wetzlar heranwuchs. Solch geistloses Auswendig­ lernen mag leicht abschrecken und abstumpfen; es kann aber auch an­ regen und bietet dann den Vorteil fester Verankerung im jugend­

lichen Gedächtnis. Ostern 1795 bezog Savigny die Universität Mar­ burg, wo er zwei Semester hindurch fleißig Pandekten, deutsches .Privatrecht und Zivilprozeß hörte. Dabei gewann auf den früh­

reifen jungen Mann von damals schon ausgesprochenem wissenschaft­ lichen Ernste den entscheidenden Einfluß der dortige Rechtslehrer

Philipp Friedrich Weiß^). Er ist es offenbar, dessen liebevolle Neigung für das römische Recht und namentlich für seine mittel­ alterliche Entwicklungsgeschichte, dessen besonnen-gewissenhafte, bis ins

kleinste warmherzig-sorgfältige Forschungsmethode Savigny einen ersten und unauslöschlichen Eindruck gemacht haben, sich erstreckend bis auf die Freude an seltenen Drucken und an der Gelehrtengeschichte. Daneben tritt, etwa zu derselben Zeit eingegangen und ebenso lebens­

länglich

fortgepflegt,

die

Freundschaft zu

dem als

mildgläubigen

Menschen wie als gelehrten Gräzisten geschätzten Pfarrer Bang der Ortschaft Goßfelden bei Marburg. Philosophische Studien fehlen. Vielmehr ist Savignys historisch-klassische Grundrichtung und sein

Sinn für gewissenhaft gründliche Quellenforschung ihm unmittelbar aus Anlage und juristischem Bedürfnis entsprossen, nicht bei ihm wie bei Hugo die entferntere Folge philosophischer Schulung und erkennt­ niskritischer Überlegung. Dem entspricht es, daß Savigny, als er das Wintersemester 1796 zu Göttingen studierte, dort freilich einmal bei Hugo hörte, ohne sich dadurch jedoch unmittelbar sachlich beeinflußt, noch persönlich an­ gezogen zu fühlens, während ihn Spittlers glänzender geschichtlicher

Vortrag lebhaft fesselte.

Inzwischen hatte

angestrengtes Arbeiten

seine Gesundheit bedenklich zerrüttet; behufs Erholung mußte während des Sommers 1797 ruhig auf dem Landgute am Main ausgeharrt

werden; dann folgen die letzten Studiensemester, abermals in Mar­ burg, wo Savigny bis in den Sommer 1799 verweilte. In dieser Zeit müssen dort seine wissenschaftlichen und akademischen Pläne unter

dem Einflüsse von Weiß und unter freudigem Entgegenkommen der Marburger Fakultät6), an der er sich alsbald habilitieren sollte, gereift sein. Sie werden von da ab als feststehend behandelt, so befremdet auch die ganze Umgebung des jungen, reichen, altadligen,

Fünfzehntes Kapitel.

188

vornehm auftretenden Herrn nach damals noch immer vorherrschender sozialer Anschauung darüber sein mochte, daß dieser es nicht vorzog, als Verwaltungs- und Staatsmann eine sicherlich zu den höchsten Ämtern steigende Laufbahn einzuschlagen. Daß ihn die gelehrte

Tätigkeit später doch wieder einem preußischen Ministerium zuführen sollte, war damals wohl unvorhersehbar. Zunächst trat Juli 1799 bis August 1800 Savigny nach alter

guter Sitte zwischen Studenten- und Dozentenzeit eine Art Infor­ mationsreise an, über die wir durch veröffentlichte Tagesbuchaus­ züge und Freundesbriefe erfreuliche Einzelkunde besitzen'). Sie führte den jungen Rcchtsgelehrten über Fulda und die Wartburg zu längerem Aufenthalte nach Weimar, Jena und Leipzig, mit einem Ausflüge nach Dresden und Prag; und dadurch in persönliche Berührung mit den

großen Philosophen und Schriftstellern jener großen Zeit, außerdem mit zahlreichen bedeutenden Männern und mit den Juristen der beiden genannten Universitätsstädte, namentlich mit Hufeland in Jena.

Von Jena ist Savigny überhaupt günstig beeindruckt, während er

über die Leipziger Verhältnisse abfällig urteilt8). Bereits unterwegs begann Savigny sich eingehender mit dem Strafrecht zu beschäftigen, da er mit Vorlesungen darüber beginnen sollte. Diesem Fach gehört denn auch die Dissertation an, auf Grund bereit9) er am 31. Oktober 1800 zu Marburg promovierte, de concursu delictorum formali; Winter 1800 hat er dort das Kriminalrecht vorgetragen19). Dann

aber ist er,

ohne je wieder auf jenes Gebiet zurückzukehren, zum

römischen Recht übergegangen. Daß er damit erst in sein wahres Element gelangte, ist uns

heute ohne weiteres selbstverständlich. Man kann es doch aber auch schon aus der Doktorschrift herauslesen, mag sie auch formal das strafrechtliche Thema von der Jdealkonkurrenz der Verbrechen be­ handeln. Rein strafrechtlich sind denn doch darin nur die §§ 1, 18, 19 (teilweise) und 20; die weit überwiegende Hauptmasse aber,

§§ 2—17, behandelt die Konkurrenz der Privatdelikte unter sich (§§ 4—12) und mit den öffentlichen Strafklagen (§§ 15—17). Offen­ bar herrschen also im Grunde romanistisch-privatrechtliche Mittel und Zwecke vor und ist kriminalistisch nur eben Genügendes geleistet, damit die venia legendi für Strafrecht daraufhin erteilt werden konnte. Ganz anders, sobald man die Dissertation als römischrechtlichc

Arbeit ins Auge faßt. Hier erscheint sie mir11) bereits als ein kleines

I. Savigny bis 1814.

Meisterwerk:

1) Leben.

189

in der Rundung und Sicherheit der Behandlung, in

der Handhabung einer historisch-quellenmäßigen Methode, in

der

Selbständigkeit gegenüber der souverän zurückgewiesenen, nur als Anhang behandelten älteren Literatur und in der vollen Rücksichts­ losigkeit gegenüber dem praktisch-forensischen Herkommen haben wir bereits den Savigny, den wir alle kennen, persönlich vor uns. Ist

doch auch dafür bezeichnend, daß er die zivilistischen Paragraphen jener ersten Jugendabhandlung, in Beweisführung wie in Ergebnis fast ganz unverändert, 1841 dem fünften Bande seines Systems des heutigen römischen Rechts, da wo dieses von der Klagenkonkurrenz

handelt, einzuverleiben in der Lage gewesen ist. So vollzieht sich der Übergang zum Zivilrecht als ein nur äußerlicher sofort und selbstverständlich.

Vielleicht wird man selbst

schon für die Dissertation an einen Einfluß von feiten Hugos denken

dürfen.

Wenigstens für Savignys nun beginnende privatrechtliche

Vorlesungstätigkeit ist ein solcher Einfluß klar bezeugt^): „Er be­ handelte es" (das Zivilrecht) „nach Hugos Vorgang und Methode historisch, exegetisch und systematisch in einem Zyklus von Vorlesungen über Methodologie, Rechtsgeschichte, die er namentlich nach Hugo lehrte, Ulpian, die zehn letzten Bücher der Pandekten" (diese besonders, weil sonst, rein äußerlich als letzte, oft vernachlässigt), „Obligationen­ recht und Erbrecht." Dabei hören wir nichts von Schwierigkeiten, die einer solchen Neuerung in Marburg, wie Hugo seinerzeit in

Göttingen, in den Weg gelegt worden wären; aber auch nichts von methodologischen Auseinandersetzungen oder Kämpfen; sondern still­ schweigend übernimmt Savigny jene Hugoschen Errungenschaften, um diese wissenschaftliche Methode unmittelbarer und sorgfältiger Quellen­ forschung nun aus der Fülle seines eigenen Geistes fortzuführen. Das ist der Geist der Wissenschaftlichkeit, der in jenen Marburger Jahren auf die damals dort studierenden Brüder Grimm so mächtig einwirkte, daß sie Savignys Vortrag und Forschungsweise als an­ regend und vorbildlich für jede Art wissenschaftlicher Arbeit erklären^);

ein Geist, dessen Wehen selbst der so andersgeartete Flattergeist des

„Kindes" Bettina Brentano — Savignys Schwägerin geworden durch dessen 1803 zu Marholz abgeschlossene Ehe mit Kunigunde Brentano — so verspürte, daß sie von ihm ehrfurchtsvoll Zeugnis ablegt inmitten ihres

einzig

übermütigen literarischen Werkes, das sonst

der Verherrlichung

Goethes

gewidmet ist.")

Aus diesem

Fünfzehntes Kapitel.

190

Geiste ging denn nun damals, kurz nachdem Savigny auf eigenen Antrag am 13. März 1803 zum außerordentlichen Professor der Rechte ernannt war, das Buch hervor, durch das der Verfasser mit einem Schlage an die Spitze der deutschen Zivilisten trat: „Das

Recht des Besitzes,

eine zivilistische Abhandlung",

erschienen bei

Heyer in Gießen 1803.15) 2. Über den Hergang bei der Entstehung berichtet Savigny selbst

im Vorworte zu der vierten Auflage.

Daraus geht aber nur äußer­

lich hervor, daß Savigny bei der Vorlesung über die zehn letzten

Bücher der Pandekten auf die Besitzfrage gestoßen war.

Durch die

Zustimmung seines Lehrers Weiß ermuntert, war er im Winter 1802

übergegangen „zur Ausarbeitung einer eigenen Schrift über diesen durch seine Schwierigkeit und seine praktische Wichtigkeit gleich an­ ziehenden Gegenstand." Das ist alles, was wir erfahren^). Von

irgendwelcher methodologischen Rechtfertigung ist nie die Rede; das

Werk mag für sich selbst sprechen. Es hat das laut genug getan, um sofort als epochemachend allgemein anerkannt zu werden, und diesen Ruhm noch bis heute ungeschmälert zu behalten. Wir datieren durchweg von ihm die moderne römische Rechtswissenschaft, diejenige Richtung dieser Wissenschaft, die ein Jahrhundert hindurch in Deutsch­

land geherrscht, von dort aus ins Ausland sich verbreitet und Deutsch­ land die Stellung als Lehrstätte selbst der romanischen Nationen

verschafft hat.

Und doch dürfte es nicht so leicht sein, bei Savignys

eigenem Stillschweigen die epochemachende Leistung in sauberer Genauigkeit anzugeben.

Eigentümlichkeit

dieser

Keinenfalls ist diese Eigentümlichkeit, so entschieden die Methode im „Besitz" auch schon die geschichtliche im weiteren Sinne dieses

Wortes ist, zusammenzuwerfen mit den Prinzipien der erst ein Jahr­ zehnt später begründeten historischen Schule.

Dort handelt es sich

um ein genau festgelegtes Schulprogramm mit persönlichen Prägungen, literarischen Gegensätzen und Kontroversen. Darüber sind wir durch

die Beteiligten selbst unterrichtet, und es kann sich da für uns nur um Abspaltung der allgemeinen Zusammenhänge einerseits, der per­ sönlichen Wesenswirkungen Savignys andererseits und der von seinen

Genossen und Schülern ausgehenden Sonderelemente in letzter Linie handeln. Hier aber kommt es gerade darauf an, den noch nicht auf jene Schuldoktrinen eingeschworenen Savigny in seiner Bedeutung zu

fassen, wie man ja allseitig den Savigny einer abermals späteren

I. Savigny bis 1814. Zeit, den Verfasser des

2) Recht des Besitzes.

191

„Systenis des heutigen römischen Rechts",

als wieder über jene Schuldoktrinen hinausgewachsen anerkennt.

Ge­

wiß wird ja für die Wirkung von „Besitz" und von „System" Savignys Stellung als Haupt der historischen Schule förderlich gewesen

sein, mindestens in den Kreisen dieser Schule und so lange sie herrschte.

Andererseits aber ist es doch wesentlich, festzustellen,

daß Savignys

vorbildlicher Einfluß nicht auf den Kreis der Schule im

Sinne beschränkt ist.

engeren

Mancher Zeitgenosse, erst recht mancher Spätere,

dem die Lehren von der Volksseele, von der instinktiven Rechtsbildung und vom Vorzug des

Gewohnheitsrechts wenig behagen mochten,

konnte doch an Savigny und zwar gerade an Savignys „Besitz"

Muster und Vorbild finden: eben deshalb, weil hier von allen jenen

Dingen noch mit keiner Andeutung die Rede ist, nicht einmal in der

Weise, daß auch nur unter der Hand dergleichen als notwendige

Voraussetzung oder als allgemeiner Nährboden in Betracht käme. Von irgendwelchem Gedankenzusammenhang zwischen dem „Besitz" und den kennzeichnenden Sonderpunkten im Programm der historischen

Schule vermag ich wenigstens keine Spur zu finden. Die entscheidende Eigentümlichkeit des Besitzes vermag ich aber

auch nicht mehr, wie ich früher tat17), darin zu erblicken, daß hier zum erstenmal der Typus einer Monographie in wissenschaftlichem

Sinne gegeben wäre, zwischen den beiden Extremen des vollständigen Systems

und

der

dürftigen Dissertation,

oder auch

zwischen

beiden Extremen bloßer Dogmatik und bloßer Exegese.

den

Genauere

Beschäftigung mit der Literatur des sinkenden 18. Jahrhunderts hat

daß um 1800 weder der Begriff,

noch die

Muster der exegetisch-dogmatischen Monographie mangelten.

Savigny

mich seitdem belehrt,

hat gewiß einen höheren Grad der Vollendung, eine feinere Hand­ habung der Kunstform erreicht,

aber

schon Nettelbladt

und

seine

Schüler, erst recht A. D. Weber18) hatten sie vorgebildet und so ge­ handhabt, daß sie als eine neue bei Savigny zu gelten nicht bean­ spruchen konnte, wie sie denn auch damals als solche niemand aus­ gefallen zu sein scheint. So bliebe denn doch wieder nur das mit Hugo Gemeinsame

zurück: die liebevolle Versenkung in die Quellen und das daraus gewonnene Verständnis für deren geschichtliche Doppelbedeutung als Stücke klassischer Autoren und als Bestandteile des justinianischen Rechts; die Abwendung von den verflachenden Überlieferungen so-

192

Fünfzehntes Kapitel.

wohl des usus modernus wie des Naturrechts; und die kritische Gründlichkeit und bewußte Selbständigkeit der Forschung. Dafür,

daß Hugo durch ferne Bücher mit diesen seinen Vorzügen auf Savigny inzwischen die starke Wirkung geübt hatte, die seinen Lehrvorträgen versagt geblieben war, haben wir jedenfalls festen Anhalt in der

Besprechung, die Savigny im Jahre 1806 der zweiten und dritten Ausgabe von Hugos Lehrbuch der Geschichte des römischen Rechts gewidmet tjat19). Da trifft Savigny ohne weiteres mit klassischer Sicherheit den'entscheidenden Punkt: „Rechtsgeschichte und Rechts­ altertümer", so schreibt er,

„hatte man

schon längst in einzelnen

Teilen bearbeitet; allmählich wurden diese zu einem Ganzen ver­ bunden; aber auch dieses Ganze wurde nur als eine Vorkenntnis der eigentlichen Wissenschaft betrachtet, und nur um diese bequem

mitteilen und lernen zu können, hatte man es besonders bearbeitet. Bei dem vorliegenden Werke liegt eine höhere Idee zugrunde, nach welcher die ganze Rechtswissenschaft selbst nichts anderes ist als Rechtsgeschichte, so daß eine abgesonderte Bearbeitung der Rechts­

geschichte von jeder anderen Bearbeitung der Rechtswissenschaft nur durch die verschiedene Verteilung von Licht und Schatten unter­ schieden sein kann. Diese Ansicht, die würdigste, die für unsere Wissenschaft gefaßt werden kann, liegt bei unserem Werke nicht bloß deutlich gedacht zugrunde, sondern (was weit mehr wert ist) sie ist durch das ganze Werk in so lebendiger Ausführung verbreitet, daß das sorgfältige Studium desselben am besten dazu dienen kann, die

wahre historische Methode zu erkennen und sich zu eigen zu machen. Durch das ganze Werk erscheint ein Geist, der sich in dem Studium der besten Historiker aller Nationen gebildet hat und in dieser Schule allein kann man lernen, jebed Faktum in seiner historischen Eigen­ tümlichkeit anzuschauen, frei von handwerksmäßiger Beschränktheit,

die in den meisten Büchern über die Nechtsgeschichte herrschend ist." Daran reiht sich eine eingehende Würdigung der einzelnen neuen Behauptungen und Ergebnisse bei Hugo, die mit selbständiger Sicher­ heit das Wesentliche und Förderliche hervorzuheben99), damit aber auch schon einzelne Ausstellungen^) zu verbinden weiß, selbst schon mit vorahnender Feinfühligkeit in bezug

auf Hugos schrullenhaft dunklen Stil, der sich doch erst später recht ausbilden soll. Die Besprechung schließt mit den Worten: „Es gibt ein Merkmal, wo­ durch das genialische Werk von dem bloß gelehrten und nützlichen

I. Savigny bis 1814. 2) Recht des Besitzes.

193

am sichersten und allgemeinsten unterschieden werden kann. Das bloß nützliche Werk beantwortet Fragen, die sich jeder gründliche Ge­ lehrte schon aufgeworfen hatte. Ist es in seiner Art vollendet, so gewährt es uns volle Befriedigung und wir sehen uns auf dieser Seite am Ziele. Das genialische Werk lehrt uns Forderungen und Aufgaben kennen, wovon wir nichts ahnten. Indem es so unseren Begriff von der Wissenschaft erhöht und erweitert, führt es den

freien Blick über sich selbst hinaus in unbestimmte Fernen; und das ist der Eindruck, welchen jeder sinnvolle Leser von unserem Werk

mit hinwegnehmen wird." Man wird diese letzten Worte wohl zu verstehen haben als eine Anspielung auf Savigny selbst: offenbar hat in seinem Falle Hugos genialisches Werk in unbestimmte Ferne über sich hinaus gewirkt, indem die Rechtsgeschichte von 1799 durch die Übertragung ihrer historischen Methode auf dogmatische Aufgaben zu Savignys Besitz von 1803 geführt hat. Die Kontinuität zwischen den Leistungen beider sonst so verschiedenen Männer und damit im Verlaufe der wissenschaftlichen Entwicklung wird dadurch ebenso deutlich wie das selbständige Verdienst Savignys,. das schon durch jene Methoden­ übertragung gegeben ist. Aber im dunklen bleibt doch immer noch das, wodurch Savigny sich vor Hugo so sinnenfällig auszeichnet,

wodurch er der so unendlich erfolgreichere geworden ist. Sollte das wirklich bloß der Glätte und Schönheit des Stils zuzuschreiben sein?

Oder müssen wir uns schließlich begnügen mit einigen Gemeinplätzen über Savignys Stellung auf Hugos Schultern oder über Savignys individuell geniale Meisterschaft? Gewiß ist Art und Maß der Voll­ endung einer wissenschaftlichen wie einer künstlerischen Leistung in letzter Linie stets das Entscheidende für den unmittelbaren Gewinn an Wahrheit oder Schönheit, den wir dem Werke verdanken, gewiß

auch ist gerade diese Vollendung als das Allerpersönlichste an dem Werke keiner weiteren Erklärung fähig; aber eben darum auch keiner weiteren Nachahmung, also nicht maßgebend für den vorbildlichen Einfluß des Werkes in der Geschichte der Wissenschaft oder der Kunst; Aufgabe dieser Geschichte muß es also sein, das Weiterwirkende von der Persönlichkeitswirkung möglichst abzutrennen. Sollte es sich nun nicht dabei für Savigny und gerade für seinen „Besitz" um das handeln, was wir seither Konstruktion im

ausgeprägten Sinne zu nennen uns gewöhnt haben? oder genauer

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. LT. Text.

13

Fünfzehntes Kapitel.

194

gesagt doch wenigstens darum, daß sich ihm die Ergebnisse der sorg­

fältigsten und liebevollsten Quellenauslegung, der strengsten geschicht­ lichen Methode zu einer einheitlich geschlossenen Konstruktion zusammen­ fügen?^) — Das Fertige, Wohlabgerundete, Geschlossene der Savignyschen Forschungsergebnisse wird allseitig als für ihn bezeichnend schon beim „Besitz" hervorgehoben. Keine Zweifel, keine Unklarheiten

bleiben bestehen, werden auch nur als noch möglich zugegeben; die

ältere Literatur wird zu Anfang gründlichst zusammengestellt und besprochen, aber nur, um sie um so vollständiger von dem Kern des Buches ab- und auszuschließen; Kasuistik, die nicht quellenmäßig ge­

geben wäre, kommt nicht vor, und somit wird jede Auseinandersetzung mit dem herrschenden Gerichtsgebrauch sowie mit dem praktischen Lebensbedürfnisse möglichst vermieden; selbst Unebenheiten und Ab­ weichungen vom Grundsatz, die quellenmäßig zugestanden werden müssen — man denke an den „abgeleiteten" Besitz — werden irgend­

wie wieder unter die Regel zurückgeführt; so ergibt sich schließlich, dem äußeren Stil entsprechend, der innere Stil, der klassisch einheit­

liche Bau, in Ausnahmen, Summe der und so alles

dem die Grundregel durch die Anwendungen wie durch die jeder Anwendungs- oder Ausnuhmesatz wieder durch die übrigen Einzelsätze und durch den Grundsatz getragen unlöslich zum Ganzen verbunden erscheint.

Solche Bauwerke hatte, nachdem die Praktiker des usus modernus dazu weder Bedürfnis noch Beruf verspürt hatten, seit dem

Aussterben

der

Doneauschen Richtung

bisher

nur,

mittels

aprioristischen Verfahrens, das Naturrecht aufzuführen verstanden. Nettelbladt und seine Schule hatten an dieser Konstruktionsart fest­ gehalten, und nur versucht, damit den ganz oberflächlichen Beweis zu verbinden, daß der so gewonnene Bau sich mit den positiven Rechtsvorschriften vereinbaren lasse; dabei waren letztere für den

Bau ganz unberücksichtigt geblieben und mußten sich ihm dann wohl oder übel einfügen. In diese Zustände war Hugo mit Feuer und Schwert eingebrochen. Er hatte der positiven Rechtsgrundlage, den Quellen die gebührende Herrschaft zurückerobert; — aber ganz außer­ halb seiner Geistesrichtung lag es, ja er hätte es als Rückfall ins quellenlose Naturrecht verschmäht, irgendwelche innere Ordnung in

das Chaos der aus den Quellen gezogenen Einzelsätze und Einzel­ beobachtungen zu bringen.

Seine rauhe und unbestechliche Kantische

Tugend ^) hielt sich festgeklammert an das Einzelne,

sah

in der

I. Savigny bis 1814.

2) Recht des Besitzes.

195

Unterwerfung darunter, im Verzicht auf jede Abrundung und Massen­ wirkung das Verdienstliche.' Auch bei Thibaut, ja selbst bei Heise handelt es sich wohl mehr um bequem übersichtliche Anordnung als um eigentliche Konstruktion. So mochte man meinen, auf diese mit dem Naturrecht verzichten zu müssen. Da faßt Savigny zu, und

siehe: in der Hand des Meisters ballt sich das Wasser 2Z.

Wie eine

Art von prästabilierter Harmonie ist es, die sich dabei zwischen allen

einzelnen Auslegungsergebnissen ergibt, wenigstens so weit sie sich auf Äußerungen der klassischen Juristen beziehen. Wir dürfen getrost annehmen, daß erst dadurch jener deduktiv verwöhnten Zeit die In­ duktion schmackhaft geworden ist. Hugos Methode mußte man an­ erkennen, aber seine Werke konnte man weder lesen noch verwerten;

Savigny bot auf geschichtlich-empirischer Grundlage ein in der Sache wie in der Form vollendetes harmonisches Ganzes26). Seitdem ist es Jahrzehnte hindurch als selbstverständlich an­ gesehen worden, daß jede wohlgelungene romanistische Monographie einen oder allenfalls einige Grundgedanken müsse aufzustellcn wissen,

unter die sich das gesamte Quellenmaterial lückenlos und möglichst anstoßfrei einordne. Auf die Auffindung eines solchen Grund­ gedankens wenigstens für jedes Rechtsinstitut — nicht so sehr für das ganze Rechtssystem — wurde ein endloses Mühen und Forschen, ein gewaltiges Aufgebot von Scharfsinn verwendet. Daß ein solcher Grundgedanke sich müsse finden lassen, stand gewissermaßen a priori fest: sei es nun, daß man annahm, es könnten doch die römischen Juristen nicht ohne einen solchen ihre Einzelentscheidungen gefällt haben, sei es auch, daß unter der positivistisch-historisch-induktiven Hülle naturrechtliche Gedankenschwingungen fortbestanden und auf diese Weise sich unter der Hand geltend machten. Der heuretische

Hergang im Kopfe des einzelnen Verfasfers entzieht sich ja meist unserer Nachforschung; wer weiß, ob wirklich da der Grundgedanke sich erst aus der Quellenforschung ergab oder ob nicht vielmehr schon

deren fügsames Ergebnis vorweggenommen war. Kaum je wenigstens ist man vor Vergewaltigung einzelner Quellenstellen zugunsten der

Glätte des Ergebnisses zurückgeschreckt — und auch dafür wird man sich auf Savignys Muster berufen können. Ja, wenn diesem später

wohl der Vorwurf gemacht worden ist, daß er noch, weit stärker als ihm bewußt, mit Naturrecht behaftet fei26), so wird die berechtigte Seite dieses Vorwurfes wohl eben hiermit zusammenhängen, wobei 13*

Fünfzehntes Kapitel.

196

freilich zu betonen ist, daß das Bedürfnis nach doktrinärer Geschlossen­

heit und ästhetischer Abrundung ohnehin in Savignys Persönlichkeit

entschieden begründet liegt. So zeigt sich hier wieder, wie so oft wissenschaftsgeschichtlich, daß eine scheinbar ganz verschmähte und über­ wundene Richtung doch auf die neue Richtung hinüberwirkt, und

daß gerade die Werke der neuen Richtung den entschiedensten Erfolg haben, die zwar ausschließlich unter neuer Flagge segeln, aber doch in ihrem Kurs durch jene Unterströmung beeinflußt sind, so daß sie

der Mitwelt keinen zu schroffen Bruch mit bisherigen Denkgewohn­ heiten, der Nachwelt keine zu starke Einseitigkeit zumuten. 3. Für Savigny war übrigens zunächst der „Besitz" nur ein Zwischenspiel, bloß eingeschoben in den großen Forschungsplan über frühmittelalterliche Rechts- und Literärgeschichte2?). Die dazu erforder­ liche Studienreise trat Savigny nun alsbald, nach Ablehnung zweier Berufungen (nach Greifswald und Heidelberg)28), in Muße an; sic führte ihn zunächst nach Westen, über Heidelberg, Stuttgart, Tübingen,

Straßburg zu längerem Aufenthalt nach Paris, wo das Ehepaar mit einer Schwägerin am 2. Dezember 1804 anlangte. Der Tag hat eine gewisse üble Berühmtheit erlangt, weil bei der Einfahrt ein hinten vom Wagen abgeschnittener Koffer verloren ging, und zwar gerade derjenige, der, wennschon nicht, wie vielfach ungenau angegeben wird, die Notizen über die bisherigen Forschungen, so doch die un­ entbehrlichen Vorarbeiten zu den geplanten Studien, als Manuskript­

angaben, Bücherauszüge Verlorene dank eigenem dazu eigens nach Paris wiederhergestellt, so daß

weiter litten.

u. dgl. m., enthielt. Indessen wurde das sicheren Gedächtnisse unter Mitarbeit des gerufenen jungen Jakob ©rtmm29) alsbald die Forschungen unter jenem Verluste nicht

Die Ausbeute war so ergiebig, daß selbst die beiden

begleitenden Damen, so wird uns erzählt, an deren Bergung teil­ nahmen, obschon Savigny in Paris 1805 die einzige Tochter — mehrere Söhne folgten später — geboren wurde. Die Rückreise ging über Metz und Koblenz;

in Marburg wurde während

des

Winters 1805/06 das gesammelte Material geordnet; dann erfolgte der Aufbruch nach dem Osten, wo man Nürnberg, Altdorf, Erlangen, München, Wien besuchte; von dort aus endlich wurden die Schritte

wieder heimwärts gelenkt über Weimar und Kassel nach Frankfurt,

too30) man niederließ.

sich

zunächst bis

auf

weitere Zukunftsentscheidungen

I. Savigny bis 1814.

3) Weiteres Leben u. Vorarbeiten.

197

Natürlich konnte von dem Manne, der seit 1803 zu den leitenden Zivilisten gehörte, nicht erwartet werden, daß er in das untergeordnete Marburger Extraordinariat zurückkehre. Ein seiuer würdiger Posten war dort nicht frei. So ist es zur Wiederaufnahme der Marburger Lehrtätigkeit nach der Studienreise überhaupt nicht gekommen. Ver­

handlungen schwebten mit Jena und zum zweitenmal mit Heidel­ berg, ohne zu einem Erfolge zu führen.

Endlich hat Savigny Früh­

jahr 1808 den Rus als ordentlicher Professor des römischen Rechts an die Universität Landshut angenommen. So kamen damals in Bayern Gönner, Feuerbach und Savigny zusammen, aber freilich nur, um alsbald in unerfreuliche Reibungen

untereinander zu geraten. Namentlich die Gegnerschaft gegen Gönner, die später so scharf hervortreten sollte, scheint sich schon damals vor­ bereitet zu haben, indem Gönner nach seiner Art unter der Hand gegen Savigny wie früher gegen Feuerbach gewühlt zu haben scheint, während Savignys Stellungnahme gegen ihn sich mehr, nach Savignys Art, in vornehmer Zurückhaltung äußerte.

Daß er diese auch gegen Feuerbach anzuschlagen für angemessen hielt, wirkt ja freilich schon etwas befremdlicher, kann aber kaum bezweifelt werden^). Dagegen fand Savigny reiche Befriedigung in dem Ver­ kehr mit dem Professor der katholischen Theologie, späteren Bischof

Johann Michael Sailer^), dessen gemütvolle Religiosität stark auf ihn wirkte und ihn in seiner ähnlichen Entwicklung bestärkte. Ferner umgab ihn in Landshut ein weiterer Kreis anhänglicher und be­ geisterter Schüler, ein engerer Kreis bedeutender und geistesver­

wandter jüngerer Freunde. Von dem Treiben jener und den Per­ sönlichkeiten dieser — Nepomuk Ringseis, Eduard v. Schenk, Salvotti, Freiherr v. Gumppenberg, v. Freyberg, Ludwig Grimm (der Maler) — gibt Bettina uns die Beschreibung in ihrem Bericht über den Aufbruch der Familie Savigny von Landshut, der schon 1810

wieder erfolgte. Zu diesem so raschen Weggang führten nicht sowohl altbajuvarisch fremdenfeindliche oder rheinbündlerische Quertreibereien, denen Savigny ebensogut wie Feuerbach ausgesetzt gewesen ist, aber viel

kühlere Ruhe entgegenbrachte33), als vielmehr eine unablehnbare Auf­

forderung von außen her. Eben empfand Savigny, mochte seine Persönlichkeit und seine Wissenschaft der Politik noch so abgewandt sein, in Bayern den alles vergiftenden und erstickenden Einfluß der

198

Fünfzehntes Kapitel.

kaum verhüllten Fremdherrschaft: da erging an ihn der Ruf, das römische Recht an der neubegründeten Universität Berlin zu ver­ treten, mitzuwirken -ei dem geistigen Ringen, durch das der preußische

Staat sich auf die Abschüttelung des Joches vorbereitete, überzu­ siedeln aus der Ruhe der Provinzialstadt in die von geistigem und politischem Leben erfüllte Residenz — und er zögerte keinen Augen­ blick, diesem Rufe Folge zu leisten. Seitdem zeichnet sich sein Lebens­

lauf nicht mehr ab in Bettinas losen Blättern, sondern in den Annalen der preußischen Geschichte. Wilhelm v. Humboldt hatte ihn dem Könige als denjenigen empfohlen, „von welchem der König die

Vertiefung des Rechtsbewußtseins, die richtige Behandlung und Leitung des ganzen Studiums der Jurisprudenz erwarten dürfe." „Sie müssen noch eher da sein als die Universität", hatte Humboldt dann dem Berufenen geschrieben. So löste dieser unmittelbar seine Landshuter Verpflichtung, um über Salzburg, Wien und Böhmen

— wo er Verwandte seiner Frau besuchte — nach Berlin zu reisen. Er wurde dort sofort in die Kommission zur Einrichtung der Uni­ versität entsandt. In ihr setzte er es durch, daß als Grundlage des Rechtsstudiums das gemeine, nicht das preußische Recht bestimmt, und daß deshalb neben ihm noch ein Romanist berufen wurde, wennschon er selbst auch Vorlesungen über das preußische Landrecht

übernahm und später mehrfach gehalten hat. Andererseits aber ver­ fehlte er auch nicht, dafür zu sorgen, daß der ursprünglichen Absicht entgegen behufs Sicherung einer Verbindung zwischen Theorie und Praxis die juristische Fakultät ihr Spruchkollegium erhielt, für das

Savigny bis zu seinem Austritt daraus (im Jahre 1826) allein 138 Relationen ausgearbcitet hat. Am 10. Oktober 1810 begann

er seine Vorlesungen vor 46 Zuhörern, unter denen sich Göschen, Dirksen, v. Rönne, v. Gerlach befanden; am 29. April 1811 trat

er als ordentliches Mitglied in die historisch-philosophische Klasse der Akademie der Wissenschaften ein; Niebuhrs Vorlesungen über römische Geschichte wohnte er, ein eifriger Zuhörer, bei und schloß mit Niebuhr^) persönlich, sowie mit dem 1811 nach Berlin ge­ wonnenen Eichhorn^) einen auf gegenseitiger höchster Anerkennung begründeten Freundschastsbund. Bei der ersten Rektorwahl fielen auf ihn 10, auf Fichte 11 von 21 abgegebenen Stimmen. Da aber Fichte auf die Fortführung der Geschäfte verzichtete,

so

wurde

Savigny durch unmittelbares königliches Vertrauen am 16. April

TT. Savigny als Gründer der hist. Schule.

1) Ihr Programm.

199

1812 zum Rektorat berufen, das er bis zum 18. Oktober 1813, dem Tage der Leipziger Schlacht, geführt hat, später aber nie wieder „behufs Wahrung schönsten Gedächtnisses." — Das waren die heroischen Jahre der jungen Universität Berlin, Jahre der An­ spannung zunächst aller friedlich wissenschaftlichen, sodann aller

kriegerischen Kräfte. Fast jedermann war schließlich dem bürgerlichen Berufsleben entzogen, die Hörsäle der zu den Waffen strömenden Jugend beraubt, Savigny als Mitglied des Ausschusses zur Er­ richtung von Landwehr und Landsturm beschäftigt. Als Erinnerungs­ zeichen wurde ihm damals das Eiserne Kreuz am weißen Bande

verliehen. Zugleich aber vollzog sich, während eben dieser Jahre, bei Sa­ vigny der Abschluß lange vorbereiteter Entwicklungsreihen auf wissen­ schaftlichem Gebiete. Dafür legen zunächst im Drange dieser Zeit nur einige kürzere Abhandlungen^) mehr symptomatisches Zeugnis ab.

Sobald aber die wiedergewonnene Muße es gestattete, enl faltet

sich die Fülle des Reichtums. Als reifste Frucht traten im Jahre 1815 und 1816 je ein Band der Geschichte des römischen Rechts, im

Mittelalter hervor. Diesen Bänden war aber schon voraufgegangen die programmatisch grundlegende Abhandlung, die nur ihrem äußer­ lichen Anlasse nach eine Gelegenheitsschrift ist „Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", Heidelberg 1814; und in demselben Jahre, das den 1. Band der mittelalterlichen Geschichte brachte, erfolgte die Begründung der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft", zusammen mit Eichhorn und Göschen, darin als erster Artikel des ersten Heftes Savignys Aufsatz „Über den Zweck dieser Zeitschrift" und als Schluß des 1. Bandes Savignys Replik gegen Gönners Streitschrift. Nimmt man hinzu noch die erste Ab­

handlung im 3. Bande der Zeitschrift (1816), in der Savigny „Stimmen für und wider neue Gesetzbücher" bespricht, so dürfte die Summe der Äußerungen vorliegend), durch die Savigny 1814—1816 die historisch-romantische Schule begründet hat. Herrlich wurde diese

Begründung ergänzt durch den Fund des echten Gaius, von dem Savigny gleichfalls noch 1816 in jener Zeitschrift der Welt die erste Kunde zu geben vermochte. II. Von einer Gründung der historischen Schule ^) wird man .m eigentlichen Sinne als von einer bewußten und planmäßigen Tat

Savignys zu reden haben.

Sie ist von ihm mittels eines eigenen

200

Fünfzehntes Kapitel.

Gründungs- und Arbeitsprogrammes betrieben worden, hat sich nicht etwa bloß durch Anschluß und Nachahmung von Schülern und An­

hängern von selbst ergeben. In dieser Beziehung ist früher schon betont worden, daß es durchaus irreführend ist, wenn man häufig Hugo als den eigentlichen Begründer nennt, Savigny nur als das Schulhaupt gelten lassen will. Hugo ist gewiß der unmittelbare Vorgänger und Bahnbrecher Savignys, aber nicht der Begründer einer geschlossenen Schule mit festem Programm, mit fester rechts­ philosophischer Grundlage und mit eigenartigen Zu- und Abneigungen.

Diese Schule, die unter der Gunst der Zcitstimmung eine so rasche

und wunderbare Blüte erlebt hat, ist mit jener Stimmung wieder erloschen, für sie war Savigny Gründer und Haupt, ohne selbst ganz

in sie, weder von vornherein, noch erst recht auf die Dauer aufzu­ gehen. 1. Es wird sich deshalb hier zunächst darum handeln, die Grund­ sätze und bezeichnenden Eigentümlichkeiten dieser Schule aus den Gründungsschriften38) festzustellen. Dieser Aufgabe werden wir uns

nicht entziehen dürfen, obschon hierüber nur allgemein Bekanntes sich wird Vorbringen lassen.

Der Ausgangspunkt ist dem Einleitungsartikel der Zeitschrift zu entnehmen, als dem eigentlichen Programm, dem die Schrift über den Beruf nur aus zufälligem Anlasse vorhergeht. Nach jenem Artikel gibt es zwei Hauptklassen juristischer Ansichten und Methoden, also zwei Juristenschulen „zwischen welchen allein eine Grundverschiedenheit

angenommen werden kann", die geschichtliche und die nichtgeschichtliche Schule, möge letztere nun mehr den Nachdruck auf Philosophie und Naturrecht oder auf den sogenannten gesunden Menschenverstand legen. Stets nimmt diese letztere Schule an, daß jedes Zeitalter sein Dasein, seine Welt, also auch sein Recht selbständig und willkürlich hervorbringe,

die Geschichte kann da nur als „moralisch-politische Beispielsammlung" dienen. Dagegen die geschicht­ liche Schule geht von der Überzeugung aus, daß es „kein vollkommen aus eigener Einsicht und Kraft;

einzelnes und abgesondertes

menschliches Dasein" gibt.

Mit einer

immanenten Notwendigkeit — die übrigens das Prinzip menschlicher

Freiheit nicht aufheben soll — entwickelt sich die Gegenwart jedes einzelnen Menschen und die Gegenwart des Staatsganzen aus den

in der Vergangenheit gegebenen Elementen. So ist also auch die der Gegenwart durch den Zwang unentrinnbarer

Rechtsproduktion

II. Savigny als Gründer der hist. Schule.

1) Ihr Programm.

201

Notwendigkeit an die geschichtlichen Voraussetzungen gebunden.

„Es ist nicht etwa die Rede von einer Wahl zwischen Gutem und Schlech­ tem, so daß das Anerkennen eines Gegebenen gut, das Verwerfen

desselben schlecht, aber gleichwohl möglich wäre. Vielmehr ist dieses Verwerfen des Gegebenen der Strenge nach ganz unmöglich, es be­ herrscht uns unvermeidlich, und wir können uns nur darüber täuschen, nicht es ändern." Deshalb nimmt die geschichtliche Schule an, daß

der Stoff des heutigen Rechts durch die gesamte Vergangenheit der

Nation gegeben ist, also auch ausschließlich durch das Studium dieser Vergangenheit erkannt und frisch erhalten werden kann, während die

ungeschichtliche Schule annimmt, das Recht werde „in jedem Augen­ blick durch die mit der gesetzgebenden Gewalt versehenen Personen mit Willkür hervorgebracht, ganz unabhängig von dem Rechte der vorhergehenden Zeit und nur nach bester Überzeugung, wie sie der gegenwärtige Augenblick gerade mit sich bringe."

Deshalb

werfen

sich die Anhänger der nichtgeschichtlichen Schule vor allem auf dog­ matisch-systematische („anordnende") Arbeit, während die Anhänger der geschichtlichen Schule wünschen, daß vor allem die lange vernach­ lässigte geschichtliche Arbeit nachgeholt werde, zunächst etwa Quellen­ forschung, sodann Suchen und Hcrausgeben alter RechtSmonumentc und schließlich deren geschichtliche Verarbeitung. Dafür rege sich bereits vielerorten ein löblicher Eifer, aber dieser fange eben erst an, cinzusetzen, und ein gewaltiges Arbeitsfeld liege vor ihm. Dennis wenn man auch nicht Mikrologie treiben wolle, so sei doch strenge Detailkenntnis zu erstreben; ist doch eben diese „in aller Geschichte so wenig entbehrlich, daß sie vielmehr das einzige ist, was der Ge­ schichte ihren Wert sichern kann. Eine Rechtsgeschichie, die nicht auf dieser gründlichen Erforschung des einzelnen beruht, kann unter dem Namen großer und kräftiger Ansichten nichts anderes geben, als ein

allgemeines und flaches Räsonnement über halbwahre Tatsachen", — und da wäre selbst rohe Empirie vorzuziehen. Soweit spricht offenbar Savigny zugleich im Namen Eichhorns des geltenden deutschen Privatrechts, reichs- und rechtsgeschichtliche Vorarbeit.

wie für die

Ein reiches Programm wird

entworfen zu Sonderstudien über die Geschichte der deutschen Stadt-

und Landrechte, für die Herausgabe von Rechtsbüchern und von Ur­ kunden, und es wird dessen Erfüllung als unerläßlich für den Fort­ schritt

der

gesamten Wissenschaft treffend

dargetan.

Gleichsam als

paradigmatisches Muster dafür erscheint Eichhorns Studie über den

Ursprung der

städtischen Verfassung

in

Ausführung solcher Sonderarbeiten aber

Fülle jüngerer Kräfte.

Deutschland. überläßt er

Die

weitere

mit Fug

der

Er selbst verbleibt wesentlich bei der Gesamt­

darstellung ganzer Wissensgebiete.

An die Vollendung der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte schließt sich unmittelbar das Erscheinen der „Einleitung in das deutsche

V. Eichhorn.

3) Deutsches Privatrecht.

267

Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts", Göttingen 182327). verfährt

den Grnndsätzen,

nach

die in dem Programm

bereits vorgetragen nnd gerechtfertigt sind.

Sie

von 1815

Darum kann sie sich mit

einer ganz ktirzen Vorrede begnügen nnd auch im Text sich darauf beschränken,

lediglich in

wenigen Zeilen

den „Begriff des deutschen

Privatrechts" anzugeben.

Nur zweierlei hebt die Vorrede hervor: den wissenschaftlichen Zusammenhangs)

des deutschen Rechts darzustellen sei vorzüg­

licher Zweck dieses Handbuches; und das Lehnrecht mit den übrigen

Teilen des deutschen Rechts darin zu verbinden, sei schon durch diesen Zweck erfordert

gewesen.

Demgemäß

ist das Lehnrecht nicht bloß

äußerlich in das Buch ausgenommen, sondern in das System an be­ Unverkennbar zeigt sich hier das­

zeichnender Stelle^) verschmolzen.

selbe Bedürfnis, den Geist des deutschen Rechts, den germanistischen Nechtsstil durch Verwertung aller germanistischen Rechtsgestaltungen zu

erschließen, der sich auch in

der deutschen

Staats- und Rechts­

geschichte bei der Verbindung der Geschichte aller Rechtsmaterien ge­ äußert hat.

Andererseits wird denn aber auch strenger Ernst gemacht

mit dem Grundsätze, nur das ins deutsche Privatrecht zuzulassen, was seinem geschichtlichen und wissenschaftlichen Zusammenhänge nach dort­

hin hehört, d. h. den national gemeinsamen Kern. Bei den Instituten, deren Entwicklung sich wesentlich nur in einzelnen Partikularrechten vollzogen hat, wird bloß der Ansatzpunkt, wo dieser partikularistische Sondertrieb

sich anfügt,

nachgewieseu,

um so „die Gesichtspunkte zu

bezeichnen, aus welchen die Eigentümlichkeiten der Partikularrechte auf­

gefaßt

werden

müssen."

Darum auch benennt sich das Buch

bloß

„Einleitung" in das „deutsche", nicht in das „gemeine deutsche" Privat­

recht,

d. h. es soll nur die

gemeinrechtlichen Prinzipien geben,

die

jedem einzelnen zum deutschen Privatrecht gehörigen Partikularrecht

gemeinsam zugrunde liegen. dadurch

methodologisch

Das gemeine deutsche Privatrecht wird

hingestellt

als Einleitung

in

das Studium

jedes einzelnen deutschen Privatrechts. So erklärt sich schließlich auch die inhaltsreiche

Kürze,

während

„den ganzen Stoff,

welchen die

Quellen des deutschen Rechts enthalten, in einem Buche auch nur

berühren zu wollen nur dem beifallen könnte, der jene Quellen und ihren Inhalt sehr wenig kennt."

Hätte es sich

darum

gehandelt,

möglichst

viel

germanistischen

Rechtsstoff zusammenzuraffen, so hätte diese Selbstbescheidung vielleicht

268

Fünfzehntes Kapitel.

den Tadel verdient, den sie bei Nachfolgern Eichhorns aus der Zeit germanistischen Glnteifers vielfach gefunden hat.

Auch mag ja tat­

sächlich Manches von Eichhorn als nicht gemeinrechtlich abgelehnt worden sein, was die nun einsetzende rege Einzelforschung als national­

deutsch nachgewiesen hat. Aber wieder wird hier durch den Tadel, wie bei der Staats- und Rechtsgeschichte durch das einseitige Lob des

privatrechtlichen Elements, Eichhorns Hauptverdienst verkannt. Deut­ schen und selbst schon germanistischen Rechtsstoff aus den Gebieten stammverwandter Völker hatte das 18. Jahrhundert reichlich gesammelt; es handelte sich um die Sichtung, um die Gewinnung der Mustertypen zur Bildung eines germanistischen Rechtsstils.

Da mußte zunächst

strengstens alles Zweifelhafte ausgeschieden werden, um an denr Zweifel­ losen das Stilgefühl, auf das hier schließlich alles abgestellt ist, zn

schulen und zu festigen; war das einmal erreicht, so war es für die Späteren leicht, weitere Gebiete zu erobern. Diese Eroberungen hat

Eichhorn mittelbar vorbereitet; ihm selbst ist noch jede chauvinistische

sollte, fern. Das zeigt sich besonders auch außerhalb der bisher besprochenen Grenzgebiete Eroberungssucht, wie sie alsbald einreißen

des partikulären deutschen Privatrechts, in Eichhorns Verhältnisse zum römischen Recht, einem Verhältnis, das bei dem Meister anzutreffen

später manchem Jünger doppelt bitter, um nicht gar zu sagen an­ stößig gewesen sein mag. . Gibt doch Eichhorn 1815 selbst noch zu, als außer allem Zweifel

befindlich, daß aus dem römischen Recht „namentlich auch deutsche Rechtsinstitute beurteilt werden können, sofern es für sie im römischen Recht ein analogisches Prinzip der Entscheidung gibt." Und ebenso erklärt die Vorrede zur „Einleitung in das

deutsche Privatrecht": „Einige Institute liegen so auf der Grenze zwischen der Bearbeitung des römischen und deutschen Rechts, daß sie in beide hineingezogen

werden können.

Diese sind,

wo es zweckmäßiger sein dürfte,

ihre

Erörterung dem römischen Rechte zu überlassen, entweder ganz über­ gangen oder nur kurz berührt." Dem entspricht es ferner, lucnit Eichhorn bekanntlich für den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland so bereitwillig fund wohl irrtümlich) auf die Fortdauer

römischer Verfassung in den ursprünglich römischen Städten Deutsch­ lands abstellt30). Von einer Gegnerschaft zwischen romanistischen und germanistischen Anschauungen läßt sich also zur Zeit der Begründung

der historischen Schule nicht reden, am wenigsten bei ihren beiden

V Eichhorn

Wie Savigny

Mitbegründern

269

4. Staats- und Kirchenrecht gerade

die nationale

Bedeutung

des historischen Prinzips für das deutsche Recht betont, diesem davon ungeahnte Wiederbelebung voraussagt, und im „System" bereitwillig

aus

Abgestorbenes

dem geltenden röniischen Recht verweist,

so hat

andererseits Eichhorn gerne dem römischen Recht weitestgehende Be­ Man wird geradezu das Verhalten beider Schul­

deutung gelassen.

häupter als em gegenseitig entgegenkoinmendes bezeichnen dürfen; es erinnert an das Verhältnis zweier Genossen,

von denen jeder lieber

em wenig sich selbst als den andern benachteiligt wissen möchte.

4

Finden die privatrechtlichen Ausführungen der Staats- und

Rechtsgeschichte ihre natürliche dogmatische Fortsetzung und Bestätigung

durch die „Einleitung in das deutsche Prwatrecht",

so würde es an

sich nahegelegen haben, den publizistischen Ausführungen des ersten jener beiden Werke eine ähnliche dogmatische Behandlung des deutschen Staatsrechts

anzuschüeßen.

eine derartige Leistung desten deshalb,

Gegenwart

Indessen

weil er meinte,

hier

der Vergangenheit,

und

ist

uns

schuldig geblieben^).

bekanntlich Eichhorn

Wohl nicht zum min­

jede Verbindung

zwischen

zwischen

der

dem deutschen Bunde

und dem alten Deutschen Reich aus politisch konservativen wie aus positiv-rechtlichen Gründen schroff ablehnen zu müssen.

Es handelt

sich da um einen Bruch mit dem historischen Grundprinzip, zu deni

Eichhorn sich allerdings erst in seinen späteren kränklichen Lebens-

jahren, als bet ihm politisch-staatsmännische Betrachtungsweise überwog, hat drängen lassen, der ihm als solcher kaum zum Bewußtsein gc-

komnien

zu

sein

scheint,

infolgedessen

aber doch

jedenfalls

seine

Methode auf das geltende deutsche Staatsrecht unübertragbar wurde.

Wie er sich damit in seinen akademischen Vortrügen abgefunden hat, muß dahingestellt bleiben. Der geschichtliche Schaffenstrleb, der so vom Staatsrechte abge­ halten wurde, ist um so mehr dem Kirchenrechte zustatten

Hier

stimmten

gekommen.

politisch-konservative Anschauungen, tief religiöse Ge­

sinnung und historisches Prinzip um so besser überein,

hier lagerte

ein unvergleichlich reicher Schatz geschichtlichen Stoffes und geschicht­ licher Überlieferung, hier mündeten die geschichtlich seit der Urzeit des

Ehristentums in unabgebrochener Entwicklung gewachsenen Verhältnisse ohne jeden positiv-rechtlich schneidenden Eingriff unmittelbar hinein m

bas geltende Recht.

Begreiflich, daß Eichhorn diesem Gegenstände die

Muße, bereit er sich zu Beginn der 30 er Jahre erfreute, mit Vor-

Fünfzehntes Kapitel.

270

liebe zuwandte und daher die Überzeugung gewann, in den so ent­

standenen „Grundsätzen des Kirchenrechts"33) sein Bestes gegeben zu haben. Daran ist gewiß soviel richtig, daß das Werk am sorgfältigsten

bis in die Einzelheiten hinein mit genauestem Anschlüsse an die Quellen gearbeitet ist, für das katholische sowohl wie für das protestantische Kirchenrecht, die beide gleich objektiv behandelt sind. Wieder kommt dabei Eichhorn die Gewohnheit zustatten, sich frei über die Literatur­

massen hinwegzusetzen, und dadurch unbehindert in die Quellen zu stürzen. Dem Geiste dieser Quellen, namentlich der grundlegenden reformatorischen Schriften, steht er ohnehin in einer für das prote­ stantische Kirchenrecht förderlichen Weise nahe, vermag aber auch in die katholischen Zusammenhänge sich merkwürdig getreu hineinzudenken34).

Auf diese Weise gelingt es ihm, die naturrechtlichen Deduktionen, die

er z. B. noch in dem früher von ihm bei Lehrvorträgen benutzten G. L. Böhmerschen Lehrbuche überwiegend antraf, zu beseitigen, und so auch für das Gebiet des Kirchenrechts darzutun, 'daß die Über­ windung des Naturrechts ganz erst durch Einführung eines neuen,

des historischen Prinzips erfolgen konnte.

Damit hängt es weiter

zusammen, daß Eichhorn für die Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments nicht nur die Kollegialtheorie verwirft, wie sie bei G- L. Böhmer der konstitutionell-naturrechtlichen Staatsauffassung am

nächsten kommt, sondern auch, wennschon weniger scharf, die Epi­ skopal- und die Territorialtheorie, um vielmehr ausschließlich auf die geschichtlich so verschiedenartigen Ausgangspunkte und Gestaltungen dieser Verhältnisse zu verweisen, und sich dahin zusammenzufassen,

daß ein technischer Ausdruck, der den Inhalt der landesherrlichen Kirchengewalt und ihren Grund für alle Bestandteile und Territorien gleichmäßig kennzeichnete, ^überhaupt nicht möglich ist. Solche kühl objektive, jedem Schlagwort abgeneigte Behandlung dieser Frage, die der geschichtlichen und positiv-rechtlichen Vielgestaltigkeit offen Rechnung trägt, mag zugleich als kennzeichnendes Beispiel für den wahrhaft wissenschaftlichen Geist des ganzen Werkes dienen. Wenn dasselbe nichtsdestoweniger in dem unmittelbaren Erfolge entfernt36) nicht, aber auch in der Geschichte der Rechtswissenschaft

nicht ganz und gar die Bedeutung zu gewinnen berufen war wie Eichhorns frühere Werke, so sind dafür verschiedene Ursachen anzu­

geben.

V. Eichhorn.

271

4) Staats- und Kirchenrecht.

Den Augenblickserfolg anlangend,

so

mag dieser ausgeblieben

sein hauptsächlich wohl gerade wegen der wissenschaftlichen Vorzüge

des Buches.

Bemerkt doch ein genauer Senner36), daß eben in diesem

Ausbleiben für den, der es betrachte,

ein

Wertes liege.

Zeugnis

des

„im Dämmerlichte der damaligen Zeit"

ungeheuren

Fortschrittes

und

inneren

„Eine derartige rein aus die Sache gerichtete Wissen­

schaftlichkeit und Objektivität war auf kirchenrechtlichem Gebiete neu. Die klassische.Ruhe und Nüchternheit, welche das Buch charakterisiert, hatte in dem Jahrzehnt, welches vom Lärm des Kölner Kirchenllreits

erregt und erfüllt war, nicht auf großen Beifall zu rechnen."

Man

vielleicht durch eben das, was Eichhorn als

mag hinzunehmen,

daß

Gewinn empfand,

durch die Muße bei der Ausarbeitung, die Leb­

haftigkeit und Großzügigkeit seiner älteren Leistungen hier wesentlich abgeschwächt worden sein mag.

An Stelle des jugendlichen Feuers

ist der blasse Zug eines kränklichen,

der Hypochondrie zuneigenden

Alters getreten, und das' mochten gerade die Zeitgenossen empfinden.

Dagegen die literärgeschichtliche Bedeutung betreffend, so dürften die Dinge etwas verwickelter liegen.

Für die Staats- und Rechts­

geschichte wie für die Einleitung ins deutsche Privatrecht kann man klipp und klar behaupten, daß sie die historische Methode aus diese

beiden

Gebiete zuerst übertragen, ja diese Methode mindestens für

diese beiden Gebiete zuerst geschaffen haben.

Nun mag ja Eichhorn

in seinen Vorlesungen37) auch damals sofort schon von dieser Methode

aus

das

Kirchenrecht Anwendung

gemacht

haben;

das wäre

ent­

scheidend, wenn wir hier die Kraft seiner Begabung, den Wert seiner Persönlichkeit zu würdigen Hütten. Für die Wissenschaftsgeschichte aber ist nun einmal die Priorität der in die große Öffentlichkeit hinaustretenden Leistung maßgebend,

und da wird man denn doch

nicht über Walters Lehrbuch hinwegzusehen vermögen.

Gewiß beruht

dies seinerseits wieder, mindestens bis zum Abschlüsse des Mittelalters,

auf den kirchenrechtlichen und kirchengeschichtlichen Abschnitten in den drei ersten Bänden von Eichhorns Staats- und Rechtsgeschichte36); gewiß kann es in seiner ganzen Ausdehnung mit Eichhorns quellen­

mäßiger Gründlichkeit und wissenschaftlicher Tiefe

Vergleich gesetzt werden.

entfernt nicht in

Immerhin ist doch Walter in der historischen

Methode herangewachsen und geschult — wennschon nicht zum mindesten

durch Eichhorn selbst —; Walter möchte wenigstens diese Methode auf das kirchenrechtliche Gebiet übertragen und, wenn nicht schon die

Fünfzehntes Kapitel.

272

erste Auflage seines Lehrbuches von 1822, so doch die zweite, stark umgearbeitetc von 1823 wird als „anerkennenswerter Anfang" zur

Ausführung dieses Planes bezeichnet werden müssen.

Selbst da, wo

Walter sich an Eichhorns Rechtsgeschichte anlehnt, ist doch mindestens die geschlossene kirchenrechtliche Zusammenstellung sein Werk. — Außer­ dem fehlt es vor Eichhorns Kirchenrecht auch nicht an kleineren, aber nicht unwichtigen kanonistischen Untersuchungen, die schon ganz das Ge­ präge der historischen Schule tragen, z. B. von F. A. Biener (Jnqui-

sitionsprozeß, 1827) und von I. W. Bickell (Extravaganten, 1825,

Paleae, 1827)39).

Und überhaupt: — die ganze Wissenschaft steht zu

Beginn der 30 er Jahre so volländig unter der Herrschaft des histo­

rischen Prinzips,

die ganze wissenschaftliche Atmosphäre ist so davon

eingenommen, daß schon deshalb dem einzelnen Buche keine so bahn­ brechende Bedeutung beigelcgt werden kann, wenn es selbst jenem

Prinzip ein neues und wichtiges Sondergebiet gewonnen hätte.

Man

wird deshalb für Eichhorns Kirchenrecht sich darauf beschränken müssen,

es

als

die erste

wahrhaft

gründliche

und

wissenschaftliche

Durch­

führung der historischen Schnlmethode auf diesen Stoff zu bezeichnen,

durch Vie mindestens protestantischerseits jeder Rückfall in naturrecht­ liche Behandlung unmöglich gemacht wurde.

So hat es denn auch

für die, namentlich interkonfessionelle, Bearbeitung des Kirchenrechts gerade den bedeutenderen seiner Nachfolger, durch die es überholt worden ist, zum Muster gedient. Das gilt namentlich für Ämilius

Ludwig Richter und für dessen

nur um ein Jahrzehnt später er­

schienenes Lehrbuch, dem der große äußere Erfolg zufallen sollte.

5. Ruhmes genug, wenn es für einen Gelehrten als geringe Gabe erscheint, daß einem seiner Bücher „bloß" solches Lob zu spenden

ist.

Erst recht aber, wenn, wie hier der Fall, gerade die Ursache der

Einschränkung dieses Lobes auf desselben Gelehrten eigenste frühere richtunggebende Tätigkeit zurückverweist.

Auf diese frühere Tätigkeit wird bei der Gesamtwürdigung das Hauptgewicht zu legen sein.

umgestaltet

ist,

an

Nicht in der Erscheinung, wie er später

Rüstigkeit

des

Leibes

und Frische

des Geistes

schwer geschädigt, auf das Land zurückgezogen oder in praktischen Ämtern zu Berlin, dem Forschungsgebiete seiner Jugend immer mehr entfremdet,

als

bundesrechtlicher

der Verfasser Deduktionen

privatfürstenrechtlicher oder erscheint Eichhorn der

offiziös­

Geschichte der

deutschen Rechtswissenschaft: sondern so, wie er in sie eingetreteu ist.

V. Eichhorn.

273

5) Stellung und Bedeutung.

unternehmungslustig und erfolgsfreudig, voll frischen Mutes und ge­

sunder Zuversicht, wie er als Freiheitskämpfer sich bewährt hat, als

der „Rittmeister Markulf"40) der Göttinger Studenten, als der junge Gelehrte,

der

dem' germanistischen

Flügel

der

historischen

Schule

voraufsprengt, indessen Savigny mehr vom grünen Tische aus in strategischer Ruhe die Gesamtdispositionen zum Siege trifft und den Sieg ausnutzt.

Den Ausgangspunkt der historischen Auffassung bildet bei Eich­ horn wie bei Savigny die Abneigung gegen die aufklärerischen und

naturrechtlichen Ideen

der unmittelbar vorhergehenden Generation.

Diese Abneigung scheint bei Eichhorn schon im jüngeren Knabenalter,

gegen 1792, ausgeprägt gewesen zu sein44), ja selbst damals schon sich mit einer positiv vaterländischen, preußisch-friderizianischen Gesin­

nung verbunden zu haben.

Im übrigen ist er nicht so früh-wie

Savigny zu Selbständigkeit und Selbstbestimmung gekommen, sondern hat sich bei aller Wissensfülle zunächst gerne die ihm als Göttinger

Professorensohn sorgsam geebneten Wege führen lassen.

Eine gewisse

wissenschaftliche Gleichgültigkeit scheint zunächst seine Kräfte noch im

Bann gehalten zu haben, während er doch schon aus Hugos Lehr­ vortrag fast unwillkürlich den Eindruck empfing, daß es mit dessen

Kenntnis

des

römischen

Rechts

„Jedoch war ich weit entfernt,"

eine

besondere

Bewandtnis

berichtet er dann weiter4?),

habe. „daran

zu denken, daß mir einst seine Vortrüge das eigentliche Licht in das Verfahren beim deutschen Recht bringen würden, und hatte von dem eigentlichen Geist, in dem die eigentliche Jurisprudenz behandelt werden

müsse,

noch

sehr

unvollkommene Vorstellungen."

Das wird man

doch wohl dahin verstehen müssen, daß Eichhorn in jenen Vortrügen,

wennschon zunächst unbewußt, die von Hugo ausgestreute Saat in sich ausgenommen hat, die dann später zu selbständiger Reife bei ihm ge­ diehen und hervorgebrochen ist. So würde zugleich der beste Einklang hergestellt zwischen jener und einer anderen rückblickenden Äußerung4?)

Eichhorns, in der er bemerkt, erst zehn Jahre nach Beginn seines Universitätsstudiums sei er „durch eigenes Hin- und Hergreifen" end­ lich auf den richtigen Weg gekommen mit der Einsicht,

„daß alles

Verständnis der Jurisprudenz auf geschichtlicher Anschauung beruht." Das bringt uns bis ins Jahr 1807 und bestätigt uns zugleich

aufs glücklichste, daß spätestens damals, ein Jahr vor dem Erscheinen

des ersten Bandes der Staats- lind Rechtsgeschichte, das Prinzip der Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

18

Fünfzehntes Kapitel.

274

historischen Rechtsauffassung bei Eichhorn seststand, ohne Anlehnung

an Savigny,

unter unmittelbarem Vorgänge ausschließlich Hugos.

Wie für Savigny, so sind für Eichhorn die Zeiten des napoleonischen Elends in diesem Sinne entscheidend geworden, nur für Eichhorn

eher noch rascher und mit stärker vaterländischer Wendung zum deut­ schen Rechte hin. Dagegen findet sich bei Eichhorn weit geringere Neigung zu methodologischen Auseinandersetzungen; wo er solche, wie in dem Programmartikel der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissen­ schaft, nicht vermeiden kann, bleiben sie doch immer auf die Bedürf­ nisse des einzelnen Faches, auf dessen besondere ^Verhältnisse und Vorbedingungen zugeschnitten und beschränkt.

Für Weitergehendes ist

man deshalb bei Eichhorn fast ausschließlich auf gelegentliche ver­ sprengte Äußerungen angewiesen. Die wichtigsten darunter sind wohl die beiden soeben wörtlich mitgeteilten.

Eine Anzahl weiterer findet

sich namentlich in den letzten Paragraphen des letzten Bandes der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Soweit aus diesen Anhaltspunkten

sich

ein Urteil gewinnen

läßt, dürfte Eichhorns geschichtliche Rechtsauffassung zunächst mehr allgemeinhin aus geschichtlichem Gefühl und Kontinuitätsbedürfnis hervorgewachsen sein, als verstandesmäßig auf einer theoretischen

Rechtsentstehungslehre beruhen.

Die festere, dann aber auch ganz

klare und unerschütterliche Begründung beginnt für ihn, solange er

allein steht, offenbar erst bei dem praktischen Bedürfnisse für das deutsche Recht, in einerseits national lebhafter, andererseits nüchterner

Erwägung des hier zu lösenden gemeinrechtlichen Problems. An etwas wie die „Würde der Wissenschaft" denkt er nicht, diese mochte ihm von selbst mit der Sicherung wahrhaft wissenschaftlicher Behand­ lung gesichert erscheinen.

Erst später, nachdem er mit Savigny und

dessen Schriften näher bekannt geworden war, dürfte Eichhorn sich der allgemein rechtsphilosophischen Fundamentierung der historischen

Schule

im] großen und ganzen angeschlossen

haben,

eher

durch

billigendes Stillschweigen und'Hinnehmen, als ausdrücklich, also selbst­

verständlich auch Namentlich der Romantik ist doch wohl tiefer,

unter Vorbehalt mancher Abweichung. von dem literarisch-mystisch-Schellingschen Elemente

bei Eichhorn, dem der alte Göttinger Rationalismus als er selbst meint, noch im Blute liegt, auch nicht

das mindeste zu finden.

Um so bereitwilliger mußte Eichhorn den

mehr evolutionistischen Bestandteil von Savignys Lehre annehmen.

V. Eichhorn.

5) Stellung und Bedeutung.

275

wonach Staat und Recht Ergebnisse eines bestimmt gegebenen gesell­ schaftlichen Zustandes und darum kein Produkt menschlicher Willkür sind.

Das genügt einerseits zur Begründung der maßvoll, aber fest

konservativen Gesinnung und zur Ablehnung der naturrechtlich revo­ lutionären Grundsätze gemeinsam mit Savigny: und gestattet anderer­ seits eine von Savigny abweichende Stellungnahme in der Frage der

Gesetzgebung.

Nicht als ob Eichhorn diese Abweichung je betont hätte,

er läßt sie gerne möglichst zurücktreten, aber er räumt doch em"), „daß in den meisten deutschen Staaten nach dem Jahre 1815 ein

Bedürfnis vorhanden gewesen sei, neue Verfassungsgesetze aufzustellen,

welche alle öffentlichen Verhältnisse umfaßten"; und vollends bei Be­ sprechung der großen Kodifikationen des 18. Jahrhunderts hält er sich

weit entfernt von Savignys abspre'chender Kritik, hebt vielmehr objektiv gerecht Licht- und Schattenseiten hervor, bereit, anzuerkennen, daß man der Lösung der großen Aufgabe sich immerhin „in einem ge­

wissen Grade zu-nähern vermochte."

Eine Art von Vermittlungs­

versuch zwischen dieser und der Savignyschen Auffassung dürfte er­ strebt sein, wenn Eichhorn schließlich bemerkt"): „Fortwährend ist in der neuesten Zeit, auch in den deutschen Staaten von kleineren. Um­

fang, der Wunsch nach einer ähnlichen Gesetzgebung, wie sie die beiden größten erhalten haben, ausgesprochen worden.

Das Bedürfnis einer

bürgerlichen Gesetzgebung überhaupt wird kaum in Abrede zu stellen sein.

Bei unbefangener Betrachtung desselben läßt sich aber schwerlich

bezweifeln, daß die Beibehaltung der bisherigen Quellen des gemeinen

Rechts, besonders in kleineren Staaten, nicht wohl entbehrt werden könne, wenn man nicht einen Verfall der Rechtswissenschaft herbei­

führen will,

der für die Anwendung jjeder Art svon Gesetzen viel

nachteiliger werden muß, als die Unsicherheit des Rechts und die Un­ zulänglichkeit der vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen über viele

Institute des Rechts.

Vor einer ähnlichen, die formelle Gültigkeit

des gemeinen Rechts ganz aufhebenden Gesetzgebung dürfte es daher für die meisten Staaten vielleicht den Vorzug verdienen, dem einen

wie dem anderen jener Gebrechen durch wirklich organische Gesetze

und durch die Entscheidung der wichtigsten Kontroversen des gemeinen Rechts abzuhelfen, da hierbei jene Gefahr nicht eintritt." — Über den alten Kern der Streitfrage, eine allgemeine Kodifikation für ganz

Deutschland, herrscht hier tiefes Stillschweigen, wie man leicht wahr­ nehmen wird aus gutem Grunde.

Fünfzehntes Kapitel.

276

Gemeinsam

haben Eichhorn und Savigny

das ausgeprägte Nationalitütsbewußtsein.

das

vaterländische,

Bezeichnend aber selbst da

wieder die Unterschiede in der Färbung und in der Form des Auf­

tretens. Während Savigny seine Rechtsaufsassung nach dieser Seite hin programmatisch herausarbeitet und dadurch mit der nationalen Bewegung der Freiheitskriege in Verbindung setzt, um sodann aber" mit geschickter Seitenwendung den Vorteil daraus dem Studium wesentlich des römischen Rechts zu sichern, steht Eichhorn durch seinen Stoff schon der vaterländischen Aufsassung soviel näher, daß bei ihm ein kurzer Hinweis im Vorwort genügt, um die ganze Staats- und Rechtsgeschichte in ihrer Bedeutung als nationale Tat zu kennzeichnen,

den ersten Band besonders als das Verdienst desjenigen,

der am

Vaterlande in dessen schwerster Stünde nicht verzweifelt. Von irgend­ welchem romantischen Überschwang, von einer Vorliebe für die ältesten oder mittelalterlichen Zeiten, für die unbewußten Rcchtsbildungen aus

germanischen Urwäldern ist aber nirgends die Rede.

Verschmäht doch

selbst Eichhorn, wie schon oft hervorgehoben, jeden polemischen Aus­ fall gegen die herrschende Stellung des römischen Rechts. Wie man sieht, steht Eichhorn eigentlich Hugo weit näher, als Savigny je zu Hugo stand. Nur durch gegenseitiges Entgegenkommen

und gelegentlich vorsichtiges Verhüllen der Verschiedenheiten wurde es Savigny und Eichhorn möglich, ihre Tätigkeit zum Dienste eines gemeinsamen Zieles zu verbinden. Dabei hat aber entschieden Eich­ horn, und sei es auch nur stillschweigend, die stärkeren Einräumungen gemacht, er hat eben die theoretische, geschichtsphilosophische Funda­ mentierung Savigny fast ausschließlich überlassen.

Dadurch erklärt

es sich, daß auch die Germanisten, die sachlich auf Eichhorns Schultern stehen, methodologisch und in der ganzen wissenschaftlichen Grund­ stimmung durch die Savigny-Puchtaschen Anschauungen stark beein­ flußt wurden. Und so wird es denn allerdings für die ganze historische Schule ausgesprochen werden müssen: Ist sie von Hugo entscheidend vorbereitet, ist sie von Eichhorn selbständig mitbegründet und ist ihre Aufgabe für das einheimische Recht von Eichhorn sieghaft der Lösung

zugeführt, ihr eigentliches Schulhaupt, das ihr den Stempel seines Geistes dauernd ausgeprägt hat, bleibt Savigny. Dem entspricht es, wenn Savignys Name in weiteren Kreisen berühmt geblieben ist, während Eichhorn das bescheidenere Los der meisten Fachgelehrten, selbst der epochemachenden, zuficl. Aus Savignys

VI. Jakob Stimm, als Jurist.

1) Erstlinge.

277

„Beruf" mag jeder gebildete Laie wenigstens einzelne Abschnitte mit

Interesse lesen;

Eichhorn hat bloß für die Fachgenossen geschrieben.

Auch ist sein Stil nicht so klar und vollendet, wie für weitere Wir­ kung wünschenswert.

Schließlich aber mag man bedenken, daß es

ihm, dem ohnehin bescheidenen Gelehrten, durch die kränklich hypo­

chondrische Gemütsstimmung späterer Jahre verwehrt geblieben ist, in

sich das gebührende Selbstbewußtsein voll zu entwickeln: sonst hätte er schwerlich Stellungen im praktischen Staatsdienste angenommen,

durch die

er sich immerhin dem Minister v. Savigny unterordnete.

Etwas wie eine leichte Abtönung ist denn doch dadurch, wenigstens für das Auge der Menge, auf die Lichtbilder der beiden Dioskuren der

historischen

Schule zuungunsten Eichhorns

Der nationale

gefallen.

Ruhmeskranz aber, den die Gelehrtengeschichte der Zeit zu vergeben

hat, der Kranz, dem Eichhorn soviel näher kam als der Romanist Savigny, ohne ihn doch zu erreichen, er war der Schläfe eines noch

Größeren bestimmt.

als

VI. Jakob Grimms können wir Juristen gewiß nicht

ausschließlich den Unseren in Anspruch nehmens;

wir müssen uns

schon bescheiden, uns mit Grammatikern und Mythologen in ihn zu teilen.

Aber

gerade

auf

dieser Verbindung

beruht die einzigartige

Stellung des Mannes in unserer Wissenschaft.

Was Savigny und

die historische Schule nur als theoretische Wahrheit gelehrt hatten,

die Einheit von Sprache, Religion, Sitte und Recht, Jakob Grimm hat es gelebt und in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit verwirklicht. Darum ist freilich sein Interesse am Rechtsleben fast ausschließ­ lich der Vergangenheit,

der Altertumskunde

zugewendet;

als Teil

dieser letzteren fast nur beschäftigt ihn die deutsche Rechtsentwicklung. Dadurch tritt er in die Ergünzungsstellung zu Eichhorn, dem das Historische

bloß

zur

Erkenntnis

der

Gegenwart

dienen

soll;

in

bewußt komplementärem Gegensatz zu diesem, dem „historischen Rechts­

gelehrten", nennt Grimm sich felßft3) einen „Altertumsforscher". Jener erläutere das Neue aus der Geschichte des Alten, dieser das Alte

aus dem Alten selbst und nur Hilfsweise aus dem Jüngeren;

jener

lasse das ganz Veraltete, dieser das bloß Neue beiseite liegen. Jener ist gezwungen, das Alte dem System des neuen Rechts einzufügen, dieser wird geneigt sein, die vielgestaltige Erscheinung des Alten auf

ihrer breiteren, ‘freieren Grundlage ruhen zu lassen.

zugsweise Erwägung,

Begründung

und Darstellung

„Hier ist vor­

geboten,

dort

Fünfzehntes Kapitel.

278

Sammlung und einfache Erzählung" — mit diesen letzten vier Wörtern

hat Grimm seine juristischen Schriften genau bezeichnet. 1. Die Erstlinge derselben verdanken wir der Anregung

durch

die Gründung der historischen Schule im eigentlichen Sinne, nament­ lich durch die Gründung der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissen­

schaft". Begeisterter Lieblingsschüler Savignys aus den herrlichen Mar­ burger Jahren her,

wurde Grimm

durch diesen schon vom Plane

dieser Gründung benachrichtigt und zur Mitarbeit ausgefordert.

Da.

es sich nun so gut traf, daß er damals bereits, ohne alle Gedanken

an eine solche Verwertung, fürs alte deutsche Recht gesammelt hatte, so erschien noch im ersten Bande der Zeitschrift sein Artikel „Über

eine eigene -altgermanische Weise der Mordsühne",

der

aber

doch

wieder nur ein Vorläufer ist für die berühmte Abhandlung im zweiten

Bande „Von der Poesie im Recht".

Das ist die Abhandlung, durch

welche nach einem Ausspruche Uhlands^) Grimm den Goldfaden der

Poesie selbst in derjenigen Wissenschaft, die man sonst als eine trockene zu betrachten pflegt, im deutschen Recht gesponnen hat.

Die frische Lebendigkeit, die volkstümliche Symbolik,

die Liebe

zur Prägung poetischer Sprichwörter und zur Verwertung sinnlicher Merkmale, die Frömmigkeit, Ehrlichkeit und selbst Vergnügtheit des

alten deutschen Rechts werden da hoch gepriesen und durch eine reiche Menge von Einzelheiten vorgeführt.

Der Leser fühlt ordentlich, wie

die Fülle des Stoffes, der Grimm dafür zur Verfügung steht, sich nur schwer bewältigen und zusammeudrüngen lassen will, er sieht aber auch, mit welcher schlichten Wärme, mit welcher geistigen Über­

macht die Einzelheiten gemeistert und zum Bilde zusammengetönt sind. Die Stimmung vergnügter Frommheit, wie er. selbst sie dem alten Rechte nachrühmt, erfüllt Grimm persönlich den Überresten dieses

Rechts gegenüber und führt ihm hier wie bei seinem ganzen Schaffen

die Feder; sein Stil selbst nähert sich dem des alten deutschen Rechts, ist wie dieser poetisch, frisch anschaulich, gesund-kräftig, bei aller zurück­ haltenden Bescheidenheit, die sich dem Stoffe anschlicßt und sich von

ihm tragen zu lassen scheint, während sie ihn gestaltet.

Es handelt

sich um eine Art poetischen Nachschaffens, nicht ohne unbewußtes Um­ dichten, wie bei wahrhaft dichterischer Übertragung selbstverständlich.

Was Eichhorn in streng-logischer Entwicklung für die deutsche Rechts­ prosa, das leistet hier in genialem Wurfe Grimm für die deutsche

Rechtspoesie, die Stilisierung.

Aber er leistet es doch auch wieder

VI. Jakob Grimm, als Jurist.

279

2) Deutsche Rechtsaltertümer.

nur auf Grund seines gewaltigen, alle Zweige und Stämme") ger­

manischer Vorzeit

umspannenden Wissens,

das

in

den

Dienst

der

vaterländischen Sache gestellt ist. 2. Ihre volle ^Verwertung

fand die inzwischen eifrigst weiter­

betriebene Sainmeltätigkeit Grimms dann bekanntlich in seinem großen Werke, das, in den Jahren 1827 und 1828 aus den Vorstudien herausgearbeitet, schon August 1828 fertiggestellt war: den „Deutschen

Rechtsaltertümern"6).

Eine Sammlung und Arbeit einzig in ihrer

Art, so unterschieden von den Leistungen Früherer wie der Helle Tag

und der gebildete Geschmack von düsterer Verwirrung und barbarischer Roheit.

Nicht sowohl der, wennschon überwältigende,

Reichtum der

Quellenkenntnisse aus der historischen und poetischen Literatur aller

Zeiten und Völker?) ist das Entscheidende, als vielmehr die Sicher­

heit, womit diese Schätze gehandhabt und geklärt werden, eine Sicher­ heit,

der

offenbar

die Philologische

Methode

zugrundeliegt.

Diese

Methode, wie sie von Grimm erst für das Deutsche oder Germanische

geschaffen ist, lehrt, ohne das berechtigte Walten der Phantasie aus­ zuschließen, sowohl diplomatische Genauigkeit wie Anwendung fester

Regeln statt wilden Ratens bei der Erschließung der Bedeutung ver­

schollener Wörter und Dinge, im Gegensatz zu dem Verfahren, das

wir früher z. B. bei Grupen und Dreyer zu beobachten hatten.

Inso­

fern ist es vielleicht mehr noch der Philologe, der Grammatiker und

Ethymologe Grimm, dem die Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte zu Dank verpflichtet ist als der Jurist — wenn nicht eben doch einzig richtig in seiner Verbindung aller dieser Fächer der Kern wie seines

Wesens so seiner Verdienste zu erblicken wäre.

Den Fortschritt, den

er damit einführte, hat er selbst später einmal ganz unwillkürlich

gekennzeichnet, wenn er zur Kritik einer wild-dilettantischen Schrift

äußert b), billig hätte ein solches Verfahren „dem Heineccius und seiner Zeit überlassen werden sollen." — „Wenn die Echtheit unseres Textes unangreifbar dasteht, so bleibt nichts weiter übrig, als sich in Geduld

zu fassen, um ihn hinzunehmen wie er ist;

die Verständnisse können

allmählich folgen."

Das ist eine echt philologische Lehre, zugleich aber auch der klare

Ausdruck

der

Unbefangenheit und

Grimm an die Texte herantrat.

Anspruchslosigkeit^),

mit

denen

Es kommt ihm weniger darauf an,

diesen irgendwelche Ergebnisse, geschweige denn dogmatische Ergebnisse für das geltende Recht abzugewinneu, als sich ihrer um ihrer selbst

Fünfzehntes Kapitel.

280 willen zu erfreuen.

„Ohne alle Rücksicht auf Praxis uud heutiges

System, Materialien für das sinnliche Element der deutschen Rechts­

geschichte vollständig und getreu zu sammeln", so bestimmt er selbst

seinen Zweck in der Vorrede.

Und ebenso bemerkt er weiter10), „um

die Anordnung der Materien habe er nicht verlegen sein können; denn

sie sei hier, vielmehr

wo es nicht auf Zergliederung des ganzen Rechtssystems,

bloß

auf Ergreifung

des

altertümlichen

ankam,

beinahe

gleichgültig gewesen.

So wird denn der Stoff in leicht übersichtlicher,

gefälliger Weise

sechs Bücher zerlegt,

in

(mit Ausnahme

die

kürzeren vierten) wiederum in Kapitel zerfallen

des

Diesen sechs

Büchern ist eine Einleitung vorangestellt, die zunächst die altertüm­

lichen Formen der Rechtssprache, die Terminologie, die Alliteration,

den Reim, die Tautologie, den negativen Schlußsatz, dann die Formeln

und darauf in sehr ausführlicher Weise die Maße, die Symbole und bereits die Abhandlung

die Zahlen erörtert, Gegenstände, die

von der Poesie im Recht besprochen hatte, nur daß jetzt alles in weiterem Rahmen, in reicherer Ausstattung erscheint. Freilich hatte dafür die Jugendschrift den Vorzug leichterer Übersichtlichkeit; in dem

großen Werke ist der Stoff nicht selten so überwältigend, daß ein bloßes Aneinanderreihen ausgehobener Quellenstellen für eine zusammen­

hängende Darstellung entschädigen muß.

Denn auch in dieser Be­

ziehung herrscht völlige Ungezwungenheit;

bald werden knappe Be­

merkungen für ausreichend gehalten, bald ausgeführte Erörterungen

angestellt, überall aber erfreut der Reiz eines liebenswürdigen Sub­

jektivismus.

Nichts ist dieser Art fremder als die Absicht ängstlicher

Vollkommenheit ober logischer, zwingender Beweisführung.

Das Buch

will anregen, Fragen aufwerfen, mögliche Lösungen Vorschlägen, die

aber, wenn sie als unhaltbar erkannt werden sollten, gerne besseren

weichen.

Auch auf dies Buch hätten die schönen, vor die Geschichte

der deutschen Sprache gestellten Worte angewendet werden können:

Wer nichts wagt, gewinnt nichts, und man darf mitten unter dem

Greifen nach der neuen Frucht auch den Mut des Fehlens haben." So erscheint das Werk so recht als ein solches nicht des Abschlusses, sondern des Beginnes einer neueren Zeit, bestimmt nicht bloß durch

seine Vorzüge zu wirken, sondern auch zu Ergänzungen anzuregen,

z. B. gegenüber

seiner Vorliebe für das bäuerliche Recht zur Be­

tonung des Wertes der Stadtrechte,

Gleichgültigkeit

zur praktischen

gegenüber seiner dogmatischen

Veru>ertnng.

Indem

es

aber

die

VI. Jakob Grimm, als Jurist.

3) Kleinere Beiträge.

281

deutschen Juristen zu solchen Ausgaben anspornt, vermittelt es ihnen den Grimmschen Geist lauterer und stiller Vaterlandsliebe, der sich von allem Phrasenschwall entfernt in die Herzens- und Gefühlswärme

umsetzt,

die

Arbeiten,"

Grimms

ganze Lebensarbeit

durchzieht.

„Alle

meine

so sprach er selbst es am Schlüsse dieses Lebens au§n),

„wandten sich auf das Vaterland, von dessen Boden

sie auch ihre

Kraft entnehmen: mir schwebte unbewußt und bewußt vor, daß es

mts am sichersten führe und leite, daß wir ihm znerst verpflichtet seien."

Dieser Verpflichtung kommt er nach durch die Ehrfurcht vor

der vaterländischen Vergangenheit,

gerecht würdigenden Urteil zu dunkler

erscheinende

herauszugreifen,

So

Seiten.

durch die Bemühung zu einem

gelangen

mochte,

auch

um

über

nur

deren

zunächst

eine Einzelheit

die deutsche Kriminalrechtswissenschaft, die bis vor

kurzem noch im Banne der Aufklärung über das Strafensystem des

deutschen Mittelalters nicht laut genug sich zu entrüsten gewußt hatte, nunmehr

dem

fünften Buche

von Grimms Rechtsaltertümern

ent­

nehmen, eine wie kernhafte, entschlossen tatkräftige und ehrlich offene

Gesinnung sich mit jenen allerdings entsetzlichen Strafdrohungen ver­ bindet^).

So

wendet sich

schon die Vorrede zu den Rechtsalter-

tümern mit fast einseitiger Leidenschaftlichkeit in einer oft angeführten Stelle13) gegen diejenigen, die unserem alten Rechte den Vorwurf der

Roheit, Unsittlichkeit oder Abgeschmacktheit gemacht haben.

Gewiß sei

einzelnes dergleichen aufzufinden, aber wir sollten eingedenk sein, daß neben jenem Rohen, Wilden oder Gemeinen, das uns beleidige, die

erfreuende Reinheit, Milde und Tugend der Vorfahren leuchte.

Diese

Eigenschafteu seien hervorzukehren; an dem Beispiel der Römer und Griechen sollten wir lernen, unser Altertum, statt es zu erniedrigen,

vielmehr von der erhebenden Seite zu betrachten — die Gegenwart

biete wahrlich genug,

wennschon andere,

so darum nicht geringere

Schattenseiten als jene vielgeschmähte Urzeit: an die Stelle der Fehler aus überschießender Jugendkraft seien nur die Fehler der Greisen­

schwäche getreten. 3. Über eine Reihe kleinerer Beiträge Grimms zum deutschen

Recht, die aus späterer Zeit stammen, müssen wir kurz hinweggehen. Genannt feien14): Die Antrittsvorlesung, mit der er am 30. April

1841 seine Vorträge über die deutschen Rechtsaltertümer eröffnete, gedruckt in den „Kleineren Schriften" 8, 545 s.; die Abhandlung über „die Notnunft an Frauen"18); und namentlich die Vorrede von 1850

282

Fünfzehntes Kapitel.

zu Merkels Ausgabe der Lex Salica, eine Vorrede, die ein größeres

Werk von ganz selbständiger Natur darstellt. Bekanntlich wird darin über die Malbergische Glosse gehandelt und deren rein deutscher

Sprachcharakter gegen eine keltische Annahme des Historikers Leo sieg­

haft gewahrt. Außerdem sei hervorgehoben, daß in Grimms „Geschichte der deutschen Sprache" ein eigener Abschnitt über den Zusammenhang von Recht, Glaube und Sitte handelt; und es sei erinnert an die Savigny zum 50 jährigen Doktorjubiläum gewidmete, schon deshalb uns gehörige Schrift „Über das Wort des Besitzes", abgedruckt in

den „Kleineren Schriften" 1, 113 f.

4. Uns bei diesen kürzeren Beiträgen nicht zu verweilen, mahnt der Ausblick auf die Sammlung der Weistiimer. — Wie schwer die meisten dieser Rechtsquellen zugänglich waren, hatte Grimm von jeher

schmerzlich empfunden, da er ihnen stets besondere Bedeutung beimaß, für das Recht etwa die Rolle zuerkannte wie den Märchen und Sagen für Glaube und Sitte. So hatte er schon früh seinen Sammel­

eifer ihnen zugewandt mit dem Ergebnis, daß ihm dauernd, selbst aus schwer zugänglichen Archiven, Stoff zuströmte. Mit seiner ganzen Zuversicht und Tatkraft übernahm er auf eigene Hand dessen Heraus­ gabe, während er doch gleichzeitig mit so vielen anderen großen Plänen sich trug; mit der stattlichen Reihe von Bänden, zu der diese Aus­

gabe anschwellen sollte, sinden wir ihn nun bis an sein Lebensende hin beschäftigt; schließlich aber hat er es auch sicherzustellen gewußt, daß nicht einmal durch seinen Tod das schier unbeendbare Werk ab­

geschnitten worden ist. Zuerst erschien 1839 (durch eine zufällige Fügung) der zweite Band

von etwa 800 enggedruckten Seiten16); bald daraus fast ebenso stark der erste; und bereits 1842 reihte sich daran der dritte Band. Ein weiterer Band, der, statt der dürftigen Vorreden der drei vorher­ gehenden, eine gründliche Besprechung bringen sollte, war schon damals geplant; aber die Sache kam nun ins Stocken, bis sich nach Über­ windung der schlimmen Jahre dafür eine ganz neue Anknüpfung und damit die für das große vaterländische Unternehmen notwendig ge­

wordene breitere ökonomische Grundlage finden sollte. Die historische Kommission bei der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften

in München, dieselbe, mit deren Namen das Titelblatt auch dieses Buches sich schmücken darf, war es, die bei ihrer ersten Versammlung am 29. September 1859 auf Grimms Vortrag die Fortführung der

VI. Jakob Grimm, als Jurist.

4) Weistümer.

Weistümerausgabe in ihr Arbeitsprogramm aufnahm.

283

So konnte der

Greis sich getrost wieder seiner „alten Flamme" zuwenden.

1863 er­

schien, herausgegeben durch die Kommission, der vierte Band der Weis­

tümer, noch ganz von Grimm gearbeitet, mit seinem längeren, wenn­

schon nicht ganz so umfassend wie geplant ausgefallenen „Vorbericht", datiert vom 12. Dezember 1862. ja Jakob Grimm gestorben;

Am 20. September 1863 ist dann

sein Werk aber wurde von der Stätte

aus, die er ihm zu sichern gewußt hatte, durchgeführt in zwei weiteren

Bünden, und einem Registerband, erschienen 1866, 1869 und 1878. Das

unmittelbare

Verdienst für diese drei Bände,

wissenschaftliche

hauptsächlich für das Register, durch das die ganze Sammlung regel­

mäßiger Benutzung eigentlich erst erschlossen ivorden ist, gebührt nun freilich Anderen, hauptsächlich einem noch Lebenden, Richard Schröder;

fragen wir jedoch nach dem Verdienst der Anregung nicht allein dazu,

sondern auch zu zahlreichen ergänzenden Sammlungen mehr Provin­ zieller Natur, die sich inzwischen eingestellt haben17), so werden wir doch wieder aus Jakob Grimm zurückverwiesen.

Das, was er damit für das deutsche Recht geleistet hat, spricht für sich selbst; es bedarf keiner weiteren Schilderung, erst recht keiner

Würdigung aus anderer Feder.

Statt einer solchen sei die Selbst­

anzeige angeführt, die er schließlich noch für den vierten Band in die

„Göttingischen Gelehrten Anzeigen" geschrieben hat^). Mit berechtigtem

Selbstbewußtsein darf er da hervorhcben, daß diese Weistümer „ganz eigentlich seine Sache" sind; „

Hätte ich nicht Hand an sie gelegt,

so wären sie nie gesammelt worden

; solcher Weistümer ein paar

Tausende habe ich gerettet, weit eine größere Anzahl ist verkommen

und untergegangen; die bisherigen Germanisten achteten darauf so gut wie nicht, wußten davon so gut wie nichts."

Und doch komme

ihnen der höchste Wert zu für deutsches Recht, deutsche Sitte, deut­ sches Wesen; Ausflüsse seien sie des frischen freien Rechts, unter dem

Volke selbst als Brauch entsprungen,

in seinen Gerichten zum Recht

geweiht, als solches nicht weichend noch wankend, keiner Gesetzgebung

von

feiten des

Herrschers

bedürftig,

in deutlichem Zusammenhang

nicht selten zurückverweisend auf die alten lateinisch geschriebenen Volks­ rechte und darüber hinaus, bis unmittelbar auf die heidnische Urzeit und ihr Rechtslebeu; nicht auf den Inhalt allein komme

an,

sondern

der kundige Leser werde

es hierfür

oft schon gefesselt durch diese

oder jene besonders kernhafte, besonders schöne sprachliche Wendung.

284

Fünfzehntes Kapitel.

— So aufgefaßt enthalten die Weistüiner wirklich nicht bloß, wie

manche bis dahin annahmen, „eine Erläuterung der (Verhältnisse der Huber und Meier"19), sondern ihre Kenntnis wird maßgebend für die Erkenntnis der deutschen Vorzeit.

5. Die knapp sechs Jahre, um die Jakob Grimm (geb. 4. Januar 1785) jünger ist als Savigny, haben eine merkwürdige Bedeutung

gewonnen. Zunächst schon dadurch, daß dieser Altersunterschied hmreichte, um den Jüngeren zum Schüler des Älteren zu machen, ein Verhält­

nis, das zu würdigen und ztl rühmeii Grimm lebenslänglich iticht müde geworden ist20). Von Savigny erst habe er gelernt, was es überhaupt heiße, etwas studieren zu wollen, sei es die Wissenschaft

der Rechte oder eine andere; dazu sei er durch Savigny geradezu erweckt worden. Savignys Vorlesungen hätten ihn aufs gewaltigste ergriffen, auf sein ganzes „Leben und Studieren entscheidendsten Ein­ fluß" erlangt. Savignys Beispiel habe ihn noch da getrieben, w» Grimms Lernbegierde sich an Stellen niederließ, die Savignys eigener

Fuß nie betrat. — Man wird ja die Tragweite solcher dankbar ge­ stimmter Äußerungen nicht jüberschätzen mögen; auch ohne Savigny wäre wohl Grimm — eben Grimm geworden; aber immerhin beweisen sie eine erste Beeinflussung, die denn doch mindestens m Einzelheiten maßgebend gewirkt haben dürfte. So kann gar nicht bezweifelt werden21), daß Grimm die Lehre von der Rechtsentstehung aus der historischen Schule einfach übernommen hat, und daß er dllrch die Aufforderung,

sich an der Zeitschrift f. geschichtl. RW. zu beteiligen, zu seinen ersten juristischen Beiträgen sich hat bestimmen lassen. Und an diese ersten juristischen Arbeiten knüpfen doch wieder die weiteren an. Gewiß ist dabei Grimm von vornherein nicht nur Savignys Schüler, sondern

gleich schon ganz er selbst. Gewiß übernimmt er des bloß deshalb, weil sie seinem eigenen innersten Wesen weiß sich deshalb auch die poetischen Goldkörner aus Spürsinn hervorzusuchen; aber mindestens das wird

Meisters Lehre entspricht, und ihr mit feinem man mit Fug

bezweifeln dürfen, ob ohne den durch Savigny hergestellten Zusammen­ hang Grimm sich der Rechtswissenschaft überhaupt in solchem Maße schriftstellerisch angenommen haben würde. Ja, würde er auch nur

das Recht fortwährend unter den Lebensäußerungen der deutschen Volksvergangenheit mitberücksichtigt, würde er ihm neben Sprache, Glaube und Sitte einen vollkommen gleichberechtigten Platz eingeräumt

VI. Jakob Grimm, als Jurist.

haben,

ohne Savignhs

Einfluß

wissenschaft mindestens berechtigt

5) Stellung und Bedeutung.

285

So wird die Rechts­

und Lehre?

sein, in Grimms Schülerverhältnis

zu Savigny den Quell reichen Gelvinns zu finden, der sich ihr dar­ aus erschließen sollte.

Der kurze Altersunterschied zlvischen beiden Männern Ivar aber auch schon hinlänglich, um den Jüngeren in weit entschiedenerer Weise

der eigentlichen Romantik znzuführen.

Während Eichhorn noch ganz

in dem Rationalismus Alt-Göttingens wurzelt; während Savigny in eigenartiger Überlegenheit einzelne Züge der Romantik entlehnt und ihr

zurückhaltend

übrigens

gegenübersteht,

ist

Grimm

Romantiker

romantischen Zeit­

durch und durch, genährt und getragen von dem

geist, mit dem er groß geworden ist, dessen wissenschaftliche Blüte er

Bei ihm ist die geradezu ideale Mischung erreicht zwischen

darstellt.

wissenschaftlich

strenger

Methodik als Mittel

Auffassung als Anregung

romantisch freier

und

und Ziel der Forschung.

Darum nimmt

er Savignhs Rechtsentstehungslehre an, nicht wie dieser selbst, um der Würde der Wissenschaft willen, sondern als Selbstverständlichkeit, als nur diesem Fache angepaßten Ausdruck eines allgemeinen Mensch­

Daher seine Betonung

heitskulturgesetzes, in dem er lebt und webt. der

im Recht,

Poesie

daher

sein Sinn für älteste, heidnische oder

mittelalterliche Zeiten, daher seine Vorliebe für Bauernsprachen gegen­ über den städtischen Rechtsquellen. Daher auch, wenn er sich über das römische Recht ausspricht, seine Hinneigung zu den Überresten

aus dessen ältester Zeit, die noch

„die kern hafte Natur und Stärke

des alten Rechts" atmen. — Darum aber auch hat ihn seine Art der Romantik

nie

gehindert,

das Recht

der Gegenwart

einerseits,

wissenschaftliche Bedeutung der späteren römischen Klassiker

seits voll anznerkennen.

Selbst die Rezeption

die

anderer­

des römischen Rechts

nimmt er hin als geschichtliche, nicht wieder einfach aus dem Gange

der Entwicklung rückwärts zu tilgende Tatsache.

„Man könnte sagen,

das römische Recht erscheine fast nur als Doktrin und wissenschaft­

liche Ausbildung, selten mehr als Gesetzquelle ist ein

ungeheurer geistreicher Kommentar

das römische Recht

ohne Text,

das deutsche

Recht ein tüchtiger Text, der noch nicht kommentiert worden, wie er es wert ist22)."

Das römische Recht einfach gewaltsam aus unserem

Rechtsleben herauszureißen, erscheint Grimm22) „ein fast so unerträg­

licher Purismus, als wollte ein Engländer den Gedanken durchführen,

daß es noch

möglich sei,

die romanischen Wörter aus dem heutigen

Fünfzehntes Kapitel.

286

Englisch zu drängen und bloß die Wörter deutschen Ursprungs zu

erhalten.

Eine andere Frage sei die, ob man nicht manche einheimische,

verloren gegangene, treffliche und unserer deutschen Art mehr zusagende

Einrichtung der Vorzeit teilweise zurückrtlfen könne, um mit ihr Lücken zu füllen, die das römische Recht ließ",

der Gegenwart nicht

Forderungen

oder sie da,

mehr

wo dieses den

genügen könne,

an dessen

So hat Grimm sich in klaren Worten noch aus­

Stelle zu setzen.

gesprochen 1846 inmitten der großen Frankfurter Germanistenversammlung, als er deren auf Uhlands Vorschlag ihm einstimmig angetragenen Vorsitz übernahm^). Diese erfreuliche Übereinstimmung in der Ge­ samtauffassung

zwischen Savigny,

Eichhorn und Grimm gesellt sie

einander bei der Begründung der historischen Schule, wennschon die kreiden ersteren zu dem Gründungsvorgange Grimm nicht eigentlich zugezogen haben.

durch

seine

Aber er steht dauernd neben ihnen und ergänzt

rechtswissenschaftlichen

Werke

Eichhorns

germanistische

Tätigkeit.

Romanistischerseits könnte man etwa eine ähnliche Stellung neben

Savigny beanspruchen für Niebuhr. juristischen Boden

Aber dieser hat denn doch den

nicht selbst bebaut, so stark er aus ihn hinüber­

gewirkt hat durch seine römische Geschichte (1811), durch seinen Fund

des echten Gaius in Verona wie durch seine

kirchenpolitischen Ver­

handlungen in Rom, und nicht am mindesten durch persönliche An­ regung während seiner akademischen Tätigkeit, sei es früher zu Berlin, sei es später (Frühjahr 1825 bis zu seinem Tode, 2. Januar 1831) zu Bonn,

als eine Säule

der

jungen Universität,

die mit

durch

Niebuhr zu einem Hauptstützpunkte der gesamten philologisch-historischen

Richtung geworden ist.'

Sechzehntes Kapitel.

Die Frühblütezeit der historischen schule. I. Die Frühblüte selbst. 1) Romanistik. 2) Germanistik. 3) Lehen-, Kirchenund Strafrecht. II. Die Spekulation. 1) Hegel. 2) Gans. 3) Stahl. III. Der Positivismus. 1) Mühlenbruch. 2) Linde und Bayer. 3) Das Strafrecht und Wächter. 4) Deutsches Staatsrecht. 5) Das Territorialstaatsrecht und Mohl. IV. Mittermaier. 1) Leben. 2) Schriften. 3) Würdigung.

I. Durch die historische Schule sind eine große Anzahl tüchtiger

Gelehrter zu gleichartiger Arbeit gewonnen worden.

Es ist dadurch

bewirkt worden, daß sich der allgemeine Durchschnitt des juristischen

Wissens und Könnens wesentlich hob,

itnb daß man zu einer Herr­

schaft über den ganzen Rechtskörper gelangte-, auf der fußend man

dann ja wohl auch zu einer kritischen Revision der Schulgrundsätze selbst vorgehen mochte.

Zunächst aber handelt es sich um eine erste,

frische Blütezeit der historischen Schule. 1. Für das Gebiet des römischen Rechts namentlich hat Savignys

Lehre

und Beispiel

entscheidend gewirkt.

Hier kann man geradezu

von einer festen Schulzugehörigkeit einzelner Genossen oder Jünger des Meisters redenZ. Dabei fehlt es freilich auch nicht an Unab­ hängigeren, die dennoch in sachlicher Übereinstimmung sich derselben

geschichtlichen Aufgabe widmen. An

erster Stelle

der Schulgenossen

ist zweifellos zu nennen

I. F. L. Göschen?) (1778—1837), dem die Ehre zuteil ward, neben Savigny und Eichhorn als Herausgeber der „Zeitschrift für geschicht­

liche Rechtswissenschaft" zu stehen, wie er ihnen als Professor an der

288

Sechzehntes Kapitel.

Universität Berlin zugesellt war.

Schon seine Doktordissertation zeigt

ihn ganz aus den Pfaden der historischen Schule, beschäftigt mit texteskritischen Bemühungen um Paulus, Ulpian und das klassisch vor­ justinianische Recht überhaupt. Dem entspricht die Hauptleistung seines

Lebens: er war es, der neben den: berühmten Philologen Immanuel Bekker von der Berliner Akademie der Wissenschaften damit beauftragt wurde, den wiedergefundenen echten Gains herauszugeben, eine Arbeit,

die er in den Jahren 1817—1820 vollbracht hat. Dabei hat er offenbar die sichere kritische Methode und diplomatische Genauigkeit bei der Textesauslegung eben von Bekker erlernt und übernommen, der ihm zu Anfang des Veroneser Aufenthalts Witte Juni bis Ende Juli 1817) zur Seite stand, und dem diese Eigenschaften besonders

nachgerüh'mt werdens. Auch hat Göschen nicht ganz unwesentliche Hilfe dabei seitens des jugendlichen Bethmann-Hollweg gefunden, der

als Freiwilliger ihm zur Seite geeilt war.

Aber dass er aus Grund

jener philologischen Lehren die erste Gaiusausgabe von 18204) so trefflich zustandegebracht hat, ist doch wesentlich Göschens eigenes Werk und Verdienst. Für diese Trefflichkeit spricht schon der Um­

stand, daß Bluhme bei neuer Durchsicht des Veroneser Codex re-

scriptus, obgleich ihr die gesteigerte Wirkung chemischer Reagenzien

zugute kam, nur eine geringe Nachlese gewinnen konnte, auf Grund deren Göschen die zweite Ausgabe von 1824 lieferte. Entscheidend aber ist das Zeugnis, das Göschen von dem genauesten Sachkenner

auf Grund peinlichster Nachprüfung in weit späterer Zeit, nämlich noch 1884 von Studemund in diesem Sinne ausgestellt worden ist5). So konnte die Benutzung des Gaius sofort von wissenschaftlich sicherer Grundlage aus einsetzen.

Ans derselben Zeit etwa wie die Gaiusausgabe stammen mehrere Artikels von Göschen in der „Zeitschrift" über verwandte Stoffe. Später aber, von 1821 ab, d. h. seit seiner Übersiedlung von Berlin

nach Göttingen, ist er im wesentlichen?) verstummt: nur Grundrisse

zu seinen Vorlesungen über das gemeine Zivilrecht mit Einschaltung einzelner quellenkritischer Exkurse hat er noch veröffentlicht^). Die Vorlesungen selbst, die er danach zu halten pflegte, sind erst nach seinem Tode, 1838 und 1839, in drei umfangreichen Bänden auf Grund genauer Niederschrift veröffentlicht worden. Sie zeichnen sich aus durch eine Quellenmüßigkeit und einen romanistifchen Purismus,

die ihn bis zu starker Anlehnung an Westenberg zurückgeführt haben.

I. Dse F-rühblüte selbst. 1) Romanistik. obschon

nach

es

handeln soll.

dem Titel sich

289

um geltendes gemeines Zivilrecht

Dieser Rückgriff auf die altholländische, ausschließlich

humanistische Richtung entbehrt nicht der Traweite; er ist ein deut­

liches Symptom für die Gefährlichkeit des antiquarischen Interesses, sobald die Schule sich der Neigung überließ, diesem einseitig zu huldigen. Ganz hat es ja freilich an Warnungen dagegen von vornherein

nicht gefehlt, auch nicht aus dem Chor der unbedingten Schulanhünger, Ivie denn z. B. Johann Christian Hasses einmal von „Verirrungen der sogenannten historisch-juristischen Methode" schreibt^). Man wird diese Äußerung aus dieser Feder wohl begreifen, wenn man bedenkt,

daß zwar einerseits Hasse von Anfang einer der eifrigsten Mitarbeiter an der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" gewesen ist, daß er Savigny seinen „Lehrer und Freund"n) nennt, daß er aber auch undererseits aus Thibauts Schule hervorgegangeu ist

und stets laut

bekannt hat, wie viel er dem geistvollen Unterricht dieses Zivilisten Es kommt hinzu, daß Hasse auch Germanist war, um

verdanke^).

ihm eine außergewöhnliche Stellung zu sichern.

Namentlich wurde

er dadurch gerade auf das geführt, was die historische Schule sonst oft programmwidrig vernachlässigt hat,

auf die spätere Verbindung

beider Rcchtsstoffe zum usus modernus hänge,

von

die

da

wieder zur

neueren

und auf die Zusammen­

Landesgesetzgebnng,

zum

preußischen Landrecht wie zum Code Napoleon hinüberführen. Hasses erstes Hauptwerk ist „die Culpa des römischen Rechts,

eine zivilistische

Abhandlung",

Kiel

18151S).

Die

Schuldlehre

ist

darin mit einer Quellenmäßigkeit und Folgerichtigkeit entwickelt, die dem Inhalt sofort allseitige Anerkennung verschafft und namentlich

dem Grundsätze von der lediglich zweifachen Abstufung der Culpa-

grade zum dauernden Siege verholfen hat.

Grundsatz, den

Es handelt sich um einen

schon Doneau vertreten hatte, worauf Hasses Auf­

merksamkeit durch Thibaut gelenkt worden war; so wird hier eine Behauptung

des

großen Renaissancefranzosen

auf

eine

Anregung

Dhibauts hin durch die Savignysche Methode der Qnellenauslegung

und Konstruktion erfolgreich verfochten.

Was dabei Hasse als Mit­

glied der historischen Schule vollgültig kennzeichnet, das ist das echt

geschichtliche Verständnis für Sprachgebrauch und Sinn der römischen Juristen.

Noch heute

dürften manchen

Wortkünsteleien

gegenüber

seine ablehnenden Bemerkungen wohl am Platze sein, einem so feinen

und treffenden Sprach- und Rechtsgefühle geben sie Ausdruck").

Landdberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

19

Sechzehntes Kapitel.

290

Schon ehe Hasse sich diesem Werke zuwandte, hatte er sich mehr­ fach mit dem ehelichen Güterrecht befaßt15), namentlich and) von der deutschrechtlichen Seite her, wobei er freilich über eine Behandlung nach romanistischem Schema (Leugnung eines condominium

plurium in solidum,

d. i.

eines Gesamteigentums)

nicht hinaus­

gekommen war. Er trug sich mit der Absicht, diesen Stoff romanistisch und germanistisch durchzuarbeiten und von da aus bis zu der gegen­ wärtigen Gestaltung durchzudringen. In Ausführung dieses Planes

erschien, Berlin 1824, ein erster Band: „Das Güterrecht der Ehc-

gatten nach römischem Recht", der über älteres römisches Ehe- und Scheidungsrecht, den Charakter und die Bestellung der dos aus­

schließlich handelt.

In weiteren Teilen sollte die Umgestaltung durch

die kaiserlichen Konstitutionen, das germanische Güterrecht und den usus modernus besprochen werden. Gewiß eine vielverheißende historische Gliederung, nur daß leider Hasse über jenen ersten Band nicht hinausgekommen ist, der selbst kaum den ihm zugewiesenen Ge­ schichtsabschnitt erledigt. So blieben alle germanistischen Vorarbeiten

unbenutzt und auch hier die Leistungen der historischen Schule auf das ältere römische Recht beschränkt. Nur auf zwei engeren Gebieten hat Hasse tatsächlich in zwei besonderen Aufsätzen^) die Anwendung und Durchführung derartiger Anschauungen geliefert, in musterhafter Weise verbunden mit quellenmäßiger Textauslegung einerseits und mit Berücksichtigung des Bedürfnisses der Praxis andererseits: für die Lehren nämlich von der Universitas facti und von der Bedeutung

der Liquidität bei der Aufrechnung. Die Schaffenskraft seiner letzten Jahre hat Haffe, der 1821 als Rechtslehrer nach Bonn gegangen war, im übrigen dem Rheinischen

Museum zugewandt, einem Unternehmen, das als Sammel- und Tummelplatz der historischen Schulrichtung an der jungen Hochschule von ihm 1827 zusammen mit A. Boekh, Niebuhr und C. A. Brandis Wie schon diese Namen zeigen, handelt es sich dabei keineswegs ausschließlich um die Rechtswissenschaft, sondern um deren Verbindung mit Philologie, mit Geschichte und selbst mit

gegründet wurde.

griechischer Philosophie behufs Betätigung geschichtlicher Geistesgemein­ schaft. Der Gedanke zu dieser äußerlichen Beurkundung innerlicher Verbrüderung rührt von Haffe her, das Vorwort von Niebuhr, der darin die römische Jurisprudenz als den „Mittelpunkt der Rechts­

wissenschaft" bezeichnet mit dem Zusätze, sie werde es immer bleiben.

I. Die Frühblüte selbst.

1) Romanistik.

291

„wofern nicht Scholastik und Barbarei einmal wieder obsiegen." Der erste Band zerfällt in zwei Abteilungen, die eine für Jurisprudenz,

die andere für Philosophie, Geschichte nnd Philologie von etwa gleich starkem Umfange. Aber schon im zweiten Bande ist diese äußerliche Verbindung der Wissenschaften gelöst, das Museum spaltet sich nun

in zwei Linien, deren juristische nun „Rheinisches Museum für Juris­ prudenz" heißt, herausgegeben von F. Blume, I. C. Hasse, G. F. Puchta und Ed. Pugge1?), Bonn 1828.

Damit ist in dieser Linie die Zeit­

schrift zum Organ rein der rechtshistorischen Schule geworden und hat als solches sogar den frühen Tod Hasses noch einige Zeit über= lebt18), getragen durch jüngere Vertreter derselben Schule, deren Bonner Wirksamkeit uns später beschäftigen wirb19).

Die andere Linie, das

„Rheinische Museum für Philologie", erfreut sich noch heute eines blühenden Daseins"). — Hasses Artikel im „Museum"91) sind durchweg romanistischen, vorwiegend rein römischen Inhalts. Gerade der um­ fangreichste darunter aber zeichnet sich doch auch wieder aus durch

besondere Rücksicht auf die späteren gemeinrechtlichen Bildungen und auf praktische Verwertbarkeit. Ihnen allen ist mit Hasses Schriften eine einfache Klarheit der Gedankenführung wie der Sprache gemeinsam, die an die besten Vorbilder unter den Zeit­

überhaupt

genossen erinnert. Schon vor Hasse hatte die Culpalehre eine Bearbeitung") nach historischer Methode gefunden durch v. Löhr") (1784—1851), der sich dann dauernd durch zahlreiche kleinere Arbeiten, Studien und

Aufsätze") im Sinne der Schule betätigt und dadurch das Studium des römischen Rechts in vielen Einzelheiten gefördert hat. Sein um­ fassender Plan, einen Kommentar zu sämtlichen justinianischen Kon­ stitutionen zu schreiben, ist leider unausgeführt geblieben,

obschon

kürzere Vorarbeiten in Form akademischer Programme von 1811 und 1812") ihn als dafür berufen deutlich kennzeichneten. Sollen doch diese und ähnliche seiner Arbeiten Thibaut die Äußerung abgewonnen

haben, wie viel an Zweifeln und Mühseligkeiten den späteren Forschern erspart geblieben wäre, wenn Justinian Löhr zum Quaestor sacri palatii gehabt hätte. Auch Löhr ist übrigens, wie man schon jener

Anerkennung durch Thibaut entnehmen mag, nicht ausschließlich int Banne der engeren Schule, obschon seine Arbeiten nach Methode und nach Stoffgebiet sich ganz daran anschließen; er hat namentlich noch

als Schüler und Freund Hugo nahegestanden.

Sechzehntes Kapitel.

292

Um so fester hält sich an die Lehre nnd an die Person Savignys Unterhvlzner28) (1787—1838), der, zunächst der Wissenschaft durch

Feuerbach gewonnen und dadurch zuerst hauptsächlich mit dem Straf­

recht und mit dessen philosophischer Begründung beschäftigt2?), dann 1809 zu Landshut mit Savigny in nahe Berührung kam und nun

dauernd von diesem gefesselt wurde.

Durch Savignys Vermittlung

wurde er auch 1811 nach Breslau berufen, das durch seine Tätigkeit zum weiteren Hort der neuen Richtung geworden ist.

Von Unterholzner enthalten die beiden ersten Bände der „Zeit­ schrift für geschichtliche Rechtswissenschaft"

älteres römisches Recht.

schon je zwei Artikel über

Sein „Entwurf zu einem Lehrgebäude des

bei den Römern geltenden Rechts", Breslau 1817 erschienen, hebt

schon durch den Titel genügend den romanistisch-puristischen Gegensatz

gegen gemeinrechtliche Mischdarstellungen hervor.

Namentlich aber die

Vorrede zu diesem Entwurf vertritt die Savignysche Lehre nicht ohne

persönliche Auffassung, indem sie sich gegen die Kodifikationsfreunde wendet und im Gegensatz dazu geschichtliche Vertiefung und wissen-

schaftlichc

Rechtsfortbildung

fordert.

Ganz

im

Sinne

Savignys

werden veraltete oder vermorschte Stücke des römischen Rechts gern

preisgegeben, um so eifriger ist freie Bewegung und wissenschaftliche Kon­ tinuität gewahrt.

Auf die Pflege des Sinnes hierfür wird bei der

Charakteristik der „geschichtlichen Schule" der Ton gelegt.

Diese Vor­

rede ist wohl das eindringlichst und bedeutsamste, ivas außer Sa­ vignys Schriften gegen die philosophische Schule und über die Grund­

sätze der geschichtlichen Schule vor Puchtas Auftreten erschienen ist. —

Daran reiht sich Unterholzners Beteiligung als fleißiger Mitarbeiter (später auch Mitherausgeber) am „Rheinischen Museum", von dessen erstem Bande ab bis zu Ende, 1827—183428).

Unterholzners Hauptwerk aber ist die „Ausführliche Entwicklung der

gesamten

Verjährungslehre

aus

den

gemeinen

geltenden Rechten", zwei Bände, Leipzig 182829).

in Deutschland

Er hat damit für

dieses Gebiet das geleistet, was durch Löhr und Hasse für die culpa

geleistet worden ist: eine monographisch-quellenmäßige Durcharbeitung von derjenigen Gründlichkeit und Geschlossenheit, wie sie den An­

sprüchen der Schule genugtut.

Die bedenklich konstruktive Neigung

führt freilich zu unerfreulicher Verschmelzung (der verschiedenen Ver­ jährungsarten, als ob sie ein Rechtsinstitut bildeten. aber

doch

der Wert

der zahlreichen

und

Darum bleibt

sorgfältigen Einzelunter-

I. Die Frühblüte selbst. suchungen

ungeschmälert.

Aus

1) Romanistik.

ähnlichen

293

Gründen

des juristischen

Scharfsinnes und Taktes bezüglich der Einzelheiten genießt auch UnterHolzners „Quellenmäßige Zusammenstellung der Lehre des römischen Rechts von den Schuldverhältnissen mit Berücksichtigung der heutigen

Anwendung",

nach

des Verfassers Tode

in zwei Bünden

gegeben von Huschle, Leipzig 1840, allgemeines Ansehen.

heraus­ Daneben

freilich enthält diese Titelüberschrift zugleich eine ebenso unfreiwillige

wie bezeichnende Selbstkritik: es handelt sich wirklich lediglich um Zu­ sammenstellung statt um Ergründung, und die „Berücksichtigung der

heutigen Anwendung"

hinkt

auch

im Buche

nur unorganisch an­

gehängt nach.s?

Zu den bisher genannten gesellen sich noch einige Schulanhänger, die

weniger

auch mit in

hervortreten.

So Klenze88),

der

ja

eine Zeitlang

die Redaktion der „Zeitschrift für geschichtliche Rechts­

wissenschaft" eintrat, mancherlei rechtshistorische Verdienste, besonders

auf dem Gebiete der Forschung aber auch strafrechtliche Arbeiten

nach

neuen Quellen,

„aus den Quellen"

sich

erwarb,

geliefert hat.

Ferner der eifrige Vertreter und Verbreiter der jungen historischen

Schule im Auslande, Warnkönig8Z, der von dorther stets in naher Berührung, in regem Ideen- und Notizenaustausch mit den Schul­

genossen blieb.

Von ihm rührt das erste ausgeführte Institutionen­

lehrbuch her, das in etwa den Ansprüchen der Schule genugtat, wenn­ schon es lateinisch geschrieben ist, um in Belgien, wo Warnkönig da­

mals lehrte, benutzt werden zu können.

Dagegen wurde die erste, im

Gegensatz zu Schweppes berüchtigt-unerfreulichem Machwerk82) neueren Forderungen genügende und ausführlichere82) Geschichte des römischen Privatrechts bis Justinian geliefert in b$ei Bänden, Heidelberg 1826

bis 1829, von Zimmern

Die Verdienste dieses letzteren, der per­

sönlich dem engeren Schnlkreise ferne steht, auch zahlreiche und gründsiche dogmatische^Aufsätze im Sinne Thibauts dem „Zivilistischen Archiv"

geliefert hat, gehören doch entschieden hierher.

Hebt er "doch bereits

n seinem feinen und gründlichen, schon durch diese Wahl des Gegentandes bezeichnenden „System der römischen Noxalklage", Heidelberg

1818, hervor, Größeres als bisher heische die gegenwärtige Zeit von )em, der sich dem römischen Recht zuwende,

„denn sie verlangt den

Faden zu kennen, der die Teile zum Ganzen verbindet," wobei aber

>och auch wieder zu bedenken bleibe, daß

„über dem Streben nach

ystematischer Verbindung nie das Einzelne zu vernachlässigen, aus

294

Sechzehntes Kapitel.

dessen Untersuchung erst das Ganze

hervorgehen mag".

Ganz in

diesem echt historischen Sinne und mit Selbständigkeitbb) ist denn aber auch jene Geschichte des römischen Privatrechts geschrieben, von der namentlich der letzte Band über die Geschichte des Zivilprozesses als

erster nicht übel gelungener Versuch eines geschlossenen Aufbaues unter

Einordnung aller peinlich berücksichtigten Einzelheiten rühmlich bleibt, während die Vollendung der Geschichte des materiellen Rechts38) durch des Verfassers frühen Tod gehindert worden ist. Damit dürften etwa die historischen Juristen zusammengestellt sein, deren romanistische Schriften sämtlich in die erste Blütezeit der

historischen Schule fallen.

Doch würden

wir von dieser Zeit ein

falsches Bild erhalten, wenn wir uns nicht entschlössen, schon hier die Anfangstätigkeit einer Anzahl von Gelehrten hinzuzunehMn, deren Wirksamkeit in die späteren Jahrzehnte der Schule, zum Teil weit hinüberreicht. Die Grenze, bis zu der etwa wir sie hier verfolgen können, ist gegeben durch Puchtas Gewohnheitsrecht, dessen Erscheinen 1828 eine Cäsur im inneren Leben der Schule bildet.

Da stoßen wir vor allem auf die früheren Werke von Friedrich Bluhme und von Moritz August von Bethmann-Hollweg, deren wir ja schon in Verbindung mit Göschens Gaiusausgaben zu erwähnen hatten. Von Bluhme3?) ist mit Recht gesagt worden, daß er so ange­

fangen habe, „wie mancher wünschen sollte zu endigen." Denn als­ bald nach einer Dissertation, die schon auf die Pandektentextordnung gerichtet ist38), erwarb er bekanntlich auf einen Schlag europäische Berühmtheit durch die Abhandlung „Über die Ordnung der Fragmente

in den Pandektentiteln", die Herbst 1820 im vierten Bande der „Zeit­ schrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" erschien. Die glückliche

Entdeckung, die hier Bluhme mitteilt und in alle Einzelheiten verfolgt und verwertet, gehört zu den bezeichnendsten Erfolgen der historischen Richtung, sie leuchtet als eines der hellsten Gestirne in der günstigen Geburtskonstellation der geschichtlichen Schule, unmittelbar neben den

eigentlichen Quellenfunden.

Ist doch dadurch zuerst und vollständig

das Dunkel gelichtet worden, das bis dahin über dem Verfahren ruhte, nach dem die Kompilatoren die Pandekten aus den Juristen­

schriften hergestellt haben. Die Dreiteilung dieses Schriftenmaterials, die Überweisung je einer Schriftenmasse an je eine Unterkommission, die Ergänzung durch eine Nachtragsmasse, die oberflächliche Schluß-

I. Die Frühblttte selbst.

1) Romanistik.

295

redaktion sind so klar nachgewiesen, daß man, wie bei einem gelösten Rätsel, sich fast nur wundern möchte, wie vor Bluhme niemand- dar­ auf geraten hat.

Indessen wird man bei eingehenderer Prüfung des

Aufsatzes alsbald bemerken, daß es sich denn doch um mehr handelt als um eine selbst außergewöhnliche Divinations- und Kombinations­

gabe, nämlich zugleich um ein Aufgebot tiefer Gelehrsamkeit und feiner

Einzelbeobachtung, wie es nur durch Liebe zur Sache erklärlich, zu­ gleich für die Savignysche Schule und für die Persönlichkeit Bluhmes

dauernd bezeichnend ist. Im Mürz 1821

trat dann Bluhme eine wissenschaftliche Reise

nach Italien an, von der er erst im September 1823 nach Deutschland zurückgekehrt ist.

Die

Resultate

seiner Forschungen

über den

In­

schriften- und Handschriftenbestand und über die Geschichte zahlreicher

italienischer Bibliotheken

und

Iter Italicum, 1824 s.39).

Archive

sind

veröffentlicht in seinem

Dabei hat er keineswegs bloß juristisch

Bedeutsames, sondern auch Historisches und Philologisches berücksich­ tigt, im Auftrage der Monumenta Germania© und der preußischen Akademie eine Reihe von Einzelergebnissen gewonnen, u. a. auch die

mehrfach

bereits erwähnte Nachvergleichung

Palimpsestes vorgenommen.

des römischen Rechts

des

Veroneser Gaius-

Aber auch Savigny für seine Geschichte

im Mittelalter

erhielt damals

durch Bluhme

reiches italienisches Material, und nicht minder war er für Schraders Ausgabe des Corpus iuris tätig.

Sollte diese auch nicht zustande­

kommen, so sind doch Bluhmes mühevolle Studien über ein anderes Veroneser Palimpsest, eine Handschrift des justinianischen Kodex, in

der Herrmannschen Ausgabe von 1843 verwertet worden. Namentlich

aber fand damals, Oktober 1822, Bluhme in Vercelli eine Handschrift der Lex Dei (sogenannte Collatio legum mosaicarum et romanarum), die seiner Ausgabe dieses interessanten antiken Bruchstückes hauptsächlich zugrundeliegt").

Mit dieser Ausgabe von 1833 werden

wir Bluhmes erste Schaffensperiode als abgeschlossen ansehen dürfen,

wenn wir auch später selbstverständlich noch mannigfachen Anknüpfungen

daran, namentlich weiterer Ausnutzung der italienischen Neiseftüchte begegnen.

Wie Bluhme, so setzt auch v.Bethmann-Ho llweg") mit italischen Erfolgen ein, er als Freiwilliger neben Göschen bei der ersten Gaiusausgabe tätig. Ähnlich auch, wennschon im Ergebnisse verschieden,

empfängt er von jener Berührung mit italienischen Handschriften und

296

Sechzehntes Kapitel.

frühmittelalterlichen

Autoren

dauernde Anregung,

nicht

nur

durch

den Gaius zu seiner Doktordissertation de eausäe probatione (voll­

endet und gedruckt erst Januar 1820), sondern durch die Gesamtheit jener Studien zur ersten Übertragung42) der historischen Grundsätze

aus das Gebiet des römischen und gemeinen Zivilprozesses überhaupt, auf das ihn Savigny hingewiesen hatte.

Zwar ist die Reihe statt­ licher Bände, durch , die er diese Übertragung so gründlich wie erfolg­ reich ausführte, erst das Werk einer weit späteren Epoche; die dafür

leitenden Ideen aber stammen doch schon aus jener Anfangsblüte der

historischen Schule

und sind schon damals zuerst von ihm festgelegt

und veröffentlicht worden in seinem „Grundriß zu Vorlesungen über den allgemeinen Zivilprozeß mit einer Vorrede über die wissenschaft­

liche Behandlung desselben", Berlin

18214S).

Es ist geradezu er­

staunlich, welch tiefe Einsicht und selbständige Reife da schon zutage tritt, in bezug auf die innerliche Erfassung der historischen Grundlehren

nicht nur, sondern namentlich auch in bezug auf deren Anwendung für das besondere Fach des Zivilprozesses.

Sehr wohl weiß Beth-

mann-Hollweg, der sich überhaupt trotz seines jugendlichen Alters von jeder Überspannung seiner Prinzipien fernhält44), daß hier weniger als sonst ohne gesetzliche Eingriffe sich auskommen läßt.

Dagegen

aber auch, daß,wie nun einmal die zivilprozessualen Dinge damals

bei uns lagen, nirgendwo mehr ein wahrhaft wissenschaftlicher Fort­ schritt

von einer wahrhaft geschichtlichen Behandlung

abhängig ist.

Beides hängt damit zusammen, daß hier, wie Bethmaun zuerst so

treffend hervorhebt, im Gegensatze

zum materiellen Recht die justi­

nianische Kompilation nach Absterben des klassischen Prozesses und aller

seiner Formen so auffallend arm ist, in rein formalen wie in aktionen­ rechtlichen Punkten.

Deshalb mußte hier mehr als sonst und freier

als sonst der Gerichtsgebrauch in die zahlreichen Lücken eintreten, und

zwar ein Gerichtsgebrauch, der, auch nach der Zerstörung des römischen Reichs in Italien, Frankreich und Spanien fortwuchernd, immer weiter von altrömischen Einrichtungen abrücken mußte4^).

diesen

Jahrhunderten"

(unmittelbar

nach Justinian)

römische Recht niemals unterbrochen wurde, Positive desselben

noch mehr verwischt,

„So mußte in

„obgleich das

das Eigentümliche und

es mußte noch

allgemeiner

und abstrakter werden, als es in der justinianischen Kompilation ge­ wesen war."

Dazu kamen

aus ihrer Auffassung

her

dann die von den Juristen der Päpste entworfenen Dekretalen;

und endlich die

I. Die Frühblüie selbst.

1) Romanistik.

297

Bemühungen der Schriftsteller, die aus alledem zusammen ihre Theörie

des Prozesses ausbildeten. Als dann die fremden Rechte bei uns das einheimische Verfahren verdrängten, berief man sich zwar in der Theorie

auf Corpus iuris civilis und canonici,

„in der Tat aber schöpfte

man nicht unmittelbar und allein aus diesen", sondern es waren die Lehren der italienischen Schuljurisprudenz „in mündlicher Überliefe­ rung und

in Büchern,

ja

selbst

der

Gerichtsgebrauch

Gerichtshöfe in Italien, welche zu uns verpflanzt

angesehener

wurden."

Aus

alledem, gemischt mit einheimischen Anschauungen und Gesetzen, ent­ stand als umfassendes gemeines deutsches Gewohnheitsrecht der gemeine deutsche Zivilprozcß, zugleich zur schärfsten Widerlegung derjenigen,

die jedes derartige gemeine deutsche Gewohnheitsrecht leugnen.

„Soll

nun unser gemeiner Prozeß auf eine gründliche Weise aus den Quellen

so darf man nicht die

studiert werden,

einzelnen Bestimmungen des

römischen und kanonischen Rechts und der Reichsgesetze wie eine gleich­ zeitige,

sich

teilweise

widersprechende Gesetzgebung

künstlich

zu ver­

einigen und zu einem Ganzen zusammenzusetzen versuchen; . . . sondern

es ist das positive Recht in seiner Entwicklung . . . historisch zu ver­ folgen." entbehrlich

Dabei sind die Gesetze nicht zu vernachlässigen; ebenso un­

aber

ist

das Studium

der Literatur

der verschiedenen

Zeiten, weil daraus ganz vorzüglich das Gewohnheitsrecht in seiner doppelten Gestalt als Gerichtsgebrauch und als wissenschaftliche Theorie erkannt wird.

Die ganze Kette der aus- und

inländischen Prozeß­

literatur von den Glossatoren bis zu den deutschen Praktikern wird also

von Bethmann-Hollweg als

eigentliche Prozeßquelle betrachtet

und ihre Verwertung als solche verlangt; dazu kommen die Parti-

kularprozeßordnungen,

als welche wiederum

vielfach durch

gewohn­

heitsrechtliche Ausdehnung ihres Geltungsbereiches Quellen des gemeinen Prozesses geworden sind.

„Wie weit

man sich aber

dabei

auf die

Erforschung des älteren Rechts einzulassen habe, darüber können keine

Regeln gebildet werden,

es muß das dem Urteil eines jeden über­

lassen bleiben, nur daß man dabei das letzte Ziel, das Verständnis und

die Ausbildung

behalte."

unseres

heutigen Praktischen

Rechts im Auge

Nimmt man zu alledem hinzu, daß in zahlreichen Zusätzen

und Noten Bethmann-Hollweg schon hier eindringliche und ausgebreitete

Kenntnis der mittelalterlichen Literatur an den Tag legt, so begreift man, daß für das Gebiet des Zivilprozesses die historische Schule den

Fehler vermieden hat, an den römischen Antiquitäten zu kleben und

Sechzehntes Kapitel.

298

die mittelalterlichen Fortbildungen zu übersehen.

Dieser Unterchied

seines Programms gegenüber den rein privatrechtlichen Schulstidien ist schon Bethmann-Hollweg selbst ausgefallen; er versucht ihn — nehr

vorsorglich als zutreffend — damit zu erklären, daß die mittelaltirlich gewohnheitsrechtliche Fortbildung für das materielle Privatrecht weiiger

bedeutsam fei, indem da

„die rezipierten Teile des römischen Rchts

in ihrem wahren ursprünglichen Sinne rezipiert sind," deshalb also

hier „uns die Befugnis erhalten ist, zu der Quelle selbst zurükzu-

gehen und durch Erfassung ihres wahren Sinnes das praktische Jecht aus ihr neu zu beleben und zu rektifizieren, sollte die neue thwre-

tische Ansicht auch erst nach und nach in der Praxis Eingang fiiden. Dagegen im Prozeß hat sich das praktische Recht weit mehr ggen

das Ansehen der Quellen behauptet ....

Wir haben daher hier

seltener die Befugnis, an dem römischen Recht in seinem urspringlichen Sinne festzuhalten, sondern die Praxis ist hier häusiger für ein derogierendes Gewohnheitsrecht anzuerkennen."

So schafft sich Bethmann-Hollweg ganz innerhalb der Shullehre seine selbständige Stellung und Aufgabe. Wenigstens vorläufige

Beiträge zu deren Lösung bringen bereits seine „Versuche über einxlne

Teile der Theorie des Zivilprozesses", Berlin und Stettin 1827, in­

dem sie für eine Reihe einzelner Punkte gewissermaßen paradigmctisch

dogmatische Betrachtungen systematischer oder auch unmittelbar sraktischer Art auf geschichtliche Untersuchungen stützen, unter sorgfäliger

Scheidung des rein Römischen von dem heute Gültigen, namenlich aber

unter

Beseitigung

viel

von

Lehrschutt'48).

„hergebrachtem

Selbstverständlich mangelt es dabei auch nicht an umfassenden und peinlich genauen

Quellenstudien

im engeren Sinne

der

Schub4?).

Wie Bethmann-Hollweg die so vielverheißend angeknüpften Fäden spiter

fortgesponnen hat, wird seinerzeit zu berichten sein; wir werden da

wieder ausführlich auf diesen Juristen und Staatsmann zurückzukomnen haben, den man wohl als den Lieblingsschüler Savignys wird be­ zeichnen dürfen, ihm am nächsten stehend in wissenschaftlicher tob in sozialer Hinsicht, politisch und kirchlich, in der gesamten Lebensführmg

und Lebenshaltung.

An Bethmann-Hollwegs

zivilprozessuale Leistung

schließt sich

an diejenige von August Wilhelm § esst er48), der, wie er sibst von sich sagt48), „nur ein Jünger in der historischen Jurisprudeiz", sich nicht „unter die eigentlichen Schüler ihrer großen lebenden Meiter

I. Die F-riihblüte selbst.

rechnen" konnte.

Dagegen

1) Romanistik.

brachte er eine

299

außergewöhnlich gründ­

liche, klassisch-philologische Vorbildung und Vorliebe einerseits mit,

einen in praktischer Beschäftigung gereiften Sinn für das positive Recht und dessen Bedürfnisse andererseits. Diese seine praktische Neigung stimmte zunächst, in dem gemeinsamen Abscheu vor dem Natur­ recht und dessen „philosophischer Gesetzmacherei", mit den Prinzipien und konservativen Neigimgen der Schule^") ja bestens überein, war

über von vornherein wesentlich stärker als innerhalb der Schule üblich ausgeprägt und sollte später, zu Ende etwa der 30 er Jahre, sich entwickeln zu einer Abneigung gegen „nebelvolle juristische Romantik und Schwärmerei im Altertümlichen", um ihn einer überwiegend positivistischen Rechtsauffassung und schriftstellerischen Tätigkeit zuzu­

führen, in der die frühere historische Neigung nur noch gelegentlich nachklingt, einer Tätigkeit, die uns später beschäftigen wird. Dagegen

-er rein philologischen und klassischen Richtung war entsprungen sein Erstlingswerk, dessen durchschlagender Erfolg ihm die akademische Laufbahn überhaupt erst eröffnet hat, seine „athenische Gerichtsver­

fassung" von 1821. Zwischen dieser nach der entfernteren Seite über das in der historischen Schule gepflegte Gebiet der Antike sogar hin­ ausreichenden Leistung^) und seinen positivistischen Werken liegt nun aber in der Mitte das Buch, wegen dessen er für dieses Jahrzehnt hierher gehört; es bildet gewissermaßen den Durchgangspunkt, auf dem seine schweifende Bahn mit dem Gange der historischen Schule vorübergehend, aber bedeutsam zusammentrifft.

Es handelt sich um Heffters „Institutionen des römischen und deutschen Zivilprozesses", Bonn 182552). Heffter unternimmt da das Wagnis, die Entwicklung desjenigen, was wir gemeinen deutschen Prozeß nennen, von der historischen Grundlage des justinianischen Prozeßrechts aus zu versuchen. Und zwar nicht etwa in der Weise,

daß zuerst der römische Prozeß geschlossen für sich, dann der heutige vorgetragen würde, sondern es soll der Entwicklungsgang für jeden Prozeßabschnitt und für jede Prozeßeinrichtung gleichmäßig seit Justinian durchgegangen werden. Wie das möglich. war ohne jede dogmengeschichtliche Vorarbeit, ist freilich für uns heute kaum faßlich; es konnte sich offenbar nur um ein Überspringen klaffender Abgründe handeln unter wesentlicher Überschätzung der rein romanistischen, unter wesentlicher Unterschätzung der germanistischen und modernen Elemente im gemeinen Prozeß, gelegentlich wohl auch unter unwillkürlicher

300

Sechzehntes Kapitel.

Modernisierung des römischen Prozesses. Etwas zur Erleichterung mag ja auch beigetragen haben, daß das Buch nicht allzuweit in die

Einzelheiten eingeht. Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls ist doch der Plan idurchgeführt unb dadurch allerdings erreicht, was

Verfasser sich vorgesetzt hat, wieder eine stärkere Verwandtschaft zwischen der im materiellen Recht üblichen Behandlung und dem zivilprozessualen Studium herzustellen. Als besonderer Beleg für Heffters praktische Beanlagung mag gelten, daß dabei das Werk durchaus nicht anti­ quarisch oder einseitig theoretisch ausgefallen ist, sondern auch praktisch Brauchbares bietet. In diesem Sinne ist es als eigenartige Erscheinung zu begrüßen, die übrigens in ihrer Art zunächst vereinzelt dasteht^). Das bleibende Verdienst methodisch besonnener Forschung nach histo­ rischen Grundsätzen sollte erst einer folgenden Periode (s. u. Kap. 17, V)

im Anschlüsse an Bethmann-Hollwegs spätere umfassende Schriften (f. u. Kap. 17, II, 3) zufallen. Wie Bethmann-Hollweg und Hefster zum Zivilprozesse hinüber­ führen, so werden durch Friedrich August Wiener64) die Grundsätze der historischen Schule auf wiederum weitere Fächer, besonders auch -auf das des Strafprozesses übertragen, während er der praktischen

Seite der Rechtswissenschaft wieder ferner steht. Geboren 1787 zu Leipzig als Sohn des früher besprochenen Germanisten Christian Gottlob Biener, gehörte er der Berliner Juristenfakultät, deren erster Dekan er war, von Beginn an neben Savigny zu, bis er 1832 die Professur niederlegte, um sich ausschließlich der wissenschaftlichen Tätigkeit zu widmen. Die Früchte seiner zweiten Lebensperiode, die von da bis 1861 reicht, werden später zu erörtern sein: sie sind fast alle aber auch schon in diesen früheren Jahrzehnten, ähnlich wie wir

es bei Bethmann-Hollweg gesehen haben, bei Biener wohl Zunächst hatte sich Biener schon sehr früh, lange einer historischen Schule die Rede sein kann, anknüpfend lehrte Leipziger Richtung seines Vaters und HauboldsM),

vorbereitet. bevor von an die ge­ und wohl

auch nicht ohne durch Hugo beeinflußt zu sein, eine Spezialität ge­ schaffen aus demjenigen Teile der römischen Rechtsgeschichte, der dir Quellen der justinianischen Zeit in ihrem Zusammenhänge mit dem griechisch-römischen Recht untersucht; aber auch die Pflege der ir. die abendländische Quellen- und Literaturgeschichte des römischen Rechts

hinüberführenden Verzweigungen ist mit diesen byzantinischen Studien sachlich nahe verwandt und daher stets gerne mit ihnen in einer Art

Von Personalunion geblieben. Steuer ist da der Vorgänger und vielfach der Pfadfinder für eine abgesonderte Gruppe von Gelehrten getuorben, für die Hänel, Heimbach, Witte, Zachariae: eine Art Schul­ haupt im kleinen. Man begreift, wie diese Weise gelehrter Forschung, t)ie schon 1807 zu Bieners gründlicher »Historia authenticarum Codici r. p. et Institutionibus Justiniani insertarum« geführt hatte, von der Savignyschen Richtung als erwünscht empfunden und ihrerseits dadurch angeregt und 'gefördert werden mußte. So er­ schienen 1822 Bieners „Grundriß der Literaturgeschichte", bis heute eine der zuverlässigsten und bestorientierenden Zusammenstellungen ouf diesem Gebiete, nnd 1824 Bieners Hauptwerk, die „Geschichte der Novellen Justinians", ein wahres Monument eindringlichsten ge­ lehrten Bienenfleißes sowie klarer Ziehnng und Zusammenstellung -er Ergebnisse. Ursprünglich sollten bloß die einzelnen Novellen auf ihr Datum, ihre Quellen und dergleichen untersucht werden; diese Einzelforschungen sind dann aber in den Anhang — Seite 317 bis 611 — versetzt worden. Denn im Laufe der umfassenden Studien, zu denen auch von Italien her Bluhme Beiträge geliefert hatte, ergab sich immer mehr die Möglichkeit, eine wahre' Geschichte der Novellen, -ihrer Entstehung sowie ihrer Wirkung nnd Benutzung in Abend- und Morgenland zu geben, und das ist nun das eigentliche Buch geworden. Es handelt auf Grund genauester Einzelsorschung in großen Zügen von den Novellensammlnngen, von den Einflüssen der Novellen auf das spätere byzantinische weltliche nnd kirchliche Recht, lauter bis dahin von der neueren Forschung kaum berührte Dinge; es handelt aber auch im Anschlüsse an Savignys mittelalterliche Geschichte von dem Gebrauche der Novellen in Italien bis zu den Zeiten des Jrnerius, von ihrer Aufnahme durch die Glossatorenschnle und von der ihnen durch die Glosse gewordenen Behandlung. Mit der akkursischen Glosse hört es auf, da die Arbeiten der humanistischen Renaissance­ juristen und ihrer philologischen Nachfolger ohnehin zu Anfang und im ganzen Gange des Buches genügend gewürdigt sind. — Ergänzend treten zu diesen Novellenstudien Bieners Arbeiten über kanonistische Rechtssammlungen und zur Revision des justinianischen Kodex hinzu^), letztere bereits mit Heimbach zusammen, sowie unter Benutzung Wittescher Arbeiten hergestellt. Bieners Vorstudien dazu waren schon im Jahre 1825 abgeschlossen, so daß sich seine sämtlichen derartigen Quellen­ untersuchungen als zu dieser seiner früheren Periode gehörig erweisen.

302

Sechzehntes Kapitel.

Gleichzeitig aber auch schon, wenigstens gegen Ende dieser Periode, -tritt er auf einem ganz anderen Gebiete hervor, dem er offenbar dadurch zugeführt worden war, daß er in Berlin das Kriminalrecht einschließlich des Strafprozesses vorzntragen hatte. Ans letzteren nun erschien fast unmittelbar das übertragbar, was Bethmann-Hollweg für den Zivilprozeß in seinem Grundriß von 1821 vorgebracht hatte. So bildete sich unter der allgemeinen Anregung von Savigny, nach dem besonderen zivilprozessualen Vorbilde Hollwegs57), bei Biener die Überzeugung, „daß die Behandlung des Kriminalprozesses nur auf dem Wege einer historisch-dogmatischen, auf Literärgeschichte ge­ gründeten Entwicklung eine feste Basis gewinnen kann." Demgemäß entschloß er sich zunächst einmal dazu, allgemeinhin „für das Histo­ rische in bezug auf Kriminalrecht und Kriminalprozeß" längere Jahre hindurch zu sammelns; sodann erst das Ergebnis für eine besonders wichtige Materie abzusondern, zusammenzustellen und zu veröffent­ lichen. Es liegt uns vor in seinen „Beiträgen zu der Geschichte des Jnquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte", Leipzig 1827. Auch in ihnen wieder beeindruckt die Vielseitigkeit und Vollständigkeit der rechts- und literärgcschichtlichen Quellenkenntnisse, die Sicherheit, mit der der Verfasser in ein ganz unbebautes Gebiet vordringt, überallhin aufklärend und vorleuchtend. Für die Entstehung uni> Begründung des Jnquisitionsprozesses war doch eigentlich seit eines Thomasius stark tendenziösen Forschungen so gut wie nichts mehr geschehen; der gemeine Strafprozeß vegetierte ohne historische noch dogmatische Schärfe lediglich in naturrechtlichen, politischen oder humanitären Betrachtungen dahin, ohne Verständnis noch Sinn für seine eigene Vergangenheit. Nun überträgt Biener auf ihn die histo­ rische Methode, sogar schon in ihrer mediüvistisch-literärgeschichtlichen Zuspitzung, aber auch schon unter selbständiger Umgestaltung dieser Methode gemäß Iden Bedürfnissen dieses besonderen Stoffes. Diese Umgestaltung folgt dem Gange der Nechtsentwicklung selbst; uni> dieser bringt einerseits zeitlich die sächsische Praxis und Corpzov gegenüber dem Aufklärungszeitalter wieder zu Ehren, zwingt aber auch andererseits stofflich von dem romanisierenden Boden hinüber zu kirchenrechtlichen und zu germanistischen Studien, sowie bereits zur Beachtung der Rechtsentwicklung auf ausländischem Gebiete, in Frank­ reich und England. Es ist derselbe Weg, den kurz vorher oder gleich­ zeitig Mittermaier, G. L. Maurer und der später als Kanonist so be-

I. Die Frühblüte selbst.

1) Romanistik.

sannt gewordene Phillips betreten habens.

So

303 gelangte Biener

von dem vernachlässigten Gebiete des Jnquisitionsprozesses hinüber

zn der denkbarst aktuellen Frage, der nach Entstehnng und Ausbil­

dung der Geschworenengerichte.

suchungen,

sind in

darüber

Seine Anschauungen

natürlich noch nicht so weit

dieser Schrift von 1827

ausgereift wie in den späteren Unter­

die diesem Gegenstände eigens in gründlichster Ausführ­

lichkeit gewidmet sind.

Namentlich meint Biener jetzt noch, das Institut

als ein von England her in

die Normandie gelangtes ansehen zu

müssen, ivährend er später richtig gerade umgekehrt verhält.

daß sich die Sache

erkannt hat,

Aber die feste Grundeinsicht, daß es sich

nicht um ein Urteilsmittel handele, sondern ursprünglich um ein Be­

weismittel, und zwar namentlich um ein solches mit

inquisitorischer

Wurzel, ist doch jetzt schon vorhanden und mit Entschiedenheit aus­

gesprochen, eine Einsicht, in deren Erschließung der Gelehrte, der diese Dinge erst

endgültig

klargestellt hat, Brunner,

das Hauptverdienst

aller vor ihm liegenden Forschung mit Recht erblickt §°).

Von da ist

doch wohl wieder auch Brunner selbst ausgegangen. So bleibt es dabei,

mag Bieners Weg auch oft irrig gewesen und mag er darauf von den

Späteren auch wesentlich überholt worden sein,

daß alle diese Wege

von der historischen Schule in dieser ihrer ersten Blütezeit ausstrahlen. den Lebensweg von H. E. Dirksen^),

Dasselbe gilt für

der

ausschließlich der römischen Rechtsgeschichte sich schriftstellerisch^) ge­ widmet hat,

allmählich denn doch aber eigentümlich weit von den

Wegen und Weisen der Schule abgerückt ist. Ausgegangen ist Dirksen, wie so viele Savignyschüler, zunächst

von der Beschäftigung mit Kritik nnb Auslegung römischer Rechts­ quellen.

Dabei behandelt er diese seine Aufgabe zunächst in kürzeren

Abhandlungen

rein im Stil der Schule, mit deren Vorzügen und

mit deren Schwächen, z. B. durch

endlos

steißiges Aufstöbern und

Zusammentragen von Lesarten aus noch so wertlosen Handschriften, ja selbst aus alten Drucken und aus der Glosse.

Von da wendete

er sich zurück zu den Schriften älterer Juristen, von deren uns selb­ ständig außerhalb des Corpus iuris erhaltenen Bruchstücken er 1814 eine verdienstliche Zusammenstellung,

Zeit, erscheinen ließ.

zu den inschriftlichen Bruchstücken

den

ältesten

die erste dieser Art

aus dieser

Und von da ging er endlich weiter rückwärts

römischen

älterer Gesetze und schließlich zu

Nechtsquellen

überhaupt;

so entstanden die

Sechzehntes Kapitel.

304

„Übersicht der bisherigen Versuche zur

Kritik und

Herstellung des

Textes der Überbleibsel von den Gesetzen der römischen Köisige"M) 1823

und das noch lveit umfassendere Werk „Übersicht der bisherigen Ver­ suche zur Kritik und Herstellung des Textes der Zwölftafelnfragmente", Leipzig 1824.

Diese beiden letztgenannten Schriften bieten viel mehr als was der Titel verspricht: nicht nur eine Übersicht über die bisherigen Ver­ suche ist darin enthalten,

sondern die eingehendste, literärgeschichtlich

sorgfältigste Darstellung und die peinlichste kritische Würdigung dieser

Versuche in allen ihren Einzelheiten; die

eigene

Bearbeitung derselben

und ferner auf Grund dessen

Probleme.

Namentlich

die zwölf

Tafeln -betreffend ist diese Leistung auf lange hinaus abschließend, in ihrer Zuverlässigkeit stets unbedingt anerkannt geblieben.

Sie ist 1866

durch Schoell nur auf Grund neuerer philologischer Methoden überholt

und dadurch damals erst die Tafelsorschung wieder ein Stück weiter

geführt worden; an Schärfe der Ablehnung aller bodenlosen Hypo­ thesen 65) und an Vollständigkeit der Verwertung alles damals zugäng­ lichen Materials konnte Dirksen überhaupt nicht überboten werden. Auf diese beiden Gesichtspunkte hin beginnt nämlich nun Dirksen seine Aufmerksamkeit

besonders

cinzustellen.

Er wird irre an der

Zuverlässigkeit aller bisherigen Ergebnisse, die nur zu leicht auf Grund ungesichteten Materials, kühner Analogien

und vereinzelter Quellen­

auslegung gewonnen seien, nur „vermittelst der eigentümlichen Glaub­

fertigkeit unserer Zeitgenossen"66) allgemein angenommen werden, und er setzt es sich demgemäß zur Aufgabe, hier Abhilfe zu schaffen, extensiv

und mehr noch intensiv. die Spuren

Extensiv: durch Abhandlungen wie die über

historischer Kritik und

antiquarischer Forschung in den

Schriften der römischen Juristen8?); Cornm. de novo praesidio crisis

et interpretationis iuris justinianei ex re formularia romana petendo, 1826—1829; über den Zusammenhang der einzelnen Or­ gane des positiven Rechts der Römer mit der gleichzeitigen juristischen

Doktrin und über die geschichtliche Begründung der letzteren68); sowie ferner durch eine Reihe bis in seine späteren Lebensjahre fortgesetzter Untersuchungen über juristisch verwertbare Stellen bei den verschiedensten klassischen und nachklassischen Autoren, z. B. bei Lydus, Plinius; den

Rhetoren und Grammatikern, Boethius und Suidas,

und schließlich

bei Tacitus (1860). — Intensiv: durch sorgfältigst sprachlich philo­ logische Grundlegung unter möglichst erschöpfender Verwertung des

I. Die Frühblüte selbst.

1) Romanistik.

305

«ntiken Materials an Formel- und Wortüberlieferung. Hierfür bildet gewissermaßen nur eine Vorbereitung die Studie „Über die Be­

deutung einzelner Wörter, über einige Eigentümlichkeiten der römisch-

furistischen Kunstsprache

und über römisches Formelwesen" in den

„Beiträgen" von 1825,

ergänzt durch mehrere Sonderschriften der

nächstfolgenden Jahre. Deutlicher schon tritt der große Vorsatz, zu dem Dirksen sich letztlich durch alle diese Zusammenhänge gedrängt sühlte, hervor in der scharfen Kritik, die dem Brissonius und allen

seinen „sklavischen" Fortsetzern, darunter auch Wunderlich und Cramer, widerfährt in dem Aufsatze „Bemerkungen über das juristische Wörter­

buch des B. Brissonius": wer so kritisiert, ist sich schon klar darüber, wie es besser zu machen wäre, er nähert sich schon dem Entschlüsse dazu, es selbst besser zu machen. Die große und grundlegende lexiko^raphische Aufgabe ist es, die sich Dirksen damit als Ergebnis aller bisherigen kritischen Zweifel, als unbedingt notwendige Voraussetzung sür irgendwelche Sicherheit bei der Quellenbehandlung aufdrängt: Die "Aufgabe, die juristische Kunstsprache der Römer unter vollständiger Ausschöpfung des gewaltigen Materials Wort für Wort alphabetisch

festzulegen. Dieser Plan war bereits deutlich erkennbar geäußert, Dirksens ganze Richtung nach dieser Seite hin festgelegt, als er 1830 seine Professur in Königsberg aufgab und nach Berlin übersiedelte. Es handelte sich ihm darum, zur Ausführung dieses Planes die literari­ schen Hilfsmittel zu gewinnen, über deren Mangel im äußersten Osten

er stets geklagt zn haben scheint. Und an die Ausführung ist er denn nun mit seiner ganzen Kraft und Unverzagtheit, mit seiner ganzen Folgerichtigkeit und Selbstverleugnungsfähigkeit herangegangen, unge? brochen durch das Ausbleiben der äußeren Erfolge und der Anerken­ nung, auf die er geglaubt hatte, rechnen zn dürfen. Das ausführ­ liche Programm dazu erschien nunmehr in der Schrift „System der juri­ stischen Lexikographie", Leipzig 1834. Der als selbstverständlich ge­ übten Methode seiner Vorgänger, die das Ergebnis vorwegnimmt und dem Leser

ohne Nachprüfungsmöglichkeit aufnötigt,

die er deshalb

die synthetische heißt, stellt Dirksen seine analytische Methode gegen­ über. Sie will jedes Wort durch das beigebrachte Material sich "selbst erklären lassen, ein Material, das sie in die drei Klassen der Syno­ nyma, der Gegensätze und der Redeverbindungen einteilt, und ferner

nach den verschiedenen Ursprungsepochen gliedert. Ein Spezimen des Banbaierg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

20

306

^Sechzehntes Kapitel.

nach diesem Programm auszuarbeitenden Thesaurus latinitatis fontium iuris civilis romanorum erschien denn auch schon gleichzeitig.

Zu einer Ausarbeitung in dem dort geplanten Maße der Vollstän­ digkeit ist es freilich nicht gekommen, da sie weit über die Kraft eines einzelnen Menschen ging und Dirksen die erhoffte Unterstützung weiterer Kreise nicht fand. Aber in einem engeren Rahmen hat er das Werk denn doch binnen weniger Jahre — so wohlvorbereitet muß es also damals schon gewesen sein — vollbracht. Wir haben es vor uns in dem Manuale latinitatis fontium iuris civilis romanorum, thesauri latinitatis epitome in usum tironum,

Berlin 1837, die

drei letzten Wörter ein überbescheidener Zusatz, der denn auch auf dem Titelblatt der späteren Lieferungen weggelassen ist. Das epoche­ machende, jedem Romanisten seither absolut unentbehrliche, in keiner

Beziehung noch irgendwie entbehrlich gewordene oder gar überholte Werk spricht für sich selbst. Hätte Dirksen keine andere Lebensleistung als diese aufzuweisen, so könnte er doch beanspruchen, unter die her­ vorragenden Förderer des Studiums des römischen Rechts dauernd gezählt zu werden. Selbst wenn dermaleinst der große Thesaurus linguae latinae in seiner absoluten Vollständigkeit fertiggestellt sein

sollte, so wird Dirksens Manuale noch immer die Vorzüge großer Handlichkeit, charakteristischer Schärfe und juristischer Zweckmäßigkeit bewahren; bis dahin ist es einfach der Ausgangspunkt jeder termino­ logischen Untersuchung. Mit ihm war Dirksens Lebensarbeit geleistet; von der noch so großen Summe noch so feiner Einzeluntersuchungen,

die er darauf noch hat erscheinen lassen, großenteils in den Abhand­ lungen der Berliner Akademie der Wissenschaften, braucht deshalb hier nicht mehr im einzelnen gehandelt zu werden. Nach diesen Erörterungen wird man sich vielleicht nicht mehr so sehr wundern, wenn man bei Dirksens Biographen die Mitteilung liest, daß er in Berlin nicht nur die Hegelianer, sondern auch die „Savignyaner" gegen sich gehabt habe. Es handelt sich nicht nur darum, daß Dirksens eiserne Selbständigkeit ihn zu mehr Wider­ sprüchen gegen Savigny im einzelnen geführt hatte, als man ruhig hinzunehmen geneigt toar69); noch auch bloß um sonstiges Persön­

liches, das auch nicht gefehlt zu haben scheint^9); sondern die Ursache liegt tiefer. Während man in der Schule unter dem Einflüsse von Rn dorff und namentlich von Puchta immer mehr zu raschen Schluß­ folgerungen in Geschichte und Dogmatik, zu großen Aufbauten und

I. Die Frühblüle selbst.

307

2) Germanistik.

Konstruktionen geneigt geworden war, während. der Ton da immer selbstsicherer und apodiktischer klang, war Dirksens nüchtern-ostpreußische Verstandesnatur immer skeptischer und peinlich vorsichtiger geworden. Seine lexikographischen Programme klagen schließlich alle Bisherigen der Übereilung, der falschen Methode an, aufgebaut zu haben, ehe man' die erforderliche Sicherheit terminologischer Grundlage besaß.

Nicht nur hinter Savigny bis auf Hugos genaue Einzelforschung,

sondern weiter bis auf Cujas und Augustin geht er zurück.

Dabei

verkennt er offenbar vollends, was schon bei manchen Schulanhängern stark zurücktrat, den praktischen Beruf des Juristen, die Notwendig­ keit, jetzt Stellung zu nehmen und die Lösung der für die Gegen­

wart dringlichsten Probleme nicht von Vorarbeiten abhängig zu machen, die endlose Zeit rauben. Das römische Recht war eben da­

mals noch kein totes wie heutzutage, wo man es demgemäß mit ganz anderer Ruhe und Objektivität zu präparieren und unters Mikroskop zu nehmen in der Lage ist; das erklärt und rechtfertigt es durchaus, wenn die historische Schule vorwärtskommen, brauchbare Ergebnisse

sofort gewonnen sehen wollte. Dirksen ist darüber erhaben in seiner methodologischen Strenge und Starre, in seiner philologisch-anti­ quarischen Wissenschaftlichkeit, die die Aufgaben der heutigen Richtung vorwegnimmt. So stellt er gleichzeitig das Ideal und die Karikatur

der historischen Schulansprüche dar, indem er sie einseitig, aber nicht eben methodologisch irrig überbietet. Darum ist er mit dieser Wen­ dung, die er immer entschiedener seit der Mitte etwa der 20 Jahre genommen hat, zunächst fast71) vereinzelt geblieben, darum aber auch vermag die Gegenwart ihm wieder eher gerecht zu werden. Immer­ hin wird man auch seine Erscheinung und Entfaltung als die eines

nur übermächtig gewordenen Wurzeltriebes dem Wüchse der historischen Schule zuzugesellen haben. 2. Etwas langsamer zuerst, später freilich um so kraftvoller ent­ wickelt sich die Germanistik1). Ein Gegensatz zu der Machtstellung

des römischen Rechts tritt in diesen ersten Zeiten noch nicht hervor, bei den ersten Schülern ebensowenig wie bei den Meistern der Schule^). So ist ja Hasse noch gleichzeitig^) als Romanist und als Germanist anerkannt, wie denn auch sein Rheinisches Museum Artikel gleichmäßig aus beiden Gebieten aufnahm und damit gedieh, während die aus­ schließlich für das deutsche Recht gegründete Zeitschrift „Eranien" es nur zu drei Heften (1825—1828) brachte. Begründer letzterer Zeit20*

308

Sechzehntes Kapitel.

schrift und Herausgeber ihrer ersten Lieferung war übrigens der frühere Reichskammergerichtsbeisitzer, damaliger nassauischer Oberappel­ lationsgerichtspräsident K. F. A. Philipp Freiherr von Dalwigk^),

dessen Name darum hier schon Erwähnung finden mag, während die Verdienste des Herausgebers der späteren Lieferungeü, N. Falck, weit

darüber hinausreichen.

Als der erste6) unter den Eichhornschülern, die mit ihm vater­ ländischen Eifer, und wissenschaftliche Methode teilen, sei genannt Karl August Rogge6), 1795—1827, der den im Befreiungsfeldzuge

erduldeten Strapazen und davongetragenen schweren Verwundungen jung erlag, nachdem er kaum (1824) das Königsberger Extra Ordi­ nariat mit einem Tübinger Ordinariat vertauscht hatte. „Über das Gerichtswesen der Germanen" erschien 1820.

Sein Werk Wennschon

in vielen Punkten, namentlich in der glühenden Begeisterung für die altgermanischen Tugenden, noch nicht über die Jdealschablone hinaus­ gelangt, beweist es doch schon umfassende Kenntnis des einschlägigen Quellenmaterials und bedeutet doch vielfach bereits einen Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Der damit in den'Vordergrund getretene Forschungsgegenstand fand seine weitere Förderung durch ein Preisausschreiben, das die Münchener Akademie im Jahre 1821 zum zweitenmal erließ in folgender Fassung: „1. Wie war nach der altdeutschen und altbayerischen Rechtspflege das öffentliche Gerichtsverfahren sowohl in bürger­

lichen als peinlichen Rechtsvorfallenheiten beschaffen? 2. Welchen vor­

teilhaften oder nachteiligen Einfluß hatte es auf die Verminderung oder Abkürzung der Streitigkeiten und auf die richtige Anwendung der Gesetze? 3. Wann, wie und unter welchen Einflüssen hat sich

solcher wieder verloren?" Als Antwort auf diese Fragen verfaßt und mit dem Preise gefrönt7) erschien Heidelberg 1824 die „Geschichte des altgermanischen und namentlich altbayerischen öffentlich-mündlichen Verfahrens" von Georg Ludwig Maurer6), damals Königlich Baye­ rischem Staatsprokurator am Bezirksgericht zu Frankenthal. Obschon auch eine Erstlingsarbeit wie die von Rogge, ist diese die voll aus­

gereifte Leistung eines schon älteren Mannes, der aus dem Vollen schöpft, praktische Einsicht, vielfache Erfahrnng, Kenntnis des Aus­ landes und seines Rechts mit wissenschaftlichem Sinne und mit dem Wunsche verbindet, auf die Gegenwart zu wirken, einem Wunsche, dem denn auch Erfüllung beschieden gewesen ist. Freilich, die Methode

I. Die Frühblüte selbst.

309

2) Germanistik.

ist noch keine sicher kritische, der Stoff ein wenig bunt von überall­

her mit unermüdetem Fleiße, aber ohne Rücksicht auf Verschiedenheit

von

Ort

und Zeit zusammen getragen9).

haben oft etwas Dilettantisches,

Die Wortuntersuchungen

die Quellen werden benutzt ohne Aber wieder wird man wie bei

vorsichtige Prüfung der Echtheit.

Eichhorn, bei dem ja ähnliche Schwächen, wennschon in geringerem Maße, mitunterlaufen — Maurer ist nicht sein Schüler, sondern sein Zeit- und Arbeitsgenosse, der sich noch ähnlich wie er selbst durch

den Urwald hat durchschlagen müssen — wieder wird man, wie auch bei den Romanisten, sagen müssen: was wäre daraus geworden, wenn man solche Arbeiten bis zur Erledigung gründlich kritischer Quellen­ studien und Quellenausgaben hätte vertagen wollen?

Wie traurig

es um diese noch aussah, erhellt am besten aus der Hilfsmittelüber­ sicht, die Maurer selbst als Einleitung gibt.

Da ist er angewiesen

für die leges barbarorum auf Lindenbrog, für die fränkischen Kapitu­ larien auf Baluze, für die Spiegel auf Senkenberg und gar in Er­

mangelung eines besseren für Schwabenspiegel und Glosse dazu auf Zobel (von 1569!),

außerdem

für

die

Reichsgesetze

wieder

auf Senkenberg,

auf die Urkunden- und Rechtssammlungen von Leibniz,

Schannat, Walch, Schott, Kindlinger und Bodmann.

Von irgend­

wie namhaften Schriftstellern, deren Vorarbeiten benutzbar gewesen

wären,

finden

wir außer Savigny,

Eichhorn und Rogge fast nur

Hauschild (1741) und die beiden Kopp10).

Außerdem sind französische

und englische Quellen und Literatur in beträchtlichem Maße heran­

gezogen. Und was ist nun mit diesem Material geleistet!

Wie klar sind

die Grundlinien gezogen, wie entschieden hält Maurer schon in der Einteilung ") an der richtigen Ansicht fest, die erst Brunner voll zu

Ehren gebracht hat, daß uns über Frankreich im französischen Recht, wennschon verunstaltet und national umgebildet, urgermanische Rechts­

bestandteile zurückgebracht worden sind, deshalb auch die mittelalterlich

ftanzösischen

Quellen

für die

deutsche

Rechtsgeschichte

heran­

gezogen werden dürfen und müssen. So kommt er dazu, entschieden für Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens, aber auch für Beteiligung der Laien daran einzutreten, nicht ohne auch der Schatten­

seiten zu gedenken, aber doch unter stärkerer Betonung der Vorteile12), wie Maurer sie aus der Erfahrung der rheinisch-sianzösischen Praxis

heraus lebhaft zu schildern weiß.

Nie begnügt er sich aber mit jenen

310

Sechzehntes Kapitel.

Schlagwörtern, sondern stets wirft er die Frage auf, was in jedem Falle darunter zu verstehe», wie die betreffende Einrichtung zu jeder Zeit gehandhabt worden sei. So kommt denn auch schon die Un­ mittelbarkeit der Beweiserhebung und deren nicht genug zu würdigende

Bedeutung zu ihrem vollen Recht, selbst schon strafprozessual gegen­ über der abergläubischen Überschätzung des Geständnisses"). Ganz in Eichhorns Sinn genügt es Maurer nicht, darzutnn, daß solche

Einrichtungen in ferner Vergangenheit das deutsche Gerichtsverfahren beherrscht haben, sondern, durch die dritte der angeführten Frage dazu angeleitet, verfolgt er den Verlauf auch in die näherliegenden Zeiten hinein, gibt sich Rechenschaft von den Veranlassungen

und Gründen für den Untergang der altgermanischen öffentlich­ mündlichen Rechtspflege, von dem Einflüsse der Rezeption überwiegend des kanonischen Rechts, von den spärlichen Überbleibseln der alten

Einrichtungen im Rechte der deutschen Gegenwart und von ihrer um­ fassenden Verwendung im neuesten französischen Recht. So ist das Buch nicht bloß für die wissenschaftliche und geschichtliche An­

schauung grundlegend geworden, sondern auch wirksam für Reformen int Sinne der Öffentlichkeit und Mündlichkeit einerseits, der Heran­ ziehung von Laien andererseits, Reformen, die seither als un­ trennbar zusammengehörig erscheinen. Wenn allmählich von allen Seiten her und für alle Territorien diese Reformen immer lebhafter und entschiedener gewünscht, begehrt, vorbereitet und schließlich, seit den Prozeßordnungen der zweiten Jahrhunderthälfte, durchgesetzt worden sind, so ist der entscheidende erste Anstoß dazu außer von Feuerbachs dogmatischen und rechtsvergleichenden Studien hauptsächlich

durch Maurers historisch-nationale Begründung gegeben worden. Es handelt sich eigentlich bereits sogar um mehr, um das Prinzip der Selbstverwaltung"). Das germanistische Verständnis dafür, daß

in weitesten Kreisen des Volkes frei pulsierende Kräfte nicht nur in ferner Urzeit vorhanden gewesen sind, sondern auch heute noch, neben den offiziellen und staatlichen Einrichtungen, neben bewußter und bureaukratisch zentralisierter Aktion sich aus eigener Machtvollkommen­

heit hervor betätigen; daß darum das Bedürfnis besteht, diese freien Kräfte im Interesse des Staatswohles zu verwerten, sie zur Lösung der staatlichen Aufgaben mit heranzuziehen, aus diesem unerschöpflichen

Kraftbestande der sonst erstarrenden Beamtenhierarchie frisches Leben

zuzuführen — dieses Verständnis liegt schon diesem Werke Maurers

I. Die Friihblütc selbst.

311

2) Germanistik.

ganz sonnenklar zugrunde wie seinen späteren umfassenderen,

aber

nicht bedeutsaineren Leistungen. Man wird deshalb wohl Maurer als den ersten Juristen zu bezeichnen haben, der vom Boden der histo­

rischen Schule aussteigend diese ihrem innersten und bestberechtigten

Wesen entsprossene Frucht mit sicherer Hand gebrochen hat.

Den

eigentlichen Romanisten der Schule blieb dergleichen versagt — man pflegt wohl zu sagen wegen ihrer starren Begriffe von Staat und Recht, von der juristischen Persönlichkeit und von ihren Organen — tatsächlich

und

in

nationalem Boden

letzter Linie doch wohl,

standen,

Füßen verloren hatten,

weil sie eben nicht auf

diesen um so vollständiger

unter den

je puristischer sie sich zur Aufgabe setzten,

das reine national-römische Recht aus dem usus modernus heraus­

zuarbeiten.

Darum

die

berühmte

Savignysche

Einschiebung

des

Juristenstandes als rechtserzeugend an Stelle des ganzen Volkes von einer gewissen Entwicklungsstufe ab, wogegen nun bald der germa­

nistische Entrüstungsansturm einsetzen sollte.

Aber auch

einem Eich­

horn dürfte jene besondere Wendung zur Selbstverwaltung, sei es im

Gericht, sei es in der Gemeinde, noch ferngelegen haben, und bei Rogge kann es sich allenfalls doch nur um unbewußt unklaren Drang nach dieser Seite hin handeln.

Dagegen wird man unmittelbar an

Maurers Werk anreihen dürfen Phillips' englische Rechtsgeschichte und

Bieners Studien zur Geschichte der Geschworenengerichte, als in den­ selben Quellen- und Gedankenkreis hineingehörig.

und

vervollständigen

bunten Gespinst,

sich Richtungen

dessen dadurch

So durchkreuzen

und Persönlichkeiten

in

dem

fein verschlungene Fäden zu ver­

folgen einen der besonderen Reize der Literärgeschichte bildet. Drei Jahre, nachdem Maurers erstes Hauptwerk erschienen war, erfolgte der erste Beitrag zur Hebung des traurigen Zustandes der

Quellenverhältnisse, womit jenes zu ringen hatte.

Er ist geleistet

für die Hauptquelle und von feiten des Gelehrten, der der Fort-und Durchführung dieser Arbeit ein unermüdlich fleißiges, langes Leben

gewidmet hat; er besteht vorläusig in einer Handausgabe des Sachsen­ spiegels von Karl Gustav Homeyer. Homeyer"), geboren den 13. August 1795 zu Wolgast in dem

damals noch schwedischen Neuvorpommern, lebte 1806—1810 mit

seiner Familie in Schweden, wurde von ihr aber 1810 nach Deutsch­ land dauerndes zurückgeschickt, mit seinem Onkel Friedrich Rühs"), der früher Professor der Geschichte und Bibliothekar zu Greifswald

312

Sechzehntes Kapitel.

war, bald aber in ersterer Eigenschaft an die neubegründete Universität Berlin berufen wurde. Dorthin siedelte Homeyer als Gymnasiast mit über, studierte dort seit Herbst 1813 fünf Semester unter Savigny, Eichhorn und Göschen, dann noch in Göttingen bei Hugo, Heise unfr

Meister, sowie noch kürzere Zeit in Heidelberg bei Thibaut, Gensler und Welcker. Seine juristische Doktorprüfung bestand er im Sommer 1819, nachdem er noch ein halbes Jahr in Berlin zugebracht unfr währenddessen namentlich bei Hegel Rechtsphilosophie gehört hatte, vor der Berliner Fakultät, kam aber erst am 28. Juli 1821 zur

Promotion, da die Fertigstellung der Dissertation durch verschiedene Zwischenfälle aufgehalten worden war. Diese Dissertation handelt

über einzelne Abschnitte der Geschichte des pommerschen Rechts; die Anregung dazu erhielt zweifellos Homeyer durch seinen Onkel, der sich stets wesentlich mit nordischen Stoffen beschäftigt hatte, in einer, wennschon der neueren Grimmschen Richtung gegenüber etwas ver­ alteten, so doch national gestimmten Weises; seinem Beispiele, seiner

Lehre und Anweisung hat gewiß Homeyer auch sonst viel zu danken, nicht zum mindesten eine gewisse kritische Kühle und Nüchternheit, die sich bei Rühs gegen Mösersche Phantasien wendet, dem Neffen aber wohl zur Textkritik zugute gekommen ist. Der Dissertation von 1821 selbst wird das Verdienst nachgerühmt, „eine Quelle des 16. Jahr­ hunderts, den sogenannten wendisch-rügischen Landgebrauch , welchen die landläufige Ansicht für ein Zeugnis slavischen Rechts nahm, als Aufzeichnung des in der juristischen Praxis und Gewohn­

heit der Insel lebenden deuffchen Rechts nachgewiesen zu haben." In denselben Zusammenhang gehört Homeyers 1825 erschienene verdienst­ volle Übersetzung und Bearbeitung des 1822 und 1823 von dem

Kopenhagener Professor Kolderup-Rosenwinge veröffentlichten Grund­ risses der dänischen Rechtsgeschichte mit selbständig rechtsvergleichenden, ebenso kurzen wie geschmackvollen Zusätzen. des Übersetzers, der ja,, von Jugend auf mit skandinavischer Sprache und Literatur wohl ver­ traut, zu dieser Vermittlung zwischen besonders berufen war. Was man für den Grimms Hinweise lebhaftes gunsten der Erschließung gemeinsam

nordischem und deutschem Recht, damals schon auf jenem Wege, Interesse erwecken mußten, zu­ germanischen Wesens und int

Sinne poetisch-romantischen Verständnisses für Natur- und Volksleben zu leisten vermochte, hat ja Karl Schild en er19), mag er zunächst auch weiter keinen Einfluß damit geübt haben, klärlich dargetan in

I. Die Früh blute selbst.

seinen gleichzeitigen Studien

über

2) Germanistik.

altnordische Gesetze

313

und Rechts­

bücher, wie in den darüber angestellten rechts- und religionsgeschicht­ lichen Betrachtungen. Homeyer aber mit seinem philologischen Sammel­

fleiß

und

seiner gewaltigen

Arbeitskraft, mit seinem

eindringlichen

Forschungs- und Verarbeitungstalent war zu Dringlicherem, Näher­

liegendem, für uns Wichtigerem berufen.

So hat er glücklicherweise,

spätere gelegentliche Rückblicke Vorbehalten, jene Bahn verlassen, um,,

einem Hinweise Savignys folgend, sich ganz dem Studium des eigent­ lich deutschen Rechts und besonders der Bearbeitung seiner Quellen zu widmen.

Begünstigt wurde er dabei durch den glatten und stetigen aka­ demischen Erfolg.

Noch 1821 in Berlin habilitiert, dort, wo seit

Eichhorns Abgang kein eigentlicher Germanist mehr tätig war, gewisser­ maßen an dessen Stelle am 9. November 1824 zum außerordentlichen, am 20. Mai 1827 zum ordentlichen Professor befördert, hat Homeyer

in dieser Stellung ruhig und still in geräuschlosem Fleiße sein ganzes

Leben verbracht.

Selbst nachdem er 1868 auf seinen Wunsch von

der Verpflichtung, Vorlesungen zu halten, befreit worden war, blieb

er nicht nur literarisch, sondern selbst akademisch tätig, bis er, im Januar 1872 vom Katheder herabsteigend, die ersten Spuren eines Schlaganfalles

empfand;

am 22. Oktober 1874

ist er zu Berlin

gestorben20). Die Früchte dieses langen und erfolgreichen Strebens und Lebens sind in ihrer weit höheren Zahl und Bedeutung ja erst in den Jahr­

Aber der Fruchtansatz vollzieht sich denn

zehnten nach 1830 gereift.

doch schon in der hier behandelten Periode.

Der äußere Anstoß dazu ergab sich durch eine berühmte Berliner

Handschrift des

Sachsenspiegels,

der

akademische Anlaß

aus

dem

Wunsche, den romanistisch-exegetischen Quellenvorlesungen germanistische

an die Seite zu stellen.

Mit sicherem Blick erkannte Homeyer den

Sachsenspiegel als dafür best geeignet; aber die letzte Ausgabe dieses Rechtsbuches, die man dazu hätte verwenden können, war die von

Gärtner 1732 besorgte2^).

Zunächst um dieser Notlage abzuhelfen,

aber nicht schon ohne Hinblick auf viel höhere und weitere Pläne für

die ganze Gruppe des Sachsenspiegelrechts, begab sich Homeyer an die Handausgabe von 1827.

Hatte er doch bei der ersten Inangriff­

nahme der Arbeit, schon durch das abschreckende Beispiel Grupens, zu erkennen vermocht, daß das gesamte übermächtige Material sich

314

Sechzehntes Kapitel.

nicht auf einmal werde bewältigen lassen: wer alle Handschriften zu­

sammenstellen und behufs Kritik des Urwerkes und aller seiner so be­

deutsamen Varianten22) ausnutzen wollte; wer über all dies den Geist der Quellen nicht zu verleugnen und eine dies bekundende Fassung

herzustellen unternahm; der mußte sich entschließen, diesem Ziele sich schrittweise zu nähern, um, durch die Benutzung des jedesmal früheren, auf schmalerer Grundlage übersichtlich hergestellten Drucks zu weiteren Studien und Ausgaben, sich vor dem Ertrinken in den Ozean des

Stoffs zu retten.

Indem Homeyer diese Einsicht gewann, indem er

sie zu betätigen die Selbstverleugnung, auf dem. dadurch angebahnten Wege bis zu Ende zu gehen die Beharrlichkeit besaß, seiner Aufgabe geworden.

erste,

ist er Herr

So begnügte er sich denn für jene seine

die sogenannte Handausgabe mit dem Landrechte des Sachsen­

spiegels und mit Benutzung von bloß 18 Handschriften und alten Drucken; daß trotzdem bereits durch sie alles, was bis dahin gedruckt

vorlag,

weit in den Schatten gestellt wurde, ist selbstverständlich22).

Gleichzeitig mit Homeyer hatte sich indessen,

umeinander gewußt hätten,

ohne

daß

beide

seit längeren Jahren mit umfassenden

Vorarbeiten zu demselben Endzweck abgemüht der Sekretär des Ober­ appellationsgerichts zu Dresden, F. A. Nietzsche2*).

Dieser verwertete

nun seine Vorergebnisse zu einer gründlichen Besprechung der Homeyer-

schen Handausgabe, 182725), mit so ausführlichen eigenen Zutaten,

Bemerkungen und Ergänzungsvorschlägen, daß er dadurch selbst mit

in die Vorderreihe der germanistischen Quellenforscher trat, nachdem

er sich dafür schon unmittelbar vorher durch eine ebenso selbständige

Rezension von Heffters Prozeßinstitutionen die Sporen verdient hatte22). In jener Besprechung Homeyers erkannte Nietzsche das von diesem

Geleistete voll und freudig an, setzte aber seinerseits neue Forschungs­

ergebnisse, betreffend die Genealogie der Handschriften, auseinander und befürwortete darnach für eine nunmehr auszuführende, strenger wissen­ schaftliche Ausgabe die Wahl eines anderen Gründtextes und Heran­ ziehung eines gar viel reicheren handschriftlicheren Apparates.

Er

setzte sich deshalb auch persönlich mit Homeyer in Verbindung und

spann mit ihm umfassende Pläne zur Veröffentlichung einer Zeitschrift „Beiträge zur Quellenkunde des germanischen Rechts", sodann/ nach­ dem diese gescheitert war, zu einer Gesamtausgabe aller mittelalterlich

germanistischen Quellen von den Volksrechten bis zu den Rechtslüchern und

Weistümern, .auf Subskription

oder

unter Anschluß

an

die

I. Die Frühblüte selbst.

2) Germanistik.

315

Monumenta Germaniae oder auch mit Unterstützung der Frankfurter

Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde: Pläne, denen allen der frühe Tod Nietzsches, 1834, ein jähes Ende bereitete.

Ob sie

überhaupt bei aller Sachkunde und Ausdauer Nietzsches sonst zu gutem Gude

sich

werden,

würden

haben

führen

lassen, mag mit Fug bezweifelt

da ihnen im Gegensatze zu Homeyers vorsichtiger Beschrän­

kung von vornherein Nietzsches fast phantastische Uferlosigkeit anhaftet. Nietzsche litt ohnehin daran, daß sich ihm jeder Brief zu einer Ab­

handlung, wuchs.

jede Abhandlung zu einem Buche unter der Feder aus­

Was wäre erst aus dem an sich endlosen Beginnen der ge­

schilderten Art geworden?

So mag es sein, daß man sein Hinscheiden

im Interesse der Wissenschaft nicht einmal allzusehr zu beklagen Anlaß hatte: was er an Wissen und Einsicht beizlitragen hatte, war Homeyer bekannt gegeben, und konnte nun wieder von diesem allein nach seinem

langsam aber sicher vorrückenden Verfahren zu der Fortsetzung der Ausgaben benutzt werden, mit denen wir in der Folge ihn weiter beschäftigt antreffen werden. In engster Verbindung mit Savigny und Homeyer war gleich­

zeitig Mitglied der Berliner juristischen Fakultät v. Lancizolle^), der

Lehrer Friedrich Wilhelms IV., dessen ganze Persönlichkeit und Welt­

anschauung in noch wesentlich gesteigertem Maße den Zeitcharakter der Romantik widerspiegelt, aber in eigenartig positiv-religiöser und

Preußisch-monarchischer Zuspitzung.

Selbst in der Einleitung zu seiner

„Geschichte der Bildung des preußischen Staates"^), 1828, kann er sich nicht darauf beschränken, hervorzuheben, wie eine strenggeschicht­ liche Betrachtung der wirklichen Staatsbildung nottue, die auch das Unrecht nicht verschweige, das manchen Erwerbungen anklebe, um den verderblichen

Vorstellungen

von

Staatsbildung entgegenzuwirken.

der

naturrechtlich-vertragsmäßigen

Es genügt ihm selbst nicht, dabei

auszuführen, wie die Geschichte ein treffliches Mittel sei, unbefangene

Gemüter von der Herrschaft willkürlich ersonnener Theorien (das soll

immer wieder heißen naturrechtlich demokratischer Ideen) zu befreien oder zu bewahren, indem aus den realen Lehren der Geschichte uns

etwas entgegenwehe, „was sich wohl nicht in bestimmte Begriffe und

Worte

auflösen

läßt,

ähnlich

dem Eindrücke

Innerste unseres Wesens, eine Ahnung göttlichen Weltregierung."

Sondern

er

der Natur

auf das

von einer lebendigen

geht sogar

in

dieser rein

wissenschaftlichen Erörterung so weit, hinzuzusetzen, daß denn aber

Sechzehntcs Kapitel.

316 doch

„bloßes Geschichtsstudium,

und wäre

es noch so

umfassender

Art, würde es noch so unbefangen und besonnen betrieben, wäre es

noch so sehr belebt durch jenes ahnungsvolle Gefühl eines göttlichen Weltregiments, das Bedürfnis des menschlichen Geistes nach einer festen Überzeugung von dem Ursprung, dem Wesen, der endlichen Bestimmung der Staaten, des Rechts überhaupt, ja aller uns be­

sonders wichtigen Elemente und Richtungen des Menschenlebens nicht vollständig befriedigen"

kann, wenn nicht etwas Höheres und

Umfassenderes hinzukommt, die Begründung nämlich auf die Welt-

und Lebensansicht,

„welche das Wort Gottes darbietet und fordert.

Ihm ist..... das Dasein der Obrigkeiten und des ganzen Rechtsgebietes

nicht ein Werk menschlicher Willkür und Erfindung, noch das Produkt

einer, das freie väterliche und königliche Regiment eines lebendigen persönlichen

Gottes

ausschließenden,

Naturnotwendigkeit,

sondern

wesentlich ein Stück der göttlichen Weltordnung für das irdische Da­ sein der gefallenen Menschheit."

Eine zugehörige Note stellt dann

den Gesamtgang der europäischen Geschichte einschließlich der Refor­

mation, der französischen Revolution und ihrer Folgen hin als solchen Plan dieser göttlichen Weltordnung, gerichtet lediglich auf Förderung

der preußischen Staatsbildung,

und führt auf diese Weise zu der

eigentlichen Aufgabe des übrigens rein geschichtlichen Werkes zurück. Hervorzuheben

ist,

daß

dieses

in .nahem Anschlüsse

an Eichhorn

die verfassungsgeschichtliche Seite und die rechtliche Grundlage der einzelnen Ländererwerbsfälle besonders berücksichtigt.

Soweit ist es

eine tüchtige und gewissenhafte, keineswegs durch grundsätzliche Vor­

eingenommenheit irregeleitete Bearbeitung freilich lediglich bereits ver­

öffentlichter Materialien. Ebenso verfährt, und zwar wieder in

nächster Anlehnung an

Eichhorn, außerdem gestützt auf Heinrich Seo28) und dessen bekannte

Theorie über die lombardische Städteverfassung, Lancizolle in seinen

„Grundzügen der Geschichte des deutschen Städtewesens mit besonderer

Rücksicht auf die preußischen Staaten",

Berlin und Stettin 1829.

Die Darstellung ist gewandt und noch heute lesbar, namentlich soweit ihr die romantische Freude an mittelalterlichen Dingen und das ger­ manistische Verständnis zugute kommt, das Lancizolle der kommrnalen

Selbstorganisation

und

Selbständigkeit,

den autonomen Zwischen­

bildungen zwischen Individuum und Staat'entgegenbringt. Auf diese organisch lebendige Autonomie,

deren

Berechtigung das 18. Jahr-

I. Die Friihblüte selbst.

2) Germanistik.

317

hundert so ganz verkannt hatte, wird von Lancizolle geradezu der Begriff der Stadt als einer juristischen Institution begründet. Je mehr er sich aber der Gegenwart in seiner Darstellung nähert, um so mehr wird sie beeinflußt durch seine politischen Ziele und Tendenzen. Bringt

er es doch demgemäß zustande, statt, wie gerade von seiner Grund­ lage aus gegeben, die Steinsche Städteordnung als entscheidende Rück­ kehr zu den guten Überlieferungen zu preisen, für diese vielmehr nur knappe Worte lauester Anerkennung zu finden, verbunden mit dem

weit schärfer hervorgehobenen Tadel, man habe bei ihr nicht genügend individualisiert, ohne reiflich besonnene Erörterung noch gründlich spezielle Information nur nach einer allgemeinen übersichtlichen Kennt­ nis des Bestehenden und einem bloßen Totaleindrnck von dessen Mängeln und Gebrechen mit Hilfe allgemeiner Theorien (dies bei Lancizolle stets der schärfste Vorwurf) durchgreifende Änderungen vor­

genommen und so ein wichtiges Stück der Landesverfassung durchweg gleichförmig gestaltet. In solchem Tadel kommt nicht nur die Neigung zu mittelalterlicher Buntscheckigkeit und die Abneigung gegen umfassende verwaltungsrechtliche Reformen zu Worte — etwa wie bei Savigny die Abneigung gegen Kodifikation —, sondern es soll auch dadurch offenbar die Rückwärtsrevision der Steinschen Städteordnung gerecht­ fertigt werden; es handelt sich nicht mehr um Wissenschaft, sondern um Politik. Erst recht ist sein Werk späterer JahreM) „Über König­ tum und Landstände in Preußen", Berlin 1846, bei aller Gediegen­

heit und Zuverlässigkeit der historischen Abschnitte und der verfassungs­ rechtlichen Einzelheiten, wodurch es eine heute noch, namentlich zur Gewinnung von Kenntnissen über die ständischen Einrichtungen der

Zwischenzeit von 1815—1848, brauchbare Leistung darstellt, sonst ein trauriges Erzeugnis politischer Rückständigkeit und Engherzigkeit, die hier noch weit härter als

früher hervortritt.

Offenbar bemüht

es sich um Begründung der bekannten ständischen Ideen König Friedrich Wilhelms IV., Ideen, die in Lancizolles ganzem Freundes­ kreise so einheimisch, aus dessen Anschauungen so selbstverständlich hervorgegangen sind, daß es schwer fallen dürfte, einen Einzelnen als ihren eigentlichen Urheber zu bezeichnen; sonst tvürde man eben an Lancizolle dafür zu denken geneigt sein. — Im Jahre 1852 über­ nahm dann Lancizolle die Direktion der Königlichen Staatsarchive

und hat sich von da ab ausschließlich diesem Amte und dem inner­ kirchlichen Leben in stiller Zurückgezogenheit gewidmet.

Sechzehntes Kapitel.

318

Man wird Lancizolles Persönlichkeit und Tätigkeit als bezeich­ nend ansehen dürfen für den Zusammenhang, der von der älteren rechtsgeschichtlichen Schule zu der deutschen politischen Geschichts­ schreibung hinüberführt, wobei ja selbst Rankes Name ausgesprochen

werden bars30) — ähnlich etwa wie seinerzeit des Thomasius rechts­

historische Anregung zu Ludewigs Reichsgeschichte und von da zu Mascov hinübergeführt hat. Zugleich wird aber dadurch auch gekenn­ zeichnet der Übergang zur äußersten Rechten einer Berliner Gruppe, die

vielfach mit der historischen Schule selbst, infolge politischer, persönlicher und lokaler naher Beziehungen der Beteiligten, verwechselt worden ist; als deren Repräsentant ist etwa der traurige Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der staatswissenschaftliche Schriftsteller Friedrich

Ancillon (1767—1837) in seiner vollen Seichtigkeit und Schön­ rednerei, auch er einer der maßgebenden Erzieher Friedrich WilyelmsIV., anzuführen. Das wird man im Auge behalten müssen, zur Wür­ digung mancher kühl ironischen oder erregt entrüsteten Äußerung andersdenkender Zeitgenossen über das, was diesen als der Kern der historischen Schule selbst, wennschon irrtümlich, erschien. Der ruck­

schauende Geschichtsschreiber aber findet

den Kern

der historischen

Schule in anderen Dingen und Personen: gerade für diese Jahre der

Germanistik nicht in Berliner romantisch-frömmelnden und politisieren­ den Zirkeln und Konventikelnsl), sondern unter den Göttinger Sieben, neben Jakob Grimm und Dahlmann, bei Wilhelm Eduard Albrecht. Albrecht33) ist zu Elbing am 4. März 1800 geboren. Er hat 1818 kurz in Königsberg, dann seit 1819 hauptsächlich in Göttingen

studiert unter seinem als Lehrer und Meister allezeit verehrten Vor­ bilde Eichhorn und hat ebendort, am 1. April 1822, unter Hugos

Dekanat, promoviert. Als er sich darauf längere Zeit in Berlin aufhielt, um bei Savigny zu hören, trat er in ein enges Freund­ schaftsverhältnis zu Homeyer. In Königsberg 1824 habilitiert, wurde

er dort 1825 zum ao>, Januar 1829 zum o. Professor für deutsches Recht befördert. Dann erfolgte seine Berufung nach Göttingen als

Nachfolger Eichhorns, der ihn selbst dafür in Vorschlag gebracht hatte, nnd seine dortige Ernennung am 29. Oktober 1829 mit Lehrauftrag für deutsches, Staats- und Kirchenrecht. Zu Ostern 1830 hat er eine überaus erfolgreiche Lehrtätigkeit in Göttingen begonnen; am 12. Dezember 1837 sollte ihr das jähe Ende bereitet werden durch

das Königliche Reskript,

das ihn

mit seinen

sechs Genossen ohne

I. Die Frühblüte selbst. Untersuchung

dann

des

Aufnahme

zunächst

(21. Oktober 1840)

Professor

des Amtes

unir Recht für

bekanntlich

förmliche

deutschen

2) Germanistik. entsetzt erklärte.

der

unter

Wiederanstellung

Rechts

in

319

Sachsen,

als

später

ordentlicher

der

an

Er hat

Hand,

Universität

Leipzig, gefunden und ist darum dieser Universität anch bei Berufung nach Heidelberg (1842) und bei Rückberufung nach Göttingen (1848)82e)

treu geblieben. Albrecht hat, bis er zum 1. April 1868 das Lehramt niederlegte, in Leipzig

als akademischer Lehrer

Recht nicht nur,

für deutsches

sondern.allmählich auch für Staatsrecht stark gewirkt; Stobbe und

Konrad Maurer z. B. wie K. F. Gerber sind seine Schüler gewesen.

Er hat ferner durch sein weithin leuchtendes Beispiel gegen Ende der 30 er

Jahre

Erziehung

einen

deutscher

vorbildlichen Einfluß gewonnen im „Untertanen"

zu

Sinne der

selbstbewußter Männlichkeit,

politischer Gesinnungstreue und bewährungsmutiger Rechtsüberzeugung; dies um so mehr, da es sich bei ihm keineswegs um revolutionäre oder

liberale Neigungen im Sinne der 48 er Jahre handelte, noch gar um blinde Leidenschaft, sondern um eine eher konservativ gerichtete, mild beschaulich ästhetische Natur.

Er dürfte mehr einem gewissen „geistigen

Epikurismus" zugeneigt haben, der gar nichts Besseres wünschte, als allen solchen Stürmen und Erregungen aber nicht

imstande,

dem

fern zu

bleiben,

war nun

Rechtsbruche gegenüber das Recht,

er selbst lehrte, die sittlich verbindliche Kraft des Rechtsgebotes, dem der Landsmann Kants wurzelte, zu verleugnen.

das in

So hat Albrecht

den Standpunkt, den er gegen das berüchtigte hannöversche Patent

vom 5. Juli 1837

einnahm,

festgelegt in der an den Protest der

Sieben sich anschließenden Schrift „Die Protestation und Entlassung der sieben Göttinger Professoren", Leipzig 183833). Es handelt sich da, sehr im Gegensatz zu pathetischen Äußerungen seiner Genossen

(Dahlmann, Grimm, Ewald), um leidenschaftslos ruhige, streng juri­

stische Auseinandersetzung, die, wie Dahlmann sagt, „den geraden Weg

rechtlicher Erörterung" geht, „unter geflissentlicher Vermeidung aller

der Verhältnisse, die, so schwer sie dem Menschen wiegen,

doch in

der Wagschale rechtlicher Entscheidung keinen Ausschlag geben."

So hat sich denn auch Albrecht weiter bewährt

während seiner

Beteiligung an den politischen Ereignissen des Jahres 1848 und der anschließenden Zeit.

Er ist Dahlmann als treuester Helfer zu Frank­

furt an die Hand gegangen für die juristischen Einzelheiten, als dieser

320

Sechzehntes Kapitel.

im Auftrage des Siebzehner-Ausschusses den Entwurf des deutschen Reichsgrundgesetzes ausarbeitete; und hat ein Abgeordnetenmandat in

der Nationalversammlung bis zum 17. August ausgeübt, wennschon nicht eben mit Begeisterung, da er früh die Erfolglosigkeit aller dieser Bemühungen ebenso wie den Mangel eigener praktisch-parlamentarischer

Begabung erkannte, so doch mit gewissenhaftem Fleiß. Bis zum Ende hat er jedoch nicht ausgeharrt; mit Recht hegte er die Überzeugung, daß er als Professor ungleich nützlicher sein könne, wie als Depu­ tierter^). „Seinem ganzen Naturell und seinen Neigungen nach

paßte er nicht hierher.

Er war eine zu sinnig und skeptisch ange­

legte, zart besaitete Natur. Von jedem starken Konflikt und jedem leidenschaftlichen Kampf, Auge in Auge, wurde er empfindlich berührt.

In wichtigeren Fragen kam er oft nur schwer zur Entscheidung und hatte überhaupt vor dem öffentlichen Auftreten und der parlamen­ tarischen Diskussion eine unüberwindliche Scheu. Es fehlte ihm Schwung der Leidenschaft und die fortreißende Gewalt der Rede. Wenn er mit souveräner Sicherheit sich auf dem Katheder bewegte, so war doch die Rednertribüne nicht der Ort, auf welchem er seine

Ansichten zu entwickeln vermocht hätte." So zog er sich denn damals vom politischen Leben im wesentlichen zurück; bei dem sächsischen Kon­ flikt des Jahres 185035) hat er doch wohl nur so weit sich beteiligt,

wie er folgerichtig und selbstgetreu es zu unterlassen nicht umhin konnte. Übrigens blieb er für ihn nur eine kurze Episode ohne per­

sönlich schwerere Folgen.

So tief es ihik verletzte, als im August

1851 seine Freunde, die Professoren Otto Jahn, Moritz Haupt und Theodor Mommsen wegen ihres Verhaltens zu Leipzig während des Dresdner Maiaufstandes ihrer Ämter entsetzt wurden, obgleich sie in der Kriminaluntersuchung freigesprochen waren; so unermüdlich er war

in seinen Beniühungen, für sie an irgendwelcher anderen Universität eine Stätte zu geivinnen: öffentlich hat er zu diesen Wirren sich nicht mehr geäußert. Seine späteren Jahre scheinen vollends33) unter dem Drucke einer gewissen hypochondrischen Kränklichkeit gestanden zu haben, wodurch freilich die Pflege musikalischer und literarischer Interessen sowie einer-feinen Geselligkeit im engeren Kreise nicht Ausgeschlossen wurde. Aber auch die lebhafte und weitgreifende Feier seines 50jährigen Doktorjubiläums am 1. April 1872 ist doch noch von Albrecht

mit freudiger Befriedigung begangen worden; am 22. Mai 1876 ist er dann zu Leipzig gestorben.

I. Die Früh blute selbst.

2) Germanistik.

Albrechts politische Lebensschicksale haben

321 wesentlichen ihre

im

Bedeutung nur als Hintergrund für seine akademische und persönliche Seine literarische Produktion

Wirksamkeit.

fast ausschließlich,

liegt

jedenfalls zu ihrem weitaus überwiegenden Teil vor allen politischen Ereignissen, ja selbst vor der mehr ins Breite gehenden Lehrtätigkeit

zu Göttingen und Leipzig; jene füllt wesentlich in seine stillen Königs­ berger Tage nnd in die Frühzeit der historischen Schule. Da erschien zuerst in zwei Abteilungen, 1825 und 1827, eine

Abhandlung über deutsches Beweisrecht, Doctrinae de probationibus

secundum ius germanicum medii aevi adumbratio.

Unmittelbar

daran reiht sich schon (die Vorrede ist datiert vom April 1827, erschienen

zu Königsberg 1828) Albrechts klassische Leistung, das Buch, mit dem

sein Name begründet wurde und fortlebt:

„Die Gewere als Grund­

lage des älteren deutschen Sachenrechts". Es jist die erste dauernd mustergültig gebliebene germanistische

Monographie.

Wie

an den römischen

die deutschrechtliche Gewere

Besitz, so erinnert dieses Buch an Savignys erstes Besitzbuch.

Wie

für Savigny nur die traurigen Machwerke Westphals, so lassen sich

für Albrecht nur

die elementaren

Anläufe

von Christian Ludwig

Runde 3?) als Vorgänger nennen, freilich desselben Runde, der später das treffliche, auch

von Beseler mit höchstem Lobe anerkannte Werk

über das deutsche eheliche Güterrecht (1841) schuf.

Solchen schwachen

Vorläufern gegenüber entspringen diese beiden Werke von Savigny

und von Albrecht unmittelbar, vollendet im Typus und in allen Einzel­ heiten einer jugendlich frischen Gestaltungskraft.

Besitz können.

hat

nicht

etwa Albrecht

als

Aber auch Savignys

unmittelbare

Vorlage

dienen

Höchstens mag jenes Werk dem Germanisten ein Mahnruf

gewesen sein, auch seine Wissenschaft zu gleicher Höhe zu erheben,

darzutun, daß auch für das deutsche Recht und mit dessen Stoff sich ähnlich Vollendetes aufbauen lasse.

Auf diesem Gebiete hatte Eich­

horn nicht gewirkt; Eichhorn war doch immer nur der Mann groß­

zügiger Entwicklung, geschichtlichen Quellenstudiums, lehrbuchmäßigen Aufrisses gewesen und geblieben; da kam Albrecht der insofern zurück­

gebliebenen Wissenschaft des deutschen Rechts von dieser Seite her zu Hilfe.

Er besitzt das Bedürfnis und die Fähigkeit, den gegebenen

Stoff künstlerisch zu durchdringen und darzustellen, eine einheitliche Grundanschauung

über eine einzelne, aber zentrale Rechtsinstitution

in großen Linien vorzuzeichnen und dann in alle feinsten Einzelheiten

Laitddberg, Beschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II: Text.

21

Sechzehntes Kapitel.

322

durchzusühren, mannigfach durch die Nebenumstände beeinflußt und doch stets bei demselben Grnndmotiv mit logischer Klarheit festgehalten.

Wie bei Savignys Besitz entsteht so ein konstruktives Kunstwerk, bei dem jeder Gebäudeteil, wie er vom Ganzen getragen wird, so auch

seinerseits wieder das Ganze trügt nnd stützt,

ein Kunstwerk, bei

dessen Anblick man gar nicht näher nach Beweisen für die Richtigkeit der einzelnen Sätze fragen mag, sondern sich alsbald in den Bann

seiner Wirkung geschlagen fühlt. Deshalb offenbar spricht auch Andreas Heusler, indem er 1872 zu einer Neubegründung der Lehre von der Gewere sich anschickt, doch von einem „rätselhaften Zauber und einer geheimnisvollen Macht", als

solches,

als

die Albrechts Werk übe.

vollendete Wiedergabe

Das Kunstwerk

subjektiven Idee

einer

des

Meisters ist eben erhaben über die Kategorien der äußeren Wahrheit oder Richtigkeit, ein in sich und um seiner selbst willen selbstberechtigt

lebensfähiges.

Wenn auch sein Stoff veraltet,

seine Brauchbarkeit

auf die Dauer nicht ausreichen mag: es bleibt die individuelle Kunst'

form, die wir Stil heißen. Hat Eichhorn den Stil der deutschen Rechtsgeschichte gefunden,

so

ist

der

germanistische

Schöpfung Albrechts.

Stil

dogmatischer

Rechtskonstruktion

die

Indem er die Gewere in diesem Stil baute,

führte er den Nachweis für die Vollwertigkeit des deutschen Rechts neben dem römischen, nicht durch öde methodologische Auseinander­

setzungen, die allein für sich nur ein Zeichen der Schwäche und Un­ fruchtbarkeit sind, sondern durch die Tat.

Indem dieser Stil deutlich

ein anderer ist als der Savignys und der ihm folgenden romanistischen Monographien, zeigt sich bei allem Parallclismus der Entwicklung die Selbständigkeit. Mit Bewußtsein spricht das die Vorrede aus; sie betont, das Werk sei entstanden aus der Überzeugung hervor, „bei der Vergleichung des fremden und einheimischen Rechts, selbst bei der

unleugbarsten Analogie beider im einzelnen" müsse man stets „gegen die Übereinsümmung in den Fundamenten und Prinzipien ein gewisses

Mißtrauen hegen." Germanistik,

Ebenso bewußt ist der Gegensatz gegen die frühere

die es als ihre Aufgabe ansah,

die Einzelheiten des

deutschen Rechts in den romanistischen Gesamtbau nach Grundriß und allgemeiner Raumeinteilung einzuzwängen,

der romanistischen Zwangsvorstellung

romanistischen Stil kannte. davon überzeugt zu

weil sie eben nicht von

loskonnte, weil sie nur einen

„Der Verfasser glaubt im Gegenteil, sich

haben, daß man schon bei dem ersten Eintritt

I. Die Frühblüte selbst.

in

das

deutsche Recht auf einen

nämlich den der Gewere,

stößt,

2) Germanistik.

durchaus

323

eigentümlichen Begriff,

der nicht etwa bloß eine einzelne

Partie desselben bildet, sondern in der Tat der Schlüssel zu dem Ganzen

zu

nennen

ist.

Hält

man ihn

bei

der Betrachtung

des

Sachenrechts fest, so finden einesteils manche Eigentümlichkeiten des­ selben in ihm ihre Begründung, während sie sonst als rein zufällige Abweichungen von dem römischen Recht erscheinen, anderenteils zeigt sich, daß die Übereinstimmung beider Rechte häufig mit viel größerem

Recht eine bloß zufällige, äußere zu nennen sei, die, wenn man bei

ihr stehen bleibt, nur dazu dienen kann, den wahren Gesichtspunkt, aus

welchem

die Erscheinungen

des deutschen Rechts zu betrachten

sind, zu verdunkeln."

Nichts bezeichnender als die letzte Wendung: bezeichnend für das, was Albrecht mit Savigny gemeinsam hat, wie für das, was seine Selbständigkeit bildet. Gemeinsam ist die Überzeugung, daß es einen

„wahren Gesichtspunkt" gibt, von dem aus betrachtet die Rechtsmasse sich organisch ordnet, Regeln und Ausnahmen sich sinnvoll und folge­

richtig fügen, die einzelnen schon^bekannten „Erscheinungen" nur als Anwendungsfälle erscheinen, wohl auch neue Anwendungsfälle sich erschließen lassen: kurz die Überzeugung davon, daß das Recht kon­

struierbar ist.

in

Gemeinsam ist demgemäß auch die konstruktive Methode

ihrer sich gegenseitig stützenden Verbindung von Induktion und

Deduktion, in ihrer monographischen Durchdringung des ganzen Rechts­

stoffes von einem bestimmten Ausgangspunkte aus,

eine Methode,

deren Herrschaftsanspruch so lange stillschweigend anerkannt ist.

worden

Aber selbständig ist Albrecht im Stil seiner Konstruktion: Nicht

die romanistische Rechtslogik wendet er an, sondern eine eigentümliche germanistische Rechtslogik, die eigens dafür geschaffen wird; ihre Be­

griffe sind zugleich plastischer und schmiegsamer, nicht nur der Haupt­

begriff der Gewere selbst, wie Albrecht ihn hier ausstellt,

sondern

auch die Hilfsbegriffe, wie die der älteren und neueren Satzung, der treuen Hand,

der lehns- und hofrechtlichen Besonderheiten.

Diese

Begriffe bestimmen und bewegen sich „dem Geiste des deutschen Rechts gemäß" (so heißt es z. B. S. 79 und öfter).

Sie vereinigen sich

unter publizistischen Gesichtspunkten, indem die Gewere aufgeht in

die Befugnis des selbständigen Freien,

zu eigenem Recht seine Sache

zu verteidigen, und indem sie sich entsprechend zur Seite stellt einem „zweiten

Begriffe

von

der

umfassendsten

Bedeutung

im deutschen 21»

324

Sechzehntes Kapitel.

Rechte, nämlich dem der Vogtei (Vormundschaft), in der beiden ge­

meinsamen Idee des Schutzes,

der Vertretung" — die Vogtei als

eine Gewalt über unterworfene Personen, die Gewere als eine Ge­ Dies alles wendet sich ja noch nicht

walt über Sachen aufzufassen.

ausdrücklich gegen das römische Recht, aber es bereitet doch ent­ schieden den Ansturm vor, der bald von Anderen unternommen werden soll.

Hatte schon längst der Anspruch des römischen Rechts auf stoff­

liche Alleinherrschaft aufgegeben werden müssen, so ist es nun die bis dahin, selbst für Eichhorn, doch immer noch alleinstehende Möglich­ keit, sich der romanistischen Vorstellungs- und Denkformen zur dog­

matischen Durchdringung und zur systematischen Anordnung deutscher Rechtssätze zu bedienen, neben die Albrecht eine andere, germanistische

Möglichkeit setzt.

Die von Pütter aufgestellte, von Hugo für das

römische Element mit peinlicher Gewissenhaftigkeit durchgeführte, von

Savigny und Eichhorn aus historischem Geiste und nationalem Drange neubelebte Forderung einer sauberen Scheidung zwischen römischem und deutschem Recht ist damit eigentlich erst von ihrer zweiten, der

logisch-konstruktiven Seite her voll erfaßt und befriedigt.

Nicht mehr

bloß geschichtlich und stofflich, auch dogmatisch und methodologisch beansprucht

Zimmer,

gnügte,

das

deutsche Recht

mit denen es sich ein

Gebäude

nunmehr

bisher

sich;

für

im

es

statt

einiger

braucht

scheiden dem Hanptbewohner unterzuordnen,

sich

nicht

sogar zum Angriffe gegen

Schwester vorgehen,

mehr

be­

sondern es hat seine

selbständige Berechtigung durch Albrecht gewonnen.

von hier aus

besonderer

alten römischen Hause be­

Bald wird es

den Palast der

älteren

das Eigentum an dem Grund und Boden, auf

dem dieser Palast gebaut ist, kraft unverjährbar nationalen Rechts beanspruchen und ihn selbst, um sich ;freier ausdehnen zu können,

einzureißen drohen.

Deutlich tritt in diesen allgemeinen Zusammenhängen, wie nament­ lich

in

dem

Verständnis

für den

besonderen Geist

des

deutschen

Rechts, aus dem einzig und allein Albrechts Gewere ertvachsen konnte, der historische Schulstandpnnkt hervor.

Albrecht hat sich immer zur

Schule gerechnet und ist von dieser immer als zugehörig angesehen worden.

der

Im einzelnen aber ist es freilich Albrecht nur auf Kosten

geschichtlichen

Entwicklung

seinen Bau zusammenzufügen.

und

ihrer Verschiedenheit

gelungen,

Wie die Vorrede selbst bemerkt, bezieht

sich die Abhandlung nur auf einen Zeitraum ausj.der,Geschichte des

I. Die Frühblüte selbst.

325

2) Germanistik.

Lediglich der Quellenkreis

deutschen Rechts, das spätere Mittelalter.

Das war eben eine

der Rechtsbücher liegt der „Gewere" zugrunde.

Zeit, das ist eben ein Quellenkreis, die eine kunstmäßige Pflege des deutschen Rechts kannten, darum auch wieder die vorzügliche Grund­

lage zu seiner kunstmäßigen Darstellung abgeben.

Wie das deutsche

Recht so weit gelangt ist, nnd was dann weiter aus ihm werden sollte, tritt dagegen in den Hintergrund; in dieser Beziehung bringt erst die nächste größere germanistische Monographie, Beselers Werk über die

Erbverträge den Fortschritt wahrhaft geschichtlicher Entlvicklung.

Es

ist eben schon so, daß jedem Tage seine Aufgabe genügt; ohne eine

gewisse Einseitigkeit, Künstlichkeit und Selbstherrlichkeit hätte Albrecht wohl kauin die f einige in solcher Vollendung gelöst.

Wenn

Albrecht seitdem

im wesentlichen

geschwiegen

hat, der

Mann dieses einen Buches geblieben ist, so wird dafür als letzte Erklärung anzusehen sein, daß ihm solche Vollendung der Lösung zu erreichen bei den anderen Stoffen, an die er noch herantrat, nicht

gelingen wollte — wohl auch bei zunehmender Detailkenntnis und

zurücktretendem Jugendmut

kaum

gelingen

Savigny ein so makellos einheitlicher Guß, einmal gelungen.

konnte.

Ist doch auch

wie der „Besitz",

nur

Albrecht aber war nicht der Mann, sich dabei zu

beruhigen, daß weniger im Sinne der Schönheit, mehr im Sinne der Richtigkeit sein kann.

sei

in den

Anfängen

Nicht umsonst wird uns von ihm erzählt, er

seines

juristischen

Studiums

besonders vom

Wechselrecht angezogen worden: gerade, glatt durchgezogene Linien,

wie dieses sie bietet, mußte er haben; solche hatte er für die Gewere

gezogen; als ihm für das organisch sich anreihende Thema der Vogtei nicht dasselbe möglich erschien, ist er lieber ganz abgestanden; und auch das später eine Zeitlang mit Eifer ergriffene Thema von der

juristischen Person hat sich ihm zu befriedigendem Abschlüsse gestaltet.

nicht

Unter solchen Umständen hat er sich damit begnügt^ sein

Interesse für die Fortschritte der Wissenschaft, außer in seinen Vor­

lesungen, im Drucke nur noch durch eine Reihe von Rezensionen^) auszusprechen, die dann freilich reichlich Eigenes einstreuen und mannig­ fache selbständige Gedankenfäden

anspinnen,

dem Zufalle es über­

lassend, ob dieses lose Gespinst von jüngerer Hand wieder Aufnahme

und würdige Verarbeitung finden wird. Das ist denn aber doch wenigstens einmal glücklicherweise ein­

getreten, zugunsten der wahrhaft geschichtlichen Ideen, die von der

Sechzehntes Kapitel.

326

Rezension

über Romeo Maurenbrechers

des deutschen

„Grundzüge

Staatsrechts" 1837 vollständig neu und ursprünglich, ohne jeden aus dem besprochenen Werke noch aus der umgebenden Literatur gezogenen

Anhalt, vorgetragen werden. scheidung

zwischen

öffentlich-rechtlichen

der

Albrecht geht da aus von der Unter­

älteren

privatrechtlichen

Staatsauffassung,

und

der

zwei Auffassungen,

neueren

die beide

noch oder schon durch Einzelwirkungeu im Staatsrecht aller deutschen Territorien ausgeprägt seien.

Darum müsse inan als Hauptansprüche

an eine Darstellung dieses Staatsrechts ansehen „die Veranschaulichung des privatrechtlichen und staatsrechtlichen Grundcharakters, den Nach­

weis, wie das geltende Recht, in einigen Staaten mehr als in den

anderen, teils den ersteren beibehalten, teils den letzteren adoptiert hat,

die Beantwortung der Frage

, welcher von beiden im Zweifel

als Grundzug und Ausgangspunkt für die Konstruktion des heutigen

Staatsrechts anzusehen sei."

Die grundlegende Verschiedenheit für

Anlage, Ausbau und Wirksamkeit aller Staatseinrichtungen, je nach­ dem sie vom älteren oder vom neueren Rechtsstandpunkte aus zu be­

urteilen sind, legt dann Albrecht ausführlich dar an zwei Beispielen,

den Lehren von der landständischen Verfassung und von der Staats­ sukzession, nicht ohne dabei auch andere Dinge, so selbst die Domänen­ frage, zu streifen.

Er läßt nicht den geringsten Zweifel bestehen, daß

er politisch wie juristisch für seine Zeit den neueren Standpunkt mit

allen seinen Folgerungen als den einzigen innerlich berechtigten an­ sieht, im schärfsten Gegensatz gegen v. Hallers nnglückselige Restau­ rationstheorie, an die Manrenbrecher sich anlehnt; und geht demgemäß

weiter dazu vor,

für diesen neueren Standpunkt die grundlegende

juristische Formel zu suchen.

Er findet und verkündigt sie in der

Herausbildung des Staates als einer besonderen, vom Herrscher wie vom Volke verschiedenen, nur die Einrichtungen und Bedürfnisse des

Allgemeinwohls verkörpernden juristischen Person.

Diese Lehre von

der juristischen Persönlichkeit des Staates als solchen, in diesem aus­ geprägten Sinne, ist offenbar aus des Verfassers aufgegebenen Studien

zu einer Monographie

über die juristische Person

Bestandteil hierher hinübergerettet.

als wertvollster

Sie wird als die Grundformel

staatsrechtlicher Auffassung von ihm bezeichnet, aber sie ist ihm doch

auch wieder „bloß das juristische Gewand eines Gedankens, der als ethischer wohl von jedermann zugegeben wird, nämlich der Vorstellung

von dem Berufe des Monarchen, für eine höhere,

über ihm (dem

I) Die Frühblüte selbst.

327

2) Germanistik.

Indem dieser ethische Gedanke

einzelnen) stehende Idee zu leben."

juristischen Ausdruck erhält, gewinnt er freilich zugleich juristische Ver­

bindlichkeit, und damit Albrecht die Möglichkeit, überhaupt auf schärfere

juristische Fassung des Staatsrechts, auf Ausscheidung politischer Inter­ essen und lediglich staatswissenschaftlicher Stoffe zu dringen.

Nicht

als Schlagwörter zweier sich bekämpfender politischer Parteien sind jene Gegensätze privat- und staatsrechtlicher Auffassung chinzustellen, sondern als

zweier verschiedener Perioden

die Grundgedanken

des

Staatsrechts in ihrer geschichtlichen Aufeinanderfolge und gleichzeitigen Durchdringung, wie denn ja auch in trüber Zeit sich schon „quasi­ staatsrechtliche" Momente der Landeshoheit mit unwiderstehlicher Ge­

walt aus der Natur der Sache durchsetzen,

wie

andererseits auch

heutzutage noch „im Gegensatz der Rechte selbst, die des Staates anzusehen sind,

als Recht

allerdings das Recht zur Aus­

übung derselben unstreitig als ein selbständiges eigenes, ein Privat­

recht der landesherrlichen Familie" erscheint?"). Das sind die tiefstgehenden Ausführungen, denen noch neuestens ihre Bedeutung voll bezeugt worden ist.

Sie bilden nach diesem Zeug­

nisse^") den Ausgangspunkt für die deutsche Publizistenschule, die es

sich zur Aufgabe macht, das Staatsrecht ausschließlich in seinem recht­

lichen Gehalte zu erfassen und darzustellen, mit Richtung des Blickes bloß auf das Gewordene und Seiende, unter Ausschluß des Sein­

sollenden.

Sie haben danach zuerst die Auffassung) des Staates als

Rechtssubjekt zum unverrückbaren Ausgangspunkt der juristischen. Er­ kenntnis gemacht; und erst durch sie sind wahrhaft die spekulativen Unklarheiten und naturrechtlichen Theorien überwunden worden, durch

ihre

klare

Begründung

der weder aus dem Volke

noch

aus

der

Herrscherpersönlichkeit abzuleitenden Einheit und körperschaftlichen Natur

des Staates als eines alle einzelnen dauernd überragenden Ganzen. — Diese Bedeutung haben freilich jene Äußerungen, die Albrecht doch

mehr nur lose hingeworfen Hatte, erst dadurch erlangt, daß an sie Gerber später, als die Zeiten politisch dafür reif waren, mit einem gründlichen und epochemachenden Werke

angeknüpft hat"); er hat

sie, unter ausdrücklichem Hinweis auf jene Rezension Albrechts als auf seine Quelle, darin erfolgreich

zur Grundlage

durchgeführt.

seines Staatsrechts gemacht und

Bis

im Jahre 1865

das

geschah,

haben diese von Albrecht ausgeworfenen Samenkörner ohne Ertrag unbeachtet gelegen.

*

Sechzehntes Kapitel.

328

3. Wenden wir uns von dem Privatrecht und von dessen Ge­ schichte zu anderen juristischen Fächern, so ist das nächstliegende Ge­

biet das des Lehnrechts, das Eichhorn mit dem deutschen Recht fest

verbunden hat. wendbarkeit

Während hier das dogmatische Interesse mit der An­

finden

abstirbt,

die

geschichtlichen Leistungen von Pätz

ihre Fortsetzung durch zwei der historischen Schule zugehörige gründ­

liche und gewissenhafte Forscher, Dieck und Laspeyres. K. F. Dieck^) ist Schüler

von Savigny, Hugo, Eichhorn und

Hasses, von denen er namentlich die beiden erstgenannten, Hugo als „unseren Nestor in der Rechtsgeschichte", Savigny als das ihm „stets

unerreichbar vorschwebende Ideal eines Lehrers" feiert3).

Er ist aber

auch angeregt durch die Schriften von Feuerbach und erklärt es selbst als ein Ergebnis dieser Verbindung,

wenn er sich zunächst, obschon,

er sich „zu nichts weniger^ als zur Bearbeitung des Kriminalrechts berufen"

fühlte,

gründlichen

Studien

Majestätsverbrechens widmete^).

zur Geschichte des römischen

Von da erst wandte

er sich zum.

Lehnrecht, zunächst in Verbindung mit Geschichte, Altertümern unö

mit Institutionen des deutschen Privatrechts.

Vorlesungen über diese

beiden Gebiete zu dienen war je ein Grundriß (1821, 1826) berufen^

besonders durch

systematisch

geordnete Beigaben

von Quellenstellen,

deren sorgfältige und vielseitige Auswahl weit über das übliche Durch­ Aber dem ersteren Gebiete allein widmet

schnittsmaß hinausgeht3).

sich sein Hauptwerk, die „Literärgeschichte des longobardischen Lehn­ rechts bis zum 14. Jahrhundert, ihren Hauptgegenständen nach dar­

gestellt", Halle 1828.

Sie gibt weit mehr, als dieser Titel besagt,

namentlich auch Rechtsgeschichtliches, das allerdings hier in das Literär-

geschichtliche fast untrennbar übergeht. für seine Geschichte

Die Methode, die Savigny-

des römischen Rechts im Mittelalter geschaffen

hatte, wird dabei mit Sicherheit gehandhabt, um die Ergebnisse von

Pätz' genialer Auffassung mannigfach zu vervollständigen, zu berich­

tigen und fortzuführen.

Dabei ist denn aber doch der scharfe Bruch-

mit der unmittelbaren wissenschaftlichen Vergangenheit vermieden, der

sonst wohl Savignys Schülern eignet; so berührt es schon wohltuend-, daß der Name des alten Zepernick, des Patriarchen der Lehnrechts­

wissenschaft, als des „väterlichen Freundes"

des Verfassers uns auf

dem Widmungsblatte dieser geschichtlichen Untersuchung begegnet.

Diesen besonnenen Weg ist Dieck weiter gegangen. sich darüber methodologisch

aus in der

Er

spricht

Einleitung zu seinen „Bei-

I. Die Frühblüte selbst.

3) Lehen-, Kirchen- u. Strafrecht.

329

trägen zur Lehre von der Legitimation durch nachfolgende Ehe"6),

Halle 1832, Beiträgen, die eine moderne, den Kindern günstigere und

freiere Auffasfung für die Legitimierbarkeit der adulterini sowohl wie für die Lehnfolgefühigkeit der Mantelkinder durchsetzen möchten.

Diese Auffassung dürfe man aber nicht einfach damit verteidigen wollen, daß man bloß aus allgemeinen Betrachtungen hervor, den Leitsätzen

Savignys

und

der

historischen Schule

gemäß,

eine gewissermaßen

organisch notwendige Entwicklung von der mittelalterlichen Gebunden­

heit zu neuzeitlich menschlicherer Gestaltung ohne weiteres postuliere,

sondern solche Betrachtungen böten höchstens einen Fingerzeig, einen

Hinweis auf die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit derartig allmählich Der Beweis lasse sich nur führen

sich vollziehender Umgestaltung.

an der Hand der wirklichen Vorkommnisse, wobei jedoch die Regel gelte, daß man nicht bei der mittelalterlichen Stufe stehen bleiben

dürfe, sondern die Geschichte bis zur gegenwärtigen Zeit verfolgen müsse, unter genauer Beobachtung der gemeinen Meinung der Rechts­

lehrer, möglichster Verwertung der Praxis und vollständiger Heran­

ziehung der Partikulargesetzgebung.

So sei es

ihm gelungen,' für

beide von ihm erörterte Fragen umfassenden Stoff zusammenzubringen und erst auf Grund dessen

gebe er

eine Entscheidung,

welche eben-

dadurch als gemeinrechtliche zu gelten beanspruchen dürfe, weil sie nicht bloß im Selchowschen Sinne der äußeren Übereinstimmung der Quellen entnommen sei, sondern gemäß Eichhorns höherer Einsicht geschöpft sei aus dem durch die Übereinstimmung nur bezeugten gemein­

samen inneren Geiste des Rechts. — Indem diese Ausführung?) unter

und Thibaut gegen allgemein idea­

Bezugnahme auf Mühlenbruch

listische „Räsonnements" die Interessen

der Rechtssicherheit und das

Recht der Praxis verficht; indem sie wenigstens unter der Hand die

unvollendete Durchführung

des

historischen Prinzips,

das Stecken­

bleiben im Mittelalter, das uns gerade in der historischen Schule so

oft begegnet, zu tadeln scheint;

und indem sie statt dessen eine kräf­

tigere, modernere Anschauung einführt: so zeigt sie eine rühmliche und

wohlerwogene Selbständigkeit.

Dieck weiß deshalb auch ein allseitig

gerechtes Urteil über ältere und neuere Juristen zu fällen, das er dahin znsammenfaßt: „Möchte der traurige Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis, welcher der deutschen Jurisprudenz gegenwärtig so hem­

mende Fesseln anlegt, sich doch erst in erwünschten Einklang aufgelöst haben!

Möchte doch der gelehrte Jurist den ansübenden Geschäfts-

mann, weil diesem das Wesen der legis actiones verborgen ge­ blieben, ebensowenig mehr geringschätzen, als letzterer den ersteren, weil derselbe es nicht versteht, ein fehlerfreies Testament anfzunehmen! Die Generation unserer Väter wußte davon nichts. Freilich fehlte ihr aber andererseits auch das regere wissenschaftliche Quellenstudium der neuesten Zeit, welches schon so treffliche Früchte getragen hat." Durch solche Äußerungen wird erst Savignys „System", ein­ schließlich seiner Vorrede, recht begreiflich. Dieck selbst hat freilich nach der von ihm als so erwünscht bezeichneten Seite hinzuarbeitcn nicht weiter vermocht; eine letzte Abhandlung aus seiner Feder über die Rezeptionszeit des longobardischen Lehnrechts in Deutschland, 1843, kehrt vielmehr zu rein geschichtlicher Behandlung des Lehnrechts zurück. Ihm gegenüber erscheint E. A. Th. Laspeyresb) als weit engerer Gesinnungsgenosse der streng geschichtlichen Schule, als zu deren esoterischem Kreise gehörig. Dazu war er schon vorbestimmt durch die Eindrücke, die er am Gymnasium gewonnen hatte, unter dem überwiegenden Einflüsse des als Schulmann, Philologe und Genosse der romantischen Schule gleich rühmlich bekannten Direktors August Ferdinand Bernhardi, des Ehemannes von Ludw. Tiecks Schwester Sophie. Zu der dort erschlossenen historisch-humanistischen Bildung gesellte sich dann die Berührung mit Savigny, mit dem Laspeyres lebenslänglich in näheren persönlichen Beziehungen blieb. Auf dieser Grundlage sind seine quellenkritischen Arbeiten, Ausgaben und selb­ ständige Forschungen, erwachsen, die zum Teil dem Kirchenrecht, zum Teil dem Lehnrecht zugute gekommen )"inb9). Das letztere wird behandelt in seinem Buche „Über die Ent­ stehung und älteste Bearbeitung der libri feudorum", Berlin 1830 — wie man sieht, ungefähr dasselbe Gebiet, auf dem auch Dieck gearbeitet hatte. Wie die Vorrede von Laspeyres bemerkt, waren dessen um­ fangreiche Vorstudien bereits vollendet, als das wetteifernde Werk erschien, so daß es nur noch bei der Ausarbeitung benutzt werden konnte. Jedenfalls ist es nun Laspeyres, der das letzte Wort ge­ sprochen hat. Durch seine musterhaft genauen Forschungen ist das Thema zu Ende geführt. Dabei ist es denn ja wohl im wesentlichen geblieben. Nachdem durch Pätz, Dieck und Laspeyres die Ursprungs­ und Literärgeschichte des Lehnrechts eine ungewohnt lebhafte und fördernde Bearbeitung erfahren hatte, durste das Interesse selbst einer

I. Die Frühblüte selbst.

3) Lehen-, Kirchen- u. Strafrecht.

331

historisch so angeregten Zeit an einem so wenig anziehenden Stoffe als erschöpft gelten.

Auf ein viel umfassenderes Gebiet, in viel tieferes Dunkel hin­

ein führten die ersten Schritte, die damals zu geschichtlicher Bearbei­ tung

und Aufhellung des Kirchenrechts getan wurden.

Ihm hatte

sich Laspeyres schon in seiner Doktordissertation 10) zugewandt mit ge­

nauer Einzelforschung, betreffend die Gregorianische Komputation der Verwandtschaftsgrade;

und zu ihm ist er später zurückgekehrt durch

zwei gediegene Leistungenu).

Die eine derselben behandelt die Ge­

schichte der Verfassung der katholischen Kirche in den damals preußi­ schen Gebieten bis auf die Reorganisation durch die Bulle de salute animarum; die andere bringt eine mustergültige Ausgabe der Summa

Decretalium des Bernardus Papiensis, eine Ausgabe von kritischer

Vollständigkeit und Genauigkeit, von der v. Schulte rühmt, sie habe -eigentlich wieder den Anfang zur Edition der alten Summen in der neueren Zeit gemacht.

Freilich aber ist sie auch erst im Jahre 1860

-erschienen, so daß ihrer hier nur weit

vorgreifend

erwähnt

werden

darf. Von I. W. Bickell^)

gilt zunächst

ähnliches.

Auch seine

„Geschichte des Kirchenrechts" erschien erst in ihrer ersten Abteilung

Gießen 1843, in ihrer zweiten Abteilung, aus des Verfassers Nachlaß

herausgegeben, Frankfurt a. M. 1849; und beide Abteilungen bilden

lwch bloß einen ersten Band, der nur bis auf Konstantin reicht, zu einem Werke, das bis zur Gegenwart hin geplant war,

das gemäß

Hugos Vorgang äußere und innere Rechtsgeschichte umspannen sollte, und, soweit es reicht, wirklich umspannt.

Die Forschungsgrundlagen

aber, auf denen das Geleistete beruht, sind denn doch im wesentlichen

-im Laufe der

durch

wissenschaftliche

Studienreisen nach Wien, München und Paris ^),

gelegt worden,

zwanziger Jahre,

namentlich

-bevor Bickell zu praktischer und politischer Tätigkeit überging, die zu

dergleichen nicht mehr die Muße übrig ließ.

Das zeigt sich in den

neu zum Drucke gebrachten Quellenstücken, die von jenen Reisen her­

rühren, aber erst als Anhänge zu der „Geschichte" erschienen sind.

Das

zeigt sich ferner in den zwei besonders wichtigen und verdienstlichen Sonderyeröffentlichungen, zu denen jene Forschungen unmittelbaren An­ laß gegeben haben: „Über die Entstehung und den heutigen Gebrauch der beiden Extravagantensammlungen des Corpus iuris canonici",

Marburg 1825, und Depaleis quae in Gratiani decreto occurrunt,

Sechzehntes Kapitel.

332 Marburg 1827.

Man darf wohl sagen, daß durch diese beiden Ab­

handlungen dieser Schüler von Hugo und Eichhorn die sorgfältige

Methode positiver Quellenforschung, wie sie Hugo wünschte, auf das durch Eichhorn in großen Zügen der geschichtlichen Rechtsauffassung wenigstens bereits in akademischen Vorlesungen") erschlossene Kirchen­ recht, und namentlich auf dessen ältere Rechts- und Literärgeschichte,

zum erstenmal") bewußt und vorbildlich angewendet hat; und darin wird man Bickells bleibendes Verdienst zu finden haben 10). Seinen kirchenrechtlichen Forschungen kam nicht bloß natürliche Hin­ neigung zum organisch Gewordenen und ein fest erworbenes Prinzip quellenmäßiger Begründung zugute, sondern außerdem ein tiefinnerliches

spezifisch kirchlich-religiöses Interesse, das jedenfalls nach dieser Seite hin ganz einwandsteie Früchte getragen hat. Insofern durfte er getrost von sich sagen17), daß ihm nichts mehr verhaßt sei als das Bestreben, die Geschichte nach einem im voraus gebildeten System zu konstruieren. Einer solchen Gefahr war er wenigstens für die älteren Zeiten der Kirche schon durch seine wissenschaftliche Strenge der Quellenforschung

entzogen, die denn steilich nur so langsames Vorrücken gestattete, daß

er zu den späteren Zeiten der Kirche, bei späterer anderweitiger Be­ schäftigung, nicht mehr vorgedrungen ist. Ein ganz anderes Tempo wurde angeschlagen von Ferdinand

Walter"). Sein „Lehrbuch des Kirchenrechts mit Berücksichtigung der neuesten Verhältnisse" erschien bereits Bonn 1822; es war darum dieses Werkes schon im Vergleich mit Eichhorns Kirchenrecht 31t er­

wähnen ; hier wird es eingehender besprochen werden müssen in Ver­ bindung mit den sonstigen Leistungen seines Verfassers. Walter begann seine wissenschaftliche Tätigkeit mit einer Abhand­ lung^), die, aus seiner Preisschrift und Doktordissertation hervor­ gegangen, doch erst 1820 im Druck erschien. Sie erörtert in wesent­ lich förderlicher Weise auf romanistisch-historischer Grundlage die Lehre

Seitdem aber hat Walter nichts Monographisches mehr, vielmehr fast20) nur noch Lehrbücher veröffentlicht, die aller­ von der Iniuria.

dings in zahlreichen Auflagen immer wieder gründlich durchgearbeitet, einzelne mehrfach so gut wie neu hergestellt sind. Es handelt sich um folgende Werke: Das Kirchenrecht, erschienen 1823 in zweiter, sehr

stark, besonders aus fränkischen Quellen bereicherter Auflage, sodann

in fortwährend neuen Auflagen immer wieder umgestaltet und ver­ mehrt, zuletzt in 14. Auflage, bearbeitet von Gerlach, 187121). —

I. Die Frühblüte selbst.

3) Lehen-, Kirchen- u. Strafrecht.

333

Lehrbuch der römischen Rechtsgeschichte, begonnen 1826, veröffentlicht

in zwei Abteilungen 1834 und 1840, 3. Auflage 1860/61. — Deutsche Rechtsgeschichte, zwei Bände,

1852 und 1853, 2. Auflage 1857. —

Lehrbuch des deutschen Privatrechts 185522). — Juristische Enzyklo­ pädie 1856. — Lehrbuch des Naturrechts und der Politik 1863.

Gewiß eine stattliche Anzahl von Schriften, die freilich durch die

Mannigfaltigkeit

ihrer Stoffe

überraschen

und

den Verdacht

bloß

Um gerecht zu sein, wird

kompilatorischer Geschäftigkeit nahelegen.

man denn aber doch unterscheiden müssen.

Einerseits ist für sämtliche Leistungen Walters auf seinen sämt­ lichen Arbeitsgebieten von tiefgründiger Quellenforschung erster Hand22), von Verwertung neugewonnener Handschriften oder Urkunden oder gar von Erschließung bisher unzugänglicher Gebiete nicht die Rede.

Jeder

Vergleich in ersterer Beziehung etwa mit Bickell, in letzterer Beziehung gar mit Eichhorn ist ausgeschlossen.

Auch macht es fast den Eindruck

einer leeren und gleichzeitig ruhmrednerischen Ausrede, wenn er sich selbst gegen derartige Vorwürfe, die ihm offenbar auch zu Lebzeiten

nahegetreten sein müssen, verteidigen will barnit24), daß er persönlich

das Bedürfnis nach geschmackvoller Form und Kürze und nach Auf­ fassung der Dinge in einem größeren Zusammenhänge gehabt habe,

während ihm jene Art von Spezialbegeisterung abgegangen sei, die ju einer guten Monographie gehöre; den dazu erforderlichen Glauben,

als ob von dem gerade behandelten Einzelpunkte das Heil der Welt

abhinge, habe er nun einmal nicht erschwingen können.

Diese skeptische

Wendung berührt um so peinlicher, je eifriger zweifellos gerade Walter

die zeitgenössischen Monographien und Quellenforschungen ausgebeutet hat, um durch sie das, was er denn doch immerhin vollbringt, zu leisten.

Andererseits wird denn aber doch wieder gerade dies eingeräumt

werden müssen, daß Walter nämlich mit redlichem Fleiße nicht nur, sondern stets mit Eifer und mit Verständnis der Literatur genau .zu folgen vermocht hat.

zweifeltermaßen für

die

Darüber hinaus sogar wird man, unbe­

beiden Rechtsgeschichten

(die

römische

und

die deutsche), in Einzelheiten aber doch wohl auch für das Kirchen­

recht zugeben, daß es nicht so ganz unrichtig ist, wenn er bei der

eben erwähnten Verteidigung fortfährt, mancherlei neue Entdeckungen,

die

möglichster Kürze niedergelegt und

in

er hätte ja sehr wohl auch

seinen Werken nun bloß in

begründet seien, zu weitläufigen

Sechzehntes Kapitel.

334

Abhandlungen entwickeln können, wenn ihm das nicht zu langwierig

erschienen wäre. „Entdeckungen" mag ja ein etwas anspruchsvolles Wort für das sein, worum es sich da meist handelt. Immerhin sind nicht selten die Quellenstellen des römischen Rechts und die Urkunden des deutschen Rechts mit unmittelbarem Verständnis, freilich immer nur aus bereits vorliegenden Drucken, bisweilen aber doch mit selb­ ständiger Auffassung Herangezogen, wie ich für mich festgestellt habe nnd wie Walter es gelegentlich auch^), z. B. selbst Savigny gegenüber,

bis ins Einzelne festlegt. Und dazu kommt denn ein letztes: es ist denn doch nicht ganz unzutreffend, wenn Walter zu lehrbuchmäßiger übersichtlicher Darstellung sich besonders berufen fühlt. Er besitzt für dergleichen wirklich ein hervorragendes, formales und stilistisches, an

französischen Mustern wohlgeschultes Talent^). Es zeigt sich nament­ lich in der freien Bewegung, in der Kunst, ohne steife und schul-

mäßige Einteilung

dennoch

zu klarer Gliederung zu gelangen,

die

Hauptsachen hervorzuheben und die Einzelheiten unterzu ordnen, und in wohlgepflegter glatter Ausdrucksweise, so daß geschmackvolle Dar­ stellung und bequeme Lesbarkeit mit genauer Sachlichkeit verbunden werden.

Man wird die Bedeutung dieses Ergebnisses anch für die

wissenschaftliche

Entwicklung

nicht

allzusehr

unterschätzen

dürfen;

wurden doch jedenfalls die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse der Zeit auf diese Weise weiteren Kreisen erschlossen und übermittelt,

besonders auch dem Auslande infolge des Umstandes, daß die Walter­ schen Werke zur Übersetzung in romanische Sprachen sich wegen der erwähnten Vorzüge besonders eigneten. Von diesen Vorzügen ist es ja freilich, gerade das Kirchenrecht anlangend, fraglich, wie weit ihm die sachlichen nachgerühmt werden

dürfen. Eine weitgehende Abhängigkeit von älteren gallikanischen oder josephinischen Leistungen und von Eichhorn ist ja von der ersten Auflage, starke Ausnutzung der Ballerini, Devoti, Richter, Phillips ist von den späteren Auflagen nicht abzuwehren. Ob übrigens die Entwicklung von dem sehr vorsichtig abgedämpften Gallikanismus der

ersten Auflage zu

immer kräftiger ausgeprägtem, immer reinerem,

hinter Phillips aber doch immer noch zurückbleibendem Kurialismus einen Vorzug oder einen Nachteil des Werkes bildet, ist keine wissen­ schaftliche, sondern Parteiftage. — Hier aber ist für uns entscheidend ein anderer Umstand, durch den dieses Lehrbuch sich vor allen sonstigen Werken des Verfassers auszeichnet: es war doch immerhin eine Tat,

I. Die Frühblüte selbst.

335

3) Lehen-, Kirchen- u. Strafrecht.

wenn es zu Anfang der 20 er Jahre mit planmäßigem Bewußtsein

von katholischer Seite her die Behandlung des Kirchenrechts beider Konfessionen unter Parallelisierung der sich gegenseitig beleuchtenden

Einzelpunkte und unter der Flagge der historischen Betrachtungsweise auch nur versuchte. Daß dahin aber Walters Plan ging, hebt sein Vor­

wort schon zur ersten Auflage deutlich hervor; es bemerkt nicht nurder Wunsch des Verfassers sei vorzüglich auf die Wiederbelebung der

geschichtlichen Behandlung des kanonischen Rechts gerichtet, sondern

es betont auch schon, daß bei einer Sammlung, die wie das Corpus iuris canonici Bruchstücke aus zehn Jahrhunderten umfaßt, Rück­ sicht auf Zeitalter und Verfasser jedes einzelnen Stückes zum

ge­

wöhnlichsten Verständnis unentbehrlich sei. Darin liegt denn doch ein ganz gewaltiger, der historischen Schule abgelauschter Fortschritt kritisch-wissenschaftlicher Methode, deren Proklamierung und Über­

tragung vom Zivilrecht auf das kanonistische Material immerhin auch kirchlich-dogmatisch nicht so ganz unbedenklich war.

Ergänzend kommt

hinzu, daß die nächsten, einander sehr rasch folgenden Auflagen dieses Prinzip immer weiter durchzuführen vermocht haben; das beweist, daß es Walter ernst darum war, im Maße seiner Kräfte und seines Ver­

hältnisses zu den Quellen natürlich. in welcher Lage sich Kirche,

Zieht man endlich in Betracht,

Kirchenpolitik, Kirchenverfassung und

Kirchenrecht befanden, als Walter an die Ausarbeitung dieses Buches

heranging27),

welche Laufbahn im In- und Auslande dem Buche

während eines halben Jahrhunderts beschieden sein sollte, so versteht man, daß sein Verfasser gelegentlich einmal davon geradezu als von

einer „Restauration der Kirchenrechtswissenschaft in Deutschland" redet.

Darum

wird

auch Walter

sein Platz

in

der Geschichte

der

deutschen Rechtswissenschaft wegen seiner maßgebenden, kirchenrecht­ lichen Hauptleistung in den 20 er Jahren anzuweisen sein, nicht wegen

seiner

sachlich vielleicht selbständigeren und reiferen Rechtsgcschichten

in den späteren Jahrzehnten. — Eigentliches Mitglied der historischen

Schule im engeren Sinne des Wortes ist er ohnehin nicht.

Viel­

mehr ist er aus der Schule von Thibaut hervorgegangen, den er zeitlebens hoch verehrt hat, dem er auch menschlich und musikalisch

nahegetreten war, der ihn der Lehrtätigkeit im allgemeinen und dem

kirchenrechtlichen Felde im besonderen zugeführt hat.

Auch geschicht­

lich ist er nicht sowohl von Savigny oder Eichhorn, selbst nicht von

Hugo angeregt, sondern mehr von älteren Autoren, darunter zwei

336

Sechzehntes Kapitel.

reinen Historikern, Johannes Müller für das Kirchenrecht, Niebuhr, dem er in Bonn schon 1823 auch persönlich sehr nahe trat, für das römische Recht; außerdem kommt Justus Möser für das deutsche

Recht in Betracht.

Strengere Bonner Schulkreise haben sich ihm

auf die Dauer, unter Hasses Führung, verschlossen; besonders hart scheint er es empfunden zu haben, daß er weder bei der Gründung des „Rheinischen Museums", 1827, noch später zur Beteiligung ein­ geladen tourbe28). Aber die Ausdehnung des historischen Prinzips auf die Behandlung des Kirchenrechts, besonders für die Kreise der

katholischen Kirche und für die katholischen Teile Deutschlands, bleibt darum doch in ihren Anfängen mit Walters Namen dauernd ver­ bunden.

Die vereinzelten strafrechtsgeschichtlichen Studien, die Dieck und Walter auf romanistischer Grundlage geliefert haben, werden freilich weit in Schatten gestellt durch Cropps germanistisch-kriminalistische Monographie über den Diebstahl, deren bereits früher erwähnt wurde. Bei der Übertragung der historischen Methode auf das

Strafrecht überhaupt begegnen wir ferner, außer Mittermaier, mit an erster Stelle22) Abegg, der solche Anschauung nicht nur gelegent­ lich äußert, sondern auch bewußt systematisch durchführt, freilich aber

gar bald nach der Hegelschen Seite universalhistorischer Rechtsver­

gleichung und philosophischer Geschichtskonstruktion abschwenkt, statt an dem genauen Studium der Quellen unseres Rechtszustandes, wie die historische Schule dies verlangt, festzuhalten88). Wir werden zu ihm daher erst an anderem Orte als zu einem der ersten Hegelianer im Strafrecht zurückkehren. Gegen ihn vertrat Bien er den orthodoxen

Schulstandpunkt, in der Anwendung auf Strafrecht und Strafprozeß, als sogenannte Legalmethode, ohne doch den Bedürfnissen der Praxis noch auch richtig verstandenen philosophischen Ansprüchen ihr Recht zu weigern, 1828 in einem gründlichen Artikel^) „Über die historische

Methode und ihre Anwendung auf das Kriminalrecht", während

etwa gleichzeitig Birnbaum82) in einer Löwener Antrittsrede die kodifikationsfeindlichen Anschauungen Savignys für das materielle Strafrecht vortrug und verteidigte. Birnbaum will auch hier nur fort­ laufende Kontroversenentscheidung und Fixierung des anerkannten Ge­

richtsgebrauches als berechtigte Aufgabe der Gesetzgebung anerkennen; er hat zu dem Behufe eine Menge wichtiger Notizen über den Zu­ stand der Gesetzgebungen in den verschiedensten Ländern Europas

I. Die Frühblüte selbst.

3) Lehen-, Kirchen- u. Strafrecht.

337

und selbst Amerikas beigebracht, auf Grund umfassender Kenntnisse, wie sie sonst damals kaum irgendwo in der deutschen Literatur an­ zutreffen sein mögen; dabei hat er es aber auch bewenden lassen. In die Anwendung wirklich übertragen wurde das geschichtliche

Prinzip

damals denn

doch

wesentlich nur,

und zwar nicht eben

glücklich, von zwei anderen Juristen: von Jarcke und Roßhirt.

Von diesen beiden verfügt offenbar Jarcke^) über die weitaus stärkere Macht der geistigen Begabung, den tieferen Scharfsinn und die größere Energie persönlicher Auffassung, wie auch über die viel

gewandtere Form leicht faßlicher, gewinnender oder sogar hinreißender Darstellung. Gerade darum aber auch ist er einer Beeinflussung durch Hegel nicht unzugänglich geblieben; und ferner eben darum, gemäß der temperamentvollen Art seines ganzen Wesens, sollte er

sich als jähen Wandlungen der Sinnes- und Arbeitsrichtung unter­ worfen herausstellen, dadurch in die Bahnen politischckiterarischer Wirksamkeit verschlagen werden, die seinem Namen eine gewisse Be­ rühmtheit verschafft haben; während sein kirchlicher Gesinnungsgenosse Roßhirt, „theoretisch Kurialist reinsten Wassers" (d. Schulte S. 260),

praktisch sich allen politischen Kämpfen wie auch allen Hegelschen Sirenenklängen ferngehalten hat, stets zufrieden, in gleichmäßiger Vielgeschäftigkeit seine ebenso zahlreichen wie ungeklärten Einfälle hervorzusprudeln und übrigens das stille Leben des akademischen Lehrers und Schriftstellers zu führen. Jarckes kriminalistische Wirksamkeit beginnt mit seiner Schrift: „Versuch einer Darstellung des zensorischen Strafrechts der Römer", Bonn 1824, der eine Vorrede über das Verhältnis der Philosophie zur Geschichte des Kriminalrechts voraufgeschickt ist. Diese Vorrede steht Philosophisch auf Hegelschem Standpunkte; aber, und das ist wohl wichtiger, noch nicht ebenso historisch; sondern da weiß sie mit Scharf­ sinn und Gewandtheit die Hegelsche Auffassung von dem Gegensatze zwischen der Idee und ihrer äußeren Erscheinung so zu verwerten, daß

dessen Zwecke hinausgehen, ohne sich doch bis zur Höhe des Stcates zu erheben. In den bisher kurz angedeuteten Zügen der Hegelschen Rehts-

philosophie liegt eine Summe von Anregungen, die für die todtere

Entwicklung der Rechtswissenschaft sich förderlich erweisen sollen. Von den privatrechtlichen Formulierungen sollte nicht nur alsiald der Angriff von Gans gegen Savigny in der Einzelheit des Restzes ausgehen, sondern später auch der wissenschaftliche Positivismus eine starke Unterstützung erhalten, um so gegenüber dem historischen Shul-

programm eine philosophische Grundlage zu gewinnen. Durch He;els Straftechtstheorie sollte eine Vorherrschaft der absoluten Themen

über das ganze Gebiet des Strafrechts in die Wege geleitet weven, der wir später (Kap. 18, VI) begegnen werden, von der hier fast jede geschichtliche Auffassung im Keime erstickt wurde. Und erst recht veift jedermann, eine wie gewaltige und unabsehbare Wirksamkeit Hezels Lehren und Auffassungen von der bürgerlichen Gesellschaft und wnr Staat zu üben bestimmt gewesen ist, in der Wissenschaft wie im

Wirtschafts- und Staatsleben selbst, je später um so nachdrückliher. So werden auch uns die Fortschritte staatswissenschaftlicher Erkenntns^ die von diesen wesentlichen Bestandteilen und von dem ganzen Gifte der Hegelschen Philosophie ausgehen, erst wesentlich später, aber un­ verkennbar entgegentreten. Dagegen gelangen wir zu den auf die Dauer weniger glückich. wirksamen Seiten der Hegelschen Rechtsphilosophie, wenn wir ins ihrer Auffassung des positiven Elements im Recht zuwenden. Nicht Tur­ ins ofern, als Hegel gewisse äußerst positive Rechtsbefehle, z. B. die

II. Die Spekulation.

1) Hegel.

351

zahlenmäßig bestimmten, als geradezu unvernünftig oder zufällig be­ zeichnet^); nicht nur ferner, weil er innerlichst doch wohl gewisse Rechtseinrichtungen trotz aller guten Vorsätze wieder gewissermaßen ^)naturrechtlich als ein für allemal von selbst gegebene ansieht, wie z. B. die Institute des Eigentums, des Vertrags, der Ehe; sondern namentlich in einem viel tiefergreifenden Punkte, nämlich in einer

allgemeinen Unterschätzung des positiven Rechts als solchen, womit denn wieder in nächstem Zusammenhänge steht, wie Hegel seine Ge­ schichtsbegriffe auf die Rechtsgeschichte anwendet. Zwar weist Hegel immer wieder darauf hin, daß im Recht wie in allen sonstigen

Wissenszweigen von der gegebenen Wirklichkeit auszugehen sei, diese der philosophischen Betrachtung zugrundegelegt werden müsse; aber

das Studium der gegebenen Einzelheiten interessiert ihn doch nur als Ausgangspunkt für solche philosophische Verarbeitung. Erst mit

dieser beginnt ihm die Welt und die Würde der reinen Wissenschaft und der (abstrakten) Begriffe^). Dagegen von römischen, germanischen oder heutigen Rechtsbegriffen, „von Rechtsbegriffen, wie sie in diesem oder jenem Gesetzbuche bestimmt seien, zu sprechen", erscheint ihm fast als eine lächerliche Anmaßung der Juristen; höchstens kann da von allgemeinen Rechtsbestimmungen, Verstandessätzen oder Grundsätzen nach Hegels Ausdrucks- und Denkweise die Rede sein. Damit werden sowohl Dogmatik wie Geschichte des positiven Rechts zu bloßen Bor­ bereitungsstufen für die wissenschaftlich begriffsbildende Arbeit, aus die dann unvermeidlich der Nachdruck fällt. Im schärfsten Gegen­ satz zu Hugo und zu Savigny, die den Sinn für die Quellenmäßig­ keit, die Liebe für die einzelne, positive Tatsache und für ihre Er­

forschung gefordert und gepredigt hatten, in der peinlich hieraus gerichteten Aufmerksamkeit und Selbstbescheidung die Aufgabe und die Würde der Wissenschaft erblickt hatten, lockt damit Hegel wieder hinüber auf das gefährliche^Verfahren vorschneller Verallgemeinerung und einer, bestimmten begriffsmäßigen Konstruktionen zuliebe, bewußt oder unbewußt vorgenommenen Vergewaltigung des Tatbestandes und

seiner Einzelheiten. Das mußte um so gefährlicher werden, je vollständiger man aus Hegels Ansprüchen die Folgerung zog, daß es zur Bildung von Begriffen eines allseitig vollständigen Jnduktionsmaterials bedarf. Dazu genügt nicht mehr die Kenntnis des deutschen Rechts der Gegenwart und seiner teils römischen, teils deutschen Geschichte, wo-

352

Sechzehntes Kapitel.

rauf sich die historische Schule zunächst so weislich beschränkte; dazu

bedarf es nun, streng genommen, keines Geringeren als einer Kenntnis der Gesetze und Rechte aller Völker und Zeiten. Erst wer alle diese kannte und beherrschte, durfte zur Begriffsbildung auf juristischem

Gebiete vorgehen, wie erst derjenige, der die ganze Geschichte aller

Völker übersah, zur wissenschaftlichen Geschichtsschreibung im Hegelschen Sinne, die ja auch erst da beginnt, wo die einzelne Tatsache aufhört. Sollte nun wirklich, wer Kraft und Beruf zu wissenschaft­ licher Arbeit in sich verspürte, diese ersticken und verleugnen, um sich

einstweilen der bloßen, untergeordneten Tatsachenforschung hinzu­ geben? Und durfte er dann hoffen, daß er, ja daß auch nur irgend­ eine nachfolgende Generation jemals zur wahren

wissenschaftlichen

Arbeit gelangen werde, wenn man es mit den Ansprüchen an die Gründlichkeit des vorher zu gewinnenden Tatsachenmaterials so streng

nahm, wie prinzipiell allerdings durch Hegel verlangt wird? Nament­ lich auf dem Gebiete der Geschichte lockte da doch wohl bereits Hegels eigenes Beispiel auf den verderblichen Abkürzungsweg vorläufiger Konstruktion mit ungenügend gesichtetem Material. Wie er in seiner genialen Weise das Gebiet der ganzen Weltgeschichte überblickt, um es in großen Zügen zu gliedern, um jeder Zeit und jedem Volke eine bestimmte begriffliche Rolle in

der Entwicklungsgeschichte des Weltgeistes auf Erden zuzuweisen, und wie sich den dadurch unver­

rückbar gegebenen Stichwörtern und Rubriken dann bei Hegel die einzelnen Tatsachen fügen müssen — so mußte es ähnlich, mehr oder

weniger geschickt oder plump, feinfühlig oder schematisch bei den meisten Hegelianern kommen. Man tut auf die Dauer eben nur gut und gründlich, was man gerne tut; und wer nicht nur römisches

und deutsches Recht vergleichen, nicht nur römische und deutsche Rechtsgeschichte betreiben will, sondern, auf Grund einer allgemeinsten Rechtsgeschichte der Völker aller Erdteile, die Rechte aller Völker vergleichen möchte, um zum Rechtsbegriff zu gelangen, der wird für kein besonderes Recht mehr ein wahrhaft innerliches, dogmatisches

oder historisches Verständnis erschwingen. Er wird, je weiter er ausholt, desto mehr dazu genötigt werden, gewisse vorweggenommene Vorstellungen in den Stoff hineinzntragen und zur Beherrschung des vergewaltigten Stoffes zu verwenden. In diesem Sinne bedeutet die Hegelsche Geschichtsphilosophie in

ihre

metaphysischen Erhebung über die Empirie für das Geschichts-

II. Die Spekulation.

1) Hegel.

S53

studium dieselbe Gefahr, wie sie von der Schellingschen Naturphilo­ sophie für die Naturwissenschaft ausgegangen ist. Und auch die Wirkung ist bekanntlich eine ähnliche gewesen. Wie von Schelling eine Verwilderung der Naturwissenschaft ausgeht, ein Rückfall ins Phantastisch-Konstruktive, von dem man sich dann erst wieder müh­

sam auf den festen Boden der Beobachtung gerettet hat, so bezeichnet es für die Nechtsgeschichte einen Rückfall in die naturrechtliche Ab­

straktion, wo man sie nach Hegelschen Gesichtspunkten treibt, gegen­ über der sicheren Methode der historischen Schule, nur daß man sich dabei als Hegelianer weit anspruchsvollerer Wendungen bedient.

Insofern kann man die Hegelsche Schule, so sehr sie das Geschicht­

liche preist und fordert, geradezu als eine widergeschichtliche bezeichnen. Sie führt zu Geschichtskonstruktionen und Geschichtsbegriffen statt zur empirischen Geschichte16), zu internationaler Rechtsvergleichung statt zu nationaler Rechtsbegründung; und dies denn doch keineswegs etwa bloß bei entarteten oder entfernteren Nachfolgern des Meisters,

sondern schon bei dessen Geschichtsüberblick selbst und bei seinen nächsten, vertrautesten Jüngern. Die Formeln für die einzelnen Völker und Personen, die Hegel behufs ihrer geschichtsphilosophischen Einstellung in sein System geprägt hat, sind auf lange hinaus maß­ gebend geblieben; besonders in der Nechtsgeschichte auch deshalb, weil er dabei gerade der Anschauung der Romanisten mit der Be­ tonung des römischen Volkes als des Rechtsvolkes entgegenkommt (wenigstens im Sinne höchster Ausbildung des Privatrechts), wenn­

schon unter nicht eben schmeichelhafter Begründung und im Zusammen­ hänge mit der Formel, daß Rom das „abstrakt Allgemeine" in der Weltgeschichte darstelle17). Wo solche typische Leitmotive Hegel ein­ fach entnommen werden, um dann die Tatsachen, so gut es eben geht, darunter einzureihen; wo ferner etwa noch ein Mißbrauch d^r

Hegelschen Dialektik und der künstlich geschraubten Hegelschen Aus­ drucksweise in unterwürsiger Anlehnung an das Verfahren des Meisters hinzukommt: da entstehen leicht Werke von abstruser Dunkel­ heit, phantastischer Sprunghaftigkeit und sachlicher Ungenauigkeit, hinter deren Wust sich nur mühsam einzelne verdienstliche oder selb­ ständigere Gedanken,

gelegentlich

ergebnisse enträtseln lassen.

auch einige exaktere Forschungs­

Namentlich bei Erstlingswerken später

in die Freiheit durchgedrungener Gelehrter ist dies nicht ganz selten der Fall; wenn darauf die Hegelschen Ideen selbständiger verarbeitet Landiberg, Geschichte der deutschen RechtSwissenschast. II. Text. 23

Sechzehntes Kapitel.

354

und mit tieferer Sachkenntnis verbunden sind, so bewähren sie oft wieder die ihnen andererseits doch immer innewohnende Gedanken­ fülle und Geisteskraft.

2. Die erste entschiedene, juristische Gegnerschaft erwuchs, von

der geschilderten Hegelschen Grundlage aus, der herrschend gewordenen historischen Schule, nachdem die Gegner der ersten Stunde, die Aus­ klänge der alten Zeit, die Gönner und Genossen längst überwunden waren, in der Person von Eduard Gans, einem der nächsten persön­ lichen Schüler und Anhänger von Hegel. GansZ ist geboren am 22. März 17982) zu Berlin, aus an­

gesehener jüdischer Familie.

Auf dem Gymnasium zum

Grauen

Kloster vorgebildet, bezog er Ostern 1816 die Universität seiner Vater­ stadt, 1818 die Universität Heidelberg, um dort gerade während der kurzen Zeit zu studieren, während deren Hegel dort lehrte. Der Anschluß, den er damals in Heidelberg bei Hegel und Thibaut fand,

wurde maßgebend für ihn. Am 6. März 1819 zu Heidelberg pro­ moviert, habilitierte er sich 1820 zu Berlin, wurde dort 1825, als­ bald nach seinem Übertritt zum Christentum2), außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor der Rechte, hielt zahlreiche Vorlesungen

mit starkem Erfolge, ist dann aber schon 5. Mai 1839 aus einer vielseitig angeregten Tätigkeit durch den Tod abgcrufen worden. Innerhalb dieses verhältnismäßig einfachen äußeren Rahmens vollzieht sich eine merkwürdige innere Entwicklung. Ist cs doch schon

auffallend,

daß dieser in der Jurisprudenz vereinzelte,

wennschon

sonst in der Hegelschen Gruppe einen Rückhalt findende Mann dem gewaltigen Aufschwünge der historischen Schule sich entgegenzuwerfen

vermochte,

ohne daß ihm dabei ein

gewisser Erfolg, ein

augen­

blicklicher und ein dauernder, versagt geblieben wäre. Ich finde diesen Erfolg weniger in seiner akademischen Laufbahn — dafür kam ihm

der Hegelianismus des Ministers v. Altenstein, die Gunst des Staats­ kanzlers Fürsten v. Hardenberg, der seinem Vater schon Vertrauen geschenkt hatte, und die eigentümlich, sozial wie politisch, liberalisierende Atmosphäre des damaligen Berlins zustatten — ich finde ihn viel­

mehr darin, daß er wissenschaftliche Anerkennung in weitesten Kreisen und schließlich selbst bei seinen Gegnern zu erringen verstanden hat, mochte diese sich auch in die eigentümlichsten Formen kleiden. Wenig­ stens das beliebte Schulmittel des einfachen Totschweigens vermochte

man ihm gegenüber nicht durchzuführen, wie man es zunächst ver-

11. Die Spekulation.

sucht hatte; man mußte sich

schließen,

2) Gans.

355

schon zum eigentlichen Kampfe ent­

und wenn sich dabei der philosophische Unterbau der ge­

schichtlichen Schule nicht überall als genügend herausstellte, später Puchta diesen Unterbau systematisch

wenn

durchaus erneuert hat:

sind das nicht Borgänge, durch die sich die Wirkung von Gans deutlich bemerkbar macht? Indem man ihn formal ablehnte, ja

persönlich verabscheute, konnte man sich ihm inhaltlich nicht ver­ schließen; man hat eine Reihe seiner Ideen in leichter Umgestaltung adoptiert, während man im Widerstreit gegen andere seiner Ideen die eigene Lehre erst klar ausgebildet hat. So ist die zweite Periode der geschichtlichen Schule, wie sie seit etwa 1828 mit Puchtas Ge­ wohnheitsrecht einsetzt, mit allen den philosophischen Eigentümlichkeiten, die nun im Gegensatz zu ihrer Anfangszeit ihre Stärke wie ihre

Schwäche bilden,

wesentlich mitbedingt durch

die Wirksamkeit von

Gans, durch eine Gegen- und Rückwirkung gegen dessen Lehren, die auf diese Weise und in der dadurch herbeigeführten Umgestaltung und Mischung sich gerade bei seinen erbittertsten Feinden durchgesetzt haben.

Das war denn aber andererseits doch wieder nur darum mög­ lich, weil auch Gans die Prinzipien der historischen Methode weit mehr, als man das allgemeinhin glaubt, sich angeeignet hatte. Seine ersten Arbeitens könnten nach Thema und Methode getrost als schul­ mäßig im strengsten Sinne bezeichnet werden, wenn nicht eine gewisse Neigung zu gewagten Behauptungen, zu scharfem Widerspruch gegen

die herrschende Meinung und zu großzügig-systematischer Konstruktion auf schmaler Grundlage in Verbindung mit jugendlicher Schnell­ fertigkeit sich darin bemerkbar machte. Immerhin sind sie und ist namentlich das aus der Doktordissertation hervorgegangene erste größere Buch von 1819, über römisches Obligationenrecht, besonders über die Innominatkontrakte und über das Reurecht, eine gediegene romanistische Leistung, die getrost, auch in bezug auf Bevorzugung

des älteren, „echt römischen" Rechts mit jedem Werke der „Schule" den Vergleich aufnehmen könnte. In treffender Weise wurde das Buch denn auch besprochen von Mühlenbruch °), mit bereitwilliger Anerkennung darin bekundeter außergewöhnlicher Begabung und darin geleisteter Einzelheiten, aber unter sachlich strenger, formal milder

Ablehnung der unbegründeten Neuerungssucht — eine Rezension, wie sie einem Anfänger gegenüber durchaus angemessen war. Gans hat 23*

Z56

Sechzehntes Kapitel.

seinerseits noch weit später seine Dankbarkeit dafür ausdrücklich aus­ gesprochen. Man hätte erwarten mögen, daß die Aufnahme auch

von anderer Seite eine ähnliche gewesen wäre, um so mehr, da Gans nicht versäumt hatte, auf den ersten Seiten seines Buches seinen streng historischen Standpunkt zu kennzeichnen und selbst Savigny persönlich den Tribut seiner Verehrung zu entrichtens. Das war

zweifellos aufrichtig gemeint, denn auch später ist Gans immer bereit gewesen,

Savignys Verdienste anzuerkennen; er hat immer daran

festgehalten, er bekämpfe nicht Savigny, auch nicht eigentlich dessen Schule, sondern bloß deren engherzige Exklusivität9); selbst zufällige Gelegenheiten hat er immer wieder gerne wahrgenommc», um Sa­ vignys Scharfsinn und Treffsicherheit in Einzelheiten zu loben9). So

mochte anfangs 1820 Gans wirklich hoffen, die Anregungen von feiten Thibauts und Hegels her, die er nach Berlin mitbrachte, dort mit der Pflege einer wahrhaft historischen, romanistischen Jurisprudenz im Sinne Savignys unangefeindet verbinden zu können. Statt dessen stieß er auf die schroffste Ablehnung in der gerade

ihm unleidlichsten Form des eisigen Stillschweigens; es sei denn, daß man es als Antwort ansehen will, wenn die Berliner Fakultät duldete, daß Ernst Theodor Gaupp, der spätere berühmte Germanist, jetzt nahe Schüler von Savigny und Eichhorn, als er unter Bieners Vorsitz am 16. September 1820 promovierte, unter seinen Thesen als letztes die aufstellte: Boni mores violantur si quis Doctor iuris

utriuöque creetur, qui religioni Christianae non addictus sit. Die Replik gab Gans in seinen Scholien zum Gaius, Berlin 1821, am Schluffe der Vorrede direkt^), in der ganzen Vorrede mittelbar. Diese Vorrede ist seine Kriegserklärung an die historische Schule. Einerseits, indem sie sich gegen Überschätzung der Bedeutung des Gaius-Fundes wendet und bei aller teilweiser Anerkennung als Auf­ gabe der folgenden Scholien bezeichnet, kritisch zu sondern, was man erst durch Gaius gelernt habe und was man auch ohne ihn hätte wissen können : ein offenbar berechtigtes Unternehmen, das aber dem herrschenden, von Savigny präkonisiertcn Enthusiasmus entschieden in.den Weg tritt. Andererseits, indem sie erklärt, ihrem Verfasser genüge sein Selbstbewußtsein „ohne Partei und Absicht aufrichtig

nach Wahrheit gestrebt zu haben."

„Denn diese Partei und Absicht

eben ist es, die die wissenschaftlichen Bestrebungen unserer Zeit nicht gar vorteilhaft vor der

vorhergegangenen auszeichnct.

Was der

n. Die Spekulation.

2) Gans.

357

Wissenschaft fremd ist und ewig fremd bleiben sollte, Papsttum und

Kirche, das will man ihr von außen herein, als einen tödlichen Schaden, einimpfen, und den freien Gedanken, der keinen Herrn kennen

sollte

, will man in schwarze Mauern enger Zünftigkeit bannen

und einzäumen, daß es einen Priesterstand von innen gebe und einen Laicnstand und ein Anstaunen von außen." Und nach einigen Sätzen

ähnlicher Art zum Schlüsse: „Aber noch nie ist das Große aus der Schule hervorgegangcn, sondern aus freier Entwicklung, wohl aber das gedankenlose Echo und der Raub und das eingewurzelte Nachbeten." Solche Deklamationen mochte man unangenehm empfinden, aber

doch getrost hinnehmen, um so mehr, als das durch sie eingeleitete Buch, von ihrer Tendenz kaum berührt, noch ganz auf dem romanistisch-historischen Standpunkt steht wie die früheren Werke des Ver­ fassers. Dem soyte aber nicht so bleiben. Mochte bis dahin Gans seine Hegelschen philosophischen Überzeugungen sauber gesondert ge­

halten haben von seinen juristischen Studien und Stoffen; unter dem Peitschenhiebs der ihn getroffen, unter der Erregung des Hasses wächst er darüber hinaus und gelangt dazu, an der Hand der Hegel­ schen Philosophie die Schwäche des historischen Schulprogramms auf­ zudecken und gleichzeitig sich selbst ein neues, großartiges und selb­ ständiges Arbeitsprogramm zu entwerfen. Indem er nun Hegel auf

seine Wissenschaft anzuwenden sich ernsthaft bemüht, geht ihm damit erst das volle Bewußtsein auf dafür12), „daß ein historisches Treiben, das nicht auf den Begriff als auf das Letzte geht, nur hohle Äußer­ lichkeit und leeres inhaltloses Spiel 13). Auf den Begriff ist alles abzustellen, was wahre Wissenschaft sein will; daraus erwächst der Gegensatz zwischen Rechtswissenschaft und bloßer Rechtskunde. „Die Rechtskunde oder Rechtsgelehrsamkeit

begreift in sich die Kenntnis von dem in einem bestimmten Staate geltenden Rechte." Sie hat daher dessen Inhalt zu ihrem Gegen­ stand, kann nur für den Staatszweck gelernt werden, bezieht sich auf dessen Eigentümlichkeit, beschränkt sich auf die zu dessen unmittelbar

Die Fülle histo­ rischen Reichtums, die von der historischen Schule gehäuft wird, geht über den bescheidenen Zweck der Rechtskunde in erstickend schädlichem praktischem Verständnisse erforderlichen Hilfsmittel.

Maße hinaus, ohne doch den Ansprüchen der Rechtswissenschaft zu genügen. Denn diese hat es nicht mit fertig Vorgefundenen Juristen, Rechtssätzen und Rechtseinrichtungen zu tun, sondern mit Ideen.

Sie

358

Sechzehntes Kapitel.

ist ein Teil Philosophie, als solcher über die Rücksichten der Nütz­ lichkeit und Unnützlichkeit erhaben. Der Begriff des Rechts, mit dem die Rechtswissenschaft zu tun hat, nun aber „kann unter einem dop­ pelten Gesichtspunkte betrachtet werden, erstens als wirkliche Gegen­

wart, als die in Gedanken erfaßte gegenwärtige Welt des Rechts, der Sittlichkeit und des Staates, oder auch als notwendige Erzeu­ gung und Entwicklung in der Form der Zeit, als das Werden dieser

gegenwärtigen Welt. Die erste Weise ist die Philosophie des Rechts, die zweite die Rechtsgeschichte." Der Vorwurf, der die historische Schule trifft, ist ein entsprechend doppelter. Zunächst nach der philosophischen Seite hin, deren voll­

ständige Vernachlässigung, hochmütig beschränkte Ablehnung jeder Philosophie unter der ungenügenden Begründung der Reaktion gegen Dieses hatte ja verderblich gewirkt, indem es den vorgefundenen Stoff nur in das Gewand rationalistischer Vor­ stellungen zu bringen verstanden hatte; jetzt aber heißt es, an dessen das alte Naturrecht.

Stelle Besseres setzen aus Grund der vorgeschrittenen philosophischen Erkenntnis, statt sich von allem Denken, „welches nicht ausmitteln eines Faktums" ist, abzuwenden, mit der Angst des historischen Juristen, der „kein unbeflecktes Geschichtstum zu haben glaubt, wenn er von Naturrecht spreche", der darum lieber unter „Ausstoßung alles Philo­

sophischen und Substantiellen" in eine „schmachvolle Gedankenlosig­

keit" durch die fortgesetzten Bemühungen „der sogenannten historischen Schule verfällt""). — Aber auch nach der anderen, der rechts­ geschichtlichen Seite hin hat sich die historische Schule, ihrem eigenen Namen zum Spott, in schwere Schuld verstrickt, indem sie ohne ideen­ mäßige Klarheit, ohne von der Vernunft auch nur zu sprechen, da

vorgegangen ist. Sie ist damit, indem sie für Rechtskunde zuviel, für Rechtswissenschaft zu wenig leistete, in eine geradezu babylonische Ver­ wirrung geraten, die beiden Teilen schädlich werden mußte. „Denn da man nun von wissenschaftlicher Jurisprudenz

im Gegensatz

der

unwissenschaftlichen zu sprechen angefangen und unter der ersten die mit allerlei historischem Apparat behängte Rechtskunde verstanden hat, ist dadurch der sonderbare Konflikt hervorgetreten, daß einerseits die

scharfe Bestimmtheit der Rechtsgelehrsamkeit, für den Staat zu sein und für nichts zu sein, als für ihn, sich in den Nebel einer ver­ meintlich historischen Wissenschaft aufgelöst und von dieser Bestimmt­

heit also nachgelassen hat, andererseits aber die Wissenschaft, welche

II. Die Spekulation.

2) Gans.

die absolute Forderung des An- und Fürsichseins macht, abhängig ist von irgeneinem Staatszwecke,

359 und nicht

durch die dennoch end­

liche Beziehung auf einen bestimmten Zweck und Nutzen sich entweiht und gedemütigt

gesehen hat."

Daher die ganz verkehrte Be­

schränkung der historischen Schule auf diejenigen Zweige der Rechts­

geschichte, die für das Pandektenstudium unmittelbaren Nutzen ver­ sprechen, dann aber wieder weit über das Maß dieses Nutzens hinaus antiquarisch und mikrologisch betrieben werden — während die wahre Rechtswissenschaft notwendig die Totalität der Entwicklung des Rechts­ begriffes auch in der Zeit umschließt, d. h. eine Universalrechtsgeschichte, in der jedes Volk als Begriffsentmicklungsstufe berücksichtigt wird.

Daher stammt ferner der Abscheu der historischen Schule, selbst nur in der römischen und deutschen Rechtsgeschichte leitende Ideen, große

Entwicklungszüge zu suchen und zu verfolgen, im Gegensatze zu dem

richtigen Wege, den schon Montesquieu durch seinen Hinweis auf den Geist der Gesetze, durch seine Charakteristik der Grundzüge der

drei Negierungsformen gewiesen hat. Daher aber endlich die voll­ ständige Verkennung dessen, was die geschichtliche Erkenntnis leisten kann und soll, die Verwechslung, als ob „Geschichte" nur die Er­ kenntnis der Vergangenheit, nicht auch die Beobachtung der Gegen­ wart wäre, als ob Ergebnis der Geschichte ein Festklammern an den Geist der Vergangenheit sein müßte, statt aus ihr die/Einsicht her­ zuleiten, daß in der fortwährenden Bcgriffsentfaltung eine Stufe die andere überragt, der Gegenwart daher ihr volles Recht auf eigene freie und rücksichtsloseBetätigungihrer selbständigen Lebensgestaltungsbedürf­

nisse zukommt. „Alles, was hervorgebracht ist, in einem Zeitalter und in einem Volke, ist hervorgebracht durch seine Einsicht und durch seine Kraft. Es würde wahrlich ein schlechtes Surrogat sein, wenn es diese Ein­ sicht und diese Kraft gegen die Chronikenbücher der Vergangenheit

oder gegen die Codiees der historischen Schule vertauschen wollte. Wenn jene daher sagen, daß die Gegenwart, was sie ^ervorbringt,

in unauflöslicher Gemeinschaft mit der gesamten Vergangenheit hervorbringc: so ist vielmehr eben das das Recht der Gegenwart und ihre Bedeutung, daß die Vergangenheit, gegen sie gehalten, unwider­

bringlich tot ist: sie hat aufgehört zu gelten, und die Gegenwart ist es, welche gilt.

Deswegen ist diese freie, an keine Vergangenheit ge­

knüpfte Bewegung nicht das Werk einer unvernünftigen Willkür. Die Vernunft eben ist es, welche in jedem Zeitalter und in jedem Volke

360

Sechzehntes Kapitel.

ihre Tat vollbringt, und dessen Einsicht und Kraft zu Organen dieses Vollbringens macht." In dieser Vernunftherrschaft liegt die wahre Versöhnung von Freiheit und Notwendigkeit auch in der Geschichte, während die Historiker alles auf eine blinde Notwendigkeit, auf die Äußerlichkeit des erscheinenden Kausalnexus, als auf das Höchste,

beziehen. Darüber und über den engen Gesichtskreis der historischen

Schule überhaupt muß hinausgegangen werden. „Wie löblich auch die jetzt den jüngeren Männern fast zur Sitte gewordene Beschäftigung ist, den Blick nach den noch unbenutzten Variantenschätzen zu richten, und wie selig auch der Fund einiger neuer Blätter alter Codices machen müßte, es ist ein tieferer Blick, der in den noch unauf­ geschlossenen Reichtum ergrauter Rechtsinstitute führt, es ist eine höhere Seligkeit, sich der Notwendigkeit des Begriffs bewußt zu sein." So schließt die Vorrede zum ersten Band von Gans' großem Werke über „Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung", datiert vom 23. März 1823, der das Vorstehende durchweg entnommen ist. Man wird leicht bemerken, wie diese scharfe Kritik der historischen Schule namentlich dadurch begünstigt wird, daß das Schulprogramm

selbst kein einheitliches war, sondern nicht widerspruchslos aus drei Elementen zusammengefügt. Das gestattet Gans, die empirische An­ schauung, das gesundeste, von Hugo überkommene Element, vollstän­ dig zurückzuneisen, das evolutionistische und romantische Element aber zu überbieten, indem er an Stelle unklaren historischen Empfindens die begriffsmäßige, wissenschaftliche Steigerung zur universalgeschicht­ lichen Entwicklung der Idee in der Wirklichkeit einfügt. Daß er dabei an «Stelle der mystisch-quietistischen Spitze eine liberale, reformfrcundliche, im Sinne des früheren liberalen Hegelianismus, aber auch so recht im Berliner Sinne jener Zeit, dem Antriebe seiner eigenen Persönlichkeit gemäß, zu setzen weiß, verschaffte seinen Äußerungen

sofort Popularität und war besonders dazu angetan, die Gegnerschaft

zwischen zwei Richtungen zu verstärken, die sonst in der grundlegen­ den geschichtlichen Auffassung so vieles gemeinsam haben. Während so Gans im strengsten Sinne einer begriffsgemäß zweck-

und nutzlosen Wissenschaft sein Programm aufstellte, verschmähte er es gleichzeitig nicht, sich für dieses auf eine Äußerung von Thibaut zu berufen, die rein utilitaristischen Charakters ist. Thibaut war, als er seine Ideen von der wahren Bedeutung der Rechtsgeschichie im

Gegensatze zu der „Mikrologie" der historischen Schule äußerte, ein-

II. Die Spekulation.

2) Gans.

361

mal ausgebrochen in den Satz: „Zehn geistvolle Vorlesungen über die Rechtsvcrfassung der Perser und Chinesen würden in unseren Studierenden mehr wahren juristischen Sinn wecken, als hundert über die jünimerlichen Pfuschereien, denen die Jntestatcrbfolge von Angustns bis Justinianus unterlag." Indem Gans diesen Satz als Motto seinem Erbrecht voraufsetzt, nimmt er denn doch offenbar für dieses

auch eine praktische Bedeutung — innerhalb der Nechtskunde — in Anspruch. Und indem er dieses sein Buch so aufbaut, daß er die Erbrechte der verschiedensten Völker und Zeiten als Vor- und Nach­ spiel um das römische Erbrecht herum gruppiert, indem er dies selbst

durch den Nebentitel („das römische Erbrecht in seiner Stellung zum

vor- und nachrömischen") betont, vollzieht doch auch er die Anknüpfung an das praktische Interesse der fachmännischen Kreise, wie an seinen eigenen romanistischen Bildungsgang. Gerade dies sollte dem Werke, das in vier Bänden 1824, 1825, 1829 und 1835 erschien und von dem Familien- und Erbrechte der Inder, Chinesen, Juden, Muslim und Griechen bis zu den mittelalterlichen Familien- und Erbrechten

von Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, England und Skandi­

navien reicht, zum besonderen Heile gedeihen. Der erste vorrömische Band, trotz allen auch hier unleugbaren Verdienstes um Erschließung, Sammlung und Verarbeitung der Quellen auf vielfach, für die deutsche Rechtsgelehrsamkeit, jungfräulichem Boden, Scharfblickes für die Tatsachen und für die individuelle lichkeit dieser verschiedenen Rechte — er steht doch ganz

wenigstens trotz allen

Eigentüm­ im Banne

des Hegelschen geschichtlichen Schemas, das jedcin Volke und jeder Volksgruppe die Vertretung gewisser Stufen in der Sclbstentwicklung der Rechtsidee von vornherein gebieterisch zuwcist und dadurch freier geschichtlicher Forschung vorgreift. Das macht sich schon weit weniger empfindlich bemerkbar in dem zweiten Band, der ausschließlich dem römischen Erbrecht gewidmet ist: Vielleicht auch deshalb, weil hier Hegels Schema tatsächlich der juristischen Bedeutung und Begabung der Römer soweit entspricht, daß es der Betrachtung und Würdigung

der Tatsachen keinen allzuharten Zwang auferlegt. Indem nun aber Gans hier wieder streng juristisch und empirisch arbeitet, wird er zu­

gleich in sich der starren Hegelschen Schulformel Herr. Mit klarem Bewußtsein dieser Befreiung verkündet die Vorrede zum dritten Bande, daß in ihm — und so erst recht im vierten — die bloß historisch darstellende Seite das Übergewicht über die philosophische Auffassung

Sechzehntes Kapitel.

362

und Begründung „wenigstens der Quantität nach" gewonnen habe. Dafür ist es doch nur eine scheinbare Rechtfertigung gegenüber der Prinzipientreue, wenn Gans bemerkt, daß dies hier durch die beson­

dere Natur der inhaltlich einförmigen, oft mehr poetischen als gedanken­ reichen mittelalterlichen Nechtsgestaltung geboten sei. Aufrichtiger gibt er selbst an anderer Stelle^) zu, daß die beiden ersten Bände

des Erbrechts schulmäßiger, enger und ängstlicher an Hegel angelehnt sind, die zwei letzten dagegen freier atmen, so daß man ihnen kaum mehr ansehen kann, welcher Richtung sie entstiegen sind. Literärgeschichtlich soll daraus dem Verfasser wahrlich kein Vorwurf gemacht

werden, ist es ihm doch eben dadurch gelungen, dieses sein Lebens­ werk, wennschon es Torso zu bleiben bestimmt war, zu einem vor­ bildlichen Monument für einen neuen Zweig der Rechtswissenschaft, für die wissenschaftliche^) Rechtsvergleichung nämlich, auszugestaltcn. Der schematisch Hegelsche Aufbau und die überstiegen begriffsmäßige

Art der Begründung ist schließlich doch nur Zutat, aus dem Geiste

der Zeit für die Zeit; bleibend ist die Sache und die Leistung selbst, der Gedanke, die Rechtsgeschichte als Teil der Universalgeschichte, das Recht als Ergebnis der Rechtsentwicklung bei den verschiedensten Völ­ kern der verschiedensten Gegenden und Kulturstufen aufzufassen. Der inhaltliche Wert dieses Gedankens, seine großartige geschichtliche und juristische Gesamtbedeutung durchdringen doch unverkennbar alle Ober­

flächlichkeiten und Ungenauigkeitcn der Ausführung, wenn cs auch lange dauern sollte, bis wieder neuere Juristen ähnliche Pfade ein­ schlugen. — Übrigens muß doch selbst das im Einzelnen Vollbrachte

für seine Zeit nicht so geringwertig gewesen sein, wenn nicht nur das Kapitel über französisches Erbrecht von einem gelehrten Franzosen

ins Französische übersetzt worden ist, sondern selbst die germanistischen

Abschnitte durch einen Homeyer lebhafte Förderung gefunden haben, wie die Vorrede zum vierten Bande dankend erwähnt. Indessen tvird es angemessen sein, ehe wir auf dieses, in den späteren Bänden

hcrvortrctendc Fricdcnszeichcn näher eingehen, in die Mitte der 20 er Jahre zurückzukchren, die wir vorübergehend, um das ganze „Erb­

recht"

in

seiner Zusammengehörigkeit

zu

würdigen,

überschreiten

mußten. Die Vorrede zum zweiten Bande (datiert vom 1. Dezember 1824)

hatte sich in grobem Ton darüber geäußert, daß die historische Schule

den gegen sie gerichteten Angriffen nur eine Vogel-Strauß-Politik, ein

n. Die Spekulation.

3 63

2) Gans.

ignorantes Ignorieren der universalrechtsgeschichtlichen Methode ent­ gegenzusetzen wisse. Nuckäußerung,

Darauf erfolgte

in einer

endlich

jener Puchtaschen

jener Seite eine

von

die das

Rezensionen"),

Höchste leisten in der Verbindung logischer Objektivität mit zahllosen,

persönlich schmerzhaftesten Anspielungen, unter Einhüllung des Ganzen

in den Ton

vornehmster

Geringschätzung.

Sicherlich

hatte ja der

kriegerische Angriffston von Gans dergleichen herausgefordcrt; ist es gewiß zutreffend,

wenn

ihm

sachlich

auch

Puchta seine sklavische

Abhängigkeit von Hegel vorwirft, infolge deren er alles im Verlaufe

der Geschichte schematisch fertig vorführe, in

öde Langweile verfalle

und seinem eigentlichen Thema, der Sonderart des Erbrechts, nicht

gerecht werden könne. der Sache vorzustclleu,

„Die Versuche, sich die lebendige Entwicklung selbst wenn sie

mangelhaft sind,

dienen noch immer den Preis gegen eine Dialektik, sogenannte Begriff

wie

ver­

in welcher dieser

ein Gespsnst über die Erde geht."

Damit

ist unverkennbar der Nagel auf den Kopf getroffen; wir können der historischen Schule und ihrer wahrhaft lebendigen Auffassung nicht dankbar genug dafür sein, daß sie durch diese Stellungnahme Hegelsche Geschichtskonstruktion und Geschichtseinrenkung in das Prokrustesbett

des Begriffsentwicklungsschemas, wie sie alsbald überall

sonst Mode

werden sollte, wenigstens aus der Zivilistik ferngehalten hat.

Aber

andererseits ist doch in jener Rezension Puchtas allzusehr die Bedeu­

tung der methodischen Gedanken von Gans verkannt. Allzusehr wird

ihm die Dürftigkeit seiner Quellen vorgeworfcn, vollständig der Mut

und der Scharfsinn übersehen,

mit dem

er sich

ihrer

bedient

hat.

Dazu kommt, daß persönlich geradezu Ungehöriges vorgebracht luirb18),

weit über das Maß der Gansschen Provokation hinaus. denn auch

die Besprechung mit

der Bemerkung,

So endet

nachdem hierdurch

nun Gans' eifriges Bestreben um Gegenäußerung gegen seine An­

griffe „Erhörung" gefunden habe, werde es wohl von jetzt ab wieder nm besten

getan

sein,

ihn

gänzlich

zu

„abandonnieren."

Einige,

allerdings unerfreuliche Angriffe von Gans gegen Hasse werden dafür als Beleg abschließend verwendet.

Gans replizierte, nicht gegen Hasse, nicht gegen Puchta, sondern indem er den Stoß nun gegen die zentrale Position des Feindes,

gegen Savigny und gegen dessen Hauptleistungen richtete: gegen seine Lehre vom Besitz und gegen seine Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter.

364

Sechzehntes Kapitel.

Der Angriff gegen die Savignysche Besitzesauffassung ist ver­ bunden mit eigener positiver Leistung in dem Büchlein „System des römischen Zivilrechts im Grundriß, nebst einer Abhandlung über Studium und System des römischen Rechts, Berlin 1827."

Dieses

System mit seinen positiv-rechtlichen Belegstellen ist ein interessanter Anlauf dazu, ein römisch-rechtliches Lehrgebäude „wissenschaftlich", d. h. gemäß Hegelschen Ansprüchen aufzurichten; und die angehängte

Abhandlung unternimmt es, diese Anordnung als zugleich den juristischen Tatsachen entsprechend darzutun. Dabei kömmt sie denn auch auf

die Frage19), wohin der Besitz im System zu stellen sei, und nimmt dazu entschieden für ihn die Eigenschaft eines Rechts, in Anspruch. Es handelt sich dabei tatsächlich fast nur um eine Umschreibung der Hegelschen Sätze, wonach Privatrecht nur die Verwirklichung des individuellen Willens, Besitz und Eigentum nur Verwirklichung eines

solchen Willens an einzelnen Sachen, und nur deshalb, aber beide

auch schon deshalb Rechte sind. In der Schulsprache ausgedrückt: Das Ich wird als freier Wille im Besitz wie im Eigentum gegen­ ständlich, mit dem Unterschiede nur, daß diese Verwirklichung im Besitze

lediglich Sache des subjektiven Willens bleibt, während beim Eigen­ tum die Allgemeinheit des objektiven Willens hinzutritt. Mit der Postulierung dieses von vornherein für Gans feststehenden Satzes verbindet sich aber eine so gediegen juristische, auch im Ton sachlich und vornehm gehaltene Widerlegung des Savignyschcn Standpunktes, daß diese weithin Eindruck zu machen nicht verfehlen konnte. War

es doch unverkennbar richtig, wenn Gans hervorhob, Savigny lasse aus der Besitzesverletzung ein Unrecht hervorgehen ohne vorangehendes Recht, was einfach unmöglich sei; auf dem Umwege der unrechtlichcn Gewalt könne man allenfalls zu einer iniuria, nimmermehr zu Besitzinterdikien kommen; dazu sei es erforderlich, einen Rechtsgrund in der Stellung der Person zur Sache zu finden.

Damit war zweifellos der schwache Punkt „in dem sonst so ircfflichcn Buche von Savigny" getroffen, und bekanntlich ist denn auch seitdem die Polemik darüber in den Vordergrund des Interesses

getreten.

Selbst weitere Kreise verfolgten es sofort mit lebhafter

Aufmerksamkeit, wenn nun gleichzeitig Savigny und, in mindestens glcichgefülltem Hörsaale derselben Universität, Gans je ihre An­ sichten in scharfer Entgegensetzung Jahre hindurch der studierenden

Jugend vortrugen.

II. Die Spekulation.

2) Gans.

365

Weniger Aussehen erregte und weniger grundsätzliche Bedeutung beansprucht die Kritik von Savignys Geschichte des römischen Rechts

Sie kommt im allgemeinen, wennschon natürlich nicht ohne einige Härten und nicht ohne einige Unterschätzung der Gelehrsamkeit in Savignys Leistung, auch nicht ganz ohne den Ver­ such, deren Mängel für den eigenen überlegen historischen Standpunkt int Mittelalter 20).

als Folie zu benutzen, zu dem von der Nachwelt ratifizierten Urteil über das Werk, wie es auch etwa vorstehend besprochen worden ist. Erschienen ist sie in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik",

dem kritischen Organ der Hegelschen Schule, das wesentlich mit durch Gans zustandegekommen toar21). Überhaupt ist dieser damals in die

Zeit der Vollreife und damit offenbar einer gewissen Beruhigung, innerlich und äußerlich, eingetreten. Gegenüber der Ablehnung durch Savigny und die ©einigen hat er nun Anschluß an die Gruppe der

Hegelianer, Hotho, Marheineke, Michelct, Schulze u. a. m. gefunden. Studienreisen, die er nach England und Frankreich unternommen hatte zur Vorbereitung der mittelalterlichen Erbrechtsbände, haben ihm mannigfache Anerkennung und Anregung durch Verbindung mit

leitenden Gelehrten und Staatsmännern jener Länder verschafft, Be­ ziehungen, die er um so eifriger pflegte, als seine liberale politische Gesinnung ihn ohnehin veranlaßte, den Blick nach Westen gerichtet zu halten. So finden wir ihn mit englischem Material zu Zwecken der Rechtsvergleichung beschäftigt in einem Artikel der „Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes"

von 1838, der über Geschichte und Einrichtung der Billigkeitsgerichte in England handelt, und an den sich ein weiterer Artikel (offenbar durch seinen Tod ausgcbliebcn) schließen sollte mit der Aufgabe, jene Billigkeitsgerichte mit dem prätorischen Recht der Romer in vielver­

sprechender Parallele zusammenzustellen.

Sein geschichtliches und juristisches Interesse gewinnt unter, diesen Umständen Ausdehnung weit über das privatrechtliche Gebiet hinaus: Es ergreift nun auch die parlamentarischen Verhältnisse, die politischen und selbst künstle­

rischen Strömungen der Gegenwart, über die er sich in zahlreichen Gelegenheitsaufsätzcn, besonders in Kritiken über englische und fran­ zösische verfassungsgeschichtliche Werke, äußert22). Er wird dabei immer selbständiger und weiß Anziehendes vorzutragen, mag er über Eichhorns Allodifikation der Lehen oder über die Sontag sprechen, mag er den Salon der Madame Recamier oder einen Besuch

bei

366

Sechzehntes Kapitel.

Jeremias Bentham oder die Persönlichkeit des berühmten deitschen Verlegers, des Freiherrn v. Cotta, schildern. Auch über die inner­

liche „Deutschheit des Elsaß" redet er beherzigenswerte Worte. Was aber alle diese Skizzen und Studien zusammenhält, ist des Ver­ fassers ausgeprägt staatliche Gesinnung und damit zugleich sen Be­

dürfnis, von seinem wissenschaftlichen Standpunkte aus nunmchr für

und auf die Gegenwart zu wirken.

Während er um diese Zet, wie

uns schon aus der Betrachtung der späteren Erbrechtsbände bckannt, die Fesseln des Hegelschen Schemas lockert, tritt ihm doch eiirr der Grundzüge Hegelscher Auffassung, wohl Hegels praktisch vevienstlichste Grundcrkenntnis, nur um so mehr in den Vordergruw, die Würdigung des Staatsbegriffes. Die Entwicklung dieses Begriffes

erscheint ihm nun als das Höchste, was das Recht zu bieten lat, so daß sich darauf alle seine weitgehenden Forschungen über Vergmgenheit und Gegenwart vereinigen. Von diesem Standpunkte aus durfte er wirklich das Gefühl hegens sich ungleich mehr, extensiv md in­ tensiv, mit allgemeiner Geschichte befaßt zu haben, als die misten Anhänger der historischen Schule. Und so entstanden denn auh von diesem Standpunkte aus seine „Beiträge zur Revision der preujischen Gesetzgebung", Berlin 1830—3224), die das allgemeine Landrcht in

durchaus zutreffender, großzügiger Weise würdigen, aber auh den Ansprüchen der neuen Zeit, die so hoch darüber hinausgewachfn ist, im großen wie im kleinen entschieden Rechnung tragen. Das ist denn auch die Gesinnung und die Stimmung, als der

die beiden letzten Bände des Erbrechts hervorgegangen sind; und das macht es denn auch erklärlich, wenn Gans in den Voreden hierzu einen durchaus anderen Ton gegen seine historischen Ggner anschlägt, einen Ton, der wenigstens einer friedlichen Natur wie Homeycr, es ermöglichte, seinem Berliner Fakultätsgcnossen frundliche Unterstützung zu gewähren. Gans spricht es da nun selbst aus, daß er in der Polemik bisher allzu lebhaft, „hart und ruch"

gewesen sei, wennschon nicht aus persönlichen Motiven, so doh in­

folge des grundsätzlichen Fanatismus, mit dem er vor sechs Jchren „jene heftige Kanonade" eröffnet habe, „die ich jetzt freilich, nahdem das Ungestüm des Zujugendlichen gewichen, gerne in eine zierlchere Taktik verwandelt gesehen hätte." Auch persönlich scheint danals Gans zweimal, als er in die Fakultät eintrat (Dezember 1828) und als er deren Dekanat übernahm (Dezember 1831), Versöhnun^ver-

II. Die Spekulation.

2) Gans.

367

suche Savigny gegenüber unternommen zu habens, die aber lediglich abschlägige Antwort erfuhren, wie denn Savigny, seitdem Gans ein­

trat, aus der Fakultät ausschied und sich ihr, so lange dieser lebte,

unentwegt fernhielt. Immerhin trat seit 1827 für ein Jahrzehnt ein gewisser Waffenstillstand in diesem Duell ein. — In den späteren Jahren dieser Ruhepause war Gans, außer durch erfolgreiche Bor-

lesungen und durch die bereits besprochenen Schriften, ja namentlich auch anderweitig in Anspruch genommen durch seine Beteiligung an dem großen Unternehmen der Herausgabe von Hegels Werken, wie cs nach dessen Tode von dem Kreise seiner Freunde besorgt wurde. Gans hat daran regen Anteil genommen in bezug auf die ganze Organisation wie durch Übernahme der zwei ihn nächstberührenden

Bünde, die er denn auch noch zu gutem Ende gebracht hat, die Rechtsphilosophie 1833 und die Philosophie der Geschichte 183726). Befriedigt mochte Gans annehmen, gerade durch diese Herausgabe sein ursprünglich gegen die historische Schule aufgestelltes Programm

genau nach dessen beiden Seiten hin, der philosophischen und der historischen, vollends durchgeführt, seinen Anschauungen geschichtliche

Kontinuität gesichert zu haben. Und endlich sollte er es denn doch auch noch erleben, daß Jupiter selbst aus der Wolke, in die er sich bisher gegen Gans und dessen Angriffe gehüllt hatte, hervortrat: eine Anmerkung von Savigny2?) zu der sechsten Ausgabe seines Rechtes des Besitzes, 1837, wendet sich in streng objektiver Weise gegen die Ganssche Besitzestheorie. Den damit wieder eröffneten Kampf nahm Gans auf durch eine eigene kleine Schrift: „Über die Grundlage des Besitzes, eine Duplik", Berlin 1839 — seine letzte schriftstellerische Äußerung. Sie zeigt wieder die volle Wucht seines (martialischen) Stils und ficht mit dem alten Nachdruck, mit den alten Waffen, mit der alten Schlagfertig­ keit gegen Savigny, Puchta und zahlreiche Jüngere. Aber für die

Literärgeschichte hat sie nicht mehr die alte Bedeutung.

Nicht bloß

deshalb, weil es sich wesentlich um Wiederholungen handelt, bei denen beide Gegner, um im kriegerischen Bilde zu bleiben, fort­

gesetzt aneinander vorbcischießen, indem der eine unter „Recht" nur positiv ausgebildete Nechtseinrichtungen, der andere nur spekulative

Rechtsbegriffe versteht2");

sondern namentlich darum, weil sich in­

zwischen jene Umgestaltung der historischen Schule vollzogen hat, durch welche sie den teils berechtigten, teils spekulativen Ansprüchen

368

Sechzehntes Kapitel.

früherer Gansschcr Kritiken abgeholfen hat, natürlich ohne je den Zusammenhang damit einzugestehen. Wie sich das im allgemeinen bei der ganzen Behandlung des Rechts und der Rechtsgeschichte

zeigt, wird unten namentlich da, wo wir über Puchta handeln, aus­ zuführen sein. Hier sei nur schon hervorgehoben,, wie es sich gerade auch in dem Brennpunkte dieser berühmten literarischen Fehde aus­ Was früher ein sachlicher Kampf war, ist jetzt lediglich ein Kampf um Worte geworden, seitdem Puchta den von Savigny leer­

spricht.

gelassenen Besitzesbcgriff, auf diese Leere durch Gans aufmerksam genracht, durch seine Theorie von dem Besitze als einem Rechte an

der eigenen Person ausgefüllt und Savigny diese Theorie als mit der seinigen zusammcnfallend erklärt, d. h. tatsächlich adoptiert hatte. Was ist denn schließlich dieses Recht an der eigenen Persönlichkeit

anders als die Anerkennung des subjektiven, in die Herrschaft über eine Sache der Außenwelt gelegten Willens? Man sicht nur nicht recht ein, warum nicht Gans diese Wandlung des historischen Stand­ punktes triumphierend als seinen Sieg in Anspruch genommen hat,

statt dagegen abermals zu polemisieren. Aber gelegentlich einmal entschlüpft ihm die Bemerkung, er könne sich eigentlich mit Puchtas Theorie ganz einverstanden erklären, nur mit der Maßgabe, daß, was Puchta als Eigentümlichkeit des Besitzrechtes aufstelle, nämlich Recht an der eigenen Person zu sein, ihm (Gans) der Begriff aller Rechte überhaupt sei. Begreiflich daher, wenn Bruns 1848 sagen konnte29), „der große Streit zwischen Gans und Savigny, der anfangs

die Grcnzscheide einer neuen Aera der Wissenschaft bilden sollte, schrumpft im Fortgänge der Geschichte mehr und mehr zu einer ge­ wöhnlichen Kontroverse ein." Das ist aber zutreffend eben bloß für dieses spätere Stadium, nachdem die bedeutsamere Wirkung schon

eingetreten war. Wenn demgegenüber Puchta nun wieder, und zwar durchaus im alten Ton, das Wort ergriff30), den Spieß umkehrte und meinte, Gans habe sich in seiner letzten Schrift, wennschon unbewußt, seine (Puchtas) Ansicht angeeignet ^), so wird man das erledigen können durch den bloßen Hinweis auf die zeitliche Reihenfolge und auf die

kinestiche Energie des Jdeenzusammenpralls. Ob Gans diese Zeilen von Puchta noch gelesen hat, steht dahin. Jedenfalls hat ihm der Tod die Antwort darauf abgeschnitten. Statt dessen ist denn be­ kanntlich der Kampf der Heroen, damit ihm das abschließende Satyrspiel

II. Die Spekulation.

2) Gans.

369

nicht fehle, in den Broschürenaustausch zweier junger Studierender der Rechte ausgelaufen.32)

Uns erübrigt es, einen letzten Rückblick auf die Persönlichkeit33) von Gans zu werfen. Hohe und vielseitige Begabung haben ihm

selbst seine Feinde nie abgesprochen, unbeugsame Kraft und Energie, sprühende Kampfesfreude und kecken Wagemut wird ihm heute jeder­ mann zugestehen. So hat er fast ganz allein unter den Juristen oder wenigstens unter den Zivilisten3^) seiner Zeit int Kampfe ge­

standen gegen eine übermächtige Phalanx von Gegnern, die noch dazu alle Vorzüge der äußeren Stellung für sich hatten. Daß er dabei

nicht ganz selten über das vornehme Maß hinausgegangen ist, hat er selbst später eingeräumt; daß er hin und wieder sogar persönlich gehässig geworden ist, hat er stets abgestritten, wird aber zugegeben werden müssen mit der Maßgabe, daß er dazu durch starke Anwürfe hingerissen wurde. Ohne ein gewisses Selbstbewußtsein hätte er

jenen Tätigkeitsdrang natürlich nicht ausüben können. Die Haupt­ frage bleibt, ob sein ganzes Verhalten bloß aus kleinlicher verletzter Eitelkeit, wie oft behauptet wird, oder auch aus edlem Eifer für das, was ihm die Wahrheit zu sein schien, zu erklären ist. Und da werden wir doch wohl gegen manche Anfeindung dem Umstande Rechnung tragen müssen, daß Gans von Männern wie Hegel nebst dessen ganzen Freundeskreise und selbst von feiten eines Alexander v. Hum­ boldt33) dauernd zu näherem Verkehr herangezogen worden ist. Wir werden doch wohl den Worten eines Mannes wie Marheineke ver­ trauen müssen, der, wahrlich keiner Konnivenz gegen den Liberalismus

verdächtig, an Gans' Grabe aus genauester persönlicher Bekanntschaft laut und mit einer Beredsamkeit, in der der Ton der Wahrhaftigkeit deutlich durchklingt, es dem Dahingegangenen bezeugt hat, er sei ein

Mann von höchster Gewissenhaftigkeit, Unbefangenheit und Lauterkeit gewesen, unfähig, einen langjährigen persönlichen Groll zu hegen

und an einen solchen bei anderen zu glauben, aufrichtig in einem Maße, das sich in früherer Zeit bis zur Kühnheit, Unbesonnenheit, Unvorsichtigkeit gesteigert und nur schwer zu der schönen Mäßigung

späterer Zeiten gefügt habe.

Er sei gewesen „eines jener unbequemen,

in Wahrheit reinigenden, befreienden Elemente, wie sie jeder Wissen­ schaft und Kunst in jeder Zeit zu wünschen sind, und ohne welche die kluge Mittelmäßigkeit in allen Fächern bald auf den grünen Zweig kommen würde." Lauditberg, Geschichte der deutsche« Rechtrwisjenschust. II. Text.

24

370

Sechzehntes Kapitel.

3. Um unter den engeren Fach-^) und Zeitgenossen von Gans ihm einen Hegelianer, sei es gleicher, sei es entgegengesetzter politischer Richtung zur Seite zu stellen, müßten wir schon bis zu der Dürftig­

keit eines Reibnitz?) herabsteigen.

Nehmen wir den Kreis etwas

weiter, so treffen wir auf Karl Friedrich Gösches), dessen Hegelia­

nismus im Dienste politisch streng konservativer und religiös luthe­ rischer Gesinnung steht, demgemäß der historischen Schule keineswegs

feindlich gegenübertritt, sondern nur philosophisch und ethisch die Grundlagen des Rechts tiefer als diese legen möchte. Seine dies­

bezüglichen, etwas krausen und unausgeglichenen Vorstellungen finden sich hauptsächlich, breit und doch aphoristisch, entwickelt in seinen „Zerstreuten- Blättern aus den Hand- und Hilfsaktcn eines Juristen",

4 Bände, 1832, 1835, 1837 und 1842, die bald die Bibel, bald Hegel für das Verständnis des römischen oder preußischen Rechts

heranziehen und namentlich es sich zur Aufgabe, machen, den reli­ giösen und philosophischen Sinn mit den Ansprüchen einer praktischen juristischen, besonders richterlichen Tätigkeit zu versöhnen. Sachlich gewinnt dabei Gösche! aus Hegel vorzüglich das Verständnis für die staatlichen Gesichtspunkte, auch innerhalb des Privatrechts ^). Weitere einigermaßen juristische Schriften Göschels sind noch sein überwiegend pastoraltheologisches Buch: „Der Eid nach seinem Prinzip, Begriff

und Glauben", Berlin 1837, gewissermaßen das Zeichen für die vollständige Umkehr von der Aufklärung, wie Malblancs Werk über dasselbe Thema deren Höhepunkt bezeichnet hatte'); und die vollends absonderliche Abhandlung: „Das Partikularrecht im Verhältnis zum gemeinen Recht und der juristische Pantheismus", Berlin 1837, halb eine Streitschrift gegen die Hcgelsche „Linke" und gegen den philo­ sophischen Pantheismus überhaupt §), halb eine Verteidigungsschrift

für A. W. Goetzes „Provinzialrecht der Altmark"7). — Diese Werke Göschels sind ja, namentlich durch ihre gemütliche Seite, auf weitere

Kreise vielleicht nicht ganz unwirksam geblieben; strengere wissen­

schaftliche Bedeutung kann ihnen aber doch kaum beigemessen werden. Den wirklichen Gegenspieler gegen Gans, den erfolgreichen,

wennschon keineswegs orthodoxen Vertreter der Hegelschen Rechten auf dem weiteren Gebiete des Rechts- und Staatslebens erreichen wir vielmehr erst, wenn wir den Blick zeitlich und sachlich noch etwas weiter schweifen lassen, bis auf die Person von Friedrich Julius Stahlb), der freilich gleichzeitig als der Vertreter der,

11. Die Spekulation. Savigny

3) Stahl.

371

fremd gebliebenen, Spätphilosophie Schellingsfür uns

erscheint. Stahl hat sein Hauptwerk selbst betitelt als „Die Philosophie Er hat davon den ganzen

des Rechts nach geschichtlicher Ansicht."

ersten Band der Geschichte der Rechtsphilosophie gewidmet und diesen

wiederum bezeichnet als „die Genesis der gegenwärtigen Rechtsphilo­

sophie."

So ist in weiteren, namentlich juristischen Kreisen, wo man

bei „geschichtlicher Ansicht"

stets

nur

die geschichtliche Schule

an

Saviguys zu denken gewohnt ist, die Annahme entstanden, Stahl sei

eigentlich der Rechtsphilosoph dieser Schule, müsse insofern geradezu als ihr angehörig betrachtet werden.

Für Stahl ist

die Geschichte

so

Dem ist jedoch keineswegs so.

wenig

wirklich

die Genesis einer

zutreffenden Rechtsphilosophie, daß vielmehr jener sein geschichtlicher

Band bestimmt ist, die Unhaltbarkeit aller bisherigen Anschauungen

nicht nur aus ihren Einzelheiten, sondern aus ihrer rationalistischen oder spekulativen Grundrichtung und als Folge derselben zu beweisen; der zweite Teil führt dann die Rechts- und Staatslehre auf durchaus

geschichtlich zusammenhangsloser, von Stahl neu gelegter Grundlage auf.

Die Geschichte der Rechtsphilosophie ist demgemäß nicht eine

objektive Darstellung, sondern der glänzende, mit allen Mitteln der Dialektik und mit Wärme der Überzeugung durchgeführte Versuch,

die Unfähigkeit

des lediglich

auf

sich

selbst

gestellten

menschlichen

Geistes zur Beherrschung und zum Verständnis auch nur der irdischen

Dinge an den Mängeln aller geschichtlich einander ablösenden Natur­ rechtssysteme klarzulegen.

In dieser Beziehung handelt es sich um

einen Anwendungsfall weit mehr des Hegelschen als des Savigny-

schen Geschichtsprinzips: Die Geschichte wird nicht um ihrer

selbst

willen mit treuer Hingabe an den Stoff erforscht, sondern sie wird zugunsten eines von vornherein feststehenden Zieles in dessen Dienst gezwungen. Dabei ist freilich das Hegelsche Schema nicht festgehalten,

sondern von Stahl durch ein eigenes ersetzt; Einzelheit über

es wird auch manche

manchen Rechtsphilosophen mit tiefer Sachkenntnis

und feinem Geist beigesteuert; aber das

Ganze ist doch nur dazu

bestimmt, die absolute Leere zu schaffen, die nach Stahl auch von der geschichtlichen Rechtsauffassung,

fein,

mangels

sann10).

mag sie sonst noch so berechtigt

philosophischer Grundlage,

nicht

ausgefüllt werden

In diese Leere tritt dann der persönliche Gottesglaube und

der christliche Offenbarungsglaube für Stahl als Grundlage seiner

Welt-, Staats- und Rechtsauffassung ein.

«sechzehntes Kapitel.

Z?2

Das Ergebnis ist, daß Stahl in seinen politischen und kirchlichen

Anschauungen sich denjenigen vieler Hauptvertreter der historischen

Schule stark nähert, und daß er von allen ihm bekannten Richtungen innerhalb der positiven Jurisprudenz für die historische Schule noch verhältnismäßig am meisten Anerkennung übrig fjat11); daß er jedoch in allen diesen Punkten weit über sie hinaus in durchweg persönlich­ ster Selbständigkeit vorgeht.

Für ihn ist Staat und Recht nicht

Erzeugnis des Volksgeistes, sondern der göttlichen Fügung und Offenbarung, ebenso wie die als andere, große, gottgewollte äußere

Ordnungsanstalt danebenstehende Kirche. An Stelle von Hegels objektiver Wirklichkeit der sittlichen Idee tritt für Stahl die persön­ liche Gottheit; diese Person an Stelle jenes Begriffs eingesetzt, ist

er im übrigen durchaus imstande, die Wege Hegels zu wandern, viel weiter als es zunächst den Anschein hat; jedenfalls ist die Würde und Fülle seines Staatsbegriffes weit mehr Hegel entnommen als den mystisch theosophischen Vorstellungen des späteren Schelling, mag auch in rein philosophischer Hinsicht Stahl diesem näher stehen und sich noch so vielfach und entschieden als Gegner Hegels bekennen. Wie dem aber auch sein mag, die Geschichte der positiven Rechts­ wissenschaft kann unmöglich den Jdeengang Stahls auf diesen rechts-

philosophisckptheosophischen Gebieten verfolgen. Wir müssen uns be­ scheiden, darauf hinzuweisen, wie er seinen Einfluß in die Wagschale

wirft für die Begründung der Regierung, statt auf Majorität, auf Autorität, für die Begründung der Verfassung, statt auf ein Blatt Papier, auf alte Überlieferungen, für die Begründung des Rechts

auf den Zusammenhang alter Rechte und Gewohnheiten, statt auf Kodifikation, hier mit Savigny allerdings unmittelbar zusammen­ treffend. — Die Würdigung der umfassenden Staatslehre, die Stahl auf seine Prinzipien aufgebaut und politisch zeitlebens in ihren Fol­ gerungen durchzuführen verstanden hat, fällt weiterhin der allgemeinen Staatsrechtswissenschaft oder auch der Politik- und Geschichtswissen­ schaft zu. In die Geschichte der Rechtswissenschaft im engeren Sinne hat

Stahl von da aus haupffächlich für zwei Punkte ein gegriffen. bezug

auf

das

Strafrecht durch

In

Aufstellung einer eigenen Straf­

rechtstheorie; und in bezug auf das Kirchenrecht durch sein Werk von 1840: „Die Kirchenverfaffung nach Lehre und Recht der Pro­ testanten."

II. Die Spekulation.

3) Stahl.

373

In Stahls Strafrcchtstheorie^) äußert sich die finsterste Seite

seiner Persönlichkeit.

Wenn es ihm sonst nur selten begegnet, be­

denkliche Folgerungen seines Systems in kompromittierender Weise auszusprechen, so vergißt er jede derartige Rücksicht, sowie er den Boden des Strafrechts berührt. Ist ihm doch die Strafe und deren rücksichtsloser Vollzug unbedingtes göttliches Gebot, auferlegt dem

Staate, der das Schwert der Gerechtigkeit demnach aus unmittelbar göttlicher Vollmacht zu führen berufen, aber auch verpflichtet ist. Es handelt sich um einen Rückfall in theokratisch-mittelalterliche Anschau­ ungen, wenn nicht gar in orientalisch alttestamentarischen Geist, womit natürlich im 19. Jahrhundert Stahl wenig Anklang finden konnte.

Selbst diejenige Phase der Kriminalistik, die mit Hegel die absolute Herleitung der Strafe aus reinen Gerechtigkeits- oder Vergeltungs­ grundsätzen als die einzig zulässige ansieht, selbst diejenigen Rechts­ gelehrten dieser Richtung, die noch so streng konservativ und kirchlich denken, sie alle haben doch sich jeder Hinübernahme der Stahlschcn

Strafrechtstheorie in das positive Recht, wenn auch nur zu dessen philosophischer Begründung, mit verschwindenden Ausnahmen^) ge­ weigert. Man wird diese Theorie nur als die äußerste Steigerung der Hegelschen Grundlage, mehr als eigenartig und charakteristisch in dieser ihrer Eigenart, denn als unmittelbar für die Entwicklung der Rechtsanffassung bedeutsam anzusehen haben. In kirchlicher Hinsicht steht Stahl auf einseitigstem, ausgeprägt lutherischem Standpunkt, von dem aus er namentlich gegen die Union Stellung genommen hat, besonders seitdem er Mitglied des 1850 neu gegründeten preußischen Oberkirchenrats geworden war. Das scheint ihn auch zu schroffer Gegnerschaft gegen den mehr versöhnlichen Ämilius Richter geführt zu haben, wobei sogar persönliche Reibungen von

Stahl ausgegangen sein dürften. Namentlich aber hat er gegen jedes theologische oder dogmatische Entgegenkommen, das den Refor­ mierten gegenüber vorgeschlagen werden konnte, und gegen die Union 1859 das Buch: „Die lutherische Kirche und die Union" als „wissen­

schaftliche Erörterung der Zeitfragen" geschrieben, während er gleich­ zeitig mit einer mehr gemeinverständlichen Streitschrift „gegen Bunsen" und gegen dessen „Zeichen der Zeit" vorging. Das Zusammentreffen

zwischen Stahl und Bunsen zeigt die beiden Typen des religiösen Charakters in vollendetem Gegensatz: Es ist der Kampf des starr theokratischen/reinen Verstandesmenschen von felsenfester Überzeugung

374

Sechzehntes Kapitel.

mit dem tief religiösen Gemüte voll idealen Schwunges und humaner allseitiger Bildung; ein erheblicher Mangel namentlich an solcher wie an positivem Wissen überhaupt kann bei Stahl nicht übersehen werden und bildet eine Schwäche aller seiner Werke. — Bei alledem aber

handelt es sich denn doch, soweit nicht, wie allerdings überwiegend, strenger theologische, sondern bloß juristische Dinge in Betracht kommen, für Stahl nur um eine Anwendung längst feststehender Grundsätze auf einen einzelnen kirchenpolitischen Fall. Die Grundsätze selbst sind bereits entwickelt in dem oben genannten Buche von 1840 über die

Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten (b. h. hier bloß der Lutheraner), das einen streng juristischen Charakter trägt14); es wird wohl, obschon Stahl nach seiner Vorbildung Fachjurist war, als dessen einziges im eigentlichen Sinne fachwissenschaftlich-juristisches

Werk zu betrachten sein. Das darin zugrunde gelegte, verteidigte und durchgeführte ist das reine Episkopal-System, jedoch in eigenartig vertiefter Auffassung. Die eigentliche Bedeutung dieses Systems liegt nämlich für Stahl nicht sowohl in der Art, wie es das landesherrliche Kirchenregiment erklärt, als vielmehr in der Ermöglichung stärkster Unabhängigkeit des kirchlichen Regiments vom Staate. Die Kirche, die zunächst jeden­ falls als göttliche Institution oder Anstalt dasteht, unterliegt der Regierung ausschließlich durch ihre Obrigkeit; nach uraltem christ­ lichem Herkommen ist diese Obrigkeit der Bischof, dessen Stellung seit der Reformation nur zum Teil auf den Landesherrn als den Inhaber des „protestantischen Majestätsrechts", zum anderen Teile, wennschon verkümmert, auf den Superintendenten übergegangen ist.

Von presbyterialen oder konsistorialen Verfassungsformen will dagegen Stahl wenig wissen, der Gemeinde weist er, in schroffstem Gegensatz zum Kollegialsystem, nur das Recht zu, „gehört zu werden", unter Ausschluß jeder aktiven Beteiligung am Kirchenregiment. Das Terri­

torialsystem, das die Kirchenherrschaft einfach dem Staate als solchem ausliefert, ist ihm ein Greuel. Diese seine Überzeugung sucht. Stahl

namentlich auch geschichtlich zu begründen, ohne jedoch dafür hinter die Epoche der Reformation zurückzukehren, da er eben auf deren kirchenrechtlicher Auffassung einzig und allein zu fußen wünscht.

So

bezeichnet er geradezu sein System „als das kirchenrechtliche System der protestantischen Orthodoxie", um es dann mit logischer Schärfe in alle Einzelheiten durchzuführcn. Im einzelnen sind dabei seine

III. Der Positivismus.

1) Mühlenbruch.

375

Erörterungen gerichtet sowohl einerseits gegen die strengen Hegelianer,

die Kirche und Staat vereinheitlichen, gegen Marheineke und nament­ lich gegen Rothe und dessen Buch „Die Anfänge der christlichen Kirche

und deren Verfassung", Wittenberg 1837, wie andererseits gegen die Lehre von der freien Kirche im Laienstaate, die von Vinet, Mdmoire en faveur de la libertö des cultes, Paris 1826, vertreten wird. In beiderlei Beziehungen ist

dann Stahl bald darauf Puchta zur

Seite getreten, wennschon nicht ohne ihm doch auch wieder in wichtigen Punkten zu widersprechen, während der Theologe Theodor Kliefoth in seinem Werke „Acht Bücher von der Kirche" 1854 Stahls Auffassung sowohl von der Anstaltsnatur der Kirche, wie von der Berechtigung des reinen Episkopal-Systems einfach an­ genommen hat.

Welches

aber

auch

nach

Ansicht

der

Juristen,

Theologen und Kirchenpolitiker der sachliche Wert dieser Stahlschen

Grundideen sein mag, methodologisch und literärgeschichtlich jedenfalls fest, daß Stahl die alte Dreiteilungsschablone

steht von

Episkopal-, Patrimonial- und Kollegial-System mit neuem Leben erfüllt und, über die ältere und engere Bedeutung hinaus, zum

innerlichen Leitmotiv des gesamten protestantischen Kirchenverfassungs­ rechts ausgestaltet hat. III. 1. Als Vertreter der gemeinrechtlich praktisch-theoretischen Zivilistik, der damit alle Kenntnisse und die volle Gründlichkeit der historischen Schule verbindet, steht in dieser Zeit, etwa neben Thibaut, aber ohne dessen ausgeprägte Gegnerschaft gegen die historische Schule, sonder» nur ihr gegenüber ganz selbständig, da Christian Fried­ rich Mühlenbruch, 1785—18431). Für die Selbständigkeit Mühlenbruchs ist es bezeichnend, daß er sich geschichtlichen Studien in seinen ersten Schriften?) zugewandt

hat, genau in der Richtung der historischen Schule, unter durchaus zutreffender Anknüpfung an Pütter, aber ein volles Jahrzehnt vor der Schulbegründung; daß er dann jedoch zu rein dogmatischer Arbeit übergegangen ist. Seine dogmatischen Arbeiten unterscheiden sich von den Werken Älterer, denen sie Sinn und Rücksicht für das praktische

Bedürfnis mit Erfolg entnehmen, doch durch grundsätzliche und streng durchgeführte Quellenmäßigkeit. So haben sie in weitesten juristischen Kreisen dauernde Anerkennung und Beliebtheit gefunden, während

gleichzeitig der engste Schulkreis nicht umhin konnte, sie als vollwertige wissenschaftliche Leistungen zu würdigen.

Sechzehntes Kapitel.

376

Dabei nähert sich Mühlenbruch den Gewohnheiten und Ansprüchen

der neuen Zeit zugleich durch die streng monographisch geschlossene Anlage seiner „Lehre von der Zession der Forderungsrechte nach den Grundsätzen des römischen Rechts", Greifswald 18173). Das Buch gehört infolgedessen zu jenen monographischen Durcharbeitungen ein­ zelner,

besonders wichtiger Materien, die wir, wie etwa Savignys

Besitz, Hasses Culpa und Unterholzners Verjährung, als die Grund­ lage für die Zivilistik des 19. Jahrhunderts anzusehen gewohnt sind. — Daran schließt sich Mühlenbruchs umfassendes und erfolgreiches Lehr­ buch, die Doctrina Pandectarum4), zu Halle in drei Bänden 1823 bis 1825 erschienen, in elegantem Latein und in behaglicher Breite der Entwicklung dargestellt, mit ausgeprägter Vorliebe für das Recht

der klassischen römischen Juristen gegenüber dem der Novellen und

selbst gegenüber den der neueren Zeit, das man zwar auch kennen müsse, um es anwenden zu können, das aber als Erziehungsmittel zu juristischem Denken und Können ganz hinter die Muster der großen Pandektisten zurückweiche. Wirklich ist das Buch selbständig aus diesen Quellen gearbeitet und so vorzüglich geeignet, in deren Geist einzuführen. Neben diesem wissenschaftlichen Interesse zeichnet es sich

aber zugleich aus durch einen echt praktischen Sinn, durch ein stets gewahrtes Gefühl für das Brauchbare und Sichere, das ohne dialek­ tische Spitzfindigkeit noch systematischen Schematismus aus dem Zu­ sammenhang heraus frei entwickelt wird. Die Anknüpfung an ältere Überlieferung ist' in Form und Inhalt deutlich wahrnehmbar, die

durch Tätigkeit in einem stark beschäftigten Spruchkollegium gewonnene Erfahrung kömmt offenbar ergänzend hinzu, und doch ist allm be­ rechtigten Ansprüchen an

geschichtliches Quellenverständnis • volles

Genüge getan. Die Bedeutung der geschichtlichen Auffassung für richtige Be­ handlung der gemeinrechtlichen Quellen wird abermals von Mühlen­

bruch hervorgehoben in seinem „Entwurf des gemeinrechtlichen Zivil­ prozesses", Halle 18276). Ohne historisches Rechtsstudium könne von irgendwelcher Sicherheit bei der Handhabung der Quellen nicht die

Rede sein und am wenigsten dürfe der Zivilprozeß geschichtlicher Grundlage entbehren. Das lediglich Antiquarische freilich müsse man den Darstellungen der Rechtsgeschichte überlassen; so sei er verfahren auf die Gefahr hin, daß, wenn er den einen zu viel, er doch den

anderen nicht genug Historisches für ihren Geschmack biete.

m. Der Positivismus.

1) Mühlenbruch.

377

Bei dieser Wendung Mühlenbruchs zuerst — vielleicht schon vor­

her bei der kühlen Behandlung des Gewohnheitsrechtes in der Doctrina Pandectarum — mochte auch der Uneingeweihte durchsühlen, daß der Verfasser zu dem eigentlichen, esoterischen Kreise der histori­ schen Schule nicht gerechnet wurde, dagegen aber auch sich an deren

Prinzipien nicht gebunden fühlte. Deutlicher trat das hervor im Jahre 1828, als er da seine „Rechtliche Beurteilung des Städelschen Be-

erbungsfalles" im Drucke erscheinen ließ, „nebst einer Einleitung über das Verhältnis der Theorie zur Praxis", die manche beherzigenswerte Wahrheit vorbringt. Wer unmittelbar und seit längerer Zeit die

juristische Praxis in Deutschland kenne, werde sich schwerlich zu einem

Paneghrikus auf die Gegenwart begeistert fühlen. Zwar sei zu keiner Zeit soviel und so allgemein von der Vortrefflichkeit der römischen Juristen als unseren ewigen Vorbildern gesprochen worden, noch wohl auch so viel geschehen, um uns die echten Quellen zugänglicher zu machen — aber es zeige sich kein Einfluß davon auf die Praxis.

Ja, man werde eher die ältere Zeit der Gegenwart „in demjenigen, was uns mit Recht an der römischen Jurisprudenz so vorzüglich und nachahmenswert erscheint", überlegen finden. Damit solle nicht die gegenwärtige Studienrichtung verdächtigt, doch aber ein zeitgemäßer

Weckruf erhoben werden. Die allgemeine Erscheinung, um die es sich handle, sei der ausfallende Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, die förmliche Opposition zwischen juristischen Geschäftsmännern und Rechtsgelehrten.

Die Theorie sei dem Leben entfremdet, sei es,

daß sie sich an Veraltetes festklammere, sei cs, daß sie subjektiven Spekulationen sich überlasse, die an sich trefflich oder geistreich, zu den Einrichtungen und Verhältnissen unserer Nation nicht stimmten. Die Praxis aber vollends habe einen vagen und unbestimmten Cha­ rakter angenommen, .man könne sagen, eine Richtung zur Subjekti­ vität, welche aus einzelnen Fällen und für sie Nechtssätze bildet. Indem man oftmals nur glaubt, das positive Recht liberal anzu­ wenden, verläßt man dessen leitende Grundsätze ganz, ist bereit,

positive Prinzipien in jedem einzelnen Falle zu verwerfen oder zu umgehen, ein Verfahren, das die Praxis geradezu demoralisiert6): „Denn nicht

bloß setzt es die Willkür an die Stelle des Gesetzes,

sondern der immerwährende versteckte Kampf gegen das Recht zieht dieses zuletzt in den Kreis einer egoistischen Politik herab." Dabei wüßten denn die jüngeren Praktiker für dieses ihr Verfahren nur

Sechzehntes Kapitel.

378

allzu geschickt sich auf die sonst vernachlässigte Theorie zu berufen, indem Hugos und Savignys Ansichten über die Natur der Rechts­

quellen wirklich geeignet seien, in derartigen Neigungen zu bestärken und zu Extremen zu verlocken. „Denn, um gegen Übertreibungen

und falsche Anwendungen liberaler Grundsätze gesichert zu sein, ist eine praktische Selbständigkeit erforderlich, die erst durch anhaltende Übung, durch langjährige Beobachtung und Vergleichung gewonnen werden kann, die aber allemal zu der Überzeugung führen wird, daß

ohne feste juristische Prinzipien in dem positiven Teil des Rechts und

ohne deren strenge Beachtung an eine sichere Rechtspflege nicht zu

denken ist, ihre Vernachlässigung aber mutwillig die Sicherheit zer­ stört, welche uns nur das positive Recht gewähren kann." So trete ein bloß individuelles Rechts- und Billigkeitsgefühl an Stelle fester Grundsätze und der Richter an die Stelle des Gesetzes. Daran schließt sich die Kritik derjenigen Äußerungen über den

Städelschen Erbrechtsfall selbst, die, um der Gültigkeit des Testa­ ments entgegenzukommen, eine zweifellos nichtige Erbeinsetzung auf

allen möglichen Umwegen aufrechterhalten wollten. Wo bliebe man, wenn man um eines guten Zweckes willen sich über klares positives Recht hinwegsetzen wolle? „Es gilt hier," so schließt Mühlenbruch, „einen höheren Zweck als alle Kunstinstitute der Welt: das Recht. Wird dieses um eines Zweckes willen gebeugt, wird es das Spiel der Willkür, des Witzes oder des Scharfsinns: was soll dem Menschen da alle Kultur, welche ihm durch die Kunst zugeführt wird?

Ist erst die Ehrfurcht vor dem Gesetz verschwunden, so

wird auch der Sinn für das Recht selbst ertötet werden, und das beharrlichste Anschauen heiliger Personen und Geschichten wird das Verlorene nicht ersetzen, so wenig als es wahre Frömmigkeit

schaffen kann." Entfremdung der Theorie von der Praxis und vom Leben, Hang zum Altertümlichen und zum subjektiv Interessanten, dos sind

die Schlagwörter, die hier wohl zum erstenmal gegen die historische Schule ertönen und an die dann Savigny in der Einleitung zum ersten Bande seines Systems des heutigen römischen Rechts angcknüpft hat. Jedoch ist cd. zu einer eigentlichen Polemik zwischen Mühlen­ bruch und der geschichtlichen Schule denn doch nicht gekommen. Viel­

mehr ist Mühlcnbruch nach dieser gelegentlichen lebhaften Aussprache wieder zu sachlichen Ausführungen zurückgekehrt, die, wenigstens zu

III. Der Positivismus.

1) Mühlenbruch.

379

ihrem Teile, einer gewissen Annäherung der Theorie an die Praxis zu dienen geeignet gewesen sein mögen. Es handelt sich um den Glückschen Pandektenkommentar, dessen Fortsetzung nach dem Tode seines Urhebers (Januar 1831) Mühlen­

bruch übertragen wurde und von da ab seine Lebensarbeit gebildet hat. Es sind aus seiner Feder insgesamt neun Bände dieser Fort­ setzung, 1832—1843, Teil 35—43, erschienen, die den Kommentar

von dem ersten Titel des 28. Buches bis zum fünften Titel von Buch 29 fördern, von Hellfelds § 1417 bis § 1472. Man wird das, obschon die Vorrede zu Bd. 41 einige Vereinfachungen und Ab­

kürzungen verheißt, nicht eben ein rasches Vorrücken nennen können, selbst unter Berücksichtigung des besonderen Interesses der behandelten Bücher. Wohl aber wird man anerkennen müssen, wie Mühlenbruch,

eben unter Verzicht auf Kürze und Geschwindigkeit, es vermocht hat, dem Kommentar seinen bisherigen Charakter im wesentlichen zu erhalten, ihm diejenigen Eigenschaften der Vollständigkeit und Objek­ tivität bei Berichterstattung und Auslegung zu wahren, die itjn7) „zu einem so äußerst brauchbaren Handbuche für gelehrte Juristen wie für Geschäftsmänner gemacht haben." So gibt denn Mühlenbruch

so gut wie Glück eine möglichst „vollständige und deutliche Entwick­ lung aller zu dem Gegenstände gehörigen Begriffe und Lehr­ meinungen , gestützt auf die besten und wichtigsten Autoritäten aus älterer und neuerer Zeit, zugleich aber mit möglichst umfassender Berücksichtigung aller neueren Schriften" — nicht jedoch, ohne damit,

und zwar wohl in wesentlich höherem Grade als Glück, Eigenes und Wertvolles zu verbinden. Den praktischen Zweck, den Mühlenbruch dabei immer im Auge behält, fördert er freilich nicht durch häufige, „ebenso willkürliche als nutzlose" Berufungen auf den usus mo­ dernus und erst recht nicht durch das Abweisen historischer und kritischer Erklärungsgründe, sondern vielmehr durch die Berücksichti­

gung solcher Lehren, „welche auf den heutigen Rechtszustand einen entschiedenen Einfluß gehabt haben und zur Bildung der juristischen

Urteilsfähigkeit vorzugsweise geeignet sind"; und ferner durch das, was er „pragmatische Behandlung" heißt, d. h. eine vollständige Entwicklung auch solcher rechtlicher Beziehungen, zu denen die Quellen

den Stoff nicht unmittelbar barbieten. So liegt schließlich eine gewisse Vermittlung vor zwischen Savignyschem Idealismus und Purismus einerseits8) und den Bedürfnissen des gemeinrechtlichen Praktikers

380

Sechzehntes Kapitel.

andererseits, jedoch unter Übergewicht der wissenschaftlichen Seite. Es handelt sich um ein wissenschaftliches Repertorium für den Pandektisten mehr als um ein praktisches Nachschlagebuch. Bei den weiteren Fort­ setzungen überwiegt dann der erstere Charakter immer ausschließlicher2.)

2. Ist unter den eigentlichen Zivilisten seiner Zeit Mühlenbruch mit seiner Selbständigkeit gegenüber der historischen Schule bereits

vereinzelt, so liegen die Dinge noch umgekehrt auf dem Gebiete des gemeinen Zivilprozesses.

Hier sind die oben geschilderten schulmäßig-

historischcn Anläufe zunächst noch vereinzelte Erscheinungen, die Herr­ schaft gehört den — wennschon keineswegs ganz ungeschichtlichen — Positivisten, neben dem alten Martin besonders zwei neueren Lehr­

buchverfassern: Linde und Bayer.

Die akademische und

wissenschaftliche Tätigkeit von I. T. B.

(später Freiherr von) LindeZ (1797—1870) fällt ausschließlich in die Jahre von 1820—1840, hauptsächlich in die Zeit von 1823 bis

1831, natürlich abgesehen von der Besorgung späterer Auflagen und von der Leitung der von ihm begründeten „Zeitschrift für Zivilrecht

und Prozeß", die er mit Unterstützung verschiedener Kollegen 1828 bis 1865 in 42 Bänden (20 alter, 22 neuer Folge) herausgcgeben

hat. Die Bedeutung dieses angesehenen Organs ist gewiß nicht gering zu schätzen, wie auch nicht die mehrerer darin und in. anderen Zeit­

schriften von Linde veröffentlichter Einzelaufsätze; im Vordergründe seiner schriftstellerischen Leistungen stehen denn aber doch ganz über­ wiegend die umfassenden Bücher, die sämtlich aus jenen acht Jahren herrühren und dem Gebiete des gemeinen Zivilprozesses angchören. Es sind die „Abhandlungen aus dem deutschen gemeinen Zivil­ prozeß", zwei Bände, Bonn 1823 und 1829; das „Lehrbuch des

deutschen gemeinen Zivilprozesses", Bonn 1825, 7. Auflage, 18502); und zwei Bände eines groß angelegten „Handbuches des deutschen

gcmeinbürgcrlichen Prozesses", Gießen 1831 und 1840 erschienen als Bd. 4 und 5 dieses Handbuches, ohne daß weiteres davon vorläge; was vorliegt, bildet eine abgeschlossene „Lehre von den Rechtsmitteln"

und trägt auch diesen Untertitel. Ebensowenig wie Mühlenbruch tritt Linde in diesen seinen Werken

den historischen Studien feindlich oder auch nur ablehnend entgegen. Im Gegenteil, schon das erste Bändchen der Abhandlungen, obschon Mackeldey gewidmet, weiß Bethmann-Hollwegs Grundriß mit lobender Anerkennung anzuführen2); und nie wird eine Lehre behandelt, ohne

ill. 4)er Positivismus.

2) Linde und Payer.

381

daß Linde sich gründlich mit den verschiedenen Etappen ihrer Ent­

wicklung auseinandergesetzt hätte, im älteren und justinianischen römischen Recht, im kanonischen und älteren gemeinen Recht und in der späteren Gesetzgebung.

Insofern ist der Fortschritt unverkennbar,

der durch die zivilistischen Beispiele, auch noch über Martin hinaus, angeregt ist. Aber das Interesse aller dieser Untersuchungen geht,

genau wie bei Martin,

wesentlich

auf Feststellung

des positiven

Rechts, die Geschichte wird nicht um ihrer selbst willen betrieben,

auch nicht als zu jedem Verständnisse der Gegenwart unentbehrlich herangezogen, sondern nur deshalb, weil man ihrer bei den ganz

besonderen gemeinrechtlich-zivilprozessualen Verhältnissen bedarf als Mittel strengerer Quellcnmäßigkeit, wie sie schon Martin gefordert und gepflegt hatte. Gibt doch Linde seiner ausschließlich praktischen

Richtung einmal, und zwar schon bei seinem ersten Auftreten um so bezeichnender, weil so selbstverständlich, Ausdruck, indem er bemerkt,

er begreife nicht, daß der Prozeß so wenig wissenschaftliche Pflege finde, während er doch der Weg zur praktischen Rechtsverwirklichung fei4). „Diese Erscheinung wird um so auffallender, da es am Ende doch immer

die Aussicht auf praktische Anwendbarkeit ist, die unser wissenschaftliches Streben belebt, und es daher schwerlich jemand lohnend genug er­ scheinen möchte, bloß einer höheren, ohne allen Nutzen für das Leben erzeugenden Erkenntnis wegen, die Tätigkeit seines Geistes dauernd an­ zustrengen." Linde wenigstens hatte offenbar recht fest sich vorgenom­ men, sich nie ohne sichere Aussicht auf praktischen Nutzen anzustrengen,

und er ist diesem seinem Vorsatze unerschütterlich treu geblieben. Besonders vorteilhaft äußert sich diese praktisch positivistische Richtung in der Wertschätzung und fortwährenden Beachtung neuerer deutscher Rechtsbildung und territorialer Kodifikation, natürlich unter Anlehnung an Lindes Lehrer Mittermaier, aber ohne dessen international-rechtsvergleichende Bestrebungen. Schon die „Abhandlungen"

heben hervor, ■ daß sie die preußische allgemeine Gerichtsordnung be­ rücksichtigen; und die Breite des Handbuches ergibt sich im wesent­ lichen gerade daraus, daß dieses grundsätzlich, in reichlichem Maße

die verschiedensten in Deutschland geltenden Partikularrechte, ja selbst die partikularrechtlichen Entwürfe und Pläne zum Vergleich und zur Kritik heranzieht. .Natürlich, gemäß des Verfassers sonstiger Stellung, im strengsten konservativen Sinne, unter Lobpreisung des alten Pro­ zesses und unter Ablehnung aller modernen Wünsche nach Öffent-

Sechzehntes Kapitel.

382

lichkeit, Mündlichkeit und Vereinfachung des Verfahrens, aber doch auf Grund genauester Kenntnis des gesamten weitschichtigen Mateiials,

in gediegener, streng juristischer Beweisführung und namentlich inter sauberer Sonderung der verschiedenen Partikularrechte gegeneimnder

und gegen das gemeine Recht. dem

Letzterer Umstand stellt gegerüber

von Pütter-Selchow

Mischverfahren

und

Runde-Danz inen

wesentlichen Fortschritt zu klarer Quellenmäßigkeit dar und bereitet die

selbständige

wissenschaftliche

Behandlung

einzelner Territmal-

rechte, zu der man sich im Prozeß") damals noch nicht zu entschleßen vermochte"), denn doch wenigstens vor. Obschon das Lindesche „Lehrbuch" an diesem besonderen Verdenste taum7) Anteil hat,

so ist doch gerade ihm besondere Wirksankeit

beschieden gewesen, wohl wegen seiner Klarheit und seines Stofßeichtums, wie auch wegen des auf die späteren Auflagen verwenieten Wenigstens haben andere Lehrbücher der­

Fleißes der Fortführung.

selben Zeitb), die grundsätzlich auf demselben Standpunkte stehen, ihm gegenüber nicht durchzudringen vermocht. Dagegen fand

es

alsbald einen ernsthaften,

in mancher Be­

ziehung selbst überlegenen Konkurrenten an den etwas anders gearteten „Vorträgen über den gemeinen ordentlichen Zivilprozeß" von Hie­ ronymus Bayers.

von 551 Seiten,

Sie sind zuerst erschienen

während die letzte und

1828 in Särke

10. Auflage von 1369

ihrer 1156 zählt. Diesen Vorträgen war vorangegangen eine -rfte Abhandlung „Über die Änderung des Klage-Libelles", Landshut 1319

und ebenso 1820 die „Theorie der summarischen Prozesse nach den

Grundsätzen zesses"

des gemeinen Rechts mit Ausschluß des Konkurssro-

(7. Aust. 1859),

während

ihm

von Druckwerken nur wch

gefolgt ist die „Theorie des Konkursprozesses nach gemeinem Reht"

von 1836 (4. Aust. 1868).

So stellen die größeren Werke des Er­

fassers eigentlich nur zusammen ein den ganzen gemeinen Zivilprizeß

umspannendes Lehrbuch dar.

Es steht in strenger Quellenmäßickeit

und in deren geschichtlicher Begründung wohl noch etwas über Silbe und hat zugleich von Gönner her eine gewisse Gewandtheit des er­

klärenden Räsonnements, die ansprechend wirkt, um so mehr, als der Stil ein gut gepflegter ist.

Von einer besonderen Sorge um >as

Partikularrecht ist dagegen, wenigstens in diesen gedruckten7") Er­

trägen, nicht die Rede und ebensowenig von irgendwelcher schulmäzig historisch-evolutionistischen Auffassung77). Spielt doch unter den Rechs-

tH. Der Positivismus.

8) Das Strafrecht und Wächter.

383

quellen, wie allerdings bei einem Schüler Gönners leicht begreiflich,

die „Natur der Sache" nach wie vor ihre Rolle, selbst noch in den späteren, sonst fleißig auf dem Standpunkte des wissenschaftlichen Fort­

schritts gehaltenen Auflagen. 3. Das Strafrecht dieser Jahrzehnte, ehe es mit den 40er Jahren

unter die Gewaltherrschaft der Hegelianer tritt, läßt den verschiedensten Tendenzen und Ansätzen Spielraum.

Soweit es sich dabei um An­

klänge des historischen Geistes handelt, ist bereits oben davon die

Rede gewesen und wird davon noch weiter unten zu handeln sein

bei Würdigung Mittermaiers.

Daneben aber schwingen da die An­

regungen, wie sie durch Feuerbach und Grolman sowie Almendingen

gegeben sind,

in naturrechtlich verblaßter Klangfarbe weiter;

und

endlich tritt auch hier ein entschieden positivistischer Ton ergänzend

und mit jenen naturrechtlichen Betrachtungen merkwürdig zusammen­

stimmend in das Konzert ein. Vor allem befinden wir uns nunmehr in der Zeit, da jeder

Kriminalist es sich selbst schuldig zu sein glaubt, eine eigene Strafrechts­

theorie aufzustellen, so daß diese nun üppig aus dem durch Feuer­

und Grolman vorbereiteten Boden

bach

emporschießen,

a6er ohne

durch die streng Kantische Zucht dieser beiden Meister veredelt zu fein. Da haben wir, der zeitlichen Reihenfolge nach zuerst, Henke*)

(1783—1869), der freilich anfangs an Fichte sich angeschlossen hattet, 1811 aber in der Schrift „Über den Streit der Strafrechtstheorien,

ein Versuch zu ihrer Versöhnung"

eine besondere moralische Ver­

geltungstheorie aufstellte und diese dann in seinem „Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft" 1815, sowie abermals in seinem Hauptwerke, dem „Handbuche des Kriminalrechts und der Kriminalpolitik", vier Bände, 1823—1838 (Bd. 4: Prozeß), durchgeführt hat.

dienst

besteht

jedoch

Sein Ver­

weder in diesen nicht eben erfleulichen,

nach

Feuerbach fast peinlich wirkenden Bemühungen um Verquickung von Moral und Recht, noch in gewissen früheren, bald wieder verleugneten geschichtlichen

Anläufen3),

sondern

in

der positivistisch-gründlichen

Rechtsbehandlung selbst, namentlich in der eingehenden Berücksichti­

gung der ausländischen Strafgesetzgebung.

Darauf beruht das um­

fassende und in langjähriger Arbeit zu Ende geführte Handbuchs);

längerer Aufenthalt und Lehrberuf in der Schweiz mögen dazu mit die Anregung gegeben haben.

Henke hat dort auch das Schweizer

öffentliche Recht zum Gegenstände seiner wissenschaftlichen Bearbeitung

384

Sechzehntes Kapitel.

gemachts). Das Ergebnis mag ja recht dürftig und oberflächlich aus­

gefallen sein; bedenkt man aber, daß bis dahin das seit 1815 be­ stehende Staatsrecht der Schweiz noch gar nicht wissenschaftlich gepflegt war, weder im ganzen noch in seinen Teilen, und daß Henke immer­ hin sein Thema mit glücklicher Energie bewältigt, so bleibt denn doch diese Leistung eines Deutschen als erster Beitrag zum neuen Staats­

recht der Schweiz bemerkenswert. Auf Henkes moralische Vergeltungstheorie von 1811 folgt des Philosophen Gottlob Ernst Schulze (bekannt als Verfasser des „Änesidemus") verdienstliche Selbsterhaltungstheorie, vorgetragen in

seinem „Leitfaden der Entwicklung der philosophischen Prinzipien des bürgerlichen und peinlichen Rechts" 1813; sie wurde im wesentlichen übernommen von dem Präsidenten des Tübinger Gerichtshofes Hein­ rich Benedikt v. Webers in einem Artikel des „Kriminalarchivs" von 1823, und auch von Martin in juristischer Umarbeitung dem schon besprochenen Strafrechtslehrbuche von 1821 zugrundegelegt. Etwa gleichzeitig mit Schulze tritt auch hervor die ähnlich begründete und

geartete Wiedererstattungs-, Wiederaufhebungs-, Sühne- oder Buß­ theorie von Karl Theodor Welcker, dem bekannten liberalen Publizisten (1790—1869), auf den unten sofort wieder zurückzukommen sein wird; er gibt sie S. 249 f. seines allgemein staatswissenschaft­ lichen Werkes über „Die letzten Gründe von Staat, Recht und Strafe", Gießen 1813. Alle diese letztgenannten Theorien sind stark beeinflußt durch philosophisch-idealistische Strebungen einerseits, durch Feuerbach andererseits; dadurch werden sie gleichmäßig zu einem gewissen Synkretismus gedrängt, wofür auch noch des späteren Politikers, Tagcsschriftstellers und Historikers Johann Georg August Wirths „Handbuch der Strafrechtswissenschaft und Strafgesetzgebung", Breslau 1823, angeführt sei. Dieser Synkretismus hat später sogar, als durch die Natur der Dinge erforderlich, von philosophischer Seite seine Begründung gefunden in der Schrift von Georg Heinrich Henricib): „Über die Unzulänglichkeit eines einfachen Strafrechts­

prinzips nebst einem Anhänge über die Todesstrafe", 1839, die vier Auf­ lagen bis 1851 erlebt hat, also bis tief in die Zeiten der Hegel-Herrschaft

hinein, offenbar, weil sie denn doch neben der zeitgemäßen philo­ sophisch-abstrakten Begründung dem praktischen Strafzwecke Rechnung zu tragen gestattete in einer dem praktischen Juristen unentbehrlichen

Weise.

Die Zweckmäßigkeitsbegründung überwiegt dagegen in näherem

III. Der Positivismus.

3) Das Strafrecht und Wächter.

385

oder entfernterem Anschlüsse an Feuerbach bei v. Droste-Hülshoffs nachträglicher Verteidigungstheorie 9), aufgestellt 1826, und besonders bei Anton Sauer10), der seine Warnungstheorie zuerst in seinem Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, Göttingen 1827, unter diesem Namen vorgetragen hat11). Er hat sie kurz darauf noch weit voll­ ständiger formuliert und entwickelt in einem besonderen Buche „Die

Warnungstheorie nebst einer Darstellung und Beurteilung aller Straf­

rechtstheorien", Göttingen 1830; ja er hat sie dann nochmals aus­ führlich verteidigt in dem ersten Teile seiner „Abhandlungen aus dem Strafrecht und dem Strafprozeß", Göttingen 1840. Diese unermüdliche Sorgfalt um eine Theorie, die sich doch kaum, und dann jedenfalls nur zu ihrem Nachteil, von der Feuer­ bachs unterscheidet, ist um so bezeichnender für die Zeit, als Bauer persönlich, nach seiner ganzen Eigenart, gewiß kein Theoretiker war, sondern eher ein Praktiker vom alten Schlage jener Fakultisten, die

in den Schöffenstühlen oder Spruchkollegien den Brennpunkt ihrer Tätigkeit und den Quell ihres Wissens fanden. Ist' er doch genau so, wie diese vor alters verfuhren, eifrig bestrebt, seine strafrechtlichen

Arbeiten durch

die Berufung

auf diese

praktische Erfahrung

zu

empfehlen und aus dieser sogar unmittelbar für Bestimmung von Art und Maß der Strafe zu schöpfen. Dem entspricht die Samm­ lung seiner „Strafrechtsfälle" in 4 Bänden, 1835—1839, seine

„Anleitung zur Kriminalpraxis" von 1837 und namentlich seine Behandlung des Indizienbeweises in dem dritten Bande seiner „Ab­

handlungen aus dem Strafrecht und dem Strafprozeß", der, Göttingen 1843 nach des Verfassers Tode von H. A. Zachariae herausgegeben12), dieser Materie fast ausschließlich gewidmet ist. Es ist da fast ergötz­ lich,. zu sehen, wie Bauer, der durch die Zeitströmung gezwungen wird, die Berechtigung des Indizienbeweises zuzugeben, sich dann doch

bemüht, ihn in die Bande „rationaler" Beweisrsgeln zu schlagen, mit künstlich schematischen Unterschieden auszustatten, so daß er-, mangels einer legalen, doch mindestens eine doktrinäre Beweistheorie

dafür gewinnt, ohne die es offenbar nun einmal für Bauer nicht angeht. Recht vernünftige Anschauung und gediegene Kenntnis trifft man immer — aber von der Großzügigkeit, mit der Stübel den­ selben Stoff behandelt hatte, ist nicht mehr die Rede. Einen gewissen Abschluß haben endlich diese strafrechtstheore­

tischen Sorgen der Zeit vor Hegels Herrschaft gefunden durch die Landrberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

25

386

Sechzehntes Kapitel.

Arbeiten von Hepp^), die sich weniger um Begründung einer eignen,

als um die Zusammenstellung, Kritik, Gruppierung und Verweitung aller bisherigen Theorien bemühten, das Hauptwerk davon inter dem Titel „Darstellung und Beurteilung der deutschen Strafrichtssysteme", Heidelberg 1843—1845. In diesem wie in seinen sonstigen

Schriften") erweist sich Hepp als ein besonnener, einsichtiger Krimi­ nalist von Lauterkeit der Gesinnung (und Festigkeit des Charniers, aber bar jeden historischen Sinnes. Er ordnet die einzelnen Theilten

nur nach ihrem Gedankeninhalt in ein schematisches System ein, ohne jede Rücksicht auf die Zeit, aus der sie stammen, also auch ganz ohne daran zu denken, wie sie einander gegenseitig beeinflußt hcben. So folgen z. B. in dem Abschnitte über die Abschreckungssy'teme aufeinander v. Droste-Hülshoff, Wächter, Michaelis (Vorrede zum Teil 6 seines Mosaischen Rechts von 1775), Gros (1798), Fmer-

Der überwiegende Raum und die ebenso iber­ wiegende Anerkennung fällt noch den relativen und synkretistschen Theorien zu, besonders dem Ersatzsystem, an das Hepp selbst sich anschließt, während gleichzeitig gerade neben ihm sein Tübinger Etrafrechtskollege Köstlin seine „Reue Revision der Grundbegriffe des bach und Bauer.

Strafrechts" (erschienen Tübingen 1845) vorbereitet, durch die der Umschlag zugunsten der rein absoluten Theorie unter Hegelchem Banner bekanntlich entschieden werden sollte. Ehe dieser Umshlag aber einsetzt, ist noch einmal neben allem diesem Theorienstren der wissenschaftliche Positivismus rein als solcher durchschlagend zu Borte

gekommen, auf^dem Gebiete des Strafrechts damals vertreten iurch einen der größten deutschen Juristen aller Zeiten, Karl Georg Wächter"). Wächter ist geboren zu Marbach am 24. Dezember 1797, ge­ storben zu Leipzig am 15. Januar 1880. Hervorgegangen aus der Schule Schraders in Tübingen einerseits, Welckers und Thibauß in Heidelberg andererseits, wurde er schon 1819 außerordentlicher, '822 ordentlicher Professor der Rechte zu Tübingen, ging Ostern 1833 nach

Leipzig, kehrte Frühjahr 1836 nach Tübingen als Kanzler und Rchtslehrer zurück, lebte jedoch 1839 bis Frühjahr 1848 als Präsdent der Abgeordnetenkammer in Stuttgart und las seit Herbst 1848, von der Politik") zurückgezogen, wieder in Tübingen Pandekten, bis e im Sommer 1851 als Nachfolger Heises Präsident des Hansischen Lber-

appellationsgerichts zu Lübeck wurde.

Indessen legte er diese Stelung

III. Der Positivismus.

3) Das Strafrecht und Wächter.

387

bereits zum Herbste 1852 nieder, um nun abermals als Professor nach Leipzig überzusiedeln, wo er dann,

bis nahe an sein Ende

akademisch tätig, seit 1862 Ordinarius der Fakultät, seine bleibende Stätte gefunden hat. — In diese wenigen Daten 17) läßt sich ja wohl der Rahmen einer stets aufsteigenden, außerordentlich erfolgreichen Tätigkeit zusammensassen. Auch wird ja nicht geleugnet werden

können, daß diese Tätigkeit eine streng einheitliche,

wissenschaftlich

und schriftstellerisch durch alle die Jahrzehnte hindurch wesentlich gleichartige geblieben ist, im Sinne eines wissenschaftlichen Positivis­ mus, den er geradezu verkörpert, nahe genug berührt von den Vor­ zügen der historischen Schule, um gelegentlich dazu gerechnet zu werden, dennoch ihr gegenüber selbständig durch die leitende Rück­ sicht aufs Praktische und Positive, durch das Verständnis für die Berechtigung und für die Aufgaben der Gesetzgebung") und durch die Abneigung gegen romantische Überspannung, kurz, durch einen

echt schwäbischen Wirklichkeitssinn und durch die Fülle gesunden Menschenverstandes"). Aber diese stets gleichgebliebenen Grundzüge

des Wächterschen Wesens und Wirkens zeigen sich doch während eines so langen Lebens in so verschiedener Umgebung und Entfaltung, daß sein Bild hier unmöglich. geschlossen vorgeführt werden kann. Und entschließt man sich erst dazu, Abschnitte in diesem Leben zu bilden, so ergibt sich, daß die Trennung vor 1839 (Württembergisches Privatrecht), der Nachdruck also auf die zweite Hälfte von Wächters Wirksamkeit zu legen ist. Das ist die Zeit, wo die allerdings stets gepflegte zivilistische Produktion mindestens gleichberechtigt dem vor­ her überwiegenden kriminalistischen Interesse sich gesellt, wo die posi­ tivistische Gesinnung ihre entscheidende Äußerung in der Pflege der

Partikularrechte findet, wo die wissenschaftliche und politische Lage der Dinge diesen Bestrebungen Wächters immer günstigere Erfolgs­ bedingungen gewährt, wo er schließlich als Leipziger Rechtslehrer und als Vorsitzender des deutschen Juristentags an die Spitze der deutschen Juristenwelt tritt, eine schon fast zu Lebzeiten legendär gewordene Erscheinung solchen Ansehens und solcher Be­ liebtheit, daß Windscheid 1879 sagen durfte: Wäre er nicht schon

ein Greis, so wäre er der einzige gewesen, dem man es hätte zu­ trauen mögen, den man hätte als dictator legibus scribundis ein­

setzen mögen zu alleiniger Abfassung eines gemeinen deutschen bürger­ lichen Gesetzbuches.

388

Sechzehntes Kapitel.

Aus -der vorweggenommenen Aussicht auf solche Zeitläufte haben wir an dieser Stelle uns zurückzuversetzen in die Jahre von 1822

bis 1838 und in die Anfänge von Wächters Gelehrtenarbeit20). Sie beginnen mit der Dissertation: »Doctrina de condictione causa data non secuta in contractibus innominatis« von 1822, die auf ihrem Gebiete Epoche machte durch die Widerlegung sowohl des alten Irrtums, daß diese Kondiktion auf die ungenannten Real­

verträge beschränkt sei, wie der damals herrschenden Annahme, als sei das Reurecht bei Jnnominatverträgen noch praktisch ausübbar. Sonstige zivilistische Werke aus dieser ersten Periode Wächters sind namentlich eine Reihe von Artikeln in dem „Archiv für zivilistische

Praxis" von Bd. 14 (1831) ab, darunter hervorhebenswert die über Gefahrtragung von 1832 und über Geschäftsführung von 1837; ferner zahlreiche Rezensionen privatrechtlicher Schriften, in der von Wächter mit einer Anzahl befreundeter Kollegen (R. Mohl, Rogge,

Schmerlen24), Schrader, K. Wächter22) begründeten, seit 1826 jähr­ lich erscheinenden „Tübinger kritischen Zeitschrift für Rechtswissen­ schaft", die sofort als „Rezensieranstalt"

hohes Ansehen

gewann,

hauptsächlich wohl durch jene Beiträge von Wächter; unter diesen sei

hier nur, als auch für seine spätere Entwicklung wegweisend, die um­ fassende Übersicht über die Literatur des Württembergischen Rechts (6, 268 f.) angeführt.

Weitaus überwiegend ist denn aber doch die Zahl der strafrecht­ lichen Besprechungen und dementsprechend, für diese Periode wenigstens, das Gewicht der selbständigen kriminalistischen Produktion. An ihrer Spitze steht das Lehrbuch des römisch-teutschen Strafrechts, 1. Teil (enthaltend Einleitung und allgemeinen Teil), Stuttgart 1825, 2. Teil

(enthaltend den besonderen Teil des Strafrechts), Stuttgart 1826. Zwar insofern nur ein Grundriß22) in der damals zur Unterstützung der Vorlesungen üblichen Form, als es bloß zu jedem Paragraphen

eine übersichtliche Disposition, Literaturangaben, Quellenbelege und

Noten gibt, aber darüber doch wesentlich hinausgewachsen durch die Selbständigkeit und Ausführlichkeit dieser Noten, wodurch das Er­

gebnis lehrbuchähnlich wird. Man kann nicht eben sagen, daß diesem Lehrbuche der Massenerfolg, wie so manchem weniger guten, beschieden gewesen wäre24); aber an Stelle dieses Erfolges ist hier der wissen­ schaftliche getreten. Der Grund dafür liegt in der für jene Zeit einzigartigen und mustergültigen Quellenmäßigkeit, die mit absoluter

III. Der Positivismus.

3) Das Strafrecht und Wächter.

Vollständigkeit und Zuverlässigkeit durchgeführt

ist.

389

Nicht nur

in

den einzelnen dadurch erzielten Verbesserungen, in den auserlesenen

Likeraturangaben, in der so viel richtigeren Anordnung des besonderen

Teiles nach dem Prinzip des jeweils verletzten Rechtsgutes — sondern in der ganzen Art des Werkes.

stimmte Strafrechtstheorie,

mit

Zwar hat auch es seine eigene be­ der Wächter

sich

an Welcker

und

Droste-Hülshoff anlehnt; zwar will auch es dem Lernenden ^) „eine Übersicht über die wichtigeren verschiedenen Ansichten der Kriminalistik

und eine Geschichte

und genauere Beurteilung derselben nach den

Grundsätzen der Philosophie" geben; aber wie tritt all das zurück

hinter die Hauptsache, die stete Rücksicht auf den „Inhalt und Geist

unserer positiven Gesetze!"

Es genügt, das Buch zu durchblättern,

um wahrzunehmen, wie stark es sich von anderen Strafrechtslehr­

büchern, z. B. eines Feuerbach, Grolman oder auch Martin, unter­

scheidet.

Bei diesen eine frei aus Begriffen schöpfende und schließende

Abstraktion, dürftig, allgemein, Wächter

die ganze

Masse

ohne Stützen von außen her; bei

fester Körperlichkeit,

eifrigen und liebevollen Versenkung

die

in die Quellen

sich

aus

der

des gemeinen

Strafrechts ergibt, vor allem in die romanistischen Quellen, wie sich

denn aus der Vorherrschaft dieser letzteren auch die Fächerverbindung

bei Wächter erklärt, der zeitlebens Strafrecht und Pandekten neben­ einander behandelt und gelehrt hat.

Wo Andere naturrechtliches Räsonnement oder (tote Bauer) Er­ fahrung im Gerichtsgebrauch oder (wie Jarcke, Roßhirt) historische

Entwicklung oder endlich (wie Martin) nach Analogie des deutschen

Privatrechts Abstraktion aus den verschiedenen Partikularrechten zur

Begründung eines gültigen gemeinen deutschen Strafrechts in An­ spruch nehmen, da besitzt Wächter Mut genug, sich an die römischen

Quellen oder an das deutsche Reichsrecht zu halten und sich mit dem

dadurch zu gewinnenden Ergebnis zu bescheiden.

Natürlich nicht, als

ob er alles Gewohnheitsrecht ausschiede; aber wenigstens beschränkt

er dessen bedenklichste Form, den Gerichtsgebrauch, auf ein Mindest­ maß; und von dem „sogenannten" Naturrecht heißt es einfach, eben­

sowenig .tote im Zivilrecht und aus denselben Gründen könne es im Strafrecht Quelle für den Richter sein, obschon daraus Geschöpftes

den meisten Werken über das positive Strafrecht mehr als richtig und

gut

beigemischt sei.

So wird Wächters Buch zu einer ent­

schiedenen Kundgebung der Richtigkeit und Möglichkeit positivistisch-

390

Sechzehntes Kapitel.

wissenschaftlicher Behandlung, selbst auf diesem Gebiete, das der letzten gemeinrechtlichen Quelle, der Carolina, so weit entfremdet ist.

Dabei wird es doch nicht zu einer gelehrten Restauration solcher Rechts­

sätze, die durch die Praxis der Aufklärung und durch das Bedürfnis der Neuzeit längst überwunden sind, im Sinne etwa der historischen Schule; hat man doch stets mit Recht es von Wächter besonders zu rühmen gewußtes, daß er ein hervorragend praktisches Verständnis besessen hat, daß es gelehrtere, tiefsinnigere Juristen gegeben haben

möge als ihn, aber keinen „juristischeren Juristen", keinen Juristen, „in dem sich harmonischer alles vereinigt hätte, was zur Pflege des Rechts erforderlich ist." Sein erstes großes Werk bewährt dies so­

fort unter besonders schwierigen Umständen, man möchte es fast eine Kunstleistung nennen in der Verbindung von praktischem und quellen­ mäßigem Sinne, an die man weit später, nach Überwindung der Hegelschen Abstraktion, unmittelbar wieder auknüpfen konnte. Noch heute wird, wer sich über Geist und Quellen, sowie über die Literatur

des alten gemeinen Strafrechts positiv unterrichten möchte, weitaus am besten zu diesen Bändchen aus der Mitte der 20er Jahre greifen. In demselben Sinne gearbeitet sind eine Reihe von Artikeln im „Neuen Archiv des Kriminalrechts"^). In die Redaktion dieser

Zeitschrift war Wächter 1830 eingetreten, nachdem er dort 1829 eine seiner gründlichsten Monographien veröffentlicht hatte, die „Revision der Lehre von dem Selbstmord nach dem positiven römischen und gemeinen deutschen Recht und den neuen Deutschen Gesetzgebungen"; ihre seitdem herrschend gewordenen Ergebnisse sind bereits auf breiterer partikularrechtlicher Grundlage als das Lehrbuch aufgebaut. In dieselbe Kategorie gehören u. a. die „Re­ vision der Lehre vom Verbrechen der Gewalttätigkeit", 1833, und die Artikel über Begriff und Tatbestand des Aufruhrs, 1835. Da­ neben stehen aber auch Besprechungen neuerer Strafgesetzentwürfe (Bayern 1833, Württemberg 1834) und endlich eindringliche rechts­ historische Forschungen, betreffend Quellen, Übersetzungen, praktische

Handhabung und Literatur der Carolina, 1830—1837. Diese letzteren Untersuchungen entstammen ersichtlich dem Ringen mit dem Problem, eine festere Grundlage für den Nachweis gewohnheitsrechtlicher Ab­ weichungen von jenem Gesetzbuche zu finden. Endlich gehören dieser Periode noch zwei selbständig erschienene

Schriften von Wächter an: „Die Strafarten und Strafanstalten des

III. Der Positivismus.

3) Das Strafrecht und Wächter.

391

Königreichs Württemberg", Tübingen 1832, heute nur antiquarisch oder kulturhistorisch bedeutsam, und „Abhandlungen aus dem Straf­ recht, Bd. 1, Die Verbrechen der Entführung und der Notzucht",

Leipzig 1835, förderlich nicht sowohl wegen des eigentlich stofflichen Inhalts als vielmehr deshalb, weil da zum erstenmal die seither so unvermeidlich immer wiederkehrende, allgemein methodologische Frage

gründlich behandelt ist, wieweit Verhandlungen gesetzgebender Körper­ schaften zur Gesetzesauslegung herangezogen werden müssen und

dürfen33). — Wegen des Gedankenzusammenhanges könnte man auch noch hierherziehen die „Beiträge zur Geschichte des deutschen Straf­ rechts"^) mit ihren auch populär anziehend gehaltenen Berichten über Fehdewesen, Folter und Hexenprozesse, und das bekannte Werk

„Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Straf­ recht", Leipzig 1844, worin die übliche Methode, gemeines Recht aus den Partikularrechten zu abstrahieren, zurückgewiesen ist. Das mag man als eine Art von Epilog zum Lehrbuche ansehen; allein ebensowohl kann man auch in diesen Büchern den Prolog zu Wächters kriminalistisch-partikularrechtlichen Leistungen der späteren Zeit finden,

und so werden wir später darauf zurückzukommcn haben. Wächters Schriften aus dieser Epoche sind zwei, wennschon etwas jüngere Monographien anderer Verfasser zu gesellen, die von dem­ selben Geiste Zeugnis ablegen, ja wohl schon in etwas von dem Marke Wächters genährt sind. Ich rechne dahin die ersten straf­ rechtlichen Leistungen von Heinr. Alb. Zachariae33) (1806—1875),

dem wir als dem berühmt gewordenen Göttinger Publizisten und Strafprozessualisten später wieder begegnen werden, und das ganze Werk von Heinrich Silben31) (1810—1880), das, abgesehen von einigen Kleinigkeiten, nicht über 1847 hinausgeht. Besonders haben beide Männer gleichzeitig33) die Lehre vom Versuche gründlich be­ handelt, Zachariae in zwei Bänden, Göttingen 1836 und 1839, Luden in dem ersten Bande seiner „Abhandlungen aus dem gemeinen deutschen Strafrecht", Göttingen 1836. Daran reihen sich dann noch von Luden der zweite Band dieser Abhandlungen, erschienen Göttingen 1840, der vom Tatbestände des Verbrechens handelt, und der erste, allein gebliebene Band eines Handbuches des deutschen gemeinen

und partikulären Strafrechts, Jena 1847. Mit Recht wird von allen diesen Werken Ludens gesagt, daß sie klar sind in Gedanken und Sprache, voll treffenden, gesunden Urteils, mit philosophischen

392

Kenntnissen,

Sechzehntes Kapitel.

aber ohne die Neigung,

dem System zuliebe die Er­

scheinungen des Lebens zu vergewaltigen; und genau dasselbe, viel­ leicht abgesehen von den schulmäßigen philosophischen Kenntnissen, wäre wohl auch Zachariae nachzurühmen. Daß ferner beide Männer der geschichtlichen Entwicklung ihrer Stoffe regelmäßig in historischen

Voruntersuchungen und dabei der Savigny-Puchtaschen Quellentheorie Rechnung tragen, ist für ihre Zeit selbstverständlich geworden33), für

die Hauptsache aber, die dogmatische Behandlung des Stoffes selbst, ziemlich unfruchtbar geblieben. Wohl schon bedeutsamer, daß bei beiden (bei Luden in der ganzen Anlage, bei Zachariae in den ein­

zelnen Abschnitten) die Quellenschriften in chronologischer Reihenfolge getrennt bearbeitet werden mit besonderer Rücksicht auf die mittel­ alterliche Dogmengeschichte und mit der Einsicht, daß für die Aus­ legung der Carolina34) „alles darauf ankommt, die in der damaligen

Zeit in der Wissenschaft und Praxis herrschende Ansicht kennen zu lernen, da diese den unverkennbarsten Einfluß auf dieses Gesetzbuch

geübt haben." Aber über das Maß einer positivistischen Wissen­ schaftlichkeit, wie wir es etwa auch bei Linde oder Bayer finden, geht das denn doch nicht hinaus. In Ludens späterem Handbuch tritt außerdem eine freilich inzwischen auch fast selbstverständlich gewordene

Bemühung hinzu, die partikularistische Entwicklung zu berücksichtigen; aber überdies ein starker „Anhauch" Hegelschen Geistes33), der be aller Sorge, die Philosophie aus dem positiven Recht zu entfernen, doch immer wieder in der Weise sich geltend macht, daß das positive

Recht selbst als Nebenäußerung, als Niederschlag eines

dahinter­

stehenden, es bedingenden und in ihm wiederzufindenden allgemeinen und notwendigen Vernunftrechts aufgefaßt wird. Damit ist der Übergang zu der folgenden, rein Hegelschen

Epoche des Strafrechts vorbereitet. Vorher bleibt noch aus dieser Epoche zu erwähnen das „Lehrbuch des gemeinen deutschen Kriminal­ rechts, mit Rücksicht auf die nicht exklusiven Landesrechte", erschienen Halle 183336), durch das August Wilhelm Heffter seinen Übergang vollzieht von seiner früheren überwiegend historischen Forschungs- und Darstellungsweise zu einem praktisch gemeinrecht­

lichen Positivismus, der nicht ohne Hegelsche Anklänge die übrigens kurze und stoffliche Darstellung dieses Lehrbuches tatsächlich beherrscht, wennschon für grundsätzliche Fragen bisweilen noch die geschichtliche Methode vorgeschützt wird.

III. Der Positivismus. 4) Deutsches Staatsrecht.

393

4. Traurig steht es in diesen Jahrzehnten — bei der politischen Lage der Dinge nur zu begreiflich — um das positive deutsche Staats­ recht,

im Gegensatz zu

der Staats- und Rechtsgeschichte einerseits,

für die auf die Leistungen der historischen Schule zu verweisen ist, und zu dem allgemeinen Staatsrecht andererseits, das überhaupt nicht in unseren Nahmen fällt. Betrachtet man z. B. bei Robert Mohl in dessen Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften den ausführlichen, mit aller Gelehrsamkeit, Genauigkeit und Aner­ kennungsbereitschaft dieses Gelehrten gearbeiteten Abschnitt (2, 237 bis 394), der sich mit dieser Literatur beschäftigt in der ausgesprochenen Absicht, für deren Verdienste einzutreten, und entfernt man daraus (er erschien 1856) alle Werke, die später liegen als 1840, sowie ferner etwa noch die Werke der Männer, die (wie Klüber) noch aus besseren alten Zeiten in diese Epoche hineinragen, und endlich ebenso die Werke der Männer, die wie Hefster*), H. A. Zachariae und Zöpst ihre publizistische Tätigkeit eigentlich erst nach 1840 entfaltet haben, so daß sie vorher nur

mit einigen staatsrechtlichen Erstlingsschriften auftreten — was bleibt dann übrig? Nicht nur, daß die geschichtlichen Anregungen von Eichhorn oder von Albrecht unfruchtbar blieben, sondern selbst auch nur

von Wissenschaftlichkeit des Positivismus wird kaum die Rede sein können,

wenigstens nicht im strengeren Sinne, wie wir sie soeben im Zivilprozeß und Strafrecht feststellen konnten. Dafür ist viel zu wenig von Quellen­ mäßigkeit die Rede und viel zu viel von allgemein-staatsrechtlichen und naturrechtlich-politischen Anschauungen. Diese letzteren sind eben damals besonders wirksam und zwar am meisten auf die tüchtigeren der damals tätigen Publizisten, die sich dadurch geradezu nach ihrer politischen Par­ teistellung in eine liberale und in eine konservative Gruppe scheiden. Die in dieser Beziehung etwas farbloseren, wie den älteren Drescht)

(1786—1836) oder i)en jüngeren ßtnbelof3) (1794—1882, auch Reichs­ und Rechtshistoriker, später hessischer Minister und als solcher ver­ dient um die dortige Gesetzgebung) verlohnt es sich kaum anzuführen; bekanntere Namen sind von der liberalen Seite her einerseits Jordan und Pfizer, Weicker und Rotteck, von der konservativen Seite her andererseits R. Maurenbrecher. Neben diesem sei noch an Ludwig Wilhelm Anton Pernice3') erinnert, dessen Verdienste wissenschaftlicher

Art jedoch auf romanistischem Gebiete liegen. Sylvester Jordans, geboren am 30. September 1792 zu Omes bei Innsbruck, der berühmte Vorkämpfer und Märtyrer des repräsen-

394

Sechzehntes Kapitel.

tativen Konstitutionalismus, war nach mühsamstem Bildungserwerb

in verschiedenen Stellungen und Ländern umhergeschlagen, von Mittermaier, unter dem er 1815—1817 in Landshut studiert hatte, unter stützt, endlich im September 1820 zur Habilitation in Heidelberg gelangt und ein Jahr darauf als ordentlicher Professor des Staatsrechts an die Universität Marburg berufen worden. Der ruhigen Tätigkeit, die er in dieser Stellung zu entfalten vermochte, bis ihn Oktober 1830 seine Universität als Vertreter in den konstituierenden Landtag entsandte, verdanken seine rein wissenschaftlich staatsrechtlichen Werke ihre Ent­

stehung, auch soweit sie erst später gedruckt sind. Von dem Eintritte in jenen Landtag ab verschlingt das politische Leben, später die sechs­ jährige harte Untersuchungshaft und der Kampf um sein Recht, end­

lich die Beteiligung an den Vorgängen der 48 er Jahre Jordans Muße und wissenschaftliche Leistungskraft. Was seither von ihm

erscheint, ist wesentlich nur noch persönlich apologetischer oder pole­

mischer oder allgemein politischer Natur, mehr oder weniger bedeut­ sam für den Tag oder für die politische Geschichte, sür uns ohne Interesse,

obschon Jordan erst am 15. April 1861

zu Kassel ge­

storben ist.

Aber auch, soweit es sich bei ihm um juristisch-wissenschaftliche Arbeiten handelt, erscheinen dieses denn doch, genauer zugesehen, nur als Vorbereitung auf seine spätere Laufbahn, mögen sie in all­ gemeinen Bemerkungen die Savignyschen Lehren von der Rechts-

entstehnng und dem Volksgeiste zu liberaler Verwertbarkeit umge­ stalten b), oder Ideen über den Konstitutionalismus tut allgemeinen vortragen?), oder schließlich auch, wie das „Lehrbuch des allgemeinen und deutschen Staatsrechts", Kassel 18318), davon die Anwendung auf die positive Rechtslage machen. Wenn es auch unmöglich ist,

so lehrt Jordan, ein für alle Zeiten und Völker absolut wahres und einer weiteren Vervollkommnung nicht mehr bedürftiges allgemeines

Staatsrecht aufzustellen — wenn es auch keine absolut wahre oder ideale Staatsverfassung gibt — für das damalige Deutschland, nach seinen geschichtlichen Verhältnissen und nach Ansicht der „besseren Mehr­ heit" seiner Bürger müsse denn doch die repräsentative Erbmonarchie für die relativ beste Staatsform gelten. Das ist Jordans Über­

zeugung, die seine Werke gleichmäßig durchzieht, so daß sogar das positive Bundesstaatsrecht ihr untergeordnet wird. Bezeichnend dafür ist, daß die ohne eigene Sonderforschung, hauptsächlich nach Eichhorn,

III. Der Positivismus.

4) Deutsches Staatsrecht.

395

-eingefügten geschichtlichen Angaben dazu dienen sollens, „nicht nur die wirkenden Ursachen dieser Veränderung, die bildenden Elemente des deutschen Volkslebens kennen zu lernen und so eine klare Ein­

sicht in Grund und Zusammenhang des heutigen öffentlichen Rechts­

zustandes zu gewinnen, sondern auch in politischer Hinsicht den heu­ tigen Geist der deutschen Völker und dessen Strebungen richtig zu verstehen."

In der Ausführung wird das erreicht, indem das römische

Element des Staatsrechts als monarchistisch, das christlich-hieratische als aristokratisch, das germanische .als demokratisch hingestellt wird.

Immerhin tönt bei Jordan neben jenen politischen ein anderes tiefer gestimmte!» Leitmotiv mit, die auf Kant zurückgehcnde Vor­ stellung vom Rechtsstaate, dessen Grund und Pflicht es ist, das Rechtsgesetz zu verwirklichen und zur Herrschaft zu bringen. Dieses Prinzip, mag es auch seine politische Tragweite im Sinne des Par­ lamentarismus äußern, gestattet daneben doch strengere juristische Be­

handlung; und endlich ist daneben wenigstens ein eifriges Bemühen in Jordans damaligen Werken nicht zu verkennen, um das Vorhan­ dene von dem zu Erstrebenden positivistisch zu trennen. So soll

uamentlich dem Abschnitte des Lehrbuches, der dogmatisch von dem Bundesstaatsrechte handelt, eine höhere juristische Bedeutung keines­ wegs ganz abgesprochen werden. '

Schwieriger ist es, eine solche bei den meisten Gesinnungs- und Kampfgenossen von Jordan zu stnden. Ehrenhalber als ihr bedeu­ tendster Vertreter sei genannt der Württemberger Paul Achatius Pfizer") (1801—1867), der wohl der „Prophet des neuen Deutschen Reichs" geheißen wird wegen seiner Überzeugung von Preußens Beruf

als deutsche Vormacht. „Der Briefwechsel zweier Deutschen", das bekannte Werk, in dem er dieser Überzeugung Ausdruck gegeben hat,

ist freilich rein politischen Charakters. Juristisch-staatsrechtlich aber sind etwa einzelne Abschnitte seiner Schriften: „Über die staatsrecht­ lichen Verhältnisse Württembergs zum deutschen Bunde", Straßburg 1832; „Über die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Deutschland

durch die Verfassung des Bundes", Stuttgart 1835; und „Das Recht der Steuerverwilligung nach den Grundsätzen der Württembergischen Verfassung mit Rücksicht auf entgegenstehende Bestimmungen des deutschen Bundes", Stuttgart 1836 — alle drei bestimmt zum Kampf gegen die Bundesratsbeschlüffe vom 28. Juni 1832u), aber doch auch sonst inhaltsreich. Namentlich die Studie über die Entwicklung der

396

Sechzehntes Kapitel.

Bundesverfassung von 1835 stellt wohl zum erstenmal118) in deir

Dienst nationalpolitischer Einheitsideen den juristischen Begriff des Bundesstaates, im Gegensatze zu dem ungenügenden, bestehenden

Staatenbunde, mit Betonung des begriffsmäßigen Unterschieds, daß. der Bundesstaat in unmittelbare Herrschaftsbeziehung zu den Einzel­

bürgern trete. Aber auch die letzte der drei genannten Schriften geht in ihrer Tragweite über die Württembergischen Verhältnisse ent­ schieden hinaus und erörtert manche später viel umstrittene Fragen, auch in juristischer Beziehung; wird doch darin selbst schon, wenig­ stens der Sache nach, die Unterscheidung zwischen „Gesetz" im mate­ riellen und im formalen Sinne aufgestellt. Längst vorangegangen

war damit allerdings schon Friedr. Christ. Dahlmann, der große Historiker und Politiker (1785—1860), in einer Jugendschrift, be­ treffend die „Urkundliche Darstellung des dem Schleswig-Holsteini­ schen Landtage kraft der Landesgrundverfassung zustehenden anerkann­ ten Steuerbewilligungsrechtes", Kiel 1819. In späteren Jahren hat

dann Dahlmann seine Einsicht gerade dadurch bewiesen, daß er nicht,, wie so viele Zeitgenossen, von Rechtswissenschaft redet, wo er tat­ sächlich Politik behandelt. Aus seiner sonstigen schriftstellerischen Tätigkeit ließe sich allenfalls noch eine gelegentliche Herausgabe von Aktenstücken juristischen Charakters hier erwähnen1?). Keine stärkere Ausbeute für unsere Zwecke finden wir bei den beiden bekannten Vertretern des Badischen Liberalismus, Notteck und Weicker. Die von diesen beiden Männern gemeinsam betriebenen literarischen Unternehmungen, zuerst die heute vergessene Zeitschrift.

„Der Freisinnige", sodann das bekannte, von ihnen in Verbindung mit zahlreichen Mitarbeitern in 15 Bänden 1834—1844 heraus­ gegebene Staatslexikon, das in mehreren Auflagen1?) lange Zeit hin­ durch so verbreitet und beliebt gewesen ist, sie sind plangemäß und ausschließlich Verkörperung des politischen Liberalismus ihrer Epoche,

nicht wissenschaftlicher Natur. Das schließt natürlich nicht aus, daß. die Idee einer solchen enzyklopädischen Arbeit, bestimmt, das Wissen

vom Staat weitesten Kreisen zuzutragen, an sich eine höchst glückliche und löbliche war, noch auch, daß manche einzelne Artikel, nament­ lich anderer Mitarbeiter, wissenschaftlichen Wert haben mögen. Aber dem Werke als einem ganzen kann gerade dieser nicht nachgerühmt werden. Sein Einfluß beruht darauf, daß aus ihm, etwa ein Menschenalter hindurch, die Masse des dem Liberalismus zuneigenden

III. Der Positivismus. 4) Deutsches Staatsrccht.

397

gebildeten deutschen Mittelstandes ausschließlich Bekräftigung dieser ihrer politischen Vorstellung und Belehrung über staatswissenschaft­ liche Fragen gesucht und gefunden hat. Uns heute erscheint das un­

begreiflich, da in den bei weitem meisten Artikeln die Tendenz so pathetisch und doch gleichförmig hervortritt, daß wohl auch der Laie unserer Tage sich unbefriedigt abwenden wird. — Von jenen beiden Männern, deren politisches Wirken und Schaffen, persönliches Ringen

und Leiden uns hier nicht berühren darf, ist übrigens Rotteck lediglich als Historiker an die Staatswissenschaft herangetreten. Seine populär-rhetorische Geschichtsschreibung, die „den Kampf des Vernunft­ rechts gegen das historische Recht zu führen" angibt, bildet den dia­ metralen Gegensatz gegen das Programm der historischen Schule. Als Ius< gegeben hatte. Den Reigen eröffnen 1837 die Bruchstücke des Codex Gregorianus und Hermogenianus, dann folgt der Theodosianus 1837—1842 (mit

Anhängen 1844), die erste bedeutende Leistung auf diesem Gebiete

nach Gothofredus.

Daran schließt sich als selbständiges Unternehmen

1849 die wuchtige Ausgabe der Lex romana Visigothorum, her­ gestellt nach 76 Handschriften, unter Aufnahme von sieben abgekürzten Fassungen mit Vorwort, Noten, Anhängen usf., wie solche zu jedem tiefer Werke hinzukommen, die erste derartige Drucklegung seit der

von Sichard 1528 und heute noch die letzte. Es folgt das Corpus legum ab imperatoribus ante Justinianum latarum, quae extra •constitutionum Codices supersunt, Leipzig 1857; und endlich nach längerer Pause der Julian: Juliani epitome latina novellarum

Justiniani, Leipzig 1873, auf Grund von 20 Handschriften und älteren Ausgaben gearbeitet, die letzte Großtat dieses Riesenffeißes. Daß Hänel bei alledem immer wieder nach derselben philologischen Lanvsberg. Geschichte der deutschen RechtSwissenschast. II. Text.

31

482

Siebzehntes Kapitel.

Methode verfährt wie alle Älteren, nämlich

ohne Scheidung der

Spreu vom Weizen, ist selbstverständlich. Das benimmt aber weder dem, was vorliegt, sein bleibendes objektives Verdienst, noch nament­ lich diesem Lebenslaufe die beeindruckende Stetigkeit: Wie er es von Anfang an sich vorgenommen hatte, so hat tatsächlich Hänel seine ganze Kraft ausschließlich in den Dienst romanistischer Text- und Quellen­ ausgaben gestellt, um damit dem Neubau der historischen Schule die mühsamsten und bescheidensten Dienste, die Substruktionsarbeit, zu liefern. — Unter stärkerer Beschränkung auf das besonders reiche byzan­

tinische Qnellengebiet, in näherem Anschlüsse an den Vorgang von Biener haben die beiden gelehrten Brüder Heimbach ähnlich gewirkt; jedoch mit dem Unterschiede gegenüber Hänel, daß sie auch dogmatisch gearbeitet haben. Der ältere dieser beiden Brüder, Karl Wilhelm Ernst Heim­

bachs (1803—1865), ein Schüler von Haubold, Biener und auch von Gottfried Hermann, hat seinen Namen dauernd verbunden mit

den Basiliken, deren vollständige fünfbändige Ausgabe er 1843 bis 1851 besorgte, während dazu nach seinem Tode erst, 1870, ein An­

hangsband erschienen ist, enthaltend Vorwort und Promptuarium, durch das Haubolds bis dahin herrschendes Manuale verdrängt wurde.

Das weit zerstreute handschriftliche Material zu diesem großen

Unternehmen sammelte für ihn, während er selbst in Jena neben seinen akademischen und richterlichen Berufsgeschäften die Ausbeute sichtete und verarbeitete6), sein jüngerer, vielleicht noch gelehrterer, früh verstorbener Bruder Gustav Ernst Heimbachs (1810—1851) auf weiten Reisen (1830—1834) durch Frankreich und Italien, nach­

dem er sich schon 1830 durch seine Ausgabe eines »Liber de actioni bus« bekannt gemacht hatte.

Nun erschienen?) als selbstverwertete

Früchte seiner Forschungsreise 1838 und 1840 die beiden Bände seiner Anecdota, die aus dem Gebiete der byzantinischen Rechtsbücher aus­

schließlich neue Beiträge liefern; und weiter, 1844 und 1846 s., seine Abhandlung über das Authenticum und dessen maßgebende Aus­ gabe. Daran schloß sich freilich noch 1851 die Edition des Harmenopulos (eines byzantinischen Handbuches von 1345); da aber ein

fertiggestelltes Manuskript für die Ausgabe des griechischen Novellen­ textes unveröffentlicht wegfiel, so ist in diesem byzantinischen Kreise

das Authenticum des jüngeren Heimbach maßgebendes Werk ge­ blieben, wie die Basiliken das des älteren Heimbach und wie der

II. Sonstige Romanisten.

483

6) Die Byzantiner.

Julian das Hänels, während Bieners Novellengeschichte allen vor­

aufgeht. Daneben rühren von dem älteren Heimbach her eine Reihe dog­ matischer und kasuistischer Abhandlungen, Untersuchungen und Lehr­ bücher, auch aus dem gemeinen und sächsischen Privatrecht und Prozeß^),

e,ne

zusammenfassende

Darstellung9)

„Griechisch-

römisches Recht im Mittelalter und in der Neuzeit", von dem jüngeren Heimbach aber außer zahlreichen Abhandlungen 10) in Zeit­ schriften zwei wertvolle Monographien streng romanistischen Charakters, die „Lehre von der Frucht" 1843 und die „Lehre vom Creditum" 1849. Beide Brüder sind stark beteiligt an Weiskes Rechtslexikon; der ältere hat endlich auch gelegentlich sich zu politischen nnd gesetz­

gebenden Fragen geäußert11). In denselben Zusammenhang gehört ferner Karl Witte11'), früh berühmt als „Wunderkind" pädagogischer Züchtung, bereits 1814, am 10. April, also noch nicht voll 14jährig, Doktor der philosophi­ schen Fakultät Halle, dessen Verlangen, zu Anfang 1817 an der juristischen Fakultät Berlin zur Habilitation zugelassen zu werden,

damals zu lebhaften Auseinandersetzungen, fast zu einem Universitäts­ Skandal Anlaß gegeben hatte. Er hat dann gründliche Forschungen, namentlich über die leges restitutae des Kodex (1831) nnd ferner über die lex Romana Wisigothorum (1834) veröffentlicht, später auch über Preußisches Landrecht (s. unten Note 16 zu Kap. 18, II, 1) geschrieben, hauptsächlich aber die Novellae Constitutiones Impera-

torum Byzantinorum (1853) behandelt und den Ordo Iudiciarius des Ricardus Anglicus herausgegeben. Den von einzelnen Seiten auf ihn gesetzten hochgespannten Erwartungen dürfte freilich all das kaum voll entsprochen haben; mit vorgerücktem Lebensalter hat er sich ausschließlich

einem ganz

anderen Arbeitsgebiet,

nämlich

der

Dante-Forschung, zugewandt. Den Glanzpunkt dieses speziell byzantinischen Zweiges der Schule

bildet dagegen schließlich Karl Eduard Zachariae von Lingentfjat12) (1812—1894), bei* Sohn des berühmten Staatsrechtslehrers und Verfassers des französischen Zivilrechts Karl Salomo Zachariae, eine der festesten Stützen und stolzesten Zierden des deutschen inter­

nationalen Gelehrtenrufes, der Forscher, durch den eigentlich erst in das düster unwegsame Gestrüpp der byzantinischen äußeren und

inneren Rechtsentwicklung ein sicherer Pfad gehauen worden ist. 31»

Er

484

Siebzehntes Kapitel.

ragt ja in seinen, vielleicht wertvollsten und tiefsteingreifenden, aus­ führlichen Werken und mit entscheidenden Abhandlungen über diese Epoche hinaus und in die Gegenwart hinein, greift aber mit'seinen

Wurzeln noch zurück auf Savigny selbst und auf Biener, von denen er wesentlich angeregt und vorgebildet wurde, so daß wir ihn unserer Schilderung hier noch einreihen dürfen. Karl Eduard Zachariae hatte schon auf der Afra-Schule die Liebe zum Griechischen gewonnen, die er als Jünger der historischen

Schule sofort ganj13) auf die byzantinische Rechtsliteratur übertrug. Sein Vorsatz dabei ging jedoch über das Aufsuchen und Veröffent­

lichen von Handschriften, auch über unmittelbar anschließende Unter­ suchungen, betreffend Entstehungszeit oder Einzelheiten des Inhaltes, wie solche seine Vorgänger geliefert hatten, weit hinaus. Er erstreckte

sich vielmehr auch darauf, zu einer Herausarbeitung der römisch­ byzantinischen Rechtsgeschichte zu gelangen, auf Grund ausschließlich gesicherten Materials, unter Ablehnung aller hier so besonders unzu­ verlässigen Überlieferung; um endlich dann wieder von da aus für Kritik und Verständnis des justinianischen Rechts ganz neue Rück­

schlüsse zu gewinnen. Dabei nähert er sich weit mehr als jene seine Vorgänger sowohl in philologisch-kritischer, wie in historisch-kritischer Beziehung modernen Anschauungen und Methoden, vermeidet immer

mehr bloße Lesartenhäufung und wilde Konjekturen, kurz, meistert seinen Stoff in überlegener Weise, ohne je den strengwissenschaftlichen

Boden zu verlassen. Mit Vorliebe hat er auch wohl die Form der Besprechung gewählt (es gibt solcher aus seiner Feder einige sechzig), um von da aus eine Summe von Notizen, kritischen Scholien, Be­

merkungen aller Art zu veröffentlichen, die nicht selten an Wert dem erörterten Werke weit überlegen sind, oder zu ihm mindestens, wie z. B. seine große Besprechung des Heimbachschen Basilikenwerkes"), wesentliche Ergänzungen beisteuern.

Bei seinen Ausgaben handelt es

sich teils um bis dahin Ungedrucktes, teils um wesentliche Verbesserung bereits veröffentlichter byzantinischer Gesetzeswerke außerhalb des Corpus Iuris civilis, stets begleitet von eingehenden Vorreden und ergänzenden, selbständigen Untersuchungen. Darunter sind wohl die bedeutendsten") die des IlocxetQog v6uo§,

Heidelberg 1837; zwei Bände von Anekdota und ein Band Supple­ mente zu den Heimbachschen Basiliken, Leipzig 1842, 1843, 1846;

ein Sammelband,

besonders die Ecloga Leonis enthaltend,

von

II. Sonstige Romanisten.

6) Die Byzantiner.

485

1852; und vor allem die umfassende Sammlung des Ins Graeco-

Romanum in sieben Bänden (1856—1884), die sich auf alle byzan­ tinischen Rechtsquellen und Novellen von Justinus II. bis 1453 er­ streckt.

Daran schließt sich eine Summe von Abhandlungen in Zeit­

schriften und Akademieberichten16),

diese wieder hauptsächlich hinüber­

greifend auf das griechisch-byzantinische Kirchenrecht und auf dessen Sammlungen, als namentlich auf die sogenannten Nomokanones, be­

sonders den Pseudo-Photianischen und seine Quellen, ferner auf die Synopsis canonum u. dgl.

Eine dieser Arbeiten ist während eines

in höherem Alter nochmals vorgenommenen Studienbesuches zu Athen (1879)17) entstanden; . sie alle zusammen ermöglichen eigentlich erst

eine Orientierung auf diesem ganzen, so eigenartigen, dem Interesse

wie dem Verständnisse der meisten Juristen und Quellenforscher so ferne liegenden und doch so wichtigen Gebiete.

Aber schon an der Schwelle aller dieser wesentlich späteren Text­

forschungen und Textausgaben steht ein kühner Anlauf, ebenso ein­ dringlich wie übersichtlich, die erste wissenschaftlich ernst zu nehmende Darstellung

der

»Historiae

Iuris Graeco-Romani

des

Geschichte

ineditorum«, Heidelberg 1839.

byzantinischen

Rechts,

delineatio,

cum

Zachariaes appendice

Da hat derselbe Mann, der dann

die wissenschaftlichen Unterlagen dazu durch seine Lebensarbeit

erst

geliefert hat, in frischem Jugendmute über diese ganze Wissensprovinz auf Grund der einstweilen in seinen Schränken aufgehäuften hand­

schriftlichen Schätze und der in seinem Kopfe bereits aufgehäuften Einzelkenntnisse einen Überblick gegeben, der bleibend die Grundlage für jede hierher einschlägige Arbeit oder Kenntnis bleiben wird.

Das

weit ausführlichere Werk des Franzosen Mortreuil^) über denselben Gegenstand beruht unmittelbar darauf; in einer berühmten, fast buch­

artigen Besprechung darüber hat Zachariae das nicht sowohl aus­ drücklich nachgewiesen — solche Vindikation würde ihm ferne gelegen haben —, als vielmehr durch die Überlegenheit seiner Nachträge und Bemerkungen von selbst dem Leser vor Augen gerückt. — Und auf

der Höhe

seines Lebens

ist

er

dann

wieder darangegangen,

das

Material, das nunmehr im Drucke vorlag oder zum Drucke fertig

war,

zu

verwerten

zu einer umfassenden

„Inneren Geschichte des

griechisch-römischen Rechts", I. Personenrecht, II. Erbrecht, III. Sachen-

und Obligationenrecht,

drei Abteilungen,

1856—1864,

in weiteren

Auflagen auch sachlich fortgeführt, so daß namentlich die dritte und

486

Siebzehntes Kapitel.

letzte Ausgabe^) von 1892 auch Strafrecht und Prozeß umfaßt. In diesem Monumentalwerke, das ein gänzlich jungfräuliches Gebiet mit vollendeter Meisterschaft beherrscht und gestaltet, atmet der volle Geist der historischen Schule in ihrer besten Auffassung, der wahre Sinn

für Kontinuität und für Eigenart der Rechtsentwicklung, indem das byzantinische Recht als eine Umgestaltung des justinianischen unter der Wirkung der besonderen Volks-, Zeit- und Kulturverhältnisse auf­ gefaßt und so lebensvoll bis auf die neueste Zeit durchgeführt wird. „Gleichzeitig 2°) beleuchtet das Werk auch einige bisher dunkel gebliebene Partien der wirtschaftlichen und agrarischen Verhältnisse des byzan­ tinischen Reiches in durchaus neuer und eigenartiger Weise." Dabei fehlt

auch nicht mancher kräftige Lichtstrahl, der von dieser neuen Lichtquelle aus Oückwärts auf die justinianische Gesetzgebung ihrerseits geworfen wird. Damit berühren wir die letzte bezeichnende Seite der Tätigkeit von Zachariae. Streng im Sinne der historischen Schule ist es ihm nicht um Erforschung stemder, für uns fernabliegender Rechtsvor­

gänge aus lediglich geschichtlichem Wissenstrieb hervor zu tun, sondern um die Beleuchtung, die dadurch der Grundlage unseres Rechts, den justinianischen Rechtsbüchern, zuteil werden soll. Unmittelbar auf diese Rechtsbücher beziehen sich seine Bemühungen für die Novellen, die er mit reichen Noten in chronologischer Reihenfolge 1881 heraus­

gegeben hat, eine Ausgabe^), die sich als treffliche Vorarbeit für die endgültige, von Schoell hergestellte Rezension erweisen sollte. Speziell für Ursprung und Namensberechtigung des Authenticum ist entscheidend

geworden 22) Zachariaes Abhandlung darüber in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie von 1882, 2, 995 f. Namentlich aber gehören hierher die zahlreichen Abhandlungen 22), in denen Zachariae haupt­ sächlich aus den Bruchstücken der justinianischen Juristen und aus

anderen byzantinischen Stücken, die ihm so massenhaft durch die Hände

gegangen sind, Anhaltspunkte zur Kritik und zum Verständnis von Pandektenstellen herleitet, oder auch Auslegungen aus diesen Schriften,

Fälle griechischer Bearbeitung des justinianischen Kodex oder Spuren

von Meinungsverschiedenheiten der justinianischen Juristen mitteilt. Das Großartigste, was Zachariae auf diesem Gebiete schließlich hat unter­ nehmen können, die Rekonstruktion der verschiedenen Kommentare byzantinischer Juristen zu den Digesten, soll in neun Handschriften­

bänden abgeschlossen vorliegen, ist aber bisher noch nicht zur Ver­ öffentlichung gelangt.

II. Sonstige Romanisten.

7) Röm. Staats- u. Strafrecht.

487

7. Bei so gesteigertem geschichtlichem Interesse konnte es natürlich auch nicht ausbleiben, daß ein rein antiquarisches Interesse auf solche Gebiete Übergriff, deren Nutzbarkeit für das geltende Recht weniger

nahe lag. Namentlich das römische Strafrecht einerseits, das ältere, rein griechische Recht andererseits sind solche Gegenstände, durch deren Behandlung zunächst Eduard Platner*) (1786—1860) sich Ver­

dienste erworben hat. Als seine Werke sind hauptsächlich anzuführen: „Beiträge zur Kenntnis des attischen Rechts", 1820; „Der Prozeß und die Klage bei den Attikern", 2 Bände, 1824 und 1825; „Zur Kenntnis des attischen Rechts", 1828; »Quaestiones historicae de

criminum iure apud Romanos«, 1836; und eben darüber, mit ähnlichem Titel, wieder 1842. Sie alle zeichnen sich durch wahr­

haftes Verständnis für antikes Leben und durch gründliche Methode

aus, sind auch viel anerkannt und benutzt, jedoch wohl weniger ge­ lesen worden. Mit ihnen gleichzeitig ist die bekannte gemeinsame Arbeit der beiden Philologen Moritz H. E. Dreier und Georg Friedrich Schömann „Der attische Prozeß" Halle 1824 erschienen. Sie wird noch heute als Grundlage neuer Auflagen benutzt, während Heffters frühere Arbeit über denselben Stoff veraltet ist. An die romanistisch-kriminalistischen unter diesen Forschungen schließt sich dann unmittelbar die „Geschichte des römischen Kriminal­ prozesses bis zum Tode Justinians", 1842, von Karl Gustav ®eit>2).

Sie ist für ihre Zeit bahnbrechend, versetzt einen bis dahin vernach­ lässigten Zweig der Rechtsgeschichte in einem Anlaufe auf die Höhe der sonstigen damaligen rechtsgeschichtlichen Behandlung und weiß sich zu dem Behufe in gewandter Form auch über mancherlei unvermeid­ lich bleibende Lücken hinwegzuhelfen. Sie beruht zudem durchweg auf eigener selbständiger Forschung und hat den besonderen Vorzug, mehr als der dunkel-uralten Zeit sich der späteren Kaiserzeit gewidmet

zu haben. Daß sie freilich bei alledem den einzig hohen, nur durch seine eigene gewaltige Leistungskraft rechtfertigbaren Ansprüchen eines Mommsen nicht entfernt genügt, ist fast selbstverständlich; daß das Mommsen in einer umfassenden und tiefbohrenden Rezension3) bei aller Anerkennung der guten Seiten denn doch überwiegend zum Aus­ druck gebracht hat, hat sich für Geib unglücklich getroffen. Das darf

uns jedoch nicht abhalten, gegenüber jenem Großen auch dem bloß Tüchtigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Besteht doch Mommsens Hauptvorwurf darin, daß Geib an die umfassende Darstellung heran-

Siebzehntes Kapitel.

488

gegangen sei, bevor durch genügende Einzelforschung der Weg hin­ reichend geklärt war, während Einverständnis darüber herrscht,

daß

vor Geib alles im Dunkeln lag.

den

man

gegen

so viele,

um nicht zu sagen gegen die meisten bahn­

Freilich, wenn diese echte Meister­

brechenden Werke erhoben hat.

werke

waren,

so

Das ist aber ein Vorwurf,

ersetzten

die genaue Methode durch geniales

sie

Ahnungsvermögen, das wir gewiß für Geib nicht in Anspruch nehmen aber soweit es wieder seinerseits durch Eifer, Verständnis

wollen;

und Geschick zu ersetzen war,

hat doch wohl Geib,

selbst hervorhebt, das Mögliche geleistet.

wie Mommsen

Und wenn denn nun das

Werk zugleich Mommsen den Anlaß geboten hat, seine überlegenen

Gesichtspunkte schon bei Gelegenheit jener Besprechung, lange ehe er an

die Ausführung

eines eigenen römischen Strafrechts herantrat,

wenigstens vorläufig anzudeuten,

so kann das als unverhoffter Ge­

winn hier mit vorgemerkt werden. Obschon dem Fache nach Kriminalist, ist Geib auch sonst vor­ wiegend Historiker gewesen und geblieben, in der Hauptsache auf dem

Standpunkte der historischen Schule, jedoch in freier Auffassung undnamentlich mit einem tiefen Verständnis für die wahrhaft geschicht­

liche,

nationale und fortschrittliche Aufgabe der Gesetzgebung

gestattet.

Darüber hat Geib in einer besonderen Abhandlung,

„Die Reform des deutschen Rechtslebens"

nach

den Stürmen

aus­ die

des

Jahres 1848 erörtert4), sehr bezeichnende und wohl abgewogene Äußerungen getan, die sich über die verschiedensten Nechtsgebieie ver­ Auch in seinem „Lehrbuch des deutschen Strastechts" ist der

breiten.

erste Band, der die Geschichte behandelt, von 1861, der weitaus be­ deutendste und dauernd wertvoll durch die reiche Fülle geschichtlicher

und literärhistorischer Angaben, die stets auf zuverlässiger Forschung, beruhen.

Der zweite Band von 1862 entwickelt dogmatisch die all­

gemeinen Lehren, der dritte Band, der den besonderen Teil geben sollte,

ist nicht mehr erschienen.

Er mag zum Teil ersetzt werden

durch eine Reihe sehr tüchtiger Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften^

besonders in den Jahrgängen 1836—1847 des „Kriminalistischen Archivs", die strastechtliche Einzelheiten erörtern; aber wegen des Über­ gewichts seiner römisch-rechtlichen Leistung war Geib hier einzustellen.

An diese philologisch-historischen Arbeitsstoffe schließt

weiterhin,

an die Geschichte der römischen Staatsverfassung, die namentlich von. I. Rubino nach gründlicher philologischer, aber zugleich auch juristischer

Methode hauptsächlich in seinen „Untersuchungen über römische Ver­ fassung und Geschichte", Kassel 1839, behandelt tourbe5). Indem Rubino streng konservativen Sinnes an der antiken Tradition festhült, spielt diese Schrift als wesentliche Zwischenstufe zwischen Niebuhrs genialer Intuition und Mommsens genialem Fleiß eine nicht un­ wichtige Rolle. — Auf demselben Gebiete liegen aber wohl auch die Hauptverdienste eines gerade umgekehrt gearteten Juristen, dessen Methode unbedenklich als bedauerlich unzuverlässig bezeichnet werden muß, während ihn Tiefsinn und Divinationsgabe denn doch immer wieder neben allen Sonderlichkeiten und Verkehrtheiten beachtenswert machen, Philipp Eduard Huschke^ (1801—1886). Huschke betätigte sich zunächst durch einige Schriften?) philo­ logisch-antiquarischen Interesses, das selbst noch in seinen „Studien des römischen Rechts", Breslau 1832, überwiegt. Stärker erscheint die Verbindung mit dem Zivilrecht in zwei Untersuchungen über die lex Rubria (1832, Nachträge 1853) und über die Rechtsregel von der Unvereinbarkeit testamentarischer und gesetzlicher Erbfolge^) (1834); wohl auch in der bezeichnenden Abhandlung über das tignum junctum in den zwölf Tafeln, Breslau 1837. Von wirklicher Bedeutung ist doch wohl erst seine Schrift „Die Verfassung des Königs Servius Tullius als Grundlage zu einer römischen Verfassimgsgeschichte ent­ wickelt", Heidelberg 1838. Sie hat jedenfalls in einer Reihe einzelner Punkte förderlich gewirkt hat und ist auch insoferne ehrenvoll zu nennen, als sie den Mut besessen hat, sich der nun ihrerseits wieder zur Schablone gewordenen Niebuhrschen Auffassung zu entledigen und dadurch das Recht freier Forschung zu wahren, mag sie auch sonst von diesem einen nur allzu reichlichen und ungebundenen Gebrauch machen. Erst recht gilt dies bezüglich Hnschkes Quellenkritik, aber doch auch wieder unter der Maßgabe, daß daneben mannigfache Verdienste hergehen. Seine „Kritischen Bemerkungen zum vierten Buche der In­ stitutionen des Gajns" von 1846, sowie sein „Gajus, Beiträge zur Kritik und zum Verständnis seiner Institutionen" von 1855, und endlich seine „Kritischen Bemerkungen zu Gajus" von 1868 enthalten unendlich viel haltlos Ratendes, überkühn Gewagtes, aber doch auch mancherlei Treffendes (z. B. die Lösung der Sigle N. R. = Nisi Restituat). Das­ selbe muß von sonstigen textkritischen Studien und Einzelbemühungen gelten. Überwiegend ist denn aber doch wohl wieder das Verdienste

490

Siebzehntes Kapitel.

namentlich um die romanistische Bildung der jungen Juristen, bei Huschkes so erfolgreichem Unternehmen, der Iurisprudentia anteiustiniana9), die, zuerst 1861 erschienen, von ihm noch ganz druck­ fertig zur fünften Auflage von 1886 fertiggestellt werden konnte. Wer von uns Heutigen erinnert sich nicht, wie ihm dieses Werk zusammen mit „Bruns, Fontes" in der allerersten Vorlesung über römisches Recht empfohlen wurde, wer sich nicht, es in den Händen aller ihr Studium etwas ernster nehmenden Kommilitonen gesehen zu haben? Freilich, die heutigen Rechtsbeflissenen haben all das weit besser, ihnen stehen die unvergleichlich solider und kritischer gearbeiteten Fortführungen derselben Werke von Mommsen, Studemund, Krüger zur Verfügung;

aber ob sie sich ihrer noch gleich eifrig bedienen? Die größere Wirk­ samkeit haben, so will mir fast scheinen, Huschke und Bruns gehabt. Huschkes selbständige Untersuchungen kehrten immer wieder mit Vorliebe zu den römischen Rechtsaltertümern zurück, sowohl in dem bekannten Buch „Über das Recht des Nexum und das alte römische

Schuldrecht", Leipzig 1846, wie in der weniger bekannten Schrift über Zensus und Steuerverfassung der römischen Kaiserzeit, 1847, wie schließlich auch in dem späteren umfassenden Werke „Die Mulla

und das Sacramentum in ihren verschiedenen Anwendungen", Leipzig

Dagegen schürst „Die Lehre des römischen Rechts vom Dar­ lehen und den dazu gehörigen Materien", Stuttgart 1882, mehr aus dem Huschke sonst entlegenen, rein dogmatischen Boden. Eine Ver­ 1874.

mittlung gewissermaßen zwischen diesen beiden Behandlungsarten wird

hergestellt durch die zahlreichen „Kritischen Versuche über Pandekten­ stellen und Pandektenmaterien", die in zwei Serien10) 1846 f. und 1879 f. veröffentlicht wurden. Dazwischen liegen zahllose antiquarische und kritische, rechtsgeschichtliche und dogmatische kleinere Schriften und Abhandlungen"). Namentlich aber hatte sich Huschke seit 1855 auf

ein besonders gefährliches Gebiet begeben, dem er wohl in keiner Weise gewachsen war, indem er begann, sich mit den spärlichen Über­ resten frühitalienischer Dialekte zu beschäftigen. Dahin gehören „Die Oskischen und Sabellischen Sprachdenkmäler", Elberfeld 1855; „Die Jguvischen Tafeln nebst den kleineren Umbrischen Inschriften", Leipzig

1860; „Zu den altitalischen Dialekten", Leipzig 1873, und „Die neue Oskische Bleitafel und die Pelignische Inschrift aus Corfinium",

Leipzig 1880. Man wird kaum annehmen dürfen, daß bei diesem Ausfluge in eine fremde Provinz unser Jurist seiner Wissenschaft-

7) Röm. Staats- u. Strafrecht.

II. Sonstige Romanisten.

491

sichen Schulung besondere Ehre gemacht hat, so kennzeichnend diese Be­ mühung für seine regsame Vielseitigkeit sein mag. In allen Schriften Huschkes nun aber herrscht eine merkwürdige

Phantastik,

die,

anfänglich unmethodisch,

dann ihren festen Angel­

punkt gefunden hat, seitdem er in Breslau durch Vermittlung des als Schellingianer und Romantiker bekannten Naturforschers und Philo­ sophen Heinrich Steffens12) ganz für die Mystik der späteren Schelling-

schen Philosophie gewonnen wurde.

Die Konstruktion der geschicht­

lichen Vorgänge und der dogmatischen Verhältnisse „von innen her­ aus"

scheut seitdem bei Huschke nicht mehr vor den gewagtesten und

bisweilen selbst barocksten Mitteln zurück und steigert sich gelegentlich

sogar zu ungeheuerlichen Erfindungen.

Am schärfsten tritt der Zu­

sammenhang dieser Geistesrichtung mit Steffens und Schelling bei

den ersten derartigen Schriften hervor, der erbrechtlichen Untersuchung von 1834 und dem Buche über die Verfassung des Servius Tullius.

Es handelt sich Huschke darum,

nicht nur in diesen Dingen selbst,

sondern auch zwischen ihnen und den „tieferen Beziehungen des Menschen­

lebens und des ganzen Daseins überhaupt" einen rationalen Zusammen­

hang zu finden nnd zu entwickeln. So soll die Servianische Verfassung dargetan werden als ein „Naturgebilde",

„welches ebenso aus den

Händen des allweisen Schöpfers hervorgegangen ist wie irgendeine

Pflanze, die in einem gewissen Stadium ihrer Entwicklung sich eben­

falls in gewissen numerischen Verhältnissen ausbildet".

Fast erstaun­

licher ist es, daß trotz solcher Prämissen und der durch sie gebundenen

Marschroute doch immer noch Huschkes romanistischer und geschicht­ licher Sinn vieles richtig und brauchbar trifft, als das; daneben aller­

lei Sonderlichkeiten herlaufen. blieben,

So ist es denn aber auch später ge­

auch als für Huschke die speziell mystisch-theosophische Art

wieder etwas zurücktritt.

Das Wesentliche in ihr kam der Eigenart

des hochbegabten, aber verschlossen schwersinnig-eigenartigen Mannes zu sehr entgegen, als daß er je ganz darüber hinweggekonnt hätte.

Hat er doch sogar textkritisch, wo er selbst seiner esoterischen Methode

theoretisch Geltung zu vindizieren kaum imstande gewesen wäre, doch

tatsächlich sich fortwährend zu kühnen Konjekturen und frei erdachten

Lückenausfüllungen hinreißen lassen.

Wenn uns Heutigen dergleichen unverantwortlich und unerhört -erscheint, so ist immerhin zu bedenken, daß es sich um eine Geistes­

richtung handelt, die nach dem Vorgänge Schellings in der Natur-

Siebzehntes Kapitel.

492

Wissenschaft der 30 er und selbst noch der 40ger Jahre durch Steffens»

Oken u. a. m. stark vertreten und als berechtigt angesehen war.

Im.

Stil unterscheiden sich die Konstruktionen dieser Schule von denen der Hegelianer durch die viel freiere, fast poetische Erfindungsfreude, die nicht ein fertiges Schema den Dingen aufpreßt, sondern durch mystische Vertiefung in die Dinge ihnen das Geheimnis ihres

Zusammenhanges mit Mikro- und Makrokosmus abzugewinnen bemüht ist. Während aber jbte Hegelsche Geschichtsauffassung alsbald recht

tief in die Jurisprudenz eindringen sollte, ist der Fall Huschkes, soweit ich sehen kann, in unserer Wissenschaft ganz vereinzelt. Er gewinnt dadurch für unsere Geschichte ein besonderes Interesse: Findet sich bei Savigny eine starke Benutzung der früheren Ideen von Schelling, bei: Puchta einige Anlehnung an Schellings spätere Zeit, so zeigt Huschte, wohin die rückhaltloser ausgeprägte Verwertung der letzten, theosophisch-

mysüschen Schellingschen (Anregung

einen allerdings ohnehin stark

phantastischen Kopf bringen konnte. Darum mußte denn auch Huschte, obschon er zu Lebzeiten wegen seiner Sonderart, seiner Selbständigkeit und Selbstwilligkeit nie ganz zur historischen Schule gerechnet wurde, ihr hier doch zugesellt werden, genau so wie im vorigen Kapitel der ihr ähnlich gegenüberstehende Dirksen.

Sehen wir in Dirksen den

äußersten Vorposten des philologischen Flügels der historisch-roman­ tischen Schule, so in Huschte den fast schon preisgegebenen Vorposten

des philosophischen Flügels. Durch diese beiden äußersten Grenz­ punkte wird zugleich die Stellung der dazwischenstehenden Hauptmacht gekennzeichnet. 8. Schließlich seien aus dieser Zeit noch eine Anzahl von Dog­

matikern genannt, die zu der historischen Schule gehören. Hier ist zunächst an Ribbentrops (1798—1874) zu erinnern, den Mann eines Buches, das 1831 erschienen ist unter dem Titel

„Zur Lehre von

den Correal-Obligationen".

Es ist aus Kellers

Ideen und Anregungen hervorgegangen, hat aber selbständigere Be­ deutung gewonnen und viel von sich reden gemacht. Die scharfe Scheidung von Solidarität und Korrealität, für die es eine Formel von scheinbarer Klarheit und dialektischer Dehnbarkeit aufstellt, mit ihrer lediglich theoretischen, praktisch versagenden Bedeutung ist für die

Puchtasche Periode der historischen Schule kennzeichnend.

Etwas freier bewegt sich W. F. G. gründe2) (1803—1873), dessen

dogmatische und exegetische Untersuchungen hauptsächlich dem

II. Sonstige Romanisten.

8) Die Dogmatiker mit Arndts.

493

Erbrecht zugewendet waren und dieses auf einen entsprechenden StandPunkt zu fördern wesentlich beigetragen haben. In eine schon etwas spätere Zeit fallen die Monographien^) von Friedrich MommsenZ, dem tüchtigen Bruder des großen Theodor,

über Leistungsunmöglichkeit, Interesse und Verzug, die Braunschweig

1853—1855 unter dem gemeinsamen Titel „Beiträge zum Obligationen­ recht" in drei Bänden erschienen sind. Daran reihen sich zwei Bände „Erörterungen aus dem Obligationenrecht", deren erster von 1859, deren zweiter aber noch von 1879 herrührt. Wie man sich inzwischen der Praxis und der Kodifikation wieder mehr zugewandt hatte, zeigt

Mommsens „Entwurf eines deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht nebst Motiven", Braunschweig 1876. Alle seine Arbeiten sind aus­ gezeichnet mehr durch Gründlichkeit als durch Großzügigkeit, durch

eine gewisse schwerfällige Gediegenheit, die überhaupt wohl der Roma­ nistik der Jahrhundertmitte eignet, soweit diese nicht zur jüngeren

Schule übergeht. Man nimmt wahr, wie die Technik der Quellen­ beherrschung weit gefördert,- die Empfindung für auch geringere Unter­

schiede und Begriffsschwankungen fein gesteigert, zugleich denn doch -aber der lebhaftere, fieiere Aufschwung durch gleichmäßiges Beharren auf der erreichten Höhe ersetzt ist. Damit war die Zeit gekommen, wie der krisenhaften oder revo­ lutionären Erneuerungsbestrebungen einerseits, über die unten (beson­ ders Kap. 19) berichtet werden soll, so der zusammenschließenden, auf lange hinaus herrschenden Lehrbücher andererseits. Außer denjenigen Puchtas verdienen da besonders genannt zu werden: als Institutionen­ lehrbücher das von Marezoll( 1794—1873), das, zuerst 1839 erschienen, 1881 in elfter Auflage von Schirmer besorgt wurde; und das von Scheurl, das 1850 ans Licht trat und 1883 seine achte Auflage fand;

als Pandektenlehrbuch das von Arndts, das, München 1852 veröffent­ licht, seine vierzehnte Auflage (bearbeitet von Pfaff und Hofmann)

1889 erlebt hat.

Während aber die literärgeschichtliche Bedeutung

des wackeren Marezoll^) durch jenes Werk im wesentlichen erschöpft sein dürfte, geht die von Scheurl und Arndts beträchtlich darüber hinaus. Auf Scheurl, der wissenschaftlich schon zu dem Kreise um Jhering Hehört, wird dort zurückzukonnnen sein; Arndts ist noch ausschließlich der Mann der historischen Schule und deshalb hier zu würdigen.

Karl Ludwig-Arndts^), 1803—1878, schließt sich in dem genanntenPandektenlehrbuche so enge an das von Puchta an, daß man es

494

Siebzehntes Kapitel.

deshalb wohl, und nicht ganz mit Unrecht, als einen abgeblaßten Puchta

bezeichnet hat.

Doch besteht nicht sowohl darin sein Verdienst, als

vielmehr in der sauberen Durchführung, in dem wohl abgewogenen

Verhältnisse zwischen Text und Noten

und

in

dem Reichtum des

Inhalts, verbunden mit der immerhin selbst in den späteren Auflagen

gewahrten Kürze.

hat

Es

die Wissenschaft

kaum

wohl

in

ihren

Grundzügen, aber in zahlreichen Einzelheiten gefördert.

denn auch

Das wird man

wohl als

das Wesentliche für die

vielen und umfassenden sonstigen Arbeiten von Arndts angeben können.

Freilich weniger für seine Ausgabe von Paulus' Receptae Sententiae

im Bonner Corpus iuris 1833, oder für sonstige gelegentliche rechts­ geschichtliche Exkurse, als vielmehr für die Summe seiner dogmatischen

Erstere — auch Arndts' erstes größeres Werk,

Aufsätze und Bücher. seine

„Beiträge zu

verschiedenen

Lehren

des Zivilrechts und Zivil­

prozesses" 1837, ist weiter nichts als eine Sammlung derartiger Ab­

handlungen — sind u. a. erschienen in der Gießener Zeitschrift, in der Österreichischen Gerichtszeitung, in der Österreichischen Vierteljahrs­ schrift, in Weiskes Rechtslexikon und namentlich in Arndts' eigener

Gründung, der Münchener Kritischen Vierteljahrsschrift. sich

über

alle Teile

des gemeinen

Sie erstrecken

Privatrechts, mit Vorliebe aber

behandeln sie dessen erbrechtliche Partien. Sie dehnen sich gelegentlich

auch

aus

neuere privatrechtliche Gesetzgebung,

über

z. B. auf die

preußische, österreichische, bayerische, hessische und selbst auf die päpst­ lich-römisches.

Daß Arndts sich so lange, abgesehen von seinen Lehr­

büchern b), auf derartige Einzelausführungcn^) beschränkt hat,

wieder mit den

schon

gekennzeichneten Umständen

sprechend

dem Stand

empfindet

er kein Bedürfnis,

der Dinge in sich

der

alten

zusammen. historischen

mit Prinzipienftagen

hängt

Ent­ Schule

abzugeben.

Vielmehr liegt seine Stärke in der selbständigen und sorgfältigen Prü­ fung jeder Einzelheit im Gebäude des gemeinen Privatrechts,

das er

in allen Gängen und Winkeln kennt und durchforscht, während er den

Grundriß

als gegeben

hinnimmt.

Daher

denn auch

bei ihm eine

gewisse Neigung, im Zweifel eher der herrschenden Meinung sich an­ zuschließen, während er allem geistreichen Wesen so fremd wie abhold

ist, grundumwälzenden Neuerungen unzugänglich.

Er ist so recht der

würdige, sorgfältige Gelehrte, der Fortsetzer einer Richtung, die er bereits als herrschende und festgeprägte vorfand und der er sich lediglich anzuschließen braucht.

Er hat sie namentlich auch in München durch

III. Der germanistische Ansturm.

1) Bernhard u. Fallt.

495

die dort von ihm in Verbindung mit Blnntschli und Pözl begründete „Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" vertreten,

jenes kritische Organ,

das bestimmt war,

„Heidelberger Kritische Zeitschrift"

nachdem es die

in sich ausgenommen

hatte,

als

„Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" dauernd die leitende Stellung zu behaupten. Arndts hat aber endlich auch die Herrschaft seiner Schule wesentlich nach Österreich hin durch

seine Wiener Tätigkeit übertragen und ausgebreitet, eine Wirksamkeit,

an die wir in einem der folgenden Kapitel wieder anzuknüpfen haben

werden. Rur in

einem Punkte

ist selbst Arndts — genau so wie es

oben schon bei Geib oder Fr. Mommsen zu erwähnen war — mit seiner

Zeit über den orthodoxen Standpunkt der historischen Schule hinaus­ gegangen, in seiner eifrigen Berücksichtigung der territorialen Gesetz­

gebungen und in seinem Sinne für Gesetzgebung überhaupt.

Er ist

ein entschiedener Freund der Kodisikation und hat das denn auch in

einer prinzipiellen Auseinandersetzung gegen die hergebrachte Savignysche

Sonst ist er auch in höherem Alter stets derselbe

Lehre vertreten10).

geblieben: immer gleich scharfsinnig, gelehrt und gründlich, aber in die Einzelheiten der Quellen vertieft; nur bemüht, aus ihnen im strengen

Stile der historischen Schule die einzelnen Rechtssätze zu entwickeln,

ohne starkes Aufgebot konstruktiven Zusammenschlusses.

In der Art

verfuhr er denn auch, als er schließlich für seine Monographien zur Buchform Glücks

überzugehen

Kommentar,

veranlaßt wurde

die

er 1866

die

durch

übernahm.

Fortsetzung zu

In je

zwei Heften

erschienen 1871—1873 Band 46 und 47 dieses Werkes aus Arndts'

Feder; dazu kam ebenso Band 48, dessen erstes Heft noch 1875 von

Arndts selbst herausgegeben wurde, während das zweite so, bei seinem Tode sich druckfertig vorfand,

konnte.

Der Stoff,

ein erbrechtlicher:

den

diese

„Die, Lehre

wie es

1878 veröffentlicht werden

drei Bände behandeln, von dem Vermächtnis".

ist wiederum Mit Recht

ist vielfach hervorgehoben worden, wie sich in ihnen auch nicht das geringste Nachlassen der Kräfte ihres Verfassers einschließlich

einer Auseinandersetzung

mit

zeigt,

sondern bis

Köppen im

letzten Hefte

seine volle Meisterschaft. III. Wir haben im vorigen Kapitel betont, wie romanistischer

und germanistischer Zweig der historischen Schule sich zunächst in voller Eintracht und

in

gegenseitiger Anerkennung

entwickelt haben,

nicht

496

Siebzehntes Kapitel.

ohne daß der Romanismus ein gewisses Übergewicht beansprucht hätte,

das ihm von den Germanisten bereitwillig zugestanden wurde. konnte ja nun unmöglich

auf die Dauer so

bleibens.

Das

Es lag im

Wesen der national-romantisch-historischen Richtung, in der folge­ richtigen Tragweite der Betonung von Volksgeist und Volksüber­ zeugung, daß man sich nicht endgültig beruhigen konnte bei der durch Savigny gegebenen Erklärung für die Rezeption der fremden Rechte und für den Vorrang der dorther entnommenen Rechtsbegriffe. Daß

den Rechtsgelehrten die juristische Vertretungsbefugnis des Volkes zu­ gefallen sei, mochte einleuchten; aber hatten sie von dieser Befugnis den richtigen, volkstümlichen, austragsgemäßen Gebrauch gemacht, als sie, statt das einheimische Recht fortzubilden, es zugunsten fremder Rechte Preisgaben? Hatten sie nicht eben dadurch die Trennung zwischen Praxis und Theorie, zwischen Rechtsgefühl und Rechtssatzung

verursacht, über die man allgemeinhin zu klagen Anlaß hatte? Und wenn dem so war: war es nicht noch Zeit, das römische Recht, wenn­ schon nicht ganz zu verwerfen, so wenigstens grundsätzlich und mög­ lichst vielfach zurückzudrängen, überall nach lebenskräftigen, einheimi­

schen Rechtswurzeln zu graben und aus diesen ein wirklich nationales, mit dem Volksbewußtsein übereinstimmendes, einheimisch-deutsches Recht auszuziehen? War das nicht eben die Aufgabe einer selbstbewußten,

wahrhaft geschichtlichen Rechtswissenschaft? Sobald aber erst einmal diese Fragen auftraten, müßte der dadurch geforderten Richtung die Unterlassungssünde der bisherigen romanistischen Arbeitsleistung beson­

ders zustatten kommen: hatte diese sich auf das reine römische Recht

beschränkt, die Zwittergebilde des gemeinen Rechts, des usus moder­ nus, zu bewältigen versäumt, so konnten nun eben diese als Erzeugnis germanistischen Rechtsgeistes, ihre Bearbeitung konnte als Sache der

germanistischen Wissenschaft in Anspruch genommen werden. Dadurch

erst wuchs das Gebiet dieser Wissenschaft zu genügender Ausdehnung, um ihr eine gleich oder sogar höher berechtigte Stellung neben der Romanistik zu ermöglichen. Statt einiger Enklaven konnte dadurch

das deutsche Privatrecht sich nun eines großen geschlossenen Terri­ toriums rühmen, geeignet, ein ganzes Rechtssystem darauf zu errichten und von da aus das römische Recht endlich wirklich auf einen subsidiarffchen Geltungsbereich zurückzudrängen. So wird der alte dog­ matische Kampf gegen die Rezeption in complexu, gegen die fundata intentio desjenigen, der sich auf römisches Recht beruft, jetzt wieder

III. Der germanistische Ansturm.

1) Bernhard u. Falck.

497

ausgenommen mit neuer historisch-nationaler Begründung. Und schließ­ lich sind es die politisch-nationalen und liberalen Einheitsbestrebungen, die, vom rein politischen Gebiete noch zurückgedrängt, hier eine Be­

tätigungsmöglichkeit suchen und finden.

Durch diesen letzteren Zu­

sammenhang wird dem germanistischen Ansturm gegen die Vorherr­

schaft des römischen Rechts eine außergewöhnliche Spann- und Schwung­ kraft verliehen, so daß er in den Jahren 1846 und 1847 seinen Höhe­

punkt erreicht.

Der politische Ausbruch des Jahres 1848 wirkt da­

gegen für unser Gebiet als Ablenkung des sachlichen Interesses, indem auch schon persönlich die meisten und tüchtigsten Mitkämpfer auf den rein politischen Kriegsschauplatz abberufen wurden.

1. Gewissermaßen als Sturmboten diesem germanistischen Heeres­

aufgebot voranziehend x) erscheinen eine Einzelschrist aus dem Süden

und die ganze Lebenstätigkeit eines Mannes aus dem höchsten Norden Deutschlands, aus derjenigen Grenzmark gegen Dänemark hin, deren Eigenart und Eigenlage ja auch politisch ebenso entscheidend werden sollten für die Erweckung einheitlich deutschen Nationalgefühls, wie für

die Verwicklung der diplomatischen und kriegerischen Ereignisse. Im Jahre 1829 erschien zu München die Schrift: „Über die Restauration des deutschen Rechts, insbesondere in Beziehung auf das

Grundeigentum" von Friedrich Ludwig v. Bernhard — ein merk­ würdig

verschwommenes, ungeordnetes, paradoxes Schriftwerk, aber

reich an Tönen, die, hier zuerst angeschlagen, bald reiner und voller erschallen sollten. Das dürfte namentlich der Fall sein für die entscheidende Wen­

dung, mit der hier behufs Wiederbelebung eines deutschen Geistes in der Rechtswissenschaft das herausgehoben wird, was dem Verfasser als

der zutreffende Kern der historischen Rechtsauffassung erscheint

ist hier der

Ort,

das Verdienst zu erwähnen,

„Es

welches vielleicht das

entschiedenste der geschichtlichen Schule ist, ob es gleich nur eine einzelne Äußerung ihrer Weise und nur ein mittelbares Verdienst ist, dessen

eigentliche Würdigung im Leben sie selbst nicht gefunden hat. Nämlich dieselbe hat durch

ihre Ansicht das römische Recht der individuellen

Nationalität der Römer zurückgegeben und uns damit auf unser eigenes germanisches Nationalgefühl gewiesen".

und Gegenwirkung

wohl

kaum

Schärfer läßt sich Wirkung

bezeichnen;

ebenso scharf aber weiß

Bernhard diejenige Seite der historischen Schulauffassung zu bezeichnen,

die der kräftigen Wiederaufnahme des deutschen Rechts im Wege steht.

Landsbcrg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

32

Siebzehntes Kapitel.

498

Es ist das der Quietismus, der hervorgeht aus der Überzeugung, daß

alles gar nicht noch besser kommen konnte, als es tatsächlich gekommen ist, weil ja die Rechtsentwicklung sich organisch unwillkürlich, darum auch unfehlbar und notwendig gesund vollzieht; einer Überzeugung,

der dann auch die Rezeption und Vorherrschaft des römischen Rechts als berechtigt schon deshalb erscheinen muß, weil diese Dinge eben historisch geworden sind. Richtig erkennt Bernhard in dieser Über­

zeugung bloß die weitestgehende Reaktion gegen den absoluten Sub­ jektivismus der Aufklärungszeit, die meinte, durch die freie persönliche Reflexion

und Tat des Gesetzgebers könne das Recht willkürlich ge­

schaffen werden.

Die Wahrheit liege in der-Mitte: der bewußte Zu­

stand der Rechtsbildung ist ein Fortschritt gegenüber dem unbewußten;

aber auch bei jenem hat der Gesetzgeber das Recht nicht frei zu er­

finden, sondern zu finden, „nicht wie vor alters aus dunklen Gefühlen

der Pietät, sondern jetzt mit Bewußtsein aus freier Anerkennung der höher stehenden Freiheit der Gesamtheit", „aus dem bindenden Geist

des deutschen Volkes", so daß „die Gesetzgebung nichts anderes sein würde

als die sich

ihrer Freiheit

bewußte nationale Rechtsbildung,

ausgehend von den dazu bestimmten Organismen."

man sagen kann, daß er vor der historischen schon für sich in Sicherheit gebracht

schon überwunden hatte, war schon Durch Bernhard wird sie fieilich

„Hugo, von dem

Schule deren Gewinn

und zugleich deren Gebrechen im Besitze dieser

Erkenntnis."

sofort wieder verquickt mit eigen­

tümlich Stahlschen Gedankenzügen, wie er vorher schon in dithyram­ bischer Weise an die Pflege des deutschen Geistes durch König Ludwig

von

Bayern

angeknüpft hat.

Demgemäß

sind

auch

seine Einzel­

folgerungen für das Gebiet des Grundeigentums unklar und bunt­

scheckig; immerhin weiß er auch hier manch treffendes Wort darüber zu reden, wie viel beweglicher, elastischer, flexibler, deshalb auch zur politischen Organisation brauchbarer, die einschlägigen deutschen Rechts­

begriffe seien

als die römischen;

Ganzen wird schließlich

und entsprechend

für das deutsche

dem Geiste des

selbständige Recht auch ein

selbständiges System gefordert, gegenüber den auf das römische Recht

einzuschränkenden Institutionen-

oder

Pandektensystemen.

In dem

beigegebenen Lösungsversuche vermag ich freilich nur ein wirres Durch­

einander zu erblicken.

,

So ist es begreiflich, daß diese Anregung, vereinzelt wie sie seitens

ihres Verfassers blieb und wunderlich wie sie war, ohne unmittelbar

III. Der germanistische Ansturm.

wahrnehmbaren Erfolg verlaufen ist.

1) Bernhard u. Falck.

499

Ganz anders steht es um die

Tätigkeit von Nikolaus Falck (1784—1850), jenem Schleswiger, dem wir schon früher als dem Herausgeber der letzten Hefte der „Eranien" begegnet sind, dessen politisch und juristisch vorbildliche und erziehe­

rische Stellung aber hier erst voll gewürdigt werden kann. Nikolaus Falckb), der vertraute Freund Dahlmanns, historisch

und philologisch vorgebildet, war durch den geistvollen, mit Niebuhr befreundeten Grafen Adam Moltke

wissenschaft hingewiesen worden.

auf

das

Studium

der Rechts­

Er hatte es in der schleswig-hol­

steinischen Kanzlei zu Kopenhagen bis zu der Stellung eines Kontor­

chefs gebracht und den Aufenthalt dort zu gründlichem Studium der Sprache,

dänischen

benutzt.

Literatur,

Rechts- und

Verfassungsverhältnisse

Er ging dann 1815 als ordentlicher Professor der juristischen

Enzyklopädie4), des deutschen Rechts, des Kirchenrechts und des schleswigholsteinischen Privatrechts nach Kiel, eine Stellung, in der er bis an

„Er toar6) Dezennien hindurch in

sein Lebensende tätig gewesen ist.

seinem Heimatlande in der Tat der bekannteste und populärste Mann.

Als vielgefeierter Rechtslehrer, höchst fruchtbarer Schriftsteller,

Mit­

glied von Gesetzgebungskommissionen, Ständemitglied, gewählter Prä­ sident

der

Ständeversammlung

des Herzogtums Schlesien in den

Jahren 1838, 1840, 1842 und 1844."

Für uns kommt er haupt­

sächlich zunächst in Betracht als Verfasser zweier Schriften: der publi­

zistischen Abhandlung

„Das Herzogtum Schleswig in seinem gegen­

wärtigen Verhältnis zu dem Königreich Dänemark und zu dem Herzog­ tum Holstein", Kiel 1816, und seines großen Lebenswerkes „Hand­ buch des schleswig-holsteinischen Privatrechts", das, allerdings trotz­ dem noch unvollständig, in fünf Bänden, Altona 1825—1848, er­

schienen ist.

Schon die Zusammenstellung dieser beiden Werke weist hin auf

den lokalpatriotischen Geist,

der sie beherrscht,

auf des Verfassers

Selbständigkeitsbedürfnis wie gegen skandinavisches, so doch auch gegen romanistisch-kosmopolitisches Wesen.

Die staatsrechtliche Abhandlung

ist der Ausgangspunkt der juristischen Literatur betreffend die

Zu­

sammengehörigkeit der beiden Herzogtümer gegenüber Dänemark und damit zugleich betreffend ihre Zugehörigkeit zu Deuffchland. Aber auch das nach dem Titel privatrechtliche Werk^ füllt seine drei ersten

Bände mit einer gründlichen, statistisch-historischen Staats- und Rechts­ geschichte der beiden Herzogtümer, besonders auch einer geschichtlichen 32»

Siebzehntes Kapitel.

500

Erörterung der Sukzessionsverhältnisse, während weiterhin Verfassungs­

und Verwaltungsrecht einschließlich der Gerichts- und Kirchenverfassung

sowie des Strafrechts in ihrer inneren Geschichte behandelt werden. Erst die beiden letzten Bände gelangen zum eigentlichen Privatrecht,

von dem das Personenrecht und das Eigentum erschienen sind. —

So liegt denn freilich nur ein mächtiges Bruchstück vor, da sich ein

Fortsetzer nicht gefunden hat.

Für die Anregung aber, die aus dem

Werke den deutschrechtlichen Forschungen erwuchs, ist das verhältnis­ mäßig bedeutungslos.

Da ist die Hauptsache, daß das Werk das Bei­

spiel gab zu einer partikularrechtlich selbständigen Auffassung, die ihre wissenschaftliche Kraft lediglich aus dem dahinterstehenden germani­

stischen Verständnis schöpft,

im Gegensatze sowohl zu romanistischer

Subsidiarität7) wie zu unklaren Verallgemeinerungen,

die dem all­

gemeinen deutschen Privatrecht nur allzu leicht die feste Form und den

vollen Nachdruck

entziehen.

gegen Dänemark in Falcks

Dabei ist der politische Gegensatz

jüngeren

und

bildsameren Tagen

noch

keineswegs so scharf, daß nicht ein fördernder Einfluß durch Kenntnis

und Benutzung des nordgermanischen Rechts und Wesens bemerkbar wäre, — wie man denn ^überhaupt heute bei kühlerem Blute wird zugeben müssen, daß wir von Skandinavien gerade infolge der schles­

wig-holsteinischen Beziehungen, Reibungen und Konflikte damals manche förderliche Anregung zu deutschnationaler Haltung gewonnen haben, auf dem Wege nicht bloß kriegerischen Gegensatzes, sondern auch fried­

licher

Rezeption.

In

allen

männische, literarische"),

diesen Beziehungen ist Falcks

staats­

akademische und persönliche Tätigkeit von

bedeutendem Einflüsse für die deutschrechtliche Entwicklung gewesen.

Seine Ablehnung aller Romanistik erinnert rechtsgeschichtlich an die

alten nordischen Selbständigkeitsbestrebungen, literärgeschichtlich an die entsprechende Stellungnahme eines Mevius.

Nimmt man hinzu, daß

in Anknüpfung an diesen bewährten Schriftsteller der Sinn für das einheimische Recht im

deutschen Nordosten sich

noch

während des

18. Jahrhunderts besonders lebhaft behauptet hattet, so bemerkt man, wie ein unzerrissenes Band der Überlieferung vom alten lübischen, aber auch vom skandinavischen Recht und von deren Pflege zu Falck

hinüberführt und damit in das starke Gewebe der neueren Germa­

nistik sich verflicht. 2. Von der Mitte bis gegen das Ende der 30 er Jahre mehren sich die Wetterzeichen. Beseler hält 1835 zu Basel seine Rede „Über

2) Reyscher u. Wilda.

III. Der germanistische Ansturm.

501

die Stellung des römischen Rechts zu dem nationalen Recht der ger­

manischen Völker", die,

breitung arbeitet

oder

1836 gedruckt Z, zunächst doch wenig Ver­

Beachtung gefunden

zu

haben scheint.

Mittermaier

die eigentlich schon seinem deutschen Privatrecht von 1821

zugrunde gelegten, echt germanistischen Prinzipien*! 837 schärfer heraus in seiner Vorrede?) zu einem Werke über Schäfereirecht von Scholz III.

Bluntschli schreibt 1839 seine Flugschrift?) über „Die neueren Rechts­

schulen der deutschen Juristen", behandelt darin die allgemein geschicht­

liche Auffassung der historischen Schule als selbstverständlich, spricht aber

schon

einer besonderen Schule des deutschen Rechts auf

von

privatrechtlichem Gebiete und geht endlich dazu vor, den „Streit der deutschen und der romanisierenden Schule" als unvermeidlich vorher­

zusagen, da weder zu erwarten sei, daß die einmal angeregte natio­

nale Anschauung so leicht abflauen, noch aber auch andererseits, daß der im Besitze befindliche Romanismus so gestümen Begehren

der

Verehrer

des

ohne weiteres dem un­ Rechts

deutschen

nachgeben

werde. Den bewußten Beginn dieses von Bluntschli in Aussicht gestellten

Kampfes auf Grund eines festen Planes und Programmes bildet noch in demselben Jahre 1839 die Begründung der „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft" durch Reyscher und Wilda. Sie

erfolgte tm Anschlüsse an die Feier des Göttinger Universitätsjubi­

läums von 1837, zu der Reyscher sich schon mit einem derartigen Plane begeben hatte Z.

Er hatte damals deshalb dort, mit Beihilfe

Thöls, unter Anrufung des großen Namens Eichhorn, eine Zusammen­

kunft der Germanisten veranstaltet; etwa 20 anwesende Fachgenossen waren einig gewesen in der Anerkennung eines Bedürfnisses für die Gründung einer germanistischen Zeitschrift; von ihnen hatte sich dann

Wilda dazu bestimmen lassen, die Last der Herausgabe neben Reyscher zu übernehmen. A. L. Reyscher?) ist ein tüchtiger Gelehrter, ein allezeit zuver­

lässiger Jurist,

ein

eifrig um das Wohl Deutschlands und seines

engeren Vaterlandes bedachter Publizist und Politiker im liberalen,

nationalen Sinne

der 48 er Jahre

gewesen.

Er

hat sich schrift­

stellerisch namentlich Verdienste um sein württembergisches Recht er­

worben, weniger durch dessen dogmatische Bearbeitung, denn Reyschers

„Württembergisches Privatrecht" wurde erschienene Wächtersche

wissenschaftlich

durch

und

das etwa gleichzeitig

für

weitere

Kreise

in

502

Siebzehntes Kapitel.

Schatten gestellt, als vielmehr durch gründliche Quellensammlung6) mit wissenschaftlichen Einleitungen und aus wissenschaftlichen Gesichts­ punkten.

Seinem methodologischen Standpunkte nach ist er keines­

wegs strenger Anhänger der historischen Schule, sondern nicht frei von eigentümlich rationalistisch-naturrechtlichen Anwandlungen; baut er doch selbst auf dergleichen, auf Rechts- und Billigkeitsgefühl und auf die Natur der Sache, seine Anschauungen über „Das Dasein und die

Natur des. deutschen Rechts" in dem so betitelten ersten Aufsatze der „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft"7), die

dann freilich glücklicherweise darauf keineswegs programmäßig fest­ gelegt worden ist. Vielmehr bestimmt eine voraufgeschickte Anzeige den „Zweck dieser Zeitschrift" treffend dahin, „nicht bloß einen Ver­ einigungsPunkt

für

Untersuchungen

deutschen Rechts abzugeben, sondern

im

Gebiete

des

einheimischen

auch zur Beförderung eines

nationalen Rechtsstudiums und damit zur Begründung einer vater­ ländischen Rechtswissenschaft mitzuwirken." Es soll dadurch bei den deutschen Juristen überhaupt das Bedürfnis „einer Zurückführung des

gesamten Rechts auf eine einheimische, der Volkseigentümlichkeit ent­ sprechende Grundlage" erweckt, diesem auch „die Vorliebe für das fremde bis jetzt vorzugsweise gepflegte Recht teilweise zum Opfer ge­

bracht werden." Die Volkseigentümlichkeit wird dabei als bestehend vorausgesetzt, es handelt sich nur darum, daß sie von allen kräftig

und lebendig erkannt wird. Dazu wird es namentlich auch dienen, wenn die Entwicklung des usus modernus als durch deutsche Volks­ eigentümlichkeit, wennschon unbewußt, hervorgerufen hingestellt wird;

muß der Romanist, der das Wesen des römischen Rechts rein erkennen will, das Studium dieser Zwitterbildungen ablehnen, wie seitens der jetzigen romanistischen Schule „in einem richtigen Gefühl" geschehen,

so fällt es dem deutschen Recht anheim und damit die Aufgabe, „das Gemeinsame in unserem Recht, auch soweit es sich aus dem fremden herausgebildet hat, aufzufinden und darzustellen." Von da aus voll­ zieht sich der Anschluß an das praktische deutsche Recht der Gegen­ wart in territorialer Gesetzgebung und Rechtsbildung mit einer Weit­ herzigkeit, die es ermöglichte,

daß namentlich Mittermaier ganz und

ungeteilt von der neuen Richtung als einer der Ihrigen gewonnen wurde; und mit einem festen Willen zur Beeinflussung der Gesetz­ gebung^), welcher der Überzeugung entspringt, daß diese, um brauchbar

zu sein, national, um national zu sein, auf den Resten und Spuren

III. Der germanistische Ansturm.

2) Reyscher u. Wilda.

-es altdeutschen Rechts begründet sein muß.

503

Es ist hervorhebens­

wert, wie all dies sich hier schon anmeldet und gruppiert; man be­ merkt, wie geschickt dabei die Lücken und Fehler der gleichzeitigen Romanistik benutzt sind, und wie diese aktiv aggressive Taktik gegen deren Quietismus zum Erfolge führen mußte.

Unverkennbar, daß

dabei, persönlich und sachlich, politisch-nationale und liberal-fortschritt­ liche Elemente von vornherein eine gewisse Rolle mitspielen und auch zu ihrem Teile zur Ausbildung eines Gegensatzes gegen die rein Savignysche Richtung beitragen'), während ja doch an und für sich diese gesamte germanistische Auffassung nur die folgerichtige Durch­ führung der historischen Rechtsauffassung, nur auf deren Grundlage möglich, nur unter der ausdrücklichen Voraussetzung ihrer Richtigkeit

hervorgetreten ist.

Diese historische Rechtsauffassung selbst war eben

jetzt Allgemeingut geworden, und man durfte sich den Luxus von Gegensätzen und Gegnerschaften innerhalb derer, die sie teilten, ge­

statten. Reyscher hat den Kampf, der nun alsbald heftiger aufloderte,

in seiner Zeitschrift weitergeführt, mehr durch grundsätzliche und polemische oder auch berichtende Aussätze als durch sachliche Beitrüge. Zu jenen gehört vor allem eine lebhafte Äußerung im siebenten Bande f!842) „für und wider das deutsche Recht"10). So hat Reyscher dauernd die Leitung der Zeitschrift, später unter Mitwirkung von Beseler und schließlich von Stobbe, besorgt, bis sie 1861 mit ihrem 20. Bande ihr Erscheinen einstellte; ihre Aufgabe durfte damals als im wesentlichen erfüllt getrost angesehen werden, ihre Richtung hat später im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuche und in dessen umfassenden germanistischen Wiederbelebungen ihren entscheidenden Triumph gefeiert. Die eigentliche Forschungs- und Gedankenarbeit dafür haben ja andere geliefert; aber Reyscher wird man es nicht absprechen können, daß die

Idee und Anregung zu einem besonderen Organ, das der Richtung festen Rahmen und Zusammenhang bot, die geschickte Programm­ formulierung dafür und die glückliche Leitung der Zeitschrift von ihm

ausgegangen und durchgeführt worden ist. Mit seinem Mitherausgeber Wilhelm Eduard Wilda") kehren wir wieder zum deutschen Norden zurück, zum Anschluß an das skandi­ navische Recht, das Wilda durch Koldenrup-Rosenwinge nahegebracht

wurde, und auch persönlich an Falck, dem Wilda im Sommer 1825 zu Kiel nahetrat. War Reyscher der politisierende und polemisierende.

504

Siebzehntes Kapitel.

legislativ und rationalistisch interessierte Teil, so ist Wilda, der streng auf historischem Standpunkte steht, der stille Forscher, dessen Blick auf das Gemeinsame im Rechte aller germanischen Stämme gerichtet

war, der nur gelegentlich und vorübergehend sich 1848 zur Teilnahme am politischen Leben im konstitutionalistischen Sinne bestimmen ließ. Als er in die Leitung der Zeitschrift eintrat, hatte er sich erst durch kleinere Untersuchungen über das Gildewesen im Mittelalter (1830)

und über die deutsche Städtefreiheit (1831) bekannt gemacht; in die Zeitschrift, bei der er bis zu seinem frühen Tode (9. August 1856) ausharrte, lieferte er nur einmal einige grundsätzliche Auseinander­ setzungen, dagegen mehrfach sachliche Artikel12) von gediegenstem Werte, so den ersten über das Pfändungsrecht, ferner die über Spiel und

Wette und über Familienfideikommisse und endlich den letzten über „ledige" Kinder. Sein Hauptwerk jedoch sichert ihm im Gegensatze zu Reyscher dauernden Namen auch unabhängig von der polemisch-

literärgeschichtlichen Bedeutung jener Zeitschrift; es ist das „Strafrecht der Germanen", Halle 1842. Diese großzügige Studie behandelt das älteste Strastecht vor der Abtrennung Deutschlands vom fränkischen Reiche für alle germanischem Stämme gemeinsam, umfaßt also das fränkisch-deutsche, das angel­ sächsische und das skandinavische Strastecht. Bedeutung und Verdienst der Leistung, gerade auch auf letztgenanntem Gebiete, sind später, selbst von einem (so strengen Spezialforscher wie Konrad v. Maurer, immer wieder überaus hoch eingeschätzt worden.

Das Hauptinteresse dabei

aber ist nicht das stoffliche, also auch nicht das kriminalistische, sondern das Strastecht ist vom ^Verfasser ausgesucht, weil es unter primitiven Verhältnissen die Grundlage für die übrigen Rechtserscheinungen, den schärfften Ausdruck für die sittliche und rechtliche Denkart eines Volkes

darbiete.

Die Darstellung des germanischen Strastechts soll daher

eine Art von Kommentar zu den ältesten Rechtsquellen überhaupt geben, einen Hauptteil der urzeitlichen Verfassung schildern, eben da­

durch 13) „die Auffassung und Würdigung des germanischen Rechts­ lebens in seiner Totalität" fördern. Weil es ihm auf die Totalität ankommt, extensiv und intensiv, hat Wilda auch die nichtdeutschen Zweige des germanischen Volksstammes mit kühnem Griffe heran­

gezogen, nicht um ihrer selbst willen, sondern um durch ihre Rechts­

sätze und Rechtseinrichtungen „das germanische Rechtsleben ;m seiner wahren Gestalt zu enthüllen". Er will so die Möglichkeit inneren

III. Der germanistische Ansturm. Verständnisses

auch

erst

2) Reyscher u. Wilda.

505

für die deutschen Rechtsinstitute gewinnen,

selbst auf die Gefahr hin, 'daß man ihm vorwerfen werde, er habe

sich durch die skandinavischen Elemente zu stark bei dieser Verbindung beeinflussen lassen. — All dies trifft freilich höchstens zu für die Ur­ zeit. Es dürfte daher doch kaum bloß der Überlastung Wildas mit

anderen Arbeiten und der Kürze seines Lebens zuzuschreiben sein, wenn er an die geplante Fortsetzung des Werkes, eine Geschichte des eigent­

lich deutschen Strafrechts, gar nicht mehr herangetreten ist.

Jeden­

falls hätten dann die späteren Stticke ganz anders angefaßt werden

müssen,

wie er dies übrigens selbst in einer Skizze seines Planes

unter trefflicher Würdigung der kulturgeschichtlichen Zusammenhänge

hervorgehoben hatte. Immerhin ist der Umstand, daß von vornherein die Absicht be­

stand, das Werk bis zur Gegenwart durchzuführen,

hervorhebenswert,

weil er beweist,

schon deshalb

daß es sich keineswegs um eine

lediglich antiquarische Leistung handeln sollte; vielmehr meint er die Be­ griffe des 'Friedens, des Friedensbruches und der Friedenssicherung auf die Dauer als Grundbegriffe des deuffchen Strafrechts festhalten

zu können.

Dabei mag die skandinavische Verbrechensfolge der Fried­

losigkeit überschätzt, bei den Urgermanen ein idealistisch gesteigertes

Maß von Hochsinn und Edelmut vorausgesetzt sein, Wildaschen Ansicht

bleibt

doch,

hat, unerschütterlich richtig.

widerlegen,

was so

der Kern der

wie Maurer wieder hervorgehoben

Diese Ansicht soll es aber auch zugleich

oft behauptet wird,

„daß den Germanen ein

eigentümliches Strafrecht unbekannt gewesen sei"; vielmehr ergibt sich, daß dies vorhanden"), nur von anderer Beschaffenheit und anderer Grundart ist als das antik-römische, womit sich zugleich ergibt, daß

der lediglich aus letzterem abgeleitete Strafrechtsbegriff ein zu enger, dem nationalen Bedürfnis nicht genügender ist.

Indem die Germa­

nistik jener Tage solche Fälle mehrfach hervorarbeitete, wo der ein­

seitig geschulte Romanist die im deutschen Recht tatsächlich vorhandenen, aber

vom romänistischen Begriff abweichenden Rechtsbildungen als

überhaupt begriffsunmöglich übersehen und geleugnet hatte (z. B. Erb­ vertrag, Gewere, Sonderarten von Grundstücksrechten, Genossenschaft,

Reallast), führte sie eigentlich erst den Angriffsstoß gegen das römische

Recht einen 'entscheidenden Grad tiefer,

als das seitens der gleichen

Bewegung im 18. Jahrhundert geschehen war. die Rezeption in complexu

Damals hatte man

und die fundata intentio geleugnet.

Siebzehntes Kapitel.

506

dadurch in zahlreichen einzelnen Fällen der Geltung einheimischen Rechts

Raum verschafft, die romanistische Rechtslogik aber unerschüttert ge­

lassen; jetzt findet man einen ganzen germanistischen Stil, baut eine eigene germanistische Begriffswelt auf und beansprucht für diese Platz

in der grundlegenden juristischen Begriffsschulung neben dem romanistischen System, das damit seiner Alleinherrschaft nun auch über das

juristische Denken sich beraubt sieht, wie früher derjenigen über das juristische Leben. In dem Buche selbst tritt übrigens keine derartige antiromanistische

Tendenz hervor.

Vielmehr ergibt sich für Wilda diese Gestaltung

der Dinge von selbst; seine positive Förderung des deutschen Rechts

beruht nicht sowohl auf Abneigung gegen das Römische, wie vielmehr auf Liebe zum Einheimischen, auf einer Liebe, die ihm Geist und Herz erfüllt, wie er überzeugend in seinem Vorwort zum Pfändungsrecht zu erkennen gibt. Dort findet sich aber auch die Äußerung, die be­

weist, daß Wilda sich der Rückwirkung auf das römische Recht sehr wohl bewußt war: „Unser deutsches Recht," so sagt er da15), „welches

sich mußte gefallen lassen, von der stolzen römischen Trireme als ein bescheidener Nachen

nachgezogen zu werden, ist nun zu einem

Bau herangewachsen, der es jetzt schon verschmäht, seine Habe unter fremder Flagge zu decken. Nicht kann es dem, der dem Fortschreiten

unserer juristischen Literatur mit Aufmerksamkeit folgt, entgehen, wie

die Institute des deutschen Rechts, die bis auf die neueste Zeit herab in eine römische Form sich mußten zwingen lassen, in eigentümlicherem

Wesen und Gestalt hervortreten, wie der Zusammenhang und Geist

der deutschen Rechtssysteme der Anschauung nähergebracht wird, wie man sich des wahren Verhältnisses des römischen Rechts zum deuffchen

und zur gegenwärtigen Lebensgestaltung, des Zieles, welches unserem Streben vorgesetzt sein muß, klarer bewußt wird."

Daß in diesen Gedankengängen der Kern der Sache liegt, dar­ über ist man sich denn auch beiderseits rasch klar geworden.

Wie

Puchta, als zur Erwiderung gegen diesen germanistischen Angriff, da Savigny sich kühl und vorsichtig zurückhielt, Vorkämpfer,

berufener romanisüscher

dabei16) in erster Linie den Ton auf den Geist des

römischen Rechts legte, so antwortete in demselben Sinne Reyscher in dem schon angeführten Aufsatze „für und wider das deutsche Recht"

im siebenten Bande seiner Zeitschrift.

Mit Entrüstung wird da von

Reyscher als unerträgliche Zumutung zurückgewiesen, wovon Puchta

III. Der germanistische Ansturm.

3) Beseler.

507

ausgeht, daß nämlich der Geist des römischen Rechts als der für das Recht überhaupt maßgebende unbedingt anzuerkennen sei.

Statt dessen

nimmt Reyscher für das deutsche Recht eigenen Geist in Anspruch

und wendet schließlich sogar die Waffe, die Puchta gebraucht hatte,

gegen diesen selbst, indem er hervorhebt, wenn das fremde Recht in Deutschland wirklich heimisch werden wolle, so müsse es seinerseits aus dem Geiste des deutschen Rechts")

kannt und

geboren

werden."

Damit

„gleichsam von neuem er­

ist

ein Losungswort ausge­

sprochen, dem eine bedeutsame Zukunft zuteil werden sollte.

3. So waren die Dinge vorbereitet, ja schon lebhaft in Gang

geraten, als Beseler durch sein Buch „Volksrecht und Juristenrecht", Leipzig 1843, eingriff und die Führung dieser germanistischen Bewegung

an sich zog.

Georg Beseler*) ist geboren am 2. November 1809 zu Rödemis bei Husum; sein Vater Cai Hartwig war dort dänischer Kammerrat und schleswigscher Deichinspektor, seine Mutter war eine Tochter des Chirurgen Jahn in Flensburg.

Nach dem Tode der Eltern nahmen

sich mütterliche Geschwister seiner an, darunter der Syndikus Jahn

in Kiel, der Vater des bekannten Archäologen Otto Jahn.

Nach

Schulbesuch in Husum und Schleswig bezog Georg Beseler 1827 die Universität Kiel, ging jedoch zu ernsteren Studien erst über, als er

auf Rat seines Freundes Kierulff 1829 nach München sich begeben

hatte, wo der ältere Maurer und Stahl ihn anregten. 1830 zurückgekehrt, bestand er dort 1831

Nach Kiel

die Prüfung mit gutem

Erfolge und wollte sich nun als Rechtsanwalt in Kiel niederlassen.

Aber das übliche Formular des dem Könige von Dänemark zu diesem Behufe üblicherweise vorher zu leistenden Homagialeides erweckte ihm Gewissensskrupel; es schien ihm mit seiner Überzeugung von der staatsrechtlichen Stellung der Herzogtümer, wie sie seit 1830 durch

Jens Uwe Lornsen für ihn feststand, unvereinbar; daß es sich um eine bloße Formalität handle, wollte und konnte er nicht zugeben; so

weigerte er den Eid nnd mußte auf die Advokatur verzichten.

Erst dadurch ist Beseler worden.

zur

akademischen Laufbahn

bestimmt

Leicht begreiflich, daß ihm, nachdem er auf Grund einer

Dissertation über den Eid mit Eideshelfern in Kiel 1833 promoviert hatte, dort regierungsseitig nun auch die Lehrtätigkeit verlegt wurde. Das gab ihm Anlaß, sich zunächst nach Göttingen zu begeben, wo er

zwar nicht Habilitationsgelegenheit fand, aber die bedeutsamsten poli-

Siebzehntes Kapitel.

508

tischen und persönlichen Beziehungen, Anschluß an Männer, wie Jakob

und Wilhelm Grimm, Albrecht, Richthofen und Thöl und namentlich

an den ihm Apolitisch und lokalpatriotisch so verwandten Dahlmann. Zum Beweise dafür,

wie nahe Beselers literarisches Schaffen mit

dieser Begegnung zusammenhängt, ist seines

ersten großen Werkes

erster Band — „Die Lehre von den Erbverträgen, I.Teil: Die Ver­

gabungen von Todes wegen nach dem älteren deutschen Rechte", Göt­ tingen 1835 — Dahlmann gewidmet, während das Vorwort der von

Jakob Grimm erfahreüen Unterstützung

dankbar

erwähnt.

So ist

der Göttinger Aufenthalt, mag er auch nur ein Jahr gewährt haben,

in jeder Beziehung bedeutsam.

Nachdem dann, trotz einiger Schwierig­

keiten^), die Habilitation,1834 zu Heidelberg erfolgt und die Lehr­ tätigkeit zum Sommersemester 1835 in die Wege geleitet war, ist

Beseler schon in demselben Jahr als außerordentlicher Professor nach Basel berufen worden.

Er siedelte im Herbste dorthin über, ward

kurz darauf zum ordentlichen Professor ebenda befördert, folgte 1837

einer Berufung in gleicher Eigenschaft nach Rostock,

1842 wiederum

einer solchen nach Greifswald und vollendete endlich den akademischen

Kreislauf, indem er 1859 den Lehrstuhl an der Universität Berlin

übernahm, den er bis zu seinem Tode innegehabt hat.

Die Vor­

lesungen freilich mußte er, nachdem er noch am 6. Januar 1885 in alter Frische, umgeben von alten Freunden und jüngeren Verehrern,

sein goldenes Doktorjubiläum gefeiert hatte, bald danach einstellen ~ aber die Teilnahme an Fakultätsverhandlungen und die Leitung von seminaristischen Übungen ließ er sich bis zuletzt nicht nehmen; während

einer Erholungsreise ist er am 28, August 1885 zu Harzburg gestorben. Ein guter Teil dieses Lebens ist erfüllt von politischer Tätigkeit

in dem Sinne, wie sie ja schon durch die Jugendgeschichte vorbereitet erscheint, im Jahre 1837 bestätigt durch seine Schrift „Zur Verteidigung, der Göttinger Sieben"3), deren Katastrophe gerade in einen persönlichen. Aufenthalt Beselers zu Göttingen,

Rostock, hineinfiel.

auf der Reise von Basel nach

Durch diese Schrift hat Beseler seinen Göttinger

Freunden reichlich die vor einigen Jahren empfangenen Anregungen

gedankt, in begeisterter Schilderung ihrer Persönlichkeiten, wie in ein­

sichtsvoller Charakteristik ihrer Leistungen.

Der lebendige, ja leiden­

schaftliche Ton, der gelegentlich aus dieser in Briefform frei sich er­ gebenden Schrift erklingt, weicht wesentlich von Beselers sonst so ge­

messenem wissenschaftlichen Stil ab, zum Beweise, wie lebhaft ihn

III. Der germanistische Ansturm.

3) Beseler.

509

solche politische Fragen ergreifen. Mitten in das politische Leben -aber trat er, indem er die in Greifswald auf ihn gefallene Wahl zum Volksvertreter für die Frankfurter Nationalversammlung annahm. In ihr hat er dann bekanntlich, mit Dahlmann, Waitz und Droysen zum rechten Zentrum, dem sogenannten Kasino oder auch der sogenannten

Professorenpartei gehörig, oft eine entscheidende Rolle, zunächst schon für die Formulierung der sogenannten Grundrechte gespielt. Diese seine Stellung gewann noch an Bedeutnng bei den Verhandlungen über Verfassung und Erbkaisertum, für die er rednerisch und partei­ bildend die umfassendste Wirksamkeit entfaltete, eine Wirksamkeit, der

-es nur entsprach, wenn er der Wahlbotschaft gesellt war, die das Parlament nach Berlin sandte, um Friedrich Wilhelm IV. die Kaiser­

krone anzubieten.

Sie wurde abgelehnt, und „unser schwer geschaffenes

Werk war zerschlagen, und klirrend ,fielen die Scherben zu Boden", so schildert Beseler selbst^) [feine Stimmung bei dieser Entscheidung. An den revolutionären Vorgängen war er dann nicht mehr beteiligt,

vielmehr hauptsächliche Triebkraft bei dem Austritte der meisten Mitglieder seiner Partei aus der immer mehr in radikale Bahnen ge­

worfenen Versammlung, der am 20. Mai 1849 erfolgte. In späteren Zeitläuften wurde Beseler Mitglied der Gothaer Versammlung (auf dringende Bitte von feiten des Generals v. Rado­ witz) und des Erfurter Parlamentes, auch von August 1849 bis Mai 1852 der preußischen zweiten Kammer. In ihr führte er namentlich den Vorsitz

in der Kommission zur Beratung

des Strafgesetzbuch-

Entwurfes 5), der nicht ohne sein wesentliches Mitverdienst zum Straf-gesetzbuch vom 14. April 1851, der Grundlage des Reichsstrafgesetz­ buches vom 31. Mai 1870, geworden ist. — Der neuen Ära verdankt

dann Beseler seine Berliner Professur; seine Ernennung wurde all­ seitig als eines ihrer beredtesten Zeichen angesehen. So trat er da­ mals auch wieder 1860 in die gesetzgebende Versammlung ein, jedoch nur auf kurze Zeit, da er sich weder als alter Liberaler der konser­ vativen Partei noch der liberalen Konsliktspartei anzuschließen ver­ mochte. Dann kehrte er wieder 1874 ins parlamentarische Leben, dauernd bis 1881, zurück als Mitglied des Reichstags. Er hat auch in diesem Parlamente eine bedeutende und selbständige politische Tätig­ keit entfaltet, zum Teile mit, zum Teile neben, wohl auch gelegentlich in scharfem Zusammenstoß gegen Bismarck6); ein gewisser Gegensatz

des alten Frankfurters und Schleswig-Holsteiners zum altpreußischen

Siebzehntes Kapitel.

510

Reichsgründer scheint unüberwindbar stets im Hintergründe gestanden zu haben.

hause,

Daneben hatte Beseler seinen Sitz im preußischen Herren-

den er seit 1875

durch Präsentation

der Universität Berlin

einnahm, und bekleidete in diesem hohen Hause während der Session

1882—1887 die Würde eines Vizepräsidenten. Bei alledem fehlte es auch nicht

an Ausblicken auf

das Gebiet der

auswärtigen Politik;

publizistisch ist er diesem indessen nur da näher getreten, wo es sich, um völkerrechtliche Verhältnisse handelte, die das Schicksal seiner engeren schleswig-holsteinischen Heimat berührten?).

Selbstverständlich kann hier über diese politischen Dinge Genaueresnicht berichtet werden.

Es mußte ihrer aber mindestens einigermaßen

Erwähnung geschehen.

Nicht bloß

deshalb,

schriftstellerischen, akademischen, praktisch

weil

sie

neben

seiner­

begutachtenden8) und gesetz­

geberischen Tätigkeit mit zum Lebensbilde Beselers wesentlich gehören; nicht nur deshalb ferner, weil sie dazu beitragen, seine zentrale und,

maßgebende Stellung,

etwa

als germanistischer Gegenspieler

gegen

Savigny, zu kennzeichnen; auch nicht bloß deshalb endlich, weil alle seine verschiedenen Leistungen und Stellungen sich gegenseitig tragen,

so daß bie' Politik ihm auch als juristischem Schriftsteller und als. unermüdlichem Lehrer sowie als Fakultätsmitglied auf Theorie, Praxis

und

Gesetzgebung sowie auf die

Fakultäten, denen er angehörte8),

einen wesentlich erhöhten Einfluß verschafft hat.

deshalb,

Sondern vor allem

weil durch das politische Element seiner Begabung,

durch,

seinen Sinn für tätige Verfolgung praktischer Ziele auch seine juristische, schriftstellerische Tätigkeit mächtig beeinflußt worden ist, so daß für

diese vielfach darin das leitende Grundmotiv gefunden werden muß. Nicht, als ob das bei ihm etwas Besonderes wäre. Ähnlich steht eK ja um die meisten Germanisten, um die Historiker, um die Philologen, um einen starken Bruchteil des ganzen Professorentums seiner Generation;

aber dieser allgemeine Vorgang gerade mußte an Beseler, als an einem

Führer

der

deutschen Rechtswissenschaft,

zur Darstellung

gebracht

werden.

Die Grundlage zu seinem Rufe als hervorragender Rechtsgelehrter wurde gelegt durch Beselers dreibändiges Werk „Über die Lehre vou

den Erbverträgen", dessen zweiter, dogmatischer und dogmengeschicht­ licher Teil

schloß.

dem

ersten,

rechtsgeschichtlichen sich 1837 und 1840 an­

Das Buch tritt nach Anlage, Bedeutung und Selbständigkeit

der deutschrechtlichen Auffassung

zunächst neben Albrechts Gewere,

III. Der germanistische Ansturm.

511

3) Beseler

Während es an Vollständigkeit und Reichtum der Durchführung eher noch darüber

So ist es von

hinausgeht.

allen Seiten,

namentlich

von Albrecht^") selbst, mit freudigster Anerkennung begrüßt worden, im

geschichtlichen Teile

wegen

deutschrechtliche, unmittelbar Sinne

weitblickenden Aufbaues

des

dinglich

erbrechtliche Vergabung

wirksame,

von Todes wegen,

auf die

im römischen

nicht

im dogmatischen

Teile wegen des darin besonders bekundeten Talents „für die freieren

geistigen Operationen

des Germanisten."

deutschen

„dessen Sätze fast ohne Ausnahme nur einer

Privatrecht,

inneren Begründung fähig sind",

mit der

Konsequenz,

Denn bei

komme es

an

vorzüglich

sie aus höheren Prinzipien

gemeinen

dem

auf die

abgeleitet werden,

auf die Harmonie mit den Lebenszwecken und Verhältnissen, für die sie berechnet sind, und auf den organischen Zusammenhang,

sie untereinander und mit dem

ganzen

in dem

übrigen Rechtssystem stehen.

Dabei wisse Beseler aber auch das zerstreute Material gewissenhaft

zu sammeln und zu verwerten und die Vorarbeiten Anderer (nament­ lich Hasses)

geschickt

und

selbständig

zu benutzen.

„Hierzu kommt

endlich, daß ihm die Gabe einer gefälligen und lebendigen Darstellung

in einem Grade zu Gebote steht, wie sie in der juristischen Literatur

noch immer eine Seltenheit ist." Deutlich tritt aus dieser Kritik für den Kritiker wie für den Be­

daß beide große Förderer des deutschen Privat­

sprochenen hervor,

rechts vor den Romanisten

ihrer Zeit

von der man wohl

darf,

sagen

eine Tugend

voraushaben,

daß sie aus der Not

geboren ist.

Während die Romanisten auf ihre Gesetzestexte mit eiserner Logik eine

Zwangsanstalt aufbauen, die als solche das Leben in ihre Fesseln zu.

schlagen beansprucht, und zwar nicht ohne inneres Wohlgefallen an

einem solchen Verfahren, gemäß dem Stolze wissenschaftlicher Einseitig­ keit, der der historischen Schule von jeher eignet; so sind die Germanisten darauf angewiesen, sich mit allen anderen lebendigen Strömungen des Volkslebens zu verbinden, um die mangelhafte positiv-gemeinrechtliche

Grundlage zu ergänzen, sind sie aber auch zu solcher elastischer An­

bequemung infolge desselben Mangels eher in der Lage. sie namentlich

auch

der praktisch-positivistischen Richtung

So stehen

und selbst

einem gemäßigten Rationalismus weit näher, als die Romanisten in der historischen Schule.

wußten Aufgabe,

Und namentlich machen sie es sich zur be­

eine gemeinrechtliche Gesetzgebung vorzubereiten, die

gleichzeitig einem praktischen Bedürfnisse abhelfen und ihren germani-

Siebzehntes Kapitel.

512

stischen Forschungsergebnissen eigentlich

erst gemeinrechtliche Geltung

verschaffen soll, eine Geltung, die dafür zunächst mehr aus nationalen Gründen in Anspruch genommen, denn als schon vorhanden nach­

gewiesen wird. Eine sichere statt einer problematischen Existenz können diese aus Antiquitäten und aus territorialen Einzelheiten erschlossenen

germanistischen Rechtsgedanken nur durch die Verkörperung in einer

Kodifikation gewinnen, schon darum nimmt in bezug auf diesen Aus­ gangspunkt

der

historischen

Schule

jüngere

dieser

germanistische

Flügel Stellung gegen Savigny unter Annäherung an Thibaut und

Mittermaier.

Solche Rechtsgedanken,

die,

deutschen Vergangenheit ent­

der

nommen, an die Pforte der Zukunft bedeutsam anpochen, hat Beseler zu prägen mehrfach besonderes Geschick erwiesen.

So greift er schön

im dritten Bande auf eine Reihe weiterer, dem Erbvertrage nur ver­ wandter Einrichtungen über, die Familienverträge, die Familienfidei­

kommisse, die Erbverbrüderung, Ehestiftungen, Einkindschast und Erb­ verzicht. einzelne

Dahin bahnt er sich den Weg u. a. durch die Ansicht, die

Familie

des

hohen Adels

Summe einzelner Individuen,

erscheine

sondern

Ganzes, als eine Genossenschaft.

nicht bloß

als

eine

als ein davon verschiedenes

Damit aber taucht ein Begriff in

Beselers Darstellungskreise auf, der für seine weitere Arbeit von maß­ gebendem Einflüsse werden sollte. Ähnlich steht es wiederum um den Begriff der Treuhänderschaft, mit dem die Einrichtung der Testaments­

vollstreckung so untrennbar zusammenhängt; jener erschloß sich Beseler

1845, als er bei seinem Eintritte in die Zeitschrift für deutsches Recht für diese seinen grundlegenden Aufsatz über Testamentsvollzieher schrieb"). Das Datum dieser Veröffentlichung reicht jedoch schon hinaus über

dasjenige, das für die Literärgeschichte im allgemeinen bedeutsamer ist,

das Jahr 1843, in dem Beseler mit seinem „Volksrecht und Juristen­

recht" hervortrat. Ein leises Vorspiel hierfür war die Rede gewesen, mit der Beseler seine Professur zu Basel angetreten

hatte").

Er hatte da haupt­

sächlich die deutschen Verhältnisse im Volks- und Rechtsleben, wie sie um Ende des Mittelalters lagen, den römischen Rechts- und Lebens­

verhältnissen zur Zeit Justinians plastisch entgegengesetzt, um von da aus die Rezeption als eine der Nation unvernünftiger und unpassender­

weise aufgezwnngene Verirrung darzustellen.

Nimmt man hinzu, daß

in den „Erbverträgen" Beseler auf besondere Schwierigkeiten für den

III. Der germanistische Ansturm.

513

3) Beseler.

Nachweis gewohnheitsrechtlicher Begründung im strengeren Sinne gestoßen war und daher mit einem besonderen „Juristenrecht" neben lern Gewohnheitsrecht zu arbeiten sich veranlaßt gesehen hatte, sso

dürften die Gedankenfaden nachgewiesen sein, die zu der Bildung des Schlagwortes, wie der Grundgedanken für „Volksrecht und Juristen­

recht" hinüberführen. Das SBerf13) will offenbar nach Titel und Anlage eine Revision des Programms der historischen Schule sein, insbesondere ihrer Lehre von der Rechtsentstehung. Es will von derselben Grundlage ausgehen, aber durch Betonung des nationalen volkstümlichen Ele­ ments alsbald andere Wege einschlagen.

Weil Beseler in der Ent-

wicklung der Dinge, die zur Rezeption geführt haben, eine „Ver­

krüppelung", in der Rezeption ein „Nationalunglück"M) sieht,

das

dem deutschen Rechtsleben aufgenötigt sei durch die gelehrten Juristen, weil er daneben aber mit der gesamten historischen Schule an der Möglichkeit unbewußt ursprünglicher Gewohnheitsrechtsbildung aus der Volksseele hervor festhält, darum braucht er zwei Arten des Gewohnheitsrechts: Volksrecht und Juristenrecht. Schon in der Be­ zeichnung liegt ein Urteil, hier lobend, dort tadelnd. Dazwischen

schiebt er noch, wesentlich Wohl um dem in den Erbverträgen empfun­ denen praktischen Bedürfnisse abzuhelfen, ein Mittelding, als eine Unterart des Volksrechts, ein, das nicht ganz klar herausgebildet, auch wohl zu verschiedenen Zeiten von ihm verschieden behandelt ist, das von ihm sog. „Herkommen"^). Dadurch wird manche Unklarheit

hervorgerufen, über die Beselers sicherer Vortrag leicht hinwegführt. Jedenfalls wird es ihm auf diese Weise möglich, von Savignys Leit­ motiven das romantisch geschichtliche beizubehalten, das naturgesetzlich evolutionistische aber abzustoßen, dem alles Bestehende vernünftig und billigenswert erscheint. Auch er wäre bereit, den Juristen ein Volks­ mandat zur Rechtsfortbildung zuzugestehen; aber weil er findet, daß

sie dieses Mandat bei und seit der Rezeption gegen die Gesinnung des Auftraggebers ausgeübt haben, lehnt er sich gegen das Ergebnis des Juristenrechts auf und greift zum reinen Volksrecht zurück, soweit er noch Spuren davon unmittelbar oder im „Herkommen" auffinden kann. Diese Spuren sollen sich nun durch geschichtliche Forschung

und durch Wiederanknüpfung an altnationale Rechtszustände erkennen lassen, außerdem noch deutlich aus der unmittelbaren Beobachtung des heutigen Volkswesens.

Letztere soll erfolgen durch Sammlung

Landsbern, Geschichte der deutschen Rechtrwissenschast. II. Text.

33

514

Siebzehntes Kapitel. was man in

von Erfahrungen über das,

beteiligten Kreisen „von

denen man nach ihrer Stellung und ihrem Charakter -ettoatten darf, daß

sie

bestem Wissen

die Wahrheit nach

Recht ansieht;

werden"16),

sagen

als

während es dann Sache der Wissenschaft ist, den so

zu

gewonnenen Rechtsstoff

großen

leitenden Ideen

durchzudenken,

die Prinzipien daraus hervorzuarbeiten und dadurch auch wieder der

Durchführung im einzelnen die gehörige Sicherheit und Anerkennung zu verschaffen.

So kommen z. B. kaufmännische Pareres als beste Quelle zur Ermittlung des Handelsrechts in Betracht; der leitende Gedanke aber,

der sich daraus

ergibt, ist das Prinzip des kaufmännischen Kredits,

aus dem dann wieder zahlreiche Einzelheiten erschlossen werden können. So

werden

ferner zahlreiche Belege für

den Fortbestand deutschen

Volksrechts im gemeinen Landrecht wie im gemeinen Ständerecht der Gegenwart angeführt, die zu einem Institut hinleitenn), „welches so recht im Nationalcharakter seine Wurzel hat und, eben deswegen von

dem römischen Recht

und

gehemmt und unterdrückt,

den Romanisten doch

stets

bei den

auf

alle Weise beengt,

traurigsten Zuständen

des Vaterlandes sein Leben fristete, in neuester Zeit aber, da sich in der Nation

der Anfang

einer

freieren

Erhebung zeigt,

sofort seine

volle Kraft wieder entwickelt und auf die großartigste Weise in das

öffentliche und Privatleben eingreift": zu der Genossenschaft. Ein beson­ derer Abschnitt des Buches ist diesem Rechtsgebilde gewidmet, bestimmt, es dem juristischen Bewußtsein der Gegenwart aus seinen historischen

Ursprüngen wieder nahe zu bringen, zugleich aber den mannigfachen Gestaltungen, in denen es sich offenbart,

wissenschaftlichen Begriff abzugewinnen.

das leitende Prinzip,

Dabei ist

den

denn auch schon

der Name und Gedanke des Gesamteigentums aufgestellt, als des In­

begriffes genossenschaftlicher „Vermögensrechte in ihrer verschiedenartigen

Zusammenstellung und Gestaltung", also genau so mannigfaltig, wie wir noch heute den Begriff der Gesamtrechtsverhältniffe handhaben.

Auf diese Weise gelingt es Beseler, für sein Volksrecht die Macht sowohl der nationalen Überlieferungen, wie der gegenwärtigen Volks­

anschauung und des modernen Rechtsempfindens in Anspruch zu nehmen. Beseler redet schon geradezu18) von den „in den Lebensverhältnissen ruhenden Normen"; an Stelle des Volksbewußtseins wird ihm damit

eigentlich

das

praktische Rechtsbedürfnis

zur Rechtsquelle.

Ja, er

scheut vor dieser Verwechslung so wenig zurück, daß er eben deshalb

III. Der germanistische Ansturm.

Wieder Laien in die Gerichte eingeführt sehen möchte,

konkreten Falle

ihre

515

3) Bescler.

damit diese im

Kraft zu betätigen,

rechtsschöpferische

wahres

Volksrecht gleichzeitig zu finden, anzuwenden und zu bezeugen ver­ möchten.

Wiederum bemerkt man deutlich, wie diese Germanistik im

Gegensatze gegen den weltstemd auf wissenschaftlichen Abstraktionen tronenden Romanismus es versteht, sich mit allen Regungen der Zeit zu verbinden: Beseler gelangt auf diesem Wege bereits zu lebhafter

Polemik gegen die von Leben entfremdeten, chem

der Regierung abhängigen, Verständnisse

des

dem praktischen

Volksrechts

abgeneigten

reinen Juristengerichte und zu der Empfehlung, wennschon nicht reiner

Volksgerichte, da dies utopistisch übertrieben wäre, so doch „gemischter Gerichte", und zwar der Schöffengerichte, die in diesem Zusammen­

hang damals mit den Schwurgerichten zu wetteifern beginnen.

Beseler,

der sie hier noch den Geschworenengerichten vorzieht, ist für Straf­

sachen einige Jahre später umgekehrter Ansicht geworden^);

schloß er sich in dieser Beziehung noch Reyscher^) an,

damals

mit dem er

auch wieder in der Stellungnahme zur Kodifikationsfiage zusammen­

trifft.

Wie das Gewohnheitsrecht ein Fluch, so kann die Kodifikation

ein Segen sein, wenn sie zum Volksrechte zurückkehrt, besonders wenn

sie in Deutschland mit der seit der Rezeption eingetretenen unseligen Rechts-Duplizität aufiäumen möchte.

liches Hindernis,

daß für

Dabei wäre selbst kein wesent­

die wahrhaft wissenschaftliche Erforschung

des geltenden Rechtszustandes gerade den Germanisten noch manches zu tun übrig bleibt21).

„Denn wenn wir uns nur im Besitze der

richtigen wissenschaftlichen Methode befinden, so läßt sich ein solcher Mangel durch das auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Studium bald ersetzen, und selbst wenn ein tieferes Eingehen, als eben möglich, noch

manche Lücken ausfüllen könnte, so wird die Kunst des Gesetzgebers, von der rechten politischen Einsicht und einer nationalen Rechts­ anschauung getragen, dafür schon einen Ersatz zu geben wissen. Über­

haupt entziehen einzelne Schwächen, welche allem Menschlichen an­

hängen, einem an sich großen und guten Werke noch nicht sein Ver­

Man leiste, was man vermag;

dienst."

„denn

auch

nur Weniges

vollbringen ist würdiger und männlicher, als träge zu ruhen und den

Späteren die ganze Arbeit zu überlassen."

Aber freilich, die Hinder­

nisse rein politischer Natur, die in Deutschland jeder Kodifikation im

Wege

stehen,

windlich.

sind

zunächst und auf absehbare Zeit noch unüber­

516

Siebzehntes Kapitel.

So setzt sich das Werk zusammen aus einer Menge förderlicher

Anregungen, glücklicher Treffer, volkstümlicher Forderungen und halb­ wahrer, nicht durchgedachter, bloß dem Zweck zu dienen bestimmter Ideen; aus fast divinatorischen Eingebungen und aus Banalitäten,

aus Ergebnissen gründlichster rechtsgeschichtlicher Forschung und aus

populären Schlagworten. Die wissenschaftliche Kritik, die alsbald von allen Seiten her da­ gegen einsetzte, hatte demgemäß nicht eben schweres Spiel. An ihrer Spitze zerriß Puchta22) mit aller absprechenden Unversöhnlichkeit seiner

Logik in einer ausführlichen Erörterung das Beselersche Gewebe in

seine einzelnen Bestandteile,

zeigte darin Widersprüche und Lücken

aufs deutlichste auf und hob namentlich hervor, diese Rechtsentstehungs­ lehre sei deshalb so tadelnswert, weil sie einen Rückschritt gegenüber

dem bereits Erreichten, eine Preisgabe des gerade erst gewonnenen, festen positivrechtlichen Fundamentes und eine Bevorzugung ungebildeter Rohheit vor streng wissenschaftlichem Studium bedeute, — Bvrwürfe,

auf die Beseler tatsächlich eigentlich nur mit Berufung auf seine per­ sönliche ehrliche Überzeugung, auf die Macht der Wahrheit und der

nationalen Interessen, die für ihn stritten,

zu antworten toetfc23).

Aber auch von positivistischer Seite her mußte er scharfen Widerspruch erleben, indem Wächter2^) gegen die Verwechslung wissenschaftlich ge­

wonnener Abstraktionen mit positiv geltenden Rechtssätzen seine war­ nende Stimme erhob und damit die germanistischen Gebilde Beselers

in die Stellung problematischer Lückenbüßer zurückverwies, während gleichzeitig, und wiederum nicht ganz mit Unrecht, einer der wenigen Rationalisten unter den Jüngeren, Reinhold Schmid23), sich bemühte, Beseler nachzuweisen, daß er noch allzusehr an der Formel der historischen Schule hafte, daß er damit nicht genügend gebrochen habe und so zu verkehrten Halbheiten komme, daß statt dessen weit mehr auf eine vernünftige klare Methodologie des geltenden Rechts Wert gelegt werden müsse, was denn freilich der Herrschaft römischer Rechts­ vorstellungen zugute kommen werde. — Als sich allen diesen gegnerischen Äußerungen endlich auch eine Stimme aus dem eigenen Lager, eine

besondere Schrift23) von Beselers altem Freunde Heinrich Thöl ge­ sellte, deren haarscharfe Logik den ausgesprochenen Zweck verfolgt,

Beselers neue Begriffe als unklar, rückschrittlich und irreführend ab­ zuwehren und seinen „Rechtsgedanken", besonders gerade auch denen über Genossenschaft und Gesamteigentum, absolute Unhaltbarkeit nach-

III. Der germanistische Ansturm.

3) Beseler.

zuweisen — da hätte man meinen sollen,

517

es sei um jede Aussicht

eines Erfolges für das von so vielen Schlägen getroffene, von allen Seiten her abgewiesene26 *) und widerlegte Werk geschehen, es werde spurlos von der Bildfläche zu verschwinden bestimmt sein. Genau das Gegenteil ist eingetreten

gegnungen sind vergessen;

dagegen

Alle jene sieghaften Ent­

ist Beseler durch seine Schrift

über Volksrecht und Juristenrecht an die Spitze der germanistischen

Bewegung gehoben worden, hat diese Spitze damit dauernd behauptet

und

wird

dauernd

wegen

machenden Bedeutung

bleiben.

dieser Schrift und wegen ihrer epoche­

weit über engste

Fachkreise

hinaus bekannt

Ihr Einfluß reicht über das gemeinsame deutsche Handels­

gesetzbuch von 1861 hinaus bis in das deutsche bürgerliche Gesetz­ buch des 20. Jahrhunderts, vermittelt in diesem letzteren Falle wesent­

lich durch die so erfolgreich gewordene Kritik, die Beselers großer

Schüler Giercke an dem ersten, überwiegend romanifierenden Entwürfe dieses Gesetzgebungswerkes geübt hat22). Die Erklärung dafür hat schon Hübner2^ gegeben durch den

Hinweis darauf, daß Beseler auch als Jurist in erster und in letzter Linie — Politiker war; eben als solcher hat er sich vor allem in'

„Volksrecht und Juristenrecht" gezeigt. dogmatischen methodologisch

Die Schrift mochte in ihren

Grundlagen und

Einzelheiten

so

sein:

noch

anfechtbar

gingen an ihrem Kern einfach vorüber.

logisch,

wissenschaftlich,

diese

Widerlegungen

alle

Dieser lag eben überwiegend

in der politisch-nationalen Seite, unterstützt allerdings durch eine Reihe

treffender, weittragender Rechtsgedanken.

All das war unfertig, un­

bewiesen, bedenklich; aber es war reich an Keimen für zukünftige

Gestaltung, daher als Fundgrube wirksam auf die gelehrten Rechts­

forscher; es war entgegenkommend gegen die Bedürfnisse und Betäti­ gungsstrebungen der Praxis, der die Romanistik so kühl ablehnend gegenüberstand, daher wirksam auf die Rechtspraktiker; und es war von hinreißendem politisch-nationalem Schwünge, daher wirksam auf weitere Kreise, an die die Schrift sich ausdrücklich wendet, ja auf die

Nation im ganzen, die fühlte, daß es sich um ihre Sache handelte. In dieser gerade in Deutschland so seltenen Verbindung von gründ­

licher wissenschaftlicher Vorbildung, freier juristischer Gedankenschöpfung

und zielbewußter politischer Tendenz liegt Beselers dauernde Kraft. In seiner Übereinstimmung mit der Zeitströmung liegt mehr nur das

Geheimnis seines augenblicklichen Erfolges während der Jahre ge-

steigertet nationaler Empfindung und Spannung, die dem Ausbruche des Jahres 1848 vorangingen. Hat er doch auch noch während jener Jahre die Grurdlage zu dem umfassenden Werke gelegt, durch das er wieder streng wissen­ schaftlich vorgegangen ist und damit seine Stellung an der Spitze der deutschen Privatrechtsdogmatik befestigt hat, wenn es zur Voll­ endung und weiteren Umarbeitung dieses Werkes auch erst nach den Stürmen der 48er Jahre kommen sollte. Beselers „System des ge­ meinen deutschen Privatrechts" erschien im ersten Bande 1847, im zweiten und dritten Bande 1853 und 1855; die drei weiteren Auf­ lagen von 1866, 1873 und 1885 haben wesentlich^) des Verfassers spätere schriftstellerische Tätigkeit auf sich vereinigt. — Das Buch sollte vor allem eine Revision der historisch-schulmäßigen Lehre von den Rechtsquellen geben, im Anschlüsse an „Volksrecht und Juristen­ recht", aber in seinerseits wieder mehr schulmäßiger Formulierung. Es sollte dann aber namentlich durch die Tat nachweisen, wie die theoretischen Schwierigkeiten des deutschen Privatrechts — Abgrenzung zwischen Staats- und Privatrecht, zwischen römischem und deutschem Recht, zwischen geschichtlicher und dogmatischer Darstellung, zwischen Berücksichtigung des Rechts stammesverwandter Völker und deutscher Partikularrechte — zu lösen seien, so daß ein vollständiges ge­ schlossenes „System" im Geiste des deutschen Privatrechts daraus hervorging. Darum ist der erste Band ausschließlich dem allge­ meinen Teil und dem Personenrecht, der dritte Band dem Stände­ recht, von dem des hohen Adels bis zum Handels- und Wechselrecht, gewidmet. Das schön geschriebene, überall gut orientierende und in vielen Einzelpunkten selbständig neue Wege gehende Buch hat sofort seinen wohlverdienten Erfolg davongetragen, und hat ihn ebenso in den weiteren, stets auf der Höhe gehaltenen Auflagen behauptet. In Fachzirkeln mag man um seinetwillen und um der „Erbverträge" willen den Beseler des „Volks- und Juristenrechts" später hingenommen haben; für die Literär- und Kulturgeschichte aber bleibt Beseler hauptsächlich der Verfasser dieses Buches, wie er denn darin auch wohl selbst stets seine eigenste, persönliche Schöpfung gesehen hat. Noch 1888, im letzten Jahre seines Lebens, als er da eben noch den ersten Entwurf zum deutschen bürgerlichen Gesetzbuche kennen lernen durfte, für dessen Zustandekommen er früher so viel geroirft30), aber auch später noch so lebhaft sich interessiert hatte, scheint er daran

m. Der german. Ansturm. 4) Die Germanistenversammlungen.

519

hauptsächlich den Maßstab der Volkstümlichkeit gelegt zu haben, ge­

klagt zu haben, daß er darin nur allzu oft statt volkstümlichen Rechts abstraktes Juristenrecht treffe, statt deutscher Rechtsgedanken romanistische Schulbegriffe, statt schöpferischer Neubildung im Geiste der Neuzeit trockene Einzelarbeit. Wenn es Giercke ist, der uns dies in seinem Nachrufe auf Beseler nach den letzten Einträgen Beselers

in sein Notizbuch berichtet, so wird der Schluß gestattet sein, daß Gierckes bereits erwähnte Entwurfskritik damit im allernächsten, sach­ lichen und gefühlsmäßigen Zusammenhänge steht. Die Ideen der 48er Jahre sind es, die im neuen deutschen Reich unter günstigeren

politischen Verhältnissen wieder aufleben und ihre politisch-nationale

Anerkennung durchsetzen. 4. Am mächtigsten und hinreißendsten ist aber bekanntlich der Zusammenhang der germanistischen Rechtswissenschaft mit solchen politisch-nationalen Ideen und Strebungen hervorgetreten, wenn wir in die 40 er Jahre zurückkehren, durch die beiden großen GermanistenVersammlungen, die 1846 im Kaisersaal zu Frankfurt am Main, 1847 im Rathause zu Lübeck getagt haben Z.

Die Anregung hierzu ist wieder von Reyscher ausgegangen 2) und zwar von vornherein in der Weise, daß man an eine Versammlung aller Gelehrten dachte, die für deutsches Recht, deutsche Geschichte und deutsche Sprache tätig seien. Daß nicht auch die zur wissen­ schaftlichen Pflege der deutschen Volkswirtschaft berufenen Kreise zu­ gezogen wurden, darf um so mehr befremden, als gerade Reyscher bei anderer Gelegenheits) sehr wohl die Äußerungen zu verwerten

gewußt hatte, die List gegen das römische Recht in seinem Werke von 1841 über „Das nationale System der politischen Ökonomie" tut, Äußerungen, die mit ihrer Behauptung einer tiefen und dauernden Schädigung der deutschen Volkskraft durch die Rezeption doch ent­ schieden einen wesentlichen Ton zum germanistischen Konzert beizu­

steuern imstande waren. Offenbar aber ist der idealistische Zug der Zeit damals solcher realistischer Begründung, überhaupt der Zulassung der Wirtschaftslehre in die gelehrte Gesellschaft noch abgeneigt, und so bleibt diese auf Sprache, Geschichte und Recht beschränkt. Das Einladungsschreiben, das die Germanisten nach Frankfurt beruft, ist unterzeichnet von: E. M. Arndt, Beseler, Dahlmann, Falck, Gervinus,

Jakob Grimm, Wilhelm Grimm, Haupt, Lachmann, Lappenberg, Mittermaier, Pertz, Ranke, Reyscher, Runde, A. Schmidt, Uhland, Wilda.

520

Siebzehntes Kapitel.

Wie man |fiet)t, eine beeindruckende Reihe erlauchter Namen l Ihr entsprach der Erfolg, indem eine starke Anzahl hervorragender und tüchtiger Männer aller Fächer und Territorien in Frankfurt

und Lübeck erschienen, und die Verhandlungen beider Tage die all­ gemeine Aufmerksamkeit lebhaft erregten. Als Vorsitzender bei den öffentlichen Sitzungen wurde beide Male auf Uhlands Vorschlag Jakob Grimm durch allgemeinen Zuruf bezeichnet, das. Präsidium der juristischen Abteilungssitzungen führte beide Male Mittermaier. Verhandelt wurde hauptsächlich: über die Schleswig-Holstein-Lauen-

burgische Frage, natürlich unter ausdrücklicher Betonung,

daß das

lediglich vom streng staatsrechtlich wissenschaftlichen, nicht vom poli­ tischen Standpunkte aus geschehe; ferner über Geschworenengerichte,

während beider Tage sehr eingehend, zu Lübeck auf Grund eines Berichtes, den eine dafür zu Frankfurt eingesetzte Kommission unter Hauptbeteiligung Mittermaiers erstattete, ganz überwiegend zugunsten

dieses Instituts; weiterhin über gesetzgeberische Pläne, nämlich über

den näherliegenden einer deutschen Wechselordnung (Thöl) und über den entfernteren eines allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, wobei eigentlich nur die beiden Romanisten, von der Pfordten und Wächter, widersprachen; und endlich (von strenger juristischen Fragen), über das Maß der Herrschaft des römischen Rechts in Deutschland-

und was damit zusammenhängt, die Bedeutung und Berechtigung der Rezeption, die Einheitlichkeit des deutschen Rechts und den Begriff des gemeinen Rechts, letzteres zu Frankfurt in der juristischen Ab­ teilung auf besondere Anregung von feiten Wildas her. „Das Re­ sultat dieses mit vielen einzelnen Zwischenverhandlungen geleiteten Streites", so berichten die Protokolle^), „in welchem sich die meisten

Teilnehmer dieser Sitzung vereinigten, war das: Es gibt ein ge­ meines deutsches Recht, das einen subsidiären Wert hat. Es ist ein durch die Rechtsgeschichte widerlegter Irrtum, daß nur das römische Recht als gemeines Recht in Deutschland gelte; römisches und deut­ sches Recht bilden vielmehr in ihrer Ergänzung und Durchdringung das gemeine Recht. Das heutige Recht ist aus der Mischung germa­ nischer und römischer Elemente hervorgegangen, das römische Recht ist nicht als Ganzes, wie ein Gesetzbuch, in Deutschland ausgenommen, sondern in vielfachen Modifikationen, durch germanische Sitten, Ein­

richtungen, politische und soziale Zustände. Das Studium dieses, deutsch gewordenen römischen Rechts verdient besondere Beachtung."

UI. Der german. Ansturm.

4) Die Germanistenversammlungen.

521

Viel stärker freilich hatten sich die Hauptredner gegen das römische

Recht ausgesprochen, neben Reyscher besonders noch der Ministerialrat Christs, aber ganz entschieden auch Mittermaier, der seine italienischen

Reiseeindrücke zu Hilfe gerufen hatte, um zu zeigen, wie das römische Recht noch dem heutigen Italiener auf den Leib geschrieben sei, also

Aber es hatte denn

für den Deutschen unpassend und unbequem.

doch auch nicht 'an gemäßigteren Elementen unter den Anwesenden

gemangelt.

Man wird wohl nicht irre gehen, wenn man Warnkönig,

Heffter, Henke, Reinhold Schmid und Wetzell dazu

rechnet;

und

selbst Gaupp hatte vorsichtig in Frankfurt darauf verwiesen, daß die

Steigerung des Ansehens des deutschen Rechts nicht von solchen all­

gemeinen Prinzipien, sonderns

„hauptsächlich davon abhänge, daß

die Wissenschaft sich bemühe, die deutschen Rechtselemente aus den zerstreuten Rechtsquellen ans Licht zu bringen, so daß sie von der

Gesetzgebung und Praxis aufgefaßt und wieder in das Rechtsleben eingeführt werden können." — So wird man die soeben als von

den meisten Teilnehmern gebilligt angeführten Sätze des Protokolls wohl als eine Einigung auf ein Minimum ansehen müssen, an dem man denn nun aber auch den Romanisten gegenüber um so ent­ schiedener festhielt.

gleichsam

um

Von diesen waren dann auf besondere Einladung,

als Angeklagte

Lübeck erschienen,

ihre Sache zu

nicht nur Bluhme,

dessen

vertreten,

einige

in

quellenherausgebende

Tätigkeit ihn ja auch den Germanisten gesellte, sondern Buchka, Fein, Jhering, von der Pfordten und Wächter.

Ferner waren in Lübeck

die gemäßigten Germanisten entschieden stärker vertreten, da dieses

Mal Albrecht und Homeyer in der Präsenzliste uns begegnen, die in Frankfurt gefehlt hatten.

Nichtsdestoweniger aber wurde von der

Pfordten, als er für das Corpus juris civilis Geltung im Sinne

eines Gesetzbuches in Anspruch nahm, von Beseler, offenbar unter Zustimmung der überwältigenden Majorität, gerade damit entschieden

zurückgewiesen7). Im übrigen wurden immerhin manche Übereinstimmungen auch mit den Romanisten festgestellt.

Hauptsächlich jedoch bloß deßhalb,

weil die romanistischen Wortführer, von der Pfordten und Wächter, sich

sehr

äußerten.

entgegenkommend

und

namentlich

auch

lebhaft national

Man hat eigentlich den Eindruck, daß es fast nur noch

ein Rückzugsgefecht ist, das [sie führen, während die Germanisten

nach wie vor entschieden im Vorrücken bleiben.

Das

aber hängt

Siebzehntes Kapitel.

522

natürlich wieder damit zusammen, daß die schärfer konservativ romanistische Tonart eines Puchta und seiner Schule denn doch eben von der Versammlung, trotz einiger Anläufe zur Unparteilichkeit, ausge­

schlossen war.

Man hätte einzelnen ihrer Vertreter auch kaum zu­

muten können, dort zu erscheinen, wo sie von vornherein in hoffnungs­ loser Minderheit dem Geiste der ganzen Versammlung gegenüber ge­ wesen wären. Erst als man an die Germanisten-Tagungen, lange

nach den Stürmen der 48er Jahre, wiederum anknüpfte, nun aber mit der gänzlich geänderten politischen Grundlage die Geschichts- und Sprachforschung ausgeschieden und dagegen allen Elementen und Ver­ tretern des in Deutschland geltenden Rechts als Gleichberechtigten der

Eintritt freigegeben wurde, mochten auch die Romanisten jeder Färbung in größerer Zahl sich anschließen, so daß aus dieser Umformung nun 1860, während im folgenden Jahre Reyschers Zeitschrift zu erscheinen aufhörte, der „Deutsche Juristentag" hervorgehen konnte, bei dessen

erstmaligem Zusammentritte in Berlin Wächter durch Akklamation zum Damals Frankfurt und Lübeck, jetzt

Vorsitzenden gewählt wurde.

Berlin; damals Jakob Grimm und Mittermaier, jetzt Wächter — das ist bezeichnend für den Wechsel der Zeiten und der Menschen. Jetzt stand man, weit praktischer und einsichtiger geworden, im Ein­ klänge mit der politischen Vormacht und nahe vor der Verwirklichung alter nationaler Träume; damals mußte der nationale Drang, von

offen politischer Betätigung noch zurückgedrängt, Befriedigung suchen in wissenschaftlich idealem Schwünge, im Kampfe der Geister gegen die Romanisten, die sich wohl oder übel mit der unmittelbar un­ angreifbaren konservativen Weltanschauung verwechseln lassen und die

Vieser zugedachten Schläge hinnehmen mußten. In diesem Sinne besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen den Germanistentagungen zu Frankfurt und Lübeck und der National­ versammlung in der Paulskirche. Diese Versammlung mit den vielen Professoren unter ihren Mitgliedern ist wohl geradezu als eine Fort­ führung jener Tagungen angesehen toorben8), während eine zunächst

geplante unmittelbare Fortsetzung dieser letzteren als solcher unter­ blieben ist. Der „Kampf" der Germanisten und Romanisten ist seit­

dem nicht mehr von politischen Elementen getrübt oder getragen, wie man es ansehen will.

Er ist auch sonst wohl, wenigstens zunächst,

in ein ruhigeres Stadium getreten; als antagonistisches Prinzip ist aber der Gegensatz romanistischer und germanistischer Bildung und

IV. Sonstige Germanisten.

1) Duncker und Kraut.

523

Auffassung innerhalb der Rechtswissenschaft bis heute lebendig und förderlich, wie es Beseler schon in der Hauptsache zum Schlüsse der lübischen Verhandlungen ausgesprochen hat§).

IV. Neben dem bisher geschilderten germanistischen Ansturm geht die Tätigkeit derjenigen Männer her, für die der Nachdruck mehr auf die sachliche Forschung als auf polemisch-politische Tendenz fällt.

Nicht als ob es sich hier ausschließlich um stille Gelehrtennaturen handelte, die, grundsätzlich dem Kampfe abgeneigt oder gar des Ver­ ständnisses und der Begeisterung für die nationale und kulturelle Bedeutung ihres Faches bar, jede Parteinahme vermieden hätten. Vielmehr werden wir neben Neutralen, Zurückhaltenden, der Roma­ nistik sachlich oder persönlich Näherstehenden die verschiedenartigsten Übergänge zu der anderen Tonart hinüber treffen, und darunter auch

hier wieder eine ganze Anzahl solcher Juristen, die, wie z. B. Gaupp und Bluntschli, von vornherein zu den entschiedensten Germanisten

im nationalistischen Sinne des Wortes gehören und diese ihre Ge­ sinnung auch im Kampfe lebhaft betätigen. Nur daß dies bei ihnen nicht das dauernd vorherrschende Leitmotiv des wissenschaftlichen Wirkens gewesen oder geblieben ist, so daß sie unter denselben Ge­ sichtspunkt wie die eigentlichen Stürmer und Dränger ausschließlich einordnen, heißen würde, ihrer Eigenart Zwang antun und den wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen der romanistisch-historischen Schule einerseits, der polemischen und der irenischen Germanistik andererseits, wenn man sich so ausdrücken darf — Puchta würde

sagen der ungemütlichen und der gemütlichen Germanistik — in irre­

führender Weise ausschalten. 1. Als Germanisten, für die das dogmatische Interesse trotz zweifelloser Zugehörigkeit zur allgemein geschichtlichen Schule im Vordergründe steht, sind aus dieser Zeit, wenn wir von Gerbers Frühwerken einstweilen noch absehcn, eigentlich nur zwei Juristen zu nennen, und zwar beide entschieden älteren Stils, nämlich Duncker und Kraut. Wir beginnen deshalb diesen Abschnitt mit ihnen, um uns alsdann der stärkeren Schar der überwiegend rechtshistorisch

tätigen Juristen zuzuwenden. Bon jenen beiden ist Duncker, dessen Tätigkeit durch einen frühen Tod schon 1847 abgeschnitten wurde, so daß seine Schriften alle noch um die Zeit der ersten germanistischen Schilderhebung liegen,

524

Siebzehntes Kapitel.

entschieden mehr konstruktiv, Kraut, der länger lebende und schaffende, mehr systematisch und deskriptiv veranlagt.

Von DunckerZ besitzen wir hauptsächlich zwei Monographien, über die Lehre von den Reallasten, 1837, und über das Gesamt­ eigentum, 1843. Offenbar sind beide Gegenstände mit scharfsinnigem. Verständnis gerade wegen der besonderen konstruktiven Schwierig­

keiten herausgegriffen, zu denen ihre Eigenart führt. In der Energie und folgerichtigen Klarheit juristischen Denkens, womit diese Aufgaben bewältigt werden, ist das Vorbild Albrechts unverkennbar. Aber

Duncker nimmt dabei nicht, wie Albrecht, eine besondere germanistischeGestaltungsfreiheit in Anspruch, sondern er unterwirft sein Rechts­

denken in weit stärkerem Maße der althergebrachten romanistischen Vorstellungswelt und Denkschablone. Weil er diese noch ganz naiv als die einzig logisch mögliche ansieht, so ist Duncker eifrig bemüht,

ihr jene beiden germanistischen Rechtsgebilde einzufügen, so gut oder schlecht es eben gehen mag. Konnten denn nun auch die Formeln, die Duncker zu diesem Behufe aufstellt, auf die Dauer nicht befriedigen, so ist doch andererseits unverkennbar, daß in diesem Verhalten Dünckers auch wieder ein berechtigter Protest gegen eine gewisse Laxheit liegt, die nur allzu leicht da einreißen konnte, wo der Germanist sich un­

bedenklich als solcher zu allen möglichen Freiheiten, auch der Logik gegenüber, für berechtigt ansah — schließlich doch für das Recht, das man nur mittels solcher Freiheiten darstellen zu können meinte, ein privilegium miserabile. Man wird darum die Bedeutung jener Entwicklung der Wissenschaft nicht allzu gering veranschlagen dürfen: Lassen sie gegenüber Albrechts Gewere, auf die sie einerseits zurückführen, auch noch so viel an innerem Rechtsverständnis vermissen, so führen sie andererseits unmittel­ Dunckerschen Monographien für die

bar vorwärts zu Gerber und Stobbe, die auch ihrerseits die von Duncker, obgleich in zu formalistischer Weise geübte konstruktive Strenge als Grundbedingung wahrer Wissenschaftlichkeit wieder ge­ fordert haben, freilich nicht ohne daß auch ihnen deswegen der Vor­ wurf des reaktionären Romanisierens entgegengeschleudert worden wäre. Wir werden unten in Kapitel 19 auf diese Zusammenhänge zurück­ zugreifen haben. Eine weit ausgedehntere Tätigkeit auszuüben war Krauts beschieden, der, als Schüler von Savigny und Eichhorn herangewachsen, 50 Jahre hindurch in deren Weise, ohne jeden Gegensatz zur Roma-

IV. Sonstige Germanisten.

2) Homeyer.

525

nistik, das deutsche Recht an der Universität Göttingen gelehrt hat. Er hat schon 1830 das 'Büchlein geschriebenes, wegen dessen er

dauernd in weiteren Kreisen bekannt geblieben ist, seinen „Grundriß Lu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehn- und Handelsrechts", 5. Auflage Göttingen 1872. Er hat damit annähernd, wennschon nicht vollständig, einen Einfluß auf ger­

manistische Studien und Vorlesungen geübt, wie Heise mittels seines

Grundrisses auf die Pandektenwissenschaft, namentlich auch infolge­ dessen, daß Kraut es verstand, in jeder späteren Auflage die neuen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung wirklich einzuarbeiten, und ferner durch die immer sorgfältigere Auswahl der beigegebenen Beleg­ stellen, von vornherein aber durch die glückliche und glatte Syste­ matik. Dadurch kommt dem Werkchen, das noch in den 70er Jahren

für das System des deutschen Privatrechts vielfach als maßgebend galt, auch seine wissenschaftliche Bedeutung zu, jedenfalls in weit höherem Maße als den meisten Erzeugnissen dieser Vorlesungskrücken­ literatur. Einige Zeit später erfolgte dann Krauts große monographische Leistung^), sein Lebenswerk über „Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts", Bd. 1, Einleitung und Lehre

von der Vormundschaft überhaupt, 1835; Bd. 2, die einzelnen Arten der Vormundschaft in geschichtlich-dogmatischer Darstellung, darunter besonders die Geschlechtsvormundschaft nach statutarischen Bestim­ mungen vorgeführt, 1847, und Bd. 3, die Lehns- und die Regierungs­ vormundschaft, 1849. Die Arbeit gehört zu dem festen Errungenschaftsbestande an grundlegender Forschung, den wir der historischen Schule verdanken. Gerade weil sie den reichen Stoff nicht allzusehr verarbeitet, sondern positivrechtlich getreu zusammenstellt und ordnet, bleibt sie als Ausgangspunkt weiterer Erörterung noch heute maß­

gebend. 2. Wenden wir uns nun den Rechtshistorikern zu, so ist vor

allem der Faden da wieder aufzunehmen, wo wir ihn bei der Dar­ stellung von Homeyers Wirksamkeit abreißen mußten, bei seinen Be­

mühungen um die Herausgabe des Sachsenspiegels, nach dem Tode Nietzsches, wodurch die ganze Last, aber auch die volle Selbständig­ keit jenem wieder zufiel. Der Gang der Entwicklung, der genügend für sich selbst spricht, ist hier nun im wesentlichen folgender: 1835 Erscheinen der zweiten Auf-

526

Siebzehntes Kapitel.

läge der Handausgabe, jetzt auf Grund von 24 Texten mit Parallel­ stellen, Literaturangaben, Auszügen aus den Glossen, Konkordanzen zu anderen Rechtsbüchern und mit erweitertem Index. — 1836 Druck und bloß unter der Hand (nicht im Buchhandel) erfolgte Ver­ breitung eines Verzeichnisses deutscher Rechtsbücher des Mittelalters und ihrer Handschriften, das eine Übersicht über den gesamten be­

kannten Handschriftenbestand vermitteln und Mitarbeiter in weitesten Kreisen zur Mitteilung von Vervollständigungen anregen sollte, die

denn auch reichlich eingingen. Das Werk wurde 1856 mit dem­ gemäß wesentlich (um fast 300 Handschriften) angewachsenem Inhalt wieder gedruckt und dieses Mal in üblicher Weise herausgegeben, von Homeyer aber in einem Handexemplar bis zu seinem Ende sorgfältigst

sortgeführt. — 1842 und 1844 die endgültige Ausgabe von „des

Sachsenspiegels zweiter Teil nebst den verwandten Rechtsbüchern", d. i. Bd. 1 von 1842 mit dem Lehnrecht und dem Richtsteig Lehn­ rechts, Bd. 2 von 1844 mit dem Auctor vetus de beneficiis, dem Görlitzer Rechtsbuch und mit einer von Homeyer dazu gearbeiteten, eigenen systematischen Darstellung des sächsischen Lehnrechts, beide Bände je 600 Seiten stark. Über 100 Handschriften und Drucke

sind klassifiziert, 60 benutzt, jedem Rechtsbuche eine Abhandlung über seine Geschichte voraufgeschickt. Das 'Homeyersche System des säch­ sischen Lehnrechts wird von Sachverständigen bezeichnet als „die voll­ kommenste Arbeit über ein mittelalterliches Rechtsinstitut, welche unsere Literatur besitzt", als würdigste Darstellung eines würdigen, weil

durch Fülle, Klarheit und Schönheit ausgezeichneten Vorwurfs. —

1857 der „Richtsteig LandrechtsT) nebst Cautela und Premis" auf Grund 30 jähriger Vorarbeit; gegen 70 Handschriften sind klassi­ fiziert, gegen 60 benutzt, ein obersächsischer Nebentext ist beigegeben

und unter den in der reichhaltigen Einleitung erörterten Gegenständen wird mit Vorliebe von dessen Verfasser, dem märkischen Ritter Johann v. Buch, gehandelt3). — Endlich 1859 „Die Genealogie der Hand­ schriften des Sachsenspiegels", die gegen 180 Texte in Familien und Gruppen zerlegt; und, darauf begründet, schließlich 1861 die letzte

und längst geplante Leistung: die endgültige Ausgabe — wenn man die beiden vorläufigen Handausgaben von 1827 und 18353) mit­ rechnet, die 3. — von „des Sachsenspiegels erstem Teil oder dem säch­ sischen Landrecht". Dabei sind 60 Texte verwertet, die Bilder aus den alten ^illustrierten Exemplaren herangezogen, die Summarien,

IV. Sonstige Germanisten.

527

2) Homeyer.

Glvssenauszüge und das Glossar vervollständigt, in der Einleitung Verzeichnisse

der

lateinischen

Übersetzungen

und

Drucke

gegeben,

namentlich aber ist ebendort wieder die Geschichte des Rechtsbuches klassisch festgelegt. — Zur letzten Vervollständigung ist eine Samm­ lung von

„Extravaganten des Sachsenspiegels" noch in demselben

Jahre 1861 hinzugekommen. Es läßt sich wohl keine banausischere, jämmerlichere und kurz­ sichtigere Auffassung denken als die gelegentlich zu Wort gekommene,

die Homeyer vorwarf, daß er seine hohe Begabung und den gewaltigen Fleiß vieler Jahrzehnte auf solche minutiös-kritische Aufgaben,

Lehnrecht außerdem noch besonders auf ein verwitterndes, Rechtsinstitut verschwendet habe.

wortete^),

er

besitze

eben

beim

obsoletes

Wenn Homeyer darauf bloß ant­

lediglich

die

„äußerlichen Fähigkeiten",

deren es zu solcher Arbeit bedürfe, als „Sammlerfleiß, Genauigkeit, Anordnungssinn"

und habe sich darum dabei beschieden, Größeres

Größeren überlassend, so wird man die subjektive Bescheidenheit dieser

Replik hinnehmen, objektiv aber entschieden protestieren müssen.

Viel­

mehr handelt es sich um eine wissenschaftliche Großtat, fruchtbar für

Generationen; „ohne höhere" — ich würde sagen höchste — „wissen­ schaftliche Tüchtigkeit versenkt man sich nicht in die Eigenart einer

Rechtsquelle, und ohne eigene schöpferische Kraft gelangt man nie dazu, im Geiste der Quelle sie rekonstruierend zu denken und zu

empfinden, wie es Homeyer gekonnt hat."

So wäre es begreiflich

und für ein wohlverwandtes Gelehrtcnleben wahrlich mehr als aus­ reichend, wenn Homeyer sich, neben seiner umfassenden akademischen,

richterlichen und parlamentarischen Tätigkeit, literarisch auf diese Aus­ gaben mit allen ihren Zutaten beschränkt hätte; es ist das aber weder

während der Jahre bis 1861, ihm dann noch

zu

noch während des Jahrzehnts, das

leben und zu wirken öergönnt war,

gewesen. Da ist zunächst zu

der Fall

erwähnen die Gruppe von Besprechungen

aus Homeyers Feder, mit denen er 1827—1834 den Gang der ger­

manistischen Entwicklung in den Hegelschen „Jahrbüchern für wissen­ schaftliche Kritik"

verfolgt,

junge Mitarbeiter

freudig

begrüßend,

Grimms Rechtsaltertümern begeistertes Lob zollend, Mittermaier gegen­

über mit ernsthaften Bedenken nicht zurückhaltend. Fast selbstverständlich ist bei solchem Rezensenten, daß von ihm, wie Frensdorff berichtet^),

„manche Errungenschaften der neuen germanistischen Wissenschaft hier

Siebzehntes Kapitel.

528

zuerst vorgetragen worden sind," wie der Unterschied der beiden durch

„Jahre" und durch „Tage" bezeichneten Alterstermine des deutschen Rechts, oder der Gegensatz, in welchem Sachsenspiegel und Schwaben­

spiegel für die Theorie der beiden Schwerter zueinander stehen.

Der Streit um das Verhältnis zwischen diesen beiden Spiegeln,

die Wahrung des sachlichen und zeitlichen Vorranges für den Sachsen­ spiegel kömmt sodann in Betracht, besonders gegenüber dem unermüd­

lichen Vertreter des Schwabenspiegels, dem geistreichen, gelegentlich

selbst

genialen,

aber

unmethodischen,

verwirrten

und

unter

der

Fülle seiner schlechtverwandten Gelehrsamkeit erliegenden Alexander v. Daniels. A. v. Daniels9) hat eine Reihe bedeutsamer Werke verfaßt.

Er hat für die Rheinprovinz die unentbehrliche Grundlage zur Be­

herrschung ihres so eigenartigen Rechtszustandes,

Zeit der Fremdherrschaft

stammte,

gelegt

durch

soweit er aus der

seine

achtbändige

Sammlung der damaligen Gesetze, Verordnungen uff., Köln 1833 bis 18457). Er hat ferner sich ausgezeichnet durch einsichtige Arbeitens über rheinisch-französische sowie selbst über englische Rechtsverhältnisse

und Rechtszustände, für die er, als sonst auch bewährter Germanist9),

schon germanistische Gesichtspunkte heranzuziehen weiß, wennschon in einer etwas improvisierenden, so doch in glücklich improvisierender Weise.

Er

hat ferner selbst das so spröde bürgerliche Recht des

preußischen Landrechts bereits mit Erfolg zu systematisch-lehrbuch­ mäßiger Darstellung gebracht79).

Aber sein Name bleibt doch, zu

seinem Unheil, dauernd verknüpft mit jener literarischen Fehde, be­

treffend Vorrang des Schwaben- oder Sachsenspiegels, die er mit Homeyer geführt hat.

Dabei mochte, als Daniels durch die Abhandlungen »de saxonici

speculi origine«,

1852,

und

„Alter und Ursprung des

Sachsenspiegels", 1853, den Streit aufnahm,

noch seine These ver­

tretbar erscheinen. Homeyers Erwiderung, zuerst in einem akademischen

Bortrage, sodann wesentlich vervollständigt und verschärft in einer besonderen Schrift „Die Stellung des Sachsenspiegels zum Schwaben­ spiegel" (1853) zeigt freilich schon entschiedene Überlegenheit, mochte aber immerhin Daniels noch einige Möglichkeit belassen, an seinem

Lieblingsirrtum festzuhalten. Nachdem dann aber 1856 in Innsbruck

durch Ficker der sogenannte Spiegel der deutschen Leute gefunden,

auch von Ficker sofort

als ein. Mittelglied zwischen Sachsen- und

IV. Sonstige Germanisten.

529

2) Homeyer.

Schwabenspiegel sowie als unwiderlegbare Bestätigung der Richtig­ keit von Homeyers Ansicht gegen Daniels erkannt und klargestellt worden toar11), so daß Homeyer diesen Ausführungen Fickers seiner­ seits nur kurz beizupflichten brauchte"): da konnte es freilich Daniels

nur mehr als

verbissene Hartnäckigkeit angerechnet

werden,

daß

er nach wie vor bei seiner Ansicht verblieb"). Einer abermaligen Entgegnung bedurfte es dagegen von Homeyers Seite") aus über­

haupt nicht mehr. Ferner kommen für Homeyer hinzu die kleineren Untersuchungen, die er im Anschlüsse teils an die Geschichte, teils an dogmatische

Einzelheiten des Sachsenspiegels oder verwandter Quellen angestellt hat. So u. a. die Abhandlung über Johannes Klenkock, den Augustinermönch, und über dessen Angriffe gegen den Sachsenspiegel, 1855"), die einschneidende Untersuchung über „den Dreißigsten", 1864, und die Gelegenheitsschrift zu Savignys Doktorjubiläum, 1860, „Über die Stellung des Sachsenspiegels zur Parenteordnung". Aber auch eine stadtrechtliche Betrachtung, die von dem Quedlin­

burger Stadtbuche ausgeht (1860), ist hierher zu rechnen nebst zwei kleinen akademischen Abhandlungen aus dem Jahre 1866 über das Friedegut und über die Formel „der Minne und des Rechtes eines Anderen mächtig sein". „In der Methode der Beweisführung sind beide Abhandlungen musterhaft, namentlich die letztere darf in der

Sauberkeit ihrer Ausführung als ein Kabinettstückchen rechtshistorischer Untersuchung bezeichnet werden" (Brunner).

All das mag dem Sachsenspiegel ja noch recht nahe liegen. Um ein ganz neues, großes und selbständiges Forschungsgebiet handelt es sich aber, wenn Homeyer etwa seit 1853 sich den Haus- und Hof­ marken mit besonderem Eifer zuwandte. Zwar die Anknüpfung bot auch hier ein eigentümlich sächsisches Rechtsgebilde, das „Hantgemal",

in dem Homeyer einen Doppelsinn (Bezeichnung des Stammgutes sowohl, wie einer runenähnlichen, als Handzeichen dienenden Figur) flnden zu dürfen glaubte, eine Erklärung, die er durch eine besondere Abhandlung 1852 ausgesprochen und bis auf die jüngste Zeit zur Das Geheimnisvolle, Dunkelvolkskümliche, das diesem talismanartigen Runenzeichen nach dieser Er­ klärung 17) anhaftet, hatte dann aber ihren Urheber gereizt und bestimmt, den Zusammenhängen mit solchen Stoffen weiter nachzugehen. Als

alleinherrschenden gemacht hat").

nun die Kenntnis eines auf der Insel Hiddensee bei Rügen üblichen ßanb86erg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. IL Text.

34

Siebzehntes Kapitel.

530

Loszeichens ähnlicher Natur hinzukam, erließ er ein in weiteste Kreise zu verbreitendes Flugblatt, das unter vorläufigen Andeutungen über

die hier zu verfolgende Spur gemeinsamer germanischer Urzeit die

Empfänger zu weiterer Mitteilung an den Absender aufforderte, und

diesem denn auch, in den Jahren 1853—1868 fünfmal ausgesandt, ein

gewaltiges

Material

Europa ins Haus trug.

dieser Art aus dem

ganzen germanischen

So entstand nach langem Sammeln und

Sichten Homeyers letztes großes Werk, „Die Haus- und Hofmacken",

1870, mit 44 Tafeln, erschienen als eingehende historisch-dogmatische Aufarbeitung aller einschlägigen Notizen^).

Die betreffende Rechts­

sitte wird dadurch nachgewiesen und erklärt für alle Gebiete deutscher Zunge, einschließlich der Ostseeküsten, der Schweiz, Tirols und deutsch-

piemontesischer Enklaven, ferner für die skandinavischen Reich: und

für die Niederlande.")

„In die Fülle der Ergebnisse muß sich die

Rechtsgeschichte mit der allgemeinen germanischen Kulturgeschichte teilen.

Auch die Kunstgeschichte hat ihren Anteil erhalten, denn die Künstler-, die Handwerks- und die Meisterzeichen, insbesondere die Steinmetz­

zeichen, wie sie in unseren deutschen Domen eingemeißelt sind, fallen in den Rahmen der Haus- und Hofmarken."

Mit diesem Werke scheiden wir von Homeyer, dem großen, fried­ fertigen Gelehrten,

dem

feinsinnigen Sammler

und Forscher, dem

Kollegen und Freunde Savignys, dem würdigen Fortsetzer der Wirk­ samkeit von Eichhorn wie von Grimm, der die innigste, fast roman­ tische Liebe für

deutsches Recht und Wesen

mit besonnen

kritischer

Textforschung und mit praktischer Tätigkeit in Gerichtshof und Parla­

ment zu

verbinden

gewußt hat,

ohne

je in Gegensatz

gegen den

romanistischen Zweig der historischen Schule zu geraten. 3. Vom Sachsenspiegel führt der Weg unmittelbar hinüber zum

Schwabenspiegel. Ist für diesen freilich keine so großartige, gediegene und geschlossene Leistung anzuführen, so bietet er doch die gern wahr-

geuoiymene Gelegenheit, zwei Namen einzuflechten, die in den ger­ manistischen Schwesterwissenschaften

aus

verschiedenen Gründen sich

besten Klanges erfreuen, Laßberg und Wackernagel. — Zwar handelt

es sich bei dem Freiherrn v. Laßberg, der die Tübingen 1840 er­ schienene Ausgabe des Schwabenspiegels noch kurz vor seinem Tode,

ausschließlich nur der Vorrede, vollständig fertiggestellt hattet), nicht um

den

hochgerühmten Gönner

und

Förderer aller

germanischen,

besonders aller auf den Helden- und Minnesang bezüglichen Studien,

IV. Sonstige Germanisten.

Joses Maria Christof Freiherrn

3) Zum Schwabenspiegel.

v. Laßberg,

den Freund

531

Jakob

Grimms, den Herausgeber des Nibelungenliedes und bed deutschen Liedersaales, sondern um dessen Sohn Friedrich Leonhard Anton (1798—1838) 2), der dem Vater in Geistes- und Gemütsbildung nahe stand und die der Ausgabe zugrunde gelegte Handschrift, vom Jahre 1287, denn auch dessen Schätzen entnommen hatte. Aber bei dieser engen Zusammengehörigkeit beider Männer und ihrer Studien

ergibt sich doch aus der Erwähnung des einen ungezwungen der Ausblick auf beide und damit auf den allgemeinen, idealen, germani­ stischen Aufschwung jener Tage, den Aufschwung, der nicht auf die

eigentlichen gelehrten Berufe und auf deren fachmännische Vertreter eingeschränkt ist, sondern in Dichtern, wie Uhland, und in wahrhaft adeligen Familien, wie derjenigen der Laßberg, sich vorbildlich ver­ körpert. Daß der jüngere Laßberg dabei durchgebildeter Jurist war, und daß er seine so verdienstliche und vielbenutzte Ausgabe wesentlich

vom juristischen Standpunkte aus gearbeitet hatte s), kömmt erfreulich hinzu, um es uns zu bestätigen, daß wir dieses Gesamtbild als

Hintergrund für die hier besprochene Entwicklungsstufe unserer Wissen­ schaft in Anspruch nehmen dürfen. Daneben tritt dann die berufliche Gelehrsamkeit, vertreten durch den Philologen und Literarhistoriker Wilhelm Wackernagel. Von ihm ist mindestens des Schwabenspiegels erster Teil, das Landrecht, in kritischer Weise, wennschon mehr vom Gesichtspunkte des Sprach­ forschers aus und keineswegs erschöpfend, behandelt und herausgegeben worden, gleichzeitig mit der Laßbergschen Ausgabe im Jahre 1840. Den zweiten Teil, der das Lehnrecht, Abhandlungen geschichtlichen und kritischen Inhalts, Sach- und Wortregister bringen sollte, ist er

uns dann freilich schuldig geblieben; immerhin aber hat er durch jenen ersten Band sich um die germanistische Rechtswissenschaft ein

Verdienst erworben^), wie etwa sein großer Lehrer Lachmann durch die Beteiligung an dem Gromatikerunternehmen um die romanistische. In den Kreis der auf den Schwabenspiegel bezüglichen Rechte fällt aber auch das Stadt- und Landrechtsbuch des Rupprecht von Freising, das gerade mit Rücksicht auf diesen Zusammenhang durch Georg Ludwig v. Maurer (Stuttgart und Tübingen 1839), aus Münchener Handschriften herausgegeben worden ist. Harte Maurer

bei seinen früheren Studien unter ungenügenden Quellenausgaben gelitten, so hat er dadurch zur Besserung dieses Zustandes das 34'

Siebzehntes Kapitel.

532

©einige beigetragen, wie dann dieses sein Werk seinerseits wiederum als Vorläufer der später von der Münchener Akademie in die Wege geleiteten, umfassenden Schwabenspiegelarbeit erscheinen mag. 4. Nächst den Spiegeln wird die Aufmerksamkeit in Anspruch genommen durch die Volksrechte einerseits, die Stadtrechte andererseits.

Auf beiden Gebieten ist umfassend tätig gewesen Ernst Theo­

dor Gaupp*), ein unmittelbarer Schüler von Savigny und Eich­ horn, der die wissenschaftlichen Studien erst begann, nachdem er in den Befreiungskriegen mitgekämpft hatte, übrigens ebenso entschiedener Germanist, wie politisch konservativer Monarchist, in seiner Allgemein­

bildung stark beeinflußt durch Goethe, dem er 1824 im Hause Frommann vorgestellt worden war und seitdem ausgeprägte Verehrung gewidmet hat. Als Dozent und Professor in Breslau seit 1820

tätig, hat er dort für zahlreiche Fächer eifrige Lehrtätigkeit entfaltet, schriftstellerisch aber auf die Geschichte des deutschen Rechts sich zu beschränken verstanden.

Dafür lieferte

er die Ausgaben des alten

Magdeburgischen und Halleschen Rechts 1826, des Schlesischen Land­ rechts 1828, des lex Frisionum 1832, des alten Gesetzes der Thü­

ringer 1834, und eine hauptsächlich auf den akademischen Gebrauch zugeschnittene Sammelausgabe deutscher Stadtrechte des Mittelalters

mit rechtsgeschichtlichen Einleitungen und mit einer gut orientierenden Abhandlung über die Familienzusammengehörigkeit dieser Rechte, zwei Bände, 1851,1852. Außerdem verbreitete er sich in seiner Ausgabe der lex Saxonum eingehender über „Das Recht und die Verfassung der alten Sachsen" 1837, und faßte das Ergebnis dieser Studien zusammen in die als förderlich geltende, auch

staats- und kulturgeschichtliche

Monographie: „Die germanische Ansiedelung und Landteilung in den Provinzen des weströmischen Reiches in ihrer völkerrechtlichen Eigen­ tümlichkeit und mit Rücksicht auf verwandte Erscheinungen der alten

Welt und des späteren Mittelalters dargestellt", 1844. Ein weiteres Verdienst hat sich Gaupp erworben um die richtige Bestimmung der von Pertz verkannten, von Gaupp dann auch herausgegebenen lex Francorum Chamavorum 1855; seine diesbezüglichen Ausführungen

sind sogar durch Paul Laboulaye ins Französische übersetzt worden. So kann er entschieden beanspruchen, als einer der tüchtigsten Ver­ treter dieser älteren geschichtlichen Richtung für Quellenforschung und Ausgabentätigkeit zu gelten2), deren Schwächen er aber auch ebenso entschieden teilt. Peinlich genau und unermüdlich fleißig, auch

IV. Sonstige Germanisten.

4) Zu den Volks- u. Stadtrechten.

533

imstande, gelegentlich das Richtige zu treffen und die Quellenergebniffe für die Rechtsgeschichte zu verwerten, entbehrt er doch der sicheren

kritischen Methode; und so sind denn namentlich seine Ausgaben der

alten Stammesrechte bald durch philologisch exakter gearbeitete in den

Schatten gestellt worden. Ähnlich sind wohl die Nachweisungen, Ausgaben und Bearbei­

tungen der deutschen Stadtrechte von Heinrich Gottfried Philipp G englexb) jU kennzeichnen, obgleich sie in viel spätere Zeit noch hinein­

ragen, da Gengler sie ein langes und emsiges Gelehrtenleben hin­ durch (1817—1901) stets gleichmäßig nach derselben Art angefertigt hat. So sind von ihm erschienen: „Deutsche Stadtrechte des Mittel­

alters, teils verzeichnet, teils vollständig oder in Probeauszügen mit­

geteilt" 1852, 2. Ausgabe 1866. — Codex juris municipalis Germaniae medii aevi, Register und Urkunden zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte der deutschen Städte im Mittelalter, Bd. 1, Heft 1

und 2, Erlangen 1863—1864, Heft 3 und 4, Stuttgart 1867. — Germanische Rechtsdenkmäler, leges, capitularia, formulae, in Aus­ zügen und Proben mit Einleitungen, ergänzenden Geschichtszeugniffen, Anmerkungen und Glossar, Erlangen 1875. — Deutsche Stadtrechts­ altertümer, 1882. — Auch eine Ausgabe von des Schwabenspiegels Landrechtsbuch hat er, aus Laßberg und Wackernagel zusammen­

gestellt, mit Wörterbuch zum akademischen Gebrauch herausgegeben, Erlangen 1851, 2. Auflage 1875. — Sonst kommen von Genglers

älteren Schriften etwa noch seine Untersuchungen über die Morgen­ gabe (Dissertation von 1843) und über die Vergiftung (Jnauguralschrift, geschichtlich und dogmatisch, 1842 und 1843) in Betracht; weniger sein Entwurf zu einer Bearbeitung des bayerischen Privat­ rechts, der in der ersten Lieferung des ersten Heftes (1846) stecken geblieben ist. Später hat Gengler dann noch ein Lehrbuch des deutschen Privatrechts (zwei Bände 1854, 1855) verfaßt, das, reich an Einzelheiten, Nachweisen, Quellenbelegen und dergleichen, neben juristisch schärferen oder historisch großzügigeren nicht auf­ zukommen vermocht hat, ebensowenig wie Genglers ähnlich zu kennzeichnender unvollendeter Grundriß der deutschen Rechtsgeschichte

von 1850. Daß eine solche Art der Quellenbehandlung im deutschen Rechte bald wenigstens in etwas überholt wurde, war häuptsächlich das Ver­ dienst von Johannes Merkels, der von Pertz zur Besorgung der

534

Siebzehntes Kapitel.

Volksrechte für die Monumenta Germaniae, Abteilung Leges, heran­ gezogen wurde. Merkel brachte zur Lösung dieser Aufgabe nicht nur strengste Gewissenhaftigkeit und reiches, zum Teile in Italien selbst

gesammeltes Material mit, sondern namentlich Schärfe des kritischen Sinns und der kritischen Grundsätze in einem die bisher besprochenen Juristen wesentlich übertreffenden, wennschon seinerseits noch immer nicht der Höhe der heutigen Ansprüche genügenden Maße. Davon hatte er schon Kunde abgelegt in

einer Rezension6) von Baudii a

Vesme berühmter Ausgabe der Edicta regum Longobardorum und in einem Aufsatzes von 1848: „Reccareds I. Sammlung des westgothischen Volksrechts und deren Beziehungen zum Volksrecht der Bayern". Zu letzterem Aufsatze war er namentlich veranlaßt worden durch die Ausgabe der westgotischen Antiqua, die Bluhme 1847 ver­ anstaltet hat, wie denn beide Männer einander persönlich und durch

den Eifer für italienische Handschriftenforschung nahe verbunden sind; nach Merkels frühem Tode sollte ihn Bluhme bei der Ausgabe der Volksrechte für die Monumenta Germaniae abzulösen berufen sein

und mit ihm das Schicksal, durch neuere Editionen bald stark über­ holt zu werden, teilen. — Immerhin sind, von Merkel herausgegeben, teils in dieser Sammlung, teils selbständig erschienen: 1850 die lex Salica7) mit der berühmten Vorrede von Jakob Grimm über die Malbergischen Glossen; 1851 die lex Angliorum et Werinorum h. e. Thuringorum und die lex Alamannorum, 1853 die lex Saxonum, und 1861, einige Tage vor seinem Hinscheiden vollendet, die lex Baiuvariorum8). Von ihnen hat namentlich die Edition des ale­ mannischen Volksrechts für ihre, wenngleich nur für kurze Zeit fast kanonisches Ansehen erlangt, bis sie von Karl Lehmann8) als auf schweren Irrtümern beruhend nachgewiesen und durch Lehmanns Aus­ gabe 1888 ersetzt worden ist. Unerschüttert bleibt jedenfalls ihr

Verdienst um die Heranziehung des ältesten Bestandteils, des soge­ nannten Paktus. Sie wird ergänzt durch eine, ursprünglich als Vorrede dazu geschriebene, umfassende Abhandlung de republica Alamannorum, die, 1849 selbständig erschienen, tatsächlich nichts Geringeres ist als eine tief eindringende und kühn aufbauende schwä­ bische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Ähnlich, aber noch umfassen­ der, sollte die bayerische Rechts- und Verfassungsgeschichte behandelt

werden, doch sind von den Vorstudien dazu nur einige Bruchstücke^) zur Veröffentlichung gelangt.

IV. Sonstige Germanisten.

4) Zu den Volks- u. Stadtrechten.

535

Geht das Verdienst schon der letztgenannten Schriften über die bloße Editionstätigkeit weit hinaus, so bleibt uns die Hauptleistung des Rechtshistorikers Merkel zu betrachten noch ganz übrig. Diese

bezieht sich auf das lombardische Recht, jene eigentümliche Mittel­ erscheinung zwischen der romanistischen Rechtswissenschaft und den germanischen Volksrechten, deren Literärgeschichte namentlich so vielfach und vielverschlungen in die Geschichte des römischen Rechts im Mittel­

alter eingreift. Je mehr Merkel von Bewunderung für die Bearbei­ tung erfüllt war, die dieser Geschichte durch Savigny zuteil geworden

war, je tiefer der Eindruck dieses Geschichtswerkes auf Merkel „in den entscheidenden Perioden seiner Bildung" geworden war, so daß

er ihm dauernd „Anregung und Methode"n) entnommen hatte: desto lebhafter war sein Wunsch, es möglichst zu vervollständigen und da­ durch dem Meister wie der Wissenschaft seine Beisteuer zu entrichten. In wie umfassendem Maße der Erfüllung dieses Wunsches Merkels italienische Reiseforschungen dienstbar gemacht worden sind, auch nach der streng romanistischen Seite hin, wird bewiesen schon durch die zahlreichen Einzelbeiträge von Merkel, die Savigny der zweiten Auf­ lage der Bände 4—7 seiner Geschichte beigeben konnte. Während es

sich dabei aber mehr um Sprengstücke handelt, die hier und da, wie gerade ein glücklicher Fund es ermöglichte, eingefügt sind, hatte Merkel scharfen Blickes als das umfassende Werkstück, das Savigny der Bearbeitung noch vollständig übrig gelassen hatte, die Geschichte" des lombardischen Privatrechts erkannt, eine bis dahin fast übersehene, jedenfalls ganz im Dunkeln liegende Materie.

Als Festgabe zu

Savignys 50 jährigem Jubiläum diesem gewidmet, erschien nun 1850 Merkels „Geschichte des Longobardenrechts", die als bahnbrechende Schöpfung dieses Gebiet dem hellen Licht der Geschichte erschloß,

ihm aber auch schon gleichzeitig die richtig vermittelnde Stellung zwischen Romanismus und Germanismus anwies. Namentlich die Rechtsschule von Pavia ist erst hierdurch vor und neben die von Bologna ergänzend gestellt worden, die wissenschaftlich befruchtende und anregende Arbeit der ganz überwiegend noch germanischen Lombardisten vor und neben die der romanistischen Glossatoren. Das Werk hat auch in Italien viel Anerkennung gefunden; zu einer Übertragung ins Italienische, die 1857 hervortrat, hat Merkel noch eine Reihe wichtiger Nachträge geliefert. — Wie weit sein Sammel­

eifer während der italienischen Reise gegangen war, zeigte sich aber auch

536

Siebzehntes Kapitel.

1856 in seiner Ausgabe und Erörterung sizilischer Rechtsquellen12);

man kann wohl sagen, daß damit der Kreis jener italischen Misch­ rechte, die ihn offenbar besonders angezogen haben, erschöpft war. Nicht aber das Material, das er aus Italien mit heimgebracht hat: mit dessen weiterer Aufarbeitung, besonders mit der Vorbereitung zu

einer vollständigen Ausgabe des Über Papiensis nebst Glossen und Formeln gerade so recht im Zuge, ist Merkel, zu frühe für die Wissenschaft, 1861 hinweggerafft worden, einmütig beklagt von Ger­ manisten und Romanisten, zwischen denen einen Gegensatz anzuerkennen er stets abgelehnt hatte. In seinen beiden Lieblingsschülern Otto Stobbe und Alfred Boretius hat auch diese seine Anschauung fort­ gelebt: bei jenem in den großen quellengeschichtlichen und dog­

matischen Werken, bei diesem, unter gesteigerter Philologischer Genauigkeit, in der Bearbeitung der lombardischen Gesetzgebung und der fränkischen Kapitularien; wir kommen auf beide unten in Kap. 20, III zurück. Von Zeitgenossen steht Merkel wohl am nächsten durch gleich­

artige, wenngleich auf viel engeres Gebiet beschränkte Tätigkeit Karl v. Richthofen13), dessen Ausgabe der sämtlichen älteren Friesischen Rechtsquellen nebst einem dazu unentbehrlichen altfriesischen Wörter­ buch 1840 erschienen ist. Sie hat für das Recht dieses Volksstammes nun wohl endgültige Arbeit geleistet, die über den alten Wiarda natürlich weit hinausgeht. Die Ausgabe ist auf Grund archivalischer und bibliothekarischer Forschungen streng kritisch gearbeitet, das Wörter­ buch enthält nicht bloß Worterklärungen, sondern zahlreiche sachliche Aufklärungen. So ist das Ganze so recht ein Ergebnis der Anregung durch Savigny und durch Eichhorn, aber auch der philologischen

Schulung durch Jakob Grimm. War doch dieser es, der von Anfang an Richthofen den Rat gegeben hatte, ehe er an eine geplante frie­

sische Rechtsgeschichte herangehe,

die quellenmäßige Grundlage zu

legen, einen Rat, dem wir die Quellenausgabe danken, aber freilich

auch das Ausbleiben einer solchen Rechtsgefchichte zur Last legen müssen. An ihrer Stelle hat Richthofen, durch schweres Augenleiden

in höherem Alter gehemmt, nur noch eine Reihe monographischer, ziemlich weitschichtiger Untersuchungen zur Friesischen Rechtsgeschichte (3 Bände, 1880—1886) geliefert und dabei besonders das Problem der Landeshoheit berücksichtigt, das ihn von jeher lebhaft beschäftigt

und gerade nach Friesland geführt hatte.

IV. Sonstige Germanisten.

4) Zu den Volks- u. Stadtrechten.

537

Dazwischen liegen noch, für die Monumenta Germaniae besorgt,

seine Ausgaben der lex Frisionum von 1862 und der lex Saxonum von 1868, durch letztere veranlaßt außerdem seine Abhandlung „Zur lex Saxonum", Berlin 1868, „eine Fundgrube scharfsinniger Gelehr­ samkeit und eine der besten Monographien, die wir über deutsche Volksrechte besitzen")." Die Monumentenausgabe der lex Thurin-

gorum rührt dagegen nicht von ihm her, sondern von seinem gleich­ namigen Sohne, der seitdem von der Wissenschaft sich abgewendet hat. In diesen Savigny wie Grimm nahe befreundeten Kreis jüngerer Forscher gehört endlich auch der bekannte Hamburgische Geschichts­

schreiber und Altertumsforscher Johann Martin Lappenberg") (1794—1865), dem Ranke wegen seiner Forschungen zur englischen

Geschichte es nachrühmt, er habe die Anschauungen deutscher Wissen­ schaft in der älteren Geschichte einer nahe verwandten Nation zuerst zur Geltung gebracht. Die Rechtswissenschaft verdankt ihm, außer

zahlreichen kleinen und mehr gelegentlich im Laufe seiner archivalischen Forschungen zur Hamburgischen und Hansischen politischen Geschichte beigesteuerten Einzelheiten, besonders einen Band „Hamburgischer Rechtsaltertümer", 1845, umfassend die ältesten Stadt-, Schiffs- und Landesrechte, deren Quellen dabei untersucht und auf das Soester und Lübische Recht, sowie auf den Sachsenspiegel zurückgeführt werden. Eine Abhandlung von Lappenberg „Über die erste Verbreitung der Kenntnis des römischen Rechts in Niedersachsen und anderen nörd­ lichen Ländern" findet sich schon 1837 in Hugos „Zivilistischem Magazin" 6, 198 f. Von mehr ortsgeschichtlichen Forschern aus dieser Zeit kann schließlich noch eine weitertragende Bedeutung beanspruchen Emil

Franz Rößler") (1815—1863), schon aus nationalen Gründen. Er schrieb über deutsche Rechtsdenkmäler aus Böhmen und Mähren, und zwar erschien davon der erste Band mit einer Vorrede von Jakob Grimm 1845, enthaltend u. a. das Altprager Stadtrecht und den Nachweis des Ursprungs aus der deutschen Niederlassung, während der zweite Band mit dem Brünner Stadtrecht und Beleuchtung der

deutschen Kolonisation im Osten überhaupt 1852 folgte.

Auf Grund

des ersten dieser Bände gelang es ihm 1846, „versuchsweise" von der Studienhofkommission als Dozent zur Abhaltung von rechts­

geschichtlichen Vorlesungen in Wien zugelassen zu werden, ein bis dahin an österreichischen Hochschulen unerhörtes, als epochemachend

538

Siebzehntes Kapitel.

und bahnbrechend bezeichnetes Ereignis.

Freilich ging das so Ge­

wonnene alsbald wieder verloren, als Rößler seinen germanistischen Idealismus 1848 auch politisch betätigte und infolgessen die öster­ reichische Heimat verlassen mußte; aber seine Vorlesungen „über die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des Rechts in Österreich", wie er sie immerhin zwei Jahre lang in Wien gehalten und mit einem Quellenanhange 1847 auch im Druck veröffentlicht hatte, bilden doch einen bleibenden Markstein für den Fortschritt der histo­

rischen Schule wie der Wissenschaftsgeschichte überhaupt in den öster­ reichischen Landen. 5. Indem wir nun zur Geschichte der deutschen Reichs- und Staatsforschung gelangen, tritt zu den Förderungen, die der juristi­ schen Germanistik von sprachforschender und von literärgeschichtlicher Seite her zuteil geworden sind, vor allem hinzu die Verbindung mit

Und zwar ist es namentlich der große Name von Georg Waitz, der in der Geschichte auch der

der politischen Geschichtswissenschaft.

deutschen Rechtswissenschaft seine Heimstätte hat. Ist doch seine ganze umfassende und grundlegende Lebensarbeit teils unmittelbar, teils mittelbar der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte zugutegekommen,

mag seine Wirksamkeit auch andererseits dazu beigetragen haben, uns die streng historischen Elemente zu entziehen und gegenüber älteren, methodisch ungeschulten Juristen die Überlegenheit des Histo­ rikers auf diesem Gebiete vor Augen zu führen. Nur um so mehr haben wir Anlaß, unseren Anteil an ihm und unsere Beziehungen zu ihm zu wahren. Georg Waitz (1813—1886)

ist Schüler nicht bloß von Ranke, sondern auch von Homeyer, dem

er zeitlebens dankbar ergeben blieb *), von dem er die Anregung gerade zur Germanistik bei der Geschichtsforschung empfangen hatte, so daß er selbst eine Zeitlang schwankte, ob er nicht berufsmäßig der deutschen Rechtsgeschichte sich widmen solle. Sogar die Anknüpfung an Eich­ horn ist unverkennbar, wennschon wohl mehr im Sinne der Gegen­ wirkung. Gerade diese beiden Elemente führten aber den noch jugendlichen Forscher zu seinem Haupt- und Lebenswerk, der „Deutschen Verfassungsgeschichte", deren erster Band 1844 erschien?), jenem sorg­

fältig gefügten Riesenmonument, neben dem dann freilich an Eich­ horns vorschnell-genialem Aufbau manche Riffe und Sprünge hervor-

treten.

Natürlich entnimmt Waitz seine Methode derjenigen der poli­

tischen Geschichte und ist deshalb namentlich stets bereit, sich bei den

IV. Sonstige Germanisten.

5) Berfassungsgeschichte.

einzelnen Gewichtsangaben zu beruhigen,

539

die nur ein fließendes,

unklares, rechtlich indifferentes Bild von dem verfassungsgeschicht-

lichen Leben und Treiben ergeben, beflissen mehr der Sicherheit als der juristischen Eleganz, mehr der Feststellung von Tatsachen, als von Rechtssätzen, die dahinter gestanden hätten. Aber innerhalb

dieser Grenzen ist er denn doch auch der juristischen Bedeutung der Ereignisse keineswegs unzugänglich, vielmehr weiß er auch dieser, unter steter Beachtung der germanistischen Juristen und ihrer Schriften, soweit gerecht zu werden, wie unter den von ihm behandelten früh­ mittelalterlichen Zeitläuften zunächst angängig. Liegen doch gerade die Hauptkontroversen, in denen er wohl Sieger geblieben ist, in der Auseinandersetzung mit Savigny, betreffend die städtischen und stän­ dischen Verhältnisse, sowie betreffend das Übergewicht der germa­

nischen Elemente über die romanischen überhaupt für die Entwicklungs­ geschichte des Mittelalters; und in der Stellungnahme gegen Eich­ horn, betreffend die Bedeutung des Gefolgwesens als des treibenden Momentes in der Völkerwanderung, betreffend ferner die neuen Reichsgründungen und das Feudalwesen, während Waitz dann wieder seine Hauptgegner unter der jüngeren Juristengeneration erstanden sind in Paul Roth und Rudolf Sohm3). So steht sein großes Werk mitten im großen Strom der Wissenschaft von der deutschen Rechts­ geschichte, die von ihm methodologisch wie sachlich die wesentlichste Förderung erfahren hat. Dazu kommen die kleineren Arbeiten von Waitz, teils Aufsätze,

teils Rezensionen zur deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte, wie uns jetzt die größere Zahl davon gesammelt vorliegt4). Daraus

seien zunächst erwähnt diejenigen, die sich mit dem germanischen Volksrecht befassen, mit westgotischem oder bayerischem Recht, an der Spitze aber die Schrift über „Das alte Recht der salischen Franken", Kiel 1846, die von einer Ausgabe dieser Rechtsquelle begleitet ist3). Sodann die Abhandlungen über Anfänge der Vasallität und des Lehnwesens von 1856 und 1865, gewidmet der stark polemischen

Auseinandersetzung über diese Dinge mit Paul Roth, worauf wir unten in Kap. 20 zurückkommen3). — Weiter die Untersuchung „Über

die altdeutsche Hufe" von 18547) und die ganz überwiegend juristische Betrachtung, allerdings aus weit späterer Zeit (dem letzten Lebens­ jahre des Verfassers, 1886), „Über die Bedeutung des Mundiums im deutschen Recht"3). — Namentlich aber ist für die Geschichte der

540

Siebzehntes Kapitel.

deutschen Rechtswissenschaft Waitz noch auf einem ganz anderen Ge­ biete, dem dogmatisch-staatsrechtlichen nämlich, bedeutsam geworden durch die Studie über das „Wesen des Bundesstaates" von 18539),

weitergeführt durch die daraus hervorgegangene Schrift über „Grund­ züge der Politik nebst einzelnen Ausführungen", 1862. Zuerst hatte, nachdem Pfizer und Welcker vor den Stürmen

der 48 er Jahre den Begriff des Bundesstaates politischen sowohl wie juristischen Erörterungen unterzogen hatten, dann noch im Jahre 1848 selbst Bluntschli^") in „Bemerkungen über die neuesten Vorschläge zur deutschen Verfassung" den Gegensatz von Staatenbund und Bundes­ staat neu zu bestimmen unternommen, nicht ohne Hinblick auf die gleichzeitig eben vollzogene Umgestaltung der schweizerischen Bundes­

einrichtungen.

Waitz selbst aber war ja praktisch an den deutsch­

nationalen Bestrebungen des Jahres 1848 beteiligt gewesen, neben Dahlmann und Albrecht, Beseler und Droysen als hauptsächlich

tätiges Mitglied des Verfassungsausschusses, aus dessen Werk dann schließlich doch ein gut Teil der heutigen deutschen Reichsverfassung hervorgegangen ist. So gewinnt es doppelte Bedeutung, wenn Waitz in unmittelbarem Anschlüsse an jene literarischen Untersuchungen wie

an diese politischen Erfahrungen nunmehr daranging, nachdem das Werk praktisch als vollständig gescheitert angesehen werden mußte, wenigstens theoretisch den Begriff des Bundesstaates in dem Sinne festzulegen, wie er für eine deutsche Reichsverfassung ihm unentbehr­

lich und grundlegend erschien. Er bestimmt ihn dahin, daß ein Teil der Souveränitätsrechte dem Einzelstaate verbleibt, der andere Teil dem Bundesstaate zukommt, im Gegensatze zum Einzelstaate einerseits,

zum bloßen Staatenbunde, der keine selbständigen' Souveränitäts­ rechte, weder über Bundesvolk noch über Bundesgebiet, besitzt, andererseits. Dabei wird zwar jede Anlehnung an die bisherigen

Verhältnisse, namentlich jedes bundesratsähnliche Oberhaus noch ab­ gelehnt, so daß der Waitzsche Bundesstaat eigentlich dem Einheits­ staate sich stark nähert, während Stahl 1849 bereits eine der heutigen Gestaltung diesbezüglich näherkommende Einrichtung vorgeschlagen hattet). Im übrigen jedoch hat Waitz durch diese seine Schrift

wenigstens eine politisch brauchbare und der Sachlage entsprechende, zugleich auch genau bestimmte Formel geliefert, mehr als je bisher

in dieser Beziehung geleistet worden war, wennschon sie zu dem Grundsätze von der Unteilbarkeit der Souveränität in unlösbarem

IV. Sonstige Germanisten.

Widerspruche steht.

5) Verfassungsgeschichte.

541

Daß Waitz sich an diesem Widersprüche nicht mehr

stieß, ist gewiß für den Historiker, dem die beschreibende Seite näher liegt, bezeichnend. Es bleibt aber auch juristisch auf die Dauer sein Verdienst, durch jene Formulierung für die strenger konstruktive Unter­ suchung den augenfälligen Ausgangspunkt geliefert zu haben, von dem aus diese Kardinalfrage unseres Staatsrechts alsbald nach der Rcichsgründung in Angriff genommen worden ist, zuerst durch einen

Vorstoß von Max Seydel gegen die Waitzsche Formel 1872, weiter­ hin durch die „Studien zum deutschen Staatsrecht" von Albert Hänel 1873. Für die Zeit bis dahin, die für das vorliegende Buch staats­ rechtlich ausschließlich in Betracht kommt, hat man sich sogar meistens

einfach bei jener Waitzschen Begriffsbestimmung beruhigt. Soviel über Waitz als Schriftsteller. Außerdem hat er in seinem Göttinger Seminar eine überaus fruchtbare Schulungsarbeit geleistet, aus der eine ganze Anzahl bedeutender Forscher hervorgegangen ist,

nicht nur Historiker, sondern auch Juristen, besonders Germanisten,

wie R. Schröder und Heinrich Brunner. Und bekanntlich ist er endlich auch, seit der Reorganisation der Monumenta Germaniae historica, wie sie in der Mitte der 70 er Jahre in des neuen deutschen Reiches würdiger Weise erfolgt ist, an der Spitze dieses Unternehmens erfolg­ reich tätig gewesen, wovon freilich mehr die Abteilung der Scriptores als die uns näherstehende der Leges den Vorteil gezogen hat. Zunächst hinter Waitz, wennschon in angemessener Entfernung, ist von den deutschen Geschichtsschreibern jener Tage, wie aus den

ersten Zeiten der historischen Schule Heinrich Leo mit seinen Studien zur lombardischen Städteverfassung (1824), nunmehr für uns be­ deutsam Karl Hegels, dessen „Geschichte des Städtewesens in Italien mit einem Anhänge über deutsche und französische Städteverfassung", Leipzig 1847, unmittelbar in denselben Zusammenhang eingreift. Auch Hegel verficht in großen Zügen ähnliche Ansichten wie Waitz, in diesem Punkte übrigens bereits in Übereinstimmung mit Bethmann-

Hollweg, der sich da von Savigny und Eichhorn schon früher getrennt

hatte. Hegel hat dann fortgefahren, der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte erfreuliche Unterstützung zuzuführen durch seine Heraus­ gabe der deutschen Städtechroniken vom 14.—16. Jahrhundert, das Werk, das ihm durch die bayerische historische Kommission anvertraut

worden war und das er in rastlosem Fleiße zu seiner stattlichen Bändereihe und zu seinem sicheren wissenschaftlichen Erfolge geführt

542

Siebzehntes Kapitel.

hat. Und Hegel hat uns schließlich auch nochmals mit einer um­ fassenden selbständig-konstruktiven Arbeit beschenkt, der Frucht zehn­ jähriger Studien, unter dem Titel „Städte und Gilden der germa­ nischen Völker im Mittelalter", erschienen 1891. — Die so erfreu­

liche Zusammengehörigkeit der verschiedenen Fachwissenschaften

für

den Arbeitsbetrieb der mediävistisch-germanistischen Staats- und Rechts­ geschichte tritt bei dieser Einordnung von Männern wie Waitz und

Hegel in das Gesamtbild der Geschichte unserer Rechtswissenschaft schön zu Tage. Daran reiht sich dann unmittelbar Paul Roths

„Benefizialwesen" von 1850, das indessen durch seinen ganz juristischen Stil schon einer späteren Epoche angehört und deshalb hier noch

nicht weiter erörtert werden soll.

Dagegen gehört noch hierher^) nach Methode, Anlage und Ausführung, obschon erst 1854 gewonnen und bis ins Jahr 1871 reichend, das umfassende Werk, durch das Gg. Ludwig v. Maurer in den späteren Jahrzehnten seines Lebens unserer Wissenschaft seinen zweiten maßgebenden Beitrag entrichtet hat, die zwölfbändige Reihe seiner Untersuchungen über das gemeindliche Leben der Deutschen seit ihrer ersten Niederlassung in Deutschland, die, anfangend mit der

Markenverfassung, durch die Hof-, Dorf- und Städteverfassung hin­ durchführt. Es sollte diese Reihe zu einer Geschichte der öffentlichen Gewalt in Deutschland emporwachsen, indessen ist dem Verfasser dieser Plan durch den Tod abgeschnitten worden. Was vorliegt, ist eine allgemeine Einleitung über alle diese Gegenstände, einschließlich der öffentlichen Gewalt, in einem Bande, Erlangen 1854, die gleich­ falls einbändige Geschichte der Markenverfassung, 1856, die der Fronhöfe, Bauernhöfe und der Hofverfassung in vier Bänden, 1862 bis 1863, die der Dorfverfassung, zwei Bände, 1865—1866, und die der Städteverfaffung, wieder vier Bände, 1869—1871. Ob das Ergebnis der gewaltigen Arbeitsleistung durchaus entspricht, ist für den Nichtfachmann schwer, irgendwie zu beurteilen. Keinesfalls aber wird sich leugnen lassen, daß es ein hervorragendes Verdienst des erfahrenen Staatsmannes v. Maurer war, wenn er seine politisch

gereifte Aufmerksamkeit nun gerade wieder der geschichtlichen Ent­ wicklung der wirtschaftlichen und kommunalen Verbünde, den be­ scheidenen Verhältnissen der Marken, Höfe und Dörfer zugewendet hat, deren Sonderleben zwischen Staatsrecht einerseits und Privat­

recht andererseits vielfach übersehen worden ist; und daß er dafür

IV. Sonstige Germanisten.

6) Zöpfl.

543

eine Fülle der Kenntnisse, eine Frische der Auffassung und eine Weite des Blickes >vie Wenige mitgebracht hat. So wird man es mit einem so sachkundigen wie unparteiischen Beurteiler getrost aussprechen dürfen, daß auch dieses Werk, „wenn auch im einzelnen vielfacher

Berichtigungen bedürftig und vielleicht auch in der Grundanlage ein­ seitig gehalten, doch noch immer als eine unerschöpfte Fundgrube reichen Stoffes nicht nur, sondern auch selbständiger und frucht­ bringender Ideen vor uns liegt."

Nach der ortsgeschichtlichen Seite werden diese Forschungen er­ gänzt durch die von Nikol. Adolf Westphalen"), der zur Grund­ lage seiner Hauptwerke") über Hamburgs Verfassung und Ver­

waltung und deren Geschichte noch die unverminderten Bestände des Hamburger Staatsarchivs vor dem großen Brande des Jahres 1842 hatte ausnützen und ihnen schon dadurch bleibenden Wert hatte sichern können. Sie erscheinen aber auch abgesehen davon wegen

ihrer gründlichen Zuverlässigkeit und wegen der Energie der Durch­ führung, mit der sie ihre großangelegte Aufgabe gelöst haben, als auf die Dauer bedeutende Leistungen, trotz einer gewissen altfränkischen Schwerfälligkeit der Darstellung; mit Recht wird ihnen durch v. Mohl

nachgerühmt, daß darin „der ganze Organismus des Staates von Westphalen auf eine meisterhafte Weise von seinen ersten Anfängen bis zur Gegenwart entwickelt" wird. — So nimmt hier wieder die Bildungsstätte der alten Hansestadt, der wir auf den Gebieten des Zivil- und Handelsrechts schon oft begegnet sind und noch mehr­

fach begegnen werden, voll ihren Platz ein, auch nach der Seite des öffentlichen Rechts und seiner Geschichte hin. Für Bremen wird dem etwa zu gesellen sein das Buch von F. Donandt") „Versuch einer Geschichte des Bremischen Stadtrechts mit einer Einleitung über die Verfassung bis zum Jahre 1433", zwei Bände, Bremen 1830; während für die beiden anderen freien Reichsstädte jener Zeit, für Lübeck und Frankfurt a. M., irgendwie Ähnliches nicht vorliegt.

Dagegen bleibt Lübeck der Ruf seines Oberappellationsgerichtshofes und der Stolz, als Vaterstadt von Thöl sich Hamburg, der Vaterstadt von Büsch und Heise, anzureihen, während Frankfurt sich mit der Ruhmeszeit des 18. Jahrhunderts bescheiden muß. 6. George Phillips sind wir schon oben begegnet (inKap. 16.1,1) mit seinen Untersuchungen zur angelsächsischen und englischen Rechts­

geschichte; wir werden ihn unten in diesem Kapitel für die kano-

1

Siebzehntes Kapitel.

544

später ganz gewidmet hat, zu j liegen seine Beiträge zur deutschen ’

nistischen Arbeiten, denen er sich

würdigen haben.

Dazwischen

Rechtsgeschichte und zum deutschen Privatrecht. Ein erster, überaus: breit angelegter Versuch zu einer „deutschen Geschichte mit besonderer Rücksicht auf Religion, Recht und Staatsverfassung" ist freilich nicht

über zwei Bände (1832 und 1834) und damit nicht über die karo­

Dann aber hat Phillips eine voll­ ständige, wennschon wesentlich knappere „Deutsche Reichs- und Rechts­ geschichte zum Gebrauche bei akademischen Vorlesungen" 1835 ver­

lingische Zeit hinausgekommen.

öffentlicht, die es bis zur vierten Auflage, 1859, gebracht hat; und schon von 1829 rührt her ein ebenso gehaltenes dogmatisches Lehrbuch

in zwei Bänden „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit

Einschluß des Lehnrechts", 3. Auflage 1846 Bei beiden Lehrbüchern, wie vollends in dem ausführlicheren Werke, kommt es Phillips wesentlich darauf an, eine gewisse Anzahl leitender

Grundideen durchzuführen. Als solche sind hervorzuheben staats­ rechtlich wesentlich seine Annahme, daß die deutsche Verfassung erst durch den Einfluß des Christentums entstanden, besonders das ideal gedachte deutsche Kaisertum erst nach der Analogie des Papsttums gebildet sei, und privatrechtlich der Ausgangspunkt von der Waffen­

fähigkeit oder Wehrhaftigkeit mit den drei Folgeprinzipien der Frei­ heit, Gewere und Vormundschaft. Indem diese Ideen bei Phillips das ganze System beherrschen, können sie wenigstens das Verdienst beanspruchen, mit dem romanistischen Aufbau gründlich aufgeräumt zu haben. Wo sie auf genauer Kenntnis des Tatsachenmaterials beruhen,

die der Verfasser durch

ältere Sonderstudien gewonnen

hat, da kommen einzelne wohlgelungene Stücke zustande.

Sonst aber

und im allgemeinen ergeben sie nur zu oft unerfreulich aprioristische Konstruktionen und Kombinationen; und das ist denn auch sofort getadelt worden.

Methodologisch war denn doch die Rechtswissen­

schaft damals schon zu sehr an exaktere Quellenforschung gewöhnt, als daß man dergleichen noch hinzunehmen bereit gewesen wäre, selbst abgesehen von dem Unbehagen, das durch eine gewisse Papistische

Grundstimmung wenigstens vielfach erregt werden mußte.

Gerade

das aber, was man statt solcher Sonderbarkeiten damals um so mehr wünschen mußte, je rascher die Wissenschaft fortgeschritten war

und je weniger Eichhorns klassisches Werk in seinen späteren Auf­ lagen diesen von ihm selbst angeregten Fortschritten hatte Rechnung

IV. Sonstige Germanisten.

6) Zöpfl.

545

tragen mögen, die peinlich fleißige Zusammenstellung und Verwertung fremder Forschung, kömmt bei Phillips zu kurz gegenüber jener Vor­ liebe für seine persönlichen Geschichtsvorstellungen. Geliefert wurde das Wünschenswerte dagegen in einer Weise,

die wohl durchweg befriedigen konnte, von Heinrich Zöpfl in seiner

deutschen Staats- und Rechtsgeschichte (1. Auflage

1834—1836),

wozu denn von Späteren etwa noch an Ferdinand Walter zu er­ innern wäre, dessen gleichartig gediegene Leistung von 1852 wir schon früher bei der Besprechung dieses vielseitigen Juristen erwähnt haben. Heinrich Zöpfl3) bewährt sich in seinem genannten Werke als fleißiger Sammler, sowie als geschickter Darsteller mit gediegen ge­

schichtlicher Sinnesrichtung und mit Verständnis für germanistische Eigenart, so daß wirklich Gedeihliches aus seiner Hand hervorgeht.

Die Entwicklung dieses seines Werkes ist aber zugleich bezeichnend dafür, wie damals allmählich (vgl. oben unter 5 zu Anfang) die politische Geschichte aus dem Verbände der deutschen Rechtsgeschichte sich ablöst und damit aus der Jurisprudenz ausscheidet. Während die erste Auflage noch ganz wie Phillips an Eichhorns synchronistischer

Methode festhält, die für jede Periode von der politischen Geschichte ausgeht und dieser die Rechtsgeschlchte angliedert, entschließt sich Zöpfl in der zweiten Auflage (1844—1847) schon dazu, einen kurzen poli­ tischen Überblick als ersten Band voraufzuschicken, dann im zweiten Bande die Quellengeschichte, endlich im dritten Bande die Geschichte der deutschen Rechtsinstitute zu geben, und zwar in zwei Abteilungen, öffentliches und sonstiges Recht gesondert. In der dritten Auflage

(1858) braucht da nur noch der bisherige erste Band einfach weg­ gelassen zu werden, und es bleibt bloß eine „Deutsche Rechtsgeschichte" übrig, wie das Buch sich denn jetzt auch nennt, und wie es die vierte Auflage 1871 erlebt hat. Hier reicht es bis zur Gründung des neuen Deutschen Reiches, enthält also bei der Geschichte des Staatsrechts einen Abschnitt über die spätere Entwicklung des deutschen Bundes und über den Norddeutschen Bund, wobei freilich der Verfasser als der geschichtlichen Würdigung dieser großen Vorgänge nicht mehr recht gewachsen erscheint. Bringen die beiden älteren Auflagen manche für ihre Zeit förderliche Ergebnisse auch eigener Forschung, z. B. in der Quellengeschichte über die germanistischen Elemente des Code Napoleon, auf die Zöpfl mit besonderem Verständnisse schon früh

hingewiesen Ijat3), so sind die beiden späteren Auflagen mehr durch LandSberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. IL Text

35

Siebzehntes Kapitel.

546

die regsame Verarbeitung fremder Forschungsergebnisse von außen her zu einem fast neuen Werk umgestaltet. Namentlich konnte hier ja für die fränkische Verfassungsgeschichte das Ergebnis der Waitzschen Ge­

schichtsschreibung benutzt werden. Gewissermaßen eine Ergänzung dazu bilden Zöpfls „Altertümer des Deutschen Reichs und Rechts", drei Bände, 1860 f., in denen der Verfasser seiner Neigung für philologisch-antiquarische Dinge freien Lauf lassen kann. Eine Reihe von einzelnen Studien sind mit liebe, voller Versenkung in den ost eigenartigen Stoff gearbeitet und rüfen veraltete Erscheinungen in eine Art künstlichen Lebens zurück. Wer diese Bände durchblättert hat, wird an Zöpfls wahrhaft geschichtlicher

Schulung und Denkart nicht mehr zu zweifeln vermögen. Und dennoch hört jeder wirklich durchgreifende Einfluß dieser

geschichtlichen Auffassung auch bei ihm auf, sobald er sich von der Geschichte zur Theorie des geltenden Staatsrechts wendet in seinem bekannten, lange herrschend gebliebenen Lehrbuche „Grundsätze des allgemeinen und deutschen Staatsrechts", erste Auflage, Heidelberg 1841, vierte „mit besonderer Rücksicht ans die neuesten Zeitverhältnisse stark

umgearbeitete" Auflage in zwei Bänden 1855 und fünfte Auflage 1863. Darin kann uns nicht einmal irremachen, daß sich seit der

vierten Auflage zwei besondere Abschnitte einschieben, die über das Staatsrecht des alten Deutschen Reiches und über die staatsrechtliche Veränderung zur Zeit des Rheinbundes einen kurzen Rückblick geben. Tatsächlich ragt keinerlei wirklich innerlich geschichtliche Verbindung aus diesen Stücken in die Schilderung des gegenwärtigen Rechts­ zustandes hinüber, dieser tritt nackt und unvermittelt als originäre Schöpfung auf, ja, der Verfasser selbst rechtfertigt den Einschub jener Abschnitte nur durch die Berufung darauf, daß man die Kenntnis der älteren Rechtszustände und Rechtsquellen auch heute noch öfter

praktisch brauche,

als

das im allgemeinen

angenommen zu werden

pflege; da nun viele Rechtshörer die deutsche Verfassungsgeschichte vernachlässigten, so sei es wünschenswert, diesen wenigstens hier das

Unentbehrliche zu bieten.

Gewiß recht vernünftig und didaktisch för­

derlich, aber doch so entfernt von historischer Kontinuität wie möglich. So schwer ist es auf dem Gebiete des Staatsrechts gewesen, sich zu einer solchen durchzuringen, während man doch das Muster im römi­

schen und deutschen Privatrecht vor sich hatte und zweifellos auch von dem lebhaften Wunsche beseelt war, diesem nachzueifern.

IV. Sonstige Germanisten.

6) Zöpfl.

547

Darum kann denn aber doch die dogmatische und praktische

Tüchtigkeit dieses Werkes von Zöpfl, das an Stelle des alten Klüber zu treten berufen war, nicht verkannt werden; sie wird von allen

Seiten stets eingeräumt, auch von liberaler Seite, nachdem das Buch selbst mit seinem Verfasser immer konservativeres, bundestagsfreund­ licheres Fahrwasser ausgesucht hat*). Namentlich die Darstellung des Bundesstaatsrechts beruht auf gründlicher Kenntnis aller, auch der sonst streng geheim gehaltenen Quellen, die Zöpfl durch den früheren

Zivilprozessualisten, damaligen Bundestagsgesandten v. Linde vermittelt worden zu sein scheint. Schon deshalb kommt dem Buche eine vor­ zügliche Brauchbarkeit für die Zeit bis 1866, sowie noch heute für

deren Studium zu. Die späteren Auflagen, für die dies besonders gilt, zeichnen sich ferner vorteilhaft dadurch aus, daß die allgemein philosophische Grundlegung schärfer vom positiven Recht geschieden und dieses immer vollständiger entwickelt ist. —. Daran reiht sich dann im zweiten Bande das „Allgemeine Territorial-Staatsrecht", begründet durch die Annahme, daß „sich im Laufe dieses Jahrhun­ derts

in der Nation eine gewisse Anzahl allgemeiner Anschau­

ungen und Grundsätze festgestellt hat, welche in der Praxis Gültig­ keit behaupten und ihre Grundlage bilden, obschon sie weder in die Form gemeiner verbindlicher Gesetze, noch in die Form eines juri­ stisch erweislichen gemeinen Herkommens eingekleidet worden sind."

Zöpfl geht hier selbst soweit von einem „nationalen Jdeenkreis in staatsrechtlicher Beziehung" zu reden. Mag man einer solchen Ab­ straktion auch mit Zöpfls Heidelberger Kollegen R. v. Mohl noch so ablehnend gegenüberstehen: hier scheint sich denn doch Zöpfl ein wahrhaft geschichtliches Und nationales Gefühl dauernd gewahrt zu haben, dem er dadurch zu einer Zeit und an einer Stelle, wo das nicht bedeutungslos war, offenen Ausdruck gegeben hat. Durch diese staatsrechtlich dogmatischen Leistungen, wie durch

seine geschichtlich antiquarischen Studien war dann Zöpfl weiterhin besonders berufen, die Erbschaft der alten Reichspublizisten und seines unmittelbaren Vorgängers K. S. Zachariä auf dem eigenartigen Ge­

biete des Privatfürstenrechts zu übernehmen. Er hat da seine Wirksamkeit hauptsächlich durch zahlreiche Gutachten ausgeübt. In

der Frage der Ebenbürtigkeit besonders steht er auf demselben weitherzigen Standpunkte wie Zachariä^), auch hier in scharfem Gegensatze zu

v. Mohl.

Die Methode der Behandlung aber ist 35«

548

Siebzehntes Kapitel.

ganz die altüberlieferte, Verjüngung.

wiederum ohne wahrnehmbare

historische

Während so Zöpfl bei allen Verdiensten um das deutsche Staats­

recht dieses vom historischen Gesichtspunkte aus zu fördern nicht ver­ standen hat, ist seine geschichtliche Neigung einer besonderen Seite der deutschen Rechtsgeschichte noch

vorzüglich zugute gekommen, und zwar im ausgesprochen germanistischen, lokalpatriotischen Sinne des Bambergers, der Erforschung nämlich der Ursprungsverhältnisse

der Carolina. Zöpfls grundlegende und selbständige Abhandlung über „das alte Bamberger Recht als Quelle der Carolina" von 1839 mag an einer gewissen Überschätzung des Einflusses älterer Bambergischer Rechtsquellen auf die Schwarzenbergische Bambergensis leiden, was dann Brunnenmeister 1879

richtiggestellt hat; aber sie macht

doch zum erstenmal auf diesen ganzen Quellenkreis und damit auf die deutschrechtliche Seite des Schwarzenbergischen Rechtsbuches auf­

merksam, zieht auch schon die Gerichtspraxis des 15. Jahrhunderts einschließlich des so wichtigen „Echtbuches" heran und ist so der Ausgangspunkt der späteren Forschung?) geworden, durch die der Entstehungsgeschichte der Carolina • endlich ihr Recht geschehen ist.

Auch hat Zöpfl das alte Material dafür in einem eigenen Urkunden­ buches herausgegeben, und ist schließlich dazu vorgegangen, eine Edition der Carolina selbst, nebst der Bamberger und der Branden­ burger Halsgerichtsordnung und den beiden Entwürfen von 1521 und 1529, uns im Jahre 18419) zu liefern.

Diese Ausgabe ist nicht

nur durch ihre synoptische Zusammenstellung und handliche Form bequem brauchbar, sondern auch ein wesentlicher kritischer Fortschritt für ihre Zeit gewesen, über die unmittelbar voraufgehende von Rein­ hold Schmid hinaus. Besonders zeichnet sie sich vor dieser dadurch aus, daß für das Projekt von 1521 eine auf Schloß Schwarzen­ berg in Franken wiedergefundene Handschrift zugrundegelegt werden konnte.

7. Die Sondergeschichte des deutschen Strafrechts, als Zweiges' der germanistischen Wissenschaft, hat erst etwas später wieder Förde­ rung erfahren durch Osenbrüggen, der hauptsächlich dazu beigetragen hat,, die Lücke zu schließen, die zwischen dem Endtermin von Wildas Darstellung und dem Beginne der Zöpflschen Forschungen zeitlich liegt; er ist besonders verdient um genauere Behandlung der stammes- oder ortsgeschichtlichen Entwicklung.

IV. Sonstige Germanisten.

7) Osenbrüggen.

549

Eduard Osenbrüggen*) (1809—1879) war von Haus aus nicht

Jurist, sondern Philologe, und zwar klassischer Philologe. Dem Rechte hat er sich genähert durch Vermittlung der römischen Geschichte, namentlich durch Bearbeitung Ciceronianischer Reden und durch die Übernahme der Novellenausgabe für das Kriegelsche Corpus Iuris. Schon damals findet sich die Geschichte des Strafrechts berücksichtigt,

besonders durch die Abhandlung

über das altrömische paricidium

von 18412). Daran schlossen sich' dann juristische Arbeiten streng zivilistischer Natur, Jnterpretationsversuche zum Corpus iuris civilis von 1842. Zum geltenden Strafrechte wurde Osenbrüggen erst durch seine akademische Laufbahn hinübergeführt, als er dafür nach Dorpat berufen wurde, wo er einiges über dortiges Kriminalrecht, besonders eine Sammlung strafrechtlicher

und romanistischer Arbeiten

seiner

Schüler als „Dorpater juristische Studien" 1849 herausgab. Von dort in gleicher Eigenschaft als Lehrer des Strafrechts in die Schweiz, nach Zürich, verschlagen, empfand seine allgemein anregbare und fein anpassungsfähige Natur bald das Bedürfnis, sich mit den Lebens­ verhältnissen der neuen Umgebung näher vertraut zu machen. Osenbrüggens Aufmerksamkeit wurde dabei namentlich gefesselt durch die ihm allenthalben begegnenden „Einrichtungen und Zustände altertüm­

lichsten und durchaus deutschnationalen Gepräges", „lebende Rechts­ altertümer", die ihm besonders in Appenzell und in den Urkantonen entgegentraten. Nachdem erst hierdurch sein germanistisches Interesse geweckt war, gab es seinen Studien eine neue Orientierung. Alle bisherigen Strebungen und Anregungen verbanden sich ihm nun zur Pflege der deutschen Strafrechtsgeschichte der mittleren Zeiten auf Grund örtlicher Studien. So entstand zunächst die Monographie über den Hausfrieden, Erlangen 1857, dann eine ganze Reihe kleinerer Aufsätzeb), endlich aus der Summe dieser Forschungen und Studien sein Hauptwerk „Das alamannische Strafrecht im deutschen Mittel­ alter", Schaffhausen 1860. Daran reiht sich noch das, besonders

Wilda zu ergänzen und berichtigen bestimmte, „Strafrecht der Lango­ barden", 1863, während gleichzeitig die Mitteilungen über Einzel­ forschung fortfließen, bis deren wichtigste schließlich zu einem Sammel­ bande, als „Studien zur deutschen und schweizerischen Rechtsgeschichte", Schaffhausen 1868, vereinigt worden sind.

Was für alle diese Leistungen besonders bezeichnend und förder­ lich ist, das ist Osenbrüggens genaue kritische und namentlich genau

550

Siebzehntes Kapitel.

lokalisierende Methode, die er selbst als die „Separiermethode" im Gegensatze zu Wildas „Agglomerations- und Konfusionsmethode" be­ zeichnet^). Er besitzt wirklich die Fähigkeit, sich enge an die einzelnen konkret geschichtlichen Tatsachen anzuschließen und,

mangels jeder

gemeinrechtlichen Einheit, die die deutsche Strafrechtsgeschichte vor der Carolina böte, sich mit den partikularistischen Verhältnissen zu be­

gnügen, wie er ja aus eben diesen die Anregung zu seinen Studien gewonnen hat. Nicht so sehr auf die Rechtsvorschriften kommt es ihm an, die irgendwo geschrieben stehen, als vielmehr auf Belege für das Recht, das wirklich in Übung gestanden hat, wie sich solche Be­

lege in Gerichtsbüchern, Urkunden,

Chroniken uff. finden lassen, in

Verbindung mit der Beobachtung noch fortlebender Volksgebräuche und altertümlicher Rechtseinrichtungen. Das ist gewiß die einzig

sichere, es ist die eigentlich den Grundsätzen der historischen Schule einzig entsprechende Methode, die zugleich aber wohl auch Osenbrüggens Persönlichkeit besonders entspricht, so daß ihm die darin

steckende Selbstbescheidung leicht wird, an der es so Viele trotz ähn­ licher Vorsätze bei der Ausführung fehlen lassen. Und dabei entgeht er doch wieder der Gefahr altertümelnder Mikrologie, indem er in allen Einzelheiten das gemeinsam Germanistische verfolgt, besonders aber die Stammeseigentümlichkeit betont. In dieser findet er zwischen der haltlosen Verallgemeinerung auf alle germanischen oder deutschen Verhältnisse einerseits und ortsgeschichtlicher Einengung andererseits eine feste Mitte. Sie dient ihm aber auch in seinem besonderen Falle außerdem dazu, über die politischen Grenzen der Gegenwart

Hinwegzugreifen und die alemannischen Teile der Schweiz mit den alemannischen Teilen Deutschlands zu einem einheitlichen Rechts­ gebiete zusammenzuziehen. Daß dabei Osenbrüggen auch die Mängel seiner Vorzüge hat, weder juristisch exakte Sätze zu prägen, noch entfernteren geschichtlichen Zusammenhängen nachzugraben liebt, ist selbstverständlich. Er pflegt in dergleichen immer nur die Gefahr

vorschneller Verallgemeinerung zu sehen, von der er sich ferne hält, und zwar auch dort, wo vielleicht einmal ein Wagnis zur Erzielung .eines hohen Gewinnes ratsam wäre; aber um so zuverlässiger sind eben seine Forschungsergebnisse, durch die er uns genaue Kenntnis bedeutsamer, auch auf die.Gegenwart noch vielfach nachwirkender alt­

nationaler Rechtsverhältnisse, Rechtseinrichtungen und Rechtsanschau­ ungen nicht selten ganz neu und überraschend erschlossen hat.

IV. Sonstige Germanisten.

,

7) Osenbrüggen.

551

Trotzdem haben wir schließlich für Osenbrüggen und das Straf­

recht denselben Mangel festzustellen, den wir soeben für Zöpfl und

das .Staats.recht zu bedauern hatten: es fehlt jedes Hinübergreifen dieser rechtsgeschichtlichen Studien und ihrer Ergebnisse in die dog­ matische Auffassung vom geltenden Recht. Hierher hat auch Osen­ brüggen die Grundsätze der historischen Methode zu übertragen nicht vermocht. Wir besitzen von ihm eine ganze Reihe teils streng wissen­ schaftlicher, teils mehr populärer Darstellungen zum geltenden deut­ schen und schweizerischen Strafrechte, namentlich einen Band „Ab­ handlungen aus dem deutschen Strafrecht", Erlangen 1857. Sie

zeichnen sich aus durch gesunde klare Auffassung, namentlich unge­ trübt durch die sonst das Strafrecht jener Zeit durchziehenden Dünste der Hegelschen Dialektik, wie denn ja auch Osenbrüggens Geschichts­ behandlung das Gegenteil Hegelscher Geschichtskonstruktion darstellt; aber von irgendwelcher Befruchtung durch geschichtliche Auffassung ist

keine Rede. Staatsrecht sowohl wie Strafrecht stehen uni jene Zeit noch wesentlich außerhalb des Wirkungskreises der historischen Schule, soweit es sich um Auffassung und Darstellung des geltenden Rechts

als solchen handelt; und weder Zöpfl noch Osenbrüggen waren die Männer, hier reformatorisch durchzugreifens). Dagegen bleibt Osenbrüggen der Ruhm, ein Pionier deutscher

historischer Auffassung im politischen Ausland gewesen zu sein, das ihn vom Romanisten zum Germanisten umgestaltet hatte. Es handelt sich offenbar um die Steigerung des nationalen Selbstgefühls durch den Gegensatz der Fremde. War doch auch der Entwicklungsprozeß

bei einem älteren Vertreter der historischen Schule, dessen spätere Verdienste wesentlich auf ähnlichem Gebiete liegen, ein ähnlicher. Auch Warnkönigs große Werke zur flandrischen und französischen Staats- und Rechtsgeschichte (je drei Bände 1835—1842 und 1845 bis 1848) sind ja von einem ursprünglichen und überzeugten Roma­ nisten geschaffen, während sie auf Grund der im Auslande gewonnenen Anregung neue germanistische Stoff- und Forschungsgebiete erschließen.

Sie übertragen die für die deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte in der historischen Schule geltend gewordenen Methoden und Anschau­ ungen auf die Rechts- und Staatsverhältnisse von Belgien und von Frankreich und betonen dabei das germanistisch Gemeinsamem

Sie

sind für die weitere nationale Erforschung dieser Verhältnisse grund­ legende, wennschon selbstverständlich und unvermeidlich alsbaldiger

552

Siebzehntes Kapitel.

Überholung durch einheimisch bodenständige Autoren vorherbestimmte Ausgangspunkte geworden. 8. Die weitere nationale Forschung in Belgien und Frankreich

liegt außerhalb der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft.

Zu

dieser dürfen aber im weiteren Sinne doch wohl noch gezogen werden die in der deutschen Schweiz und in den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands einheimischen Ausläufer der von der historischen Schule

ausgehenden Anregung, die der germanistischen Reichs- und Rechts­ geschichte dann wieder zugutegekommen sind. In der Schweiz handelt es sich um den von Keller, bereiteten Boden, der fach- und ortsgemäß durchaus deutschrechtliche Früchte

ausgeprägt helvetischen Erdgeschmackes zu tragen berufen war. Das Haupt dieses Schweizer Zweiges der deutschen historischen Schule ist Bluntschlß der zudem später, persönlich wie juristisch, auf rein deutsches Gebiet übertreten sollte. Er hatte auf dieses sachlich ja schon von

vornherein hinübergewirkt, u. a. durch seine uns schon bekannten Flugschriften über die neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen, von 1839, und über die neuesten Vorschläge zur deutschen Ver­ fassung, von 1848. Johann Kaspar Bluntschli^, geboren zu Zürich am 7. März 1808, war dort aus Kellers Schule hervorgegangen, dann in Berlin stark unter den Einfluß von Savigny und Schleiermacher,

in Bonn unter den von Hasse und Niebuhr getreten. Nach einem Aufenthalte in Paris 1830 zur Heimat zurückgekehrt, kam er dort

zunächst als Auditor am Amtsgericht in die juristische Praxis, als­ bald aber auch durch Übernahme von Vorträgen am „Politischen Institut" in die akademische Tätigkeit hinein.

An der neugegründeten

Universität Zürich erhielt er sofort 1833, wennschon zunächst nur als außerordentlicher Professor, ein Lehramt, innerhalb dessen er sich vom römischen zum deutschen Recht hinüberwandte, mit dessen Ordi­ nariat er dann auch 1836 .betraut wurde. Neben umfassender aka­ demischer und wissenschaftlicher Tätigkeit hatte Bluntschli sich aber auch mit regstem Eifer in die politischen Händel und Wirren seiner

Vaterstadt gestürzt, und zwar in scharfem Gegensatze zu seinem Lehrer Keller, dessen Radikalismus er einen gemäßigten Liberalismus ent­ gegensetzte, im Sinne des »juste milieu« der französisch-konstitutio­

nellen Schule, woran er zeitlebens festgehalten fjat2). So ward Kellers Sturz Anlaß zur Erhebung Bluutschlis3), der neben allen

IV. Sonstige Germanisten.

8) Die Schweiz mit Bluntschli rc.

politischen Ämtern aber stets die Professur beibehielt.

553

Er trat nun

namentlich auch in nächste Beziehung zu dem ganz absonderlichen Philosophen Friedrich Rohmer, durch dessen psychologisch-politische Lehre er dauernd beeinflußt, durch dessen Persönlichkeit er aber zu­

nächst in den Augen seiner Mitbürger stark kompromittiert wurde, so daß er 1847 als das erste Opfer eines abermaligen politischen Umschwunges fiel.

Obschon ihm der Auftrag zur Abfassung eines

Bürgerlichen Gesetzbuches trotzdem belassen wurde, hat er nun, wie

acht Jahre vorher Keller, alle seine staatlichen, städtischen und aka­ demischen Ämter und Beziehungen in der Schweiz Februar 1848

aufgegeben und sein Heil in Deutschland gesucht, während gleich­ zeitig deutsche Flüchtlinge zu den Schweizer Hochschulen eilten. Bluntschli wurde Professor für deutsches Privatrecht und für Staats­

recht in München; er nahm als solcher noch am zweiten deutschen Juristentag in Dresden teil und wurde dort durch die Wahl zum Präsidenten ausgezeichnet; als er aber auch in München wieder in

politische Mißhelligkeiten verwickelt wurde, folgte er Oktober 1861 einem Rufe als Nachfolger Robert v. Mohls nach Heidelberg. Auch in München und Heidelberg nahm er lebhaften Anteil am allgemein politischen Leben, an Tagesereignissen wie an der großen Entwick­ lung, stets vom Standpunkte des gemäßigten Liberalismus aus, also nun, unter deutschen Verhältnissen, in einer dem nunmehrigen Kon­ servatismus Kellers übers Kreuz entgegengesetzt umgestalteten Partei­ stellung. So ward er namentlich in Bayern hineingezogen in die Verwicklungen zwischen den von auswärts Berufenen und den Ein­

heimischen, in Baden kam er, als Anhänger einer deutschen Bundes­ reform unter Ausschluß Österreichs, in Berührung mit der großen Politik, ferner in enge Beziehung zu den kirchlichen Dingen durch

den Vorsitz des deutschen Protestantenvereins, den er zu Heidelberg übernahm. Auch war Bluntschli von Anfang seiner dortigen Tätig­ keit an Mitglied der ersten Kammer und bald in Baden überhaupt

vollständig einheimisch geworden.

Er ist zu Karlsruhe, nachdem er

dort die Ende September beginnende Session der neu zusammen­ gesetzten Badischen Generalsynode als Präsident geleitet und durch eine kernige Ansprache eben geschlossen hatte, am 21. Oktober 1881

eines plötzlichen Todes gestorben. Die Lebensschicksale, die politischen Betätigungen und selbst die politisch-historischen Schriften Bluntschlis können hier nicht weiter

554 verfolgt werden.

Siebzehntes Kapitel.

Die gegebenen Daten werden dem Leser genügen,

um sich von dem Einflüsse dieser Dinge auf Bluntschlis rechtswissen­

schaftlichen Entwicklungsgang eine Vorstellung zu machen.

Letzterer

hebt an mit romanistischen Arbeiten im strengen Stile der historischen Schule, besonders dem aus der Lösung einer akademischen Preisauf­ gabe hervorgewachsenen Buche „Entwicklung der Erbfolge gegen den letzten Willen nach römischem Recht mit besonderer Rücksicht auf die

Novelle 115", auf Grund dessen Bluntschli zu Bonn

1829 die Doktorwürde erhielt. Wie sich von da aus ohne Bruch mit den Grundsätzen der historischen Schule, vielmehr aus deren folgerichtiger Übertragung auf die Schweizer Rechtsverhältnisse, und ebenso ohne Bruch mit der Lehre und dem Beispiel Kellers, vielmehr auf Grund von dessen Gedankengang und Anregung, der Übergang zum deutschen Recht vollziehen konnte, ist schon früher hervorgehoben.

Bluntschli

wurde hier geleitet durch die klare Einsicht nicht nur darein, daß in seiner engeren Heimat dem einheimischen Rechte die leitende Stelle zukam, sondern auch im allgemeinen darein, daß die Zeit der Vor­

herrschaft der fremden Rechte auch für Deutschland ihrem Ende zu­ neige, nachdem diese Rechte zur Entwicklung von Rechtszustand und Rechtsverständnis das ihrige im wesentlichen geleistet hätten. Ohne deshalb die Verehrung für die bildnerische Bedeutung der römischen

Klassiker je aufzugeben, wurde so Bluntschli zum Germanisten ent­ schiedener Färbung, namentlich aber auch zum Anhänger neuerer Rechtsumgestaltung, schließlich selbst umfassender Kodifikation. Erst damit tritt er denn auch in einen gewissen Gegensatz zu den strengeren Grundsätzen der älteren historischen Schule, es beginnt sich durch

die Lektüre von Göschel und Stahls eine philosophierende Tendenz seiner historischen zu gesellen, und unter Rohmers Einfluß nimmt

erstere allmählich stark überhand, während gleichzeitig ihn politische und historische Interessen vom wissenschaftlichen Betriebe des Privat­ rechts ab zu der Gesetzgebung und weiter selbst zum Staats- und

Völkerrecht hinüberziehen.

Dazu gesellt sich dann eine populari­

sierende Neigung, wie sie dem doktrinären Liberalismus jener Tage eignet, im Sinne des Glaubens an die Erziehbarkeit weiterer Volks­

kreise zu vernünftiger Einsicht und Rückhaltung beim Gebrauche der politischen Macht, eine Neigung, der man leider selten ohne Einbuße Diese Periode Bluntschlis fällt überwiegend in seine Münchener und Heidelberger

an wissenschaftlicher Kernhaftigkeit gehuldigt hat.

IV. Sonstige Germanisten.

8) Die Schweiz mit Bluntschli rc.

555

Zeit, wissenschaftlich ist er entschieden darin eingetreten durch sein

„Allgemeines Staatsrecht", das in zwei Bänden zuerst 1851 und 1852 erschien6), populär-schriftstellerisch durch die elf Bände des

deutschen Staatswörterbuches, das er von 1857 ab6) zusammen mit seinem Freunde Braters und in Verbindung mit zahlreichen anderen Gelehrten herausgab. Es bildet gewissermaßen die nach einem Menschenalter politischer Erfahrung vorgenommene Modernisierung

des Rotteck'Welckerschen Staatslexikons. Daran reiht sich, in dem­ selben volkstümlichen Sinne schon durch den der Germanistik ent­ nommenen Namen als „Rechtsbuch" gekennzeichnet, Bluntschlis völker­ rechtliche Darstellung6) und ebenso endlich seine „Deutsche Staats­ lehre für Gebildete" von 1874. Eine größere, aber immer nur aus noch gar viel zahlreicheren Schriften auserlesene Anzahl seiner all­

gemeinen oder besonderen Aufsätze über Recht und Staat, Politik und Völkerrecht wurde endlich in zwei Bänden 1879 und 1881 herausgegeben. Man wird diese zweite — oder, wenn wir den romanistischen Auftakt besonders zählen, dritte — Phase von Bluntschlis Tätigkeit

nicht unterschätzen dürfen. Selbst abgesehen von ihrer praktischen, bürgerlich-politischen, gelegentlich sogar schon sozialen6) Bedeutsam­ keit, für die schon. der starke und dauernde äußere Erfolg spricht, handelt es sich denn doch auch, neben aller schnellfertigen Oberfläch­ lichkeit und neben allem philosophierenden Räsonnement, trotz der Rohmerschen Absonderlichkeiten10), um Leistungen auf wissenschaftlicher

Zeugnis dessen ist schon, daß eine historische Anknüpfung doch nicht selten wenigstens versucht wird"), .wenngleich sie für den staatsrechtlichen Stoff wohl noch kaum zu wahrhaft geschichtlicher Grundlage.

Durchdringung führt. Dazu kommt des Verfassers umfassende Kenntnis

von den politischen Zuständen und verfassungsrechtlichen Einrichtungen verschiedener Länder, wegen deren man namentlich in: dem „All­ gemeinen Staatsrecht" sogar schon „eine erste Grundlage für eine vergleichende Darstellung des modernen Staatsrechts" finden zu können geglaubt hat.. Auch die völkerrechtlichen Erörterungen, mögen sie gleich mehr ein für die Zukunft postuliertes, hin und wieder sogar etwas mehr phantastisch-utopistisches, als ein in der Gegenwart gültiges Recht darstellen, haben doch eben dadurch auch wieder zahlreiche erfreuliche, manche auch praktisch für den Kulturfortschritt förderliche Anregungen geboten; — wie denn Bluntschli an der Gründung des

656

Siebzehntes Kapitel.

»Institut de droit international« wesentlich mit beteiligt war, im Auslande ein großes Ansehen als Vertreter des Völkerrechts genoß und 1874 als deutscher Reichsbevollmächtigter an der Brüsseler inter­ nationalen Konferenz zur Festsetzung der Kriegsgesetze und -gebräuche teilgenommen hat. Aber eine eingehendere Würdigung der allgemein staatsrechtlichen Ausführungen von Bluntschli^) ist uns hier durch

diesen selbst verschlossen, da er ja es gewesen ist, der in einem be­ sonderen Teile der „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland" die „Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und der Politik seit dem

16. Jahrhundert bis zur Gegenwart" (München 1864) geliefert und dadurch diese Materie als Gegenstand getrennter Behandlung neben der Geschichte der Rechtswissenschaft in engerem Sinne festgelegt hat

Man wird diesen ersterschienenen Teil unserer Wissenschaftsgeschichte wohl als recht übersichtlich und lesbar geraten, kaum aber als be­ sonders vollständig oder tiefgründig kennzeichnen können. Nach alldem fällt zweifellos für uns hier und wissenschaftlich überhaupt der Nachdruck auf das, was Bluntschli für die Erforschung und für die Neugestaltung seines Züricher Heimatrechts geleistet hat; anschließend daran auch auf das, was er sonst bis in die Mitte der 50 er Jahre als Germanist geschaffen hat. An der Spitze steht hier das Werk „Staats- und Rechtsgeschichte

der Stadt und Landschaft Zürich", zwei Bände, Zürich 1838 und

183913). Man bemerkt es an ihm Abschnitt für Abschnitt, Seite für Seite: es ist auf Grund eingehender und selbständiger Forschung,

aus umfassend gesammelten archivalischen oder gedruckten Quellen entstanden; es ist sowohl stofflich fest und wurzelecht begründet, wie in der germanistischen Auffassung dieses Stoffes wohlgelungen, wenn­

schon natürlich noch gelegentlich durch die Anlehnung an überkommene germanistisch-historische Konstruktionsformeln irregeführt. Wie Bluntschli selbst sagt: „Das ganze Buch war ein erster Versuch, ein schweize­ risches Rechtssystem nach den Grundsätzen und der Methode der deutschen Rechtswissenschaft in seinem geschichtlichen Werden und in seinem inneren Zusammenhänge zu beleuchten." Dabei schließt es sich besonders an das Beispiel von Eichhorn und von dessen deutscher Staats- ulld Rechtsgeschichte, wie es denn auch Eichhorn und Savigny gewidmet ist. Die Überzeugung, daß es sich in der Schweiz, bei

diesem Schweizer Sonderrecht um einen Musterfall rein deutschen Rechts und rein deutscher Rechtsentwicklung handle,

deutscher und

IV. Sonstige Germanisten.

8) Die Schweiz mit Bluntschli rc.

557

reiner als in Deutschland selbst gegeben, liegt mit Fug zugrunde und wird sieghaft durchgeführt. Dadurch wird zugleich sowohl die Ver­ einzelung des Partikularistischen überwunden und für die Wissen­ schaft vom Schweizerrecht fester Anschluß an die große germanistische

Wissenschaft gewonnen, wie in wechselseitigem Austausche letztere durch

erstere vervollständigt und bereichert. Mag eine dann auch wieder auszuscheiden gehabt haben, gegangenen Verallgemeinerungen mit unterläuft, auch dadurch die schweizerische Rechtsgeschichte

folgende Generation was dabei an fehl­

und mag sich dann zu einer besonderen

Wissenschaft für sich entwickelt haben") — hier liegt denn doch der Angelpunkt der Gestaltung, und dieser führt klar, offen und bewußter­ maßen auf die deutsche historische Schule zurück. Keller und Bluntschli

haben in dieser, von vornherein Heimatrecht besessen, nicht erst seit­

dem sie auch staatlich Deutsche geworden sind. Von den beiden Bänden dieses Werkes ist der erste auf die ältere mittelalterliche Entwicklung bezüglich, also mehr geschichtlichen Charakters, der zweite, der bei der Reformation feit 1531 einsetzt und bis zur Gegenwart reicht, eher dogmatischen Gepräges. Die

erstere Richtung wurde hauptsächlich weiter gepflegt in einer um­ fassenden „Geschichte des schweizerischen Bundesrechts""), die aber

doch bereits in eine politisch-staatsrechtliche Schlußbetrachtung aus­ läuft"). Das dogmatische Element leitet hinüber zu der großen

gesetzgeberischen Aufgabe, die Bluntschli nun weiter gestellt wurde: seiner Kodifikation des Züricher Privatrechts. Indem man diese ganz in seine Hand legte und sie ihm auch nach allen politischen Wirren, selbst nach seinem Heimatswechsel beließ, sicherte sich Zürich in seltener Einsicht ein Werk von großzügiger Einheitlichkeit und von allgemeiner geschichtlicher Bedeutung, das aus wirklichem Verständnis für den rechtsgeschichtlichen Zusammenhang sowohl wie für modernes Rechts­ wesen hervor von Bluntschli geschaffen wurde. Auch formell zeichnet es sich aus durch die außergewöhnliche Kunst der klaren, kurzen und

sachgemäßen Fassung, die an Kellers Schriften und Schule erinnert. Inhaltlich aber ist es ein erster Triumph der entschiedenen Germa­

nistik, gewissermaßen ein erster Vorläufer ähnlicher Triumphe, die ihr im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuche zufallen sollten, im all­ gemeinen wie in zahlreichen Einzelheiten. So greift z. B. in der Parentelordnung des Erbrechts") die selbstbewußte, germanistische

Auffassung als solche durch, während wenigstens von dieser Begründung

Siebzehntes Kapitel.

558

im österreichischen Gesetzeswerk noch nicht die Rede ist.

So hat

sich denn auch dieses Gesetzgebungswerk Bluntschlis, das seit 1855 in Kraft steht in der Praxis nach allgenleiner Ansicht dauernd bewährt.

Es ist selbst durch das neue Zürcher Gesetzbuch, das am

1. Januar 1888 an seine Stelle trat, nur in Einzelheiten abgeäüdert,

sonst darin nur neu gefaßt worden, und hat der neuerdings erfolgten gemeinschweizerischen Privatrechtskodifikation als wesentliche Vorarbeit gedient. Man wird es kurz als die dauernde privatrechtliche Er­ rungenschaft für Zürich und für die Schweiz aus den politisch wie juristisch heroischen Anfangszeiten der Keller, Finsler und Bluntschli bezeichnen dürfen; es hat aber selbstverständlich auch alsbald mittel­ bar nach Deutschland hinüber seinen wesentlichen Einfluß ausgeübt. In

die Annalen

der

deutschen Rechtswissenschaft

hat

dann

Bluntschli, unmittelbar vom deutschen Boden aus, nochmals einge­ griffen hauptsächlich durch die von ihm 1853 gemeinsam mit Arndts und Pözl besorgte Gründung der „Kritischen Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft",

die eine Reche von Jahren

bestand und dann bekanntlich in die heute noch blühende „Kritische Vierteljahrsschrift" überging. Das von Bluntschli verfaßte Vorwort geht mit Recht davon aus, daß die alten Gegensätze zwischen geschicht­

licher und ungeschichtlicher Behandlung der Rechtswissenschaft so gut wie verschwunden, auch die Gegensätze zwischen absoluter Romanistik und absoluter Germanistik, zwischen absoluter Ablehnung aller moder­ nistischen Kodifikation und eifriger Hinneigung dazu im Verblassen begriffen sind, kurz, daß offenbar die Rechtswissenschaft in eine neue Entwicklungspcriode eben eintrete — eine Periodisierung, auf die wir

unten in Kap. 19 eingehender zurückzukommen haben werden. Ihr entsprach es übrigens wohl kaum so ganz, wenn Bluntschli selbst

sein „Deutsches Privatrecht" von demselben Jahrein) mit einer recht

kriegerisch germanistischen Vorrede ausstattete, die in der Erkenntnis und Fortbildung des modernen Rechts zugleich den einfachsten Weg finden will, „die ungebührliche Herrschaft römischer Begriffe und Gesetze allmählich zurückzudrängen und zu beseitigen."

Doch ist diese

Vorrede insofern trotzdem gar wohl verständlich, als das durch sie eröffnete Buch eben in der Verbindung deutschrechtlicher mit modernen

Ideen, eben in der modernistischen Umprägung deutscher Rechts­ gedanken seine Stärke hat, gerade wie sich dadurch, mit partikulari-

stischem Einschuß, Bluntschlis Gesetzgebungswerk ausgezeichnet hatte.

IV. Sonstige Germanisten.

8) Die Schweiz mit Bluntschli :c.

559

An Bluntschlis rechtsgeschichtliche Forschung hat sich dann inner­ halb der Schweiz zunächst aufs engste angeschlossen der Glarner

Archivar, Politiker und Historiker Slum er20) durch seine „Staats­ und Rechtsgeschichte der schweizerischen Demokratie", 2 Bde., St.GalleU 1850—1859, die sich selbst als Ergänzung zu Bluntschlis Werk

über Zürich kennzeichnet; ebenso der Leiter der Luzerner konservativ­ klerikalen Partei, der bekannte Politiker, Historiker und Publizist von Segesser2Z, gleichzeitig durch seine Rechtsgeschichte der'Stadt und Republik Luzern, 4 Bde., 1850—1858, die gleichfalls Bluntschli

als Muster benennt und gleichfalls auf Eichhorns allgemeines Vor­ bild konstruktiv zurückgeht. Ferner darf als Mitglied dieser Gruppe

noch der Zürcher Georg von Wyß22), obschon weit überwiegend reiner Historiker, doch schon deshalb bezeichnet werden, weil auch seine geschichtliche Forschung vielfach auf Anregung von feiten Kellers zurückführt, wie denn auch sein größeres, von einem Urkundenbuche

begleitetes Werk, die „Geschichte der Abtei Zürich", 1851—1858, reichlich rechtsgeschichtliche Beziehungen bietet. Dazu kommen endlich die zahlreichen echt rechtsgeschichtlichen Arbeiten des jüngeren Bruders Friedrich von Wyß, die mit ihrer tiefeiudringenden Sonderforschung den Übergang zur folgenden Zeit bilden.

Dürfte das etwa der Tatbestand in der Schweiz sein, wo es demnach zu einer örtlich und zeitlich umfassenden Bewegung ge­ kommen ist, so handelt es sich dagegen für die russischen Ostsee­

provinzen unter den dortigen politisch und national so viel ungünsti­ geren Verhältnissen wesentlich nur um eine vereinzelte Erscheinung. Es ist hier F. G. von Bunge22), der die geschichtliche Methode der Rechtswissenschaft in diese Grenzmark national deutschen Lebens übertragen und ihr Recht in lebendigen Zusammenhang mit dem deutschen Recht, der Anlage und dem gesamten Gange der Entwick­ lung nach, zu bringen verstanden hat. Obschon zunächst Schüler des alten Dabelow2^) aus einer Zeit, zu welcher an der Universität Dorpat überhaupt keine Vorlesungen

über das dortige Provinzial-Privatrecht gehalten wurden, war Bunge doch schon von diesem seinem Lehrer aus dieses Gebiet als auf ein Er hatte sogar schon in autodidaktisch selbständiger Weise sich dafür

lohnendes und bisher ungenügend bebautes hingewiesen worden.

eine historische Anschauung und Grundlage selbst geschaffen2^), als Homeyers Sachsenspiegel-Ausgabe von 1827 ihm zur Hand kam und

560

Siebzehntes Kapitel.

nunmehr die entscheidende Anregung gab zu der Abhandlung „Über

den Sachsenspiegel als Quelle des mittleren und umgearbeiteten liv­

ländischen Ritterrechts", die bereits 1827 erschienen ist. Von da aus ging dann Bunge weiter zum Studium der Schriften von Savigny und Eichhorn vor, die nun für seine wissenschaftliche und juristische Auffassung maßgebend wurden. Als überzeugter und bewußter An­ hänger der historischen Schule schrieb er seine „Beittäge zur Kunde der liv-, esth- und kurländischen Rechtsquellen", 1832, durch die er

der Begründer der baltischen Rechtsgeschichte im modernen Sinne, d. h. als eines Zweiges der deutschen Rechtsgeschichte geworden ist. Namentlich der erste jener Beiträge gilt als bahnbrechend für das,

was dann Bunges dauerndes Verdienst liche Sicherung des Zusammenhanges schem Recht, die Darlegung des echt baltischen Rechtsquellen, außerdem die

geblieben ist, die wissenschaft­ zwischen deutschem und balti­ germanischen Charakters der kritische Festlegung ihrer Um­

arbeitungen, Verschiedenheiten voneinander und Beziehungen zueinander. Aus der Liebe für die heimischen Einrichtungen und für ihre Sonder­ art, aus dem geschichtlich gewonnenen Verständnisse für die allmählich gewohnheitsrechtlich entstandene Praxis als Grundlage des gegen­ wärtigen Zustandes ging dann die Anschauung hervor, die Bunge schon 1833 aussprach 26), daß es nämlich Aufgabe der Gesetzgebung sein müsse, möglichst konservativ diesen Zustand zu festigen, wennschon durch Kodifikation, so doch lediglich durch eine das bestehende Recht sichernde und klärende Kodifikation. Aufgabe der Wissenschaft dagegen

sei es, dafür die nötigen geschichtlichen, besonders lokalgeschichtlichen Forschungen anzustellen und Nachweisungen zu liefern: Ein Programm, so recht im Sinne Savignys, das dann Bunge nach beiden Seiten hin zu verwirklichen berufen sein sollte. So erschienen von ihm „Die Geschichte der Standesverhältnisse in Liv-, Esth^ und Kurland bis zum Jahre 1561" und „Das livund esthländische Privatrecht wissenschaftlich dargestellt", beide 1838. Wenn ersteres Buch wesentlich an Eichhorn sich anlehnt, so ist das letztere ein selbständiges Hauptwerk, aus 15jährigen Studien und Vorlesungen hervorgegangen, bemüht, Theorie und Praxis auf ge­ schichtlichem Wege möglichst in Einklang miteinander zu bringen, und diese selbstgesetzte Aufgabe verständnisvoll lösend. Später schloß sich daran (1851, mit Unterstützung von Karl Neumann) eine ähnliche

Bearbeitung des kurländischen Privatrechts.

Die quellen- und rechts-

V. Der Zivilprozeß.

1) Briegleb.

561

geschichtliche Forschung, wie sie bereits in den „Beiträgen" vorlag,

wurde ferner noch wesentlich ausgedehnt und vervollständigt 1849, 1862 und 1874; so daß dabei schließlich, neben der bloß äußeren, immer mehr eine innere Geschichte für Privatrecht und Prozeß ent­ steht, während die mehr verfassungsgeschichtlichen Verhältnisse von

Reval 1874, von Esthland 1877 und von Riga (im 13. u. 14. Jahr­ hundert) 1878 zu besonderer Behandlung gelangen. Ferner bemühte sich Bunge in jenen Jahrzehnten mit Erfolg darum, die dortigen Rechtsquellen herauszugeben27) und das Interesse daran durch ört­

liche Zeitschriften zu fördern. In Reval fand er Anlaß zu um­ fassenden archivalischen Forschungen, die ihn auch auf das politisch historische Gebiet hinüberführten, auf das wir ihm hier nicht folgen können,

obschon gewiß. die stattlichen Bände seiner Monumenta

Livoniae

daneben keineswegs der staats- und rechtsgeschichtlichen

Bedeutung ermangeln. Namentlich aber hat dann Bunge noch in 8jähriger Arbeit, amtlich in Petersburg dazu angestellt, tatsächlich fast allein die Privatrechtskodifikation für die drei Provinzen ausgearbeitet, getreu nach seinem Grundsätze, unter möglichst pietätvoll konservativer Anlehnung an die herrschende Praxis. Diese Kodifikation steht dort seit dem 1. Januar 1865 in Gesetzeskraft. „Der gelungene Abschluß der Kodifikation des Privatrechts2^) war die Krönung von Bunges 40jähriger Lebens­

arbeit" — wir dürfen sie aber wohl auch neben Bluntschlis Zürcher Gesetzbuch als einen der erfreulichsten Erfolge, als einen der stolzesten

Siege der deutschen historisch-germanistischen Rechtswissenschaft in Anspruch nehmen, errungen in der Diaspora zu einer Zeit, da in der Heimat für die ersehnte einheitliche Privatrechtskodifikation noch immer die politischen Voraussetzungen mangelten. V. Die Schriftsteller, die lediglich den älteren, römischen oder deutschen, ursprünglichen oder mittelalterlichen Zivilprozeß behandeln (Keller, Heffter, v. Bethmann-Hollweg, Maurer, Homeyer), hatten wir zu den Romanisten oder Germanisten der historischen Schule allge-

meinhin einzustellen. Dagegen wird ein selbständiger Abschnitt für die historische Schule des Prozeßrechts einschließlich des Strafprozesses erforderlich, seitdem die Untersuchungen der älteren prozessualen Ver­ hältnisse wesentlich dem Zwecke dienen, die gegenwärtigen aufzuklären; vollends auf rein prozessualem Gebiete befinden wir uns, wo das be­ stehende Recht selbst historisch dargestellt wird. Landsberg. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

36

562

Siebzehntes Kapitel.

1. Der erste, der auf einen Gegenstand des geltenden gemeinen

Zivilprozesses, darauf aber auch sofort in durchgreifender Weise, die Grundsätze der historischen Schule im

allgemeinen,

v. Bethmanu-

Hollwegs insbesondere durchzuführen verstanden hat, ist Hans Karl Briegleb*) (1805—1879) in seinem epochemachenden Werke „Über exekutorische Urkunden und Exekutivprozeß", Nürnberg 1839,

2. Auflage 1845.

In kurzen Zügen, durch genaue und schlagende

Zitate 2) weist da Briegleb nach, wie der Exekutivprozeß aus den exekutiven

Urkunden,

wie diese

aus

der

italienischen Praxis und

Statutar-Gesetzgebung, wie diese Rechtsgestaltungen ihrerseits aber wieder aus germanistischen Rechtsanschauungen erwachsen sind, wenn­ schon unter äußerlicher Anlehnung an ein Hilfsmittel des römisch­

justinianischen Prozesses.

Durch

diesen

positiven Nachweis fallen

ganz von selbst, ohne daß es besonderer Widerlegung bedürfte, alle

bisher aufgestellten, frei erdachten anderweitigen Annahmen in sich

zusammen, wie namentlich die Herleitung des Exekutivprozesses aus dem einheimisch deutschen Selbstpfändungsrechte oder die Behandlung des Exekutivprozesses als einer summarischen Prozeßart im gewöhn­

lichen Sinne des Wortes.

So ergibt sich der wesentliche Fortschritt

für die Prozeßwissenschaft im allgemeinen über den einzelnen Fall des Urkundenprozesses hinaus: die Einsicht, daß historische Erklärung

nicht Sache eines mehr oder weniger geistreichen oder glücklichen Ein­ falles sein kann, sondern nur eines genau von Glied zu Glied rück­

greifenden Nachweises; womit sich von selbst die weitere Einsicht ver­

bindet, daß nur solche geschichtlich gefundene Gesichtspunkte das dog­ matische Bedürfnis befriedigen, die in allen Einzelheiten, aus den richtig angesetzten geschichtlichen Prämissen hervor,

zu

dem Rechte

der Gegenwart stimmende Folgen ergeben.

Die allseitige gründliche Kenntnis der italienischen und deutschen

nicht nur, sondern auch der spanischen und französischen Verhältnisse, wovon Brieglebs Werk Kunde gibt,

erhebt es

außerdem zu einem

Muster für die Erforschung derartiger international gemeinsamer mediävistischer Rechtszusammenhänge auf allen möglichen Rechtsgebieten.

Und die scharfsinnige Kennzeichnung, daß es sich dabei um eine „dem germanischen

Schuldrechte

überhaupt

zugrunde liegende

Ge­

sinnung" handelt, die zwar in romanischer Gewandung auftritt, sachlich aber mittels der italienischen Jurisprudenz sich durchzusetzen versteht, bietet dafür ein ebenso einleuchtendes wie auf die verschiedensten son-

V. Der Zivilprozeß.

1) Briegleb.

563

fügen Stoffe übertragbares Grundmotiv. So hat denn auch Briegleb

selbst es mehrfach zu wiederholen und zu variieren nicht unterlassen. Denn es ist doch wesentlich nur eine früher schon angeschlagene Saite, die fortklingt, wenn Briegleb in seiner Vorrede zu der von

ihm besorgten Ausgabe der Prozeßtraktate von Joh. Faxiolus und Bartolus (Erlangen 1843) hervorhebt, daß die späteren deutsch­ gemeinrechtlichen Prozeßgestaltungen sich vielfach bei solchen Italienern schon fertig vorfinden. Und wiederum die in dem ersten Werke schon gewonnene Einsicht3) in die Natur des summarischen Prozesses ist es, um die es sich bei dem ausführlichen dogmatischen Werke von 1859

handelt, der „Einleitung in die Theorie der summarischen Prozesse".

Sowohl für den herkömmlich sogenannten unbestimmt summarischen, wie für den bestimmt summarischen Prozeß, den Briegleb mit Recht

als einzig hierhergehörig zuläßt, wird hier die historische Grundlegung

aus der italienischen Jurisprudenz des Mittelalters gewonnen, hier aber in noch wesentlich breiterem Maße, so daß das Ergebnis zum systematischen Verständnisse der geltenden Rechtsverhältnisse, zur Klärung der herrschenden Lehre unmittelbar verwertet werden kann. Dabei zeigt es sich abermals, daß die Glätte der romanistischen Form

irregeführt, über die innerliche Verschiedenheit der Prozeßarten hin­ weggetäuscht hat, die unter dem Schlagwort »summaria cognitio« zusammengefaßt waren: Indem es sich bei dem unbestimmt summarischen Prozesse nur um ein beschleunigtes ordentliches Verfahren handelt, dagegen bei dem wirklich summarischen Prozesse um eine Neubildung des mittelalterlichen Gewohnheitsrechts, ausgehend von einer bestimmten Beweisqualität und nur von dieser aus in ihren Einzelheiten erklärbar. Wenn heute unser Zivilprozeß für sein Urkunden- und Wechselver­ fahren mit folgerichtiger Bestimmtheit diesen Charakter eines besonderen Beweisrechts durchführt und alle gemeinrechtlich summarischen Zwitter­ bildungen abgestoßen hat, so dürste das ursprüngliche Verdienst dafür

auf Brieglebs Behandlung zurückgehen. Dagegen die „Bescheinigung" unseres Zivilprozesses hängt zusammen mit Ideen, die Wetzell in einer Polemik gegen diese Anschauungen Brieglebs vertreten hatte, wennschon diese Wetzellsche sogenannte „Bescheinigungstheorie" auf dem Boden des damaligen, historisch-gemeinrechtlichen Schlachtfeldes

gegenüber Brieglebs „krirnakaoitz-Theorie" unterlegen sein dürfte. Jedenfalls gewann Brieglebs Wirksamkeit wesentlich durch diese und

ähnliche Kontroversen, zu denen er angeregt hatte, indem sich nun 36*

564

Siebzehntes Kapitel.

ein stärkeres dogmatisches Interesse in seinen späteren Werken ein­ stellt; dazu kömmt Brieglebs so eifrige, gründliche und erfolgreiche Lehrtätigkeit. Von dieser legen zwei Hefte zu akademischem Übungs­

gebrauch gesammelter Rechtsfälle (Göttingen 1848 und 1850) Zeugnis ab, Fälle, die so recht als praktische Illustrationen des gemeinen Prozesses zu dienen geeignet und dafür mit feinstem Verständnisse

aus älterem und jüngerem Aktenmaterial ausgesucht sind. Wenn Brieglebs Polemik, besonders gegen Bayer und dessen Schule, gelegentlich wohl etwas kräftig klingt, so wird man ihm nach alledem dazu getrost die Berechtigung zusprechen dürfen. Für For­ schung wie für Unterricht hat er zweifellos die Wissenschaft des Pro­ zesses auf eine neue Stufe gehoben, die wesentlich über den Betrieb der Bayer und Linde hinausgeht. Und zwar ist dies ausschließlich der Erfolg seiner bisher besprochenen Tätigkeit bis zu Ende der 50 er

Einige kleinere Abhandlungen aus späteren Lebens­ jahren^) kommen dafür weniger in Betracht, so feine Einzelheiten Jahre gewesen.

auch darin enthalten sein mögen, z. B. betreffend die Terminologie von „Arrest und Kummer". Immerhin weisen auch diese Abhand­ lungen, indem sie mit gleicher Meisterschaft Germanistisches und streng Romanistisches behandeln, deutlich darauf hin, wie aus diesem so seltenen Gleichmaß der Wurzelkräfte Brieglebs volles mediävistisches Verständnis erwachsen ist. 2. Dagegen überwiegt das germanistische Element, als Gegen­ gewicht gewissermaßen gegen Bethmann-Hollwegs mehr romanistische Ausgangspunkte, bei der historischen Behandlung des gemeinen Pro­ zesses durch Julius Wilh. Plancks. Bei diesem ist ferner die der

unmittelbaren Gesetzesanwendung zugekehrte, die mehr dogmatische und selbst kasuistische Seite von vornherein stärker betont, schon durch die Beziehungen zu seinem nahen Verwandten und Lehrer Martin, wie ihn denn weiterhin seine Laufbahn mehrfach neben der akademi­ schen zu richterlicher Tätigkeit geführt hat. Da er überdies aus­

geprägten Sinn für neue, fortschrittliche Rechtsbildung und Verständnis für die kodifikatorischen Aufgaben der Neuzeit mit der historischen

Grundstimmung verbindet, so wird er zum vollendeten Vertreter des ausgebildet antiromanistischen, germanistisch-historischen Standpunktes der 40er Jahre auf dem prozessualen Gebiete, um von da in seinem höheren Lebensalter zur neutralen Beherrschung des neuen deutscheil Zivilprozesses, zu desseu Herleitung gleichmäßig aus altrömischen und

V. Der Zivilprozeß.

altdeutschen Rechtselementen

2) I. W. Planck.

vorzuschreiten

565

und die Stellung eines

allseitig anerkannten Altmeisters der Prozeßwissenschaft überhaupt zu gewinnen. Plancks „Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts", Bd. 1, Nördlingen 1887, Bd. 2, Müncken 1896, gehört freilich einem Stoffgebiete und einer Zeit an, deren Wissenschaftsgeschichte hier noch

nicht geschrieben werden kann;

aber wir dürfen seiner doch

gerne

Erwähnung tun als des Endgliedes einer Kette, die dadurch nicht

nur von Planck persönlich, sondern von dem hier behandelten Ent­ wicklungsstadium des Prozeßrechts überhaupt zur Gegenwart hinüber­ führt. Und zwar muß dies um so mehr betont werden, als Planck selbst Ende 1888 einen Überblick über „Die historische Methode auf dem Gebiete des deutschen Zivilprozeßrechts" gegeben?) und dabei

die Verdienste aller Beteiligten mit peinlicher Vollständigkeit gewür­ digt, nur seine eigenen Verdienste, ja seine ganze Wirksamkeit mit vollständigem Stillschweigen übergangen hat. ■ Planck hat von vornherein das prozessuale Gebiet bearbeitet, zunächst aber in noch ungeschiedener Anlehnung an die Grundlagen der Savignyschen historischen Schule allgemeinhin. Auf diesem Stand­ punkte steht noch ausschließlich seine so sachförderliche Dissertation de legitimatione ad causam von 1837, indem sie sauber, auf rein romanistischer Grundlage die bisher ■ herrschende jämmerliche Ver­ wirrung zwischen persönlicher Vertreterlegitimation, als einer Prozeß­ voraussetzung, und sachlicher Legitimation, als einem Teile des Klagogrundes, löst. Sie leistet dadurch für diesen Rechtszweig Ähnliches,

wie etwa für das Privatrecht es durch die Aufklärung über domi­ nium utile, über culpa levissima, über prätorische Rechtsschutz­ verhältnisse o. dgl. geschehen war. — Auf demselben Stand­ punkte steht aber auch noch ganz überwiegend Plancks erste größere Veröffentlichung, seine klassische „Entwicklung der prozessualen Er­ scheinungen, die durch den Einfluß mehrerer Rechtsstreitigkeiten auf­

einander'hervorgerufen werden", unter dem Titel „Die Mehrheit der

Rechtsstreitigkeiten im Prozeßrecht"^ erschienen Göttingen 1844. Auch hier liegt das Verdienst im wesentlichen noch in der Entwirrung mittelalterlicher Verwechslungen und Verbindungen, in der unbefan­ genen Herausschälung des echt römischen Rechtsgedankens, daß mit derselben Sache die gerichtliche Gewalt nur einmal sich befaßt, daß aber die Verbindung mehrerer Sachen zu gemeinsamer Verhandlung regel­

mäßig nur dem billigen Ermessen des prozeßleitenden Beamten ent-

566

Siebzehntes Kapitel.

springt, ohne auf einem Parteirecht zu beruhen. Diese Sätze werden sowohl für den Zivil- wie für den Strafprozeß durchgeführt, natür­

lich mit einigen sachgemäßen Verschiedenheiten.

Widerklage, Streit­

genossenschaft, Prinzipalintervention und Präjudizialverhältnis werden

von diesem Gesichtspunkte aus so beleuchtet, daß die Ergebnisse Ge­ meingut der Wissenschaft und vielfach auch für die jüngere Gesetz­

gebung maßgebend geworden sind. Gerade dieses ist denn doch aber wesentlich dadurch ermöglicht, daß der umfassende Abschnitt, der die Fortbildung der Rechtsansichten im Mittelalter und bis auf die neueste

Zeit untersucht, bereits beginnt, in den mittelalterlichen Umgestal­ tungen nicht bloß Verzerrungen, sondern zum Teil auch die Keime brauchbarer Neubildung zu sehen und zu berücksichtigen: die Wirkung von Brieglebs Vorgang wird da zuerst deutlich sichtbar. Zum Durch bruche und zur Herrschaft ist dann diese Auffassung gelangt in Plancks zweitem größeren Werk, „Die Lehre von dem Beweisurteil", Göttingen 1848. Und zwar offenbar im Zusammen­ hänge mit dem deutschrechtlichen Aufschwünge jener Jahre, im Zu­ sammenhänge namentlich mit der Erkenntnis, daß diese mittelalter­ lichen Neubildungen innerlich deutschrechtlichen Wesens sind. Erst dadurch erhalten sie für Planck — der insofern sich von Brieglebs

Würdigung der Neubildungen als solcher schlechtweg unterscheidet — volle Sachlegitimation. Ja, Planck nimmt dann ganz entschieden als

Richtlinie den früher einmal mehr gelegentlich von Nietzsche hinge­ worfenen Gedanken auf, daß, wo das mittelalterliche Verfahren von

dem römischen abweicht, es sich um gar nichts anderes, als um deutschrechtliche Dinge handeln kann. Nicht nur äußerlich und ört­ lich räumt er nunmehr diesen den Vorrang ein, indem er mit der Behandlung des germanischen Beweisurteils nach sächsischen Quellen beginnt und dann erst dessen Zusammenstoß mit dem römischen Recht schildert, um endlich aus alledem, in besonders gelungener Darstellung, das gemeine Recht herzuleiten; sondern selbst sachlich, indem er

sich für die germanische Bindung durch förmliches Beweisurteil gegen das romanistisch freie Beweis-Interlokut ent­ scheidet. Die betreffenden Vorschläge Plancks sind freilich von der Hannoverschen Prozeßordnung vom 8. November 1850 ausgenommen

gesetzgeberisch

worden 4), dann aber bekanntlich nicht mehr von der deutschen Zivilprozeßordnung, die vielmehr zum freien Beweisbeschluß für die Regel zurückgekehrt ist.

V. Der Zivilprozeß.

2) I. W. Planck.

567

Bereits in diesem Werke Plancks muß es auffallen, wie er seine allgemein germanistischen Ausführungen wesentlich nur auf sächsische Rechtsquellen gründet — mag auch im einzelnen Falle die Verallge­

meinerung des Ergebnisses nicht eben unzutreffend fein6). Diese An­ ziehungskraft der sächsischen Quellen sollte nun aber für Plancks weiteres Schaffen auf längere Zeit hinaus maßgebend werden. Zwar

hat er sich ihr noch einmal entwunden, um den interessanten Versuch anzustellen, aus den seit dem Jahre 1848 ergangenen deutschterrito­ rialen Neuordnungen des Strafverfahrens einen gewissermaßen neuen deutschen gemeinen Strafprozeß zu abstrahieren, unter voller Auf­ nahme der neuzeitlichen Fortschritte, aber unter möglichster Wahrung des bisherigen Rechts und der Rechtsgemeinschaft. Jedoch die so entstandene „Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens

auf Grundlage der neuen Strafprozeßordnungen seit 1848" (Göt­ tingen 1857) ist denn doch nicht der Ausgangspunkt eines neuen „gemeinen deutschen Strafprozesses" geworden, wie Planck es gehofft haben mochte. Abstraktionen, die im Schutze der Staats- und Rechts­ dämmerung älterer Tage, für Materien wie das gemeine Privat-

Zivilprozeß- oder Territorialstaatsrecht gedeihen mochten, fanden im vollen Lichte moderner Kodifikation auf dem Gebiete des Strafpro­ zesses keinen geeigneten Boden; und für Planck persönlich handelte

es sich denn doch mehr nur um eine Zwischenbeschäftigung, die als­ bald wieder durch das geschichtlich-germanistische Interesse abgelöst

wurde.

Nur daß dieses nunmehr bewußtermaßen,

unter methodo­

logisch richtiger Ablehnung jeder Verallgemeinerung, freilich auch unter Ablehnung der Hinüberführung bis zum geltenden Rechte, sich auf die sächsischen Rechtsquellen' des Mittelalters vereinigt. Aus den einschlägigen Studien, die etwa drei Jahrzehnte hin­ durch betrieben wurden, ist dann Plancks Monumentalwerk entstanden, sein „Deutsches Gerichtsverfahren des Mittelalters", 2 Bde., Braun­ schweig 1879. Wir dürfen diese Musterleistung treuer Geschichts­ forschung hier noch trotz dixses Datums getrost in diesem Zusammen­ hänge behandeln, als echtes Erzeugnis der wissenschaftlichen Stimmung und Richtung der historischen Schule, denn es ragt das Werk ge­ wissermaßen zeitlos, abgelöst von den literarischen und von den gesetzgeberischen Aufgaben des Tages, in eine spätere Epoche hinein, die Mühe hat, seiner Objektivität, seiner lediglich auf Geschichts­

erkenntnis gerichteten Strenge gerecht zu werden.

Es enthält eine

568

Siebzehntes Kapitel.

systematische Darstellung der Gerichtsverfassung, des Zivil- und des Strafprozesses aus der Zeit des späteren Mittelalters in den Län­ dern des sächsischen Rechts b); „was aus den bezeichneten Quellen herauszuholen ist, hat der Verfasser herausgeholt und zu einem an­ schaulichen Bilde vereinigt." Nordgermanische und süddeutsche Quellen sind freilich ebensowenig wie irgendwelche urkundliche Rechtszeugnisse

berücksichtigt; aber in seiner eigenartigen Beschränkung steht das Buch vollendet da. Mit ihm ist Plancks Tätigkeit, soweit sie für uns in

Betracht kommt, abgeschlossen?). 3. Indem Planck sich längere Zeit ausschließlich solchen anti­ quarischen Studien widmete und auf das geltende Zivilprozeßrecht erst zurückkam, als dies ein neukodifiziertes des neuen deutschen Reichs

geworden war, überließ er die Aufgabe, den alten gemeinen Zivil­ prozeß vom historischen Gesichtspunkte aus abschließend zu behandeln,

wieder einem Romanisten und zwar einem ausgeprägten Schüler Puchtas, seinem etwas jüngeren Zeitgenossen Georg Wilhelm Wetze II1). Diesem fiel es damit zu, die Einzelergebnisse, die wesent­ lich von Bethmann-Hollweg, Briegleb und Planck gewonnen worden waren, zu sammeln, zu ergänzen und zum Ganzen zu fügen.

Wie in solchem Falle naheliegend, hat Wetzell sich fast aus­ schließlich dieser Aufgabe gewidmet, nachdem er seinen Beitrag an einschlägiger Einzelforschung durch die einschneidende Monographie

über den älteren römischen Vindikationsprozeß, Leipzig 1845, geliefert hatte. Dann aber treffen wir im Verzeichnisse seiner Schriften, außer der einen oder der anderen ganz kleinen Abhandlung?), nur noch auf die drei Auflagen seines Systems des deutschen gemeinen Zivilprozesses, Leipzig 1854—1861; 1863—1865; und 1871—1878. Wie schon diese Daten zeigen, handelt es sich um ein langsam herangereiftes Werk der Systematik, nicht etwa um eines jener Lehr­ bücher mit bloßem Massenerfolg, der zahlreiche einander überstürzende Neuauflagen zeitigt, das Buch etwa ein Menschenalter hindurch jedem Studierenden in die Hand drückt, und der dann ebenso rasch, wie er eingesetzt hat, abfällt. Vielmehr liegt eine Leistung umfassend selb­ ständiger Forschung vor, die sich in den Dienst lediglich der Wissen­ schaft stellt. Dem entspricht die ganze Anlage des Buches in ihrer

Wucht und Breite b), dem die etwas schwerfällige Sprache und Dar­ stellungsweise, die keineswegs nach kompendiarischer Glätte und Ver­ ständlichkeit streben. Wenn es trotzdem mehrere Auflagen erlebt hat

und die letzte

VI. Das Kirchenrecht.

1) Äm. Ludw. Richter.

sogar unmittelbar,

bevor die

deutsche Zivilprozeßordnung in Kraft trat,

schon

569

feststehende neue

so spricht das wahrlich

ganz anders für seinen inneren Wert, als sonst viel stärkere Zahlen. Dadurch wird es denn auch erklärt, daß eine ganze Anzahl jüngerer, aber erster Kräfte, um bei dem schweren Augenleiden des Verfassers

diese dritte Auflage zu ermöglichen, sich an deren Ausarbeitung und

Drucklegung schnitte

nämlich Sohm für die Geschichte der

beteiligt haben,

Gerichtsverfassung, Wach

und Muther für

für die Revision zahlreicher späterer Ab­

die prozessuale Literärgeschichte.

eine letzte Rezension des Buches entstanden,

die als

die

So ist bleibende

Darstellung des alten gemeinen Zivilprozesses uns vorliegt, eine Dar­

stellung, die gerade damals, da dieser Prozeß außer Geltung trat, für alle Folgezeit

als dessen Denkmal zugleich und als Mittel für die

Sicherung wissenschaftlicher Kontinuität zwischen altem und neuem

Recht unschätzbar geworden ist. Als Grundlage hierfür zu dienen erschien wohl den Neuheraus­

gebern Wetzells System mit Recht nicht nur deshalb geeignet, weil es in der mit ihm erreichten Stufe geschichtlicher Stoffbeherrschung zugleich

die letzte Entwicklungsstufe der ganzen gemeinrechtlichen Zivilprozeß­

wissenschaft im wesentlichen darstellt; sondern auch deshalb, weil es, auch in den noch von Wetzell allein herrührenden Auflagen, wenn­ schon nicht eben das allerletzte derartig zusammenfassende Werk über

den gemeinen Zivilprozeß, so doch sicherlich das alle späteren, soweit es sich um diesen Prozeß selbst handelt, an wissenschaftlicher Bedeu­

tung, an historischer und dogmatischer Gründlichkeit und an Stoff­ reichtum wesentlich übertreffende geblieben ist4). Die dritte Auflage steht denn auch rein äußerlich, dem Datum nach

am Ende der systematischen Literatur über den alten gemeinen, deutschen Zivilprozeß, von dem wir hier ausschließlich handeln. VI. Auf dem Gebiete des Kirchenrechts

kömmt

die historische

eher noch etwas früher, im Laufe der 30 er Jahre zur Geltung; wir haben da aber keinen scharfen Einschnitt, bei dem unsere

Richtung

Darstellung abschließen könnte.

Unter diesen Umständen wird es an­

gemessen erscheinen, daß wir für die Schilderung der Juristen, die zu dieser älteren historisch-kanonistischen Schule gehören, uns hier nicht zu enge Grenzen auferlegen.

Vielmehr werden wir erst da abbrechen,

wo neue Strömungen, sei es dogmatisch sozialer4), sei es germanistisch­

junggeschichtlicher 2) 9lrt einsetzen.

570

Siebzehntes Kapitel.

1. Der Gelehrte, bessert Tätigkeit und Schule für die geschicht­ liche Behandlung des Kirchenrechts maßgebend wurde, ist Ämilius

Ludwig Richter (1808—1864).

Während es sich bei Walter und

Roßhirt mehr um sprunghaft vorbereitende oder geistreich tastende

Versuche handelt, bei Eichhorn mehr um eine überlegen alleinstehende Höhenleistung, während dann Bickell und einige gleichzeitige Quellenforscher ’), die noch von Richter unabhängig sind, an Einzelheiten haften bleiben, beginnt ein methodologisch gefestigter und umfassender Betrieb eigentlich erst mit Richters. Auch Richter geht aus von dem Bedürfnisse nach besserer Er­

schließung der Quellen, dabei zeigt sich denn aber sofort seine über­

ragende Bedeutung darin, daß er nicht bei Einzelheiten oder bei kleineren Vorarbeiten 8) stehen bleibt, sondern von Beginn an den Mut besitzt, eine Neuherausgabe des Corpus juris canonici selbst

in die Hand zu nehmen. Der erste Faszikel davon erschien 1833, xber erste Teil, d. i. das Gratianische Dekret, lag 1836, der zweite Teil 1839 abgeschlossen vor.

Natürlich konnte und wollte*) eine

solche Ausgabe sich nicht vorsetzen, was nur in langer Zeit unter dem Aufgebot weitreichender Mittel hätte geleistet werden können, nämlich die Aufarbeitung alles irgendwie erreichbaren, in Archiven

oder Bibliotheken aufspürbaren, vorbereitenden oder ergänzenden, handschriftlichen oder gedruckten Materials. Sondern es kommt.ihr nur darauf an, den Text der offiziellen römischen Ausgabe von 1582

(nach einem von Hänel mitgebrachten und zur Verfügung gestellten Exemplar dieses seltenen Buches) rein wiederherzustellen, während Böhmer sich darüber hinweggesetzt hatte: außerdem in Noten das Mögliche an Ausnützung der zugänglichen Quellen für Wiederher­

stellung der Inskriptionen, Ergänzung der partes decisae, Vervoll­ ständigung der Lesarten und dergleichen mehr beizubringen; endlich auch gelegentlich einzelnes Handschriftliches zu Altersbestimmungen ober sonstwie zu verwerten. „Was überhaupt", so urteilt Hinschius über das Ergebnis dieser Bemühungen, „mit den damaligen Mitteln der Wissenschaft geleistet werden konnte, das hat Richter.... geleistet";

und selbst wenn man einmal weiter gelangt sein werde, so „wird die Arbeit Richters doch immer noch ein hervorragender Markstein für die Entwicklungsphasen unserer Wissenschaft.... bleiben".

Von da ging denn Richter weiter vor zu der wichtigsten neueren Quelle des katholischen Kirchenrechts, dem Tridentinum, dessen canones

VI. Das Kirchenrecht.

1) Äm. Ludw. Richter.

571

und decreta er 1839 zum Abdruck brachte. Dieser Abdruck der Konzilbestimmungen selbst, so wie sie liegen und lauten, bildet ober nur die Grundlage, um aus den folgenden Jahrhunderten eine Aus­ lese der römischen Entscheidungen einzuschalten, die sich darauf be­

ziehen und ihm erst praktische Verwertbarkeit sichern. Gewonnen ist diese Ausles« in gewaltiger Arbeit unter Durchmusterung eines massen­ haften Materials 6) und unter wesentlicher Mitwirkung von Richters

Schüler Johann Friedrich Schulte; sie ist bis zum Jahre 1853 voll­ endet worden. Erst durch dieses grundlegende Quellenwerk wurde es der deutschen kanonistischen Wissenschaft möglich, der neueren römischen Rechtsgestaltung in wahrhaft geschichtlichem Sinne bis zur Gegenwart zu folgen, so daß auch der geltende Rechtszustand, die vigens ecclesiae disciplina als Endergebnis berücksichtigt und, — was bis dahin das Privilegium der an der Quelle sitzenden Italiener gewesen war — zu unmittelbar praktischer Verwertbarkeit reif in ihrem vollen Stoffreichtum dargestellt werden kann. In ebenso entscheidender Weise hatte aber Richter inzwischen schon die Quellenkunde des protestantischen Kirchenrechts gefördert durch

das Werk: „Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Urkunden und Regesten zur Geschichte des Rechts und der Verfassung der evangelischen Kirche in Deutschland", 2 Bde., Weimar 1846. Es handelt sich keineswegs bloß um Sammlung der Urkunden, so verdienstlich schon

dies ist, sondern außerdem um genaue Unter­

suchungen über Abfassungszeit und Verfasser, über Quellen, inneren

Zusammenhang und innere Entstehungsgeschichte jener Kirchenord­ nungen. So ist es ohne weiteres einleuchtend, daß damit Richters „die unentbehrlichste Grundlage eines eingehenden Studiums des evangelischen Kirchenrechts" festgelegt hat, namentlich wurde erst da­ durch für Richter selbst und für seine Schule die Möglichkeit eröffnet, gegen einseitige tendenziöse Ausnutzung von Einzelerscheinungen, gegen unzulässige Verallgemeinerungen und Dogmatisierungen, aus der mannigfaltigen Fülle des Stoffes hervor unparteiisch vollständige Geschichtsbilder zu liefern. Von dieser Möglichkeit hat er z B. in seinen „Beiträgen zur Geschichte des Ehescheidungsrechts in der evan­

gelischen Kirche" (Berlin 1858) theoretisch überlegenen und praktisch

einschneidenden Gebrauch gemacht. War es doch auch schon vor der Veröffentlichung jenes Sammelwerkes eine Vorwegnahme aus den längst dazu aufgespeicherten Schätzen, mittels deren Richter bereits

572

Siebzehntes Kapitel.

1840 gegen die überstiegen episkopalistischen Anschauungen von Stahl in einem Zeitschristenartikel 7) erfolgreich vorzugehen in der Lage gewesen war. Die volle systematische und dogmatische Verwertung fanden aber Richters Kenntnisse und Gaben durch sein „Lehrbuch des katholischen

und evangelischen Kirchenrechts, mit besonderer Rücksicht auf deutsche Zustände", Leipzig 1841 und 1842, sowie durch die zahlreichen weiteren Ausgaben8) dieses leitenden Lehrbuches, die in immer reichlicherem Maße durch die fortschreitenden Quellenstudien des Verfassers, später

auch durch dessen praktische Erfahrungen im preußischen Kultus­ ministerium und Oberkirchenrat befruchtet und bereichert werden. Die Kirchenrechte beider Konfessionen werden darin nicht ganz getrennt,

sondern in je einem Unterabschnitte eines gemeinsamen Systems ent­ wickelt, das mehr übersichtlich und bequem als streng angelegt oder durchgeführt ist. Sowohl gegenüber Walters katholischem wie gegen­ über Eichhorns protestantischem Kirchenrecht ist der Fortschritt des geschichtlichen Verständnisses, der quellenmäßigen Herleitung und der dogmatisch klaren Verwertung der geschichtlichen Ergebnisse, zugleich aber auch der Fortschritt in der breiteren Fülle und konkreteren Greifbarkeit der einzelnen Lehren und Rechtssätze auffallend. Richter

ist eben das Gegenteil eines bloßen Antiquars; er faßt den Grund­ satz der historischen Schule im freiesten, lebendigsten Sinne. Er hält sich nicht, geschweige denn mit Vorliebe bei den Anfängen, dem Ur­ sprünglichen und Allgemeinen auf, sondern hat den feinsten Sinn für

die vielverzweigte und vielförmige Ausgestaltung im Rechte der Gegen­

wart, ja selbst schon für die Unterschiede zwischen dem theoretisch Herrschaft beanspruchenden Gesetzesinhalt und dem praktischen, zeitlich und örtlich überall verschieden davon sich gestaltenden Rechtsleben. Deshalb beruhigt er sich nicht bei den aus seinen Quellensammlungen zu erschließenden Einsichten, sondern er. sucht nach Einzelurkunden, durch die die Rechtsanwendung selbst unmittelbar veranschaulicht werden soll. Er verwertet sie möglichst historisch und dogmatisch und bringt ihrer sogar in seiner späteren Auflage eine Reihe beson­

ders bezeichnender anhangsweise zum Abdruck. Ist er einerseits be­ müht, aus der Fülle provinzieller protestantischer Kirchenordnungen und Gebräuche ein positives gemeines protestantisches Kirchenrecht herzustellen, das eben deshalb irenisch-latitudinarisch allen Extremen gegenübertritt, so verkennt er andererseits nicht für das katholische

VI. Das Kirchenrecht. 1) Äm. Ludw. Richter.

573

Kirchenrecht, daß es trotz aller internationaler Grundlage doch auch

wieder für jedes Land anders ausgestaltet ist und lehrt es deshalb ausdrücklich „unter besonderer Rücksicht auf deutsche Zustände". Dabei setzt er auch für das katholische Kirchenrecht neben die kirchlichen die staatlichen Rechtsquellen, ohne doch im Ergebnisse Anstoß auf katho­

lischer Seite zu erregen, da man ihm zugeben mußte, daß nur so zu praktisch brauchbarer Rechtsdarstellung gelangt werden konnte. Überhaupt hat zu allen seinen anderen Erfolgen Richter durch

seine objektiv und geschichtlich abgeklärte Methode auch den erzielt, daß seinem Werke selbst von streng katholischer Seite zunächst wenigstens volle Anerkennung, soweit es sich um das geltende Recht handelte, zuteilgeworden ist. Man war bereit, hinzunehmen, daß bei der ge­ schichtlichen Herleitung ein protestantischer Verfasser sich freier bewegte, Änderungen da behaupten durfte, wo der Katholik an den Glauben

der dogmatischen Unveränderlichkeit gebunden war; und man rühmte dann nur um so mehr, daß schließlich die Lehre vom geltenden Recht bei Richter so unvoreingenommen, so zutreffend, so unmittelbar brauch­ bar auch für die katholische Praxis der Gegentvart ausgefallen sei. Wenn man von solcher Würdigung später etwas zurückgekommen ist, so lag das wohl daran, daß die kurialistische Ausfassung inzwischen zu immer schärferer Tonart überging, und zugleich daran, daß Richter in seiner Ministerialstellung der katholischen Kirche gegenüber sich praktisch zurückhaltender erwiesen hat, als man von ihm nach

seiner theoretischen Unbefangenheit erwartet haben mochte.. Diesem praktischen Gesichtspunkte hat er denn auch wohl in politischen Ge­ legenheitsschriften Ausdruck gegeben, während ihm eine Änderung seines doktrinären Standpunktes nicht hat nachgewiesen werden können, auch nicht für die fünfte Ausgabe des Lehrbuches, wofür sie wohl von jener Seite her behauptet worden ist. Vielmehr hat namentlich v. Schulte überzeugend dargetan ^), daß in dieser Beziehung bei Richter nach wie vor jeder Katholik volle Befriedigung finden könne. Diese doktrinäre Unbefangenheit Richters führt uns aber ihrem

tiefsten Grunde nach zurück zu seiner geschichtlichen, gründlich dem Naturrecht absagenden Stellung. Wie die naturrechtliche Lehre im katholischen Kirchenrecht zum Josephinismus, im protestantischen Kirchenrecht zum Territorialismus z. B. des preußischen Landrechts geführt hatte, so erkennt nun wieder die Betrachtungsweise der histo­ rischen Schule die Selbständigkeitsberechtigung beider Kirchen aus der

Siebzehntes Kapitel.

574

Vergangenheit für die Gegenwart in weitgehendem Maße an, — in

so weitgehendem Maße sogar, daß man sich bereit zeigt, die alten iura circa sacra, die staatliche Polizeiaufsicht in kirchlichen Dingen, unpolitisch genug preiszugeben. Es hat deshalb mit Recht gesagt werden können, daß zu der besonders freien und staatlich un­

behinderten Stellung, die der katholischen Kirche durch die preußische Verfassung zugewiesen wird, Richters Theorien und Lehren wesentlich hingeführt haben, wie das denn eben Richter selbst unter den veränderten

Verhältnissen späterer Jahrzehnte als bedenklich empfinden mußte. Ganz ähnliche Schwierigkeiten sind ihm ja ebensowenig für die

entsprechende Ausgestaltung des landesherrlichen Kirchenregiments auf dem Boden des protestantischen Kirchenrechts erspart geblieben, so­ bald in Preußen konstitutionelle Formen ein geführt waren. Wenn er hier den Territorialismus preisgab, ebenso entschieden aber gegen die reaktionär-episkopalistische Vorherrschaft Stellung nahm, vielmehr durch Synodaleinrichtungen die kirchliche Selbständigkeit auf die Ge­

meinde zu begründen für angemessen hielt, so ist er deshalb wohl des Kollegialismus geziehen worden. Aber er hat den darin liegenden Vorwurf, als wolle er die Landeskirche wie jedes andere private

Kollegium behandelt wissen, stets mit Klarheit und Entrüstung zurück­ gewiesen. Die Waffe zu dem Kampfe, der hier ihm aufgenötigt wurde, entnahm er wiederum dem historischen Arsenal. So ist in weiterer Ausführung des mehrfach erwähnten Aufsatzes von 1840 seine „Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in Deutschland", Leipzig 1851, entstanden und damit das Ergebnis dieser halb poli­ tischen, halb kirchlichen Wirren, in die Richter durch seine praktischen Stellungen hineingezogen war, der Wissenschaft wiederum zugute­

Auch seine Mitteilungen über „König Friedrich Wil­ helm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche" von 1861 gehören in denselben Zusammenhang. Selbstverständlich sind dadurch auch die späteren Auflagen von Richters Lehrbuch des Kircheirrechts beeinflußt, sie legen dem protestantischen Kirchenrecht nunmehr stärkeres gekommen.

Gewicht bei, während früher eher das katholische überwiegt. Richter

hatte aber außerdem auch noch den Plan zu einer besonderen, aus­

führlicheren Darstellung des preußischen Kirchenrechts gefaßt. Ist dieser auch nicht mehr zur Verwirklichung gelangt, so sind dcch be­ deutende Stücke dazu ausgeführt und in Richters Nachlaß aufgesunden worden.

Sie wurden daraus als „Beiträge zum preußischen Kirchen-

VI. Das Kirchenrecht.

1) Äm. Ludw. Richter.

recht", Leipzig 1865, von Hinschius veröffentlicht;

575

namentlich ent­

halten sie eine gründliche geschichtliche Entwicklung der preußischen Unionsbestrebungen und ihrer Durchführung. Was so Richter nicht mehr fertigzustellen vermochte, hat dann

übrigens Jacobson^), ein ihm nahestehender Gelehrter mehr partikularistisch-positivistischer Richtung, durch sein stoffreiches und historisch wohlbegründetes, wennschon nicht immer juristisch tiefgreifendes Werk geleistet „Das evangelische Kirchenrecht des preußischen Staates und

seiner Provinzen", zwei Abteilungen,

Halle 1864 und 1866.

Die

von Richter und Jacobson gemeinschaftlich begründete und heraus­ gegebene „Zeitschrift für das Recht und die Politik der Kirche" hatte es dagegen nur zu zwei Heften (Leipzig 1847) gebracht. Vielmehr sollte die von Richter herbeigeführte neue Epoche des Kirchenrechts

ihr ständiges Organ erst 1861 durch eine Gründung seiner Schüler Dove und Friedberg, die „Zeitschrift für Kirchenrecht", erhaltenu). Richters juristisches Interesse war bei alledem dem Kirchenrechte

nicht ausschließlich gewidmet. Namentlich dem Fache des Zivilprozesses stand er, wenn nicht schriffftellerisch, so doch akademisch nahe und hat es in Anlehnung an das mittelalterlich-kanonistische Recht betrieben, besonders auch in diesem Sinne durch mehrfach in Berlin gehaltene öffentliche Vorlesungen „Über das Verfahren in streitigen Rechts­ sachen nach kanonischem Recht" gewirkt.

So gesellt er sich den Ver­

tretern der historischen Prozeßwissenschaft12), wie denn ja selbstver­ ständlich überhaupt nur aus einer allgemein hervorragenden juristischen Begabung und aus einem ebenso allgemeinen Verständnis für die Grundsätze und Aufgaben der geschichtlichen Jurisprudenz seine Fach­

leistungen hervorgehen konnten. Dazu kommt sein unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn, durch den er besonders zur Leitung der 1837 von ihm begründeten und seit 1839 zusammen mit dem Leipziger Pro­ fessor Schneider*2) redigierten „Kritischen Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft" berufen wär. Es ist geradezu auffallend, eine wie große Anzahl überaus gediegener, auch positiv förderlicher Be­ sprechungen in diesen Jahrbüchern Band für Band sich finden, aus­ gedehnt über die sämtlichen Provinzen der Rechtswissenschaft, mit Vor­ liebe aber natürlich gewidmet den Werken, den Entwicklungsabschnitten

und den Kämpfen der historischen Schule, sowohl gegen andere Rich­

tungen wie der verschiedenen Strömungen innerhalb der Schule selbst gegeneinander. Nicht ganz mit Unrecht sagt von diesem Jahrbuche

576

v. Schulte,

Siebzehntes Kapitel. es sei „die beste kritische Zeitschrift,

welche bisher für

Jurisprudenz in Deutschland existiert hat". So hat sie, obschon sie bereits 1848 wieder einging, eine bleibende Spur zurückgelassen. Offenbar war es Richter, dem sie dies zu danken hatte; mit seinem Austritt aus der Redaktion, von 1845 ab, ist dem Jahrbuche der Lebensgeist entzogen; er war es, der bis dahin es stets verstanden hatte, sich jedesmal an die richtige Stelle zu wenden und von dort

her die richtigen Beiträge zu gewinnen. Ebenso hat er es ver­ standen, jüngere Talente zu entdecken, um sich zu sammeln und in

die richtigen Bahnen zu leiten. So sind besonders die von ihm seit dem Jahre 1850, jedesmal für eine auserlesen kleine Anzahl von Studierenden, gehaltenen kanonistischen Übungen die Ursprungsstätte zahlreicher tüchtiger Dissertationen") und die Pflattzschuke einer ganzen Kanonistengruppe geworden, durch die Richter auch während der

folgenden Generation das protestantische Kirchenrecht ganz und das katholische Kirchenrecht mindestens zum guten Teil unter seinem Ein­ flüsse behalten hat. 2. Ehe wir indessen zu einem kurzen Überblick über diese in die Gegenwart noch unmittelbar hineinreichende jüngere KanonistenGeneration uns wenden, muß noch eines Mannes gedacht werden, der, mit Richter ungefähr gleichalterig, freilich erst nach Erscheinen von Richters Lehrbuch und demgemäß selbstverständlich unter häufiger Benutzung dieses Lehrbuches, dem Wesen nach aber ganz unabhängig

von Richter und doch auch als Vertreter der historischen Methode ins Kirchenrecht bedeutsam eingegriffen hat, des mehrfach schon früher genannten George Phillips*). Phillips geht in seinen Anfängen noch auf die Anfänge der historischen Schule zurück. Er hat noch bei Savigny und bei Eich­ horn selbst gehört und namentlich von letzterem die maßgebende An­ regung empfangen. Wir hatten seine Studien zur angelsächsischen und englischen Rechtsgeschichte schon früher, seine germanistischen Leistungen schon oben in diesem Kapitel zu erörtern. Mit alledem ist sein Name jedoch weniger bleibend verknüpft als mit der kano­ nistischen Tätigkeit, in die er wissenschaftlich erst 1845 eingetreten ist.

Populärschriftstellerisch wirkte er freilich in demselben Sinne schon

seit 1838 von München und später von Wien aus, hauptsächlich durch das Organ der bekannten, von ihm und Guido Görres da­ mals gegründeten „Historisch-politischen Blätter".

VI. Das Kirchenrecht.

2) Phillips.

577

Die Entwicklung, durch die Phillips, ähnlich etwa wie Jarcke, zu der hiermit betätigten Gesinnung gelangte, vollzieht sich gerade bei ihm durchaus einheitlich und logisch folgerichtig aus der roman­ tischen Grundstimmung der historischen Schule hervor. Wo bei Poeten mystisch-schwärmerisches Wesen zu der Begeisterung für den Katholizismus führt, da setzt bei dem Juristen englischer Rasse, der zur katholischen Kirche übergetreten ist, eine rein verstandesmäßige Überspannung des katholischen Prinzips ein, die ihn bis zum äußersten ültramontanismus und Kurialismus, ja in eine mittelalterliche Welt­

anschauung hineintreibt. Diese Geistesrichtung fällt bedeutsam zu­ sammen mit dem Aufschwünge kirchlicher und kirchenpolitischer Empfin­ dungen ähnlicher Art, der seit dem Konflikte der preußischen Regie-

rung mit dem Kölner Erzbischof Klemens August von Droste-Vischering und namentlich seit dessen Wegführung in die Festung Minden (20. November 1837) für weite Kreise des katholischen Laientums cintritt. Bei Phillips handelt es sich zudem um dieselbe großzügige,

aber einseitige und vor der Vergewaltigung von Tatsachen nicht immer allzu ängstlich zurückscheuende geschichtliche Auffassung, die schon seinen germanistischen Schriften ihr eigenartiges Gepräge auf­

drückt, um denselben konstruktiven Drang, der die Dinge auf die Spitze treibt, und um dieselbe nationale Eigenart, die unter schein­ barer Trockenheit und Schärfe lebhafte Phantasie und empfindsames Gemüt verbirgt. Fast selbstverständlich also, daß dadurch Phillips schließlich von den deutschrechtlichen Studien, durch die er seine religiösen Überzeugungen doch nur ergänzend zu betätigen, seine kirchenpolitischen Interessen kaum zu fördern vermochte, abgelenkt und zur kanonistischen Wissenschaft hinübergeführt wurde, um dort nun dauernde Befriedigung in schroffster Ausprägung der angedeuteten Richtung zu suchen und zu finden. Kennzeichnend für die Anspannung aller Kräfte, mit der Phillips sich nun auf das Kirchenrecht warf, sind schon die ungeheuren Maße

des dafür von ihm entworfenen Planes und die rasche Folge, in der davon wenigstens die ersten vier Bände ausgeführt worden sind. „Kirchenrecht" schlechtweg nennt er das Werk — er versteht natür­ lich darunter ausschließlich katholisches Kirchenrecht —, dessen erster allgemeiner Teil in jenen vier Bänden Regensburg 1845—1851 zu­ tage getreten ist. Drei weitere Bände haben sich dann in immer längeren Zwischenräumen angereiht, des siebenten Bandes zweite Hälfte Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. IL Text.

37

578

Siebzehntes Kapitel.

abgeschlossen im März 1872, und damit war das eigenartige,, aus den Grundzügen der kirchlichen Machtvollkommenheiten erschlossene System von Phillips erst bis zur Erledigung des ersten Abschnittes des zweiten Teiles gelangt. Dieser zweite Teil behandelt Christi Königtum, d. i. die Herrscherordnung. Die Teile 3 und 4, welche die priester­

liche und lehramtliche Machtvollkommenheit der Kirche behandeln sollten, sind also nicht einmal berührt. Das Gesamtwerk ist unvoll­ endet geblieben, auch von keinem Fortsetzer zu Ende geführt worden,

obschon Beringt) mit einem achten Bande (1889) einen Anlauf dazu genommen hat. Vielmehr ist dafür eingetreten ein wesentlich kürzer und übersichtlicher angelegtes Buch, das Phillips selbst, teils als Aus­ zug aus dem großen Kirchenrecht, teils zu dessen Vervollständigung und darum in den überschießenden späteren Abschnitten etwas aus­ führlicher, abgefaßt hat: sein „Lehrbuch des Kirchenrechts", Regens­

burg 1859—1862, dann mehrfach wieder aufgelegt, auch in lateinischer, von Bering beaufsichtigter Übersetzung 1875. Durch dieses Lehrbuch wird ja wohl Phillips auf weitere juristische und kanonistische Kreise hauptsächlich gewirkt haben. Das große „Kirchenrecht" ist aber ent­ schieden die wissenschaftlich bedeutsamere Erscheinung geblieben. Schon deshalb, weil Phillips' Stärke ja nicht etwa im System, überhaupt nicht in der dogmatischen Vollständigkeit liegt, sondern vielmehr in der Fülle der historischen, literarischen und sachlichen

Einzelheiten — „die reichhaltigste Materialiensammlung, welche in neuerer Zeit aus den Quellen, aus einer großen Zahl italienischer, französischer usw. Werke gemacht worden ist", nennt v. Schulte«) das Buch. Dabei überwiegt durchaus die geschichtliche Betrachtungsweise, und es werden die verschiedenartigsten Gegenstände, wie immer sich der Gang der Darstellung gerade auf sie lenken mag, gleich mit­

erledigt^).

Auch aus diesem Grunde leidet der wissenschaftliche Wert

weniger unter der Unvollständigkeit, und man wird wohl gerade in dieser Beziehung mit Siegel«) sagen dürfen: „Was Phillips vermöge seiner ganzen Individualität als Hauptaufgabe des Lebens gestellt

war, das hat er erfüllt, und wie man immer über die Ziele seiner Bestrebungen urteilen mag, die tiefeingedrückten Spuren seines Wirkens

werden lange sichtbar sein und die Schritte eines bedeutenden Menschen erkennen lassen." Dagegen trifft diese Äußerung wohl weniger zu für die zahl­ reichen kleineren Schriften und Aufsätze, die,

hauptsächlich in den

VI. Das Kirchenrecht.

579

3) Die Schüler Richters.

„Historisch-politischen Blättern" erschienen, durchweg nur eine Tages­ wirksamkeit in Anspruch nehmen können. Wenigstens macht die daraus veranstaltete Sammlung, bei aller diesem Schriftsteller stets

eigenen formalen Vollendung der schwungvoll blühenden und doch klaren Rede, inhaltlich keinen bedeutenden Eindrucks. Eher noch verdienen Beachtung einige größere Stücke, die später hinzugetreten sind. Da kömmt auch ein Rückgriff in des Verfassers ursprünglich englischen Stoffkreis vor und namentlich eine Untersuchung über Katzenmusik, Haberfeldtreiben u. dgl. m., die in geistreicher Weise an den heidnischen, idolatrischen Zusammenhang wie an die Volksver­ wirrung der 48 er Jahre anknüpft.

Dem eigentlich politischen Leben

und Treiben hat sonst wohl Phillips recht fremd und verständnislos, als einseitig befangener idealistischer Schwärmer gegenübergestanden.

3. Die Juristen der Richterschen Schule können hier nicht mehr eingehend behandelt, sondern nur eben mit ihren, hauptsächlich älteren Werken genannt und nach ihrer bereits erworbenen Bedeutung gekenn­ zeichnet werden: sind doch mehrere davon noch heute, während diese Zeilen geschrieben werden, in lebendiger Wirksamkeit.

So vor allem derjenige unter ihnen, dessen Hilfe bei des Meisters tridentinischer Arbeit schon hervorzuheben war, Johann Friedrich v. SchultcZ, geboren zu Winterberg 23. April 1827, Professor des Kirchenrechts zu Prag seit 1854, zu Bonn seit Juli 1872. Er hat sich umfassende Verdienste erworben, sowohl durch zahlreiche Ab­ handlungen und Quellenausgaben um die Quellengeschichte des kano­ nischen Rechts, wie durch seine Hand- und Lehrbücher — zuerst des katholischen Eherechts, 1855, dann des katholischen Kirchenrechts 1863, endlich des katholischen und evangelischen Kirchenrechts 1886 — um das ganze Kirchenrecht, für dessen Verständnis und Darstellung er ganz auf historischem Boden steht, wie nicht minder in seinem „Lehrbuche der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte" von 1861. Alle seine Lehrbücher haben zahlreiche Auflagen gefunden, das kirchen­ rechtliche wohl auch wegen des vorzüglich darin betätigten praktischen Sinnes, den Schulte als mitten im Kirchenrechtsleben stehend manchem

einseitigen Gelehrten gegenüber voraus hat. Er hat ferner Zeit- und Streitfragen mit eindringender Gelehrsamkeit und unbeugsamer Wahr­ heitsliebe behandelt, namentlich im Anschlüsse an die Folgen des Vatikanums, betreffend die Stellung und die Macht der römischen

Päpste in der Kirche wie im Staate. Seine persönlichen Beziehungen 37*

580

Siebzehntes Kapitel.

zu den Spitzen der katholischen Kirche bis 1870 einerseits, seine seit­ dem leitende Stellung innerhalb der sogenannten altkatholischen Be­

wegung andererseits verschaffen allen seinen derartigen Abhandlungen und Untersuchungen eine ganz einzige Bedeutung, die über die bloß wissenschaftliche weit hinausgeht.

Er hat aber namentlich endlich

seine geradezu enzyklopädische, alles bis heute dafür Geschriebene und Geleistete umschließende Gelehrsamkeit zusammengefaßt zu einem

Monumentalwerk, einer wahren Schatzkammer an Vollständigkeit und Übersichtlichkeit, seiner „Geschichte der Quellen und Literatur des

kanonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart", Band 1 von Gratian bis auf Papst Gregor IX., Stuttgart 1875, Band 2

von da bis zum Konzil von Trient, 1877, Band 3 von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis heute, 1. Teil, das katholische Recht und die katholischen Schriftsteller, 1880, 2. Teil, die Geschichte der Quellen

und die Literatur des evangelischen Kirchenrechts von 1517—1879, zugleich mit einer „Geschichte der wissenschaftlichen Behandlung", gleichfalls 1880. Dabei wäre nur etwa hervorzuheben, daß, während

die beiden ersten Bände Quellen und Literatur gleichmäßig berück­ sichtigen, der dritte Band wesentlich nur die kirchenrechtlichen Schrift­ steller unter genauer Angabe ihrer einschlägigen Schriften und Ver­ dienste sammelt. In wie weitgehendem Maße alle kirchenrechtlichen Abschnitte der vorliegenden Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft auf dieser kaum, je versagenden Stütze beruhen, braucht für den Kenner nicht gesagt zu werden, für den Leser erhellt es ohnehin

aus den fortlaufend darauf verweisenden Anführungen. Der Autor aber kann es schließlich nicht dankbar genug ausdrücklich anerkennen. In unmittelbarem Anschlüsse an diese Leistung v. Schultes, die mit Gratian einsetzt, sei dann gleich genannt, was für die voran­ gehenden Quellen des Kirchenrechts Friedrich Maaßens geschaffen hat, — nur daß Maaßen sich auf diese quellengeschichtlichen For­ schungen im wesentlichen beschränkt, fast ausschließlich ihnen eine un­ ermüdliche Lebensarbeit, zahlreiche Reisen, archivalische und hand­ schriftliche Untersuchungen und eine ganze Summe von Einzelabhand­ lungen gewidmet hat, ohne doch ganz bis zum geplanten Anschluß

an die Gratianzeit zu gelangen.

Seine Forschungen, soweit sie reichen,

sind zusammengefügt zu dem wahrhaft abschließenden Werke über die „Geschichte der Quellen und der Literatur des kanonischen Rechts im

Abendlande bis zum Ausgang des Mittelalters", Band 1 (mehr nicht

VI. Das Kirchenrecht.

3) Die Schüler Richters.

581

erschienen), Graz 1870—1871. Es behandelt die Rechtssammlungen bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts, d. h. bis auf Pseudoisidor aus­ schließlich. Ist es. nicht weiter gekommen, so ist dagegen soweit mit allen Hilfsmitteln der modernen Wisfenschaft der Sache wirklich auf

den Grund gegangen.

Maaßen hat dann dazu später noch zahlreiche

Nachträge vereinzelt geliefert3); aber auch für die folgende Zeit sind in seinen späteren und früheren, kleineren und größeren Studien und Abhandlungen doch wenigstens schon vielfache Werkstücke enthalten. Maaßen ist zwar nicht im strengen Sinne, wie v. Schulte, aus

Richters persönlicher Schule hervorgegangen; aber die ganze quellen­ historische Forschungsmethode des späteren Wiener Kirchenrechtslehrers

geht doch auf Richter und überhaupt auf Maaßens norddeutsche Heimat zurück, deren kühl-kritischer Sohn er stets geblieben ist, auf die damals dort genossene Universitätsbildung und auf die damals noch dort herrschenden Einflüsse. So ist Maaßen unbedingt der historischen Schule zuzurechnen, für die bei ihm besonders Anregungen von feiten F. A. Bieners in Betracht kommen. Namentlich aber ist offenbar das Beispiel von Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter maßgebend für ihn gewesen^). Protestantischerseits ist an die Spitze der Richterschule der zeit­ lichen Reihenfolge nach Otto Mejer3) (1818—1893) zu stellen, ob­

schon er sachlich wohl von des Lehrers Meinungen am unabhängig­ sten gewesen sein mag. Diese Unabhängigkeit bezieht sich nicht nur auf seine kirchenpolitische und kirchenregimentliche Stellungnahme, die der katholischen Kirche weit abgeneigter, der territorialistischen Auf­ fassung weit günstiger ist, sondern auch, im Zusammenhänge damit, auf die wissenschaftliche Arbeitsart. Diese ist bei Mejer zwar nicht minder geschichtlich, tritt aber der neueren politischen Geschichte und ihren Methoden viel näher, als das sonst bei Kanonisten der Fall zu

sein pflegt — wie denn Mejer auch sonst direkt als Publizist gewirkt hat, namentlich durch seine vielgerühmte „Einleitung in das deutsche Staatsrecht", die für das Jahr 1861, in dem sie zuerst erschien, eine förderliche, historisch vermittelnde Leistung war, während dann die zweite Auflage von 1884 dem Rechte des alten Reiches das Recht

des neuen Reiches zur Seite stellen konnte. — Diese besonderen Interessen Mejers erklären die Eigenart seiner beiden umfassenden, kirchenrechtlichen Schriften: „Die Propaganda, ihre Provinzen und ihr Recht, mit besonderer Rücksicht auf Deutschland dargestellt",

Siebzehntes Kapitel.

582

2 Bde., 1852—1853; und „Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage", 3 Bde., 1871—1885. Beide beruhen zum guten Teil auf

archivalischen Studien6) und beide berücksichtigen stark die politischen Ursachen und Wirkungen der Dinge, soweit sie dazu auf Grund des

damals zugänglichen Materials in der Lage sind. Ein besondere geschichtliche Studie über Febronius (Tübingen 1880) gehört offen­ bar noch mit in diesen Stoffkreis, gewissermaßen als ausführender Nachtrag.

Dagegen seine eigenartige, dem Territorialismus nahekommende und doch auch wieder ein gut Stück Kollegialismus mit aufnehmende Stellung zu der Grundfrage des protestantischen Staatskirchenrechts

hat Mejer mehr in kleineren Schriften, Abhandlungen und Artikeln geäußert, besonders in einer Schrift von 1864 über „Die Grund­ lagen des lutherischen Kirchenregiments". Er hat eine ausgesprochene Vorliebe für die theokratischen Gestaltungen der Resormationszeit und für

deren lutherische

Ausprägung

in ihrer

strengen

„Reinheit",

während er alle Mischformen zwischen Landeskirchentum und Frei­

kirche, zwischen Konsistorial- und Synodalverfassung ablehnt. Um die genauere Festlegung der einschlägigen Terminologie hat Mejer

sich dabei besondere Verdienste erworben Z.

Versöhnlichere Bahnen

wandelt seine letzte, wesentlich spätere Arbeit auf diesem Gebiete, „Das Rechtsleben der deutschen evangelischen Landeskirchen", 1889. Von der Entwicklung dieser eigenartig selbständigen Persönlich­ keit legt' schließlich übersichtlich Zeugnis ab sein „Lehrbuch des deut­

schen Kirchenrechts". Als es in erster Auflage unter dem Titel „Institutionen des gemeinen deutschen Kirchenrechts", Göttingen 1845, erschien, war es kaum mehr und wollte kaum mehr sein als ein elementarer Auszug aus Richter; die zweite Auflage von 1856 geht schon wesentlich darüber hinaus; die dritte Auflage von 1869, die sich nun auch selbst Lehrbuch nennt, ist ein ganz neues Werk geworden,

das die Summe der zwischenzeitlichen Fortschritte der Wissenschaft und des Verfassers in klaren Linien zieht. Daß es nach wie vor auf der streng antiphilosophischen, rein geschichtlichen Grundanschau­ ung beruht, bedarf wohl kaum der Erwähnung; wird doch bei seiner Gelegenheit von neuerer Seite geradezu von einer „Tyrannei der historischen Schule" gesprochen^). Mehr an die gemeinsamen Richterschen Grundlinien haben sich, die übrigen Schüler, auch die bedeutendsten, gehalten. Unter ihnen

VI. Das Kirchenrecht.

3) Die Schüler Richters.

583

fiel es Dove°) hauptsächlich zu, wie früher schon erwähnt, die Zeit­ schrift für Kirchenrecht zu leiten und des Meisters Lehrbuch in spä­

teren, stark anschwellenden, weil immer inhaltreicheren Auflagen fort­ zuführen. Während er darauf in strenger Selbstbescheidung seine Tätigkeit wesentlich vereinigte, war es Friedberg und Hinschius ge­ gönnt, in treuer und methodisch exakter, aber selbständiger Forschung die geschichtliche Auffassung und die geschichtliche Erkenntnis weiter

zu vertiefen und zu vervollständigen, in vielen Punkten dabei auch selbstverständlich Richter zu überholen. Von Emil Friedbergs), dem weithin bekannten Leipziger

Kirchenrechtslehrer, rührt demgemäß vor allem her die jüngste Aus­ gabe des Corpus Iuris Canonici, die an Vollständigkeit der hand­ schriftlichen Vorstudien, an Ausgiebigkeit der Quellennachweise und an

Sicherheit der Kritik natürlich mit den Fortschritten der neuzeitlichen Philologie und ihrer Editionsmethoden") fortgeschritten ist. Erschie­ nen in den Jahren 1877—1881, ist sie nicht etwa, trotz eines An­

klangs im Titel, eine zweite Auflage der Richterschen Ausgabe, son­ dern ein ganz neues Werk, besonders im ersten Bande, der nicht die römische Ausgabe wiederherstellen, sondern auf die altursprüng­ liche Gestalt zurückgreifen will. Natürlich konnte auch Friedberg zu dem Behufe für sich allein") nicht alles handschriftliche Material erschöpfen, es ist aber dessen so vieles zusammengetragen, daß das Ergebnis als erste wahrhaft „kritische Ausgabe" bezeichnet zu werben verdient. Für den zweiten Band, die Dekretalen, hat sich dagegen

auch Richter an die römische Rezension kraft Gesetzes für gebunden angesehen; doch ist auch da an Quellenstudien, Verbesserung der Lesarten und Vervollständigungen durch Fleiß und Scharfsinn Her­ vorragendes geleistet, von den für beide Bände wiederkehrenden, so mühevollen wie verdienstlichen Tabellen und Erläuterungen der Vor­ reden zu geschweigen. — Außer auf diese bleibende Leistung fällt

wohl aus Friedbergs früheren Zeiten der Nachdruck auf die geschicht­ liche Untersuchung über die Entwicklung des Eheschließungsrechtes,

Leipzig 1866, mit ihren deutschrechtlichen Beziehungen und Nachträgen betreffend Verlobung und Trauung 1876"). Zahlreiche Quellen­ ausgaben") und Einzelstudien geschichtlicher, dogmatischer und kirchen­

politischer Art, Sammlungen von Aktenstücken zu den kirchenpolitischen Vorgängen der 70er Jahre, die Erörterung des deutschen Bischof­ wahlrechts und dergleichen mehr kommen hinzu. Den Abschluß bilden

584

Siebzehntes Kapitel.

das Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrcchts von 1880 und das Werk über „das geltende Verfassungsrecht der evan­ gelischen Landeskirche in Deutschland und Österreich"

Diesem letzteren rühmt Sohm,

von 1888. der Begründer einer neuen kirchen­

rechtlichen Anschauung, flacht), es zeige „wie auch das evangelische Kirchenrecht, welches bisher in höchst verschwommenem Umrisse auf­

zutreten pflegte, einer streng juristischen Behandlung fähig ist." Ebenso ist Hinschius") von quellenkritischen Studien ausgegangen, um sich dann umfassender systematischer Darstellung zuzuwenden, wäh­

rend wir hier von seiner politischen Tätigkeit, namentlich bei der preußischen sogenannten Kulturkampfgesetzgebung, absehenn). Er hat

seinen wissenschaftlichen Ruhm begründet durch die in Einleitung und Text maßgebende Ausgabe des Pseudoisidor, Leipzig 1863, das Werk, ^das di^se so viel erörterte quellengeschichtliche Erscheinung in der Hauptsache wissenschaftlich erledigt. Er hat ferner die preußischen Kirchengesetze, von der kirchenrechtlichen Abteilung des Allgemeinen

Landrechts ab bis zu den neuesten Bestimmungen, kommentiert. Und er ist endlich von 1869 bis zu seinem Ende ununterbrochen beschäf­ tigt gewesen mit seiner breit angelegten und womöglich noch breiter durchgeführten Hauptleistung, dem „Kirchenrecht der Katholiken und

Protestanten in Deutschland." Davon sind bis zu seinem Tode sechs Bände erschienen, der fünfte in zwei Abteilungen, von dem sechsten nur die erste Abteilung, zusammen 4600 Seiten „großen Formates und engen, durch einen gewaltigen Anmerkungsapparat noch reich­ haltiger gemachten Druckes." Da katholisches und evangelisches Kirchenrecht nicht parallel nebeneinander gestellt, sondern hintereinan­ der, jedes für sich vorgeführt werden sollte, so ist das protestantische Kirchenrecht ganz unberührt gelassen; bleibt doch selbst das katho­ lische Kirchenrecht in der ersten von zwei Hauptabteilungen stecken. Insofern ist das Schicksal des Werkes ein ganz ähnliches, wie das

des Parallelwerkes von Phillips. Beide beziehen sich nur auf katho­ lisches Kirchenrecht, beide waren nach ihrer Gesamtanlage von vorn­

herein verdammt, Torso zu bleiben; aber an sachlicher Fülle des Inhalts, an historischer Quellengelehrsamkeit, an eigentlich juristischem Scharfsinn der dogmatischen, Bearbeitung wird Phillips von Hinschius wesentlich übertroffen. Ganz anders wie Phillips ist Hinschius durchdringender Dogmatiker, der nirgendwo die romanistische Schule Kellers neben der historischen Schule Richters verleugnet, dem die

VI. Das Kirchenrecht.

3) Die Schüler Richters.

585

Entwicklung der kirchenrechtlichen Lehren weniger Sache des Gemütes oder der Phantasie, als vielmehr des scharf einbohrenden, kühlen Perstandes ist. Für ihn kommt daher auch weniger das religiöse,

als das juristische Element des Kirchenrechtes in Betracht. Aber auch geschichtlich, in bezug sowohl auf rechts- wie auf dogmengeschichtliche Behandlung, z. B. der Bischofsrechte, oder der Synoden und des kirchlichen Gesetzgebungsrechtes, oder endlich auch des kirchlichen Straf­

rechtes und Strafverfahrens ist Hinschius von einer Vollständigkeit, die selbst für eine Monographie über einen jeden dieser Gegenstände ungewöhnlich wäre; und namentlich weiß er überall die Brücke von dem historischen Stoff zum geltenden Recht zu finden, dieses aus jenem wirklich innerlich hervorzuformen und herauszugestalten, beiden Elementen und ihrer Verbindung gerecht zu werden in wahrhaft mustergültiger Weise. Das Werk von Hinschius darf gerade in.dieser

Beziehung als die so selten erreichte Verwirklichung aller Ansprüche einer wahrhaft geschichtlichen Rechtsauffassung bezeichnet werden. ’ Daß diese Behandlungsart, wie eigentlich die historische Schule sie überall hätte durchführen müssen, durch den kanonistischen Stoff

besonders

gefördert wird, weil dieser bisher wenigstens ganz ohne

kodifizierenden Einschnitt vor uns liegt, ist ja gewiß unleugbar. Aber ob nicht auch der privatrechtlich-zivilistische Stoff des alten gemeinen Rechts in dieser Beziehung ähnliche Möglichkeiten geboten hätte? Dennoch wäre kaum ein zivilistisches System, weder des Meisters,

noch seiner so zahlreichen näheren oder entfernteren Jünger zu nennen, das diese Aufgabe auch nur annähernd in solchem Maße zu lösen sich auch nur angeschickt hätte: überall klafft mindestens die Lücke

der mittelalterlichen Dogmengeschichte, während Hinschius Vergangen­ heit und Gegenwart restlos in geschlossenem Gewebe vor uns ent­ rollt, die Fäden gleichmäßig von dem entfernten Ursprünge bis zu der neuesten Gestaltung durchleitet. Man wird daher sein Kirchen­ recht als einen Höhepunkt nicht nur der historisch-kanonistischen Schule, sondern der historischen Schule schlechtweg anzusehen haben, obschon es aus einer Zeit herrührt, die auf anderen Gebieten mit der absoluten

Vorherrschaft der historischen Theorie bereits wieder gebrochen hat. Schulbildend seinerseits ist Hinschius nicht wieder geworden, sondern er bezeichnet einen Abschluß. Zur Ergänzung wäre etwa noch Richters jüngster Schüler

Edgar Soning18) heranzuziehen mit seiner tiefgelehrten Geschichte des

586

Siebzehntes Kapitel.

Kirchenrechts seit Konstantin und besonders im Reiche der Mero­ winger, Straßburg 1878. — Bei v. Scheurl^) (1811—1893) geht

die Verbindung von Romanistik und Kirchenrecht auf das Vorbild seines Lehrers Puchta zurück, mit dem er die Freude an formal scharfsinnigen, feinjuristischen Untersuchungen teilt. — Emil Herr­ manns^") seit 1846 einsetzende kirchenrechtliche Tätigkeit liegt doch ganz überwiegend bei der schriftstellerischen Vorbereitung und bei der

in den 70 er Jahren dann wesentlich von ihm durchgesetzten Schöpfung einer wohlgefügten Gesetzgebung, zur Neuordnung der Verfassung der preußischen protestantischen Landeskirche. Ist dadurch auch eine Frage,

die im wissenschaftlichen Sinne als Brennpunkt des protestantischen Krrchenrechts innerhalb der Richterschen Schule wie im Gegensatze zu

ihr (Stahl, Puchta, Mejer) gründlichst verhandelt worden war, wenigstens für Preußen zur Lösung gebracht worden, so doch nicht mit wissenschaftlichen Mitteln und deshalb denn doch wohl auch nicht mit wissenschaftlicher Endgültigkeit. Neuere Formen, in denen sie

demgemäß in der späteren Wissenschaft wieder aufersteht (Sohm, Kahl), können hier nicht mehr berücksichtigt werden.

Achtzehntes Kapitel.

Positivismus und Hegelianismus. I. Gemeines Zivilrecht. 1) Der spekulative Positivismus. 2) Der unbefangene Positivismus. 3) Vangerow und der quellenmäßige Positivismus. II. Die Territorialrechte. 1) Ältere Zeit. 2) Wächter. 3) Ausblick. III. Wechsel- und Handelsrecht. 1) Einert. 2) Liebe. 3) Thöl. 4) Nachfolger. 5) F. A. Biener. IV. Otto Bähr. V. Publizistisches und Philosophisches. 1) Völkerrecht. 2) Natur­ recht. 3) H. A. Zachariae. 4) Partikuläres Staatsrecht. VI. Das Strafrecht unter Hegel. 1) Abegg. 2) Köstlin. 3) Berner. 4) Hälschner. 5) Geyer. 6) Verschiedenes, besonders territoriales Strafrecht. 7) John und Merkel. 8) von Holtzendorff. VII. Die letzten Hegelianer. 1) Lorenz von Stein. 2) Ferdinand Lassalle.

I. In den 30 er Jahren ist -auf dem Gebiete des gemeinen Privatrechts keinerlei wissenschaftliche Tätigkeit mehr denkbar, die

nicht von der historischen Schule, von ihrem Quellenverständnisse und ihrer Rechtsauffassung stark beeinflußt wäre. Wohl aber treten eine Reihe einzelner Erscheinungen hervor, die sich mit dem geschicht­ lichen Elemente nicht begnügen, sondern daneben stärkere philosophische Grundlegung verlangen; andere, die zugunsten positiver Erfolge mehr stillschweigend die geschichtliche Behandlung auf Seite schieben. Das Merkwürdige ist nur, daß hier, auf dem privatrechtlichen Gebiete, der philosophische Begründungsdrang, obschon wie im Strafrechte

wesentlich zu Hegel zurückgreifend, dadurch eine streng positivistische Doktrin aufzustellen veranlaßt wird, während im Strafrecht die

Hegelsche Philosophie auf spekulative Wege lockt.

So entsteht das

eigenartige Ergebnis, daß im Privatrechte uns der Hegelianismus,

588

Achtzehntes Kapitel.

besonders bei Kierulff, in Verbindung mit dem Positivismus ent­ gegentritt; wobei selbst ein konstruktiv-historisches Interesse nach

Hegelschem Schema, wie wir ihm im Strafrecht wiederbegegnen werden, nicht ganz mangelt. Als vereinigendes Element zwischen reinem Positivismus und Hegelianismus erscheint dabei der Haß des letzteren gegen die historische Schule, wie wir ihn ja schon bei Gans wahr­ zunehmen hatten.

Außer der philosophisch gefärbten begegnen wir

aber auch allen möglichen anderen Schattierungen des wissenschaft­ lichen Positivismus, so daß wir, wennschon immer nur an ver­

einzelten Fällen, ihn in allen Abtönungen an uns vorüberziehen

sehen werden. 1. Eine scharfe Ablehnung alles bisher geschichtlich Geleisteten, so weit es wenigstens von juristischer Seite herstammt, ist daher be­ zeichnend schon für den Vorläufer Kierulffs, Johannes Christiansens, der nur Niebuhr gelten läßt, indem er ihn an kritischer Kühnheit Weit überbietet. Dagegen Hegel und Hugo zusammenstellen heißt für Christiansens „einen Löwen und einen Ochsen zusammen be­

graben" ; was eben nur beweise, daß dem, der so mit ihnen umgehe, beide tot seien. Was eine aus dieser Gesinnung hervor geschriebene „Wissenschaft der römischen Rechtsgeschichte im Grundrisse" (1. Band, mehr nicht erschienen, Altona 1838) sein kann, mag man sich dar­

nach ohne weiteres vorstellen, wenn man nur noch hinzunimmt, daß es dem Verfasser einerseits an wahrer Genialität, interessanten Ein­ fällen und gründlicher Kenntnis antiker Schriftsteller wahrlich nicht

gebricht, andererseits aber wohl an jeder Selbstkritik und namentlich an jeder philologischen Methode. Die regelmäßig zum Ausgangs­ punkte genommenen Etymologien sind z. B. das Schauderhafteste an Verwilderung und Verschrobenheit, was mir auf diesem ja auch sonst übel zugerichteten Gebiete begegnet ist. Die Hypothese, die alles öffentliche Recht in Rom auf die Patrizier zurückführt, wie alles private Recht auf die Plebejer, dürfte wohl auch an Willkür und konstruktivem Zwang zugunsten Hegelscher Schematik ihresgleichen suchen. Wie dagegen zahlreiche Einzelheiten auf so unmöglicher

Grundlage trotzdem einleuchtend aufgebaut werden, wie Christiansen dabei sich in den Geist alter Rechtszustände zu versenken, das antike Rechtsleben sich stisch zu vergegenwärtigen und aus dessen praktischen Bedürfnissen hervor den Gang der Dinge sich zu erklären versteht,

das ist häufig überraschend an Feinheit und Tragweite.

Ebenso ge-

I. Gemeines Zivilrecht.

1) Der spekulative Positivismus.

589

winnt seine Polemik gegen die herrschenden Anschauungen eine wahr-;

hafte Stärke da, wo sie nicht mit „wissenschaftlichen", d. h. abstrakten Hegelschen Begriffen operiert, sondern konkret praktische Fragen auf­

wirft, um zu zeigen, daß so, wie die herrschende Lehre es sich vor­ stellt, das antike Rechtsleben unmöglich ausgeschaut haben kann. Da bricht unter der erstarrten Larve absolut spekulativer Wissen­

wie Hegel sie vorschreibt, ein kräftiges und feines Empfinden für das Menschliche und Brauchbare im Rechte durch, für das, was zu allen Zeiten und bei allen Völkern, aus der Natur schaftlichkeit,

des menschlichen Wesens hervor, für den menschlichen Verkehr un­

entbehrlich ist; eine Kunst, die Ergebnisse der geschichtlichen Forschung an diesem Maßstabe zu messen und damit den Standpunkt des Praktikers für die Aufgabe des Rechtshistorikers zu verwenden, wo­ durch Christiansen allerdings fast allen Zeitgenossen wesentlich über­

legen ist und als Vorgänger geradezu Jherings angesehen zu werden verlangen tonn3). Um eine solche Unterströmung mag es sich dann aber auch handeln, wenn Christiansen in der „Allgemeinen Einleitung" zu seiner römischen Rechtsgeschichte, aus allem Gallimatthias Hegelscher Phraseologie hervor, unter übrigens unverständlichen und ungenieß­ baren Äußerungen über das wirkliche Nichts, das wirkliche Sein und

die wirkliche Unendlichkeit, über die Substanz, die auf einem Punkte Geist ist und als deren Besonderung das Wissen seine Bestimmtheit hat — wenn Christiansen daraus sich jäh zu einer einleuchtenden Klarheit und Entschiedenheit sachlich wie formal aufschwingt, wo er

für den Positivismus im Rechte, im Gegensatz zu allen naturrecht­ lichen Verkehrtheiten eintritt. Dies aber ist das Entscheidende: nicht um eine naturrechtliche Reaktion gegen den Historismus handelt es sich, wenn Hegel Einfluß auf das Privatrecht gewinnt, wie man

nach der Analogie des Strafrechts fast vermuten könnte; sondern umgekehrt darum, daß die in der historischen Schultheorie noch steckenden naturrechtlichen Reste aufgestöbert und beseitigt werden, daß ihnen gegenüber der strengste Positivismus in spekulativer Be­

gründung, in wissenschaftlicher Reinkultur aufgestellt wird. So lesen wir bei Christiansen a. a. O.: „Die Rechtsphilosophie kann als Wissenschaft nur Wissenschaft sein von Etwas, von einem

Rechte, das ist. Das Recht aber, das ist, ist Geschichte, also auch die Rechtsphilosophie Rechtsgeschichte — Also darüber müssen

590

Achtzehntes Kapitel.

Wir uns einig sein, daß nur die Rede sein soll von dem Rechte, welches ist, und daß es nur von dem eine Wissenschaft geben kann.

Das wirkliche Recht ist das positive Recht, also gibt es nur eine

Wissenschaft von dem positiven Recht, diese kann man nun auch die Wenn ich nun das römische

Wissenschaft des Gerechten nennen

Recht weiß, so weiß ich, was römisch gerecht, d. h. was römisch Recht

Was es aber heißen soll, ob das römische Recht, oder

ist

irgend ein anderes Recht, gerecht ist, verstehe ich nicht.....

Kurz,

ich sehe nicht ein, wie die Wissenschaft des Gerechten etwas Anderes sein kann, als die Wissenschaft eines oder aller positiven Rechte, wer

Zeit und Kopf

dazu

hat,

die Sache

weit

so

zu treiben."

Die

Wissenschaft von einem nicht seienden Rechte gebe es ebensowenig, wie eine Philosophie

von

einer Welt, die nicht wirklich bestände.

„Das sehe ich sehr gut ein, daß man von der Unzweckmäßigkeit und

der Nichtsittlichkeit eines Rechtes für diese Zeit

daß darüber Jeder klug und dumm achten

sprechen kann,....

.... seine Meinung und Gut­

sagt; aber das wird doch kein Mensch eine Wissenschaft

nennen, wenigstens für andere, als ihn selbst- nicht. ....

Die

Rechtsgeschichte ist, wie jede Wissenschaft, ein durch bloße eigene

Neugier motiviertes Anschauen;

sie hat

das Wirkliche, Daseiende,

also geschehene Recht zum Gegenstand und nichts anderes, also so

wie zum Endpunkte, so auch zum Ausgangspunkt einen als Recht

konkret wirklichen Willen

Die Wissenschaft sieht nur das Sein,

das Wirkliche, das Angefangene, als das wirklich Wirkliche, das Ge­ endete, als das wirklich Unwirkliche, Existente."

Wie man sieht, handelt es sich hier nicht um einen utilitaristischen, sondern um den strengst wissenschaftlich denkbaren Positivismus.

Nur

das Wirkliche ist vernünftig, objektiv wißbar und darum Objekt der Wissenschaft.

Wirklich ist auf dem Rechtsgebiete aber bloß das Recht,

das gilt oder einmal gegolten hat.

obachtung des Rechts,

Damit sind wir auf die Be­

das gilt oder jemals gegolten hat,

als auf

die einzig zulässige Methode der Rechtswissenschaft hingewiesen.

Für

diese Beobachtung des Rechts als eines gültigen oder gültig gewesenen

geben nun aber die sogenannten Rechtsquellen höchstens einen Beleg oder Fingerzeig.

Die gesetzlichen Vorschriften haben allerdings be­

ansprucht oder beanspruchen, zu gelten, ob ihnen dies aber wirklich

gelungen ist, bleibt eine ganz andere Frage.

Indem der Hegelsche

Positivismus diese Wendung nimmt, setzt er sich vollends in Gegen-

I. Gemeines Zivilrecht.

I) Der spekulative Positivismus.

591

satz zu der historischen Schule, die über diesen Unterschied ja recht

unhistorisch stets hinweggesehen hat, zugleich aber auch in Gegensatz gegen den Positivismus, dem der Gesetzesbuchstaben, das Quellen­

studium, die Quellenmäßigkeit eins und alles ist.

Vielmehr ist man

nun aus diesem Wirklichkeitsbedürfnis hervor für die Beobachtung des Rechts, wie es in der Vergangenheit wirklich gegolten hat, auf

intuitive Rückversetznng in vergangene Zeiten und Lebensverhältnisse angewiesen, da der Hegelianer wenigstens zu jener Zeit an rechts­

geschäftliche Urkunden und deren mühsames' Mosaikstudium noch nicht denkt,

wohl auch für die römische Rechtsvergangenheit noch nicht

denken kann — daher Christiansens schwindelnd kühner, aber mit den praktischen Lebensbedürfnissen

Aufbau.

genial rechnender rechtsgeschichtlicher

Für die Beobachtung des geltenden Rechts aber hat man

die wirkliche, vor Augen liegende Rechtspraxis als ungleich zuver­ lässigeres Material — daher Kierulffs Theorie und Verfahren.

Auf

diesem Wege hält die Herleitung des Rechts weniger aus den Rechts­

geboten als aus dem Gerichtsgebrauche, die dem alten gemeinen Recht

selbstverständlich gewesen, die durch das Naturrecht teilweise und ganz

und gar durch die historische Schule verdrängt worden war, ihren Wiedereinzug in die Methodik der Rechtswissenschaft, die heute zum

guten Teil davon lebt.

Der Zusammenhang ist hier über Christiansen

zu Kierulff und zu dessen allgemein gewürdigter Bedeutung genau

gegeben und nachweisbar. Es handelt sich aber offenbar auch um etwas Analoges, wenn der Nechtshistoriker heute weit mehr als früher das wirkliche Rechtsleben der Vergangenheit aus den Urkunden

über einzelne rechtliche Vorgänge und Geschäfte zu rekonstruieren bemüht ist, als die Gesetze der Vergangenheit einfach auszulegen —

obschon gerade bei Christiansen, dem Historiker, davon,

wie gesagt,

noch keine Rede ist, während Kierulff als Dogmatiker dem ohnehin

fernesteht. Ob übrigens die Kierulff und Christiansen gemeinsame Hegelsche Grundlegung eines wissenschaftlichen Positivismus gemeinsames Ge­

dankenkapital beider ist, von dem einen nur zufällig ein Jahr früher

in seiner historischen Eigenart, von dem anderen nur zufällig ein Jahr später dogmatisch ausgeprägt, oder ob Kierulffs Altona 1839 erschienene „Theorie des gemeinen Zivilrechts" die leitenden Gedanken

Christiansen entnommen hat, dürfte heute kaum mehr zu entscheiden sein.

Fast erscheint ersteres bei dem kurzen Zeitunterschied und bei

592

Achtzehntes Kapitel.

der Selbständigkeit beider Denker, bei ihren nahen persönlichen und Familienbeziehungen und endlich bei ihrer nahen Gedankengenossen­

schaft, die uns durch Beseler ausdrücklich bezeugt ist4), wahrschein­ licher. Wie dem aber auch innerlich sein mag, die chronologische Priorität steht offenbar Christiansen zu. Dagegen ist die eigentlich weitertragende Wirksamkeit nicht diesem beschieden gewesen, der durch seine historischen Phantasien den dahinterliegenden philosophischen Theorien weder Nachdruck noch Durchschlagskraft verleihen konnte,

sondern Kierulff, dessen dogmatische Ausprägung jenes Leitmotivs den Bedürfnissen und wissenschaftlichen Ansprüchen der Praxis ent­ gegenkam. Während Christiansen damals nur eine Art von Merk­ würdigkeitserfolg davontrug und, früh verstorben, wie er ist, heutzutage fast vergessen erscheint, sollte Kierulff dauerndes Ansehen und bleibenden Namen davontragen, unterstützt durch die später von ihm

in hoher Stellung und länge ausgeübte praktische Wirksamkeit. Johann Friedrich Kierulff"), geboren zu Schleswig den 9. Dezember 1806, eine Zeitlang Professor der Rechte in Kiel und sodann in Rostock, dort auch Rat und Vizepräsident am Oberappel­

lationsgericht, ist dann besonders dadurch einflußreich geworden, daß er Ende 1852 an die Spitze des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte, an Stelle Wächters, nach Lübeck berufen wurde und als letzter Nachfolger Heises dieses berühmte Gericht geleitet hat, bis es durch die neue Reichsgerichtsverfassung am 1. Oktober 1879 erlosch. Er hat auch in dieser Stellung seinen theoretischen Postulaten ent­

sprochen, indem er eine „Sammlung der Entscheidungen" seines Ge­ richts herausgab, die in sieben Bänden die Jahrgänge 1865—1872 umfaßt. Kierulffs wissenschaftlicher Ruf aber beruht auf dem Einen, schon genannten Werke, obgleich dieses über die allgemeinen Lehren des ersten Bandes nicht hinausgelangt ist, der Theorie des gemeinen Zivilrechts von 1839. Das Werk beginnt mit einer allgemeinen Einleitung, die genau dieselben Grundsätze wie Christiansens allgemeine Einleitung, nur in weniger streng philosophischer Einkleidung ausspricht. Kierulff tut mehr literärgeschichtlich dar, wie das Verständnis für die Aufgabe der Zivilrechtswiffenschaft in Deutschland gewechselt habe, wie man

zuerst rein auslegend quellenmäßig, dann verderblich naturrechtlich, schließlich nach der Methode der historischen Schule verfahren sei").

„Diese historische Richtung verläßt nicht minder als jene naturrecht-

I. Gemeines Zivilrecht.

1) Der spekulative Positivismus.

593

liche Theorie den praktischen Boden der Gegenwart, sie hält fest

am positiven Stoff, aber dieser Stoff ist seinem größten Teile nach totes Material, welches außer lebendigem Zusammenhang steht mit

dem Recht der Gegenwart Dies Prinzip, welches nicht will, daß unmittelbar Hand ans Werk gelegt werde ..... hat eine zivilistische Doktrin geschaffen, welche unentschieden schwankt zwischen Theorie und Geschichte und sich von der Praxis ebenso entfernt hält als jenes Naturrecht. Diese zivilistische Literatur, welche sich durch Quellenforschung auszeichnet, aber nur gelten lassen will, was in der lauteren Quelle des Justinianischen Rechts sich findet, vergißt, daß eben dieses Recht nur durch die Praxis in Deutschland Eingang

gefunden-, und nur so, wie es die Praxis gestaltet, und nur das, was

durch sie lebendes Recht geworden ist. Sie prätendiert, daß jede neue Entdeckung, welche ein Zivilist aus irgendeinem vergessenen

Winkel des Corpus Iuris macht, bloß darum, weil sie aus dieser Quelle gemacht ist, von der Praxis sofort angenommen und realisiert werden soll..... Die Kluft, welche zwischen Theorie und Praxis ohnehin schon breit genug war, ist dadurch um ein Beträcht­ liches erweitert wordeti, und die Sache nachgerade dahin gediehen, daß dem Praktiker theoretisch und unpraktisch für gleichbedeutend gilt." — Demgegenüber gehe das Bedürfnis und Verlangen der Gegenwart dahin, daß aus dem wirklich lebendigen Recht, durch selbständiges Schaffen, zu dem das Zeitalter hinlänglich gereift sei, ein einheitliches, einfaches und klares Rechtssystem auf Grund einer „durch das Bewußtsein hindurchgehenden Rechtsentwicklung" (nicht unbewußt, wie zur Zeit der römischen Juristen), gewonnen werde. „Es kömmt nur darauf an, sich das Bewußtsein gegenwärtig zu halten, daß selbstgewonnene Überzeugung hier allein einen Wert hat und mit dem bloßen Häufen von Zitaten und Quellen und Schrift­ stellern nichts getan ist." Das eigentümlich römische Recht, dem

der reine Charakter der Universalität mangelt, ist uns fremd, eben deshalb auch für uns unpraktisch und ungültig, seine Ausscheidung wird

durch richtiges

geschichtliches Studium wesentlich

erleichtert.

Aber auch, was im geltenden Recht Römisches übrig bleibt, ist nicht aus den römischen Quellen zu entwickeln, sondern höchstens mittels dieser Quellen zu belegen und zu bestätigen „Wirkliche Jurisprudenz

ist juristische Kunst, freies Hervorbringen, Produktion." So aus dem geltenden Zivilrecht dessen Theorie zu produzieren, ist Aufgabe Landsberg. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

38

594

Achztehntes Kapitel.

der zivilistischen Wissenschaft; daneben ist es Aufgabe der germanisti­ schen Wissenschaft, eine Theorie des gemeinen deutschen Privatrechts

und der partikulär-territorialen Privatrechte herzustellen. Es ist zweckmäßig, behufs Beherrschbarkeit des Stoffgebietes jene beiden

Theorien als getrennte Disziplinen zunächst auseinanderzuhalten, aber darüber darf nicht vergessen werden, „daß der Inhalt beider Rechts­ theorien zusammen das wirklich deutsche lebende Recht ausmacht, und daß darin weder wirkliches römisches Recht noch untergegangenes altgermanisches Recht behandelt werden darf." Offenbar sind alle diese Sätze auch einer solchen Well- und

Rechtsauffassung, die nicht auf Hegelsche Gedankengänge und Wort­

prägungen eingestellt ist, weit zugänglicher gemacht, als die abstrusen Ausführungen bei Christiansen. Voll ist aber auch Kierulff nur zu und begreifen, wenn man jene Hegelsche Theorie vom „seienden" Recht hinzunimmt und dadurch den Schlüssel gewinnt für das Verständnis der Einleitung wie für das ganze Buch Kierulffs. Denn nur so erklärt es sich, was Kierulff unter lebendem Recht ver­

würdigen

steht, nur so, wie er sich zu den Quellen stellt, nur so, daß die Ein­ leitung nicht, wie man unbefangenerweise sonst erwarten möchte, hinausläuft auf die Aufforderung zu einer umfassenden Zivilrechts­ kodifikation, sondern auf die Begründung einer selbständigen theo­ retischen Darstellung. Und ebenso stellt es sich alsbald heraus, daß Kierulff weiterhin tatsächlich nur eine meisterhafte dogmatische Durch­ führung jener wissenschaftlich-positivistischen Lehre auf dm allgemeinen

Teil des Zivilrechts gibt. Diese Lehre ist der rote Faden, der sich durch den ganzen Band hindurchzieht und dem darauf erst aufmerk­ sam gewordenen Blick immer wieder begegnet. Direkt in ganz ähn­ lichen Worten wie bei Christiansen findet sie sich, wennschon scheinbar nur gelegentlich, so doch offenbar nach wohlüberlegtem Plane aus­ gesprochen, zunächst bloß in einer AnmerkungS. 17; sodann etwas

später, gelegentlich der Lehre von der Klage und von der Rechtsver­ letzung, S. 158, wieder in einer Note; und endlich erst S. 188 genauer, indem da nun hervortritt, daß „wirkliches Recht" nur ist das angegriffene, durch Prüfung des Staates bestätigte Recht. „Das

Recht, bis dahin abstrakte Möglichkeit der Klage und exceptio, wird nun konkret begründetes Klag- und Exzeptionsrecht. Das verletzte Recht ist das zur'lebendigen Wirksamkeit und selbständigen Äußerung

erweckte Recht, actio, exceptio nata."

Und dazu in der Note:

I. Gemeines Zivilrecht.

595

1) Der spekulative Positivismus.

„Das Recht wird auf diesem Punkte seiner Entwicklung Grund seines Seins, denn es macht sich zum geltenden Recht, und seine Wirkung (d. h. seine Wirklichkeit) geht jetzt von ihm selbst aus."

Stellen

ausdrücklich.

So an diesen

Aber von dieser Anschauung aus ist

z. B.

auch schon die ganze Lehre von den Rechtsquellen gestaltet, besonders

die vom Gewohnheitsrecht, in zugespitztem Gegensatze gegen Puchta auf die Betätigung der Gewohnheit abgestellt.

Ebenso ist bei der

Gesetzesauslegungslehre der Gegensatz von ius asperum und aequum

aufgebaut, streng positivistisch, genau wie in Christiansens Rechts­ geschichte, darauf, ob das Äußere des Gesetzes nach seinem buch­ stäblichen Inhalt beachtet wird, oder ob dieses Äußere als bloßes

„Medium der Erkenntnis des Willens" dient.

Auf letzterer Mög­

lichkeit beruht die Rechtsfortbildung durch actio utilis und in factum,

die, obschon in dieser Form veraltet, doch sachlich auch „heutzutage noch geschehen kann und )'oC"8). — Bei den Privilegien ergibt sich

so die schärfste Ablehnung jeder Vertragstheorie, bei der Kontro­ verse über die Rechtskraft die entschiedenste Ablehnung jeder Möglich­ keit, eine andere als die urteilsmäßig festgestellte Rechtslage irgend­

wie

als

„wirklich"

anzuerkennen,

bei

der juristischen Person

die

krasseste Fiktionstheorie, bei der Lehre von der zeitlichen Herrschaft

der Gesetze die unverhüllte Anerkennung der Möglichkeit, daß der Gesetzgeber Rückwirkung anordne,

nach damals weitver­

während

breiteter Anschauung solche Rückwirkung als fast naturgesetzliche Un­

möglichkeit angesehen wurde.

Auf Grund eben dieses Positivismus

eilt Kierulff bei Erörterung der dispositiven Rechtsnorm seiner Zeit

weit vorauf, indem er deren Inhalt als kraft Gesetzes, nicht kraft stillschweigenden Parteiwillens gültig festlegt9).

demgemäß

lediglich

eine Rechtseinrichtung,

zusammentreffendes 'Urteil

Die Infamie ist ihm

ohne notwendig

über die sittliche Ehre.

damit

Bei der Lehre

vom Rechtsobjekt heißt es, „das Objekt des Rechts ist immer der Wille und dessen Äußerung als positive oder negative Handlung"; — dann wird aber doch die gewöhnliche Bedeutung des Wortes wiederhergestellt,

indem Kierulff erklärt,

er wolle nicht von diesen

eigentlichen Objekten des Rechts handeln, sondern von dem „prak­

tischen Objekt" des Rechts, das sind die Objekte des Handelns, „an

denen das Interesse des Berechtigten haftet". Voll wiederaufgenommen wird endlich die alte Hegelsche Formel, der alte Hegelsche Gegensatz

gegen Savigny bei der Lehre vom Besitz, wo der „wirkliche" Besitz 38*

596

Achtzehntes Kapitel.

als der „ausgeführte, durchgesetzte Wille" auftritt und als die wahre Verwirklichung des dinglichen Rechts ohne weiteres Anerkennung findet.

Wie man

bemerkt haben wird, sind alle diese Ausführungen

gleichzeitig ebenso entschieden in der Sache, wie vorsichtig und zurück­

haltend in der Form. Sie geben nicht den spekulativen Unterbau, sondern setzen ihn unter der Hand voraus; sie lassen von den schärferen Folgerungen immer mehr bloß nach und nach durchsickern und verweisen die weitergehenden grundsätzlichen Äußerungen mit Vor­

liebe in die Anmerkungen.

Sie wissen mit strengster Wahrung und

allseitiger Durchführung des Prinzips Bekundung weitreichender Quellen- und Literaturbeherrschung zu vereinigen, obschon Kierulff wie Christiansen jedes Namenszitat vermeidet, auch da, wo er gegen eines bestimmten Schriftstellers Ansicht polemisiert, was übrigens bei ihm stets maßvoll geschieht, im Gegensatz zu Christiansens schuödabsprechender Hegelianischer Redeweise. Nur zugunsten Christiansens

selbst wird bezeichnenderweise von Kierulff dieses Prinzip der Ano­ nymität mehrfach durchbrochen, wo auf dessen Ansicht zustimmend ver­ wiesen wird. Mit der Aufstellung leitender Gesichtspunkte verbindet

sich bei Kierulff eine reiche und glückliche, häufig auch der Quellen­ besprechung als Unterstützung nicht entratende Kasuistik. Bei der

Beobachtung der herrschenden Praxis überwiegt die Neigung, weiteren Rechtsfortbildungen entgegenzukommen, die theoretisch ausschließliche

Anerkennung des lebendigen Rechts mündet in das praktische Ver­ ständnis für die Bedürfnisse des Rechtslebens. Selbst der natur­ rechtlichen Schule weiß Kierulff, soweit sie produktiv gewesen ist,

dafür Dank.

Auch das Ersprießliche der historischen Schule leugnet

er nicht vollständig, eine ausgesprochene Sympathie aber bringt er den großen Kodifikationen des 18. Jahrhunderts entgegen. Sonder­

barkeiten und Schärfen, abwegig abstrakte Ausführungen versteht er fast ganz zu vermeiden, ohne daß doch der Eingeweihte jemals den spekulativen Grundcharakter preisgegeben sähe.

So ist es Kierulff gelungen, während sonst der Hegelianismus von dem Zivilrecht und vollends gar von der geschlossenen Phalanx der Puchtaschen Schule glatt abgelehnt worden ist, denn doch auf

die Pandektisten, und zwar gerade auf die der strengeren Schul­ observanz, einen tieferen Eindruck zu machen; er hat seine Basilisken­ eier gewissermaßen heimlich ins feindliche Lager eingeschmuggelt. Nicht

nur seine hohe persönliche Begabung wird oft gerühmt, sondern seines

Werkes geschieht in den Werken der Schule regelmäßig als eines bedeutsam einschneidenden Erwähnung, und seine einzelnen Ansichten finden dort ebenso regelmäßig sachliche Berücksichtigung.

So konnte

denn auch wohl weitergehend, wennschon nicht gerade seine spekulativ­

theoretische Grundlage, die als solche aussichtslos gewesen wäre und auch wohl wenig erkannt worden

ist,

so doch die darin liegende

positivistische Stimmung und Gesinnung allmählich durchdringen und sich einen Einfluß erobern, der im weiteren Laufe des 19. Jahr­

hunderts an Stärke immer nur gewonnen hat. 2. Dieser spekulativ-positivistischen Auffassung, die als geltendes

Recht nur das praktisch angewendete, nicht das staatsgesetzlich gefor­ derte anerkennt,

steht

sachlich am

nächsten

derjenige Positivismus,

der unbefangen unmittelbar an die Ergebnisse der Praxis sich wendet und diese durch umfassende Sammlung und Darstellung ausnutzt, wofür er die Rechtfertigung in dem praktischen Zwecke selbst findet. Dabei liegt denn freilich die Gefahr unwissenschaftlicher Äußerlichkeit sehr nahe; soweit sie aber durch genauen Sammlerfleiß und durch

gediegene Stoffverarbeitung überwunden wird, kann doch auch diesem

Positivismus die Bedeutung eines wissenschaftlichen, kann doch auch seinen Erzeugnissen die Zugehörigkeit zur Wissenschaftsgeschichte nicht abgesprochen werden.

Da ist es

nun um

diese Zeit vor allem

Johann

Adam

v. ©enffert1), der von beiden genannten Möglichkeiten, der Samm­ lung wie der Verarbeitung, Gebrauch gemacht hat, um den unbefan­

genen

Positivismus

zur Höhe der

Wissenschaftlichkeit zu

erheben.

Jedoch nicht etwa so, daß er zuerst gesammelt und sodann verarbeitet

hätte.

Sondern zunächst hat er sich in kühnem Jugendmut, schon

1825, mit einem „Lehrbuch des praktischen Pandektenrechts" hervor­

gewagt,

das weniger

eine

gelehrthistorische Arbeit sein

sollte,

als

„eine gründliche Theorie des geltenden Rechtes zum Behufe der prak­ tischen Anwendung geben" wollte

und auch wirklich gegeben hat.

Beweis dessen die lang dauernde Beliebtheit, deren es sich in weiten Kreisen erfreut hat mit seinen vier bis 1870 reichenden Auflagen^.

Es verdiente sie schon durch

seine Klarheit und Kürze,

durch die

jederzeit seltene Verbindung von praktischer Brauchbarkeit mit Wissen­ schaftlichkeit.

Namentlich aber ist es geschrieben mit glücklichem Takt,

mit frischem Lebensgefühl, aus einem Sinne, der dem Quietismus

598

Achtzehntes Kapitel.

vieler Historiker ebenso ferne steht, wie irgendwelchem Radikalismus, der vielmehr durch humanes Streben nach Gerechtigkeit, nach Treu

und Glauben und Zuverlässigkeit in den Stand gesetzt ist, der moder­ nen Entwicklung bereitwillig entgegenzukommen und doch am Gege­ benen und Erzielten besonnen festzuhalten: Es handelt sich da um

dieselbe Gesinnung, die der Vater Johann Michael

Seuffert im

öffentlichen Recht durch sein Werk über das Beamtentum bewährt hatte, die auch der Sohn im politischen Leben betätigen sollte und die, auf die folgende Generation wieder übergegangen, gewissermaßen als Familiengüt erscheint, als glückliche Anwendung des damals in

dem höheren deutschen Beamten-, Professoren- und Bürgertum herrschenden human idealistischen Liberalismus aus das Rechtsgebiet. Wie nun aber dieses Liberalismus höchstes Streben auf eine politische Einigung Deutschlands gerichtet ist, so stellt Seuffert die Arbeit seiner reifen Mannesjahre, das von ihm als Jurist und Staatsbürger erworbene Ansehen in den Dienst der deutschen Rechts­ einheit. Diese durch Sammlung des positiven Rechtsstoffes für ganz Deutschland nach einheitlichem Plane zu fördern, ist die grundlegende Bestimmung des von Seuffert 1847 geschaffenen, heute noch blühen­ den „Archivs für die Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten". Es ist augenfällig, wie eine solche Sammlung für die Auf­

gaben, die sich der spekulative sowohl wie der empirische Positivismus stellen mußten, einzig und allein die sichere Grundlage beschaffen

konnte; Seuffert aber war diese Einsicht offenbar dadurch nahe gelegt worden, daß er von der akademischen zur richterlichen Tätig­ keit, wennschon keineswegs freiwillig, übergegangen war. Ein erster

Schritt in dieser Richtung war schon seine Gründung der „Blätter für Rechtsanwendung zunächst in Bayern", 1836; das Entscheidende lag aber doch eben in der Ausdehnung auf sämtliche Obergerichte der verschiedenen deutschen Staaten. Dabei hatte Seuffert von vorn­ herein das volle Bewußtsein der gemeindeutschen Bedeutung seines Unternehmens, auch bereits mit Hinblick auf Rechtsanwendung nicht

nur, sondern auch auf Rechtswissenschaft und sogar auf Gesetzgebung,

wie das Vorwort zum ersten Heft des Archivs deutlich bekundet; man denke auch an die Übereinstimmung des Datums 1847 mit den

Germanistenversammlungen und mit den politisch-nationalen Begeben­ heiten im allgemeinen.

Ebenso war das Unternehmen von vorn-

I. Gemeines Zivilrecht.

2) Der unbefangene Positivismus.

599

herein ein wohl vorbereitetes, wie sich in der sofortigen Beteiligung der Gerichte Berlin, München, Stuttgart, Dresden, Celle, Mannheim, Kassel, Darmstadt, Jena, Rostock (bzw. Parchim), Oldenburg, Wies­ baden, Wolfenbüttel Seufferts

und Lübeck äußerte.

So wurde

es

unter

geschickter und emsiger, sachkundiger und nachdrücklicher voller Programmerfüllung entgegengeführt und

Leitung alsbald

konnte binnen kurzem als dauernd gesichert gelten, nachdem der Er­ folg das ©einige dazu beigetragen hatte, daß Beiträge von allen Seiten gleichmäßig und ununterbrochen einliefen. Den Einfluß, den

das Archiv nun allmählich immer mehr, juristisch und selbst politisch,

gewonnen hat, kann man kaum überschätzen. Es ist jahrzehntelang das selbstverständlich stets zuerst zur Hand genommene Nachschlage­ buch und Orientierungswerk für jeden, der sich über den gegen­ wärtigen Stand der Praxis kasuistisch unterrichten will.

Von 1847 bis 1900 hat es uns gewissermaßen eine gemeinrechtliche Zivilrechts­

sprechung ersetzt, hat die Praxis aller Territorien zu gegenseitiger Berücksichtigung, namentlich aber Theorie und Wissenschaft dazu er­ zogen, sich bei ihm über das wirkliche Leben des Rechts, dessen Puls

und Atem Rats zu erholen und ihm die Anregungen zur Kritik wie zur Einzeldarstellung des geltenden Rechts, zur Ausstellung wie zur

Nachprüfung neuer Rechtsgedanken und Gesetzgebungspläne zu ent­ nehmen. Selbst wer kühl ablehnend sich über die Beobachtung der Praxis dieses oder jenes einzelnen Gerichtshofs, dieses oder jenes Territoriums vom erhaben romanistischen Gesichtspunkte aus hinweg­

zusetzen geneigt gewesen wäre, der konnte doch einer so geschlossen sich darbietenden Fülle der Entscheidungen aller deutschen Obergerichte nicht die Berücksichtigung versagen. Und nahm man erst diese so inhaltsreichen Bände vor, so mußte sich die Erkenntnis aufdrängen, wie nur aus dem Born des Lebens schöpfend die Wissenschaft ge­ deihen kann, wie jeder Versuch, allein durch systematische Deduktion vorzugehen, von vornherein zu dürftiger Trockenheit verurteilt ist, wie die Pflege der historischen Vergangenheit ohne die Beobachtung der Gegenwart ein Unding ist. So hat gewiß Seufferts Archiv wesentlich dazu beigetragen, daß die Haltung der Theoretiker zum positiven Recht der Gegenwart eine immer mehr entgegenkommende wurde. Genau wie Seuffert es von Anfang an bezeichnet hatte, hat sein Archiv die Entscheidungen zusammengetragen, „soweit sie auf

dem Boden des gemeinen Rechts stehen, soweit sie gemeinrechtliche

600

Achtzehntes Kapitel.

Rechtsbegriffe ausprägen und ein im ganzen Umfang deutschen Rechts­ lebens und deutscher Rechtsanschauung geltendes ius gentium dar­ stellen". Dieses deutsche ius gentium, d. h. ein einheitliches Recht der bis 1870 getrennten deutschen Staaten, ist wirklich wesentlich aus Seufferts Archiv im Sinne mindestens einer gemeinsamen Rechts­ überzeugung hervorgegangen; daß das denn auch die einzig richtige Vorbereitung für die nach 1870 einsetzende Arbeit, für die Schöpfung unseres deutschen bürgerlichen Gesetzbuches war, bedarf hier keiner

weiteren Ausführung. Neben die Leistung Seufferts stellt sich auf ähnlich positivistische Grundlage, als wissenschaftliche Vereinigung von sammelnder und ver­ arbeitender Tätigkeit, zu unmittelbarer Förderung einer Annäherung

zwischen Praxis und Theorie „Das praktische gemeine Zivilrecht" von K. F. F. Sintenisb), erschienen in drei starken Bänden, Leipzig 1844—1851. Das Werk ist viel ausführlicher und breiter angelegt, als Seufferts ähnlich bezeichnetes Lehrbuch von 1825. Während

Seuffert bloß die Hauptlinien entwirft, erstrebt Sintenis eine gewisse kasuistische Vollständigkeit, etwa so, wie unsere heutigen Kommentare. Er benutzt das eigenartige und streng durchgeführte Systems mehr nur als Fachwerk zur Anordnung und Anbringung zahlloser Einzel­

heiten. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob nicht Sintenis dabei überall mit gründlichstem allgemeinem Verständnisse und mit

quellenmäßiger Strenge vorginge. War er doch feingebildeter Huma­ nist, dem die antiken Klassiker stets Lieblingslektüre geblieben waren, der der ersten deutschen Übersetzung des Corpus Iuris Civilis und eines Auszuges aus dem Corpus Iuris Canonici6) einen mindestens nicht allzu unwissenschaftlichen Charakter aufzuprägen vermocht hatte. Daneben aber steht sein ganz außergewöhnliches Feingefühl für die Bedürfnisse der Praxis, von dem er schon durch sein „Handbuch

des gemeinen Pfandrechts", Halle 1836, Zeugnis abgelegt hat, eine gerade auf diesem praktisch so wichtigen, theoretisch und romanistisch so verwahrlosten Gebiete doppelt dankenswerte und für ihre Zeit wesentlich förderliche Leistung. Auf dieser Grundlage ist dann jenes Hauptwerk von Sintenis erwachsen, Erzeugnis eines unermüdlichen Fleißes, einer ungewöhnlich ausgebreiteten Sachkenntnis und einer gediegenen juristischen Begabung, die in Ausübung akademischer und oberstrichterlicher Berufe, sowie in hohen Staatsämtern sich bewährt

und weitergebildet hat.

Auch ist Sintenis trotz aller dieser Beschäf-

I. Gemeines Zivilrecht.

2) Der unbefangene Positivismus.

601

tigungen in der Lage gewesen, in zwei weiteren Auflagen das Ganze wieder durchzuarbeiten, zu immer größerer Vollständigkeit und Reife zu förderns.

So steht er denn auch

keineswegs ablehnend oder

gar fremd den großen Errungenschaften der historischen Schule gegen­ über, weiß diese vielmehr voll zu würdigen und zu verwerten. Wohl aber ist er durchdrungen von der Überzeugung, daß man der Praxis unmöglich, wie Savigny gewähnt

hatte, zumuten kann, auf das Studium der römischen Quellen und auf deren unmittelbare Anwen­ dung im einzelnen Falle zurückzugreifen- sondern daß es zwischen

diesen Quellen und der Praxis einer ansgleichenden Vermittlung bedarf, die zu liefern Sache der Rechtsgelehrsamkeit ist. Offenbar rechtfertigt ihm dieselbe Überzeugung die Corpus Iuris-Übersetzung; ebenso ist er im „praktischen Zivilrecht" bemüht, in für seine Zeit möglichst weitgehendem Maße die römischen Ausdrücke zurückzudrängen und statt ihrer deutsche Übertragungen einzuführen, auch das gewiß

ein Beitrag zur Gewinnung eines gemeinen, wahrhaft deutschen Rechts aus romanistischer Wurzel. Sowohl die Literatur wie die Judikatur sind mit kritischem Verständnisse verwertet, zahlreiche selbständige Aus­ führungen in einzelnen Lehren und Punkten verleihen dem Ganzen

Halt und Bedeutsamkeit. Da, wo sie hingehören, sind auch geschicht­ liche Ausführungen nicht verschmäht, hauptsächlich aber wird immer wieder der Grundgedanke durchgeführt: für die unmittelbare Anwend­ barkeit zu schreiben, nicht das fremdartige römische Recht zur Dar­ stellung zu bringen, sondern „ein Recht, welches einst römisch war und nun unser geworden ist". Muß Sintenis in der Vorrede zur ersten Auflage bemerken, fast gewänne es den Anschein, als würde

hin und wieder geglaubt, man könne derartiges nicht leisten, ohne „der strengen Wissenschaftlichkeit Abbruch zu tun", ohne „von der Höhe der Wissenschaft" herabzusteigen, so ist sein Werk die glänzendste Widerlegung dieses Aberglaubens. So hat er es wirklich verdient, von dem ihm eben darin so nahestehenden Wächter als „der gelehrte Praktiker

und praktische Gelehrte" unter den Juristen bezeichnet zu werden.. In gebührender Entfernung hinter ihm, aber doch auch als zugehörig, ist außerdem hier noch zu nennen der Nürnberger Patrizier R. S. Freiherr v. Holzschuher^) mit seiner „Theorie und Kasuistik des römischen Rechts", 3 Bde., Leipzig 1843—1854. Holzschuher

erhebt nicht den Anspruch, die Wissenschaft selbständig wesentlich zu fördern, neue Gesichtspunkte zu gewinnen, oder auch nur ältere

602

Achtzehntes Kapitel.

Kontroversen endgültig zu schlichten, sondern er will nur die Muße seines Alters dazu verwenden, den Standpunkt der Wissenschaft und der Literatur für möglichst zahlreiche Einzelfragen möglichst genau und eingehend darzulegen, namentlich zu unmittelbarer Benutzung für den, der aus diesem Material sich dann selbst die Entscheidung herleiten will. Darum wählt er die Form von Fragen und Ant­ worten und häuft die behandelten Einzelheiten ziemlich wahllos. Aber die Arbeit ist denn doch nach zweckmäßigem Plane angeordnet,

mit umfassender Gründlichkeit ausgeführt und

schon durch ihren Zitatenreichtum wertvoll; sie fand deshalb in den Gerichtshöfen raschen Eingang und verdient deshalb auch hier noch anerkennende

Erwähnung — obschon, vielleicht gerade weil sie in ihren starken wie in ihren schwachen Seiten lebhaft an die vorhistorischen Zeiten des gemeinen Rechts erinnert, in die des Verfassers Studienjahre

noch zurückgreifen. Man sieht da, wie unter der Tiefe des Schnittes weg, der durch Hugo und Savigny in die gemeinrechtliche Entwicklung gelegt wurde, die Gleichheit des praktischen Bedürfnisses zu der Kontinuität einer unbefangen fortfließenden, positivistischen Unter­ strömung führt, im Gegensatz zu der so viel wirksameren Kontinuitäts-

lösung durch gesetzgeberischen Eingriff. 3. Ganz abseits von allen diesen praktischen Positivisten, aber auch von der historischen Schule, ganz einsam für sich, aber überaus

wirksam steht Karl Adolf v. Vangerow*). Sein Positivismus richtet sich nicht an die Praxis und ihre Bedürfnisse, sondern an bie

Schule und ihre juristische Erziehung; er beruht nicht auf Beobachtung des Lebens, sondern auf ausschließlicher Quellenmäßigkeit. Mit der

unbefangenen Einseitigkeit eines alten Glossators gilt für ihn bloß das Corpus iuris civilis, entwickelt er seine Lehre nur aus dessen

Text hervor, erscheint ihm aber auch alles, was durch Auslegung dieses Textes sich gewinnen läßt, gleich bedeutsam und gewinnenswert, mag es sich um die Grundlagen des praktisch geltenden Rechts

handeln oder um nationakrömische Eigenheiten, z. B. um Feinheiten des Sklaven- oder Erbrechts, die er fast mit Vorliebe behandelt.

Sein Positivismus ist ein beinahe zeit- und weltentrückter, freilich darum andererseits auch wieder für jede Zeit, die die römischen Quellen anerkennt, bedeutsamer. Und dennoch hat dieser Mann durch die Macht seines Scharfsinns und seiner Persönlichkeit, durch die nachdrückliche Beredsamkeit seiner Kathedervorträge und durch die ge-

I. Gemeines Zivilrecht.

3) Vangerow.

603

diegencn Ausführungen seines Pandektenlehrbuches einen Einfluß auf

weiteste Kreise, besonders der studierenden Jugend, lange Zeit hindurch ausgeübt, dessen Spuren noch heute wahrnehmbar sind. Vangerow ist geboren als Sohn eines hessischen Offiziers in

Napoleonischen Diensten zu Schiffelbach bei Marburg am 5. Juni 1808;

er hat zu Fulda und Marburg die Gymnasien besucht, in Marburg auch seit 1824 zuerst Philosophie, Geschichte und Mathematik, dann aber Jurisprudenz studiert. Schon mit dem Entschlüsse, sich der akademischen Laufbahn zu widmen, zog er Herbst 1828 für 7 Monate nach Heidelberg, um sich an Thibaut, Zachariae, Mittermaier und

Schlosser hierfür vorzubilden.

Dabei ist wohl namentlich Thibaut

für ihn bedeutsam geworden, hat ihn besonders vom Anschlüsse an die historische Schule im engeren Sinne abgehalten, obschon er sich andererseits auch nie, selbst nicht durch Puchtas Schärfe, in offenen

Gegensatz dazu hat drängen lassen. Am 18. Juli 1829 bestand er zu Marburg das mündliche Doktorexamen, promovierte dort 23. Ja­ nuar 1830 und habilitierte sich ebenda Ostern 1830 bei der juristi­ schen Fakultät, an der verbleibend er 6. September 1833 zum außer­ ordentlichen, 14. Juni 1837 zum ordentlichen Professor der Rechte befördert wurde. Der Ruf seiner außerordentlichen Lehrbegabung aber, unterstützt von der literarischen Wirkung des ersten Bandes seines Pandektenrechts, dehnte sich alsbald weithin aus und stand 1840 schon so fest, daß, als es sich damals darum handelte, für seinen Lehrer Thibaut einen Nachfolger und Ersatz zu finden, haupt­ sächlich wegen jenes Rufes die Wahl auf ihn fiel. Am 14. Juni 1840, also gerade erst 32jährig, zum ordentlichen Professor des römischen

Rechts in Heidelberg ernannt, übernahm er die Lehrtätigkeit dort im Herbste desselben Jahres und ist damit auch äußerlich in die Spuren Thibauts getreten, dessen Tradition er gewissermaßen fortsetzte, als dessen Erbe er gewissermassen erscheint. Er hat dann mit dem bekannten

hervorragenden Erfolge zu Heidelberg seinem Lehrberufe fast 30 Jahre

ununterbrochen obgelegen, sich diesem ganz überwiegend gewidmet, ohne am öffentlichen Leben sonstwie hervortretenden Anteil.zu nehmen. Unter schweren Altersleiden erreichte er noch den Ausbruch des großen französischen Kampfes, stellte infolge des Aufgebots zum Kriege seine

Vorlesungen Juli 1870 ein, erlebte noch den mächtigen Aufschwung der deutschen Siege und ist während derselben, am 11. Oktober 1870, zu Heidelberg gestorben.

Achtzehntes Kapitel.

604

Vangerows literarische Leistungen sind nicht sehr zahlreich. Zu­ nächst ist zu nennen seine Doktordissertation zu L. 22 § 1 C. de iure deliberandi, Marburg 1830, die schon seine Vorliebe für Quellen­

exegese und für ausgeprägt romanistisch erbrechtliche Stoffe bekundet. Darauf entrichtet er dem historisch-antiquarischen Drange der Zeit seinen Zoll durch die Abhandlung „über die Latini Iuniani", Mar­ burg 1833, verrät aber selbst hierin seine dogmatische Neigung durch die Aufstellung des sonderbaren Satzes, daß Freilassung eines Sklaven als eine Art von Übertragung des Eigentums an ihm von feiten

des Herrn auf ihn selbst anzusehen sei.

Ähnliche geschichtliche Arbeiten

späterer Zeit sind die über das furtum conceptum nach den zwölf Tafeln, Heidelberg 1845; und über die lex Voconia, Heidelberg 1864. Außerdem schrieb er eine nicht unbeträchtliche Reihe von Aufsätzen in das

„Archiv für die zivilistische Praxis", das er seit 1841 mit­

herausgab. Der Nachdruck jedoch fällt einzig auf das große Lehr­ buch der Pandekten. Es erschien zuerst unter dem Titel eines Grundrisses zu den Pandekten, Bd. 1 zu Marburg 1838, Bd. 2 und 3 nach Verfassers Heidelberger Übersiedelung 1842 und 1846. Die weiteren Ausgaben folgten einander so rasch, daß die früheren Bände schon neu aufgelegt

werden mußten, während Vangerow noch an der ersten Gestaltung des letzten Teiles arbeitete. Während durck diese Eile eine stärkere Umgestaltung der nächstfolgenden Auflagen ausgeschlossen blieb, ist wesentlich verbessert und vermehrt die sechste Auflage, deren drei Bände von 1850, 1854 und 1856 datieren.

Die siebente Ausgabe,

die die letzte geblieben ist, stammt aus 1863, 1866 und 1868; dazu kommt dann noch ein Neudruck derselben von 1876. Es handelt sich um ein Werk von ganz besonderer Anlage,

weder ausgeführtes Lehr- oder Handbuch, noch bloßer Grundriß, sondern Mittelding zwischen beiden. Vom Grundriß entnimmt es das Schema, die Ausstellung einzelner Paragraphen in der Ordnung eines Pandektensystems mit trockener Angabe der Quellen und der Literatur zu jedem Abschnitte und unter Abdruck der für diesen Ab­ schnitt entscheidenden oder streitigen Quellenstellen. Dann aber setzt

es fast zu jedem Paragraphen eine Reihe von Anmerkungen hinzu,

die jene Quellenstellen

und Kontroversen monographisch erörtern,

manche darunter von der Länge einer selbständigen Abhandlung. Hierdurch kennzeichnen sich gleichzeitig Schwäche und Stärke der

I. Gemeines Zivilrecht.

Leistung.

3) Vangerow.

605

Die Schwäche liegt nicht bloß in der barocken Systematik,

die z. B. das Obligationenrecht in den dritten Band hinter das Erb­ recht verweist, sondern namentlich in der Zusammenhanglosigkeit der Noten, die plangemäß eigentlich nur eine Ergänzung zum mündlichen Vorlesungsvortrage bilden sollen, so nun also, wie man sie im Buche vor sich hat, jeden geschlossenen Aufbau aus Ober- und Untersätzen,

jede Rücksicht auf die organischen Bedürfnisse des Rechtslebens und

der Rechtsentwicklung auf Seite schieben, nm sich bloß an diese oder jene einzelne Streitfrage zu halten und sie lediglich exegetisch zu lösen. Das geschieht denn aber auch mit solcher Kunst der Literatur­

und Quellenbeherrschung, mit solcher Liebe zu den Quellen, mit solchem fesselndem Scharfsinn und so einleuchtender Klarheit, daß man, so lange man sich damit beschäftigt, alle Mängel vergißt und sich selbst

da angezogen fühlt, wo die besprochene Frage an sich keinerlei Interesse bietet. Was uns hier an Darstellung und Beurteilung des ius

controversum geboten wird, unabhängig von allen abstrakten Kon­ struktionen, von allen nach Gesetzesänderung schielenden ökonomischen oder sozialen Betrachtungen, frei von aprioristischem Streit um Prin­ zipien oder Systeme, däs ist der rein zivilistische Kern, an dem wir die dialektische Kunst und die logische Freude juristischen Denkens zu

üben vermögen, fast wie an den klassischen Schriftstellern selbst, deren in die Pandekten übergegangene Aussprüche uns da vermittelt werden.

Ist diese Vermittlung allezeit die Aufgabe romanistischer Exegese ge­ wesen, so löst Vangerow diese Aufgabe voll nach dem Maße der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit seiner Epoche; infoferne gehört diese seine Leistung wesentlich mit in diese Glanzperiode der deutschen Rechtswissenschaft. Den Zeitgenossen freilich trat Vangerows Bedeutung als Schrift­ steller noch zurück hinter die des akademischen Lehrens. In Heidel­ berg, wo er diese seine Wirksamkeit voll entfaltete, las er regelmäßig im Sommer römische Rechtsgeschichte und Institutionen, im Winter die Pandekten, und zwar diese ganz, während drei bis vier Stunden täglich, gegen Semester-Ende noch Mit Einschubstunden. Dieses

letztere, das große Pandektenkolleg, war das ungleich berühmtere, dazu strömten die Juristenschüler aus ganz Deutschland während mehr als eines Vierteljahrhunderts allwinterlich zusammen, um zu mehreren Hunderten die Bänke zu besetzen und ohne Wanken noch

Weichen bis zur letzten, Stunde äuszuharren, von Mitte Oktober, bis

606

Achtzehntes Kapitel.

Mitte März, eine Leistung, die uns Epigonen als eine beiderseitig

heroische erscheint. — Erst wenn man dieses Kolleg, wie es hand­ schriftlich sich erhalten hat?), mit dem Pandektenlehrbuche zusammen­

nimmt, kann man beiden gerecht werden. Man sieht dann, wie das Buch gefertigt ist als fortlaufende Stütze für den Vortrag, dem es Übersichtlichkeit verschafft und die Last des trockenen Details abnimmt. Die Vorlesung gibt das Rechtsganze, die Verknüpfung und Anordnung

von Haupt- und Nebenpunkten, die wir im Buche vermissen, nicht ohne auch ihrerseits in die Einzelheiten zu gehen, aber unter Auswahl solcher Einzelheiten, die gleichzeitig didaktisch wertvoll sind und es gestatten, den Faden der Entwicklung festzuhalten; diese Punkte sind

dann regelmäßig im Drucke übergangen

oder

anders

behandelt.

Offenbar war diese gewiegte Kunst der Teilung in Vortrag und Buch einer der Hauptgründe von Vangerows Lehrerfolg; dazu kam die überragende Stoffbeherrschung innerhalb des einmal gewählten Rahmens, die fortwährende Sorge um leichte Verständlichkeit und Klarheit, die selbst vor Wiederholungen und Rücksicht auf mindere Fassungsvermögen nicht zurückschreckte 3), und die Art des Vortrages, der frei dahinfließend zum Mitdenken anregte, während sonst damals noch so vielfach bloß diktiert wurde. Hinter akledem stehend, muß

es aber doch wohl vor allem der Zauber einer mächtigen und hin­ reißenden Persönlichkeit gewesen sein, der so.gewirkt hat, daß so vielen sonst so verschiedenen, in Theorie oder Praxis ergrauten Männern, auch sonst wohl vom Leben abgestumpft, wie sie sein

mochten, die Flamme der Begeisterung wieder jugendhell aus dem Auge leuchtete, wenn sie sich des großen Heidelberger Wintersemesters und der Vangerowschen Pandekten erinnerten. Von dem Gesamtkunstwerk, das Vangerow hergestellt hatte, seinen Pandekten in Druck und Rede, ist der eine Teil unrettbar mit ihm gestorben. Der überlebende Teil ist nur noch ein Werkstück voll klaffender Sprünge. Aber auch es genügt, um dem Werkmeister dauernd seine ehrenvolle Stellung in der Geschichte der , deutschen zivilistischen Wissenschaft zu sichern. II. Seine sicherste Domäne fand der Positivismus in der Rechts­

behandlung von jeher auf dem Gebiete der Territorialrechte.- Dabei mußte aber zunächst eine Stufe untergeordneter, einseitig stofflich be­ fangener Bearbeitung überwunden, eine gewisse wissenschaftliche Höhe erreicht werden, bevor die allgemein-wissenschaftliche Auffassung von

II. Die Territorialrechte.

1) Ältere Zeit.

607

dieser Seite her positivistisch beeinflußt werden konnte. Dieser Vor­ gang, bei dem der entscheidende Umschwung durch Wächter herbei­ geführt wurde, soll uns nunmehr beschäftigen. 1. Überblicken wir, was seit Beginn des Jahrhunderts vor Wächters

„Württembergischem Privatrecht" (1839—1851) für die Territorial­ rechte geleistet worden ist, so können wir uns mit kurzen Angaben über diese vielfach recht nützliche und tüchtige, aber häufig wenigstens

noch nicht voll zur Wissenschaftsgeschichte gehörige Literatur begnügen. Und zwar gilt das sowohl von den Territorien mit Kodifikation,, wo die Anlehnung an deren Wortlaut und die Lostrennung vom ge­ meinen Recht schädlich wirken, wie von den Gebieten des gemeinen Rechts, auf denen territorriale Eigentümlichkeiten nur untergeordnete Beachtung seitens der Wissenschaft finden, oder nur als Material für die Abstraktion des „gemeinen deutschen Privatrechts", gewissermaßen

in Bausch und Bogen hingenommen werden. Meist handelt es sich um Arbeit, die den Bedarf des Augenblicks eben deckt und damit ihre Aufgabe erschöpft. Wer hält z. B. noch für wissenschaftlich wertvoll des so fruchtbaren G. A. BielitzJ) achtbändigen, teilweise zweimal auf­ gelegten „Praktischen Kommentar zum allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten"? Oder gar Grävells3) sechsbändigen „Prak­ tischen Kommentar zur allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten"? Oder auch von Winiwarters3) fünf Bände „Das öster­ reichische bürgerliche Recht, systematisch dargestellt und erläutert"? Gilt aber nicht auch dasselbe von Benders3) Lehrbuch des Privat­ rechts der freien Stadt Frankfurt (zwei. Teile, 1835, 1837), trotz der

anerkannten, gediegen wissenschaftlichen Kenntnisse und praktischen Tüchtigkeit des um Verbesserung der Gesetzgebung, der Justiz und der bürgerlichen Rechtsverhältnisse in seiner Vaterstadt vielfach ver­ dienten Verfassers? Von kleinstaatlichen Unternehmungen gar nicht zu reden, die kaum über den Stil der alten Differentiae=Siteratur6)

hinauskommen, wie z. B. Moritz Brückners Handbuch des herzoglich Sachsen-Gothaschen Privatrechts, Gotha 1830, oder Friedrich Christian

Kümpels Handbuch des herzoglich Sachsen-Meiningschen Privatrechts, Meiningen 18281 Steht doch selbst Jakob Friedrich Weishaar3) in seinem Handbuche des Württembergischen Privatrechts (drei Bände, 1804—1808, dritte Ausgabe, 1831—1833) bei aller Treffsicherheit für Einzelheiten, die ihm mit Recht nachgerühmt werden mag, auf dem grundsätzlichen Standpunkte, daß er ausschließlich die vom ge-

608

Achtzehntes Kapitel.

meinen Recht abweichenden Punkte behandelt, also an ein geschlossenes System überhaupt nicht denkt.

Eine Ausnahmestellung nimmt nur ein das Gebiet des fran­ zösischen Rechts einerseits, infolge von Zachariaes überragender Be­ deutung und in Anlehnung an das Ausland, sowie Schleswig-Hol­ stein andererseits durch Falcks germanistischen Aufbau, — wie davon ja schon früher gehandelt ist. Dazu käme etwa noch die auf alter Rechtskultur beruhende, durch Gelehrte wie Haubold (für das Privat­

recht, Lehrbuch von 1820) oder Stübel (Strafrecht, 1795, Strafpro­ zeß, 1815) stets auf einer gewissen Höhe gehaltene Literatur des Königlich Sächsischen Rechts?), und die Erläuterung des österreichischen Gesetzgebungswerkes seitens der geistig es beherrschenden, weil an wie v. Zeiller^) und Pratobevera^): des ersteren eindringender und einleuchtendem Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, vier Bände, 1811—1813,

seiner Abfassung noch beteiligt gewesenen Männer

des letzteren nachhaltige und bedeutsame Veröffentlichung von „Ma­ terialien für Gesetzkunde und Rechtspflege in den österreichischen Staaten", acht Bände, Wien und Leipzig 1814—1824. 'Dann aber bricht gerade auch in Österreich ein entschiedener Absturz herein, da man auf der verschwommenen und rechtlichen Grundlage verharrt, ohne nehmen. Für diesen Absturz bietet genannte Werk von Winiwarters den

verbrauchten Josephinisch-naturdie historische Bewegung aufzu­ nicht nur das deshalb bereits deutlichsten Beleg, sondern es

senkt sich dahin doch selbst schon entschieden Jenulls?") österreichisches Kriminalrecht, „nach seinen Gründen und nach seinem Geiste dar­ gestellt" (vier Teile, Prag 1807—1814, weitere Auflagen 1820 und

1837), trotz positiver Tüchtigkeit und hervorragender Brauchbarkeit; immerhin steht doch dabei Jenull wenigstens noch auf einem festen grundsätzlichen Standpunkte, nämlich auf dem von Feuerbachs psycho­ logischer Zwangstheorie, den er mit dem Strafgesetzbuche von 1803,

das er kommentiert, im wesentlichen teiltu). Unleugbar tritt allerdings mit den 30 er fahren des Jahr­ hunderts eine erste Verbesserung dieser Sachlage ein, wenigstens in einigen Ländern, noch unabhängig von Wächter, vor ihm oder gleichzeitig mit ihm. Besonders ist dies der Fall iy Preußen, wo die Wissenschaft dem einheimischen Recht bis dahin so überaus gering­ schätzig gegenübergestanden, es — Savigny rühmlich ausgenommen — kaum der akademischen Bearbeitung für würdig erachtet hatte. Der

II. Die Territorialrechte.

1) Ältere Zeit.

609

Aufschwung ist hier hauptsächlich das Verdienst zweier Männer, die sich in allen Punkten sonst antagonistisch, fast typisch entgegenstehen, Bornemann und Koch..

Friedrich Wilhelm Ludwig Bornemann^), geboren zu Berlin 28. März 1798, gestorben ebenda 28. Januar 1864, auf völlig

geebnetem Wege glatt zur Höhe gelangt, Kammergerichtsrat in Berlin seit 1831,

Direktor im Justizministerium 1844,

preußischer Justiz­

minister 1848, dann zweiter Präsident am Berliner Obertribunal bis zu seinem Tode, ist eine Mustererscheinung des preußischen höheren Ministerialbeamten jener Tage.

Nicht ohne ein beträchtliches Maß

von Gerechtigkeitssinn und doktrinärem Liberalismus, gewandt und sicher wie

auf dem glatten Boden des Geschäftsverkehrs bei hohen

Behörden, so auch bei gesetzgeberischen Arbeiten, was er auf dem Ge­ biete des Zivilprozesses und des Wechselrechts bewiesen hat, aber nicht

fähig,

über das unmittelbar Nützliche und über die Aufgaben der

amtlichen Stellung hinauszusehen, ein blinder Bewunderer des preußi­ schen Wesens und seines Bureaukratismus, der geborene Feind jeder Romantik und nun gar ihrer Übertragung auf die königlich preußi­

schen Rechts- und Justizministerialverhältnisse.

Aber man mag von

der Beschäftigung mit seiner kleinlich geschickten Kriegsführung gegen

den Gesetzgebungsminister v. Savigny her eine noch so ausgesprochene Befangenheit gegen ihn mitbringen: wenn man an sein eigentliches Werk herantritt,. so wird man doch zugeben müssen, daß er13) „der

Begründer wissenschaftlicher und über das literarische Handwerkertum hinausreichender Bearbeitung

des preußischen Landrechts"

geworden

ist, und zwar auf eigenen Füßen stehend, lediglich durch die Vollkraft

seines Positivismus, da von Anlehnung an die gemeinrechtliche Wissen­

schaft bei ihm nur ganz selten und auch dann nur ganz äußerlich die

Rede ist.

Was auf diese Weise möglich war, hat er geleistet.

Schon

in seiner Monographie „Von Rechtsgeschäften überhaupt und

von

Verträgen insbesondere" (1825, zweite Auflage 1833) ist dies unver­ kennbar.

Dann aber ist namentlich maßgebend geworden sein Haupt­

werk, die „Systematische Darstellung des preußischen Zivilrechts", in

sechs Bänden erschienen 1833—1839, zweite Ausgabe 1842—1845. Man wird ihm bei allen Schwächen seine Bedeutung schon deshalb

nicht absprechen können, weil es zum ersten Male die Redaktionsarbeiten zum Landrecht für dessen Auslegung fruchtbar zu machen und danach

ein geschlossenes System aufzustellen versteht.

Freilich verfällt dagegen

Lands berg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

39

610

Achtzehntes Kapitel.

Bornemann in diejenige starke Abhängigkeit von jenen Auslegungsmitteln, die uns Heutigen aus analogen Erscheinungen der jüngsten Zeit nur zu wohl bekannt ist. Immerhin aber ist durch ihn das preußische Recht auf

eine erste, wennschon bescheidene Stufe wissenschaftlicher Kultur gehoben. Ihm tritt Christian Friedrich Koch") gegenüber als die weit

genialere, großzügigere Beanlagung, als ein Mann, der, aus den aller engsten Verhältnissen hervorgegangen, nur mühsam und spät wissenschaftliche Rechtsstudien hat betreiben können, der dabei ent­

schieden unter den Einfluß Savignys und seiner Schule getreten ist, nie aber einer gewissen äußeren und inneren Formlosigkeit, Unausgeglichen­ heit, Heftigkeit und Sprunghaftigkeit hat Herr werden können, wie

denn auch seine amtliche Laufbahn keine besonders glückliche gewesen ist. Geboren zu Mohrin, einem Städtchen bei Königsberg in der Neumark, am 9. Februar 1798 als Sohn eines gänzlich mittellosen Taglöhners, hatte Koch die Elemente der Bildung beim Hüten der Ziegen und Gänse zu erlernen; ebenso erwarb er sich, während er

dem Schneiderhandwerk oblag, die Elemente der Rechtskenntnis als gelegentlicher Abschreiber bei dem Stadtrichter seiner Vaterstadt. Dann erhielt er eine Stelle bei einem Kanzlisten ant Oberlandesgerichte Soldin. Er lernte so die Geschäfte des Subalterndienstes und ward nun Amtsaktuar zu Pyrehne bei Landsberg a. d. Warthe, bald da­ nach Justizaktuar am Patrimonialgericht Reppen. Erst jetzt ward es

ihm möglich, unter Preisgabe dieser Stellung sich zur Reifeprüfung vorzubereiten und nach ihr wirklich die Rechte zu studieren, zu Berlin, unter Savignys durchgreifendem Einfluß. Im Jahre 1825 wurde er Auskultator, kam nach bestandenem großen Staatsexamen eine Zeitlang ins Gebiet des französischen Rechts nach Köln und Aachen, 1829 an das Oberlandesgericht Marienwerder, 1832 als Landgerichts­ direktor nach Culm, 1834 nach Glogau, 1835 an das Oberlandes­ gericht in Breslau, 1840 als Direktor des Stadt- und Landgerichts nach Halle, 1841 als Direktor an das Fürstentumsgericht zu Neiße — und ist darüber hinaus nicht gekommen, obschon er eine Zeitlang

als Hilfsarbeiter zu Gesetzgebungsarbeiten und ans Obertribunal nach Berlin berufen war. Er kehrte von dort schon 1849 nach Neiße in die alte Stelle zurück, nahm dann aber 1854 den Abschied und bezog

nun das in der Nähe von Neiße gelegene, durch die Früchte seiner literarischen Arbeit erworbene Rittergut Blumenthal bis zu seinem Tode, der am 21. Januar 1872 eintrat.

II. Die Territorialrechte.

1) Ältere Zeit.

611

Es ist merkwürdig und für Kochs wissenschaftlichen Drang be­

zeichnend, daß eben nicht Bornemann, der in aller Ruhe und Ord­ nung den Studien obgelegen hatte, sondern Koch es ist, der, aus der

Not des Broterwerbes und aus dem Drucke des Subalterndienstes

hervorgegangen, durch die historischen Lehren und durch das Beispiel eines Savigny unmittelbar zu literarischem Schaffen angefeuert worden ist, wennschon er dann allmählich auch seinerseits immer mehr zum

Positivisten auf dem Boden des Territorialrechts geworden ist.

Sein

erstes Werk, der „Versuch einer systematischen Darstellung der Lehre vom Besitz nach preußischem Recht im Vergleich mit dem gemeinen

Recht", 1826 veröffentlicht, zeigt ja die Anlehnung an Savigny un­ verhüllt in Stoff und Methode, ist denn aber doch zugleich bereits ein glücklicher Griff in den Reichtum des Territorialrechts, ein Beweis

der Selbständigkeit gegenüber der Schülermasse, die nichts Besseres zu tun wissen, als aus der Spur des Meisters im römischen Recht daherzugehen. — Zur eigenen Methode hat sich Koch dann durch­

gerungen in seinem Meisterwerk, dem „Recht der Forderungen nach

gemeinem und preußischem Recht mit Rücksicht

auf neuere Gesetz­

gebungen, historisch und dogmatisch dargestellt", drei Bände,

1836,

1840, 1842 (zweite Auflage 1859), und der zugehörigen „Lehre von dem Übergang der Forderungsrechte durch Universal- und Singular­ sukzession", 1837.

Hier setzt er sich ausdrücklich das Ziel, die Schätze

der gemeinrechtlichen Literatur aüf die dürren Felder des preußischen Landrechts zu deren Befruchtung abzuleiten, fühlt sich aber nicht mehr

an die Eigentümlichkeiten der geschichtlichen Schule gebunden, sondern weiß jenes Ziel durch eine eigenartige dogmenhistorische Behandlung zu erreichen. — Vielleicht nicht ganz so glücklich waren Kochs Be­ mühungen um eine zivilprozessuale Reform, obschon wahrhaft würdig

orientiert auf Durchsetzung vollständiger richterlicher Unabhängigkeit, namentlich gegen jede justizministerielle Anweisung^). — An seinen

späteren, häufig eilfertig hingeworfenen Arbeiten wird man eine ge­

wisse Verflachung nicht verkennen können, obschon bei eher zunehmender äußerlicher Vollständigkeit und praktischer Brauchbarkeit einzelne selb­

ständige und tiefe Ideen immer wieder durchbrechen.

nur von

den

zahlreichen

Das gilt nicht

späteren Schriften über Zivilprozeß und

Kvnkursrecht, Wechsel- und Handelsrecht, sowie von der letzten Arbeit

über das allgemeine Berggesetz von 1871,

sondern selbst von dem,

wegen der allgemeinen Verbreitung und Benutzung bekanntesten seiner

39»

612

Achtzehntes Kapitel.

Werke, dem großen vierbändigen Kommentar zum allgemeinen Land­ recht, zuerst erschienen 1852—1856, zuletzt vom Verfasser selbst in

vierter Auflage herausgegeben 1871/72. Die Stoffmasse, infolge deren das Werk zum unentbehrlichen Rüstzeug des preußischen Praktikers wurde, ist allerdings überwältigend; die Herrschaft Kochs darüber immerhin noch erstaunlich — zu der Bewältigung der nach seinem Tode weiter veranstalteten Ausgabe mußten sich bekanntlich eine ganze Reihe juristischer Koryphäen zusammentun,

Förster,

Johow, Hinschius,

Achilles und Dalcke —; manche kritische Bemerkung erinnert an den

alten Feuergeist, aber die gemeinrechtliche Literatur seit Savigny ist nicht mehr berücksichtigt; von einer wissenschaftlich durchdringenden Leistung, wie im Obligationenrecht, kann nicht mehr die Rede sein. Wenn Koch in diesem einzigen Werk über Bornemanns Standpunkt hinausgekommen war, so ist das keine bleibende Errungenschaft; er

mag persönlich ein darüber noch so sehr hervorragender Jurist gewesen sein, die Gesamtleistungen von Bornemann und Koch treten schließlich doch auf etwa die gleiche ©tufe16); abermals um eine volle Stufe höher sollte die Wissenschaft des preußischen Rechts erst in der folgenden

Periode gefördert werden. Außerhalb Preußens wäre für diesen von Wächter noch unab­ hängigen Beginn eines territorialrechtlichen Aufschwunges an Reyschers Arbeiten über das Württembergische Privatrecht^ wieder zu erinnern, von denen schon oben gelegentlich Mit die Rede war. Indessen sollte gerade hier der entscheidende Schritt im Zeichen nicht der Germanistik,

wie es Reyschers Wünschen gewiß entsprochen haben würde, sondern der romanistischen Wissenschaft getan werden.

2. Da führt uns nun die Betrachtung des Positivismus im

Territorialrecht zurück zu Karl Josef Georg Siegismund Wächter, den wir früher bereits in seiner Bedeutung für das ge­ meine deutsche Straftecht gewürdigt haben. Wie dort schon zum Schluffe zu betonen war, hatte sich Wächter gerade in der Zeit um 1840 in mehrfachen, 1844 und 1845 gesammelten Abhandlungen und

Vorträgen, teilweise auch populärgeschichtlicher ArtZ, mit dem Pro­ blem eines wirklich gültigen und brauchbaren deutschen gemeinen Straftechts, seiner Grundlagen und Quellen, in Geschichte und Praxis abgemüht, ohne andere als negative Ergebnisse gewinnen zu können. Mochte er auch bei dieser Gelegenheit noch so viele bedeutsame Einzel­

heiten anderer Art positiv zutage gefördert haben, namentlich betreffend

II. Die Territorialrechte.

2) Wächter.

613

das altdeutsche Rache- und Fehderecht und betreffend die Entwicklung

des deutschen Strafrechts nach der Carolina, — in der Hauptsache mußte doch Wächter, dessen kühler Scharfsinn durch keine der land­

läufigen Selbsttäuschungen sich blenden ließ, absolut unbefriedigt ab­

schließen,

nämlich

mit

dem

Satze, daß

es

ein gemeines

gültiges

Recht für ganz Deutschland nicht mehr gebe, ein solches vielmehr nur

neu geschaffen

einheitliche Reichsgesetzgebung

durch

Entsproß daraus einerseits der lebhafte Wunsch

könne.

werden

nach

einer reichs­

gesetzlichen Kodifikation, ein Wunsch, den Wächter stets im Gegensatz zur historischen Schule gehegt und ausgesprochen hat?),

so

führte

andererseits, so lange dieser Wunsch unerfüllt bleiben mußte, diese

Erkenntnis notgedrungen zu den Territorialrechten.

Wer auf festen

Grund bauen wollte, mußte ihn da suchen, wo er.einzig geboten war. Gerade aber weil Wächter sich nicht aus lediglich praktischem,

sondern

aus

wissenschaftlichem Bedürfnis dem Territorialrechte zu­

wendet, und weil er dabei die Vorbildung und die Gesamtauffaffung

des Gemeinrechtlers mit hinübernimmt, deshalb ist hier sein Eingreifen so wesentlich geworden.

Es handelt sich zunächst und in erster Linie um das Handbuch

des im Königreiche

Württemberg

erschienen 1839—1851.

geltenden

Privatrechts,

2 Bde.,

(1839—1842) ' gibt vor­

Der erste Band

nehmlich eine ganz ausführliche, zuverlässig aus den Quellen gearbeitete

des Württembergischen

Geschichte

Privatrechts und seiner Literatur,

häufig auch erweitert zu einer allgemeinen Rechtsgeschichte bergs

und regelmäßig

Württem­

mit der politischen Geschichte in Verbindung

gesetzt. Der zweite Band (erschienen in drei Abteilungen 1842, 1846,

1851)

gibt

Darüber

die

allgemeinen Lehren

hinaus ist das Werk

hauptsächlich für Württemberg

in

systematischer Entwicklung.

nicht gediehen.

unmittelbar

Ist der erste Band

und 'als

mustergültig

mahnendes Beispiel für die Vorbereitung zur Behandlung anderer Territorialrechte maßgebend, so ragt die Bedeutung des zweiten Bandes

weit darüber hinaus und kann nur für ganz Deutschland gewürdigt

werden.

Der Grundsatz, dem wir dies in seiner folgerichtigen Durch­

führung danken, ist aber schon im Vorworte vom 27. Dezember 1838 ausgesprochen worden.

Er geht dahin, daß „nur eine solche Dar­

stellung unseres Privatrechts, welche auch den Inhalt der subsidiären Rechte (des sog. gemeinen römischen, deutschen und kanonischen Rechts)

soweit er einen Bestandteil unseres Rechts bildet, aufnimmt und sich

Achtzehntes Kapitel.

614

nicht bloß auf den Inhalt der einheimischen Quellen beschränkt, den Anforderungen der Wissenschaft und den Ansprüchen des praktischen

genügen

Bedürfnisses vollständig

kann.

Den

Anforderungen

der

Wissenschaft — denn was im Leben und in der Anwendung unseres

Rechts

seit Jahrhunderten

als

ein Ganzes bestand und

durch das

Leben und die Anwendung immer mehr organischen Zusammenhang erhielt, muß auch von der Wissenschaft als ein Ganzes aufgefaßt und

und

dargestellt werden,

wenn

noch nicht ganz hergestellt ist,

dort

da und

jener Zusammenhang

so soll sie den Weg zeigen,

wie es

Hiernach war es die Aufgabe, auch das

bewerkstelligt werden mag."

gemeine, namentlich das römische Recht, soweit aus demselben die ein­ heimischen Quellen

zu

ergänzen sind,

„in gleicher Weise in seinem

genauen Detail darzustellen, wie den Inhalt der einheimischen Quellen." Man bemerke, die Umkehr der von Hugo ausgegebenen Losung

liegt vor. mühsam,

Was man seit etwa einem halben Jahrhundert künstlich, geschichtskritisch

auseinanderzuklauben,

in seine historischen

Elemente zu trennen bestrebt gewesen war, Römisches, Germanisches, Kanonistisches, Lokales, — das soll jetzt Ganzes behandelt werden.

wieder als ein

organisches

Aber natürlich nicht unter Verleugnung,

sondern unter eingehender Benutzung des Ergebnisses jener fünfzig Jahre.

Auf Grund der dadurch namentlich für jedes Element ge­ Eben weil Wächter diese Elemente in so

wonnenen Stilerkenntnisse.

einzigartiger Weift beherrscht, vor allem das romanistische, daneben

aber auch die anderen in solchem Maße, daß auch die Germanisten

ihn voll anerkennen,

ist er imstande,

einen Gesamtbau herzustellen,

der an wissenschaftlicher Vollendung die Notbauten der alten Prak­ tiker so entschieden übertrifft.

Hier ergänzt und vervollständigt und

beleuchtet einander gegenseitig alles,

was sonst einander kreuzt 'und

hemmt und sich unentwirrbar zu einer wüsten Masse zusammenschiebt.

Und so kommt die Verbindung nicht nur dem einzelnen einbezogenen Partikulärrechte zustatten,

sondern auch umgekehrt dem dadurch erst

wieder bodenständig gewordenen gemeinen Rechte — etwa so, wie eine abstrakt absterbende Schriftsprache durch Einführung von Idiotismen neu belebt wird.

So hat sich tatsächlich Wächters württembergisches

Privatrecht als eine Fundgrube geläuterter Ansichten, geklärter Defi­

nitionen, brauchbarer Folgerungen erwiesen, die auf das gemeinrecht­

liche Gebiet glatt hinübergenommen werden konnten3), — und das doch nicht bloß,

weil eben Wächters persönlich hohe Begabung sich darin

II Die Territorialrechte.

2) Wächter.

615

äußert, sondern zum guten Teile infolge der sachlichen Anregung, die Wächter aus seinem Prinzip erwuchs. Und endlich: da, wie jedermann weiß — beruhte doch innerlich darauf die Möglichkeit zu der Abstraktion eines sog. gemeinen deutschen Rechts — die deutschen Partikulärrechte sich stets in einer gewissen allgemeinen Gleichmäßigkeit neben einander

entwickelt haben, so kamen die Ausführungen, die den allgemeinen Teil des Württembergischen Privatrechts betreffen, zugleich sogar an­ deren Territorialrechten nicht bloß als Beispiel, sondern an sich selbst zugute, wennschon nicht ohne weiteres, so doch unter Modifikationen und Übertragungen, die verhältnismäßig leicht vorzunehmen waren,

nachdem einmal Wächters Vorgang dafür den Sinn geweckt hatte.

Dafür war es auch gleichgültig, daß Wächter zur Ausarbeitung der besonderen Teile des Systems nicht gekommen ist, so sehr das sachlich zu bedauern sein mag. In etwas treten dafür ergänzend ein die drei Hefte seiner „Er­

örterungen aus dem Römischen, Deutschen und Württembergischen Privatrechte", Stuttgart 1846. Ihr Inhalt erstreckt sich auf Ver­ pfändungen von Sachgesamtheiten, Realrecht und Reallasten, Recht der öffentlichen Bücher, das römische Klagensystem (ein ganzes Heft, Nr. 2) und die Wirkungen des Prozesses auf das materielle Recht

(Heft Nr. 3), stets mit Rücksichtnahme auf die einheimische Rechts­ bildung, aber unverkennbar unter Übergewicht der romanistischen Ele­ mente. Ist doch Wächter auch später der strenger zivilistischen For­ schung, von der er ausgegangen ist, stets treu geblieben, während ihn teilt deutschrechtliche Privatrechtsfragen als solche, getrennt von der partikularrechtlichen Verwendbarkeit, schriftstellerisch nicht besonders beschäftigt haben. Romanistische Untersuchungen, die jedesmal für ihr Gebiet wesentlich förderlich geworden sind, treffen wir z. B. in einer Fülle akademischer Programme: de partu vivo non vitali, Leipzig 1863—1866, über das Superficial- oder Platzrecht, Leipzig 1866 bis

1868, über die bona fides (Kontroverse mit Bruns), Leipzig 1871. Von zahlreichen älteren und jüngeren, überwiegend romanistischen Studien und Aufsätzen, die Wächter besonders im Archiv für die zivilistische Praxis veröffentlicht hat, mag etwa noch die grundlegende Abhandlung^) „Über die Kollision der Privatrechts-Gesetze" ange­

führt werden. — Wir dürfen demgemäß wohl dahin zusammenfassen: Wesentlich als Romanist ist Wächter an das Privatrecht herangekommen. Er hat von dieser Grundlage aus sich mit seinem hellen Wirklich-

Achtzehntes Kapitel.

616

keitsblick zum vollen Verständnisse auch der'deutschrechtlichen Einrich­

tungen durchgearbeitet; aber die romanistisch-quellenmäßige Behandlung ist ihm denn doch stets eigen geblieben.

Von da ausgehend, hat er

sich mangels reichsrechtlicher Kodifikationen seinem einheimischen bürger­ lichen Rechte zugewendet; und durch dessen wissenschaftliche Erschließung

ist er zugleich der Förderer alles deutschen Partikularrechts welchen Inhalts auch immer, alles deutschen Privatrechts welchen Ursprungs

auch immer geworden. Das zeigte sich alsbald an seinem eigenen Schrifttum, sowie ihm

durch den Tausch der Tübinger Professur gegen die Leipziger ein neues

Partikularrecht nahekam.

Ohne daß er die Berührung mit dem ein­

heimisch Württembergischen je ganz aufgegeben hättet, vermag er nun

weiteres

ohne

seine Grundsätze

und

die Meisterschaft seiner Stoff-

beherrschung auf das sächsische Recht zu übertragen, und zwar nicht

nur für das Privatrecht, sondern nicht minder, in sachlich erweiterter

Durchführung, auch für das Strafrecht. — In privatrechtlicher Hinsicht erfolgt diese Übertragung besonders durch eine Kritik, der ein amt­ licher Entwurf eines bürgerlichen

Gesetzbuches für

das Königreich

Sachsen (Leipzig 1853) von Wächter unterzogen wurde:

mit solcher

Eindringlichkeit und Bedeutsamkeit, daß der Entwurf, den Wächter als nicht entfernt auf der Höhe der Wissenschaft stehend aufdeckt und ver­

urteilt, tatsächlich deshalb von der Regierung zurückgezogen

mußte.

Diese Kritik ist

aber auch

der Aufftellung gesetzgeberischer Leitsätze wie in fung der

einzelnen

werden

im allgemeinen mustergültig,

Entwurfssätze auf ihre

in

der genaueren Prü­

logische

und praktische

Durchführbarkeit hin ist sie eine „der glänzendsten Leistungen Wächters",

wie Windscheid sagt6). — Für das Strafrecht erfolgt dieselbe Über­ tragung durch Wächters „Handbuch

des Königlich Sächsischen und

Thüringischen Strafrechts", drei Lieferungen, Leipzig 1856—1858.

Zwar ist auch dieses in großem Stil angelegte Werk Torso ge­

blieben, sogar nur bis etwa zur Hälfte des allgemeinen Teils gelangt; aber wieder kommt es darauf nicht so sehr an, wie eben auf jenen Stil.

Ist doch schon bezeichnend, daß der junge Wächter das gemeine

deutsche Strafrecht streng auf Grundlage der, meist römischen, Quellen behandelt hatte und damit in einem Anlaufe zu Ende gediehen war,

während

jetzt der

gereifte Gelehrte

und Rechtskenner sich

auf ein

Territorialrecht beschränkt und darin wieder bei einzelnen, allerdings grundlegenden Materien festgehalten wird.

Wie bei dem württem-

II. Die Territorialrechte.

617

2) Wächter.

bergischen Privatrecht verliert die Leistung, wenigstens unter der Hand eines Wächter,

dadurch nicht

an örtlicher

und zeitlicher Tragweite,

sondern gewinnt nur an intensiver Bedeutung.

Lehren wie die von

der Entstehung des Strafrechts, von der Auslegung der Strafrechts­ normen (namentlich im Verhältnis zu den Gesetzesmaterialien7) und

von deren Herrschaftsgebiet (namentlich

im Verhältnis

zum

inter­

nationalen Strastecht), von dem Begriff und der Einteilung der Delikte,

von dem widerrechtlichen Willen und der Zurechnungsfähigkeit — sie beruhen für Wächter nicht etwa auf den Eigentümlichkeiten des säch­ sischen Strafgesetzes vom 30. März 1838 nebst seinen Thüringischen Ergänzungen von 1839—1845, sondern diese Eigentümlichkeiten, so

weit sie reichen, geben Wächter nun erst recht Anlaß, den über ganz

Deutschland verbreiteten Gedankenzügen, den in der Wissenschaft allgemeinhin vertretenen Anschauungen

und

besonders den Bedürfnissen

und Wünschen der ganzen deutschen Praxis nachzugehen und Rech­ nung zu tragen. Dabei ist gerade das Bedeutsame, daß wir hier Übertragung der Wächterschen Methode nicht nur vom Privatrecht

auf das Strafrecht, sondern von einem historisch geschichteten Recht

auf ein kodifiziertes Recht vor uns haben.

Man mag dafür die vor­

erwähnte Kritik des sächsischen Privatrechtsentwurfes als eine Vor­ stufe ansehen,

jedenfalls

legt mit diesem strafrechtlichen Handbuche

Wächter seinerseits wieder eine Vorstufe für den Bau der Wissenschaft

vom neuen deutschen Strastecht. Die Probleme eines solchen tauchen hier bereits durchweg auf und werden von Wächter schon vielfach in die für uns

noch

zutreffende Beleuchtung

eingestellt.

Er steht uns

damit auch schon deshalb näher, als die meisten seiner Zeitgenossen, weil er sich von allen irreführend philosophischen, namentlich abstrakt Hegelschen Einflüssen unbedingt unberührt hält. Es ist dann ja Wächter noch vergönnt gewesen, auch zum Aus­

bau des wirklich geltenden gemeinen deutschen Strafrechts noch mit voller Arbeitskraft und mit vollem Verständnisse sein Teil beizusteuern, wennschon dies hiex eben nur noch

angedeutet werden darf.

Sein

„Beitrag zur Geschichte und Kritik des Entwurfs eines Strafgesetz­ buches für den norddeutschen Bund", Leipzig 1870, rügte die Über­

stürzung, mit der jener Entwurf hergestellt wurde, wahrlich nicht zu Unrecht, wennschon erfolglos.

Eines der eigenartigsten Institute des

neuen Strastechts, die Buße, hat dann Wächter zuerst gründlich unter­

sucht in einer besonderen Abhandlung darüber von 1874.

Endlich b)

Achtzehntes Kapitel.

618 hat

er

von . den „Beilagen zu, den Vorlesungen

über das deutsche

Strafrecht", wenigstens noch eine erste Lieferung „Einleitung in.das

deutsche Strafrecht", Stuttgart 1877 veröffentlicht.

Die Untersuchung

über das Verhältnis des neuen gemeinen Strafrechts zu den Parti­ kularrechten,

die in dieser Einleitung

den Schluß bildet,

war schon

durch ihre Problemstellung bestimmt, Ausgangspunkt für einen ganzen Literaturzweig neuerer Art zu werden, dessen Bedeutung mit jedem von der Reichsgesetzgebung neu ergriffenen Gebiete gewachsen ist; so lebendig hat bis zuletzt Wächter es verstanden, den'Pulsschlag seiner

Zeit zu fühlen und deren praktischen Bedürfnissen die wissenschaftliche

Beftiedigung zu bieten. Auf diese besondere Gabe Wächters führt uns eben jede seiner Leistungen zurück, ihrem Ende.

tote von Anfang seiner Laufbahn an,

so hier bei

Das ist die Gabe, die den meisten noch-so glanzenden,

oder noch so scharfsinnig dialek­

oder noch so tief wissenschaftlichen,

tischen Vertretern der historischen Schule abgeht, die eben im Gegen­

satze

dazu Wächter dauernd den

Juristenwelt gesichert hat.

allgemeinen Beifall

der deutschen

So war er fünfmal der berufene Präsi­

dent und Leiter des deutschen Juristentages, an dessen Tagungen er regelmäßig seit seiner Begründung 1860 teilnahm, für den er eifrigst

gewirkt und vermittelt hat, dessen Geist uns als ein gut Teil seines Geistes erscheint.

Beruhte es doch ivesentlich auf Wächters Lebens­

wirksamkeit, wenn es die deutschen Praktiker als einen Teil- ihrer Auf­

gabe erkannten, auch für Rechtsfortbildung und Rechtsvereinheitlichung

von den Grundlagen des praktischen Rechts und Kes' praktischen Be­

dürfnisses aus geschlossen'einzutreten

und zu- sorgen, statt derartige

Dinge, wie bisher, ausschließlich den Regierungen einerseits, der Wissen­

schaft andererseits'zu überlassen.

Und beruhte es doch ebenso wieder

auf Wächters Lebensarbeit, wenn die Praktiker damit nunmehr bereit­ williges Gehör sowohl bei den'Regierungen wie bei der Wissenschaft

fanden, als dazu legitimiert ohne weiteres anerkannt wurden.

Sein

lebenskräftiger,

und

aus Praxis und

Wissenschaft,

aus deutscher

römischer Auffassung, aus territorialem und gemeinem Recht genährter

Positivismus hatte dafür allseitig den Sinn geweckt und dem Boden vorbereitet.

3. Seit Wächters Vorgang steht es für jeden, der ein Territorial­ recht mit irgendwelchem Ansprüche auf Wissenschaftlichkeit behandeln will, fest, daß dies nur im Anschlüsse an das gemeine Recht möglich

1) Eineri.

III. Wechsel- und Handelsrecht. ist, in Anwendung

der Wächterschen Methode,

619

die Aussichts­

durch

weite, Literaturreichtum und wissenschaftliche Kultur des alten Rechts

den frisch lebenskräftigen und bodenständigen Elementen der jungen Territorialrechte zugeführt' wird. mit

Wächter

Höchstens mochte,

der wissenschaftlichen

Grundlage

wer nicht wie

des' Romanisten die

Kenntnisse des Germanisten zu diesem Zwecke vereinigte, eine Auswahl

in dem Sinne treffen, daß er vorwiegend das eine oder das andere Element des gemeinen.Rechts zum Hintergründe seiner partikularistischen Studien verwertete, je nach

persönlicher

Vorliebe oder Vor­

bildung, oder auch je nachdem die Natur des einzelnen Territorial­

So haben wir seitdem eine vor­

rechts dies oder jenes näher legte;

wiegend romanistische

und eine vorwiegend germanistische Richtung

innerhalb der wissenschaftlichen Behandlung der Territorialrechte zu unterscheiden, wenigstens soweit es sich um das Privatrecht handelt. Dabei ist dann aber der Gegensatz gegen die historische Schule, der

bei Wächter trotz seiner eingehenden Behandlung der Württembergischen Rechtsgeschichte noch deutlich vorliegt x), allmählich verloren gegangen:

Die späteren Historiker sind positivistischer geworden und die historischen Elemente

namentlich

der Territorialrechte sind

von deutschrechtlicher

Seite her stärker berücksichtigt worden; die Bearbeiter der Territorial­

rechte haben sich gerade wesentlich aus den Mitgliedern der späteren, umgestalteten

historischen

Schule

rekrutiert.

dieser Wächterschen Nachfolgerschaft kann

Die

Einzelerörterung

daher erst gegeben werden,

nachdem wir jene Umgestaltung- der historischen Schule im folgenden

Kapitel kennen gelernt haben werden. Dasselbe würde auch in bezug auf das territoriale Strafrecht gelten,

käme da nicht noch

Wächter

der Hegelianismus dazwischen,

selbst ins partikuläre Strafrecht

zeigen sein wird.

eindringt,

der nach

wie alsbald zu

Dagegen wieder für den territorialen Prozeß wird

der Einfluß der staatsrechtlich-politischen Elemente stärker; diese syn­ kretistische

Gestaltung

wird daher erst ganz zu Ende

unserer Aus­

führungen behandelt werden können.

III. Von den urgeschichtlichen und lebensfremden Auffassungen der historischen Schule mußte die Rechtswissenschaft weiterhin zur Be­ obachtung praktisch wirtschaftlicher Bedürfnisse zurückgeführt werden

durch die Handels- und Verkehrsinteressen einer neueren Zeit, die nun doch allmählich für Deutschland anbricht.

Wie sich diese Inter­

essen trotz der nationalen Zersplitterung im Zollverein betätigt haben,

Achtzehntes Kapitel.

620

wie dann auf dessen Anregung hin sie gesetzgeberisch in der Schöpfung

gemeinsamen deutschen Rechts, zuerst Wechsel-, sodann Handelsrechts sich durchzusetzen gewußt haben, so üben sie auch auf die Wissenschaft

ihre Wirkung hauptsächlich

bei Gelegenheit von Vorbereitung

und

Bearbeitung dieser beiden Gesetzeswerke aus1), nicht jedoch, ohne daß eine erfreuliche Gediegenheit des theoretischen Aufbaues in Anlehnung

an den hochstrebenden wissenschaftlichen Geist der Epoche dabei zugleich schon erzielt worden wäre.

1. Karl ©inert2) (1777—1855) ist wohl der älteste Rechts­ gelehrte unter denjenigen,

die

um das Ende der 40 er Jahre fast

gleichzeitig zunächst das Wechselrecht auf eine neue Höhe

gehoben und dann sich an der Abfassung

wissenschaftliche

der gemeinsamen

deutschen Wechselordnung von 1847 beteiligt haben. Nachdem Büsch und Martens2) schon zu Ende des 18. Jahr­

hunderts, lange vor der historischen Schule, dem geschichtlichen Ur­

sprünge des Wechselrechts nachgegangen waren und es als ein Er­

zeugnis kaufmännischen Bedürfnisses anzusehen gelehrt hatten, nach­ dem dabei auch schon durch Büsch der gezogen trassierte Wechsel als

die voll entwickelte Wechselform in den Vordergrund geschoben worden war gegenüber dem bloß wechselmäßigen Schuldversprechen des trockenen

Wechsels, den man früher juristischerseits bevorzugte, hatten weiter in

den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sich mit dem positiven Wechselrecht, wie es in territorialer Mannigfaltigkeit vorlag, haupt­

sächlich G. K. Treitschke, H. G. W. Daniels2) und Bender *) beschäftigt. Von diesen wird namentlich Treitschke gerühmt wegen der Vollständig­ keit und Brauchbarkeit seiner „Alphabetischen Enzyklopädie der Wechsel­

rechte und Wechselgesetze", zwei Bände, Leipzig 18316);

allein eine

wahrhaft wissenschaftliche Förderung über das von Büsch und Martens

Erreichte hinaus hatte, durch diese Arbeiten die Materie kaum erfahren. So ist es denn durchaus sachgemäß, wenn Einert an jene Schrift­ steller des 18. Jahrhunderts wieder unmittelbar anknüpst.

Auch ihm,

dem praktisch mitten im Leben stehenden Juristen mit dem Scharfblick

für die Bedürfnisse der Neuzeit, der auch zuerst2) dem Nämensrecht als einer bedeutsamen Neubildung sich zugewandt und eine gründliche theoretische Untersuchung gewidmet hat, handelt es sich wesentlich um die kaufmännische Übung und Ausnutzung des Wechsels in der Form

der Tratte; auch ihm erscheint die wirtschaftliche Zahlungsfunktion

des Wechsels

als

die Hauptsache,

nicht

der bisher meist von den

III. Wechsel- und Handelsrecht. 1) Giriert.

621

Juristen so einseitig hervorgehobene rigor cambialis; aber von da aus kömmt er weit über Büsch und Martens hinweg zu einer groß­ zügigen Wechselrechtstheorie,

die,

von der Natur des Wechsels als

einer Art von Privatpapiergeld ausgehend, den Geldwert des Wechsels unmittelbar in das Papier verlegt, den Wechsel als eine Art Kassen-

billet behandelt, geschaffen durch die einseitige Verfügung seines Aus­ stellers, geeignet, schon dadurch einem Warenverkäufer Zahlung zu

verschaffen, daß dieser eine Tratte in der Höhe seines Kaufpreises auf den Käufer zieht, womit die Forderung nach Einert erfüllt und

erloschen wäre.

Zu dem Behufe muß der Wechsel, von seiner ma­

teriellen Grundlage

losgelöst,

eine

neue

„glatte Forderung"

ohne

Rücksicht auf die Valuta- und Deckungsverhältnisse erzeugen, als ab­

straktes „Handelspapier" erscheinen;

es

jedes Wechselberechtigten unabhängig

gestellt sein

stellung der Vormänner

muß

ferner von

der Anspruch der

Rechts­

und von diese etwa treffenden Einreden;

und es muß namentlich der Wechsel mit der Niederschrift entstehen, durch einseitige, gleichsam an das ganze Publikum gerichtete Zusage oder Auslobung. — Bei dieser seiner sogenannten Papiergeldtheorie,

deren schöpferische Grundauffassung.dann später ja von I. E. Kuntze (Wechselrecht,

1862)

zur

sogenannten

Kreationstheorie umgebildet

worden ist, hat offenbar Einert, wie es in der Natur einer solchen Neuerung liegt, die Ähnlichkeit mit dem Papiergeld und mit dem- Jnhaberpapier, überhaupt die wirtschaftliche Auffassung, von der er aus­

geht,

etwas

übertrieben,

die

zwischen .jenen Einrichtungen

wesentlichen

juristischen

Unterschiede

und der Tratte übersehen,

die kauf­

männischen Anschauungen, nach denen Wechselzug Zahlungsmittel ist,

zu glatt übernommen.

Er hat dadurch der alsbald einsetzenden Kritik

und Fortführung reichlich Raum gelassen und in jenen Punkten auch

von feiten der Gesetzgebung Ablehnung erfahren; aber sehr viel

deutsamer ist denn doch,

was er erreicht hat,

schauung zum erstenmal

das juristische Problem des Wechsels

be

wie durch seine An­

in

seinem wahren modernen Sinne aufgestellt ist, wie wissenschaftlich die

Einzelfragen

durch

eine

große

gemeinsame Grundauffassung

wahrhaft fruchtbarer Anlage gelöst sind.

von

Und zugleich ist denn auch

schon diese Lösung für viele Fragen die richtige; der scharfe Schnitt gegen die Vergangenheit ist gemacht, die öden Kauf- oder Mandats­ theorien mit ihren Zessionskonstruktionen, wie sie früher üblich waren,

sind auf Nimmerwiedersehen überwunden; der Boden für die wissen-

Achtzehntes Kapitel.

622

schaftliche Fortentwicklung wie für die gemeinrechtliche Gesetzgebung ist gewonnen.

Von ©inert ab stehen auf diesem Boden auch alle seine

Gegner, die ihm nur in,

im Ausbau widersprechen.

allerdings tiefgreifenden, Einzelheiten und

Das von ihm Geleistete wird darum als

ein fast Selbstverständliches hingenommen, sein Verdienst, wennschon

nie ganz übersehen, so doch vielfach unterschätzt.

züglich der Frage,

Das gilt selbst be­

ob ©inert oder Liebe und Thöl in den Leipziger

Wechselrechtskonferenzen den Sieg davongetragen haben : mögen selbst in den Differenzpunkten diese beiden Sieger geblieben sein, wie sie ebenso in der späteren Theorie und Gesetzgebung vorherrschen, die

Hauptsache,

die gemeinsame Grundlage,

rührt in erster Linie von

©inert her. Als das Werk, durch das ©inert diese Grundlage gelegt habe,

wird im allgemeinen immer wieder angeführt?) die schon durch ihren Titel für die praktische Auffassung ihres Urhebers bezeichnende Schrift: „Das Wechselrecht nach dem Bedürfnis des Wechselgeschästs im 19. Jahr­

hundert", von 1839.

Indessen hat ©inert sich tatsächlich zu allen

seinen Sätzen durchgearbeitet und bekannt schon lange vorher in einer

Reihe lateinischer Dissertationen, die von 1824 ab als Meditationum ad ins cambiale Specimina erschienen sind.

man ©inert eine starke Priorität vor Liebe

Schon deshalb wird

und Thöl einräumen

müssen, wennschon eine kräftige Wirkung auf weitere Kreise erst dem deutschgeschriebenen, beschieden sein sollte.

einheitlich angelegten und durchgeführten Werke

Demgegenüber sei namentlich auf Spezimen VI

jener Meditationen, vom 29. September 1829, verwiesen, wo de exceptionibus e persona indossantis petitis

gehandelt und dabei.

der Kern der neuen Lehre bereits vollreif geboten wird.

Dort auch

spricht sich ©inert schon gegen die Versuche aus, die aus den ver­ schiedenen deutschen territorialen Wechselordnungen und Wechselusancen ein

gemeines

deutsches Wechselrecht abstrahieren

wollen.

Wie für

Wächter ist für ©inert nicht darüber hinwegzukommen, daß ein posi­ tives gemeines Recht nur da vorliegt, wo es aus einheitlicher Quelle

mit gemeinsamer Gültigkeit für ganz Deutschland hervorgeht»).

So

mußte es für ©inert eine doppelt erfreuliche Aufgabe sein, als er, für das Königreich Sachsen mit Per Teilnahme an den Leipziger Wechsel­ konferenzen betraut, das Seinige zur Verwirklichung einer deutschen

gemeinsamen Wechselordnung Lage kam.

auch

gesetzgeberisch

zu

leisten

in die

III. Wechsel, und Handelsrecht.

2) Liebe.

623

An der literarischen Bearbeitung des so entstandenen Rechts hat er sich dann freilich nicht mehr beteiligt. Vielmehr hat er sich in der Zeit nach 1847 schriftstellerisch darauf beschränkt, seine Grundidee vom Wechsel rückwärts auf das römische Recht zu übertragen und von ihr aus Auf­ schlüsse zu suchen „Über das Wesen und die Form des Literalkontrakts"

(Leipzig 1852). Er knüpft also dabei nicht wie Liebe an die Verbalobli­ gation, sondern an die Schriftform an; er geht nicht von ihr aus zum modernen Wechselrecht, sondern ähnlich etwa, wie Christiansen sich die

Sache vorgestellt hatte, vom modernen Rechtsleben zum römischen Recht

zurück und denkt sich denn, nun die römische Literalobligation als eine Art kaufmännischen Kreditpapiers. So bedenklich all dies historisch und methodologisch sein mag, so erfreulich doch dabei wieder Einerts starkes

Verständnis für kaufmännische Dinge. Was er da von der Notwendig­ keit des Kredits und der Kreditgeschäfte, von der Bedeutung der Zahlung durch Verrechnung für. den Handelsverkehr vorbringt, das sind Ge­

danken, die der Durchschnittseinsicht der zünftigen Jurisprudenz in solche Fragen um Jahrzehnte vorgreifen. 2. Juristisch nnd methodologisch ist dann freilich der schärfere Kopf F. A. G. Siebe1), der spätere braunschweigische Staatsmann und Minister, der, ehe er zur diplomatischen Tätigkeit überging, im praktischen Justizdienste stand, seine wechselrechtlichen Theorien aber auf die strengste romanistische Gelehrsamkeit zu begründen gewußt

hat, ohne darum der praktischen Brauchbarkeit der Einzelergebnisse

irgendwie Eintrag zu tun. Ausgangspunkt Liebes ist das starrste aller römischen Formal­ geschäfte, im Gegensatz zu formlosem Geschäftsabschluß: „Die Stipu­ lation und das einfache Versprechen, eine zivilistische Abhandlung", lautet der Titel des 1840 erschienenen Buches. Es ist geschrieben aus gründlichster Beherrschung der Quellen hervor mit dem vollen wissenschaftlichen Verständnis, wie es der historischen Schule zu ver­

danken ist, soweit es sich um antiquarische Forschung und um reines römisches Recht handelt. Aber der Zweck geht darüber, hinaus, wie schon der erste Satz der Vorrede hervorhebt: abgesehen ist es „auf die Verfolgung eines Gesichtspunktes ...... welcher zu unmittelbar praktischen Ergebnissen führen muß", und zwar indem für das heutige Recht das „einfache Versprechen" der römischen Stipulation gleich­ gesetzt, damit aber die volle Verwendbarkeit aller inhaltlich über letztere im römischen Recht gültigen Sätze für das Recht der Gegenwart in

624

Achtzehntes Kapitel.

Anspruch genommen wird.

Indem nun diese Sätze einzeln dargestellt werden, indem dabei namentlich Gewicht., gelegt wird auf das Korrealitätsverhältnis zwischen ursprünglich synallagmatischer, d. h. wirt­ schaftlich materieller Schuld einerseits und der hinzutretenden formalen

Stipulationsschuld andererseits-, gewinnt Liebe die Grundlage einer

neuen Wechseltheorie, die im wesentlichen den Wechsel als moderne Stipulation ansieht. Das Verhältnis zwischen den mehreren Be­ teiligten wird dabei im Gegensatz zu Einert nach Anleitung der Kor-

realobligation geregelt, unter Wahrung des Dualismus zwischen zu-, grundeliegender Forderung und Skriptur. Der Gegensatz zwischen materialen und formalen Geschäften (wir sagen heute lieber kausale und abstrakte Geschäfte) wird wohl zum erstenmal so rein und trag­

kräftig herauspräpariert.

Diese Ideen sind dann weit entschiedener

als in dem Werke von 1840, das sie gewissermaßen nur unter der Hand vorbereitet, vorgetragen in den Motiven, mit denen ausgestattet

Liebe seinen ,,Entwurf einer Wechselordnung für das Herzogtum Braunschweig", 1843 veröffentlichte. Er hat zugleich dort die ein­ zelnen Folgerungen entwickelt und an der Hand des Gesetzentwurfes durchgeführt und durchgesprochen, in vielen Punkten zusammentreffend mit Einert, in anderen juristisch entschieden über diesen hinausgehend. Mit Recht wird daher durchweg als das Jahr der Begründung für die Liebesche sogenannte Formalaktstheorie erst 1843 angenommen. Beide Werke Liebes haben sowohl in romanistisch wissenschaft­ lichen wie in praktischen Kreisen sofort lebhafte Anerkennung gefunden und ihrem Verfasser bei den Leipziger Wechselkonferenzen, an denen er als Vertreter Braunschweigs teilnahm, eine starke Autorität ge­ sichert. Wenn trotzdem weder er noch Einert noch auch Thöl, weder der braunschweigische noch der sächsische noch auch der mecklenburgische Entwurf ganz durchdrangen, sondern der preußische Entwurf und dessen Verfasser, Bischoff, zur Führung gelangten, so gab dafür denn doch nicht allein das politische Übergewicht den Ausschlag. Es kam

auch hinzu, daß der preußische Entwurf sich durch seine gediegene Kürze empfahl, und namentlich, daß er bei voller Verwertung aller jener ihm schon bekannten- Ansichten und Entwürfe „ganz besonders mit Hinblick auf eine mögliche Vereinbarung mit anderen Regierungen

gearbeitet"2) eine eigentliche grundsätzliche Stellungnahme vermied. Für die Wissenschaft hat sich daraus ergeben, daß der Kampf der Wechseltheorien durch die allgemeine deutsche Wechselordnung keines-

III. Wechsel- und Handelsrecht.

3) Thöl.

625

Wegs beigelegt wurde, sondern auch nach ihr weiterzufiihren war, in­ dem, eine jede Theorie nunmehr es für sich in Anspruch nahm, das

Schlachtfeld behauptet zu haben. An dieser Fortsetzung der Fehde hat sich, wie Einert nur noch mittelbar durch sein Werk über die Literalobligation, so Liebe nur

noch

anonym beteiligt,

sofort nach Zustandekommen der

Wechsel­

ordnung, durch Einleitung und Erläuterungen zu ihr, die 1848 in Leipzig bei Brockhaus (daher sogenannte „Brockhaussche Erläuterungen") erschienen sind.

Schon daß in der Einleitung die wichtigsten Abschnitte

der Motive zum braunschweigischen Entwurf wieder abgedruckt und zum Ausgangspunkt für alles Weitere genommen sind, kennzeichnet

Liebe als den Verfasser. — Dann aber ist auch er, abgelenkt durch

anderweitige Beschäftigung, vom Kampfplatze abgetreten.

Nur vor­

übergehend war darauf, um alsbald zum Staatsrecht überzugehen,

Gneist erschienen mit seinem am Mark der historischen Schule ge­

nährten Erstlingswerk über „Die formellen Verträge des neuen römi­ schen Obligationenrechts", Berlin 1845.

buhler

an die

So tritt nun ohne Neben­

leitende Stelle der Jurist,

der schon vorher Liebes

Theorie noch feiner zugeschnitten, mit einem besser treffenden Namen und mit weiterreichenden Beziehungen ausgestattet hatte, dessen Be­

deutung aber über das bloßs. Wechselrecht weit hinaus greift, viel­ mehr das ganze Handelsrecht umfaßt, um von da aus auf das ganze

Zivilrecht hinüberzuwirken, Heinrich Thöl. Der Punkt, wo mit dessen aQtoieta einzusetzen ist, ist damit erreicht.

3. Heinrich Thöl*) ist geboren am 6. Juni 1807 zu Lübeck. Wenngleich nicht selbst für den Kaufmannsstand erzogen, wie ein viel­

geglaubtes Gerücht irrig annahm, so ist er doch hervorgegangen aus einer kaufmännischen Familie und steht überhaupt dem kaufmännischen Geiste seiner Vaterstadt nahe.

Seit 1821 besuchte er das Lübische

Katharineum und bezog 1826, um die Rechte zu studieren, die Uni­

versität Leipzig, die. er über ein Jahr mit Heidelberg vertauschte. Hier

wirkten besonders Thibaut und Mittermaier auf'ihn ein, dieser wohl durch seinen Sinn für alles Neue, Weiterstrebende, Entwicklungskräftige

im Rechtsleben, jener etwa durch die zivilistische Denk- und Deduktions­ weise.

Am 29. Juli 1829 in Heidelberg promoviert, habilitierte sich

Thöl schon am 1. Dezember desselben Jahres zu Göttingen als Privat­ dozent, wurde 20. Mai 1837 dort außerordentlicher Professor, aber

als treuer, und enffchieden hervorgetretener Freund und Anhänger der

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

40

626

Achtzehntes Kapitel.

„Sieben" bis 1841 ohne Gehalt belassen. 1842 als ordentlicher Professor nach Rostock berufen, wurde er von dort bereits 1849 wieder nach Göttingen zurückgewonnen, wo er dann bis zu seinem Ende, 16. Mai 1884, verblieben ist. Gelesen hat er, „ein gefeierter und bis zuletzt fleißig gehörter Lehrer"2), während dieser ganzen Zeit gleichmäßig, außer über Handelsrecht noch über deutsches Privatrecht und über Lehnrecht, und hat daneben eine Art zivilrechtlichen Prakti­ kums unter der Bezeichnung als „praktisches Pandektenrepetitorium" gehalten. Die Schriften Thöls sind im wesentlichen folgende: Zuerst die Habilitationsschrift von 1829 De verbi an ordre cambiis vel indossamentis inserti vi atque effectu, erschienen

Göttingen 1830, schon bezeichnend durch Wähl des Stoffes und Be­ tonung des Umstandes, daß die Zirkulationsfähigkeit zum Wesen des .Wechsels nicht gehört, also schon durch die straff juristische Auf­

fassung, im Gegensatze zu Einerts wechselrechtlichem Spezimeu, das aus demselben Jahre stammt. Sonst ist die Schrift aber noch wenig durchgebildet, für Thöls Eigenart sonst weder formal noch sachlich maßgebend. — Darauf folgt 1835 „Der Verkehr mit Staatspapieren aus dem Gesichtspunkte der kaufmännischen Speku­

lation mit Berücksichtigung seiner juristischen Natur", Dahlmann ge­ widmet. Darin wird zunächst ein reiches Material von ganz eigen­ artigen und höchst verwickelten Lebensverhältnissen so klar vorgetragen, daß es schon dadurch dem juristischen Verständnis zum erstenmal nahegebracht wird; die unbedingte Beherrschung der kaufmännischen Technik für Spekulationskäufe und -Verkäufe, für einfache und zu­ sammengesetzte Prämiengeschäfte und für deren spekulative Bedeutung liegt insofern zugrunde. Der Zweck ist aber auch schon von vorn­ herein auf die juristische Unterwerfung dieses Stoffes gerichtet. Der Jurist soll von den kaufmännischen Pareres und Gutachten unab­ hängig gestellt, ihm die zu eigenem juristischen Urteil notwendige Sachkenntnis vermittelt werden, damit er das Gewöhnliche von dem

Notwendigen, äußere Erscheinung vom wahren Wesen zu sondern in die Lage komme: nur so werde es gelingen, „der streitscheuen. Nach­ giebigkeit und dem kläglichen Billigkeitsausspruche die Bedeutung des

Rechts" zu entziehen und die Spekulationsgeschäfte einer juristischen Zergliederung zu unterwerfen. Dabei müssen sich denn aber auch eine

Menge neuer Untersuchungen über Rechtsfragen ergeben, „auf welche

III. Wechsel- und Handelsrecht.

627

3) Thöl.

man erst durch diese Geschäfte geführt wird, und auf den ersten Blick geführt wird, wenn man das eigentliche Wesen derselben aufzufassen sucht".

Eine Reihe solcher Untersuchungen behält sich Thöl für eine

spätere, schon vorbereitete Veröffentlichung vor; einzelne gibt er aber auch

schon hier in einem besonderen letzten Abschnitt,

über Teilbarkeit

darunter die

des spekulativen Geschäfts und über die rechtliche

Natur des reinen Differenzgeschäftes auf Grund der Frage, ob das

Lieferungsgeschäft ein reines Differenzgeschäft ist. dings schon in Anlage und Durchführung,

Gedankenbeherrschung

der Griff

So ist hier aller­

in Stoffsammlung und

und der Geist des Meisters scharf

ausgeprägt.

Das Werk, auf das dabei als demnächst erscheinend ver­

wiesen war,

ist offenbar

„das Handelsrecht",

Band 1,

Göttingen

18413). — Wieder gibt uns darin Thöl- durch die Vorrede Auskunft über die eine seiner Hauptsorgen, die Materialgewinnung.

Dafür

hat er sich diesesmal nicht an die Beobachtung des kaufmännischen Lebens unmittelbar gewendet, sondern an die Judikatur des lübischen

Oberappellationsgerichts.

Heise ist es, der ihm persönlich zu diesen:

Behufe die Schätze dieser Judikatur zugänglich gemacht, ja ihn selbst

darin orientiert und zurechtgewiesen Thöl aus

den Urteilen

hat;

Cropps Geist ist es,

der

jenes hohen Gerichtshofes entgegenschlägt,

Urteilen, die Thöl mit ihren Begründungen zu seinen Zwecken aus

dem 15 jährigen, gerade handelsrechtlich so reichlichen Aktenbestande des Gerichts ausgeschrieben und systematisch geordnet hatfl, so daß

er diese seine Aufzeichnungen später ohne weiteres als „ausgewählte Entscheidungsgründe des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte

Deutschlands", Göttingen 1857, herausgeben konnte. hauptsächlich die handelsrechtlichen Elemente gemeindeutsche

Handelsgebräuche

und

Außerdem sind

des römischen Rechts,

Gewohnheitsrechte

zugrunde­

gelegt. — Die andere, nicht ausdrücklich hervorgehobene,

jedoch

mindestens ebenso leitende Sorge des Verfassers betrifft nun aber die juristische Verarbeitung dieses Materials.

Die wirtschaftlichen Insti­

tutionen durch juristische Konstruktionen zu erklären und zu festigen,

bestimmte Rechtsbegriffe und oberste Rechtsregeln zu gewinnen, daraus in streng dogmatischer Folgerung die Einzelheiten zu erschließen, all

dies in knappste Form und bezeichnendsten Ausdruck zu fassen: das ist die Aufgabe, die Thöl sich gesetzt hat und die schon in der ersten

Auflage aufs reinlichste und reichlichste gelöst ist.

Nicht beschrieben

werden die Geschäfte und Rechtsverhältnisse, wie bisher im Handels-

40«

628

Achtzehntes Kapitel.

recht üblich ^), sondern begriffsmäßig bestimmt und logisch entwickelt, mit einer Sicherheit des Griffs, mit einer Klarheit der Grundlage, mit einer Freude an der sauberen Sonderung in die einzelnen Spiel­ arten und Möglichkeiten, die mitreißend wirken. So entsteht auf

sicherem Boden ein ganz neuer Kunstbau. Die Mittel aber, die Thöl zu dessen Schöpfung verwendet, die Technik, deren er sich dabei

bewußt bedient, sind rein romanistischer Art, mag es sich nun um ursprünglich römische oder deutsche, um ältere oder ganz moderne Dinge handeln. Sie alle werden dieser zivilistischen Methode mit Erfolg unterworfen. Die Kunst, mit der Thöl offenbar zunächst still für sich aus dem Erfahrungsmaterial induktiv die Regeln gewonnen

hat, und mit der er dann im Buche selbst von den Regeln wieder zu den praktischen Ergebnissen deduktiv zurückkehrt, ist dem eigensten Verfahren der römischen Juristen abgelauscht, unter nur äußerlich stärkerer Betonung des zweiten Aktes, unter bewußter Ausübung

dessen, was den Römern unbewußte Gewohnheitsregel ist, und aller­ dings unter Hinzutat eines den Römern ganz fremden Elements: der

konstruktiven Verbindung auch wieder der Regeln untereinander zu einem einheitlich stilvollen Gesamtbau. Durch das'Werk ist, wie Goldschmidt bei allem Gegensatz doch immer anerkannt hat6), „der streng juristische Boden und die richtige Methode für das Handels­

recht dauernd gewonnen worden." Verfolgt man die Gesinnung, die sich aus diesen Werken Thöls ergibt, so bemerkt man alsbald, daß auch diese eine streng juristische, dem Volkstümlichen abgeneigte ist. Sie erkennt unbestechlich und un­ beirrbar in der fachmäßigen Technik, in der Erhebung der Sachkunde über das Laienhafte, in der über das Gemeinverständliche weit hinaus­ reichenden abstrakten Formulierung und logischen Zuarbeitung erst

die Sicherung des Rechts vor Mißverständnissen, „kläglichen Billig­ keitsaussprüchen" und haltlosen Stimmungsentscheidungen von Fall zu Fall. Erst aus diesem Zusammenhänge wird der Eifer klar, mit dem Thöl sich gegen Beselers Volksrecht in der schon erwähnten Schrift von- 1846 gewendet hat.

Sie trägt eigentlich keinen Titel, sondern

mehr nur eine Jnhaltangabe „Volksrecht, Juristenrecht, Genossen­ schaften, Stände, Gemeines Recht." Was Thöl reizt, ja empört, ist sowohl die Grundstimmung be§ Beselerschen Buches, das Eintreten für Volkstümlichkeit des Rechts und der Rechtsentwicklung, für Laien­

richter und gegen zivilistische Rechtsgelehrsamkeit, wie die Unklarheit,

III. Wechsel- und Handelsrecht.

3) Thöl.

629

die unvollkommene juristische Durcharbeitung der sonst darin angeregten

Ideen, ein Mangel, für den Thöl besonders empfindlich ist und für den er in der nationalgermanistischen Tendenz keine Entschuldigung findet, obschon er ja selbst nach seinem Stoffkreise vielfach unter die

Germanisten gerechnet wird. Form ist,

„Je glatter und einschmeichelnder die

strengere Prüfung

um so

verlangt ihr Inhalt.

Denn

gerade das Halbe findet Beifall, weil jeder es so ergänzen kann, daß

er sich ganz verstanden wähnt."

Das ist das bezeichnende Stichwort,

mit dem Thöl an die Zerfaserung des Beselerschen Gewebes heran­ tritt.

Immer wieder erhebt er den Vorwurf,

daß Beseler mit un­

klaren „Anschauungen, statt mit scharfen Begriffen" arbeitet und so „alles Recht nicht

bloß an die,

wenn auch noch so unvernünftigen

Meinungen des Juristenstandes, sondern selbst an das Gefühl und die Willkür jedes einzelnen Juristen ausliefert."

Man begreift, wie

dies Verfahren Beselers den Widerspruch des Juristen hervorrufen mußte, der das tiefe Wort geprägt hat, das Gesetzbuch sei oft weiser als der Gesetzgeber; und dieser Widerspruch fällt gerade deshalb, hier

wie sonst bei Thöl, um so

schärfer aus,

weil er ihn seiner an sich

menschlich

wohlwollenden Natur aus

persönlich höchst

friedfertigen,

wissenschaftlicher

Gewissenhaftigkeit

abringen muß.

Die haarscharfe

Polemik, die Kunst, den Gegner auf Widersprüchen und Unklarheiten zu ertappen und festzulegen, die allem Scheinwesen, allem Dilettan­ tischen und aller Popularitätshascherei grundfeindliche Gesinnung, die sich dabei durchweg äußert, machen die Lektüre des Schriftchens noch

heute zu einem Hochgenuß.

Im Jahre 1847 erschien der zweite Band des Handelsrechts?), der dein Wechselrecht gewidmet ist.

Darin wird, unter billiger An­

erkennung Einerts, aber auch unter zutreffender Kritik der von ihm

aufgestellten Theorie, die Theorie Liebes juristisch und formal exakter durchgeführt zu der Theorie des von Thöl sog. Summenversprechens.

Dem Liebeschen Formalakte, der immerhin noch nach der Seite der

Kreationstheorie verstanden werden konnte, wird die bestimmte Prä­ gung eines Formalkontraktes gegeben, schon in der klassisch gewor­

denen Wendung, daß die Wechselverbindlichkeit durch einen, mit Geben und Nehmen

des Papiers

verbundenen,

Vertrag

begründet

werde.

Außerdem wird das Indossament bestimmt als eine neue Tratte mit dem Inhalte der alten.

Die auf diesen Begriffen beruhenden Fol­

gerungen werden dann mit echt Thölscher Meisterschaft dogmatisch in

Achtzehntes Kapitel.

630

dem Buche und gleichzeitig legislativ in

einem Wechselordnungsent-

wurfe durchgeführt, den Thöl im Auftrage der Mecklenburgisch-Schwerin-

fchen Regierung

ausarbeitete und

zu

Ende

September

1847

mit

Motiven versehen veröffentlichte. Er ist schon hergestellt für die Leip­ ziger Wechselrechtskonferenz, an der Thöl im Auftrage seiner Regierung

teilnahm.

Hatte er doch auch schon auf dieses im Gange besindliche

Gesetzgebungswerk hingelviesen, als er an dem zweiten in seiner Vater­ stadt tagenden Germanistenkongreß teilnahm.

Indem er mit diesem

Hinweise in die Generaldiskussion über die Kodifikationsfrage eingriff, setzte er den ufer- und aussichtslosen Plänen der Mehrzahl seiner

Kollegen mindestens etwas Positives entgegen.

Ein eben dort gehal­

tener Vortrag über eine besondere Frage des lübischen Rechts, nämlich über die Testirfähigkeit der Ehestau, tritt demgegenüber an Bedeutung

entschieden zurück. Irreführend ist der Titel „Einleitung in das deutsche Privatrecht",

unter dem Thöl 1851 zwei Bruchstücke seiner Privatrechtsvorlesung herausgab.

Es handelt sich bloß um einen ersten historischen Teil,

der, ohne besondere

wissenschaftliche Tragweite zu beanspruchen, die

„Quellen und Zeugnisse des deutschen Rechts in ihrem historischen Zu­

sammenhang" übersichtlich aufzählt; und um einen zweiten dogmatischen Teil,

der tatsächlich eine

überhaupt gibt. gegen

Quellentheorie

des gemeinen Privatrechts

Darin setzt Thöl positiv auseinander, was er 1846

Beseler polemisch

festgelegt hatte,

nunmehr

aber

auch

mit

Stellungnahme gegen Savigny und Puchta, mindestens in sehr vielen einzelnen, aber wichtigen Punkten. noch Kierulff.

Am meisten nähert er sich dabei

Die Erörterung über begriffsentwickelnde und berech­

tigende Rechtssütze, über strenges und billiges Recht ist zum Beispiel

ebenso musterhaft klar wie eigentümlich, und namentlich der historischen Schule entgegengesetzt8)

Die Begriffe und Gegensätze von gemeinem

und allgemeinem Recht sind aufs schärffte gebildet. Als ersteres erscheint

allein das für ganz Deutschland auf einer Rechtsquelle beruhende, mag

diese

nun Gesetz sein

oder Rechtsüberzeugung fd. i. Gewohn­

heitsrecht) oder einheitliche wissenschaftliche Entwicklung (d. i. gemeines wissenschaftliches Recht). Über das Finden des wissenschaftlichen Rechts wird ausführlich gehandelt,

dabei namentlich vor haltlosen, schlag­

wortartigen Verallgemeinerungen gewarnt8),

vielmehr das zur Ana­

logiebildung dienliche Prinzip als lediglich „der Rechtssatz eines Rechts­ satzes" schroff hmgestellt.

Eine auch in den Einzelheiten förderliche

Erörterung des internationalen Privatrechtes bildet den Abschluß. Wie man schon aus dieser kurzen Skizze sofort bemerken wird, ist das alles rein begriffsmäßig entwickelt. Irgendwelche historische Betrachtungen oder gar Herleitungen kommen nicht vor, in dieser Beziehung ist es, als ob es für Thöl eine historische Schule gar nicht gegeben hätte. • Damit sind die umfassend schöpferischen Werke Thöls aufgezählt. Eine Abhandlung „Zur Geschichte des Entwurfes eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches", Göttingen 1861, kritisiert nur das Verfahren, mittels dessen die drei leitenden Mächte sich damals über wissenschaftliche und praktische Einwände gegen den Kodifikationsent­ wurf etwas brutal hinweggesetzt, freilich aber eben dadurch die Fertig­ stellung des Werkes durchgesetzt haben. Thöl hatte schon bei den ersten handelsrechtlichen Kodifikationsbestrebungen der Neichsgewalt 1848 mitgearbeitet, als Mitglied eines von dem Reichsjustizminister Robert v. Mohl zu diesem Zwecke berufenen Ausschusses, während er im übrigen im Frankfurter Parlament, zu dem er seit Dezember 1848 gehörte, politisch nicht besonders hervorgetreten war. Er hatte dann pn den Nürnberger und Hamburger Konferenzen 1857—1861, fast ohne je eine Sitzung zu versäumen, teilgenommen und dabei nament­ lich einen regulierenden, die innerliche Folgerichtigkeit der Entwürfe sichernden Einfluß ausgeübt. Um so leichter verständlich ist seine Entrüstung über jenes Vorgehen der Vormächte, während ihm das politische Verständnis für die Kunst, das Bessere um des Guten willen zu opfern, wo letzteres allein erreichbar ist, offenbar mangelt. Das hat ihn dann aber doch nicht gehindert, das zustande gekommene Werk, das Handelsgesetzbuch wie die Wechselnovelle, mit Freuden zu begrüßen und rückhaltlos aufzunehmen. In manchen Einzelpunkten hat übrigens die Umgestaltung, der das Handelsgesetzbuch behufs Ausgleichs mit dem bürgerlichen Gesetzbuche zum Jahrhundertschlusse unterzogen wurde, auf 1861 übergangene Kritiken und Vorschläge, besonders Goldschmidts zurückgegriffen, und dadurch den Protest nach­ träglich zu Ehren gebracht, den Thöl damals gegen das darüber hin­ wegeilende Verfahren zugunsten seines späteren großen Gegners und Nebenbuhlers erhoben hatte *°). Ferner veröffentlichte Thöl 1866 eine bequem brauchbare Aus­ gabe der „Protokolle der Leipziger Wechselkonferenz". Hauptsächlich aber war er seitdem damit beschäftigt, die beiden Bände seines Handels­ rechts auf der Höhe der Entwicklung zu halten, die namentlich durch

Achtzehntes Kapitel.

632

die Praxis des Reichsoberhandelsgerichts herbeigeführt wurde.

Das

zeigt sich nicht nur in den späteren Ausgaben selbst, sondern in einem

der

besonderen,

dieser

Besprechung

Praxis. gewidmeten

Büchlein,

„Praxis des Handelsrechts und Wechselrechts", erstes (einziges) Heft,

Leipzig 1874, mit reichlich polemischem Einschüsse freilich. Die Polemik überwiegt vollends bei Thöls Abhandlungen über „Aktienunrecht, Prä­ klusion der Aktionäre der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft"

von

1877, und

über

„Theaterprozesse,

Wort

ein

zugunsten

der

Dichter und Komponisten gegen Ansichten des Reichsoberhandelsgerichts zugunsten der Theaterunternehmer" von 1880. Endlich erschien noch 1880 als dritter Band des Handelsrechts,

das bis dahin auf die ursprünglichen zwei Bände beschränkt geblieben

war, eine eingehende juristische Theorie der Lehre vom Transport­ gewerbe.

Mit voller, ungeschmälerter Meisterschaft und mit eiserner

Unbeugsamkeit

handhabt

auch

da wieder Thöl

seine quellenmäßig­

deduktive Methode, die bei dieser Gelegenheit von Goldschmidt wohl etwas

überscharf als

„dogmatische

Jsolierungsmethode"

bezeichnet

Und Thöl kömmt durch sie namentlich zu dem Ergebnisse,

worden ist.

daß er eine ganze Reihe genau aufgezählter Vorschriften des Betriebs­ reglements

der

deutschen Eisenbahnen,

wegen

des

Gegensatzes

zu

zwingenden Rechtssätzen des Handelsgesetzbuches, für nichtig erklärt: Vorschriften, für deren Gültigkeit dann Goldschmidt in lebhafter Gegen­ ausführung eingetreten ist11).

Das hat nicht nur unmittelbar zwischen

beiden Gegnern zu längerer Polemik geführt, der Thöls letzte „han­ delsrechtliche Erörterungen" von 1882 gewidmet sind,

sondern auch

zu methodologischen Auseinandersetzungen zwischen ihnen, zu staats­ rechtlichen

Erörterungen

Dritter (Laband)

über

die Gültigkeit von

gesetzwidrigen Reglements und schließlich zu gesetzgeberischem Eingriffe behufs Auffechterhaltung letzterer: Dingen, die noch in die unmittelbare

Gegenwart hineinragen. Wenden wir uns von da zu einer Gesamtwürdigung Thöls und

seiner Leistungen

für die Geschichte der

deutschen Rechtswissenschaft

zurück, so kann der Ausgangspunkt genommen werden bei einer Wen­

dung, die Goldschmidt Nekrologe

bei Besprechung

mit unterläuft:

Kierulffs1?).

er bezeichnet

der

über Thöl erschienenen

da Thöl

als den Schüler

Dies dürfte den Tatsachen kaum entsprechen, wenn das

Wort „Schüler" genau genommen wird; aber es ist sachlich nur um so bezeichnender.

Wenn

es

einen

gleichzeitigen Juristen

gibt, dem

HI. Wechsel- und Handelsrecht. Thöl nahe steht, so ist dies Kierulff;

3) Thöl.

633

aber ob auch nur eine Beein­

flussung vorliegt, das allerdings ist mir höchst zweifelhaft13).

Historischen ist Thöl Theorien der

ftemd,

um nicht zu sagen

historischen Schule

Allem

unzugänglich;

den

besonders bringt er keinerlei Ver­

ständnis entgegen. Dogmatischer Jurist dagegen, Hersteller von frucht-

baren Konstruktion und Herleiter von Rechtssätzen daraus ist er von Gottes Gnaden;

bleibt die Sorge um das Material.

Da steht er

nun, durch Jugendeindrücke und durch die richtige Empfindung,

hier seinem deduktiven Talente ein

lohnendes Brachfeld

auf das Handelsrecht hingewiesen,

ohne Gesetzestext,

rechtliche oder auch nur allgemeine Kodifikation da.

sich

daß

bietet,

ohne gemein­

Man bedenke,

daß die beiden Bände seines Handelsrechts den beiden Gesetzeswerken, dem Handelsgesetzbuche

ihnen,

die Thöl

und

der Wechselordnung,

als nicht zum

voraufgehen und

geringsten Teile sein

Werk ansah,

erst in viel späteren Auflagen souverän angepaßt sind.

So mußte

er also den Stoff anderswoher entnehmen; nirgendwo mehr als im Handelsrecht war man dafür ohnehin gewohnt, sich an die Übung, an Usancen und Pareres zu halten; und nun erschloß sich Thöl der Vorrat an Präjudizien des Lübischen Oberappellationsgerichts durch

das besondere Entgegenkommen Heises. hältnis,

auf dem es beruht,

wenn

Das ist das ursächliche Ver­

Thöl

für

das

Handels- und

Wechselrecht die Grundsätze Kierulffs vollständig durchgeführt hat; —

daß er dazu sie gekannt, oder gar bewußt zu Grunde gelegt hätte, war keineswegs erforderlich. Tatsächlich allerdings hat er, wie Kierulff

es verlangte, das Recht, das ist, das wirklich geltende Recht aus den Lebensverhältnissen und mehr noch aus den Urteilen höchster Gerichte erschlossen.

In den besten seiner Leistungen hält diese Vorbereitung

induktiver Art seiner deduktiven Grundneigung das Gleichgewicht; später mag letztere etwas das Übergewicht gewonnen haben. Seine

Definitionen, auf die er ein

großes Gewicht legt,

sind stets sachlich

möglichst genau, häufig auch formal glücklich geprägt; ebenso versteht

er es besonders, neue deutsche Kunstausdrücke zu schaffen, die einer

leitenden

Idee Kursfähigkeit

ge6enH).

Dazu aber, einem einzelnen

praktischen Bedürfnisse auf Kosten des Ganzen,

unter Verleugnung

der strengsten Auslegungsprinzipien entgegenzukommen, hat sich Thöl nie verstanden

Seine Einteilungsgründe

sind nicht wirtschaftlichen,

sondern logischen Momenten entnommen und darnach aufs strengste durchgeführt^).

Ob das Material, mit dem er baut, romanistischen

634

Achtzehntes Kapitel.

oder germanistischen Ursprungs ist, verschlägt ihm wenig; die Bau­ methode aber ist, wie schon hervorgehoben, stets die ihm so kongeniale zivilistisch-konstruktive, wie sie von Savigny und Puchta geübt wird.

Auf diese Weise hat Thöl für das Wechselrecht die Erhebung aus dem Zustande bloßer Tatsachenbeobachtung in den juristischen

Aggregatzustand im Vereine mit Einert und Liebe, für das ungleich umfangreichere und schwieriger zu behandelnde Handelsrecht dieselbe

Erhebung ganz allein durchgeführt, und damit die neuere Wissenschaft des Handelsrechts — das Seerecht freilich noch nicht mit einbegriffen —: eigentlich erst geschaffen. Daß dies Thöl vom Boden des römischen Rechts aus geleistet hat, bedeutet die letzte stolze Eroberung, die dem römischen Recht in Deutschland vor seiner Entthronung gelingen sollte.

Es erklärt sich durch die bisher von den Romanisten selbst, namentlich

von den Romanisten der historischen Schule unterschätzte Dehnbarkeit, Vielgestaltbarkeit und Umschmelzbarkeit des römischen Rechts, sofern

man dieses nicht als eine Summe einzelner positiver Rechtssätze an­ sieht, sondern als eine Mustersammlung frei verwertbarer Rechts­ gedanken und Rechtstypen. In dieser Weise hat Thöl namentlich das römische Obligatiönenrecht seinen neuen handelsrechtlichen Gebilden zu­

grunde gelegt; die allgemeine .Verbreitung der Erkenntnis, daß das Obligationenrecht den lebenskräftigsten Bestandteil des Pandektenrechts bildet, dürfte unmittelbar darauf zurückgehen. 4. Schule im eigentlichen Sinne hat Thöl nicht gemacht.

Sollen

ihm aber einige Männer zur Seite gestellt werden, von denen die rasch nunmehr aufblühende Wissenschaft des Handelsrechts noch ganz

in seinem Sinne behandelt worden ist1), so sei zunächst K. H. L. Brink­ manns genannt, der Hamburger, der, obschon früh verstorben, durch seine besondere Studie über das Recht der Gewohnheit im Handel (1847) und namentlich durch sein von Endemann, fertiggestelltes Lehr­ buch des Handelsrechts (2 Bde.-, 1853—1860) gewirkt hat. — Sodann würde I. E. Kuntze hier einzustellen sein, käme ihm nicht- eine Behand­ lung innerhalb des breiteren Rahmens der zivilistischen Entwicklung, im nächsten Kapitel zu. — Namentlich aber gehören hierher, obschon

in spätere Jahrzehnte weit hineinragend, Renaud und v. Hahn. Achilles Renauds (1819—1884), der erfolgreiche Heidelberger Lehrer des deutschen Privatrechts, des Handelsrechts, des Zivilpro­

zesses und des französisch-badischen Zivilrechts ist zwar auch gründ­ licher Rechtshistoriker und Zivilprozessualist, ferner gründlicher Kenner

III, Wechsel- und Handelsrecht.

des französischen Rechts gewesen.

4) Nachfolger.

635

Er hat das bekundet durch eine

Reihe germanistischer Einzelstudien, namentlich aus der Schweizer und französischen Rechtsgeschichte, aus den Jahren 1843—18474); durch

ein gediegenes, weil auf gründlicher Quellenkenntnis aufgebautes Lehr­ buch des gemeinen deutschen Privatrechts, von dem freilich nur ein Band 1848 erschienen ist;

unb5) durch ein Lehrbuch des

gemeinen

deutschen Zivilprozeßrechts mit Rücksicht auf die neueren Zivilprozeß­ gesetzgebungen, Leipzig und Heidelberg 1867, 2. Auflage 1873. Dieses Lehrbuch, eines der letzten, das über diesen Stoff überhaupt geschrieben

worden ist, kann sogar, wenn man rein dogmatisch von der histori­

schen Begründung absieht, wohl neben Wetzel! bestehen, den es durch

Berücksichtigung neuerer Gesetze überholt. schriftstellerischer Tätigkeit

Renauds

Der Hauptnachdruck bei

fällt denn

aber doch

auf das

Wechsel- und Handelsrecht; und dabei ist von einer historischen Be­ trachtung, von einer Befruchtung durch die geschichtlichen Studien des

Verfassers nicht die Rede,

sondern da

matisch-romanistischen Boden

Rechte,

nis der fremden

steht er auf demselben bog«

Thöl.

wie

besonders -des

Rur daß

er

die Kennt­

französischen Rechtes,

der

Gegenwart mit heranzieht, entschieden zur Förderung der Sache, da ja der Vorgang der französischen Kodifikationen auch auf die deutsche

Gesetzgebung für Wechsel- und Handelsrecht Einffuß geübt hat. Sonst

unterscheidet sich Renaud von Thöl nur noch dadurch, daß, wo dieser begründet und

die großen Linien

zieht,

jener ausführt und

in die

Einzelheiten

geht,

Verfahren.

So rührt von Renaud nicht nur das erste Lehrbuch des

aber

durchweg

nach demselben

streng deduktiven

Wechselrechts her, das die neue Wechselordnung als eine bereits gültige zugrunde legt (1854)6), über

sondern er hat auch zahlreiche Einzelstudien

Wechselverhältnisse7) und

über Jnhaberpapiere8), ferner auch

kritische Abhandlungen über die neueste Wechselgesetzgebung des Aus-

landeZb) verfaßt.

Namentlich aber sind seine gediegenen Monogra­

phien 10) über - die

handelsrechtlichen Gesellschaftsformen rühmlich zu

nennen, die in einer Reihe von Bänden 1873—1885 eine jede dieser Formen getrennt durcharbeiten. Renaud die

so

vielgestaltigen

In diesen umfassenden Werken hat

und

reichhaltigen

Erscheinungen des

modernen Handelsgesellschaftsrechtes, wie es sich auf Grundlage des Handelsgesetzbuches entwickelt hat, zu verfolgen und sie dabei gewissen­

obersten

juristischen Prinzipien

unterzuordnen

verstanden,

Sinne Thöls in praktischer wie in dogmatischer Hinsicht.

ganz

im

Achtzehntes Kapitel.

636

Friedrich v. Hahn11) hat sich zuerst 1853 durch eine gelehrte Arbeit, über „den prinzipiellen Unterschied zwischen den römischen und germanischen Rechtsprinzipien" hervorgetan. Es hatte nämlich in demselben Jahre Karl Adolf Schmidt,

Oherappellationsgerichtsrat.

zu Rostock, ein Buch erscheinen lassen über den prinzipiellen Unter­ schied zwischen dem römischen und dem germanischen Recht, dessen

erster (einziger) Band die Verschiedenheit der Grundbegriffe und des Privatrechts erörtert12).

Schmidt hatte darin, auf den ersten Blick

nicht eindruckslos, aber wissenschaftlich unsagbar billig, oberflächlich und schief, in Verzerrung der berechtigten germanistischen Strebungen, ethischen Wert, Rücksicht auf Sittengesetz und Religion allein dem deutschen Recht zugeschrieben, dagegen dem römischen Recht lediglich einen von Religion und Sittengesetz völlig unabhängigen maßlosen Subjektivismus zugesprochen, nicht-ohne dabei überspannte Hegelsche Formeln zu benutzen. Dagegen wandte sich nun v. Hahn mit scharf­

sinniger und eingehender Widerlegung, die beiden Rechten verständnis­

voll genugtut, bei beiden Rechten die Gemeinsamkeit der ethischen und religiösen Grundlage nicht nur, sondern zahlreicher Einzelheiten

in Rechtsauffassung und Rechtsleben aufweist.

Er war aber auch

dabei, indem er Schmidt überallhin nachging, zu einer Reihe sorg­ fältiger Einzeluntersuchungen gelangt und hatte dadurch Gelegenheit gefunden, auch positiv sich als tüchtigen Germanisten sowohl wie Romanisten kundzutun. Er war sodann zur Praxis dadurch über­ geführt worden, daß er als Professor in Jena zugleich Mitglied des

dortigen Schöffenstuhls, seit 1862 auch des Oberappellationsgerichts wär, und er hatte an dieser Beschäftigung offenbar Freude gefunden. Ferner vertrat er die großherzogliche und herzoglich sächsische, sowie die anhaltinische Regierung vom Januar 1857 ab bei den Konferenzen zu Nürnberg und Hamburg, aus denen unter seiner eifrigen Mit­

wirkung das Handelsgesetzbuch hervorging.

So war er von vorn­

herein zum Mitglied des Reichsoberhandelsgerichts bezeichnet und hat denn auch in dessen Glanzzeit an der Entfaltung seiner so segens­ reichen Tätigkeit, wie später an. der reichsgerichtlichen Praxis wesent­ lich teilgenommen. Auf allen diesen teils ursprünglich gegebenen,

teils

allmählich

hinzutretenden

und

hinzuverarbeiteten

Umständen

beruht sein literarisches Lebenswerk, der große Kommentar zum Handelsgesetzbuche (mit Ausschluß des Seerechts), erste Auflage 1862 bis 1867, weitere Auflagen 1871 f., 1877 f. und 1894 (unvollendet).

III. Wechsel- und Handelsrecht.

5) F. A. Biener.

637

Ist der Kommentar die natürlich gegebene und darum unver­ meidliche

Form

der

positivistischen Behandlung

eines

kodifizierten

Rechts, so ist es für die Rolle, die der Positivismus in der Rechts­

wissenschaft spielt, bezeichnend, wie geartet die Kommentare einer jeden Zeit erscheinen.

In der Zeit der unbedingten Herrschaft der histo­

rischen Schule verschwindet der Kommentar fast ganz aus dem eigent­ lich wissenschaftlichen Leben; er wird zum bloßen Nothilfsmittel für

den Betrieb der geringgeschätzten Alltagspraxis.

Mit dem Erstarken

des Positivismus erstarkt auch die Kommentarliteratur, mit dem Auf­

kommen eines wissenschaftlichen Positivismus gewinnt auch der Kom­

mentar wissenschaftliche Ansprüche

und Bedeutung.

Er will nicht

mehr bloß eine Häufung einzelner Auslegungen und Präjudizien sein, nicht mehr bloß der bequemste Weg zur Auffindung des casus in

terminis, sondern wenigstens außerdem noch ein Vorrat induktiv zu

verwertenden Materials, womöglich darüber hinaus durch Anordnung,

allgemeine Vorbemerkungen, Zusätze oder kritische Erörterungen zu­ gleich eine dogmatische Darstellung. Gerade dies nun leistet v. Hahns

Kommentar

zum 'Handelsgesetzbuche

fesselnder Weises.

in

hervorragender,

wirklich

v. Hahn beherrscht eben nicht nur die Einzel­

heiten, sondern auch das Ganze; er geht überall aus von umfassenden

wissenschaftlichen Gesamtanschauungen, namentlich auch von den all­

gemeinen zivilistischen Lehren; er versteht sie mit Feinsinn auf jedes

handelsrechtliche

Institut

Kasuistik unterzuordnen.

anzuwenden

und

diesen

Vordersätzen

die

Die blinde Anbetung der Motive, wie sie

schon vielfach in der jüngeren Literatur über das Handelsgesetzbuch eingerissen war, weiß er von da

aus energisch zu bekämpfen.

So

ist er der Vermittler geworden zwischen dem wissenschaftlichen Positi­

vismus eines Kierulff und Thöl und dem lebhaften Kommentarbetrieb der Gegenwart,

wenigstens

soweit es

diesem

auf

wissenschaftlicher

Höhe sich zu halten irgendwie gelungen ist.

5. Alleinherrschend

ist dieser

wissenschaftliche Positivismus in

Wechsel- und Handelsrecht, ohne jeden Einschuß von geschichtlicher

Behandlung bis etwa zu Ende der 50 er Jahre (Goldschmidts „Zeit­ schrift für Handelsrecht", begründet 1858).

Wie ein Ton aus einer

fremden Welt klingt vorher in dieses positivistische Konzert nur hinein die Tätigkeit von Friedrich August Biener, dem alten Kämpen der

historischen Schule, der sich in der Muße seines zurückgezogenen Alters von seinen früheren byzantinischen Studien immer mehr modernen

Achtzehntes Kapitel.

638 Stoffen zuwendet,

aber nur,

um nun auch sie auf Grund seiner

mediävistischen Forschung geschichtlich zu erklären.

Er behandelt so

die Einführung der Geschworenengerichte einerseits, das Wechselrecht andererseits, zunächst in je einer kürzeren Abhandlung, Leipzig 18461). Die damit

angeschlagenen

Motive

werden

dann

zu

zwei

großen

Büchern weiter ausgeführt, das eine in drei kleinen Bänden über das englische Geschworenengericht 1852—1855, das andere in dem starker: Bande „Wechselrechtliche Abhandlungen" 1859.

Was die rein historischen Verdienste dieser Forschung angeht, so

ist darüber, so weit sie das Geschworeneninstitut behandelt, bereits oben hervorgehoben, daß Biener am weitesten auf dem Wege richtiger

Erkenntnis vor Brunner gelangt ist, indem er den Ursprung der Ein­

richtung auf ein Mittel nicht des Urteilens, sondern des Beweisens

im Jnquisitionsprozeß zurückführt.

Dazu kommt, daß jetzt, in den

Schriften dieser seiner Periode Biener auch schon richtig erkennt, wie

die Einrichtung aus der Normandie nach England gekommen ist, nicht umgekehrt.

Er verfolgt nun aber auch die Geschichte des Geschworenen­

gerichts weiter, und zwar nicht bloß in England, sondern auch die Rückwanderung nach Frankreich, und geht von da über zu einer ein­

sichtigen,

wohl

abwägenden Beurteilung seines Wertes

und

seiner

Brauchbarkeit, einer Beurteilung, bei der freilich die populär-politischen Schlagworte und Wünsche, die juristischen Unklarheiten und Konni­ venzen schlecht wegkommen.

Bedenkt man, daß es damals die Zeit

war, in. der die Einrichtung des Geschworenengerichts zu Lübeck fast

widerstandslos triumphiert hatte, in der sie von da in die Grund­

rechte des deutschen Volkes durch die Nationalversammlung hinüber­ genommen worderr war, so wird man die energische Selbständigkeit Bieners, der doch auch wieder von jedem reaktionären Hauch sich

fernhält, erst voll zu würdigen vermögen. Von eben derselben zähen Energie, die hier gegen die politische Strömung sich betätigt,

zeugt es nun aber auch,

wenn

auf dem

wechselrechtlichen Gebiete Biener der herrschenden dogmatisch-wirtschaft­

lichen Auffassung zugunsten historischer Behandlung entgegentritt — wobei denn freilich das Ende dieser seiner Tätigkeit (1859) mit dem

Beginne der Goldschmidtschen Laufbahn

sich eben noch

überkreuzt.

Der Unterschied der Epoche, der zwischen beiden Historikern besteht, zeigt sich aber darin, daß Biener geneigt ist, die durch mediävistffche

und dogmengeschichtliche Forschung gewonnenen Ergebnisse in ihrem

IV. Otto Bähr.

639

Gegenwartswerte eher zu überschätzen, wohl auch die Bedeutung der neueren Konstruktionen für die Lebensbedürfnisse des modernen Ver­

kehrs etwas zu unterschätzen, während Goldschmidt nicht mehr in solche Gefahr gerät. Jedenfalls zeigte Biener keine glückliche Hand, .als er, um die älteren italienischen Lehren für die Gegenwart hinüber­ zuretten,

noch

an einer Art von Kaufkonstruktion für den Wechsel

festhielt; als Dogmatiker des Wechselrechts wird man ihn. nicht eben rühmen können. Aber diese Konstruktion ist denn doch schließlich für ihn bloß nebensächlich. Die Hauptsache ist, daß seine wechselrecht­ lichen Forschungen mit voller Gründlichkeit für diesen Stoff, den man

der historischen Betrachtung sonst damals entzog, die Ansprüche dieser

Betrachtung vertreten; daß sie in mustergültiger Weise den Zusammen­ hang zwischen Vergangenheit und Gegenwart dartun, sowie dessen Bedeutung für die richtige Würdigung zahlreicher Einzelpunkte, be­ treffend Form und Verwendung des Wechsels oder sogar betreffend die einzelnen Sätze des gültigen Wechselrechts. Das war eine Be­

handlungsweise, die Biener beherrschte, für die er auch durch die Be­

nutzung mittelalterlich italienischer Stadtrechte Anschluß an die gleich­ zeitige historische Förderung des Zivilprozesses durch Briegleb fand, so

daß da seine Stimme nicht ganz überhört werden konnte. Wenigstens wird überall seinem Werke Achtung gezollt und ihm diese historische Bedeutung ausdrücklich eingeräumt. So stellt es gewissermaßen die Verbindung her zwischen der ersten Zeit der historischen Schule und einer späteren Zeit, in der auch auf Handels- und Wechselrecht ge­ schichtliche Auffassung und Behandlung mit Erfolg übertragen werden sollte, nachdem sich inzwischen auf dem Gebiete des Zivilrechts selbst der. historische Geist durch Verbindung mit frischer Empfänglichkeit für die Bedürfnisse des modernen, praktisch vorwärtsstrebenden Rechts,lebens neugestaltet, aber auch neugekräftigt hatte. IV. Hiermit ist nun aber auch der Ort für uns gekommen, aus dem Zusammenhänge mit der Methode und mit der Tätigkeit der

©inert, Liebe, Thöl auf die Positivistische Behandlung des Zivilrechts wieder hinzublicken. Es ist Otto BährZ, der die Rückübertragung jener Methode auf das Privatrecht im allgemeinen vornimmt, und der dadurch zum Vermittler wird zwischen ihr und den Reform­ bestrebungen der historischen Richtung, wie sie seit der Mitte, des Jahrhunderts etwa einsetzen und uns im folgenden Kapitel beschäftigen

sollen.

Zwar liegt schon mancher Ansatz zu jener Reform vor dem

640

Achtzehntes Kapitel.

Jahre, in dem Bährs Buch über „Die Anerkennung als Verpflich­ tungsgrund", Cassel 1855, erschienen ist2); zwar reicht Bährs Tätig-

keit darüber noch weit hinaus bis an das Ende des Jahrhunderts; aber der Grund und Boden, auf dem er dauernd steht, ist doch nicht der der reformierten historischen Richtung, sondern der des wissen­ schaftlichen Positivismus, wie ihn namentlich Thöl einnimmt. Thöls

Verfahren, das die Formen des römischen Rechts, aus dem unmittel­ baren - Verständnis für die Bedürfnisse der Gegenwart hervor, zu deren Befriedigung meistert, auf die Gefahr hin, sie zu vergewaltigen, ist auch das von Bähr für das Privatrecht angewandte.

Und keine

seiner späteren privatrechtlichen Arbeiten läßt sich weder an innerer Bedeutung noch an äußerer Wirksamkeit mit dem Werke über die Anerkennung von 1855 irgendwie vergleichen.

Dieses Werk steht da in der gemeinrechtlich zivilistischen Literatur wie ein Monolith, in mächtiger Größe einsam emporragend, mehr gleich einem Erzeugnis einer Naturkraft, als von Menschenhand ge­

fügt. Außerordentliche praktisch-juristische Begabung, mächtige Willens­ kraft, besonnene Bestimmtheit und ein meisterhaftes Gestaltungsver­ mögen haben zusammenwirken müssen, um diese Schöpfung zu voll­ ziehen. Ein zentraler Kreuzungspunkt ist getroffen für die altzivilistischen Fragen des Obligationenrechts und für die Handels- und

wechselrechtlichen Neubildungen, zugleich für die innerste Natur wie für die äußere Gestaltung aller Rechtsgeschäfte wichtig, weiter aus­ strahlend auf alle sonstigen Gebiete des Privatrechts und sogar des Zivilprozesses. Der Gegensatz der römischen Stipulation und der modernen Klagbarkeit aller Verträge, so oft er schon hervorgehoben worden ist, hat seine Tragweite noch kaum je so weit enthüllt, ist noch kaum je in diesem Maße zur Befriedigung moderner Verkehrs­

bedürfnisse, Verkehrsfreiheit und Verkehrssicherheit, verwendet worden, wie es hier durch Einschub des Justinianischen Literalkontrakts und von da aus weiter durch Unterscheidung des materiell-formlosen Ver­

trags einerseits, des formellen, aber abstrakten Vertrags („abstrakten Summenversprechens") andererseits geschieht. Außer der Anerkennung selbst werden Abrechnung, Rechnungsstellung, Quittung in neues Licht

gerückt. Und das alles mit einer Festigkeit, Folgerichtigkeit und Klar­ heit, die als die scharfkantigen Charakterzüge von Bähr auf allen Gebieten wiederkehren, wo er sich betätigt hat, auch in seinen späteren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aufsätzen und Zeitungsartikeln.

IV. Otto Bähr.

641

Dazu kommt endlich die Neigung zur Kritik, die schon fast als selbst­ herrliche Freude an der Einsamkeit erscheint, wie denn gleich die Vor­

rede bemerkt:

„Es gilt mir vor allem, ein praktisches Buch zu

schreiben; praktisch jedoch nicht in dem Sinne, daß nur Ergebnisse

der bestehenden Praxis dargestellt werden sollten.

Zu dieser steht

die vorliegende Abhandlung sogar eher in dem Verhältnis des Wider­

indem

spruchs,

sie einer Lehre Bahn

zu brechen strebt, die zwar

schon in vielen einzelnen Beziehungen sich durchgerungen, keineswegs aber umfassende und allgemeine Anerkennung gefunden hat."

solche Anerkennung

Eine

durchschlagend erobert. gelöst hat,

daß

der

hat ihr dann Bähr

ohne

weiteres

Offenbar, weil er seine Aufgabe wirklich so

von ihm

fortwährend gegen

Theorie erhobene Vorwurf auf ihn

die

herrschende

daß nicht

selbst nicht zutrifft,

wieder „dem Leben, welches um Brot fleht, nur ein Stein geboten wird". — Damit ist denn aber auch zugleich der zivilistischen Tätig­

keit überhaupt eine wesentlich neuartige, nämlich eine schöpferische Auf­

gabe durch Bähr als erfüllbar vor Augen gerückt; nicht sowohl rein wissenschaftlich exakte Erkenntnis des in der Geschichte gegebenen Rechts

wird durch Bährs Beispiel von der Theorie verlangt, als vielmehr Erschließung eines brauchbaren Ergebnisses.

An der Brauchbarkeit

des Ergebnisses soll die Richtigkeit der Schlüsse, die zu ihm geführt haben, geprüft werden.

Der Nachdruck, mit dem diese Rücksicht auf

die praktische Brauchbarkeit von Bähr gefordert wird, mehr noch der Erfolg, der von Bähr dadurch erzielt wurde, sie mußten mit der Ge­

walt eines unwiderstehlichen Druckes auf die jüngeren Historiker um so mehr hinüberwirken, als man dort ohnehin schon nach dieser Seite

neigte. schen

So war Bähr denn auch zur Mitherausgabe der Jhering„Jahrbücher

für die

Dogmatik des heutigen römischen

und

deutschen Privatrechts" gewissermaßen der gegebene Mann; er hat da­

bei mitgewirkt von Band 12—25, von 1873—1887.

So ist Bähr

ober auch überhaupt wesentlich dafür mitwirksam geworden, daß die neuere historische Richtung der deutschen. Rechtswissenschaft zugleich

eine für

die Vorbereitung

des

deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches

erfolgreiche, weil im großen und ganzen auf praktische Rechtsfindung

gerichtete hat werden können. Dabei steht Bähr selbst fast ganz abseits dieser historischen Rich­

tung.

Er gewinnt seine Ergebnisse nicht etwa Schritt um Schritt,

indem er zunächst das reine römische Recht herauspräparierte, dann

Landdberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschus». II. Text.

41

642

Achtzehntes Kapitel.

ebenso das deutsche,.dann nachwiese,, wie diese beiden Rechtsauffassungen bei den italienischen und . deutschen Theoretikern und Praktikern, bei

den älteren und neueren Statutar- und Territorialgesetzgebungen auf­ einander eingewirkt und sich mit dem modernen Geist zu einem Er­

gebnis verbunden hätten: statt solcher Entwicklungen, die er einem. Bruns oder ähnlich gearteten Historikern überläßt, kommt bei ihm vielmehr nur einmal als kurzer Nachtrag 3) ein dogmengeschichtlicher

Rückblick vor, der ausläuft in der Feststellung,

einige Neigung zu

richtiger Auffassung sei wohl gelegentlich schon früher wahrzunehmen, Vielmehr legt Bähr den

nicht aber der Mut zu ihrer Durchführung.

Keim der von ihm erstrebten Gegenwartslösung schon, wenngleich nur

in gegensätzlich bedingter Weise,

in das römisch-justinianische Recht

hinein, mit dem er sich zu diesem Behufe eingehend beschäftigt; von dort aber springt er mit geschlossenen Füßen sofort hinüber in das Recht seiner Zeit, in das Rechtsleben, das ihn umgibt, dessen An­

sprüche an ihn herangetreten sind, das er durch seine Arbeit fördern will.

Das ist es denn auch, was den Romanisten dieser Zeit und

der nächsten Folgezeit,

die alle von historischem Hauche wenigstens

mittelbar berührt sind, Bährs Auftreten so einzigartig erscheinen läßt, so daß ihm jedermann bei aller Anerkennung und folgewilliger Be­

rücksichtigung einen Platz für sich, als Exoteriker gewissermaßen, zu­ meist.

Diese scheinbare Vereinzelung, in der Bähr für viele selbst

seiner Bewunderer bestemdlich dasteht, verschwindet dagegen, sobald

wir ihn in den Zusammenhang mit Liebe und namentlich mit Thöl

rücken, den herzustellen hier versucht wird.

Gewiß ist er noch wesent­

lich selbständiger auch der Praxis gegenüber,

als sie alle, weniger

dogmatisch konstruktiv als Thöl, mehr auf Reichtum und Fülle der Ergebnisse, auf fortwährende Verbindung des materiellen Rechts mit prozessualen Rücksichten bedacht. Aber das sind Äußerungen einer ursprünglichen Persönlichkeit, die als solche unerklärt hinzunehmen ist, ohne daß es darum verwehrt wäre, den geistigen Verbindungsfäden

nachzuspüren,

die sich zwischen Bähr

und

seiner Zeit hinziehen 4).

Und da ist es denn doch wohl ein unverkennbarer Fingerzeig, wenn Bähr selbst für zwei Grundelemente seines Hauptergebnisses3) auf

den Vorgang des Handelsrechts hinweist mit dem Zusatz:

„Wie im

Mittelalter, wo es den Satz von der Klagbarkeit formloser Verträge

im allgemeinen durchzubringen galt, schreitet also auch jetzt "noch für die vollständige Entwicklung jenes Satzes, der Handelsstand in der

643

IV. Otto Bähr. freien Rechtsbildung voran.

Darin aber charakterisiert sich eigentlich

das Recht, wie es im Volke lebt.

Denn nichts ist irriger, als den

Handelsstand gleichsam für ein Volk im Volke zu halten, welches sein

ganz besonderes Recht bildete.

Vielmehr ist das Handelsrecht in den

meisten Beziehungen unser eigentliches, ich möchte sagen potenziertes Volksrecht, und die Eigentümlichkeiten desselben dürften vielfach nur

darauf beruhen, daß in der starken Strömung des Handelsverkehrs die künstlichen Bauten keinen Stand halten, mittels deren es den an

Juristen

anderen Stellen

den

natürlichen Lauf des

Rechtsstromes abzudämmen gelingt."

nämlichen

Demgemäß knüpft Bähr plan­

gemäß auch für sein Rechtserforschungsverfahren an bei dem Ver­ fahren der handelsrechtlichen Schriftsteller, nur daß er, statt sich an die geltende Praxis zu halten, bisweilen selbst über diese noch in einer

frei verallgemeinernden Weise hinausgeht, die sich schließlich von einer

fast

intuitiven,

gefühlsmäßigen Rechtsschöpfung aus dem

gesamten

Zuge des Wirtschafts- und Rechtslebens wenig mehr unterscheidet. In seinen späteren Arbeiten ist freilich Bähr wesentlich zurück­

haltender,

gelegentlich

selbst

geworden.

vorsichtig

Er sucht sogar

historisch mehr Anlehnung an die älteren italienischen und deutschen Praktiker, legt jetzt mehr Wert auf eine organische Weiterentwicklung

des römischen Rechts oder tritt gar neueren Strömungen, z. B. am schärfsten der neuen Strafrechtsschule8), ablehnend gegenüber.

Zwar

ist diese Umkehr von Bähr noch nicht eingeschlagen in seiner prächtigen

Untersuchung') über „Irrungen im Kontrahieren", die vielmehr noch ganz frei ihre neuen Leitsätze aus den« praktischen Bedürfnisse heraus­ greift. Wohl aber schon tritt die konservative Tonart hervor bei der Behandlung der Verträge zugunsten Dritter und der Schnldübernahme,

wobei Bähr

gründlichen Reformen sich

wenig geneigt zeigt,

und sich dafür, allerdings wohl nur nebenbei, sogar auf geschichtliche Argumente 6eruft8).

Damit hängt aber ein Weiteres zusammen : die

späteren kleineren Arbeiten Bährs und sein späteres größeres kritisches

Werk von 1883 „Urteile des Reichsgerichts mit Besprechung",— sie

wenden sich eigentlich nicht mehr gegen die Theoretiker, sondern weit mehr gegen des Verfassers frühere Lieblinge und Berufsgenossen, die

Praktiker, einschließlich derjenigen am höchsten Reichsgerichtshofe, dem Bähr selbst kurze Zeit jetzt wohl Bähr

es

angehört hatte.

eher befürchten,

Von den Praktikern

daß

sie

muß

den Rechtsuchenden

Steine anstatt des Brotes reichen, nachdem er bei den Theoretikern 41»

644

Achtzehntes Kapitel.

in einem ihn selbst fast überraschenden Maße mit seinem Aufrufe zur Befriedigung der praktischen Gegenwartsbedürfnisse durchgedrungen ist.

Besonders ist es in der Praxis der leidige Präjudizienkultus oder auch die durch Kleben an veralteten Theorien vertrocknete „Lehrbuch­ jurisprudenz" und vor allem jede Art von „Buchstaben-Jurisprudenz", gegen die nun Bähr mit der vollen Energie seines Wesens, aus der

ganzen Wärme seiner Rechtsempfindung heraus vorgeht. So schon in seiner Stellungnahme gegen das Obertribunal im Prozeß Twesten9), sodann in einer Reihe von Artikeln über die Grenze der freien Beweis­

theorie und über die Verwendung des Eides, auch direkt über „den Wert der Präjudizien"10). Eine andere Reihe von Aufsätzen bekämpft aber auch die zu weit greifende richterliche Freiheit, die tendenziöse Rechtsprechung, die nicht davor zurückscheut, unter Überschreitung der

Grenzen der Rechtsanwendung in die modernen wirtschaftlichen Kämpfe

einzugreifen, in ihnen die sympathische Seite durch Ausbildung eines vagen „Rechts der Persönlichkeit" zu unterstützen, oder vielfach gar in den Dienst mehr der Phrase als eines klaren Rechtsgedankens sich zu stellen11). Wenn es sich jedoch um das ihm leidenschaftlich verhaßte Börsenspiel handelt, so kehrt Bähr wiederum den Spieß um und tadelt das, was ihm an älteren Reichsgerichtsurteilen als ein Mangel

an freiem Betätigungsmut erscheint, mit rücksichtslosem Eifer19), der dann bekanntlich später ja auch wirklich das Reichsgericht mitzureißen vermocht hat19). Bei alledem handelt es sich regelmäßig um Gelegenheitsschriften im besten Sinne des Wortes. Bähr entnimmt einem praktischen Vor­ kommnisse, einem Rechtsfalle oder einem Gesetzesvorschlag die An­ regung zu Arbeiten11), die dann stets aus dem Vollen seiner Erfah­

rung und seines Wissens schöpfen. So ist es schließlich doch auch der Fall bei dem Buche über die Reichsgerichtsurteile, das höchstens gelegentlich ihrer mehrere zu vergleichender Kritik zusammenfaßt.

Ebenso hat Bähr die preußische Jmmobiliargesetzgebnng und die deutsche Zivilprozeßgesetzgebung der 70 er Jahre, bei der er auch parlamentarisch beteiligt war, mit kritischen Bemerkungen begleitet19); und schließlich ist er schonungslos vorgegangen nicht nur zu einer Kritik des Ent­ wurfes zum deutschen bürgerlichen Gesetzbuche 1888, sondern sogar

zur selbständigen Aufstellung eines Gegenentwurfes 1892. — Indessen die Fertigstellung des großen Gesetzgebungswerkes, auf das er durch seine gesamte Tätigkeit einen so

starken Einfluß ausgeübt hat, un-

IV. Otto Bähr.

645

mittelbar und in wichtigen Einzelheiten durch die von ihm aufgestellten mittelbar und im ganzen

Lehren und Sätze, noch stärker vielleicht

durch das von ihm geweckte und genährte Streben nach Leben und

Wahrheit in Wissenschaft und Praxis des Rechts — die Fertigstellung dieses

großen

Werkes

sollte Bähr

nicht mehr erleben;

er ist am

17. Februar 1895 in seiner hessischen Heimat, in Kassel, wo er den

Lebensabend verbracht hatte, gestorben. Die spätesten Zeiten seines Wirkens entziehen sich hier unserer

näheren Würdigung;

sie sind

berührt worden,

nur eben

um

das

Charakterbild des merkwürdigen Mannes in seiner selbstwillig mäch­

tigen Eigenart geschlossen vorzuführen. Dazu gehört denn aber auch noch ein Ausblick

auf seine

eigentliche

politische Tätigkeit,

auf sein

Interesse für alle Seiten des Volks- und Staatslebens, mag es sich äußern in kulturhistorischen Skizzen, über „eine deutsche Stadt vor

60 Jahren"16)

oder -in zahlreichen

Zeitungsaufsätzen

oder auch in

einem wiederum ganz eigenartigen Werke: „Der Rechtsstaat, eine pub­ lizistische Skizze", Kassel und Göttingen 1864.

Eigentümlich ist in

dieftm Buche nicht sowohl der Hauptinhalt, der für selbständige Ver­ waltungsgerichtsbarkeit eintritt, weil durch diese allein der Begriff des Rechtsstaates zur Wahrheit werden könne.

Das mag politisch svon

größter Tragweite für die Verwirklichung dieser Forderung, besonders in Preußen, geworden sein, auch menschlich höchst bezeichnend sein für

des Verfassers ernstes Wahrhaftigkeitsstreben, aber wissenschaftlich war

diese Einsicht in den engen Zusammenhang zwischen Rechtsstaat, Ver­ fassungsmäßigkeit

und

Verwaltungsgerichtsbarkeit doch

schon

durch

Gneist im Anschlüsse an das englische Vorbild so unübersehbar zum Ausdrucke gebracht worden, daß Bähr, der dies selbst gern anerkennt^), dorther nur die Leitsätze zu entnehmen brauchte.

Auch kann Bähr,

wenigstens.ganz zu Ende des Buches, schon darauf Hinweisen^), daß gerade eben

mit der Durchführung entsprechender Einrichtungen in

mindestens einem deutschen Staate, nämlich in Baden, ein entscheiden­

der Anfang gemacht war.

Das Eigentümliche ist vielmehr die streng

juristische Durcharbeitung jener Leitsätze, und zwar geschichtlich unter

Anlehnung an das ältere deutsche Reichsrecht im allgemeinen und an die kurhessischen Staats- und Rechtsverhältnisse im besonderen, dog­

matisch unter Anlehnung an die Gedankenformen des Privatrechts. Für Bähr ist, wie für das Leben selbst, kein unüberbrückbarer Ein­ schnitt, kein unversöhnlicher Gegensatz vorhanden zwischen den ver-

Achtzehntes Kapitel.

646

schiedenen Gebieten, die von der Wissenschaft gesondert werden.

Un­

bekümmert um diese Grenzmarken geht er von der privatrechtlichen

zu der öffentlichrechtlichen Provinz hinüber. So erwächst ihm gewisser­

maßen von selbst unter der Hand bet Begriff des öffentlichen Rechts­ anspruches, des Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Bürger, zu

dessen Schutz dann die Verwaltungsjustiz unerläßlich wird, da sonst die Verwaltungsorgane Richter in eigener Sache wären.

So erkennt

er auch schon in aller Schärfe, daß eine solche Verwaltungsgerichts-

barkeit nur soweit möglich ist, wie durch das Gesetz bestimmte Rechts­

ansprüche dem Bürger gegeben und nach juristischen, nicht nach Gesichts­

punkten des Nutzens oder des Ermessens festgelegt sind; soweit letztere Rücksichten entscheiden, ist der Spruch der Verwaltungsbehörden ge­ richtlich nicht nachprüfbar.

So weist er schiefe Einwendungen, wie

des „Gesamterfolges" (S. 95)

die Stahlschen

oder die

herrschende

Lehre, daß keinesfalls eine selbst ungerechte Staatsmaßregel rückgängig

gemacht, höchstens Schadenersatz dafür geleistet werden dürfe (S. 66),

mit privatrechtlichen Analogien aufs glücklichste zurück.

Nanientlich

dient ihm aber zur Vermittlung zwischen Privat- und Staatsrecht und damit zur

allgemeinen Begründung

Zwittergebilde der Genossenschaft.

seiner ganzen Lehre das

Diesen Rechtsbegriff wendet er mit

fast naturrechtlicher Unbefangenheit ganz gleichmäßig an auf alle ge­ willkürten, rein privatrechtlichen Verbindungen, auf die öffentlichrecht­ lichen Verbände und auf den Staat; er entwickelt zunächst ein Ge­

nossenschaftsrecht im allgemeinen,

um dieses

änderungen auf den Staat zu übertragen.

dann mit wenigen Ab­ Dabei tritt er auch für

die Freiheit der Genossenschaftsbildung ein, und zwar unter Verwer­ fung der Anschauung, als liege der juristischen Persönlichkeit der Ge­

nossenschaft

eine

staatliche Fiktion zugrunde.

Das möge allenfalls

für die Stiftung denkbar sein, aber es paffe doch ganz und gar nicht,

wo

bestimmte

verfolgen19).

lebende Personen ihre Zwecke als organische Einheit

„Hier wird ja die Persönlichkeit des Ganzen getragen

von der nicht hinwegzuleugnenden Persönlichkeit des

einzelnen, von

welcher

die Genossenschaft gleichsam nur ein ausgeschiedenes Stück

bildet."

Offenbar haben wir hier das Verbindungsglied vor uns

zwischen Beseler und Gierke, zwischen der Begründung der Genossen­

schaftslehre durch jenen

und

der Privat- und Staatsrecht,

Rechts­

geschichte und politische Geschichte umspannenden Durchführung durch diesen.

Selbst der naturrechtliche Ton, wie er durch Gierkes geist-

V. Publizistisches und Philosophisches.

1) Völkerrecht.

647

volle Althusius-Entdeckung dann so voll erschallt, klingt uns ja schon bei Bähr entfernt entgegen. Dennoch wird es gewiß niemand in den Sinn kommen, die von

Bähr eingeschlagene Richtung der praktischen Rechtsbildung mit der

naturrechtlichen Neigung zu

verwechseln,

die Philosopheme in das

Gemeinsam ist ja die Bereitwilligkeit, sich

Positive Recht einschiebt.

über die formal bindende Norm aus vermeintlich höheren Rücksichten

hinwegzusetzen, im Gegensatze zu der historischen Auffassung, die ihren Ruhm in der liebevollen Hingabe an das Gegebene findet. Aber wo der Naturrechtler aus abstrakten, öden Allgemeinheiten folgert,

oder

wenigstens zu folgern wähnt, und dabei nur unter der Hand vielleicht sich von realen Momenten beeinflussen läßt, da greift Bähr mit be­

wußter und besonnener Klarheit in die Fülle des praktischen Lebens und

seiner Einzelfälle,

um

daraus

die Rechtsregel zu

erschließen.

Dabei muß er es denn freilich auch hinnehmen, daß er wohl einmal

auf denselben Widerspruch stößt, den man mancher naturrechtlichen Ansicht mit Recht entgegenhält. Eine derartige Äußerung von Wind­

scheid, von der übrigens der Windscheid der 50 er Jahre. auch wohl

übel betroffen worden toäre20), hat Bähr wohl gerade deshalb so

besonders übel genommen,

weil sie sehr schwer widerlegbar ist; es

ist der sicherlich nicht bloß in dem ironischen Sinne, in dem Bähr ihn so heißt2^), „klassische" Ausspruch: „Ich fürchte, Rechtsgefühl und

das Bedürfnis praktischer Gerechtigkeit sind für die positive Geltung eines Rechtssatzes sehr ungenügende Grundlagen. Das Bedürfnis des Verkehrs ist keine Rechtsquelle."

V. Obschon unleugbar die publizistischen Fächer gegenüber den privatrechtlichen

und

rechtsgeschichtlichen

geringere

wissenschaftliche

Bebauung zu finden fortfahren, so läßt sich doch eine gewisse Hebung

des Interesses auch für jene, nach 1840 etwa, nicht verkennen.

Zwar

von geschichtlicher Durchdringung und Beherrschung des Stoffes ist noch immer keine Rede, wie schon oben (Kap. 17 IV 6) hervorgehoben

wurde; und die traurigen, so unfertigen wie unfreien politischen Zu­

stände Deutschlands tote seiner Einzelstaaten stehen noch jeder nach­

haltigen Entfaltung der Staatsrechtswissenschaft als unüberwindliches Hindernis entgegen; aber es findet doch wieder das lange ganz ver­ nachlässigte positive • Völkerrecht sorgfältige Pflege, und neben Zöpfl widmet sich dem dogmatischen Staatsrechte mit ausdauerndem Eifer und

juristischer

Strenge

ein

Mann

von der Bedeutung,

die doch

Achtzehntes Kapitel.

648

zweifellos Heinrich Albert Zachariae zukommt.

Da dieser damit den

Strafprozeß verbindet

damals von der des

und

diese Wissenschaft

materiellen Straftechts vielfach getrennte Wege wandelt, so ist jene Personalunion hier auch für uns maßgebend. Bei alledem soll nicht behauptet sein, daß es sich um rein wissen­

schaftlichen Positivismus in diesen Fächern

um dessen tiefere Begründung,

handelt;

erst recht nicht

wie z. B. bei Kierulff.

Treffen wir

doch vielfach, selbst bei Zachariae und vollends im Völkerrecht, auf starke

Reste des alten naturrechtlichen Besitzstandes nnd daneben natürlich auch auf bedeutsame Spuren der jüngsten rechtsgeschichtlicheu Einftüsse. Dazu kommt dann ein Eindringen Hegelscher Elemente, dem wir viel­

fach auch hier begegnen.

Die Grundbemühung bleibt denn aber doch

unter bloß gelegentlicher Zuhilfenahme solcher Gesichtspunkte auf die

Bewältigung des Stoffes als eines positiv gegebenen gerichtet. 1. Für das Völkerrecht war eigentlich in Deutschland wissen­ schaftlich

nichts

Wesentliches mehr

geleistet *) — von Mohls und

Bluntschlis einschlägige Tätigkeit, deren wir schon vorgreifend erwähnen

mußten, liegt ja tatsächlich erst weit später — seit der alte Klüber seine zuerst französisch geschriebene Darstellung davon gegeben hatte. Die „Kritik des Völkerrechts mit praktischer Anwendung auf unsere

Zeit", von dem alten nassauischen Staatsmann und politischen Schrift­ steller Hans Christoph Ernst Freiherrn von Gagern3) (1766—1852)

zu Leipzig 1840 veröffentlicht, ist ja menschlich warmherzig und wohl

auch sachlich hier und da anregend, aber ganz aphoristisch und un­ juristisch gedacht und

geschrieben,

versteinert auf dem alten

natur­

rechtlichen Standpunkte, der Naturrecht und Völkerrecht identifiziert. Wenn v. Gagern das Völkerrecht bestimmt als „Naturrecht, von Fa­

milien und bürgerlicher Gesellschaft hinweg, oder vielmehr noch jen­ seits auf Verkehr der Stämme und Völker unter sich angewendet" —

so setzt er zu dieser Bestimmung in rührender Naivität hinzu: „Darin

sind wir alle einig."

Das Buch könnte eben nach seinen guten, wie

nach seinen bedauerlichen Eigenschaften im 18. Jahrhundert geschrie­

ben sein. Der erste, der auch ins Völkerrecht einen kräftigen Hauch frischer

Auffassung mit hinüberbringt, kommt von geschichtlicher Seite her, ist

dann aber immer mehr zu philosophischer Rechtserörterung im An­ schlüsse an Hegel übergegangen, Karl Theod. Pütter (1803—1873)3).

Seine ersten Arbeiten handeln über das Klaudianische senatusconsul-

V. Publizistisches und Philosophisches.

1) Völkerrecht.

649

tum (1827) und über die Lehre vom Eigentum nach deutschem Recht mit den römischen Rechtsgrundsätzen verglichen, Berlin 1831.

spätere und reifste

Seine

Veröffentlichung 'ist „der Inbegriff der Rechts­

wissenschaft oder juristische Enzyklopädie und Methodologie", Berlin

18464).

Dieses Werk ist ganz nach Hegels Grundbegriffen gedacht.

Die Definitionen von Staat und Recht werden nach Hegel gebildet, ein maßgebender Wert ist auf die Universalrechtsgeschichte gelegt, die

den weitaus stärksten Teil ausmacht und in chronologischer Reihenfolge von den Völkern des Orients nnd des klassischen Altertums über das

Mittelalter bis zur Gegenwart reicht. Aber in den Einzelheiten dieser geschichtlichen Betrachtungen bricht doch immer wieder

der frühere

Jünger der historischen Schule durch das Hegelsche Schema hindurch und so kommt ein häufig wirklich interessanter und geistreicher Über­ zustande.

blick



Zwischen diesen

beiden Stadien der Pütterschen

Tätigkeit nun, der monograPhisch-Savignyschen und der enzyklopüdischHegelschen,

mitteninne liegt zeitlich und sachlich sein völkerrechtliches

Werkes „Beiträge zur Völkerrechtsgeschichte und Wissenschaft", Leipzig

1843.

Von diesen Beiträgen ist nämlich der eine rein begrifflicher Art;

er handelt über Begriff und Wesen des praktischen europäischen Völ­ kerrechts und löst dieses Problem ganz im Sinne Hegels, indem das

Verbindliche des Völkerrechts bloß aus

dem Wesen der allgemeinen

Freiheit, sich notwendig den Geboten der Vernunft fügen zu müssen, erschlossen wirb6).

Der

andere Beitrag ist streng geschichtlich,

eine

Geschichte des mittelalterlichen Völkerrechts unter Benutzung der lei­

tenden Gedanken des Islam, der christlichen Kirche, des Rittertums,

des Lehnwesens usf., eindringlich und übersichtlich aus den geläufigen Geschichtswerken zusammengestellt, unter Einteilung in Kriegs- und Friedensvölkerrecht. — Außerdem ist eine Abhandlung beigegeben über

„Das Durchsuchungsrecht gegen den Menschenhandel und gegen .den ehrlichen Kauf- und Frachthandel in Seekriegen,

ein Vorschlag zur

Güte." An diese Püttersche Arbeit schließt sich die erste7) Abhandlung eines Gelehrten, dem wir später als hauptsächlich preußischen Krimi­ nalisten Rechnung zu tragen haben werden, Hugo Hälschners Auf-

satzb) „Zur wissenschaftlichen Begründung des Völkerrechts". Er ist wohl

am folgerichtigsten bemüht, die Hegelsche Grundlegung des Völker­ rechts zu verstärken durch Anwendung der Grundsätze der historischen

. Achtzehntes Kapitel.

650

Schule, die freilich zu dem Behufe eine starke Verrenkung sich gefallen lassen müssen.

Hälschner begnügt sich nämlich nicht mit geschichtlicher

Betrachtung der Völkerrechtswissenschaft seit Grotius, auch nicht mit

korrekter Verwerfung jedes rational-phantastischen Naturrechts, sondern er schließt positiv aus dem Begriffe des europäischen Staatensystems.

Diesem wird eine gesetzgebende Macht, durch die es zur Rechtsquelle

des Völkerrechts wird, zugeschrieben einerseits im Hegelschen Sinne,

weil nur dadurch die einzelnen Völkerindividuen sich selbst setzen, daß

sie sich selbst beschränken, andererseits aber und namentlich im Sinne der historischen Schule:

„So wie innerhalb des Staates die letzte

Quelle des Rechts das gemeinsame,

historisch sich bildende Rechts­

bewußtsein des Volkes ist, so daß der Gesetzgeber nichts anderes zu

tun hat, als dieses Bewußtsein im Gesetze auszusprechen, so ist auch

die letzte und einzige Quelle des Völkerrechts das gemeinsame Rechts­ bewußtsein der Völker, und ein solches ist eben wiederum nur möglich

und vorhanden bei den aus gleichen Elementen, aus gleichem Rechts­ bewußtsein erwachsenen, ein Staatensystem bildenden Völkern."

Eine solche Entnationalisierung seiner Rechtsquellentheorie würde freilich Puchta, der nicht einmal kirchliches Gewohnheitsrecht zugeben wollte, wenig gebilligt haben. Immerhin hätte man erwarten können,

daß dieses Hälschnersche Motiv

von feiten

gerne ausgenommen worden wäre.

der

historischen Schule

Eine solche Entwicklung wird man

erst recht erwarten, wenn man weiß, daß die völkerrechtliche Entwick­

lung nun gerade durch Heffter weitergefördert wird, der als Historiker begonnen und der Schule sich zunächst so nahe angeschlossen hat.

Von ihm rührt ja das nun eingreifende Lehrbuch des europäischen

Völkerxechts der Gegenwart her, hindurch

herrschend

geblieben

übersetzt worden ist9).

und

das, 1844 erschienen, Jahrzehnte

in

die verschiedensten Sprachen

Auch findet man da gleich zu Anfang der

Vorrede, als besonders ersteuliche Symptome eines für das Völker­ recht wieder sich regenden Interesses, Pütter und Hälschner angeführt. Um so größer ist die Überraschung, wenn man dem Werke näher tritt.

Von irgendwelcher geschichtlichen Auffassung nicht die geringste Spur. Vielmehr der reinste, um die Gültigkeitsquelle wenig bekümmerte Posi­

tivismus, nur oberflächlich verbrämt durch einige — Hegelsche Argu­ mente.

Es ist eben später (nicht bloß für das Strastecht) Heffter

ganz in das Hegelsche Lager übergegangen, natürlich nicht mehr von

innen heraus, sondern nur unter äußerlicher Annahme einiger Hegelscher

1) Völkerrecht.

V. Publizistisches und Philosophisches.

Leitsätze

und

Leitmotive.

Hegelianer Hälschner die Un­

der

Wo

651

zulänglichkeit der Philosophie anerkennt und statt ihrer zur geschicht­ lichen Begründung gegriffen hat,

da

„Athenäischen Gerichtsverfassung"

von 1821

beruft sich der Verfasser der und

der Zivilprozeß­

institutionen von 1828 auf den „Willen, der sich selbst das Recht

setzt oder in Gemeinschaft mit anderen bildet", auf die Notwendigkeit eines vernünftigen Willens- und Freiheitsgebrauches seitens eines jeden Staates, die kein Staat „verleugnen darf, wenn er dauernd und mit

Sicherheit an dem allgemeinen Staatenverkehr teilnehmen will", auf das „freie Recht, dllrch das der Staat in seiner Persönlichkeit sich selbst gegen andere setzt und von dem er dann sich nicht wieder los­ sagen kann, ohne seine Existenz und seinen Zusammenhang mit anderen

aufzuopfern oder doch in Gefahr zu bringen". — Damit stimmt es

denn freilich, daß, wie Heffter in den ersten Zeilen der Vorrede be­ richtet, das Werk zurückgeht auf eine Anregung seines verstorbenen „Freundes und Kollegen Gans".

meinschaftlich unternehmen. den Frieden."

Nach seinem Hinscheiden hat dann eben Heffter das

Ganze übernommen. Schule

und

Sie wollten die Bearbeitung ge­

„Er wählte den Krieg und überließ mir

gegen

Ein stärkerer Gegensatz gegen

ihren Meister

ist

sachlich

die

historische

wie persönlich kaum

denkbar. Tatsächlich ist es aber auch ebensowenig ber. Geist Hegels oder

Gans',

der in dem Werke herrscht.

Heffter war mit den Jahren

immer mehr Pryktiker geworden, in seinen Stellungen als Bericht­

erstatter bei dem höchsten Gerichtshöfe, als Ordinarius in dem Spruch­ kollegium der Fakultät, als Gutachter über schwierige Fragen der staatsrechtlichen Praxis").

Mit Vorliebe übte er seine Gewandtheit

darin aus, das positive gemeine Recht, mochte es nun prozessualen oder strastechtlichen oder staatsrechtlichen Inhalts sein, aus den ver­

schiedensten Quellen zusammenzustellen, zu brauchbaren Obersätzen aus­ zugestalten,

diese

in bequemer Systematik

zu

ordnen und daraus

praktisch brauchbare Einzelsätze in geschmackvoller Auswahl herzuleiten.

Seine gründliche klassische Vorbildung, seine immer gepflegte Neigung für

auswärtige Literatur

lieferten

ihm

dafür

nur

hübschen Schmuck und manche gefällige Wendung.

noch

manchen

So verhält es

sich, wie schon früher erwähnt (siehe oben Kap. 16, S. 392) mit

seinem Strafrecht, so hat er noch 1866 über den preußischen Zivil­ prozeß

geschrieben,

so

noch

1871

ein

wiederum

höchst

geschickt

Achtzehntes Kapitel.

652

zusammengestelltes Privatfürstenrecht rein positivisttsch geliefert unter

dem Titel: „Die Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten, So steht es nun auch

vormals reichsständischen Häuser Deutschlands".

um das wirksamste Erzeugnis dieser seiner späteren Richtung, um das

europäische Völkerrecht.

Da werden nicht nur Bentham und Wheaton

angeführt, sondern auch Isidors Origines und des Spaniers Franz

Suarez Werk De legibus et Deo legislatore.

Da wird aber auch

mit einem guten Stück naturrechtlicher Unbefangenheit gearbeitet, um Rechtssätze zur Befriedigung

sittlicher Wünsche,

gleichgültig

woher

auch immer, zu gewinnen, ohne die kritische Prüfung der Gültigkeit, die von der historischen Schule wie von jedem wahrhaft wissenschaft­ lichen Positivismus seit Hugo gleichmäßig verlangt wird.

So mochte

man wohl zu einer gewissen Vollständigkeit, zu einer gewissen Klar­ heit der einzelnen Sätze und zu praktischer Brauchbarkeit kommen,

auch zu einem gewissen juristischen Schliff, der erkennen läßt, daß, wie v. Mohl es ausdrückt, „hier ein gewiegter, vielfach durchgebildeter

Rechtsgelehrter spricht".

Das mag denn auch den Erfolg des Werkes

erklären, das mit allen seinen schwächeren und besseren Eigenschaften,

mit

seinen naturrechtlich moralisierenden

und

glatt-eleganten Wen­

dungen den Kreisen besonders behagen mochte, die sich für Völkerrecht

interessieren.

Literärgeschichtlich wird man seine Bedeutung nicht hoch

einzuschätzen haben.

Gerade das, worauf es dafür besonders ankäme,

was für diese Zeit doch wohl schon als unerläßlich beansprucht werden

dürfte, mangelt: der feste grundsätzliche Standpunkt. Freilich tut dieser auch wieder allein für sich es noch viel weniger,

wie bewiesen wird durch das Schicksal von H. B. Oppenheims") „System des Völkerrechts", Frankfurt a. M. 1845.

Das Büchlein,

das entschieden auf Hegel beruht und das praktische Recht sorgsam

auf oberste Rechtsprinzipien zurückführt, ohne darum Rechtsgeschicht­ liches") und gelegentlich selbst Anklänge an die Hälschnersche Be­

gründung zu verschmähen, enthält in aphoristischer Schreibart manches Neue und Geistreiche, darunter Richtiges, Gewagtes, Unhaltbar.es in

bunter Verwirrung.

Rühmlich ist besonders die Rücksicht auf neueste

Rechtsverhältnisse, Zollverein, industrielle Konzessionen, internationales

Eisenbahn-, Fluß- und Verlagsrecht.

Es hat deshalb zur Zeit seines

Erscheinens einiges Aufsehen erregt, ist dann aber, obschon 1866 neu aufgelegt, rasch vergessen worden.

Der Standpunkt der Hegelschen

„Linken" ist es, der hier zu Worte kommt in voller demokratischer

V. Publizistisches und Philosophisches.

1) Völkerrecht.

653

Schärfe und Rührigkeit — und das war ja wohl auf völkerrecht­ lichem

stetigen

Gebiete besonders

aussichtslos.

Auch

lag

die

Möglichkeit

wissenschaftlichen Fortschritts gewiß nicht nach dieser Seite,

weder inhaltlich noch methodisch.

So handelt es sich mehr um einen

interessanten Zwischenfall.

Ernster zu nehmen ist die Wirksamkeit des historisch und philo­ sophisch überaus gediegenen und gründlichen, aber freilich auch gar

schwerfälligen und formlosen Kaltenborn, mit der, soweit sie in

diese Zeit hineinfüllt, das völkerrechtswissenschaftliche Erträgnis der 40 er Jahre abschließt. Karl Baron Kaltenborn von Stachau1S) ist an das Völkerrecht

zunächst von der philosophischen Seite herangetreten unter Anregungen,

die mittelbar teils auf Schelling, teils auf Hegel zurückführen"). Er würde wohl,

wenn er zur Ausarbeitung eines vollständigen natur«

oder völkerrechtlichen Systems gekommen wäre, sich den Stahlschen

Anschauungen am meisten genähert haben, wie aus einer kurzen Skizze seines Standpunktes15) und ebenso aus seiner würdigenden Einschätzung der

verschiedenen zeitgenössischen Autoren

deutlich

hervorgeht;

ge­

legentlich hat er auch sonst sich in diesem Sinne ausgesprochen"). Aber er hat sich durch diese seine rechtsphilosophische Stellung das

freie Verständnis für die Mannigfaltigkeit historischer Erscheinung nicht

rauben lassen, vielmehr auf literärgeschichtlichem Gebiete eine erfreulich

lebhafte Tätigkeit entwickelt. ■ Zuerst durch seine „Kritik des Völker­ rechts nach dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft", Leipzig 1847,

und mehr noch durch sein Buch über „Die Vorläufer des

Hugo Grotius auf dem Gebiete des ius naturae et gentium sowie der Politik im Reformationszeitalter"n), Leipzig 1848. dann

sogar zu einem Werke fortgeschritten,

praktischen Bedürfnis

das

Und er ist

unmittelbar dem

„von Richtern und Advokaten, von Handels­

und Seeleuten" zu dienen berufen war:

„Grundsätze des praktischen

europäischen Seerechts, besonders im Privatverkehr, mit Rücksicht, auf

alle wichtigeren Partikularrechte, namentlich der norddeutschen See­ staaten, besonders Preußens und der Hansestädte, sowie Hollands,

Frankreichs, Spaniens, Englands, Nordamerikas, Dänemarks, Schwe­ dens, Rußlands", zwei Bände, Berlin 1851.

Alle diese Schriften Kaltenborns sind beachtenswert wegen ihrer

sorgfältigen Einzeluntersuchungen nicht nur, sondern, auch wegen eines gewissen größeren Zuges, der durch sie hindurchgeht.

Bei der „Kritik

654

Achtzehntes Kapitel.

des Völkerrechts" zeigt er sich in dem freudigen Drängen nach vor­

wärts, in der Zuversicht des Fortschritts und in den besonders wohl­ erwogenen und vielfach gutgeheißenen Vorschlägen zur Systematik^); bei den „Vorläufern des Hugo Grotius" spricht er aus einer Auf­

fassung der weltgeschichtlichen Beziehungen zwischen Renaissance, reli­

giösem Sinn, Reformation und Völkerrecht, die

als Vorwegnahme

jüngster Geschichtskonstruktionen auffällt, übrigens in der Hegelschen

Literatur jener Zeit keineswegs vereinzelt dasteht; besonders förderlich aber erweist er sich im Seerecht, da er hier praktisch-positivistische

Gestalt annimmt und dadurch Kaltenborn befähigt, in eine Lücke der Literatur seiner Tage ergänzend einzutreten: — indem ja, wie oben hervorgehoben, das Seerecht von den Handelsrechtslehrern damals noch nicht bearbeitet zu werden pflegte.

Nun wird ja freilich niemand

einen Kaltenborn einem Thöl in bezug auf juristische Schärfe oder

gar auf juristisches Gestaltungsvermögen auch nur entfernt vergleichen wollen.

Aber diesen Unterschied einmal voll gewahrt, ist es doch an­

zuerkennen, was Kaltenborn da geleistet hat.

Er hat sich mit Ent­

schlossenheit auf das Studium der Hamburgischen Gerichtspraxis ge­

worfen,

die positiven Seerechtsquellen aller Art auch sonst, unter

starker Benutzung schon der Sammlung von Pardessus, eifrig heran­ gezogen und darauf ein wohlgeordnetes und brauchbares, auch der

Ansätze zu wissenschaftlicher Bewältigung keineswegs bares Werk zu

schaffen verstanden.

Gibt er einerseits bescheiden zu, daß

zu völlig

abgerundeter Systematik „wegen des Mangels an bedeutenden Vor­ arbeiten^) der Stoff noch nicht genug präpariert" gewesen sei, so

setzt er sich doch andererseits das Ziel, dem möglichst nahezukommen.

Auch hat er die Empfindung, nimmt,

daß

er eine patriotische Tat unter®

„nämlich den Aufschwung des vaterländischen Seelebens in

der Gegenwart durch Aufdeckung der den internationalen Seeverkehr

leitenden Grundsätze zu unterstützen und vielleicht zu beschleunigen". So wird man Kaltenborn in diesem Punkte ein bleibendes Verdienst nicht absprechen dürfen. 2. Unverkennbar ist dabei freilich,

wie nationales und inter­

nationales Seerecht, sogenanntes privates und öffentliches Seerecht bei Kaltenborn ungeschieden sind, obschon er sich eifrig um saubere Systematik bemüht; und erst recht quirlen ihm historische, positivistische

und

altnaturrechtliche

durcheinander.

Elemente

der

Rechtsauffassung

fortwährend

Immerhin mochte dergleichen da noch verhältnismäßig

V. Publizistisches und Philosophisches.

2) Naturrecht.

655

wenig Schaden anrichten, wo durch oberste Hegelsche Prinzipien, wie bei Kaltenborn, das Naturrecht einer echten Rechtsphilosophie wenigstens

angenähert wird, wo dadurch das öffentlichrechtliche Wesen und die gesetzgebende Herrschaft des Staates absolut gewahrt bleibt, wo der

Sinn für das Wirkliche, Positive auch in der philosophischen Grund­ lage Förderung findet. Wo aber gar an Stelle dieser tieferen Be­ gründung ein flaches und geistloses Raisonnement tritt, da kann man nur von Rückfall ins ärgste Naturrecht reden, der, völlig unfruchtbar in sich, höchstens Bedeutung beanspruchen mag als Symptom dafür,

daß es mit der Herrschaft der historischen Schule zu Ende geht. Tatsächlich finden wir nämlich um die 40 er Jahre wieder eine Reihe solcher Erscheinungen *), die hier in diesem Zusammenhänge an­ gereiht sein mögen. Selbst ein Warnkönig hat es nicht verschmäht, auf oberflächlich-eklektischer Grundlage, wie er es im rontanischen, noch

rein naturrechtlich denkenden Auslande gelernt haben mochte, eine „Rechtsphilosophie oder Naturlehre des Rechts" aufzuführen, erschienen 1839. Hauptsächlich aber bezieht sich die vorangeschickte Charakteristik auf die Krausesche Schule, der sich namentlich zwei deutsche Juristen angeschlossen haben, Ahrens und Röder. Der Philosoph Krause selbst (1781—1832) war mit einem „Abriß des Systems der Philosophie des Rechts oder des Naturrechts" 1828 vorangegangen und hatte

darin das Recht „auf die von der Freiheit abhängigen Bedingungen", im Gegensatz der bloßen Naturbedingung, wieder einmal einzuschränken

versucht. Daran2) schließt sich dann das Naturrecht von Heinr. Ahrens2) (1808—1874), geschrieben und erschienen, während dieser in Brüssel

lehrte, 1839, darum auch in französischer Sprache, aus der es ins Deutsche 1846 übertragen wurde. Dieser »Cours de droit naturel« hat nicht nur zahlreiche Auflagen, sondern eine unglaubliche Ver­ breitung in den verschiedensten Übersetzungen gefunden*) und hat über­ haupt lange Zeit im Auslande als ein hervorragendes Werk gegolten;

uns ziemlich unbegreiflichermaßen, wenigstens vom juristischen Stand­ punkte aus, den wir hier einzig .einzunehmen haben. Das Buch muß wohl dem Bedürfnis des romanischen Lehrkursus und des romanischen Geistes besonders entsprochen haben durch Verbindung dort unerläß­

licher formaler Glätte und Klarheit mit einem Zusatz deutscher ge­ schichtlicher Auffassung in für uns ungenießbarer Verdünnung. Ganz neuerdings wird ihm freilich nachgerühmt°), es sei bahnbrechend für

Achtzehntes Kapitel.

656

die heutige sozialpolitische Auffassung von Einzelperson, Staat und Gesellschaft zueinander,

geradezu

eine

„Grundlegung

politik" im modernen Sinne des Wortes.

der Sozial­

Aber von so maßgebender

nationalökonomischer Seite her auch dies Urteil gefällt ist, so kann

ich doch vom juristischen Gesichtspunkte her mich nicht anschließen:

da ist denn doch wohl nicht darüber Hinwegzukommen, daß, was auch immer Ahrens leisten mag, lediglich auf der imklaren, hohl natur­

rechtlichen Grundlage beruht, aus der sich eben alles Wünschenswerte

hervorholen läßt, womit denn ja recht wohl vereinbar sein mag, daß er unter dieser Flagge Sozialpolitisches in die Rechtsphilosophie ein­ geführt

hat.

Für

das

nahe

damit

verwandte Völkerrecht rühmt

Rivier°) öon Ahrens, daß er zu den „wichtigsten Rechtsphilosophen

der neueren Zeit" gehört; aber Rivier weiß sogar von dem Tresteraufguß, den uns Ahrens deutsch 1855—1857 von seinen Anschau­ ungen gegeben hat?), etwas Lobendes zu bemerken, nämlich darin

werde „ziemlich eingehend und sinnreich vom Völkerrecht gehandelt".

Es mag wohl auch Ahrens häufig sich bemühen, sein Naturrecht von

dem „Vernunftrecht des 18. Jahrhunderts" zu scheiden, jedoch durch­ aus vergeblich, da er mit diesem den Grundirrtum von der Existenz eines im menschlichen Verstände liegenden, obersten Rechts von selbst­

verständlicher Gültigkeit rettungslos gemeinsam hat.

Er mag noch

so viele historische und dogmatische, sozialpolitische und wirtschaftliche Brocken einmengen, die zähe Teigmasse des Naturrechtlichen überzieht

und erstickt alles. In noch höherem Maße

gilt

dies

von Röders.

Während

Ahrens immerhin einen gewissen Takt französischer Schulung walten läßt, kehren bei Röder selbst die Jämmerlichkeiten und Lächerlichkeiten

des Naturrechts im schlimmsten Sinne des 18. Jahrhunderts wieder, z. B. als Urunrecht: Eintreten zur Tür ohne Aufforderung, jede Er­

schwerung des Reisens, die steife Halsbinde, lästiges Besuchen, neu­ gieriges Ausfragen und dergleichen mehr^). neben Ulpianstudien

Und dies, obschon er da­

im Sinne seines Lehrers Hugo betrieben und

vermischte zivilistische Abhandlungen geschrieben, auch an dem oben

(bet v. Hahn) erwähnten Kampf überden relativen Wert des deutschen und römischen Rechts durch eine besondere Schrift teilgenommen hat!

Wenigstens bleibt ihm das Verdienst, bereits 183910), also vor seinen „Grundzügen des Naturrechts oder der Rechtsphilosophie" von 1846,

eine besondere, in bestimmter Beziehung förderliche Strafrechtstheorie

V. Publizistisches und Philosophisches. 2) Naturrecht.

657

aufgestellt und diese dann wesentlich dadurch gefördert zu haben, daß er sie auch losgelöst vom philosophischen Zusammenhänge in einer Reihe selbständiger, zum Teil inhalts- und stoffreicher Werke vertreten hat. Namentlich ist er von diesem Boden aus zu genauer Prüfung des Strafvollzugs und damit zu bedeutsamen Folgen für diese so

überaus praktische Frage gelangt. Es handelt sich bekanntlich um die sogenannte Besserungstheorie. Unbeirrt durch die sonst damals überwiegenden absoluten Theorien

hat Röder sie entwickelt und immer wieder verfochten in folgenden Büchern: Zur Rechtsbegründung der Besserungsstrafe, 1846. — Die Verbesserung des Gefängniswesens mittels der Einzelhaft, 1856. — Der Strafvollzug im Geiste des Rechts, 1863. — Besserungsstrafe

und Besserungsanstalten als Rechtsforderung, 1864. — Die herrschen­ den Grundlehren von Verbrechen und Strafe in ihrem inneren Widerspruch, 1867. Man mag nun strafrechtstheoretisch auf welcher Seite auch immer stehen, niemand wird heute mehr einerseits die ungenügende Einseitig­ keit dieser Röderschen Strastechtsbegründung verkennen, anderseits

aber auch niemand die hohen, Humanitären und strafpolitischen Ver­ dienste bestreiten, die sich Röder dadurch erworben hat. Dabei hat es ihm gelegentlich auch in seinen populär zugänglichen und wirksamen Schriften nicht an psychologischem Scharfsinn gemangelt, noch selbst an kühlem Blick, wie sich z. B. in seiner Kritik des von so vielen enthusiastisch aufgenommenen sogenannten Irischen Systems zeigt. Für die Vorzüge namentlich der Einzelhaft ist er erfolgreich eingetreten und hat jedenfalls viel dafür getan, Sinn und Verständnis für der­ artige uns heute so wichtig gewordene, lange von feiten der Wissen­ schaft arg vernachlässigte Fragen zu wecken. Sein „Naturrecht" hat wieder nur im romanischen Ausland, besonders in Spanien und Portugal, Anklang gefunden^); aber wegen seiner strafrechtlichen Be­ mühungen und Leistungen ist sein Name auch bei uns bekannt ge­ blieben. Dieser Schule Krauses gesellt sich, wie unten zu zeigen sein wird, für das Strafrecht gleichzeitig eine gewisse Wirksamkeit der Philo­

sophien von Herbart und etwa noch von Chalybaeus. Damit dürfte

denn aber auch wohl für unsere Epoche der Kreis derjenigen nachHegelschen Philosophen, die in stärkerem oder wenigstens greifbar­

nachweisbarem Maße die positive Rechtswissenschaft beeinflußt haben, Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

42

Achtzehntes Kapitel.

658 geschlossen fein12).

Selbst Friedrich Adolf Trendelenburg12)

wird man nicht mehr dazu rechnen dürfen, obschon sein „Naturrecht

auf dem Grunde der Ethik" (von 1860) bei vielen Juristen Beachtung für gelegentliche rechtsphilosophische Erörterungen oder Einzelerwä­ gungen11) gefunden hat. Deshalb kann das Werk hier noch eben ab­

schließend erwähnt werden als das letzte bedeutende seiner Art inner­ halb der hier behandelten Epoche der Geschichte der Rechtswissen­ schaft, bis etwa 1870. Es versucht bekanntlich eine Rückkehr zur antiken Begründung der Rechtsphilosophie im Anschlüsse an Plato und namentlich an Aristoteles. 3. Von diesem Ausfluge in die Grenzprovinzen von Philosophie und Jurisprudenz gelangen wir wieder auf fest juristischen Boden, wenn wir uns nun dem bedeutendsten Publizisten dieser Zeit zuwenden, H. A. Zachariae1).

Von Zachariaes frühester kriminalistischer Tätigkeit wurde schon

oben gesprochen. Von ihr war er zum Fache des Staatsrechts hinüber­ geführt worden dadurch, daß dieses nach der Katastrophe der Sieben

an der Universität Göttingen, der er ununterbrochen angehört hat, verwaist war, worauf er sich damit betrauen ließ. Das mochte ja zunächst übel aussehen, ist ihm auch in den Kreisen der Sieben verdacht worden, wie z. B. Ottfried Müller meinte, das heiße Hand­ geld vom Teufel nehmen. Daß es jedoch nicht in diesem Sinne ge­ meint war, als Verpflichtung nunmehr unter allen Umständen auf die Seite der Regierung zu treten und ein entsprechend „korrektes"

staatsrechtliches System zurechtzuzimmern, sollte sich alsbald heraus­ stellen. Vielmehr ist Zachariaes Staatsrecht schon in der ersten Auf­ lage für seine Zeit eher liberal, besonders gerichtet gegen die Patrimonialtheorie von Hallers und Maurenbrechers, die die Menschen und die Idee des Staates entwürdige2), wie es auch sofort in weitesten Kreisen anerkannt wurde. Ebenso hat Zachariae unerschüttert fein

langes Leben und die vielfachen politischen Wechselfälle dieser Jahr­ zehnte hindurch allerdings einerseits streng und vorsichtig gegen manche populäre Wünsche sich zurückgehalten, aber stets das Rechtsprinzip,

das unbedingte Eintreten für das, was er als gültige Norm erkannte, sich zum obersten Grundsätze gemacht; ja er ist daneben der ent­

schiedene Freund eines mäßigen und besonnenen Fortschritts in staats­ rechtlichen2)/ wie in strafprozessualen Dingen gewesen. Daß er von diesem Standpunkte aus gegen mancherlei Geplantes oder Werdendes

V. Publizistisches und Philosophisches.

3) H. A. Zachariae.

659

Stellung nehmen und es dann doch als Verwirklichtes und Gewordenes

zum Gegenstände seiner wissenschaftlichen Untersuchung und selbst praktischer Billigung machen konnte, ohne je in grundsätzlichen Wider­ spruch mit sich selbst zu geraten, hat ihm das Schaffen und Wirken

wesentlich ermöglicht. Er hat dabei bald von dieser, bald von jener Seite, bald fteudige Anerkennung, bald gehässige Verfolgung erlebt, hat bald als Verräter, bald als Verteidiger beider Extreme gegolten, ist 1848 als Unitarier, 1867 als Partikularist geschmäht worden. Im Jahre 1853 verbot man ihm von Hannover aus die Benutzung

der auf der Kgl. Bibliothek zu Göttingen befindlichen Protokolle der Bundesversammlung für die zweite Auflage seines Staats- und Bundes­

rechts; im Jahre 1861, als er über „Das rechtliche Verhältnis des fürstlichen Kammergutes, insbesondere im Herzogtum Sachsen-Mei­

ningen" geschrieben und aus objektiven Gründen den Standpunkt des fürstlichen Eigentums auch gegen Reyschers«) politisierende Angriffe

verteidigt hatte,

erhielt er von Hannover alle möglichen Auszeich­

nungen, während nun die Schmähungen liberalerseits auf ihn nieder­ prasselten, so daß v. Mohl „erst mahnen mußte, einen Mann, welcher schon so oft und nicht eben zu seinem persönlichen Vorteil die popu­ läre Seite verteidigt habe, wenn er diesmal für dynastische Interessen und Rechte austrete, nicht ohne weiteres zu verdächtigen, sondern eher zu vermuten, daß die Sache sich wohl seiner Unter­ suchung gemäß verhalten werde". — Aus alledem ist denn aber doch schließlich Zachariae in der allgemeinen Meinung als der überzeugte

Vertreter des strengen Rechts, als der besonnene Publizist, ledig jeder parteipolitischen Gebundenheit, hervorgegangen, dem man Doktrina­

rismus und Formaljuristik vorwerfen mag, dem aber eben dieses Ver­ fahren in schlimmer Zeit als Rüstzeug im Kampfe ums Recht ge­ dient hat.

Zachariaes staatsrechtliche Hauptleistung — neben zahlreichen Abhandlungen, Gutachten, politischen und praktischen Einzelschristen, die an alle Zeitereignisse den rechtlichen Maßstab anlegen, im ein­

zelnen aber hier nicht aufgeführt werden sönnen6) — ist bekanntlich das mächtige Werk „Deutsches Staats- und Bundesrecht", das in seinen drei Auflagen eigentlich jedesmal ein neues Buch über das

Staatsrecht eines jeden von drei lebhaft bewegten Jahrzehnten der deutschen Staatsrechtsgeschichte bildet.

Die erste Auflage, erschienen

in drei Bänden, Göttingen 1841, 1842 und 1845, stellt, der erste

42*

Achtzehntes Kapitel.

660 Band

vielfach

in

noch

an

einen

Vorlesungsgrundriß

erinnernder

Form, den Rechtszustand vor 1848 dar, allerdings nicht auf Grund

persönlicher Kenntnis der Geheimakten, wie das Zöpfl möglich war, aber auch ohne dessen politisches Anpassungsvermögen.

Die zweite

Auflage, in zwei Bänden 1853 und 1854 veröffentlicht, ist formal ausgereift, strenger in Text und Noten geschieden, mit eingehenderen historischen und dogmatischen Ausführungen zu jeder Lehre versehen,

namentlich aber auf Grund der wissenschaftlichen und politischen Er­ fahrungen des letzten Jahrzehnts gearbeitet, so daß das deutsche Staats­

recht hervortritt, wie es unmittelbar nach den Stürmen der 48 er Jahre liegt.

Die dritte Auflage endlich, fertig geworden in zwei Bänden Herbst

1865 und November 1866, gibt den Abschluß der ganzen bisherigen Entwicklung, stellt diese im Augenblick ihres Unterganges für die Zukunft

fest, für die Gegenwart freilich überholt durch die Gebnrtswehen der jungen deutschen Einheit.

Einer Umarbeitung für das damit neu ein­

getretene Staatsrecht hat Zachariae, im Gegensatz zu Zöpfl, sein Werk

nicht mehr unterzogen, wennschon er selbstverständlich seine Vorlesungen

entsprechend umformcn mußte. Im übrigen hält das Buch in allen seinen Bänden und Formen gleichmäßig fest an dem Sweben, streng zwischen Recht und Politik zu scheiden; an der Trennung zwischen dem so geringfügigen Recht des deutschen Bundes einerseits und dem umfassenden, aus dem Staats­

recht der einzelnen deutschen Länder abstrahierten „gemeinen deutschen Territorialstaatsrecht" andererseits, unbeschadet selbst der konstitutio­ nellen Unterschiede; und an gewissen allgemeinen Anschauungen über

das Verhältnis des positiv geltenden Rechts zur Geschichte und zum allgemeinen Staatsrecht, die ausschlaggebend sein dürften, um Zachariae

der positivistisch vermittelnden Richtung, freilich schon stark historischen

Einschlags, gesellen.

aber

doch

auch

noch

naturrechtlichen Anklanges zuzu­

Denn Zachariae bemüht sich zwar, womöglich überall den

Zusammenhang des jetzigen mit dem älteren Recht nachzuweisen, zu dem Behufe auf das alte deutsche Staatsrecht und dessen Literatur

(mit erfreulicher Vorliebe für I. I. Moser) zurückzugehen nnd dadurch für manches Institut der Gegenwart besseres Verständnis, wohl auch eine gewisse Rechtfertigung gegenüber den Verdächtigungen der Re­

aktionäre zu gewinnen;

ja es geht in der Lösung dieser Aufgabe

Zachariae über den Rechtshistoriker Zöpfl entschieden hinaus, für den die historischen Einleitungen lediglich gelehrtes Beiwerk sind.

Aber

V. Publizistisches und Philosophisches.

3) H. A. Zachariae.

661

daneben erscheint bei Zachariae ein rechtsphilosophisches, das heißt

ehrlich gesprochen naturrechtliches Element, das uns mit der Zulassung Don6) „Analogien und Folgerungen aus dem Begriffe und Zwecke des Staates überhaupt"

in die schlimmsten vorhistorischen Zeiten zurück­

versetzen könnte, wenn nicht, und das ist schließlich die Hauptsache, diese beiden Betrachtungsweisen für Zachariae

nebensächlich wären.

Das Entscheidende ist

doch

eigentlich bloß

ihm nämlich

stets

der

Buchstabe des positiven Rechts, der deutschen Bnndesakte, der Ver­

fassungsurkunden, der einzelnen Staatsgesetze7); wo er solcher habhaft werden kann, hält er sich daran, weit lieber als an historische Er­ gebnisse, so daß bei seiner Abstraktion des gemeinen Territorialrechts die

Staaten mit Konstitution denen ohne Konstitution entschieden vorgehen. Schon der Umstand, daß er denn doch nicht ganz die blasse Abstraktion prinzipgemäß dnrchzuführen vermag, daß er vielmehr stets die Verhält­

nisse des Königreichs Hannover, wo er bodenständig ist, besonders be­ rücksichtigt, ist bezeichnend für den Positivisten.

Als solcher erscheint

Zachariae am entschiedensten in der ersten, selbständigsten Auflage. In den späteren Auflagen mußte er unvermeidlich die Ergebnisse

weiterer, nach der geschichtlichen Seite hinüberführender wissenschaft­

licher Entwicklung berücksichtigen; indem er dies mit Eifer und Ver­ ständnis tat, hat er sich dadurch auf der Höhe der Zeit gehalten; für seine persönliche Stellung in der Literärgeschichte muß das aber zurücktreten. Man wird danach diese Stellung im ganzen dahin kennzeichnen

dürfen, daß Zachariae seiner Wissenschaft keine neue Bahn gebrochen,

auch nicht um ihre Methode sich enffchiedene Verdienste nach der einen oder anderen Seite hin erworben hat; daß er sie aber innerhalb des gegebenen Rahmens mit Eifer und Tüchtigkeit, ohne jede politische

Liebedienerei, aber mit Verständnis für die politischen Vorgänge seiner

Zeit gepflegt und gefördert hat; und daß er dabei einer wahrhaft historischen Auffassung, wennschon es nicht bis zu deren voller Er­ fassung und Durchführung reicht, doch wenigstens unter den publi­

zistischen Autoren der 40 er Jahre am nächsten gekommen ist. Dasselbe gilt denn aber auch, so daß diese Ergebnisse einander

gegenseitig bestärken, von Zachariaes strafprozessualer Wirksamkeit, die gewissermaßen die bleibende Verbindung zwischen seinem früheren straf­

rechtlichen b) und seinem späteren publizistischen Arbeiten darstellt.

Da

hat Zachariae mit richtigem Verständnis es von Feuerbach gelernt9).

Achtzehntes Kapitel.

662

»daß die Form des gerichtlichen Verfahrens mit der Staatsverfassung und dem Werte, welchen das Volk selbst auf eine freie Verfassung und den Schutz seiner verfassungsmäßigen Rechte legt, in der innigsten

Verbindung steht".

Er parallelisiert auch

darum fortwährend, in

seinen strafprozessualen Schriften, die hier auftretenden Fragen und sich anbahnenden Neuerungen

mit dem Gange

der

staatsrechtlich­

politischen Entwicklung, ohne doch den prinzipiell formaljuristischen Boden zu verlassen.

Seine interessante Studie über „Die Gebrechen und die Reformen

des deutschen Strafverfahrens", Göttingen 1846, knüpft dafür an bei den Werken von Feuerbach und von Biener10), die Zachariae ein­

sichtig als die beiden Marksteine des Aufstiegs zu gesunden legislativen Prinzipien erkennt-

Hier wenigstens — im Gegensatz zum Staats­

recht — kann das Vorwort gerade noch das soeben erschienene preußische

Gesetz vom 17. Juli begrüßen als „ein großes Ereignis in der Geschichte der deutschen Strafprozeßgesetzgebung, dessen Folgen sich hoffentlich recht bald auch in betreff der übrigen deutschen Staaten herausstellen

werden.

Der Dank aber, welcher der preußischen Regierung dafür

gebührt, wird deswegen nicht weniger innig und lebendig sein, weil noch gewisse, dem bisherigen System gemachte Konzessionen die voll­

ständige Entwicklung der adoptierten Prinzipien gehindert haben, und

weil die Anwendung des Gesetzes wegen gewisser mangelnder Voraus­ setzungen für jetzt noch auf die Hauptstadt des Reiches beschränkt ist."

Man kann wohl kaum bescheidener und anerkennensfreudiger sich aus­ drücken, ohne doch in der Sache das Wünschenswerte irgendwie zu

verleugnen.

Als das Wünschenswerte aber erscheint Zachariae damals

noch nicht das Schwurgericht, noch auch die Preisgabe der gesetzlichen Beweistheorie, sondern nur Mündlichkeit, Öffentlichkeit und Anklage­ prinzip.

Diesem letzteren legt er eine stärkere, viel weitergehende Be­

deutung bei als Biener; denn er denkt weit entschiedener über die Miß­ stände der Inquisition, äußert -voll ehrlicher Entrüstung das Schlimmste über „die fast schrankenlose Gewalt des Inquirenten" und über den

Mißbrauch des Wahrheitserforschungsprinzips „zum Decknrantel aller Willkür, zum Brecheisen wider jede äußere Rechtsform" n).

Mit Recht

hebt er hervor, wie gerade die politischen Prozesse der letzten Zeit diese Übelstände ans Tageslicht gebracht und den alten gemeinen Jnquisitionsprozeß so heillos kompromittiert haben, daß eines Festhaltens

an ihm nicht mehr sein kann.

Seine Forderung lautet darum: Unter-

V. Publizistisches und Philosophisches.

3) H. A. Zachariae.

663

siichungsprinzip für das vorbereitende Verfahren, Anklageprinzip,

durchaus uicht bloß äußere Anklage form für das Hauptverfahren! Bei der Begründung dieser Forderung spielt außer historischen Er­

wägungen das naturrechtliche Argument eine bewußt wesentliche Rolle, der philosophische Standpunkt wird hier geradezu als der primäre

bezeichnet ^). Als dann eine Reihe neuer Strafprozeßordnungen in Deutsch­ land ergangen13) und durch sie zahlreiche Reformen eingeführt waren, vielfach sogar über das von Zachariae Gewünschte hinaus Geschworenen­

gericht und freie Beweiswürdigung, hat Zachariae sich angeschicktu), im Wetteifer

mit Planck einen

neuen „gemeinen Strafprozeß"

zu

konstruieren, in dem lieferungsweise erschienenen „Handbuch des deut­ schen Strafprozesses", abgeschlossen Bd. 1 1860 und Bd. 2 1868.

Er meint darin Planck dadurch übertreffen zu können, daß er außer den modernen Strafprozeßordnungen, auf die sich Planck im wesent­

lichen beschränkt, auch den älteren Prozeß mitberücksichtigt, also die

disparatesten

Elemente geradeso

hier,

im

wie

gemeinen

deutschen

Staatsrecht konstitutionelle und konstitutionslose Staaten, zum ge­ meinsamen Stoffe seiner Abstraktion nimmt; und ferner dadurch, daß

er die „rationellen und historischen Grundlagen" stärker betont, unter

Voraufsendung der rationellen, in denen wir unschwer das alte natur­ rechtliche Wesen wiedererkennen. die „Natur der Sache"

subsidiären Quellen"

Dem entspricht es, daß unverhüllt

wenigstens wieder unter den „sogenannten

auftritt13).

Von

den

historischen Abschnitten

wird man ohnehin, trotz der Zusicherung des Verfassers, kaum anzu­

nehmen geneigt sein, daß sie über die eines gründlichen und aufrich­

tigen Historikers wie Planck hinausführen.

So wird das Brich eher

als Rückschritt hinter diesen angesehen werden müssen.

Eigentlichen

Erfolg im Sinne der Eroberung einer herrschenden Stellung hat es

ebensowenig gehabt, obschon Zachariae den inzwischen herrschend ge­

wordenen Anschauungen sich nun auch betreffend Beweisprinzip und

Geschworenengericht durchaus angeschlossen hatte.

Immerhin, wenig­

stens letzteren Punkt betreffend, nicht eben mit Wärme, sondern so

zurückhaltend, daß man es wohl verstehen mag, wenn er dann noch­ mals in dieser Beziehung Standpunkt wechseln konnte, sobald sich ihm

durch das Auftauchen der neueren Idee des Schöffengerichts dazu Gelegenheit bot.

Eine seiner letzten Schriften, von 187216), gilt dem

Lobe des modernen Schöffengerichts, weil es das rechtsgelehrte und

Achtzehntes Kapitel.

664

das volkstümliche Element zum Vollzüge der an sich einheitlichen Funktion des Richteramts verbinde und das Mittel darbiete, um in allen Instanzen der Gerichtsverfassung eine gleiche und einfache Form zu geben. 4. Werfen wir endlich zum Abschlüsse dieses Überblickes über 1838) einen Blick auf das partikuläre Staatsrecht, so liegt es in der Natur der politischen Verhältnisse, die Publizistik (seit etwa

daß wir im wesentlichen auf die alte Dürftigkeit immer wieder stoßen, wennschon ein gewisser Unterschied sich ergibt zwischen den älteren, süddeutschen Verfassungsstaaten und den Verhältnissen in Preußen, wo man ja erst im Laufe dieser Zeit zu modernem Verfassungswesen

gelangt. In dem letzten Jahrzehnt vor 1848 mußte es namentlich in Preußen wenig verlockend erscheinen, sich mit einem Zustande des

Staates zu beschäftigen, der die Kraft weder zu leben noch sich zu verjüngen mehr zu besitzen schien und nur dem revolutionären Um­ schwünge steuerlos zutrieb. Höchstens konnte es sich darum handeln,

die tatsächlichen Verhältnisse der Regierung und Verwaltung in treuer Einzelarbeit sauber aufzuweisen und zusammenzustellen, eine positivi­ stische Bemühung, die man als wissenschaftliche nur gerade eben noch bezeichnen kann. Das haben denn damals teils ausgeführt, teils in die Wege geleitet H. SimonZ und L. v. Sönne2) in ihrem um­ fassenden enzyklopädischen Werk über „Die Verfassung und Verwal­ tung des preußischen Staates", zusammen 9 Teile, Breslau 1843 bis 1856, im Ganzen doch eine monumentale, grundlegende, wohl ge­ plante und rühmlich durchgeführte Leistung. Davon sind die ersten 13 Lieferungen (Polizeiwesen, Gemeindeverfassung, kirchliche und Unterrichtsverhältnisse, Medizinalwesen und Baupolizei) bis 1846

Heinrich Simon ist dann, als entschiedener Liberaler und eifriger Politiker» Parlamentarier und Schriftsteller auf andere Bahnen gedrängt, ausgeschieden; Rönne hat das Werk weitergeführt und sich dadurch die denkbar beste Vor­ bereitung verschafft, um später, als Preußen glücklich endlich seine unter Mitwirkung beider Herausgeber erschienen.

Verfassung erhalten hatte, der erste wissenschaftliche Bearbeiter des neuen Verfassungsrechts zu werden.

Es geschah dies, nachdem Rönne zunächst eine verdienstlich zu­ sammenstellende Ausgabe der Verfassungsurkunde mit ihren Entwürfen und Abänderungen (1850, 2. Auflage mit Nachtrag 1852) gegeben

hatte, durch Rönnes berühmt gewordenes und lange herrschend ge-

V. Publizistisches u. Philosophisches.

4) Partikuläres Staatsrecht.

665

bliebenes Werk. „Das Staatsrecht der preußischen Monarchie", zwei Bände 1856—18633). Es hat seinen Erfolg verdient und erreicht namentlich durch den4) „staunenswerten Fleiß und die einzig dastehende

Kenntnis des ganzen Details der preußischen Verfassung und Ver­ waltung", wie es denn von vornherein darauf angelegt ist, die Ge­ samtheit des öffentlichen Rechtszustandes in Preußen möglichst voll­ ständig darzustellen.

Es zeichnet sich demgemäß durch einen überaus

starken Umfang aus, der von Auflage zu Auflage unmäßig anschwellen mußte. Wissenschaftlich steht es trotz einiger Anläufe zu höherer historischer oder dogmatischer Behandlung im wesentlichen auf dem Standpunkte des denkbar trockensten Positivismus, ähnlich wie manche

gleichzeitige Beiträge zur Literatur des allgemeinen preußischen Land­ rechts: Vor lauter Sammeleifer, vor lauter Bemühung, im Dienste der Praxis alle Einzelheiten zusammenzutragen, kommt man so recht zu keinem allgemeinen Überblick und erst recht zu keiner freieren

wissenschaftlichen Behandlung. Höchstens daß eine gewisse Neigung zu konstitutioneller Folgerichtigkeit das Ganze durchzieht und ihm ein persönlicheres Gepräge aufdrückt. Nichtsdestoweniger oder zum Teil vielleicht eben deswegen hat das Werk Jahrzehnte hindurch eine ent­

scheidende Rolle für alle preußischen Verfassungs- und Verwaltungs­ fragen gespielt; und schließlich muß es doch als erster Versuch einer wissenschaftlichen und geschlossenen Stoffbewältigung eine Anerkennung finden, die ihm, soweit es bloß politische Gesichtspunkte mit der juri­ stischen Entwicklung des geltenden Rechts vermengt, versagt bleiben müßte.

Diese stoffliche Bedeutung macht es denn auch erklärlich, daß

ihm noch gegenwärtig eine fünfte Ausgabe6) zuteil wird, die freilich von dem Neuherausgeber auf ganz andere wissenschaftliche Grundlage

gestellt ist6). Was dagegen die bereits längere Zeit hindurch konstitutionellen Staaten Deutschlands anbetrifft, so tritt um diese Zeit wenigstens der größte unter ihnen, Bayern, dem durch von Mohl begründeten Vor­

gänge Württembergs zur Seite. Das bayerische Staats- und Ver­ waltungsrecht 6S) findet jetzt eine Bearbeitung in streng positivistischer, aber doch ausgeprägt wissenschaftlich positivistischer Weise, die offenbar durch v. Mohls Beispiel angeregt und seinen Leistungen im Ergebnisse gleichwertig ist. Zwar gilt das noch kaum von der stark naturrecht­ lich belasteten, politisch reaktionären, systematisch und sachlich vielfach

ungenauen Arbeit des Freiherrn Ernst von Moy de emi3) sie sind ja keine bloß logischen Kategorien, sondern die Konzentrationsform materieller Nechtssätze, die Rechts­

sätze aber wechseln mit den Verhältnissen." Also nicht Logik, sondern Beobachtung der Realität!

„Es ist4) das Blendwerk der juristischen

Dialektik, welche dem Positiven den Nimbus des Logischen zu geben, versteht, welche, indem sie das Vorhandene vor unserem Urteile als

vernünftig zu rechtfertigen sucht, dabei nicht den Weg einschlügt, daß sie die historische, praktische oder ethische Berechtigung desselben nach­

weist, sondern den, daß sie mit Hilfe von Gesichtspunkten, die erst für diesen Zweck erfunden sind, die logische Notwendigkeit desselben

darzutun versucht." — „In Puchta3) zählt die oben geschilderte Rich­ tung ihren namhaftesten Repräsentanten und, wenn ich nach eigener

Erfahrung urteilen darf, so hat gerade sein Beispiel auf manche einen

812

Neunzehntes Kapitel.

bestimmenden Einfluß ausgeübt." — „Brechen Wir6) den Bann, mit

dem der Jrrewahn uns gefangen hält. Jener ganze Kultus des Logischen,

der die Jurisprudenz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuschrauben

gedenkt, ist eine Verirrnng und beruht auf einer Verkennung des

Wesens des Rechts.

Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Be­

griffe sind des Lebens wegen da.

Nicht was die Logik, sondern was

das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postuliert, hat zu bestehen, möge es logisch notwendig oder unmöglich sein.

Die Römer hätten

verdient, in Abdera zu wohnen, wenn sie es je anders gehalten, die Interessen des Lebens der Schuldialektik zum Opfer gebracht hätten." Kann man es deutlicher sagen, daß die modernen Juristen, die statt dem Leben, dem Verkehr, dem Rechtsgefühl zu dienen, logische

Konstruktionen auftürmen, Postulate des Lebens als „logisch unmög­

lich" abweisen und unnütze Verkehrserschwerungen als „logisch not­ wendig" fordern, — daß sie nach Abdera gehören?

doch einmal rücksichtslos der Verfasser der

Hier bricht denn

„Vertraulichen Briefe"

sich Bahn durch die „Geistes"gewohnheiten hindurch?).

dann

wenigstens

in der

Einkleidung

die

wenigen

gekommenen folgenden Paragraphen des Geistes

Und wenn

noch

zustande­

doch wieder in die

alten Bahnen und Ausdrücke zurückfallen, wenn sie wieder von sub­ stanziellen und formalen Momenten des Rechts reden, weitere Aus­ führungen gleichen Sinnes über die einzelnen Rechte der zweiten Periode

verheißen, so sind das doch jetzt für Jhering nur noch Rechenpfennige,

bequem für den Schulgebrauch verwendbare Zahlmarken, aber nicht, wirkliches Geld, ebenso wie Jhering dies ebendort6) als die einzige Be­ deutung scheinbar logischer Kategorien im Gebrauche der klassischen

Juristen nachwefft.

Inhaltlich

„was ist das Recht?";

aber

wird

die Frage

aufgeworfen,

und Jhering begnügt sich nun nicht mehr

mit der bisher allgemein üblichen Art ihrer Beantwortung für die „das ganze Privatrecht nichts" ist9) „als eine Arena für den Willen, sich darauf zu bewegen und zu üben" — sondern er stellt nun be­

reits

ab

auf die „Vorstellungsreihe:

Nutzen, Gut, Wert,

Genuß,

Interesse". — „Möge man immerhin das Recht in seiner Totalität als Macht bezeichnen — wenn man sich nur bewußt bleibt, daß die Macht nicht der Zweck des Rechts, sondern nur die Form ist, in der

das Recht seinen Zweck zu erreichen hat. — Das zweite Moment des

Rechts

ist

Interessen.

der

rechtliche Schutz. — Rechte sind rechtlich geschützte

Recht ist die rechtliche Sicherheit des Genusses."

III. Die neue Richtung. 4) Jherings Spätzeit.

813

Mit der bortäiifigen Anwendung dieser Sätze zur Erklärung und Beleuchtung einiger römischer Rechtsinstitute schließt Jherings Geist

des römischen Rechts.

Sachlich

bilden diese Sätze den Ausgangs­

punkt des Werkes, das den Geist abzulösen bestimmt war, des Buches über den „Zweck im Recht".

Jhering ist es müde geworden, unter

Rechenpfennigen und Zahlmarken seine rechtsphilosophischen Gedanken

zu verbergen,

er will nun,

da

er die Goldader angeschlagen hat,

vollwertiges Geld prägen und einführen.

schaft,"

„Denn die gereifte Wissen­

so hat er selbst in dieser letzten Geistesabteilung bemerkt10),

„muß die Kraft besitzen, sich des Neuen in seiner wahren, ureigenen

Gestalt zu bemächtigen, und soll daher jene Notbehelfe, mittels deren die Jurisprudenz der Kindheitszeit dieser Aufgabe auszuweichen wußte,

verschmähen."

Das bezieht sich freilich da, wo es bei Jhering steht,

nur auf einzelne römische Rechtsbedürfnisse und auf die Kunst der „juristischen Ökonomie", die diesen durch Fiktionen, Unterschiebungen oder dergleichen, kurz durch „Verrenkungen des vorhandenen Rechts"

genugzutun tung.

Es

weiß.

Es

hat

aber

gar viel weiter tragende Bedeu­

verlangt Klarheit und wissenschaftliche Ehrlichkeit durch­

weg, Ablegen jeder Maske, den Mut und die Kraft, neue Gedanken

des Rechts oder der Methode zu Ende zu denken und für sie den

geeigneten neuen Ausdruck unter Preisgabe des veralteten zu sinden und zu verwenden. Das sind die Ansprüche, die Jhering nunmehr an sich selbst

stellt.

Um ihnen gerecht zu werden,

bedurfte es

längerer Zeit und eines frischen Anlaufes.

selbstverständlich

Die zehn Jahre 1866

bis 1876 sind daher äußerlich wieder weniger produktiv, wenigstens

an großen neuen Werken.

Wir finden darin hauptsächlich außer den

Artikeln der dogm. Jahrbücher und ähnlichen kleineren Arbeiten neue

Auflagen des

„Geistes"

und der „Zivilrechtsfälle".

Diese letzteren

beweisen, daß Jherings didaktische Bemühungen um Einführung prak­ tischer Übungen neben den theoretischen Vorlesungen jetzt anfangen,

in weiteren Universitätskreisen gewürdigt und nachgeahmt zu werden. Demgemäß erschienen' 1870 zuerst auch die so geistreichen Ergänzungs­

fälle dazu, die „Jurisprudenz im täglichen Leben", die jedermann die

Fülle juristischer Probleme, die auf-Schritt und Tritt uns umgibt, vor Augen zu führen geeignet ist.

Außerdem füllt in diese Jahre

noch als vereinzelter rechtsphilosophischer Vorläufer das so rasch be­ rühmt gewordene Büchlein „Der Kampf ums Recht", das im Jahre

Neunzehntes Kapitel.

814 1872

schon

zwei Auflagen und darauf längere Zeit hindurch fast

alljährlich weitere 'gefunden hat. Dieser beispiellose Erfolg beruht im wesentlichen zunächst auf

schriftstellerischen Vorzügen, auf der Lebhaftigkeit und Eindringlichkeit

der Darstellllng. der Vollständigkeit der Entwicklung, der glänzenden Bildersprache,

der Verwertung

aller Art von

poetischen,

sozialen,

politischen, klassen- und volkspsychologischen Momenten zu Vergleichen

und Belegen. Selbst die Hinneigung des Wiener Charakters zu einer gewissen Indolenz und Gemütlichkeit, seine Scheu vor dem Vorwurfe mangelnder Großartigkeit in Fragen des Mein und Dein spielen da bei Jherings Aufforderung zum Kampf ums Recht eine pikante Neben­

rolle, besonders wenn man bedenkt, daß die Schrift aus einem Vor­ trage hervorgegangen ist, der in der Wiener juristischen Gesellschaft

zum Abschiede von Wien gehalten wurde.

Gewissermaßen den Wienern

selbst ins Gesicht sagt da Jhering, daß sie nicht wagen, als Dienst­

herrschaft die Gesindeordnung zur Anwendung zu bringen, als Gläubiger gegen ihre Schuldner vorzugehen, als Käufer auf genaues Gewicht

und auf der Taxe zu bestehen — und

daß sie dadurch das Leben

der Wenigen, die für ihr Recht cintreten, zum wahren Märtyrertum gestalten, das ganze Kreditsystem erschüttern und die Autorität des

Gesetzes gefährden. — Sachlich kommt die Neuheit, die Kraft und Allgemeinverständlichkeit des leitenden Gedankens hinzu, um den Erfolg begreiflich zu machen.

Daß das Recht zu seinen scharfen Eingriffen

in Eigentum und Leben nicht kommen kann, wie die Sprache dazu

kommt, cum mit dem Ablativ zu verbinden;

daß Jnteressenkümpfe

aller Art die Rechtsbildung begleiten und bestimmen, daß aber auch

jeder Einzelne zur Wahrung seines Rechts gegen schuldhaftes Unrecht

berufen ist, soll nicht das ganze Rechtslcben erlahmen und versagen: das sind Sätze, die, einmal ausgesprochen, bei der Atmosphäre der

70 er Jahre ebenso allgemein zündend einschlagen mußten, wie die von ihnen bekämpften Sätze der romantischen Rechtsentstehungslehre

im zweiten Jahrzehnt desselben Jahrhunderts.

Der Vergleich zwischen

dem Privatmann, der sich energielos um sein Eigentum bringen läßt,

und dem Staatswesen, das nicht wegen einer Quadratmeile Landes seine nationale Ehre im Kriege zu behaupten bereit wäre, mag hinken, es mag sich auch die Frage aufwerfen lassen,

ob

nicht in

beiden.

Füllen Entsagung, falls geübt nm der Rettung höherer Kulturgüter

willen, gerade umgekehrt zu dem, was Jhering vorträgt, wahrhaftigeren

in. Die neue Richtung.

4) Jherings Spätzeit.

815

Mut und strengere Charaktcrschulung beweist: unter den politischen

und nationalen Verhältnissen des Jahres 1872,

unmittelbar

nach

dem glorreichen Siege von Bismarcks Blut- und Eisenpolitik konnten derartige Bedenken

in

den

weiteren Kreisen,

an

die I Hering

sich

wendete, nicht wohl aufkommen. Es handelt sich also um eine Gelegenheitsschrift, vortrefflich, ja einzig in ihrer Art,

aber auch bereit,

von allen Privilegien einer

solchen vollen Gebrauch zu machen. Vor allem von dem der Ein­ seitigkeit, um nicht zu sagen der Übertreibung. Das Motiv des Kampfes wird so hoch gehalten, daß fast jeder, der einmal um des

lieben Friedens willen eine geringe Schädigung still geduldet hat, als ein elender Feigling, als ein Recht und Staat gefährdender Fahnen­ flüchtiger hingestellt wird.

Die Kunstgriffe der Dialektik werden dazu

gerne herangezogen, einschließlich sogar der von Jhering selbst ab­ getanen Hegelschen Willens- und Rechtssphüreschablonen, der Gleich­

stellung eines jeden Jnteressenkampfes mit dem Kampfe zwischen kon­ servativem Quietismus und Fortschritt.

Es wäre lächerlich, anzu­

nehmen, daß Jhering so verfahren wäre, ohne selbst genau zu wissen,

was er tat.

Seine persönliche Kampfesfreude hat ihn hingerissen; er

hat eine neue Idee wirksam in das moderne Rechts- und Staats­ leben hineinschleudern wollen, darauf kam es ihm hier an, und das

hat er hier erreicht, vorbehaltlich gründlicherer wissenschaftlicher Auf­

fassung und Selbstbeschränkung, zu der er alsbald zurückkehrt. Darum üßt

sich auch die Schrift nicht etwa mit Savignys

gleichen, wie das sonst wohl nahe läge.

„Beruf"

ver­

Nicht nm eine gründliche

Programm- und Systemverkündigung bei einer bestimmten Gelegen­

heit, wie dort, handelt es sich hier, sondern Jherings Kampf ums

Recht ist eine gewollte Einseitigkeit, absichtlich paradoxer Natur, um zugunsten des bisher vernachlässigten Gesichtspunktes zu wirken.

Um

Motive, die von dauernder Geltung sein sollten, handelt es sich nur

zu Anfang, wo des Verfassers tiefste Gedanken über das Recht als Zweckbegriff anklingen, und in einigen Einzelheiten besonders glück­

licher Art, z. B- bei der Rückführung der Geltung des Gewohnheits­ rechts auf die Macht der tatsächlichen Übung im Gegensatze zu Puchtas Überzeugnngstheorie, oder bei der Erörterung des Schadenersatzbeweises

gegen Ende;

darüber hinaus

vielleicht

noch

da,

wo soziale Zeit­

strömungen, soziales Empfinden als neue Herrschaftsmomente für den Geist auch der Jurisprudenz sich ankündigen.

Sonst ist die Schrift

Neunzehntes Kapitel.

816

mehr einer schmetternden Fanfare zu vergleichen, deren wesentliche

Aufgabe es ist, zu dem erst bevorstehenden Schauspiele einzuladen, unbeschadet der höchsten technischen und ästhetischen Vollendung dieses

kleinen Vorspieles als Kunstwerkes für sich betrachtet.

Das Hauptstück, das dadurch angekündigt wird, ist das hohe Lied vom Zweck.

Zuerst hat Jhering im Gegensatze zur Romantik

dann

den persönlichen, schöpferischen Willen entdeckt und eingeführt;

ist er von da zur Betätigung des Willens, zur energischen Tat, zum

Kampf ums Recht im objektiven und subjektiven Sinne vorgeschritten;

und endlich hat er für diesen Aufbau den positiven Boden gefunden im Zwecke, mag er nun kriegerisch oder friedlich verfolgt werden. Mit der Zweckmäßigkeit der Rechtseinrichtung steht und fällt sie. Um der

Zweckmäßigkeit willen

ist

sie zweckbewußt im Kampfe

der Zwecke

untereinander geschaffen, darum ist das Recht nicht aus mechanisch­

kausalen Vorgängen, aber auch nicht aus blind organischem Wachs­ tum zu verstehen, sondern bloß aus seinen Zwecken, als Mittel zu

deren Befriedigung.

Leben ist Behauptung der Existenz aus eigener

Kraft, praktische Zweckbeziehung der Außenwelt auf das eigene Da­ sein.

So erscheint das Rechtsleben als ein Teil dieses Lebens, das

Recht aber als lebendig nur, soweit es dem Zwecke dient.

Damit

wird zur Hauptaufgabe des Juristen, diesen „Zweck im Recht"

zu

erkennen und anzuerkennen; und zu dem Behufe wieder über den Zweck im allgemeinen,

über die psychologische Motivierbarkeit,

Triebkräfte und ihre Erzeugnisse sich klar zu werden.

ihre

Indem Jhering

in die Tiefe dieses Gedankenschachtes sich einwühlt und vor keiner

Schürfarbeit • zurückschreckt, ist er freilich in den umfassenden Auf­ schließungsarbeiten stecken geblieben, wiederum nicht zur Vollendung gediehen; aber er hat Werkstücke genug zutage so bezeichnender Eigenart,

daß dadurch

gefördert und von

der Weg gewiesen und in

großen Zügen festgelegt, ja auch schon zu einem guten Teile gang­ bar gemacht ist.

Ein

jeder

Rücksicht

selbstgewählte Form

auf Proportion

wieder

bares,

sprengendes Ungetüm,

selbstwillig

alle

so wirken rein

äußerlich und buchtechnisch betrachtet die beiden Bände vom „Zweck im Recht", die 1877 und 1884 erschienen sind. Die ersten sechs Kapitel

füllen 92 Seitenu) des ersten Bandes und steigen darin vom tierisch egoistischen Zweck zum sozialen Zwecke auf.

Dann folgt Kapitel 7,

S. 93—233, über den Lohn als Hebel der sozialen Bewegung; dann

III. Die neue Richtung.

4) Jherings Spätzeit.

817

gar Kapitel 8, S. 234—570, über den Zwang, mit den Tieren aber­

mals beginnend. Rechte und Rechtsverhältnisse erörternd und mit Beispielen aller Art ausgestattet. Und vollends der ganze zweite Band bildet nur ein Stück des neunten Kapitels, das über das Sittliche und über das Anständige handeln soll! Wenn die Vorreden eine solche Einteilung, als der strengen Gedankenentwicklnng folgend, recht­

fertigen, so kann das in keiner Weise befriedigen, da es weder sachlich einleuchtet, noch formal durchschlägt; wohl aber läßt es erkennen, welch gewaltiger Ernst es hier Jhering um sein Werk ist. Während er sonst wohl übersprudelnd und jäh vorstürmt, gelegentlich selbst vor bewußten Übertreibungen und Überraschungen nicht zurückscheut, um zu wirken, kurz mit dem Leser und mit der Sache etwas übermütig umzuspringen nicht verschmäht: hier stemmt er seine ganze Kraft an

zu streng wissenschaftlicher Bewältigung einer Aufgabe, die von ihm

selbst als übergewaltig empfunden wird. Das prägt sich auch im Stile aus, der hier seinen Spieltrieb, seine Neigung zu verhüllendem Schmuck und Rankenwerk aufgibt und philosophisch schlicht einher­ schreitet. Ferner darin, daß wenigstens der erste Band die etymolo­

gischen Ableitungen für reale Begriffe vermeidet, während allerdings der zweite hoffnungslos in die mißliche Überschätzung der Sprache als Erkenntnisquelle für abstrakte Begriffe zurückfällt, ein romantisches Erbstück, das Jhering als solches nie erkannt hat. Man wird sich demgemäß entschließen müssen, sich in dieses Werk Jherings zu ver­ tiefen, um ihm über die störenden Äußerlichkeiten hinweg wahrhaft

gerecht zu werden. Dann ergibt sich doch wohl auch für den zweiten, zweifellos schwächeren Band, daß, um das Recht dem Zweckbegriffe unterzuordnen, eine Unterordnung auch von Moral und Sitte unter denselben Begriff mindestens dringend wünschenswert, und dann eine neue Grenzregelung auf der neu gewonnenen gemeinsamen Grundlage sogar unerläßlich war. Man wird bezweifeln dürfen, ob es dazu einer so eingehenden Behandlung von Sitte und Moral bedurfte, ob Jhering deren Er­ klärung ans der Zweckmäßigkeit hervor nicht hätte nach einigen orien­ tierend grundlegenden Andeutungen den Ethikern überweisen dürfen, um sich dem Gebiete stärker zu widmen, auf dem er so viel mehr Sachverständiger war. Aber man muß auch bedenken, daß die Ethik

damals^) noch weit mehr als heute unter dem Banne absoluter, nativistischer Begriffe stand, denen die Moral als ein für allemal unverSunbäberg, Geschichte der deutschen Rechtswiffenschast. II. Text.

52

818

Neunzehntes Kapitel.

ünderlich Gegebenes gilt, und daß es darum Jhering wesentlich er­ scheinen mochte, auch hier Parallel-Jdeen geschichtlich-gesellschaftlicher Art zur Sicherung seiner rechtlichen Stellung nicht nur anzuregen, sondern nachdrücklich und gewichtig vorzutragen. Daß er dann sich nicht leicht genug darin tot13), daß es ihm namentlich der wieder ein­ mal von ihm zwischen Ethik und Recht in die Mitte gestellte Begriff

der Sitte antat, ist von der elementaren Forschungsgewalt seiiies Geistes unabtrennbar und hat sich doch wohl auch juristisch in vielen

Beziehungen als fruchtbar erwiesen"). Trotzdem mag man ja manche Einzelheiten, die sich von der Lehre des Anständigen bis zur Erörte­ rung der Mode verbreiten, hier übertrieben breit behandelt finden, und es bedauern, daß das Werk gerade in dieser breitspurigen Schwer­

fälligkeit zu Ende gehen mußte. Wie dem aber auch sein mag, der Nachdruck fällt doch natürlich für uns auf die fiüheren, strenger juri­ stischen Abschnitte, int ersten Bande. Obschon Jhering sich als Gegner Kants gelegentlich bezeichnet13), benutzt er zu seinem rechtsphilosophischen Aufbau die Entgegensetzung von Natur und Menschen, von Ursache und Zweck, von Egoismus

und Selbstverleugnung (Schenkung) oder Selbstlosigkeit (liberale Ge­ schäfte anderer Art). Übrigens schwankt er zwischen der alten opti­

mistischen Annahme prästabilierter Harmonie von Lustgefühl und Zweckmäßigkeit einerseits, und neueren Theorien andererseits, bei denen Darwin sowohl wie Bentham13) stark verwertet sind. Auch mangelt es neben dem erklärten Determinismus nicht an indeterministischen Wendungen, die mit unterlaufen. Indessen auch auf diese Dinge kömmt es uns weniger an, als auf das Ergebnis und auf dessen Brauchbarkeit. Dies Ergebnis ist, daß die Rechtsordnung da ist, um, weniger durch Lohn als durch Zwang, das Interesse des Einzelnen mit allen fremden Interessen wirksam zu verknüpfen, und daß auf dieser Verknüpfung die Ordnung allen Rechts, einschließlich des Völker­ rechts beruht, so daß daraus die Sicherung aller sozialen Güter her­ vorgeht. So werden Staat und Recht im Gange der geschichtlichen Kulturentwicklung nottvendig hervorgetrieben, genau wie Sittlichkeit

und Sitte, nicht aus einer instinktiv natürlichen Anlage des Menschen,

auch nicht durch die logische Triebkraft des Begriffes, sondern durch die praktische Triebkraft des Zweckes. Nicht die Norm gelangt durch die ethische Überzeugung von ihrer Hoheit und Majestät zur Gewalt,

sondern die Gewalt setzt sich selbst in wohlverstandener Zweckmäßigkeit

III. Die neue Richtung.

4) Jherings Spätzeit.

Die Gewalt kann zur Not

Normen.

819

und vorübergehend ohne das

Recht bestehen, aber Recht ohne Gewalt ist „ein leerer Namen ohne Der Rechtlichkeitssinn wird der Menschheit nur dadurch

Realität".

anerzogen, daß die Gewalt den Sonderwillen mit eiserner Faust bricht

und den Menschen an Zucht und Gehorsam gewöhnt. Darum gehen aber auch die sozialen Zwecke den individuellen vor, und alles Indi­

vidualrecht reicht nur so weit, wie ihm nicht stärkere gemeinschaftliche

Interessen

überordnen und

sich

vorsetzen.

Solche Einschränkungen

der Individualrechte sind nicht anormale Rechtsverletzungen, sondern logische Rechtsausübungsfälle; in diesen letzten Wendungen wird man

die sozialen Töne, vielleicht unter Anklang an Lassalle, ohne Schwierig­ keit besonders heraushören. Die Brauchbarkeit dieser Ergebnisse

die

für

soziale Realjuris-

prudenz des 20. Jahrhunderts ist einleuchtend: diese beruht ja geradezu

ausschließlich auf jener Auffassung.

politisch

und modern zweckgemäß

Eine Rechtswissenschaft, die real­

den Bedürfnissen des Lebens, des

Verkehrs, des Staates, der Sozialität unbedingt sich unterordnet, wäre

kaum denkbar ohne diese Jheringsche Zweckauffassung. Sicherlich wäre

man ja

ohne Jherings Vorgang

auch

und Formulierung zu einer

ähnlichen Anschauung durch den Druck der Verhältnisse auf irgend­

welchem

anderen Wege gelangt,

Art, die das

neue Staats-

die gewaltigen Aufgaben praktischer

und Verkehrslebcn dem Rechte und der

Gesetzgebung stellen, würden schon dafür gesorgt haben: aber der Riß

zwischen Praxis und Theorie

hätte sich dabei

noch

verbreitert,

die

Unstimmigkeit zwischen Rechtsleben und Rechtsverständnis wäre immer

schlimmer

und

verderblicher

geworden,

auch

Praktikern würde die Lösung jener Aufgaben gefallen sein,

unseren

wohl

juristischen

weit schwieriger

wenn nicht durch Jhering für die wissenschaftliche Ein­

sicht in diese neuen Lebensprozesse vorgesorgt gewesen wäre.

Diese Vorsorge hat darin bestanden, daß einerseits Jhering in

bewußtem Zusammenwirken mit Merkel^) die Rechtsphilosophie rein auf das geltende positive Recht und auf dessen Erklärung in Art einer allgemeinen Rechtslehre, obschon zunächst nur in dem engen Rahmen

eines

ausschließlich

utilitaristisch

begründeten Systems

(sog. sozialer

Utilitarismus), hingewiesen hat, während er andererseits der positiven Rechtswissenschaft als

einer Zweckbefriedigungswissenschaft eine ganz

neue Aufgabe vorschreibt. Diese besteht nicht mehr darin, aus einigen

oberen, gesetzlich

oder gewohnheitsrechtlich

gegebenen Sätzen 52»

logisch

820

Neunzehntes Kapitel.

folgerichtig die Untersätze zu erschließen; auch nicht mehr darin, logisch übersichtlich und ästhetisch befriedigend aus Ober- und Untersätzen eine Monographie oder ein ganzes Rechtssystem aufzuführen; sondern darin,

die Bedürfnisse des praktischen Rechtslebens zu erkennen und zu deren Befriedigung möglichst das gegebene Recht zu benutzen, zugleich aber

auch die Gesetzgebung vorzubereiten.

Konstruktion und Systematik

sind nur noch berechtigt als Diener dieser neuen Aufgabe, sie erscheinen nunmehr als verderblich, soweit sie selbständige Bedeutung in Anspruch nehmen. Selbstverständlich hatte auch bisher gelegentlich die Wissen­ schaft doktrinäre Ergebnisse auf ihre Brauchbarkeit geprüft, Wünsche de lege ferenda bei solchem Anlasse ausgesprochen: nun aber wird die Brauchbarkeit der einzige Maßstab des Ergebnisses, die Aufstellung

einer logischen oder technischen Unmöglichkeit ein Unding gegenüber der Macht des Bedürfnisses und des Gesetzes. Aufgabe der wissen­ schaftlichen Erklärung ist es nunmehr, nicht durch Fiktionen und Ver­

renkungen, sondern durch den Zusammenhang zwischen Zweck und Mittel neue Erscheinungen des Rechtslebens dem bisherigen Rechts­ gedanken offen und sachgemäß einzuordnen; und die Aufgabe derwissenschaftlichen Forschung wird es, auf allen Wegen, geschichtlich

und rechtsvergleichend, exegetisch und systematisch, namentlich aber kasuistisch an der Hand erdachter oder erlebter praktischer Fälle und ihrer Entscheidung, der Judikatur und Gesetzgebung möglichst unmittel­ bar vorzuarbeiten. Der Beruf des Juristen ist nicht mehr zu ver­ gleichen dem des Mathematikers, der nur richtig zu rechnen braucht,

sondern dem des Erziehers, „dem eine Macht anvertraut ist, damit er sie zweckentsprechend praktisch verwende"18). Aus den abstrakten Regionen der Savignyschen Wissenschaftlichkeit, die in sich selbst durch Betätigung des reinen Erkenntnistriebes befriedigt ruht, aus der Puchtaschen Logik und aus der Hegelschen Dialektik hat damit IHering die Jurisprudenz, selbst soweit es sich um ihre höchsten Leistungen handelt, zurückgerufen — aus dem Begriffshimmel, wie er es selbst alsbald heißen sollte^) — auf die Erde, zu ihren Schwestern, der Kunst der Rechtsanwendung und der Kunst der Gesetzgebung, freilich

auf die Gefahr hin, sie diesen unterzuordnen nnd ihr die Flügel stärker als mit ihrer Flugkraft vereinbar zu stutzen, wenn nicht gar dauernd zu knicken. Wie durch die Zeitläufte diese Gefahr übermäßig verstärkt werden sollte, konnte aber offenbar Jhering unmöglich vorhersehen. Ihm, dessen erste Bildung sich noch ganz in einer Periode einseitiger

III. Die neue Richtung.

821

4) Jherings Spätzeit.

Idealität vollzogen hatte, sprudelt innerlich ein so reicher nnd heißer

Quell von reinstem Idealismus — treffend sagt Merkel, er sei bei theoretischen Utilitarismus praktischer Idealist geblieben20) —

allem

daß dieser Quell immer wieder belebend und erwärmend die Eiskruste des Utilitarismus durchbricht2^.

Ihm erscheint darum auch ein ge­

wisses unentbehrliches Maß

von Idealismus

nnd eben deshalb steht ihm

immer nur

als

jenes

selbstverständlich,

fehlführende Irrlicht

des übertriebenen Jdeologismus als einziges Bekämpfungsobjekt vor Augen. In seinen zwei letzten Büchern ist er von dem objektiv zurück­

haltenden Stile und von

der philosophischen Betrachtung zu seiner

juristisch individuellen Art zurückgekehrt: wendung

Zweckmäßigkeitslehre

der

Zur Satire und zur An­

auf den

Einzelfall des Besitzes.

Zwischen dem „Zweck im Recht" und diesen letzten größeren Werken

Jherings liegt, außer einigen schon genannten Aufsätzen der dogmatischen Jahrbücher von gewohnter Art und Bedeutung, noch die popu­

läre Studie

über

das Trinkgeld von 188222),

die nicht juristischer,

sondern lediglich sozial-ethischer Art ist, übrigens trotz allen Reizes

der geistreichen,

lebensprühenden und ins

volle Leben gedankenreich

hineingreifenden Darstellung einen letzten Erdenrest

von professoral­

pedantischem Doktrinarismus nicht ganz verleugnen kann.

Am rich­

tigsten und erfolgreichsten ist darin wohl der Gedanke gewesen,

daß

die Gewohnheit, Trinkgelder entgegenzunehmen, den Empfänger selbst herabwürdigt.

Die Satire legte Jhering 1884 unter dem Titel

„Scherz uud

Ernst in der Jurisprudenz", als „Weihnachtsgabe" in die Hände des juristischen Publikums.

Sie besteht aus drei Stücken: der Sammlung

vertraulicher Briefe, die anonym 1861—1866 erschienen waren ; den „Plaudereien eines Romanisten", das sind Bilder aus der römischen

Rechtsgeschichte, die zuerst in den „Wiener Juristischen Blättern" 1880

gedruckt waren mit Ausnahme des letzten, hier neu zugefügten Bildes unter dem Titel „Eine zivilprozessualische Attrappe", dieses ganze Mittel­ stück von geringerer Virulenz; und endlich, neu für dieses Buch geschrieben,

dem Abschnitte über den „Juristischen Begriffshimmel" mit reichlichen Anmerkungen

und mit dem zum „Ernst"

„Wieder auf Erden.

hinüberführenden Schluß:

Wie soll es besser werden?" — War es schon

eine bedenkliche Leistung, jene alten vertraulichen Briefe jetzt zusammen und unverändert wieder zu veröffentlichen, so ist erst recht der letzte

822

Neunzehntes Kapitel.

Abschnitt ein Wagnis an der Grenze des Skandalösen, um so mehr, als es sich nun nicht mehr um den kecken Übermut des Jünglings

handelt, noch um den seine Selbstbefreiungstat begleitenden grimmigen Humor des Mannes, sondern um eine alterszähe Bosheit, der wieder

Puchta als Angriffsobjekt dienen muß. für den seinerzeit

juristischen Begriffshimmel

nur

mit

Er ist es, der sich als Erster

in den Savigny

gemeldet hat,

großer Schwierigkeit ausgenommen

Wächter und selbst Arndts aus ihm verwiesen sind.

ist, während

In diesem Be­

griffshimmel finden sich die berühmten Instrumente, die Begriffshaar­

spaltemaschine, die Kletterstange für schwierige juristische Probleme, der

Fiktions- und der Konstruktionsapparat uff.; in ihm gehen die Begriffe umher, blasse blutlose Schemen in völliger Dunkelheit, getrennt von jeder

Berührung

mit

dem Lichte und der Frische

des praktischen Lebens.

Da heißt es von den Insassen, der Türen bedürften sie nicht, denn

sie seien gewohnt, mit dem Kopfe

durch die Wand zu rennen;

sie

dürften vor allem nie nach der praktischen Bedeutung einer juristischen Einrichtung fragen,

da

das eine Sünde am reinen Begriffe wäre;

und was dergleichen ebenso einseitiger wie billiger, aber auf das brei­

tere

Publikum

artigen Dingen

wirksamer Witzeleien

bei

einem Manne

mehr

sind.

Man möchte der­

wie Jhering wahrlich lieber aus

dem Wege weichen, einschließlich der lahmen, gegen Schluß vorge­

brachten Entschuldigungen, daß er selbst lange Zeit hindurch Sklave der Irrlehre gewesen sei, gegen die er mit solchen Waffen nun vor­ gehe.

Aber all dies ist

denn doch

für die

ganze ungeduldig

über­

schäumende, rücksichtslos draufgängerische Persönlichkeit Jherings zu

bezeichnend, als daß man darüber glattj Hinweggleiten dürfte. Gewiß handelt es sich um seine ernste und heilige Überzeugung, wenn er ausruft: „Es soll und muß anders werden mit unserer romanistischen

Theorie.

In der bisherigen Weise kann es nicht so weitergehen" —

aber es ist doch mindestens fraglich, ob, um dies Ziel zu erreichen,

es solcher satyrischer Ausfälle und Pamphlete bedurft hätte, die freilich

momentan durchschlagen,

aber in den Augen der Menge doch nur

die ganze Jurisprudenz unterschiedslos herabwürdigen, während sie

bei kühleren nnd wissenschaftlich gestimmten Gemütern einen gewissen Widerwillen

gegen

die

neue Lehre

und

ihren Propheten

erwecken

mußten. Wenigstens wird man Jhering nicht vorwerfen können, daß er

mit

dem Alter milder

oder

schwächer

geworden

wäre,

oder vor

4) Jherings Spätzeit.

III. Die neue Richtung. irgendeiner

gelernt

Folgerung zurückzuscheuen

hätte.

823

Was Puchta

recht ist, das ist Paulus billig — so könnte man als Motto setzen vor sein Werk von 1889,

unter dem

das

Titel

des Besitzwillens

Wie Jhering schon 1868 in

gegen den Besitzwillen geschrieben ist.

seinen Beiträgen zur Lehre vom Besitz ausgeführt hatte, wie er seit­

dem zu wiederholen nicht müde geworden ist, sieht er nur dann den Besitzesschutz als zweckmäßig begründet an, wenn er der Wahrschein­ vermutenden Eigentums zugute kommt.

lichkeit des beim Besitzer zu

Ec führt deshalb den Besitzerwerb auf den äußeren eigentumsähnlichen

Zustand, die Fälle des sog. abgeleiteten Besitzes auf Fülle wirtschaft­

licher Selbständigkeit des Fremdbesitzers, die anderen ungeschützten Fälle

des Fremdbesitzes geschichtlich auf solche Lagen zurück, in denen nach römischer wirtschaftlicher

oder

sozialer Auffassung der Fremdbesitzer Nun leugnet er aber deshalb

abhängig vom Eigenbesitzer dastand.

nicht

bloß für

praktische Wünschbarkeit des

das moderne Recht die

animos domini, sondern weitergehend sogar überhaupt, auch für das

römische Recht die dogmatische Bedeutung eines jeden animos possi dendi;

wie er denn

daß der schutzsuchende Besitzer

das Verlangen,

schon in dem

vierten der

vertraulichen Briefe als undurchführbar verspottet hatte.

In alledem

einen solchen animos nachweisen

müsse,

ist bekanntlich Jhering unser bürgerliches Gesetzbuch wesentlich gefolgt;

für das

römische Recht

schroff entgegen.

aber stand

ihm

die Autorität

des Paulus

Da tut denn Jhering den letzten Schritt gegen alle

bisherige Behandlungsweise des römischen Rechts; er proklamiert ein­ fach den Unterschied zwischen den positiven Rechtssätzen, die uns als solche von römischen Juristen bezeugt werden, nnd Konstruktionsver­

suchen, die von römischen Juristen ausgehen; letztere, auch soweit sie in die Pandekten ausgenommen sind, haben heutzutage für uns keiner­

lei bindende Bedeutung mehr,

sobald wir sehen,

daß sie

dem nicht

voll entsprechen, was zur Zeit ihres Verfassers lebendiges Recht war, daß sie vielmehr zu Zwecken der Logik oder der Ästhetik oder auch einfach aus Verallgemeinerungsneigung dem geltenden Recht Gewalt antun.

Paulus aber wird uns als

„wüster Fanatiker im Konstru­

ieren" unter den alten Klassikern vorgeführt, dem deshalb solche Ver­ gewaltigungen wohl zuzutrauen sind, „bei denen man fragen möchte,

ob er noch recht bei Sinnen gewesen ist"23).

rität des Paulus gründlich beseitigt ist,

aufgeführt,

das

allerdings

in

seinen

Nachdem so die.Auto­

wird dann ein Besitzgebäude

Neuerungen auf

gründlichen

824

Neunzehntes Kapitel.

praktischen Erwägungen beruht, und auch in seinen geschichtlichen Ein­ zelheiten wieder von Jherings glücklicher heuristischer Phantasie, d. i.

von seiner Gabe, hervor

das für

aus der Auffassung

und dem Stil älterer Zeiten

diese Zutreffende herauszufindenM),

die glänzendste

Probe ablegt.

So tritt das Jahrhundertende dem Jahrhundertbeginn, Jherings Besitzwille dem Besitze Savignys schroff antagonistisch entgegen und das ganze Jahrhundert von dem

doch parallel zur Seite, wie denn

Besitzstreit romanistisch, von dem Streite um die Gewere germanistisch

Daß dabei die Zeit der Realpolitik, der materiali­

durchzogen wird.

stischen Welt- und Geschichtsauffassung, des ökonomischen Großbetriebs

und Aufschwunges

den »animos«

leugnet,

auf

den die Zeit

der

Romantik und spekulativen Philosophie aufgebaut hatte, ist von fast

symbolischer Bedeutung.

Darin wird denn aber auch der Historiker

der deutschen Rechtswissenschaft seinen Trost suchen müssen gegen die

Verzweiflung, die ihn sonst anwandeln könnte, Wenn er sieht, daß am

Ende dieses glorreichen historischen Jahrhunderts die historisch-romanistische Wissenschaft sich von dem genialsten Sprößling der historischen Schule eine Sündenliste vorhalten lassen muß, wie die zu Ende des Besitzwillens25)

Nicht nur Vorwürfe werden da

zusammengestellte.

vorgebracht, wie man sie erwarten konnte, nämlich von feiten der legis­

lativ-politischen und zweckmäßigen Anschauung her, sondern auch die, daß die Sprache mißhandelt sei

wie der

gesunde Menschenverstand,

daß fehlerhafte Schlüsse eine Opportunitätslogik trieben, die mit sich selbst in Widerspruch gerate und über entgegenstehende Quellenzeug­

nisse

einfach wegsehe;

ja schließlich sogar

der Vorwurf „gänzlicher

Vernachlässigung der geschichtlichen Seite der Frage". Um dies als maßlose Übertreibung darzustellen, wird man doch wohl von Jhering

dem Polemiker auf Jhering den Rechts- und Sozialphilosophen zurück­ verweisen dürfen und auf dessen so überzeugenden Ausspruchs), daß

gewaltige Umwälzungen der realen Welt eine Verschiebung aller Wert­

urteile auch über ethische, Fragen und Begriffe

denn

auch

also

erst recht auch über

unvermeidlich

die Leistung

der

mit

Hugoschen

sich führen.

wissenschaftliche So .erscheint

empirisch-historischen,

der

Savignyschen romantisch-historischen und der Puchtaschen konstruktiv­

historischen Schulrichtung als eine

Rahmen ihrer Zeit betrachtet,

ganz

andere,

wenn man sie im

als wenn man sie im Verhältnisse zu

den ökonomischen und legislativen Bedürfnissen Deutschlands am Jahr-

III. Die neue Richtung. Hundertende ins Auge faßt.

5) Gerbers Spätzeit.

Schließlich

aber

825

bestätigt jeder solche

Wechsel der Anschauungen doch nur die wissenschaftliche Unerschöpf­ lichkeit der fortschreitenden Entwicklung.

haben Jherings posthume Schriften „Entwicklungs­

dieser

Zu

geschichte des römischen Rechts" und „Vorgeschichte der Jndoeuropäer",

aus

beide 1894 mehr

kaum

seinen

wesentlich

hinterlassenen Papieren veröffentlicht, wohl

Sie

beigetragen.

bestätigen

noch

höchstens

einmal, in wie weitgehendem Maße Jhering nicht bloß Dogmatiker war,

sondern

auch

Historiker,

sogar

bestrebt,

zu

der

Erfassung

des Rechts unserer Vorzeit bis auf prähistorische Schichten zurück­ zugehen.

Erfolgreicher

demselben

Zusammenhänge

begegnen;

es

innerhalb

der

ist

aber

jüngeren

werden

bei

immerhin

wir

denselben

Burkhard

bemerkenswert,

historischen

Bemühungen

Wilhelm

Richtung

daß

in

wieder­

Leist

dieser damit

keineswegs

vereinzelt

dasteht.

5. Zweimalhat Jhering der deutschen Zivilistik Gesetze diktiert, zweimal die deutschen Juristen zur Einheit verbunden: Das erstemal, als

die

historisch idealistische Geisteswelt noch in der Fülle

ihrer

Macht stand, zur Einheit der Konstruktion unter Berücksichtigung des

praktischen Lebensbedürfnisses; das andere Mal, nachdem jene Geistes­ welt bereits untergegangen war, zur Einheit realutilitaristischer Rechts­

und Staatsauffassung unter Anwendung der kasuistischen Methode. Ist er mit dieser seiner zweiten Lehre, mit der er vereinzelt dastand, auch nur viel langsamer durchgedrungen als mit der ersten, bei der

er bloß als Bannerträger einer glänzenden Schar Gleichgesinnter zu

wirken brauchte, so ist schließlich doch beide Male der Erfolg ihm

treu geblieben, da er beide Male im Geiste der Zeit tätig war, das

eine Mal im Geiste der Gegenwart, das andere Mal im Geiste der unmittelbar folgenden Zukunft. — Unsere Geschichte aber, die sich

von dem ungestümen Reiz seiner Persönlichkeit zu dieser Grenzüber­ schreitung hat hinreißen lassen, muß nunmehr zu der Entwicklungs­

stufe der 50 er Jahre zurückkehren, um dort zunächst die Darstellung von Gerbers Tätigkeit da wieder aufzunehmen, wo sie methodologisch

und sachlich von Jhering abzweigtla).

Methodologisch, indem sie auf

dem alten gemeinsamen Standpunkte, von dem aus Jhering weiter­ geht, stehen bleibt; sachlich, indem sie sich das Verdienst erwirbt, diese

Methode auf ein neues Stoffgebiet zu übertragen, für das sie einen

wesentlichen Fortschritt bedeutet, nämlich auf das Staatsrecht.

826

Neunzehntes Kapitel.

Wie schon oben von uns und wie schon von Gerber selbst be­ tont, steht er dabei durchaus auf der Grundlage, die Albrecht ge­ legentlich einer Rezension gegen Maurenbrecher durch kurze Äußerungen

gelegt hatte.

Dieser Zusammenhang ist denn auch deutlich

wahr-

nehmbar, sowohl in historischer wie in politischer Hinsicht: historisch, indem Gerber als die einzig richtige Art geschichtlicher Behandlung

hier die Diskontinuität und ihre Betonung fordert, da zwischen nlittelalterlichem Patrimonialstaat und modernem Souveränitätsstaat eine unüberbrückbare Kluft gähne, die man anerkennen müsse, statt sie künstlich zu romantisch-reaktionären Zwecken zu verbergen; und ebenso politisch, indem jede einfache Übertragung privatrechtlicher Sätze ins Staatsrecht aufs schärfste abgelehnt und statt dessen das

öffentlichrechtliche Moment als das überall und ausschließlich ent­ scheidende hingestellt wird. Der Gegensatz gegen Maurenbrechers eigentumsrechtliche Grundsätze, von dem Albrecht ausgegangen war, macht sich in alledem noch genau fühlbar. In dieser Richtung ist Gerber sogar zunächst so weit gegangen, daß er die von Albrecht selbst und von Schmitthenner^) aufgestellte, sonst für Gerbers Kon­ struktion trefflich passende, ja ihr eigentlich zugrunde liegende zentrale Auffassung des modernen Staates als einheitlicher Staatspersönlich­ keit zuerst wenigstens dem Ausdrucke nach abgelehnt hat, aus dem

uns kaum mehr verständlichen sprachlichen Gefühle hervor, daß man damit zu dem rein privatrechtlichen Begriffe der „Juristischen Person" zurückkomme. Offenbar war damals der Sprachgebrauch noch ein so ausschließlich zivilistischer, daß Gerber diese Empfindung nicht zu überwinden vermochte; jede juristische Persönlichkeit erschien ihm da­ mals noch als privatrechtliche, als juristische Person im Sinne des Privatrechts; als dann später das öffentliche Rechtsleben den Aus­

druck Persönlichkeit im weiteren Sinne auch für die Rechtssprache übernommen hatte, und zwar nicht zum geringsten Teile durch die

eifrige und einsichtige Weise, in der Joseph §elb3) in seinem um­ fassenden „System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten Deutschlands" (1856 und 1857) für die publizistische Verwendung des Persönlichkeitsbegriffes eingetreten war, da ist denn auch Gerber unbedenklich darauf eingegangen und hat damit eigentlich erst für seine Theorie die klare Formulierung gefunden, statt der Umschreibung als „sittlicher Organismus", deren er sich bis dahin notgedrungen bedient. Hat er doch diesen Organismus zweifellos von vornherein

III. Die neue Richtung.

5) Gerbers Spätzeit.

827

so verstanden, daß „darin die Idee der Persönlichkeit notwendig ent­

halten, daß die Gemeinschaft der Menschen im Staate eine Personi­ fizierung dieser Gemeinschaft ist"4). der Sache macht

diese

Einen wesentlichen Unterschied in

verschiedene Ausdrucksweise also nicht aus;

ganz verkehrt ist es deshalb, wenn man wohl bei Gerber zwei von

Grund aus verschiedene Staatstheorien hat finden wollen, ja nach­

dem er sich früher gegen oder später für die Bestimmung des Staates als Persönlichkeit erklärt.

Gemeint ist letzteres von vornherein, nur

eben in entschieden publizistischem Sinne, der es ablehnt, den Staat als

lediglich

privatrechtliches Individuum

hinzustellen.

In diesem

Sinne hat denn auch, als Gerber den Ausdruck „Persönlichkeit" an­

nahm, gleichzeitig (1865) Lorenz v. Stein im ersten Bande seiner Verwaltungslehre den Ausdruck und Begriff der Staatspersönlichkeit

grundlegend verwertet;

abgekürzte Ausdruck

und so ist dieses Wort gewissermassen der

der gesamten neueren publizistischen Staatsauf­

fassung und Staatswissenschaft geworden, mit ihr geboren und zur

Herrschaft gelangt, wie es für sie kennzeichnend geblieben ist. Um nun für den heutigen Staatsorganismus selbständige, dem Privatrecht nicht entlehnte, dennoch aber „spezifisch-juristische Begriffe"

zu finden

und

um

damit über das lediglich Beschreibende wegzu­

kommen, worin bis dahin stecken geblieben zu sein Gerber dem posi­

tiven Staatsrechte mehr noch als dem

deutschen Privatrechte und

wohl auch mit mehr Recht vorwirft, hat er sich zunächst entschlossen,

die juristische Natur des Staates im ganzen dahingestellt zu lassen; und einen sicheren Annäherungsweg dadurch zu gewinnen, daß er zu­ nächst bloß

die

„hervortretendsten"

juristischen

Erscheinungen

des

Staatswesens, behufs lediglich doktrinär-rechtswiffenschaftlicher, d. h.

keine positive Gültigkeit beanspruchender^) Erklärung ins Auge faßt. So entstand seine Abhandlung „Über öffentliche Rechte", die Tübingen

1852 erschienen ist. Die Abhandlung ist bemüht, darzutun, was für den heutigen

Staat an Stelle jener „Summe historisch hergebrachter Hoheitsrechte mit älißerer privatrechtlicher Beglaubigung" getreten ist, aus denen sich früher die Staatsgewalt zusammensetzte

und

worin das Herr­

schaftsrecht des Staatsoberhauptes nur als das gewöhnliche Privat­ recht eines Individuums auftrat.

Demgegenüber handelt es sich jetzt

um moderne Berfaffungsstaaten, auf deren Boden man sich entschieden

stellen muß, wenn man nicht in die Luft bauen will. Und zwar wird

828

Neunzehntes Kapitel.

man bei der Unfertigkeit und Mannigfaltigkeit dieser für Deutschland

eben erst einsetzenden Staatsgestaltung dabei nicht umhin können, „sich nach dem Muster derjenigen Verfassungen zu richten, deren leitende Gedanken sich in der öffentlichen Meinung die Bedeutung der besten erworben haben"6). Welches ist nun die Natur der durch solche Ver­ fassungen dem Oberhaupte, den Beamten, den Parlamenten, den ein­

zelnen Bürgern verliehenen subjektiven Rechte im Gegensatze zu den

subjektiven Privatrechten, die man bisher allein als solche subjektive Rechte konstriliert hat? Und wie steht es demgemäß weiter um die Möglichkeit prozessual-gerichtlichen Schutzes solcher Rechte? Und schließ­ lich, wie weit ist das objektive Staatsrecht auf solche öffentlichrechtliche Jndividualbefugnisse reduzierbar, wieweit (z. B. Preßfreiheit, Religions­ freiheit) nicht in diesen Rahmen einzuordnen? Das ist die in jeder

Richtung förderliche und für die Zukunft bedeutsame Fragestellung, mit der Gerber an das Staatsrecht herangetreten ist. Diese Art der Fragestellung ist wichtiger als die Beantwortung, die behufs dog­ matischer Analogiebildung sich doch wieder privatrechtlicher Anlehnung nicht ganz entschlagen kann, von da aber zur Verschiedenheit zurückzu­ kommen eifrig bestrebt ist. So z. B. schon von vornherein bo7), wo Gerber bemerkt, daß das öffentliche Recht nicht wie das Privatrecht in

die Willenssphäre des Einzelnen zu dessen unbedingter Verfügung hingegeben fei8), sondern dem Berechtigten nur „in seiner Verbindung mit der Gesamtheit" ein Verfügungsrecht einräume. Wenn er sich nun da schon selbst den Einwand macht, daß es doch einzelne staats­ rechtliche Befugnisse, gebe, die einen Verzicht auf ihre Ausübung zu­ lassen, z. B. das politische Wahlrecht, so ist doch wohl dadurch der springende Punkt der Schwierigkeit in Richtung gebender Weise ge­ troffen. Und zwar nicht nur für das Staatsrecht im engeren Sinne, für das da jeder an Jellineks System der subjektiven öffentlichen Rechte denken wird, sondern für das öffentliche Recht überhaupt. Ist

es doch seitdem, wennschon erst tviederum viel später, auf demselben Wege auch für den Prozeß erstrebt worden, ihm durch die Einführung eines aktionenrechtlichen Hilfsbegriffes eine festere „spezifisch-juristische" Begriffsausstattung und Konstruktion zu beschaffen! der „öffentliche Rechtsschutzanspruch" ist nur ein Anwendungsfall der von Gerber aus dem Privatrecht in das Staatsrecht herübergeholten konstruktiven Methode, die die unbehilfliche objektive Rechtsinstitution in subjektive Befugnisse auflöst, um sie juristisch zu ergreifen und zu beherrschen.

III. Die neue Richtung.

5) Gerbers Spätzeit.

829

Seitdem kennt das Staatsrecht analog der von Gerber und Jtzering gehandhabten privatrechtlich-konstruktiven Methode zwei Behandlungs­ stufen ober, wie Jhering es später selbstverspottend genannt hat,

Stockwerke, ein niederes und ein höheres. Auf jenem wird der Stoff gesammelt, bei dem es sich int Privatrecht um die Antriebe des indi­ viduellen Lebens handelt, im Staatsrecht aber um Angelegenheiten von vorzugsweise politischer und historischer Natur, um den ganzen Entwicklungsgang der Volks- und Staatskräfte. Wer nicht höher steigen kann, mag sich bei solcher lediglich deskriptiven Tätigkeit be­ scheiden. Auf der höheren Stufe aber ist die Anfgabe die, das so gewonnene „faktische" oder „naturale" Elements zu bestimmten Rechts­ sätzen zu verarbeiten, die sich zu einem System logisch und ästhetisch befriedigend zusammenfügen. Aus der Gesamtgestaltung dieses Systems meint man dann wieder deduktiv, wie Puchta es gelehrt hatte, die Regeln für gesetzlich oder verfassungsmäßig nicht vorgesehene Einzel­ fälle erschließen zu können. Um das Muster eines solchen Schlusses handelt es sich, zugleich aber auch um einen Musterfall für Gerbers geschichtliches Verständnis

in seiner Abhandlung von 186510), in der die Frage verneint wird, ob die Teilung eines deutschen Staatsgebietes rechtlich gefordert werden könne, damit eine Mehrheit gleichmäßig zur Thronfolge Berechtigter beim Eintritte ihres Sukzessionsfalles bestiedigt werde? Wenigstens wird diese Frage verneint für alle deutschen Staaten, die wirklich die­ jenige Stufe geschichtlich politischer Entwicklung erreicht habens, „auf welcher die politische Einheit des Volkes zum maßgebenden Regulator aller seiner Verhältnisse geworden ist", mit anderen Worten, für alle deutschen Territorien, die den mittelalterlichen Entwicklungsprozeß überwunden und sich in „gänzlicher Neubildung" zu wirklichen Staaten im modernen Sinne des Wortes, zu „organischen Volksstaaten" im

Laufe des 19. Jahrhunderts durchgerungen haben. Die Untersuchung darüber, wie es denn tatsächlich um den Stand dieser Entwicklung bestellt sei, führt zu dem Ergebnis, „daß man den geschilderten Rechts­ zustand als den für die deutschen Bundesstaaten als allgemeine Regel geltenden behaupten muß, so daß man in der Lage ist, einen Gegen­ beweis dahin erwarten zu dürfen, daß jener Prozeß in einem oder einzelnen Staaten aus irgendeinem Grunde nicht zum Abschlüsse ge­ kommen sei." Gerbers Überzeugung ist also durch die politische Ent­ wicklung der deutschen Dinge von 1852, wo ihm eine solche Annahme

830

Neunzehntes Kapitel.

noch nicht berechtigt erschien^), bis 1865 dahin umgestaltet worden,

daß im allgemeinen ein gleichartiger, modern staatsrechtlicher Zustand „der lebendigen Verschmelzung und Durchdringung von organischer Staatsgewalt mit allen Teilen des Volkskörpers" jetzt in Deutschland ihm erreicht scheint. Auf Grund dieser Überzeugung konnte er nunmehr an den Auf­ bau eines in seinem Sinne „gemeinen" Staatsrechts der deutschen Bundesstaaten herantreten. Noch in demselben Jahre 1865 erschienen seine „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts". Es ist das wirksamste und auch äußerlich umfangreichste seiner staatsrecht­

lichen Werke, trotzdem auch es nur ein kleines Büchlein mäßigen Formats und mäßiger Seitenzahl13), das sich mit aller Schärfe auf die Prinzipien beschränkt und alle verwaltnngsrechtlichen Einzelheiten

ausschaltet. Dadurch gewinnt es ähnlich wie Gerbers deutsches Privat­ recht eine außerordentliche Klarheit und besonders eine elementar durch­ greifende Systematik von bloß vier Abteilungen: Staatsgewalt, Organe des Staates (Monarch und Landstände), Formen der Willensäußerung des Staates und Rechtsschutz im Gebiete des Staatsrechts. Wie man schon diesen Überschriften entnehmen kann, ist nunmehr die Auffassung

des Staates als einer einheitlich geschlossenen Persönlichkeit auch zu ihrem richtigen Ausdrucke gekommen und dadurch wieder ein reicher Gewinn an juristischer Klarheit und Sicherheit erzielt. Als „Grund­ lage", analog dem privatrechtlichen Substrat der juristischen Person, erscheint nun für diese Staatspersönlichkeit unverhüllt das Staats­ volk, d. h. die Summe der in geschichtlicher Gemeinschaft geistig ver­ bundenen Volksgenossen aller Generationen, einschließlich des Mon­ archen, der ja für Gerber von jeher") nicht außerhalb des Staates, sondern als dessen Organ in ihm steht. Die staatlichen Rechts­

verhältnisse treten nun ausgesprochenermaßen als Willensbeziehungen und Willensbeschränkungen auf, dadurch zugleich der Vielgestaltigkeit wie der Unsicherheit der Lebensverhältnisse entzogen, auf das nackte und feste juristische Skelett gewissermaßen reduziert. Das so dar­ gestellte Staatsrecht ist freilich kein irgendwo, sei es in Deutschland, sei es sonstwo positiv geltendes, sondern nur der Typus, der der Summe deutscher Staatsrechte gemeinsam ist

Aber es gelingt doch

Gerber hier wiederum, was ihm für das gemeine deutsche Privatrecht gelungen war, gegen das Opfer imperativen Charakters systematische und dogmatische Klarheit zu gewinnen.

So entsteht hier wie dort

ein System, das vom Standpunkte des unmittelbar praktischen Nutzens aus nur als Einleitung zu allen einzelnen deutschen Rechten angesehen zu werden beansprucht und beanspruchen darf, ideell aber als ein der allgemeinen Aufmerksamkeit würdiger Gegenstand, hier besonders, weil es, als ein „Produkt der sittlichen Kraft des deutschen Volkes", den „historisch-sittlichen Gehalt des deutschen Staatsrechts", gewissermaßen dessen sublimierten Extrakt zur Anschauung bringt. Gerber weiß da­ bei immer wieder mit besonderem Nachdruck deu öffentlichrechtlichen Charakter zu betonen, im Gegensatz diesesmal nicht mehr zu patrimonialen, als vielmehr zu genossenschaftlichen Theorien, nicht mehr an Maurenbrecher erinnernd, sondern gegen den Rechtsstaat von Bähr gerichtet, d. h. hauptsächlich gegen dessen privatrechtliche Be­ gründungsart. Und doch kehrt auch hier, genau wie bei den subjek­ tiven öffentlichen Rechten, eine gewisse analoge Anlehnung an zivilistische Gedankengänge und Begriffsgestaltungen (z. B. Organ, Willens­ bildung, Rechtsschutz) zurück, nur mit sicherem Gefühl für die kon­ träre Gegensätzlichkeit gehandhabt, so daß daran kaum Anstoß zu nehmen sein dürfte. Technische Hilfsmittel ließen sich damals eben bloß dem Arsenal der Zivilistik entnehmen; genug des Verdienstes, wenn Gerber sie dorther ins Staatsrecht mit publizistischem Ver­ ständnis übergeführt und dadurch weitere Verselbständigung des Staats­ rechts ermöglicht hat. Entscheidend ist aber dafür geworden der Begriff der Herrschaft, des Herrschaftsrechts, den ja freilich auch das Privatrecht, wennschon in etwas anderem Sinne, kennt, den aber Gerber für das Staats­ recht mit solcher Energie umgestaltet, dann als staatsrechtlich ausschlag­ gebenden so fest in Anspruch nimmt, daß damit allein schon eine neue Epoche des Staatsrechts begründet ist, die demgemäß von 1865 zu datieren toöre15). Gerber stabiliert diesen Herrschaftsbegriff gewisser­ maßen als Grund- und Eckstein, als »rocher de bronze« des Staats­ rechts. Die darin liegende Neuerung und i>as dadurch gewonnene Ergebnis kann man wohl kaum schärfer bestimmen als mit Gerbers eigenen Worten^), dahin, daß die damit beginnende neue Epoche des Staatsrechts es sich zur Aufgabe setzt, „die Staatsgewalt als eine alles durchdringende Herrschaft für Zwecke des Rechts und der Kultur zu entwickeln". Damit ist der feste juristische Ausgangspunkt gefunden, um das moderne Staatsrecht im Sinne des modernen Staates auf» zubauen

Neunzehntes Kapitel.

832

Dabei hat sich freilich, wie das seine Stärke und seine Schwäche überhaupt bildet, Gerber auf die allgemeinsten Grundzüge beschränkt.

Nur gelegentlich hat er noch einzelne, dann aber gar wertvolle Aus­ führungen nachgetragen, besonders in einem Aufsatze von 1871 „Über Privilegienhoheit und Dispositionsgewalt im modernen Staat".

Darin

wird nicht nur das Thema selbst eindringlich behandelt, sondern sogar schon die ganze Frage nach der Bedeutung vom „Gesetz" tut formalen

und realen Sinne aufgerollt. — Im übrigen verkennt Gerber selbst keineswegs, daß, was sich für das Staatsrecht der deutschen Staaten als „gementes Recht" in

seinem Sinne abstrahieren ließ,

weit ele­

mentarer und dürftiger ausfallen mußte und ausgefallen ist, als sein

gemeines deutsches Privatrecht. Und natürlich entspricht dieser Dürftig­ keit der „Grundzüge" eine weitgehende Farblosigkeit.

Als nach der

Begründung des Norddeutschen Bundes eine zweite und nach der Be­

gründung des deutschen Reiches eine dritte Auflage notwendig wurde

(erschienen 1869

stellten

und 1880),

daher

sich

ganz

leichte Um­

arbeitungen und geringe Zusätze als genügend heraus, um das Buch mit der-Veränderung der politischen Zustände äußerlich „in Überein­

Dabei wurden nun mehrere „Beilagen" an­

stimmung zu bringen".

gefügt, die zunächst Gerbers Grundbegriffe in meisterhafter Weise noch einmal. zusammenfassen und polemisch klarstellen unter den Über­

schriften:

„Der Staat

Staates"

und

als Organismus",

„Die Persönlichkeit des

„Die Abgrenzung des Staatsrechts".

Letztgenannter

Abschnitt richtet sich besonders gegen v. Mohl, behufs Rechtfertigung

der Ausscheidung

des Verwaltungsrechts

und

der Staatszwecklehre

oder, allgenteiner gesagt, behufs Rechtfertigung der strenger juristischen

Sichtung

im

Gegensatz zu

bunten Mischung verschiedenartiger

der

Gegenstände und Gesichtspunkte,

bezeichnet.

die

sich als „Staatswissenschaft"

Ferner wendet sich dieser Abschnitt aber auch gegen Her­

mann Schulzes Wunsch, daß dem Staatsrecht wieder eine „philo­ sophische Einleitung" voraufgeschickt werden möge, einen Wunsch, zu

dessen

Abweisung

Jhering

gegen

Gerber sich

eine

von

ganz

außen

her

im

Sinne

von

Merkel

der Jurisprudenz

und

oktroierte

Rechtsphilosophie ausspricht, zugunsten einer aus dem positiven Recht

selbst hervorkristallisierten obersten Rechtslehre18).

Erst die vierte und letzte Beilage dieser zweiten Auflage entschließt sich dazu, eine Skizze vom Staatsrecht des Norddeutschen Bundes selbst zu geben,

und zwar sucht sie zu diesem Behufe Anschluß an

in. Die neue Richtung.

5) Gerbers Spätzeit.

833

die Waitzsche Formulierung der Begriffe „Bundesstaat" und „Staaten­ bund"^).

Bei aller elementaren Kürze wirft da Gerber einen über­

raschend leuchtkräftigen Lichtkegel über das ganze neue Baugebiet hin

Die folgerichtig unzweideutige Anerkennung der Neubildung als eines

Bundesstaates, seiner Bürger als „Volkes des Norddeutschen Bundes"

ist doppelt dankenswert seitens des dogmatischen Staatsdenkers alten Schlages und damaligen sächsischen Staatsministers.

Diese Skizze des norddeutschen Bundesrechts ist auch in die dritte Auflage von 1880 fast unverändert übernommen.

Eine neu hinzu­

gefügte fünfte Beilage besteht nur aus einer Druckseite, einem kurzen

Absützchen geschichtlichen Inhalts. Das heißt, das Recht des Deutschen

Reiches bleibt unerörtert.

Aber die Vorrede zu dieser Auflage kann

schon zum Ersatz dafür darauf verweisen, daß „unsere Literatur nun­ mehr in dem Werke von Laband eine vorzügliche Bearbeitung dieses

Gegenstandes erhalten hat". Und in der Tat erscheint Paul Laband^) als der geistige Testamentsvollstrecker Gerbers für das Staatsrecht des

Deutschen Reiches; sein umfassendes und grundlegendes Werk „Das Staatsrecht des Deutschen Reiches" (erster Band der ersten Auflage

1876) steht in unmittelbarer^)

historischer und dogmatischer Kon­

tinuität mit Waitz und mit Gerber. Es verweist in seiner unerreichten

juristischen Klarheit zurück,

und

konstruktiven Eleganz

wie analog Labands

ebenso

auf Gerber

ältere Leistung aus dem Gebiete der

deutschen Rechtsgeschichte auf Gerbers deutsches Privatrecht.

In seiner

allseitigen Vollständigkeit, stofflichen Reichhaltigkeit und positiven An­ wendbarkeit ist freilich Labands Staatsrecht über Gerbers Grundzüge hinausgewachsen, wie der Eichbaum über die Eichel, wie das neue

Deutsche Reich über die Staats- und Bundesverhältnisse, von denen Gerber ausgegangen ist.

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

53

Zwanzigstes Kapitel.

Die jüngere historisch-praktische Richtung. I. Gemeines Zivilrecht. 1) Leist und Kuntze. 2) Brinz. 3) E. I. Bekker. 4) Verschiedene. 5) Windscheid. H. Römische Rechtsgeschichte. 1) Theodor Mommsen. 2) Mitarbeiter. 3) Fortsetzer. III. Die Germanistik. 1) Paul Roth, Anfänge. 2) Ficker. 3) Stobbe. 4) Verschiedene. 5) Herausgeber, be­ sonders Boretius. 6) Konrad v. Maurer. 7) Brunner u. Gierke, Anfänge. IV. Das territoriale Privatrecht. 1) Österreich mit Unger. 2) Roth, Meibom und Böhlau. 3) Preußen mit Förster und Dernburg. 4) Zusammenfassungen. V. Handelsrecht. 1) L. Goldschmidt. 2) Verschiedene, besonders Endemann. VI. Sonstige RechtSzweige. 1) Zivilprozeß, besonders Bülow. 2) Glaser und die österreichische Strafrechtsschule. 3) Gneist und das Verwaltungsrecht. 4) Staatsrecht, besonders H. Schulze. 5) Völkerrecht. VII. Abschluß.

Die Entfaltung

derjenigen

konstruktiv-geschichtlich-positivistischen

Richtung, die zuerst mit ihrer modernen und lebensfreundlichen Ge­ sinnung entschieden durch Gerber und Jhering in den dogmatischen Jahrbüchern für das gemeine Privatrecht vertreten worden ist, über

die meisten Fächer unserer Wissenschaft hin bildet, in verschiedenen Abtönungen natürlich, den gemeinsamen Zug der letzten Jahrzehnte, soweit wir sie hier noch zu betrachten haben.

I. Dabei wenden wir uns zuerst zu einer Reihe romanistischer Rechtsgelehrter, die Jhering zur Seite treten, beschränken uns aber

zunächst auf diejenigen darunter, die nicht ausschließlich oder über­

wiegend Rechtshistoriker sind.

schnitte dieses Kapitels

Auch bleibt einem späteren Unterab­

die Besprechung derer Vorbehalten, die zu­

gleich einem der neueren Territorialrechte sich gewidmet haben. Sind

I. Gemeines Zivilrecht.

gerade

darunter

1) Leist und Kuntze.

auch so bedeutende Romanisten

835

wie Unger und

Dernburg, so fällt doch bei ihnen der Nachdruck auf das partiku-

laristische Element und dieses bedarf einer in sich geschlossenen Be­

handlung. 1. Wir beginnen mit zwei „Äqualen" Jherings, die von Anfang an neben ihm mit eher noch lebhafterem Eifer als Neuerer auftreten,

dann aber an Bedeutung stark zurückgetreten sind, wennschon aus gar verschiedenem Grunde: Leist und Kuntze. Burkard Wilhelm Leist ist der

tiefgründige Forscher,

dessen

eigenartige Werke durch einen ringenden Gedankenkampf erfüllt, durch

gewisse mächtige Grundgedanken zusammengehalten sind. sich

Je mehr er

in diese hinein versenkte und je. rücksichtsloser er sich den da­

durch bedingten Sonderstudien widmete, desto mehr entfernte er sich

von den Bedürfnissen und von den Beziehungen des Alltags, desto

weiter führte sein Pfad ab von dem allgemeinen Entwicklungsgänge, mit dem die ersten Ansätze seiner Studien sich glücklich gekreuzt hatten.—

Dagegen nm den umgekehrten Vorgang handelt es sich bei Johannes Emil Kuntze. Ihm mangelt die Fähigkeit, aus der anfangs als jugendlich hinnehmbaren Neigung zu Übertreibungen und Allgemein­ heiten, aus einem gewissen sprunghaften und zerfahrenen Wesen hin­ aus zu gelangen.

So glückt ihm wohl einmal ein großer Wurf, so

schafft er auch weiter viel Anerkennenswertes und manches Treffliche, aber er erreicht nicht eine durchgehende autoritative Sicherheit, noch

namentlich den damit verbundenen bleibenden Einfluß und Namen. LeistsZ Erstlingswerk handelt über die bonorum possessio, ihre

geschichtliche

Entwicklung

und

heutige Geltung

(Göttingen

1848),

eine hervorragende Leistung, die sich aber methodologisch wesentlich

noch der älteren historischen Schule anpaßt.

Er ist später in seiner

Fortsetzung zu Glücks Pandektenkommentar auf dieses Thema zurück­

gekommen

und hat darüber seine umfassend gelehrte und bleibend

förderliche

Monographie

geliefert2).

Indessen

steht

diese

ganze

Gruppe seiner Arbeiten, auch der späteren darunter, doch eher etwas abseits von seinen individuellen Eigentümlichkeiten.

Fast ist es,

als

hätte er es sich zur Aufgabe gestellt, aus dem Rahmen der alten Schule bei der Fortsetzung des alten Werkes nicht allzusehr heraus­ zufallen und zu dem Behufe mit seiner Persönlichkeit zurückzuhalten.

Zu deren vollen Entfaltung dagegen sind bestimmt seine „Zivi­ listischen Studien auf dem Gebiete der dogmatischen Analyse", vier

53»

836

Zwanzigstes Kapitel.

Hefte, 1854—1877 durchgeführt und durch einige gleichgeartete, formal selbständige Werke ergänzt^).

Sie wollen mit der bisherigen Me­

mag diese noch so fein, geschmack- und stilvoll gehandhabt worden sein, und hinüber­ thode der reproduktiven Jurisprudenz brechen,

führen zu einer produktiven Jurisprudenz, die ihr Material, statt aus dem Spiegelbilde des römischen Gesetzes, vielmehr aus den tatsäch­ lichen Lebensvorgängen der Gegenwart, aus der Natur selbst4) ent­ nehmen soll. Denn Leist glaubt nicht an eine Rezeption in com-

plexu und tritt schon deshalb dem corpus iuris civilis — bereits in seiner Erstlingsschrift — außerordentlich frei gegenüber, obgleich er doch auch wieder nicht so weit gehen will wie Kierulff, dem er sich tatsächlich jedoch stark nähert. So baut er sich denn selbst im ersten Hefte der Studien seine eigene „juristische Wissenschaftslehre",

um in den folgenden Heften sie auf eine Reihe einzelner Stoffe an­

zuwenden. Diese Wiffenschaftslehre beruht nun wesentlich darauf, daß Leist annimmt, in den natürlichen Lebensbedingungen und Lebens­ verhältnissen sei der Inhalt vieler Rechtsnormen bereits von vorn­ herein geradezu objektiv enthalten, als „Natursätze", die nach seiner Ansicht nur noch gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Sanktion be­ dürfen, um auch positiv zu gelten; während andere Rechtssätze auch inhaltlich erst aus positiven und partikulären Momenten und Veran­ lassungen entspringen. So zerfällt ihm das ganze Recht in zwei Teile, es entspringt entweder lediglich aus der Einsicht der recht­ setzenden Gewalt, civilis ratio, oder es enthält einen in das Rechts­ gebiet aufgenommenen Natursatz, naturalis ratio, Natur der Sache.

Aufgabe der Jurisprudenz ist es deshalb, durch „juristisches Natur­ studium" die naturalen Rechtssätze, durch Untersuchung der Gelegen­ heitsursachen die zivilen Rechtssätze auf ihre Gründe zurückzuführen und daraus denn alle weiteren Folgen in streng logischer Verkettung Diese Unterscheidung und die Anweisung zur unter­ schiedlichen Erklärung der Rechtssätze, je nachdem sie zu der einen oder anderen Gruppe gehören, findet sich aber bereits nach Leists Überzeugung bei den römischen Juristen; namentlich haben diese, ab­

zu erschließen.

gesehen von geringen Abweichungen, genau das unter naturalis ratio und ius naturale verstanden, was Leist als das Gebiet der objektiven Natursätze bezeichnet, nicht zu verwechseln mit dem Gebiete der sub­ jektiven Billigkeit, der aequitas, die gar nichts damit zu tun hat.

Dadurch nähert

er seine vermeintlich a priori gewonnene Unter-

I. Gemeines Zivilrecht.

1) Leist und Kuntze.

837

scheidung tatsächlich jener altrömischen zwischen ins civile und ins gentium oder naturale. Die Frage, was Natursatz, was Kunstsatz im geltenden Rechte sei, fällt ihm wesentlich zusammen mit der Frage,

was die Römer als der ratio naturalis, was sie als der ratio civilis entsprossen oder entsprechend ansehen. Seine Vorliebe aber gilt dem naturalen Rechtselement im Gegensatz zum zivilen, da in

jenem alle wirklich bleibenden und größeren Rechtsinstitute mindestens

ihre Grundlage finden, die zu erforschen und auszunutzen hauptsäch­ liche Aufgabe der produktiven Jurisprudenz sei. Dabei meint Leist z. B. für die Lehre von der Geschäftsführung (in Heft 2) mit dem naturalen Element sogar allein ausreichen zu können,

ohne hinter

dem tatsächlichen Bedürfnisse zurückzubleiben, zu welchem Zwecke es ihm freilich nicht darauf ankommt, gelegentlich in ganz naturrechtlicher Weise wohl auch einmal einen Natursatz „kraft der zwingenden Ge­ walt der naturalis ratio"6) ohne weiteres als Rechtssatz hinzustellen. So soll denn auch Natur und Erwerb des Eigentums im dritten Hefte behandelt werden, besonders betreffend die Naturalelemente der Okkupation, Produktion und Tradition; hier aber geht Leist, im Anschlüsse besonders an Roscher und Dankwardt?), zu einer zu­

gleich nationalökonomischen Vorstellungsart über, indem er diese drei Erwerbsarten als die Voraussetzungen oder Bedingungen aller wirt­ schaftlichen Arbeit auffaßt, in der wirtschaftlichen Arbeit wieder den einzigen durchschlagenden naturalen Grund des Eigentums überhaupt erkennt und alle anderen Erwerbsarten dann in das zivile Gebiet verweist. Er verbindet damit eine Polemik gegen Jhering, gegen den er besonders betont, daß Jherings naturwissenschaftliche Methode nur bildlich vorgehe, während Leist für seine eigenen „Naturstudien" Tat­ sächlichkeit beansprucht, Bildlichkeit handelte.

als ob es sich nicht da um genau dieselbe

Das vierte, viel spätere Heft der zivilistischen Studien bildet die ursprüngliche Lehre noch gar viel reicher, aber auch sonderbarer aus, Es nimmt fünf Rechtselemente an, das legale, das logische, das

hypostatische,

das historische und das philosophische Element;

von

diesen zerlegt es das mittlere, hypostatische, wieder in fünf „Stoffe", nämlich die naturalis ratio, bie civilis ratio, den final-limitierten Rechtsstoff, das voluntare Element und die Äquität. Wichtiger aber

als diese kaum mehr ganz ernst zu nehmenden Einteilungen wird ein anderer Bestandteil dieses vierten Heftes. Da sieht sich nämlich

Zwanzigstes Kapitel.

838 Leist,

der von jeher bemüht gewesen war, die Gesamtgeschichte der

Rechtsentwicklung aus ältesten Zuständen her zu übersehens,

nun

veranlaßt, seine Theorie von der naturalis ratio auch geschichtlich zu rechtfertigen und zu dem Behufe nicht bloß auf das römische Recht,

sondern weiter zurückgreifend auf die Urzustände, „aus denen unsere indogermanische Völkerfamilie hervorgegangen ist, einzudringen und die Entwicklung der Hauptbegriffe des Rechts von den Urzuständen

Das unternimmt

bis in die historischen Zeiten hinein zu verfolgen".

er zunächst zwar bloß in wenigen knappen Zügen; aber einmal be­

rührt, haben ihn dann diese Studien nicht wieder losgelassen; immer unabweisbarer wird ihm das Bedürfnis, für seine Natursätze die ur­ alte Gültigkeit darzutun, seine dogmatisch rechtsphilosophischen Lehren

aus der Rechtsgeschichte der indogermanischen Vorzeit, in steter Ver­

wechslung von historisch Wahrem und dogmatisch Richtigem, hervor zu entwickeln.

Seine gründliche Gelehrtennatur, seine Neigung, ein­ kommt hinzu.

So ist

seiner Werke, die seines

höheren

sam liegende, dunkle Gänge zu durchsuchen,

daraus die dritte große Gruppe

Alters hervorgegangen. tigen

Bünden:

Das Ergebnis liegt uns vor in vier niäch-

Gräkoitalische

Rechtsgeschichte,

arisches ius gentium, Jena 1889,

Jena 1884;

Alt­

und Altarisches ins civile,

in

zwei Abteilungen, Jena 1892 und 1896. Diese Leistungen

eines

unermüdlichen

Forschungsdranges

einer gewaltigen Arbeitskraft dürfen natürlich abgelehnt werden,

nicht

und

einfach deshalb

weil sie nach Anordnung und Inhalt von des

Verfassers naturrechtlichen Vorstellungen vorweg stark beeinflußt sind.

Es bleibt da trotzdem Genügendes an Material und Ergebnissen übrig,

und selbst in der Methode ist mindestens der Weg der rückschreiten­

den Aufrollung rühmlich anzuerkennen. — Ferner muß, worauf Leist selbst mit Recht großes Gewicht legt, der Unterschied gegenüber der

eigentlich

rechtvergleichenden

Richtung

festgehalten

werden.

Diese

will Rechte aller Völker und Zeiten, fremder Zivilisation und mit

Vorliebe primitiver Art zusammtragen; für Leist handelt es sich nur um Vertiefung der Aufgabe, die die

historische Schule sich gestellt

hat, in einer Richtung, die den Grundsätzen dieser Schule durchaus entspricht, gewissermaßen um eine Vervollständigung der Schulleistungen

in umgekehrter Richtung zu der von den Mediävisten ergänzten Lücke. Nur daß hier die Vernachlässigung bisher noch viel weiter gegangen, dieser Teil der Rechtsgeschichte geradezu übersehen war, wie denn ja

I. Gemeines Zivilrecht.

1) Leist und Kuntze.

839

erst Jhering darauf hatte aufmerksam machen müssen, daß es ein

grober Schulirrtum gewesen sei, wenn man von dem alten römischen

Recht als dem Urprinzip ausgegangen war, gleich als ob das römische Volk zu Beginn

seiner

Sondergeschichte

nicht

schon

einen

reichen

Schatz gemeinsamer gräkoitalischer oder arischer Bildung mitgebracht

hätte.

So

hat sich ja auch in Jherings Nachlaß eine Vorgeschichte

der Jndoeuropäer gefunden; es sind offenbar

ganz ähnliche Wege,

die Leists Forschung, nur mit spezialistischer Gründlichkeit, gegangen

ist.

Ihm kam es nicht auf irgendwelche uralt

primitive Rechtszu­

stände und auf den Vergleich möglichst vieler Rechtsanschauungen an, sondern auf die Anfänge unseres Rechts und auf dessen daraus er­

schließbare elementare Bestandteile.

So hat er Volksorganisation

und sakrale Einrichtungen des indischen Dorflebens und die zentrale

Stellung des Haushaltungsvorstandes mit seinen Rechten und Pflichten, die Götter-, Eltern-, Vaterlands- und Gastfreundsehrnng, die arischen

Grundbegriffe der Gemeinschaft, der Trauer,

der Untat usf. als lei­

tende Prinzipien aufgefaßt und an der Hand eines Materials ver­ arbeitet, das er allerdings durchweg aus zweiter oder dritter Hand zu übernehmen genötigt ist, schon mangels eigener Beherrschung der

östlichen Sprachen. Über den sachlichen Wert aller dieser Arbeiten vermag ich mir.

aus demselben Grunde freilich keinerlei Urteil zu bilden.

Sollte die

Rechtsgeschichte diese Richtung weiter verfolgen, wie sie grundsätzlich

darauf einen einleuchtenden Anspruch hat,

so wäre jedenfalls wün­

schenswert, daß Recht- und Sprachkenntnis Hand in Hand ginge, mindestens durch gemeinsame Tätigkeit eines Rechts- und eines Sprach­ forschers.

Auch dafür liegen ja schon Musterleistungen vor in dem

Syrisch-römischen Rechtsbuche von Bruns und Sachau (oben S. 756)

und ferner in dem „Rechte von Gortyn", gemeinsam herausgegeben und erläutert von Bücheler und Zitelmann, 1885; auch an Fitting und Suchier (oben S. 773 Note 17) sei erinnerrt.

Während so Leist sich immer tiefer in dogmatische Eigenheiten und in urgeschichtliche Forschungen eingräbt, ist Kuntze^) in seinen späteren Leistungen eher verflacht, da er über einseitige formale Aus­

übung der konstruktiven Methode nicht hinausgelangt und dabei auf mehr oder weniger glückliche Einfälle

angewiesen ist.

Seine ersten

Arbeiten, von denen wir die Schrift über den Wendepunkt der Rechts­ wissenschaft schon kennen, haben wenigstens einen gewissen großen

Zwanzigstes Kapitel.

840

Zug für sich,, eine einheitliche Bemühung um Fortschritt und Neube­

lebung der Wissenschaft,

in besonderer Beziehung auf den Begriff

der römischen Obligation, von

dem Kuntze

geradezu

begeistert ist.

Mag dabei auch mancherlei Verstiegenes mit unterlaufen, die „wunder­

bare Versöhnung von Freiheit nnd Notwendigkeit", die Kuntze an

jenem Rechtsbegriff bewundert, führt ihn doch

auf die brauchbare

Unterscheidung zwischen Obligationsobjekt und Obligationsinhalt und

ferner

zu

einer

wohl abgewogenen Behandlung

eingehenden,

der

Einzelnachfolge in Obligationen durch die Schrift über „Die Obli­

gation

und die Singularsukzefsion des römischen und des heutigen

Rechts", Leipzig 1856.

Einer gewissen Anziehungskraft ermangeln

selbst nicht seine noch eigentümlicheren Leistungen aus dieser Anfangs­

zeit, z. B. die „Ideen über die moderne Rechtsfortbildung", welche auf ein „ins respondendi in wobei auch der Anklang

der

historischen

unserer Zeit" hinausführen (1858),

an die Ideen Schraders aus der Frühzeit

Schnle interessiert.



Dem

gegenüber sind

die

Leistungen seiner Spätzeit schon deshalb weniger erfreulich, weil sie

es eben nicht weiter gebracht haben.

Was in den 50 er Jahren ver­

dienstlich war, erscheint in den 80 er Jahren rückständig, wenn nicht gar als Selbstwiederholung, wie das Buch

und

das ius

trotz mancher Fortschritte im einzelnen,

„Die Obligationen im römischen und heutigen Recht extraordinarium

Namentlich aber ist Kuntzes

der

römischen Kaiserzeit",

1886.

„Kursus des römischen Rechts", erster

Band Lehrbuch, zweiter Band „Exkurse" dazu, von 186910), uner­ quicklich, weder geeignet zum akademischen Studium wegen seiner Aus­

führlichkeit und Unklarheit, noch geeignet zum Handbuche für Fort­

geschrittene wegen seiner Unvollständigkeit und Zerfahrenheit. Ebenso dürften als ganz mißraten, schon in den Grundidee», erscheinen das

Werk über Erbeinsetzung auf bestimmte Nachlaßstücke von 1875 und vollends die Erfindung eines Zwischenglieds zwischen Vertrag und einseitigem Rechtsgeschäft in dem Buche „Der Gesamtakt.

Ein neuer

Rechtsbegriff", Leipzig 1892. Daneben fehlt es freilich auch in später Zeit nicht ganz an wertvollen Einzelstudien, wie besonders die über den servus fructuarius 1889 oder selbst Kuntzes beide letzte Pro­

gramme, zur Geschichte des römischen Pfandrechts, von 1893. Zwischen diesen beiden Gruppen von Werken nun aber, den früheren geistreich gärenden und den späteren gequält sich fortschleppen­ den, mitten inne steht Kuntzes Meisterarbeit, glücklich in dem Grund-

I. Gemeines Zivilrecht.

1) Leist und Kuntze.

841

gedanken und in dessen Ausführung, „Die Lehre von den Inhaber­ papieren oder Obligationen au porteur, rechtsgeschichtlich, dogmatisch

und mit Berücksichtigung der deutschen Partikulargesetze dargestellt", Durch dieses umfassende Buch hat, wie der Verfasser

Leipzig 1857.

in der Vorrede zutreffend bemerkt, gegenüber den bisher theoretisch

hauptsächlich berücksichtigten Orderpapieren endlich das Jnhaberpapier seine sachgemäß und bedeutungsgemäß erforderliche Bearbeitung ge­

funden.

und

Damit reiht Kuntze sein Lebenswerk demjenigen von Liebe

Thöl an

und

führt

dabei

gleichzeitig

die Verschmelzung der

positivistischen mit der historischen und der germanistischen mit der romanistischen Richtung und Schule,

sowie

des Handelsrechts mit

dem Zivilrecht uns deutlich vor Augeil. Das Werk findet freilich eine

starke Vorunterstützung an Savigny, der hier noch 1853 im zweiten

Bande seines Obligationenrechts, durch eine fast monographisch um­ fassende Bearbeitung dieses Gegenstandes denn doch wieder einmal sich als der alte Meister gezeigt hatte,

dernster Lebens- und Verkehrsfiagen.

für Behandlung auch mo­

Von den beiden Dogmen, die

da Savigny zu dem Behufe aufstellt, dem der Obligationsverkörpe-

rnng durch das Papier und dem der Obligationsentstehung

durch

den Vertrag mit unbestimmten Personen, konnte nun Kuntze getrost das

erstere,

Wesen

nach

wennschon er die Formulierung leicht abändert,

einfach

mit der

ganzen seitherigen

dem

Jurisprudenz an­

nehmen. An Stelle des letzteren aber ist es sein bleibendes Verdienst, die Kreationstheorie gesetzt und dadurch

flüssig gemacht,

für Verkehr und Leben

ohne weiteres sichergestellt zu haben.

zahllose Künsteleien über­

unentbehrliche

Ergebnisse

Und zwar handelt es sich da

dieses Mal nicht bloß um einen Glückstrefier, sondern um ein Er­

gebnis,

zu

dem

sich Kuntze in zielbewußter ehrlicher Mühe durch

eine Reihe allmählich fortschreitender Erwägungen durchgerungen hat,

das z. B. der Grundlage nach schon in seinem obligationenrechtlichen Werke von 1856 enthalten ist11), das aber offenbar auch eben darum sich als bleibenden Wertes bewähren sollte.

Mit Recht hat Kuntze mannigfachen Angriffen gegenüber daran festgehalten12) und ist denn

ja auch damit, im wesentlichen wenigstens, bei der Behandlung der Schuldverschreibungen auf den Inhaber durch das deutsche bürger­

liche Gesetzbuch durchgedrungen.

Auch der von ihm in dem Buche

von 1857 eingeführte Sprachgebrauch12),

der

von den verschiedenen

„Funktionen" des Papiers im Dienst der Obligation redet, hat sich

Zwanzigstes Kapitel.

842

ja in weitesten Kreisen bis heute erhalten, obschon er hervorgegangen ist

aus

gungen

veraltet

symbolisch-physiologisch-naturwissenschaftlichen

50er Jahre,

der

Freude gehabt hat.

Nei­

an denen Kuntze stets seine unverhüllte

Die davon zu stark durchdrungenen Sonderaus-

drückc wie „Genitalfunktion" oder „Vitalfunktion" sind denn ja auch

Niemand denkt mehr, wenn er einen der blasseren

längst vergessen.

Ausdrücke, z. B. Transportfmlktion, gebraucht, an „Lebensfunktionen

des Papiers", an „Bänder oder -Gelenke, wodurch die Seele" (b. i.

die Obligation) „und der Körper" (d. i. das Papier) „an- und inein­ ander gefügt sind"; aber die Anknüpfung gewisser Rechtssätze an ge­

wisse Leistungen der Urkunde durch ein derartiges funktionelles Ver­

hältnis im allgemeinen hat sich offenbar als bequem und sachförder­ lich erwiesen.

2. Alois Brinz*) steht abseits für sich, unter unseren Zivi­ listen einer der scharfsinnigsten und schaffensfreudigsten, ein Forscher und Denker von mächtiger Eigenart herzigkeit,

und von quellengenährter Ur­

Er teilt mit Jhering die Lebhaftigkeit

sprünglichkeit.

den

Sinn

für „Entschiedenheit

vor allem

Warm­

und

in

der Fest­

setzung des geltenden Rechts" als „Lebensbedingung der Jurisprudenz", „Recht und Pflicht des Juristen"^);

als

er verabscheut alle

aber

Künste der Rhetorik und Dialektik, allen Prunk des Stils und alles

Spielen mit bloß geistreichen Einfällen, und am meisten das Auf­ werfen methodologischer Probleme.

Namentlich

durch

letztere Ab­

neigung unterscheidet er sich von den meisten seiner Zeitgenossen; ist

gegen

dadurch

wohl deshalb

so

manche Irrungen gefeit,

hauptsächlich,

weniger

wegen

er

wie er andererseits

seiner

hervorragenden

kritischen Leistungen, als Skeptiker der Jurisprudenz bezeichnet worden ist.

Tatsächlich hat er auch bei Anderen Methoden und Programme

immer nur nach den Ergebnissen gewertet, und hat es für sich selbst

verschmäht, sich um die starken Hände, geschweige denn vor die hell­ blickenden Augen irgendwelche methodologische Binde legen zu lassen. Vorgebildet Studium, schen

vielmehr

durch

ein gründliches,

klassisch-philologisches

von dem er unmittelbar zur Beschäftigung mit den römi­

Quellenschriften

übergegangen

war,

und nun

von

diesen,

während er eigentlich nur durch sie zum deutschen Recht hinüber ge­

wollt hatte,

dauernd gefesselt,

ergreift er lediglich sie mit einer un­

befangenen Unmittelbarkeit und Frische, die ihm überall zu neuen

Gedanken verhilft. Aber diese Gedanken weiß er dann auch historisch

I. Gemeines Zivilrecht.

2) Brinz.

843

wie dogmatisch mit zäher Gründlichkeit durchzudenken, zu Gesamt­ bildern zu vereinigen und immer wieder durch- und umzuarbeiten, so daß daraus bleibende Schöpfungen hervorgehen, ohne daß Brinz sich

um die Prinzipienlehre einer „produktiven Jurisprudenz" vorher viel

gesorgt Hütte. Dabei bleibt er weder einerseits an der Einzelheit haften, noch ist ihm andererseits die Systematik, obgleich er auch vor ihr nicht zurückschrickt, die Hauptsache, vielmehr dürfte seine Stärke eher in dem durchdringenden Verständnisse für den Bezug der Einzel­ heit auf das Ganze und in der schöpferischen Beherrschung einzelner, häufig größerer Materien

liegen.

Stets erwachsen

ihm historisch

quellenmäßige Begründungen und dogmatisch rechtsgestaltende An­ schauungen so recht unmittelbar und untrennbar auseinander, ohne daß er doch auf die historischen Schullehren, ebensowenig wie auf irgendwelche Schulmeinung oder Gruppenbildung sonst, einge­ schworen wäre.

So zeigt er sich schon in seinen ersten Arbeiten über die Kom­ pensation, zusammengefaßt in einer Abhandlung von 1849 und in einer Reihe weiterer Aufsätze fortgeführt, als entschiedener Vertreter

einer historisch bedingten, aber doch auch praktisch brauchbaren Auf­ fassung, die deshalb die Möglichkeit leugnet, daß die Aufrechenbarkeit

je von selbst (ipso iure) Tilgungskraft ausüben könne.

Bekannt

geworden ist Brinz aber namentlich schon früh durch seine oben be­ reits erwähnten „Kritischen Blätter zivilistischen Inhalts in zwang­ losen Heften", je zwei 1852 und 1853 erschienen. Ihre Darstellung bekundet bereits des Verfassers reife Meisterschaft, überall zu ver­

tiefen und aufzuklären, wo er Hand anlegt; schlagend geprägt ist z. B. schon der Satz über die Naturalobligation, daß sie, wenngleich nicht klagbar, so doch zahlbar ist. So ist Brinz' Kritik, wie er ihr

weiter immer gerne obgelegen t)at3), immer auch geblieben, eine häufig humoristisch überlegene, gerne anerkennende, regelmäßig aber sachfördernde. Man würde ihm deshalb unrecht tun, wenn man sein Ingenium als wesentlich kritisches, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, bezeichnen wollte; es handelt sich wahrlich weder um Nörgel­ sucht noch um Zersetzungsgeist, sondern um die wahrhaft wissen­ schaftliche Methode, weder bei Anderen noch bei sich selbst über den

Grad der erreichten Klarheit und Sicherheit einen Zweifel zu dulden;

um die Fähigkeit, überall, auf jede literarische Anregung hin, positiv förderlich einzugreifen; und um das rastlose Bedürfnis, mit neuen

Zwanzigstes Kapitel.

844

Erscheinungen jeder Art sich gründlich und persönlich

auseinanderzu­

setzen, gleichviel, ob sie von Savigny oder von einem Anfänger her­ stammen, ob es gilt, aus Fr. Mommsens obligationenrechtlichen Er­

örterungen das Brauchbare hervorzusuchen, oder Bährs Anerkenntnis als „Exenrpel, praktischer Jurisprudenz" anzuerkennen, oder Jherings

Geist des römischen Rechts zu würdigen.

So war Brinz denn auch

später mit seiner Warmherzigkeit und Gestaltungskraft so recht be­ rufen, sowohl

aufftrebenden Kräften

jungen

den

Zugang

zu er­

wie den dahingegangenen Kollegen kennzeichnende Worte

schließen,

des Abschiedes zu widmen, Nekrologes, denen dieses Buch manchen treffenden Fingerzeig und manche aufklärende Angabe dankbar ent­

Wie Brinz es verstanden tjat5), bei literarischer Kon­

nommen hat.

troverse mit seinem Lieblings- und Meisterschüler Sohnar, betreffend

die Contravindikation und die legis actio sacramento, zugleich seine eigene Ansicht

bringen,

verletzt

und

wurden,

ist

des Gegners zur Geltung zu

die Bedeutung

daß weder

so

eine

die Wissenschaft noch der jüngere Freund beiderseitig

so

ausgezeichnete

und

kenn­

zeichnende Leistung, daß sie selbst wohl an dieser Stelle Erwähnung

finden darf.

Unter sonstigen rechts- oder literärgeschichtlichen Beiträgen von Brinz nennen wir etwa noch seine Herausgabe des arbor actionum

von Johannes Bassianus, Erlangen 1840, dann vorausgreifend den Artikel „Römische Juristen", ein „Kabinettsstück" in Bluntschlis und Braters Staatswörterbuch6);

die Untersuchung

über staatsrechtliche

Natur, inhaltliches Wesen und Ordnung des prätorischen Edikts im

Anschlüsse an Rudorffs Edikt-Restitutions; eine Reihe von Vorträgen

und Studien über die römische Provinzialverfassung8); die Abhand­ lungen

über

„Die Freigelassenen

der lex Aelia Sentia und das

Berliner Fragment von den Deditiziern", Festgabe für Scheurl 1884,

sowie über „Den Einlassungszwang im römischen Recht", noch nach Brinz' Tode als sein Beitrag zu der Münchener Festgabe für Planck

Damit aber eilen wir von

diesen, schließlich

den Geistesumfang des Gelehrten

als für die Ge­

1887 veröffentlicht.

doch

mehr

für

samtgeschichte der Wissenschaft bezeichnenden Arbeiten hinweg zu Brinz dem Dogmatiker, in erster Linie zu seinem zentralen und umfassenden

Werke, dem sogenannten Pandektenlehrbuch. Das merkwürdige und fesselnde Werk ist

stückweise

erschienen,

der erste Abschnitt 1857, der zweiten Abteilung erste Hälfte 1860,

I. Gemeines Zivilrecht.

2) Brinz.

845

dann nach längerer Unterbrechung der zweiten Abteilung zweite Hälfte in drei Lieferungen 1868, 1869 und 1871. — Ein Lehrbuch ist es denn auch so eigentlich nicht geworden, nicht einmal ein „Lernbuch",

wie die Vorrede es eher kennzeichnen möchte, sondern vielmehr ein

Arbeitsbuch für Fortgeschrittene. Nur von solchen kann es gewür­ digt werden, wie der tiefgründige Gedankeninhalt in bald ausge­

dehnter, bald gedrängter Behandlung unter stets in den Text hinein­ gearbeiteter quellenmäßiger Begründung die größeren Abschnitte durchzieht und zusammen hält. Dabei ist freilich das Institutionen­ system, an das sich Brinz im Gegensatze zu den meisten Pandekten­ lehrbüchern unserer Zeit hält, der Übersichtlichkeit nicht eben förder­

lich; auch sonst erscheint das Werk kaum als ein in sich gleichartiges Ganzes; dazu sind seine Abschnitte zu selbständig und zu verschieden­ artig nach Anlage und Umfang. Da Brinz immer und überall selbst

die der die die

strengst zivilistischen Verhältnisse in innerliche Verbindung mit ganzen Kulturentwicklung seiner Zeit und seines Geistes zu bringen seltene Kunst besitzt, so darf man wohl auch sagen, daß dafür Unterschiede der politischen, ökonomischen und nationalen Zeitver­

hältnisse von 1857 bis 1871 zu stark waren. Aber in jedem Abschnitte sind so viele neue und anregende Ideen teils angedeutet und einge­

streut, teils betont und durchgeführt; das Ganze ist mit solcher Un­ mittelbarkeit und.Kraft der Persönlichkeit angefüllt und in so über­

zeugender Weise, in so markiger Sprache und lebendiger Darstellung

aus den Quellen und aus dem geschichtlichen Werdegang hervor ent­ wickelt, daß jede Kritik zurücktreten muß vor dem Genusse, den uns Brinz da bereitet, vor den zahlreichen Einzelförderungen, die wir ihm damit verdanken. In dieser Hinsicht ist wohl vor allem das

„Zweckvermögen" zu nennen, über dessen Zusammenhang mit dem innersten Kern von Brinz' Persönlichkeit uns Lotmar so fein auf­ klärt^). Sodann das Obligationenrechtliche nach vielen Seiten hin, besonders aber nach derjenigen, die Brinz in Sonderaufsätzen fort­ geführt ljat10) und die dann selbst für das altschwedische Obligationen­ recht durch v. Amira Verwertung finden sollte, anlangend nämlich den Aufbau der Obligation aus persönlicher und sachlicher Pfand­ haftung, mit der Unterscheidung zwischen Haftung und Schuld,

nexum uni) debitum, Real- und Personalverpflichtung. Ferner so Vieles betreffend die Begriffe der Universal- und der Singularsukzession und im Zusammenhang damit die Rechtfertigung einer Rechts-

846

Zwanzigstes Kapitel.

Nachfolge in den Besitz, womit zu vergleichen des Verfassers Ab­

handlung über possesionis traditio11) und § 854 Absatz 2 unseres bürgerlichen Gesetzbuches. Im Zusammenhang damit sei gleich noch erwähnt Brinz' kühner Versuch, die spröden Einzelsätze der Quellen über bonae fidei possessio zu einer einheitlichen Rechtsbildung zu

verschmelzen, angestellt in der Festgabe für Arndts' Doktorjubiläum, München 1875. Dieser kleine Aufsatz ist, wie regelmäßig bei Brinz,

musterhaft gerade auch darin, daß er über die Schwierigkeiten nicht hinwegtäuscht, weder durch Vergewaltigung der Quellen noch

durch rhetorische Bildersprache, und doch mit festem Mut und klarem Sinne einer großzügigen Lösung zusteuert. Der starke wissenschaftliche Erfolg des Pandektenwerkes hatte inzwischen Brinz den Weg nach München geebnet, von 1871 ab der dauernden Stätte seiner Wirksamkeit. Dort ging er nun daran, das Werk in einer zweiten Auflage, die zum Teil vor ihrer Vollendung

schon wieder durch den Beginn einer dritten überkreuzt wurde, einer vollständigen Umschmelzung zu unterziehen, bei der es seiner origi­ nellen Form zum Teil beraubt wurde, inhaltlich aber natürlich doch wieder wesentlich gewonnen hat. Sie reicht, soweit sie noch von Brinz selbst fertiggestellt ist12), von der ersten Lieferung des ersten Bandes 1873 bis zur ersten Lieferung der 2. Abteilung des dritten Bandes 1888; den Rest des dritten Bandes und den vierten Band in zwei Abteilungen hat Lotmar bearbeitet und 1889, 1892, 1894 veröffentlicht. Da es für die dritte Auflage bei einem kleinen Bruch­ stücke verblieben ist, so steht als dauerndes Vermächtnis von Brinz an die Jurisprudenz der von geistesverwandter Hand mustergültig ergänzte Torso der zweiten Auflage mächtig vor uns. Dabei möchte das Hauptgewicht nicht sowohl zu legen sein auf die bequemere Übersichtlichkeit, die durch Annahme der herkömmlichen

Unterscheidung zwischen Text und Noten gewonnen

ist;

noch selbst

auf das stark angeschwollene, besonders vom zweiten Bande ab reich­ licher beigegebene Material an textexegetischen und literaturkritischen Anmerkungen; sondern auf die Fortbildung der Eigenschaften, die Brinz von jeher zieren: auf die unverkünstelte Gesundheit der Auf­

auch in Anmut und Würde der Form ausprägt, weder gelehrten Zopf noch phantastisches Spiel duldet; und auf den Geist wissenschaftlicher Vertiefung und Wahrhaftigkeit, der aus dem

fassung, die sich

Werke zu uns spricht.

Nicht um den „zweifelsfreien Abschluß" handelt

I. Gemeines Zivilrecht. 3) E. I. Bekker. es sich bei Brinz, sondern um die Forschung:

nicht

847 um

ein mit

der Gesetzgebung wetteiferndes Werk, zu unmittelbarer Anwendbarkeit auf

den

Einzelfall

geeignet

und

autoritativ-doktrinären

Geltungs­

anspruches, sondern um die Wahrung der rechtswissenschastlichen Auf­

gabe, wie er für ihr selbständiges Recht eingetreten war in seiner Münchener Rektoratsrede

Rechtsgesetzgebung"13).

von

„Rechtswissenschaft

1877 über

und

Die dort mit einem Ausblicke auf das ent­

stehende Reichszivilgesetzbuch ausgesprochene Warnung vor Vernach­ lässigung jener Aufgabe, vor Rückfall in die vor Hugo üblich ge­

wesene Verwechslung

und Vermischung von Recht und Gesetz, sie

wird erfolgreicher als aus den rasch verhallten Worten dieser Rede aus den Blättern von Brinz' Pandektenlehrbuch zu einer kommenden

Generation hinüberwirken.

3. Ernst Jmanuel Bekker^) erscheint in dieser Versammlung von

Zivilisten als der strengst philologisch Vorgeschulte, aber darum nicht

weniger dem geltenden Rechte und seiner nnmittelbaren Anwendbar­ keit geneigt.

Vielmehr ist die unerschöpfliche Vielseitigkeit und Pro­

duktionskraft seiner Begabung nur durch die vom Vater, dem be­

rühmten Philologen Jmanuel Bekker, ererbte und anerzogene Kritik in feste methodologische Zucht genommen. Äußerlich zeigt sich das

bei den

historischen

Arbeiten Bekkers

in ihrer peinlichen Quellen­

mäßigkeit, in ihrer individualistischen Behandlung der klassischen Au­ toren3), in dem Bedürfnisse, vor Bearbeitung eines Stoffes die ganze

einschlägige lateinische, zum Teile auch griechische Literatur in wohl­ geordneten Exzerpten sich vorzuführen, trotz einer seit dem 25. Lebens­

jahre eingetretenen Augenschwäche. hervor,

indem Bekker

wohl

Noch mehr aber tritt es innerlich

weniger

als

irgendein

anderer

seiner

Zeitgenossen sich durch Wörter oder Bilder blenden oder fesseln läßt,

mit Meisterschaft die Kunst des Zweifelns und Nichtwissens übt, die verschiedenen Zeitepochen strengstens voneinander scheidet,

immer die

konkrete einzelne Sache unter die Lupe nimmt, die Bestimmungen des geltenden Rechts wie die historisch gegebenen Daten zu verallgemeinern verschmäht,

und

dennoch

jede Tiefe,

jeden

Gedankeninhalt,

jedes

praktische Lebensbedürfnis in sich aufzunehmen und zu bewerten ver­

steht. Sinne

Nominalist durch

des

Worts),

und

zugleich

durch (im mediävistisch - scholastischen mit starken praktischen,

ja politischen

Neigungen ausgestattet, tiefgrabender Dogmatiker und exakt forschen­ der Historiker, hat er auch mit Naturkunde sich beschäftigt3), ist aber

Zwanzigstes Kapitel.

848

gerade darum „Anti-Materialist und Anti-Determinist" geworden. Seine

Annahme von dem Fortbestände eines wirklichen „gemeinen deutschen Rechts"

auch nach der Jahrhundertmitte liegt methodisch dem nns

schon bekannten Strafrechtslehrbuche wie dem uns

gleichfalls schon

bekannten Unternehmen der „Jahrbücher des gemeinen Rechts" ge­

meinsam

zugrunde.

Sie beweist, bei aller Technik juristischer Be­

gründung durch Inanspruchnahme eines überstaatlichen Gewohnheits­ rechts, doch auch wieder eine mächtige Abstraktionsfähigkeit und

lebhaftes Gefühl

ein

für das Bedürfnis gemeinsamen deutschen Lebens

und Gedeihens in Praxis und Wissenschaft. Auf Bekkers zivilistische Auffassung besonders hatten zuerst Van-

gerows begeisternde Vorlesungen Einfluß gewonnen, sodann war die Gesamtwirkung von Savignys System überwältigend hinzugekommen. Später,

etwa

während

des

Haller Quadrienniums

1853—1857,

lernte er an den philosophischen Problemen des Strafrechts und an

den praktischen Aufgaben des Privatrechts, namentlich aber im täg­ lichen Umgänge mit Bruns, dem Skeptiker und Dialektiker, der da­ mals gerade von seiner Hegelschen zu seiner Mommsenschen Periode den Übergang suchte, über jene Lehrer hinausgehen, von dem „Leit­

seile Savignys" mehr und mehr sich lösen, in Stoffsammlung Begriffsbildung eigene Wege einschlagen. Der Überzeugung,

namentlich durch die

und daß

neuen Lebensgestaltungen der Kreis der von

der Jurisprudenz zu beherrschenden Stoffe sich gewaltig ausgedehnt habe, ohne daß doch darum die Arbeit am alten, keineswegs noch

genügend bewältigten Stoffe ausgesetzt werden dürfe,

gibt Bekkers

Einleitungsartikel 4) zum ersten Band von seinen und Muthers Jahr­

büchern Ausdruck, und zwar wohl in höherem Maße,

als es dem

persönlich nächstbefreundeten, juristisch aber konservativeren Mitheraus­

geber Muther so ganz erwünscht sein mochte. Bekker selbst ist dieser Überzeugung immer, wie im Programm so in der Ausführung, treu geblieben.

alten

So umspannen ■ seine Werke neben den Problemen der

historischen

Schule und

des gemeinen Rechts Untersuchungen

über die Reform des Hypothekenrechts (1867), den Entwurf einer

Grundbuchordnung für das Gebiet des Norddeutschen Bundes ^) und namentlich, aus einer kritischen Vorlesung über die Rechtsprechung des Reichsgerichts hervorgegangen, das Buch „Über die Coupons­ prozesse der österreichischen Eisenbahngesellschaften und über die inter­

nationalen

Schuldverschreibungen"

von

1881.

So

bezeichnet. er

I. Gemeines Zivilrecht.

849

3) E. I. Belker.

heute noch 6) in neuer Anwendung des alten Grundsatzes als haupt­ sächliche Neuigkeit auf dem Gebiete der Jurisprudenz nicht die Bil­

dung neuer Gruppen oder Methoden, sondern die Erweiterung des zu behandelnden Stoffes über den gemeinrechtlichen Quellenkreis hin­

aus,

„Bürgerliches Gesetzbuch, Papyri, griechisches Recht und was

damit zusammenhängt".

Diese streng sachliche Gesinnung und Schulung Bekkers erklärt es

denn

auch,

Rechtswissenschaft

daß ihm von allen verschiedenen Strömungen der nur

eine

stets

gleich

schaftlich erscheint, die naturrechtliche.

unerträglich und unwissen­

Darum ist es ihm, dem feinen

Biographen seiner Heidelberger Amtsvorgänger und seiner Jugend­

genossen, die er wohl alle überlebt hat?), so schwer geworden, Thibaut gerecht zu werden. Darum fühlt er sich so viel entschiedener als Jhering oder Bruns bei allem seinem Verständnisse für praktische

und moderne Bedürfnisse, bei aller Erkenntnis der Schwächen und

Irrtümer, als Sproß der Verteidiger

und

historischen Schule, als deren berufener

Vorkämpfer.

Darum besteht

denn

aber auch zu

Beginn ihrer Laufbahn 8) ein gewisser Gegensatz zwischen Bekker und

Jhering, da ersterer in dem „Geiste"

Jherings, in dessen kühnen

Konstruktionen historischer und dogmatischer Art, ein naturrechtliches Element herausfühlt und sich bedenklich davor zurückzieht; während die entschiedene Warnung vor jedem naturrechtlichen oder dogmatischen

Doktrinarismus, womit Bekker die einleitenden Betrachtungen seiner Heidelberger Festschrift von 1903 abschließt8), der späteren Stellung­ nahme Jherings gegen die Begriffsjurisprudenz so durchaus gleich­

tönt.

Der unüberbrückbare Gegensatz zweier historisch immer wieder­

kehrender, weil beider menschlich begründeter Rechts- nnd Weltauf­ fassungen, um den es sich hier ursprünglich handelte, nämlich der Gegensatz zwischen der Überzeugung von der Existenz oder Nicht­

existenz

tiefstliegender,

selbstherrlicher Begriffe,

scheint

neuerdings

wieder an dem Stoffe des jungen deutschen bürgerlichen Rechts zum Ausdrucke gebracht werden zu sollen durch So hm und dessen Gegen­

standslehre

Kämpen,

einerseits,

durch

Bekkers,

des

alten

nominalistischen

Gegenschriften andererseits, denen sich Jüngere von ihrem

Standpunkte aus zugesellen 10). Indessen müssen wir zu unserem Zeitgebiete zurückkehren.

Noch

ganz in dieses fallen Bekkers erste historische, zum Teil selbst historisch­

philologische Schriften,

namentlich

das

gründliche Werk über

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

54

die

Zwanzigstes Kapitel.

850

Prozessualkonsumption im alten römischen Rechts von 1853 und

die aus der Idee eines „JusPlautinum" hervorgegangenen @t übten12). Ferner zahlreiche Rezensionen im literarischen Zentralblatte, die schon besprochene Tätigkeit am Jahrbuch und das strafrechtliche Lehrbuch.

Jenseits

unserer

Grenze

fällt bereits Bekkers erstes Hauptwerk"),

das die Grundlage seines romanistischen Ruhmes legen sollte, „Die

Aktionen des römischen Privatrechts" Bd. 1 ius civile 1871, Bd. 2

prätorisches, richterliches, kaiserliches Recht 1873.

Das Buch ist aus

obligationenrechtlichen Studien hervorgegangen und zunächst nur als Vorläufer dazu gedacht, bietet aber wahrlich auch ohne diese geplante

Nachfolge") genügend gegenständliches Interesse.

geschichtlich-methodologische Bedeutung.

Dazu kommt die

Bestimmt, unser gegenwärtiges

Recht zu fördern durch möglichst scharfes historisches „Auseinander­

denken" des Rechts der Vergangenheit von dem der Gegenwart, um dadurch die selbständige Entwicklung unseres Rechts von dem Drucke

einer romanisierenden Theorie zu befreien,

stellt

es

eben

dadurch

einen wesentlichen Fortschritt dar zur philologisch-kritischen Erkenntnis

des reinen

römischen Rechts, so wie es tatsächlich gewesen ist.

darf daher kühn,

Es

aber richtig von Savigny und Puchta bemerken,

daß sie sich ein „römisches Recht der Gegenwart" konstruieren, „das in vielen Punkten so wenig römisch ist, wie es Anspruch auf Geltung in der Gegenwart machen dürfte".

Insofern gesellt sich Bekker durch

diese seine Arbeit zu der Schaar derer

nm und nach Mommsen"),

die, unberührt durch gemeinrechtliche Anwendbarkeitsrücksichten und durch deren erdrückendes Übergewicht, für die klarere, strenger historische Behandlung des römischen Rechtsstoffes als solchen neue Zeiten herauf­ geführt haben.

Ganz einzufügen wäre indessen Bekker dieser Gruppe nicht ohne Vergewaltigung, nicht einmal für seine Frühzeit, da alle seine Ar­ beiten doch immer an das Dogmatische anklingen und des Rechts der

Gegenwart als der Hauptsache gedenken.

Vollends seit er 1874 den

Heidelberger Lehrstuhl der Pandekten übernahm, trat die dogmatische

Aufgabe für Bekker in den Vordergrund, zunächst in der Form der

Lehraufgabe, für die er es als geboten ansah, mit der Darstellung der Pandekten fortlaufend Hinweise auf modernes Recht zu verbinden.

So lehnte er einen Antrag zur Neubearbeitung des Vangerowschen Lehrbuches

ab,

ging vielmehr dazu über, einen eigenen Pandekten­

grundriß 1874 drucken

zu

lassen

und bei dessen Ausarbeitung be-

I. Gemeines Zivilrecht.

851

3) E. I. Bekker.

sonders Seufferts Archiv sowie das sächsische Gesetzbuch zu berück­ sichtigen. Indem er nun daran lernte, die Überfülle des Details immer mehr aus den Vorlesungen auszuscheiden, vertiefte er sich da­ gegen in dogmatische Grübelei, wie er dazu bereits 187316) den An­

fang mit der so

anregenden Untersuchung über „Genuß- und Ver­

fügungsberechtigte

als

gemacht

Rechtssubjekte"

hatte.

dem

Aus

Nachsinnen über derartige Probleme ist schließlich das Wundersame

„System des heutigen Pandektenrechts" hervorgegangen, das, in zwei kleinen Bänden 1886 und 1889 erschienen, zwar nur ein Stück des allgemeinen Teils erledigt, aber unendlich viel inhaltsreicher ist, als

so manches dickleibige Lehrbuch, das sich in den altgewohnten Bahnen wie

Als Hütte noch kurz vor Schluß gezeigt werden sollen,

hält.

wenig die unerschöpfliche Fruchtbarkeit des alten Pandektenrechts er­ schöpft

war,

so

steht^dieses Buch am Ende der Pandektenliteratur,

aber wahrlich nicht als ein Abschluß, sondern voll neuer Anregungen

und Anforderungen, mit allen seinen Exkursen und Beilagen, seiner Summe von kurzen Materialzusammenstellungen oder vielseitig ein­ schlagenden

Gedankenkombinationen.

In letzterer Beziehung ist

es

zugleich eine rechtsphilosophische Leistung im besten Sinne des Wortes,

nämlich als Förderung induktiver Stosfbeherrschung, wie sie Merkel verlangt hat. Ein Musterbeispiel dieser Art ist denn auch der Auf­ satz „Über die natürliche Beschaffenheit der Objekte unserer dinglichen Rechte" von 189817);

die interessante Abrechnung mit Naturrechtlich­

philosophierenden Tendenzen und Schlagwörtern der Neuzeit

findet sich

in der

von 1896,

Schrift

die

aber

den Satz „Recht muß

Recht bleiben" in so geistreicher Weise erörtert.

Bekkers

spätere

Werke,

soweit

sie mit dem

neuen

deuffchen

bürgerlichen Rechte sich beschäftigens oder soweit sie heute noch zu

erscheinen fortfahren, können hier nicht mehr

berücksichtigt werden.

Wohl aber ist noch aus der Zeit zwischen Aktionenrecht und Pan­ dektensystem nachträglich anzuführen „Das Recht des Besitzes bei den

Römern" von 1880, wiederum eine kritisch abwägende, streng an das historisch Nachweisbare gebundene Leistung des aktionenrechtlichen Stils.

Die Frage

nach

dem

philosophischen Grunde des Besitzes­

schutzes wird kurzerhand abgewiesen, voreingenommener

werden

die

um so eindringlicher und un­

Besitzesschutzeinzelheiten

durchforscht.

Es handelt sich um ein Zwischenglied zwischen Savigny und Bruns einerseits, Jherings späterer Schrift andererseits, das zwar, vielleicht 54*

Zwanzigstes Kapitel.

852

eben wegen seiner Sachlichkeit, weniger in den Vordergrund des In­

teresses getreten ist, als die Werke dieser Juristen, aber neben ihnen durchaus selbständig dasteht und sich wohl behauptet.

Mit der außer­

gewöhnlich klar ausgesprochenen und scharf begründeten Erkenntnis

von der Mangelhaftigkeit des corpus iuris civilis,

als Gesetzbuch

aufgefaßt, und mit zahlreichen Einzelheiten seiner Besitzlehre leitet es

wieder

zum Standpunkte der Gegenwart

hinüber.

In

demselben

Sinne mag abschließend noch Bekkers Schrift zu Jherings Jubiläum angeführt sein, die in freier Anlehnung an des Jubilars berühmte

Satyre sich umgekehrt als „Ernst und Scherz über unsere Wissen­ schaft" bezeichnet; sie soll,

1892 Jhering auf dem Todesbette über­

geben, diesem noch zum besonderen Wohlgefallen gereicht haben.

4. Von

der außergewöhnlich großen Anzahl tüchtiger Roma­

nisten, durchweg wohl etwas geringerer Bedeutung, die in der jüngeren

Generation r) den bisher genannten Führern sich anschloß, kommen für uns nur noch die in Betracht, die mit beträchtlicheren Leistungen

schon vor 1870 hervorgetreten sind.

Unter ihnen dürfte, wenn wir

von der österreichischen Gruppe vorerst wieder absehen und Heinrich

Degenkolb trotz seines zivilistischen Fundamentalwerkes „Platzrecht und Miete" von 1867 lieber dem Zivilprozeß Vorbehalten, entschieden die

erste Stelle Hartmann zukommen.

Gustav Hartmanns ist einer der scharfsinnigsten und fein­

fühligsten Forscher, die sich an Jhering, besonders auch an Jherings freiere spätere Manier angeschlossen haben.

kasuistischen

Materials

Er versteht es, an der Hand

oder positivrechtlicher Einzelvorschriften,

die

zuerst den Charakter der Sonderbarkeit an sich zu tragen scheinen, Aufschlüsse über die tiefere Anlage ganzer Rechtslehren zu gewinnen. Ist ihm doch selbst gelungen, der so viel besprochenen Obligation auf diesem Wege eine ganz neue Seite abzulauschen.

Aber' freilich liegt

die Schrift, worin er dies geleistet hat (Die Obligation, Untersuchungen über ihren Zweck und Bau), bereits im Jahre 1875; und erst dann

folgen eine Reihe ähnlich ergiebiger Untersuchungen in den Aufsätzen3): über Rechte an eigener Sache, über Wort nnd Wille im Rechtsver­

kehr, über juristischen Casus und über Werk und Wille bei dem sog. stillschweigenden Konsens.

Indessen hatte Hartmann sich doch auch

schon vor 1870 durch eine Reihe ähnlicher Arbeiten bekannt gemacht, namentlich durch erbrechtliche Untersuchungen *) und besonders 1868 durch sein gehaltvolles Buch „Über den rechtlichen Begriff des Geldes

I. Gemeines Zivilrecht.

.und den Inhalt der Geldschulden".

853

Auch hier erscheint er als ein

gerichteter. Denkart,

objektiv

von

Jurist

4) Verschiedene.

bemüht darum,

aus dem

Zwecke der Rechtseinrichtnng hervor zu folgern und so dem Jhering-

schen Zweckgedanken gerecht zu werden, dem er seine Freiburger Pro­ Er hat daran immer fest­

rektoratsrede von 1877 gewidmet hat.

gehalten und ist noch 1891 der Festlegung objektiver Normen zum

Schutze

und Allgemeinwohl

von Verkehr

Hilfe gekommen

Hinweis

seinen

durch

Lehre entscheidend

auf

„die

des englisch-amerikanischen Vertragsrechtes" 5).

zusammenhänge

kehren

wieder in

vielfach

übertriebenen

den

gegen

der älteren gemeinrechtlichen

Subjektivismus

zu

Grundprinzipien

Dieselben

Gedanken­

der interessanten Studie

über Leibniz als Juristen, mit der Hartmann 1892 Jhering zum Doktorjubiläum beglückwünschte.

Diese Stellung von Hartmann zu den fortgeschritteneren Ideen von Jhering ist um so mehr hervorzuheben, da er damit unter seinen

noch ziemlich vereinzelt dasteht.

gleichalterigen Zeitgenossen

Außer

ihm wäre wohl nur noch Demelius und eines oder das andere Mit­

glied der territorialen Gruppe, Dernburg und Unger besonders, als gleich weitgehend zu nennen. Dagegen die große Mehrzahl hält sich mehr auf den Bahnen der lediglich positiven und konstruktiven Juris­ prudenz, auf der Grundlage durchweg erfreulicher Quellenbeherrschung

die

bestrebt,

hauptsächlich

für einzelne Rechts­

leitenden Gedanken

abschnitte möglichst scharf zu fassen und möglichst vielseitig durchzu­ führen.

Als dem Typus dieser Art bei

gründlichster Gediegenheit

und feinster Gedankenarbeit entsprechend mögen für die Abhandlungs­ form die zivilistischen Erörterungen von Regelsberger8), 1867, für die breitere monographische Form Bechmanns?) beide Monu­

mentalwerke über die Mitgift und über den Kauf genannt werden. Wenigstens das erstere füllt noch ganz mit seinen beiden Abteilungen

von 1863 und 1867 in unsere Periode; aber auch das andere, das geschichtlich und dogmatisch in zwei umfassenden Teilen8) seinen mäch­ tigen Stoff erschöpft und in Gedankenverbindung mit der gesamten

römischen Rechtsgeschichte sowie mit dem gationenrecht

hineingezogen hält,

wie

sie

werden, zu

Unterabteilung

es

da

Beginn

herrschende gewesen ist,

letzte

darf

durcharbeitet,

bis



in

doch

gesamten

entschieden

von

in

noch

an

Bechmanns

unbeschadet des

die

Zeit der

gemeinen Obli­

unsere der

Darstellung

fest­

Methode die

Tätigkeit Umstandes,

Herrschaft

vor­

daß

des

die

neuen

854

Zwanzigstes Kapitel.

Privatrechts hineinreicht

und

gebührende Rücksicht zu

auch

darauf

nehmen nicht mlterläßt. Als der Vertreter derjenigen positiv-gemeinrechtlichen Privatrechts­

wissenschaft,

die, noch von dieser ihrer Glanzzeit herstammend,

die

Hervorbildung eines neuen deutschen Privatrechts mit besonderer Auf­ merksamkeit begleitet und die wissenschaftliche Übergangs- und Ver­

schmelzungsarbeit wenigstens vorbereitet hat, sei endlich noch Mandry^) genannt mit seinem vielbenutzten Werke über den zivilrechtlichen Inhalt

der Reichsgesetze.

Es behandelt diesen nämlich soweit, wie die Reichs­

gesetzgebung schon vor dem Erlasse des bürgerlichen Gesetzbuches ein­ gegriffen hatte, und folgt damit in systematischer Zusammenstellung

dem Gange der Entwicklung,

in jedesmal

entsprechend vermehrten

Ausgaben von 1878, 1882, 1886 und 189810).

ja

auch an

dem Entwürfe zum

Mandry hat denn

deutschen bürgerlichen Gesetzbuche

selbst mitarbeiten zu dürfen die Auszeichnung erfahren.

Aus unserer

Periode rühren von ihm her Erörterungen zum bayerischen Gesetze vom 28. Juni 1865 (zum Schutze der Urheberrechte an literarischen

Erzeugnissen und Werken der Kunst), die Mandry 1867 veröffentlicht

hat,

und Untersuchungen

über Begriff und Wesen

des Peculiums,

Unmittelbar jenseits unserer Grenze liegt Mandrys ge­

von 1869.

meinrechtliches Hauptwerk, das gemeine Familiengüterrecht mit Aus­ schluß

des

ehelichen

Güterrechts,

zwei

Bände,

Tübingen

1871

und 1876"). 5. Die dogmatischen Forschungsergebnisse dieser ganzen Epoche

sind

schließlich zusammengefaßt

worden

in Windscheids Pandekten­

lehrbuch. Bernhard Windscheid^), der Rheinländer, war an die Rechts­

wissenschaft herangetreten zunächst?)

von der Seite des

rheinischen

Rechts her, dessen Begriffssystematik wesentlich geklärt wurde durch

seine Schrift: „Zur Lehre des code Napoleon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte", Düsseldorf 1847.

Er

hatte sich sodann

dem

gemeinen Rechte zugewendet3) mit zwei ähnlichen, begriffskonstitutiven Werken:

„Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung",

1850, und „Die Actio des römischen Zivilrechts vom Standpunkte

des heutigen Rechts",

1855, wozu denn noch ergänzend 1857

die

„Abwehr gegen Dr. Theodor Muther" hinzugekommen war, wie denn von dieser berühmt gebliebenen Kontroverse schon oben bei Muther gehandelt werden mußte.

Zwischen diesen beiden größeren Werken

I. Gemeines Zivilrecht.

5) Mndscheid.

lag noch die akademische Gelegenheitsschrift von 1851

855 über die Wir­

kung der erfüllten Bedingung ^). Diese Schriften schlagen entschieden eine kräftig neuernde Rich­ tung ein.

Die früheste, die zwischen unbedingter und bedingter rechts­

geschäftlicher Willensbindung die Neubildung der Voraussetzung ein­

führt, hat zunächst in dieser ihrer individualpsychologischen Auffassung

und Feinheit, wie sie für Windscheids juristische Denkart lebensläng­ lich maßgebend geblieben

ist,

viel Lob und Anerkennung gefunden,

auf die Dauer aber sich als für die Verkehrbedürfnisse übermäßig subtil und subjektivistisch herausgestellt.

Sie

hat deshalb,

obschon

Windscheid noch einmal 1892 voll für sie eingetreten ist5), im deutschen bürgerlichen Gesetzbuch nicht durchdringen können, und eine Berufung auf das Recht der Voraussetzung würde heute wohl scharf abgelehnt

werden.

Dagegen die mittlere jener Schriften, die von 1851 über

die Bedingung, hat zuerst mit Erfolg die rückwirkende Kraft der Be­ dingungserfüllung bestritten und dadurch einer gesunden Entwicklung Raum gebrochen.

Und gar die letzte dieser Schriften, deren Aus­

gangspunkt ein geschichtlicher, die Hinüberbildung der römischen actio zu unserem Anspruch ist,

hat mit diesem Anspruchsbegriffe sich all­

seitig dauernd durchgesetzt, in der Vorstellung nicht nur der meisten Juristen,

sondern bekanntlich auch bei der Gestaltung der neueren

Gesetzgebung

in weitestgehendem Maße.

Der scharfe Angriff,

den

Muther gegen sie zur Wahrung der altrömischen Begriffswelt richtete,

hat den» nicht nur keinen Eintrag getan, sondern eher umgekehrt dazu

gedient, die allgemeine Aufmerksamkeit dafür zu gewinnen; worauf denn Windscheids Antwort die Sache auf absehbare Zeit entschieden hat, mag man den für Windscheids sonstige Übung außerordentlich

schroffen Ton dieser Antwort nun mehr oder weniger billigen.

Aus

der Verbindung des Windscheidschen Anspruches mit der Gerberschen Methode der Publizistik ist z. B. der „prozessuale Rechtsschutzanspruch" hervorgegangen5).

Dabei ist der entschiedenste und zweifelfreieste Er­

folg noch besonders beschieden gewesen der entgegenkommenden Be­ handlung, die zufolge der Anspruchsgestaltung in Windscheids »Actio«

der

Forderungsabtretnng7)

denn aber auch

zuteil wird.

Diese Behandlung

dürfte

wohl als der Punkt hervorzuhebeu sein, bei dem

Windscheid der neueren Richtung, gegenüber der Strenge der älteren Romanistik, am weitesten entgegengekommen ist, und eben damit stehen die oben bereits angeführten, diese Richtung billigenden Äußerungen

Zwanzigstes Kapitel.

856 Windscheids sachlich,

methodologisch und sprachlich

in engstem Zu­

sammenhänge. Von

diesem

literärgeschichtlichen Standpunkte

betrachtet,

aus

treten nun aber die beiden Hauptwerke („Anspruch" und ^Voraus­

setzung")

in

ein

bestimmtes Verhältnis zu

maßgebenden Schriften

Anderer aus derselben Zeit.

Dieses Verhältnis ist zunächst ein solches

der Zusammengehörigkeit.

Beide

Werke



weniger

die

strenger

quellenmäßige Bedingungsschrift — beruhen darauf, daß Windscheid sich nicht an die Einzelentscheidungen der Quellen bindet,

sondern

darin bloß historisch oder dogmatisch Richtungspunkte findet für eine

weit darüber hinaus fortzuführende Linie. Er scheut sich dabei keines­ wegs, die Bahnen der „produktiven Jurisprudenz" zu wandeln und das, was das Rechtsleben der Gegenwart verlangt, auf diesem Wege

aus dem römischen Recht heraus oder im Notfälle selbst gegen das römische Recht zu finden.

Erst recht ist er stets bereit gewesen und

geblieben, abgestorbene Stücke der römischen Rechtseinrichtungen ab­ zuschneiden und praktische Neubildungen zu berücksichtigen.

Soweit

stimmt sein Verhalten offenbar durchaus überein mit den Forderungen,

die von Jhering und

Gerber zur Zeit ihrer Gemeinschaft an die

Rechtswissenschaft gestellt worden sind.

Sieht man aber näher zu,

so ergibt sich doch schon hier, schon für Windscheids erste Schriften­ gruppe eine bedeutsame Abtönung.

Diese liegt nach der Richtung hin, daß Windscheids Neubildungen nicht unmittelbar erwachsen sind aus dem Verständnis für die Be­ dürfnisse

des kasuistisch

ersonnen

zur

vorgestellten Rechtslebens

Befriedigung

eines

systematischen

hervor, sondern

Bedürfnisses.

Es

handelt sich ihm in erster Linie nicht um sachliche, stoffliche Ergeb­

nisse,

wennschon

solche,

z. B.

für

die Forderungsabtretung, mit­

gefördert werden, sondern um das technische Hilfsgerüst, als hätte

sich Windscheid von vornherein planmäßig um dessen Bereitstellung

bemüht,

um davon aus zu dem großen systematischen Bau seiner

Pandekten vorgehen zu können.

Mangels eines solchen Planes, den

man kaum wird annehmen dürfen, ist mindestens aber die Gemein­

samkeit der Grundstimmung unverkennbar, durch die Windscheid zu­

erst zu jenen systematisch so fruchtbaren Untersuchungen geführt worden ist, dann aber weiter zu seinem Lebenswerke; in dessen Verlauf sollte

er freilich durch dieselbe Grundstimmung noch gar viel weiter abgedrängt werden.

von der Bahn Jherings

I. Gemeines Zivilrecht.

5) Windscheid.

857

Das Windscheidsche Pandektenlehrbuch, von vornherein auf drei Bände angelegt, die dann allerdings von Auflage zu Auflage mächtig angeschwollen

sind,

erschien

zuerst

1862,

1866,

1870.

Von

den

ersten Bänden war längst eine neue Auflage erforderlich geworden, ehe der dritte in erster Auflage vorlag;

gleichzeitig

datiert von 1875,

lage

die fünfte von 1879

damit

erschien

Die vierte Auf­

dann die dritte Auflage der beiden ersten Bände. (mit

unverändertem

Titelneudruck von 1882), die sechste von 1887 und die siebente von

1891.

Diese ist die letzte, die von Windscheid selbst gearbeitet und

zu seinen Lebzeiten veröffentlicht ist, zugleich die letzte im 19. Jahr­

hundertb). — Wohl begreiflich, daß in der gewaltigen Arbeit zur Durchführung dieser Auflagen seit Beginn der 60 er Jahre Wind­

scheid fast ganz aufgegangen ist.

Was wir außerdem seither von ihm

besitzen, besteht wesentlich nur aus kurzen Aufsätzen und Gelegenheits­

reden, worunter von jenen die Verteidigung der subjektiven Willens­ theorie aus dem Jahre 18809), von diesen die Leipziger Rektorats­

rede vom 31. Oktober 1884 über „Die Aufgaben der Rechtswissen­ schaft"

an

Bedeutung hervorragen.

Aber

diese

kleineren

Stücke

können von dem Pandektenwerke unsere Aufmerksamkeit nicht mehr ablenken.; dieses birgt, wie im einzelnen alle dogmatischen Anschau­

ungen des Verfassers, so namentlich auch in seinem Gesamtinhalt den Gesamtausdruck dessen, was Windscheid als seine Auffassung von der Aufgabe der Rechtswissenschaft in jene Rede nur kürzer und über­ sichtlicher zusammengefaßt hat.

Es ist aber ein Dreifaches,

worin mir wesentlich die Bedeutung

dieses Lehrbuches für die Wissenschaft des gemeinen Rechts zu liegen scheint. In

herrscht,

erster Linie

um

handelt

es

sich,

die Literaturverwertung.

worüber wohl Einmütigkeit

Alle

die Einzelheiten

einer

stets anschwellenden und gegenüber der Vergangenheit unverhältnis­

mäßig gesteigerten Masse

von romanistischen Monographien,

schriftenaufsätzen, Rezensionen und Notizen

nur zusammengestellt,

sondern

Zeit­

aller Art werden nicht

auch durchgearbeitet;

durchgearbeitet

kritisch sowohl wie dogmatisch, in wenigen Worten oder ausführlicher, aber jedesmal so, daß der Kern daraus enthüllt, das Schiefe oder

Unbrauchbare zurückgewiesen, das Verwertbare angegeben und benutzt ist.

Mit einer nie versagenden Geduld, mit einer unbestechlichen Ge­

rechtigkeit, geübt gegen den wetteifernden Meister wie gegen den auf-

Zwanzigstes Kapitel.

858

strebenden Anfänger, verbindet da Windscheid einen kritischen Scharf­

sinn, der durchweg den springenden Punkt zu treffen weiß.

Wenn

Jhering nur polemisieren kann, nicht kritisieren; wenn für Brinz die Meisterschaft der Kritik doch wesentlich nur Gelegenheit zur Andeutung eigener Ansichten ist: so ist Windscheids Kritik die absolut objektive,

die zunächst sich auf eines jeden Verfassers eigenen Standpunkt stellt, um ihn zu würdigen, erst dann zu der Auswahl zwischen den ver­ schiedenen möglichen Standpunkten übergeht.

So ist Windscheid für

die Literatur seines Jahrhunderts weit mehr geworden als Accursius für die der Glossatoren, er hat sie nicht nur äußerlich zusammen­ gestellt und der Nachwelt erhalten, sondern er hat sie inhaltlich klar­

gestellt und systematisch eingeordnet, er hat ihr Ergebnis der Nach­

welt überantwortet.

Und er hat dies mit solcher Autorität getan,

daß es lange Zeit für die Wirksamkeit eines Schriftstellers geradezu als entscheidend angesehen werden konnte, ob seine Ansicht bei Wind­

scheid

mindestens

irgendwelche

Berücksichtigung fand.

So ist das

Windscheidsche Lehrbuch gewissermaßen die zentrale Sammelstelle ge­ worden, in die sich alle wissenschaftlichen Beiträge zur Lehre des ge­

meinen Privatrechts römischen Ursprungs ergossen, um von da wieder befruchtend auf die Gesilde der Theorie, der Praxis und der Gesetz­ gebung zuriickgeleitet zu werden. Ein Zweites kommt in Betracht, das seltener hervorgehoben wird,

wohl weil man sich durch Windscheid so daran gewöhnt

hat,

daß

Bis dahin waren die Pan­

man es als selbstverständlich hinnimmt.

dektenwerke des 19. Jahrhunderts entweder streng theoretisch-doktrinärer

Natur, wie die von Puchta und Arndts, oder bloß praktisch-kasuistischer Natur, wie die von Seuffert, Sintenis, Holzschuher.

Erst Windscheid

hat es verstanden, wie die Zeitströmung seit der Jahrhundertmitte es gebieterisch verlangte, aber auch ermöglichte, diese Kluft zwischen Theorie und Praxis

zu

überwinden,

ein Pandektenlehrbuch

herzu­

stellen, das sowohl wissenschaftlich wie praktisch gewesen ist, brauchbar

sowohl für den Theoretiker wie für jeden gemeinrechtlichen Praktiker, sowohl abstrakter wie kasuistischer Natur.

Das bildet den gewaltigen

Fortschritt, den Windscheids Werk über die vorgenannten hinaus dar­

stellt — wobei natürlich von Werken ganz andersartigen Planes, wie

Vangerow und Brinz, abgesehen werden muß.

Wie seit der Jahr­

hundertmitte überhaupt die historische Schule mit der wissenschaftlich­

positivistischen Richtung verschmilzt und daraus die neuere historische

1. Gemeines Zivilrecht.

5) Windscheid.

859

Richtung hervorgeht, so ist Windscheids Pandektenlehrbuch das Lehr­ buch dieser Umgestaltung der Dinge.

Erreicht aber hat dies Wind­

scheid wesentlich an der Hand des Seuffertschen Archivs, seiner Samm­

lung

Urteile.

oberstgerichtlicher

Nicht

nur

die

gesamte Literatur,

sondern auch die Judikatur ist von Windscheid ausgenommen, kritisch

geprüft und dogmatisch berücksichtigt;

sein Werk beruht auf beiden

Säulen und ist darum auch als Durchgang zu beiden Richtungen brauchbar; das tritt schon rein äußerlich durch die große Anzahl von

Zitaten aus der Rechtsprechung zutage, nach denen man sich in älteren

Pandektenlehrbüchern

der

gelehrten

Richtung

umsonst umsieht. —

Hinzukommt behufs solcher praktischer Verwendbarkeit die gleichfalls dieser neueren Richtung der historischen Romanistik eignende Abkehr

vom bloß Altertümlichen, die Entschiedenheit der Pflege des geltenden

Rechts als solchen, auf Grundlage nationaler Gesinnung.

Was da

Windscheid zur Zeit seines ersten Auftretens als richtig vertreten hatte, das hat er auch in seinem Lehrbuche nie verleugnet.

eine Summe von

Er hat darin

alten Zöpfen abgeschnitten, eine Reihe von Fort­

schritten anerkannt und verwirklicht.

Auch in der Neigung dazu, an

Stelle der bisher üblichen lateinischen Ausdrücke deutsche Kunstwörter zu prägen und zu verwenden, zeigt sich dies nach wie vor, und gerade dies hat dann wieder zu seinem Teile, besonders auch durch die Macht

des Beispiels, zur Vorbereitung einer deutschen Gesetzessprache wesent­ lich beigetragen.

Diese letztere Wirkung mag mehr eine mittelbare

gewesen sein, unmittelbar aber wurde bekanntlich Windscheids Lehr­ buch durch diese seine Eigenschaften zur Beherrschung der Praxis be­

rufen in einem lange nicht mehr dagewesenen Maße, wie nur je einer der Folianten aus den Zeiten des 17. Jahrhunderts.

Die

dritte

große

Leistung des Windscheidschen Pandektenlehr­

buches ist aber, daß alles dieses Material nicht nur bereitgestellt ist, sondern daß es auch innerlich durchdacht, zu des Verfassers eigenem geistigen Besitze gemacht und zu einem systematischen Ganzen zusammen­

geschmolzen ist.

Mit einer Macht der Logik und einer Kunst der

Dialektik, die Größtes und Kleinstes zu umfassen, auseinander herzu­ leiten und ineinander einzufügen versteht, ist ein Bau hergestellt, der

an Strenge des konstruktiven Stils, an Harmonie der Glieder und an feinster Durchführung der Einzelheiten seinesgleichen sucht.

Hier,

insofern es ihm zur Sicherung dieses Baues unvermeidlich nötig ge­

worden

erscheint,

schreckt

selbst in

späteren Jahren und Auflagen

860

Zwanzigstes Kapitel.

Windscheid nicht zurück vor der Einführung neuer Ideen, nämlich neuer systematischer Hilfsbegriffe, und wären sie selbst so kühn wie

die Annahme der Möglichkeit subjektloser Rechte. Auch insofern er­ scheint hier Windscheid als der vollendete Vertreter seiner Zeit, indem er deren Sinn für logische Notwendigkeit und deren konstruktive Kunst von dem einzelnen Rechtsinstitut auf das Ganze des Privatrechts

überträgt und daran zu überwältigender Verwirklichung bringt. Darum auch wird das Lehrbuch auf die Dauer lehrreich fern, nicht bloß

indem sein Einblick kurzerhand gestattet, den Stand der Doktrin

und der Praxis gegen Ende des 19. Jahrhunderts festzustellen, sondern auch indem sein Studium eine Schulung des formal juristischen Denkens, eine juristische Denkgymnastik vermittelt, die uns näher liegt als die der römischen Klassiker, während der jüngste Rechtsstoff sich solchem Dienste noch nicht recht fügen will. Die in dieser strengen Zucht er­ wachsene Generation wenigstens wird sich ihrer immer dankbar erinnern,

gerade auch nachdem sie sich aus ihrem zwingenden Banne zu befreien vermocht hat. Der Text namentlich des Windscheidschen Lehrbuches, wie er immer peinlicher von Ausgabe zu Ausgabe Wort für Wort zugeschliffen ist, wie sich an jedes seiner Worte eine bestimmte Ent­ scheidung einer Kontroverse nach der einen oder anderen Seite an­ knüpft, wie er den mehr ins Breite gehenden Noten Stütze und Halt gewährt, nimmt fast die Bedeutung eines Gesetzestextes an, in bezug sowohl auf die Technik wie auf die Autorität, wozu man dann die Noten als Kommentar ansehen möchte. Ein sorgfältig eingehendes

Studium wird von Windscheid zwar verlangt, aber auch gelohnt. Daß diese Vollendung des Werkes eine formal logische ist und bleibt, kann freilich nicht verkannt werden; und zwar nicht nur in dem nächstliegenden äußerlichen Sinne, bei dem an eine besondere

Ausbildung der Wortfaffungs- und Satzverknüpfungskunst zu denken wäre,

sondern auch in dem tiefergreifenden innerlichen Sinne, der

jüngst als ein Argumentieren aus einer gewissen, den allgemeinen

Regeln oder Begriffen als notwendig immanent gedachten logischen Folgerichtigkeit hervor klar bestimmt worden ist10). Daß Windscheid

in diesem Sinne formalistisch denkt nnd verfährt, ist für die Zeit, aus der seine Pandekten stammen, nach allem, was wir bisher darüber wahrgenommen haben, fast selbstverständlich: Es ist eben die Periode, die konstruktive Entwicklungen und logische Überzeugungen noch ganz mit Puchta teilt, die Zeit, in der gerade erst Jhering mit aller Vor-

I. Gemeines Zivilrecht.

861

5) Windscheid.

sicht unter dem Schutze strenger Anonymität daran geht, gegen die

Begriffsjurisprudenz aufzutreten,

der er bis dahin selbst gehuldigt

Bei Windscheid erhält nun außerdem all dies die Steigerung,

hat.

die sich aus der Geschlossenheit des Systems von selbst ergibt, die z. B. in dem Übergewichte des allgemeinen Teils so stark sich äußert.

Je reicher das induktiv verwertete Material, je stärker die Abstraktion, um so höher wächst die Gefahr der Verallgemeinerung der Ergebnisse tatsächlich Umfaßte

über

das

man

handhabt,

hinaus.

Je weiter die Begriffe,

die

entfernt sind,

desto

stärker wird die Gefahr des bloßen „Rechnens mit Begriffen".

Für

von

den konkreten Tatsachen

Windscheid mag diese Gefahr noch persönlich durch einen

gewissen

Mangel an kasuistischer Phantasie verstärkt worden sein; nichtsdesto­

weniger scheint mir ein besonders bedenklicher Mißbrauch jener da­ mals herrschenden Denkgewohnheiten bei ihm nachweisbar nicht vor­ zuliegen.

Eine andere Frage ist es, ob Windscheid nicht sonst in sachlicher Beziehung hinter dem Standpunkte seiner eigenen Zeit zurückgeblieben

ist, ja in etwas, sogar im Vergleich zu seinen eigenen früheren Werken,

durch sein Lehrbuch „konservativer" geworden ist.

nächst

schon

Zusammenhängen

mit

der

Das könnte zu­

Ausbildung

einer

exakten

Theorie der Quellenmäßigkeit, wozu er sich durch sein System genötigt sah, die seinem Gerechtigkeitsgefühl dann aber auch den Dienst leisten mußte, ihm den möglichst objektiven Maßstab für literarische Kritik in

die Hand

So wird er in dem Ansprüche auf Quellen­

zu geben.

mäßigkeit immer strenger, wenigstens insofern, als er in jeder freien Rechtsbildung naturrechtliche Rechtsdichtung erblickt und zurückweist,

während er allerdings der freiesten wissenschaftlichen Gesetzesauslegung

durch Einzel- oder selbst Gesamtanalogieschluß bekanntlich immer die

Treue

gewahrt

hat.

Aber wohin er weder mit diesem Hilfsmittel

noch mittels der logischen Konstruktion zu gelangen vermag, da ge­

traut sich nun Windscheid immer weniger hin.

Darum wird er sogar

immer mehr geneigt, die Unlösbarkeit gewisser Kontroversen, die Un­ vereinbarkeit gewisser Quellenstellen miteinander und damit die Un­

möglichkeit, auf rein wissenschaftlichem Wege zur Rechtssicherheit zu

gelangen, anzuerkennen, so daß damit gerade Windscheid dem Eingriffe der Gesetzgebung maßgebend vorgearbeitet hat. Zunächst aber ergibt sich dadurch für ihn eine peinliche Ängstlichkeit und Steifheit, die un­

erfreulich

von der

freien Beweglichkeit

seiner Anfänge absticht. —

Zwanzigstes Kapitel.

862

Dazu kommt die drückende Gewohnheit täglicher formaler Kleinarbeit.

Zwar hat Windscheid wahrlich an seinen Lehren und Definitionen

nicht geklebt, selbst vor starken Umwälzungen äußersten Falles nicht

Indem er aber regelmäßig doch die Ergebnisse der

zurückgeschreckt.

Literatur und Judikatur nur dadurch zu berücksichtigen braucht, daß er hier in eine Begriffsbestimmung ein anderes Wort einsetzt, dort zu einer Regel eine Ausnahme oder Ausdehnung hinzufügt, und in­

dem er dann wieder damit entfernteste Verzweigungen durch das ganze System hindurch in Einklang bringen muß, so wird sein Blick auf

diese Technik so überwiegend eingestellt, daß er in weitere Ferne zu blicken etwas verlernt haben mag, ja allmählich seine Nahsichügkeit

für die einzig richtige Weise des Sehens zu halten gelernt haben mag. Darum erkennt er nur noch in der Entwicklung des positiv geltenden

Rechts aus den Quellen hervor die Aufgabe der Rechtswissenschaft; selbst die Rechtsgeschichte rechnet er nur insoweit ein,

„als sie etwas

beiträgt zur Erkenntnis des anzuwendendenu) Rechts" — darüber hinaus ist sie Geschichtswissenschaft; und ferner läßt er allenfalls noch die

technische

und formale

Zu-

und

Durcharbeitung

anderswoher

stammender legislativer Gedanken als Juristenaufgabe gelten.

Da­

gegen die Beobachtung des rechtlicher Regelung unterworfenen Lebens selbst oder gar des nach rechtlicher Regelung verlangenden Lebens gehört jetzt für Windscheid nicht mehr zur Aufgabe der Rechtswissen­

schaft ;

den Vorzug,

stofflich neue legislative Gedanken daraus zu

erschließen, überläßt er neidlos der Nationalökonomie oder der Politik

oder etwa einer besonderen Gesetzgebungskunst.

So nimmt die Rekto­

ratsrede von 1884 für die Rechtswissenschaft

wohl noch die Vor­

bereitung

z. B. einer Grundbuchordnung

in Anspruch,

aber schon

nicht mehr die eines Scheckgesetzes, vollends nicht mehr die eines Ehe­ scheidungsgesetzes.

Damit bleibt Windscheid allerdings entschieden zurück, nicht nur hinter dem, was die Jurisprudenz einer späteren Zeit stürmisch als ihr Lebensbedürfnis beanspruchen mußte, sondern auch hinter, dem,

was schon durch Männer wie Thöl, Bähr und Jhering geleistet war, wie es ihrerseits die Klassiker der römischen Jurisprudenz geleistet hatten.

Man mag bezweifeln, ob nicht selbst schon Windscheid durch

seine Frühwerke mehr geleistet hatte, mindestens klingt uns aus diesen

eine ganz anders freie, selbstbewußte und entwicklungsfreudige Stim­ mung entgegen, als aus jenem späteren entsagungsbereiten Positivis-

I. Gemeines Zivilrecht.

5) Windscheid.

863

Dafür legen die späteren Auflagen des Lehrbuches gerade um

mus.

so entschiedener Zeugnis ab, je künstlicher sie an der formal syste­

matischen Grundanlage und Methode festhalten,

besonders auch in

manchen mehr folgerichtigen als praktisch einleuchtender Einzelentschei­ dungen 12), wie Jhering sie nie gefällt haben würde, wie aber auch

Windscheid ihnen aus dem Wege zu gehen früher wohl verstanden Indem Windscheid sich ausschließlich aus sein Lehrbuch

haben würde.

beschränkte, indem er dabei immer mehr bloß die Gedanken Anderer zum Gegenstände seines Denkens machte, hat er sich eben vom Aus­ gangspunkte alles

wahren

Lebens

nicht

ungestraft entfernt.

Auch

dieser Antäus der Jurisprudenz hat die Trennung vom Mutterboden der Einzelbeobachtung und Einzelforschung büßen müssen.

Mag ihm

nun die Gabe der Rechtsphantasie von jeher, versagt gewesen sein,

oder mag er sie in sich abgetötet haben, unverkennbar ist er allmäh­

lich einem gewissen trockenen und schulmäßigen Doktrinarismus ver­

fallen, der dann durch seine Lehre vielen jüngeren Juristen, durch

sein Lehrbuch auch dem ersten Entwürfe eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches übermittelt worden ist.

Unter diesen Umständen war Windscheid natürlich erst recht nicht gewillt, über den einmal von ihm eingenommenen Standpunkt der

50 er Jahre mit Jhering hinauszugehen. ' Fand er schon, daß dieser in seinen späteren, namentlich besitzrechtlichen Einzeluntersuchungen mit

den Quellen waltete,

gar zu siet umsprang, nach Bedürfnis

schaltete und

so konnte er gar seiner Rechtsphilosophie keinerlei Wohl­

gefallen abgewinnen, schon nicht mehr seit der Schrift über den Kampf

im Recht.

Zweckmäßigkeitsgründe zu berücksichtigen,

scheid als Verleugnung seines Berufes.

Gerber

das Recht,

„die Ordnung

erschien Wind­

In letzter Linie ist ihm wie

der in

der Welt

vorhandenen

Willensmächte"1S) geblieben, das subjektive Recht hat er nach wie vor als Willensmacht,

nicht als

rechtlich geschütztes Interesse bestimmt.

Was dahinter liegt, was den tieferen Grund oder Zweck jener Willens­

mächte bildet, dessen Behandlung entrückt Windscheid der Sphäre des

Juristen, nicht ohne das Gefühl peinlicher, aber verdienstlicher Selbst­

zucht und Entsagung, das auch in seinem persönlichen Auftreten zum Ausdrucke kam.

Und wie hätte vollends, was Jhering nun verächt­

lich als Begriffsjurisprudenz, als Rechnen mit Rechenpfennigen be­

zeichnete und im Berserkerzorn der neugewonnenen Einsicht ganz ver­ warf, von Windscheid ähnlich angesehen werden können, ohne daß er

864

Zwanzigstes Kapitel.

darüber sein ganzes Lebenswerk verleugnet hätte!

Hier zeigt es sich

denn doch, daß von jeher zwischen beiden Männern ein Grundunter­

schied vorhanden gewesen war.

So sehr auch Jhering methodologisch

in früheren Schriften nach seiner späteren Erkenntnis gesündigt hatte,

die Ergebnisse konnte er durchweg festhalten, weil sie ihm stets schon lebenskräftig und lebensbrauchbar geraten waren; dagegen Windscheids Werk wird zum Kunstbau erst durch das von ihm eingefügte Stahl­

gerippe der Begriffe, ohne das wäre es nur eine überaus vollständige

und wohlgeordnete'Sammlung wertvollen Materials mit treffenden

kritischen Beurteilungen, mit wohlerwogenen Jnhaltsauszügen und mit einigen oder auch zahlreichen eigenen Ansichten beS Verfassers.

Wo

aber wäre der wissenschaftlich hochstrebende Lehrbuchsverfasser, dessen

Idealen eine solche Leistung je entsprochen hätte?

Durch seine Be­

griffsjurisprudenz als Spezifikationsmittel hatte Windscheid die ganze Pandektenwissenschaft zu eigen erworben; die Theorie war davon be­

friedigt und die Praxis bedurfte seines Werkes; da mochte er getrost annehmen, daß denn doch auch die logische Behandlungsweise neben

den Zweckuntersuchungen Jherings der Berechtigung nicht entbehre.

Man wird sagen dürfen: wie bei Jhering nur durch den selbstver­ ständlichen Idealismus der erklärte Utilitarismus erträglich und ge­ deihlich wird, so wird nur, wer Windscheids Schulung hinter sich hat,

im freien Rechtsleben und Rechtsbilden der Gegenwart sicher

und frei von Willkür sich zu bewegen wissen.

So sind Jhering und Windscheid später wenigstens wissenschaft­ lich nicht mehr zusammengekommen. Während Windscheid sich schmerz­ lich über das entrüstete, was er als einen Bruch mit dem korrekten

Prinzip fester Quellenmäßigkeit, als Preisgabe eines logisch unerschütter­ lichen Standpunktes, ja fast als unerlaubte Ausschweifung,

darum

für den Entsagenden doppelt bitteren Anblickes, bei Jhering empfand, so konnte wiederum dieser es nicht verwinden, daß gerade für das

Beste und Reifste, das er zu bieten überzeugt war, Windscheid Ver­ ständnis und Heeresfolge ihm weigerte.

Jhering war eben der Bahn­

brecher geblieben' wie zur Zeit seiner Jugend;

ordnenden Systematiker geworden.

Windscheid war zum

Er bezeichnet den Abschluß dieser

Periode, er zieht ihre geistige Gesamtsumme und beherrscht sie, indem

er ihr dient, während Jhering über sie in die Zukunft hinaus weist.

Daß dennoch Windscheid und nicht Jhering zur Abfassung eines

neuen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches herangezogen wurde, ist für

II. Römische Rechtsgeschichte.

865

1) Theodor Mommsen.

den konservativ-historischen Sinn bezeichnend, mit dem man an diese Abfassung heranging.

Es handelt sich nicht sowohl um einen Ein­

fluß, den Windscheid — der Mensch oder das Buch — geübt hätte, als vielmehr darum, daß die allgemein herrschende Art und Weise

juristischen

Denkens

und

Handelns der

feinigen

entsprach.

genau

Selbst als man den Entschluß zur Gesetzgebung gefaßt, formal den Quietismus der historischen Schule abgeschüttelt hatte, hielt man in­

haltlich daran fest, genau so wie Windscheid selbst sich stets zu ihr gerechnet hat.

wurses,

Die

formal

logische Gebundenheit des

sein Mangel an frischer

ersten Ent-

gesetzgeberischer Entschlußfähigkeit,

sein Zweifel an der eigenen selbstherrlichen Schöpferkraft: sie rühren nicht von diesem oder jenem einzelnen Einflüsse her, sondern sie sind

hervorgegangen aus dem allgemeinen Entwicklungsgänge der deutschen Rechtswissenschaft, d. h. aus dem deutschen Nationalcharakter.

Denn

jene Entwicklung ist selbstverständlich nur eine Funktion dieses Cha­ rakters.

Als beide sich eben erst realpolitisch umzugestalten im Be­

griffe standen, war die neue Gesetzgebung schon in die Wege geleitet.

Die Spur der älteren Zeit ist daraus nicht ganz mehr zu beseitigen gewesen, mag auch zwischen Fertigstellung des ersten Entwurfes und

des Gesetzes noch von jüngeren, tatfreudigeren Geistern und Rich­ tungen eine wesentliche Umgestaltung dnrchgesetzt worden sein.

II.

Je mehr

das

deutsche bürgerliche

Recht

gegenüber dem

römischen zur Selbständigkeit gelangt, desto selbständiger wird auch

das Studium des letzteren, desto unbefangener wird das vollzogen,

was Belker das „Auseinanderdenken" des Rechts der Gegenwart von dem der Vergangenheit heißt.

So sollte die Einführung des deutschen

bürgerlichen Gesetzbuches Anlaß nicht zum Absterben, sondern zur in­ tensiven Kräftigung der romanistischen Wissenschaft werden, für die gleichzeitig neue Quellenfunde

daß

eben

eine neue Epoche herbeiführen.

Nur

damit das romanistische Studium ein ganz überwiegend

geschichtswissenschaftliches, für die praktische Rechtsschulung nur noch propädeutisches, damit zugleich auch ein ganz internationales wird.

Diese Entwicklung, inj der wir heute mitten inne stehen, gehört

nicht mehr in dieses Buch, wohl aber die Vorbereitung dafür, die sich seit den 50 er Jahren vollzieht durch einen Philologisch-historischen

Betrieb, wie man ihm vorher, seitens der historischen Rechtsschule, im Interesse der Verschmelzung von Geschichte und Rechtsdogmatik nicht immer gerade geneigt gewesen war.

Als rühmliche Ausnahme

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschast. II. Text.

55

Zwanzigstes Kapitel.

866 innerhalb

der

Schule

ist

wohl Böcking

hauptsächlich

anzuführen,

während von Außenstehenden an Dirksen zu erinnern ist. Ihr ent­ scheidendes Übergewicht gewinnt aber diese rein geschichtliche Auf­

fassung erst jetzt, da zu der Gunst der Zeitverhältnisse bte Macht einer

starken

Persönlichkeit,

eines

Forschers und

Darstellers

vom

ersten Range sich hinzugesellt.

1. Theodor Mommsenerscheint in diesem Zusammenhänge so sehr als der für die Hebung und Rettung der römischen Rechts­

wissenschaft deutscher Nation unentbehrliche und eben rechtzeitig sich

einstellende Mann, daß es schwer fällt, ihn hier einzuführen, ohne in teleologisch-providentielle Redewendungen Hegelscher oder Stahlscher Schulart zu verfallen.

Indessen würden uns schon die Ansprüche,

die Philologie und Geschichtschreibung auf denselben Gelehrten er­

dürfen,

heben

alsbald

belehren,

welcher

wir uns dadurch schuldig machen würden.

überstiegenen

Anmaßung

Einem umfassenden Genius

wie Mommsen, der neben der Jurisprudenz jene beiden Wissenschaften

mit allen ihren Hilfswissenschaften bis ins kleinste beherrscht und bis ins größte überblickt hat, der eine jede dieser drei Wissenschaften durch

die Vermählung mit den andern wieder wechselseitig befruchtet hat

und der damit schließlich die höchste Kunst nachschaffender Geschicht­ schreibung verbunden hat, ihm vermögen wir im Rahmen dieser aus­ schließlich juristischen Erörterung, die überdies ihrem Ende zudrängt,

überhaupt nicht voll gerecht zu werden.

kurz

hervorzuheben,

inwieweit

doch

Wir können nur versuchen,

wir

ihn, d. h. seine gesamte

wissenschaftliche Persönlichkeit, als den Unseren ansehen dürfen;

und

sodann zusammeuzutragen, was gerade für uns aus seinem titanen­ haften Lebenswerke von maßgebender Bedeutung ist.

Theodor Mommsen ist geboren zu Garding in Schleswig am 30. November 1817,

gestorben zu Berlin am 1. November 1903.

Er hat, wie er selbst berichtet, „von einem Hange zur Jurisprudenz

gezogen"

treulich

sich förmlich dem Rechtsstudium zugewandt und diesem ge­

vom Mai 1838 ab

zu Kiel

obgelegen, unter Lehrern wie

Burchardi, Wilda und Falck, namentlich aber beeindruckt durch die philologisch-historisch exakte Richtung des

damaligen Privatdozenten

Osenbrüggen, der sich ja zu jener Zeit mit römischem Strastechte befaßte.

Mommsen ist dann den antiquarischen Studien besonders

zügeführt worden durch eine von der juristischen Fakultät Kiel aus­

geschriebene Preisaufgabe über die tribuni aerarii, deren Ergebnis,

II. Römische Rechtsgeschichte. 1) Theodor Mommsen.

867

Mommsens Preisschrift von 1841, freilich ungedruckt geblieben ist. Natürlich konnte das aber nur der geringfügige äußerliche Anlaß sein; die geistige Erkenntnis, die, dadurch ausgelöst, sich ihm nun aus der Tiefe seines Wesens erschloß, ist offenbar dieselbe, die er mit

schönen Worten einem frühverstorbenen Freunde nachrühmt, wenn er von diesem sagt2): „Ausgegangen von dem strengen Studium des klassischen römischen Rechts, erkannte er wie jeder, der nicht in der Formel an sich den Geist zu finden meint, daß die historische Juris­ prudenz ohne die Geschichte, das römische Recht ohne Rom noch etwas weniger ist als Stückwerk." Kein Zweifel, daß das zugleich ein Selbstbekenntnis ist; wie er denn ebenso umgekehrt von sich be­

richtet2):

„Die antiquarischen Studien, die ich jetzt kennen gelernt

hatte, fesselten mich; die leges iudiciariae, die römische Komitialverfassung, das Studium der römischen Inschriften, zu dem mir meine zu anderen Zwecken erworbene Kenntnis des Italienischen den Weg bahnte, endlich die lex Servilia repetundarum und das Kriminalrecht aus der Zeit der quaestiones perpetuae beschäftigte mich lange Zeit und drängte die eigentliche Jurisprudenz sehr zurück, und nur meine Überzeugung, daß auch der ^römische Staat erst von

der römischen Jurisprudenz sein Licht empfange, hielt mich von dem gänzlichen Übertritt zu einem anderen Fach zurück." Tatsächlich legte dann Mommsen das juristische Examen zu Ostern 1843 ab und erhielt dabei den sog. „ersten Charakter", konnte sich aber zum Eintritte in die Praxis nicht entschließen. Viel­ mehr wandelt er nun längere Zeit auf den Bahnen selbständiger philologischer Forschung, besonders im Süden zur Jnschriftensammlung umherreisend, später auch daheim mit politisch journalistischer

Tätigkeit zum Broterwerb beschäftigt. Indessen die ersten Schriften dieser Zeit tragen doch zunächst noch überwiegend juristischen Cha­ rakter, wie es denn auch als Dr. iuris ist, daß er am 8. November 1843 zu Kiel promoviertes. In den späteren Werken läßt sich das Juristische vom Philologischen und Historischen überhaupt kaum mehr

sondern2), und gerade darauf beruht ja ihr sachliches, wie ihr methodologisches Übergewicht; es finden sich aber doch auch immer

wieder einzelne fvrmaljuristische, selbst zivilistische Stücke darunter, von der Abhandlung über die Subskription und Edition der Rechts­ urkunden von 18516) bis zu dem aus Mommsens Nachlasse 1904

in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung') herausgegebenen Artikel 55»

Zwanzigstes Kapitel.

868

„Zur Lehre von den römischen Korporationen", mit seinen sogar

dogmatisch bedeutsamen Ausführungen. Auch äußerlich kehrte Mommsen noch einmal, und zwar für volle

10 Jahre zur Jurisprudenz zurück, als er durch Vermittlung seines Lehrers Otto Jahn und des sächsischen liberalen Ministers fund Juristen von der Psordten den Ruf als außerordentlicher Professor der Rechte nach Leipzig erhielt, dem er Herbst 1848 folgte8). Er

hat dort achtstündige Pandekten- und zehnstündige Jnstitutionenvorlesungen gehalten, sich also wieder ganz in die „eigentliche Rechts­ wissenschaft"

eingearbeitet.

Und

auch als

er

dann im Laufe der

politischen Wirren, mit Jahn und Haupt zusammen, trotz gericht­ lichen Freispruches, durch von Beusts Ministerialverfügung vom

22. April 1851

jenes Amtes entsetzt worden war,

ist er bei der

juristischen Lehrtätigkeit verblieben, zuerst in Zürich Frühjahr 1852 bis Sommer 1854, dann Herbst 1854 bis Frühjahr 1858 in Breslau. Erst durch die Berufung nach Berlin als Akademiker zur Leitung

der Jnskriptionherausgabe ist er der formalen Zugehörigkeit zur juristischen Fakultät dauernd entzogen worden. Denn in Berlin ist er ja der philosophischen Fakultät beigetreten und hat dort nur noch ein „römisches Staatsrecht für Juristen" gelesen. Als ein letztes Wahrzeichen äußerlichen Zusammenhanges mit dem juristischen Be­ triebe mag dann allenfalls noch aufgeführt werden, daß fortwährend Einzelforschungen von ihm auch in juristischen Zeitschriften veröffent­

licht worden sind, wie schon von vornherein die epochemachenden „Oskischen Studien" in Savignys Zeitschrift für geschichtliche Rechts­ wissenschaft 18459), so weiter viele in Bekkers und Muthers Jahrbüchern*9) und endlich fortlaufend in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte bzw. der Savigny-Stiftung, in deren romanistischer Abteilungn). Indessen nicht auf diese Äußerlichkeiten kommt es an, so wenig

sie bei der Bedeutung eines solchen Mannes für alles, was er auch nur gestreift hat, übersehen werden durften, sondern darauf, daß er wirklich durch und durch Jurist gewesen ist, als solcher gedacht nnd geschrieben hat. Er tritt wohl an keine Frage geschichtlicher, philologischer, antiquarischer, epigraphischer, numismatischer, chrono­ logischer Art heran, ohne aller Beziehungen zur Rechtsgeschichte be­

wußt und Herr zu sein,

ohne auch diese fortwährend zu berück­

sichtigen und zu fördern. Und was noch mehr ist: seine großzügig geschichtliche Auffassung, wie seine unermüdliche Detaildurchforschung

II. Römische Rechtsgeschichte. 1) Theodor Mommsen.

869

alles Römischen, sie sind gleichmäßig vom Anfang bis zum Ende

getragen

seiner Laufbahn

von

dem

daß

leitenden Gedanken,

der

römische Staat mit allen seinen Lebensäußerungen „erst von der römischen Jurisprudenz sein Licht empfängt". Aus dieser Überzeugung

hervor hat Mommsen sich nicht etwa bei der römischen Jurisprudenz beruhigt; er hat auch die neue romanistische Rechtswissenschaft in sich

ausgenommen, ihre Bestrebungen verfolgt und von ihrer konstruktiven Kunst ein gut Teil in sein Staats- und Strafrecht nicht nur, sondern selbst in seine römische Geschichte übernommen.

römischen,

ein

oder

Gerber

Wie ein Jhering im

im deutschen Privatrecht,

so

nimmt

Mommsen im Maße seiner genial gesteigerten Anschauungskraft, tragen

und

fBekker)

für

hingerissen

von

„kolossalen

seinem

des

Gebiete der Politik,

die

die Befugnis in Anspruch,

Strafrechts

ge­

Geisteskraftstrom"

Staatsrechts

und

des

in

den

die vom Altertum

Stoff hineingelegten, nur zum Teil dem Altertum selbst bewußt ge­

wordenen

Rechtsgedanken

heraus- und

seinerseits

durchzudenken.

aus

selbständig

dem

Stoffe

Hat er einerseits als Jurist von

Philologie die Stoffbehandlungsmethode erlernt, die

der

er selbst kenn­

zeichnet^) als „die rücksichtslos ehrliche, im Großen wie im Kleinen

vor keiner Mühe scheuende, keinem Zweifel ausbiegende, keine Lücke der Überlieferung oder des eigenen Wissens übertünchende, immer sich selbst und anderen Rechenschaft legende Wahrheitsforschung"; hat er

deshalb namentlich

„die gründliche Kenntnis

Gebrauch des kritischen Handwerkzeugs" als

Leistung"

Jurist vor

und

den sorgfältigen

„Base jeder bleibenden

mit einer Meisterschaft sich angeeignet, wie kein deuffcher ihm;

so ist dem

doch

andererseits

gegenüberzustellen,

daß die Denkmethode, mittels deren Mommsen den gehäuften und

kritisch gesichteten Stoff meistert und zum organischen Ganzen formt,

die juristische ist.

Eben weil die römische Geschichte,

Staat, das römische Volk

der

römische

der juristischen Auffassung sich

förmlich

zudrängen, hat Mommsens Genie in Rom seine adäquate Aufgabe gefunden,

wie er von dem römischen Rechte her zu dem römischen

Gesamtleben geführt worden ist13).

Das juristische Motiv

ist

ge­

wissermaßen der Schlüssel, den in der Hand er an alles Römische

herangetreten ist und durch den er für alles Römische die Lösung, die

Charakteristik, das innere Verständnis gewonnen hat"). es uns selbst:

geworden

und

So sagt er

„Aber am juristischen Denken bin ich zum Forscher

Anerkennung

von dieser Seite

her hat mir immer

Zwanzigstes Kapitel.

870

Mommsens juristisches Denken ist

mehr als jede andere gegolten."

aber nicht das romantisch unpraktische der historischen Rechtsschule, so sehr von Mommsen auch stets Savigny verehrt worden ist und

so bereitwillige und verständnisvolle Anerkennung und Unterstützung er stets auch seinerseits durch Savigny erfahren tjot16).

nicht steht

auf

Mommsen

Hegelscher

Erst recht

Ideenwelt und

er noch bei Christiansen gehört hat und ob­

obgleich

Schablonen,

Boden

dein

schon Hegels Charakteristik der Römer als des Rechtsvolkes keinen überzeugteren und beredteren Vertreter als Mommsen gefunden fjat16). Sondern Mommsens juristisches Denken ist das historisch vorwärts

drängende, logisch konstruktive genau so, wie wir ihm auch sonst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts

Rechtswissenschaft,

Lebensbedürfnisse, begegnen. denn

auch

der verjüngten geschichtlichen

Zu dieser Richtung hat sich Mommsen

bekannt

wesentlich

bei

der Orientiernng auf Befriedigung moderner

mit

in

seiner Zürcher Antrittsrede vom

8. Mai 185217), die namentlich in mustergültiger und unerschrockener Weise

anwendet,

zwei Fälle

auf

zeitgemäßen Fortbildung des gemeinen

einer

die Forderung

Rechtes

nämlich auf die zivilrechtlichen

Sätze vom Mandats- und vom Gesellschaftsvertrag. sinnung ist er immer geblieben.

leidenschaftliche Politiker Zeit das gemeinsam,

und

Und dieser Ge­

Hat doch ohnehin Mommsen, Journalist,

der

mit den Zivilisten dieser

daß ihnen die Geschichte unmittelbar zur För­

derung der Gegenwartsbedürfnisse dienen soll, daß sie im Gegensatze zu der konservativ gerichteten historischen Schule einem modernistischen

Liberalismus in Staats- und Privatrecht, in Leben und Wissenschaft zuneigen,

daß sie mit einer durch und durch realistischen Auffassung

der maßgebenden Entwicklungsfaktoren in Rechts- und Staatsleben die tiefinnerlichste idealistische Überzeugung von der Übergewalt des

Gedankens über den Stoff verbinden. vom

ältesten

über

und

Sogar die Art, wie Jhering

römischen Recht zum Rechtsleben der Gegenwart hin­

herüber zu

greifen

und

beide

gegenseitig

durcheinander

funktionell zu erläutern und zu bereichern liebt, erinnert an Mommsens

Verfahren, zur Veranschaulichung und Verwirklichung der römischen Geschichte sich der Anlehnung an neueste politische Wörter, Gedanken

und Ereignisse zu bedienen, wie umgekehrt an seine Kunst, aus der römischen Geschichte zurück Schlaglichter aller Art auf Politik und

Leben der

Gegenwart

zu

werfen.

So ist Mommsens Rechtsauf­

fassung und Rechtsdenken aus diesem Zusammenhänge mit der deutschen

II. Römische Rechstgeschichte. 1) Theodor Mommsen. Jurisprudenz

seiner „Lern- und

Wanderjahre"18)

871

hervorgegangen,

während seine Lebenstätigkeit alsdann berufen sein sollte, einer ganz anderen Behandlung der Rechtsgeschichte,

philologisch-historischen nämlich,

der selbständig und streng

die Wege zu

erschließen

und

zu

ebnen. Dabei kommt in erster Linie in Betracht das dafür durch Mommsen gelieferte gelehrte Rüstzeug: epigraphisch, chronologisch, numismatisch,

textkritisch, lexikographisch.

Das Corpus Inscriptionum Latinarum19) ist Mommsens Werk, wenn auch natürlich nicht der Gesamtausführung nach, die nur durch

langjähriges Zusammenwirken zahlreicher Gelehrter zu ermöglichen war, so doch nach Grundidee, Änlage, Musterbeispiel, vielfachen

Einzelausführungen und

besonders auf Grund seiner unausgesetzten

Tätigkeit als Organisator und Leiter des Unternehmens, wie denn Mommsen als wissenschaftlicher Organisator überhaupt

erfolgreiche Tätigkeit entwickelt tjat20)

wie

eine ebenso

als Einzelforscher.

Die

Bedeutung aber, die dieses Werk, wie für alle römische Altertums­ wissenschaft, so für unsere römische Rechtskenntnis gewonnen hat und

dauernd stofflich wie erzieherisch ausübt, ist unübersehbar und unab­

schätzbar. .Schon um deswillen durfte Mommsen mit Recht,

wenn­

gleich unter zu bescheidener Abstufung des eigenen Verdienstes hervor­ heben^), wie es ihm beschieden gewesen, „an dem großen Umschwung,

den

die Beseitigung

zufälliger

und

zum

guten Teil widersinniger,

hauptsächlich aus den Fakultätsordnungen der Universitäten hervor­

gegangener Schranken in der Wissenschaft herbeigeführt hat, in langer

und ernster Arbeit mitzuwirken. Die Epoche, wo der Geschichtsforscher von der Rechtswissenschaft nichts wissen wollte und der Rechtsgelehrte

die geschichtliche Forschung nur innerhalb seines Zaunes betrieb, wo

es dem Philologen als ein Allotrium erschien, die Digesten aufzu­

schlagen ,

und der Romanist' von der alten Literatur nichts kannte

als das Corpus iuris, wo zwischen den beiden Hälften des römischen Rechts, dem öffentlichen und dem privaten, die Fakultätslinie durch­

ging, wo der wunderliche Zufall die Numismatik und sogar die Epi­ graphik zu einer Art

von Sonderwissenschaft gemacht hatte und ein

Münz- oder Jnschriftenzitat außerhalb dieser Kreise eine Merkwürdig­

keit war — diese Epoche gehört der Vergangenheit an — und ist vielleicht mit mein Verdienst,

es

aber vor allen Dingen mein Glück

gewesen, daß ich bei dieser Befreiung habe mittun können".

Bedeut-

Zwanzigstes Kapitel.

872

same Worte, die in der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft nicht unangeführt bleiben dürfen, wennschon sie, älteren Wissenschaft

Unterschätzung der

gestellter älteren Gelehrten,

und

nicht ohne einige

einiger auf sich selbst

mehr nur den durchschnittlichen wissen­

schaftlichen Schulbetrieb im Auge haben mögen.

Sind für diesen die

Dinge seitdem anders geworden, so eben deshalb, weil ihm die für

ihn

unentbehrliche

nutzung

durch

das

Bequemlichkeit

Corpus

und

Sicherheit

Inscriptionum

alltäglicher Be­

geboten

Latinarum

worden ist.

Daran reihen sich die chronologischen und numismatischen Auf­

schlüsse und Zusammenstellungen, „die römische Chronologie bis auf erschienen 1858,

Cäsar",

in zweiter stark vermehrter Auflage schon

1859, und die „Geschichte des römischen Münzwesens" 186022).

In

letzterem so umfassenden Werke tritt Mommsen wieder recht als Jurist

hervor,

indem

er die Fragen über

das Münzrecht

des

als Teil

Staatsrechts sowie über die rechtliche Natur des Geldes überhaupt In der Chronologie^) aber spielen ja ohnehin die juristischen Beziehungen zum römischen Geschäfts- und

in die Untersuchung hineinzieht.

und Gerichtskalender eine entscheidende Rolle, infolge deren das juristische Interesse daran ein unmittelbares ist. Ähnliche, kleinere Arbeiten auf den Gebieten ähnlicher Hilfswissenschaften kommen in unübersehbarer Anzahl hinzu2'').'

Und

nun erst kehren wir in das eigenste Gebiet der Rechts­

wissenschaft zurück mit

Mommsens

unerschöpflichen

als

Leistungen

Kritiker, Herausgeber und Kommentator römischer Texte.

Kaum ein

Werk römischer Juristen, namentlich aber kaum ein Fund römischer Gesetzgebung,

römischen Rechts- und Geschäftslebens,

entweder selbst in

die

er nicht

dieser Weise ganz behandelt oder zu deren Be­

handlung er nicht mindestens eine Beisteuer oder orientierende An­ regung gegeben hätte.

Da kommen zunächst die Gesetze selbst und

Gesetzähnliches in Betracht sowie sonstiges Urkundliches (Verwaltungs­

akte, Urteilssprüche, Prozeßakten u. dgl. m.),

deren

inschriftlich

er­

haltene Texte ja ohnehin im Corpus Inscriptionum Latinarum gedruckt, aber meist auch von Mommsen nochmals besonders heraus­

gegeben sind.

Dabei pflegt er sie

mit eingehenden Erläuterungen

auszustatten, so daß daraus nicht selten selbständige Abhandlungen über

das Gesetz

oder gelegentlich des Gesetzes hervorgehen.

Stücke sind nach Mommsens Plan,

Diese

in der Reihenfolge des Gesetzes-

II. Römische Rechtsgeschichte. 1) Theodor Mommsen.

873

alters geordnet, zusammengestellt im ersten Bande seiner gesammelten

juristischen Schriften, reichend von der lex repetundarum bis zu den ägyptischen Papyri, die ersten Bogen noch von ihm selbst be­ arbeitet. — Daran schließen sich im zweiten Bande derselben Samm­ lung die Abhandlungen über römische Juristen und römische Gesetz­

bücher, zu dem Leben25), den Schriften, der Bedeutung jener, zu dem

Inhalte, der Reihenfolge und der Kritik dieser, im wesentlichen wieder geordnet nach der Zeitfolge der behandelten Gegenstände und dadurch zum Ganzen verbunden. — Wie sie in diesen Sammlungen geschlossen

vorliegen, so werden diese Arbeiten auch in Zukunft fortwirken; für

die juristische Wissenschaftsgeschichte ihrer Entstehungszeit aber muß

benrerkt werden, daß sie in den ersten Jahrzehnten verhältnismäßig wenig gewirkt zu haben scheinen.

Versuch zu machen,

aus

Im Gegensatze dazu wäre hier der

der Menge dieser Beiträge die herauszu­

greifen und nach der Zeitfolge der ersten Veröffentlichung zu besprechen,

die zu den juristisch wichtigsten gehören — wenn sich das nicht als ganz undurchführbar herausstellte, nicht bloß wegen der großen An­

zahl, sondern auch deshalb, weil schließlich jede Note, jedes Wort von

bleibender Bedeutung ist, so daß eine Auswahl nur in ganz willkür­ licher Weise getroffen werden sonnte26). Begnügen wir uns deshalb, zu erwähnen, daß diese Tätigkeit Mommsens auch in das italisch­

lombardische Gebiet hinübergreift, wo er von seiner Seite aus den „Tunnelbau" in das dunkle frühmittelalterliche Gebiet getrieben hat22); und daß für uns abschließend mit hierhergehört die Übernahme und

Besorgung der fünften Ausgabe von Bruns, Fontes, zu derer vierter Auflage von 1879 Mommsen schon 1881 ein Supplement beisteuerte,

während die beiden Bände der fünften Auflage (1886 und 1887)

von

ganz

ihm

umgeschmolzen

wurden

und

auch

die der

sechsten

Auflage (1893) von ihm mitbearbeitet sind26). Alle diese Einzelstudien und Sammlungen überragt das juristische

Hauptstück, die Ausgabe der Justinianischen Digesten, die aus langer Hand

vorbereitet 1866—1870 unter Mitarbeit

erfolgt ist29).

von Paul Krüger

Bekanntlich hat da Mommsen erst endlich der ganzen

römischen Rechtswissenschaft die solide Grundlage untergebreitet, indem er die kritischen Prinzipien für die Behandlung

des Pandektentextes

unerschütterlich festgestellt und das Werk darauf zu gutem Ende ge­ bracht hat.

Die maßgebende Auseinandersetzung „über die kritische

Grundlage unseres Digestentextes" reicht schon bis 1862 zurück66).

Zwanzigstes Kapitel.

874

Die unendliche Masse der Vul§ata-Handschriften, an der Schrader

gescheitert war, ist mit einem Rucke zur Seite geschoben, nur einzelnes

daraus in ganz untergeordneter Weise zum Vergleiche auf Stichproben

hin Verwendet; aber auch bie Florentina, deren Verschiedene Schriften mit der peinlichsten Genauigkeit auseinandergehalten und festgestellt

sind, wird Von Mommsen keineswegs ausschließlich oder gar mechanisch

befolgt, sondern nur nach feinsten Abstufungen und unter Wahrnahme weiterer Quellen, von gleichem oder auch, wo es angezeigt erscheint,

von untergeordnetem Range,

auf Grund

eines Handschriftenstamm­

baumes, der diese so verwickelte wie umstrittene Fragenreihe auf lange

hinaus zum Abschlüsse gebracht hat3*).

Nach diesen Prinzipien hat

Mommsen fein32) „diplomatisches Meisterwerk geschaffen, bei dem der Meister auch in der Beschränkung sich bewährt hat".

Die aus dieser

umfangreichen kritischen Ausgabe auszugsweise hergestellte und stereo­

typierte kurze Handausgabe ist dann, ergänzt durch die Institutionen

in der Krügerschen Rezension, mit den zwei weiteren Bänden des Codex

in

Krügers

Rezension

und

der

Novellen

in

Schölls

Rezension zum „Mommsenschen Corpus iuris civilis" verbunden,

seit 1872 in zehn Auflagen erschienen,

bis die Digesten

nunmehr

durch Krüger für die elfte Auflage , von 1908 eine tiefer eingreifende Neubearbeitung erfahren haben. Auf dieser Leistung Monimsens be­

ruht seitdem jede romanistische Arbeit, die irgendwie als wissenschaft­ lich zu gelten beanspruchen kann.

Mommsen bildet damit den Ab­

schluß für die Bemühungen aller Forscher seit der Zeit der Glossa-

toren und Humanisten, für alle die zahllosen älteren Ausgaben und Variantensammlnngen. Ein ähnlich grundlegend geplantes Unternehmen, das sich auf

den Codex Theodosianus33) bezog, war schon weit gediehen, als der Tod dem unermüdlichen Arbeiter

nahm.

das Werk aus

den Händen

Es ist dann doch noch 1905 fertiggestellt worden, wie dar­

über sofort unten eine Bemerkung nachzutragen sein wird.

Auf diesen Grundlagen ist Mommsen endlich auch lexikographisch

vorgegangen, „mit der Folgerichtigkeit des Denkens und des Handelns,

die ihm einen in der Geschichte einzigen Platz zuweist": nämlich in­ dem er von den Digesten zum Digestenindex fortschritt und darauf

wieder den Plan zu einem Vocabularium iuris romani aufbaute,

dessen Ausarbeitung im wesentlichen durch ihn veranlaßt und in die Wege geleitet worden ist.

Mit Gradenwitz, der an der Ausführung

II. Römische Rechtsgeschichte. 1) Theodor Mommsen. hauptsächlich beteiligten Kraft,

mag man

wünschen^),

875 „daß

das

mechanisch förderliche Hilfsmittel auch die geistige Durchdringung mehr unterstützen als hemmen werde".

Dies sind, in Bausch und Bogen

betrachtet,

die Leistungen

Mommsens für die Bereitstellung des romanistischen Quellenmaterials. — In einzelnen früheren Lebensjahren, nämlich ausschließlich in den

Jahren 1844, 1845 und 1851, hat er auch eine Reihe juristischer Bücher rezensiert, durch tiefeingreifende BesprechungenS5), die entweder die wissenschaftliche Leistung anerkennen und fortführen (wie z. B. vor allem in der umfangreichen Erörterung zu Kellers Semestria) oder die anspruchsvoll auftretende Stümperarbeit mit derjenigen kalten Ironie und funkelnden Boshaftigkeit abtun, die Mommsen stets „saloppem" und unlauterem Wesen gegenüber entfaltet hat, mochte er ihm in Wissenschaft oder in Politik oder im Alltagsleben begegnen: es handelt sich um den viel verkannten eisigkristallenen Niederschlag aus der Siedehitze seines Temperamentes im Anprall auf das Niedrige oder Gemeine. Diese kritisierende Tätigkeit hört aber auf, sobald die umfassende eigene darstellende Produktion einsetzt. Dieser großen Schöpfungen sind drei: die römische Geschichte, das römische Staats­

recht und das römische Strafrecht. Über die römische Geschichte als Geschichtswerk ist hier nicht zu handeln. Sie gehört zu den dauernd klassischen Werken deutscher Historiographie und Literatur. Sie ist in bezug auf die drei ersten

Bände, die 1854—1856 in raschem Zuge erschienen und bis zur Schlacht von Thapsus reichen, als das geniale Frühwerk Mommsenscher Altertumskunde, Mommsenschen politischen Verständnisses, Mommsen­ scher Chaxakterkenntnis und Darstellungsgabe vollgültig und eigen­ artig in ihrer gehaltenen Subjektivität dem Objektivismus Rankes, in ihrer realpolitischen Auffassung dem Idealismus von Curtius zur

Seite getreten. Dazu hat sich dann bekanntlich erst 1885, unter Übergehung des vierten Bandes^), der fünfte Band gesellt: „Die

Provinzen von Cäsar bis Diokletian", der reiche und doch nur „mit Entsagung" .zustandegekommene Spätherbst eines langen Forscher­ lebens. — Für die Wissenschaft vom römischen Rechte aber hat dieses Werk die Bedeutung eines Jungbades; wie Niebuhr zur historischen Schule^), so verhält sich Mommsen durch die römische Geschichte zu

allem, was seitdem für römisches Recht und dessen Geschichte min­ destens in Deutschland, aber wohl auch durchweg in Italien und

Zwanzigstes Kapitel.

876

Frankreich geleistet worden ist.

So bildet namentlich auch der fünfte

Band den Ausgangspunkt oder die Zugangsschwelle

sichtigung

provinzieller Eigentümlichkeiten

im

für die Berück­

römischen

Recht und

Rechtsleben, wodurch dieses Studium eine so ungemeine Auffrischung

gewonnen t)at38); er ist gewissermaßen die providentielle Vorbereitung zur Ausnutzung der Papyrusfnnde, die uns seither Ägypten geliefert

hat und durch die all unser romanistisches Wissen so entschieden be­

reichert und umgestaltet worden ist.

„Mommsen ist wohl der erste

gewesen," so berichtet uns denn auch einer der leitenden Papyrns-

forscher, sein Schüler Wilcken39), „der klar erkannte, daß diese braunen

Fetzen, aus denen das Altertum zum Teil mit Stimmen, die wir noch nicht gehört hatten, zu uns spricht, für die verschiedensten Zweige der Altertumsforschung von größter Bedeutung sind," daß sie „die große Fundgrube für alle Forschungsgebiete" darstellen, namentlich auch für eine Summe verwaltungsrechtlicher Einzelheiten, für die Mommsen

stets besonderes Interesse, aber auch besonderes historisch-juristisches Verständnis besessen hat.

Das bringt uns hinüber zu demjenigen Werke Mommsens, das

vielleicht trotz

man

aller Bewunderung

für alle

anderen

als sein

Meisterwerk bezeichnen darf, weil darin alle Seiten seines Wissens und Könnens sich zu gegenseitiger Vollendung vereinen, dem römischen Staatsrecht.

Er hat dafür zu arbeiten angefangen, längst bevor er

an die Gesamtdarstellung herantrat, schon durch sein erstes Buch von

1844,

das über die römischen Tribus handelt;

zeitlebens fortgear6eitct40),

auch

nachdem es

und er hat daran

längst in drei starken

Bänden 1871—1888 äußerlich abgeschlossen bis zur Zeit Diokletians

vorlag44).

Denn einerseits ist ein selbständiger Auszug daraus, aber

teilweise anders angeordnet und

durchgeführt,

der entzückend groß­

zügige, kernige und, nach Abstreifung des antiquarisch-philologischen Apparates, einheitlich daherströmende

rechts"

von 1893;

„Abriß des römischen Staats­

und andererseits sind fortgesetzte Studien dazu

u. a. die über das römische Militürwesen seit Diokletian von 1889,

und wohl auch Weiteres, Ostgotisches, Frühmittelalterliches aus späteren Jahren,

z. B.

„die Bewirtschaftung

der Kirchengüter unter Papst

Gregor I." von 189342). Was nun an dem „römischen Staatsrecht" gerade den Zivilisten so erfreulich berührt und ihm das Buch zum Lieblingswerk zu machen

geeignet ist, das ist die juristische Durcharbeitung, die da dem Stoffe

II. Römische Rechtsgeschichte.

1) Theodor Mommsen.

877

zuteil wird in einer Weise, wie sie bis dahin nur dem römischen Privat­

recht begegnet war, also auch in einer gewissen Anlehnung an dessen Methode, nicht jedoch an dessen Begriffe. Die Übertragung erinnert

an Gerbers Konstruktion des modernen Staatsrechts. Behandlung des Privatrechts,"

leitung43),

„Wie in der

so sagt Mommsen selbst in der Ein-

„der rationelle Fortschritt sich darin darstellt, daß neben

und vor den einzelnen Rechtsverhältnissen die Grundbegriffe syste­ matische Darstellung gefunden haben, so wird auch das Staatsrecht

sich erst dann einigermaßen ebenbürtig neben das Privatrecht stellen dürfen, wenn, wie dort der Begriff der Obligation als primärer steht über Kauf

und Miete,

so

hier

Konsulat

und

Diktatur" — und,

dürfen wir seit Mommsen hinzusetzen, Königtum sowohl wie Prin­

zipat — „erwogen werden als Modifikationen des Grundbegriffes der

Magistratur." — Von diesem Grundbegriffe geht denn ja auch be­ kanntlich das große Mommsensche Staatsrecht aus, um erst später

zu der Bürgerschaft und zuletzt zu dem Mittelgliede und vielgestaltigen „Puffer" zwischen beiden, dem Senate, zu kommen.

Beim Magistrat

aber wieder ist der leitende Grundgedanke der des Imperium44), wie

bei Gerber für den modernen Staat die „Herrschaft" Grundgedanke ist.

Man könnte allein an der Hand dieser Grundbegriffe eine ver­

gleichende Darstellung der beiden Staatsrechtsauffassungen entwickeln;

nur daß Gerber bei einer Skizze stehen bleibt, während Mommsen

uns die Verhältnisse von Jahrhunderten in gediegenster Ausführlich­ keit vorführt, mit allen verwaltungsrechtlichen Einzelheiten und mit

aller erreichbaren Vollständigkeit,

ohne

doch

jemals aus der Kon­

Handelt es sich ihm doch darum43),

struktion zu fallen.

„eine jede

Institution darzustellen sowohl als Glied des Ganzen in ihrer Be­ sonderheit wie in ihrer Beziehung zu dem Organismus überhaupt", und darf er doch hinzusetzen,

„ich wenigstens bin mir bewußt, alle

Arbeits- und Denkkraft daran gesetzt zu haben, um jedes brauchbaren

Bausteines denken."

habhaft zu

werden

und jeden Gedanken

zu Ende zu

Wenn sich ein Mommsen so redlich plagt und dann am

Ende Amen sagt,

so wird es wohl etwas Rechtes geworden sein.

Auf die juristisch-konstruktive Stufe, auf die das römische Privatrecht

durch die Bemühungen eines Puchta und Jhering gefördert worden war, ist das römische Staatsrecht in einem Anlaufe durch Mommsen

gehoben worden — mentes, wie es

unbeschadet eines subjektiv-imperatorischen Ele­

dieser

konstruktiven Methode namentlich unter der

Zwanzigstes Kapitel.

878

Hand solch eines Gewaltigen anhaftet.

Wenn aber dadurch Ergeb­

nisse erzielt werden, wie z. B. der staatsrechtliche Aufbau des Prin­

zipats als Dyarchie von Kaiser und Senat, so wird man getrost der Offenbarung römischer Geisteswelt sich beugen dürfen, die sich uns da als Geistestat Mommsens erschließt.

Der Zivilist

wird

darin

für das ihm so entscheidende Verständnis der römischen Quellenlehre

zum

erstenmal

finden;

doch

Historiker

bei dem

darf in

zurückverwiesen werden,

und Publizisten

vollen Anhalt auf das

diesem Zusammenhänge wohl auch

was in gleicher Richtung schon vorahnend

Hugo und selbst Bach geleistet hatten. Das römische Strasiecht endlich bildet das letzte dieser großen

darstellenden Werke, während die Beschäftigung damit und der Plan dazu wohl schon bis 1844 zurückreichen, in die Zeit, als Mommsen

Geibs Geschichte des römischen Kriminalprozesses rezensierte.

Bereits

in dieser Besprechung ist der juristisch staatsrechtliche Grundgedanke vorgebildet,

von dem so viel später die Ausführung ausgeht,

diese

nun aber gespeist durch alle Vorarbeit der Stoffsammlung und ge­ stützt durch das Gebäude des Staatsrechts, an das sie sich unmittel­

bar anlehnt. mit Diokletian

Nur insofern geht sie darüber hinaus, als sie nicht

abschließt,

sondern

zu

besonderem Gewinn für die

juristische Benutzung bis auf Justinian reicht. ist plangemäß

als

unabtrennbar

Der ganze Strafprozeß

vom materiellen

mit

Recht

ein«

bezogen^); und namentlich über die Einzeldelikte erhalten wir eine Fülle von Aufklärung, von geschichtlichem und kasuistischem Material,

die geradezu überwältigend wirkt. So bezeichnet das Erscheinen dieses Werkes zur Jahrhundert­

wende,

1899,

Lebenstätigkeit.

den

würdigen Abschluß

von Mommsens

juristischer

Dabei zeigt es sich denn wiederum aufs deutlichste,

daß der Jurist Mommsen an die juristischen Denkformen, ja sogar

an die rechtsphilosophischen Auffassungen

geblieben

ist.

Ob es

sonst z. B. wohl

seiner Frühzeit

gebunden

der Historiker Mommsen

billigen würde, daß das Strafrecht zum Gegenstände besonderer Dar­

stellung gemacht wird, während er doch selbst davon überzeugt ist, daß die römische Jurisprudenz den Begriff eines Strafrechts als eines besonderen Zweiges der Rechtswissenschaft

hat?

überhaupt nicht

gekannt

Und die ganze Kühnheit der konstruktiven Jurisprudenz gehört

doch dazu, nun gar für dieses selbstgeschaffene Strafrechtsgebiet selb­ ständige Oberbegriffe und Begriffsentwicklungen

aus

der

römischen

II. Römische Rechtsgeschichte. 2) Mitarbeiter. Gesamtrechtsmasse abzusondern.

879

Als Mittel dieser Ausscheidung aber

dient eine Auffassung von Strafrecht und Verbrechen, die nicht etwa dem Stoffe abgelauscht wäre, sondern ganz offen, in durchaus ethisch­ philosophischer Begründung, auf moderne absolute Strafrechtstheorien,

vor allem auf Kant, zurückgeht, wie dies Hartmann im einzelnen nachgewiesen hat. Damit steht denn auch wohl im Zusammenhänge der merkwürdige Fragebogen „zum ältesten Strafrecht der Kultur­

völker"^), den Mommsen nach Vollendung seines römischen Straf­ rechts ausgearbeitet und einer Reihe von Spezialforschern, mit seinen meisterhaften Antworten für das römische Recht schon ausgestattet,

1903 vorgelegt hat.

Es sollte dadurch eine Zusammenstellung vor­

bereitet werden, die nach Mommsens Annahme „für unser Ahnen über die Urzustände des Menschengeschlechts und unser Wissen über seine weitere Entfaltung" von der größten „historisch-philosophischen Bedeutung" hätte werden können, einer Annahme, die doch wohl wieder nicht ganz erklärbar ist ohne die im Hintergründe liegende rechtsphilo­ sophische Grundüberzeugung von einer gewissen Gemeinsamkeit strafrecht­ lich-ethischer Grundvorstellungen, mindestens bei allen Kulturvölkern.

? Damit ist aber auch die äußerste Grenze bezeichnet, innerhalb deren Mommsens scharfe Kritik und strenge Methode noch ein wissen­ schaftliches Arbeiten als möglich ansieht. Über das Gebiet der Kultur­ völker ist er nicht hinausgegangen, der vergleichenden Rechtswissen­ schaft in ihrem weitesten Sinne ist er fremd geblieben. Mit eigener Arbeit hat er sich im wesentlichen fest in den Zirkel des Römischen

eingeschlosfen. Dafür aber durfte auch mit Recht von ihm gesagt werden^): „So streng nach wissenschaftlicher Regel hat niemand im 19. Jahrhundert und wohl überhaupt noch niemand auf Erden das römische Recht traktiert, beginnend mit der Sammlung, Sichtung und Säuberung aller zugänglichen Quellen und beim Aufbau Schluß und Hypothese scharf scheidend." So verdankt die Romanistik Mommsen das gesamte handlich erschlossene und kritisch gesichtete Quellenmaterial; die politische Geschichte, den staatsrechtlichen Hauptbau und den straf­

rechtlichen Seitenbau; für das Zivilistische einige, für das Rechts­ geschichtliche zahlreiche und bedeutsame Einzelbeiträge; und ein dauerndes Beispiel, dem ganz nachzufolgen allerdings nur eine ähnliche Ver­ bindung von Überbegabung und Überfleiß gestatten würde. 2. An Mommsen reihen sich zunächst einige Mitarbeiters, die

teils bei der Herausgabe juristischer Texte ihn unterstützt, teils durch

Zwanzigstes Kapitel.

880 selbständige Arbeit

auf diesem

Gebiete die

seinige

ergänzt

haben.

Letzteres bezieht sich namentlich auf alle Fälle, wo es auf Lesung von

Palimpsesten ankam, eine Aufgabe, für die Mommsens Temperament zu stürmisch, aber auch seine Zeit zu kostbar war.

Außer den Philologen Studemund und Schöll handelt es sich

da um den Juristen Paul Krügers, der sich, nachdem er eben mit einer rechtsgeschichtlichen Studie erfolgreich hervorgetreten war,

opferfreudig entschloß, seine ganze Kraft in den Dienst der MommsenVon ihm allein rührt her die da­

schen Digestenaufgabe zu stellen.

mit seither ständig verbundene Ausgabe der Institutionen und nament­ lich die anschließende, gleich endgültige, auf ebenso gefestigten kritischen

Prinzipien

beruhende

ausführliche

kritische

Ausgabe

des

Codex

Justinianeus, die in fünf Abteilungen 1873—1877 erschienen ist. Die daraus hergestellte kurze Ausgabe von 1877 bildet den zweiten Band des Mommsenschen corpus iuris civilis. Über die dabei ge­

übte Kritik hat Krüger sich in mehreren Studien geäußert, betreffend besonders die Veronesischen Handschriftsfragmente 3). Krüger ist dann

ja auch für die Digestenherausgabe, nach Mommsens Tode, dessen Nachfolger geworden, wie schon oben bemerkt worden ist.

Er hat

endlich in sehr starkem Maße, zuerst schon durch sein Apograph der Turiner Handschrift von

1880, aber auch weiterhin — über das,

was allgemein beachtet wird, wesentlich hinausgehend — durch Bei­

steuer seines in langjähriger mühsamster Arbeit gewonnenen Apparates

zu

der

Mommsenschen

Ausgabe des

Codex

Theodosianus

mit­

gewirkt.

Krügers kritisch eigenstes Herrschaftsgebiet ist daneben das der vorjustinianischen, zum Teil auch

schriften, besonders der Gajus, betreut hat.

der nachjustinianischen ch Juristen­

den er mit unermüdlicher Sorgfalt

Hier verbindet sich seine Tätigkeit unabtrennbar mit der

seines Arbeitsgenossen und Freundes, des Philologen Studemund3), der von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf Mommsens

Veranlassung hin den Auftrag erhalten hatte, das Veroneser GajusPalimpsest einer neuen Vergleichung zu unterziehen.

Damit seit Mai

1866 beschäftigt, durch Mommsen und Krüger fortlaufend unterstützt, veröffentlichte Studemund endlich, nach mancherlei, durch die politischen

Zeitläufte bedingten Unterbrechungen

1874 das Apographum jenes

Palimpsestes, das selbst heute noch den mit photographischen Mitteln hergestellten Nachformungen gegenüber manchen Vorzug bietet,

für

II. Römische Rechtsgeschichte. 2) Mitarbeiter.

881

seine Zeit aber eine klassische Leistung war und willkürlicher Text­ behandlung ein für allemal ein Ende bereitet hat. Auf dieser Grund­ lage beruht dann wieder die kritische Gajusausgabe, die von Krüger

und Studemund 1877 veröffentlicht wurde, auf abermals ergänzender, peinlichster Handschriftvergleichung und auf eingehenden Erwägungen beider Herausgeber die zweite Ausgabe von 1884, während die späteren Ausgaben nach Studemunds frühem Tode (8. August 1889) von Krüger allein fortgeführt sind. — Diese Ausgaben bilden zugleich den

ersten Band des Sammelwerkes, das sich als Schulausgabe der vor­ justinianischen Rechtsbücher, besorgt von Krüger, Mommsen und Studemund, bezeichnet. Davon ist der zweite Band (1878) ganz von Krüger gearbeitet, der dritte und letzte Band (1890) enthält

Mommsens Ausgabe der Fragmenta Vaticana und der Mosai-

caruin et Romanarum legum Collatio, daneben aber wieder als Werke Krügers die Consultatio veteris iurisconsulti und was sich von den Codices Gregorianus und Hermogenianus noch geben läßt. Mit diesen Leistungen ist der ganze Umfang unserer römischen Rechtsgeschichte durchmessen, bis auf die beiden äußersten Glieder des Anfangs und des Eudes, die zwölf Tafeln und die Novellen Justinians.

Die Bearbeitung dieser beiden Materien bildet denn aber auch zugleich Anfang nnd Ende der Tätigkeit von Rudolf Schölls. Das philo­ logische Wirken dieses Gelehrten ist dauernd bedingt durch den juristi­ schen Sinn und durch die juristischen Interessen, die er, während eines Bonner Studienaufenthaltes, durch Böcking gewonnen hatte. So war die Bonner Preisaufgabe, in der Ritschl eine Bearbeitung des Zwölf­ tafelgesetzes verlangte, wie für ihn gestellt und ist denn auch von ihm in musterhafter Weise gelöst worden. Die daraus hervorgegangene Dissertation von 18666e) bildet, wie Philologen und Juristen gleich­ mäßig anerkennen, das Beste, was auf diesem Gebiete geleistet worden

ist. Und so war es denn auch wieder Schöll, der, inzwischen haupt­ sächlich zum Hellenisten geworden?), die Bearbeitung der Novellen als des dritten Bandes für das Mommsensche corpus iuris civilis

übernommen hat. An die Aussührnng dieser Aufgabe seit 1872 ernst­ licher herangetreten, hat er sie dennoch nicht zu Ende gebracht, sondern

dem ersten 1880 erschienenen Hefte nur noch ihrer drei folgen lassen können, ohne die geplanten Prolegomena. Den Abschluß hat dann vielmehr erst Wilhelm Kroll 1895 erreicht, einschließlich einer Präfatio. Landsberg, Geschichte der deutschen RechtSwissenschast. II. Text.

56

882

Zwanzigstes Kapitel.

Die beigegebene, gründlich erneuerte lateinische Übersetzung ist wieder wesentlich unter Krügers Mitarbeit entstanden. Zu den angeführten Arbeiten von Mommsen, Krüger, Studemund, Schöll und Kroll ist endlich die epochemachende Restitution des Edictum perpetuum durch Lenel 1883 hinzuzunehmen. Damit ist der ganze juristische Quellen- und Schriftenkreis des römischen Altertums wenigstens so, wie er vor den jüngeren Papyrusfunden

lag, durchgearbeitet und das Ergebnis in bequemen Handausgaben der Alltagsbenutzung zugänglich gemacht worden. Gewissermaßen den

Abschluß zu dieser kritischen Tätigkeit, daraiff beruhend und in die Beschäftigung mit der römischen Rechtswissenschaft einführend, bildet Krügers Buch, die „Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts", Leipzig 1888 erschienen s) und „der Universität Bologna zur Jubelfeier gewidmet".

An Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der

Daten, Quellen und Literaturangaben ist das Werk eine unübertreff­ bare Musterleistung, ebenso aber auch in der wohlabgewogenen Vor­ sicht und bescheidenen Zurückhaltung, mit der objektive Ergebnisse

selbständiger lebenslänglicher Forschung zahlreich eingestreut und von knappen subjektiven Urteilen scharf gesondert sind.

3. Von denjenigen Gelehrten, die, auf dieser Grundlage stehend, in diesem neuen, philologisch-historischen Geiste an die Bearbeitung der römischen Rechtsgeschichte herangetreten sind, können endlich hier nur noch die ältesten, in die Zeit vor 1870 zurückreichenden Er­

wähnung finden, nämlich Pernice und Karlowa. Der ältere, wackere und grundgelehrte, aber eigenwillige Moritz Voigts kann ihnen dabei nicht gesellt werden, da er diese Höhe der Entwicklung trotz verdienstlicher und umfangreicher Leistungen nicht erreicht hat, ja fast

plangemäß sich dagegen durch Verschmähung der neuen historischen und philologischen Wissenschaft abgeschlossen hat. „Insbesondere an jener größten Errungenschaft der verjüngten Altertumskunde hat er

nie Anteil genommen, welche darin besteht, die Grenzen unserer Kenntnis scharf und sicher abzustecken und alles, was jenseits liegt, aus dem Kreise der Wissenschaft zu verbannen". Immerhin vermag derselbe Gelehrte, der dieses Urteil fällen muß, Voigt nachzurühmen, daß er in seinem Ins naturale, Band 2,

„seiner Zeit vorauseilend

zuerst eine Darstellung des römischen Provinzialrechts und seines Ver­ hältnisses zum Staatsrecht sowie überhaupt des römischen Rechts zum Hellenismus unternommen hat" — wennschon dieses Unternehmen als

II. Römische Rechtsgeschichte.

3) Fortsetzer.

883

verfrüht mangels inzwischen zugänglich gewordener Quellen scheitern

mußte.

Auch wird die Grundidee des Werkes, von dem jenes Ins

naturale nur einen Abschnitt bitbet2), anzuerkennen und die Aus­

dehnung der Forschung auf das Staats- und Verfassungsrecht als neuzeitlichen Strebungen entgegenkommend zu verzeichnen sein.

Nicht

minder von Voigts späteren Hauptarbeiten, seinen gewaltigen Bänden über das Zwölftafelrecht (1883) und seiner römischen Rechtsgeschichte

(1891—1903), gilt, daß mit mächtiger Arbeitskraft und unermüd­

licher Geduld „aus allen Teilen eines fast unübersehbaren Arbeits­ gebietes die Steine zum Bau herangetragen werden", jedoch so, daß der Verfasser immer mehr in den Einzelheiten untergeht, und subjek­

tive Konstruktionen älteren Stils störend dazwischen treten. Ganz anders bei Pernice und Karlowa, denen es gemeinsam ist,

daß sie mit kritisch-philologischer Exaktheit sich gestellten

Einzelergebnisse der

an die peinlich fest­

antiquarischen Forschung

halten,

die

Frage nach dem, was aus logisch-systematischen oder auch aus öko­ nomischen Ansprüchen Recht sein sollte, verschmähen, itnb namentlich

aus der Überzeugung hervor arbeiten, daß bisher in viel zu weit­

gehender Weise justinianische Rechtssätze und Rechtsanschanungen auf

das ältere römische Recht zurückübertragen worden sind, daß letzteres einzig aus zeitgenössischen,

stituierbar ist.

nicht aus byzantinischen Quellen rekon-

Je dürftiger damit dieses Quellenmaterial wird, desto

kostbarer jede echte und zuverlässige Notiz, desto dringlicher der An­ laß, das ganze Gebiet historischer Überlieferung, neben dem Privat­

rechtlichen auch Staatsrechtliches und Sakralrechtliches heranzuziehen, kurz auch in dieser Beziehung dem Muster Mommsens zu folgen.

Namentlich

für Pernice2),

der zur Jurisprudenz

eine

ab­

geschlossene philologische Ausbildung mitherüberbrachte, ist es Lebens­ ziel geworden, sich dieser Aufgabe zu widmen, eine Einsicht in das reine ungetrübte Wesen des frühklassischen römischen Rechts vorzüg­

lich

zu> gewinnen.

Dieser

Aufgabe

hat der

stille und

feinsinnige

Forscher mit zurückgehaltener Begeisterung nachgestrebt, nachdem er in einer seiner ersten Arbeitens von 1867 „Zur Lehre von den Sach­

beschädigungen nach römischem Recht" den älteren, dogmatisch gemein­

rechtlichen Rahmen

bereits durch

eine Reihe subtil-präziser Einzel­

untersuchungen durchbrochen hatte.

Sein 1867 begonnener, bis 1900

reichender) „Labeo"b),

fertiggestellt,

den

er nie

wohl

aber immer

weiter vertieft und ausgedehnt hat, der ihm von der Biographie eines 56'

884

Zwanzigstes Kapitel.

einzelnen Juristen in zweiter, mächtig angeschwollener Umarbeitung zur Darstellung des römischen Privatrechts im ersten Jahrhundert

der Kaiserzeit sich ausgewachsen hat — er ist nach Plan und Inhalt, nach Werdegang und Ergebnis „das Werk" seines Lebens, wozu die „Parerga"^) ergänzend treten. Diese letzteren beschäftigen sich unter anderem mit Studien über das römische Sakralrecht (zwei Aufsätze, von 1885 und 1886) und über „Ulpian als Schriftsteller" (1885).

Gerade letztere Arbeit, die den Ulpian mit aller jener individuali­ sierenden Genauigkeit, mit aller jener philologisch hergebrachten Pein­ lichkeit der Nachprüfung auf Selbständigkeit, Quellenmäßigkeit und

Zuverlässigkeit behandelt, aus denen dieser Heros der Hugo-Savignyschen Zeit so verkleinert hervorgeht, wie Paulus aus Jherings sub­ jektivistischen Angriffen, sie ist so recht zugleich die Erklärung, warum Pernice bis auf Labeo zurückgegangen ist, warum iiberhaupt ein Präraffaelismus in der römischen Rechtsgeschichte wie in der Kunst­ geschichte aufgekommen ist. Der Gegensatz richtet sich gegen Savignys

berüchtigte „fungible Persönlichkeiten". Ulpian ein Abschreiber und Paulus ein spekulierender Sonderling, das ist es, was aus den großen Klassikern geworden ist, die untereinander für fungibel galten. An ihre Stelle sind Labeo und Julian getreten. Was im Munde der Verehrer eines abgeklärt unpersönlichen klassischen Typus, mochte der Kunsthistoriker von Raffael und Phidias oder der Rechtshistoriker von Paulus und Ulpian reden, das höchste Lob war, das ist für die individualitätshungrige Neuzeit der schärfste Tadel geworden. Fungibel

sind uns überhaupt nur noch, können uns nur noch sein, und auch da nur im großen.und ganzen, jämmerliche Durchschnittsmenschen; wir suchen nicht das glatte Schöne, sondern das markige Charakte­ ristische; nicht das justinianische, ja selbst nicht das papinianische Reichsrecht, sondern altes römisches Stammesrecht oder spätere Pro­ vinzialismen; und in diesem Punkte trifft der ästhetische Geschmack unserer Zeit zusammen mit den Bedürfnissen kritischer Geschichts­ forschung und peinlicher Beschränkung auf zeitlich und örtlich Bestimm­

bares.

Die Systematik muß sich diesen Anforderungen unterordnen;

wenn Pernice selbst von sich bemerkt?), es sei ihm immer von größerer Wichtigkeit erschienen, „den Zusammenhang des Ganzen kennen zu

lernen, als die Entwicklung des einzelnen Instituts", so ist dies nicht in systematischem Sinne zu verstehen, sondern in dem Sinne einer frei von jeder Einzelheit aus in alle möglichen Rechtsbeziehungen

II. Römische Rechtsgeschichte. 3) Fortsetzer.

885

hinausschweifenden und hineingreifenden, alles mit allem verbindenden

Betrachtung, deren Meister Pernice gewesen ist: Allerdings kein Lern­

mittel für den Anfänger,

noch Befriedigungsmittel

für

das Nach­

schlagebedürfnis, aber ein köstliches Genußmittel sür den sachverstän­ digen Leser, der mit Muße und Sympathie solchen Gedankengängen

nachgeht.

Dem Verständnislosen sind die Werke von Pernice nicht

geschrieben, wie auch persönlich eine gewisse Alltagsgutmütigkeit seinem

cholerischen Temperament nur das Schutzmittel gegen den Alltag war,

entsprossen der innerlichen Verachtung alles Unwissenschaftlichen, darum aber auch jäh ins Gegenteil

umschlagend,

wo es sich ihm um die

höchsten wissenschaftlichen Güter zu handeln schien ^).

Ihm dürfen wir Karlowas gesellen, obschon dieser mehr histo­ auch mit der Mehrzahl seiner,

rischer als philologischer Jurist ist,

namentlich früheren Arbeiten entschieden dem Hergebrachten nähersteht, besonders

durch

das

geltenden Rechts,

dogmatische

das

Interesse

bei Pernice

fast

für Grundbegriffe

ausgeschaltet ist.

des

So hat

Karlowa durch seine Untersuchung über „Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung" (Berlin 1877) tief in die

bei dieser Lehre konzentrierten

Jdeenkämpfe unserer Rechtsdogmatiker eingegriffen, und

auch

seine

älteren zivilprozessualen Forschungen (1865 und 1872) schließen sich

weit enger, als je bei Pernice der Fall, der älteren Literatur an.

Zu

derselben Kategorie seiner Schriften gehört „die Formen der römischen Ehe und Manus" von 1868 und, wennschon auf anderem Gebiete, eine förderliche Studie rezeptionsgeschichtlicher Art,

mit

Rücksicht auf Kurpfalz, seine Rektoratsrede von 1878.

Anders bei dem

besonderer

stolzen Unternehmen seiner römischen Rechtsgeschichte ^°), das freilich nicht ganz vollendet ist,

von dem jedoch das weitaus wesentlichere

Stück in zwei starken Bänden vorliegt: es bedeutet den ersten um­

fassenden Versuch, diese Disziplin gemäß der neuesten Entwicklungs­ stufe darzustellen.

Dabei kommt für den ersten Band namentlich in

Betracht die liebevolle Bemühung um Erfassung des Staatsrechts in

Zusammenhang mit der Quellenlehre des Privatrechts, eine Behand­ lungsweise, die hier mehr noch als auf den Vorgang von Mommsen

auf die Schule von Waitz zurückverweisen dürfte, aus der Karlowa

hervorgegangen ist.

Für den zweiten Band ist zu betonen die ziel­

bewußte Richtung auf die von der Savignyschen Schule so vernach­

lässigte^) innerliche Geschichte der Rechtsentwicklung, demgemäß die

scharfe Einteilung des ganzen privatrechtlichen Verlaufes in ius civile

Zwanzigstes Kapitel.

886

und honorarium, und der Ausgangspunkt, der mit Mommsen in der Entgegensetzung des Staatsvermögensrechts gegen das Vermögensrecht der Privatperson genommen wird. Damit hat Karlowa zwar sicher­ lich keinen abschließenden und bleibenden Überblick gegeben, wie es

Krüger zu leisten durch peinliche Beschränkung auf die äußere Rechts­ geschichte möglich geworden ist; wohl aber dürfte Karlowa das Ver­ dienst des ersten klärenden Vorgehens zukommen,

mag ein solches

auch bald überholt zu werden bestimint sein.

III.

Dem einheimisch deutschen Rechte ist zur Zeit der Romantik

ein Grimm beschieden gewesen;

dagegen blieb ihm für die Zeit nach

der Jahrhundertmitte ein Mommsen versagt.

So mangelt hier eine

überragende Persönlichkeit, die deutsche Staatsgeschichte, germanistische

Philologie, germanische Stammesrechte und geltendes deutsches Recht mit einander verbunden und einen scharfen Wendepunkt gegenüber

der älteren germanistischen Rechtswissenschaft bezeichnet hätte.

Aber

dennoch ist im allgemeinen die Entwicklung eine gleichartige, nur daß sie sich hier allmählich,

durch das Zusammenwirken Mehrerer voll­

zieht und vielleicht erst etwas später die Höhe erreicht, die deshalb zum Teile jenseits der Grenze unserer Darstellung liegt.

1. Wenn wir auch hier, wie bei den Romanisten, die territorial­ rechtlich wirksamen Gelehrten in ihren besonderen Abschnitt verweisen,

so erscheint dies doch nicht durchführbar gegenüber

einem Forscher

wie Paul Roth, der so tief und so früh in den Gang der Entwick­

lung eingeschnitten hat.

Er steht nächst Waitz maßgebend da für die

Betonung des fränkischen Rechts,

aber gegen Waitz

für die Ein­

führung einer wahrhaft juristischen Auffassung der Verfassungsgeschichte

an Stelle der mehr geschichtlichen Behandlung.

So verbindet er sich

mit Gerber für die juristische Durchdringung des deutschen Privatund Staatsrechts.

Dazu kommt, daß es sich dabei für ihn um eine

frühere Arbeitszeit handelt, die sich scharf von der späteren dogmatisch-

territorialistischen abhebt, so daß die Sonderung hier auch biographisch durchaus berechtigt sein dürfte.

Paul Roth^)

hatte einen bedeutenden ersten Erfolg auf dem

Gebiete germanistischer Quellenforschung schon davongetragen durch seine Doktordissertation über die lex Bajuvariorum, München 1848, die, mit der ähnlichen Anfangsschrift seines Vetters Johannes Merkel parallel gehend.

zu

mehreren

neuen,

teilweise auch bleibend

richtig anerkannten Ergebnissen gelangt war.

als

Von da hatte er sich

III Die Germanistik.

1) Paul Roth, Anfänge.

887

dem Studium der fränkischen Reichs- nnd Rechtsgeschichte zugewandt,

als deren Ergebnis zunächst seine Habilitationsschrift von den Kron­

gutsverleihungen unter den Merowingern erschienen war, Hand in

Hand

eingehenden Besprechungen

mit

geschichte von Waitz,

Bd. 1 und 22).

deutschen

der

Verfassungs­

Daraus ist dann hervorge­

gangen die 1850 erschienene „Geschichte des Benefizialwesens von den ältesten Zeiten bis ins 10. Jahrhundert". Das Werk hat ein außerordentliches Aufsehen erregt, es ist zu

einem Zankapfel zwischen Historikern und Juristen-h, zum Ausgangs­

punkte weiterer verfassungsgeschichtlicher Studien geworden wie wenige, und es teilt gewiß mit allen solchen mächtig einseitigen Neuerungs­

schriften das Schicksal, daß von dem kühnen Bau allmählich kaum mehr ein Stein auf

dem

anderen

verblieben ist.

Aber die vorher

herrschende Auffassung einer4) „einflußreichen rechtshistorischen Schule" — gemeint ist

natürlich

die von Waitz — „wonach das fränkische

Staatswesen auf einem aus dem Gefolgeverhältnis abgeleiteten oder

demselben nachgebildeten Verband

schieden

und

erschüttert;

es denn doch ent­

hat

beruhte"

für eine Zeitlang wenigstens hat

es

an

deren Stelle die seine gesetzt, wonach „das Prinzip der Verfassung ausschließlich

im Untertanenverband" gegeben,

dagegen der „Vor­

läufer des Lehnrechts, das Benefizialwesen in seinen beiden Faktoren,

der Benefizienverleihung und

erst

dem Seniorat,

unter der Karo­

lingischen Familie" entstanden sei, und zwar vermittelt durch gewalt­

same Vorgänge im Zusammenhänge mit den großen Säkularisationen des 8. Jahrhunderts.

Mag

man

positiven Anschauungen wieder

auch

heute

manche

von

diesen

ihrerseits als einseitig oder irrig an­

sehen, mag man auch methodisch rügen, daß bloß fränkische Verhält­

und

nisse

darin

denn doch wieder die Immunitäten nicht genügend

berücksichtigt seien, so tritt das für uns hier doch in den Hintergrund.

Es bleibt dabei, daß die Schrift mit mächtiger Energie aus der Masse

des

urkundlichen Quellenmaterials

dabei,

daß

gerade

hervor

geschaffen

ist;

es bleibt

wegen des ihr entgegenzusetzenden Widerspruches

sie die Aufmerksamkeit und das Interesse dem fränkischen Reichsrecht

besonders zugewendet hat und daß dieses Interesse sich als mächtiger Hebel zur Förderung weiterer rechtsgeschichtlicher Erkenntnis erweisen

sollte; und es bleibt namentlich dabei, daß Roth durch diese Schrift für die spezifisch juristische Behandlungsweife der Verfassungsgeschichte

bahnbrechend

gewirkt

hat.

Darum

eröffnet

er mit ihr eine neue

Zwanzigstes Kapitel.

888 Periode der Wissenschaft.

So bestätigt es v. Amira, indem er allen

Einwendungen gegenüber hervorhebt, „daß man eigentlich erst an seinem

Benefizialwesen gelernt hat, deutsche Verfassungsgeschichte zu bearbeiten. Wenn die Zeit vorbei ist, wo ein Rechtshistoriker aus diesem Gebiet, statt das für den Juristen Faßbare und Bestimmbare zu formulieren,

seine Leser mit verschwommenen und oft widerspruchsvollen Redens­ arten abspeisen durfte, so ist sie es seit jenem Buche.

Heute möchte

man freilich meinen, es sei eine Binsenwahrheit, daß sich die Rechts­

geschichte mit juristischen Fragen befaßt und sie folglich auch juristisch

beantworten muß, daß, wie H. Brunner sagt, für sie totliegender Stoff bleibt, was sie dogmatisch nicht erfassen kann".

Zu Roths Zeit

ging selbst einem Waitz das Verständnis für diese einfachen Wahrheiten ab, und dies war auch die Hauptursache der wissenschaftlichen Streitig­

keiten, die nunmehr zwischen Waitz und Roth begannen und andauerten,

bis Roth sich von der rechtsgeschichtlichen Forschung zurückzog. Dies letztere ist denn schon bald nach 1850 eingetreten, indem

Roth nun mit der durch die Lehrtätigkeit geweckten praktischen Ein­ sicht erkannte, „daß eine in Wahrheit unhistorische Richtung innerhalb der historischen Schule diese auf Abwege geführt habe", ein Übel,

das die Theoretiker zu Antiquaren zu machen, die Praxis in Schlen­

drian aufzulösen drohe und dem nur durch systematisch wissenschaft­ liche Bearbeitung der Landesrechte in ihrer Gesamtheit und im Zu­

sammenhang mit dem gemeinen Recht abgeholfen werden könne.

So

hat er von jetzt ab immer ausschließlicher «seinen zähen Fleiß, auf dessen Ergebnisse wir zurückkommen, dem Territorialrechte in Ver­

bindung mit dem gemeinen deutschen Privatrechte gewidmet.

Nur

der notwendigen Verteidigung seines älteren Benefizialwerkes gegen Waitz verdanken wir noch die späteren historischen Arbeiten aus dem

alten Gebiete, das Buch über „Feudalität und Untertanenverband"

von 1863, und den Aufsatz

über „Die Säkularisation des Kirchen­

guts unter den Karolingern", von 1865.

Sonst gibt es aus seiner

späteren Zeit an rechtshistorischen Dingen nur kleine Anzeigen oder

Gelegenheitsschriften, etwa über ältere Verhältnisse des eben ihn be­ schäftigenden Territorialrechts, von meist geringerer Bedeutung.

Das

gilt selbst von dem Artikel über die rechtsgeschichtliche Forschung seit

Eichhorn, den Roth 1861

beisteuerte,

als

er

neben

Merkel und

Bühlau die Redaktion der neugegründeten Zeitschrift für Rechtswissen­ schaft germanistischerseits übernahm.

III. Die Germanistik.

2) Ficker.

889

2. Bemühen sich Noth wie Waitz hauptsächlich um älteres frän­ kisches Reichsrecht, so sind ergänzend für die älteren Verfassungsformen anderer Stämme zu nennen etwa die Werke von Felix Dahn über

die Könige der Germanen*), und besonders von Binding, dem später als Kriminalisten so berühint gewordenen Gelehrten, über das bnrgundisch-romanische Königreich von 443—532,

Leipzig 1868.

Da­

gegen für die spätere Zeit der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte,

für das 12. und 13. Jahrhundert nämlich, tritt zunächst ergänzend ein Julius Fickers, ein Schüler des großen Frankfurter Regesten­ arbeiters Johann Friedrich Böhmer, also wieder ein Historiker, aber von ausgesprochen juristischem Verständnis. Dieses hatte Ficker ja schon bewährt, indem er den glücklichen Fund des sog. Spiegels deutscher Leute , nicht nur als solchen scharf­

sinnig erkannte, sondern auch sofort zur Entscheidung des Streites zwischen Sachsen- und Schwabenspiegel treffsicher verwandte, wie da­ von schon oben die Rede gewesen ist. Dabei aber handelt es sich für Ficker doch mehr um einen Zwischenfall. Auf sein eigentliches Forschungsgebiet — wir betrachten es nur, soweit es überwiegend verfassungsgeschichtlich ist und deshalb für uns ein ausgeprägteres Interesse fjat3) — kehrte er vielmehr erst zurück durch sein Werk

vom Reichsfürstenstande, dessen erster (einziger) Band^) 1861 er­ schienen ist. Ausgegangen von den Fragen des Kurrechts, zu denen

Ficker durch die zweispaltige Wahl Friedrich des Schönen und Lud­ wig des Bayern geführt worden war, hat er da ein für die ganze Gestaltung der deutschen Verfassungsgeschichte zentrales Thema er­ griffen und der Lösung in peinlich getreuer Einzelforschung jedenfalls wesentlich näher gebracht. Daran reiht sich, als Dank für die Ver­

leihung ' des Breslauer juristischen Ehrendoktors geschrieben, die in juristischen Kreisen bekannter gewordene Schrift über den Heerschild von 1862, die3) „die praktische Bedeutung einer bisher wenig ver­ standenen Stelle des Sachsenspiegels durch ein reiches Urknndennnaterial erwies" und für die herrschenden Vorstellungen über die

Standesverhältnisse des mittelalterlichen Deutschland durch die Klar­ heit und Handlichkeit des Ergebnisses entscheidend geworden ist. Durch solche Leistungen legitimiert, war Ficker 1862 in die juridische Fakultät seiner Innsbrucker Universität übergegangen, und von da ab treten für Vorlesungen und Schriften juristische Aufgaben ihm erst recht in den Vordergrund.

Sein Interesse warf sich nun

Zwanzigstes Kapitel.

890

mit Nachdruck

auf rezeptionsgeschichtliche Verhältnisse und dadurch

aus den Zusammenhang der deutschen Dinge mit den oberitalischen Verfassnngs-, Gerichts- und Beamtenverhältnissen der Stauferzeit. Besonders war es der Unterschied zwischen deutschem und italienischem Gerichtsverfahren, den zu beobachten Ficker durch Franklins Arbeiten angeregt wurde. So entstanden die drei Textbände ®) seiner „Forschungen zur italienischen Reichs- und Rechtsgeschichte", Innsbruck 1868 bis

1874,

die ein unglaublich reiches Urkundenmaterial über alle ein­

schlägigen Vorkommnisse, Personen und Einrichtungen, Anwendungs­ fülle des römisch-kanonischen wie des longobardischen Rechts zum

ersten Male erschließen und bearbeiten.

Dabei verfahren sie so, daß

sie uns die Forschungen selbst mit allen Einzelheiten und in ihren oft nur äußerlich bedingten Grenzen vorführen, die so vielfältigen

und bedeutsamen Ergebnisse nur gelegentlich dazwischen streuen und nur selten zusammenfassen, abgesehen etwa von den allgemeinsten Ausführungen in den übermächtigen Einleitungen oder Schluß­ bemerkungen, wobei aber auch wieder Einzelheiten nachgetragen werden. Dadurch wirb ja gewiß ein seltenes Maß der Objektivität und Nach­ prüfbarkeit erzeugt, aber zugleich ergibt sich eine Schwerfälligkeit und

Unübersichtlichkeit,

die noch

gesteigert wird durch Fickers Art, den

Dingen immer weiter und tiefer rückwärts nachzugehen. — Erst recht muß dies gelten von Fickers spätesten Studien, die sich auf Ver­ lobung und Vermählung im 12. und 13. Jahrhundert beziehens,

dabei auf germanische Urzustände zurückgreifen und höchst verwickelte Untersuchungen über Verwandtschaft und Genealogie der germanischen Rechte anstellen. Sie gelangen dabei u. a. auf die Verwendung von Petri Exzeptiones, von da hinüber zu einem altspanischen Rechts­ buche®) und schließlich zum norwegischen sowie auch zum isländischen

Rechte,

dann

aber wieder zum longobardischen Rechte zurück.

Als

besonders auffallendes Ergebnis meinen sie feststellen zu können, daß das longobardische Recht sowohl wie das friesische, rätische und hel­ vetische der ostgermanischen (skandinavisch-nichtdeutschen) Rechtsgruppe zuzuweisen feien9). Um dies auch für andere Stoffe bestätigt zu

finden, schuf Ficker die fünf seit 1891 erschienenen Bände *") seiner „Untersuchungen zur Erbenfolge der ostgermanischen Rechte", eine mühsame, unter dem Druck des massenhaft von allen Seiten (Skan­ dinavien, Flandern, Siebenbürgen) herangeholten Materials fast er­

liegende Zusammenstellung, die dennoch nur Bruchstück geblieben ist.

III. Die Germanistik.

3) Stobbe.

891

Die Unübersichtlichkeit wächst hier ja wohl bis zur Verworrenheit,

Auch an Be­

der Mut der Selbständigkeit bis zur Absonderlichkeit.

denken gegen die ganze dabei beobachtete rechtsvergleichende Methode

Jedenfalls aber bedeuten alle diese Werke eine

es nicht.

mangelt

starke Bereicherung des Quellenmaterials und bieten reiche Anregungen durch grundumwälzend revolutionäre Thesen über die neu aufgeworfenen Grundprobleme. In diesem Sinne wird Fickers Gesamtforschung wohl für die

deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte bedeutsam bleiben.

Namentlich

hat u. a. auch an ihr die jüngste Germanistik gelernt, einen Mangel

gründlich zu überwinden, den ihr Ficker noch 1862n) mit Recht Vor­ halten konnte, nämlich die Gewohnheit, sich an theoretische Quellen

(Kapitularien einerseits, Spiegel andererseits) zu halten, statt an die durch Urkunden bezeugte lebendige Übung. Im übrigen steht Fickers Tätigkeit Zuges

etwas

zunächst

außerhalb

namentlich

ihrer Zeit,

des

großen

wissenschaftlichen

auch mangels derjenigen juristischen

Klarheit und Durcharbeitung, die man seit Roth fordern durfte, die innerhalb

auch

aber freilich

leichter zu erzielen war.

Jndividualitätsopfer-

des

einheitlich fränkischen Reichsrechts

Immerhin selbst dort nicht ohne einzelne

Fast möchte man behaupten,

daß in der Ab­

neigung gegen solche Opfer sich die Natur des Historikers ausprägt, wie in der Bereitwilligkeit dazu die Natur des juristischen Dogmatikers.

auch vor seiner

In diesem entscheidenden Sinne ist Roth von jeher,

territorialrechtlichen Epoche, Dogmatiker gewesen und ebenso Ficker stets, auch nach seinem Übergange zur Jurisprudenz, auch nach eigenem

Empfinden12), Historiker geblieben. 3

Wir verlassen das verfassungsrechtliche Gebiet und gelangen

zu dem des deutschen Privatrechts und seiner Geschichte im

allge­

meinen.

Dafür ist nächst Gerber unter dessen jüngeren Zeitgenossen wohl unbedenklich

bedeutendsten

am

epochemachende

geworden Otto Stobbe^), dessen

rezeptionsgeschichtliche

Verdienste wir

schon hervor­

zuheben hatten; auch seine Biographie Hermann Conrings vom Jahre 1870 gehört in diesen Zusammenhang. Stobbes Stellung

kurz

Im übrigen kann- man wohl

dahin kennzeichnen,

daß

er,

ein

Schüler

Albrechts wie Gerber und deren Nachfolger auf dem Leipziger Lehr­

stuhle, die von Gerber vertretenen und in knappen Grundsätzen fest­

gelegten Anschauungen über die Bedeutung des deutschen Privatrechts

Zwanzigstes Kapitel.

892

und über dessen Stellung zum römischen Recht übernommen ur.b sie

mittels des regsten Fleißes und des vielseitigsten, auch philologisch geschulten historischen Könnens mit einem außerordentlichen Reichtum

an Material erfüllt hat3).

So gibt er ihre durchaus selbständige

Durchführung, jedoch nur auf dem privatrechtlichen Gebiete, da er

Gerber auf das staatsrechtliche Gebiet nicht hinübergefolgt ist.

Stobbes Arbeiten beginnen mit der gelehrt mediävistischen Disser­ tation de lege Romana Utinensi, auf die hin er am 18. März

1853 promovierte; sie bekundet bereits sein reiches Wissen und seine strenge Gründlichkeit.

Es

folgte

alsbald die

grundlegende Studie

„Zur Geschichte des deutschen Vertragsrechls" von 1855; dann aber

trat an den erst 25 jährigen die Aufgabe heran, für das von Beseler geplante Sammelwerk über deutsche Rechtsgeschichte den quellengeschicht­

lichen Teil zu liefern.

Er war für diese Aufgabe als Schüler von

Waitz besonders vorbereitet, hat sich ihr seit 1856 hauptsächlich ge­ widmet und sie gelöst durch die beiden Bände seiner „Geschichte der

deutschen Rechtsquellen", die 1860 und 1864 erschienen sind.

Die

Großartigkeit dieser Leistung beruht nicht bloß auf der Vollständig­ keit des sorgfältig gesichteten Materials, sondern auch auf der Art

und Weise der Auffassung; an der Hand der Geschichte der deutschen

Rechtsquellen will Stobbe uns die Geschichte der Rechtsentwicklung selbst vorführen, wie sie sich in Deutschland vollzog.

seits jedem,

der über irgendeine deutsche Rechtsquelle

So gibt einer­ von der Zeit

der Volksrechte bis auf die jüngste Territorialgesetzgebung sich unter­

richten möchte,

das Buch sichere Auskunft in klarer chronologischer

Ordnung auf Grund eigener, namentlich im zweiten Bande selbstän­

diger Einzelforschung; andererseits aber bietet es eine wahrhaft inner­

liche Geschichte des deutschen Rechtslebens, wie dieses sich in der Er­ zeugung von Rechtssatzungen äußert, so recht zur Bestätigung von

Gerbers „wissenschaftlichem Prinzip des deutschen Privatrechts". Von diesem Gesichtspunkte aus ist denn auch in den Kreis der Darstellung

die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland einbezogen mit

ihren Ursachen, Begleiterscheinungen und Wirkungen; aber auf gleicher Höhe flehte z. B. die Zusammenfassung der Kodifikationen von der

Mitte des 18. Jahrhunderts ab zu einem umfassenden Gesamtbilde.

Mit der so begründeten überlegenen Quellenkenntnis ausgestattet ist dann Stobbe an sein zweites Hauptwerk herangetreten3), an sein fünfbändiges Handbuch des deutschen Privatrechts, erschienen 1871 bis

III. Die Germanistik.

1885.

3) Stobbe.

893

Die nahrhafte Fülle dieses Handbuches beruht zum guten Teil

auf jener seltenen Quellenbeherrschung, infolge deren Stobbe weder

Altes noch Neues, namentlich auch keine Einzelheit der jüngeren viel­ gestaltigen Territorialgesetzgebung entgeht.

Die Hinneigung der älteren

historischen Schule zu den älteren, ursprünglichen Satzungen ist bci='

durch ganz wie von selbst überwunden und durch ein reges praktisches

Interesse und Verständnis ersetzt.

Dem entspricht denn auch die syste­

matische Vollständigkeit, die von vornherein erstrebt und schließlich er­

reicht wird, besonders durch Heranziehung sonst oft vernachlässigter

Stoffe der neuesten Nechtsentwicklung, so im Vereinsrecht, im Rechte an

den immateriellen Gütern und im Vertragsrecht, das sich z. B. gründ­ lich mit Order- und Jnhaberpapieren und mit dem Versicherungs­ Alle diese Materien werden bis in ihre Einzel­

verträge beschäftigt.

heiten hinein vorgetragen, mit stets förderlicher, häufig mit sehr weit

ausholender rechtsgeschichtlicher Begründung.

Dabei unterscheidet sich

in der Durchführung der gemeinsamen Prinzipien Stobbe von Gerber durch weniger konstruktiven Zwang, durch bescheidenere Unterordnung

unter die Quellen, durch Ablehnung gewagter Verallgemeinerung, wie

es z. B. auch schon so deutlich in Stobbes Artikel über die Gewere^j ausgeprägt ist.

Dies Verhalten

quellengeschichtlichen

Vorbildung

dürfte sowohl seiner philologischwie

seiner

ostpreußisch-nüchternen,

aber dagegen auch „grundehrlichen" Natur entsprossen sein, und wir werden

es

ihm heute gerne Dank wissen.

Seine

vorzügliche Ab­

rundung aber erfährt Stobbes deutsches Privatrecht durch die Stellung,

die er, hier fast ganz mit Gerber übereinstimmend, zum römischen Recht einnimmt.

Mag da Stobbe auch um eine Schwebung germa­

nistischer sein als Gerber, im wesentlichen steht er doch neben diesem,

in einem gewissen Gegensatze zu früheren und späteren Zunftgenossen.

Freilich versucht auch Stobbe gerne den Nachweis, daß dieses oder jenes Rechtsinstitut, dieser oder jener Rechtsgedanke älteren

deutschen

„mehr in dem

als in dem römischen Recht seine Wurzel habe",

wie denn dem Zwecke eines solchen Nachweises die beiden Artikels

über Gerichtsstand und Statutenkollision gewidmet sind.

Aber

an

dem großen Grundgedanken hat ihn nichts irregemacht; daß nämlich

unsere gesamte juristische Vegriffsbildung, vorzüglich im Privatrecht, unwiderruflich durch die romanistische Schulung festgelegt und darum

auch für die Germanistik, wo es ohne Verzerrung möglich, die Ein­

ordnung in romanistische Methode und Denkart geboten ist.

Daher

Zwanzigstes Kapitel.

894

tritt Stobbe nirgends auf schon

um

römischen Rechtsfätzen

als Gegner von

dieses ihres Ursprungs willen;

er mutet uns nicht zu,

alles, was bis zum Aufblühen der neuen germanistischen Studien in

Deutschland für das Privatrecht geleistet worden ist, umzuwerfen und statt scharfer romanistischer Begriffe

lieber zu Bildern

greifen,

zu

deren nationale Färbung den Mangel sicherer Umrißlinien ersetzen soll.

Sondern sein deutsches Privatrecht will Hand in Hand gehen

mit der Pandektenwissenschaft, von der deshalb auch das Fünfbücher­ system (aber statt Sachenrecht: absolute Rechte) entnommen ist.

Es

will so auch zu seinem Teile ein geschichtliches Erzeugnis darstellen

des großen Verschmelznngsprozesses zwischen deutschem Rechtsstoff und römischer Rechtsform.

Diese Stellungnahme Stobbes dürfte wesent­

lich dazu beigetragen haben, daß zwischen Germanisten und Romanisten

an

die Stelle

kennung

ein

unerfreulicher

und

unfruchtbarer

gegenseitiger Ver­

Grenzauseinandersetzungsprozeß

wissenschaftlicher

ge­

treten ist.

Stobbes

bedeutendste

juristische Schriften

sprochen oder wenigstens angeführt sein.

werden

außerdem etwa noch genannt die Artikel 6)

hiermit

be­

kleineren seien

Von den

über Miteigentum und

gesamte Hand, sowie über die Salmannen, ferner über die Geschichte der Jnhaberpapiere und über die Auflassung. — Vielfach auf das kulturhistorische Gebiet greift über, indem sie zugleich

in

knappster

Fassung des Verfassers Charaktergrnndzüge, starkgemute Zuversicht, edles Wohlwollen

und

kernigen

Humor

durchblicken

läßt,

seine

Studie zur Geschichte und Rechtsstellung der Juden in Deutschland,

die,

Braunschweig 1866 erschienen,

auf Grund reichen historischen

Materials?) eine bis dahin vorhandene Lücke der rechtsgeschichtlichen

Literatur in klassischer Weise ausfüllt.

Von Stobbes Beiträgen zur

Urkundenkenntnis sind namentlich die „Mitteilungen aus Breslauer

Signaturbüchern" anzuführen; außerdem hat er zahlreiche Rezensionen, besonders seit 1853 in Zarnkes „Literarisches Zentralblatt" geliefert. — Durch seine Werke wie durch seine

fassende akademische Tätigkeit

ist

zu Leipzig

ausgeübte

um­

er lange Zeit hindurch einer der

ausschlaggebenden Vertreter des deutschen Privatrechts wie einer der

einflußreichsten Bildner des deutschen Juristenstandes gewesen. 4. Wenden wir uns nunmehr zu solchen Schriftstellern, die mehr monographisch das deutsche Privatrecht bereichert haben, so ist be­

zeichnend, daß wir da fast nur Beitrüge finden, die das Recht der

III.' Die Germanistik. 4) Verschiedene.

895

Vergangenheit dogmatisch konstruieren, wennschon vielfach, um von da

aus

auf die Gegenwart zurückzuweisen,

dagegen

weniger Abhand-

Iitngen, die unmittelbar in das geltende Recht hineingriffenx).

Dafür

war man eben seit Wächter und Gerber wesentlich auf Territorial­ rechtliches angewiesen, während das gemeine Privatrecht — wenn man

dabei zunächst absehen will von den Sonderrechten, als namentlich

und Wechselrecht — eine fast nur noch geschichtliche

von HandelsExistenz führt.

Werke dieser Art von bleibender Bedeutung sind um diese Zeit

vor allem hervorgegangen aus der Feder von Heinrich Siegels, der sich in dieser Hinsicht schon durch sein „Deutsches Erbrecht, nach,

den Rechtsquellen des Mittelalters in seinem inneren Zusammenhänge Darin ist die deutsche Auffassung

dargestellt" 1853 ausgezeichnet hat.

klar hervorgearbeitet, die den nächsten Verwandten schon zu Lebzeiten

des Erblassers eine feste Erbberechtigung (sog. Warterecht) verleiht. In derselben Linie führt weiter Siegels Untersuchung von 1855 über

„die germanische Verwandtschaftsberechnung mit besonderer Beziehung auf die Erbfolge", näher gesagt mit besonderer Beziehung auf die Rechnung

nach

Körpergliedmaßen.

Auch 'Siegels

Geschichte

des

deutschen Gerichtsverfahrens ist, da bloß der erste Band (1857) er­ schienen ist, hauptsächlich nur- als Darstellung des ältesten Verfahrens

in systematischem Aufbau .aufzufassen, woran sich dann noch einige

Nachträge

habens.

über Einzelheiten

des

germanischen Prozesses geschlossen

Besonders bedeutend in dieser Art aber ist seine Schrift

über „Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht"

von 1873, die sich selbst als „eine germanistische Studie" bezeichnet und, zum Teil angeregt durch Kuntzes Wert über Jnhaberpapiere, von dem Gegensatze zwischen der römischen Stipulation und dem deutschen

Vertrage

ausgeht.

Von

da aus gelangt Siegel zur Nachprüfung

dessen, was man, um an der Vertragsanschauung festhalten zu können, so gerne als stillschweigende Annahme ansieht, und was doch so oft nur fingierte Annahme ist; und nun erfahren diese Fälle ihre wahre

Erklärung, indem auf das einseitige Versprechen, als auf eine dem germanischen

Rechtsgefühl

genügende

Ursache

der

Verpflichtungs­

begründung, verwiesen wird, soweit man wenigstens unter dieser Ver­

pflichtung nur die verstehen will, das einmal gegebene Versprechen zu halten,

vorbehaltlich

schlossenen Grundsatz

des Reurechts. von

der

Unter

diesen geschichtlich

„Gebundenheit ans Wort"

er­

werden

896

Zwanzigstes Kapitel.

dann eine Fülle von Einzelfällen, auch des modernsten Rechts, unter­

geordnet, wo das einseitige Versprechen als Verpflichtungsgrund für das Worthalten, häufig aber auch darüber hinaus für das Erfüllen­ müssen verwertet wird. — Die hierdurch gegebene Anregung hat sich gewiß als eine überaus fruchtbare, besonders auch für die Gesetz­ gebung, erwiesen; die Alleinherrschaft des Vertragsdogmas ist dadurch

wesentlich erschüttert worden;

wenn unser heutiges Recht zahlreiche

einseitige Willenserklärungen als verbindlich anerkennt, so geht dies auf Siegels Gedankenreihe um so deutlicher zurück, als darunter mit Vorliebe solche Fälle gestellt sind, bei denen die Willenserklärung sich weniger auf Begründung einer Erfüllungsverpflichtung als auf Aus­ übung eines Gestaltungsrechts Mahl, Kündigung u. dgl.) bezieht, wofür ja das Gebundensein ans Wort genügt.

Aber auch die Ge­

bundenheit des Antragstellers an seinen Antrag gehört hierher, die wir heutzutage so selbstverständlich finden, während man sie vor Siegels Buch vertragsmäßig zu begründen immer vergeblich bestrebt

war; ferner die deutlicher ausgeprägte Einsicht, daß selbst da, wo Vertrag notwendig und dafür eine Form wünschenswert ist, diese Formalität doch eine bloß einseitige sein kann, z. B. bei Schenkung oder Bürgschaft Z; und nicht zum mindesten wird es Siegel in diesem

Zusammenhänge zu verdanken sein, daß wir nunmehr an die still­ schweigende Willenserklärung keine Ansprüche mehr zu stellen brauchen, die sie nur unter Verzicht auf Wirklichkeit des Willens zu leisten ver­ mochte: eine wahre Brutstätte von llngenauigkeiten und Willkürlich­ keiten ist damit beseitigt. Mit dem „Versprechen als Verpflichtungsgrund" steht Siegel wohl auf der Höhe seiner historisch-dogmatischen Leistungen, wie sich

das auch äußerlich in dem klaren und eleganten Stil des Büchleins ausprägt. Hinzu kommen nicht nur einzelne Nachträge ^), sondern auch strenger geschichtliche Verdienste. So die lombardistischen Studien über Ariprand und Alibertus von 1862 und die Beiträge zur Quellen­ kunde des ältesten österreichischen Landrechts 6); die interessante Ab­ handlung über Eilbert von Bremens; und eine Reihe bedeutsamer wissenschaftlicher Anregungen, besonders für Herausgabe des Schwaben­ spiegels und der Sachsenspiegelglosse, sowie für Sammlung und Herausgabe österreichischer Weistümer, in der österreichischen Akademie der Wissenschaften und in der Kommission der Savignystiftung. Von diesen Weistümern hat Siegel den ersten Band (Salzburger Taidinge,

III. Die Germanistik.

897

4) Verschiedene.

Wien 1870) mit Karl Tvmaschek zusammen selbst herausgegeben. —

Auch sein Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte8), wennschon in seiner knappen Kürze nur für den schulmäßigen Gebrauch bestimmt, ist hier noch eben zu nennen. — Durch alle diese Leistungen hat Siegel, der, 1858 aus Gießen nach Wien berufen, dann dort lebens­ länglich tätig gewesen ist, sich als würdiges Mitglied jener deutschen Kolonie bewährt, die, von der Aera Thun nach Österreich gezogen,

dort so feste Wurzel gefaßt und so fruchtbar gewirkt hat, daß man

uns von dorten in der folgenden Generation das Anlehen mit Zinses­ zins hat zurückzahlen können. Besonders lebhaft wurde in jener Zeit die historisch-dogmatische Bearbeilung des deutschen ehelichen Güterrechts.

Hier griff nämlich

zum ersten Male Roth dogmatisch ein, indem er 1859 gegen Gerber, der das System der Gütereinheit als das vorherrschende hingestellt hatte, seinen berühmten Artikel8) „Über Gütereinheit und Güter­ gemeinschaft" schrieb.

Der Artikel, den sowohl Stobbe wie Schröder

als bahnbrechenden bezeichnet haben, kommt im wesentlichen darauf hinaus, daß es überhaupt kein gemeinrechtliches überragendes System

eines

deutschen ehelichen Güterrechts gebe, noch jemals selbst im

Mittelalter gegeben habe, sondern nur eine Reihe regional neben­ einanderstehender Systeme. Daraus hat man denn, was entferntere

Ergebnisse angeht, sowohl wissenschaftlich gelernt, sich vor lokalen Verallgemeinerungen zu hüten, wie wohl auch gesetzgeberisch, sich für diesen Punkt durchgreifender Bemühung um Erzwingung der Rechts­

einheit zu entschlagen und vielmehr den althergebrachten regionalen Unterschieden entgegenzukommen. Als nähere Folge aber ergab sich das Bedürfnis genauerer Einzelforschung über die einzelnen, streng auseinanderzuhaltenden Systeme, über ihre Geschichte und ihre dog­ matische Ausgestaltung. Während Ferdinand v. Martitz, der später besonders als Vertreter des modernen Verwaltungsrechts hervor­ getretene Gelehrte, dem durch seine Sonderuntersuchung über „das

eheliche Güterrecht des Sachsenrechts und der verwandten Rechts­ quellen" 1867 Rechnung trug, wurde die Aufgabe in umfassenderem Maße gestellt und gelöst etwa gleichzeitig durch Richard Schröders Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland. Davon erschien der erste Teil, der die Zeit der Volksrechte behandelt,

1863, der

zweite Teil, der das Mittelalter, d. h. die Zeit nach den Volks­ rechten und vor der Rezeption umfaßt, in drei Teilen: schwäbischLandSberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

57

898

Zwanzigstes Kapitel.

bayerische Rechte 1868, fränkische Rechte 1871,

norddeutsch-nieder­

ländische Rechte 1874. Richard Schröder*") ist ein Schüler von Beseler und von

Waitz.

Er hat in jungen Jahren noch das Glück gehabt, unter

Jakob Grimms Augen für dessen Weistümer arbeiten zu dürfen, und hat selbständig nach Grimms Tode nicht nur die Herausgabe

von Band 5 und 6 dieser Weistümer (1866, 1869) besorgt, sondern namentlich auch den Registerband (Band 7, 1874) in peinlichster und

selbstverleugnender Mühewaltung angefertigt. So war er von vorn­ herein auf die Benutzung von Weistümern und Urkunden eingestellt; er hat denn auch zusammen mit Hugo Lörsch**) die vortreffliche „Sammlung von Urkunden zur Geschichte des deutschen Rechts für den Gebrauch bei Vorlesungen und Übungen" (zuerst 1874) heraus­ gegeben, die in weitesten Kreisen entscheidend gewirkt hat für. die Ver­ breitung der Anschauung, daß die Kunde des deutschen Rechts neben den eigentlichen Rechtsquellen wesentlich den Urkunden zu entnehmen ist. Schröder ist später in derselben Richtung wirksam geblieben, für die von der Badischen historischen Kommission gesammelten ober­ rheinischen Stadtrechte, bei denen seine Mitarbeit bis in das vierte

Heft des ersten Bandes (1895—1897) reicht; und seit Jahren end­ lich führt er die Geichäste des deutschen Rechtswörterbuches, das, von der Berliner Akademie veranstaltet, das Gegenstück zu dem von der M.ommsenschule unter der Leitung von Gradenwitz vorbereiteten römischen Rechtswörterbuche zu werden bestimmt ist12). Demgemäß ist denn auch Schröders güterrechtliche Arbeit wesentlich aufgebaut auf umfassend herangezogenen Weistümern und Urkunden aller Art, im Zusammenhang natürlich mit den mehr „theoretischen" Rechts­ quellen. Erst dadurch war es möglich, zu einer gewissen Sicherheit auf diesem Gebiete zu gelangen, für das denn wohl seine Forschung grundlegend geblieben ist. Heutzutage ist freilich Schröder weiteren Kreisen besser bekannt als der Verfasser des kleinen Überblicks über das eheliche Güterrecht nach den Vorschriften unseres Bürgerlichen Gesetzbuches, womit er 1900 einem Notstände abgeholfen hat, und namentlich als der Ver­ fasser des großen Lehrbuches der deutschen Rechtsgeschichte, das, 1886

begonnen, 1889 zuerst erschienen, seitdem zahlreiche Auflagen erlebt und von den Fortschritten dieser Wissenschaft treulich Auslage für Auflage die Summe gezogen hat. Eben darum aber führt es über

III. Die Germanistik.

5) Herausgeber, besonders Boretius.

899

die Epoche, die wir hier behandeln, allzuweit hinaus, als daß darauf eingegangen werden dürfte. Dagegen fällt eben noch in unseren Rahmen die germanistische

Leistung, mit der Laband, ehe er seine schöpferische Kraft hauptsäch­

lich auf unser Reichsrecht übertrug, nachdem er bereits durch eine Reihe germanistisch-quellenrechtlicher Studien sich bewährt hatte13), bedeutsam in das deutsche Privatrecht eingegriffen hat, nämlich seine „Vermögensrechtlichen Klagen nach den sächsischen Rechtsquellen des Mittelalters", 1869. Was dem Buche seinen vorzüglichen Charakter verleiht, ist die musterhafte Klarheit und Durchsichtigkeit des groß­

zügigen Ausbaues, die scharfe Prägung des Gegensatzes zwischen Klagen um Geldschuld, um Fahrnis und um Grundstücke, unter Ablehnung der romanistischen Analogie von persönlichen und ding­ lichen Ansprüchen, und überhaupt unter voller Wahrung eines rein

germanistischen Stils. Dazu kommt die so elegante wie vollständige Mit alledem erscheint aber auch das Werk als be­

Durchführung.

zeichnend für diesen Abschnitt des deutschen Privatrechts, den wir hier versucht haben, als einen im Anschlüsse an Gerber historisch-

dogmatisch-konstruktiven zu bestimmen. Was da Laband konstruiert, das ist ein germanistisches materielles Aktionenrecht; und zwar muß er

es, da die deutschen Quellen es unmittelbar nicht kennen, zu dem Behufe erst auf dem Umwege über die in jedem Falle erforderlichen oder zulässigen Klagebehauptungen oder beklagtischen Einwendungen und über die entsprechende Beweiserhebung herausarbeiten. Dabei fallen aber selbstverständlich zugleich zahlreiche wichtige Streiflichter auf eine Reihe rein materiellrechtlicher Punkte, wie namentlich auf die Gewere an Grundstücken und auf die nähere Bedeutung des Satzes „Hand muß Hand wahren" bei beweglichen Sachen.

5. Die herausgeberische Tätigkeit der beiden Jahrzehnte von 1850—1870, soweit wir ihrer nicht schon als von älteren Gelehrten ausgehend früher zu erwähnen hatten, ist nicht eben sehr umfang­ reich, wenn man bloß das Fertiggestellte ins Auge faßt. Aber was in dieser Zeit von jüngeren Forschern gegeben wird, das pflegt auf einer ganz entschiedenen Höhe modernster wissenschaftlicher Kritik zu stehen. Und namentlich sind um diese Zeit zahlreiche Unternehmungen

in die Wege geleitet worden, die viel zu großartig und umfassend angelegt sind, als daß bereits von abgeschlossen vorliegenden Ergeb­ nissen berichtet werden könnte. Man wird aber auch die vorbereitenden 57*

900

Zwanzigstes Kapitel.

Bemühungen dieser Zeit gutbringen müssen. Das Entscheidende, näm­ lich die Reorganisation der unter Pertz' Leitung stark rückgängig ge­ wordenen Verhältnisse der Monumenta Germaniae historica, mit dem Entschlüsse gründlicher Neugestaltung, wo nötig selbst durch

Wiederaufnahme ganzer Ausgabeserien, konnte freilich bekanntlich erst 1875, nach dem Rücktritte von Pertz und auf Grund der Unterstützung durch das neue deutsche Reich, herbeigeführt werden. Mustergültig ist dafür aber geworden das Werk, das Alfred Boretius4) dieser großen Sammlung schon vor dieser Reform, also noch innerhalb unserer Epoche geliefert hatte.

Es handelt sich

um den ganzen fünften, lombardistischen Band, und zchar sowohl um das Stück (Papiensis), das auch formal unter Boretius' Namen

geht, wie um den übrigen Inhalt, der tatsächlich, unter geringer Be­ nutzung älterer Vorarbeiten von Merkel und Bluhme, fast ganz von Boretius aus den Handschriften gearbeitet und so, wie dieser

Text und Varianten zusammengestellt hatte, von Bluhme zum Druck gegeben ist2). Offenbar durchaus zum Vorteil für das Ergebnis, denn Boretius hatte nicht nur vor Bluhme die Methode voraus,

sondern selbst vor Merkel, aus dessen Schule er hervorgegangen ist, das sichere Auge und die unerschütterliche Geduld für Handschriften­ vergleichungen, während er das besondere Verständnis für die Eigen­ art des lombardischen Rechts im nahen Anschlüsse an Merkel, als begeisterter Verehrer des römischen und gründlicher Kenner des

deutschen Rechts gewonnen hatte. So ist denn auch der von Bo­ retius herrührende Teil der Einleitung2) besonders wertvoll, nament­ lich in seinen Nachweisungen lombardistischer Rechtsgelehrter; und überhaupt dürste kaum ein Abschnitt der Monumenta aus der Pertz-

schen Periode so allgemeinen, uneingeschränkten und dauernden Bei­ fall wie dieser gefunden haben. Bei der Bearbeitung der lombardischen Rechtsquellen kam nun Boretius weiter dazu, nachzuforschen, inwieferne fränkisches Kapitularienrecht nach der ftänkischen Eroberung dorthin übertragen worden sei. Dabei aber ergab sich ihm, daß der Ausgangspunkt, die Kapitularienausgabe der Monumenta von Pertz (Leges, Bd. I und II, 1835), für ihre Zeit eine gute Leistung, seinen kritischen Ansprüchen

entfernt nicht mehr genügte4). „So unverstanden und fehlerhaft ist oft der Text .... so falsch oder öfter noch völlig willkürlich sind vielfach die Zeitangaben und

so verkehrt Zusammengehöriges aus-

III. Die Germanistik.

5) Herausgeber, besonders Boretius.

901

einanderreißend und Ungehöriges zusammenfügend sind nicht selten die Einteilungen und Zusammensetzungen." So mußte denn Boretius auch hierfür die Grundlage sich selbst schaffen, und so entstand 1864

sein Buch über die Kapitularien im Longobardenreiche, das neben gründ­ licher und scharfer Kritik gegen Pertz^) zugleich schon über die Kapitu­ larien im allgemeinen, über

ihre Bedeutung und

Entstehung eine

Reihe fortschrittlicher Betrachtungen bringt. So ist hier z. B. zum ersten Male die so bedeutsam gewordene Einteilung aufgeklärt zwischen capitula legibus addenda, capitularia missorum und capitularia per se scribenda. Der Widerspruch von Beseler^) gegen diese im übrigen gern angenommene Erklärung und namentlich gegen die ihr zugrundeliegende Unterscheidung zwischen Volksgesetzen und könig­

lichen Verordnungen gab dann Boretius Anlaß, im Jahre 1874 auf diese Dinge gründlicher in einer Abhandlung über „Lex und Capitulare" zurückzukommen. Damit verband er eine Untersuchung über die Wehrpfficht unter den Karolingern, in der er gegen Waitz der Rothschen Meinung wesentlich beitrat, wennschon mit selbständigen

Abweichungen und Gesichtspunkten. Da aber beide Abhandlungen ihn namentlich immer wieder zur Umarbeitung der Grundlage, des Kapitularientextes, geführt hatten, so sind sie unter dem gemeinsamen Titel „Beitrüge zur Kapitularienkritik" erschienen und mit dem eigens

dafür hergestellten Texte der auf das Heerwesen bezüglichen Kapitu­ larien ausgestattet. In demselben Jahre hat denn auch Boretius zu I. Fr. Behrends Ausgabe der Lex Salica die zugehörigen Ka­

pitularien beigesteuert. So war er zweifellos der gegebene Mann für die Neuheraus­ gabe der Kapitularien, zu der sich die neue Leitung der Monumenta Germaniae nunmehr, doch wesentlich auf Grund von Boretius' kritischen Ergebnissen, entschloß, und für die er sich denn auch, wenn­ schon nur widerstrebend, gewinnen ließ. Sie ist erschienen in zwei

Bänden. Der erste, der bis zum Jahre 827 reicht und 1883 erschien, ist wirklich vollständig auf Grund neuer Handschriftenvergleichungen von Boretius besorgt; der zweite, bei dem Boretius nur noch wenig mitzuarbeiten vermochte, ist dann von Viktor Krause hergestellt, aber

auch erst wieder nach dessen Tode veröffentlicht, 1897. Die vom ersten Bande versprochene ausführliche Vorrede mußte infolge dieser

Schicksale ganz ausfallen; sie ist ersetzt durch je ein kurzes Vorwort, das im ersten Bande von Boretius herrührt, im zweiten Bande von

902

Zwanzigstes Kapitel.

Brunner und Zeumer unterzeichnet ist. Ein ganz so unbedingtes Lob wie für den lombardistischen Quellenband will man hier Boretius

nicht zollen?). Er mag nicht mehr mit so voller Hingabe und Frische wie damals gearbeitet haben. Sein Verdienst als der bedeutendste

Förderer der Kapitularienkritik aus dieser Zeit dürfte jedoch daneben ungeschmälert fortbestehen. Was die späteren deutschen Rechtsquellen anbetrifft, so darf ich

da für den Schwabenspiegel8) Rockinger^), für das,

was zum

Sachsenspiegel zu tun Homeyer noch anderen übrig gelassen hatte, Steffenhagen wohl eben noch nennen, obschon sie mit ihren umfassenden Arbeiten erst seit 1871 bzw. 1877 betraut sind.

Dafür

hatte sich Rockmger empfohlen namentlich durch seine so gelehrte wie inhaltsreiche „Untersuchung über Formelbücher vom 13.—16. Jahr­

hundert als rechtsgeschichtliche Quellen", 1855, ein Werk"), das nicht nur der Literärgeschichte dient, sondern auch der Beobachtung mittel­

alterlichen Rechtslebens eine ganz neue Quelle erschließt; außerdem durch mehrere Studien zum bayerischen Quellenkreise 12). Steffen­ hagen hatte sich bekannt gemacht durch seine „Beiträge zu v. Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" von 1859 (zweite Ausgabe 1861), durch seinen Katalog der juristisch interessanten Königsberger Handschriften, 1861 f., und durch seine „Deutschen Rechtsquellen in Preußen vom 13.—16. Jahrhundert", 1875.

Bon

beiden Gelehrten sind bisher zahlreiche Einzeluntersuchungen und Forschungsberichte über ihr Thema erschienen ^), während die schließ­

lichen Ergebnisse noch ausstehen.

6. Mit Konrad v. Maurer erreicht die germanistische Wissen­ schaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt, wennschon vorwiegend auf einem Sondergebiete. Konrad v. Maurers, geboren zu Frankenthal in der Rhein­

pfalz am 29. April 1823, war der einzige Sohn jenes Georg Ludwig

Maurer, von dem wir oben als einem der ersten Germanisten nach Eichhorn zu berichten hatten. Außer von diesem seinem Vater erhielt der Sohn seine hauptsächliche wissenschaftliche Anregung juristischer­ seits in Leipzig von Albrecht, in Berlin von Jakob Grimm und Richthofen, auch von Homeyer; die so besonders gründliche Philo­

logische Vorbildung aber hatte er schon vorher in München von Spengel empfangen, demselben Lehrer, den wir schon als Förderer von Brinz zu nennen hatten. In München ist dann auch Maurers

III. Die Germanistik.

6) Konrad v. Maurer.

903

weiteres Leben fast ausschließlich verlaufen, abgesehen etwa von einer Forschungsreise

nach

Christiania 1875.

Island

einer Vortragsreise nach

und

1858

Dieses Leben,

der Forschung und

unermüdlich

dem Unterricht geweiht, wurde immer stiller, immer zurückgezogener,

immer verschlossener, bis ihm der Tod am 16. September 1902 sein

Ziel setzte. Zunächst ist es die deutsche Rechtsgeschichte im allgemeinen, der Maurer sich zugewendet hat und für die er schon durch seine Disser­ tation über das Wesen des ältesten Adels der deutschen

Stämme

Ebenso werden gerühmt

1846 einen bedeutenden Beitrag lieferte.

die Maurer bezeichnenderweise in

die selbständigen Abhandlungen,

Form von kritischen Besprechungen gegeben hat, sei es über den Begriff

über

sei

der Autonomie gegen Gerber,

das

letzterer

nach

Beweisverfahren

Arbeit zeigt

sich

denn

es

deutschem

auch

für

noch

unabhängiger

Rechts.

dieses

Gerade

Gebiet

so

in

recht

die Eindringlichkeit der juristischen Behandlung, die Maurer z. B.

dazu führt, den Zweikampf unter den Beweismitteln zu streichen,

weil

er

in

keineswegs

zieht

sich

ihm

die

eine

vollen

Prvzeßersatz

einzigen

derartigen

reiche -Kette

Es

erblickt.

Beiträge

Rezensionen,

gleichartiger

das

sind

Maurers;

aber

vielmehr

immer

mit

sachlich tief eingreifenden Bemerkungen, durch fast alle Bände der

„Kritischen Vierteljahresschrift"

seit 1859

jahrzehntelang

hindurch,

wobei neben den nordisch rechtsgeschichtlichen Werken alle möglichen

Erscheinungen aus dem Gesamlgebiete des deutschen Privatrechts und der deutschen Rechtsgeschichte

behandelt werden,

wennschon in all­

mählich etwas abnehmender Menge und Intensität, aber doch immer­ hin noch zuletzt der zweite Band der deutschen Rechtsgeschichte von Brunner,

1893.

In

denselben

Zusammenhang gehören

Maurers

schöne Nekrologe für Wilda und für Albrecht3) und eine Reihe von

Artikeln über Stichworte des allgemeinen deutschen Rechts in Bluntschlis und Braters Staatswörterbuch.

Aber allerdings muß zugegeben werden, daß selbst in jenen kritischen Beiträgen und in anderen gelegentlichen Äußerungen Maurer alsbald anfängt, entweder auf westnordische Stoffe und Werke oder

auf Beiträge aus der westnordischen Rechtsgeschichte zu dem Gegen­

stände des von ihm gerade besprochenen, zunächst nicht dorthin ge­

hörigen Buches sich zu beschränken, wie er denn ja auch ähnlich seine Vorlesungen seit 1867 eingerichtet hat.

Durch Grimm und Wilda

904

Zwanzigstes Kapitel.

dazu angeregt, hatte er es nämlich sich von jeher zur besonderen Aufgabe gesetzt, die deutsche Rechtsgeschichte durch Anschluß an weiter­ greifende germanistische Forschung zu befruchten.

Zu dem Behufe

hat er sich zuerst sowohl dem nordischen wie dem angelsächsischen Rechte zugewendet und auch über letzteres eine Reihe förderlicher Artikel, anläßlich eines englischen Buches von Kemble, in die „Kri­ tische Überschau"®) geschrieben. Ebenso hatte er ja wohl auch zu­

nächst vor, damit die einheimische Rechtskunde zu verbinden; dann aber ist es ihm offenbar ergangen, wie es einem wahrhaft gewissen­ haften und tiefgründigen Forscher ergehen muß. Zuerst einige vor­

bereitende, erschließende Arbeiten über

isländische und norwegische

Dinge, besonders „die Entstehung des isländischen Staates und seiner Verfassung", 1852, „über die isländischen Gesetze und deren Ausgaben", 18536). Dann ein erster großer Wurf, kühn, mächtig,

allseitig bedeutsam: „Die Bekehrung des norwegischen Stammes zum

Christentum", zwei Bände, 1855/56.

Dadurch nun erst die volle Ein­

sicht in all das, was an Vorbereitungen noch notwendig ist, ehe das

scheinbar schon eroberte Gebiet mit irgendwelcher Sicherheit behandelt werden kann, die Einsicht, wie in historischer, sprachlicher, quellen­ kritischer Hinsicht alles erst neu zu begründen, zu sichten und zu klären ist. Demgemäß eine längere Zeit der Sammlung, der müh­

samsten Einzelforschungen, der schärfsten kritischen Sichtung.

Und

dann endlich, etwa vom Beginne der 60 er Jahre ab, die Meister­ schaft, die nun aber mit klarem Bewußtsein sich auf die Provinz

beschränkt, für die sie gewonnen ist: Das Recht und alle sonstigen einschlägigen Verhältnisse des westlichen Nordens, Norwegens und mehr noch mit Vorliebe Islands, nur gelegentlich daneben

Schwedens ®). Das Übermaß von Fleiß, Sammeleifer und Scharfsinn, das zu dem Behufe aufgeboten wurde, vermöchte nur der Fachmann zu

würdigen, der auch nordische Sprache und Literatur vollständig be­ herrschte. So viel aber ersieht man zweifellos aus den Berichten der Fachgenossen und der Schüler, aus dem Anerkenntnis der Nor­ weger und Isländer selbst: Es ist eine staunenswerte Leistung, die Maurer da vollbracht hat. In Deutschland fand er gewiß nur erst notdürftige Spuren irgendwelcher wissenschaftlichen Behandlung seines

Gegenstandes?) und kaum irgendwelche wissenschaftliche Hilfsmittel dafür vor; aber auch in den Ländern selbst, mit denen er sich be-

III. Die Germanistik.

6) Konrad v. Maurer.

905

schäftigt, scheint eine wahrhaft wissenschaftliche Geschichtserkenntnis gerade damals erst sich angebahnt zu haben, so daß er darauf für den Beginn noch nicht fußen, erst später damit zusammenarbeiten konnte.

So mußte er erst sprachlich und allgemein historisch sich

Bahn brechen, ehe er zu den Rechtsgegenständen gelangen konnte. Er hat sich also nicht mit Kenntnissen zweiter Hand begnügt, nicht bei der Überlieferung des Quellenbestandes beruhigt, sondern er ist un­

verzagt daran gegangen, in strengster Quellenkritik sich erst Stein für Stein, durch die verwickeltsten und eigenartigsten Untersuchungen,

die Grundlage seines Baues zu behauen und zu legen, unbekümmert, ob dabei die ehrwürdigsten Anschauungen von alten Sagas und von alten Gesetzdenkmälern, wie der Graugansb), umgestürzt werden mußten. Aber im ganzen hat er doch festgehalten an der Überzeugung, daß die Ergebnisse schließlich den germanischen Stämmen gemeinsame, da­ her auch für das Studium der deutschen Verhältnisse verwertbare, ja wegen ihres hohen Alters und ihrer Unberührtheit durch fremde Elemente doppelt wertvolle Staats- und Rechtsverhältnisse erschließen müßten b). Darin beruht offenbar Maurers hervorragendes Verdienst, daß er einerseits in strengst kritischer, fast überscharfsinniger und überängstlicher Methode keinen Rechtsbestandteil als gemeinsam und

uralt selbstverständlich hinnimmt, sondern fortwährend alle Trübungs­ und Mischungsquellen aufsucht, in strengster Beweistechnik Späteres und Fremdes eliminiert, für jeden Stamm und für jede Gegend sich auf die lokal nachweisbaren Denkmäler beschränkt; daß er dann aber doch andererseits für den allgemeinen Stammeszusammenhang das als Wurzelhaft einheimisch Erwiesene in Anspruch zu nehmen weiß, nach denselben Regeln, nach welchen aus den Sprachen aller ger­ manischen Völker Jakob Grimm 1819 seine von Maurer so oft als wissenschaftlich unerschütterlicher Ausgangspunkt aller solcher For­ schungen gepriesene deutsche Grammatik aufgebaut hat. Gerade in dieser Beziehung sind manche der Rezensionen in der „Kritischen Vierteljahresschrift" aus des Verfassers älterer und mittlerer Zeit

bedeutsam, indem sie, an ein Thema des einheimischen Rechts, an ein Buch darüber anschließend, Ergänzungen oder Neuanregungen

durch Heranziehung des nordischen Materials, sei es in kurzem Hin­ weis, sei es in ausführlicher Begründung, liefern. 'Fast unübersehbar sind die zahlreichen Aufsätze in philologischen und historischen, folkloristischen und juristischen Zeitschriften deutscher

906

Zwanzigstes Kapitel.

und nordischer Zunge, aber namentlich in den Abhandlungen und Sitzungsberichten der Kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften zu Münchens, in denen sich Maurer über diese seine Forschungen

geäußert hat. Er hat dabei nicht nur alle Rechtszweige einschließlich des im Norden durch den einheimischen Geist so eigenartig um­ gestalteten Kirchenrechtsu), sondern auch Geographie, Altertumskunde und Geschichte, Sagenkunde und Sprachkunde, gegenwärtige Politik und Kulturzustände der westnordischen Gegenden in den Umkreis seiner Fachstudien gezogen, und auf allen diesen Gebieten sich eine

überwiegende Autorität, daheim und dort, erworben. ' Nennt ihn des­ halb, weil er die isländischen Geschichtsquellen zuerst kritisch voll­ ständig durchgearbeitet und erschlossen hat, einer seiner Biographen

den isländischen Wattenbach, so darf man da wohl noch einen Schritt weitergehen, ihn als den isländischen Mommsen bezeichnen. Mit Mommsen teilt er denn ja auch das historisch-psychologische Fein­ gefühl, das Pathos des wissenschaftlichen Forschungseifers und nament­

lich Eines, das ihn der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft besonders wert macht: die juristische Grundauffassung, mit der er an Historisches und Philologisches, Kulturgeschichtliches und Politisches herantritt, ohne diese Stoffe doch je juristisch zu vergewaltigen. Aber die juristische Verwertung, womöglich in weiterer Linie für das heimische Rechtsverständnis, ist ihm stets letztes Ziel, die juristische

Konstruktion des reichen Quellenmaterials stets dringendes Bedürfnis. Musterleistungen, die unserem Verständnis mehr entgegenkommen, sind dafür z. B. seine Festschriften für Arndts von 1875 und für Planck von 1887: „Das Alter des Gesetzsprecheramtes in Norwegen" und „Die Rechtsrichtung des älteren isländischen Rechts". Mag nun die unmittelbare Bedeutung dieser Studien für unser Recht und für seine Urgeschichte mehr oder weniger hoch bemessen

werden: darüber kann kein Zweifel bestehen, daß mindestens mittel­ bar solche wissenschaftliche Energie sich auch für die engere deutsche

Heimat als fruchtbar erweisen mußte. Und ferner wird man doch nicht glauben wollen, daß es ein Zufall ist, wenn gleichzeitig ein Zachariae von Lingenthal, ein Leist, ein Jhering auf die geschichtliche Verwandtschaft des römischen Rechts mit gräkoitalischen und arischen Rechts- und Geschichtsaltertümern Hinweisen, während ein Ficker, ein Maurer, ein Brunner und Sohm, sei es nordischen, sei es fränkisch-

normannischen

und

englischen

Rechtszusammenhängen

nachgehen.

III. Die Germanistik.

6) Konrad v. Maurer.

907

Dafür, daß Maurer selbst diese Analogie wahrgenommen hatte, spricht das Thema seiner Quaestio inauguralis von 1844: „Über die Be­

des griechischen Rechts für das Studium der römischen Rechtswissenschaft". Aber freilich, je verheißungsreicher derartiges deutung

Ausgreifen in weiteste zeitliche und örtliche Fernen, desto bedrohlicher die Gefahr eines gewissen Dilettantismus; ob selbst Ficker ihr voll­

ständig entgangen, wird bestritten.

Da ist denn das Musterbeispiel

Maurers so unendlich wertvoll, das uns gezeigt hat, mit wie un­ endlicher Mühe und peinlicher Kritik nur auf diesem gefährlichen Gebiete gearbeitet werden darf; daß die Ansprüche hier nicht milder, sondern eher strenger als sonst zu stellen sind; und daß auch da nur

der Beschränkung auf ein bestimmtes Rechts- und Kulturgebiet zur wahrhaften Förderung der Wissenschaft mitzuwirken beschieden ist. Man wird es unter solchen Umständen mit besonderer Freude begrüßen dürfen, daß die Schlußergebnisse von Maurers Forschungen den deutschen Juristen doch in drei mehr darstellenden Werken über­ sichtlicher und zugänglicher dargeboten werden. Zwei davon rühren unmittelbar von unserem Forscher her, und zwar findet sich das

eine im ersten Bände der von v. Holtzendorff heransgegebenen Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, für welche Maurer einen ge­ drängten „Überblick über die Geschichte der nordgermanischen Rechts­

quellen" beigesteuert hat13); das andere ist das von Maurer zum tausendjährigen Jubelfeste der Nordinsel 1874 geschriebene Buch:

„Island, von seiner ersten Entdeckung bis zum Untergange des Frei­ staates", das vorwiegend eine Rechts-, Verfassungs- und Kultur­ geschichte bietet. Weit umfassender freilich ist das dritte dieser Werke. Es handelt sich um die „Vorlesungen über altnordische Rechts­ geschichte", die möglichst unverändert aus dem Nachlasse des Ver­ fassers von der Gesellschaft der Wissenschaften in Christiania heraus­ gegeben werden. Ihr Vorsatz ist, zu liefern „Maurers eigene Dar­ stellung, seine Beweisführungen und Schlußfolgerungen, namentlich aber auch seinen breit angelegten, auf Vollständigkeit zielenden gelehrten Apparat mit jenen zahllosen, überaus gewissenhaften Zitaten und Hinweisungen — ein vorbildliches opus operatum, das ein für allemal zugunsten der nachfolgenden Forschung erledigt ist."

Das große,

auf fünf stattliche Bände angelegte Werk ist bisher

(Herbst 1910) bis zum vierten Bande gelangt13). Es wird ein Maurers würdiges Monument werden, von dem man wohl wird sagen dürfen,

Zwanzigstes Kapitel.

908

daß es dem deutschen Gelehrten, dem wissenschaftlichen Begründer der

auch bei uns fortblühenden Sonderdisziplin einer skandinavischen Nechtsgeschichte errichtet ist von der einheimischen Wissenschaft jener Lande als ein Zeichen neidlos freudiger Anerkennung, aber wohl auch als ein Zeichen geistiger Zusammengehörigkeit, wie sie Maurer stets für die entfernteste Vergangenheit in Anspruch genommen, für Gegen­ wart und Zukunft aber wesentlich gepflegt und gefötdert hat.

7. Bis hierher ließen sich die Vorgänge wenigstens mit dem Streben nach einiger Vollständigkeit verfolgen. Dagegen, wie die eigentlich deutschrechtliche Wissenschaft, unabhängig von Maurers skandinavischen Forschungen, gleichgerichtet mit der großen nationalen Zeitbewegung, in den 60 er Jahren den Anlauf nimmt, um dann in den 70 er Jahren zu stolzem Aufschwünge sich dauernd zu erheben: das kann hier eben nur noch angedeutet werden, besonders insofern,

wie die Zusammenhänge mit der älteren Entwicklung in Betracht kommen. Denn im übrigen tritt, selbst wenn wir an ein bestimmtes Grenzdatum uns nicht ängstlich halten wollen, hemmend in den Weg, daß wir noch mitten in diesen Dingen stehen, daß es sich aus­

schließlich um die Wirksamkeit noch mitten unter uns schaffender Ge­ lehrter handelt, und daß darum namentlich auch dem Nichtgermanisten

die fachmännischen Vorarbeiten fehlen, ohne die er nicht hoffen darf, eine hinreichende Übersicht gewinnen zu können. So beschränke ich mich auf das, was den Auftakt vor 1870

bildet, nämlich auf die Anfänge von Brunner und Gierke unter knappster Berücksichtigung des ersten Auftretens von Sohm und Heusler. Das möge zur Vorbereitung werden für eine vollständigere Schilderung,

die uns etwa in der Zukunft von zuständiger Seite

gebracht werden könnte. Dabei vertreten Brunner und Sohm wesentlich die deutsche Rechtsgeschichte, Gierke und Heusler mehr das dogmatisch-historische deutsche Privatrecht.

Heinrich Brunner, heute der anerkannte Meister der deutschen Quellen- und Rechtsgeschichte, als solcher der Nachfolger von Eich­ horn und Homeyer in der Berliner Akademie, ist juristischerseits Schüler hauptsächlich von Unger, historischerseits von Waitz und

Th. Sickel, dem berühmten Wiener Diplomatiker, unter dem Brunner zwei Jahre (1861—1863) als Mitglied des Instituts für öster­ reichische Geschichtsforschung gearbeitet tjat1). Daraus ist hervor­ gegangen seine erste Untersuchung von 1864 über die „Exemtions-

III. Die Germanistik.

7) Brunner und Gierke, Anfänge.

909

rechte der Babenberger"3). Dabei handelt es sich um Fragen der älteren Gerichtsverfassung von Brunners Heimat, dem früheren Herzogtum Österreich, Fragen, die hier in Zusammenhang mit der Entwicklung der Territorialgewalt überhaupt gebracht und streng urkundlich, im Anschlüsse an Waitzsche Anschauungen beantwortet

Um anderen Problemen, die dabei auftauchten, aber von dieser Seite her nicht lösbar waren, weiter nachzugehen, hat dann werden.

Brunner, wieder auf einen Fingerzeig Sickels hin, zur Geschichte des fränkischen Rechtsganges hinübergegriffen; und indem er nun die aus diesem Zusammenhänge hervor, unter Mitberücksichtigung der lom­ bardischen und gotischen Nachbarrechte, gewonnenen urkundlichen Auf­ schlüsse für den Unterschied zwischen dem altdeutschen Zeugenbeweis

und dem Jnquisitionsbeweis der karolingischen Zeit verwandte, fand er nicht nur eine mustergültig juristische Lösung dieses Problems3), sondern zugleich auch, ungesucht und wider Erwarten, den ersten An­ halt zur endgültigen Beantwortung der alten Frage nach dem Ur­ sprünge der Geschworenengerichte. Anknüpfend an die normannische Enqueste und an die von Konrad Maurer überzeugend dargetane Alternative, daß diese wieder nur entweder aus der nordischen Heimat

der Normannen oder aus fränkisch-germanischen Einrichtungen er­ klärbar sei, spricht sich Brunner schon 1866 für letzteres aus und zwar im Sinne des Hervorgehens aus dem fränkischen Jnquisitions­ beweis. Seitdem ist die Richtung auf das fränkisch-normannisch­ englische, auch altfranzösische und niederländische Recht seinen Studien gegeben; „über Wort und Form im altfranzösischen Prozeß" schreibt er 1868 unter Berufung auf Siegels-Schriften über die deutschrecht­ liche Prozeßgefahr; die Arbeit über „Anglonormannisches Erbfolge­ system" folgt 1869; und endlich tritt dann die Entdeckung der Ge­ schworenenherleitung, nun voll ausgereift und historisch wie juristisch

durch reichen Urkundenbeweis und durch klaren sachlichen Zusammen­ hang zwingend dargetan und festgelegt, hervor in dem Werke von 1872: „Die Entstehung der Schwurgerichte". Das ist das Werk, das Brunners europäischen Ruhm begründet hat. Die Eigenart aller dieser Schriften von Brunner beruht, ab­

gesehen von den glücklichen Ergebnissen, also hauptsächlich in zwei Dingen: inhaltlich in dem Ausgange vom fränkischen Recht samt seinen Schwester- und Töchterrechten; methodologisch in der Beherr­ schung und Ausnutzung des

Urkundeumaterials.

In ersterer Bc-

910

Zwanzigstes Kapitel.

ziehung erscheint hier zunächst Brunner als Fortsetzer der wissen­ schaftlichen Richtung, die von Waitz und Roth durch starke Betonung

des fränkischen Rechts zuerst eingeschlagen worden ist, gegenüber der früher üblichen Vorliebe für die durch ihren literarischen Wert so bedeutsam hervorragenden und darum so anziehenden Denkmäler des sächsischen Rechts.

Dafür reiht sich

an Brunner weiter Rudolf

Sohm^), der in seiner Erstlingsschrift von 1864 (über das subpignus) sich als glänzender Romanist und konstruktiver Dogmatiker

erwiesen hatte, wie er uns später das geistreiche und gedankenreiche Jystitutionenlehrbuch (1. Auflage 1883, 13. Auflage 1908) geliefert hat, das unsererseits fast allein") den Leistungen der romanischen Nationen, die aus unserer historischen Schule dazu die erste Belehrung sich ge­

holt haben (Padeletti, Girard), an die Seite gestellt werden kann. Sohm ist als Germanist hervorgetreten durch die Schrift über den Prozeß der lex Salica von 1867 und namentlich durch die grundlegend

gewordene Arbeit über „fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung" von 1871. Nur daß, während Sohm bei dem Frankenrechte hier einstweilen noch stehen bleibt, Brunner in der Berücksichtigung fremder Seitenzweige dieses Rechts einen guten Schritt weiter schon damals gegangen ist. So hat Brunner auch später die fränkisch-normannischen Urkunden

zum Ausgangspunkte seiner Studien über Inhaber- und Wertpapiere genommen, die Geschichte dieser Papiere aber nicht nur durch das mittel­

alterliche Frankreich, sondern ebenso durch Deutschland verfolgt, die Ergebnisse nach den verschiedensten Seiten hin fruchtbar zu machen verstanden, und schließlich selbst für das Recht der Gegenwart zum dogmatischen Abschlüsse gebracht^). Seine Vorliebe gilt nicht den fränkischen Rechten und ihren Abzweigungen um ihrer selbst willen, es handelt sich ihm nicht um rechtsvergleichende Interessen, sondern

darum, diese fremden Rechte für die deutsche Rechtsgeschichte zu ver­ werten, was hier denn doch gar viel unmittelbarer als bei Maurers skandinavischen Dingen möglich war. Deutschrechtliche Grundsätze, die in den fremden, aber nahverwandten Rechtsquellen manchmal zu

schärferer Ausprägung gelangt sind als im einheimischen Recht, sollten dabei als solche klargestellt, es sollte für Einrichtungen, die wir in jüngster Zeit aus den Tochterrechten entnommen oder unter ihrem Einflüsse fortgebildet haben, der nationale Ausgangspunkt gewonnen werden b). Und so hat sich denn auch Brunner von jeder Über-

in. Die Germanistik.

7) Brunner und Gierke, Anfänge.

schätzung des fränkischen Rechts selbst ferngehalten.

911

Sohm in seinem

Artikel „Fränkisches Recht und römisches Recht, Prolegomena zur deutschen Rechtsgeschichte", beigesteuert 1880 zum ersten Bande der „Savigny-Zeitschrift", beginnt mit dem lapidaren Satze: „Für die Weltrechtsgeschichte, d. h. für die Rechtsgeschichte der abendländischen

Kulturwelt, kommen nur zwei Rechte in Betracht: das römische Recht (mit seiner Fortentwicklung durch kanonisches und lombardisches Recht) und das fränkische Recht."

Bei Brunner ist von dergleichen nichts

zu finden. Ja, dieser hat dann vielmehr der Empfindung, daß nun­ mehr eher das fränkische Recht durch den Rückschlag ein störendes Übergewicht gewonnen habe, deutlichen Ausdruck 1884 an maß­

gebender Stelle gegeben: „Die deutsche Rechtsgeschichte soll ebenso­ wenig zur fränkischen wie zur sächsischen Rechtsgeschichte herabgedrückt,

sie kann auch nicht in unabhängige Darstellung der Stammesrechte zersprengt werden. Es gilt vielmehr bei offenem Blicke für die ört­ liche Verschiedenheit der Rechtsbildung die zusammenhaltenden Fäden

der Rechtseinheit nicht aus dem Auge zu verlieren, und diese nicht sowohl in einem einzelnen Stammesrecht, als vielmehr über den ein­ zelnen Stammesrechten zu suchen." Der hier spricht, ist derselbe Rechtshistoriker, der bereits 1870 für v. Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft nicht nur einen „Überblick über die Geschichte

der französischen, normannischen und englischen Rechtsquellen" ge­ liefert hatte, sondern auch den Hauptabschnitt „Geschichte und Quellen des deutschen Rechts"; derselbe, der damals gerade im Begriffe stand, an die Ausarbeitung seiner großen deutschen Rechtsgeschichte

heranzutreten. Über alle diese sachlichen Verdienste von Brunner wird man aber den zweiten der oben hervorgehobenen Gesichtspunkte, die Methode der Urkundenbenutzung, nicht vergessen dürfen. Ist doch diese Methode für Brunners rechtshistorischen Spürsinn zugleich selbst wieder zu einem wesentlichen Stück Rechtsgeschichte geworden. Hier

handelt es sich nicht nur um vorbildliche Tätigkeit, sondern darüber

hinaus um die Ausarbeitung einer förmlichen Urkundentheorie, die von juristischen Gesichtspunkten ausgeht und im Anschlüsse an die geschichtliche Entwicklung der Wertpapiere hervorgebildet ist. So überträgt Brunner die historische Diplomatik auf die Jurisprudenz,

er wandert von der römischen Urkunde zu den germanistischen Um­ bildungen der Carta und Notitia, zu Königsurkunden und Gerichts-

912

Zwanzigstes Kapitel.

Zeugnissen und zu sonstigen Mischbildungen dessen, was er mit glück­ lichem Ausdrucke frühmittelalterliches Vulgärrecht 7) heißt, und gelangt zur „Rechtsgeschichte der römischen und germanischen Urkunde" 1880. Gerade mit der allgemein geschichtlichen Einsicht, die jener Ausdruck ohne weiteres erschließt, dürfte aber, wenn nicht alles trügt, ein wesentliches Element für die weitere Blüte der älteren deutschen Rechtsgeschichte, im Zusammenhänge mit der Wissenschaft von der Ent­ stehung der westeuropäischen Nationalitäten überhaupt, gegeben sein. Dem rechtsgeschichtlichen Aufschwünge gesellt sich für die mehr

dogmatische Wissenschaft des deutschen Privatrechts eine wesentliche

Zunahme an Autorität und Einfluß, wie sich namentlich bei der letzten Ausgestaltung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches gezeigt hat. Außer in den politischen Zeitläuften dürfte die Erklärung hier zu suchen sein besonders in dem Umstande, daß nunmehr die Gene­ ration der Beseler-Schüler auftritt, die wieder eine schärfere germa­ nistische Tonart anschlägt.

Sie nimmt namentlich den Kampf unter

der Flagge der Nationalität nicht nur gegen das römische Recht auf, sondern gegen den Romanismus im eigenen Lager, als den sie Gerbers Methode ansieht, nicht ohne ihrerseits von diesem die exaktere Begriffbildung erlernt zu haben, wennschon dies im Eifer des Gegen­ satzes nicht gerne zugegeben werden sollte. Diese scharf polemische Note mit dem Vorwurfe des Romanisierens schlägt gegen Gerber am

entschiedensten an Otto Gierkes8) Inauguraldissertation von 1860, die sich übrigens bereits durch auffallend gründliche literärgeschichtliche Kenntnisse und durch deren geschickte Verwertung auszeichnet; und aus demselben Ton erwächst dann das Leitmotiv, auf das Gierkes darauf unmittelbar folgendes großes Werk gestimmt ist, sein „Deutsches Genossenschaftsrecht". Davon ist erschienen Band 1, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (über 1100 Seiten), 1868; Band 2, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffes bis

zur Rezeption, 1873; und Band 3, die Staats- und Korporations­ lehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland, 1881. Daran reiht sich an Stelle der Durchführung

auf die Gegenwart ein besonderes Buch, die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887. Der erste und wieder der letzte dieser vier Bände sind Beseler gewidmet. Das ist einerseits gewiß leicht begreiflich, da Gierke den für das

ganze Werk maßgebenden „Antrieb zur Versenkung in die Geschichte

913

7) Brunner und Gierke, Anfänge.

III. Die Germanistik.

aus Beselers Aufstellung dieses

des deutschen Genossenschaftsrechts"

Begriffes geschöpft hat und überdies durch Beselers Jubiläum zu

dem letzten Bande bestimmt worden ist.

Entwicklung über Beselers erste hinaus!

Kann doch

Andererseits aber — welche

„unklar gärende" Gedankenanläufe

die Einleitung

des letzten Bandes eine ganz

ausführliche Darstellung über die Entwicklung der einschlägigen Be­ griffe und über die Bedeutung geben, die sie für die gesamte privat-

und staatsrechtliche Literatur der letzten Jahrzehnte gewonnen haben, freilich ohne hervorzuheben,

daß diese Gestaltung entscheidend durch

die vorangehenden Bände herbeigeführt ist.

Das haben diese aber

bewirkt, indem sie den privatrechtlich engen Genossenschaftsbegriff und

vollends jene unglückselige dogmatische Mittelstellung zwischen Gesell­ schaft und juristischer Person,

wovon

Beseler

ausgegangen war,

fallen ließen und den Rahmen zur Darstellung alles dessen erweiterten,

was der menschliche Assoziationstrieb von jeher, in Deutschland ge­

steigert

durch

die besondere

deutsche

„Gabe

Genossenschafts­

der

bildung", an Gesamtpersönlichkeiten hervorgebracht hat: Mag es sich nun handeln um Staat oder Kirche, Staatenbund oder Gemeinde,

Gilden oder Zünfte, freie Genossenschaften zu sittlich-sozialen oder zu wirtschaftlichen Zwecken, also um Staats- oder Privatrechtliches, um

Gebilde der entferntesten Vergangenheit oder der modernsten Gegen­ wart, gewordene oder gewillkürte Genossenschaften.

Dabei ist

für

Gierke die romanistische „juristische Person" Gegenstand des Abscheus

nur noch soweit, wie sie im justinianischen Recht als reine Fiktion erscheint,

während er für ältere,

lebendige,

national-römische Ver­

bände gerne andere Anschauungen zuläßt, das römische Recht deshalb

auch im dritten Bande eingehend quellenmäßig

mitbehandelt.

Da

tritt auch der Gegensatz gegen Gerber zurück, wenigstens insofern, als Gerbers, des Publizisten, Auffassung von der Staatspersönlich­

keit unmittelbar zu Gierkes Einbeziehung der Staatsidee unter die Assoziationsidee hinüberführt. Wichtiger ist für diesen nun geworden

ein neu von ihm gewonnener Gegensatz, nämlich der zwischen seiner aus der Summe

der beteiligten Persönlichkeiten

hervor

gebildeten

und lebenden, dadurch handlungs- und deliktsfähigen Gesamtpersön­ lichkeit einerseits und dem kanonistischen Anstaltsbegriffe andererseits, der eine Anstaltspersönlichkeit aufstellt und diese in unbedingte Ab­

hängigkeit von einer außerhalb ihrer selbst stehenden,

und beherrschenden Lebensquelle setzt.

sie schaffenden

So entstehen für Gierke, je

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. £cjt.

58

Zwanzigstes Kapitel.

914

nachdem deutsche Gemeinfreiheit oder kanonistische Herrschaftsverhält­

nisse vorliegen, zwei Parallelreihen: der korporative Bürgerstaat, die korporative Laienkirche,

die

selbständig korporative

Gemeinde,

die

korporativen Privatrechtsgenossenschaften, die sich selbst bestimmen und verwalten ; und der anstaltliche Staat, das obrigkeitliche Staatsrecht,

die hieratisch beherrschte Kirche, die Gemeinde als Staatseinrichtung, die privatrechtliche Anstalt oder Stiftung,

die

von

außen her von

einem fremden Geioalthaber gelenkt und vertreten wird.

Natürlich

kann es sich dabei tatsächlich und geschichtlich immer nur um die ver­ schiedenen Mischungsverhältnisse handeln.

Gierke geht von einer Zeit

aus, wo die öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen Elemente noch nicht gesondert waren, zeigt uns dann, wie diese Spaltungen vor sich gehen, wie in den mittelalterlichen Stadtgründungen der eigentliche

Körperschaftsbegriff dem deutschen Rechtsbewußtsein aufgeht, wie von da aus nach oben nach

unten

(Staat, Reich, Staatenbund, Bundesstaat)

(sonstige Kommunen,

Zünfte,

Gilden,

und

Brüderschaften,

Geschlechtsgemeinschaften, Berufsgenossenschaften, Agrargenossenschaften ältester und neuester Prägung, kapitalistische Erwerbs-, Verteilungs­

und Produktionsgenossenschaften) die Triebe historisch und systematisch

ausstrahlen und, namentlich im dritten Bande, wie diese germanisti­ schen Lebensformen und Gedankenbildungen nistisch-kanonistischen Begriffen

zu ringen

schwer mit den romahaben-

In

diesem Zu­

sammenhänge gewinnt die Literärgeschichte unserer Wissenschaft die

Bedeutung einer Erkenntnisquelle für die Rechtscntwicklung, so daß deshalb namentlich auch die ganze mittelalterliche Doktrin von Staat und Kirche, wie sie von Theologen und Philosophen, Staatsmännern und Juristen,

Kanonisten und Zivilisten im Kampfe untereinander

gestaltet wurde, vor uns in eingehender und doch großzügiger Dar­

stellung vorüberzieht.

Von dieser Geschichtsentwicklung fehlt im Ge­

nossenschaftsrecht der Abschluß,

der durch

die lähmende Zeit

der

Territorialhoheitsentwicklung hindurch, über die erstickende Zeit der

französisch-romanistisch-absolutistischen Anstaltsherrschaft

hinweg

zur

befteiendcn Wirkung des liberalisierenden Naturrechts und dann zum

vollends würde.

freien Assoziationsprinzip

der

Gegenwart

geführt

haben

Aber für diese Lücke tritt ein Gierkes berühmte Monographie

über „Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorie",

Breslau

1880,

eine

der originellsten

und bedeut­

samsten literärgeschichtlichen Studien, die.wir besitzen, indem sie alle

III. Die Germanistik.

7) Brunner und Gierke, Anfänge.

915

diese Verhältnisse unter Bezugnahme auf des Althusius literarische Wirksamkeit entwickelt. Wo sie endigt, setzt dann wieder die rein dogmatische „Genossenschaftstheorie" von 1887 ein, mit ihren un­ mittelbar und erfolgreich auf Beeinflussung der bevorstehenden deutschen Privatrechtsgesetzgebung gerichteten Ausführungen und For­ mulierungen. Es ist wirklich eine neue Welt, die Gierke so aus dem Wesen

des Genossenschaftsbegriffes hervorgeholt hat, gestützt auf eine Be­ herrschung des gesamten historischen und juristischen Materials, die sich nie verleugnet. Sie zeigt sich im ersten Bande, wo uns mehr die tatsächlichen Gestaltungen in Staats-, Gemeinde- und Wirtschafts­ leben von der ältesten Zeit bis zur heutigen Aktiengesellschaft vor­

geführt werden, — aber ebenso im zweiten Bande, wo das Unter­ nehmen, die Geschichte eines Begriffes zu schreiben, zu weit ausholenver Begründung führt und die ganze Rechtssystematik in Be­ wegung setzt, vom deutschen Personen- und Sachenbegriff bis zu den Lehren von Gesamteigentum, Gesamtforderung und Gesamtverbind­ lichkeit ; sie steigert sich womöglich noch im Althusius und in den weiteren Abschnitten, die vom römischen Recht bis zur Judikatur der Gegenwart hinüberführen. Ob nun bei alledem diejenige kristallklare und kristallscharfe Be­

griffsbildung erreicht ist, die wir für das römische Recht beanspruchen, darüber muß sich der Romanist des Urteils enthalten. Es mag ja auch sein, daß solchen festen Prägungen nur totes Material sich fügt, während das Leben ihnen widerstrebt. Und das ist allerdings unver­ kennbar: lebensvoll sind diese Gierkeschen Rechtsgedanken, über­ quellend und strotzend von Lebenskraft und von Lebensfülle. Greifen sie doch unaufhaltbar hinüber selbst auf das Recht der reinen Ge­ sellschaft, auf die Fälle, wo „ein bloßes Rechtsverhältnis zwischen einer Personenmehrheit" vorliegt, so daß hier die Annäherung des nicht rechtsfähigen Vereins und der Gesellschaft an die juristische Persönlichkeit schon genau in den Richtungen vorbereitet ist, wie sie dann im bürgerlichen Gesetzbuche und in Gierkes Schrift „über Vereine ohne Rechtsfähigkeit nach neuem Recht" (1900, zweite Auflage 1902) weitergeführt wird. Zu der Fülle und Kraft dieser Gierkeschen Ideen ist dann ja noch die intensive Gedankenarbeit, die herbe Festigkeit von Andreas Heusler hinzugekommen. Die „Gewere" dieses letzteren, veröffentlicht 1872, erscheint literärgeschichtlich zu Albrechts gleich58»

916

Zwanzigstes Kapitel.

namigem Werke etwa in demselben

Verhältnis wie Jherings zu Savignys „Besitz": die Weiterentwicklung der Wissenschaft bewährt sich an der Identität des Themas.

Dabei muß sich uns die Beobachtung aufdrängen, wieviel enger doch die national bodenständige Germanistik bei allen ihren Fort­ schritten an dem echten Geiste der ursprünglichen historischen Schule auf die Dauer festzuhalten vermocht hat^), als der Romanismus. Während dieser mit Jhering gerade die Grundanschauung Savignys von der unbewußten Geburt des Rechts aus dem Schoße des Volks­ bewußtseins hervor verleugnet, kommt Gierke darauf für das ältere

deutsche Recht mit Vorliebe zurück und kann so unmittelbar an Grimms schönen Aufsatz „von der Poesie im Recht" anknüpfen, um

über „den Humor im deutschen Recht"10) zu handeln. Diese Schrift Gierkes, zu Homeyers 50jährigem Doktorjubiläum (28. Juli 1871), alsbald nach des Verfassers Rückkehr aus dem reichsbegründenden Kriege geschrieben, ist überreich an interessanten und fein beobachteten Einzelzügen aus dem altdeutschen Volks- und Rechtsleben; sie legt in der Vorerörterung dem Humor eine Bedeutung bei, nicht nur gelegentlich des Rechts, sondern im Rechte selbst und geradezu für das Recht, und begründet dies durch den Hinweis auf die „unmittel­ bare und ungeteilte Volksschöpfung und Volkstätigkeit", durch die

sich die Zeit der Volksjugend auf allen Gebieten anszeichne und die ihren Erzeugnissen „die eigentümlichen Merkmale einer jugendlichen Seele" aufpräge. Das ist doch noch ganz gesprochen und gedacht wie zur Jugendblütenzelt der historischen Schule. Dann aber, wo für die Anordnung und Erklärung der Einzelheiten Stichwörter und Leitmotive aufgestellt werden (z. B. Rechtsübertreibung, Scheinrecht, Rechtsparodie, Rechtsgrausamkeit), da tritt denn freilich ein ganz Anderes greifbar deutlich hervor, nämlich die Anlehnung an Jherings Methode, wie dieser sie für seinen Geist des römischen Rechts sich geschaffen hat. Beruft sich doch auch Brunnern) für seine Auf­

fassung von der Bedeutung der Form im altfranzösischen Prozeß­

recht auf Jherings Ausführungen über die Form als Sicherungs­ mittel gegen Willkür, so daß dadurch ein tiefgreifender Gedankenund Arbeitszusammenhang belegt ist. IV. Die Disziplinen der territorialen Privatrechtswissenschaften erreichen im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Einerseits kommt ihnen die praktisch-moderne Richtung, die damals in

IV. Das territoriale Privatrecht.

917

1) Österreich mit Unger.

der gemeinen Privatrechtswissenschaft sich mit der historischen Grund­ auffassung verbindet, förderlich entgegen; andererseits sind sie noch

nicht durch das entstehende oder entstandene neue gemeine deutsche

So setzt sich diese Zeit, dem

Privatrecht in den Schatten gerückt.

von Wächter

für

das

württembergische Recht gegebenen Beispiele

folgend, wirksam die Aufgabe, für die Territorialrechte das gemeine Recht nicht bloß zu einer äußeren Vergleichung heranzuholen, sondern

es als Grundlage zu nehmen, einmal im Interesse besserer Erkenntnis

der Territorialrechte, die damit als Zweige von einem und demselben Stamme erscheinen, aus dem sie fort und fort ihre Nahrung ziehen,

außerdem

aber auch im Interesse des gemeinen Rechts selbst,

dessen fernere Entwicklung sie notwendig zurückwirken.

auf

Die wahr­

haft innerliche Verbindung zwischen der Behandlung der Territorial­ rechte und des gemeinen Rechts äußert sich denn ja auch in dieser Zeit

dadurch, daß

es durchweg zugleich als Romanisten oder als

Germanisten hervorragende Gelehrte sind, auf die wir als auf die Hauptförderer der territorialrechtlichen Wissenschaften stoßen.

Damit

treten gleichzeitig und ganz von selbst diese letzteren unter den an­

regenden Einfluß der historischen Rechtsanschaunng, die ihnen fremd

bleiben mußte, so lange die historische Schule des gemeinen Rechts einerseits

und die bloß

praktische Behandlung der Partikulärrechte

andererseits einander gegenseitig übersehen hatten. 1. Am raschesten und durchschlagendsten erfolgt diese Gestaltung da, wo bisher die Behandlung des Privatrechts vielleicht am traurigsten zurückgeblieben war, in Österreich. Und zwar nicht etwa durch eine

der von außen

dorthin berufenen Lehrkräfte, sondern durch einen

Sproß des eigenen Bodens,

didaktischer Weise sich

der in durchaus selbständiger, auto­

aus den Niederungen zu dieser Höhe durch­

gerungen und die ganze Privatrechtswissenschaft seines Landes mithinanfgezogen hat.

Josef Unger1), der spätere Staatsmann und Minister (1871 bis 1879),

dann

seit 1881 Präsident

des

österreichischen Reichs­

gerichts, ist geboren zu Wien den 2. Juli 1828.

Er hatte zwar zu

Wien 1846—1850 in aller Form die Rechte studiert, während er sich

1848

gleichzeitig

als

beliebter

Redner

in der

„akademischen

Legion", in eher mäßigendem, immerhin aber doch ausgeprägt libe­ ralem Sinne an den politischen Wirren beteiligt hatte.

Bei jenem

Rechtsstudium hatte er aber fast nur den Text der österreichischen

918

Zwanzigstes Kapitel.

Gesetzbücher, Paragraphen für Paragraphen, vorgetragen bekommen und auswendig gelernt. Nicht einmal der Name „Saviguy" war ihm zu Ohren gekommen. So war denn der Eindruck, den er von

der Jurisprudenz empfing, ein so trauriger, daß er beschloß, von ihr

als einer seiner unwürdigen Beschäftigung abzusehen und vielmehr sich staatswissenschaftlichen und geschichtsphilosophischen Studien im Hegelschen Sinne zuzuwenden, als deren Ergebnis seine streng nach Hegel und Gans gearbeitete Erstlingsschriftüber „Die Ehe in ihrer welthistorischen Entwicklung", Wien 1850, erschien. Auf diese Schrift hin wurde ihm von der Königsberger Fakultät, auf Veranlassung

von Rosenkranz, der philosophische Doktorhut zugeschickt. — Um diese Zeit nun aber war er, durch eine Verkettung mehrerer Zitate hin­ durch, von einem behufs parlamentarisch-geschichtlicher Studien zur

Hand genommenen englischen zu einem politisch-historischen deutschen Autor und von diesem zu Savignys „System" verwiesen worden. Dadurch veranlaßt, entschließt er sich, dieses Buch selbst sich anzu­

sehen. Er nimmt es ohne besondere Erwartung zur Hand und — liest die acht Bände durch „wie einen Roman". Die Schuppen fallen ihm von den Augen. Er sieht mit einem Schlage die Auf­ gabe seines Lebens vor sich: Die großen Savignyschen Anschauungen von Recht und Gesetz in Österreich einführen, namentlich von ihnen aus das bürgerliche Recht Österreichs bearbeiten, das österreichische bürgerliche Gesetzbuch erläutern und, wo erforderlich, kritisieren. Das Vorstudium hierzu war eine gewaltige Arbeit, die Unger nun während der Jahre 1850—1853 in voller Selbständigkeit und unauffälliger Stille, während er an der Hofbibliothek, später an der Universitätsbibliothek beschäftigt toar3), betrieben hat. Es galt, die

volle Herrschaft über die gesamte Wissenschaft und Literatur des gemeinen Rechts, wie sie in Deutschland bestand, wie man in Öster­

reich aber damals noch keine Ahnung von ihr hattet, zu gewinnen, sowohl in bezug auf das römische, wie in bezug auf das vollends in Österreich vernachlässigte deutsche Recht. Hatte doch Unger die feste Überzeugung erlangt,

daß,

wie das

österreichische bürgerliche

Gesetzbuch aus diesen beiden Elementen entstanden war — ein hinzu­ gehöriges drittes Element, das naturrechtliche, war ihm aus dem traditionellen österreichischen Universitätsunterricht ohnehin genügend bekannt —, so es nur durch sie eine irgendwie wissenschaftlichen An­ sprüchen genügende Behandlung finden konnte. Die Rechtsphilosophie

IV. Das territoriale Privatrecht.

1) Österreich mit Unger.

1

919

hat ihm demgemäß schon 18515) nur noch insofern eigene Bedeutung, wie sie innig an das Gegebene sich anschmiegt, sich in das Positive vertieft und, von spekulativen Ausschweifungen entfernt, sich in den

Grenzen einer positiven Wissenschaft hält.

Im übrigen ist er nun

vollständig zum Anhänger und Jünger der historischen Schule geworben

und hat als solcher den festen Vorsatz gefaßt,

„die Schleusen zu

um den reichen Strom deutscher Wissenschaft auf die brach­

öffnen,

liegenden Fluren der österreichischen Jurisprudenz zu leiten und um

auf allen Punkten zugleich ein neues geistiges Leben hervorzurufen." Nachdem Unger zu Wien 1852 als Dr. jur. promoviert hatte,

gab er 1853 anläßlich des damals veröffentlichten Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen seinen Gedanken zuerst freien Ausdruck.

Er besprach diesen sog. Heldschen Entwurf

in lobendem Sinne, einerseits zwar schon in so sachlich wissenschaft­ licher Weise, daß diese seine Äußerungen in Deutschland selbst sofort

volle Würdigung finden und des Verfassers juristischen Ruf begründen konnten, andererseits aber doch wesentlich mit der Tendenz, dadurch

seinen eigenen Landsleuten vorzuführen, welche Fortschritte die Wissen­ schaft in Deutschland auf Grund der historischen Rechtsauffassung, dank der eindringlichen romanistischen wie

gemacht

habe

germanistischen Studien

und wie dadurch auch die Ansprüche an die Gesetz­

gebungskunst gestiegen feien6).

Dabei ging es nicht ab ohne eine ebenso eindringende wie leb­ hafte Kritik des geltenden österreichischen Gesetzbuches, indem dieses

mit dem für Sachsen geplanten verglichen und gezeigt wurde, wie auch auf diesem Boden der Fortschritt Lebensbedingung sei.

Deswegen

brach denn nun ein wahrer Sturm der Entrüstung gegen Unger los.

Man

erinnerte sich

Jahre 1848,

seiner revolutionären Vergangenheit aus

dem

man fand die von ihm vertretenen wissenschaftlichen

Anschauungen ihrerseits revolutionär und ging selbst so weit,

von

Majestätsbeleidigung, begangen an der Person des Herrschers, der

das österreichische allgemeine Gesetzbuch erlassen hatte, zu reden. So

konnte es geschehen, daß Ungers Bemühungen um Habilitation bei der damaligen juristischen Fakultät der Universität Wien scheiterten, wobei

von seinem Hauptgegner die Begründung dahin gefaßt worden sein soll,

„diese Schlange müsse sofort zertreten werden".

In dieser Notlage

fand sich Hilfe und Rettung von unerwarteter Seite: v. Salvotti war es, der,

Der Freiherr

sonst verschrien als reaktionärer Staats-

920

Zwanzigstes Kapitel.

mann, aber ein gelehrter Jurist und warmer Freund der geschicht­ lichen Rechtsauffassung, ein begeisterter Schüler Savignys aus dessen Marburger Tagen her — derselbe, der durch sein Zureden Savigny zur Abfassung der beiden letzten obligationenrechtlichen Systembäiide bestimmt hatte —, er also war es, der unbefangenen Sinnes er­ kannte, was Unger zu leisten versprach, und der darauf den Unter­

richtsminister Grafen Leo Thun aufmerksam machte, als dieser eben damals seine epochemachende akademische Reform plante. „Das ist der Mann, den wir brauchen," so durch Salvotti dem Minister empfohlen, wurde nun Unger von diesem, der Wiener Fakultät und seiner unverleugneten liberalen Gesinnung zum Trotz, kaum 24 jährig, als außerordentlicher Professor nach Prag gesandt, wo er mit einer

Antrittsrede?), die die Leitmotive seines wissenschaftlichen Programms wiederholt, „Über die wissenschaftliche Behandlung des österreichischen gemeinen Privatrechts", zum erstenmal das Katheder bestieg. Dann freilich änderten sich im weiteren Verlaufe dieser Thun­ scheu Reformen die Dinge rasch und vollständig. Die alten Zwangs­ und Studienvorschriften für die. österreichischen Hochschulen wurden

beseitigt; ein „geordnetes System der Lehr- und Lernfreiheit" wurde auf die österreichischen Hochschulen nach deutschem Muster übertragen; die neuen Programme des Rechtsstudiums gingen davon aus, daß an Stelle der als unzureichend erkannten älteren exegetischen Methode die historisch-philosophische zu treten habens, „deren Wesen darin be­ steht, mit Hilfe eines liebevollen, eingehenden Studiums der Ver­ gangenheit die Gegenwart mit ihren eigentümlichen Erscheinungen begreifen zu lernen, nicht etwa, um an die Stelle der Gegenwart die Vergangenheit mit ihren veralteten lebensmüden Einrichtungen zu setzen, sondern um in passender Weise in eine ersprießliche Zukunft hinüberzuleiten und durch das Verständnis der Forderungen der Gegenwart einen weisen Fortschritt zu begründen." Nun war Unger der gegebene Mann. Die reformierte juristische Fakultät der Uni­ versität Wien berief ihn dorthin zurück, zunächst 1855 als außer­

ordentlichen Professor, worauf 1857, nach dem Erscheinen

seines

ersten Bandes, das Ordinariat folgte. Von da ab hat Unger in Wien seine für die Ausbildung praktischer Juristen wie für Schul­ bildung so erfolgreiche akademische Tätigkeit geübt an der Seite seines Freundes und Gesinnungsgenossen Glaser, auf den wir unten zurück­ kommen, bis er ihr zugunsten eines weiteren politischen und admini-

IV. Das territoriale Privatrecht. 1) Österreich mit Unger.

921

Ungers lebhaftes Inter­

strativen Wirkungskreises entrückt worden ist.

esse aber und seine wissenschaftliche Mitarbeit sind allezeit dem Privat­

rechte, seine Fürsorge und seine eifernde Bemühung um legislative Fortbildung

namentlich

dem österreichischen Privatrechte

bis heute

gewahrt geblieben. Von Ungers

„System des österreichischen allgemeinen Privat­

rechts" ist erschienen der erste Band 1856 (Vorrede vom 2. Februar), der zweite Band in zwei Lieferungen 1857 und 1859.

Diese Bände

umfassen zusammen den allgemeinen Teil, auf den besonderes Gewicht für die Reform der österreichischen Privatrechtswissenschaft legen zu müssen Unger von vornherein erklärt hatte.

Er geht aus von der

Annahme, daß ohne einen tüchtigen allgemeinen Teil

„jede Behand­

lung des Privatrechts eine unsichere Arbeit im Dilettantenstil bleibt,

deren Verfasser

allen

irrungen preisgegeben"

möglichen sei.

reichischen Rechtsliteratur

Da

subjektiven es

nun

und willkürlichen Ab­

in der bisherigen öster­

an jedem allgemeinen Teil gänzlich fehlte,

so erblickte er hier das Gebiet, auf dem vor allem Hand ans Werk

gelegt werden mußtet, sollte ein gedeihliches Fortarbeiten, auch für neu zu gewinnende, ähnlich

gesinnte und geschulte Mitarbeiter, er­

Dabei handelt es sich ihm aber nicht etwa um

möglicht werden.

einen möglichst rasch zunächst einmal hinzustellenden Notbau,

vor­

behaltlich späterer Durchführung; sondern er hat den Vorsatz, diesen allgemeinen Teil schon

bei

seinem ersten Erscheinen

in

möglichst

„würdiger Weise auftreten zu lassen", „durch zahlreiche Beziehungen

auf einschlagende Lehren des besonderen Teils die Wichtigkeit des­ selben in helles Licht zu stellen", sich in freier allseitig anknüpfender

und verbindender Darstellung zu ergehen, um die wichtigen Fragen

des allgemeinen Teils, die weder von der Literatur noch vom Gesetze bisher berührt worden sind, zu besprechen und zu erledigen, Irrtümer

aufzudecken, gangbare Unwahrheiten zu beseitigen, halbwahre Begriffe zu reinigen,

die Bestimmungen

des Gesetzbuches

einer motivierten

Kritik zu unterziehen, die neuen Behauptungen zu begründen und

gegen Widerspruch aber auch

so

viel

als

möglich

sicherzustellen.

Zugleich

soll durch diese Arbeit die gemeinrechtliche Wissenschaft,

auf die Unger

in

seiner Bildung

dankbarlichst

der Vorrede

als

hinweist,

auf die unversiegliche Quelle

in

einzelnen

Punkten

und

Lehren ihrerseits gefördert und ihr dadurch ein Teil der Schuld, in der Unger ihr gegenüber zu stehen angibt, abgetragen werden.

Zwanzigstes Kapitel.

922

Es bedarf heute nach dieser kurzen Angabe des Ungerschen Pro­ gramms kaum mehr des Zusatzes, daß ihm dessen Erfüllung im vollsten Maße auf den ersten Wurf gelungen ist. Die beiden Bände seines allgemeinen Teils sind sowohl die Grundlage geworden, auf der der stolze Bau der heutigen Wissenschaft vom österreichischen

Zivilrecht durch so viele Meister einhellig weiter aufgeführt und emporgetürmt worden ist, wie sie einen wesentlichen Bestandteil unserer gemeinrechtlichen Literatur bilden, die seit ihrem Erscheinen ununterbrochen damit gearbeitet, daraus reiche Anregungen und mannigfachen Gewinn gezogen hat. So wird man es hinnehmen müssen, wenn die zunächst folgenden Bände von Ungers System

ausgeblieben sind; bemerkt er doch selbst in der Vorrede, er könne

sich nicht verhehlen, daß er Bedenken hege, ob er die Kraft finden werde, alle Partien des besonderen Teils auszuarbeiten; eben dies habe ihn bestimmt, schon in diesen Bänden hin und wieder Materien des besonderen Teils vorweg zu nehmen, namentlich viele Punkte

daraus, in denen er die herrschenden Ansichten für entschieden un­ richtig halte, bereis im allgemeinen Teil zu, berühren und sie „unter dem Text in Noten zu besprechen, welche überhaupt dazu bestimmt sind, das Kolorit der Zeichnung im Text zu geben". Gewiß hat

gerade dieses Verfahren besonders dazu beigetragen, den vorliegenden Bänden Fülle und Festigkeit des Inhalts zu geben, während es freilich so doppelt begreiflich wird, daß der Verfasser, der seine beste Munition für die folgenden Bände schon verschossen hatte, nun erst recht zu diesen sich nicht mehr entschließen konnte. Nur an chas Erb­ recht, des Systems sechsten Band, ist er bekanntlich später noch

einmal eine Musterleistüng seines großen Stils, seiner ebenso sicheren wie freien Auffassung (Wien 1864) geliefert10). Sonst hat er sich nicht einmal dazu bewogen gefühlt, eine Umarbeitung der erschienenen Bände, für die alsbald und zahlreich notwendig gewordenen weiteren Auflagen11), vorzunehmen, die vielmehr immer wieder in unveränderter Gestalt veröffentlicht sind; durch diese im Wechsel der Zeiten wohl einzigartige Unabänder­ lichkeit bekundet sich das Werk als ein klassisches Monument von herangetreten und hat da noch

dauernder Schönheit.

Die weitere Förderung des österreichischen Privatrechts hat Unger von da ab wesentlich dadurch betrieben, daß er mit Glaser zusammen die regelmäßige Sammlung und Veröffentlichung von zivilrechtlichen

IV. Das territoriale Privatrecht.

Entscheidungen des

1) Österreich mit Unge.r.

923

obersten Gerichtshofes in Wien in die Wege

leitete und von Band 1—26, sowie darauf wieder von Band 59—92 selbst besorgte; außerdem als Lehrer und Förderer jüngerer Kräfte, sowie durch gesetzgeberische Arbeiten. Seine schriftstellerische Tätig­

keit dagegen widmete er später wesentlich dem gemeinen Recht, das ihm dadurch auch unmittelbar eine Reihe der feinsten und bedeut­ samsten Beiträge zu danken hat. Abgesehen von der Abhandlung über die rechtliche Natur der Jnhaberpapiere von 1857, die schon oben erwähnt wurde, handelt es sich dabei hauptsächlich um die Artikel in Jherings dogmatischen Jahrbüchern, in deren Redaktion denn ja auch Unger seit ihrem zehnten Bande eingetreten und bis

heute verblieben ist. Es geht nicht an, hier eine genaue Zusammenstellung aller dieser Artikel zu geben, die sich in der genannten Zeitschrift von Band 8

bis Band 33 finben12).

Hervorgehoben seien ihrer drei, einer von

1871 über die Vertrüge zugunsten Dritter und vorzüglich zwei aus wesentlich späterer Zeit, von 1891 und 1894, über „Handeln auf eigene Gefahr" und „Handeln auf fremde Gefahr". Sie sind be­ sonders tief und sachförderlich, besonders inhaltsreich und gesetz­ geberisch bedeutsam geworden, wie auch in der Formgebung vollendet. Von allen diesen Aufsätzen aber gilt, daß sie, unmittelbar neben die von Jhering gesetzt, diesen wohl innerlich am ähnlichsten sind, durch die absolute Beherrschung des meist romanistischen Quellen- und Literaturkreises, durch die Gabe sicherer und übersichtlicher Kon­ struktion, vor allem aber durch die Verwertung dieser Fähigkeiten lediglich als Mittel behufs praktisch brauchbarer Ausgestaltung und Umgestaltung des gemeinen Rechts im Sinne moderner Bewegungs­ freiheit und Verkehrssicherheit. Kaum irgendwelcher andere Syste­ matiker dieser Zeit dürfte sich so vollständig und so bewußt von allem Kleben an den Quellen und von allem Rechnen mit Begriffen

befreit, so rückhaltlos in bett. Dienst des modernen Rechtslebens zu stellen und dessen Pulsschlag so feinsinnig und vorurteilslos zu fühlen gewußt haben, als Unger dies bis in seine späteren Zeiten hinein verstanden hat, ja in diesen späteren Zeiten, nachdem er da mit Vorliebe zur rein wissenschaftlichen Tätigkeit zurückgekehrt war, eher nur noch entschiedener. Von Savigny und der historischen Schule nach Abstreifung eines frühesten Hegelianismus ausgegangen,

aber durch eine natürliche Lebensfrische und durch die Anwendung

Zwanzigstes Kapitel.

924

des dort Gelernten auf ein weites,

noch unbestelltes territoriales

Gebiet von vornherein vor den Fehlern der Schule gesichert, hat so Unger mit seltener Entschlossenheit und mit seltenem Glück sich

sofort

an

die Spitze

der

fortschrittlichen Bewegung nicht nur in

seinem- engeren Vaterlande, sondern auch für den Gang der gesamten deutschen Rechtswissenschaft gestellt und diese Stellung mit nie rastender,

sondern stets kühn voraufeilender Gedankenkraft behauptet. seine

beiden

letzten Abhandlungen

über Handeln

fremde Gefahr atmen einen so freien Lebensgeist,

Gerade

auf eigene

oder

setzen sich so un­

bedenklich über Hergebrachtes und Eingewurzeltes hinweg, treffen so genau den Grundton der Zeitstimmung, daß sie sogar wieder für die

deutsche Zivilgesetzgebung vorbildlich gewirkt haben. — Wenn Unger schon 1861 von der sächsischen Gesetzgebung gefordert hatte13), daß sie ihre eigene Ablösung vorbereite durch ein Gesetzbuch, das „mit deutscher Kraft und in deutschem Geiste gearbeitet" zum Muster für

ein- gemeinsames deutsches bürgerliches Gesetzbuch

dienen könne, so

hat er durch seine eigene fortschrittsfreudige Tatkraft für seine eigene

wissenschaftliche Produktion stets diesem Ansprüche genug getan. Am nächsten in dieser Beziehung sowie in Kraft und Frische der

Begabung überhaupt steht wohl von den zahlreichen Sprossen der österreichischen Privatrechtsschule, wie sie sich in unmittelbarem An­

schlüsse an Unger dann dort allmählich gebildet hat, diesem aus der

ersten Generation Adolf Exn er (1841—1894)"), der von Unger selbst 1866 zur Habilitation in Wien veranlaßt und nach kurzer anderweitiger

akademischer Laufbahn (Zürich) 1872 wieder nach Wien als Nachfolger Jherings berufen worden ist. erwerb durch Tradition

Sein Buch über die Lehre vom Rechts­

nach österreichischem

und gemeinem Recht

von 1867 bietet das Musterbeispiel einer Monographie, wie sie Unger durch sein System anzuregen und auf dessen Grundlage erstehen zu sehen gehofft hatte15).

Einzelstudien

wohl

Sein umfassendes, durch mehrere gründliche

vorbereitetes

österreichisches

Hypothekenrecht

(2 Bände, 1876, 1881) bildet eine Zierde der von Meibom heraus­ gegebenen Sammlung deutscher Hypothekenrechte, auf die wir unten

zurückkommen.

Aber auch streng rechtsgeschichtliche Forschungen auf

dem Gebiete der römischen Gesetzgebung besitzen wir von Exner einer­ seits und Gutachten für die rechtsbildenden Bestrebungen des deutschen Juristentages andererseits.

Und namentlich wird sein Name dauernd

mit der durch ihn erst in feste Bahnen gebrachten Begriffsbestimmung

IV. Das territoriale Privatrecht.'

2) Roth, Meibom u. Böhlau.

925

der höheren Gewalt16), dieses für das neuere Verkehrsrecht so be­ deutsam gewordenen Rechtsgebildes, verbunden bleiben. In seiner aufsehenerregenden Rektoratsrede von 1891 „Über politische Bildung"

ist er für Bildungswert und Bedeutung der Geisteswissenschaften überhaupt wider die damals herrschende Überschätzung naturwissen­ schaftlicher Denkformen eingetreten und hat da seine Sache mit Nach­ druck und Geist geführt, in jener zugleich eleganten Weise, die, als

Wiener Lokalfarbe zu der Gründlichkeit und Gediegenheit hinzutretend, den Leistungen überhaupt einen besonderen Reiz verleiht.

Die späteren Autoren dieser Schule können hier nicht mehr ver­ folgt werden, da die reichere Blüte gegen 1870 erst eigentlich beginnt.

Genannt seien da nur noch die untrennbar durch ihren großen wissenschaftlichen Kommentar zum österreichischen bürgerlichen Gesetz­ buche mit Exkursen (Wien 1877 f.) miteinander verbundenen Dioskuren Franz Hofmann (1847—1897), und Leopold Pfaff (geboren 12. No­ vember 1837, Professor der Rechte zu Wien), die auch die späteren

Ausgaben von Arndts' Pandekten zusammen besorgt haben und von denen Hofmann außerdem als gelehrter und geistreicher Romanist hervorgetreten ist17). Unmittelbar daneben steht der eifrige Historiker der österreichischen Zivilrechtsgeschichte im 18, Jahrhundert, durch den diese eigentlich erst der wissenschaftlichen Behandlung erschlossen worden ist, der Zivilprozessualist Philipp Harras Ritter v.Harrasowsky: bildet seine Geschichte der Kodifikation des österreichischen Zivilrechts von 1868 auch nur das Vorspiel zu seinen größeren Ausgaben von

1883—1887, so gibt sie uns doch das formale Recht, seiner hier dankbar1^ zu erwähnen. Von rein romanistischen Werken österreichischer Herkunft fällt endlich gerade noch in das Grenzjahr unserer Darstellung die erste der verdienstlichen Monographien von Karl Czhhlarz1^, die über das römische Dotalrecht von 1870. Czyhlarz hat dann in seinem so klaren wie gründlichen Jnstitutionenlehrbuch der neuen Zeit das auf voller Höhe der altbewährten historisch-gemeinrechtlichen Wissenschaft stehende Werk geschrieben, das (erste Auflage 1888, neunte und zehnte Auflage 1908) für Österreichs Rechtsunterricht eben so maßgebend geblieben ist, wie das für Deutschland soeben in bezug auf Sohm bemerkt werden durfte. 2. Die chronologische Reihenfolge in der wissenschaftlichen Be­

arbeitung der Territorialrechte führt uns nun wieder auf Roth zurück, der als der erste Germanist auf diesem Gebiete, aber desto vielseitiger

926

Zwanzigstes Kapitel.

und erfolgreicher auftritt, und damit auch hier die Gleichberechtigung der Germanistik durchsetzt. Die Überzeugung, daß die Pflege der einzelnen Landesrechte für diesen Augenblick Hauptaufgabe der deutschen

Privatrechtswissenschaft sei, hatte sich bei Roth seit seiner Berufung nach Marburg, 1850, immer nur fester ausgeprägt; seine Hinneigung zu diesen Rechten wird so stark, daß er es selbst einmal (1860) ent­

schieden und, wenn schon vorsichtiger, auch noch später gelegentlich über sich gewann, das Verharren bei ihnen als jeder einheitlichen Kodifikation des deutschen Zivilrechts — die weder erforderlich noch

nützlich noch ausführbar sei — vorziehbar zu erklären *). Und so ist er denn an diese Rechte mit folgerichtigem Eifer in jedem Lande herangetreten, in das ihn seine akademische Laufbahn führte; freilieb

nicht, ohne daß bisweilen die Anregungen des neuen Aufenthalsortes dem älteren Unternehmen hinderlich geworden wären. Zunächst handelt es sich um das kurhessische Privatrecht, zu dessen Bearbeitung sich Roth mit einem gediegenen kurhessischen Prak­ tiker von wissenschaftlicher Geistesrichtung zusammentat, der dadurch dauernd der literarischen Tätigkeit zngezogen wurde, mit Viktor v. Meiboms. Die gemeinsame Sache litt freilich stark darunter, daß Roth alsbald von Marburg weiter nach Rostock und nach Kiel ging. Immerhin aber konnte der erste Band in den Jahren 1857 und 58 erscheinen; und das, was so zustande gekommen ist, verdiente cs, von Maurer dahin beurteilt zu werden, daß die neuere privatrecht­ liche Literatur kaum ein zweites Werk aufzuweisen habe, das it)m3)

„in bezug auf Reichtum des gesammelten Stoffes, Umsicht und Gründlichkeit in dessen Verarbeitung, endlich Prägnanz und Schärfe der Darstellung... an die Seite gesetzt werden dürfte". Dies gilt sowohl von den Stücken, die von Roth herstammen ^) wie von den Beiträgen, die von v. Meibom gearbeitet sind. Wenn es dann auch bei diesem Bande geblieben ist — „dem Erscheinen des zweiten Bandes

stellten sich nnübersteigliche Hindernisse in der Person der Verfasser entgegen", so schrieb Meibom darüber nieder3) — so ist doch damit ein Muster für die Behandlung nichtkodifizierter Territorialrechte von gemeinrechtlich germanistischer Grundlage aus gesetzt und zugleich ein wesentlicher Teil dieses einzelnen Rechts der Wissenschaft er­

schlossen. Roth wendete sich dann in Rostock dem mecklenburgischen Rechte zu, und zwar dem Teile, der dem Historiker des Benefizialwesens am

IV. Das territoriale Privatrecht.

2) Roth, Meibom u. Böhlau.

927

nächsten lag, dem Lehnrecht; während ein anderer, als germanistischer Forscher wohlbewährter Gelehrter sich dann dem Landrechte gewidmet hat, so daß da wieder einmal die Spaltung des Stoffes in Lehn-

und Landrecht hervortritt, wie im Sachsenspiegel. Roths „Mecklen­ burgisches Lehnrecht" ist erschienen 1858; daran reiht sich „Mecklen­ burgisches Landrecht, das partikuläre Privatrecht des Großhcrzogtums Mecklenburg-Schwerin mit Ausschluß des Lehnrechts", 2 Bände, 1871 bis 74, von Hugo Böhlaus. In diesem Stoffe haben Böhlaus streng konservative und schroff partikularistische Gesinnungen sowohl,

wie seine Homeyersche, sachsenrechtliche Schulung, wie endlich seine ausgeprägt dogmatisch-scharfsinnige Begabung Gelegenheit zu glück­

licher Verbindung und Entfaltung gefunden, und so ist daraus ein, obschon wiederum leider nicht fertiggestelltes, Werk von selbständigem Aufbau mit vielfach anregenden und bedeutsamen Einzelheiten hervor­ gegangen. In diesem Sinne kommen auch Böhlaus kleinere, zum Teil ergänzende, zum Teil rechtsgeschichtliche Studien und Unter­

suchungen über mecklenburgisches Privat-, Kirchen- und Staatsrecht, besonders über die verfassungsrechtlichen Eigentümlichkeiten des letzteren, in Betracht, weniger seine Darstellung des mecklenburger Kriminal­ prozesses (Wismar 1867) und sonstigen Strafrechts. Denn mochte einerseits auch seiner Bearbeitung des deutschen Rechtes zustatten kommen, daß er in national-orthodoxer Verbissenheit dessen Regeln gewissermaßen mit den Lehren des Christentums identifizierte, so waren ähnliche kriminalistische Leitmotive für eine gesunde strafrecht­ liche Auffassung wohl weniger günstig. Als ein besonderes Verdienst von Böhlau aber, der bei seinen mannigfachen, stets feinsinnigen Studien zur mittelalterlichen Rechts- und Quellengeschichte oft ein dafür geeignetes Publikationsorgan vermißt hatte, ist noch zu rühmen, daß aus seiner Anregung, nachdem er sich dazu Ende der 50 er Jahre mit Rudorfs, Bruns, Roth und Merkel in Verbindung gesetzt hatte, die Zeitschrift für Rechtsgeschichte hervorgegangen ist. Er hat sie seit 1861 allen Schwierigkeiten zum Trotz, in Verbindung mit dem Verlagsgeschäfte seines Bruders Hermann, durchgehalten, bis die Mittel der Savigny-Stiftung zur endgültigen Sicherung des Unter­

nehmens verwendet werden konnten. Es war nur selbstverständlich, daß Böhlau dann auch der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, wie sie seit 1880 erscheint, bis zu seinem Tode als

Redaktionsmitglied der germanistischen Abteilung angehört hat.

928

Zwanzigstes Kapitel.

Indessen so von anderer Seite das mecklenburgische Recht weiter gefördert wurde, das kurhessische Recht aber liegen blieb, war Roth selbst, der nun seinen endgültigen Lehrstuhl in München gefunden

hatte, an das bayerische Recht herangetreten. Dabei kam es ihm darauf an, einen geschlossenen systematischen Aufbau zu geben und

doch den rechtsgeschichtlichen, wie den praktisch an jedem einzelnen Punkte des bayerischen Staatsgebietes geltenden Rechtsverhältnissen

gerecht zu werden. Immerhin wurden räumlich das linksrheinische Sondergebiet des französischen Rechts und einzelne Landessplitter aus­ geschlossen, in denen österreichisches oder württembergisches Recht galt, und ebenso sachlich die Gebiete des Obligationen- und Urheber­ rechts, als der Gesetzgebung .des neuen Deutschen Reiches überwiesene Materien. Trotzdem blieb eine ungemein große Zahl von Partikular­

rechten und eine in den verschiedenen Landesteilen überaus ver­ schiedenartige Rechtsentwickelung zu bewältigen übrig. Handelte es sich doch bei der bunten Zusammensetzung des Königreichs Bayern aus so vielen Länderstücken um zwei große Kodifikationen, die Kreitt-

mayrschc für Altbayern und das preußische Landrecht, daneben um

Länder des gemeinen Rechts und endlich um eine Fülle von Sta­ tutargesetzen — worüber man eine eigene „Zivilgesetzstatistik" angelegt

hatte —, deren Zahl auf 128 angegeben wird, während freilich Roth diese bei genauer Nachprüfung, schon eine Riesenarbeit für sich, auf immer noch 43 herabsetzte. Aber der trotzigen Energie, dem fest zugreifenden Ungestüm, mit dem Roth hier wie sonst Hand anlegte, gelang das kühne Unternehmen. Nur durch wenige Veröffentlichungen über einschlägige Einzelstudien

vorbereitet?), erschienen in rascher Reihenfolge die Bände von Roths bayerischem Zivilrecht, der erste 1871, der zweite 1872 und der dritte, abschließende, 1875, alles in allem eine mächtige Leistung,

wennschon ^) „die Sorglosigkeit seines Stils und die Oberflächlichkeit, welche die konstruktive Seite seiner Jurisprudenz beeinträchtigt", hier unverkennbar hervortreten. Dagegen kommt das positiv geltende Recht in seinen Einzelheiten mit einer ungeschminkten Wahrhaftigkeit

und natürlichen Frische -wie selten zur Darstellung; sowohl, soweit es sich um lediglich deutschrechtliche Einrichtungen handelt, wie namentlich auch, soweit es darauf ankam, die in der Grundlage dem römischen Recht entnommenen Institutes „in der konkreten Gestaltung darzu­ stellen, die sie durch Gesetzgebung und Rechtspflege eines bestimmten

IV. Das territoriale Privatrecht.

3) Preußen mit Förster 2c.

929

deutschen Landes bzw. einer Anzahl deutscher Territorien erhalten haben". Das Trugbild eines abstrakten gemeinen, eigentlich nirgendwo geltenden Rechts wird dabei rücksichtslos, ja bisweilen leidenschaftlich als solches dargetan und der Leser genötigt, aller Unbequemlichkeit zum Trotz auf solche Durchschnittsunwahrheiten zu verzichten. In dieser unmittelbaren Wiedergabe des geltenden Rechtszustandes, während an der hergebrachten Systematik und Konstruktion nur einfach fest­ gehalten wird, beruht die Eigenart und der Vorzug des Werkes. 3. Etwa gleichzeitig wie das vielgestaltige bayerische Zivilrecht

sand dann auch das einheitliche preußische Landrecht seinen weiteren wissenschaftlichen Ausbaus. War es durch Bornemann und Koch, durch eine gründliche Praxis und durch deren

fleißige

literarische

Benutzung bereits weit gefördert worden, damit denn aber doch noch wesentlich nicht über den wissenschaftlichen Standpunkt der 30 er Jahre hinausgekommen, so erfährt es jetzt zwei rasch aufeinander­ folgende Steigerungen durch die Werke zuerst von Förster, sodann

von Dernburg. Franz Försters (1819—1878), später hochverdient um die preußische und deutsche Rechts- und Kirchengesetzgebung, hatte seine schriftstellerische Tätigkeit 1845 begonnen mit einer Studie „Über die Verantwortlichkeit des Satzungsgläubigers nach dem Rechte des Mittelalters"^), die heute noch als eine der besten Arbeiten über

älteres deutsches Pfandrecht gilt. Er hatte sich sodann, während er in die Praxis einträt, gleichzeitig habilitiert mit einer gelehrten Schrift über die Staatslehre des Mittelalters, hatte aber darauf ganz die richterliche Laufbahn eingeschlagen, der er dann im wesentlichen bis zu seinem Eintritte in Ministerialstellungen treu geblieben ist. Aus dieser innigen Verbindung von theoretisch-wissenschaftlichem Sinne

und praktischer Betätigung sind offenbar seine Bemühungen um das

preußische Landrecht hervorgegangen. Wesentlich kommt es ihm da­ bei darauf an, Theorie und Praxis miteinander zu verschmelzen, be­ sonders die landrechtliche Praxis mit den Ergebnissen der gemein­ rechtlichen Wissenschaft zu durchdringen. Das zeigt sich schon in seiner interessanten Vorarbeit über „Klage und Einrede nach preußi­

schem Recht" (Breslau 1857), ist dann aber deutlich ausgesprochen, fest zugrunde gelegt und folgerichtig durchgeführt in seiner schrift­ stellerischen Hauptleistung: „Theorie und Praxis des heutigen ge­ meinen preußischen Privatrechts auf der Grundlage des gemeinen LandSberg, Geschichte der deutschen Rechtswisienschast. II. Text.

59

930

Zwanzigstes Kapitel.

deutschen Rechts", begonnen nach 1860, fertiggestellt Bd. 1—3 in den Jahren 1865—1868 und Band 4, mit dem das Werk vollendet war, im Jahre 1873. Seither sind zahlreiche weitere Ausgaben er­ schienen, die zwei nächsten noch von Förster selbst, die späteren be­ sorgt von @cciu§4). Das Werk ist streng systematisch im wesentlichen nach dem üb­ lichen Pandektensystemangelegt und wirklich in hervorragendem Maße

von dem Geiste der neuesten gemeinrechtlichen Wissenschaft durchtränkt, indem sowohl einerseits die historisch fortschreitende Entwicklung überall berücksichtigt ist, wie andererseits die Neigung hervortritt, dem modernen Rechtsleben entgegenzukommen, über den Gesetzesbuchstaben

an der Hand der Wissenschaft sich zu erheben.

Dabei ist aber auch

der bisherigen Rechtsbildung und der sonstigen Sonderliteratur des Landrechts durchaus Rechenschaft getragen, namentlich Gruchots ver­ dienstliche „Beiträge zur Erläuterung des preußischen Rechts durch

Theorie und Praxis" 6) sind erfolgreich ausgebeutet. So wird ein Ergebnis erzielt, das sowohl hohen wissenschaftlichen Ansprüchen, wie den Anforderungen der täglichen Praxis als Handbuch genug tut, wie es denn auch in letzterer Beziehung einen starken Erfolg davon­

getragen hat, ohne freilich die beliebten älteren Kommentare — Förster selbst ist seit 1873 an den Auflagen 5—7 des Kochschen Kommentars beteiligt gewesen — verdrängen zu können. Dabei ist der Fortschritt über die Arbeiten von Koch, selbst über die besten

darunter, ganz unverkennbar, nicht nur weil Förster die ganze jüngere Literatur in ihren Einzelheiten viel eindringlicher auszunutzen versteht, sondern weil er überhaupt durch jene Literatur auf einen höheren Standpunkt gefördert ist, weil er außerdem viel gleichmäßiger, mehr

aus voller verstandesmäßiger Stoffbeherrschung hervor arbeitet, als der geniale aber unstete Koch. — Der einzige nicht ganz unbegrün­ dete Vorwurf, der neben der Anerkenqung aller dieser Vorzüge Förster gemacht werden kann, ist wohl der, daß er, der Praktiker, sich den landläufigen theoretischen Anschauungen eher zu bereitwillig untergeordnet, daß er, der Germanist, den Sondergeist des preußi­ schen Landrechts gegen die romanistische Doktrin nicht stets genügend aufrechterhalten hat, zum Teil wohl mangels genügender Kenntnis

des romanogermanistischen usus modernus, worauf so vieles im preußischen Landrecht beruht. Dazu ist es eine für die Bereitwillig­ keit des gegenseitigen Entgegenkommens bezeichnende Parallele,

daß

IV. Das territoriale Privatrecht.

3) Preußen mit Dernburg :c.

931

gerade in diesem Punkte die Abhilfe kommen sollte vonseiten eines romanistischen Theoretikers, von Heinrich Dernburg6). Als Dernburg, durch seine akademische Tätigkeit veranlaßt, dem preußischen Landrechte sich zuwandte, war er ein schon längst unter

den hervorragenden Romanisten seiner Zeit mit an erster Stelle eingeschätzter Gelehrter. Das äußerte sich z. B. darin, daß er mit

zur Begutachtung des berühmten Rechtsstreits bezüglich der Festungs­ werke zwischen den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt 1862 herangezogen wurde, der damals die gewandtesten Federn beschäftigte und über die Lehre von den öffentlichen Sachen neues Licht ver­ breitete. Schon Dernburgs Erstlingsschrift von 1850 über die emptio bonorum und seine Habilitationsschrift von 1852 über die hereditatis petitio hatten die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, erstere, weil

sie klar und entschieden gegen die herrschende Ansicht den Ursprung aus dem Versäumnisverfahren vertrat, letztere, weil sie auf diesem viel umstrittenen Gebiete Neues zu bringen vermochte. Er hatte sich dann besonders bewährt durch seine ausführliche Arbeit über die Kompensation, von 1854, wobei schon neuere Gesetzgebungen nebst den zugehörigen Entscheidungssammlungen umfassend berücksichtigt sind, eine Monographie von solcher Bedeutung, daß sie noch 1868 eine zweite Auflage erlebte. Dann folgte das gründliche und grund­ legende zweibändige Werk über das Pfandrecht, je ein Band 1860 und 1864, das allerdings noch ausschließlich „nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts" gearbeitet ist, aber aus dem klaren Bewußtsein hervor, daß damit nur eine erste unerläßliche Etappe zurückgelegt ist, woran die moderne Weiterbildung angeschlossen werden muß, wie dies denn ja auch später geschehen ist. Daran hatte sich zunächst gereiht, als Festschrift 1869 herausgegeben, eine Abhandlung über „die Institutionen des Gajus, ein Kollegienheft aus dem Jahre 161 nach Christi Geburt", die freilich diese geistreiche Vermutung eher zuversichtlich und elegant vorträgt, als schlüssig beweist, immerhin aber dadurch ebensoviel Aufsehen erregte, wie 10 Jahre vorher Mommsendurch seine Behandlung des Gajus als Provinzial­ juristen erregt hatte. Erst nun gelangen wir zu dem „Lehrbuch des preußischen Privatrechts".

Davon ist die erste Abteilung des ersten Bandes erschienen 1871, mit Vorrede datiert vom November 1870; der erste Band ganz 1875 mit Vorrede vom Juli 1874; der zweite Band hat sich angeschlossen 59*

932

Zivanzigstes Kapitel.

in zwei Abteilungen 1877 und 1878; der dritte und Schlußband ist

veröffentlicht 1880.

Eine zweite Ausgabe der drei Bände erschien

1879—1881, eine dritte schon 1881 f. und so fort in schneller Reihen­ folge. Dabei machen die späteren dieser Ausgaben schon durch den Titel darauf aufmerksam, daß, im Gegensatze zu der von Roth für das bayerische Privatrecht beobachteten Methode,

die Privatrechts­

normen des Reichs gleichfalls in die Gesamtdarstellung eingezogen und so zum wissenschaftlichen Ganzen mitverarbeitet sind; bis dann um die Jahrhundertwende aus dem „Lehrbuch des preußischen Privat­ rechts mit Einschluß des Reichszivilrechts" umgekehrt „das Lehrbuch

des. deutschen bürgerlichen Rechts mit Einschluß des preußischen Privatrechts" hervorgeht. Der Fortschritt, den nun jenes Werk für das preußische Privat­ recht abermals über Förster hinaus darstellt, dürfte wesentlich be­

ruhen aus der freieren Herrschaft, die Dernburg über das gemeine Recht vorher gewonnen hatte, so daß er jetzt dem preußischen Land­ rechte selbständig gerecht zu werden vermag, ohne doch jemals die selbstverständlich von dort her mit herübergebrachte wissenschaftliche

Methode zu verlieren. Und zwar ist diese Methode eine solche, die den weitestgehenden Ansprüchen eines Jhering an Verständnis für Zweckmäßigkeit und Bedürfnisse des Rechtslebens Genüge tut, viel­ leicht in einem noch rückhaltsloserem Maße, als das Jhering selbst jemals für das gemeine Recht gelungen ist, da dieser doch stets die Eierschalen der alten Konstruktionsfreudigkeit mit sich führt. Dagegen für Dernburg ist wirklich die Konstruktion nur noch Mittel zum praktischen Zweck, nur noch bedeutsam behufs übersichtlichen Zu­ sammenschlusses der einzelnen Rechtssätze, die aber ihre Gültigkeit

oder aus den Bedürfnissen des wirtschaftlichen oder sozialen Lebens entnehmen. Für diese Be­ dürfnisse in ihrer heutigen Ausgestaltung hat Dernburg ein treffen­ des Gefühl, wie neben ihm von den Juristen seiner Generation wohl lediglich aus der gesetzlichen Vorschrift

nur noch Unger, er erblickt das Recht nicht als ein Aggregat toter Rechtssätze, sondern als ein Spiel lebendig ~ in fortwährender funk­ tioneller Betätigung einander durchkreuzender und ergänzender Glieder, und davon weiß er in-glänzender Darstellung ein anschauliches Bild

zu entwerfen. Einer derartig sozialpraktischen Auffassung kam nun aber das preußische Landrecht mit der Fülle seiner, wennschon etwas patriarchalisch altväterlich vorgetragenen, tatsächlich doch recht sozial-

IV. Das territoriale Privatrecht. 3) Preußen mit Dernburg 2c.

933

praktisch gedachten Bestimmungen gar förderlich entgegen; man darf wohl sagen, daß sich darin der Geist der Zeiten über ein Jahr­ hundert andersartiger Zwischenentwicklung hinweg wiederfand

und

daß so nun auch erst das Landrecht durch Dernburg, gegenüber mancher bisherigen Unterschätzung, zu voller Würdigung gebracht

wurde. Zwar hatte schon Förster sich scharf gegen diese Unterschätzung erklärt und namentlich Koch die entsprechende Überschätzung des ge­

meinen Rechtes vorgeworfen; aber ganz war doch Förster selbst nicht über ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis hinausgelangt, das nun erst Dernburg vollends abstreift. Ihm ist das preußische Recht als solches ein8) „würdiger und wichtiger Gegenstand wissenschaftlicher

Erkenntnis", „infolge einer nunmehr fast 100jährigen angestrengten Tätigkeit auf der Basis des größten Territorialstaates Deutschlands zu der bedeutendsten zivilistischen Schöpfung des deutschen Volks­ geistes herangewachsen, und wie es für die Gegenwart von Wichtig­ keit ist, so liegen auch in ihm die notwendigen Ausgangspunkte der künftigen Entwicklung." Deshalb ist es an der Zeit, daß man sich diesen „Wert des Unseren" zum Bewußtsein bringe; und gerade diese Aufgabe hat Dernburg meisterhaft gelöst. Wie er dabei be­ sonderen Wert auch auf die ideale Lebensbedeutung des Rechtes zu legen weiß, das zeigt sich z. B. darin, daß er das reine Familien­

recht, dem manche Juristen sonst wohl weniger Neigung entgegen­ bringen, gerade mit eingehender Vorliebe und Warmherzigkeit be­ handelt. Demgemäß hat er auch nicht verschmäht, dem „Vormund­ schaftsrecht der preußischen Monarchie nach der Vormundschafts­ ordnung vom 5. Juli 1875" eine 1876 erschienene, oft wieder auf­ gelegte Monographie zu widmen. Durch diese Art und Weise der Nechtsbehandlung ist gewiß der Erfolg gerechtfertigt und erklärt, den Dernburgs preußisches Privatrecht in den Kreisen sowohl der konservativen altländischen Praktiker, wie bei der aufstrebenden studierenden Jugend erzielt hat. So war es ein besonders glücklicher Griff, daß er dann wieder die hier gewonnene Lebendigkeit und Geistesfrische der Auffassung und Darstellung auf das Pandektenrecht zurückübertrug und dadurch

diesem in der kritischen Zeit, da das neue deutsche Privatrecht an der Schwelle stand, manchen Freund erhalten, manchen Jünger, der sonst einem kurzsichtigen Modernismus verfallen wäre, gewonnen hat. In dieser Wirkung und in dem damit zugleich geführten Nachweis,

934

Zwanzigstes Kapitel.

daß auch dieser alte Stoff der Behandlung im jüngsten Stile fähig

ist, möchte ich das hauptsächlichste Verdienst von Dernburgs Pan­ dekten erblicken, durch die von 1884 ab allmählich in der Beliebtheit bei weiteren Kreisen, aber keineswegs in der Bedeutung als wissen­ schaftliches Hilfsmittel und als Schule wissenschaftlichen Denkens

Windscheids Pandekten verdrängt worden sind.

Wie dann schließlich

Dernburg auch noch zur wissenschaftlichen Eroberung des neuen deutschen bürgerlichen Rechts vorgegangen ist, und so die feste wissen­ schaftliche Verbindung zwischen preußischem Landrecht, Pandektenrecht und Recht des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches hergestellt hat, das braucht, als jedermann bekannt und vor Augen stehend, hier nicht

mehr zur Darstellung gebracht zu werden.

Wenden wir uns von diesem Fernblick wieder zum preußischen Privatrechte im dritten Viertel des Jahrhunderts zurück, so ist schließ­ lich noch zu erwähnen, daß an dieser Epoche seines Aufschwunges noch einer seiner Bestandteile besonders beteiligt ist, das preußische Bergrecht nämlich. Dieses und damit das deutsche Bergrecht überhaupt verdankt diese seine Förderung, die kraft der germanistisch-historisch bedeutsamen Natur des Stoffes wieder der ganzen deutscheü Rechts­ wissenschaft zustatten kam, dem innigen Zusammenwirken zwischen so her­

vorragenden und wissenschaftlich gearteten Männern wie H. Brassert, dem Bonner Berghauptmann, und H. Achenbach, dem Bonner Ober­ bergamts-Justitiar und Universitätsprofessor, späteren Minister und brandenburgischen Oberpräsidentcn. Gemeinsame Tat beider war zunächst die Begründung und langjährige Leitung der „Zeitschrift für Berg­

recht", die seit 1860 der Stapelplatz einschlägiger Studien und Mit­ teilungen ist, und namentlich von beiden Leitern zahlreiche Beiträge enthält, von Brassert besonders über die internationale Berggesetz­ gebung. Sodann rührt von Brassert bekanntlich her das vortreff­ liche, in großem Stil und liberal-industriefreundlich abgefaßte All­ gemeine Berggesetz für die preußischen Staaten vom 24. Juni 1865 (dazu Kommentar von seinem Mitarbeiter R. Klostermann, 1. Auf­ lage 1866, der weitere zahlreich gefolgt sind); während die wissen­ schaftliche Verarbeitung hauptsächlich Achenbachs Werk ist. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie in sorgfältiger Lokal­ forschung den geschichtlichen Ursprüngen und Zusammenhängen nach­ geht und von da wieder in weitem Überblick sich zur Darstellung

des gemeinen deutschen Bergrechts unter rechtsvergleichender Heran-

IV. Das territoriale Privatrecht.

4) Zusammenfassungen.

935

ziehung der territorialen Gestaltung erhebt. So findet auch auf diesem Sondergebiete der wissenschaftliche wie der wirtschaftliche Cha­

rakter der Periode seine typische Ausprägung'). 4. Gerade auf den Gebieten, wo die Territorialrechte schon in früheren Perioden gründlich wissenschaftlich behandelt worden waren,

Rheinland, Württemberg und Königreich Sachsen, treffen wir während dieser Zeit, wohl aus eben diesem Grunde, keine so hervorragenden Leistungen, keine so glänzenden Namen, wie die bisher hier zusammen­

gestellten, wennschon es an tüchtigen Beiträgen zur Fortführung der einmal begründeten Territorialwissenschaft keineswegs ganz mangelt und namentlich auch das sächsische bürgerliche Gesetzbuch von 1863 (in Geltung seit 1. März 1865) nicht ohne eingehende und wissen­

schaftlich rühmliche Bearbeitung geblieben ist1). . Nimmt man aber all dies zusammen, so ergibt sich, daß um das Ende ihrer Gültigkeit die deutschen Territorial-Privatrechte aller größeren und mehrerer mittleren Rechtsgebiete eine erfreuliche Höhe wissenschaftlicher Pflege erreicht hatten, ein Umstand, der auch für die Abfassung eines einheitlichen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches dann gewiß seine günstige Wirkung geäußert hat. Was für diese Territorialrechte zu wünschen etwa noch übrig blieb, das war eine rechtsvergleichende Behandlung und zwar eine solche, bei der jedem einzelnen Rechte seine selbständige Bedeutung in höherem Maße ge­ wahrt blieb, als dies bei der üblichen gelegentlichen Mitberücksichti­ gung im Rahmen der Lehrbücher der Pandekten oder des deutschen Privatrechts angängig war. Dafür konnte man auf zweierlei Weise vorgehen. Entweder man griff zu dem so rasch beliebt gewordenen Kollaborations-Verfahren und gewann für jedes Recht einen Fach­

kundigen zu gleichartiger Arbeit; oder es traute sich ein Einzelner zu, die sämtlichen Partikulärrechte zu überblicken und zusammenzufügen. Ersteres Verfahren versprach gewiß die gediegener gründlichen Ergebnisse. Wie man zu ihm seitdem mit so erfreulichem Erfolge

auf Dernburgs Anregung hin sich entschlossen hat behufs Klärung des nach Einführung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches für jeden deutschen Einzelstaat gebliebenen Restbestands an territorialem Privatrecht, so fand es damals Anwendung auf ein engeres, aber praktisch und theoretisch besonders bedeutsames Gebiet, das des Hypo­ thekenrechts. Hier hatte, nachdem durch Dernburgs Pfandrecht die

romanistischen Grundsätze festgelegt worden waren, im gegensätzlichen

Zwanzigstes Kapitel.

936

Anschlüsse daran von Meibom sein förderliches Werk über das dentsche Pfandrecht, Marburg 1867, vom germanistischen Standpunkte aus geschrieben, darin besonders die Satzung nach den Rechtsbüchern und Urkunden des 13.—15. Jahrhunderts behandelt, dabei aber schon in der Einleitung hervorgehoben, wie die Einsicht in die gegenwärtigen

Rechtszustände und damit eine wirklich befriedigende wissenschaftliche Lösung nur durch eingehendes vergleichendes Studium der neueren territorialrechtlichen Gesetzgebungen zu gewinnen sei, als durch welche das moderne Hypothekenrecht überhaupt erst dem modernen Real­ kredit entsprechend ausgestaltet worden sei. Demgemäß unternahm es denn von Meibom, ein territorialrechtliches Sammelwerk über diesen Stoff in die Wege zu leiten, während Dernburg den preußi­ schen Teil beizusteuern verhieß und Meibom selbst das ihm ohnehin naheliegende, für die germanistische Eigenart der Entwicklung aber bezeichnende und maßgebende mecklenburgische Recht in Angriff nahm. Er löste letztere Aufgabe, gewissermaßen den zweiten Teil seines Buches von 1867,

an das die historische Einleitung denn auch genau an­

schließt, in mustergültiger Weise 1871 mit Hilfe eines selbständig neu gebildeten Begriffes der Grundobligation oder Grundschuld, wäh­ rend Dernburg von dem preußischen Hypothekenrecht den ersten Band (zusammen mit F. Hinrichs) erst 1877 und den zweiten Band (von Dernburg allein gearbeitet) gar erst 1891 vollendete. Außerdem ge­

hören zu dieser von m Meibom besorgten Sammlung u. a?) die be­ kannten Werke über bayerisches Hypothekenrecht von Regelsberger (zu­

erst 1874, dritte Aufl. 1896), über österreichisches Hypothekenrecht von Exner (2 Bände 1876 und 1881), über württembergisches Unter­ pfandrecht von Römer (1876), über sächsisches Hypothekenrecht von Siegmann (1875) und über rheinisch-französisches Hypothekenrecht

von Puchelt nebst einigen Mitarbeitern (1876)3).

Das andere Verfahren, an die Zusammenstellung aller terri­ torialen Privatrechte für deren ganzen Umfang sich allein heran­ zuwagen, wurde cingeschlagen von Paul Roth in seiner letzten, ge­ waltig angelegten, aber unvollendet gebliebenen Arbeit, seinem „System des deutschen 'Privatrechts", von dem er immerhin doch drei mächtige Bände 1880, 1881 und 1886 fertigznstellen vermocht hat. Es kann nicht wundernehmen, wenn in diesem Werke lediglich nach einer gewissermaßen „statistischen Methode" verfahren ist;

gerecht aber war es,

un­

wenn ihm dies wohl zum Vorwurf gemacht

IV. Das territoriale Privatrecht. 4) Zusammenfassungen. worden ist.

937

Ganz abgesehen von der Frage, ob eine stärker theo­

retisch verschmelzende Behandlungsweise vorzuziehen gewesen ob nicht gerade hier Roths vorzügliche Gabe

wäre,

unbedingter Wahr­

haftigkeit, unter Ablehnung aller abstrahierenden Berallgemeinerungen und Verflachungen, besser angebracht war, als subjektivistische Kon­

struktionslust: jedenfalls will eben das Werk selbst nicht mehr geben, als einen Überblick über den zur Zeit der großen deutschen Kodifi­ kation in Deutschland herrschenden territorialen Rechtszustand,

durch Aufhellung der territorialen Verschiedenheiten

bei dieser Kodifikation mitzuwirken, mitglied beteiligt war.

um

auf seine Weise

an der Roth als Kommissions­

Hatte Roth sich jetzt auch den Vereinheit­

so doch offenbar in dem Sinne,

lichungsbestrebungen gefügt,

daß

man wenigstens genau wissen und berücksichtigen sollte, wie Verschie­

denes unter der Bezeichnung des gemeinen Privatrechts oder auch des

gemeinen deutschen Privatrechts in den verschiedenen deutschen

Staaten

bisher galt,

nun

also

erst wirklich vereinheitlicht wurde.

Darum kommt es ihm wesentlich darauf an, das gesamte positive

Material zusammenzustellen, Gruppen eingeteilt,

übersichtlich

in

scharf

charakterisierte

wie man sonst unter

nicht nur Germanistisches,

der Bezeichnung als deutsches Privatrecht es zu finden erwartet, son­

dern auch Romanistisches,

einschließlich sogar des französischen und

des neuen österreichischen Rechts,

ausschließlich

nur

des

sonstigen

reichsfremden Rechts und andererseits des bereits in Geltung stehen­ den Reichszivilrechts.

Was er von diesem umfassenden Unternehmen

fertiggestellt hat, gewinnt eine gewisse abschließende Bedeutung über

den augenblicklichen Zweck hinaus, als Nachweisung über den Stand des territorialen Privatrechts

in Deutschland

Eingriffe des bürgerlichen Gesetzbuches.

unmittelbar vor dem

Besonders gilt dies für die

Zusammenstellung des ganzen einschlägigen Quellen- und Literatur­ Einen höheren wissenschaftlichen Cha­

materials im ersten Bande.

rakter beansprucht das Buch nicht gewinnen,

da

es denn doch

römisches gemeines Recht,

und konnte es wohl auch nicht

allzu disparate Dinge zusammensetzt:

deutsches gemeines Privatrecht und alle

einzelnen Landesrechte ließen sich allenfalls wohl zusammen darstellen,

aber auf diesem Wege nicht zu einer wirklichen Einheit verschmelzen. Das Werk der Verschmelzung ist dann eben auf anderem Wege durch­

gesetzt worden; die wirkliche Summe aller dieser Privatrechte ist das

Privatrecht des neuen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches.

Zwanzigstes Kapitel.

938 V.

Das letzte Gebiet endlich,

auf dem

sich

gegenseitige

die

Durchdringung von praktisch-positivistischer nnd historischer Rechts­

wissenschaft um diese Zeit vollständig vollzieht,

und Handelsrechts.

Hier hatte ja schon,

ist das des Wechsel-

hauptsächlich durch Thöl,

das dogmatische Element unter gründlicher Berücksichtigung unmittel­ barer praktischer Brauchbarkeit sich glänzend bestätigt;

diese Seite

blieb auch dauernd gestützt und gefördert durch die unmittelbar prak­ tische Natur des Gegenstandes,

durch die neuen,

für ganz Deutsch­

land gemeinsamen Gesetze und durch den nunmehr kräftig einsetzenden

kaufmännischen und

industriellen

Aufschwung,

dem

oberhandelsgerichtliche Judikatur fördernd entgegenkam.

die

einsichtige

Daß sich so

massenhaft neuer Stoff ergeben mußte und daß dieser seine wissen­ schaftliche Verarbeitung finden mußte, war nach dem schon erreichten

Standpunkte gewissermaßen selbstverständlich.

Was von wissenschaft­

licher Seite hauptsächlich neu und selbständig hinzutritt, ist die Durch­ dringung

mit historischem Verständnisse

und

zwar im Sinne der

neueren historischen Richtung, nicht im Sinne der alten historischen Schule, deren quietistisch konservativer Zug hierher nicht gepaßt haben

würde. So erklärt es sich, daß wir hier auf den Einfluß der histo­ rischen Methode erst in diesem Entwicklungsstadium stoßen, unver­

mittelt durch die ältere Schule.

Dazu bedurfte es hier aber auch

einer Anpassung der historischen Methode selbst.

So lange diese sich

an die rein römischen Quellen oder an die germanische Urzeit hielt, war

sie für das eigentliche Handelsrecht verhältnismäßig wenig leistungs­ fähig; erst seitdem man, hauptsächlich durch Briegleb, gelernt hatte,

auf mittelalterliche romanisch-germanische Mischrechte und Neubildungen

historisch eingehen, und erst recht, seitdem man neben den Gesetzes­ texten die Urkunden und das praktische Rechtsleben der Vergangenheit überhaupt als Geschichtsquellen zu verwenden sich gewöhnt hatte, er­

schlossen sich auch für Wechsel- und Handelsrecht die reichen gegen­ seitigen Beziehungen zwischen geschichtlicher Forschung und Förderung

des Rechtsverständnisses sowie des Rechtsbedürfnisses der Gegenwart. 1. Levin Goldschmidt ist wohl allseitig anerkannt als der Ge­ lehrte, durch dessen Arbeiten eine Wissenschaft des deutschen Handels-,

See- und Wechselrechts in dem soeben bezeichneten Sinne begründet und im wesentlichen auch schon ausgeführt worden ist.

äußeren Beglaubigung

Dem zur

diene die biographische NotizZ, daß für ihn

(geb. zu Danzig 30. Mai 1829, dann Dozent und Professor zu Heidel-

V. Handelsrecht.

1) L. Goldschmidt.

939

berg), nachdem er eine Zeitlang (1870—1875) am Leipziger BundesOberhandelsgericht praktisch tätig gewesen war, das erste dem Han­

delsrecht besonders bestimmte Ordinariat an der Universität Berlin

errichtet und von ihm dieses Amt bis zu seinem Tode (16. Juli 1897) bekleidet worden ist. Auch war ihm bereits 1866 eine ähnliche, gleich-

salls neubegründete Stellung an der Wiener Universität angeboten worden, worauf ihm in Heidelberg die Ernennung zum. ordentlichen Professor zuteil geworden war. So steht sein Lebenslauf mit dem wissenschaftlichen und akademischen Aufschwung seines Spezialfaches

in engster Beziehung. ' Jedoch hat er damit stets, akademisch und wissenschaftlich, den Betrieb des Zivilrechts im allgemeinen verbunden. So ist er denn auch bei der vom Bundesrate für die erste Vor­ bereitung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches berufenen FünferKommission (1874) nicht nur Mitglied, sondern sogar Referent ge­ wesen, und hat als solcher durch seine.Berichte die ersten maßgebenden Grundlinien festgelegt, in dem Zuge etwa, wie er es schon in einem am 11. März 1872 zu Leipzig gehaltenen Vortrages über die Not­ wendigkeit eines deutschen Zivilgesetzbuches programmatisch vor­

gezeichnet hatte. Wenn so Goldschmidt stets Gewicht gelegt hat auf die Wahrung

des Zusammenhanges zwischen dem allgemeinen Privatrecht einer­ seits und dem Sonderfache des Handelsrechts andererseits, so ist dabei für ihn wie für Thöl, im Gegensatze zu der akademischen Ge­ wohnheit, die das Handelsrecht dem deutschen Privatrechte eingereiht hatte, dogmatischer Ausgangspunkt stets das römische Recht geblieben. Die Pflege dieses Rechts hat Goldschmidt lebenslänglich am Herzen gelegen, die Leistungsfähigkeit des römischen Rechts hat er zur Er­ klärung auch modernster handelsrechtlicher Bildungen immer wieder

in Anspruch genommen. Hätte er nicht Epoche auf dem Gebiete des Handelsrechts gemacht, so könnte er immerhin auch als tüchtiger

romanistischer Dogmatiker, Denker und Forscher Beachtung beanspru­ chen, selbst in dieser Zeit so zahlreicher und gediegener Pandektisten. Die Habilitationsschrift von 1857 z. B. handelt über eine Pandekten­ stelle. Untersuchungen wie die über den Kauf auf Probe oder auf Besicht von 1858, über das receptum nautarum cauponum stabulariorum von 1860, über Teilzahlungen eines Solidarschuldners

von 1870, über die Statthaftigkeit der ädilicischen Rechtsmittel beim Gattungskauf von 18743), verbinden zwar Zivil- und Handelsrecht-

940

Zwanzigstes Kapitel.

liches aufs engste, bleiben aber auch lediglich auf ersteres hin be­ trachtet Beiträge von maßgebender, teilweise sogar von einschneidender

Bedeutung.. Besonderen Wert hat Goldschmidt auf die rein zivilistischen „Grundlagen der Besitzlehrc" gelegt, die allerdings erst aus seinem Nachlasse vollständig herausgegeben4), doch schon im Jahre 1884 entstanden, als „Studien zum Besitzrecht" in der Berliner Festgabe für Rudolf von Gneist 1888 zu einzelnen Bruchteilen veröffentlicht und von ihrem Verfasser seinen handelsrechtlich einschlägigen An­

schauungen von da ab

zugrunde gelegt sind.

So wird man ihn

getrost nach grundsätzlichen Erklärungen wie nach praktischer Hand­

habung als romanistischen Dogmatiker bezeichnen dürfen. Historisch hat er freilich damit das Studium wie aller mittelalterlich-romanischen Rechtsquellen und Rechtsvorgänge in den Mittelmeerländern von handelsrechtlicher Tragweite, so auch rein germanistischer, ja selbst nor­ discher Quellens stets verbunden: Wie denn überhaupt für ihn die Bemühung um möglichst weitgehende Materialgewinnung,

der un­

endliche, gewissenhafteste, regsamste und doch nie vollbefriedigte Sam­ melfleiß und Forschungsdrang kennzeichnend sind. Auch vermag er

dogmatisch sehr wohl im einzelnen Falle zuzugeben, daß im Kampfe romanischer und germanischer Anschauungen miteinander nach eigen­ tümlichen Zwischenfällen ein siegreiches Wiedervordringen des deut­ schen Rechts, wennschon unter mannigfachen Umgestaltungen des Siegers durch den Besiegten, stattgefunden hat^).

Die erste bedeutsamere Betätigung Goldschmidts auf dem eigent­ lich handelsrechtlichen Gebiete, der nur eine gründliche Besprechung des preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurfes von 1857 vorangeht, war die Begründung seiner „Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht" 18587). Diese Zeitschrift ist sofort für die Entwicklung wirklich des

gesamten Handelsrechts maßgebend und zentral geworden; sie ist es auch seither (bis zu Band 46 unter Goldschmidts Leitung) geblieben, hat auch als Muster für ähnliche Unternehmungen auf anderen Ge­ bieten unserer Wissenschaft gedient. Inhaltlich ist ihr Programm 8)

von vornherein möglichst weitgreifend, indem sie nicht nur selbständige Aufsätze dogmatischer oder historischer Natur bringen soll, sondern auch Rezensionen, Berichte über die Judikatur und sonstige Praxis des Handelsrechts und ferner auch möglichst genaue Angaben über den Gang der handelsrechtlichen Gesetzgebung, in Deutschland nicht bloß, sondern ebenso im gesamten Auslande. In dieser rechtsver-

V. Handelsrecht.

1) L. Goldschmidt.

941

gleichenden Tendenz erkennen wir deutlich den Schüler Mittermaiers, sie erscheint aber hier nicht nur sachlich besonders berechtigt, sondern wird auch persönlich mit ganz anderer Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit und wissenschaftlicher Einsicht geübt. Namentlich durch den auf diese Abteilung seiner Zeitschrift verwandten Fleiß hat Goldschmidt auch später, als Handel und Industrie immer mehr ihren modern kosmo­

politischen Zug annahmen, sich gleichsam von selbst an der Spitze dieser Bewegung behaupten und auch überall im Auslande den Ruhm

als voraufschreitender Förderer alles handelsrechtlichen Fortschrittes

gewinnen können. — Dem entspricht denn aber auch die reiche wissen­ schaftlich-methodologische Seite des Programms. Dieses geht davon ait§9),

daß es ein altes, aber irriges Vor­

urteil sei, wenn der römische Handel als dürftig und demgemäß das römische Handelsrecht als geringfügig angesehen worden sei. Im Gegenteil habe Mommsen die weitreichende Bedeutung des römischen Handels- untr Geldverkehrs dargetan, und so sei tatsächlich das ganze

römische Recht, insbesondere das Obligationenrecht „mit vorzugsweiser Berücksichtigung des umfassendsten internationalen Handelsverkehrs und nach dessen Bedürfnissen" ausgebildet, wennschon vielleicht mehr noch im klassischen und auch im ungeschriebenen römischen Vulgat-

recht, als im Rechte Justinians. — Seine freie selbständige Entfaltung habe dann freilich das Handelsrecht erst seit dem Mittelalter gefunden „aus der genial schöpferischen Kraft des europäischen, insbesondere des italienischen Kaufmannsstandes, meistens mehr gehemmt als ge­ fördert durch die Zivilisten und Kanonisten." Die Aufnahme dieses im Verlaufe seiner Entwicklung immermehr „denationalisierten" Rechts in das europäische Kulturleben falle in die Zeit städtischer Blüte und emporstrebenden auswärtigen Verkehrs; so sei es aus den Mittel­ meerländern, besonders aus Italien, nach Deutschland, besonders zu den norddeutschen Seehandelsplätzen, an ihrer Spitze Lübeck, fort­

gewandert und hier weiter gebildet worden. Aber auch seine wissen­ schaftliche Behandlung gehe von Italien aus, wo es durch die Schriften der Straccha, Raphael de Turri, Scaccia, de Luca, Ansaldis und Casaregis zu einem besonderen Rechtszweige bereits aus­ gestaltet sei, einem Rechtszweige, der nunmehr in allen seinen Teilen zu einem der schwierigsten und umfassendsten geworden sei, da er eine unendliche Zahl der eigentümlichsten, nur hier begegnenden Rechtssätze umfasse, die sich überdies durch ihren überwiegend inter-

Zwanzigstes Kapitel.

942

national-universalen Charakter von allen anderen Rechtsteilen wcsentlich unterscheiden.

Demgegenüber sei es für die deutsche Handelsrechtswissenichast verhängnisvoll geworden, daß man das Handelsrecht in zwei Stücke

getrennt,

die Handelsgeschäfte

pandektistische Obligationenrecht

ins

verstoßen, den Rest dagegen nur als ein Standesrecht der Kaufleute habe ansehen mögen,

Privatrechte",

als

eines

der vielen „besonderen deutschen

meist mit überaus dürftigem Inhalte und durchweg

unter Einbuße jedes sachlichen Zusammenhanges und jenes weiteren

Gesichtskreises, den schon die älteren italienischen Autoren beherrschten. Nicht viel besser sei das und

vielfach

gewyrden,

als an Stelle allzu abstrakter

romanistischer Konstruktion

unlebendiger

ein

seichtes

ökonomisches Räsonnement ohne jeden juristischen Halt getreten sei. Weder diese wirtschaftlich aus der Natur der Sache argumentierende,

noch die sonst die Rechtswissenschaft neu belebende historische Rich­ tung hätten zunächst für das Handelsrecht sich fruchtbar erwiesen.

Ein Aufschwung

sei da vielmehr erst in jüngster Zeit eingetreten

durch die dogmatisch romanistische Wirksamkeit von Thöl,

durch die

von Mittermaier der Rechtsentwicklung in den deutschen Territorien und im

gesamten Auslande

gewidmete Aufmerksamkeit,

durch die

Judikatur des lübischen Oberappellationsgerichtes und ihre wissen­

schaftliche Verwertung,

endlich durch die Fortschritte der National­

ökonomie 10) und in einem Spezialzweige,

die

„epochemachenden

dem Wechselrechte,

Werke von Einert und Liebe

und

durch

die

im

Anschlüsse daran ergangene allgemeine deutsche Wechselordnung". So müsse denn 'auch das bevorstehende gemeinsame deutsche Handels­

gesetzbuch für die gesamte Handelsrechtswissenschaft das Signal werden

zu weiterer Pflege aller fortschrittlichen Regungen und Strebungen. Dafür als Organ zu dienen,

ist die

„Zeitschrift für das gesamte

Handelsrecht" begründet. Demgemäß hebt Goldschmidt da, wo er übersichtlich zusammen­

faßt n),

nicht sowohl das Neue hervor,

gramm gegeben ist,

also

das durch dieses sein Pro­

namentlich nicht bloß das mittelalterlich

historische Moment, sondern vielmehr die Aufgabe, alle die verschie­

denen und sämtlich fruchtbaren Richtungen

gleichmäßig zu pflegen,

die nacheinander in die Wissenschaft eingetreten seien, die wirtschaft­

liche, dogmatische und geschichtliche. einheimischen Praxis sowohl,

Die genaue Betrachtung unserer

wie der Gesetzgebung, Rechtsprechung

V. Handelsrecht.

1) L. Goldschmidt.

943

und Literatur aller auf gleicher Kulturstufe stehenden handeltreibenden Nationen wird daneben gestellt; und „endlich auch die liebevolle Pflege

und immer sicherere Ergründung der ursprünglich fremden, aber mit uns verwachsenen Elemente unseres heutigen Rechts, deren wir uns weder entäußern wollen, noch sie zu entbehren imstande sind. . . Dem wirklich reifen Gedanken setzt die römische Theorie, richtig ver­ standen, keine Schranken. Von wirklichen Fesseln des Romanismus

befreien können wir uns nur durch umfassendste Ergründung unseres

gegenwärtigen Rechtszustandes, seiner ökonomischen und geschichtlichen Grundlage." Nur ganz zum Schluffe dieser Ausführungen kommt dann Goldschmidt nochmals auf dieses letzte, historische Element be­ sonders zurück, um hervorzuheben, daß er sich allerdings von ihm eine weit stärkere Förderung der Wissenschaft verspreche, als man sie bisher für das Handelsrecht gerade da zu sinden erwartet und ver­

mocht habe. Wenn selbst ein Beseler bemerkte, daß die geschichtliche Forschung „so fruchtbar für andere Rechtsteile, für das Handelsrecht in praktischer Hinsicht nur selten einen lohnenden Ertrag" gewähre,

so sei das denn doch wohl nur daraus zu erklären, weil eben die Ausbeute hier erst noch fast ganz zu erschließen und zu gewinnen sei. In diesem Zusammenhänge hat Beseler später (1873), auf Grund gerade der Forschungen und Lehren von Goldschmidt, Äußerung ausdrücklich zurückgenommen12).

jene seine

Von diesen Goldschmidtschen Forschungen bildet es, obschon noch so reichhaltig, nur den viel geringeren Teil, was in Form einzelner Auffätze in seiner Zeitschrift erschienen ist, für die Goldschmidt außer­ dem eine Summe belehrender Literatur-Besprechungen (mehrfach in Form eines Überblicks über eine Reihe sachlich zusammengehöriger Erscheinungen) und fortlaufende Mitteilungen über Handelsrecht und Handelsrechtspflege des In- und Auslandes beigesteuert hat. Davon seien etwa noch, außer den schon oben wegen ihrer zivilistischen Be­ ziehungen genannten Abhandlungen, hervorgehoben die Artikel über Haftpflicht der Eisenbahnen im Güterverkehr (Bd. 4), über den han­

delsrechtlichen Erwerb dinglicher Rechte von dem Nichteigentümer und die Beschränkung der dinglichen Rechtsverfolgung (Bd. 8 und 9), über Verantwortlichkeit des Schuldners für seine Gehilfen (Bd. 16), über Lebensversicherung (Bd. 23), über Erwerbs- und Wirtschafts­ genossenschaften und über die Theorie der Wertpapiere (Bd.27, 29, 36). Von geschichtlicher Bedeutung sind besonders die Aufsätze über die

944

Zwanzigstes Kapitel.

Ursprünge des Mäklerrechts (Bd. 28), über die Ursprünge der See­ versicherung (in den Festgaben für Beseler 1885), über Inhaber-)

Order- und exekutorische Urkunden (Savigny-Zeitschr. rom. Abt. Bd. 10), über Lex Rhodia und Agermanament (Zeitschrift Bd. 35 und 36) und über die Geschäftsoperationen auf den Messen der Champagne

(Bd. 40). Literärgeschichtlich^) gehören hierher die wertvollen, frei würdigenden Notizen über Casaregis (Bd. 30), sowie über Straccha und Santerna (Bd. 38). Die weitaus überwiegende Masse von Gold­

schmidts geschichtlichen wie dogmatischen Forschungs- und Denkergebnissen aber, soweit sie nicht in seinen gewaltigen Kollektaneen und Handschriftsmappen schlnmmernd geblieben ist, findet sich verwertet

in seinem „Handbuche des Handelsrechts". An dieses Werk ist Goldschmidt zuerst im Laufe des Jahres 1862 herangetreten"), zunächst nur in der Absicht, ein systematisches Lehr­ buch herzustellen, für das ihm besonders günstige Erfolgsaussichten vorzuliegen schienen, da Thöl das neue deutsche Handelsgesetzbuch in der jüngsten Auflage seines handelsrechtlichen Lehrbuches nicht be­

sonders gründlich berücksichtigt hatte. Dabei konnte Goldschmidt sich denn aber doch von vornherein- schon nicht versagen, die Einschaltung kritischer und geschichtlicher Exkurse für den Gelehrtengebrauch ins Auge zu fassen, und darüber schwillt ihm Material und Darstellung so an, daß er 1863 sich entschließt, vom Lehrbuche auch prinzipiell und vollständig zum historisch-dogmatischen Handbuche überzugehen. Dieses wurde so gefördert, daß 1864 des ersten Bandes erste Ab­ teilungerscheinen konnte, enthaltend die geschichtlich-literarische Einleitung und die Grundlehren; 1868 folgte desselben Bandes zweite Abteilung, enthaltend die Lehren von der Ware und vom Gelde, jedoch mit Aus­ schluß der Wertpapiere. Weiter ist das Werk aber nicht gediehen, obgleich damit nach Pappenheims Schätzung nur etwa der fünfte Teil

des Stoffes bearbeitet ist, den Goldschmidt vorzuführen gedachte. Vielmehr ist er statt an die Fortsetzung immer wieder an Neubearbeitung und Umgestaltung des bereits Gegebenen herangetreten, und zwar so, daß er damit jedesmal einen wissenschaftlichen Neubau aufführt,

trotz der Bezeichnung als neue Ausgabe. In jeder dieser Auflagen wird immer reicher, vollständiger, eindringlicher das ergriffene Thema erörtert, jede Auflage bleibt aber stofflich immer weiter, jedesmal etwa wieder um die Hälfte des je vorher zurückgelegten Weges, hinter der vorhergehenden zurück.

Der zweiten Ausgabe erster Band (von 1874

V. Handelsrecht.

1) L. Goldschmidt.

945

und 1875, in zwei Lieferungen erschienen) umfaßt immerhin noch das­ selbe Gebiet, wie in der ersten Auflage des ersten Bandes erste Ab­ teilung; der zweite Band dieser zweiten Auflage aber ist schon nach

der ersten Lieferung von 1883 ins Stocken gekommen, die nur fünf Paragraphen in sich schließt. Und die dritte Auflage gar liefert lediglich einen Teil einer Neubearbeitung der bisherigen geschichtlichen Einleitung, d. h. eigentlich ein vollkommen neues Werk, den ersten Teil einer „Universalgeschichte des Handelsrechts". Das Werk, das

diesen Nebentitel trägt, ist dann aber auch nicht über das im Jahre 1891

erschienene erste Stück hinausgekommen. So liegen die Dinge äußerlich betrachtet. Inhalt, welcher Reichtum

Welche Fülle an

an geschichtlicher Quellenforschung, an

dogmatischen Prägungen und Ausführungen, an wirtschaftlichen Er­ wägungen und Kriüken bieten aber die fünfthalb Bände dieser drei Auflagen, die nicht, wie dem Tage zu dienen berufene Kommentar­

auflagen, einander ablösen, sondern einander ergänzen und neben­ einander bedeutsam bleiben! Jeder Paragraph ist wie eine um­ fassende Monographie des Themas, dem er gewidmet ist, und zwar immer wieder aus dem ganzen geschichtlichen und kasuistischen Zu­ sammenhänge herausgearbeitet, unter Heranziehung und selbständiger Verwertung sowohl der entferntesten, namentlich mittelalterlich­ italienischen, vom Verfasser selbst erst erschlossenen Quellen^), wie nicht minder der anschwellenden, modernen Erfahrungen in Rechts­ leben und Judikatur, immer aber auch leitenden Gesichtspunkten unter­

geordnet, sei es großen historischen Zusammenhängen, sei es festen juristischen Auffassungen, die Goldschmidt damit aufstellt. Von vorn­

herein ist das deutsche Handelsgesetzbuch für die Darstellung des geltenden Rechts entschieden zugrunde gelegt, gleichzeitig aber als Aufgabe die historische Fundamentierung dieses geltenden Rechts, die Herleitung und Erklärung aus dem Rechte der Vergangenheit fest­ gestellt und durchgeführt. Das Handelsgesetzbuch soll behandelt werden „nicht als ein in sich fertiges und abgeschlossenes Werk, sondern als Erzeugnis und nur einstweiliger Abschluß eines . . . geschichtlichen Entwicklungsprozesses". Wenn dann die ältere Rechtsgeschichte immer mehr in den Vordergrund tritt, wenn sie für die dritte Auflage durch das einzig darin beibehaltene, rein geschichtliche Einleitungsstück ent­

schieden überwiegt, so ist die Art und Weise der Behandlung doch stets eine so entschieden juristische, Goldschmidt weiß die für das Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

60

946

Zwanzigstes Kapitel.

Handelsrecht eigentümlichen Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Recht so scharf herauszuarbeiten, daß die innerliche Gleichberechtigung

der drei leitenden Gesichtspunkte, des dogmatischen, wirtschaftlichen und

historischen, nichtsdestoweniger gewahrt bleibt und namentlich von einer einseitig antiquarischen Abschweifung nie die Rede sein kann. Immer vielmehr ist die Methode die fortgeschritten historisch-dogmatische, die wirklich die Dinge aus der Geschichte herleitet und damit die

dogmatische Ausgestaltung einheitlich verschmilzt. In dieser Beziehung, als Sammlung wissenschaftlicher Monographien von gleich historischer wie dogmatischer Tragweite, als Zusammenstellung eigener Forschungs­ ergebnisse und als Monumentaltorso ist Goldschmidts Handbuch wohl am nächsten zu vergleichen mit dem großen Kirchenrecht von Hinschius, mit dem es denn auch eine gewisse Schwäche nach der systematischen Seite hin gemeinsam hat. Aber jenes wird von Goldschmidt wesentlich

überragt durch die lebendige Auffassung, durch die ausgeprägt praktisch­

utilitaristische Rücksicht auf die Bedürfnisse des modernen internationalen Handels- und Geschäftsverkehrs, während Hinschius nur trocken be­ schreibt, was Rechtens war und ist. Darin zeigt sich eben Hinschius noch als Sproß der alten historischen Schule, während Goldschmidt durchaus der jüngeren Richtung angehört, der die Konstruktion nur Hilfsmittel ist, nicht Zwangsjacke, die Rechtswissenschaft nur Dienerin

des Rechtslebens, nicht Selbstzweck zur Befriedigung des Wissens­ dranges. Insbesondere betont dabei Goldschmidt die Stellung des Handelsrechts als bahnbrechender Macht zur Herbeiführung von modernenRechtsfortschritten, nationaler Rechtseinheit und internationaler

Rechtsausgleichung16). Innerhalb der hierdurch gegebenen Richtung aber gehört Gold­

schmidt, gemäß der peinlichen Gewissenhaftigkeit und Besonnenheit seines ganzen Wesens, das Übermaß und Überschwang entschieden ab­ lehnt, eher dem konservativen Flügel an. Das zeigte sich namentlich in seiner Stellungnahme gegenüber Jhering, sowohl im allgemeinen wie besonders später in den Fragen der Besitzlehre, von Anfang an gelegentlich des Lucca-Pistoja-Aktienstreits^). Bei dessen Besprechung und bei der anschließenden Polemik tritt Jhering kühner und freier, im Interesse der allgemeinen Rechtssicherheit, bedenklichen Emissions Operationen entgegen, während Goldschmidt sich vorsichtiger an das positive Recht und an die darauf begründeten Hastungsmöglichkeiten

hält.

Aber auch hier argumentiert er keineswegs etwa

aus dem

V. Handelsrecht.

1) L. Goldschmidt.

947

peinlich festgehaltenen Gesetzesbuchstaben oder aus der strengen Rechts­

logik hervor, sondern auch bei Goldschmidt handelt es sich um eine durchaus innerliche Erfassung des modernen Aktien- und Jnhaberpapierrechts, in wesentlich fördernder Weise. Hat Goldschmidt doch gerade anläßlich dieses praktischen Falles den so folgenschweren und für das Rechtsleben unserer Zeit so wichtig gewordenen Satz zuerst

aufgestellt, „daß für die Haftung" (gesellschaftlicher oder handels­ rechtlicher Organisationen oder Firmen) „nach außenhin lediglich die Art des Auftretens nach außenhin maßgebend sei", wie er selbst darüber einem Freunde brieflich berichtet^). An diesem Satze hat er auch weiter stets festgehalten und aus ihm zahlreiche fruchtbare Anregungen entwickelt, namentlich zur Gestaltung des Genossenschafts­

wesens und zur Charakteristik des Gesellschaftswesens überhaupt19). — Zu ähnlichen Ausführungen, die damit Zusammenhängen oder auf alle

möglichen sonstigen handelsrechtlichen Gebiete sich beziehen, hat ihm eine ausgedehnte begutachtende und legislativ-kritische Tätigkeit noch mehr­

fach Gelegenheit geboten. Seine betreffenden Arbeiten sind enthalten teils in der Zeitschrift für Handelsrechts, teils in den Verhandlungen

des deutschen Juristentags 21), teils auch in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik22). Zum Teile sind sie selbständig erschienen, wie die Studie über die Haftpflicht der Genossen und das Umlage­ verfahren von 1888, oder auch erst durch posthume Veröffentlichung uns zugänglich geworden2^). Dazu kommen denn noch die kurzen Überblicke2*), die Goldschmidt

über sein System des Handelsrechts mangels Vollendung des Hand­ buches wenigstens im Grundrisse uns gegeben hat, allmählich aber doch wieder unter Beifügung einzelner wertvoller Ausarbeitungen; ebenso gibt er uns ein Bild seiner letzterreichten geschichtlichen Auf­ fassung, mangels Vollendung der Universalgeschichte, als „Abriß der Geschichte des Handelsrechts" im Handwörterbuch der Staatswissen­

schaften 4, 329 f. Eine Reihe kleinerer, mehr populärer oder gelegenheitlicher Schriften bietet vielfache Ergänzung, wie etwa der Vortrag „Über alte und neue Formen der Handelsgesellschaft", gehalten in der juristischen Gesellschaft zu Berlin am Id. März 1892, der als eine der letzten Leistungen Goldschmidts herausgehoben sei. Ferner sind zu berücksichtigen Goldschmidts richterliche Arbeiten aus den

Jahren 1870—187ö für das Reichs-Oberhandelsgericht, deren Bedeutung und Umfang nicht gering bemessen werden darf, wennschon der Natur 60»

948

Zwanzigstes Kapitel.

der Sache gemäß davon nur weniges veröffentlicht ist26).

Außerdem

hat er aber bekanntlich auch noch ein ausgeprägtes Interesse an den Fragen der juristischen Studien- und Prüfungsordnung durch gründ­

liche und umfassende Schriften26) betätigt, die zum Teil wieder auf eingehender geschichtlicher Forschung beruhen, und endlich am politischen Leben seiner Zeit regen Anteil, als Parlamentarier und

als Schriftsteller, auf der konservativen Seite genommen. So wäre Goldschmidts Arbeitsleistung eine gewaltige, bewun­ derungswerte, selbst wenn man nicht in Betracht zieht, daß er durch schwere Erkrankung vielfach in ihr gestört, vom Beginne des Jahres 1893

ab sie ganz einzustellen genötigt worden ist.

Dabei ist es schwer zu

unterscheiden, wieweit es sich um wirkliche Krankheit gehandelt haben

mag oder um die lähmende Wirkung einer durch überpeinliche Ge­ wissenhaftigkeit hervorgerufenen, wohl auch durch Überarbeitung geförderten, mindestens häufig ans Krankhafte streifenden Selbst­ bezweifelung, einer kleinmütigen Auffassung vom eigenen Wissen und Können. Ist doch dadurch Goldschmidt sogar veranlaßt worden, zeit­ lebens die vollständige Veröffentlichung seines zivilistischen Besitzwerkes

zurückzuhalten, das seinerseits wieder als Grundlage für die handels­ rechtlichen Besitzfragen unerläßlich Mangels wiederum die Fortsetzung Auflage des Handbuches von da ab in den Vordergrund treten. Bei

war, so daß dann wegen dieses des zweiten Bandes der zweiten liegen blieb, wo diese Besitzfragen etwas frischerem Zugreifen hätte

sich wohl auch dieses Hindernis überwinden lassen.

Nur so und zu­

gleich aus dem damit zusammenhängenden geringeren Bedürfnis nach systematischer Vollständigkeit und Großzügigkeit ist denn doch der einzigartige Nückbildungsprozeß von Auslage zu Auflage des Handbuchs zu erklären, während eine immer umfassendere Detailentwicklung dem behandelten Abschnitte zu Teil wird. Infolge letzteren Um­

standes birgt denn aber doch Goldschmidts Gesamtwerk wiederum zahllose Einzelheiten auch über solche Punkte, bis zu denen das Hand­ buch systematisch nicht vorgeht.

Es ist eben in dieses viel mehr hinein­

gearbeitet, in ihm bei den allgemeinen Ausführungen oder gelegentlich weiterer Zusammenhänge gar viel mehr vorweggenommen, als man

systematisch darin erwarten möchte; — ein wahrer Schatz von Quellen­ nachweisungen, eine Fülle von geschichtlichen und dogmatischen Notizen und Äußerungen aller Art ist da untergebracht. Mag man noch so

schmerzlich bedauern, was wir verloren haben, indem Goldschmidts

V. Handelsrecht.

2) Verschiedene, besonders Endemann.

949

Meisterhand uns nicht die reife Entwickelung des Handelsrechts in vollständigem System hat vorführen können, dieser Mangel ist wohl hinzunehmen als von seinen Vorzügen eigenster selbständiger Quellen­ forschung, peinlichster Selbstprüfung und gründlichster Berücksichtigung

aller Einzelheiten unabtrennbar.

Vortrefflich hat er, wennschon in

trüber Stimmung und selbstverkleinernd, dies gekennzeichnet, als er seinem Freunde Fitting schon am 9. Oktober 1855 über sich schrieb27):

»Meine Natur neigt dazu hin, sich mit großen Gesichtspunkten in lauter Details zu verlieren und vor übergroßer Sorgsamkeit nichts zu fördern." Also doch, stets festgehalten und stets durchzufühlen: „mit großen Gesichtspunkten"; und was Goldschmidt dann schließlich

trotzdem alles „gefördert" hat, bedeutet nicht weniger als die gesamte dogmatische Handelsrechtswissenschaft, die Universalgeschichte des Handelsrechts, die vor ihm kaum bestand, ein gut Teil der Pandekten­ wissenschaft und der allgemeinen Rechtslehre, des deutschen Rechts­

unterrichts und der deutschen Gesetzgebung. 2. Von Goldschmidts unmittelbaren Zeit- und Berufsgenossen stehen die weitaus meisten, so tüchtige Dogmatiker des Handelsrechts sie auch sein mögen, der geschichtlichen Auffassung, wie er sie an­ geregt hat, doch noch durchaus ferne1). Von den aus seiner Schule hervorgegangenen jüngeren Autoren, die seine historische Forschung fortgeführt haben, erschienen bedeutendere Leistungen erst zu einer Zeit, die jenseits unserer Grenze liegt2). So bleibt für uns zu

besprechen nur noch ein gleichzeitiger Jurist übrig, dem allerdings das Verdienst nicht abgesprochen werden kann, daß er in durchaus selb­ ständiger, wennschon etwas einseitiger Auffassung die mittelalterlich­ italienische Geschichte des Handelsrechts unabhängig neben Goldschmidt betrieben und damit eine praktische Behandlung des geltenden Handels­

rechts aus klar erfaßten wirtschaftlichen Gesichtspunkten hervor ver­ bunden hat, nämlich Wilhelm Endemann2). Im Gegensatze zu der bei Goldschmidt wie politisch so juristisch

unverkennbaren konservativen Unterströmung vertritt Endemann das, was man etwa die äußerste Linie der historischen Richtung, die schärfste Tonart gegenüber der alten historischen Schule nennen möchte. Er geht damit weit über Mittermaier, ja selbst über Jhering hinaus. Endemann mit seinem sanguinisch ungezügelten Temperament nimmt meist nur die eine Seite der Dinge wahr und verwirft jedes Kom­

promiß ; ihm ist jede Form, jede Konstruktion, jedes Dogma geradezu

Zwanzigstes Kapitel.

950

zuwider und verhaßt.

Für ihn ist die wirtschaftlich-utilitarische Seite

des Rechts im Sinne freier Jnteressenentfaltung allein maßgebend,

aber die strengste Wahrhaftigkeit daneben als einziges Sicherungs­ mittel befriedigender Selbstbetätigung selbstverständlich.

Das Gesetz

ist ihm nur eine vorübergehende Erscheinung, häufig nur eine pein­

lich empfundene Hemmung wirtschaftlicher oder kultureller Fortschritte, Gegenstand mehr der Kritik als der Auslegung.

Die Geschichte ist

ihm in einem vielleicht seit Thomasius nicht mehr dagewesenen Maße eine Summe von Täuschungen, Fehlgriffen wissenschaftliches Studium

und Mißständen, ihr

im wesentlichen nur Hilfsmittel zur Dis­

kreditierung des geschichtlich gewordenen Zustandes, zur Bekämpfung aus dem alten historischen Jammerzustande in die Gegenwart hinein­

ragender Reste und zur Freilegung des Weges für eine entschieden

fortschrittliche Umgestaltung.

So geht er selbst in seinem Lehrbuche

des deutschen Handelsrechts, das,

1865 zuerst erschienen, cs 1887

bis zur 4. Auflage gebracht hat, mehr wirtschaftlich als dogmatisch vor,

und unterzieht auf Grund des Rechtslebens das neue Gesetzbuch scharfer Kritik, aus der festen Überzeugung hervor, daß der rechte Weg für die Wissenschaft allein der ist, statt der „wesenlosen Fiktionen einer

abstrakten Schuldoktrin" das wirkliche Leben hervorzukehren, bei theo­

retischen Streitfragen die Entscheidung dem konkreten Bedürfnis des

Einzelfalles zu überlassen. Die Wurzel der entgegengesetzten Denkweise fand Endemann nun aber namentlich in den scholastisch gebundenen, theologisch moralisierenden, wirtschaftlich unwahrhaftigen Doktrinen des Mittelalters.

Daher sein

Kampf gegen die kanonistische Wucherlehre, der ihn zur gründlichsten

dogmen- und kulturgeschichtlichen Forschung geführt hat. Die Ergebnisse, wohl vorbereitet schon seit länger als einem Jahrzehnt, z. B. schon in den Hauptpunkten vorweggenommen in einem Aufsatze von 1863 Z

über die „nationalökonomischen Grundsätze der kanonistischen Lehre",

liegen ausführlich vor in Endemanns wissenschaftlich gediegenster und hauptsächlicher Leistung, seinen „Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre", 2 Bände,

1874 und

1883.

Dabei

wird die ganze, so unendlich weitschweifige und schwerfällige inter­ nationale Literatur von der Zeit der Glossatoren bis zur zweiten

Hälfte des 17. Jahrhunderts ausgeschöpft und die scholastische Wucher­ lehre von der Unfruchtbarkeit des Geldes durch alle Verstecke ihrer

vielverschlungenen Gänge verfolgt.

So wird nachgewiesen, wie gegen

V. Handelsrecht.

2) Verschiedene, besonders Endemann.

951

sie der gesunde wirtschaftliche Drang doch immer wieder sich durch­ zusetzen versteht, freilich durch Kompromisse und Fiktionen, durch die wieder überall Unsicherheit des Handelns und Unredlichkeit des Denkens erzeugt werden. Interessante Schlaglichter fallen dabei

aus die Entwicklungsgeschichte des Wechsels, der Sozietäten, der Bank-, Renten- und Verpfändungsgeschäfte; und so ist das Ganze,

besonders der erste Band, zu einer bedeutsamen dogmengeschichtlichen Förderung der mittelalterlichen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte ge­ worden. — Daneben erfreute sich auch das von Endemann unter

Beteiligung tüchtiger Kräfte in die Wege geleitete und durchgeführte Sammelunternehmen eines Handbuches des Handels-, See- und Wechsel­

rechts, erschienen 1881—1885, eines gewissen nicht unberechtigten An­ sehens; von ihm selbst rühren darin hauptsächlich her die Abschnitte

vom Handel und Handelsrecht im allgemeinen und über die Lehre von der Sache oder Ware. Freilich wird man Endemanns Kampf gegen die längst ab­ gestorbene kanonistische Wucherdoktrin hauptsächlich bloß ein geschicht­ liches Verdienst zuerkennen. Von ungleich stärkerer praktischer Be­

deutung war der Angriff, den er schon vorher aus derselben Gesinnung hervor gegen die formale Beweistheorie im Zivilprozesse gerichtet hat: denn diese stand, als dieser Angriff erfolgte, noch in voller Geltung und ist wesentlich mit durch diesen Angriff von weitesten

Kreisen als unerträglich erkannt, ja dadurch schließlich aus

dem

Zivilprozesse verdrängt worden, in dem sie sich so viel länger als im Strafprozesse zu erhalten verstanden hat. Endemann begann den Ansturm dagegen in einer Serie von Artikeln °), die 1858—1860 im „Archiv für die zivilistische Praxis" erschienen, und es auch nicht unterließen, die praktische Brauchbarkeit des umgekehrten Grundsatzes,

der freien Beweiswürdigung, im einzelnen darzutun. Daran schloß sich dann eine Sonderabhändlung über das Prinzip der Rechtskraft, Heidelberg 1860, die auf den klassisch römischen Prozeß zur Be­ gründung von Verfassers Anschauungen zurückging. Und endlich folgte gleichfalls noch 1860 der starke Band über die Beweislehre des Zivilprozesses. Darin verfolgt Endemann den ganzen Stoff dogmengeschichtlich, indem er namentlich schon mit der vollen Meister­ schaft, die er später auf handelsrechtlichem Gebiete wieder an den Tag legen sollte, die mittelalterlichen Verhältnisse entwirrt; auf diese Weise wird dargelegt, wie die legale Beweistheorie durch Mißver-

Zwanzigstes Kapitel.

952

der römischen Quellen

ständnis

aus dem Geiste der unsachlichen,

formelhaften Scholastik hervor entstanden ist, wie sie trotz allen Auf­

gebotes

formalem Scharfsinn

an

es

aber

dennoch

nie zu einem

lückenlos in sich geschlossenen Aufbau hat bringen können,

wie sie

erst recht in neueren Zeiten nur noch den Schein der Herrschaft da­

durch aufrechterhalten hat, daß sie sich zahlreiche Abweichungen ge­ fallen läßt,

Wie

hier

durch die tatsächlich das System gesprengt wird. —

einem Einzelpunkte,

so

widmete Endemann

ganzen

der

Anlage und zahlreichen weiteren Sonderlehren des alten gemeinen Zivilprozesses eine eingehende, grundstürzende Umwälzungen heischende

Kritik unter der Form einer umfassenden dogmatischen Darstellung

durch sein Werk „Das deutsche Zivilprozeßrecht", erschienen in zwei

Abteilungen Heidelberg 1868.

Ob eine solche kritische Behandlungs­

weise für das Lehrbuch eines jungauistrebenden Rechtes, wie das

deutsche Handelsrecht es damals war, zweifeln können;

angebracht ist, wird man be­

für eine Darstellung des absterbenden alten Zivil­

prozesses hatte sie offenbar ihre volle Berechtigung.

So entschieden

auch Endemann mit dem Verlangen

durchge­

drungen ist, daß der neue deutsche Zivilprozeß von dem Prinzip der

freien Beweiswürdigung erfüllt werden müsse, von allen Seiten

her

so bereitwillig auch

seine Verdienste um diese Frage anerkannt

worden sind, so ist es ihm bekanntlich doch keineswegs gelungen, bei der Beratung der neueren deutschen Zivilprozeßordnung in der Kom­

mission, deren Mitglied er war, seine Ideen auch sonst und in wei­ terem

Maße

durchzusetzen.

Namentlich

sein

Wunsch,

daß

neben

das Prinzip der formalen Wahrheit die Beachtung der materiellen

Wahrheit durch den frei forschenden und würdigenden Richter gesetzt und so auch in dieser Beziehung der Zivilprozeß dem Strafprozeß genähert werde, fand damals noch keine Berücksichtigung.

offenbar damit seiner Zeit weit vorausgeeilt.

Er war

Aber auch abgesehen

davon, war er mit seinem durchfahrenden Wesen, mit seiner unverholenen Geringschätzung aller gesetzlichen Formulierungen und doktri­

nären Theorien kaum der Mann dazu, in einer Gesetzgebungskom­ mission Einfluß zu erlangen.

So haben denn auch die Werke, mit

denen er später in eifriger Tätigkeit literarisch dem Gange der Reichs­ gesetzgebung auf den Gebieten der Rechtshilfe, des geistigen Eigen­ tums, der Handelsrechtsnovellen, des Zivilprozesses und der Konkurs­

ordnung gefolgt ist, mangels sorgfältiger dogmatischer Durchdringung

VI. Sonstige Rechtszweige.

1) Zivilprozeß, bes. Bülow.

953

und Formulierung, der er immer abgeneigter wurde, weder wissen­ schaftlich noch praktisch entsprechende Bedeutung gewonnen. Eher kommen noch seine letzten historischen Abhandlungen 6) in Betracht,

über die Entwicklung des Konkursverfahrens, über das Zivilprozeß­ verfahren nach der kanonistischen Lehre und „vom alten Reichskammer­ gericht", diese voll anziehender Einzelheiten und zusammengestellt mit einer liebevollen Sorgfalt, die man sonst gerade bei Endemann vielfach

vermißt. Den Abschluß seiner Tätigkeit bildet endlich, gleichfalls alte Gedankenfaden weiterspinnend, als einzig veröffentlichtes Bruchstück

aus einem lang geplanten großen Werke über den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Recht, ein Aufsatz über die Behandlung der Arbeit im Privatrecht Z. Ist auch an Stelle des jugendlichen Reform­

dranges mit dem Alter eine gewisse Resignation getreten, der rege Sinn für Geschichtliches, namentlich für Wirtschaftsgeschichtliches, und für die Unterordnung der Doktrin unter die Bedürfnisse des freien wirtschaftlichen Lebens und seiner Einzelfälle ist geblieben. Als ent­ schiedenster Vertreter dieses Tones im vielstimmigen Konzert der historischen Rechtsforschung wird Endemann festznhalten sein. VI. Es bleibt uns schließlich übrig, im Hinblick auf das Vor­ dringen der neueren historischen Richtung die anderen Rechtszweige durchzugehen. 1. Was den Zivilprozeß anlangt, so kann da für unsere Epoche nur der erste Anfang einer Bewegung festgestellt werden, die von dem alten gemeinen bürgerlichen Streitverfahren und von dessen

Wissenschaft zu dem neuen deutschen Zivilprozeß hinüberleitet. Es handelt sich einerseits um kritische Reformstudien, an denen es keineswegs ganz mangelt, wennschon mit Recht hervorgehoben worden ist1), um wieviel weniger hier an derartiger gründlicher Forschung geleistet worden ist, als auf dem zugleich politisch ge­ färbten Gebiete des Strafprozesses. Immerhin kann hier, außer auf Endemanns soeben gewürdigte, ganz hierhergehörige zivilprozessuale Werke seiner älteren Zeit, auf Renaud und auf Osterloh, sowie nament­

lich auf Leonhardt zurückverwiesen werdens. Von einer anderen, der strenger historischen Seite kommt dieser neueren Richtung entgegen, wennschon durchaus im engsten Zu­ sammenhänge mit der alten historischen Schule,

in

unmittelbarer

Anlehnung an Bethmann-Hollweg, Briegleb und Wetzell das Erst­ lingswerk von Wachb), sein „Italienischer Arrestprozeß" von 1868,

Zwanzigstes Kapitel.

954

an das sich so weittragende und bedeutsame, historische wie dogma­ tische Förderungen dieser Wissenschaft später anschließen sollten. Namentlich aber setzt um diese Übergangszeit eine4) „vorwiegend konstruktive und begriffsjuristische Richtung" ein, die eher an die letzten Zeiten Puchtas oder an die ersten Zeiten von Jhering, kurz an die zivilistische Konstruktionsncigung der 50 er Jahre erinnert. Dies führt hier besonders zu tiefem Eindringen in die Natur des Zivilprozesses und zur Aufwerfung ganz neuer, weitführender Pro­

bleme.

Als erste mächtige Welle dieser bevorstehenden Flut erscheint

1868 das Werk von Oskar Bülow4), „Die Lehre von den Prozeßeinreden und den Prozeßvoraussetzungen". Während es scheinbar nach

seinen Quellen und nach der Methode

ihrer Be­

handlung noch ganz unter dem Zeichen des römischen Rechts und der- historischen Schule steht, setzt es tatsächlich unter dieser Form

reformatorisch großzügige Anregungen für den logischen Aufbau des Prozeßrechtsverhältniffes durch. Daran haben sich dann in gleicher

Richtung hauptsächlich die weiteren Werke von Wach und Bülow und die zivilprozessuale Tätigkeit von Heinrich Degenfo165) (Einlassungszwang und Urteilsnorm, 1877) angeschlossen.

2. Hauptsächlich auf das Gebiet des Strafprozesses, wennschon unter Ausdehnung auf die beiden nahe verwandten Zweige des materiellen Strafrechts4) und des Zivilprozesses, führt'uns die Be­

trachtung einer weiteren hervorragenden Persönlichkeit, die zeitlich wie sachlich noch voll an diese Stelle gehört, namentlich an die

Seite seines engen Freundes und Arbeitsgenoffen Joseph Unger: Julius Glaser (1831—1885)-). Was Glaser auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts vor

den meisten seiner Zeitgenossen auszeichnet, das ist, daß er nicht an die Notwendigkeit glaubt, irgendeiner Philosophie sich streng schulmäßig anzuschließen, oder gar zu unterwerfen; und daß er sich denn auch demgemäß vollkommen ablehnend verhält gegen die Formeln sowohl Hegels, die damals in Deutschland herrschen, wie Herbarts, die damals in ähnlicher Weise in Österreich im Schwange

gehen. Er ist vielmehr rationalistischer Eklektiker, insofern wie auch durch eine gewisse human-liberale Grundstimmung der kriminalistischen Aufklärungszeit wahlverwandt, vorzüglich Beccaria, dessen Werk über Delikte und Strafen er mustergültig bereits 1851 übersetzt und mit

einer wohlgelungenen, auch historisch verständnisvollen Vorrede ver-

VI. Sonstige Rechtszweige.

2) Glaser rc.

955

sehen hat. — Durch diesen Wegfall philosophischen Zwanges und Schemas gewinnen bei Glaser die übrigen Bestandteile seines straf­ rechtlichen Wissens und Könnens, die er mit den deutschen Krimi­

nalisten seiner Zeit teilt, freieste Entfaltungsmöglichkeit, namentlich seine historische Richtung tritt dadurch schärfer hervor, kommt bei ihm

immer wieder gründlich zu ihrem Rechte, wo sie bei einem philo­ sophierenden Strafrechtstheoretikcr durch grundsätzliche Schlußfolge­

rungen verdrängt oder erstickt werden würde. Und vollends im engeren Rahmen der österreichischen Verhältnisse, gegenüber der

älteren österreichischen Strafrechtsliteratur stellt das allerdings einen wesentlichen Fortschritt geschichtlicher Behandlungsweise dar. Ohne daß Glaser das je in dem Maße wie Unger hervorgehoben hätte, — vielmehr ist seine Programmerklärung bei Antritt des Lehramts 1854 in dieser Beziehung ziemlich farblos, vielleicht mit Absicht, gehaltenb) — beruht demgemäß doch auch Glasers wissenschaftliches Verdienst um das österreichische Strafrecht, wesentlich darauf, daß er weit mehr als seine Vorgänger und selbst die tüchtigsten darunter (Jenull, v. Hye) der gemeinrechtlich deutschen Rechts- und Literatur­ entwicklung Rücksicht trägt. Er weiß die österreichische Sondergesetz­ gebung in viel engere Verbindung mit der deutschen Rechtsgeschichte

und ihre Auslegung in innere Beziehung zu der Wissenschaft des gemeinen deutschen Strafrechts zu setzen, genau wie dies Unger für das Privatrecht geleistet hat, ohne doch in die philosophierende Manier der deutschen Kriminalisten zu verfallen. Dabei verbindet

Glaser genau wie Unger mit der idealistischen Grundstimmung ein

reges praktisches Verständnis für die Aufgaben des Rechtslebens. Auch durch redaktionelle Tätigkeit hat er dem Ausdruck zu geben verstanden, besonders in der Leitung der allgemeinen österreichischen Gerichtszeitung und durch die mit Unger zusammen besorgte Heraus­

gabe der oberstrichterlichen Zivilrechtsentscheidungen 4). Durch diese Parallelaktion haben beide Genossen den trägen Gang der Rechts­

behandlung in frische Bewegung versetzt, einen mächtigen Umschwung aller dieser Verhältnisse, eine neue und glänzende Periode akademi­ scher und wissenschaftlicher Leistungen auf ihrem Gebiete herbeigeführt. Während aber Unger die zivilistische Wissenschaft, die er nach Öster­ reich überträgt, zugleich

als einer ihrer hervorragenden Meister

inhaltlich, nicht bloß räumlich gefördert hat, und dadurch auch in

der allgemeinen deutschen Wissenschaftsgeschichte einen hervorragenden

Platz einnimmt, gilt das von Glaser, soweit es sich um das materielle Strafrecht handelt, wohl kaum in demselben Maße. Gewiß sind seine Studien über die verschiedenen Formen und Arten des Dolus^) unbedingt erfreuliche und auch allgemeinhin über das zunächst ins Auge gefaßte österreichische Strafrecht hinaus sachdienliche Beiträge. Vollends die beiden gründlichen Untersuchungen6) über strafbare Drohungen einerseits, über strafbare Unterlassungen andererseits sind gewiß wichtige Monographien, die in mustergültiger Weise ihr Thema sowohl auf je einen durchgreifenden und bedeutsamen Grundgedanken oufbauen, wie nach allen Seiten des Systems und der Kasuistik fruchtbringend von diesen Grundgedanken aus durchführen. Aber wer möchte wohl behaupten, daß, wenn die deutsche Strafrechts­ wissenschaft dieser Werke beraubt geblieben wäre, die Folge sich ebenso oder auch nur annähernd so peinlich in ihrem jetzigen Gesamtbestande ausprägen würde, wie wenn man aus dem Bestände des Pandektenrechts alles Hinwegzudenken versuchte, was es den Ausführungen und Anregungen Ungers, allein nur in dessen öster­ reichischem Privatrecht, verdankt? Glasers Arbeiten über die Be­ handlung der Preßvergehen7), so freiheitlich sie ihrer Zeit gewirkt haben mögen,, beanspruchen denn doch keine bleibende wissenschaft­ liche Bedeutung; und endlich seinen langjährigen und eifrigen Be­ mühungen um die legislative Reform des materiellen Strafrechts in Österreichs), obschon durch eine Reihe von Studien und Vorarbeiten wohl eingeleitet und durch den 1874 vorgelegten, 1875 noch nach­ träglich mit „allgemeinen Motiven" ausgestatteten Strafrechtsentwurf rühmlich abgeschlossen, ist es denn doch schließlich nicht geglückt, zum hauptsächlichen Erfolge, der Erhebung zum Gesetze, zu gelangen9). Ganz anders auf dem Gebiete des Strafprozesses. Hier hat Glaser nicht nur die ganz von ihm herrührende Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 durchgesetzt, sondern hier ist er auch wissen­ schaftlich , obschon auch hier zunächst von dem praktischen Wunsche nach Verbesserung der einheimisch-österreichischen Verhältnisse aus­ gegangen, an die Spitze der gesamtdeutschen Leistungen vorgerückt. Das hat z. B. später seinen bezeichnenden Ausdruck darin ge­ funden, daß es Glaser gewesen ist, der nicht nur an Holtzendorffs Handbuch des Strafprozesses durch wichtige Beiträge mitgewirkt hat, sondern der auch in Bindiugs monumental angelegtem Sammel­ unternehmen, dem Handbüche der deutschen Rechtswissenschaft, die

VI. Sonstige Rechtszweige. 2) Glaser rc.

957

Bände über den deutschen Strafprozeß ganz zu übernehmen berufen fein sollte. Es sind deren zwei (1883 und 1885) als das reifste

und reichste Werk seiner Feder erschienen^), worauf sein früher Tod die Vollendung abgeschnitten hat. Gelungen ist es aber Glaser, hier diese Stellung zu erobern, weil sich hier allen seinen sonstigen hervorragenden Eigenschaftenu), gesunder Natur und praktischem Sinn, tiefem Wissen und sicherem Urteil, vollem Verständnisse für die realen Anforderungen des Lebens verbunden mit einem ideal ethischen Grundzug — weil sich hier

alledem eine Errungenschaft gesellt, durch die er für die Behaudlung des Strafprozesses sowohl legislativ wie wissenschaftlich Epoche macht: das erwachende praktisch-historische Verständnis, für die Ge­ schichte des österreichischen StrafprozessesT?) nicht nur, sondern namentlich für die nähere Gestaltung des englisch-schottischen Straf­ prozesses im Gegensatze zu der entstellten Mischbildung des fran­ zösischen Prozesses, an den rein äußerlich anzuknüpfen man sich bis dahin großenteils begnügt hatte. Wenn Feuerbach, von dem dies Glaser in einer ihm gewidmeten

Biographie^) besonders zu rühmen weiß, ein Menschenalter vorher nach Frankreich gereist war, um dort Vorzüge und Nachteile des französischen Verfahrens an Ort und Stelle zu ergründen, so be­

ginnt Glasers strafprozessuale Laufbahn im Sommer 1850 mit einer englisch-schottischen Studienreise. Als deren Frucht schrieb er das Werk, das gewissermaßen den Grundtext aller seiner strafprozessualen Arbeiten festlegt: „Das englisch-schottische Strafverfahren, übersicht­ lich dargestellt zur Vergleichung mit der französisch-deutschen, nament­ lich der österreichischen Legislation", Wien 1850. Es betont in der Einleitung die Gegensätzlichkeit zwischen englischem Prozeß und eng­ lischer Rechtsauffassung einerseits, code d’instruction criminelle von 1808 und französischer Rechtsbehandlung andererseits; und gibt dann einen Abriß des schottisch-englischen Prozesses im Anschlüsse

an die Ordnung, oft sogar an den Wortlaut der österreichischen Strafprozeßordnung von 1850, in kurzen gesetzesähnlichen Para­ graphen, zugleich aber unter steter Rücksicht auf die innere rechts­ geschichtliche Entwicklung. Darauf ließ Glaser eine ganze Summe von Abhandlungen, Zeitschriftsartikeln und ähnlichen Werken folgen,

bei denen wissenschaftlich geschichtliche Erörterung und reformatorische

Agitation durcheinanderspielen und fortwährend im engsten lebendigen

958

Zwanzigstes Kapitel.

Zusammenhänge miteinander stehen. Strenger theoretisch aufgebaut liegen dieselben Ergebnisse zugrunde den beiden umfassenden und

geschlossenen Büchern .^Anklage, Wahrspruch und Rechtsmittel im

englischen Schwurgerichtsverfahren", Erlangen 1866, und „Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß", 1883. Überall geht Glaser

davon aus, daß von einem Jnquisitionsprozeß nicht mehr die Rede sein dürfe, daß die Hyesche zurückredigierte Prozeßordnung von 1853 aus der Kette der legislativen Vorarbeiten ausgeschaltet werden müsse, um vielmehr auf die bereits stark reformatorische Prozeßord­

nung von 1850 zurückzugreifen. Die Frage könne nur die sein, wieweit auch diese noch umzuarbenen ist; oder wissenschaftlich aus­

gedrückt, es handelt sich darum, nachdem der Sieg von Anklage­ prinzip, Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Geschworenen­

gerichtsbarkeit ohnehin feststeht, nun sich über die Tragweite dieser Schlagworte klar zu werden. „Es ist", so sagt Glaser selbst"), „der Augenblick gekommen, wo jedem

sich

die Frage

aufdrängt,

wie... . das, was als Grundgedanke des Verfahrens anerkannt wurde, an den einzelnen Teilen desselben am treuesten und zweck­ mäßigsten durchgeführt werden könnte Es wird insbesondere jetzt untersucht werden müssen, ob das in ganz Deutschland um der Prinzipien willen, die es an der Stirn trägt, nachgeahmte franzö­ sische Gesetz nicht eben diese in einzelnen Partien verleugnet, und

wenn dies der Fall ist — ob nicht die entsprechenden Elemente des englischen und schottischen Verfahrens ein geeigneteres Muster bieten.“

In diesem Sinne werden Fragen behandelt wie die nach der Ver­ nehmung des Angeklagten und der Zeugen durch den Vorsitzenden, nach der Versetzung in Anklagezustand und der Spezialuntersuchung, der Eröffnung des Hauptverfahrens im Strafprozeß (1880), nament­ lich aber auch und am ausführlichsten nach allen Einzelheiten des Schwurgerichtsverfahrens. Die Lehre vom Beweise ist bei Glaser besonders selbständig und eigenartig durchgebildet; er nimmt für sie

nach englischem Muster ein auch bei freiester Beweiswürdigung übrig­ bleibendes festes Beweisrecht nicht nur logischer, sondern auch juristischer Prägung (law of evidence) in Anspruch, ohne damit wohl genügend Beachtung gefunden zu haben. Dazwischen greifen eine Fülle kleinerer Arbeiten ein, Artikel in Zeitschriften und Zei­ tungen, Bücher- und Gesetzesbesprechungen, die, nur vorübergehenden

Zwecken zu dienen bestimmt, später von ihrem Verfasser nicht einmal

VT. Sonstige Rechtszweige.

2) Glaser rc.

959

in die Sammlung seiner kleinen Schriften ausgenommen worden ftnb16), aber zweifellos ihrer Zeit ihre Wirkung getan haben. Eine besondere Untersuchung betreffend die Lage der Schwurgerichtsfrage in Österreich nebst einer kräftig polemischen Auseinandersetzung mit den Gegnern „In adversarios" (1864) führt uns hinüber zu den von Glaser ausgearbeiteten, dabei immer weiter gereiften Straf­ prozeßentwürfen ^) mit begründeten Vorschlägen und Motiven von

.1863, nebst Prüfungen von Vermittlungsvorschlägen in der Be­ rufungsfrage (1862 und 1863); gerade diese letzteren Schriften") gehen in ihrer Bedeutung wieder weit über den einzelnen vorliegen­ den österreichischen Anwendungsfall hinaus. Bei allen diesen oder den meisten dieser Schriften ist ja nun

der Zweck offenbar zunächst ein praktischer. Mittels ihrer hat Glaser sein großes Gesetzgebungswerk von 1873 vorbereitet, durchgesetzt und

weiter dessen in seinem Sinne richtige Anwendung gefördert. So lassen sie einen paränetischen Grundcharakter keineswegs verkennen,

wie denn auch Glaser streng wissenschaftlich von einer gewissen ein­ seitigen Überschätzung des englisch-schottischen Strafprozesses und namentlich des Anklageprinzips darin sich nicht ganz sreizuhalten vermochte. Diese Überschätzung spiegelt sich wohl auch in der Prozeß­ ordnung von 1873 wieder, bei aller ihrer allgemein anerkannten Vortrefflichkeit, indem sie bekanntlich die weitestgetriebene Verwirk­ lichung eines möglichst reinen Anklageprozeffes darstellt, die man bisher auf dem Kontinent gewagt hätte. Aber dabei beruht all dies zugleich auf so viel eindringenden Untersuchungen, auf so gründlich sondernder und umsichtig aufbauender historischer Forschung, daß es

dadurch zugleich eine bleibende Bedeutung für den Fortschritt der Wissenschaft gewinnt. Dafür kommen vorzüglich die Werke über Schwurgericht und Beweisrecht in Betracht, wozu das Gesetz selbst in seiner Bedeutung als auch wissenschaftliche Leistung ersten Ranges hinzugenommen werden muß. Dieser wissenschaftliche Fortschritt aber

besteht, wie jetzt wohl aus diesem Zusammenhänge ohne weiteres erhellen wird, in der Anwendung der historischen Methode auf die englisch-ftanzösische Wurzel des modernen kontinentalen Strafprozesses. Diesen Weg hatte freilich schon vom Boden der alten histori­ schen Schule aus Biener betreten, und die Untersuchungen mindestens

über den Ursprung des Geschworenengerichtes hatten ja seitdem ohne Unterlaß fortgewährt. Glaser aber hat das gesamte Gebiet des

960

Zwanzigstes Kapitel.

Strafprozesses mit plangemäßer Klarheit und mit praktischem Sinne dieser Behandlungsweise unterstellt, auch gelegentlich noch amerikanische Belege mitherangezogen und darüber denn doch die einheimisch­ geschichtlichen Zusammenhänge, namentlich nach Italien hin, keines­

wegs vernachlässigt. Wenn er diese Untersuchung nicht mehr im Geiste und nicht mit der klassischen Einschränkung der älteren histori­ schen Schule führt, sondern als entschiedener Anhänger der neueren Richtung, so bleibt doch als methodologisches Grundelement die Ein­ sicht, daß allein durch Zurückgreifen auf die Entstehungsverhältnisse

einer Rechtssatzung wissenschaftliche Einsicht in diese gewonnen werden kann, und daß dabei auf die ursprünglichen, rein nationalen Bil­ dungen zurückgegriffen werden muß, wenn man nicht durch Zwitter­ bildungen irregeführt werden soll. Daß zu dem Behufe hier, gemäß

dem Gange unserer strafprozessualen Rechtsgeschichte,

ausländische

Gestaltungen aus anderen Ländern und aus jüngeren Tagen heran­ geholt werden, als wir es für andere Rechtszweige zu tun gewohnt sind, bedeutet ebensowenig einen Bruch mit dem historischen Prinzip, wie wenn Goldschmidt für die Geschichte des Handelsrechts die mittelalterlichen und romanischen Statutarrechte heranzieht. Nament­ lich kann nicht von einem Übergange aus der rechtsgeschichtlichen

zur rechtsvergleichenden Methode die Rede sein, denn letztere tritt erst da ein, wo das mangelt, was hier die Hauptsache ist: der Nachweis einer unmittelbaren oder mittelbaren Beeinflussung unseres Rechts durch das demgemäß nicht bloß zum Vergleiche, sondern zur

Ursprungserklärung herangezogene fremde Recht.

Damit ist es sehr

wohl vereinbar, wenn sich hier praktisch der Zweck dazugesellt, unter Abstoßung der aus Frankreich überkommenen Mißbildungen einer Herübernahme des echten englisch-schottischen Rechtes oder vielmehr der aus ihm zu erschließenden Rechtsgedanken das Wort zu reden.

Man würde hier selbst im Stil der alten Schule von einer „Rück­ kehr zu den reinen Quellen" sprechen können. Und nachdem inzwischen durch Glasers Gesetzgebung diese Herübernahme nach Österreich er­ folgt ist,

erscheint gar das letzte Glied dieser rechtsgeschichtlichen

Kette geschlossen. Mag sich dann gleich die deutsche Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 von dem Einflüsse der österreichischen von 1873

und von ihren englischen Mustern nicht allzusehr durchdrungen zeigen, so ist doch auch jene mit akkusatorischen Momenten genügend durch-

VI. Sonstige Rechtszweige.

2) Glaser rc.

961

setzt, um es gerechtfertigt erscheinen zu lassen, wenn schließlich Glaser seine Methode auch hierher übertragen und damit für sein Hand­ buch des deutschen Strafprozesses einen fest-einheitlichen Hintergrund

gewonnen hat, von dem sich der komposite Bau dieses Prozesses deutlich, wennschon, mit Glasers Augen betrachtet, nicht immer vor­ teilhaft abhebt. In das Gebiet der Zivilprozeßwissenschaft hat diese Behandlungs­ und Anschauungsweise schließlich auch hinübergewirkt, freilich nicht in demselben Maße, sondern fast nur in demjenigen engeren Rahmen,

in dem hier Glaser auch gesetzgeberisch erfolgreich gewesen ist. Seine umfassenden Pläne hat er hier nicht durchzusetzen vermocht, ist doch vielmehr seitdem die zivilprozessuale Gesetzgebung Österreichs gerade umgekehrt eher zu inquisitorischen Neigungen übergegangen. Aber mindestens für die gänzliche Abschaffung des Hauptcides, der das Prinzip der freien richterlichen Beweiswürdigung so schroff durchbricht,

und für die an dessen Stelle tretende Vernehmung der Parteien als Zeugen nach englischem Vorbilde sind Glasers Ausführungen durch­ gedrungen, die er schon seit 185518) in unermüdlicher Wiederholung vorgetragen hat. Ebenso hat er die Einführung eines mündlichen, öffentlichen Bagatellverfahrens mit energischer prompter Justiz durch das Gesetz vom 16. Mai 1874 verwirklicht, wie er es schon 185919) unter Anlehnung an das französische Institut der Friedensrichter und unter gleichzeitiger vergleichender Kritik der einheimischen Verhältnisse empfohlen hatte. Über solche Einzelpunkte hinaus greifen die Be­

trachtungen über die Grundlagen des mündlich-öffentlichen Zivilprozeffes überhaupt, die Glaser 1860 und 1861 veröffentlicht hat99); sie bilden gewissermaßen die Prolegomena zu seinem gescheiterten Zivilprozeß­ entwurf von 1876. Die Großzügigkeit und Klarheit der Begründung, die Folgerichtigkeit und Geschlossenheit der Durchführung, die Sicherheit des Aufbaus und des Stils erheben aber auch auf diesem Felde Glasers sämtliche Leistungen, einschließlich seiner Gesetzentwürfe, zu Werken von selbständiger Bedeutung und zugleich von künstlerischer Wirkung. Glasers sonstiges praktisches Wirken politischer, administrativer und legislativer Art, mag es nun auf die Hebung der gesamten österreichischen Unterrichts- und Justizverhältnisse, oder auf einzelne Gebiete des Handels- und Aktienrechts gerichtet gewesen sein21), können

wir hier nicht weiter verfolgen.

Wohl aber bleibt zum Schlüsse zu

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

61

Zwanzigstes Kapitel.

962

berücksichtigen, daß, wie aus Ungers Anregungen auf privatrechtlichem Gebiete, so aus Glasers Gesamttätigkeit auf strafrechtlichem Gebiete eine Schule österreichischer Juristen hervorgegangen ist, die dort bis heute fortblüht. Als der hauptsächlichste Vertreter dieser „Wiener Strafrechts­ schule" wie sie oft genannt wird, erscheint aus der für uns allein in Betracht kommenden älteren Generation neben Glaser dessen längerlebiger Zeitgenosse, Wilhelm Emil Wahlberg22). Was ihn mit Glaser, mit dem er als Wiener Strafrechtslehrer wie in

praktischen Dingen, besonders in dem gemeinsam geführten Kampfe um die Aufnahme des Geschworenengerichts, vielfach zusammengewirkt hat22), innerlich verbindet, das ist der stark ausgeprägte Sinn für Humanität bei allem Ernste der Strafauffassung einerseits und für das geschichtliche Entwicklungsmoment andererseits. Diese Humanität nimmt bei Wahlberg den besonderen Charakter nationalökonomisch­ wirtschaftlicher Begründung 2Z an, indem er sowohl das Verbrechen, das so oft nur ein Ergebnis der Not und des Elendes ist, wie das Strafübel vorzüglich von dieser Seite her betrachtet, und darum darauf abstellt, mit der geringsten Einbuße an Arbeit und Kapital die größten Strafwirkungen zu erzielen. Damit klingt Wahlberg an sowohl an die moderne soziale Auffassung, wie auch an die Argumentation der Aufklärung22). So richtet er auch seine geschichtlichen Untersuchungen mit Vorliebe auf die Genesis und Revision der Theresiana und der

Josephina, auf die „Entstehungsgeschichte des Josephinischen Jagd­ ediktes" von 1786 (1895) und auf ähnliche Vorgänge der Aufklärung, namentlich betreffend die Abschaffung der Folter in Österreich22);

auch teilt er mit Glaser die andauernd eingehende Berücksichtigung der neuen reichsdeutschen Rechtswissenschaft und Strafgesetzgebung. — Dagegen scheidet ihn von Glaser eine stärkere Ausbildung der spekulativ­ philosophischen Grundlage, mit der er zeitlebens an einer abstrakten Vergeltungstheorie, an der Wiederherstellung der Rechtsherrschaft als Strafzweck, unter starkem Herbartschen Einschläge besonders für die Lehre von der Zurechenbarkeit, festgehalten hat2Z. Wie er aber über­ haupt der Mann der Kompromisse und Anläufe ist, nicht immer­

gründlich noch streng folgerichtig, aber reich an Anregungen und fruchtbar nach allen Seiten22), so weiß er damit ein besonderes Ent­ gegenkommen

gegen ein

von

ihm schon

früh (1869) empfohlenes

„Prinzip der Individualisierung in der Rechtspflege" zu verbinden.

VI. Sonstige Rechtszweige.

3) Gneist u. das Verwaltungsrecht.

96Z

Innerhalb des durch das Verbrechen nach dem Prinzip der Gerechtigkeit festgelegten Rahmens erstrebt er eine möglichst persönliche psychologische Einwirkung auf den Verbrecher, er glaubt gerne an dessen Änderungsnnd Besserungsfähigkeit und erwartet gerade von den Geschworenen stärkere Berücksichtigung der individuellen Momente. In deren Beachtung geht er sogar schon so weit, daß er den Unterschied zwischen Gewohnheits­

und

Gelegenheitsdelinquenten

zum

durchgreifenden Klassifikations­

prinzip erhoben und die Strafe je nachdem in verschieden eingerichteten Strafanstalten verbüßt sehen möchte^). Eine besonders eifrige Be­

mühung um rationelle Gestaltung des Strafvollzugs im allgemeinen hängt damit unverkennbar zusammen, wie denn Wahlberg sich um dieses Sondergebiet manche Verdienste erworben hat, sowohl praktischer Art durch Studien- und Inspektionsreisen, wie theoretisch durch schrift­

stellerisches Wirken. U. a.30) rühren von ihm mehrfache diesbezügliche Artikel her in von Holtzendorffs allgemeiner deutscher Strafrechtszeitung und in von Holtzendorffs und Jagemanns Handbuch des Gefängnis­ wesens. — Aus alldem ist zu entnehmen, mit welchem Maße von

Berechtigung die soziale Kriminalistenschule der Gegenwart, an ihrer Spitze von Liszt, der persönlicher Schüler von Wahlberg ist31), diesen

als ihren Vorläufer in Anspruch nehmen kann. Mag auch Wahlberg einerseits der sog. klassischen, d. h. auf absoluten Strafrechtstheorien fußenden Richtung näher stehen als Glaser, andererseits mit Glaser eher historische Anschauungen teilen, und schließlich für seine humane Stimmung selbst bis ins Zeitalter der ersten Aufklärung zurückgreifen, so bildet seine Schule doch zugleich allerdings auch den Übergang zu der Lehre der Neueren, die dann wieder stark auf ihn zurückgewirkt hat. In einer Untersuchung von 1890 „Über die Freiheitsstrafe im

Strafgesetzbuche,

sowie

über

die

Grundsätze

der

internationalen

kriminalistischen Vereinigung" hat er von dort her mancherlei und

zwar recht weitgehende Einzelheiten übernommen, ohne doch seine Grundprinzipien preiszugeben. Wie das logisch miteinander vereinbar

sein mag, bleibe dahingestellt; für uns ist es bedeutsam, zum Schluffe

darauf Hinweisen zu können, wie mit Wahlberg diese geschichtliche und humanitäre Wiener Richtung in die soziale Strömung der Gegenwart

persönlich und sachlich einmündet. 3. Um dieselbe Zeit, wie von Wien aus Glaser, eher noch etwas lenkte Rudolf Gneist von Berlin her seine Schritte nach England zu demselben Zwecke: zum Studium des Anklageprozesses 61*

früher,

964

Zwanzigstes Kapitel.

mit Geschworenen an der Quelle, behufs Widerlegung und Aus­ merzung französischer Mißverständnisse und behufs Vorbereitung ein­

Nur daß Gneist von diesem seinem ersten, strafprozessualen Gesichtspunkte alsbald zu tieferen Ein­ heimischer gesetzgeberischer Reformen.

sichten in die verwaltungsrechtlichen Zusammenhänge und damit auf

das Gebiet seiner hauptsächlichen Wirksamkeit, wissenschaftlich wie praktisch, hinübergeleitet wurde. Als Rudolf Gneist*) (zu Berlin geboren 13. August 1816,

gest. 23. Juli 1895) in den 40er Jahren seine seitdem oft wieder­ holten Studienreisen nach England, Frankreich und Belgien antrat, war er bereits auf dem Gebiete des Zivilrechts als erfolgreicher Autor aufgetreten, durch das in Ansehen gebliebene, aus einer Inauguraldissertation von 1838 hervorgegangene Werk von 1845: „Die formellen Verträge des neueren römischen Obligationenrechts in Verbindung mit den Geschäftsformen des griechischen Rechts", wozu er 1858 noch einen polemischen Nachtrags gegeben hat.

Gneist hat denn auch dauernd bis in die Mitte der 70er Jahre zu Berlin, und zwar mit außerordentlichem Lehrerfolge, neben straf­ rechtlichen und prozessualen Kollegien Pandektenvorlesungen und pandektistische Übungskurse 3) abgehalten; er hat sie donnerst aufgegeben, um nun auch akademisch sich überwiegend dem Staats- und Ver­ waltungsrechte zu widmen. Aber sein politisches Interesse war schon

in den 40er Jahren lebhaft angeregt, wie es durch seine Teilnahme an den Tagesereignissen, durch seine Übernahme eines Stadtver­ ordnetenmandats und besonders durch seine vielgerühmte Schrift von

1849 bekundet wird, die über „Berliner Zustände" handelt mit dem

Untertitel „Politische Skizzen aus der Zeit vom 18. März 1848 bis 18. März 1849". Auch hatte er schon an der Berliner Uni­ versität über Schwurgerichte, über öffentliches und mündliches Ver­ fahren, über französische und englische Gerichtsverfassung Vorträge gehalten, als er 1849 zum erstenmal mit dem Ergebnisse aller dieser Vorarbeiten nun auch literarisch hervortrat, mit seiner Schrift über „Die Bildung der Geschworenengerichte in Deutschland". Der Nachdruck fällt auf das erste Hauptwort des Themas; nicht sowohl über die Geschworenengerichte im allgemeinen will Gneist handeln, als vielmehr über die Frage ihrer Bildung im besonderen.

Denn hier hat für ihn selbst der Angelpunkt gelegen, durch den er von der strafprozessualen Frage auf das staats- und verwaltungs-

VI. Sonstige Rechtszweige.

3) Gneist u. das Verwaltungsrecht.

965

rechtliche Moment hinübergeführt worden ist. Wo eine Behörde, eine

Einrichtung, eine staatliche oder kommunale Instanz irgendwelcher Art finden, der man zuversichtlich die Bildung der Geschworenen­ gerichte anvertrauen könnte? Das ist das Problem, das ihm in dem Deutschland jener Tage geradezu unlösbar dünkt, für dessen Lösung er brauchbare Elemente nur der Gesamtheit englischer Staats­

und Verwaltungseinrichtungen zu entnehmen vermag, so daß ihm deren, natürlich nur vorbildliche, Herübernahme als dringlichstes Er­

fordernis zur Gesundung aller einschlägigen deutschen Verhältnisse, der prozessualen wie der politischen, unmittelbar in diesem Zusammen­ hänge erscheint. Wie Feuerbach ein Menschenalter vorher in Frank­ reich es eingesehen hattet — „Der Begriff eines Geschworenengerichts kann nicht anders als nach politischen Ansichten bestimmt und ent­ wickelt werden; denn nur Ideen der Staatsweisheit sind es, aus welchen sich bei allen Völkern die Einrichtung der Geschworenen­

gerichte entwickelt, wodurch sie sich befestigt, nach welchen sie sich ausgebildet hat" — so bringt nun Gneist aus England dieselbe Einsicht heim, nur in einem der französisch politischen Auffassung entgegengesetzten Sinne: Daß es sich darum handelt, die Ge­ schworenengerichte den Strömungen und Störungen des politischen Lebens zu entziehen, dem sie in Frankreich preisgegeben sind; daß dies in England durch eine Reihe eigenartiger Einrichtungen ver­ wirklicht ist, die nur aus der ganzen Geschichte und Summe der dortigen Verwaltungsverhältnisse begreiflich werden; und daß, so­

lange dieser Stützpunkt für eine Geschworenengerichtsbildung in Deutschland nicht analog gewonnen ist, dieses Institut bei uns ge­ wissermaßen in der Luft schwebt, statt auf juristisch festem Boden festbegründet zu sein. So findet sich schon in dem Vorworte zu jener Abhandlung über die Bildung der Geschworenengerichte von 1849 der Hinweis: „Die deutsche Nation ist zu ihren Unter­

scheidungsjahren gekommen. Sie wird zu wählen haben zwischen deutscher Freiheit und französischem Konstitutionalismus. — Ge­ schworenengerichte und freie Gemeindeverfassung, Rechtspflege und

Selfgovernment sind untrennbar verwachsen und bilden das massive Fundament eines deutschen Verfassungsbaues" — d. h. natürlich eines Verfassungsbaues, wie er in Deutschland sein sollte und in England ist. Dem Nachweise dieser Sätze durch Behandlung und Betrachtung der einschlägigen deutschen, englischen und französischen

966

Zwanzigstes Kapitel.

Zustände ist die Schrift gewidmet; gegen Ende enthält sie bereits den durchdachten und klargezogenen Aufriß der Vorstellungen, die

Gneist sich über den englischen Sachverhalt des sog. Selfgovernment gebildet hatte, und an denen er dann, im wesentlichen wenigstens, dauernd festgehalten hat. Das' ist denn freilich ein Unterbau von solcher Ausdehnung und

von solcher Bedeutung, daß er zu dem zunächst dadurch angestrebten Ergebnisse, eine geeignete Grundlage für die Bildung Politisch un­ abhängiger Geschworenengerichte zu liefern, außer jedem Verhältnisse steht. Vielmehr handelt es sich offenbar um viel Weitergehendes. Von diesem Einzelpunkte aus hat Gneist eben nur den Übergang gefunden zu seiner so viel umfassenderen und so viel fruchtbarere Aussichten eröffnenden Lebensaufgabe: der Durchführung jener Ge­

sichtspunkte auf das gesamte Gebiet des Staats- und Verwaltungs­ rechts in allen seinen Einzelheiten.

Indem Gneist nunmehr an diese Aufgabe herantrat, erschien sie ihm darum von vornherein sowohl als eine wissenschaftlich theore­ tische, wie als eine praktisch politische. Es handelt sich für ihn zu­ nächst darum, eine vollständige Geschichte und ein vollständiges System des englischen Verwaltungsrechts selbständig aus den Quellen zu schaffen, da er eine derartige Verarbeitung, die zum Gebrauche und Verständnisse für Deutschland irgendwie geeignet und nur herüber­ zunehmen gewesen wäre, nicht einmal annähernd, ja kaum irgend­ wie beträchtliche Vorarbeiten dazu in der englischen Literatur seiner Zeit vorfand. Sodann handelt es sich darum, das lebendige Spiel

und damit die Vorzüge dieser englischen Verfassungs- und Ver­ waltungszustände darzutun, dagegen die französisch oder belgisch konstitutionellen Mißverständnisse oder Abänderungen als romanisch­ national bedingte und schädlich wirkende Verballhornungen nachzu­ weisen. Und schließlich konnte dann erst eine tiefgreifende Neu­ begründung der deutschen Staats- und Verwaltungsverhältnisse auf ein nach englischer Analogie zu schaffendes und aufzustellendes Self­

government theoretisch geplant und praktisch in die Wege geleitet werden, unter fortwährendem Kampfe nach zwei Seiten hin, gegen die mit dem Jahre 1848 herrschend gewordenen französisch-belgisch­ rheinischen Anschauungen über Fortschritt und Liberalismus einer­ seits, und gegen die neben der Verfassung ungeschmälert fortbestehende Abneigung der preußischen „Ministerialdespotie" vor den Prinzipien

VI. Sonstige Rechiszweige.

3) Gneist u. das Verwaltungsrecht.

967

und Einrichtungen eines wahren Rechtsstaates andererseits. Bekannt­ lich ist es Gneist gelungen, diese fast übergewaltige Aufgabe fast

vollständig und programmgemäß, jedenfalls aber in einem Maße zu lösen, das weit über alles hinausgeht, was sich um 1850 als wahr­ scheinlich ansehen ließ; und zwar nicht nur für Preußen, sondern auf eine Weise, die zugleich für die anderen deutschen Staaten und für Österreich mustergültig geworden ist.

Die gründliche, sowohl geschichtliche wie systematische Erörterung der englischen Verhältnisse beginnt, nachdem 1851 zwei Programme „Zur englischen Verfassungsgeschichte" und „Zum heutigen englischen Verfassungsrecht" sowie 1853 eine kleinere Abhandlung über „Adel

und Ritterschaft in England" voraufgegangen sind, mit dem Urwerke: „Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht", zunächst mit dem ersten Bande von 1857, „Geschichte und heutige Gestalt der Ämter in England mit Einschluß des Heeres, der Gerichte, der

Hält Gneist sich dabei noch in der Haupt­ sache an die äußere Geschichte und an die äußerlich greifbare Schablone der einzelnen Staatsämter, so ist doch auch dadurch schon sein hauptsächlicher und bleibender Vorzug gegeben, daß er nämlich

Kirche, des Hofstaates".

allgemeine Verfassungsprinzipien dahingestellt sein läßt und zu der Wirklichkeit der Dinge, bis zu den einzelnen Gliedern, Rädern und Rädchen des Verwaltungsorganismus vordringt, jede Verwaltungs­ funktion bis in ihre Einzelheiten aus ihrer geschichtlich entferntesten Grundlage aufbauend, und bis zu ihrer heutigen Wirksamkeit ver­ folgend. Daran reiht sich als zweiter Band desselben Werkes, von 1860, die umfassende Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes: „Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, die heutige englische Kommunalverfassung oder das System des Self­

government in seiner heutigen Gestalt". Und daraus haben sich dann, während ein Artikel über „Die Grundlagen des englischen Staatswesens"

im vierten Bande des deutschen Staatswörterbuches

einen übersichtlichen Auszug daraus gibt5), Gneists weitere, aus­ gedehnte Werke über das gleiche Thema entwickelt, als wesentlich umgearbeitete, vermehrte,

vervollständigte und verinnerlichte Aus­

gaben jenes Urwerks, das zu diesem Behufe in zwei je zweibändige

Werke gespalten ist. „Das eine", so gibt Gierke darüber den klarsten Überblick, „veröffentlichte er 1863 unter dem Titel: Geschichte und heutige

Gestalt

der

englischen

Kommunalverfassung

oder

des

968

Zwanzigstes Kapitel.

Selfgovernment, 1871 zum dritten Male unter dem Titel: Selfgovern­ ment, Kommunalverfassung und Verwaltungsgerichte in England. Das andere 1867 unter dem Titel:

Das englische Verwaltungs­

recht, 1884 in dritter Auflage unter dem Titel: Das englische Ver­ waltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit dem deutschen Verwaltungssystem. Einen geschichtlichen Auszug aus dem ganzen Werke gab er 1882 als englische Verfassungsgeschichte, und 1886,

in verkürzter und auf einen größeren Leserkreis berechneter Form,

unter dem Titel: Das englische Parlament in tausendjährigen Wand­ lungen vom 9. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, heraus. Da­ neben behandelte er in Einzelschriften und Aufsätzen manche besondere Fragen und namentlich die neuesten Wandlungen des englischen

Rechts." Die von ihm ursprünglich geplante systematische Darstellung der englischen Parlamentsverfassung, die zunächst als die Krönung des Ganzen gedacht war, hat Gneist dann freilich nie geschrieben; aber das, was ihr Inhalt gewesen wäre, ergibt sich aus seinen übrigen Werken mit solcher Selbstverständlichkeit und so zwingender Klarheit, daß eine Lücke eigentlich dadurch nicht übrig geblieben ist.

Das sind die Bücher, die zusammen, nicht ohne mannigfache Wiederholung, aber doch auch unter vielfachen Ergänzungen und Fortschritten, das englische Staats- und Verwaltungsrecht geschichtlich

und systematisch uns vorführen. In solch geschlossenem Aufbau, in so großartiger Sachlichkeit und so innerlicher Vertiefung, daß man

sich der Wirkung gar nicht entziehen kann. Hat doch dadurch Gneist

in England selbst das höchste Ansehen gewonnen, als gründlichster Erforscher der dortigen öffentlichen Rechtsgeschichte in ihren mannig­ fachen sozialen Zusammenhängen wie als systematisch tiefster Kenner der daraus erwachsenen Gegenwartsgestaltung °). Um wie viel mehr mußte er in Deutschland überwältigend wirken, wo man bis dahin für alle diese Dinge fast nur auf des alten Freiherrn L. v. Vincke 1808 verfaßte, von Niebuhr 1815 herausgegebeue „Darstellung der inneren Verwaltung Groß-Britanniens" angewiesen toar7). Gewiß war dies eine für ihre Zeit praktisch einsichtige und überhaupt treff­ liche Arbeit, auch schon in demselben Sinne geschrieben wie die

Werke Gneists, nämlich im Zusammenhänge mit den Stein-Hardenbergschen Reformen b), wie Gneist zur Vorbereitung ihrer endlich unumgänglich notwendig gewordenen Aus- und Durchführung das englische Beispiel uns vorgehalten hat. Aber natürlich ist die Dar-

VI. Sonstige Rechtszweige.

3) Gneist u. das Verwaltungsrecht.

969

stellung von Vincke noch durchaus altväterlich, unjuristisch und un­ historisch , so daß sie mit Gneist gar nicht verglichen werden kann.

Inwieweit auch dieser durch den Wunsch, das englische Verwaltungs­ recht als Muster für Preußen und Deutschland hinzustellen, also

durch stete Seitenblicke auf preußische Verhältnisse, Bedürfnisse und Möglichkeiten schon bei der Auffassung und Darstellung der eng­ lischen Dinge beeinflußt, gelegentlich wohl auch irre geleitet oder zu Einseitigkeiten veranlaßt worden ist, bildet ja gegenwärtig den Gegenstand lebhafter Auseinandersetzung zwischen den Spezialisten ^),

die an dem von Gneist errichteten Bau die Einzelheiten nachprüfen und berichtigen. Daß es in irgendwelchem Maße der Fall sein werde, wie ähnliches auch Glaser auf seinem engeren Gebiete be­

gegnet ist, war ja wohl von vornherein für jeden historisch Denken­ den fast selbstverständlich. Für die Augen der unmittelbaren Zeit­ genossen aber blieben solche Mängel verdeckt durch die Großartigkeit und durch die immanente Überzeugungskraft der Leistung; und auf

die Dauer wird zweifellos auch wieder diese mit ihrer ganzen durch­ greifenden Bedeutung überragend hervortreten, auch im streng wissen­ schaftlichen Sinne, wesentlich gehoben freilich durch den einzig groß­ artigen praktischen Triumph, deu sie inzwischen davonzutragen ver­ mocht hat, wohl eben infolge ihrer schon von vornherein stillschweigend in etwa vollzogenen Anpassung an kontinentale Brauchbarkeit. Ist es doch wahrlich auch bei einer wissenschaftlichen Arbeit für die

Wertung von durchschlagender Bedeutung,

wenn wir sehen,

wie

gegen eine Welt von Vorurteilen, gegen französisch liberale und bürokratisch konservative Gegnerschaft, in dem so eigenartig mit der hergebrachten Verwaltungsübung verwachsenen preußischen Staatswesen, die Gneistschen Ideen die Herrschaft zu gewinnen und eine durchgreifende Verwaltungsreform vorzubereiten und durchzuführen

Da wird man es ihnen schon zugute halten müssen, wenn sie von Anfang an ein wenig auf dieses Ziel zugeschnitten vermocht haben.

gewesen sein mögen. Die ausdrückliche Übertragung seiner verwaltungsrechtlichen Ideen

von den englischen Studien auf preußische Verhältnisse vollzog Gneist zum erstenmal in umfassender Weise durch die Schrift von 1869: „Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstver­

waltung, nach englischen und deutschen Verhältnissen mit besonderer Rücksicht auf Verwaltungsreformen und Kreisordnungen in Preußen".

970

Zwanzigstes Kapitel.

Noch bekannter und erfolgreicher wurde aber, schon durch das an

die Spitze gestellte Schlagwort, das kürzere und handlichere Werk, das direkt und hauptsächlich auf deutsche Verhältnisse losgeht „Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland", Berlin 187210). Die legislativen Ergebnisse liegen vor in der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872, die im Entwürfe aus dem Jahre 1869 herrührt, mit allen anschließenden Gesetzen bis zur Land­

gemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen, von 1891, einer­ seits ; und in der Errichtung des preußischen Oberverwaltungsgerichts

andererseits. Diesem hat denn auch Gneist als Mitglied von der Begründung ob (1875) mit Fug und Recht angehört, wie er per­

sönlich zu der Konferenz zugezogen war, die im Oktober 1869 bei dem Ministerpräsidenten Grafen Bismarck den Reformplan in den Grundzügen festzulegen geladen gewesen war, wie er ferner während

des ganzen Ganges der Ausführung das gewaltige Reformwerk schriftstellerischn), parlamentarisch und als Vertrauensmann der Re­ gierung beeinflußt, bearbeitet und gefördert hat. Er hat sich dabei bald mehr auf diese, bald mehr auf jene Parteigruppe gestützt, wie es ihm zur Förderung seiner selbständig gewonnenen, im Laufe der Jahre natürlich vielfach modifizierten Überzeugung nützlich schien, ohne je sich in den Dienst einer bestimmten politischen Partei zwingen zu lassen, so sehr ihm dies innerhalb der Parteien gelegentlich ver­ übelt worden ist. Natürlich können wir hier ihn auf diesen seinen politischen Wegen nicht verfolgen, etwa von dem Ausgangspunkte, da er 1862 über die Lage der preußischen Heeresorganisation schrieb, zum Jahre 1867 und der Schrift über „Budget und Gesetz nach dem konstitutionellen Staatsrecht Englands", von da zur Beteiligung an Maigesetzgebung und Jesuitengesetz 1872, zu dem Votum über

die Simultanschule von 1880 und

schließlich zu

den rückschauend

verwaltungspolitischen oder vorausgreifend sozialpolitischen Werken der letzten Jahres. Dem politisch Unparteiischen, der diese Dinge ans einer gewissen Entfernung betrachtet, dürfte aber doch auch da, trotz dieser oder jener Kursschwankung, die einheitliche Richtung der Hauptlinie hervortreten, eine Richtung im Sinne des gemäßigt be­

sonnenen Liberalismus, die nicht über das hinausführt, was etwa einem englischen Tory selbstverständlich wäre. Für diesen Gneistschen

Liberalismus ist Lebensprinzip nicht, wie für den älteren Liberalis­ mus hergebracht, ein gewisses Mißtrauen gegen Staat und Monarchen,

VI. Sonstige Nechtszweige.

3) Gneist u. das Verwaltungsrecht.

971

sondern der Wunsch, deren Macht und Stellung zu kräftigen, alle Volkskräfte für den Staatsdienst zu mobilisieren und zu verwerten in der Selbstverwaltung, bürokratische Willkür aber durch Gesetzes­

herrschaft und Gerichtskontrolle

(Administrativjustiz) zu bekämpfen.

Namentlich dieser Sinn für die Verwerflichkeit aller administrativen

Willkür, für die Notwendigkeit fester gesetzlicher Regeln und ihrer Handhabung seitens unabhängiger Gerichte auch in der Verwaltung

ist bei Gneist wohl über alles andere ausgeprägt, wie auf allen Seiten seiner Schriften jeder Zeit und Art ersichtlich, z. B. schon aus der Studie über die berühmte Frage, ob der Richter auch das verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzes nachzuprüfen habe, von 1863, oder über die Selbstverwaltung der Volksschule, von 1869,

namentlich

aber auch aus der berühmten Abhandlung von

1867 „Freie Advokatur, die erste Forderung aller Justizresorm in Preußen". Wenn da Gneist in einer warmherzig lebhaften Weise,

die ihm heute «och die Dankbarkeit aller Beteiligten sichert, für das Prinzip der freien und hochgestellten Rechtsanwaltschaft eintritt, so ist es, weil sich ihm persönliche Jugenderinnerungen an den früheren unwürdigen Zustand der sog. Justizkommissäre verbinden mit allen verwaltungsrechtlichen, politischen und kulturellen Strebungen des gereiften Mannes; und zwar zu der Einsicht, daß es sich um einen für das Gedeihen der Justiz und damit für die ganze Wohlfahrt des Staates wesentlichen Kardinalpunkt handelt, ohne den keine sonstige Errungenschaft ihren vollen Wert zu entfalten vermöchte. Und wie hier, so durchweg: Das, wodurch Gneist so zwingend wirkt, ist

das Verständnis für die Einzelheit, aber nicht in ihrer Vereinzelung,

sondern als Glied eines Gesamtorganismus, für den jeder Einzel­ fehler verhängnisvoll werden kann. So weiß Gneist klarzustellen, wie die allgemeinsten und obersten Verfassungsprinzipien verzweifelt wenig,

die unendliche Menge einzelner Verwaltungsvorschriften fast

alles bedeuten; wie jede Maßregel nur im Zusammenhänge des Ganzen richtig eingeschätzt und gewürdigt werden kann, jede admini­ strative Einrichtung nur nach der Art und Weise ihres tatsächlichen Funktionierens beurteilt werden darf. In diesem Sinne versteht und fordert er den Rechtsstaat als eine Summe ins einzelnste

gehender, gesetzlich bindender Vorschriften, die sich gegenseitig tragen und ergänzen, und so dem Staate, d. h. dem allgemeinen und bleibenden Nationalinteresse, über die Mächte der Gesellschaftswirt-

972

Zwanzigstes Kapitel.

schäft zum Triumphe verhelfen.

Wesentlich das hat Gneist in Eng­

land gelernt, Staats- und Volkswohlfahrt, wie Staat und Volk selbst, nicht in Gegensatz zueinander zu stellen, sondern als iden­ tisch anzusehen, und sie nicht auf abstrakte Prinzipien, sondern auf Hebung und Sicherung des praktischen Sinnes für Gesetzlichkeit in

allen Einzelfällen des täglichen Lebens zu gründen. Das Verfahren aber, mittels dessen es ihm gelungen ist, sich

selbst diese klare Einsicht der englischen Verhältnisse zu verschaffen und vyn da aus zu der Ausgestaltung und Durchführung seiner Lehre für das ganze Gebiet englischer und deutscher Verfassungs­ und Verwaltungsverhältnisse vorzuschreiten, ist das historisch-juristische. Es ist zunächst ein juristisches, im Gegensatze zu allgemeinen

politischen Betrachtungen und Streitschriften, im Gegensatze aber auch zu von Vinckes staatswissenschaftlich beschreibender Methode, die über

die Schilderung der rein tatsächlichen Lebenserscheinungen nicht hin­ auskommt. Demgegenüber ist es Gneist um Nechtssätze und um deren Verbindung miteinander zu einem Rechtssystem zu tun. Er stellt da an sich selbst die Forderung juristischer Verarbeitung mit derselben Strenge, wie sie Gerber und Roth für das deutsche Recht zu beobachten gelehrt hatten. Gneists Rechtssystem ist aber nicht, wie bei Gerber, ein solches des Verfassungsrechts, des Staatsrechts

in seinen allgemeinsten Grundzügen, sondern gerade im Gegenteil ein solches der Staatsverwaltnng in allen ihren Einzelheiten, auf die er das entscheidende Gewicht legt. So entsteht ihm unter der Feder, auch abgesehen von den geschichtlichen und reformatorisch praktischen Momenten, ein Lehrgebäude des Verwaltungsrechts über­

haupt, das in den früheren Jahrzehnten seiner Wirksamkeit seines­ gleichen an Vollständigkeit und Gediegenheit höchstens bei L. v. Stein

finden dürfte. Dadurch ist Gneist neben Lorenz v. Stein der Be­ gründer der neuen Wissenschaft vom Verwaltungsrecht geworden. der Verwaltungseinrichtungen, wie man sie bisher zu geben pflegte, setzt Gneist gemäß dem Prinzip des Rechtsstaates die Rechtssätze, durch die jene Einrichtungen be­ herrscht werden; mit der Sache, den Verwaltungsgesetzen, ist zu­

An Stelle einer Beschreibung

gleich die Wissenschaft von ihr, mit der politischen Sicherung der Verwaltungsgesetze, den Verwaltungsgerichten, ist zugleich der Quell

zur Fortentwicklung und dauernden Bereicherung der Verwaltungs­ wissenschaft gegeben. So ist bereits für Gneist selbst die Tätigkeit

VI. Sonstige Rechtszweige.

3) Gneist u. das Verwaltungsrecht.

973

als Oberverwaltungsgerichtsrat auch wissenschaftlich überaus frucht­ bar geworden.

Auf eine Rechtsschöpfung

aus dem Einzelfalle ist

ja ohnehin, wer sich mit englischem Rechte abgibt, fortwährend an­ gewiesen. Da kommt denn aber, um das Ganze zu durchdringen und zu gestalten, die historische Methode hinzu, die für die bodenständig

während eines Jahrtausends entwickelten englischen Verhältnisse ebenso unentbehrlich ist, wie sie dann auch wieder das einzig geeignete Ver­ fahren an die Hand gibt, um die Übertragung auf preußische Ver­ hältnisse sachgemäß vorzunehmen. Gneist gehört zur historischen Richtung innerhalb der Rechtswissenschaft in noch ausgeprägterer

Weise als Glaser.

Aus der Schule Savignys selbst hervorgegangen,

erweist er sich als Anhänger der jüngeren geschichtlichen Richtung schon in seinem ersten zivilistischen Werke über die Formalverträge

des römischen Rechts, indem er dabei ein praktisches Ergebnis mit aller Entschiedenheit anstrebt. Zugleich äußert sich aber schon darin seine wissenschaftliche Neigung, entfernteren Wurzeln der Dinge nach­

zugraben, in dem Rückgriff aufs griechische Recht, einem innerhalb der älteren historischen Schule wenig üblichen Verfahren. Vollends ist sich Gneist deutlich des Gegensatzes gegen die ältere, historisch konservative Richtung bewußt in allen Fragen des Staatsrechts und

der Verwaltungsrcform, wie er das gelegentlich recht kräftig hervor­ heben taun13). Aber Historiker bleibt er dabei durch und durch. Als er sich dem englischen öffentlichen Rechte zuwandte, hat er dessen Geschichte zum Ausgangspunkte seiner Studien genommen und als Schlüssel zum Verständnisse des geltenden Rechtes mit gewaltiger Energie und Folgerichtigkeit verwandt, während die Engländer selbst

dieser Entwicklung

noch

verhältnismäßig

unbekümmert

gegenüber

standen. Für Gneist gehen Geschichte und geltendes Recht in Auf­ fassung und Darstellung fortwährend Hand in Hand. Die geschicht­

liche Methode gibt ihm den Leitfaden, mittels dessen er sich durch die verwirrende Menge englischer Rechtsquellen und Rechtsurkunden

hindurcharbeitet, die dortselbst ganz ungesichtet geblieben waren. Seine Anschauungen über Selbstverwaltung und Gerichtskontrolle, ja über Staatsrecht, Monarchie und Volksrecht in England beruhen eben darauf, daß er nicht von der heutigen Parlamentsherrschaft, sondern von der normannischen Königsgewalt bei der Erfassung des englischen Staatswesens ausgeht und darüber selbst noch hinaus auf

974

Zwanzigstes Kapitel.

die angelsächsischen Einrichtungen und Staatseigentümlichkeiten zurück­ greift. Eben darum aber auch erscheint ihm englisches Staats-, Verfassungs- und Verwaltungswesen als dem deutschen Wesen näher stammverwandt, während er den französisch-belgischen Konstitutionalis­ mus als eine uns fremde, in unseren Kulturboden nicht wohl ver­ pflanzbare Denkart zurückweist. Darum handelt es sich bei ihm, wenn er das englische Recht zur Aufbesserung einheimischer Rechts­

verhältnisse heranzieht, ebensowenig wie bei Glaser um eigentliche

Rechtsvergleichung, die das Gute überall zu suchen und das Brauchbarste überallher zu nehmen bereit wäre, erst recht nicht um ein blvß ethnologisches Interesse, sondern um ein wahrhaft geschicht­ liches Verfahren, das die in Deutschland wurzelecht gegebenen, nur vielfach verkümmerten Ansätze mittels Aufpfropfung eines stammver­

wandten Reises zu frischer Kraft und Blüte fördern möchte. Dabei mögen ja, wie bei Glaser, unvermeidlich Überschätzungen des eng­ lischen Vorbildes mit unterlaufen, wie wenn z. B. Gneist einmal

sagt"), daß „England die mustergültige Gestalt des öffentlichen Rechts in ähnlicher Weise darbietet, wie einst das römischkanonische Recht den Völkern. des Kontinents das Muster ihres Privatrechts wurde." Es mangelt aber auch nicht an Stellen, die hervorheben, daß für mancherlei wünschenswerte Staatseinrichtungen die deutsche Geschichte, die deutschen Kultur- und Lebensverhältnisse bessere Vor­ bedingungen bieten, als solche in England anzutreffen seien. Und

bei der praktischen Ausführung gar hat es sich natürlich nie um glatte Rezeption, sondern immer nur um Spezifikation handeln können, wie den richtig verstandenen Grundsätzen wahrhaft historischer Auf­

fassung einzig entsprechend. Wenn sich daneben endlich bei Gneist auch Spuren eines Hegelschen Einflusses zeigen, nämlich in der unmittelbar L. v. Stein entnommenen, fortwährend bei Gneist wiederkehrenden Gegenüber­ stellung von Staat und Gesellschaft^), so steht das ja zu unserer Zeit keineswegs mehr 'in irgendwelchem Gegensatze mit dem ge­ schichtlichen Element.

Ich möchte denn aber doch in diesem letzteren

den Grundzug Gneistscher Rechtsauffassung erblicken, zu der jener Steinsche Gegensatz nur als ein von außen her übernommener, nie innerlich ganz angeeigneter Fremdkörper hinzutritt. Freilich stößt man darauf immer wieder und zwar an leitender, prinzipiell grund­ legender Stelle innerhalb aller Werke von Gneist. Aber nirgendwo

VI. Sonstige Rechtszweige.

4) Staatsrecht, des. H. Schulze.

975

versucht er tiefer den Sinn des zweiten jener Ausdrücke zu beftimmeir16), oder gar in begriffsphilosophisch konstruktiver Weise daraus Rechtssätze herzuleiten. Vielmehr wird man bei näherem

Zusehen alsbald bemerken, daß für Gneist wenigstens es sich nur um eine bequeme Terminologie handelt, die er gerne sich aneignet, um zunächst einen Namen zu haben für das unbestimmte und unbestimmbare zentrifugale Etwas, das er seinem zentripetalen, stets nur aufs Wohl des Ganzen und auf absolute Gerechtigkeit gerichteten Staate als gegenüberstehend empfindet, das etwa, was wir heute unter Klassen-, Standes- und Berufsinteressen verstehen im Gegen­ satze zu dem sich doch wieder daraus zusammensetzenden Gesamt­ interesse. Indem Gneist statt in diese innere Seite des Problems einzutreten, sich mit dem Schlagworte begnügt hat, das zur Kenn­ zeichnung der geschichtlich und tatsächlich gegebenen Gegensätze allen­

falls hinreichte, zeigt sich eben, daß seine Geistesrichtung weniger die philosophisch-begriffsbildende ist, als vielmehr die historisch-positi­ vistisch-praktische im Sinne dieser Epoche unserer Rechtswissenschaft. Bei der Geburt der jungen Verwaltungsrechtswissenschaft wird jene Grundstimmung aller Wissenschaft durch Lorenz v. Stein, diese durch Gneist vertreten. 4. Die Summe aller dieser verfassungs- und vcrwaltungsrechtlichen Anregungen mußte wieder dem Staatsrechte überhaupt zu­ gute kommen. Aber für ein Staats- oder Bundesrecht des deutschen Bundes kamen sie zu spät, während es für ein Staaksrecht des

Norddeutschen Bundes und des neuen Deutschen Reiches noch zu früh toar1). . So bleibt als das Gebiet innerhalb unserer Dar­

stellungsperiode, auf dem wir die Wirkungen jener Anregungen üufsuchen dürfen, übrig das Staatsrecht der einzelnen deutschen Staaten, das bis dahin wissenschaftlich wohl am wenigsten bearbeitet worden war. Auf dieses territoriale Staatsrecht mußte nun aber auch die Analogie des territorialen Privatrechts hinüberwirken. Hier hatte man gelernt, indem man sich mangels gemeindeutschen Rechts auf diese territorialen Rechtsverhältnisse warf, für sie die Ergebnisse der

gemeinrechtlichen Privatrechtswissenschaft zu verwerten; die Aufgabe für das Staatsrecht der deutschen Einzelstaaten lag offenbar durchaus ähnlich. Ein entsprechendes Verfahren ist es denn nun auch, das, gerade eben noch zum Abschluß der Zeit, mit der wir uns beschäftigen, ein-

Zwanzigstes Kapitel.

976

setzend, Hermann Schulzes auf das preußische Staatsrecht an­

zuwenden geschickt verstanden hat.

Indem er eine solche Methode

mit eingehender Benutzung der von Gneist gegebenen Fingerzeige und (1870—1877,

Vorstudien verband, ist sein preußisches Staatsrecht in zwei Bänden) entstanden.

Hermann Schulze ist an diese Aufgabe herangetreten in be­ zeichnender Weise: nicht wie Rönne von enger, positivistischer Seite her, die durch bloße Sammlung und Sichtung des trockensten ver­ waltungsrechtlichen Materials über die Einzclpunkte und ihre positiv­

nicht hinauszusehen sich gewöhnt, sondern, ähnlich etwa wie auf dem privatrechtlichen Gebiete Dernburg, von der Beschäftigung mit weitergreifend historischen und gemeinrechtlichen Fragen her. So beruht namentlich sein erstes und, streng- wissen­ schaftlich genommen, vielleicht bedeutendstes Werk, „Das Recht der

rechtliche Behandlung

Erstgeburt in den deutschen Fürstenhäusern und seine Bedeutung für die deutsche Staatsentwicklung", Leipzig 1851, auf gründlich

geschichtlichen Studien gemeinrechtlicher Art, ferner aber auch auf einem freien geschichtlichen und kräftig publizistischen Verständnisse für die Bedingungen und Zusammenhänge staatlicher Macht- und Rechtsentwicklung. Dazu kommt, daß Schulze schon frühe auch auf die nationalökonomische Seite der Staatsverhältnisse hinüber zu blicken, und zwar gerade wohl auf das englische Vorbild dabei zu sehen, die Neigung durch seinen Vater, den bekannten Nationalökonomen Friedrich Gottlob Schulzes, erhalten und durch eine hübsche Studie

„Nationalökonomische

Bilder

aus

Englands

Volksleben"

1853

betätigt hatte. Des weiteren handelt es sich mit eine umfassende und namentlich auch literärgeschichtlich eingehende historische Grund­ legung bei Schulzes „Einleitung in das deutsche Staatsrecht" von 1865. Und wenn er dann auch später „Über Prinzip, Methode

und System des deutschen Staatsrechts"5) sich mehr positivistisch ge­ äußert, mehr zugunsten einer streng dogmatisch-publizistischen Rechts­ behandlung unter Verwerfung nicht nur der philosophierenden, sondern auch unter Zurücksetzung der geschichtlichen Methode Stellung ge­ nommen hat, so wird bei Schulze doch der Positivismus zu einem ganz anders gearteten, als derjenige einer älteren Zeit, die durch ihn

mangels geschichtlich politischen Verständnisses immer wieder zu privat­ rechtlichen Auffassungen zurückgeführt ward. Dagegen ist Schulze gesichert durch seine Vorarbeiten wie durch seine klare Auffassung

VI. Sonstige Rechtszweige.

4) Staatsrecht, bes. H. Schulze.

977

der Staatspersönlichkeit und der gesamten staatsrechtlichen Systematik,

für die er offenbar sich an Gerber anlehnt. Und so ist denn ein reiches Wissen und gründliches Können dem preußischen Territorial­

staatsrechte zustatten gekommen, als Schulze sich diesem in der „Krisis

des deutschen Staatsrechtes" (1867) mangels eines Deutschland ge­ meinsam umfassenden Staatsrechts zuwandte. Trotzdem mag man ja mit Recht hervorheben, daß Schulzes preußisches Staatsrecht immer noch manche Wünsche wissenschaftlicher Vertiefung und letzter Reife unbefriedigt läßt. Man wird es über­ haupt nicht als eine geistige Großtat behandeln dürfen, die an das von Unger oder Dernburg auf privatrechtlichem Gebiete, von Gerber oder Gneist auf staatsrechtlichem Gebiete Geleistete heranreichte, schon

deshalb nicht, weil es eben auf allen diesen Vorleistungen unmittel­ bar beruht. Aber immerhin hat es doch ein gutes Recht, sich selbst auf dem Titel als gearbeitet „auf Grundlage des deutschen Staats­ rechts" zu bezeichnen, und bildet bereits dadurch einen wesentlichen Fortschritt über Rönne hinaus. Dazu kommt für den zweiten, ver­

waltungsrechtlichen Band hauptsächlich die systematische Durchführung der von Gneist herrührenden Ideen und die Verarbeitung der von Gneist herrührenden Gesetzeseinrichtungen, für die Schulze mit Ent­ schiedenheit und mit vollem Verständnisse Eintritt6). Ein erster und grundsätzlicher Schritt dazu, für die Behandlung des preußischen Staatsrechts einen höheren wissenschaftlichen Standpunkt gemäß dem Geiste der Zeit zu gewinnen, ist doch damit getan und die Weiter­

entwicklung in förderliche Wege geleitet. Weit stärker freilich noch geschah das um etwa dieselbe Zeit (1871) durch eine Beisteuer von La band zum preußischen Staatsrecht, sein Büchlein über „Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der Preußischen Verfassungsurkunde". Darin wird zum erstenmal aus-, drücklich die so bedeutsam gewordene Unterscheidung zwischen Gesetz

und formellen Sinne aufgestellt und daraus die folgenschwere Lehre von den staatsrechtlichen Grenzen des Budget­ bewilligungsrechts erschlossen, die seitdem juristisch wie politisch einen im materiellen

Angelpunkt staatswissenschaftlicher Betrachtung

Gewonnen aber wird all dies wieder auf historischem Wege, durch die einleuch­ tende Selbstbesinnung darauf, daß der Begriff „Gesetz" sehr viel abgibt.

älter ist als die konstitutionelle Staatsform, und durch die damit

gestellte Frage, ob alles, was den konstitutionellen GesetzgebungsLandsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Text.

62

978

Zwanzigstes Kapitel.

schranken unterliegt, darum auch Gesetz im alten, d. h. im sachlichen Sinne des Wortes sei. Im Grunde ist es die Idee von der alles überwältigenden Notwendigkeit der Staatsexistenz, die hier an die Pforten der Formaljurisprudenz klopft, wie Jhering in ähnlich spinozistischer Weise die zweckgemäße Betätigung der Macht im Kampfe um das Recht als Grundlage des Rechts hinstellt. Unver­

kennbar führt nach dieser Seite hin der Weg der vorwärtsdrängen­ den Entwicklung im Leben und in der Wissenschaft.

Dagegen ein Gebiet, dessen Pflege wohl mehr früheren Zeiten am Herzen lag, nämlich das des Privatfürstenrechts, ist es, für das

noch Hermann Schulzes Verdienste zu erwähnen bleiben.

Er hat

es wesentlich als Bestandteil des öffentlichen Rechts aufgefaßt und im Zusammenhänge mit dem geschichtlichen Studium der Hausgesetze deutscher Fürstenhäuser gefördert. Namentlich die drei Bände starke Sammlung der „Hausgesetze der regierenden deutschen Fürsten­

häuser" (1862, 1878 und 1883 je ein Band) ist nach durchaus geschichtlich-kritischen Grundsätzen gearbeitet und mit zum Teil sehr ausführlichen, geschichtlichen Einleitungen ausgestattet. Einen er­ gänzenden „Beitrag zur Geschichte des deutschen Fürstenrechts", ließ

Schulze unter dem Titel „Erb- und Familienrecht der deutschen Dynastien des Mittelalters" Halle 1871 erscheinen; und eine Summe von Anwendungsfällen auf das heute bestehende Recht, namentlich von Rechtsgutachten aus diesem Gebiete hat er schließlich vereinigt in der Sammlung, die er 1876 „Aus der Praxis des Staats- und Privatrechts" herausgegeben hat. — Als monographischer Beitrag geschichtlicher Prägung für diesen Zweig der Rechtswissenschaft von anderer Seite her ist aus unserer Epoche etwa noch die Unter­ suchung von Edgar LöningZ über „Die Erbverbrüderungen zwischen den Häusern Sachsen und Hessen und Sachsen, Brandenburg und Hessen", Frankfurt 1867, zu nennen. Weniger wird man einzutreten vermögen für die.Richtung des „Lehrbuchs des deutschen Staatsrechts", das Schulze dann noch (zwei Bände, 1881 und 1886) geschrieben hat. Die dabei im ersten

Bande durchgeführte Idee, aus den einzelnen territorialen Staats­

rechten wieder, wie vor alters üblich, ein gemeines deutsches Landes­ staatsrecht zusammenzufügen, erscheint offenbar als rückständig, wenn man damit die kurz vorher durch Georg Meyer hergestellte inner­ liche Vereinheitlichung des Reichsrechts mit den Landesstaatsrechten zu

VI. Sonstige Reöhtszweige.

5) Völkerrecht. — VII. Abschluß.

einem geschlossenen Gebäude Vergleichtb).

gunsten

979

Aber selbst da bleibt zu­

von Schulze immerhin hervorzuheben,

daß er tatsächlich

unter jener Flagge sehr viel Eingehendes und Brauchbares über die einzelnen territorialen Staatsrechte geliefert und dadurch diesen Rechts­

zweig abermals nicht unbeträchtlich gefördert hat. Erst dann ist ja die Sammlung von kurzen systematischen Darstellungen sämtlicher

deutscher Staatsrechte gefolgt, für die v. Marquardsenb) eine Summe tüchtiger Bearbeiter aus den verschiedensten Berufskreisen zu

gewinnen

verstanden hat.

In den dafür bestimmten Bänden

von Marquardsens „Handbuch des öffentlichen Rechts" (93b. 2 u. 3, 1883 u. 1884) haben manche deutsche Staaten erst eine neuzeitliche, manche überhaupt erst eine selbständige Darstellung ihres Staats­

rechts gefunden *°). Dasselbe gilt endlich vollends von den fremden Staatsrechten, zu denen dann jenes Handbuch gelangt: über sie haben wir aus unserer Periode, abgesehen allein von England, noch so gut wie nichts zu berichtenu). 5. Auf dem Gebiete des Völkerrechts endlich ist bis 1870 wohl Das rein natur­

kaum der geringste Fortschritt wahrzunehmen.

rechtliche Werk von Bluntschli und das mindestens recht unsicher begründete Werk von Heffter beherrschen die Zeit noch durchaus.

Allenfalls läßt sich die Vorbereitung zu einem Umschwünge der Wissenschaft nach der Seite eines klaren und zielbewußten, wenn­

schon vielleicht etwas engen und übervorsichtigen Positivismus hin bereits vorauserkennen in den älteren, zum Teil auch geschichtlichen Werken von August v. Bulmerincq*). Dieser hat dann sein Pro­ gramm der überwiegenden Anlehnung an das in den europäischen Staatsverträgen massenhaft enthaltene, aber von der bisherigen Wissen­

schaft entfernt nicht genügend verarbeitete Material 1874 in der Schrift „Praxis, Theorie und Kodifikation des Völkerrechts" ge­ geben.

Doch laufen selbst ihm immer wieder, wennschon versteckt,

naturrechtliche Elemente unter. Diese sollten schonungslos entlarvt und vollständig aus ihren letzten Schlupfwinkeln vertrieben werden erst durch Bergbohm?), Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, 1892. Damit bildet dieses Werk den Abschluß für die historisch-positivistische Richtung der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert. VII. Mit Goldschmidt und Glaser, Gneist und Schulze hat die historische Rechtswissenschaft jüngerer Richtung endlich auch die Gebiete des Handelsrechts, des Strafprozesses, des Verwaltungsrechts

62'

Zwanzigstes Kapitel.

980

und des territorialen Staatsrechts erobert; und namentlich hat sie dem öffentlichen Recht, dem modernen Staatsleben gerecht zu werden

Sie hat zugleich geographisch und stofflich über den ursprünglich beschränkt römisch-deutschen Quellenkreis der historischen begonnen.

Schule hinaus gelernt, sich der Rechtsgeschichte aller älteren europäi­ schen Kulturvölker zu ihren Zwecken zu bedienen, und ist dazu über­

gegangen, ihre Forschungen mit Jhering und Leist auf gemeinsam gräkoitalisches oder gar arisches Recht, mit Ficker, Maurer und Brunner auf alle Glieder der germanischen Völkerfamilie zu erstrecken, nicht ohne dadurch eine noch weitergehende, frei rechtsvergleichende

Richtung einzuleiten i).

Sie ist mit Mommsen und seiner Schule in

romanistischen Dingen, mit Maurer, Brunner und ihren Nachfolgern in germanistischen Dingen dazu gelangt, die Rechtsgeschichte um ihrer

selbst willen zu behandeln, auch ohne Rücksicht auf unmittelbare dog­ matische Verwertbarkeit. Und sie hat sich doch auch nicht mehr gegen

positivistisch-utilitarische noch gegen rechtsphilosophische Anregungen und Seitenströmungen verschlossen, hat diese vielmehr gerne in sich ausgenommen,

so weit sie sich neben der historischen Schule selb­

ständig behauptet hatten. Sie hat endlich die umfassende Kodifikation

des deutschen Privatrechts, die unmittelbar bevorstand, vom gemein­ rechtlichen wie vom territorialrechtlichen Boden aus gründlich vor­ bereitet. So sehen wir die jüngere historische Richtung schließlich wohl um das Ende dieser Zeit als die einzig wissenschaftlich herrschende vor uns. Sehr viel weiter reicht sogar ihre Herrschaft, als ihrer Zeit die der älteren historischen Schule gereicht hatte, freilich auf

Grund nunmehr weit weniger ausgeprägter Eigenart. Fassen wir aber die ältere historische Schule und die jüngere historische Richtung zusammen, so ergibt sich unleugbar der Historis­ mus als die leitende Anschauung in der Rechtswissenschaft des 19. Jahr­

hunderts. Über diesen Historismus mag man sachlich und in letzter Linie

ganz verschieden urteilen, je nachdem man an ihm festhält oder statt seiner einer rein positivistischen oder einer allgemein anthropologisch­ rechtsvergleichenden oder namentlich auch einer teleologisch-philosophi­ schen Grundauffassung den Vorzug gibt. Im Hinblick auf das wissenschaftsgeschichtliche Ergebnis aber wird man es ihm jedenfalls zubilligen müssen, daß er um die Förderung der Jurisprudenz sich die hervorragendsten Verdienste erworben hat.

Er hat eine reiche

VII. Abschluß. Menge von einzelnen Forschungsergebnissen gezeitigt.

981 Er hat ferner

ein bedeutendes Maß von allgemeiner Rechts- und Staatseinsicht er­ schlossen. Er hat aber namentlich eine wissenschaftliche Grundstimmung

zu schaffen verstanden, die ihresgleichen sucht in der ganzen, jetzt fast siebenhundertjährigen Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Dieser

ist dadurch eine Fülle hervorragender Forscher und Denker zugeführt

worden, die, von Hugo bis auf Gneist, zu den leitenden Geistern

der deutschen Wissenschaft überhaupt gehören und vielfach auch auf unseren Rechtsunterricht und auf unsere Rechtssprechung, auf den Gang unserer Staats- und Rechtsentwicklung2) sowie mehrfach auf

das Ausland maßgebend und förderlich hinübergewirkt haben.

Namenregister. Die Namen aus dem Altertum sind nicht ausgenommen, mit Ausnahme einiger klassischer Juristen. Aufrechter Druck der Zahlen bedeutet Seiten des Textbandes, schräger Druck der Zahlen bedeutet Seiten des Notenbandes; gewöhnlicher Druck der Zahl bedeutet, daß die betreffende Persönlichkeit auf der betreffenden Seite nur erwähnt, fetter Druck, daß sie dort besprochen ist Abegg, Johann Wilhelm, 289. | Almendingen, Ludwig Harscher von, Abegg, Julius Friedrich Heinrich, 336 | 99-100. 122. 144-146. 147 383 339. 340. 669—672. 675 677. 684 50-51. 62. 64. 71. 772—773. 100. 687. 688. 689 135. 155—156 159. Altenstein, Karl Freiherr von Stein 170. 289 -290. 293. 294. 320. zum A., 354. 170. 173. Accursius, 301. 858. Althusius, Johannes, 647. 914. 915. Achenbach, Heinrich, 934—935. 390— Amira, Karl von, 845. 332. 354. 380. 383. 391 Achilles, Alexander, 612. Ancillon, Johann Peter Friedrich, 318. 411 145. Adler, Leopold, 400. Ahrens, Heinrich, 655—656. 715. 748. Andlau, Peter von, 11. 281—282 321 346 Andreae, Johannes, 213 Albertus, Lombardist, 896. 234. Ausaldis, Ansaldus de A., Franciscus, 941. Albrecht, Wilhelm Eduard, 318—327 393. 399 400. 401. 508. 510. 511 Anschütz, August, 55. 234. 331. 396. 397 521. 524. 540 706. 708. 778. 781 802. 826. 891. 902. 903. 915. 87. Antenrieth, Jakob Friedrich, 402. 126 148-149. 157. 186. 191. 227. Antenrieth, Joh. Herm. Ferdinand, 402. 247. 276. 303 307. 335 340. 351. Aretin, Johann Christoph Anton Maria 375. 393. Frhr. von, 83. 188. Almendingen, Johann Daniel Ludwig Ariprand oder Aribrand, Lombardist, 896. 234. Harscher von A., 72.

Namenregister.

Arndt, Ernst Moritz, 415. 519. 142. 189. Arndts, Karl Ludwig, später Ritter von Arnesberg, 460. 493—495. 558. 789. 822. 846. 858. 906. 925. 178. 221-222, 289. 352. 354. 373. Arnim, Achim von, 115. Arnim, Graf Adolf Heinrich von A.Boitzenburg, 104. Arnim, Graf Harry von, 310. Arnold, Friedrich Christian von, 301. Arnold, Wilhelm Christoph Friedrich, 760-765. 149. 327-328. 329. 351. Ashworth, 404. Asverus, Gustav, 368. Aubry, Charles Marie Barbe Antoine, 55. Auerbach, Leopold, 396. Auersperg, Fürst Adolf 399. Augustenburger, Der (Schleswig-Hol­ steinischer Prätendent), 298. 353. Augustinis, Matteo de, 55. Augustinus, Antonius, 307. Avs-Lallemcutt, Friedrich Christian Benedikt, 311.

Bach, Johann August, 49. 53. 17. 19. Bachofen, Johann Jakob, 723—724. 725. 312—313 Baco von Berulam, 26. 156. Baehr, Otto, 639-647. 707. 736. 743. 755. 800. 804. 831. 844. 862. 276—278. 340. Ballerini, Brüder, Peter und Hiero­ nymus, 334. 154. Baluze, Stephan, 309. Bang, Johann Christian, 187. 98. Bar, Karl Ludwig von, 394. Barassi, Ludovico, 55. Barkow, August Friedrich, 218. 104. Barnekow, Gustav von, 152. Barlolus, 221. 563. 409. Basedow, Johann Bernhard, 2. Bassermann, Friedrich Daniel, 318.

983

Bassianus, Johannes, 844. Bastian, Adolf, 725. Bauer, Anton, 385. 386. 389. 47. 96.

182. Bauer, Heinrich Gottfried, 15. Bayer, Hieronymus, später von, 150. 165. 380. 382—383. 392. 429. 564. 180. 247. 304. Beccaria, Cäsar Bonesano Marchese, 954. Bechmann, August, später von, 853—

854 358-359. Beck, d. Jüngere, d. i. Johann Ludwig Wilhelm, 6. 16. 23. 24. Becker, Wilhelm Adolf, 394. Becmann, Brüder (Gustav Bernhard und Otto David Heinrich), 19. Behr, Wilhelm Joseph, 400. 82—83. 262. Behrend, Jakob Friedrich, 901. 397. Behrisch, Ernst Wolfgang, 2. Bekker, Ernst Immanuel, 692—693. 694. 712. 736. 747. 771. 847—852. 175. 227. 293. 300. 322. 330. 339. 354-357. 360. 369. 371. Bekker, Immanuel, 288. 847. 118. 354. Below, Georg von, 331. 333. Bender, Johann Heinrich, 606. 620. 43—44. 265. 270. Benedikt XIV, Papst, 154. 252. Bentham, Jeremias, 366. 409. 652. 818. 182. Berenhorst, Georg Heinrich von, 2. Bergbohm, Karl, 979. 407. Berger, Johann Heinrich, 17. 61. Berlichingen, Götz von, 239. Bergmann, Friedrich Christian, 131. 283. Bernardus, Papiensis, 331. 250. Bernays, Jakob, 10. Berner, Albert Friedrich, 677. 680— 687. 688. 700. 292. 293—297. 299, 303. Bernhard, Friedrich Ludwig Frhr. von,

497-498. 222.

984

Namenregister.

Bernhardt, August Ferdinand, 320. 150. Bernhöft, Franz, 314. Berriat-Saint-Prix, 65. 27. Beschorner, Johann Gotthelf, 16. Beseler, Cai Hartwig, 507. Beseler, Georg, 321. 325. 455. 456. 500. 607-519. 521. 522. 540. 592. 628. 629. 646. 695. 744. 748. 781. 892. 898. 901. 912. 913. 943. 944. 4. 141. 148. 149. 204. 205. 223. 226—229. 260. 294. 320. 377. 379. 383. 396. 404. 405. Beseler, Wilhelm Hartwig, 227. 260. Bessarion, Kardinal, 26. Best, W. M., 198. Bethmann-Hollweg, Moritz August von, 288. 294. 295—298. 300. 302. 380. 413. 441. 471-475. 541. 561. 562. 564. 568. 732. 751. 953. 102. 109. 110. 119. 129—132 134. 156 169. 179. 196. 210. 211. 212. 229. Beust, Friedrich Ferdinand Graf von, 868. 306. Beding, Jules, 55. Beyer, Georg, 778. Beyer, Heinrich, 116. Beyme, Karl Friedrich, später von, 235. 106. Bibesko, Fürstin, 310. Bickell, Johann Wilhelm, 272. 331— 332. 333. 340. 570. 114.151—152. Biedermann, Karl, 283. Bielitz, Gustav Alexander, 607. 265. Biener, Christian Gottlob, 51. 258. 306. 15. 23. 31. 112. Biener, Friedrich August, 27. 254 272. 300-303. 311. 336. 356. 482. 483. 484. 581. 637-639 662. 959. 6. 114. 134—135. 152. 156. 214 217. 233. 275-276. 286. 289. Bierling, Ernst, 408. Binding, Karl, 713. 889. 369. Birnbaum, Johann Michael Franz, 336-337. 149. 156—158. 343.

Bischoff, 624.

Friedrich Wilhelm

August,

Bismarck, Otto von, 509. 510. 789. 815. 970. 130. 227. 284. 323. 338. 355. 390. Blanchard, Wilhelm, 47. Blankenburg, Moritz von, 323. Bludow, Graf, Dimitry Nikolajewitsch, 245. Bluemner, E. von, 88. Bluhme (oder Blume) Friedrich, 28, 288. 291. 294—295. SOI. 463. 475— 476. 521. 534. 732. 900. 119. 127— 128. 138. 150. 207. 210-211 212. 235. 278. 330. 365. 378. ' 379. 386. Blum, Robert, 288. Blumenbach, Johann Friedrich, 142. Blümer, Johann Jakob, 470. 559.

244. Blurttschli, Johann Caspar, 108. 467. 468. 469. 470. 495. 501. 523. 540. 552—558. 559. 648. 667. 715. 744. 783. 784. 979. 208. 209. 223. 237. 241—244. 263. 285. 289. 372. 407. Bodmann, Franz Joseph, 66. 67—68. 309. 28. Boeckh, August, 183. 290. 133. 370. Boecking, Eduard, 58. 476—481. 732. 768. 866. 881. 10. 20. 114. 119. 177. 210. 211—212. 361. Boehlau, Hermann, 927. Boehlau, Hugo Heinrich Albert, 750. 888. 927. 235. 331. 382. 387—388. Bvehmer, Georg Ludwig, 18. 103.270. 88. Boehmer, Johann Friedrich, 889. Boehmer, Justus Henning, 70.570.62. Boehmert, Viktor, 403. Bonaguida, Aretinus, 213. Boretius, Alfred, 536. 900-902. 235. 316. 317. 378-379. Bormann, Karl Th. F., 232. Born, Stephan, 268.

Namenregister.

Bornemann, Friedrich Wilhelm Lud­ wig, 239. 609—610. 611. 612. 929. 266-267. Borst, Nepomuk, 68. Brandis, Christian August, 290. Brandts, Johann Friedrich, 12. 5. Braniß, Christlieb Julius, 297. Brassert, Hermann, 934 390. Brater, Karl, 555. 666. 242—243. 263. 285. Brauer, Johann Immanuel Friedrich Wilhelm, 301. 305. Brauer, Johann Nikolaus Friedrich, 100. 35. 51-52. 301. Braun, I. R., 12. 36. Breidenbach, Moritz Wilhelm August, 305. Brendel, Sebald, 181. 90. Brenkmann, Heinrich, 97. Brentano, Bettina, 189. 197. 198. Brentano, Clemens, 254. Briegleb, Hans Karl, 433. 434. 562— 564. 566. 568. 639. 751. 938. 953. 246. 249. 372. Brinkmann, Karl Heinrich Ludwig, 634. 273. 394. Brinz, Alois, später von, 745. 747. 789. 842-847. 858. 902. 319. 330. 352-354. 359. Brinz, Eduard, 354. Brissonius, Barnabas, 58. 59. 305. 5. 21. Brockhaus, F. A., Verlag, 625. Brückner, Moritz, 607. Brunn, Heinrich, 481. Brunnenmeister, Emil, 548. 239. 240. 398. Brunner, Heinrich, 303. 309. 541, 638. 715. 902. 903. 906. 908—912. 916. 980. 135. 198. 313. 332. 369. 382—383. 397. Brunquell, Johann Salomo, 112. 3. Bruns, Georg, 55. 60. 344. 368. 490. 615. 715. 750. 751—756. 758. 759. 770. 785. 839. 848. 849. 851. 873.

985

927. 21. 169. 205 32.3—326. 330. 339. 356. 360. 369. 382. 396. Buch, Johann von, 526. 380. Bucher, Lothar, 822. Buchholz, Alexander August von, 35. Buchka, Hermann Friedrich Ludwig Rudolf von, 521. 755. 770. 325. 340. 368. Budde, I. F., 754. Buechel, Konrad, 248. Buecheler, Franz, 839. 121. Buechner, Andreas, 138. Buelow, August Friedrich Wilhelm von 66. 27-28. Buelow, Oskar, später von, 954. 398. Buesch, Johann Georg, 88. 94. 543. 620. 621. 38. 44. 45. Bulgarus, 213. Bulmerincq, August von, 979. 281. 407. 408. Bunge, Friedrich Georg von, 559— 561 245-246. Bunsen, Christian Karl Josias, Frhr. von, 373, 667. Bunsen, Robert Wilhelm, 356. Burchardi, Georg Christian, 866. 125. 261. Burckhard, Hugo, 178. Buri, M. von, 713. Burke, Edmund, 212. 101. 102. Burmann, Peter, 51. Busch, Ferdinand Benjamin, 273. Busch, H., 273. Buß, Franz Joseph, Ritter von, 255. Busse, Wilhelm Gustav, 253. Buttmann, Philipp. 254. 2. Carpzov, Benedikt H., 72. 302. 770. 44. Casaregis, Josef Laurentius Maria de, 941. 944. Chalybaeus, Heinrich Franz, 220. Chalybaeus, Heinrich Moritz, 657. 687. 297-298. Chambon, Eduard Egmund Josef, S42. Christ, Anton, 521. 229—230.

986

Namenregister.

Christiansen, der Vater, Hardesvogt, 260. Christiansen, Johannes, 455. 588— 592 594. 595. 596. 623. 744. 795. 796. 870. 171. 260—261. Cinus von Pistoja, 673. Claproth, Justus, 123. 161. 63. Claudius, Matthias, 196. Claussen, H. Friedrich Christian, 20. Clossius, Karl Friedrich, 22. Clossius, Walther Friedrich, 60. 61. 18. 22. 25. 245. Cocceji, Samuel von, 410. Cohn, Georg, 314. Cohn, Max, s. Conrat. Conrat, Max (früher Cohn) 772. 773— 774. 331. Conring, Hermann, 765. 770. 788. 891. Consalvi, Ercole, Kardinal, 82. Corßen, Paul Wilhelm, 371. Cosack, Konrad, 335. Cotta, Johann Friedrich C., Freiherr von Cottendorf, 366. Cousin, Victor, 295. Cramer, Andreas Wilhelm, 27. 52. 56-59. 60. 305. 18-21. Cramer, Johann Andreas, 57. 18. Crantz, von, Hanauischer Kanzler 95. Creuzer, Georg Friedrich, 89. 212. 38. 61, 95, 218. Creuzer, Leonhard, 61. 95. 147. Crome, August Friedrich Wilhelm, 50. Crome, Karl, 55. Cropp, Friedrich, 72. 90—92. 336. 627. 40—41. 127. 159. Cropp, Paul Lorenz, 40. Cucumus, Konrad, 288. Cujas, Jakob, 26. 45. 49. 57. 65. 179. 307. 11. 97. 135. Cuper, Angelus Jakob, 35. Curne, de la C. de Saint Palaye, 86. Curtius, Ernst, 875. Curtius, Karl Friedrich, 23. 265. 302. 393.

Cusanus, Nicolaus, Kardinal, 58. Czyhlarz, Karl, 925. 178. 382. 386. Dabelow, Christoph Christian 85. 94. 98. 559. 77. 245. Dahlmann, Friedrich Christoph, 318. 319. 396 436. 499. 508. 509. 519. 540. 626. 130. 148. 188. 247. 261. 283. 303. Dahn, Felix, 889. 244. 373 Dalcke, A., 612. Dalwigk, Johann Georg Friedrich Heinrich Freiherr von, 138. Dalwigk,K. F.A.Philipp Freiherr von, 308. 138 Damasus, 213. Dambach, Otto Wilhelm Rudolf, 309-310. 408. Daniels, Alexander von, 528—529. 231—232. Daniels, Heinrich Gottfried Wilhelm, 99. 620. 47. 48—50. 231. 270. Dankwardt, H., 762-763 837.328.351. Dante, 483. 673. 215. Danz, Wilhelm August Friedrich, 147. 148. 154. 382. 74. Darjes, Joachim Georg, 410. Darwin, Charles, 818. Dali, Johann Philipp, 172. Daub, Karl, 89. 36. Davoust, Leopold Claude Etienne Herzog von Auerstädt, 127. Dedekind, Julius Levin Ulrich, 138. 270-271. Degenkolb, Heinrich, 852, 954. 398. Delbrück, Ernst Luther Berthold, 745. 749. 753. 756-759. 804. 323. 326—327. 340. 364. Delbrück, G., 326. Delius, M-, 303. Demelius, Gustav, 804. 853. 342 358. Denevers, 49. Dernburg, Heinrich, 835.853.931—9)35. 936. 976. 977. 207. 296. 332. 351. 389-390.

Namenregister. Dernburg, Jakob Hartwig, 389. 390. Descartes, Renatus, 26. Desing, Anselm, 6. Devoti, Giovanni, 334. Dieck, Karl Friedrich, 328-330. 336.

149—150. Dilthey, Wilhelm, 283. Dirksen, Heinrich Eduard, 12. 27. 198. 303-307. 492. 866. 5. 135—137. 388. Dochow, Adolf, 310. Doellinger, Johann Joseph Ignaz von, 254. Doenniges, Franz Alexander Friedrich Wilhelm von, 237. Dolliner, Thomas, 181—182. 90. Dollmann, Karl Friedrich, 703. 243. 247. 304. 352. Domat, Johannes, 15. Donandt, Ferdinand, 543. 238. Doneau, Hugo, 95. 194. 289. 767.135. Dove, Heinrich Wilhelm, 257. 356. Dove, Richard Wilhelm, 575, 583. 252. 253. 257. Dresch, Georg Leonhard von, 393.

186-187. Dreyer, Johann Karl Heinrich, 65. 279. 381. 409. Dreyer, Karl Heinrich, 55. 394. Dronke, Ernst, 116. Droste, Klemens August Maria Aloysius Paulus Freiherr von D.-Hülshoff, 183-185 385. 386. 389. 91-92 178. Droste, Klemens August von D.Vischering, 577. Droysen, Johann Gustav. 509, 540. Duemmler, Ernst, 772. Duerer, Albrecht, 234. 264. Duncker, Ludwig Friedrich Wilhelm, . 523-524. 781. 149. 230. 335. Dworzak, Joseph Franz, 744. 319. Eccius, Max, 930. 389. Eck, Ernst Wilhelm Eduard, 360—

361.

987

Eckardt, Johann Ludwig Freiherr von, 142. Edelsheim, Georg Ludwig Freiherr von 35. Eichhorn, Johann Albert Friedrich, 251. 252. Eichhorn, Johann Gottfried, 253. 255. 256. Eichhorn, Karl Friedrich, 62. 133. 180. 183. 185. 198. 199. 201. 217. 219. 253--277. 278. 283. 284. 285. 308. 309. 310. 311. 312. 313. 316. 318. 321. 322. Ö24. 328. 329. 332. 333. 334. 335. 356. 365. 393. 394. 399. 402. 407. 409. 413. 429. 467. 501. 524. 530. 532. 536. 538. 539. 541. 544. 545. 556. 559 560. 570. 572. 576. 762. 764. 781. 786. 802. 98. 100. 110-114 135. 137. 139. 141. 144. 151. 174. 208. 231. 235. 254. 285. 352. 413. Eichhorn, Otto, 257. Eilbert, von Bremen, 896. Eineri, Christian Gottlob, 270. Eineri, Karl, 620^623. 624. 625. 626. 629. 634. 639. 942. 270—271. 412. Elvers, Rudolf, 220., Emminghaus, Gustav, 149—150. Emminghaus, Justus Beruh. Christian, 336. Emminghaus, Wilhelm Theodor, 150. Endemann, Wilhelm, 634. 715. 949—

953 249. 397-398. Enneccerus, Ludwig, 361. Erasmus, Desiderius, 26. Erdmannsdorff, Fr. Wilhelm Freiherr von, 2. Erhard, Christian Daniel. 47. 52. 69. Ernst II., Herzog von Sachsen-Koburg, 411. Ernst August, König von Hannover, 82. Erxleben, Albrecht, 744. 220. 319. Erxleben, Johann Heinrich Christian, 95. Esmarch, Karl, 744, 749. 275. 323. Ewald, Georg Heinrich August, 319

988

Namenregister.

Exner, Adolf, 924-925, 936. 386. Exner, Friedrich, 691.

Fabrice, Alfred Graf von, 334. Falck, Nikolaus, 308, 499-500. 503. 519. 608. 866. 188. 201. 222— 223. 225. 247. 261. 336. 381. Falk, Paul Ludwig Adalbert, 258. 259. 388. Falkenstein, Johann Paul Freiherr von, 334. Faxiolus, Johannes, 563. Febronius, d. i. Joh. Nik. von Hont­ heim, 582. 257. Fechner, Gustav Theodor, 351. Feder, Johann Georg Heinrich, 2.3. 32. Fein, Eduard, 521. 777—773. Feuerbach, Anselm, Dr. iur., der Vater, 112. 113. 60. 63. 64. Feuerbach, Anselm, der Sohn, 112. 60. Feuerbach, Eduard, 68. Feuerbach, Karl, 138. Feuerbach, Ludwig, 60. 64. 66. Feuerbach, Paul Johann Anselm, später von, 56. 76. 82. 83. 84. 88. 99. 111. 112—189. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 150. 154. 157. 158. 163. 164. 197. 238. 244. 292. 328. 343. 383. 384. 385. 386. 389. 414. 420. 424. 425. 434. 608. 661. 662. 675. 676. 689. 702. 714. 957, 965. 31. 32. 34. 51. 60—68. 72. 77. 85. 87. 96. 98. 122. 145. 160. 182. 197. 198. 292. 413. Fichte, Immanuel Hermann, 346. Fichte, Johann Gottlieb, 38. 62. 113. 115. 142. 173. 176. 198. 213. 215. 216.346. 383. 61.102. 103.142.155. Ficker, Julius Kaspar, 528. 529. 772. 777. 889—891. 906. 907. 980. 232. 236. 373—375. 379. Finsler, Johann Georg, 467. 469. 470. 558. 208. Fitting, Hermann, 772. 773 839. 949. 330—331. 394. 396.

Flatt, Johann Friedrich, 6. Fleischauer, Senatspräs, am RG., 396. Foerster, August Wilhelm, 388. Foerster, Franz August Alexander, 612. 929-930. 932. 933. 323. 388—

380. Fonk, 48. 66. Foucher de Careil, 236. Francke, Wilhelm Franz Gottfried, 492-493. 219—220. 358. 372. Franklin, Otto, 774-775. 777. 890. 322. 331 332. 374. Franz I., König von Frankreich, 26. Franz Ludwig von Erthal, Fürst­ bischof von Bamberg und Würzburg, 73. 89. Freiesleben, Karl Friedrich, 16. Freudenthal, Berthold, 369. Frey, Franz Andreas, 181. 182. 89. Freyberg, Max Prokop von F.-Eisenberg, 197. 138—139. Friedberg, Emil Albert, 575. 583— 584. 209. 253. 257—258. 413. Friedberg, Heinrich, später von %.,297. 323. Friedlaender, Alexander, 278. 279. Friedrich der Schöne, Deutscher Kaiser, 889. Friedrich III., Deutscher Kaiser, König von Preußen, 323. 391. 403: Friedrich, Erbprinz von Dessau, 4. 2. Friedrich Franz II., Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, 248. Friedrich Karl Joseph von Erthal, Kur­ fürst und Erzbischof von Mainz, 28. Friedrich Wilhelm III, König von Preußen, 198. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, 235. 239. 241. 315. 317. 318. 466. 509. 574. 130. 144. 145. Fries, Jakob Friedrich, 37—39. 13. 14. 38. 321. Fries, Lorenz, 379. Friese, Viktor, 247. Fritz, Johann Adam, 43. 71.

Namenregister. groben, H., 36. Frommann, Karl Friedrich Ernst, 532. Fuerst, M., 391. Gabba, C. F, 198. Gaertner, Gustav Friedrich, 172, Gaertner, Karl Wilhelm, 313. 231. Gagern,Friedrich Freiherr von,278. Gagern, Hans Christoph Ernst Frei­ herr von, 648. 278. 280. Gagern, Heinrich Wilhelm August, Freiherr von, 188. 235. 278. Gaisberg, L. C., Freiherr von, 74. Gajus, 27 f. 52 f. 199. 224 f. 288. 295. 480. 880. 931. 11. 16. 118. 124. 212. 367. 390. Gambsjaeger, Franz Wilhelm Anton, 153. 411. Gans, Eduard, 345. 350. 354—369. 370. 434. 438. 450. 452. 455. 651. 681. 7'20. 723. 725. 728. 748. 809. 918.12.65.137.162.163.166-170. 171. 248. 293. 297. 304. 313. 314. 322. 384. 414. Gareis, Karl, 408. Gaupp, Ernst Theodor, 356. 521. 523. 532-533. 233. 375. Gebauer, Georg Christian, 17. 118. Geffken, F. Heinrich, 279. Geib, Karl Gustav, 487—488. 495. 706. 709. 745. 878. 198. 217—218. 23,9. 240. 368. Geib, Otto, 359. Geibel, Emanuel, 362. Gengler, Heinrich Gottfried Philipp, 533. 233. Gensler, Johann Kaspar, 312, 415. 36. 80. Gentilis, Scipio, 768. Gentz, Friedrich Freiherr von, 173. 212. 409. 158. Georg V., König von Hannover, 82. Gerber, Karl Friedrich Wilhelm, später von G., 319. 327. 523. 524. 727. 745. 747. 753. 774. 778-807,

989

825—833. 834. 855. 856. 863. 869. 877. 886. 891. 892. 893. 895. 897 899. 903. 912. 913. 972. 977. 87. 113.149.184. 320. 324. 331. 334343. 346—349.376. 383. 393. 405. Gerlach, Ernst Ludwig von, 198. 108. Gerlach, Hermann, 332. Gerland, Georg, 725. Gervinus, Georg Gottfried, 416. 519. 228., Gesner, Johann Matthias, 26. Gehler, Theodor, 675. 680. 291 Geyer, August Johann Wilhelm Andreas, 690—692.299—300 309. Gibbon, Eduard, 7. 16. 26. 211. Gierke, Otto Friedrich, 517. 519. 646. 908. 912—916. 141. 229. 283. 383. Giner, 283. Girard, Paul Frederic, 910. Girtanner, Wilhelm, 804. 220. 340. 341. 368. Glaser, Julius, 703. 706. 715. 789. 920. 922. 954-962. 963. 969. 973. 974. 979. 241. 320. 399- 401. Glueck, Christian Friedrich, 9. 10. 379. 441. 495. 835. 4. 177. 178. 350. Gneist, Ernst Andreas, 402. Gneist, Rudolf, später von, 645. 725. 727. 910. 963—975. 976. 977. 979. 981.198. 313. 387. 388. 402—405. 406. Gobler, Justinus, 290. Goede, Christian August Gottlieb,

180. 88. Goenner, Johann Nikolaus, 73. Goenner, Michael, 73. Goenner, Nikolaus Thaddäus. von, 100. 125. 128. 147—160, 161. 164. 165. 170. 197. 199. 205. 206, 212. 354. 382. 383. 414. 50. 64. 71. 73—78. 80. 84. 98. 103. 132. Goeppert, Heinrich Robert, der Vater, 360. Goeppert, Heinrich Robert, 360. Goerres, Guido, 576. 254.

990 Goerres, Joseph von, 254. Goeschel, Karl Friedrich, 370.

Namenregister.

554.

171—172. Goeschen, Johann Friedrich Ludwig, 27. 198. 199. 287-289. 294. 295. 312. 441.117—118. 129. 170. 210. 212. 289. Goethe, Johann Wolfgang von, 32. 84. 189. 226. 227. 245. 532. 97. 105. 106. Goetze, August Wilhelm, 370. 172. Goldschmidt, Karl Leopold, 131. Goldschmidt, Levin, 428. 628. 631. 632. 637. 639. 806. 938—949. 960. 979. 273. 275. 313. 351. 394—397. Goldziher, Ignaz, 369. Goldammer, Theodor, 683^648 690. 695. 285. 294-295. Gorius, Friedrich, 394. Gothofredus, Dionysius, 481. Gradenwitz, Otto, 755. 874. 898. 367. Graeff, H., 287. Graevell, Max Karl Friedrich Wilhelm, 607. 265. Grassel, Ignaz,. 99. Gratia, Aretinus, 131. Gratian, 580. 250. 252. Gregor I., Papst, 876. Gregor IX.', Papst 580. Gries, Johann Diederich und Johann Michael, Brüder, 88. Grimm, Hermann, 115. Grimm, Jakob, 67. 68. 189. 196. 235. 240. 277—286. 312. 318. 319. 446. 508. 519. 520. 522. 527. 530. 534. 536. 537. 761. 886. 898. 902. 903. 905. 916. 5. 97. 98. 106. 107. 114—116. 139. 204. 225. 228. 235. 327. 330. 377. 381. Grimm, Ludwig, 197. Grimm, Wilhelm, 189. 446. 508. 519. 761. 5, 327. Grolman, Karl Ludwig Wilhelm von, 99. 100. 111. 118. 121. 122. 132. 139. 141. 142—144. 145. 146. 147.

163. 164. 383. 389. 675. 714. 50. 51. 62. 68—72. 73. 96. 121. Gros, Karl Heinrich, 101. 386. 441.'9. Groß, Johann Karl, 69. Grotefend, Georg Friedrich, 129. Grotius, Hugo, 400. 650. 653 281. 409. Gruben, Fr. von, 232. Gruchot, Julius Albert 930. 389. Gruenhut, Samuel K., 385. Grumbach, Wilhelm von, 230. Grupen, Christian Ulrich, 65. 69. 279. 313. Grupen, Ulrike Antoinette, verehel. Thibaut, 69. Gualcausus, 331. Günther, Christian August, 94. 19. 27. Günther, Karl Friedrich, 51. 18. 393. Gueterbock, Karl, 239. 240. 398. Guizot, Francois Pierre Guillaume,282. Gumppenberg, Freiherr von, 197. Gundling, Nikolaus Hieronymus, 260. 61. Guttenberg, 26. Guyet, Karl Julius, 87. 36-37. 80. 214. Habernikkel, Eberhard, 8. 94. Haelschner, Hugo Philipp Egmont 649—650. 651. 652. 677. 679. 687—690. 700. 711. 713. 279.

297—299. Haelschner, Justizrat, der Vater, 297. Haenel, Albert, 541. 349. 405. Haenel, Gustav Friedrich, 52. 301. 481-482. 483. 570. 778. 5. 134. 212—213. 258. Haensel, Heinrich Friedrich, 18. 265. Haering,Wilhelm (Willibald Alexis),769. Haeusser, Ludwig, 416. Hagemann, Theodor, 66. 27. 74. Hagemeister, Emanuel Friedrich, 142. Hahn, Franz von, 275. Hahn, Friedrich von, 634, 636—637. 656. 699. 744. 275. 319. 397.

Namenregister.

Haidlen, O., 359. Haller, Karl Ludwig van, 63. 348. 400. 409. 658. 26. 114. 190. Haloander, Gregorius, 393. Hamann, Johann Georg, 147. Hanf, F. I., 47. Hans Jörgen, Prinz von Dessau, 2. Hanssen, Georg, 377. Harburger, Heinrich, 300. Hardenberg, Karl August Fürst von 165. 166. 167. 175. 354. 968. 34. Harras, Philipp Ritter von Harrasowsky, 925. 402. Hartmann, Geh. Obertribunalsrat 172. Hartmann, Gustav, 852—853. 358. Hartmann, Otto Ernst, 359. 360. Hasenoehrl, Viktor, 377. Hasner, Leopold von, 384, 399. Hasse, Johann Christian, 183. 289— 291. 292. 307. 328. 336. 363. 376. 441. 476. 552. 118-119. 120.121. 129. 138. 148. 170. Hassenpflug, Hans Daniel Ludwig Friedrich, 442. 151. 276. Haubold, Christian Gottlieb, 19. 49— 56. 57. 61. 63. 65. 300. 482. 6. 8. 15—18. 19. 22. 23. 25. 32. 41. 52. 104. 134. 193. 212. 217. 393. Haupt, Moritz, 320. 519. 868. 354. 377. Hauschild, Johann Leonhard, 309. Hauser, Kaspar, 134. 66. Hebbel, Friedrich, 399. Heck, Philipp, 232. 357. Heeren, Arnold Hermann Ludwig, 179. 2. 88. 217. Hefele, Karl Joseph von, Bischof von Rothenburg, 255. Heffter, August Wilhelm, 298—300. 314. 392 393. 438. 487. 521. 561. 650-652. 667. 677. 682. 979. 117. 132-134. 137. 144. 186. 197. 217. 222. 279. 293. 294. 414. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 24. 183. 213. 216. 217. 251. 306. 312. 336. 337. 338. 342. 344-375, bes.

991

345-354. 383. 384. 385. 386. 392. 434. 438. 440. 441. 443. 444. 446. 452. 454. 456. 457. 477. 492. 527. 551. 587. 588. 589. 590. 591. 594. 595. 596. 617. 618. 636. 648. 649. 650. 651. 652. 653. 654. 655. 657. 668. 669. 670. 671. 672. 673. 674. 675. 676. 677. 678. 679. 680. 681. 683. 684. 685. 686. 687. 689. 690. 691. 692. 700. 702. 709. 713. 714. 718. 719. 720 721. 724. 725. 727. 728. 729. 744. 751. 752. 753. 792. 795. 802. 803. 809. 815. 820. 848. 866. 870. 918. 923. 954. 974. 2. 76. 102. 144. 147. 155. 156. 162.163— 175, bes. 163-166. 186.190. 202. 204. 205. 278. 280. 281. 289. 290. 291. 292. 293. 296. 297. 298. 308. 314. 321. 324. 339. 346. 352. 366. 384. 388. Hegel, Karl, 541—542. 760. 169. 210. 237. Heimbach, Gustav Ernst, 301. 482— 483. 214-215. Heimbach, Karl Wilhelm Ernst, 301. ? 482-483. 484. 16. 36. 134. 214— 215. 216. 269—270. Heine, Heinrich, 166. Heineccius, Johann Gottlieb, 1. 7. ~ 12. 25. 46. 49. 53. 70. 106. 279. 768. 3. 17. 19. 56. 177. Heinrich II., König von England, 135. Heinsheimer, Max, 394. Heinze, Karl Friedrich Rudolf, 693. 697. 714. 302-303. 309. Heise, Georg Arnold, 72. 85. 86. 88— 98. 110. 162.195. 224. 312. 386. 414. 525. 543.592. 627. 633. 35. 36. 37—46. 78. 124. 127. 129. 159. 213. 261.273. 356. Heise, Johann Arnold, 39. Held, Adolf, 346. Held, Gustav Friedrich, 919. 385. 392. Held, Joseph von, 826. 346—347. Heldberg, Christian Eduard, 206.

992

Namenregister.

Helferi, Josef, 182. 90-91. Helfert, Josef Al. Freiherr von (der Sohn), 91. Hellfeld, Johann August, 53. 72. 379. 19. 178. Helmholtz, Hermann Ludwig Ferdinand von, 191. Henke, Ernst Ludwig Theodor, 14. 324. Henke, Hermann.Wilhelm Eduard, 150. 383-384. 521. 155. 181. 235. Henning, Leopold Dorotheus, 171. Henrici, Georg Heinrich, 384. 181—

182. Hepp, Ferdinand Karl Theodor, 386. 182—183. 291. tzerbart, Johann Friedrich, 657. 690— 692. 954. 962. 122. 300. Herbst, Eduard, 705. 706. 307. Herder, Johann Gottfried, 46. 213. 102. 412. Hergenhahn, Th., 274. Hergenrother, Joseph, Kardinal, 255. Hermann, Johann Gottfried Jakob, 61. 482. 23. 25. 217. Hermes, Georg, 183. 184. 185. 92. 178. Herrmann, Emil, 295. 586. 21. 240. 253. 259. 372, Hesse, Ehr. August, 804. 342. Heumann, Hermann Gottlieb, 368. Heusler, Andreas, 322. 908. 915— 916. 326. Heusler, Andreas, jun., 115. Heydemann, Ludwig Eduard, 241.

268-269 Heyne, Christian Gottlob, 9. 11. 179. 2. 3. 5. 88. 111. 142. Heyse, Paul, 362. Hildebrand, R., 231. Hildenbrand, Karl, 250—251. Himmelstoß, Lorenz, 75. Hinrichs, Hermann Friedrich Wilhelm,

280—281. Hinschius, Paul, 575. 583. 584—585. 612. 946. 258—259.

Hirsch, Theodor, 394. Hirschfeld, Otto, 364. 365. Hitzig, H. F., 369. Hitzig, Julius Eduard, 338. 159. 160. Hocheder, Karl, 305. Höfling, Johann Wilhelm Friedrich, 457. 175. 205. Höpfner, Ludwig Julius Friedrich, 9. 10. 70. 72. 4. 120. Hofacker, Karl Christoph, 8. 85. 94. 77. Hofer, Andreas, 414. Hoffmann, E. Th. A., 159. Hofmann, Franz, 493, 925. 365. 386. Hollweg, Johann Jakob, später Bethmann-H., 129. Hollweg,Moritz August, s. Bethmann-H. Holtzendorff, Franz Freiherr von, der Vater, 309. 310. Holtzendorff, Franz Freiherr von, 667. 691. 695. 697. 709. 714—718. 301. 309-311. 408. Holzschuher, Rudolf Siegmund Frei­ herr von, 601—602. 858. 264. 351. Homeyer, Johann Friedrich, 141. Homeyer, Karl Gustav, 311—315. 318. 362. 366. 473, 521, 525—530. 538. 559. 561. 902. 908, 916. 927. 115. 141—143. 229. 231. 232. 236. 352. 355. 377. 379. 388. Homeyer, Leopoldine, verehel. Barkow, 104. Hontheim, Joh. Nikolaus von (Febronius), 582. 257. Hommel, Karl Ferdinand, 25. 49. 15. Hormayr, Josef Freiherr von, 181. Hornemann, Johann Gotthilf, 16. Horten, Bernhard, 409—410. Hotho, Heinrich Gustav, 365. Hottinger, Johann Jakob, 244. Howard, John, 311. Hudtwalker, Martin Hieronymus, 159. Huebner, Rudolf, 517. 115. Hueffer, Hermann, 258. Huellmann, Karl Dietrich, 145.

Namenregister.

Hufeland, Gottlieb, 88. 115. 188. 264. 265. 113. 142. Hufnagel, Karl Friedrich von, 305. Hugo, Alexander, 12. Hugo, Gustav, 1—48. 50. 51. 52. 53. 61. 62. 65. 70. 72. 73. 74. 75. 77. 103. 111. 144. 147. 155. 156. 157. 159. 178. 183. 187. 189. 191. 192. 193. 194. 195. 200. 205. 207. 209. 210. 211. 212. 219. 224. 225. 230. 250. 251. 252. 261. 273. 276. 291. 300. 307. 312. 318. 324. 328. 331. 332. 335. 351. 360. 378. 439. 441. 454. 477. 479. 498. 588. 602. 614. 652. 656. 711. 735. 762. 796. 802. 824. 847. 884. 981 98. 99. 104. 109. 111. 119. 121. 122. 124. 125. 127. 129. 142. 144. 151. 168. 174. 185. 213. 217. 218. 221. 251. 261. 283. 303. 317. 321. 323. 350. 410. 413. Hugo, Johann Michael, 1, 2, 31, 1. Humboldt, Alexander von, 369. 667. 108. Humboldt, Wilhelm von, 198. 213. 348. 457. 102. Hume, David, 101. 105. Hupfeld, Hermann Christian Karl Fried­ rich, 152. ' Huschke, Philipp Eduard, 293. 489—

492. 809. 218—219. Hutten, Ulrich von, 478. 211. Hye, Anton, später Ritter von Glumeck, 703-705. 955. 958. 266. 301. 305—306. 384. 400.

Jacobson,

Heinrich

252-253.

Friedrich,

575.

993

Jakobs, Emil, 364. 371. Jamnitzer, Wenzel, 234. Jarcke, Karl Ernst, 164. 337 - 340. 389. 409. 577. 147. 158—160. 170. 175. 292. Jaup, Karl Heinrich, 50. Jckstatt, Johann Adam, 150. Jellinek, Georg, 828. 407. Jenull, Sebastian, 608. 955. 266. Jeröme, König von Westalen, 2. 82. Jhering, Georg Albrecht, 788. Jhering, Kaspar Rudolf, später von, 460. 493. 521. 589. 641. 710. 713. 729. 731 744. 745. 747. 749. 751. 753. 756. 760. 763. 765. 771. 778-825. 829. 834. 835. 837. 839. 842. 844. 849. 851. 852. 853. 856. 858. 860. 862. 863. 864. 869. 870. 877. 884. 906. 916. 923. 932. 946. 949. 954. 978. 980. 205. 214. 223. 260. 261. 269. 277. 283. 293. 308. 313. 315. 316. 325. 330. 333. 334-346. 347. 349. 351. 355. 357. 361. 362. 396. 404. Jhering, Sebastian Eberhard, 788. Jmmermann, Karl Leberecht, 362. Johann, Erzherzog, Reichsverweser, 179. John, Richard Eduard, 706—709, 715. 307—308. 309. Johow, Reinhold, 612. Jolly, Julius August Isaak, 376— 377. 396. Jolly, Philipp, 362. Jordan, Sylvester, 393—395 151. 152. 187—188. Jouffroy, Henry, 114. Jrnerius, 301. 331. Isidor v. Sevilla, 652. Jugler, Heinrich, 411. Jugler, Johann Friedrich, 411. Julianus, Salvius, 884. 367. Julius, Nikolaus Heinrich, 718.

Jaffe, Philipp, 329. Jagemann, Ludwig Hugo Franz von, 695. 715. 301. 305. 311. Jahn, Otto, 320. 507, (nebst Vater Ivo von Chartres, 250. und Großvater). 868. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Register.

994

Namenregister.

Kaestner, Abraham Gotthelf, 111. Kahl, Wilhelm, 586. 253. Kaltenborn, Karl Baron von Stachau, 653-654. 655. 10. 280—281. 320. Kamptz, Karl Christoph Albert Heinrich von, 399. 109. 145—147. Kant, Immanuel, 4. 21. 24. 26. 32— 41. 46. 47. 48. 62. 73. 96. 101. 102. 108. 109.111. 112. 113. 115. 117. 120. 121.122. 142. 151. 152. 173. 176. 184.213. 214. 215. 249. 252. 264. 319.348. 349. 383. 395. 441. 454. 457.668. 673. 675. 676. 700. 713. 714. 796. 818. 879. 12. 13. 14. 26. 31. 34. 38. 39. 56. 61. 62. 75. 76. 96. 97. 102. 103. 113. 241. 282 297. 320. 321. Kantorowicz, Hermann U., 331. 367. 368. Karl der Große, 144. 237. Karl VI., Deutscher Kaiser, 412. Karl, Erbprinz von Baden, 166. Karl Alexander, Markgraf von Ans­ bach-Bayreuth, 165. Karl August, Großherzog von SachsenWeimar, 193. Karl Friedrich, Großherzog von Baden, 84.166. Karlowa, Otto, 882. 883. 885—886. 369. 372. Karsten, Karl, 333. Katharina II., Kaiserin von Rußland, 165. Keller, Friedrich Ludwig, 466—471. 492. 552. 553. 554. 557. 558, 559. 561. 584. 732. 801. 875. 118. 177. 208-209. 244. 258. 329. 368. 394. Kemble, John Mitchell, 904. Ketteler, Wilhelm Emmanuel Frhr. von, Bischof von Mainz, 249. Kierulff, Johann Friedrich Martin, 344, 507. 588, 59L 592-597 630. 632. 633. 637. 648. 708. 736. 749. 763. 796. 836. 171. 260. 261. 273. 283. 323.

Kießling, Adolf, 367. Kind, Christian Heinrich, 16. Kindervater, E., 336. Kindlinger, Nikolaus (Ordensname: Venantius), 66. 68—69. 309. 29. Kipp, Theodor, 364. Kirchberg, Heinrich von, 771. 330. Kirchenheim, Arthur von, 408. Kirchhoff, Gustav Robert, 356. Kirchmann, Julius Hermann ton,

737-743. 317-319. Klein, Ernst Ferdinand, 59. 72. 167. 287. Kleinschrod, Gallus Aloysius Kaspar, 124. 125. 415. 59. 63. Klenkock, Johannes, 529. Klenze, Klemens August Karl, 58. 293. 480. 20. 123. 248. 303. 304. Kliefo1h,TheodorFriedrichDethlef, 375. Klien, Karl, 141. 70. Klopstock, Friedrich Gottlieb 57. Klostermann, Eduard Hermann Rudolf, 934. 390. 391. Klueber, Friedrich Adolf, 174. 87. Klueber, Johannes, der Vater. 165. Klueber, Johann Ludwig, 62. 85. 138. 165—178. 256. 393. 397. 400. 409. 414. 415. 547. 648. 68. 81. 82. 84-87. 113. Knapp, Ludwig, 318. 413. Knebel, Karl Ludwig von, 84. Knies, Karl, 762. Koch, Christian Friedrich, 609. 610— 612. 929. 930. 933. 267. 287. Koch, Johann Christoph, 9. 10. 4. 74. 410. Koenigsberger, Leo, 356. Koeppe, A., 169. Koeppen, Karl Friedrich Albert, 495.

804- 342-343. Koestlin, Christian Reinhold, auch unter dem Pseudonym C. Reinhold, 386. 672 - 680. 681. 682. 684. 687. 688. 689. 697. 201. 286. 290-293. 295. 305.

Namenregister. Koestlin, Nathanael, 290. 291. Kohler, Josef, 314. 376. 390. 391. Koldenrup-Rosenwinge, I. L. A., 312. 503. Konopack, Christian Gottlieb, 415. 198. Konradin (von Hohenstaufen) 375. Kopp, Johann Adam, 140. Kopp, Karl Philipp, 309. 140. Kopp, Ulrich Friedrich, 309. 140. Kotzebue, August von, 160. Krall, Karl, 400. Krause, Karl Christian Friedrich, 655. 657. 715. 744. 748. 281. 321. Krause, Viktor, 901. Kraut, Wilhelm Theodor, 523. 524— 525. 211. 230. 231. Kreittmayr, Aloys Xaver Wigulaeus Frhr. von, 100. 410. Kriege!, Karl Albert, 61. 549. 23—24. 240. 259. 2Q5. Kriegel, Karl Moritz, 61. 549. 23—24. 240. 259. Kroll, Wilhelm, 881. 882. Krueger, Paul, 490. 873. 874. 880— 882. 886 205. 367. 368. 360—370. Krug, August Otto, 693—694. 695. 696. 699. 300. 303. Krug, Wilhelm Traugott, 185. 93. Kudler, Joseph, 718. 266. 306. Kuebel, Franz Friedrich Philipp von,

392. Kuebler, Bernhard Gustav Adolf, 364. 365. 371. Kuehne, W., 356. Kuehns, Ferdinand Julius, 232. Kuempel, Friedrich Christian, 607. Kunst, Friedrich Heinrich, 250. Kunstmann, Friedrich, 250. 251. Kuntze, Johannes Emil, 621, 634. 744. 745. 746. 749. 835. 839-842. 895. 319. 320. 321. 323. 340. 351-352. Laband, Paul, 632. 833. 899. 977— - 978. 274. 326, 348. 349. 378. 395. 405. 407.

995

Labeo, M. Antistius, 883. 884. 371. Laboulaye, Paul, 532. Lachmann, Karl, 463. 481. 519. 531. 118. 123. 141. 143. 207. 212. Lafarge, 186. Lafitte, Bankhaus, 109. Lagus, Konrad, 771. Lammasch, Heinrich, 402. 408. Lampignano, Ubertus von, 11. Lancizolle, Karl Wilhelm von Deleuze de, 315—317. 318. 128.144-145. 146. 147. 150. 248. 352. Landucci, Lando, 55. Langenn, Fr. A. von, 56. Lappenberg, Johann Martin, 519. 537. 235. Lasaulx, Peter Ernst von, 254. Laspeyres, Ernst Adolf Theodor, 328. 330—331 150—151. 269. 334. Lassalle, Ferdinand, 344. 718. 728— 731. 809. 819. 314—315. 338. 344. Lassaulx, Franz von, 47—48. Lahberg, Friedrich Leonhard Anton Freiherr von, 530—531 533.232—

233. Lahberg, Joseph Maria Christoph Freiherr von, 530. 531. 233. Lasson, Adolf, 345. Lästig, Gustav, 397. Lehmann, Karl, 534. 235. Leibniz, Gottfried Wilhelm, 11. 156. 309. 853. 4. 84. 236. Leist, Burkhard Wilhelm, 745. 747. 825. 835—839. 906. 980. 178. 313. 316. 342. 343. 350-351. 356. Leist, Justus Christoph, 81—82. Lenel, Otto, 882. 354. 363. Lenz, Gustav Wilhelm, 744. 748—750. 794. 322—323. 327. 339. Lenz, Max, 322. Leo, Heinrich, 282. 316. 541. 144. 145. Leonhard, Rudolf, 361. Leonhardi, Hermann Karl, Freiherr von, 281.

996

Namenregister.

Leonhardt, Gerhard Adolf Wilhelm, 698. 700—702. 953. 303—304. Leopold II., Deutscher Kaiser, 165. Leopold, Großherzog von Baden, 35. Leopold Friedrich Franz, Fürst von Dessau, 2. Leopold Friedrich, Herzog von AnhaltDessau, 263. Lessing, Gotthold Ephraim 471. Leue, Friedrich Gottfried, 172, 201. Lewald, Fanny, 286. Lewis, William, 209, 396. Lichtenberg, Freiherr von, Hessischer Staatsminister, 70. Liebe, Friedrich August Gottlob, später von Liebe, 622. 623—625. 629. 634. 639. 642. 841. 942. 271. Lieber, Franz, 667—668. 717. 199. 243. 289. Liebig, Justus von, 362. Liesegang, Erich, 247. Lilienthal, Karl von, 308. 310. Linck, Anton Arnold von, 175. Linde, Justin Timotheus Balthasar, später Freiherr von, 165. 380—382. 392. 429. 547. 564.157.178—179. 180. 197. Lindelof, Friedrich von, später Frei­ herr von, 393. 187. Lindenbrog, Friedrich, 309. Lintz, Heinrich, 280. Lipowsky, Felix Joseph, 155. Lippold, A. 394. List, Friedrich, 519. 762. 229. Liszt, Franz Eduard von, 709. 714. 963. 310. Litten, Fritz, 177. Lobethan, Friedrich Georg August 94. Loeher, Franz, 269. Loehr, Egid Valentin Johann Felix Nepomuk Ferdinand von, 291. 292. 71. 121—122. Loening, Edgar, 585—586. 978. 242. 259. 406. Loening, Richard, 241. 297. 398. 406.

Loersch, Konrad Hugo Hubert, 898. 377-378. Lomenie, Louis de, 362. 166. Lornsen, Jens Uwe, 507. 226. Lotmar, Philipp, 844. 845. 846. 345. 354. Luca de, Johannes Bapttsta, 491. Luden, Heinrich, 391—392. 668. 677. 185. 186. Ludewig, Johann Peter von, 260.318. Ludwig IV., Deutscher Kaiser, 889. 220. 240. 379. Ludwig I., König von Bayern, 131. 499. 64. 83. Ludwig XIV., K. v. Frankreich 91. Luther, Martin, 26.

Maaßen, Friedrich, 580—581. 789. 256. 330. Machiavelli, Nicolo, 26. 409. Mackeldey, Ferdinand, 380. 399.120— 121. 125. 155. Madai, Karl Otto von, 177. 245. 328. Madihn, Ludwig Gottfried, 85. 94. 6. 111. Maffei, Scipio, 52. 16. Mayer, Oberlandesgerichtspräsident zu Kassel, 355. Mai, Angelo, 52. 25. Maier, Christian Johann C., 61. 22—23. Majer, Johann Christian, 400. Malblanc, Julius Friedrich, 370. 77. 411. Maleville, Jacques, 47. 77. Mandry, Gustav, später von, 854. 359. Map, Walter, 256. Marberger, Paul Jakob, 45. Marez oll, Gustav Ludwig Theodor, 493. 677. 71. 221. 302. 351. 393. Marheineke, Philipp Konrad, 365. 369. 375. Marquardsen, Heinrich (später von), 979. 149. 198. 289. 406—407.

Namenregister.

997

Marquardt, Joachim, 394. Mejer, Wilhelm, 125. Marquardt, Johann, 44—45. Meiern, Johann Gottfried von, 172. Marlens, Friedrich von, 407. 411. Meister, Alois, 232. Marlens, Georg Friedrich, 18. 88. 93. Meister, Georg Jakob Friedrich, 18. 94. 403. 620. 621. 37. 87. 411. 312. 176. Martin, Adolf, 79. 81. Meister, Johann Chr. Friedrichs 111. Martin, Christoph Reinhard Dietrich, Melanchthon, Philipp, 26. 772. 85. 86. 88. 89. 160—165. 340. 380. Merkel, Adolf Josef Matthäus, 709— 381. 384. 389. 414. 564. 36. 37. 714. 715. 819. 821. 840. 308—309 345. 40. 42. 63. 78-81. 122. 124. 132. 160. 197. Merkel, Johann Baptist, 308. Martin, Eduard Arnold, 80. Merkel, Paul Johannes, 217. 475. Martin, Gustav Adolf, 79. 80. 396. 533-536. 886. 888. 900. 927.233— 235. 317. 372. 375. 378. Martin, Theodor, 79. Martitz, Ferdinand von, 897. 340. 405. Merlin, Philipp Anton Graf M. de Douai, 49. Mascov, Johann Jakob, 318. Masse, G-, 55. Metternich, Clemens Wenzel Nepomuk Matteis, Vicenzo de, 55. | Lothar, Fürst von M.-Winneburg, 412. Matthiae, Friedrich Christian, 129. Mevius, David, 500. 44. 104. Maurenbrecher, Romeo, 326. 393. Meydieu, Francois, 337. 398—401. 455. 658. 826. 831. 149. 154. 172. 189. Meyer, Domkapitular, 68. Meyer, Dr. E., 166. Maurer, Georg Ludwig (später von M.)., 302. 308—311. 507. 531— Meyer, Georg, 978—979. 405. 406. Meyer, Hugo, 715. 310. 532 642—543. 561. 902. 135. 138. 139—141. 217. 354. 380. Michaelis, Adolf, 149. Maurer, Konrad von, 319. 504. 505. Michaelis, Johann David, 386. 902-908. 909. 910. 926. 980. 140. Michelet, Karl Ludwig, 365. 681. 170. 291. 292. 313. 352. 380—382. Michelsen, Andreas Ludwig Jakob, 381. Maximilian, deutscher Kaiser, 466. Michl, Anton, 181. Maximilian, Kronprinz von Bayern, Milhauser, F., 195. später König Maximilian II. von Mill, John Stuart, 461. Bayern, 106. 237. Mitteis, Ludwig, 793, 794. 368. Max Josef L, König von Bayern, Mittermaier, Franz, 396. 127. 135. 149. 67. Mittermaier, Karl Joseph Anton, 87. Mayer, Otto, 407. 88. 110. 150. 302. 336. 381. 383. Mayr, Aurel von, 314. 394. 413—437. 501. 502. 512. 519. Mayr, Philipp Josef, 89. 520. 521. 522. 527. 603. 625. 667. Meibom, Victor Reinhard Karl Fried­ 677. 717. 778. 942. 949. 62. 63. rich von, 926-927. 936. 330. 387. 64. 67. 74. 81. 131. 135. 138. 156. 388. 157. 159. 180. 186. 196—201. Meier, Moritz Hermann Eduard, 487. 227. 233. 240. 281. 286. 289. 292. 133. 304. 334. 387. 394. 396. 406. 413. Mejer, Otto Alexander Georg, 34. Moddermann, W., 333. 581-582. 586. 227. 256—257.

998

Namenregister.

Moehler, Johann Adam, 254. Moeser, Justus, 46. 68. 69.261.312. 336. 9. Mohl, Anna von, verehelichte Helm­ holtz, 191. Mohl, Benjamin Ferdinand von, 402. 191. Mohl, Hugo von, 191. Mohl, Julius von, 191. Mohl, Louise, Ehefrau v. Mohl, geb. Antenrieth 402. Mohl, Moritz von, 191. Mohl, Robert von, 62. 388. 393. 401— 411. 415. 418. 424. 547. 553. 631. 648. 659. 665. 666. 725. 832. 85. 112. 148. 179. 185. 188.191—194. 224. 282. 284. Moltke, Graf Adam, 499. Mommsen, Friedrich, 493. 495. 844.

220. Mommsen, Theodor, 61. 320. 463. 465. 487. 488. 489. 490. 493. 755. 796. 848. 850. 866^879. 880. 881. 882. 883. 885. 886. 906. 931. 941. 980. 22. 23. 24. 207.217.313. 329. 330. 357. 304—369. 371. 390. Montag, Eugen, Abt, 69. 29. Montaigne, Michel de, 24. 10. Montesquieu, 4. 115. 345. 359. Montez, Lola, 254. Montgelas, Max Joseph Graf von, 131. 149. 153. 154. 155. Mörstadt, Karl Eduard, 174. 415. 42. 80. 182. 197. 198. 274. Mortreuil, Jean Ans. Bern., 485. 216. Moser, Friedrich Karl von, 401. 409. Moser, Johann Jakob, 110. 165. 177. 401. 402. 403. 405. 409. 660. 411. Moy, Karl Kraft Ernst Freiherr von M. de Sons, 665-666. 255. 288. Muehlenbruch, Christian Friedrich (Si­ mon), 329. 355. 375-380. 438. 439. 752. 167. 176-177. 247. 303. 324.

Mueller, Adam, 26. 102. Mueller, Johannes, 69. 336. Mueller, K. L. Matthias, 47. Mueller, Karl Ottfried, 658. 12. 350. 413. Muenchen, Nikolaus, 253. Muenchhausen, Gerlach Adolf Freiherr von, 4. 26. Muncke, G. A., 56. Muther, Theodor, 569. 747. 753. 766. 770—772. 848. 854. 855. 329—

330. Napoleon I., Kaiser, 131. 149. 171. 212. 49. 88. 102. Neander, August, 183. Nebenius, Karl Friedrich, 762. 395. Nekludoff, 299. Nettelbladt, Daniel', 25. 43. 70. 95. 191. 194. 4. 32. 38. 96. 120. Neumann, Karl, 560. Neumann, Max, 328. Neuner, Georg Karl, 340. 341. Neurath, Johann Friedr. Alb, Wilh. Const. von, 187. Neustetel, Leopold Joseph, 127. Nibler, Johann. Baptist, 76. . Niebuhr, Barlhold .Georg, 52. 83. 198. 210. 211. 219. 222. 224. 226. 286. 290. 336. 441. 489. 499. 552. 588. 667. 786. 875. 968. 12. 16. 98. 100. 117. 129. 133. 157. 174. 196. 210. 218. 260. 368. Nietzsche, Friedrich August, 314—315 525. 566. 143—144 222. Nippel, Franz Xaver I. F., 265. Nöldeke, Theodor, 369. Oertmann, Paul, 363, Oetker, Friedrich, 400. Oesterley, Georg Heinrich, 98. Oken, Lorenz, 152. 492. Oldenberg, Hermann, 369. Ompteda, Dietrich Heinrich, Lud'wig von, 146

Namenregister.

Oppenheim, Heinrich Bernhard, 652— 653 279. Oppenhoff, Friedrich Christian, 697— 700. 701. 303. Oppenhoff, Theodor Franz, 303. Ortloff, Friedrich, 36. 214. 230. 308. Oriloff, Hermann, 230. 308—309. Ortolan, M. 684. 295. Osenbrüggen, Eduard, 548—551 706. 866. 24- 197. 239—240. 241. 293. Osterloh, Ernst Robert, 953. 249. Ott, Emil, 333. Otto, König von Griechenland, 176. 84. 139. 217. Otto, Karl Eduard, 17. 18. 264. Padelletti, Guido, 910. Paetz, Karl Wilhelm, 85.165.178—180. 328. 330. 81. 88. Palm, Johann Philipp, 264. Pape, Eduard, 396. Papinianus, 367. 371. Pappenheim, Max, 395. 397. Pappus, Leonhard, 222. Pardessus, Jean Marie, 654. 235. 236. 272. Pascal, Blaise, 26. Pauli, Karl Wilhelm, 91. 41 227. Paulus, Julius, 823. 884. Pellat, 221. Pernice, Lothar Anton Alfred, 882. 883—885.126 356. 360< 369. 371— 372. Pernice, Ludwig Wilhelm Anton, 393. 17. 125—126. 371. 387. Pernice- Viktor Anton Herbert, 126. Perthes, Clemens Theodor, 411—413. 196. 298. Perthes, Friedrich Christoph, 412. 108. 196. Pertz, Georg Heinrich, 181. 519. 532. 533. 900. 901. 118. 143. 378. 379. Peschel, Oskar Ferdinand, 725. Petrarca, 26.

999

Peyron, Amadeus, 25. Pfaff, Ivo, 386. Pfaff, Leopold, 493. 925. Pfeiffer, Burkhard Wilhelm, 98. 33— 34. Pfeiffer, Franz Georg, 34. Pfister, Erwin Johann Josef, 195. Pfizer, Paul Achatius, 393. 395-396. 540. 188. Pflueger, Heinrich Hackfeld, 326. 327. Pfordten, Ludwig Karl Heinrich Frhr. von der, 520. 521. 868. 220. 351. 393. Pfoienhauer, Ernst Friedrich, 52. Pfyffer, Kasimir, 209. Philippi, Eduard, 365. Phillips, George, 303. 311. 334. 543— 545.576—579. 584.135.238. 254— 25 6 304. 373. Phillips, James, 254. Photius, 255. Pillius, 131. Piloty, Robert, 407. Pinder, Gottlieb Ernst, 172. Planck, Gottlieb, 246. Planck, Gottlieb Jakob, 246. Planck, Johann Julius Wilhelm, 564-568. 663. 756. 845. 906.- 227. 231. 246—248.387. Platner, Eduard, 487. 134. 217. Platner, Ernst, 25. 217. Poehls, Meno, 272. 281. . Poelitz, Karl Heinrich Ludwig, 278. Poeschmann, Karl Magnus, 392. Poezl, Josef von, 495. 558. 666. 281. 288—289. 320. 354. : Polignani, 221. Posse, Adolf Felix Heinrich, 400. 190. Post, Albert Hermann, 725. 313— 314. Pothier, Robert Josef, 106. Pratobevera, Karl Joseph, später Frhr. von Wiesborn, 181. 608.265-^-266. 399. Preußer, A. F. W., 263.

1000 Puchelt, Ernst Sigismund,

Namenregister. 936. 55.

305. 391—392. 394. Puchta, Georg Friedrich, 27. 216. 217. 233. 234. 247.276. 291. 294. 306. 346. 355. 363.367. 368. 375. 392. 439—461. 465. 493. 494. 506. 507. 516. 522. 523.568. 586. 595. 596. 603. 630. 634.650. 728. 733. 744. 755. 766. 778.781. 782. 783. 784. 786. 790. 791.799. 801. 802. 803. 808. 809. 811.815. 820. 822. 823. 824. 829. 850.858. 860. 877. 954. 5. 103. 119. 125. 168. 170. 175. 190. 202—206. 226. 228. 248. 249. 304. 333. 338. 344. 347. 352. 355. 357. 368. 412. Puchta, Wolfgang Heinrich 439—440.

202. Puetter, Johann Stephan, 2. 3. 4. 5. 8. 9. 18. 29. 32. 88. 94. 144. 147. 161. 165. 177. 207. 209. 210. 254. 260. 261. 324. 375. 382. 401. 409. 2. 27. 28. 32. 37. 38. 82. 86. 112. 278. 285. Puetter, Karl Theodor, 648—649. 650.

278-279. Puettmann, Josias Ludwig Ernst, 50. Pufendorf, Friedrich Esaias von, 66. Pusendorf, Samuel, 41. 409. Puggö, Eduard, 291. 119. Radowitz, Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm von, 509. 158. Raffael Sanzio, 884. Ramus, Petrus, 26. Randa, Anton, 386. Ranke, Leopold von 318, 519. 537. 538. 760. 875. 108. 145. 237. 244. 248. 323. 327. 355. Rassow, Friedrich, 323. Ratjen, Heinrich, 19. 20. 21. Rau, Frideric Charles, 55. Raumer, Friedrich von, 181. 10. 145. 168. 169. Reatz, Karl Friedrich, 397.

Recamier, Jeanne Francoise Julie Adelaide Bernard, 365. Reccared I., 534. Recke, Elise von der, 137. 67. Regelsberger, Ferdinand, 853. 956.

358. Regino, vom Prüm, 250. Rehberg, August Wilhelm, 78. 79. 80. 202. 6. 32.

Reibnitz, Ernst Wilhelm Freiherr von, 370. 455. 170-171. Reifferscheid, August, 367. Reinhard, Franz Volkmar, 278. Reinhardt, Karl Friedrich, 179. Reinhold, C., Pseudonym für Koestlin, Ch. R., s. diesen. Reinhold, Karl Leonhard, 38. 6. Rettemeier, Johann Friedrich, 7. 8. 16. 56. 8. 111. Reitz, Wilhelm Otto, 51. Reitzenstein, Siegmund Karl Freiherr von, 84. 35. 36. Remedius von Chur, 250. Remus, Georg, 290. Renaud, Achilles, 403. 634-635. 953.. 249. 273—275. 383. 397. Reyscher, August Ludwig, 501—503. 506. 507. 515. 519. 521. 522. 612. 659. 695. 192. 223—225. 226. 228. 229. 232. 233. 284. Ribbentrop, Georg Julius, 441. 492. 207. 219. Ricardus Pisanus, 773. Richter, Aemilus Ludwig, 272. 334. 373. 455. 457. 570—576. 579. 581. 582. 583. 584. 585. 175 205. 251—253. 255. 258. 360. 377. 406. Richthofen, Karl Otto Johannes Theresius Freiherr von, 508. 536— 537. 902. 112. 113. 285. 352. 377. 388.. Richthofen, Karl Freiherr von, der Sohn, 537. Riecke, Karl, 224. Riedel, Gabriel, 4-5.

Namenregister.

1001

Rietschel, Siegfried, 327. Ringseis, Nepomuk, 197. 109. 110. Risch, Karl, 304. Ritscht, Friedrich Wilhelm, 881. Ritter, Johann David, 51. Ritter, Karl, 129. 244. 248. Rive, Joseph Chr. Hermann, 47. Rivier, Alphonse, 717. 408. Rockinger, Ludwig, 902. 379—380. Rodbertus, Johann Karl, 318. Rode, August von, 2. Roeder, Karl David August, 655. 656—657. 744. 275. 282-283. Roemer, Robert, 936. 392. Roenne, Friedrich Ludwig von, der Ältere, 198.

| Roth, Paul Rudolf, 539. 542. 750. ' 800. 886-888. 889. 891. 897. 901. 910. 925—929. 932. 936-937. 972. 234. 235. 330. 372—373. 382. j 387—388. \ Rothe, Richard, 375. 457. 205. \ Rotleck, Karl von, 393. 396-397. 409. 555. 83. 124. 157. 188. Rousseau, Jean-Jacques, 26. 348. 401. Roziere, E de, 272. ' Rubino, Josef Karl Friedrich, 488— ' 489. 218. \ Rubo, Ernst Traugott, 294x 310.

Roenne, Ludwig Peter Moritz von, 664—665, 976. 977. 267. 286. 287. 405. Roehler, Emil Franz, 537-538.235— 236. Roethe, Gustav, 369. Rogerius, 52. Rogge, Karl August, 308. 309. 311. 388. 135. 138. 141. Rohmer, Friedrich, 553, 554, 555, 242. Roi, Georg August Wilhelm du, 84. 92. 34—35. Roi, Julius Georg Paul du, 35. Rolin-Jacquemyns, 717. Romagnosi, Johann Dominikus, 186. Roon, Albrecht Theodor Emil, Graf von, 411. 196. Roscher, Wilhelm, 762. 837. 334. Rosenkranz, Johann Karl Friedrich, 918. Roßbach, Johann Josef, 280. Roßhirt, Konrad Eugen Franz, 337. 340—344.389.570.120.160—163. Rossi, Pelegrino Graf, 295. Roth, Karl Johann Friedrich von, 442. 234. 372.

i 355. ' Rudorfs, August Friedrich, 206. ; Rudorfs, Christian, 207. : Rudorfs, Elise, geb. Heldberg, 206. Rudorfs, Friedrich Ludwig, 206. Ruehs, Friedrich, 311. 312. 141. 142. Rufinus, Magister, 256. Ruhnken, David, 51. Ruhstrat, E., 804. 220. 342. Runde, Christian Ludwig, 321. 519 148. 227. 229. Runde, Justus Friedrich, 18. 144. 147. 148. 161. 264. 382. Hl. 113. 148. Rupprecht von Freising, 531.

j Rudhart, Ignaz von, 83—84. \ Rudorfs, Adolf August Friedrich, 235. i 240. 306. 452. 460. 462—465 732. Roenne, Friedrich Ludwig von, der 740. 749. 750. 755. 810. 844. 927. 96. 137. 168. 169. 205. 206—207. Jüngere, Bruder des folgenden, 267. I \ 210. 212. 248. 319. 323. 352. 354. 287.

Saalbach, Druckerei, 50. Saatfeld, Jakob Christoph Friedrich, 87. Sachau, Eduard, 756. 839. 369. Sailer, Johann Michael, 197. 98. Saint-Andrö, Jean Bon, 28. Salis, Rudolf von, 210. Salkowski, Karl, 178. Salpius, Botho von, 396. Salvotti, Antonio, später Freiherr von, 197. 227. 920. 105.

1002

Namenregister.

Sammet, Johann Gottfried, 56. 19. 52. 411. Sand (oder Sandl) Gottfried Alexander Maria Robert von, 47. 48. Sand (oder Sandt), Johann Stephan von, 48. Sand, Karl Ludwig, 159. 160. Sanio, Friedrich Daniel, 137—138. 375. Sanierna, Petrus, 944. Sartori, Josef von, 73. Sartorius, Georg Friedrich Christoph, 142. Sarwey, A. von, 194. Saumaise, Claudius, 26. Sauppe, Hermann, 342. Savigny, Bettina, verehelichte Schinas, 196. 227. 104. 105. Savigny, Friedrich Karl von, 12. 27. 28. 29. 30. 32. 35. 45. 47. 50. 52. 54. 58. 62. 63. 65. 75. 76. 80. 82. 83. 84. 86. 87 . 88. 132. 133. 137. 150. 155. 156. 157. 158. 159. 177. 178. 179. 180. 183. 185-253. 254. 255. 256. 262. 263. 264. 266. 269. 273. 274. 275. 276. 277. 278. 282. 284. 285. 286. 287. 289. 292. 295. 296. 298. 302. 303. 306. 307. 309. 311. 312. 313. 315. 317. 318. 321. 322. 323. 324. 325. 328. 329. 330. 334. 335. 336. 337. 342. 343. 344— 348. 350. 351. 356. 363. 364. 365. 367. 368. 371. 376. 377. 378. 392. 394. 398. 413. 414. 434. 437. 438. 439. 441. 442. 445. 447. 448. 449. 450: 453. 455. 456. 458. 459. 460. 461. 462. 463. 467. 473. 474, 477. 481. 484. 492. 495. 496. 503. 506. 512. 513. 524. 529. 530. 532. 535. 536. 537. 539. 541. 552. 556. 560. 565. 576. 581. 595. 602. 608, 609. 610. 611. 630. 634. 649. 719. 732. 736. 740. 747. 749. 752. 753. 758. 761. 762. 764. 765. 766. 767. 768. 772. 786. 790. 791. 794. 801. 802.

805. 815. 820. 822. 824, 841. 844. 848. 850. 851. 870. 884. 885, 916. 918. 920. 923. 973. 6. 7. 8. 11. 13. 16. 19. 20. 26. 32. 33. 35. 37. 38. 41. 51. 61. 65. 67. 68. 72. 79. 84. 88. 94-110. 112. 114. 117. 119. 122. 123. 125. 127. 129. 130. 134. 135. 136. 137. 139. 141. 142. 145. 146. 147. 155. 162. 164. 165. 167. 168. 169. 170. 171. 173. 174. 175. 177. 196. 203. 207. 208. 210. 214. 218. 222. 225. 226. 228. 229. 234. 235. 244. 248., 254. 256. 268. 273. 289. 293. 298. 303. 304. 308. 316. 323. 325. 327, 333. 336. 338. 351. 354. 356. 361. 364. 368. 388. 396. 402. 404. 406. 412. 413. Savigny, Ehefrau Henriette Philippine, geb. Groos, 95. Savigny, Karl Christian Ludwig von, 95. Savigny, Karl Friedrich von, 240. Savigny, von, Ehefrau Kunigunde, geb. Brentano, 189. 212. 240. Savigny, Ludwig von, 95. Savigny, Ludwig Johann von, 94. 95. Scaccia, Sigismundo, 941. Schaafs, Friedrich, 169. Schaeffner, Wilhelm, 331. Schannat, Johann Friedrich, 309. Schauberg, Josef, 197. Schaumann, Adolf Fr. Heinrich, 115. Scheffer-Boichorst, Oberlandesgerichtspräsident, 373. Scheill, Josef, 182-183. 91. Schelling, Friedrich . Wilhelm Joseph, 38. 150. 151.152. 158. 214. 215. 216. 217. 222.274. 345. 346. 353. 371. 372. 401.441. 443. 446. 447. 451. 452. 454.457. 491. 492. 653. 676. 75. 76,103. 147. 164. 173. 174. 191. 219.248. 261. 280., 346. 352. . , Schenk, Eduard von, 197.

Namenregister. Schenkt, Maurus von, 182. Scheuerlen, Karl F. v. (auch Scheurlen geschrieben), 388. 185. 193. Scheurl, Christoph Gottlieb Adolf Frei­ herr von, 493. 586. 800. 804. 844. 259 341. 351. Schildener, Karl, 312-313. 142— 143. 381. Schiller, Friedrich von, 32. 84. 85. 734. Schilling, Bruno, 152. 264. Schiller, Johann, 264. Schinas, Konstantin, 104. Schirmer, I. Theodor, 493. 123. Schlegel, August Wilhelm von, 446. 477. 102. 204. 211. Schleiden, Mathias Jakob, 351. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, 477. 552. 101. 354 Schloezer, August Ludwig von, 409. Schlosser, Friedrich Christoph, 603. 218. Schlosser, Johann Georg, 19. 20. 7—9. Schlosser, Kornelia, geb. Goethe» 9. Schmalz, Theodor Anton Heinrich, 101. 254. 255. 111. Schmerling, Anton Ritter von, 306. Schmid, Johannes, 321. Schmid, Karl Ernst, 33. Schmid, Reinhold, 516. 521,548. 748. 228. 320—321. Schmidt, Adolf, von Ilmenau, 341.

343. Schmidt, Adolf (auch Wilhelm Adolf), 519. Schmidt, Bernhard Gottlob, 393—

394. Schmidt, Karl Adolf, 636. 744. 275. 333. 343. Schmidt, Oswald, 246. Schmidt, Richard, 329. Schmidtlein, Philipp von, 77. Schmitthenner, Friedrich Jakob, 826.

346. Schmöller, Gustav, 716. Schnauberi, Andreas Joseph, 142. -

1003

Schneider, Robert, 575, 253. Schoell, Rudolf, 304. 486. 874. 881. 882. 136. 370. Schoemann, Friedrich Georg, 487. Schoenlein, Johann Lukas, 109. Schoenstedt, Adolf, 319. Scholtz, Karl, 172. Scholz, Julius, der Dritte, 501.

880.

133. 262.

200.

227. Schopenhauer, Arthur, 283. 344. Schott, August Friedrich, 309. 18. 52. Schrader, Heinrich Eduard Siegfried, 27. 59-62. 295. 386. 388. 751. 840. 874. 21—25. 104. 118. 324. Schrader, Ludwig Albrecht Gottfried, 19. 223. Schroeder, Richard, 283. 541. 897— 899. 377-378. Schroeter, A. W. von, 205. Schueler, G. K., 36. 214. Schuerff, Hieronymus, 771. Schuett, H. F., 263. Schulte, Johann Friedrich, später Ritter von, 571. 573. 579-580. 581. 256. Schütting, Anton, 6. Schulz, Karl, 333. Schulze, Friedrich Gottlob, 976. 406. Schulze, Gottlob Ernst, 384. Schulze, Hermann Johann Friedrich, später von Gaevernitz, 832. 976— 977. 978—979.149.281.405—406. Schulze, Johannes, 365. Schunck, Friedrich Christoph Karl, 443. 455. Schuster, Michael, 265. Schwaneri, Hermann August, 220. Schwarze, Friedrich, 300. Schwarze, Ludwig Friedrich Oskar von, 693. 694—696. 697. 699. 701. 706. 300—302. 307. 309. 320. Schwarzenberg, Johann Freiherr zu Sckw. und Hohenlandsberg, 548. 240. 259. Schwarzkopf, E. H. von, 112. Schweitzer, Christian Wilhelm,415.193.

1004

Namenregister.

Schweppe, Albrecht, 293. 26. 124— 125. 155. Seckel, Emil, 329. Seckendorf, Veit Ludwig von, 26. Seeck, Otto, 480. Seeger, Hermann, 240—241. 398. Segesser, Philipp Anton von, 470.

559. 244-245. Seidensticker, Johann Anton Ludwig, 98. 31. Selchow, Johann Heinrich Christian von, 264. 329. 382. 50. Sell, Wilhelm, 791. 336. Senkenberg, Heinrich Christian von, 309. Senkenberg, Renatus Karl von, 410. Sethe, Christoph Wilhelm Heinrich, 47. 48. Seuffert, Ernst August, 263. Seuffert, Hermann, 157. Seuffert, Johann Adam von, 597— 600. 810. 840. 858. 859. 261-263. Seuffert, Johann Michael, 598. 74. 76. 261. Seuffert, Lothar, 333. Seydel, Max, 541. 349. 405. Seyerlen, Rudolf, 241. Shee, 404. Sichard, Johann, 481. Sickel, Theodor, 908. 909. Siebenhaar, Eduard, 384. 385. 392—

393. Siegel, Heinrich, 789. 895—897. 909. 373. 377. 379. Siegmann, Georg, 936. 392. Sietze, Karl Friedrich Ferdinand, 147. 148. Silberschmidt, Willy, 397. Simon, August Heinrich, 664. 146. 286. 287. Simon, Hermann Veit, 395. Sintenis, Karl Friedrich Ferdinand, 165. 600—601. 858. 263—264. Sirey, Johann Baptist, 49. Skaliger, Joseph Justus, 26. Smith, Adam, 151.

Snell, Wilhelm, 245-246. Sohm, Rudolf, 539. 569. 584. k86. 849. 906. 908. 910-911. 925. £58. 341. 356. 357. 382. Solms-Laubach, Friedrich Ludwig Chri­ stian Graf von 145. Sonnenfels, Josef von, 718. Sontag, Henriette Gertrude Valpurgis, 365. Spangenberg, Ehefrau Dorothea, geb. Wehrs, 26. Spangenberg, Ernst Peter Johann, 55. 64- 66. 98. 18. 25. 26-28. Spangenberg, Georg August, 64. 26. Spengel, Leonhard, 902. 352. 354. Speransky, Graf Michael von, 246. Spiegel, Ferdinand August Maria Josef Anton, Graf S. zum Desenberg, Erzbischof von Cöln 91. Spielmann, L., 47. Spinosa, Baruch, 41. Spittler, Ludwig Thimotheus, 2. 3. 9. 12. 14. 32. 144. 179. 187, 2. 5. 185. Stahl, Friedrich Julius, 345. 370— 375 401. 434. 457. 460. 466. 507. 540. 554. 572.586. 653. 687. 730. 740. 866. 10. 126. 172—175. 191. 202. 203. 206. 237. 249. 251. 281. 284. 297. 319. 321. 328. 329. 387. 388. Stammler, Rudolf, 408. Sieffenhagen, Emil Julius Hugo, 902.

379—380. Steffens, Heinrich, 491. 492. 219. Stein, Heinrich Friedrich Karl Frhr. von, 235. 317. 968. 102. 106. 141. 154. 169. 246. 404. Stein, Lorenz, später von, 344. 718— 727 827. 972. 974, 975. 124. 292. 312-314. 404, 406. Steiner, Johann Wilhelm Christian, 138. Siemann, Christian von, 201. 292. Stenglein, M. 703. 303.

Namenregister. Stephanie Beauharnais, Erbprinzessin von Baden, 166. Stieber, Friedrich Karl Gustav, 16. 18. 25. 26. Stintzing, Johann August Roderich, später von, 766-770. 771. 772. 10. 119. 328—329. 339. Stobbe, Johann Ernst Otto, 319. 524. 536. 758. 774—775. 891-894. 897. 330. 331. 332. 335. 374.375-376. 394. 396. Stoelzel, Adolf, 236. 238. 239. 775— 777. 332. Stoerk, Felix, 408. Straccha, Benvenuto, 941. 944. Strauch, Hermann, 281. Strauß, David Friedrich, 242. Stremayr, Karl Ritter von, 399. Strombeck, Friedrich Heinrich von, 98.

47. Strombeck, Friedrich Karl von, 47. Strube, David Georg, 66. 410. Struv, Burkhard Gotthelf, 3. Stubenrauch, Moritz, später Edler von,

384. Studemund, Wilhelm Friedrich Adolf, 288. 481. 490. 880—881. 882. 369.

370. Stuebel, Christoph Karl, 139—141. 163. 164. 385. 608. 52. 69. 70. Stutz, Ulrich, 250. Suarez, Franz, 652. Suchier, H., 839. 331. Svarez (oder Suarez oft weniger richtig geschrieben), Karl Gottlieb, 776. 411. Sybel, Heinrich von, 361.362. 374. Sydow, Robert von, 149. Taafse, Eduard Graf von, 399. Tafel, Gottlieb Lukas Fr., 60. 61. 22. Tancredus, 131. 213. Tanner, Georg, 329. Teichmann, Albert, 310. Temme, Jodokus Deodalus Hubertus, 81. 267—268. 294. 301. 320.

1005

Theiner, Augustin, 250. Thibaut, Anton Friedrich Justus, 29. 56. 62. 69-88. 89. 92. 94. 95. 96. 106. 107. 110. 111. 124. 137. 157. 158. 162. 195. 202. 230. 250. 289. 291. 293. 312. 329. 335. 354. 356. 360. 375. 386. 399. 402. 414. 415. 441. 455. 512. 608. 625. 849. 6. 8. 12 14. 19. 29-37. 42. 43. 51. 52. 53. 77. 78. 104. 110. 118. 124. 135. 136. 141. 145. 153. 167. 183. 230. 273. 304. 356. 412. Thibaut (der Vater), Hauptmann, 69. Thöl, Heinrich, 91. 94. 229. 501. 508. 516. 520. 543. 622. 624. 625-634. 635. 637. 639^ 640. 642. 654. 736.

744. 783. 800. 841. 862. 938. 939. 942. 45. 190. 228. 271—273. 320. 338. 340. 358. 372. Thoma, Oberlandesgerichtsrat, 394. Thomasius, Christian, 32. 56. 77. 261. 302. 318. 950. ,3. 9. 18. 61. Thon, August, 408. Thorpe, Benjamin, 321. Thudichum, Friedrich von, 192. 224. 287. 405. Thun, Leo Graf Th.-Hohenstein, 897. 920. 221. 244. 256. 266. 373. Tieck, Johann Ludwig, 330. Tieck, Sophie, verehelichte Bernhardt, 330. Tiedemann, Friedrich, 98. Tiedge. Christoph August, 137. 67. Tilius (du Tillet), Johannes, 128. Tittmann, Karl August, 69—70. 214. Tittmann, Karl Christian, 70. Tomaschek, Karl, 897. Tornauw, Nikolaus von, 313. Trefurt, Christoph, 56. Treitschke, Georg Karl, 620. 270. Trekell, Albrecht Dietrich, 17. Trendelenburg, Adolf Friedrich, 19. Trendelenburg, Friedrich Adolf, 658. 283. 355. Trümmer, Karl, 159. 175. 188.

1006

Namenregister.

Turri, Raphael de, 941. Twesten, Karl, 644. 707. 277.

Ubbelohde, August, 178. 359. 360. Uhden, Karl Albrecht Alexander, später von, 239. Uhland, Ludwig, 278. 286. 407. 519. 520. 531. 194. Ullmann, Emanuel, 715. Ulpianus, Domitius, 884. Unger, Friedrich Wilhelm, 231. Unger, Joseph, 703. 705. 789. 805. 835. 853. 908. 917—924. 932. 954. 955. 956. 962. 977. 320. 345. 352. 373. 383—386. 392. 399. Unterholzner, Karl August Dominikus, 150. 292—293 376. 67. 119.122123. 235. Urbach, Johann, 772.

Vacarius, Magister, 62. 5. 25. Balla, Laurentius, 26. Vangerow, Karl Adolf von, 71. 403. 415. 455. 602—606. 751. 778. 848. 850. 858. 248. 264-265 273. 276. 328. 332. 355. 356. 360.. 362. 376. 382. 383. 386. 387. 406. Venantius, s. Kindlinger, Nikolaus. Berge, ChrNien, 55. Bering, Friedrich Heinrich Theodor Hubert, 578. 255. Vermehren, Friedrich Bernhard, 214. Vesme, Baudius a, 534. Vilmar, August Friedrich Christian, 152. Vincke, Friedrich Ludwig Wilhelm Philipp Freiherr von, 968. 969. 972. 404. Vinet, Alexander Rudolf, 375. Virchow, Rudolf, 716. 322. Voelderndorff, Otto von, 234. 397. Voigt, Johann Friedrich, 396. Voigt, Moritz, 882—883.

370. Bolkmann, Wilhelm Fridolin, 691. 300. Voltaire, 2. 24. 10.

Voltelini, Hans von, 375. Boß, Johann Heinrich, 84. 116. Vultejus, Hermann, 95.

Wach, Adolf, 569. 953-954.209. 398. Wackernagel, Wilhelm, 530. 531. 533.

232—233. Waechter, Karl von, später Freiherr von Waechter-Spittler, 388. 185. Waechter, Karl Josef Georg Sigis­ mund, später von, 56. 62.164. 386— 391. 404. 405. 460. 501. 516. 520. 521. 522. 592. 601. 608. 612—618. 619. 622. 668. 675. 680. 684. 688. 693. 751. 752. 755. 772. 779. 780. 822. 895. 917. 21. 42, 43. 81. 176. 178. 179.183—185. 191. }93. 224. 228. 241. 269. 284. 291. 295. 320. 334. 357. 386. 393. Wagner, Adolf, 338. Wahlberg, Wilhelm Emil, 962—963. 241. 401—402. Waitz, Georg, 538—541. 542. 546. 885. 886. 887. 888. 889. 892. 898. 901. 908. 909. 910. 235. 236—237. 372. 373. 374. 375. 377. 378. Waitz, Theodor, 725. Walch, Georg Friedrich, 80. Walch, Karl Friedrich, 309. Walchner, Karl, 200. Waldeck, Johann Peter, 111. Walter, Ferdinand, 185. 271. 272. 332-336. 340. 341. 545. 570. 572. 114. 149. 152—155. 175.189. 244. Waller, Franz Martin, 152. Walther, Josef von, 400. Walz, Ernst, 407. Wangenheim, Karl August Freiherr von, 402. Warnkoenig, Leopold August, 65. 293. 418. 424. 521. 551-552. 655. 720. 123—124. 129. 156. 157.160. 278. Wasserschleben, Ludwig Wilhelm Her­ mann, 250. 251. Wattenbach, Wilhelm, 906.

Namenregister. Weber, Adolf Dietrich, 9. 70. 72. 191. 96. Weber, Georg Michael, 88—89. Weber, Heinrich Benedikt von, 384.

181 Weis, Ludwig, 304—305. Weishaar, Jakob Friedrich, 607—608.

265. Weiske, Julius, 450. 483. 231. Weiß, Karl Eduard, 411. 194—195. Weiß, Philipp Friedrich, 187. 190. 218. 97. 411. Weiße, Christian Ernst, 56. 18. 56.

193—194. Welcker, Karl Theodor, 175. 312. 384. 386. 389. 393. 396-398. 415. 540. 555. 1/5. 188-189. Wellhausen, Julius, 369. Wenck, Friedrich August Wilhelm, 25. Wenck, Karl Friedrich Christian, 62— 63. 15. 16. 18. 23. 25-26. 27. Wening-Jngenheim, Franz Xaver von, 43. Wening-Jngenheim, Johann Nepomuk von, 92—93, 42—43. 261. Wening-Jngenheim, Johann Nepomuk von, der Jüngere, 42. Wentzel, A., 287. Werder, K. 297. Werner, Zacharias, 159. Wessenberg, Ignaz Heinrich Karl Frei­ herr von, 181. 197. Westenberg, Johann Ortwin, 29. 288. 118. Westlake, John, 310. Westphal, Ernst Christian, 321. 96. Westphalen, Ernst Joachim von, 381. Westphalen, Nikolaus Adolf, 543.237. Wetzell, Georg Wilhelm, 460, 521. 563. 568-569. 635. 756. 953. 180. 202. 246. 248-249. 382. Wheaton, Henry, 652. Wiarda, Tileman Dothias, 536. Wichern, Johann Hinrich, 311. Wiener, Heinrich, 277.

1007

Wiese, Georg, Walther Vincenz, 39. Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich von, 369. Wilbrandt, Adolf, 362. Wilcken, Ulrich, 876. Wilda, Wilhelm Eduard, 501. 503— 506. 519. 520. 548. 550. 866. 903.

225-226. 381. Wilhelm I., König von Preußen, 466. 144. 402. Wilhelm I., König von Württemberg, 291. Wilhelm I., Kurfürst von Hessen, und Wilhelm II., Kurfürst von Hessen, SS. Wilhelm von Oranien, Fürst von Fulda, 68. 29. Windischmann, Friedrich Heinrich Hugo, 254. Windscheid, Bernhard, 647. 745. 746-747 757. 758. 766. 770. 854-865. 934. 227. 269. 277. 278. 317. 319. 320. 332. 335. 346. 355. 356. 361— 364. 385. 386. Winiwarter, Josef, Edler von, 607,608. 265. 384. Winkelmann, Johann Joachim, 247. 2. Wirschinger, Franz Ludwig, 77. Wirth, Johann Georg August, 384.

181. Wirth, Johann Ulrich, 681, 292. Witte, Johann Heinrich Friedrich Karl, 301. 483. 16. 134. 167. 215. 269. Witte, Karl Heinrich Gottfried, 215. Wittich, Karl Fr., 140. Wlassak, Moritz, 219. Wolf, Christian, 26. 41. 101. 8. 9. 61. Wolf, Friedrich August, 183. Woringen, Franz Arnold Maria von,

226. Wrede, Karl Philipp Fürst von, 131. Würth, Josef von, 306. Wunderlich, Ernst Karl Friedrich, 213. Wunderlich, Gottlieb Friedrich Waller Agathon, 93. 305. 213-214. 337. Wyß, David von, 245.

1008

Namenregister.

Wyß, Friedrich von, 470. 559. 245. Wyß, Georg von, 470. 559. 245. Zachariae, Heinrich Albert, 385. 391— 392.393.648.658-664. 668.185— 186. 257. 283—286. 292. Zachariae, Karl Eduard Z. von Lingenthal, 301. 483—486. 906. 54. 215— 216. Zachariae, Karl Salomo, später von Lingenthal, 19. 85. 100—110. 162. 165. 170. 171. 402. 409. 414. 418. 424. 483. 547. 603. 608.10. 31. 51. 52—58. 124. 193. 234. 304. Zachariae, Theodor Maximilian, 54. Zangemeister, Karl, 364. 371. Zarncke, Friedrich Karl Theodor, 368. Zasius, Johann Ulrich, 329. Zasius, Ulrich, 766. 767. 329.

Zeiller, Franz Aloys von, 608.265.266. Zentner, Georg Friedrich Frhr. von, 414. 196. Zepernick, Karl Friedrich, 328. Zeumer, Karl, 902. 236. Ziebarth, Karl, 758—759. 326-327. Ziller, Tuisco, 202. Zimmern, Freie Herrn und Gmfen von, 333. Zimmern, Siegmund, 293—294.126— 127. Zinna, Johann von, 330. Zitelmann, Ernst, 839. 121. 408. Zobel, Christoph, 309. Zöpfl, Heinrich, 393. 545—548. 551. 647. 660. 197. 238—239.240. 284. Zorn, Philipp, 287. 381. Zum-Bach, Karl Adolf, 47. Zwingli, Huldreich, 244.

Geschichte der

Wissenschaften in Dentschtand Steuere Seit Achtzehnter Band

Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Abteilung, 2. Lalbband, Noten.

AUF VERANLASSUNG

HERAUSGEGEBEN

UND MIT

DURCH DIE

UNTERSTÜTZUNG

HISTORISCHE KOMMISSION

SEINER MAJESTÄT

BEI DER

DES KÖNIGS VON BAYERN

KONIGL AKADEMIE DER

MAXIMILIAN II

WISSENSCHAFTEN

München und Berlin 1910. Druck und Verlag von R. Oldenbourg.

Geschichte der

Deutschen Rechtswissenschaft Dritte Abteilung von

Ernst Landsbrrg Zweiter Halbband, Noten. Fortsetzung zu der Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, erste und zweite

Abteilung, von R. Stintzing.

AUF VERANLASSUNG

HERAUSGEGEBEN

UND MIT

DURCH DIE

UNTERSTÜTZUNG

HISTORISCHE KOMMISSION

SEINER MAJESTÄT

BEI DER

DES KÖNIGS VON BAYERN

KONIGL. AKADEMIE DER

MAXIMILIAN II

WISSENSCHAFTEN.'

München lmd Berlin 1910. Druck und Verlag von R- Oldenbourg.

Vorwort. Diese Noten und Exkurse bilden die Ergänzung zu dem zweiten

und letzten Text-Halbbande meiner Geschichte der deutschen Rechts­ wissenschaft, wie ein ähnlicher Ergänzungsband zum ersten Halbbande dieser Geschichte seinerzeit (1898) erschienen ist.

Das dortige Vor­

wort gilt auch für diesen Halbband. Die Trennung der Noten und Exkurse vom Text, die im wesent­

lichen wieder durch zwingende äußerliche Umstände veranlaßt ist, hat auch literarisch von verschiedenen Seiten Billigung gefunden.

Um

den Einwänden, die dagegen gleichfalls nicht ausgeblieben sind, mög­

lichst Rechnung zu tragen,

ist dieses Mal die Verbindung zwischen

Text und Noten genauer hergestellt, nämlich durch Zahlen, die in der behufs Verweisung auf Anmerkungen üblichen Weise in den Text

eingefügt und an der Spitze der zugehörigen Note wiederholt sind. Die Bezeichnung durch ein aus dem Textbande herübergenommenes Stichwort ist daneben nur bei längeren Noten und bei selbständigeren Exkursen beibehalten'.

Bonn, Mitte Oktober 1910.

Crnlt Lsndsberg.

Erklärung der häufigst gebrauchten Abkürzungen.

A. D. B, bedeutet:

Allgemeine Deutsche Biographie; Leipzig 1875 f. v. Schulte, Gesch., bedeutet: Joh. Frdr. v. Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts von der Mitte des 16 Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Der Geschichte

der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart dritter Band), erster Teil' Das katholische Recht und die katholischen

Schriftsteller, Stuttgart 1880. v. Schulte, Gesch. b, bedeutet' desselben Werkes zweiter und dritter Teil, das evangelische Recht, die evangelischen Schriftsteller, die Geschichte der wissenschaftlichen Behandlung, Stuttgart 1880. Stintzing, Gesch., bedeutet Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft (Geschichte der Wissenschaften, Bd. 18)

erste Abteilung, von R. Stintzing, München und Leipzig 1880.

Stintzing-Landsberg, Gesch., bedeutet desselben Werkes zweite Abteilung, von R. Stintzing, herausgegeben von Ernst

Landsberg, München und Leipzig 1884.

Landsberg, Gesch., bedeutet: desselben Werkes dritte Abteilung, erster Halbband, von Ernst Landsberg. Löning, Strafrecht, bedeutet: „Uber geschichtliche und ungeschichtliche Behandlung des deutschen Strafrechts". Antrittsrede, gehalten zu Jena am 29. April 1882 von Professor Dr Richard

Löning, unter Beigabe umfassender „Skizzen und Materialien zur Geschichte der deutschen Strafrechtswissenschaft seit 150 Jahren" veröffentlicht in der Zeit­

schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 3, 219 f.

Zum dreizehnten Kapitel. I. 1.

1) Über den Aufschwung und über die Grundlinien der zivilistischen Ent­ wicklung im 19. Jahrhundert bietet aus der großen Zahl gelegentlicher Äuße­ rungen wohl das Gediegenste Ernst Immanuel Better, Bier Pandektisten (in der Festschrift zur Heidelberger Zentenarfeier, 1903 S. 136 f.) Einleitung. 2) Literatur über Hugo. Genauen Lebensbericht, eingehende Wür­ digung und bezeichnende persönliche Erinnerungen gibt Otto Mejer in den Preußischen Jahrb. Bd. 2 Jahrg. 1879, wieder abgedruckt in Mejers gesammelten Aufsätzen, Biographisches, Freiburg i. Br. 1886, S. 3 f.; dazu kommt desselben Verfassers Artikel in der A. D. B. 13, 321 f. — Außerdem zur Biographie: Saalfeld, Forts, v. Pütters Gelehrtengeschichte der Universität Göttingen, 295 f. -und Österley, Forts, zu Saalfeld, 414 f.; nach Hugos eigenen Angaben, mit genauester Aufzählung aller Auflagen und Übersetzungen

seiner

sämtlichen

Bücher und Zettschriftenartikel, so daß darauf bibliographisch ausschließlich verwiesen werden kann; ebendort gleich sorgfältig Titel, Orden u. dgl. zusammen­ gestellt. — Neuer Nekrolog der Deutschen 22, 655 f. — Autobiographisches in Hugos „Beiträgen zur zivilistischen Bücherkenntnis der letzten 40 Jahre", 15 f., so »le in mehreren Aufsätzen seines „Zivilistischen Archivs". — Zur Würdigung

grundlegend der schwungvolle Festartikel von v. Savigny „Der 10. Mai 1788" In der Zeitschr. f. geschichtl. RW. 9, 421 f. — Zusammenstellung der sonst zu Hugos Dottorjubiläum erschienenen Schriften, Programme, Abdruck der Tabulae gratulatoriae u. dgl. bei Richter, krit. Jahrb. d. RW. 3, 481 f. und 4, 657 f. — Neuere Würdigungen: eingehend, gründlich, besonders vom rechtsphilosophiIchen Standpunkte aus: Singer in Grünhuts Zeitschr. f. d. Privat- u. öffentl. Recht d. Gegenwart 16, 280 f. (1889); mehr im allgemeinen: Johannes Merkel, Festrede, gehalten zu Göttingen am 30. Mai 1900.

3) Gustav Hugo über seinen Vater in seinem „Zivilistischen Magazin" 4, bl (1812). LandSderg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten.

1

2

Zu Kapitel 13, S. 1—4.

4) Vgl. z. B. etwa schon gegenüber Hegel — um der juristischen Ent­ wicklung nicht vorzugreifen — Merkel a. a. O. S. 18 Note 2 und Singer a. a. O- S. 300 Note 36. 5) Französisches Recht. Hugo hat 1808—1813 mehrfach über den Code Napoleon geschrieben, vielfach auch Berichte darüber angezeigt, besondersaber über die Unmöglichkeit einer Klasseneinteilung bei dessen Jntestaterbrecht eine ausgeprägte eigene Meinung gehegt und verfochten in mehreren kritischen Aufsätzen. — Eben dahin mag noch gehören, daß von ihm herrührt (s. Mejer a. a. O. in der A. D. B. S. 327) ein der Frau des Historikers Spittler ge­ widmetes, anonym erschienenes „Zeitungshandbuch für die französischen Ange­ legenheiten, erste Hälfte, welche den Konvent betrifft", erschienen zu Leipzigs April 1795. 6) Vgl. namentlich den Aufsatz „Spittler" im „Zivilistischen Magazin" 3^ 485, auch selbständig erschienen zusammen mit einem Aufsätze von Heeren über denselben Historiker unter dem Titel: Spittler, von Heeren und Hugo, Berlin 1812. — Über Spittlers „Geschichte des kanonischen Rechts" s. Landsberg^ Gesch., Noten 225. 7) Landsberg, Gesch., Text 349. 8) Vgl. Artikel im „Zivilistischen Archiv" 1, 12 f. und 3, 92 f. Beilage I. 9) „Anlage zu einem großen Zivilisten" in Heynes Bericht an die Han­ noversche Regierung pom 9. Januar 1786, offenbar auf Pütters Anregung s. bei Mejer a. a. O. Biographisches S. 22. 10) Landsberg, Gesch., Text 342. 11) Hervorragende Männer in der Umgebung des Erb­ prinzen Friedrich von Dessau. Dahin gehören der bekannte KriegSschriftsteller Georg Heinrich v. Berenhorst, der Letter der Erziehung des Prinzen; ferner Hofrat Ernst Wolfgang Behrisch; Basedow; Fr. Wilh. v. Erdmannsdorff und dessen späterer Biograph August v. Rode; endlich der berühmte Gram­ matiker PH. Buttmann, bei welchem Hugo noch Griechisch trieb. Außerdem wurde Hugo aber noch gezogen in die Kreise eines Bruders des regierenden Fürsten, des Prinzen Hans Jürgen, ehemaligen preußischen Generals, eines Mannes von offenbar außergewöhnlichem Bildungsdrange und einnehmendem Wesen, desselben, der in Italien Winkelmann nahetrat (vgl. Justi, Winkelmann und seine Zeitgenossen, 2. Aust., 3, 282); Prinz Hans Jürgen suchte damals Hugo an Dessau zu fesseln, ihn wenigstens zur Reisebeglettung nach Italien zu gewinnen ; indessen blieb Hugo, wesentlich um Spittlers willen, Göttingen treu, trotz dieser lockenden Anerbietungen; dem Prinzen aber hat er stets dankbareAnhänglichkeit bewahrt, auch gern von ihm als von „seinem Prinzen" und „fleißigsten Zuhörer" geredet; s. die Widmung der Enzyklopädie von 1792 und die autobiographische Einleitung der „Beittäge zur zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 28. -- Über die beiden trefflichen Brüder, den regierenden Fürsten Leopold Friedrich Franz und den Prinzen Hans Jürgen s. den eingehenden Artikel vou Siebigk in der A. D. B. 18, 356 f. Offenbar wird durch diese Eigenart-des regierenden Herrn erklärt, wieso sich damals in Deffau solch erlesener Kreis zusammen­ fand, wie auch besonders die auf Erziehung des Erbprinzen verwendete Sorgfalt^

Zu Kapitel 13, S. 5—9.

3

12) Hugo „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 379 Note 2. 13) D. Ulpiani Fragmenta in uaum praelectionum edidit et praefatus eat G. Hugo, Göttingen 1788; 4. Ausgabe 1822. Von diesen Ausgaben ist übrigens namentlich die erste nach Hugos eigenen Angaben ganz ohne kritische Verdienste, nur rasch zur Deckung des Vorlesungsbedürfnisses besorgt; in den folgenden Auflagen sei allerdings („Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 48) „etwas für die Berichtigung des Textes geschehen". 14) Eben dahin würden uns aber zurückführen die rechtshistorischen Vor­ schläge von Ernst v. Möller, Die Trennung der deutschen und römischen Rechtsgeschichte, Weimar 1905: Rechtsgeschichte und Dogmatik zu trennen, deutsche und römische Rechtsgeschichte aber zu verschmelzen — d. h. einfach auf den Lebenskeim der Rechtsgeschichte verzichten. Kein Wunder, wenn dann Möller, der übrigens a. a. O. literarhistorisch manche beachtenswerte Einzelheit beibringt, fundamental die ganze Entwicklung verkennt und einen B. G. Struv, Brunquell oder auch Heineccius methodologisch über Hugo stellt. Daß in der Trennung von Grund aus verschiedener Wissenszweige, wie römische und deutsche Rechtsgeschichte, das einzige wissenschaftliche Heil liegt, halte ich selbst heute noch für zutreffend; mindestens aber war für Hugos Zeit allein dadurch ein Weiterkommen möglich. Nur dies war der Weg der Rettung gegenüber der oberflächlichen bisher üblichen Vermischung; wenn man heute vielleicht anders verfahren kann, so ist es doch sicherlich nur dem strengen Trennungsver­ fahren zu danken, das Hugo eingeführt hat, und das seither geübt worden ist. 15) Dias, de bonorum posaessionibus fortlaufend von § 2 ab. Übrigens

muß sich hier neben Heineccius eine ähnliche Behandlung gefallen lassen Thomasius, in welchem Hugo den Verächter des römischen Rechts bekämpft. Man sieht, wie der erste Schritt der jungen Rechtswissenschaft zu scharfer Befehdung der Heroen des 18. Jahrhunderts führt, dem Vorspiel der vollständigen Geringund Unterschätzung, der diese alsbald verfallen sollten. I. 2. 16) Diese Beziehungen zu Heyne mögen Hugo überhaupt oft för­ derlich gewesen sein, auch dahin gewirkt haben, daß sein Name schon früh, schon 1790, in weiteren Kreisen als der eines Reformators bekannt wurde, wie dafür zu vergleichen F. Frensdorff, „Die englischen Prinzen in Göttingen" in der „Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen" 1905, S. 450. 17) Hugos Anzeigen in den „Göttl. Gel, Anzeigen". Hugo selbst hat sie mit den Vorreden zu seinen Lehrbüchern und mit Zusätzen zusammen gestellt als „Beyträge zur zivilistischen Bücherkenntnis der letzten 40 Jahre", 2 Bde., Berlin 1828 und 1829. Die Sammlung beginnt mit einer Selbstrezension seiner Doktorschrift vom Jahre 1788; besonders r^chhaltig besetzt sind darin etwa die Jahre von 1789 —1792; das letzte Stück ist von 1827. Nach­ träge uff. sind' mit peinlicher Genauigkeit beigegeben; vorausgeschickt ist außer einer Vorrede vor jedem Band dem ersten Bande eine Einleitung mit folgenden vier Unterabschnitten: I. Schilderung des Zustandes, wie er vor 40 Fahren war. II, 'Zusammenstellung der damaligen Bearbeiter. HI. Nach-

4

Zu Kapitel 13, S. 10—11.

richten über die frühere Bildung des Verfassers. IV. Allgemeine Bemerkungen über die folgenden Anzeigen. — Übrigens schließen Hugos Rezensionen in den

„Gött. Gel. Anzeigen" keineswegs mit dem Jahre 1827, mit dem jene Sammlung abbricht; sie laufen vielmehr Jahr für Jahr weiter bis in des Rezensenten Todesjahr 1844 hinein, nur immer peinlicher in Einzelheiten, mühsamer im Stil und trockener im Gesamtton. So ist etwa besonders bezeichnend noch eine der letzten, wenn nicht die letzte im Jahre 1844 über Beseler „Volksrecht und Juristenrecht". Diese späteren Rezensionen, obwohl sämtlich von Hugo unterschrieben, sind durchweg recht einflußlos geblieben; Sonderabdruck der letzten darunter mit Anhängen, Noten usf. als „letzter Beytrag des Geheimen Justizrats Komtur Hugo zu den Gött. Gel. Anzeigen", Berlin 1844, auch unter dem Titel: Beyträge zur Kenntnis zivilistischer Bücher, Bd. 3, trotz der Lücke 1828—1844. 18) Darum ist es denn auch etwas später Hugo leicht geworden, jenen ihm vorangehenden Männern literärhistorisch gerechter zu werden, als die unmittelbare Folgezeit sich ihnen gegenübergestellt hat. So in den letzten Abschnitten seiner „Literärgeschichte" von 1812; so aber auch in den biographi­ schen Artikeln über Nettelbladt („Zivilistisches Archiv", »Bd. 2, Heft 1, Art. 1), Hopfner (ebenda Bd. 3, Art. 5) und Koch (Bd. 6, Art. 5); mit den beiden letztgenannten Männern tritt er sogar in ein freundschaftlich persönliches Ver­ hältnis und in regen Briefwechsel, der in den angeführten Artikeln verwertet ist. Betr. Höpfner s. o. Landsberg, Gesch. Text 442; dagegen scheint das Ver­ hältnis zu Glück ein gespanntes geblieben zu sein. 19) „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 402, aus dem Jahre 1799.

20) Einleitung in „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 5.

21) Über Hugos Losung:

„Zurück zu Leibnitz", welche dann doch ein

Mißverständnis der von letzterem aufgestellten Einteilung der Rechtsgeschichte in eine äußere und innere keineswegs ausschließt, über diese Einteilung im Sinne Hugos und deren Fortbestand in der Romanistik, während sie in der Germanistik überwunden ist, s. die verdienstliche Sonderstudie von Taranowsky „Leibniz und die sogenannte äußere Rechtsgeschichte", in der „Ztschr. d. Sav.Stiftung", Germ. Abt. 27, 190Jf. 22) Bei beiden hat er vielfach Unterstützung gefunden durch den Göt­ tinger Universitätsaktuar Riedel, der solche Arbeiten lexikographischer Art Hugo besonders zu Gefallen gefördert zu haben scheint. Dabei findet sich sogar schon die Idee eines Thesaurus latinitatis für das Corp. iur. civ. in dem Artikel von Riedel, Bd. 5, Nr. 3 des „Zivilistischen Magazins" „Obligatio, als Probe eines neuen juristischen W-rterbuchs", S. 99 f. (Gabriel Riedel, geboren zu Holzendorf bei Schwerin am 18. Januar 1781, Privatdozent zu Göttingen (?), dort 1809 Universitätssyndikatsadjunkt, 1814 Universitätsaktuar, 1821 Universitätssekretär, hörte 1830 auf zu lehren, erhielt am 3. September 1837 die

Doktorwürde h. c. von der Göttinger juristischen Fakultät, gestorben zu Göt­ tingen am 1. Januar 1859. Er war ein stiller, fleißiger Gelehrter, dessen Eifer im Beisteuern von brauchbaren Auszügen und Notizen außer von Hugo

Zu Kapitel 13, S. 12—13.

5

auch von I. Grimm, Vorrede zum Wörterbuch I, S. LXV1I, gerühmt wird. Selbständige Artikel von ihm in der „Zeitschrift für Zivilrecht u. Zivilprozeß" 1852 und 1856, handschriftliches Material zum Sprachgebrauch der Quellen aus seiner Feder nebst Berichtigungen oder Zusätzen zu Brissonius oder zu Hugo, ferner endlich Briefe von Wilh. Grimm an ihn aus den Jahren 1853 bis 1857 besitzt die Universitätsbibliothek zu Göttingen. Letztere Briefe sollen gelegentlich veröffentlicht werden. — Saalfeld, Forts, von Pütters Göttinger Ge­ lehrtengeschichte, S. 389; Osterley, ebenda S. 354; gefällige schriftliche Auskunft von F. Frensdorfs in Göttingen.) 23) Beitrag Heynes: Auszug aus einem Programm Heynes »Honores Ictis habiti ab imperatoribus Romanis quibusque de causis, Göttin gen 1790; erschienen im „Zivilistischen Magazin", Bd. 1, Heft 4, Art. 19, S. 477—485 der ersten Auflage unter der Bezeichnung „Herr Hofrat Heyne über die Ehrenbezeugungen, welche den römischen Nechtsgelehrten unter den Kaisern widerfuhren"; in den späteren Auflagen weggelassen.

24) „Über die literarische Bildung des sel. Prosessors I. F. Brandis" von

Spittler, Bd. 1, Heft 3, Art. 14; vgl. darüber und über Brandis selbst Lands­ berg, Gesch. Noten 219. 25) Sogenannter Ulpian.de e den do. Das Werk wurde von Hugo, sobald es ihm bekannt wurde, sofort und mit Recht als ein Erzeugnis der Glossatorenschule bestimmt, und es ist dann von Gustav Hänel als »Incerti auctoris ordo Iudiciorum«, Leipzig 1838, herausgegeben worden, ohne daß es diesem gelungen wäre, näheres über Verfasser und Entstehungsumstände zu bestimmen: Vermutungen weisen nach England als Entstehungsort und damit niif die Schule des Vacarius, vgl. von Bethmann-Hollweg „Der Zivilprozeß in geschichtlicher Entwicklung" 6, 1, 65 f.

26) Lex Rubria. Vgl. Krüger, Gesch. der Quellen und Literatur des römischen Rechts, 72 Nr. 6. — Über Puchtas Entdeckung und Hugos Zu­ stimmung dazu s. „Zivilistisches Magazin" 6, 123 f.

27) Tafeln von Heraklea. Hinweis darauf „Zivilistisches Magazin" 2, 464: ausführlicher ebenda, 3, 340 f. Zur Sache vgl. Krüger a. a. O. 73 Nr. 8. 28) Besprechung von Dirksen, ausgenommen in „Zur Zivilistischen Bücher­ kenntnis" 2, 128; s. darin zu Ehren von Hugos Scharfsinn die rein divinatorisch gefundene, später durch Gaius bis auf einen ganz unbedeutenden Unter­ schied glänzend bestätigte Lösung der Sigle C. 8. X. P. A. in ceterum si non paret absolve, S. 130. 29) Vgl. Taranowsky a. a. O. S. 190 f. 30) Vgl. Hugo „Zur Zivilistischen Bücherkenutnis" 2, 491, sowie auch im „Zivilistischen Magazin" 6, 362 f. und Krüger, Römische Rechtsgeschichte, 352 Note 29, [mit den Titeln von Hugos Kompendien. „Anti" heißt hier also nicht „gegen", sondern „statt" und „Institutionen" oder „Pandekten" in dieser Hugoschen Zusammensetzung bedeutet nicht die Stücke des Corp. iur. civ., sondern die darnach genannten alten Vorlesungen.

6

Zu Kapitel 13, S. 15—19

31) Gelegentlich einiger Ausführungen zur Abwehr im „Zivilistischen Magazin" 1, 317 s. der ersten Ausgabe, später dort weggelassen, aber ausge­ nommen in „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 98 f. 32) Iu8 in rem. Daran, daß dieser Ausdruck kein echt römischer, nimmt Hugo damals noch keinen Anstoß, später setzt er ihm dann regelmäßig das Warnungskreuzchen vor, mit dem er alle unklassischen termini technici versieht („kreuzigt"), wie neue Zusätze in den Kompendien mit einem Sternchen, den Zeichen, welche die Drucke nicht eben verschönern, aber seine peinliche Gewissenhaftigkeit verbürgen. 33) „ZivilistischesMagazin" 1,509;„Z ur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1,203. 34) Savignhs Rezension von 1806, wieder abgedrucks in Savignys Ver­ mischten Schriften 5, 1 f. 35) Die Vorrede zur ersten Ausgabe des Naturrechts datiert vom Novem­ ber 1797, wie Singer a. a. O. S. 299 Note 34 richtig bemerkt. Die vierte Aus­ gabe erschien 1819. 36) »Index editionum omnium Corporis iuris civilis Fontium«, d. h. Verzeichnis alles dessen, was Justinians Kompilatoren zwar in den Kodex oder in die Pandekten hätten aufnehmen können, was aber durch einen anderen Kanal auf uns gekommen ist. Also u. a. des Codex Theodosianus, der Novellen dazu und dessen, was seit Schulting »Iurisprudentia Antejustinianea« heißt Daraus ist dann später entstanden das Sammelwerk, das diesen ganzen Quellenkreis, soweit er Hugo damals zugänglich war, abdruckt: Ins Civile Antejustinianeum, 2^Bde., Berlin 1815, besorgt von Hugo, Haubold, Beck d. I. und Biener d. I , crher ohne Vorreden, vgl deshalb „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 2, 419 f. Unmittelbar vor der Gaiusentdeckung fertiggestellt und dgdurch alsbald lücken­ haft geworden, kann diese Ausgabe auch für das, was sie bringt, eigenen kriti­ schen Wert kaum beanspruchen 37) Vgl Zur Zivilistischen Bücherkenntnis 1, 69 nno 1, 140 (beides aus dem Jahre 1789), s. auch ebenda über Madihns Naturrecht 1, 207 (Jahr­ gang 1790) - usf. — Ich freue mich, in der allgemeinen Auffassung von Hugos Naturrecht, in der Würdigung seiner Selbständigkeit und Bedeutung mit den Anschauungen von Singer mich ganz einverstanden erklären zu können; vgl. namentlich Singer a. a O. Note 24—27 und Note 53; letztere Note zählt die Philosophen und Theologen auf, die etwa gleichzeitig eine ähnliche Richtung einschlagen wie Hugo. Zu ihnen rechnet Singer namentlich die Philosophen Johann Friedrich Flatt und Karl Leonhard Reinhold, sowie den Theologen Anselm Desing; auf Rehberg und Thibaut, die Singer hier gleichfalls nennt, komme ich im weiteren Verlaufe zu sprechen; aber auch für Singer ist zweifellos Hugo der Bahnbrecher auf dem Gebiete der Jurlsprudenz. 38) Besprechung derselben von Hugo in den „Gült Gel. Anzeigen", abgedruckt in „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 107 s. 39) „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 246. 40) Recht und Gesetz, vgl. „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 110, 205, 209; an letzterer Stelle, von 1790, heißt es: „Von dem ganzen Ins Civil« behaupten dies" (daß es nämlich aus Rechtssätzen bestehe, die sich lediglich auf

Zu Kapitel 13, S. 20.

7

den Willen eines Oberen gründen) „die Klassiker ebensowenig, als bei uns irgendein Mensch von der Sprache, den Sitten und Vorurteilen einer Nation es behaupten wird. Alle diese Dinge sind auch positiv oder historisch, sie könnten alle auch anders sein. Aber sind sie durch den Willen eines Oberen geworden, wie sie nun einmal sind? Bei einer lex ist's freilich der Wille des Souveräns; aber nicht alle Rechtssätze müssen ja unbedingt gerade durch leges entstehen, rrnd wer Gesetz und Rechtssatz synonym gebraucht, der darf nicht die Bezeichnungen wiederholen, welche nur von der eigentlichen lex gellen." Vgl. ferner Hugos Enzyklopädie, 4. Ausg. § 22; Philosophie des positiven Rechts, 3. Ausg. § 130; Gesch. des römischen Rechts, bei der Erklärung von Ina Civile und sonst öfter; endlich und namentlich aber „Zivilistisches Magazin" Bd. 4 Heft 1 von 1812 S. 89 bis!35, „die Gesetze sind nicht die einzige Quelle der juristischen Wahrheiten" — ein Artikel, worin dieselben Anschauungen mit behaglicher Ausführlichkeit schon ganz im Sinne Savignys entwickelt werden unter fortwährendem Vergleich mit Sprache und Sitten. Will man wissen, wie weit Hugo schon Savigny vorweg­ nimmt, so muß man diesen Artikel ganz lesen und dabei bedenken, daß er nur die Ausführung jener soeben abgedruckten Stelle aus dem Jahre 1790 ist. — Mit der Anschauung Hugos, daß vor Verwechslung von „Rechtsstellen" und »lex< eine Warnungstafel aufzurichten sei, hängt übrigens der von ihm (in jenem Artikel S. 93) gemachte Vorschlag zusammen, die ein­ zelnen Stellen aus Pandekten und Codex Tust, nicht mehr mit lex, sondern irgendwie anders (z. B. Fragmentum und Konstitution, wie das ja jetzt beginnt durchzuschlagen, während es seinerzeit an Savignys Widerstand gescheitert war) zu bezeichnen; vgl. dazu auch noch „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 484 f. in der Note. — Eben darum erscheint es Hugo als Zeichen der hohen juristischen, Bildung bei den Römern, daß sie lex und ins auseinandergehalten haben, s.' „Zivilistisches Magazin" 4, 97. 41) „Zur Zivilistischen Bücherkenntnis" 1, 112. 42) Vgl. einerseits die in der vorigen Note angeführte Besprechung Schlossers durch Hugo in den „Gött. Gel. Anzeigen"; andererseits Schlossers. Artikel im „Zivilistischen Magazin", besprochen oben LandSberg, Gesch. Text 467. 43) Verhältnis Hugos zu Schlosser. Der Bericht, den Hugo selbst über dies Verhältnis in der mehrfach schon erwähnten Besprechung von Schlossers „Briefen über die Gesetzgebung" erstattet, setzt eben fortwährend voraus, daß des Besprechenden Grundsätze und Anschauungen längst feststanden, als er auf Schlossers Briefe stieß, die er nunmehr als mit jenen nahe verwandt

freudig anzeigte. Dabei ergeben sich zugleich die positiven Daten für dieses Zeitverhältnis durch Verweis auf ältere Äußerungen Hugos, namentlich auch „in diesen Blättern", d. h. in den „Gött. Gel. Anzeigen". Steht dies dadurch un­ umstößlich fest, so ließe sich vielleicht noch daran denken, aus Schlossers ältere Schrift von . 1777, seinen „Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des deut­ schen Bürgerlichen Rechts ohne Abschaffung des römischen Gesetzbuches" (desprochen oben Landsberg, Gesch. Text 466 f.) zurückzugreifen und in dieser eine Quelle für Hugos Gedankenwelt zu finden. Indessen ist dies gleichfalls unzulässig, denn erstens wäre es dann undenkbar, daß Hugo dieses Zusammenhanges in

8

Zu Kapitel 13, S. 20.

jener Besprechung von 1789 nicht erwähnt hätte, ein Argument, das bei Hugos peinlicher literarischer Ehrlichkeit allein schon völlig durchschlagend wäre. Ader zweitens ist zwischen Hugos Gedanken und denjenigen jener älteren Schlosserschen Schrift gar keine so weitgehende Übereinstimmung vorhanden, daß man irgend­ wie darauf bauen könnte. Bei abermalig genauem Durchlesen des „Vorschlages und Versuchs" finde ich keinen einzigen Fall eines wirklich greifbaren derartigen Zusammentreffens. Es bleibt also bei der zusammenfassenden Behauptung des Textes, betreffend die Frage, wie weit Schlosser ein Verdienst um Anregung Hugos zukommt; ganz ähnlich urteilt und warnt zugleich wie ich vor Über­

schätzung von Schlosser, dessen Selbstwidersprüche dabei zur Sprache kommen, auch Singer a. a. O. S. 295 und 301. Ebenso aber muß ich bei meiner Würdigung des Verdienstes, das Schlosier unmittelbar um die Entwicklung unserer Wissenschaft zukommt, beharren, wie ich sie im vorangehenden Halbbande zu geben versucht habe; auch gegenüber den Einwendungen meines verehrten Freundes und Kollegen Gothein. mit dem ich mich sonst so gerne im Einverständnis weiß. Diese Einwendungen finden sich teils in der meinem Buch verständnisvoll gewidmeten Besprechung, in der „Beilage der Allgemeinen Zeitung", Jahrgang 1899, Nr. 134 und 135, speziell über diesen Punkt in Nr. 135 S. 7 Spalte 2; teils in Gotheins Schrift „Johann Georg Schlosser als badischer Beamter", Heidelberg 1899, S, 81, Note 1. An dieser Stelle geht Gothein so wett, Schlosser den „wichtigsten Vorläufer Savignys" zu heißen; und wo bleibt, Hugos gar nicht in solchem, wahrhaft kränkenden Zusammenhänge zu erwähnen, Rettemeier, Thibaut, Haubold und noch mancher andere? Nun, ich denke, das wird Gothein kaum mehr aufrecht­ halten wollen; und ich bin bereit, im Sinne des Textes zu dieser Note ihm beizustimmen, wenn er gleichzeitig Schlosser einen Mitstreiter Hugos heißt. Wenn dann Gothein ferner hervorhebt, daß Schlosser die Abhängigkeit des Rechts von den politischen und wirtschaftlichen Zuständen eines Volkes stark betont, so ist dies auch in zünftig naturrechtlerischen Kreisen (Gemeingut: hotte doch schon Wolf darauf (s. o. Landsberg, Gesch. Text 205) die Regeln aufgebaut, nach denen aus dem Naturrecht für jedes Volk und für jede Zeit deren positives Recht herzuleiten sei. Gerade darin liegt also der von Hugo angebahnte, von Savigny vollzogene Fortschritt nicht; und sonach scheint mir immer noch für Schlosser auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft bloß soviel übrig zu bleiben, wie ich ihm a. a. O. eingeräumt hatte. Daß er daneben ein „hervor­ ragender Kopf, voll von anregenden Ideen" gewesen ist, soll nicht geleugnet sein; ob aber diese Ideen so fruchtbar gewesen sind, wie Gothein annimmt, ist wieder eine andere Frage. Für die juristischen Ideen scheint mir meine Unter­ suchung das Gegenteil [ergeben zu haben; bestimmt ergibt das Gegenteil für die ökonomischen Ideen, die Schlosser als Verwaltungsbeamter durchzusetzen suchte, Gotheins eigene Schritt in genauester Darstellung. Überhaupt dürfte fivohl kaum eine gewisse Abneigung, wie ich sie gegen Schlosser zu empfinden gern einräume, eindringlicher gerechtfertigt werden können, als durch jdie Lektüre des Gotheinschen Buches. Wenn man da liest, wie dieser „grämliche Polterer" alles besser weiß und nichts kann: und wenn

Zu Kapitel 13, S- 20—21.

9

man dann der armen Kornelia gedenkt — wem sollte da nicht bitter zumute werden? Und doch tut Goth ein mir wohl unrecht, wenn er meint, meine „Strenge" gegen Schlosser rühre von solcher persönlicher Abneigung her. B^n ich doch, wie Gothein gleichzeitig bemerkt, in demselben Zusammenhänge ebenso „streng" gegen eine so überaus sympathische Persönlichkeit wie die unseres prächtigen Möser! Vielmehr handelt es sich da zunächst, wie auch Gothein zugibt, um eine notwendige Reaktion gegen die landläufig gewordene Überschätzung des Einflusses von Schlosser und Möser, eine Reaktion, zu der es ja wohl einer gewissen Schärfe bedurfte. Außerdem aber, und mehr allgemeinhin, dürfte sich meine „Strenge", wenn solche denn einmal vorliegt (und damit zugleich denn diese meine Kontroverse mit Gothein), erklären aus der Abneigung des Juristen gegen die Neigung der Kulturhistoriker, uns immer für die Fortschritte unserer Wissenschaft als wesentlich abhängig hinzustellen von Männern, denen juristische Gelehrsamkeit, Auffassung und Arbeitsleistung nicht nachzurühmen sind. Nicht wer eine Reihe von Gedanken, unter vielen bloß geistreichen auch den einen oder anderen fruchtbaren hinwirft, ohne deren Brauchbarkeit für bestimmte Wissensgebiete zu erproben, sondern wer auf Grund genauer Kenntnis eines bestimmten Wissensgebietes dieses von neuen Gesichtspunkten aus durcharbeitet, und damit Wissen und Einsicht fördert, das ist der Mann, von dem die Neue­ rung ausgeht; er allein weiß, was er tut, er allein tut etwas. Er allein ist aber auch als der Neuerer greifbar und nachweisbar; Menschen, bei denen sein Grundgedanke schon einmal ähnlich aufgetaucht ist, wird man bei eifrigem Suchen stets nicht nur in der unmittelbar voraufgehenden Generation, sondern noch immer weiter und weiter hinauf finden. Denn in diesem Sinne ist es ja gewiß wahr, das böse Mephistopheles-Wort : Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht? Gedacht wohl, aber nicht durch­ gedacht und eingedacht in den Körper der Wissenschaft, nicht in Einklang gesetzt, mit ihren methodischen Grundbedürfnissen! Mit einem Wort, nicht der geist­ reiche Dilettant ist der wahre Förderer der Wissenschaft, nach meiner Ausfassung, sondern der denkende Sachverständige.

44) Gegen d i e Kantianer s. außer den Vorreden zu den verschiedenen Auflagen des Naturrechts und den Selbstbesprechungen dieser Auslagen in den „Gött. Gel. Anzeigen" noch ebendort die Rezension von Gros, Naturrecht („Zivilist. Bücherk." 1, 466 f.). Ferner in Hugos Naturrecht selbst 2. Aufl. § 41. dort auch Einleitung § 21, Note, wo zum erstenmal der von Hugo später ost gebrauchte Ausdruck „Totschlagsrecht" ciuftrttt als Bezeichnung für das „natürliche Zwangs­ recht" der Thomasisch-Wolfschen Lehre, wonach im Naturzustände jeder das Recht hätte, wegen der geringsten Verletzung seinen Gegner niederzuschlagen. Vgl.

auch Singer a. a. O. S. 293 Note 26.

45) Ille demum, quid fieri debeat, feliciter statu et, cui et ea, quae facta sunt, et quae quotidie fiunt, et quo successu singula, innotuerunt. 46) Selbstanzeige der ersten Auflage des Naturrechts, abgedruckt in „Zur ' wilistischen Bücherkenntnis" 1, 372 f., die angeführte Stelle S. 376.

10

Zu Kapitel 13, S. 22—25.

47) Naturrecht, 2. Aufl. § 129. Deshalb sei es so verkehrt, seitens des üblichen Naturrechts mit dem vermeintlich Einfacheren, d. h. mit dem Recht ohne den Staat, anzufangen und dann zum Staat vorzuschreiten. Vgl. auch „Zur Zibilistischen Bücherkenntnis" 1, 374: „Niemand kann also" (weil nämlich der Staat erst Rechts- und Zwangsmittel schafft, also nie juristischer, sondern bloß moralischer Beurteilung unterliegt) „juristische Rechte gegen irgendeine höchste Gewalt als solche haben" („ein Satz, wegen dessen der Verfasser 1790 für einen Fürstenschmeichler erklärt ward", wie er selbst ironisch 1798 dazu bemerkt). 48) Hugos Naturrecht, 1. Aufl., § 190 S. 158. Dazu in Hugos Hand­ exemplar (mir durch die Göttinger Universitätsbibliothek gütigst zur Verfügung gestellt) die offenbar von ihm herrührende handschriftliche Randbemerkung: >La nöcessitö est la source et Föcueil de tous les droits authentia< des Brachylogus die Rede ist. Vgl. Ratjen a. a. O. S. VII. 30) Epitome exactis regibus und Corpus inscriptionum betr. s. Cramer

Hauschronik 139 und 175. 31) Über den Pomponius in Hugos „Ziv. Mag." 6, 1 f. — Diese Artikel

in Hugos und in Savignys Zeitschriften sind wohl das einzig streng Wissen­ schaftliche, das Cramer deutsch geschrieben hätte. Sonst zog er es vor, als Gelehrter lateinisch zu schreiben, wie er denn in seiner deutsch geschriebenen Hauschronik überall, wo er feierlich und würdig auftreten will, ins Lateinische gerät. Für dies Lateinischschreiben gibt er selbst, Hauschronik S. 181, den paradoxesten aller Gründe an, nämlich nichts wechsele so rasch als der Sprach­ gebrauch und Stil in einer lebenden Sprache. Wer sich einer solchen bediene, könne daher sicher )ein, in etwa hundert Jahren oder binnen noch kürzerer Zeit ungenießbar zu sein. Wer aber eine tote Sprache schreibe, bleibe stets gleich verständlich. Richtiger geschlossen, er ist von vornherein ungenießbar. — Daneben aber dann überaus treffende Gedanken; z. B. ebendort S. 179 der, daß nur der als Schriftsteller auf die Dauer erfreulich wirke, aus dem nicht nur. der Schriftsteller, sondern auch der Mensch rede. Die hübschen Ausführungen hierüber mit ihren Anwendungen auf die schöne Literatur jener Zeit würden sich vielleicht literarhistorisch nicht übel verwerten lassen. 32) Die sogenannten Klenzeschen Konstitutionen, Arttkel von Cramer und Klenze in der „Zeitschrift f. geschichtl. RW." 8, 132 f. und 238 f.,

Zu Kapitel 13, S. 58—59.

21

vgl. Natjeu a. a. O. XXVIII. Für die Bedeutung, die diese beiden Konstitu­ tionen dann gewonnen haben, s. Fitting, Die Jnstitutionen-Glosse des Gualcausus (1891) S. 64 f.; und Max Konrat, Quellen und Literatur des römischen Rechts im früheren Mittelalter, 1, 583—594 (gleichfalls 1891). 33) Vgl. auch Ratjen a. a. O. S. LVII, wo weitere Anschauungen Cramers zur Texleskritik der Pandekten aus dessen Nachlaß mitgeteilt sind. 34) Supplement! ad Barnabae Brisson!! opus de verborum quae ad ins civile pertinent significatione Specimen I, Kiel 1813. Nachträge dazu aus Cramers handschriftlichem Nachlasse gibt Ratjen a. a. O. S. XV f., aber auch diese nur aus dem A. Weiteres, falls es Vorgelegen haben sollte, ist nicht veröffentlicht. II. 3. 35) Heinrich Eduard Siegfried Schrader, geboren zu Hildes­ heim am 31. März 1779, absolvierte dort das Gymnasium und bezog dann die Universitäten Helmstädt und Halle zum Studium der Theologie und seiner Lieb­ lingswissenschaft, der Mathematik. Er ließ sich dann jedoch für die Rechtswissenschaft gewinnen und begab sich deshalb 1801 nach Göttingen in die Schule Hugos. Ihr brachte er um so stärkere Empfänglichkeit entgegen, als er auf Gymnasium und Universität neben anderem auch fleißig Philologisches getrieben hatte. Er löste 1802 und 1803 zwei akademische Preisaufgaben, promovierte zu Göttingen am 20. Juli 1803, habilitierte sich ebenda am 21. August desselben Jahres und ward 1804 nach Helmstädt als ao. Professor der Rechte berufen. Unter dem französischen Regiment wurde er 1808 ebenda o. Professor, dann 1809 bei der Auflösung der Universität Helmstädt in gleicher Eigenschaft nach Marburg über­ nommen. Er folgte 1810 einem Rufe nach Tübingen, dem er dann zeitlebens treu blieb, wie er dieser Universität auch seine sämtlichen Papiere hinterlassen hat. Nebenbei bekleidete er dort 1813—1817 das Amt eines Obertribunalrates. Auch politisch ist er in Württemberg tätig geworden, in der Weise nämlich, daß er, obschon an sich keineswegs illiberal gesinnt, aber freilich stark pietistisch befangen, in den Wirren des Jahres 1848 sich gegen jede überstürzte und ein­ schneidende Maßregel wandte; trotz einer gewissen natürlichen Ängstlichkeit und

Gemütsweichheit, die sich sonst in seiner Lebensführung bekundet zu haben scheint (von Mohl sagt: „Ein vortrefflicher, wohltätiger, harmloser Mensch, aber ohne eine Spur von Urteil; Karl G. von Wächter, der seine Nichte zur Frau hatte, tyrannisierte ihn, wenn er Lust dazu hatte und es in seinem Vor­ teil lag"), hat er sich damals selbst nicht gescheut, zu solchen Zwecken in Volks­ versammlungen persönlich hervorzutreten. Als er im Jahre 1853 in voller körperlicher und geistiger Frische seinen 74jährigen Geburtstag feierte, erhielt er durch eine hohe Ordensauszeichnung den Adel. Einige Jahre darauf trat Abnahme seiner Kräfte, der Tod aber erst am 16. August 1860 ein. (Nekrolog im Schwäbischen Merkur 2. Abt. Nr. 51 vom 28. Februar 1861 S. 383 f., zwar bloß mit Initialen gezeichnet, aber zweifellos von seinem Neffen Georg Bruns herrührend, s. auch Degenkolb im Archiv f. Zivilist. Praxis, Nekrolog auf Bruns, 64, 435 Note 5. — Klüpfel, Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen 451. — Landsberg in der A. D. B. 32, 428 f. — v.Mohl,Lebenserinnerungen 1,194).

22

Zu Kapitel 13, S. 59—61.

36) Frühere Schriften Schraders sind: „Abhandlungen aus dem Zivilrecht'', Hannover 1808; und „Zivilistische Abhandlungen", Weimar 1816, darunter auch Mathematisches. Schrader trug noch 1814 einen mathematischen Preiß bei der Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen gegen 12 Mitbewerber davon. 37) „Über eine neue Handausgabe des justinianischen Gesetzbuches" in den

Abhandlungen von 1808 S. 193—323. Dagegen bereits unendlich weitschicbtiger der Aufsatz in den „Zivilistischen Abhandlungen": „Alte Drucke der Teile des Corp. iur. civ., ihrer Verwandtschaft und innerem Werte nach betrachtet" von 1816, S. 355 f. Zur Würdigung des Schraderschen Planes vgl. auch Krüger, Römische Rechtsgeschichte S. 388 Note 13. Mit Recht wird dort hervorgehoben, wie Schrader der Masse seines Materials gegenüber sich ratlos zeigt und schon deshalb scheitern mußte; ebenso Hermann 11. Kantorowicz in der „Zeitschr. der Savigny-Stiftung", rom. Abt., 30, 237; vgl. dagegen Mommsens kraekatio zu seiner Ausgabe LII f., Kantorowicz a. a. O. S. 238 Text zu Note 42. 38) Gottlieb Lukas Friedrich Tafel, geboren zu Bempflingen den 6. September 1787, Repetent zu Tübingen 1815, ao. Prof, der klassischen Philologie dort 1818, o. Prof. 1822, in den Ruhestand versetzt 1846, gestorben zu Ulm 14. Oktober 1860 (Klüpfel, Universität Tübingen 146). 39) Walter Friedrich Clossius, als Sohn des Anatomen und Chirurgen Karl Friedrich C. geb. 17. September 1795 (nach anderen 1796) zu Tübingen, studierte dort 1812 — 1817 die Rechte, wurde 1817 Unterbibliothekar, Magister der Philosophie und Doktor der Rechte, 1818 Privatdozent und Mitglied des Spruchkollegiums der Universität, 1819 Mitglied der Juristenfakultät als Prü­ fungsbehörde, unternahm 1819 und 1820 seine Forschungsreisen, wurde 1821 ao, 1823 o. Professor der Rechte, folgte 1824 einem Rufe nach Dorpat als Hofrat und o. Professor, 1831 Kollegienrat, 1836 Staatsrat, 1837 nach Deutsch­ land an die Universität Gießen als Professor und Geheimer Justizrat zurück­ gekehrt, indessen dort schon gestorben am 10. Februar 1838. (Sieffenhagen in der A. D. B. 4, 343 f. und dort Angefiihrte). — Tätigkeit aus der Tübinger Zeit: >Com. iuridico-literaria sistens codicum quorundam msc. Dig. veteris descriptionem«, Weimar 1818. — »Theodosiani codicis genuini fragmenta«, Tübingen 1824, vgl. Krüger, Römische Rechtsgeschichte, S. 291, Text zu Note 28. — Tätigkeit aus der Dorpater Zeit: De vetustis nonnullis membranis in bibliothecis Rossicis aliisque vicinis extantibus promulsio, Dorpat 1827, wozu zu vergleichen obens Note 16 über die Möglichkeit der Verwertung von Hauboldschen Manuskripten. — Hermeneutik des römischen Rechts, Leip­ zig 1831. — Mehrere Aufsätze in der Themis u. a. dgl. 40) Schraders Jnstitutionenausgabe, stereotypiert, weitere Ausgaben 1836 und 1844. 41) Dieser Christian Johann C. Maier ist ganz unbekannt geblieben. Er taucht nur einmal in den Akten der Bibliothek Tübingen auf, wo 1824 Schrader sich bemüht, ihm eine Stelle als Unterbibliothekar zu verschaffen, jedoch ver­ gebens, da ihm ein anderer vorgezogen wurde. Aus der betreffenden Notiz erhellt deshalb auch nichts weiteres über Maiers Schicksal. Über seine Vergangenheit ergibt sich daraus, daß er aus

Zu Kapitel 13, S. 61.

23

Eßlingen stammt, in Tübingen mit seltenem Eifer Philologie, Mathematik und Jurisprudenz (also so recht eine Verbindung nach dem Herzen Schraders) studiert und diese seine Studien vor ll/2 Jahren vollendet hatte, endlich, daß er sich eben damals in Sachen der Schraderschen Ausgabe auf Reisen in Italien befand. Weiteres bin ich außerstande, über ihn zu berichten. (Das Mitgeteilte nach gütigen Nachforschungen des Herrn Kollegen M. Rümelin in Tübingen, mir freundlichst nebst dem Original des angegebenen Empfehlungsschreibens vom 5. September 1824 mitgeteilt durch Brief vom 11. März 1900.) 42) Di e Gebrüder Kriege! und ihre Ausgabe des Corpus iuris. — Karl Albert Kriegel, der Richtunggebende und auch sonst wissenschaftlich stärker Hervortretende von beiden, ist geboren zu Dresden am 15. Februar 1804; in Leipzig, wo er seine Studien 1822 begann, hörte er bei Haubold, Wenck, Biener und Gottfried Hermann; nach bestandenem Examen ging er 1827 noch für ein Jahr nach Göttingen, praktizierte dann eine Zeit­ lang in Leipzig, promovierte 1830 mit der Dissertation: »Antiqua versio latina fragmentorum e Modestini libro de excusationibus in integrum restituta«, wozu zu vergleichen die Widerlegung der Überschätzung von Alter und Bedeutung dieser Übersetzung durch Mommsen in dessen größerer Pan­

dektenausgabe, Vol. 1 Addit. IV p. 35. Indessen bleibt Karl Albert Kriegel doch selbst darnach das Verdienst, diese fast vergessenen Dinge wieder ans Tageslicht gezogen zu haben. Er begann darauf exegetische Vorlesungen über die Pandekten zu halten im Anschluß an Haubolds Wunsch der Rückkehr zu der französischen Methode, wurde 1832 ao. Professor, starb aber bereits am 30. März 1834. Von seinen späteren Schriften seien noch genannt die Aus­ gabe von Nov. 87 nach mehreren Handschriften, Leipzig 1832, und die zweite Ausgabe des zweiten Teiles des Handbuches von Curtius über das „Sächsische Zivilrecht" (Leipzig 1834), dessen Pflege also K. A. Kriegel wie Haubold mit derjenigen der römischen Nechtsquellen verbunden hat. Der jüngere Bruder, Karl Moritz Kriegel, ist geboren zu Dresden am 9. Mai 1805, studierte mit dem älteren zu Leipzig und Göttingen, promo­ vierte in Leipzig 1831, zum Mitglied der Leipziger Juristenfakultät erwählt 1836, scheint diese Stellung (im Gegensatz zum Bruder nicht ohne praktischen Sinn) gern eingenommen zu haben. Auch scheint er Neigung zur Kunst, be­ sonders zur Malerei und Plaßik besessen zu haben, die er durch mannigfache Reisen entwickelte und förderte. Zu der Übernahme der mühsamen Mitarbeit Iuris publici germanici delineatio< (1797) § 8. 21) Vgl. Einleitung zur ersten Auflage und Selbstanzeige in den Heidel­ berger Jahrbüchern 1, 186 f. 22) „Blick auf den Zustand" usf. S. 159. 23) Die im Text angeführten französischen Versuche einer Be­ gründung von Zachariaes Vorzug rühren namentlich her von Bracher a. a. O., in der Revue historique 15, 432 und 475. Dabei übersieht Brocher ganz — oder versäumt wenigstens es zu erwähnen —, daß Zachariae für sein Handbuch keineswegs ein eigenes System ersonnen hat, sondern darin nur dasjenige System ganz schablonenhaft auf das französische Recht überträgt, das er in den Anfangsgründen des philosophischen Privatrechts von 1804 aprioristisch deduziert hatte; nicht einmal durch die so viel bessere und klarere Anordnung von HeisesGrundriß hat Zachariae sich in dieser Beziehung beeinflussen lassen, wie er denn auch in allen folgenden Auflagen unverändert an feinem System festhätt. 24) Bluntschli, Gesch. 596 f., vgl. oben Note 7. — Nicht hierher gehören Zachariaes Schrift Aber allgemeine Hermeneutik, Meißen 1805, und seine An­ leitung zur gerichtlichen Beredsamkeit, Heidelberg 1810, oder dergleichen Werke mehr; ferner nicht sein 'bekanntlich sehr partikularistischer „Entwurf zu denr Grundoertrag des durch den Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 verhiesenen deutschen Staatenbundes", Heidelberg 1814; und am wenigsten seine „Abhand­ lungen aus dem Gebiete der Staatswirtschaftslehre", welche gesammelt erschienen sind Heidelberg 1835, 2. Auflage, Mannheim 1850.

58

Zu Kapitel 13, S. 109.

25) Vierzig Bücher vom Staate. Der 1. Band der 1. Auslage datiert von 1820; der 5. und letzte dieser Auflage von 1832; die wesentlich umgearbeitete 2. Auflage beginnt mit den drei ersten Teilen 1839 und ist ge­ rade vor dem Lebensende ihres Verfassers, 1843, mit dem siebenten Teile ab­ geschlossen worden. Dieser zweiten Ausgabe ist vorangesetzt das Motto: »An omnis mpriar ? < 26) Diese Zitate aus v. Mohl a. a. O. S. 515 u. S. 520. v. Mvhl nennt dort unter jenen Gutachten als solche besonders bedenklich sophistischer Art die für Sir A. d'Este (unter Preisgabe aller Grundsätze über Standesmäßigkeit fürstlicher Ehen), für die Löwensteinschen Ansprüche und für die Erbfähigkeit der Mantel­ kinder; dagegen als solche, wo Zachariae auf Seite der Wahrheit stehe, z. B. diejenigen betreffend die Unteilbarkeit Badens gegen bayerische Ansprüche und betreffend das volle Landstandsrecht der mecklenburgischen bürgerlichen Guts­ besitzer gegen die Ansprüche des alten Adels. 27) Hierher rechne ich die Abhandlungen: »De originibus iuris romani ex iure germanico repetendis«, Heidelberg 1817, vielleicht die Grenzüberschreitung zu Zachariaes dritter Periode kennzeichnend. — „Der Kampf des Grundeigen­ tums gegen die Grundherrlichkeil", Heidelberg 1832. — „Über den Ursprung des Lehnrechts" und „Die Hauptstufen der Entwicklung des deutschen Rechts", diese beiden in der „Zeitschrift für deutsches Recht" von Reyscher und Wilda 7, 36 f. und 222 f.

Zum vierzehnten Kapitel. L 1) Über bie Strafrechtsbewegung dieser Zeit bietet weitaus das Gediegenste und Vollständigste, abgesehen von einer älteren, aber immer­ hin noch wertvollen Skizze Wächters (in Schletters Jahrbüchern von 1855 1, 105 s.) R. Loening, Über geschichtliche und ungeschichtliche Behandlung des deut­ schen Strafrechts, Antrittsrede, gehalten zu Jena am 29. April 1882, abgedruckt in der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft" 3, 219 f. mit um­ fassenden „Skizzen und Materialien zur Geschichte der deutschen Strafrechts­ wissenschaft seit 150 Jahren", in Anmerkungen. Davon hierhergehörig haupt­ sächlich die Anmerkungen 1—9. Loening gibt eine mit Belegen reichlich aus­ gestattete Darstellung dieser Zeit unter Betonung ihres jugendlichen CharatterS (darüber besonders Anm. 3 S. 321). ihrer philosophisch-abstrakten Grundlagen, ihrer Geringschätzung der bisherigen Leistungen und ihres Gegensatzes zu der historischen Methode. Nur daß, um diesen Gegensatz scharf hervorzuheben, die verdienstlichen Seilen der Leistungen doch wohl etwas zurückgesetzt, die Unter­ schiede dieser spekulativen Richtung gegen die vorangehende naturrechtlich raison­ nierende, aufklärerische Epoche (Klein und Kleinschrod) etwas verwischt werden, wie sich dies übrigens aus den Gesichtspunkten der Löningschen Darstellung von selbst ergibt. Im einzelnen finde ich einzuwenden, einmal, daß, wenn Feuerbach auch, wie Löning S. 232 und öfter schlagend nachweist, mit seiner positivistischen Grundlage nicht selten in Widerspruch gerät, darum denn doch diese Grundlage nicht bedeutungslos wird, weder für Feuerbach selbst noch für die von ihm gegebene wissenschaftliche Anregung; sodann, daß Stübels und Tillmanns positivistische Leistungen gegenüber ihren bloß methodologisch-pro­ grammatischen Äußerungen doch entschieden von Löning unterschätzt werden. — Unter dankbarer Benutzung der Löningschen Gedanken und Materialien, aber unter den aus dem verschiedenen Gesamtrahmen sich ergebenden Abweichungen sind die Ausführungen dieses Äbschnittes sowie späterer strafrechtlicher Abschnitte

60

Zu Kapitel 14, S. 111—112.

dieses Bandes gearbeitet. — Seitdem ist hinzugekommen die sorgfältige Studie von Edwin Baumgarten, Das Recht der Persönlichkeit und der Zweckgedante in Theorie und Praxis des deutschen Strafrechts von der Carolina bis auf Feuerbach, 1907. 2) Dieser Grund dafür, daß das historische Verfahren nicht auch sofort aus das Strafrecht übertragen wurde, ist wohl nicht genügend gewürdigt von Löning a. a. O., besonders S. 316. I. 1. 3) Hauptsächliche literarische und l i 1 e r ä r g e s ch i ch 1 li ch e Quelle über Feuerbach ist: „Anselm Ritter von Feuerbachs Leben und Wirken, aus seinen ungedruckten Briefen und Tagebüchern, Vorträgen und Denkschriften, veröffentlicht von seinem Sohne Ludwig Feuerbach" (dem berühmten Philosophen), 2 Bde., Leipzig 1852. — Sonstige biographische Aufsätze u. dgl.: von Abegg im „Gerichtssaal" 1856; Mittermaier im „Staats­ wörterbuch" 1856; Glaser in der „Allg. Österr. Ger. Ztg." 1858, wieder abgedruckt

in seinen kleinen gesammelten Schriften 1, 21 s.; v. Marquardsen in Rottecks und Welkers Staatslexikon, 3. Aufl., und in der A. D. B. 6, 731 f.; Binding in der „Beilage zur Allgemeinen Zeitung" vom 15. November 1875; Geyer in der „Deutschen Rundschau" von 1877, 1, 465 f.; Heigel in „Im neuen Reich" 1876; v. Bechmann, Feuerbach und Savigny, Rektoratsrede, München 1894; Hölder, Savigny und Feuerbach, die Koryphäen der deutschen RW., in Virchows und v. Holtzendorffs Sammlung wissenschaftlicher Vorträge Serie XVI Heft 378. — Gute Charakteristik und einige interessante Einzelheiten in dem Aufsatze von Dr. Julius Meyer „Ansbachs Beziehungen zu den Feuerbachs", Separatabdruck aus dem Unterhaltungsblatt zur „Fränkischen Zeitung", Nummern vom 22. Sep­ tember bis zum 29. September 1906, 111—114. — Recht unbedeutend als Bio­ graphie wie als Würdigung Maximilian Fleischmann, Anselm Feuerbach, der Jurist, als Philosoph, München 1906. — Dagegen immer noch beachtenswert wegen der Beziehungen zu Kant Cohen, Bon Kants Einfluß auf die deutsche Kultur, S. 17 f. 4) Bon Feuerbachs Vater erfahren wir manche Charakterzüge, die an die Väter von Goethe und Hugo erinnern: Härte, pedantisch-patriarchalische Art, die Erziehung des Sohnes ausschließlich nach praktischen Gesichtspunkten einzurichten, kurz der bekannte Typus des Genievaters, hier wohl bis zur Karikatur, bis zur Grenze der Unerträglichkeit gesteigert. Interessant ist seine Doktordissertation, Gießen 1778: Quaestionem explicans an et quatenus privilegia miserabilium personarum pauperibus denegari possint, ad Leg. unicam C. quando Imperator in pupillos. War der Vater hier gegen Zeit­ geist und herrschende Meinung auf wörtliche Gesetzesauslegung entschieden be­ dacht, und zwar ohne sich irgendwie durch Bedenken des Mitleids oder der Milde dagegen beeinflussen zu lassen, so ist die Ähnlichkeit mit der ausgepräg­

ten Stellung des Sohnes unverkennbar. 5) Brief an den Sohn Anselm vom 23. März 1820, Leben und Wirken 2, 138. Adressat ist der bekannte Philologe Anselm Feuerbach, der Autor des

Zu Kapitel 14, S. 113—120.

61

„Vatikanischen Apollo", den es damals einer krankhaft mystischen Neigung zur -Theologie zu entreißen galt. 6) Tagebucheintrag Dom Juli 1797: Mors omnibus ex natura aequalis. Oblivione apud posteros vel gloria distinguitur (Tac. Hist. 1, 21). — Leben und Wirken 1, 41; vgl. auch ebenda 1, 13. 7) Leben und Wirken 1, 22. 8) Leben und Wirken 1, 29; mehr zurückhaltend darüber der junge Savigny in seinem Briefe an beide Creuzer vom 3. Januar 1800, bei Stoll, Savignys Studienreise, Kasseler Gymnasialprogramm von 1890, S. 30. 9) Feuerbach war um diese Zeit geradezu leidenschaftlich — denn bei Feuerbach ist jede Stellungnahme, für oder gegen, leidenschaftlich, selbst noch in älteren, um wie viel mehr in seinen jüngeren Jahren — gegen Fichte einge­ nommen, gegen dessen Persönlichkeit und dessen Philosophie, s. Leben und Wirken 1, 51 und Dgl. sachlich Baumgarten a. a. O. 101. — Was übrigens die Frage der Priorität Don Feuerbach oder Kant anbetrifft, so hat Baumgarten a. a. O. 131 gewiß recht, wenn er auf die „Metaphysik der Sitten" Don 1785 hinweist und damit die Grundlegung als Don Kant Dollzogen dartut. — Wie sollte das denn auch anders denkbar sein? Aber die Priorität der naturrechtlichen Ausarbeitung Derbleibt Feuerbach. 10) Die Zitate des Textes aus der „ReDision", Einleitung S. XX und XXIII; die hier gesperrten Stellen auch dort in Sperrdruck. 11) Philosophisch-juristische Untersuchung über das Berbrechen des HochDerrats S. 3 f.: Dgl. ReDision 1, 181. — Daß durch die so wieder geöffnete Seitentür Aprioristisches wieder reichlich eindringt, wird mit Recht Don Lüning a. a. O. herDorgehoben. 12) So führt er selbst seine eigene Schrift, die tatsächlich den Titel trägt „Über die Beweisgründe usf. der natürlichen Recht e", im Vorwort (S. XXVI) der Schrift über den HochDerrat an als eine Schrift „Über die M e n s ch e n r e ch 1 e". 13) S. dagegen sooiel freier und einsichtiger Kant, „Metaphysische An­ fangsgründe der Rechtslehre", allgemeine Anmerkung A §u § 49. 14) So auch Löning a. a. O. 292, „Die Eleganz und das Pathos des Vortrages". 15) Natürlich tritt die Kantsche Schulung Feuerbachs auch bei zahllosen Einzelheiten Zug für Zug in der Form wie in der Sache herDor; man vgl. z. B. nur die Definition des Strafgesetzes 1, 146 und 147. 16) ReDision 2, 283. Feuerbach betrachtet mit Recht als seinen Haupt­ gegner Wolf, während es bei Gundling und Berger noch besser stehe. Treffender hätte Feuerbach statt diesen beiden ihren gemeinsamen Lehrmeister Thomasius ge­ nannt, an den Feuerbachs Unterscheidung ddii Recht und Moral gelegentlich anklingt. 17) ReDision 1, 180 f. 18) Über die Entstehung des Satzes »nulla poena sine lege poenali« s. Binding, Handbuch des Strafrechts, § 4, S. 17 f. 19) Von dieser seiner psychologischen Zwangstheorie ist es ja auch durchaus bekannt, daß sie in ihren Grundzügen keineswegs Don Feuerbach erfunden, oder auch nur Don ihm neu aufgefunden ist, sondern daß |fie immer

62

Zu Kapitel 14, S. 120—123.

und gerade unter seinen unmittelbaren Vorgängern zahlreichen Anhang gehabt hat; vgl. B. bett. I. H. Böhmer und Ältere Baumgarten a. a. O. S. 90.

— Über Schwankungen Pufendorfs in seiner Begründung der Strafzufügung (im Gegensatz zur Strafdrohung) s. R. Schmidt „Die Aufgaben der Strafrechts­ pflege" S. 29 Note 1. 20) Hervorgehoben wird die absolute Seitt der Feuerbachschen Theorie durch R. Schmidt a. a. O. (Leipzig 1895) S. 28 f., 44, 49, 55 f.; und durch Günther, „Die Idee der Wiedervergeltung", Abteilung III, 1, Erlangen 1895, S. 143 f. — Umgekehrt namentlich Köstlin, Neue Revision S. 811. — Dagegen weiß Grolman schon sehr wohl, daß Feuerbach näher zu Kant steht als er selbst,,.?. Grolman, „Über die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetz­

gebung" S. 229. 21) Revision 1, 5 und 1, 9. — S. auch Note 23. 22) R. Schmidt a. a. O. S. 28. 23) Über die Anknüpfung für die psychologische Zwangstheorie, wie sie bei Feuerbach äuftritt, an die Kantsche Lehre s. auch Baumgarten a. a. O. S. 93, 94. Der Grundgedanke Baumgartens geht dahin, daß in dieser Ver­ bindung der Grund für Feuerbachs Erfolg liege, indem sie der Zeit das bot, was für die Zeit erforderlich war, und was kein anderer ihr so zu bieten vermochte: Versöhnung eines der Empfindung der Zeit und den Bedürfnissen der Praxis genügenden Zwecks (Generalprävention) mit dem Kantschen Postulat der Wahrung der Menschenwürde, unter Vermeidung der nackten Kantschen Vergeltung; das läßt sich m. A. nach wohl billigen. 24) Bibliothek des peinlichen Rechts, so wird die Zeitschrift meist abgekürzt genannt; genauer Titel: „Bibliothek für die peinliche Rechtswissen­ schaft und Gesetzeskunde", herausgegeben von L. Harscher v. Almendingen, Karl Grolman und Paul Johann Anselm Feuerbach. Erschienen sind freilich nur Bd. 1 in drei Stücken 1797—1799, Bd. 2 Stück 1 1800, Bd. 2 Stück 2 und 3 und Bd. 3 Stück 1 1804. Mit diesen Stücken hat die Zeitschrift schon ihr Ende gefunden. Über den freundschaftlichen Geist, der die Beziehungen zwischen den Herausgebern beherrscht, legt beredtes Zeugnis ab die Widmung von Feuer­ bachs Lehrbuch 1801 an Grolman und Harscher v. Almendingen. 25) Im Text nicht genannte Beiträge von Feuerbach: Über Artikel 159 der Carolina; über Ulrich Tenglers Layenspiegel; Über die Kriminaljurispru­ denz des Koran; Über die Todesstrafe; Zur Kriminaljustiz des 17. Jahrhunderts; Der heil. Augustinus über die Tortur; Das Bahrrecht am Ende des 18. Jahr­ hunderts. Solche Titelüberschriften geben wenigstens einen Überblick über die Regsamkeit von Feuerbachs auch geschichtlichem Interesse. 26) Feuerbachs Lehrbuch des peinlichen Rechts, spätere Auflagen. Sie zerfallen in drei Gruppen: die erste Gruppe hält, wennschon mit mannigfachen Zusätzen und Änderungen im einzelnen, wofür zum Teil schon Mittermaiers Beihilfe in Anspruch genommen wurde, doch im wesentlichen an der Grundform der 1. Auflage und an den ursprünglichen Auffassungen des Verfassers fest. Hierher gehören die 2 Auflage von 1803; die 3 Auflage von 1805; die 4. stark verbesserte von 1808; die 5. von 1812; die 6. von 1818;

Zu Kapitel 14, S. 123—126.

63

die 7. von 1820 und die 8. von 1823. Davon sind die 5.—8. Ausgabe fast unveränderte Abdrucke der vierten. — Dann beginnt die zweite Gruppe mit der 9. Auflage von 1826, bei der Feuerbach das Zusammentreffen des Augen­ blicks, in dem das Buch 25, er selbst 50 Jahre eilt ward, zum Anlaß einer gründlichen Umarbeitung nahm; er hatte dabei fast alles seit der 4. Ausgabe von 1808 Hinzugekommene nachzutragen, so daß ein scharfer Einschnitt entstand. Unter dem Einfluß der inzwischen gewonnenen praktischen Erfahrungen, wohl auch der Altersreife, und, wie er selbst hervorhebt, des Martinschen Lehrbuches, ist diese Umarbeitung, bei der er sich starker Unterstützung durch Mittermaier bediente, eine vielfach grundstürzende geworden, und zwar gerade für die bisher schärfst ausgeprägten Lehren, so z. B. für die von der Culpa, für die von den subjektiven Gründen der absoluten Strafbarkeit oder der Zurechnung, für die Beseitigung der praesumptio doli, und ferner für zahlreiche Einzeldelikte im besonderen Teile. Dieser Typus bleibt dann durchweg bestehen für die zwei weiteren Ausgaben, die noch zu Feuerbachs Lebzeiten erschienen, nämlich die 10. von 1828 und die 11. von. 1832. — Die dritte Gruppe endlich ist die der Posthumen Ausgaben, besorgt von Mittermaier, von ihm aber mit Verbesserungen, Notenzusätzen, Ergänzungen in großer Menge überladen, und zwar alles dies methodologisch und theoretisch von ganz anderen Grundanschauungen aus, so daß das ursprüngliche Wesen des Werkes darüber verloren geht, dessen schön geprägte Formen „unter Wasser gesetzt sind" und ein unerträglicher Wechsel­ balg entsteht. Solche Auflagen sind die 12. von 1836, die 13. von 1840, und biA 14. von 1847, womit das Leben des Werkes abschließt.

27) Man bedenke z. B., daß die nach der Carolina mit der Todesstrafe belegten Delikte der Blutschande und der Sodomie bei Feuerbach unter den Polizeivergehen auftreten. 28) Über Claproth und seine Anläufe zur Aufstellung fester Tatbestände s. Landsberg, Gesch., Text 408. 29) Über Feuerbachs Kritik von Kleinschrods Strafgesetzentwurf s. oben Landsberg, Gesch., Text 464. Die Kritik ist zwar erst erschienen 1804, als Feuerbach bereits in Landshut war; aber sie ist fertig geschrieben bereits in Kiel, s. Leben und Wirken S. 93. Sie wird wohl handschriftlich oder im Druck der bayerischen Regierung übergeben worden sein, ehe sie ausgegeben wurde. 30) Feuerbachs Weggang von Landshut undVersetzung nach München. Genauer gesagt, Feuerbach verließ Landshut in voller Wut über die ihm angetane, wie er meint, schmachvolle Behandlung. Er selbst nennt diesen Weggang „Flucht". Ende September oder in den ersten Tagen Oktober muß sich dies vollzogen haben. Feuerbach eilte nach Frankfurt zu seinem Vater; nach Landshut vorübergehend zurückgekehrt, erhält er dort die vom 16. Dezember 1805 datierte Ernennung zum außerordentlichen Geheimen Referendar beim Ministerial-, Justiz- und Polizeidepartement. Am 15. November 1806 wurde er zum ordentlichen Geheimen Referendar des neu konstituierten, nunmehr Königl. Ministerial-Justizdepartements ernannt; s. Leben und Wirken 1,120 Note. 31) Stellung zum Code Napoleon. Vgl. „Betrachtungen über den Geist des Code Napoleon und dessen Verhältnis zur Gesetzgebung und

64

Zu Kapitel 14, S. 127—131.

Verfassung teutscher Staaten überhaupt und Bayerns insbesondere." Vermut­ lich geschrieben im Januar 1808; ausgenommen in Feuerbachs Themis, Lands­ hut 1812 S. 1 f. 32) Sachlich vgl. die ähnliche Stellung von Harscher v. Almendingen und die Gegnerschaft von Gönner oben in Note 5 zu Kapitel 13, IV. 33) Spüler von Feuerbach ausgearbeiteter Entwurf zu neuem Strafgesetzbuch. Eine Abschrift davon besaß Mittermaier(Staats­ wörterbuch a. a. O. 3, 513 und Note 31 dazu) und hat Auszüge daraus im Archiv des Kriminalrechts 1847 S. 587 f. mitgeteilt. Besonders merkwürdig, wie Mittermaier selbst a. a. O. hervorhebt, daß da Feuerbach den Milderungs­ grund der verminderten Zurechnung und einen allgemeinen richterlichen Mil­ derungsgrund wieder einsührt. — Über weitgehende Abänderungsversuche von Gönner (1822) und Anderen (1827, 1831) Günther a. a. O. Note 318 S. 142. — über die Ausnutzung dieses Bedürfnisses nach Novellen und neuen Ent­ würfen gegen Feuerbach als Vertreter der Gesetzgebung durch Savigny als den Vertreter der gesetzgeberischen Enthattsamkeit s. Günther a. a. O. S. 167 Note 374 und 376. — über die sofort fühlbar gewordenen Fehler des Feuerbachschen'»Gesetzbuches Günther a. a. O. S. 138 Note 314. 34) Leben und Wirken 1, 215. 35) Themis Nr. 3 S. 133—184 „Über den Wilddiebstahl"; auf Grundlage der von Feuerbach schon unterm 9. August 1806 durchgesetzten Königlich baye­ rischen Verordnung, die die schlimmsten Mißstände auf diesem Gebiete beseitigt hatte. 36) Die Abhandlung betr. Polizeidelikte bildet,: zum erstenmal gedruckt, den Schluß des 2. Bandes von Feuerbachs Leben und Wirken, herausgegeben von seinem Sohne. 37) Diese populären Schriften gesammelt in Feuerbachs „Kleinen Schriften vermischten Inhalts" Nr. 1, 2 und 3. 38) Daß die Versetzung von München nach Bamberg Feuer­ bachs eigenen Wünschen und einem darauf gerichteten, macchiavellistisch schlauen Plane Feuerbachs entsprossen sei, daß er selbst schon lange vorher seine Münchener Stellung als erschüttert erkannt und sein ganzes Verhalten nun künstlich auf seinen Weggang hin eingerichtet hätte, will mir nicht glaubhaft dünken, obschon er selbst ex post so seinem Vater (Brief, datiert Bamberg, 15. Sept. 1814, Leben und Wirken 1, 284 f.) schrieb. Dem widersprechen alle anderen Berichte, die Feuerbach a. a. O. gibt, außerdem widerspricht des Mannes ganzer Charakter und namentlich — dem widerspricht, daß die Um­ dichtung in usum paternum allzu deutlich bemerkbar ist. Vgl. dazu be­ kräftigend die Bemerkung des herausgebenden Sohnes Ludwig Feuerbach über das Verhältnis zwischen seinem Großvater und Vater, S. XXX des Vor­ wortes. 39) Leben und Wirken 1, 271 f.; dagegen später ebenda 2, 31. 40) Über den Zusammenhang der Versetzung nach Ansbach

mit den politischen Ereignissen vgl. Eingabe Feuerbachs an den Kronprinzen vom 5. Februar 1817, in Leben und Wirken 2, 59 f. abgedruckt.

Zu Kapitel 14, S. 132—134.

65

Irreführend deshalb die Jahreszahl 1816, die sich für die Ernennung zum Ansbacher Präsidenten regelmäßig, z. B. in der A. D. B. a. a. O., S. 736, findet. Authentisches Datum der „Königlichen Entschließung" ist vielmehr der 18. März 1817 und zwar ist die Ernennung erfolgt mit Wirkung vom 1. April 1817 an. Gefl. Mitteilung des Königlich bayerischen Staatsministeriums der Justiz an mich vom 26. Januar 1905. 41) Die Betrachtungen über das Geschworenengericht sind 1812 erschienen, obschon sie nach bekannter Buchhändlerunsitte das Datum 1813 tragen; s. Note*** -auf S. 229 von Feuerbachs kleinen Schriften, der hier mit Recht stolz darauf rst, daß er solche Dinge noch zur Zeit napoleonischer Übermacht drucken zu lassen gewagt hatte, und deshalb Wert auf den Unterschied zwischen 1812 und 1813 legt. 42) Die „Erklärung" zuerst im neuen „Rheinischen Merkur", dann be­ sonders daraus abgedruckt, Jena 1819; später ausgenommen in die „Kleinen Schriften" Nr. 8. 43) Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit 1, 153;

vgl- weiteres über Feuerbachs Stellung zu Savigny und zur historischen Schule unten Note 55 und Text dazu. 44) „Kleine Schriften" S. 234. 45) Das Bedürfnis nach Nechtsvergleichung machte sich dem Gesetzgeber Feuerbach überhaupt deutlich fühlbar. Auch hier neueste Entwicklungen vor­ wegnehmend, fragt er: „Warum hat der Anatom seine vergleichende Ana­ tomie? und warum hat der Rechtsgelehrte noch keine vergleichende Juris­ prudenz? Die reichste Quelle aller Entdeckungen in jeder Erfahrungswissenfchaft ist Vergleichung und Kombination." Erst aus der Vergleichung verfchiedenster Gesetze und Rechtsgewohnheiten könne eine wahre „Rechtswissenschaft" hervorgehen. „Spreche doch nie von dem Geiste einer Gesetzgebung, wer mehr uicht als diese Gesetzgebung und allenfalls noch die besondere Geschichte ihrer Entwicklung kennt." Dem schließt sich in einer Note ein Hinweis auf Pläne zur Rechtsvergleichung, die der Verfasser gehegt habe, aber nicht ausführen könne, und auf die Schriften von Gans an. All dies in den „Kleinen Schriften" S. 163 f., s. dazu auch ein bruchstückartiges Ergebnis aus jenen universalrechts­ historischen Studien Feuerbachs über die Ehe, das 20 Jahre nach dem Tode öes Verfassers 1853 veröffentlicht worden ist, mit einer „gedankenreichen Ein­ leitung" zu dem geplanten Werke, dessen Vollendung „durch eine Menge widriger Umstände" gescheitert sei. Berichte darüber bei v. Bechmann a. a. O. und bei v. Moller, Trennung der deutschen und der römischen Rechtsgeschichte, S. 50 f. 46) Dafür, daß das Werk keine unmittelbar agitatorische Kraft entfaltete, bestätigend Feuerbach selbst, Leben und Wirken 2, 206. 47) Als Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen dient das Werk 3- B. noch Kahl in seinem Vortrage, gehalten in Gegenwart des Kaisers und Königs im Preußischen Justizministerium am 20. Februar 1908 über Öffent­ lichkeit und Heimlichkeit in der Geschichte des deutschen Strafverfahrens, ver­ öffentlicht in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten.

5

66

Zu Kapitel 14, S. 134.

Technik", Nummer vom 7. März 1908, S. 18; und ebenso Richard Schmidt in seinen Begrüßungsworten an den 29. Juristenlag in Karlsruhe, veröffent­ licht unter dem Titel „Justizreformen im alten Baden" in der ersten Nummer der badischen RechtSpraxis, Jahrgang 74, Karlsruhe, den 5. September 1908r S. 230. 48) Feuerbachs Stellung zu dem Kaspar Hauser-Handel anlangend s. folgende seiner Schriften: Einige wichtige Aktenstücke, den un­ glücklichen Findling Kaspar Hauser betreffend, aus Hitzigs Annalen abgedruckt^ Berlin 1831. — Kaspar Hauser, Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen, Ansbach 1832. — Briefe an Elise von der Recke und an die verwitwete Königin Caroline von Bayern in Leben und Wirken 2, 270 f. unfr 316 f. — Memoire über Kaspar Hauser, der Königin Caroline übersandt ebendort 2, 319 f.; darin besonders die Überzeugung, daß Kaspar Hauser aus dem Hause B. (Baden) stamme, direkt ausgesprochen und verteidigt. — Für die der Skandalsucht und abenteuerlichen Auffassung geneigte Stimmung in dieser Sache ist übrigens bezeichnend die Note (Leben und Wirken 2, 315 f), mit der selbst noch der Philosoph Ludwig Feuerbach über die Todesumstünde seines Vaters berichtet: „Bei der von ihm selbst verlangten Leichenöffnung ergaben sich alle edelen Teile ohne Fehler, die Krankheit ward für nervös erklärt. Das Publikum im allgemeinen aber schrieb die Ursache seines Todes einer Vergiftung wegen seiner Teilnahme an Kaspar Hausers Schicksal zu. Auffallend ist es allerdings, daß dieser noch in dem nämlichen Jahre er­ mordet" (Sperrdruck a. a. O.) „wurde". — Daß dagegen Anselm v. Feuer­ bach selbst später jene halb lächerliche, halb gehässige badische Hypothese ganz, und ehrlich aufgegeben hat, nachdem ihm ihre Unmöglichkeit durch Mitteilungen nächstbeteiligter fürstlicher Personen klar gemacht worden war, — eine Mei­ nungsänderung , die auffallenderweise seinem Sohne Ludwig nicht bekannt ge­ worden zu sein scheint, da er sonst besser jenes geheime Memoire ungedruckt, gelassen hätte — weist in überaus verdienstlicher Weise aus den Ansbacher Präsidialakten von 1832 nach Julius Meyer a. a. O. S. 3. — Wegen des Kaspar Hauser selbst, seiner Persönlichkeit und Betrügereien, des ganzen falschen Lärms überhaupt s. hauptsächlich das Werk von Ant. v. d. Linden. 49) Eine gewisse Neigung zu stürmischer Voreingenommenheit verrät es doch wohl auch, wenn Feuerbach einmal brieflich (Leben und Wirken 2, 202) sich bereit erklärt, in einer anderen juristischen Problemsache jener Zeit, dem Prozeß Fonk, „die Unschuld Fonks de veritate zu beschwören" — denn daß in jener Sache die Dinge, mag man sich mehr aus diese oder jene Seite neigen^ mindestens dunkel lagen, also höchstens nur Freisprechung mangels Schuld­ beweises, allenfalls ein Unschuldseid de persuasione möglich war, dürfte feststehen. 50) Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen. Unter .diesem Titel erschien das Werk in seiner endgültigen Gestalt, Gießen, Bd. 1, 1828 (Vorrede datiert 22. Juli 1827), Bd. 2, 1829 (Vorrede datiert 11. Februar 1829). Davon ist der erste Band in der Hauptsache eine stark vermehrte und verbesserte Umarbeitung der beiden Bändchen, die unter dem

Zu Kapital 14, S. 136—137.

67

Titel „Merkwürdige Kriminalrechtsfälle" Gießen 1808 und 1811 erschienen waren, und von denen nur der erste inzwischen, 1821, eine „sogenannte zweite verbesserte Auflage, welche jedoch nur als unerlaubter Nachdruck betrachtet werden konnte" (Feuerbach in der Vorrede von 1827, (g. VI) erlebt hatte, so lebhaft auch nach neuen Ausgaben verlangt worden war. Der zweite Band der „Aktenmäßigen Darstellung" setzt sich aus Materialien und Arbeiten zusanlmen, die Feuerbach seitdem wesentlich als Gerichtspräsidenten zugeflossen waren, während der erste Band hauptsächlich aus den Fällen stammt, über die Feuerbach während seiner Münchener Jahre den Vortrag beim Könige in Gnadensachen gehabt hatte. Letztere Fälle tragen in dem Werke von 1808/11 durchweg noch unverändert alle Zeichen dieses Ursprungs an sich; in dem Werke von 1828/29 ist das gründlich ausgemerzt. Letzteres erschien überhaupt als ein ganz neues, von dem Verfasser (Vorrede von 1827, S. XIV) dazu bestimmt, das ältere zu verdrängen; deshalb hat auch die literärgeschichtliche Darstellung sich an dies zu Hallen. Von ihm erschienen neue Auflagen: die zweite Gießen 1839, und die dritte, herausgegeben von Mittermaicr, Gießen 1849. 51) Vorrede von 1827, S. XIII. 52) Antrittsrede, gehalten am 21. April 1817, „Die hohe Würde des Richteramtes", abgedruckt in den „Kleinen Schriften", Nr. 4. 53) A u s den Beziehungen zu Tiedge und Elise von der Necke, die sich zu Karlsbad im Juli 1815 entspannen, ergab sich eine leb­ hafte und intime Korrespondenz. In dieser lernen wir einen ganz verschieden gearteten, einen fast sentimentalen, weichen, anschluß- und aussprachebedürftigen Feuerbach kennen, wenigstens den Freunden gegenüber. Zugleich aber gibt sie uns, wie sie in „Leben und Wirken" zum Abdruck gekommen ist, Einblick in Feuerbachs allseitige, künstlerische, politische und kirchliche Interessen; in !seine stets aufrechte und feurig liberale und nationale Gesinnung und zugleich in sein vulkanisch cholerisches Temperament, in seine fortwährend wechselnden Stimmungen und Strebungen. Nur der summarischste Gesamteindruck ließ sich im Text mitteilen. 54) Natürlich ließ sich Feuerbachs gesetzgeberischer Tatendrang nicht befrie­ digen durch einzelne Anläufe zu zivil-, Prozeß- oder strafrechtlicher Novellen­ gesetzgebung, woran er beteiligt war. Vgl. auch oben Note 33. Dergleichen mochte eher nur als Reizmittel wirken; s. etwa besonders die tiefe Verbitterung in dem Briefe, „Leben und Wirken", 2, 250 f. und den traurigen Rückblick auf „alle die Sisyphusarbeit" ebenda 2, 291 f. 55) Betreffend Feuerbachs Stellung nähme zu den Savignyschen Ideen und zu der ganzen historischen Schule sei zuerst verwiesen auf das von Feuerbach geschriebene Vorwort zu Unterholzners juristi­ schen Abhandlungen, München 1810, worin Philosophie, Geschichte, Benutzung der Praxis und Rechtsvergleichung nebeneinander als gleichberechtigte Mittel zur Fortbildung der Rechtswissenschaft anerkannt werden, als deren letztes Ziel die Förderung der Praxis. Nur der antiquarisch elegante Betrieb der Juris­ prudenz, wie er zu Ende des 18. Jahrhunderts eingerissen war, findet entschiedene

68

Zu Kapitel 14, S. 138—139.

Ablehnung. — Daran reiht sich das Vorwort zu Nepomuk Borsts Schrift: „Über die Beweislast im Zivilprozeß", Leipzig 1816, von Feuerbach verfaßt unter dem Titel: „Einige Worte über historische Rechtsgelehrsamkeit und ein­ heimische teutsche Gesetzgebung", wieder abgedruckt in Feuerbachs kleinen Schrif­ ten vermischten Inhalts, Nürnberg 1833 S. 133 f. Feuerbach gibt darin eine ernsthafte und würdig eindringliche Auseinandersetzung mit der Gesetzgebungs­ ablehnung und sonstigen eigenartigen Ideen Savignys, ohne Gehässigkeit, aber in voller Entschiedenheit den Standpunkt wahrend, daß umfassende Gesetzgebung das beste Förderungsmittel für das praktische Rechtsleben darstelle; s. darüber auch Ernst von Möller, Trennung der deutschen und römischen Rechtsgeschichte (1905) S. 52. Auf demselben Standpunkte stehen, wie oben schon erwähnt, die Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit aus dem Jahre 1827, vgl. oben Note 43 und Text dazu. — Später wird dann freilich der Ton un­ säglich viel bitterer. Aus Feuerbachs letzter Lebenszeit, da die Krankheit schon schwer auf ihm lastete, stammt, getan in einem Briefe an seinen Sohn Eduard im September 1832 (Leben und Wirken 2, 336) der Ausruf: „Wer nicht den esprit des lois erkannt hat, verhält sich zu dem wahren Juristen als ein ausgeseelter Osteolog gegen einen geistreichen Physiologen . . . Die historischen Juristen kommen mir nun vollends wie Leute vor, die die Knochen einer Mumie benagen und die Fasern am Mumienkasten zählen". Man wird selbst­ verständlich bei Beurteilung dieser Äußerung berücksichtigen müssen, daß sie als Briefstelle durch eine augenblickliche Stimmung beeinflußt sein mag. 56) Für Feuerbachs liberalen Eifer ist auch kennzeichnend, daß er noch in den 20er Jahren eintritt für die gefährdeten Rechte der baye­ rischen protestantischen Kirche in einer Reihe von rechts- und kirchen­ politischen Aufsätzen scharf satirischen Tones. Zunächst in einer gegen die Durchsetzung einer Konsistorialverfassung gerichteten „Darstellung der Religions­ beschwerden der Protestanten in Bayern", 1822, abgedruckt „Kleine Schriften" Nr. 11; vgl. dazu auch ebendort Nr. 9 und 10. Sodann in der anonym 1830 erschienenen Abhandlung: „Kann die Gerichtsverfassung eines konstitutionellen Staates durch bloße Verordnungen rechtsgültig geändert werden?", abgedruckt in den „Kleinen Schriften" Nr, 7. Die schärfste Ausarbeitung dieser Art: „Unter­ tänige Bitte und Vorstellung der gefangenen Gerechtigkeit an eine hohe Stände­ versammlung zu N", herrührend aus dem Jahre 1819, scheint damals über­ haupt nicht gedruckt, sondern nur abschriftlich einigen Deputierten mitgeteilt worden zu sein; sie ist dann veröffentlicht in „Leben und Wirken" 2, 100 f. 57) Der Briefwechsel zwischen Feuerbach und Klüber wurde mir gütigst aus Privatbesitz zur Einsicht anvertraut. 58) Worte von v. Marquardsen a. a. O. in der A. D. B. S. 738. 59) Feuerbachs schwer kranker Zustand vor seinem Ende wird auch bezeugt durch ein ungedrucktes Billet vom Mai 1833, von Klüber an Feuerbach nach Frankfurt gerichtet. I. 2. 60) „Über die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetzgebung" S. 210, vgl. auch die erste Note zu Grolmans Aufsatz über seine Theorie in

Zu Kapitel 14, S. 139.

69

jeinem „Magazin für Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetz­ gebung", Bd. 1, Heft 2, S. 241 f. 61) Christoph Karl Stübel, geboren zu Pausitz am 3. August 1764 als Sohn des dortigen Pfarrers, besuchte das Gymnasium zu Torgau, bezog 1785 die Universität Wittenberg, an deren Juristenfakultät habilitiert 1789, 1791 Dr. jur., 1795 o. Prof., '1796 daneben Beisitzer am Schöppenstuhl und beim Hofgericht, 1802 noch Assessor beim Konsistorium, 1810 wirklicher Hofrat. Bei Auflösung der Universität Wittenberg (1815) wurde er nach Leipzig über­ nommen, jedoch durch den schon vorher ihm gewordenen Auftrag, im Verein mit zwei anderen Ministerialkommissarien ein Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen auszuarbeiten, in Dresden festgehalten. In Verfolg dieses Auftrages wurde er 1817 zum Hof- und Justizrat an der Königlich Sächsischen Landesregierung ernannt, und 1819 von seinen sämtlichen anderen Dienstobliegenheiten ent­ bunden, um jene Arbeit besser fördern zu können. Der betreffende Entwurf wurde 1824/26 fertig und in drei Teilen (allgemeiner Teil, besonderer Teil, Prozeß) veröffentlicht. Aber ehe noch Stübel die zum Entwurf eintreffenden Gutachten, Beurteilungen usf. hatte durcharbeiten können, ist er am 5. Oktober 1828 zu Dresden gestorben. — Die Entwurfsarbeit ging nun ganz über in die Hände von Stübels Schwager und Freund Karl August Tittmann, der schon bei dem Erhardschen Entwurf (s. Landsberg Gesch. Noten, 261) beteiligt gewesen war (sein Parallelentwurs dazu erschien in zwei Bänden, Meißen 1813) und ebenso mit Stübel zusammen als einer jener beiden Kommissarien gearbeitet hatte. Indessen blieb auch Tittmanns weitere Arbeit unvollendet; erst nach den Staats­ umwälzungen der 30 er Jahre wurde durch den Geheimen Justizrat Dr. Groß die Leistung fertiggestellt (Entwurf von 1836), die wirklich Grundlage eines Gesetzes (des Kriminalgesetzbuches von 1838) zu werden bestimmt war. — Vgl. K. G. v. Wächter, Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, Stuttgart 1857, S. 5 f. — Karl August Tillmann verdient übrigens auch abgesehen von diesem Zusammenhang hier Erwähnung als einer der bedeuten­ deren Kriminalisten dieser Zett und Entwicklungsstufe. Er hat gegen Feuerbach und zugunsten der Präventionstheorie namentlich zur Sette Stübels Stellung genommen, auch im ganzen sich auf den Boden der spekulativ-wissenschaftlichen Richtung gestellt durch sein methodologisches Programm „Über die wissenschaft­ liche Behandlung des peinlichen Rechts", Leipzig 1798, sodann hat er sich dauernden Namen erworben durch sein Hauptwerk: „Handbuch der Strafrechts­ wissenschaft und Strafrechtskunde", 4 Bde., 1807, 2. Auflage in 3 Bänden 1822. Bis in den Titel dieses Werkes tritt die von Loening a. a. O. mit Recht gerügte Neigung seiner Zeit, nur die philosophierenden Allgemeinheiten („Strafrechts­ wissenschaft") hochzuschätzen, die positive Erkenntnis aber als bloße „Strafrechts­ kunde" geringschätzig zu bezeichnen, deutlich hervor. Im Inhalt aber ändert sich das Verhältnis, hier sind die mehr philosophierenden Partien wesentlich den großen Zeitgenossen entlehnt, während die positiven Ausführungen als wissenschaftlich gediegene und praktisch brauchbare Arbeit zu rühmen sind und demgemäß mit Recht sich lange eines wohlverdienten Ansehens erfreut haben. Von Tittmanns sonstigen Werken seien etwa noch genannt: „Grundlinien der

70

Zu Kapitel 14, S. 139—142.

Strafrechtswissenschuft und der deutschen Strafgesetzkunde", Leipzig 1800; „Über die Grenze des Philosophierens in einem System der Strafrechtswissenschaft und Stra.frechtskunde", Leipzig 1802; „Die Strafrechtspflege in völker­ rechtlicher Rücksicht mit besonderer Beziehung auf die deutschen Bundes­ staaten", Dresden 1817; und „Geschichte der deutschen Strafgesetze", Leipzig 1833. — Karl August Titimann ist als Sohn des späteren Dresdener Super­ intendenten Karl Christian T. geboren zu Wittenberg am 12. September 1775, studierte seit 1793 zu Leipzig, 1795 zu Göttingen, lebte' dann wieder einige Jahre mit kriminalistischen Arbeiten beschäftigt zu Leipzig, ging indessen auf Wunsch seiner Eltern als Supernumerar-Oberkonsistorialrat nach Dresden, wo er 1807 zum Hof- und Justizrat, 1812 zum Geheimen Referendar ernannt wurde. Nachdem er 1831 wegen zunehmender Kränklichkeit in den dauernden Ruhestand getreten war, ist er zu Dresden am 14. Juni 1834 gestorben (Eisenhart in der A. D.B. 38, 388 f.). 62) Über Stübels prinzipielle Schwankung vgl. Grolmans Vorrede zur 2. Ausgabe seiner Kriminalrechtswissenschaft, S. XIII der 4. Ausgabe. 63) Vgl. hierzu Landsberg Gesch. Text 409 f. und besonders 414. 64) Karl Klien, geboren zu Königstein 18. Dezember 1776, Universität Wittenberg 1795, dort 1798 Dr. jur., 1803 ao., 1807 o. Prof., Mitglied von Schöppenstuhl und Hofgericht, 1817 nach Leipzig übernommen, dort akademisch und besonders im Spruchkollegium tätig bis wenige Stunden vor seinem Tode, 10. Mai 1839 (Teichmann, in der A. D. B. 16, 183. — Schrader, Universität Halle, 2, 54).

65) Stübels Abhandlung von 1826 erschien zuerst im „Neuen Archiv des Kriminalrechts", dann in Sonderdruck. 66) KarlLudwigWilhelmGrolman ist geboren den 23. Juni 1775 zu Gießen, wo sein Vater landgräflich Hessen-Darmstädtischer Geheimer Regierungsrat war, aber ans preußischer Familie. Er studierte in Gießen und Erlangen, promovierte und habilitierte sich 1795 in Gießen, wurde dort 1798 ao., 1800 o. Professor der Rechte, 1804 daneben großherzoglicher Oberappellationsgerichtsrat, seit 1803 und entschiedener seit 1808 zu gesetzgeberischen Arbeiten herangezogen, 1812 vom König von Preußen für sich und seine Nach­ kommen wieder geadelt, auch 1815 Kanzler der Universität Gießen. Die Über­ gänge von der Rheinbündelei und Französelei (1810, als Rektor, Bekämpfer der Landsmannschaften durch strengste disziplinarische Maßregeln, Verfasser der Werke über den Code Napoleon mit entsprechenden Einleitungen uff.) zum patriotischen Napoleonshaß (1814 Bataillonschef der Landwehr) hat er jeden­ falls geschickt durchzuführen verstanden. Er wurde 1816 zur Abfassung eines neuen Zivilgesetzes nach Darmstadt berufen, dort 1819 nach dem Tode des Freiherrn von Lichtenberg zum Staatsminister ernannt und hat diese Stellung bis zu seinem Tode bekleidet, der zu Darmstadt am 14. Februar 1829 eintrat. Seine staatsmännische Tätigkeit scheint, während seine verschiedenen gesetz­ geberischen Arbeiten auf straf- und zivilrechtlichem Gebiete kein Ergebnis zeitigten, weder ungeschickt noch erfolglos gewesen zu sein. Auf ihn gehen nämlich zurück das Gesetz vom 1. Dezember 1817, das Trennung von Justiz und Verwaltung

Zu Kapitel 14, S. 142.

71

in Aussicht stellte, und das Berfassungsedikt vom 18. März 1820, das freilich im Lande als ganz ungenügend konstitutionell viel Mißstimmung erregte, sich dann doch aber als gewandte Überleitung zu der befriedigenden Verfassungs­ urkunde vom 17. Dezember 1820 erwies. Im übrigen werden Grolmans Ge­ schäftsführung hauptsächlich große Pflichttreue und starke Arbeitsleistung nach­ gerühmt. („Zeitgenossen", Biographien und Charakteristiken, neue Reihe, Bd. 3, Heft 9—12, S. 1 f., Leipzig 1823. — Teichmann in der A. D. B. 9, 713 f. — „Karl Ludwig Wilhelm von Grolman in Gießen", in den Beiträgen zur Ge­ schichte der Universitäten Mainz und Gießen, herausgegeben von Dieterich und Bader, Darmstadt 1907, S. 406 f., genaue und zuverlässige Studie von Karl Esselborn- dort auch S. 421 Note 29 eine Verbesserung zu Landsberg, Gesch., Noten, 318 und namentlich ebenso würdige wie einleuchtende Erklärung der Stellung Grolmans zum Napoleonismus als einer politisch aufgenötigten). 67) Wegen Grolmans Arbeiten über das napoleonische Zivilrecht s. oben Text S. 99 und Note 4 zu Kapitel 13, IV; wegen seiner Stellung zu Fichte "Über die Begründung des Strafrechts" S. 101 und „Magazin" 1,99 f. 68) Nebenverdienste auf anderen Gebieten, so besonders auf dem des Zivilprozesses durch seine „Theorie des gerichtlichen Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten". 1. Aufl. 1800, zahlreiche andere Auflagen bis zur 5. 1825, also gewiß wirksam für ihre Zeit, im Grunde aber doch nur Ausarbeitung Gönnerscher Anschauungen, auf deren Boden sich darum Grolman unbeschränkt und offen gestellt hat; weiteres darüber unten in diesem Kapitel unter II, 1 z. A. im Text. Außerdem hat Grolman sich noch literarische Verdienste um die Rechtswissenschaft erworben durch seine Zeitschrift, das „Magazin", das in freien Heften unter verschiedenen Titeln über längere Jahre verteilt mit recht verschiedenartigem Inhalt erschienen ist. Es steht damit näher so: Band 1, herausgegeben von Grolman allein unter dem Titel „Magazin für bie Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetzgebung", gespeist hauptsächlich durch kriminalistische Aufsätze von Grolman und Almendingen, begonnen 1798, abgeschlossen 1800; Band 2, Titel und Herausgeber dieselben, Arbeiten fast nur von Almendingen, abgeschlossen 1807; Band 3, unter dem Titel: „Neues Magazin für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung", heraus­ gegeben von Grolman und Lohr, gespeist fast lediglich von zivilistisch-rechtshistorischen Arbeiten dieses letzteren, abgeschlossen 1820; und Band 4, derselbe Titel und dieselben Herausgeber, Beiträge von Löhr, Marezoll und Fritz, ab­ geschlossen 1825. Das „Magazin" ist also in den beiden letzten Bänden ganz Organ der historischen Romanistenschule geworden; ganz irrtümlich die gelegent­ lich auftauchende, wohl aus dem Namen gefolgerte Auffassung (von Möller, Trennung der römischen und deutschen Rechtsgeschichte, S. 50), als verfolge das "Magazin" methodologisch universalrechtshistorische Ziele. 69) Sonstige kriminalistische Arbeiten von Grolman. Da­ runter besonders noch zu nennen seine Einzelstudie über Ehre und guten "Namen in seinem „Magazin" Bd. 1, Heft 1, Nr. 1, S. 1 f., die mit ihrer Trennung

zwischen Menschenwürde und Bürgerstandesehre zuerst die Delikte der üblen Nachrede und der Ehrenkränkung scharf voneinander absondert. Wegen Grol-

72

Zu Kapitel 14, S. 142—145.

mans Beteiligung zusammen mit Feuerbach und Almendingen an der „Biblio­ thek f. peinliche RW. u. Gesetzeskunde" s. oben Note 24 in diesem Abschnitte. 70) Weitere Auflagen der „Grundsätze", Gießen 1805, 1818 und 1825. Die Vorrede der ersten Auflage datiert vom 1. November 1797. 71) Die Abhandlung „Sollte es denn wirklich" uff. steht in Heft 2 des„Magazins" S. 241 f. 72) Für Grolmans genaue Kenntnis von Feuerbachs Ideen und schrift­ stellerischen Plänen vgl. die Note auf S. 62 der ersten Auflage seiner „Grund­ sätze". 73) Dazu kommt für die damalige Zeit, daß ein in der Praxis so stark ver­ breiteter, von Klein z. B. so energisch verteidigter Mißbrauch, wie der der Ver­ dachtstrafen, noch so nahe lag, daß Grolman gegen diese von seinem theo­ retischen Standpunkte aus scharf vorgehl, sich weit prinzipieller, als z. B. selbst Feuerbach, gegen sie ausspricht; vgl. „Begründung des Strafrechts", (3. 81, 83, 85. 74) Das Zusammentreffen von Grolman mit neuesten Strömungen geht so weit, daß beiderseits selbst Einzelheiten übereinstimmen, z. B. die Forderung gleicher Strafe für das vollendete Delikt und für den vollendeten Versuch des Delikts, s. Grolman „Begründung des Strafrechts", S. 176/77.

I. 3.

75) Ludwig Harscher von Almendingen, geboren zu Paris, wo sein Vater Johann Daniel Ludwig damals landgräflich Hessen-Darmstädtischer Gesandter am französischen Hofe war, am 25. März 1766, brachte seit 1771 seine Jugend in größter Dürftigkeit auf einem kleinen Gute seines Vaters in Lauenstein in Hannover zu; er studierte 1789—1792 in Göttingen und war 1792—1794 als Gouverneur eines vornehmen jungen Holländers in Amsterdam; in Her­ born wurde er Nassau-Oranischer Hofrat, erster Professor der Rechte, Archivar und Syndikus der Universität, erlangte dort auch eine ausgebreitete Konsu­ lentenpraxis. Weiteres über sein Leben im Text. (Sorgfältiger und offenbar aus guter Quelle stammender Bericht über ihn von von der Nahmer in den „Zeitgenossen" 3. Reihe, Bd. 1, Heft 5/6, S. 77 f.; dort auch S. 83 f. gutes Schriftenverzeichnis unter 31 Nummern. — Einen Auszug daraus gibt Göppert in der A. D. B. 1, 351 f.) 76) Eine tragikomische Verbindung der dadurch ihm aufgedrungenen kleinlichen partikularistischen Anschauungen mit seinen ursprünglich großzügig liberalen und tiefsinnig philosophischen Grundauffassungen tritt hervor in seiner Schrift von 1814: „Politische Ansichten über Deutschlands Vergangenheit und Zukunft". Dadurch erklärt sich die scharfe Rüge, die diese Schrift erfährt durch Savigny, Ztschr. f. geschichtl. RW. 3, 30. 77) Vgl. Almendingens bissige Bemerkungen in Grolmans „Magazin" Bd. 1, Abt. 2, S. 152 f. und S. 207 f. gegen den „Hofmarschall" (im Sinne etwa des Schillerschen von Kalb, auch in der entsprechenden Auffassung) und gegen die Demagogenriecherei als Mittel, wahre Verdienste zu unterdrücken; ferner Almendingens „Versuch einer philosophisch-juridischen Darstllueng der

Zu Kapitel 14, S. 145—147.

73

Kriminalgesetzgebung des republikanischen Frankreich", in der „Bibliothek" 2, 1, namentlich S. 12 f.: der dort angeschlagene satirische Ton mochte allerdings für Jakobinerschnüffler eine verlockende Fährte abgeben. 78) Wegen Almendingens Absonderlichkeiten s. seinen Aufsatz über Ver­ letzung des guten Namens und der Ehre in Grolmans „Magazin", Bd. 1, Abt. 2, S. 2 f., wo er der Injurie den Charakter eines „natürlichen Verbrechens" ab­ spricht mit Berufung auf seine wahre Überzeugung. Solche zu vertreten sei die höchste Aufgabe des Schriftstellers. „Hier muß er jede Rücksicht und selbst die Besorgnis aufopfern, für einen Sonderling gehalten zu werden." Wer so redet, der ist nahe daran, in der Sonderlichkeit das Kennzeichen des Wahren zu finden. 79) Almendingens Aufsätze in der „Bibliothek für die peinl. NW." und im „Magazin" behandeln vor allem die Kriminalgesetzgebung Frankreichs, das Prinzip des Strafrechts (eine Ausführung darüber auch besonders erschienen, Herborn und Hadamar 1798) und „Grundzüge zu einer neuen Theorie über Verletzung des guten Namens und der Ehre", 1800 und 1801; dieser letztere Artikel wesentlich angeregt durch eine ähnliche Arbeit von Grolman, vgl. oben Note 69. 80) Der Versuch einer Metaphysik des Zivilprozeffes blieb Bruchstück. Der erste und einzige Band begann zu erscheinen 1806 und wurde vollendet 1808. Er erlebte sofort eine zweite Auflage.

II. 1. 1) Nikolaus Tbaddäus Gönners Biographie schrieb haupt­ sächlich I. H. Jäck, Bibliothekar in Bamberg, 3. Auflage Erlangen 1814, zum Teil Sonderabdruck aus desselben Verfassers Wochenschrift „Pantheon der Literaten und Künstler Bambergs", von 1812. Die Schrift ist geradezu über­ schwenglich Panegyrisch in der Beurteilung, aber fleißig und zuverlässig in den Daten, namentlich auch im Schriftenverzeichnis. — Für Gönners spätere Lebenszeit: Neuer Nekrolog der Deutschen, 1827, V, 403 f. — Ersch und Gruber, erste Sektion, Teil 72, 102 f.; auch „Zeitgenossen", neue Reihe, Bd. 3, Heft 2, 161 f. — Wenig befriedigend Ullmann in der A. D. B. 9, 367. — über Gönners Staatslehre gründliche Zusammenstellung von Johann Baptist Koch in den staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen, herausgegeben von Jellinek und Anschütz, Bd. 4 Heft 1, Leipzig 1902. — Über Gönner im bayerischen Staats­ recht Piloty, Festgaben für Laband 1, 219 f. 2) Gönners Vater, Michael G., war Amtmann der Freiherrn von Pöllnitz zu Hundshausen, domkapitelscher Kastner und Rechnungsrevisor am fürstbischöf­ lichen Vikariat, während seines Vaters Bruder und sein Pate Johann Nikolaus G., der sich besonders seiner Erziehung annahm, Pfarrherr in der Nähe, zu Pretzfeld, war. So ist Gönner so recht hervorgegangen aus dem stagnierenden Milieu eines solchen deutschen Kirchenkleinstaates, wie es Sartori (vgl. Lands­ berg, Gesch., Text 429) schildert. Freilich in jener Abart patriarchalisch geistlich milder Aufklärung, wie sie gerade in Bamberg unter dem Erthalschen Regiment (ebenda 369) ausgeprägt worden war. Unter solchen Einflüssen von Verhältnis-

74

Zu Kapitel 14, S. 147—148.

mäßig tüchtigen Lehrkräften zu Hause, an der lateinischen Schule und an der Universität erzogen, nahm dann Gönner zu publizistischen Studien den üblichen Aufenthalt in Göttingen und Wetzlar 1787 und 1788 und kehrte dann wieder in die Heimat zurück, wo er 1789 zum Professor der Rechtswissenschaft ernannt wurde, aber auch daneben vielfach Beschäftigung in praktischen Negierungs­ ämtern fand. Er wurde 1791 wirklicher Hof- und Regierungsrat, war als solcher beteiligt bei der Ausarbeitung des Bambergischen Strafgesetzbuches von 1795, ging 1796 vom Lehrfach des Privatrechts zu dem des deutschen Staats­ rechts über und wurde gleichzeitig Staatskonferenzrat für die Unterhandlungen mit Preußen rücksichtlich des Kreisdirektoriums, die er 1796 und 1797 zu Nürn­ berg führte, die aber im letzten Augenblick scheiterten. Im März 1797 wurde er zum fürstbischöflichen Hofkammerkonsulenten ernannt, und scheint damit bis zur zweithöchsten Stufe des fürstbischöflichen Dienstes emporgestiegen zu sein, bevor er in den bayerischen übertrat. 3) Jäck, Schriftenverzeichnis Nr. 2—5. 4) Er besorgte besonders die zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe von Theodor Hagemanns Einleitung in die gemeine in Deutschland übliche Lehn­ rechtsgelehrsamkeit, Bamberg 1791. 5) Außerdem schon in der Dissertation >De effectu querelae nullitatis .adversus sententias devolutivo«, 1792; sodann in Nr. 3—6 des ersten Teiles seiner „Juristischen Abhandlungen", Bamberg 1795, Vorwort datiert Dezember 1794, Dedikation: „Seinem teuersten Freunde Herrn Johann Michael Seuffert". Die übrigen Stücke dieser Sammlung behandeln verschiedenste Gebiete, darunter auch Zivilistisches und Germanistisches. Ins Jahr 1795 fällt auch noch Gönners Kontroverse gegen Koch und Danz, betreffend die Nszendenten-Erbfolge in weibliche Lehen, vgl. Landsberg, Gesch., Text 312 und Noten 209. 6) D. h. eigentlich 44 Zusätze; darunter ist Nr. 26 freie Übersetzung der Dissertation von 1792. 7) Zweite Auflage 1804/05; wegen der weiteren Auflagen von Grolmans Lehrbuch s. oben Note 68 zu Abschnitt I. 8) Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, 3. Aufl., S. 30 Note 24 rechnet noch hierher L. E. Gaisberg, Allgemeine Vorkenntnisse zur Theorie des .Zivilprozesses 1820, der aber ziemlich bedeutungslos sein dürfte; und Mittermaiers Beiträge zum Prozeß von 1820 f., die aber doch wohl schon einer anderen Periode anzugliedern sind. 9) Wegen Gönners praktischen Verständnisses s. seine praktischen Schriften über den Prozeß, als: „Grundsätze der juristischen Praxis, sowohl im allgemeinen als in Anwendung auf jede Gattung juristischer Aufsätze", Bamberg 1797; „Auserlesene Rechtsfälle und Ausarbeitungen", Landshut 1801—1805 in vier Bänden, voll all des alten Zopfes der Reichspublizistik und Reichsprozeßführung, der eben im Begriffe stand, abgeschnitten zu werden. — Außerdem hat Gönner .noch die vermehrte und umgearbeitete Auflage des Danzschen ordentlichen und summarischen Prozesses, Stuttgart 1806, besorgt. 10) Zu den von Gönner gewonnenen wichtigen zivil­ prozessualen Gesichtspunkten wären etwa zu rechnen: Die Ausprägung

Zu Kapitel 14, S. 149—151.

75

des Gegensatzes von Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime; die scharfe Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Prozeßteilen; die richtige Auffassung von den kontumazialen Folgen nicht als Strafe, sondern als Ver­ zicht auf die Vorteile richterlichen Gehörs; und die scharf sondernde Charakte­ ristik der verschiedenen Rechtsmittel. 11) Jäck, Schriftenverzeichnis Nr. 14—20. Darunter besonders die Ab­ handlung : Qui a droit aux arrerages'?, die durch Betonung des wahrhaft staatsrechtlichen an Stelle des privatrechtlichen Standpunktes bei dem Säkularisationsgeschäft dem bayerischen Fiskus Millionen gewonnen haben soll; eben damit hängen Studien über die staatsrechtlichen Verhältnisse der Gutsbesitzer in den „kurpfalzbayerischen Entschädigungslanden" und der Reichsritterschaft im Bambergischen und Würzburgischen zusammen. Auch bei der Beilegung der Koburgischen Wirren ist Gönner damals erfolgreich tätig gewesen, worüber ein Bericht in vier Bänden in Koburg 1805 erschienen sein soll. 12) Die Vorrede „Über die Notwendigkeit einer Verbesserung der An­ sichten vom Staat" usf. bildet Gönners Vorwort zu der Schrift von Johann Baptist Nibler, Der Staat, aus dem Organismus und Universum entwickelt, -Landshut 1805; die Ausführung „Über das rechtliche Prinzip" usf. ist Gönners Programm zu der Schrift von L. Himmelstoß, Versuch der Entwicklung des Begriffes der Regalität, Landshut 1804. 13) Vgl. über sie Clauß, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten, juri­ stisch und dogmatisch entwickelt, Tübingen 1894, S. 89 f. und darüber wieder Sartorius in den „Gött. Gel. Anzeigen" von 1895, Nr. 2, S. 92. 14) Worte von Sartorius a. a. O. 15) Für Gönners Mitwirkung bei Verlegung der Universität nach Lands­ hut s. namentlich seine anonyme Schrift von 1801, „Bayerns Universität kann nicht nach Ingolstadt versetzt werden", die den (im Sinne des 18. Jahrhunderts) aufklärerischen und nationalen Charakter der Maßregel ausdrücklich betont; vgl. darüber Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilian-Universität 1, 651 Note 109 nnd aus diesem Werke 1, 646 f. überhaupt für zahlreiche im Text benutzte Einzelheiten. 16) Doch wird die Lehre von der Polizei noch nach der Kantischen Schul­ auffassung gegeben; für die Polizei behauptet Gönner, sie habe bloß Sicher­ heitsdienste zu leisten, Erhöhung des Wohlstandes liege außerhalb ihrer direkten Zwecke. Das hebt als besonders verdienstlich in Idee und Durchführung her­ vor Koch a. a. O. S. 116 f. 17) Daß Gönners organische Staatsauffassung auf Schel­ ling zurück gehe, bestreitet zwar Koch a. a. O. S. 32, aber meines Erachtens ohne Grund. Vielmehr dürfte in den folgenden Ausführungen des Textes der nahe Zusammenhang zwischen Schelling und Gönner dargetan sein; die nahe -örtliche Berührung zwischen beiden seit 1803 tritt ergänzend hinzu, und wenn Koch selbst vorher S. 21 eine „plötzliche und rasche Abkehr Gönners von der

rraturrechtlichen Schule Kantscher Prägung" als überraschend hervorhebt, eine Abkehr, die sich alsbald nach 1803 und vor 1805 vollzieht, ohne daß Koch eine Erklärung dafür fände, so ist da doch wahrlich der Rückschluß auf Beeinflussung

76

Zu Kapitel 14, S. 152—155.

durch Schelling geboten - von bloßer innerer Entwicklung aus sich selbst hervor­ dürfte doch bei Gönner kaum die Rede sein. An diesem Zusammenhang zwischen Gönner und Schelling ändert es natürlich nichts, daß der Organbegriff selbst zuerst von Kant, ausgeprägt, auch wohl gelegentlich schon von Kant auf den Staat angewendet wird. Vgl. Erich Kaufmann „Über den Begriff des Orga­ nismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts", Heidelberg 1908, S- 5 f. In der Hauptsache bleibt Kants Staatsbegriff genau entgegengesetzt streng mechanistisch, wie auch Kaufmann a. a. O. S. 7 Zeile 9—11 v. o. schließlich einräumt. — Wenn dann Hegel dieselbe organische Anschauung wieder aufge­ griffen hat, so darf man darum nicht, wie Kaufmann a. a. O., Schellings Vor­ gang übersehen. Die Priorität liegt entschieden bei Schelling philosophischerseits, bei Gönner juristischerseits. Gönner wird daher, wie überhaupt häufig,, wohl etwas unterschätzt auch von Erich Kaufmann a. a. O. S. 9. 18) Die wörtlichen Zitate des Textes in dem Programm von 1804, S. 10 und 12; wegen der Schellingschen Lehre vgl. K. Fischer in seiner Darstellung der Schellingschen Philosophie S. 740 f. 19) Ebendies wird dann freilich in der Sonderstudie über deutsche Territorialverfassung dazu benutzt, die Territorialgewalten patrimonial, besonders auch bezüglich der Rechte auf Domänen uff. auszugestatten, was, wenn sie eigentlich souveräne Staatsgewalten wären, nach Gönners eigener besserer Ein­ sicht nicht anginge. 20) Ob Gönner schon an der Ausarbeitung dieser Pragmatik beteiligt war, entzieht sich meiner Kenntnis. 21) Über Johann Michael Seufferts Beamtenrecht s. Landsberg, Gesch.^ Text 433. 22) Für Gönners Beruf zur Strafgesetzgebung s. auch das oben über seine Mitarbeit bei dem Bamberger Strafgesetzbuch von 1795 in Note 2 Bemerkte. 23) Vgl. z. B. wegen seiner Beteiligung an einem kursächsischen Gerichtsordnungs-Entwurfe Jäck a. a. O. S. 54; an der russischen Gesetzgebung „Archiv" 2, 1 f. 24) Gönner ist regelmäßig von 1811 ab an den Arbeiten der bayerischen. Gesetzgebungsabteilung beteiligt, vor allem bei den Anläufen zur Reform desFeuerbachschen Strafgesetzbuches, worüber 1825 eine Motivbearbeitung von ihm erschienen ist, und des Zivilprozesses, worüber sein Entwurf in drei Bänden 1815—1817 veröffentlicht wurde. Einige Verbesserungen des Gerichtswesens die durch das Gesetz vom 22. Juli 1819 verwirklicht wurden, hat er dann auch durch Kommentierung dieses Gesetzes gefördert, Erlangen 1820. Namentlich aber hat er die durchgehende, alles ältere sowohl gemeine, wie partikulare Landesrecht aufhebende Ordnung des bayerischen Hypothekenwesens durchgesetzt,, die durch das Hypothekengesetz und die Prioritätsordnung vom 1. Juni 1822 erfolgt ist. Indessen so erfreulich diese Kodifizierung, die die Prinzipien dev Öffentlichkeit und Spezialität zugrundelegt, für Bayern auch gewesen sein mag^ so kann man doch in diesem Erfolge Gönners eine für die Entwicklung der Rechtswissenschaft wesentliche Tat kaum finden, da es sich nur um, natürlich abändernde, Hinübernahme der in Preußen längst bewährten Prinzipien der-

Zu Kapitel 14, S. 155-159.

77

Publizität und Spezialität handelt, vgl. Roth, Bayerisches Zivilrecht 2, 382 f. — Dazu erschien Gönners Kommentar in 2 Bänden, München 1823 und 1824. Außerdem hat er eine Zeit lang ständig über seine gesetzgeberische Tätigkeit Rechenschaft abgelegt in einem besonders zu diesem Zwecke gegründeten, wieder an das bekannte preußische Vorbild sich anschließenden Organ: „Jahrbücher der -Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreich Bayern", herausgegeben von Gönner und PH. Schmidtlein, 3 Bände, Erlangen 1818—1820. — So blieb Gönner, während Feuerbach in Bamberg oder Ansbach in einer Art von Exil lebte, in München und dort bei der Gesetzgebungs-Zentralinstanz angestellt. Gr wurde 1812 Direktor des Appellationsgerichts im Jsarkreise, 1813 geadelt, 1815 Geheimer Justizreferendar, 1817 Staatsrat. Als die Universität von Landshut nach München verlegt wurde, wurde er auch an dieser wieder Honorar­ professor. Gestorben ist er zu München am 18. April 1827.

25) Gönners Streitschrift von 1815 auch unter dem Titel: „Beiträge zur neuen Gesetzgebung in den Staaten des teutschen Bundes", erste Abteilung; zu weiteren Abteilungen ist es nicht gekommen. Angeführt oder besonders benutzt daraus sind im folgenden Text S. 43, S. 141, S. 143, S. 144. S. 173, S. 198, S. 200 f., S. 283. 26) Die erste Schrift gegen Hugo von 1805 „Über die Notwendigkeit einer gründlichen Reform in Bearbeitung des in Teutschland geltenden Privatrechts" erschien als Programm zu Franz Ludwig Wirschingers „Versuch einer neuen Theorie über das Juramentum in litem", Landshut 1806. Sie erwähnt nicht bloß Thibaut, Hofacker, Dabelow und Malblanc, sondern selbst noch Savignys Besitz mit Lob und vermeidet noch persönliche Gegnerschaft gegen Hugo, dessen „genialischer Geist" gepriesen wird, S. 186; ganz anders die Streitschrift von 1815, s. dort auch gegen Hugo S. 43 f.

27) Nicht übel das Bild S- 87 f.: „Das Recht, dem Volk und den Juristen überlassen, gleicht einem Garten, worin das Unkraut üppig heranwächst und den Keim edleren Samens erstickt; nur die Gesetzgebung, ausgehend von der obersten Gewalt des Staates, kann das Recht, wie alles, was das allgemeine betrifft, in einen löblichen Zustand bringen und erhalten." 28) Stimmen über Gönners Streitschrift von 1815: Thibaut in den Heidelberger Jahrbüchern 1815, S. 625 f.; Hallische Literalurzeitung von 1815 Nr. 232; Hugo in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen" von 1815, Nr. 108; Savigny in der Zeitschr. f. geschichtl.RW. Bd. 1 Heft 3,1815, S. 373—423. 29) Was den Borwurf der Fälschung an betrifft, so steht es allerdings bedenklich um das Zitat aus Maleville uni) seine Benutzung durch Gönner, Savigny a. a. O. S. 401 f. Wenn dagegen Savigny auch deshalb Gönner S. 377 absichtlicher und bewußter Fälschung zeiht, weil Gönner be­ hauptete, die historische Schule lege den ausschließlichen Schwerpunkt auf das Studium des reinen römischen Rechts, so hat da denn doch wohl Gönner durch den Verlauf der Dinge selbst eher Bestätigung erfahren. Der dritte Vorwurf derselben Art bei Savigny, S. 379 und S. 381 in der Note, läßt sich wohl auch als Mißverständnis erklären. So dürfte es also äußerstenfalls bei dem

78

Zu Kapitel 14, S. 159—160.

ersten untergeordneten Punkte bewenden. Daß der krasse Vorwurf der Un­ wissenheit (z. B. S. 381, 388 und 420) übertrieben ist, wird keines weiteren Nachweises bedürfen; s. jedoch unten Note 34 zu Abschnitt II, 2 dieses Kapitels. 30) Vgl. oben Note 24.

II. 2. 31) Christoph Reinhard Dietrich Martin ist geboren am 2. Februar 1772 in Bovenden unweit Göttingen und gestorben am 13. August1857 in Gotha. Seine Vorfahren waren aus Dijon als Hugenotten nachHessen geflohen, wo sein Vater Beamter war. Er besuchte die Schule zu Grebenstein, bezog schon September 1787 die Universität Göttingen, wurde ebenso jung im Oktober 1789 Sachwalter und Notar ebendort, erwarb gleich­ falls zu Göttingen am 2. April 1796 die juristische Doktorwürde, worauf er über den Prozeß zu lesen anfing. Er wurde zu Göttingen 1802 ao., 1805 o. Professor, im Herbst desselben Jahres nach Heidelberg berufen und entfaltete nun dort von 1805—1815 eine angeregte Lehrtätigkeit, trotz einiger Reibungen mit Thibaut, aber im engsten Einvernehmen mit Heise, bis eine lästige polittsche Verfolgungsaffäre dazwischen kam. Es hatten nämlich im November 1815 einige Heidelberger Bürger beschlossen, den Großhrrzog von Baden um Ein­ führung ständischer Verfassung und um Berufung der Landstände zu dem Be­ hufe anzugehen, Gesinnungsgenossen sollten zur Unterschrift einer diesbezüglich einzureichenden Petition gewonnen werden, und Martin als Rechtskonsulent dieser Bürger besorgte die Verbreitung der betreffenden Zirkulare. Gegen dies Unternehmen sah sich nun die Polizeibehörde veranlaßt einzuschreiten; sie ver­ langte Auslieferung der Papiere, und als Marlin diese mangels rechtlicher Begründung des Verlangens verweigerte, wurde gemäß Kabinettsorder in der Nacht vom 19. November 1815 eine Haussuchung seitens der städtischen Polizei­ behörden bei ihm vorgenommen, seine sämtlicben Papiere wurden versiegelt^ darunter die fraglichen Schriftstücke gefunden und mit Beschlag belegt. Im ordentlichen Strafprozeß folgte nun zwar eine Freisprechung, da aber darauf Martin die von ihm verlangte Genugtuung nicht erhielt, so legte er seine badische Amtsstellung nieder, nachdem er seine Entlassung schon unterm 21. November 1815 verlangt hatte, und erhielt dazu, obschon der akademische engere Senat in ernst mannhaftem Tone bei der Negierung um Erhaltung Martins für Heidelberg vorstellig wurde (v. Lilienthal a. a. O. S. 212 f. bringt das bedeutsame Aktenstück zum Druck), die Genehmigung am 11. Januar1816. Bon verschiedenen Berufungen, die daraufhin an ihn gelangten, nahm er die nach Jena an, wohin er sich Herbst 1816 als Professor und Oberlandesgerichtsrat begab mit der Verpflichtung, halbjährig mindestens ein Kolleg zu lesen. Er hielt dort Vorlesungen über Strafrecht, Straf- und Zivilprozeß-, bis 1842; im Frühling dieses Jahres erfolgte auf seinen Wunsch seine Ver­ setzung in den Ruhestand, worauf er sich mit den Seinen nach Mügeln, unfern Oschatz im Königreich Sachsen, zurückzog, um dort in ländlicher Abgeschieden­ heit weiterer Studien zu leben. Er hat dort namentlich noch eine Reihe von Gutachten versaßt, sowohl über praktische Streitfragen, besonders in der be-

Zu Kapitel 14, S. 160.

79

kannten Bentinkschen Sache 1845, wie über gesetzgeberische Unternehmungen, sl> über die preußische Strafgesetzgebung auf Savignys Aufforderung hin und über sächsische Entwürfe als Mitglied der Königlich sächsischen Zivilgesetzgebungs­ kommission. Er hat dort auch 1846 sein 50jähriges Doktorjubiläum gefeiert,, sich im kleinen Kreise der Landgemeinde nützlich betätigt und ist noch von dort aus 1846—1848 Mitglied des sächsischen Staatsgerichtshofes gewesen. Dann veranlaßte ihn die Sorge für die Erziehung seiner Kinder zweiter Ehe, die er schon hochbetagt eingegangen war, zu abermaliger Verlegung seines Wohn­ ortes Frühjahr 1853 nach Gotha, wo er einige Jahre später gestorben ist. — Sein Familienleben in beiden Ehen und mit einer reichen Kinderschar ausbeiden scheint stets besonders glücklich gewesen zu sein, nur getrübt durch derr frühen Verlust einer Tochter und des ihm auch wissenschaftlich besonders nahe­ stehenden ältesten Sohnes Gustav Adolf. — Dieser, Gustav Adolf Martin, geboren zu Göttingen 1802, Dr. jur. zu Jena am 15. März 1823, ebenda habilitiert 1823, ao. Professor 1826 und o. Hon.-Professor 1831 (gest. Mit­ teilung von Herrn Professor R. Loening-Jena vom 1. Mai 1905), hatte, als er am 20. Oktober 1831 zu Jena starb, sich nicht nur durch fortwährende lite­ rarische Unterstützung seines Vaters, und im Zusammenhang damit durch Vor­ lesungen über die Praxis des bürgerlichen Prozesses Verdienste erworben, sondern auch durch eigene Schriften, sr> namentlich durch seine „Juristische Literärgeschichte im Grundrisse, wissenschaftlich geordnet und mit Nachweisungen versehen", Heidelberg 1824. Ein Merkchen, das freilich im wesentlichen nur Namen, Daten und biographisches Material dazu zusammenstellt, dies aber mit solcher Genauigkeit und internationaler Vollständigkeit und nach so fein überlegter Einteilung, daß es eine wesentliche Förderung der Sache und einen wertvollen Ausgangspunkt für weitere Arbeiten auf diesem Gebiete abgibt. Ebenso rührt von Gustav Adolf M. her eine Arbeit, die einen sehr verwickelten Stoff, literär- und dogmengeschichtlich, zugleich im positivistischen Sinne desBaters Martin und im tieferen Sinne der historischen Schule aufklärt und kritisch fördert, der Aufsatz „Über den Begriff und die Begründung der sog. provocatio ex lege si contendat" in Martins und Walchs Magazin für den gemeinen teutschen bürgerlichen Prozeß, Bd. 1, Heft 3, Heidelberg 1829, Nr. 7, S. 257 f. Außerdem von ihm praktische prozessuale Arbeiten, auch einiges Staatsrechtliches und Herausgabe von Jahrbüchern der Gesetzgebung Sachsens, 3 Jahrgänge 1828—1831. — Außer diesem Sohn haben sich noch zwei andere Söhne Martins, jedoch mit geringerer Selbständigkeit, schriftstellerisch betätigt: Dr. Theodor Martin, sächsischer Justizamimann zu Creuzberg bei Eisenach, der 1862 die 13. und letzte Auflage von seines Vaters zivilprozessualem Lehr­ buche mit Zusatz zahlreicher Noten herausgab, und ein jüngerer Sohn Adolf, der 1855—1857 unter Leitung seines Vaters dessen Vorlesungen über den Zivilprozeß herausgab und ferner zu der von seinem Bruder Theodor besorgten 13. Lehrbuchausgabe eine gedrängte Lebensskizze des Verfassers beigesteuert hat. (Danach sorgfältige Schilderung des Lebens, der Persönlichkeit und der Schriften unseres Martin von Eisenhart in der A. D. B. 20, 485 f. — Ferner Charakteristik bei v. Lilienthal, Lehrer des Strafrechts, in der Heidelberger

80

Zu Kapitel 14, S- 161—162.

Festschrift von 1903 1, 210 f. — Über einen anderen als Mediziner berühmt gewordenen Sohn Eduard Arnold in der A. D. B. 20, 489 f.) 32) Aus der Anleitung zur Abfassung von Aufsätzen erwuchs dann später die „Anleitung zum Referieren über Rechtssachen", Göttingen 1809; davon zweite Ausgabe Heidelberg 1819 und dritte, mit Anhang von Gustav Adolf Martin, Heidelberg 1829. 33) Genau so verfährt Heise für seine gemeinrechtliche Wissenschaft, indem er sich auf deren positivrechtliche Sonderart beruft; vgl. Wening-Jngenheim, Pandekten § 22, deshalb abgedruckt bei E. I. Bekker, a. a. O. S. 162. 34) Gegen Gönner hat Martin eine besondere Schrift gerichtet, die zu Göttingen 1803 erschienene Prolusio de indole contumaciae in causis civilibus contentiosis; außerdem zahlreiche Noten und Bemerkungen in den späteren Auflagen des Lehrbuches, namentlich gegen Gönners quellenmäßige Zuverlässigkeit im einzelnen. Dergleichen mochte später Savigny vorschweben, wenn er glaubte, Gönner krasser Unwissenheit zeihen zu dürfen. 35) Landsberg, Gesch., Text 451 f. 36) Herrschend blieb Martins Lehrbuch trotz des Angriffes, den Mörstadt dagegen richtete, in seiner „Malerialkrilik von Martins Zivilprozeß-Lehrbuch", Heidelberg 1820. Soweit diese „91 Einwürfe" sich gegen Martins allgemein zurückgebliebenen Standpunkt, betreffend Öffentlichkeit und Mündlichkeit, richten, sind sie ja nicht ohne sachliche Begründung, obschon auch da in dieser Form unerträglich; sonst aber in rein juristischen Dingen sind sie oft bloß silbenstecherisch und schief. 37) Die Abhandlungen, Ergänzungen usf. zu Martins Zivil­ prozeß stellt Eisenhart a. a. O. S. 188 genau zusammen. Am bekanntesten darunter geworden sind wohl die Beiträge von Johann Kaspar Gensler, dessen „Handbuch zu Martins Lehrbuch", Jena 1814, und in zweiter Auslage 1821, sowie dessen „Kommentar zu Martins Lehrbuch", heraus­ gegeben und mit Zusätzen versehen von Mörstadt und Guyet, Heidelberg 1825. — Gensler, der auch Zivilist war und über die culpa mehrfach geschrieben hat, wird von v. Maurer (Geschichte des Gerichtsverfahrens S. 263) unter den­ jenigen angeführt, die früher gegen das öffentliche. Gerichtsverfahren ein­ genommen, durch Erfahrung an Ort und Stelle, in Heidelberg, dafür ge­ wonnen worden seien. Eine Reihe Abhandlungen von Gensler in den ersten vier Bänden des „zivilistischen Archivs", das er milbegründet und bis zu seinem Tode mit herausgegeben hat. — Johann Kaspar Gensler ist geboren am 14. September 1767 zu Ostheim an der Rhön, war zuerst praktischer Jurist, seit 1801 Beisitzer des Schöppenstuhls zu Jena, dort 1804 Professor des Lehn­ rechts, 1813 Mitglied der Juristenfakultät, 1816 als Nachfolger von Martin nach Heidelberg berufen, da gestorben am 18. Mai 1821 (v. Lilienthal, in der Heidelberger Festschrift 1, 215). 38) Diese Darstellung wesentlich im Anschluß an Eisenhart a. a. O. 39) Weitere Abhandlungen aufzivilprozessualem Gebiete besonders in dem von Martin zusammen mit Georg Friedrich Walch heraus­ gegebenen „Magazin für den gemeinen teutschen bürgerlichen Prozeß", Heft 1,

Zu Kapitel 14, S. 163-165.

81

Göttingen 1802, Heft 2, Göttingen 1803, Heft 3, Heidelberg 1829, darin auch Martins ausführlicher, aber nicht ganz zu Ende geführter Aufsatz über die Streitgenossenschaft. Dagegen finde ich Beiträge von Martin weder in von ZuRheins Jahrbüchern des gemeinen deutschen bürgerlichen Prozesses, 2 Hefte, 1829, noch im „Zivilistischen Magazin", wie Eisenhart a. a. O. angibt. Ein Auf­ satz bei Zu-Rhein S. 307 s. über ungedruckte Schriften, betreffend den Zivil­ prozeß aus dem 12.—15. Jahrhundert, rührt von unseres Martin Sohn Adolf Martin her. 40) Wegen der Absonderung des Strafprozesses s. auch v. Lilienthal Q. a. O. S. 211; danach wurden in Heidelberg darüber besondere Vorlesungen gehalten nach dem Vorgänge von Pätz seit dem Wintersemester 1805/06. 41) Die Auflagen 2—4 des Strafprozesses wurden von Martin besorgt 1820, 1830, 1836; die fünfte dagegen, die noch kurz vor Martins Tod im Januar 1857 erschien, rührt in Bogen 14—38 nicht mehr von ihm her, sondern von I. D. H. Temme, womit sie sachlich als ein ganz neues und andersartiges Werk erscheint, das den neuen in Deutschland geltenden Strafprozeßgesetzen besondere Berücksichtigung zuwendet, in einer Weise, die dem konservativen Standpunkte Martins ferne liegt. Siehe dagegen Martins Vorrede zu dieser Auflage vom Dezember 1856, wennschon da einiges Entgegenkommen bemerkbar wird; vgl. auch v. Lilienthal a. a. O. S. 211. 42) Dabei muß Martin unvermeidlich von der Folter als von einer noch gemeinrechtlichen Einrichtung handeln; doch schiebt er eine Note ein, worin er auf die Geschichte ihrer Abschaffung in den Partikularrechten verweist, und be­ zeichnet sie selbst int Text als das „so alte und so unnatürliche Mittel". Vgl. s 118 der 4. Aufl. von 1836. 43) Vgl. Loening, Strafrecht, 335 f.' 44) Weitere Auflagen des Strafrechts nicht erschienen; es liegt nahe, an den Erfolg Wächters als an die Ursache für den auf diesem Gebiete geringeren Erfolg Martins zu denken. 45) Loening, Strafrecht, 335. 46) Martins Lehrbuch des Strafrechts, 1. Aufl., S. 4, Note 6; s. dazu Mittermaier im Archiv des Kriminalrechts 9, 44. 47) Diese und einige weitere Namen von Schülern Martins zusammen­ gestellt bei Eisenhart a. a. O. III.

1. Als solche Publizisten seien hier etwa noch genannt folgende: Von den älteren Justus Christoph Leist, geboren zu Rethem an der Aller am 24. März 1770, gestorben zu Celle im 89. Lebensjahre am 30. April 1858. Er geht in seinen staatsrechtlichen Grundlagen noch ganz auf die alte Neichspublizistik und das alte Naturrecht zurück, wie Klüber, in seinen staatskirchenrechtlichen Grundlagen außerdem auf den Josephinismus. Als Mensch und Staatsmann aber ist er der Antipode, der Gegenspieler Klübers, «in Mann von äußerster Beweglichkeit, um immer auf feiten der Machthaber bes Tages zu stehen, und von unbedenklicher Gewandtheit, um danach seine LandSberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten.

6

82

Zu Kapitel 14, S. 165.

publizistischen Theorien einzurichten; bekannt als Günstling Jeromes, sodann als juristischer Berater des Königs Ernst August bei dessen Staatsstreich, den er juristisch rechtfertigte und als landesherrlicher Kommissar vor der Kammer durchführte, später seit Mai 1839 Vizepräsident des Oberappellationsgerichtes zu Celle, 1849 beteiligt bei der „Celler Erklärung", die als dem Hofe erwünscht galt, noch 1855 nach dem abermaligen Berfassungsumsturz unter Georg V. zum Präsidenten eines Staatsgerichtshofes ernannt, der eigens eingerichtet war zur Handhabung der Disziplinarstrafgewalt gegen jeden Beamten, der die Rechtsgültigkeit königlicher Gesetze und Verordnungen seiner amtlichen Beurtei­ lung unterziehen oder sie gar bestreiten würde. Die in der inneren Verwaltung so bewährte Gewandtheit Leists war dagegen 1819 ganz gescheitert an der Auf­ gabe, ein Konkordat in Rom zu verhandeln, da dort sein veralteter Josephi­ nismus einem Consalvi gegenüber vollständig versagte. — Seine wissenschaft­ liche Tätigkeit reicht übrigens in seine politisch bewegte Zeit kaum hinüber. Sie ist fast ausschließlich (wegen seiner Arbeit über das engere heimisch , terri­ toriale Staatsrecht s. Ernst v. Meyer, Hannöversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1, 2) dem alten deutschen Staatsrecht gewidmet, spielt sich ganz zu Göttingen (er ward dort Dozent 1793, ao. Professor 1795, o. Professor 1802) ab und hört mit Reichs-Ende endgültig auf: wie denn ein Jugendgenosse schon früher von dem glänzenden Schüler Pütters urteilte, daß ihm jede eigene Gestaltungskraft, „der Funke eines eigenen höheren Feuers" mangele. So bewegte er sich mit Glück in den Pütterschen Bahnen, zunächst durch die Disser­ tation von 1793, de subsidio charitativo nobüitatis 8. R. I. liberae atque immediatae; wußte dann eine interessante Bearbeitung von zeitgeschichtlichen Problemen innerhalb des alten Rahmens zu geben durch den Tractatus iuris publici de pacis Ryswicensis articulo IV; ja vermochte selbst noch 1803 ein Lehrbuch des deutschen Staatsrechts zu verfassen, das, nach den ersten zehn Bogen rasch umgearbeitet, den neuesten Rechtsumwälzungen Rechnung trug und daher bald (1805) es zu einer zweiten Auflage brachte; hatte dann aber auch damit wissenschaftlich abgewirtschaftet. Während Klüber in den neuen politischen und juristischen Bildungen erst die Anregung zu voller Entfaltung seines Fleißes als Sammler und seiner Begabung als Systematiker fand, hat sich Leist an derartige Aufgaben gar nicht mehr herangewagt; allenfalls wären noch von ihm zu erwähnen die damals berühmten, auch in besonderem Abdruck erschienenen Reden, mit denen er als königlich westfälischer Staatsrat den west­ fälischen Ständen 1808 und 1810 die Entwürfe einer Kriminalprozeßordnung und einer Ordnung für das Verfahren in Korrekttonssachen' vorlegte. Dagegen, über seine publizistischen Leistungen zur Rechtfertigung des Staatsstreiches von 1837 wird die Geschichte der Rechtswissenschaft am besten stillschweigend hinweg­ gehen. (Über ihn trefflich und erschöpfend Frensdorfs in der A. D. B. 18, 226 f.) Fernet der unglückliche Wilhelm Josef Behr, geboren zu Sulzheim 26. August 1775, gestorben zu Bamberg 1. August 1851, Lehrer des Staats­ rechts zu Würzburg 1799^-1821. Er beginnt da, wo Leist endet, 1804 mit einem Abriß „System der allgemeinen Staatslehre", 1808 mit einer wissen­ schaftlich geschätzten „Systematischen Darstellung des rheinischen Bundes", woran.

Zu Kapitel 14, S. 165.

83

sich sein großes „System der angewandten allgemeinen Staatslehre oder Staats­ kunst", drei Abteilungen, Frankfurt 1810, anschloß. Überzeugt von der Allheil­ kraft der parlamentarischen Verfassungsform, geht Behr in deren naturrechtlich abstrakter Verwertung so weit, daß er einen „Grundriß einer Konstitution für Monarchien" schlechtweg, also verwertbar überall und allezeit, aufstellen zu können meinte (erschienen Frankfurt 1816, auch als Anhang zu einem „Neuen Abriß der. Staatsrechtslehre", Bamberg 1816). Außerdem beschäftigte er sich besonders mit Finanzrecht und ließ Leipzig 1822 ein Werk erscheinen über „Die Lehre von der Wirtschaft des Staats, oder pragmatische Theorie der Finanz­ gesetzgebung und Finanzverwaltung". Gleichzeitig war er aber aus der Theorie in die Praxis der parlamentarischen Aktion übergegangen, hatte sich 1819 als Vertreter der Universität Würzburg beim ersten bayerischen Landtag, seit 1821 als erwählter Bürgermeister von Würzburg der Opposition zugewendet und auf den damals in Würzburg residierenden Kronprinzen Ludwig persönlichen Einfluß gewonnen. Das Verhältnis schlug aber um, als in der bösen Zeit der Demagogenhetze auch Ludwig zum Metternichschen System überging, und nun 1831 Behr die königliche Bestätigung für seine damals erfolgte Wahl als Landtagsvertreter der Städte Unterfrankens versagt wurde. Wirren und Demon­ strationen, zu denen dies führte, endigten mit Behrs Verhaftung und Ver­ urteilung (nach mehrjähriger Untersuchungshaft 1832—1836) wegen „des fort­ gesetzten Verbrechens des nächsten Versuches zum Hochverrat" zur Abbitte vor dem Bildnis des Königs und unbestimmter (d. h. lebenslänglicher) Festungshaft — einer Strafe, die dann auch gegen den ganz gebrochenen Mann in voller Strenge bis 1839, unter wesentlichen Milderungen aber sogar bis 1847 durch­ geführt wurde; erst da wurde die Hast ganz aufgehoben, jedoch immer noch mit dem Verbote der Rückkehr nach Würzburg. Erst die Ereignisse des Jahres 1848 gaben ihm volle Freiheit und Ehrenrestilulion, die Kammern bewilligten dem Märtyrer eines wahrlich gemäßigten und selbst unter Drangsal und Ver­ folgung königstreuen Konstitutionalismus damals eine Entschädigung von 10000 Gulden für alle erlittene Unbill; zu politischer oder wissenschaftlicher Arbeit hat aber Behr nicht mehr die Kruft gefunden. (Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. 29 von 1851. — Heigel in der A. D. B. 2, 286. — Piloty, in Festgaben für Laband, 1, 222 f.) — Übrigens steht Behr iji der naturrecht­ lichen Grundrichtung und in der Schätzung verfassungsmäßiger Einrichtungen nahe Johann Christoph Frhr. v. Aretin, der in seinen „Abhandlungen" von 1816 für konstitutionelle Ideen [eingetreten war und bei seinem Tode (24. Dezember 1824) ein „Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie" fast fertig hinterließ, das von K. v. Notteck fertiggestellt und 1827/28 veröffentlicht wurde. Wie schon diese Beziehung zu Notteck erweist, handelt es sich um eine politi­ sierend staatsrechtliche Richtung, wie ihr auch Behr gehuldigt hatte, (v. Jnamn, in der A. D. B. 1, 518 f. — Piloty, in Festgaben für Laband 1, 228 f.) Ein glücklicheres Schicksal als Behr war'beschieden dem ähnlich denkenden, aber geschickter und besonnener handelnden,. wohl auch geistig bedeutenderen bayerischen Parlamentarier und Staatsmanne Ignaz v. Rudhart, der 1811 bis 1817 in Würzburg Behrs Kollege, gewesen war. Rudharts Lehrbuch über 6*

84

Zu Kapitel 14, S. 165.

„das Recht des deutschen Bundes", Stuttgart 1822, gehört noch wesentlich in diese Epoche, doch ragt sonst Rudhart über sie sowohl zeitlich wie sachlich durch die Ausdehnung seiner Wirksamkeit und wissenschaftlich durch seine historische, allgemein volkswirtschaftliche Bildung weit hinaus, die ganz auf dem Ideen­ kreise des 19. Jahrhunderts beruht. Davon legt vor allem sein Hauptwerk Zeugnis ab, das „Übet den Zustand des Königreichs Bayern", in 3 Bänden 1827 handelt. Er ist der Sohn einer späteren Zeit, erst am 11. März 1790 zu Weismain geboren, 1810 als Schüler von Savigny und Gönner in Landshut promoviert, wie denn auch seine Würzburger Professur eine solche „für Rechts­ geschichte und Völkerrecht" war und seine „Geschichte der Landstände in Bayern" als gründliche historische Leistung auf Grund kritischer Benutzung gedruckten und archivalischen Quellenmaterials, wennschon mit der Tendenz den historischen Nachweis für die dauernde Berechtigung konstitutioneller Einrichtungen zu er­ bringen, bezeichnet wird. Eine wahrhaft innerlich eindringliche universal-histo­ rische Auffassung, auch von gesunder patriotischer Auffassung durchdrungen, ganz gemäß den Vorschriften Hugos einschließlich der synchronistischen Methode, aber noch ohne irgendwelche Spur der romantisch-historischen Schule im engeren Sinne, zeigt Rudharts 1811 zu Würzburg gehaltene Antrittsrede „Über das Studium der Rechtsgeschichte", s. dort namentlich S. 20 und S. 35 f. und vgl. ferner über das Verhältnis Rudharts zu Hugo und zu Leibniz und über Rud­ harts Vorschlag, innere und äußere Rechtsgeschichte miteinander zu verbinden, Taranowsky, Leibniz und die sogenannte äußere Rechtsgeschichte, in der „Zeit­ schrift der Savigny-Stistung", Germ. Abteilung, 27, 213 f. — Rudharts spätere Jahre sind fast ausschließlich durch parlamentarische Tätigkeit und seit 1831 durch hohe Berwaltungsämter ausgefüllt. Zuletzt war er 1836—1837 leitender Minister König Ottos von Griechenland in Athen. Knappe Muße wurde daneben nur noch der Betätigung seiner Vorliebe für volkswirtschaftliche Dinge und für Sicherung und Registrierung der historischen und Kunstdenkmäler gewidmet. Es kann des so vielseitig bedeutenden und verdienten Mannes hier nur obenhin gedacht werden, ohne daß seiner Persönlichkeit volle Gerechtigkeit widerführe. Näheres über ihn bei Heigel in der A. D. B. 29, 459 f. und in der dort an­ geführten reichen Literatur.

III. 1. 2) Über Klüber, grundlegende kurze Biographie von Mör­ stadt, als Vorrede zu der von diesem besorgten 4. Auflage des „öffentlichen Rechts des deutschen Bundes", Frankfurt am Main 1840; zu ergänzen aus Klübers eigenem Berichte vor der 3. Auflage, ebenda 1831. — Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrg. 15, Teil 1, S. 83 f. mit Schriftenverzeichnis. — v. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, vielfach, besonders aber 2, 473 f. — v. Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts S. 175 f., wozu auch zu ver­ gleichen Hälschner in Eberlys Zeitschrift, 1843. — v. Kaltenborn in Braters und Bluntschlis deutschem Staatswörterbuch 5, 614 f. — Eisenhart, in der A. D. $8.

16, 235 f. — Georg Jellinek, Die Staatsrechtslehre und ihre Vertreter, in der Heidelberger Festschrift von 1903, 1, 260 f.

Zu Kapitel 14, S. 167—169.

85

3) Klüber sollte als unmittelbarer »Jurisconsulte de l’Empereur« außer­ halb.-aller Staatsbehörden und als Leiter einer Diplomatenschule in kaiserlich russische Dienste treten. 4) Der Bericht Klübers im Vorworte zur dritten Auflage des öffentlichen Rechts des deutschen Bundes, 1831, ist für alle diese Vorgänge unsere einzige Quelle; sie gibt aber wörtliche Angaben aus den Akten, an deren Vollständig­ keit und Authentizität, bei Klübers Charakter und da ihm überdies von der anderen Seite nie widersprochen worden ist, kein Zweifel möglich ist. 5) Zum Vergleiche dafür wie diese Zeitverhältnisse sich in Preußen und wie sie sich in Bayern äußern, mag nicht ohne Interesse sein eine Stelle aus einem Briefe Feuerbachs an Klüber vom 20. März 1832, die ich deshalb einer mir von privater Seite freundlichst zur Verfügung gestellten handschriftlichen Sammlung entnehme: „Übrigens konnte ich mich denn doch einer gewissen Achtung gegen das preußische Ministerium nicht ganz erwehren. Man gibt sich da wenigstens Mühe, das Unrecht zu beschönigen. Wo die Willkür hinter dem Schein des Rechts sich zu verstecken sucht, da schämt sie sich vor sich selbst und anderen und ist folglich schon auf dem halben Wege zur Besserung. Bei uns geht alles viel offener und gerader zu, ohne solche Umschweife und Ver­ kleisterungen."

6) Gelegentlich wurde Klüber auch später wieder von Berlin her zu Sonder­ aufträgen in Anspruch genommen, z. B. zu einer Revision des Staatsdienstrechts Ende der 20er Jahre, s. Stölzel, Brandenburg-preußische Gerichtsverfassung und Gerichtsverwaltung, 2, 496 f. 7) Klübers wissenschaftliche Ehrlichkeit wegen seiner laxen Ebenbürtigkeitsprinzipien vermag nur zu verdächtigen, wer übersieht, daß Klüber auch vorher schon in abstrakt wissenschaftlichen Werken sich auf denselben Stand­ punkt gestellt hatte, und namentlich, daß ihn dahin auch sein naturrechtlich räsonierender, etwa auf den Standpunkt der französischen Menschenrechte und Menschengleichberechtigung vom Jahrhunderianfang eingestellter Geist führen mußte, während v. Mohl, der ihn deshalb so scharf tadelt, nicht bloß aus positivrechtlich-historischen, sondern auch aus politisch-autoritativ-dynastischen Momenten strengen Ebenbürtigkeitsanforderungen gewogen ist. Außerdem kommt in Be­ tracht, daß da tatsächlich das deutsche reichsrechtliche Herkommen, von dem Klüber weit abgehl, wesentlich anders ist als das für den englischen Hochadel gültige, um dessen Mitglieder es sich bei der Bentinkschen und Esteschen Sache handelt. Die einzelnen Klüberschen Schriften aufgezählt z. B. bei Eisenhart a. a. O. S. 243; vgl. damit aber auch, was ebenda S. 241, betr. Sicherung der badischen Deszendenz auf dem Aachener Kongreß, rühmend hervor­ gehoben wird. 8) Spätere Ehrungen Klübers, so namentlich 1834 die Ernennung zum Mitgliede der französischen Academie des Sciences morales et politiques, wofür er persönlich in Paris dankte; und von vielen Seiten gelegentlich seines 50 jährigen Doktorjubiläums, 13. April 1830.

86

Zu Kapitel 14, S. 169-173. III. 2.

9) Klübers erste, sehr zahlreiche, mehr geschichtliche Schriften sind vollständig aufgeführt bei Mörstadt in einem Verzeichnis, zum Teil auch bei Eisenhart a. a. O. Ich nenne daraus: Versuch über die Geschichte der Gerichts­ lehne, Erlangen 1785. — De nobilitate codicillari argumentum iuris germanici tarn publici quam privati, Erlangen 1788. — Kleine juristische Biblio­ thek oder ausführliche Nachrichten von kleinen juristischen Schriften mit un­ parteiischer Prüfung derselben, • sieben Stück, Erlangen 1786—1793. — Das Ritterwesen des Mittelalters nach seinen politischen und militärischen Ver­ fassungen, aus dem Französischen des Herrn de la Curne de Saint Palaye, 3 Bände, Nürnberg 1788, mit zahlreichen eigenen Anmerkungen, Erläuterungen rmd Exkursen des Übersetzers, die ein selbständiges Werk für sich und eine

wesentliche Verbesserung seiner Vorlage bilden. — Und namentlich „Neue Literatur des deutschen Staatsrechts", Erlangen 1791, erschienen als Fortsetzung zu Pütters Werken von 1776, 1781 und 1783 (vgl. Landsberg, Gesch., Text 344), unter Beibehaltung des Pütterschen Fächerwerkes, mit zahlreichen Noten und Verweisungen, durch die „eine fast unglaubliche Belesenheil und Bücherkenntnis an den Tag gelegt" wird, Eisenhart a. a. O. Pütter selbst chat dem Buche Anerkennung gezollt; zu bedauern ist nur, daß die noch nach 1791—1806 er­ schienene Literatur keine ähnliche Bearbeitung gefunden hat. Sonst würden wir über die Neichspublizistik in ihrer Gesamtheit eine unvergleichlich real­ enzyklopädische Zusammenstellung besitzen, die nun leider um 1791 abbricht. 10) Vgl. Landsberg, Gesch., Text 55; und im allgemeinen Georg Adler, Die Bedeutung der Illusionen für »Politik und soziales Leben, Jena 1904, sowie Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 2, München 1905, Vorrede S. VIII, Note 5. 11) Aus dieser Zeit bleibt noch zu nennen ein ganz andersartiges Werk Klübers, seine „Anleitung zur Neferierkunst", Tübingen 1809.

12) Betreffend Klübers Hoffnungen, so führt er auch weit später, als er selbst eines schlechteren längst belehrt war, gerne noch mit Nachdruck an die Erklärung der Bundesversammlung in dem Protokoll vom 17. März 1817 § 105 bei Gelegenheit einer Justizbeschwerde wider Kurhessen; vgl. z. B. Klüber, Über die Selbständigkeit des Richteramtes, S. 55. 13) Von der Ausgabe der Wiener Schluß- und Bundesakte erschienen eine 2. Auflage »Erlangen 1818, eine 3. Auflage ebenda 1830, unter dem Titel „Quellensammlung zu dem öffentlichen Recht des deutschen Bundes", mit zahl­ reichen Ergänzungen und mit geschichtlicher Einleitung, dazu eine Fortsetzung 1833.

14) Daran anschließend zur Sammlung weiterer Aktenstücke über solche Fragen unternahm Klüber eine Zeitschrift unter dem Titel „Staatsarchiv des Deutschen Bundes", Heft 1—4 Erlangen 1816, Heft 5 und 6 Erlangen 1817; damit eingegangen. 15) Klübers Stellung zurLudenfrage ist schroff ablehnend gegen die Verleihung von Bürgerrechten, auch in bezug auf die Frankfurter Juden, unter ebenso schroffer Begriindung. Der „Liberalismus" Klübers gebt eben nicht

Zu Kapitel 14, S. 173—178.

87

über das Mindestmaß des juristischen Buchstabens hinaus, hält aber an ihm um so fester. 16) Für einige internationale Erfolge von Klübers Völkerrecht spricht immerhin das Erscheinen unberechtigter Nachdrucke in Paris (1831) und in Rio de Janeiro, sowie berechtigter Übersetzungen ins Russische und ins Neugriechische, vgl. sonst über das Werk Rivier, in v. Holtzendorffs Handbuch des Völkerrechts 1, 482 f. Über die völkerrechtlichen Werke, die nach Marlens und vor Klüber liegen, besonders über den alten Saalfeld, 1785—1834, Professor der Philo­ sophie in Göttingen, und seinen „Grundriß eines Systems des europäischen Völkerrechts" von 1809, Rivier a. a. O. 479 f.; von Saalfeld erschien übrigens uoch 1833 ein „Handbuch des positiven Völkerrechts". 17) Nicht in die Abhandlungen und Beobachtungen ausgenommen sind von Klübers kleineren Schriften einzelne Gutachten aus dem Privatfürstenrecht, unbt ein Kommentar „über die päpstliche Bulle von 1821, welche die neueste Einrichtung des katholischen Kirchenwesens in den preußischen Staaten regelt", Frankfurt 1822. 18) Über Klübers Sohn Friedrich Adolf, 1791—1858, großherzoglich badischen Staatsmann und Minister, s. A. D. B. a. a. O. 247. 19) Selbstverständlich wurde jene preußische Ministerialverfügung, welche in Hochverratsprozessen die Richter an Ministerialgutachten binden wollte, nicht lange aufrechterhalten. Ein lebhaftes Zustimmungsschreiben zu Klübers Schrift, gerichtet von Feuerbach an seinen „innigst verehrten Freund Klüber", vom 20. März 1832, liegt mir vor. Es zeigt, wie Feuerbach sich an dieser offenen Aussprache, die damals wohl eine Tat zu nennen war, erholt und erquickt hat. 20) Klübers Arbeit über Griechenland ist rein geschichtlich, eine gründliche, umfassende Studie in schlichter, möglichst quellenmäßiger Darstellung. Sonstiges Geschichtliches von Klüber noch, außer schon genannten Schriften seiner Erlanger Zeit, ein Essay sur Vordre de Malte ou de St. Jean, Basel 1806. 21) Klübers Studien über Post- und Münzwesen: Aufsatz über Münz­ wesen in den europäischen Annalen von 1805, Heft3. — Über den staatsrecht­ lichen Wert des Papiergeldes in deutschen Reichsländern, Tübingen 1805. — Das Postwesen in Deutschland uff., Erlangen 1811. — Das Münz wesen in Deutschland nach seinem jetzigen Zustande, Tübingen 1821, starkes Buch mit reichem Inhalt, hervorragend sowohl durch Kenntnis des Tatsächlichen wie durch Besonnenheit der Abänderungsvorschläge.

III. 3.

22) Über diese Vorgänge, nämlich über die von seilen Albrechts 1837 in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen" gegebenen Anregungen und deren wesentlich erst durch Gerber 1865 bewirkte Ausnutzung, wird natürlich im folgenden mehr­ fach, besonders in Kapitel 16 (Albrecht) und in Kapitel 19 (Gerber) zu handeln sein. Im Zusammenhang damit steht die scharfe Kritik, die Albrecht an Klüber übt a. a. O. S. 1489; er wirft ihm dort Oberflächlichkeit und Vermischung von Staatsrechtlichem mit Staatswissenschaftlichem vor.

88

Zu Kapitel 14, S. 178-180. III. 4.

23) Wilh elm Pätz, sonstige Lebensdaten. Er studierte 1798 bis 1801 zu Göttingen, dort 1801 Dr. jur., 1802 zu Kiel o. Prof, der Rechte, 1804 nach Heidelberg, 1805 in derselben Eigenschaft und als Beisitzer des Spruchkollegiums nach Göttingen zurückberufen, wo ihn nach zwei Jahren der Tod ereilte. (Pütter-Saalfeld, Versuch einer akademischen Gelehrtengeschichte von Göttingen, 3. Teil von 1788—1820, S. 71). 24) S. in dem Programm selbst Note f auf S. 6.

25) Wegen Heynes vgl. dessen übrigens sehr inhaltsarmen Brief an Heeren >de obitu Caroli Wilhelmi Pätz< von 1807 und betr. Spittler in Pätz' Programm selbst Note c Lauf S. 4. Dort verweist Pätz ' auf Heerens grundlegende Entdeckung von der Unzuverlässigkeit des sogenannten > Galendarium archigymnasii Bononiensis« in Abeles Zeitschrift für Kirchenrecht, vgl. auch Landsberg, Gesch., Noten 225. — Darauf hat ja denn später auch v. Savigny weiter gebaut, s. v. Savigny, Geschichte des röm. Rechts im Mittel­ alter 3, 12, Note c der 2. Ausgabe. 26) S. Diek, Literärgeschichte des langobardischen Lehnrechts bis.zum 14. Jahrhundert, Halle 1828, tz 5 S. 13 f.; und E. Laspeyres über die Ent­ stehung und älteste Bearbeitung der libri feudorum, Berlin 1830, S. 11 f. 27) Über Vormänner von Pätz Note 17 a. a. O. 28) Ob andererseits Pätz von Savigny benutzt ^worden ist, oder gar methodologisch auf ihn gewirkt hat, läßt sich kaum feststellen. Angeführt finde ich Pätz in Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelaller nur einmal, nämlich 3,421 Note a, und zwar da wegen einer Kleinigkeit mit scharfem Tadel. 29) Christian August Gottlieb Göde, geboren am 20. Februar 1774 zu Dresden, studierte und promovierte zu Leipzig, begleitete 1802—1805 den Legationsrat v, Blümner auf einer Reise durch England und Schottland, über die er in einem umfassenden Reisewerke, 5 Teile 1802—1805, 2. Ausgabe 1806 berichtete, wurde 1805 ao. Prof, der Rechte und der Philosophie zu Jena und, nachdem er von dort vor Napoleon geflohen, 1807 o. Prof, der Rechte in Göttingen. Im Jahre 1806 hatte er einen kurzen Grundriß des deutschen Privatrechts zur Benutzung in Vorlesungen in lateinischer Sprache (!) geschrieben; am 2. Juli 1812 ist er in Göttingen gestorben (Sieffenhagen in der A. D. B. 9, 314. — Günstig über ihn Frensdorff in den „Göll. Gel. Anz." 1910, S. 273 f.) 30) Von einer Förderung des Lehnrechts in strenger wissenschaftlichem Sinne kann nämlich kaum die Rede sein für das nächstfolgende umfassende dogmatische Werk von Georg Michael Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehnrechts, 4 Teile und Registerband, Leipzig 1807—1818. Folgt [e§ doch noch G. L. Böhmers Grundsätzen (vgl. Landsberg, Gesch., Text 307 und Noten 206) in übrigens ausführlicher Gründ­ lichkeit. Es sei deshalb hier genannt, weil es die letzte derartige Darstellung des gemeinen deutschen Lehnrechts, also ein in dieser Art abschließendes Werk ist, auf das man regelmäßig bei Behandlung lehnrechtlicher Dinge wird zurück­ gehen müssen. Freilich ist es meist nur und will es nur sein ein „musivisches

Zu Kapitel 14, S. 180—181.

89

Kunstwerk", zusammengesetzt aus Auszügen älterer Werke. — Georg Michael Weber, geboren zu Bamberg 20. Januar 1768, studierte dort und zu Göttingen, wieder in Bamberg seit 1790, dort Universitätsfiskal, Beisitzer des Hofgerichts und der Polizeikommission, 1793 ao., 1795 o. Professor der Rechte, nach Über­

gang an Bayern 1803 Direktor des kurfürstlichen Hofgerichts, 1807 zur Teil­ nahme an der Gesetzeskommission nach München berufen, 1809 als erster Direktor des Kgl. bayerischen Appellationsgerichts nach Bamberg zurückgekehrt, 1812 in die Adelsmatrikel eingetragen, 1815—1827 Vizepräsident des Appellationsgerichts zu Amberg, lebte dann zeitweilig, mit Zusammenstellung der Landesgesetze beschäftigt, in München, 1829 Präsident des Appellationsgerichts für den Untermainkreis, 1832 in gleicher Eigenschaft zu dem Appellations­ gericht des Oberdonaukreises nach Neuburg versetzt, in den Ruhestand getreten 1843, gestorben zu München am 2. März 1845. Von ihm rühren noch her zwei ihrerzeit bekannt gewordene Werke, ein älteres „Über die Repartition der Kriegsschäden in juristischer und kameralistischer Hinsicht", Bamberg 1797, 2. Aust., 1808, auch praktisch und legislativ einflußreich geworden, und die quellenmäßig bedeutsame, einer ganz anderen Zeit angehörige „Darstellung des sämtlichen Provinzial- und Statutarrechts des Königreichs Bayern", 5 Bände, Augsburg 1838—1844. Gesetzgeberisch hat er sich besonders mit Zivilprozeß, schriftstellerisch noch mit der Kritik der neuesten Literatur („Beiträge", 4 Bände, 1813—1815) beschäftigt, (über ihn Brockhaus Konversationslexikon 9. Aufl., 15, 170.) — Als späteres dogmatisches Werk über das Lehnrecht ähnlicher Art ist mir nur noch eins und auch dies nur dem Namen nach bekannt: Ph. Jos. Mayr, Handbuch des gemeinen und bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831; es scheint keine weitere Verbreitung noch Bedeutung gewonnen zu haben.

IV. 1. 1) Franz Andreas Frey, geboren zu Bamberg 20. Februar 1763, dort 13. März 1787 zum Priester geweiht, studierte Rechtswissenschaft als Hof­ meister junger Adliger in Bamberg" und Würzburg, wurde 1791 durch Fürst­ bischof Franz Ludwig von Erthal mit einer Präbende ausgestattet, um sich für die kanonistische Professur vorbereiten zu können, bestand die Prüfungen dafür 1794, begann 1795 zu lehren und wurde damals zugleich Wirklicher Geistlicher Rat, jedoch erst 17. Februar 1798 Lic. iur. utr. Im Jahre 1798 Beisitzer des Schöppenstuhls, 1801 Syndikus und Sekretär des Generalvikariats, lehnte er 1802 einen Ruf nach Aschaffenburg ab und blieb auch nach der Säkularisation seiner Vaterstadt treu, indem er nun an deren neuem „Lyzeum" die Professur des Kirchenrechts, der Kirchengeschichte und der allgemeinen Dogmatik über­ nahm. Er hat diese Stellung versehen bis zu seinem Tode 24. Juli 1820. Seine persönliche Wirksamkeit als Lehrer und der dabei im Sinne der kurialistischen Richtung geübte Einfluß scheint bedeutend gewesen zu sein; außer dem im Text genannten Hauptwerke schrieb er zahlreiche, besonders staats­ kirchenrechtliche Abhandlungen (v. Schulte, Gesch., 306 und in der A. D. B. 7, 358 f.).

90

Zu Kapitel 14, S. 181—182.

2) Sebald Brendel, geboren den 8. September 1782 zu Karlstadt anl Main, studierte u. a. zu Würzburg, 1812 Dr. jur. in Landshut, las 1813 vor­ übergehend in Heidelberg, privatisierte sodann in Bamberg, hielt sich 1814 in Wien auf, wurde 1817 Privatdozent, 1818 ao., 1824 o. Professor der Rechte in Würzburg, wo er hauptsächlich Kirchenrecht lehrte. Wegen seiner liberalen Richtung gab man ihm dort Gehaltszulage unter der Bedingung, daß er dieses Fach nicht mehr Vorträge; im weiteren Verlaufe dieses Konflikts schied er 1832 ganz aus der akademischen Tätigkeit aus, wurde damals Appellationsgerichtsrat in Amberg, legte dieses Amt jedoch 1834 nieder und zog sich in den Ruhe­ stand nach Würzburg zurück, wo er am 21. Dezember 1844 gestorben ist. Außer kirchenrechtlichen Schriften hat er noch eine Reihe allgemein publizistischer, be­ sonders staats- und völkerrechtlicher Abhandlungen verfaßt (v. Schulte, Gesch. 330 f.).

3) Thomas Dolliner ist geboren am 12. Dezember 1760 zu Dörfern in Krain, besuchte das Gymnasium in Laibach, studierte dort Philosophie und Theologie, dann 1782—1786 in Wien die Rechte, wurde 1788 Professor des natürlichen Privat-, allgemeinen Staats- und Völkerrechts an der orientalischen Akademie, auch an der Universität in Vertretung des ordentlichen Kirchenrechts­ lehrers tätig, 1789 Professor des Lehn- und Staatsrechts an der Theresianischen Ritterakademie, 1796 Dr. jur. in Wien, Januar 1801 zum o. Professor des Kirchenrechts in Prag ernannt, wo er aber überhaupt nicht gelehrt hat, da er noch in demselben Jahre dieselbe Professur in Wien erhielt. Dort wurde er 1810 mit der Vertretung des römischen Rechts betraut und zur Abfassung des Bürgerlichen Gesetzbuches zugezogen, 1816 Beisitzer der Hofkommission in Justiz­ sachen und im Jahre 1831 als Hofrat pensioniert. Gestorben ist er zu Wien am 15. Februar 1839. Er wird allgemein geschildert als ein Mann von liebenswürdiger, zuvorkommender und uneigennütziger Art, arbeitsam und ein­ fach. Seine fleißigen Forschungen in Bibliotheken und Archiven sind haupt­ sächlich durch Mitteilungen, die er jüngeren Gelehrten daraus machte, der Wissenschaft zugute gekommen. Doch gibt es auch von ihm selbst zahlreiche, besonders lehnrechtliche und geschichtliche kleinere Arbeiten, und sein Codex epistolaris Primislai Ottocari, Wien 1803, gilt als bedeutsame drplomottschhistorische Leistung (v. Schulte, Gesch., 302 f., besonders ausführlich, und dort Angeführte. — .Rieder in der A. D. B. 5, 314 f.). 4) Dolliners „Handbuch des Eherechts" erschien in vier Bänden, von denen die beiden ersten Bände das materielle Reckt, die beiden folgender den Prozeß behandeln; eine Fortsetzung dazu, als 5. Band bezeichnet, wurde von Ignaz Grassel geliefert, eine zweite Auflage in zwei Abteilungen erschien Wien 1849. 5) Josef Helfert, geboren zu Plan in Böhmen am 28. Oktober l791, dort von einem Geistlichen vorgebildet, besuchte das Gymnasium zu Eger und seit 1807 die Universität Prag. Nach zurückgelegten staatlichen und aka­ demischen Prüfungen promovierte er zu Wien am 20. Juli 1817 und nurde darauf von Dolliner zum Substituten für die Lehre des römischen und kano­ nischen Rechts ausgenommen; auch las er über Lehn-, Handels- und Wechsel­ recht. Am 31. Oktober 1818 erhielt er die Professur des österreichischen Privat-

Zu Kapitel 14, S. 182—183.

91

rechts in Olmütz, trat diese Stelle jedoch erst April 1819 an. Sein Amt als o. Professor des römischen und Kirchenrechts in Prag erhielt er dann am 15. Mai 1824 und ist darin verblieben bis an seinen Tod, der am 9. September 1847 auf der Rückreise von, Marienbad zu Jungbunzlau erfolgt ist. Er scheint Don leidenschaftlicher Gemütsart und ungleicher Lebensführung gewesen zu sein. (Über ihn sein Sohn Jos. Al. Freiherr v. Helfert im Jahrbuche „Libussa",

Prag 1856, und danach, aber unter Zuziehung weiterer Notizen aus Akten Und aus dem Munde von Zeitgenossen, v. Schulte, Gesch., 343 f. und abermals, aber mit etwas günstigerer wissenschaftlicher Beurteilung in der A. D. B. 11, 688 f.)

6) Helferts Handbuch wurde in vierter Auflage 1848 von seinem in der vorigen Note genannten Sohne herausgegeben. 7) Worte von v. Schulte, Gesch., 344. 8) Josef Scheill, geboren bei Reichenhall den 13. März 1784, studierte auf dem Gymnasium der Benediktiner in Salzburg, dann in Landshut die Rechte, später Theologie. 1817 Priester und Kaplan an der Aukirche in München, 1818 Prediger bei St. Martin in Landshut, 1821 Dr. theol., kam 1824 zu Ostern als Regens an das bischöfliche Ermländische Seminar und übernahm damit zugleich eine Professur zu Braunsberg, wo er hauptsächlich Pastoral­ theologie las; er ist, beim Baden in der Passarge, gestorben am 9. Juli 1834. (i). Schulte, Gesch., 336 f.) 9) .Als eigene Schriften von Scheill seien genannt: „Das bayerische Kon­ kordat verteidigt", 3 Hefte, München 1818. — „Die Patronatreste", ebenda 1819. — >Codex publico-ecclesiastico-diplomaticus«, vollständige Sammlung der merkwürdigen Dokumente und Aktenstücke für das neueste in Europa und Deutschland gültige Kirchenrecht der Katholiken", München 1822. 10) Für Freys wissenschaftliches Streben vgl. die Vorrede zu der ersten Auflage seines Kommentars zu Michl mit der Klage über den seit einigen Jahrzehnten eingetretenen Stillstand in der wissenschaftlichen Bearbeitung des Kirchenrechts. Das ist richtig beobachtet, aber es mangelt eben die Abhilfe.

IV. 2. 11) Klemens August Maria Aloysius Paulus Freiherr v. Droste-H ülsh off, geboren 2. Februar 1793 zu Coesfeld in dem dama­ ligen Fürstbistum Münster, von hochbegabten und hochgebildeten, der Aufilärnng zugetanen Eltern, schon als Kind, wie später als Mann, geschildert als eine selten gewinnende Erscheinung, ausgezeichnet durch Schönheit, Feinheit und Anmut des Körpers wie des Geistes, auch musikalisch veranlagt. Vorgebildet durch einen Hauslehrer, trat er 1804 in das Gymnasium zu Münster ein und besuchte seit 1809 ebendort die Universität, an der er Philologie und Theologie studierte. Er wirkte dann selbst 1814—1817 als Lehrer am Münsterer Gym­ nasium und trat da in nähere Beziehung zu dem damaligen Domprobst von Münster, dem späteren Kölner Erzbischof Grafen Spiegel zum Desenberg, segensreich irenischen Gedächtnisses. Zur weiteren Ausbildung begab Droste sich 1817 für einige Semester nach Berlin, entschloß sich dann, nachdem er sein

92

Zu Kapitel 14, S. 183—184.

Lehramt zu Münster vorübergehend wieder ausgenommen hatte, ganz zur Rechts­ wissenschaft und bezog deshalb 1820 nochmals die Universität, dieses Mal Göt­ tingen. Dort promovierte er am 22. September 1820 und trat darauf mit Unterstützung des Ministeriums eine kirchenrechtliche Studienreise durch Süd­ deutschland und Österreich an. Bon dieser heimgekehrt, habilitierte er sich in Bonn am 11. März 1822, wurde dort Sommer 1823 ao., September 1825o. Pros., 1829/30 durch besonderes Vertrauen seiner Kollegen, ohne vorher dasDekanat bekleidet zu haben, Rektor der Universität. Der Tod traf ihn auf einer Erholungsreise, die ihm Gesundung von schweren Leiden bringen sollte^ zu Wiesbaden am 13. August 1832. (Über ihn eingehend Johann Wilhelm Josep'h Braun, der Hauptvertreter des Hermesianismus nach Hermes' und Drostes-

Tod, in der Bonner Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie Heft 4von 1832 S. 1 f. — Ein Auszug daraus im Neuen Nekrolog der Deutschen von 1834 S. 604 f. — v. Schulte, Gesch., 346 f. und in der A. D. B 5, 417 f.) 12) S. v. Drostes Schrift: Rechtfertigung des von der Bonner Juristen­ fakultät in der Sache des Städelschen Kunstinstituts erlassenen Urteils, Bonn 1827. 13) Einleitung in das gemeine deutsche Kriminalrecht zum Gebrauch für akademische Vorlesungen, Bonn 1826; vertritt eine Art von „nachträglicher Verteidigungstheorie". 14) Dahin gehören besonders einige Schriften zugunsten des Hermesia­ nismus gegen die nach Hermes' Tod einsetzenden gehässigen anonymen An­ griffe, alle Bonn 1832 erschienen, aufgezählt bei Braun und bei v. Schulte a. a. O. 15) Lehrbuch des Naturrechts oder der Rechtsphilosophie, Bonn 1825r 2. Aufl. ebenda 1831. Hinzuzunehmen von Drostes „Rechtsphilosophische Ab­ handlungen", Bonn 1824. 16) Von diesem seinem Hauptwerk erschienen: Band 1, Einleitung unb äußeres Kirchenrecht, Münster 1828, in zweiter Ausgabe ebenda 1832; Band 2r erste Abteilung, kirchliches Verfassungsrecht, Münster 1830, 2. Ausgabe, besorgt von Braun, ebenda 1835; die zweite Abteilung, 1833, blieb unvollendet. 17) Vgl. dafür auch seine Dissertation von 1822, De juris Austriaci et communis circa matrimonii impedimenta discrimine. 18) Darüber gibt besonders klare Auskunft seine Antrittsvorlesung vom 11. März 1822: „über das Naturrecht als eine Quelle des Kirchenrechts" — ein geradezu klassisches Dokument des vergeblichen Ringens mit sich selbst um Bewältigung der rationalistischen Grundstimmung. Vgl. auch die Vorrede zur zweiten Auflage des Naturrechts. 19) Kirchenrecht, Bd. 1, § 11 und § 12 VI; ebenda Vorrede zu Bd. 2, und namentlich Naturrecht, 2. Aust., § 19: „Positives Recht ist das nicht durch die sich selbst überlassene Vernunft, sondern durch eine äußere Auktorität dem Menschen zugesprochene Recht. Da nun der vernünftige Mensch nichts in der Welt als rechtsprechende Auktorität anerkennen kann, wovon ihm seine Vernunft nicht sagt, daß es eine solche Auktorität für ihn sei: so ist es klar, daß es für den vernünftigen Menschen gar kein positives Recht gibt, wenn kein Vernunft­ recht ist."

Zu Kapitel 14, S. 185.

93

20) Über Wilhelm Traugott Krug, sein Leben, seine Philosophie

und seine (in einer Autobiographie unter 189 Nummern aufgezählten) Schriften "f. Prantl in der A. D. B. 17, 220 f.; über seine kirchenrechtlichen Schriften besonders v. Schulte, Gesch. 184 f. Er lebte 1770—1842, wurde 1805 Kants Nachfolger in Königsberg und hat seit 1809 zu Leipzig gelehrt und geschrieben. — Zur Kennzeichnung seines Kirchenrechts seien daraus folgende Zitate gegeben: S. 7: „Wie es aber in allen Beziehungen ein zwiefaches Recht gibt, ein natür­ liches und ein willkürliches oder positives, so auch in bezug auf die Kirche. Jenes geht hervor aus der ursprünglichen Gesetzgebung der Vernunft, un­ abhängig von jeder äußeren Autorität. Es ist ein einiges, ewiges, unver­ änderliches, göttliches Recht; denn Gott ist eben die gesetzgebende Vernunft selbst, von welcher die menschliche Vernunft, ein Funke Gottes, abstammt. Es ist die absolute Norm für jedes anderweite oder positive Recht........ Was wir hier nun zu geben gesonnen sind, soll eben nichts anderes sein als jenes natürliche Kirchenrecht." — S. 14: „Der Verfasser" (schreibt) „als Christ für Christen, nicht für Heiden, Juden und Muselmänner, obgleich seine Rechts­ grundsätze auf die kirchlichen Vereine dieser Religionsparteien ebenfalls an­ wendbar sein sollen und müssen, wenn sie wahr, mithin allgemeingültig sind. Denn es wäre doch ein gar zu einseitiges und parteiisches Kirchenrecht, welches

nur für Christen gelten soll."

Zum fünfzehnten Kapitel. I. 1. 1) Biographisches über Savigny: Rudorff, Friedr.K.v.Savigny, Erinnerung an sein Wesen und Wirken, in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte 2, 1 f. Auch Separatabdruck Weimar 1862. — Levin Goldschmidt, Friedrich Karl v. Savigny, Vortrag, gehalten 1864, zuerst gedruckt in des Verfassers vermischten Schriften 1, 621 f. im Jahre 1901. — v. Bethmann-Hollweg, Erinnerungen an F. K. v. S., als Rechtslehrer, Staatsmann und Christ in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte 6, 42 f. — Enneccerus, F. K. v. Savigny und die Richtung, der neueren Rechtswissenschaft, nebst einer Auswahl ungedruckter Briese, Mar­ burg 1879. — A. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechts­ verfassung 2, 527—628. — Ernst Landsberg in der A. D. B. 30, 425—452 mit weiteren Angaben über die umfassende Gelegenheitsliteratur, Aufsätze, Reden, Biographien u. dgl. ni. — Seitdem erschien vor allem: Oberlehrer Adolf Stoll, Friedrich Karl v. Savignys sächsische Studienreise 1799 und 1800, in dem Programm des König-Friedrich-Gymnasiums zu Kassel vom Schuljahre 1889/90. — Bechmann, Feuerbach und Savigny, München 1894. — RGR. Eduard Müller, Friedrich Karl v. Savigny, in Heft 9 der Sammlung „Männer der Wissenschaft", herausgegeben von Julius sZiehen, Leipzig 1906, mit guten Literalurangaben. — Siehe ferner etwa noch Schüddekopf und Walzet, Goethe und die Romantik, Briefe mit Erläuterungen, Schriften der Goethegesellschaft, Bd. 13 und 14, Weimar 1898 und 1899, an den im Register unter Savigny verzeichneten Stellen; und Adolf Harnack, Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 'zu (Berlin, 1. Band, 2. Hälfte, Berlin 1900, be­ sonders S. 876—881.

. 2) Unter Savignys Vorfahren besonders hervorzuheben Ludwig Johann v. Savigny, unseres Savigny Urgroßvater, fürstlich nassauischer Geheimrat und Präsident zu Weilburg, wegen seines Buches »Dissolution de la röunion«, 1692, eines großartig kühnen Protestes gegen Ludwigs XIV. Politik

Zu Kapitel 15, S. 186—188.

95

und gegen die Reunionskammern als deren Werkzeug. Sein Sohn Ludwig war Freiwilliger unter dem Kaiserlichen General Rehbinder bei dem Entsatz von Turin, später in nassauischen und pfalz-zweibrückschen Diensten, in letzteren schließlich Kabinettsminister. Unseres Savigny Vater, Karl Christian Lud­ wig, ist geboren zu Traben an der Mosel am 17. August 1726, wurde 1752 Regierungsrat in Pfalzzweibrückschen, 1759 Direktor und Geheimer Regierungs­ rat in Fürstlich Jsenburg-Biersteinschen Diensten, ausgenommen in den Verband der deutschen Reichsritterschaft und von mehreren Fürsten als Kreisgesandter zu dem oberrheinischen Kreistage deputiert, daher häufig in Frankfurt wohnhaft. Er wird uns als ein Mann von hoher persönlicher Würde geschildert, Savignys Mutter Henriette Philippine, geborene Groos, als geistig hochbegabt und ihrem reformierten Glaubensbekenntnis mit frommem Ernst anhänglich. Das Ehepaar hatte 13 Kinder, verlor indessen 12 davon durch frühen Tod; 1791 starb Chri­ stian Karl Ludwig, 1792 Henriette Philippine, so blieb Friedrich Karl als 13jähriger Knabe beiderseitig verwaist und ohne Geschwister allein übrig. 3) Der Wohlstand der Familie scheint hauptsächlich begründet worden zu sein durch die Ehe Ludwigs, des Großvaters, mit einer Tochter des HessenHanauischen Kanzlers und Geheimrats v. Crantz, von der namentlich das von dem Enkel so oft und gern bewohnte Gut „der Trages" bei Gelnhausen her­ rührt. 4) Landsberg, Gesch., Text 477 Noten 303. 5) Daß Hugos Kolleg auf Savigny wenig wirkte, geht sa wohl schon genügend daraus hervor, daß Savigny es bei dem einmaligen Besuch bewenden ließ. Mit dem späteren Umschwung zur Erkenntnis von Hugos wissenschaft­ licher Bedeutung hat das natürlich nichts zu tun; dagegen rührend Hugos freudiger Stolz über jenen einmaligen Besuch, s. Rudorff a. a. O. S. 14 und vgl. auch ebenda Noten 17 und 18. 6) Dafür spricht, wie bequem, rasch und programmgemäß sich die Habili­ tation abwickelt, s. auch Stoll a. a. O. Note 198. 7) Durch das bereits in Note 1 erwähnte Gymnasialprogramm von Stoll, Kassel 1890. 8) „Wegen Leipzig bin ich längst im Reinen. Hier habe ich zuerst mit wahrer Ehrfurcht an — Göttingen gedacht." Brief vom 1. November 1799 bei Stoll a. a. O. S. 28. 9) Genauer gesagt, auf Grund ihrer ersten 12 Paragraphen, s. die Vor­ bemerkung zum Abdruck in den „Vermischten Schriften" 4, 74 f. 10) Die Habilitation fürStrafrecht und die Wahl dieses Stosies für die erste Vorlesung ist offenbar nicht sowohl innerer Zuneigung entsprossen, als vielmehr durch äußere Rücksichten zu erklären. Dafür spricht sowohl, was der Text über den zivilistischen Charakter der Jnaugural-Dissertation weiter ausführt, wie eine Stelle eines Briefes an beide Creuzer, von Leipzig, den 3. Januar 1800 datiert, Stoll a. a. O. S. 30. Es handelte sich offenbar bloß darum, daß gerade auf diesem Gebiete durch Erxlebens Entgegenkommen Savigny am raschesten zur Habilitation und zu einer größeren Vorlesung kommen konnte. Für eine tiefere Beschäftigung mit dem Strafrecht sprechen doch auch nicht eben

96

Zu Kapitel 15, S. 188—192.

die oberflächlichen Urteile über Grolman, Bauer und Feuerbach, die Savigny in demselben Briefe fällt; und bezeichnend ist auch, daß Savigny in der damals brieflich von ihm versuchten Widerlegung von Kants Strafrechtstheorie (vgl. Stoll a. a. O. Note 161; Herr Professor Stoll ist so gütig gewesen, diese dort nur angedeutete Stelle handschriftlich mir vollständig mitzuteilen) hauptsächlich mit einem zivilistischen Vergleiche operiert, nämlich mit der Analogie des bedingten Vermächtnisses. 11) Die zionistische Bedeutung der Dissertation finde ich fast in allen Savigny-Biographien, Reden usf. unterschätzt; sie sei darum besonders hervor­ gehoben. 12) Rudorfs a. a. O. S. 17 und Savigny selbst, Vermischte Schriften 5, 33. 13) Jakob Grimm, Selbstbiographie (Kleine Schriften 1, 6) und „Das Wort des Besitzes" (ebenda 1, 113—116). 14) Bettina von Arnim, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, 3. Aufl., an vielen Orten, besonders S. 105, 172, 181. 15) Recht des Besitzes, weitere Auflagen: 1806, 1818, 1822, 1826, 1836, und 7. Auflage, besorgt von Rudorff, mit', Vorrede, datiert Berlin im No­ vember 1864, erschienen Wien 1865. Umfangszunahme der dritten gegen die erste Ausgabe etwa ein Fünftel dieser letzteren. I. 2. 16^ Leider habe ich auch trotz mannigfacher Bemühungen und freundlicher Unterstützung durch Herrn Professor Stoll in Kassel und Herrn Professor Bremer in Bonn, der seit Jahren mit umfassenden Vorbereitungen zu einer großen Savigny-Biographie beschäftigt ist, mir aus Savignys handschriftlich erhaltenem Briefwechsel kein Licht verschaffen können, weder über diese, noch über andere schriftstellerisch von ihm unbeleuchtet gelassene Wendungen und Abschnitte seines Schaffens. Von irgendwelcher Beeinflussung durch Kant, wie sie Sokolowski annimmt (Paul Sokolowski, Die Philosophie im Privatrecht 2, 190, Note), kann aber keine Rede sein. Das ist schon von vornherein höchst unwahrscheinlich bei Savignys schroffer Abneigung 'gegen Kant, s. unten Note 23; Sokolovskis Argumente hat aber direkt schlagend widerlegt Strohal in d. D. I. Z. 14, 273. 17) In der A. D. B. a. a. O. S. 435 und 436. 18) Landsberg, Gesch., Text 439 (über Nettelbladts Schüler Westphal) und 448 (über A. D. Weber). 19) Savignys Kritik über Hugos römische Rechtsgeschichte ist zuerst ge­ druckt in der „Allgemeinen Literaturzeitung", Nr. 251 und 252 vom 20. und 21. Oktober 1806, S. 129—144; abgedruckt in den „Vermischten Schriften" 5,1 f. Diesem etwa gleichzeitigen Zeugnisse lege ich mehr Wert bei als der späteren panegyrischen Äußerung aus dem Jahre 1838 in der Gratulationsschrift: „Der

10. Mai 1788". Da könnte es sich um unbewußte Rückdatierung handeln. 20) Z. B. S. 21 (die Zitate nach dem Druck in den „Vermischten Schriften") „Zweite Periode: Von den zwölf Tafeln bis auf Cicero. Was vorher in rohen Anfängen sichtbar war, zeigt sich jetzt in herrlicher Entwicklung. Der Verfasser

Zu Kapitel 15, S. 192—196.

97

hat die Größe seines Gegenstandes gesuhlt und das zunehmende Interesse des­ selben seinem Werke mitzuteilen gewußt." * 21) S. 34 f. a. a. O. 22) Vgl. auch „Beruf" S. 22, wo Savigny den eigentlich wissenschaftlichen Charakter der Jurisprudenz dahin bestimmt, daß sie „leitende Grundsätze" zu finden habe, aus denen dann sich die Einzelheiten ergeben, wie durch die An­ gabe zweier Seiten und des zwischenliegenden Winkels das Dreieck; ein mathe­ matischer Vergleich, durch den Savigny den naturrechtlichen Bodensatz, den er -och noch immer in sich birgt, so scharf wie unwillkürlich kennzeichnet.

23) S. dagegen Savigny an beide Creuzer und Schwarz, Leipzig, 26. April 1800, Stoll a. a. O. S. 33: „Die Pflicht der Kantianer verhält sich zum Gebot der Ehre, der Stimme des Berufs, der Gottheit in' uns wie die getrocknete Pflanze zur frischen Blume am lebenden Stamm."

21)

„Schöpft des Dichters reine Hand, Wasser wird sich ballen", Goethe, West-östlicher Divan, Buch des Sängers, „Lied und Gebilde", Schluß, vgl. auch „Legende", Vers 9—11. 25) Le style c est l’homme — richtiger, oder damit zusammenfallend: Le style, c’est la chose. Wer, wie Hugo, ins einzelne sich festbohrt, schreibt wie Hugo; wer, wie Savigny, alles zum Ganzen vereint und glättet, schreibt wie Savigny.' 26) So besonders bei E. I. Better, Über den Streit der historischen und philosophischen Rechtsschule, Heidelberger Festrede von 1886, sowohl über Savignys Schriften im allgemeinen, S. 20, Note 50, wie besonders betreffend den „Besitz", von dem es da heißt, er habe einen „naturrechtlichen Aufbau", was zweifellos zutrifft. Vgl. damit das soeben in Note 22 Angeführte und Bemerkte.

1. 3. 27) Dafür, daß dieser Forschungsplan aus den ersten Zeilen her gleichwäßig festgehalten worden ist, sprechen namentlich auch einige kleinere literarische Abfälle aus dem Jahre 1805, veröffentlicht in Hugos „Zivilistischem Magazin"; sie behandeln die Authenticae in den Institutionen, Brenkmanns Papiere zu Göttingen und die Lebensgeschichte des Cujas, wieder abgedruckt in den Ver­ mischten Schriften 3, XX Und XXI und 4, XXXVIII. 28) Die beiden Berufungen nach Greifswald (Rudorfs S. 20 nnd Enneeceru§ S. 14) und nach Heidelberg. Über die mit letzterer Berufung zusammen­ hängenden Empfehlungen Anderer durch Savigny nach Heidelberg war schon mehrfach zu berichten. Vgl. Obser in der Karlsruher Zeitung 1903, Nr. 210.

29) Jakob Grimms Selbstbiographie (Kleinere Schriften Bd. 1 S. 8). Die ^-ache scheint durch Weiß, der immer wieder als der große Förderer und Kenner seiner Schüler hervortritt, vermittelt; die nähere persönliche Bekanntschaft Grimms mit Savigny erst das Ergebnis des Pariser Aufenthalts und dortiger gemein­ samer Arbeit zu sein, so wenigstens nadj. den von Grimm a. a. O. gebrauchten Ausdrücken zu schließen. „Was ich von Savigny empfing, überwog bei weitem HaiibSDetß. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten.

7

98

Zu Kapitel 15, S. 196—199.

die Dienste, die ich ihm leisten konnte", sagt Grimm ferner a. a. O. Aufenthalt reichte Januar bis September 1805.

Grimms

30) D. h. den Winter über in der Stadt, den Sommer auf dem Land­ gute Trages, wie Herr Professor Bremer mir gütigst mitteilt.

31) Wegen der Stellung zu Feuerbach vgl. Brief an Bang vom 22. De­ zember 1808, bei Enneccerus a. a. O. S. 57. Savigny meint dort, er habe allen Anlaß, sich vor jeder Berührung mit Kollegen zu hüten; und dann wird als der einzige „brave, liebenswürdige Mensch", den er eigentlich ansehe, der bekannte Physiolog, Anatom und Zoolog Friedrich Tiedemann genannt. 32) über die Beziehungen zu Sailer und die von Bang schon früher an­ geregte religiöse Gesinnung, die entscheidende Briefstelle an Bang vom Jahre 1840 abgedruckt bei Enneccerus a. a. O. S. 96 und darnach bei mir in der A. D.B. S. 449. Siehe außerdem C. Varrentrapp, Rede, gehalten bei der Mar­ burger Universitätsfeier 1904 über „Landgraf Philipp von Hessen und die Uni­ versität Marburg" S. 30.

33) Über alle Kabalen und Intrigen, die da in Landshut ge­ spielt zu haben scheinen, und über das zum Teil wohl damit zusammenhängende Verhältnis zu Gönner bin ich leider nur ganz im allgemeinen unterrichtet durch gefällige mündliche Mitteilung von Herrn Professor Bremer. Dieser hat die einschlägigen Universitäts- und Staatsarchivalien durchgearbeitet und mir freundlichst über die daraus gewonnenen Ergebnisse einen Gesamteindrucksbericht gegeben, entsprechend dem, was ich daraufhin in den Text aufnehme, aber ohne nähere Einzelheiten. Bestimmtere Angaben behält er sich für seine Savignybiographie vor, deren Erscheinen also abzuwarten bleibt. 34) Wegen Niebuhr s. Savignys Abhandlung „Erinnerungen an Niebuhrs Wesen und Wirken, durch seine Briefe veranlaßt", zuerst in den Lebensnach­ richten über Niebuhr 3, 341 f.; dann in Savignys „Vermischten Schriften" 4, 209 f.; und wegen Eichhorn s. Brief Savignys an diesen d. d. Berlin den 21. Okt. 1851, abgedruckt bei Loersch, Briefe von K. F. Eichhorn und zwei an ihn gerichtete Schreiben, S. 80 f.

35) Kleinere Abhandlungen der Zwischenzeit: Besonders „Entstehung und Fortbildung der Latinität", 1812. — Das Ins Italic um, 1814. — Rezension zu Hugos Ulpian-Ausgabe von 1812. — All dies abgedruckt in den „Vermischten Schriften", s. dort das chronologische Verzeichnis 1, XIII f. 36) Der Zeitschriftartikel wiederabgedruckt in den „Vermischten Schriften" 1, 105 f., die Rezension gegen Gönner ebenda 5, 115 f., der Artikel „Stimmen für und wider neue Gesetzbücher" ebenda 3, 155 f.

II. 37) Aus der umfassenden (meist Gelegenheits-) Literatur über die historische Schule seien hervorgehoben: Bluntschli, Die neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen, erste Auflage 1839, zweite Auslage 1862. — Gerber, Zur Charakteristik der deutschen Rechtswissenschaft, 1851. — Johann Emil

Zu Kapitel 15, S. 199.

99

Kuntze, Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft, 1856. — Stammler, Über die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie, in der Hallenser Festgabe für Wind­ scheid, 1888. — Reinhard Frank, Naturrecht, geschichtliches Recht und soziales Recht, Leipzig 1891. — Stier-Somlo, Die Bolksüberzeugung als Rechtsquelle, Vortrag, gehalten am 13. Dezember 1899 zu Berlin, erschienen Berlin 1900. — E. I. Bekker, Vier Pandektisten, in der Festschrift der Universität Heidelberg von 1903, Einleitung I, 138 f. — Unter den Gegnern steht auf der Grundlage der historischen Schule Geib, Die Reform des deutschen Rechtslebens, Leipzig 1848, besonders S. 14 f. — Wennschon kraus und eigenartig, so doch viel Zu­ treffendes zusammenstellend die Schrift von Karl Josef Seitz, Die praktische Rechtsschule im Entwicklungskampf mit den bisherigen doktrinären, historischen und Naturrechtsschulen, München 1895, 652 Seiten. — Unparteiische, historisch wie dogmatisch genaueste.Darstellung aller aus das Gewohnheitsrecht bezüglichen Punkte bei Zitelmann, Gewohnheitsrecht und Irrtum, im „Zivilistischen Archiv" 66, 323 f., namentlich S. 384 f., 404 oben u. 423. — Scharf kritisch Stammler, Wirtschaft und Recht, S. 170 f. und „Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für den Fortschritt der Kultur", Festrede von 1900, S. 5 f. — Dagegen treffend Richard Schmidt, Allgemeine Staatslehre 1, 93 f., der nur das Wort-„historische Schule" im wetteren Sinne, Hugo und die ganze empiristische Richtung ein­ schließend, gebraucht und dadurch alle Verdienste dieser Richtung, besonders auch zum Schaden Hugos, Savigny zugute kommen läßt. — Betreffend die germani­ stischen Beziehungen Gierke, die historische Rechtsschule und die Germanisten, Rede vom 3. August 1903. — Betr. die philosophischen Zusammenhänge gründ­ lich S. Brie, Der Vvlksgeist bei Hegel und in der historischen Rechtsschule, Berlin und Leipzig 1909. Leider hat nur offenbar Brie nicht die Schrift von Stoll gekannt, die den genauen Zusammenhang mit Schelling auch äußerlich belegt; daher wohl ist Brie, wo chronologisch und sachlich als Vorbilder und Vorbildner für Savigny sowohl Schelling wie Hegel in Betracht kommen könnten, nicht in der Lage gewesen, sich, wie durch Stoll ohne weiteres gegeben, für Schelling als den maßgebenden Teil zu entscheiden (S. 6 f.). Auf das, was Brie betr. das Verhältnis zu Hegel vorbringt, komme ich wieder zurück unter Kap. 16, II. 1 und Kap. 17, I. 1 bei Puchta. Zu den Schriftstellern, die da­ gegen Schellings Einfluß mit Recht stärker betonen, und die Brie S. 7 Note 14 zusammenstellt, gesellt sich nun noch L. Goldschmidt, „Vermischte Schriften" 1, 638, Note 1, der da doch gewiß beachtenswert; die gegen Hegel sprechenden Momente stellt Brie ebenda (Text zu Note 7) übersichtlich zusammen; dazu scheint mir endlich noch wesentlich zu kommen, was unten, Kap. 16, II. 1 über Hegels Geringschätzung des positiven Rechts, vgl. dort besonders Note 15 und zugehörigen Text, ausgeführt ist. — Über die politisch-quietistischen und restau-rationsgeschichtlichen Zusammenhänge Meineckes Weltbürgertum und National­ staat, S. 209. — Gegen Brie und in allem wesentlichen mit mir übereinstim­ mend endlich nun wieder Egar Loening, in der „Internationalen Wochenschrift", Jahrg. 4 Nr. 3 und 4, gründliche rechtsphilosophische Untersuchung über „Die philosophischen Ausgangspunkte der rechtshistorischen Schule", die hier leider nur noch ergänzend und nachtragend benutzt werden konnte.

100

Zu Kapitel 15, S. 200—208.

II. 1. 38) Spätere Äußerungen Savignys über die historische Schule aus einer

Zeit, da er schon deren Einseitigkeit anerkannt oder sonst durch Literatur oder Erlebnisse der Zwischenzeit beeinflußt sein mag, werden deshalb hier zunächst nicht milbenutzt. Dahin zu rechnen wäre besonders Vorrede und § 15 zu Bd. 1 des Systems des heutigen römischen Rechts von 1840 sowie die Vor­ bemerkung in seinen „Vermischten Schriften" 1, 105 von 1850. 39) Von hier ab hauptsächlich auf Grund von „Zeitschrift für Rechts­ geschichte" 3, 5. 40) Für Eichhorn vgl. einstweilen dessen Artikel am Schluß des ersten Heftes der Zeitschrift „Über das geschichtliche Studium des deutschen Rechts" ; mehr über ihn unten V. 41) Für diese von jeher von mir vertretene Ansicht betr. Savignys Stel­ lung zur Kodifikationsfrage, gegen die u. a. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie 1, 527, Anm. 54 Widerspruch erhebt, ist mir besonders wert­ voll die Zustimmung von Gierke a. a. O. Note 19 S. 41. 42) Vgl. z. B. den Reformvorschlag zivilprozessualer Natur im „Beruf" S. 130; dazu kommen die bekannten Neformbestrebungen auf dem Gebiete der Ehegesetzgebung. Es ist also auch töricht, zwischen dem Verfasser des Berufs­ und dem späteren Gesetzgebungsminister v. Savigny einen Gegensatz aufstellen zu wollen; die Aufgabe des letzteren entspricht genau den Ideen des ersteren.

43) „Zeitschrift für Rechtsgeschichte" a. a. O. S. 376 f.; die entsprechende Stelle im „Beruf" S. 168; weitere Zitate aus demselben Zeitschriftartikel S. 368, 396 f., 416. 44) Vgl. auch die Kritik gegen v. Almendingen in der „Zeitschrift für Rechtsgeschichte" 3, 31; zu der Individualität der deutschen Volksgesamtheit werden auch die nordgermanischen Stämme zugerechnet, ebenda S. 7. — .Übrigens stammt der Satz des Textes fast wörtlich her aus Niebuhrs Schrift „Preußens Recht gegen den sächsischen Hof", von 1814, S. 77 f.; s. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 203 Note 3. 45) Für die kirchlich wie staatlich streng konservative Ge­ sinnung, die a. a. O. S. 20 f. hervortritt, bezeichnend z. B. Stellung gegen die Zivilehe, gegen die Judenemanzipation, gegen Mobilisierung der Grund­ werte durch ein sicheres Hypothekenrecht. Der letzte Zug, der lieber auf ein ökonomisches Sicherungsmittel verzichtet, als auf patriarchalische Verhältnisse, ist besonders bezeichnend. 46) Die evolutionistische Seite bei Savigny wird von den deut­ schen Autoren auffallend wenig berücksichtigt, obschon gerade diese Seite ausdrück­ lich die „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" eröffnet: offenbar weil alle Welt im Banne der Schrift über den Beruf steht und diese Schrift aller­ dings weniger davon bringt. Besonders gründlich und unter vielseitiger An­ knüpfung wird dagegen diese Seite Savignys herausgehoben bei Biagio Brugi, der die deutsche Rechtswissenschaft so genau kennt und um ihre Verknüpfung mit der italienischen Rechtswissenschaft so verdient ist, in seinem Artikel:

Zu Kapitel 15, S. 209-212.

101

r l romanisti della scuola storica e la sociologia contemperanea« in der Zeit­ schrift >11 circulo juridico«, Palermo 1883, 14, 151 f. Ähnlich Jcilio Vanni, Mailand, Turin 1885 und darauf zurückkommend Brugi in der > Ri vista italiana di sociologia«, Jahrgang 6, 1902, Faszikel 2 u. 3, S. 1 f. — Aber auch dem Scharfblick Bekkers ist diese „schier materialistische" Seite Savignys nicht ent­ gangen, a. a. O. 1, 140. 47) Einmal ein entfernter Anklang bei Hume, Essays, Teil 2, Nr. 12, Of the original contract, etwa in der Mitte (betreffend das Jneinandergreifen der Menschengenerationen), in der Ausgabe der Philosophical Works, Boston und Edinburgh 1854, Bd. 3, S. 506. Mehr kann ich aber auch bei Hume nicht finden, obschon mir Richard Schmidt, Allgemeine Staatslehre 1, 94 o. dazu Hoffnung erweckte. 48) Der Ausdruck „fungible Personen" kommt bekanntlich so wört­ lich vor, „Beruf" S. 157. Diese mehr gelegentliche Äußerung ist aber keines­ wegs vereinzelt, sondern ausführlicher heißt es auch ebenda S. 29: „Selbst wenn wir ihre Schriften vollständig vor uns hätten, würden wir darin weit weniger Individualität finden, wie in irgendeiner anderen Literatur; sie alle arbeiten gewissermaßen an einem und demselben großen Werke und die Idee, welche der Kompilation der Pandekten zugrunde liegt, ist darum nicht vollständig zu verwerfen." 49) Vgl. etwa schon die mustergültige Ausführung, der ich in dieser Beziehung auch heute noch nichts hinzuzusetzen noch abzudingen vermag, in v. Zum-Rheins „Jahrbüchern des gemeinen deutschen Prozesses" 1, 115 f., von einem Anonymus aus dem Jahre 1830: „Das 19. Jahrhundert mit seinen höchst folgereichen Ergebnissen und fremder, schwer lastender Zwingherrschast; wiedererwachte und zur Begeisterung gesteigerte Vaterlandsliebe, vermehrter religiöser Sinn, die Sehnsucht nach volkstümlicher Selbständigkeit und einem auf Treue und Religion gebauten Zustand und endlich die Überzeugung von

den Nachteilen eines philosophierenden Schwindelgeistes im Rechte und der Politik leitete die Blicke aller Patrioten zurück auf die Zeiten deutscher Kraft uud Selbständigkeit und es begann ein Eifer in historischen Forschungen, der sich in allen Wissenschaften zeigte, zwar manchmal zur Überschätzung des Mittelalters, zum Mystizismus und zu politischer Schwärmerei führte, aber doch in der Hauptsache ein neues Leben in Kunst und Wissenschaft begründete und ein eigenes Stadium des fortschreitenden menschlichen Geistes bezeichnet. Diesem Eifer verdanken wir auch die historische Nechtsschule." 50) Vgl. auch das Verhältnis zu Schleiermacher und deswegen Savignys Besprechung von.Schleiermachers Schrift „Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn" von 1808; diese Besprechung ist wieder abgedruckt in „Vermischte Schriften" 4, 255 f. Bezeichnend das Lob, daß es Schleiermacher überall gelinge, „die tiefe Bedeutung alter Sitten aufzuzeigen, worauf die aufgeklärte Menge schon längst als auf veraltete Formen herabzu­ sehen gewohnt ist." 51) Eine gewisse Beziehung zu Burke wird zu finden sein in den Vorstellungen über die Kontinuität im Rechts- und Staatsleben, sowie in der

102

Zu Kapitel 15, S. 213—215.

Auffassung von Vorzügen und Mängeln der Rechtswissenschaft; s. in der Gentzschen Übersetzung von 1793 die Stelle 1, 149. Betreffend Burke oben Lands­ berg, Gesch., Text 434 und Noten 278. Vermittelnd könnte da auch noch Adam Müller in Betracht kommen, der mit seltener Entschiedenheit das positive Recht an Stelle des Naturrechts einsetzt, s. Meinecke, Weltbürgertum

und Nationalstaat 128. 52) Darüber, wie Haß gegen Napoleon, Nationalismus und Romantik sich zu jener Zeit ergänzen, s. auch Max Lehmann, Freiherr v. Stein 3, 175; wenn sich das selbst bei einer so wenig romantischen Natur wie Stein zeigt, so wird es bei Savigny um so begreiflicher. 53) Für die Idee von der geschichtlichen Entstehung des Rechts überhaupt wird die Rückbeziebung aus Herder durchgeführt durch Viktor Ehrenberg in seiner Göttinger Rektoratsrede von 1908 „Herders Bedeutung für die Rechts­ wissenschaft", vgl. auch Gierke a. a. O. Note 7, S. 38, wo ferner mit Recht her­ vorgehoben, daß diese Anknüpfung der historischen Schule an Herder schon durch eines ihrer ersten und hervorragendsten Mitglieder, durch v. Bethmann-Hollweg mit Bewußtsein vollzogen wird, indem dieser als den eigentlichen schöpferischen Genius, von dem Savignys Ideen abstammen, in der „Zeitschrift für Rechts­ geschichte" 6, 43 Herder bezeichnet. Vgl. ferner Edgar Loening a. a. O. S. 72. 54) I. E. Kuntze a. a. O. 54 f., besonders 55, 61, Anm. 1, 67, Anm. 1. 55) Lamprecht, Herder und Kant als Theoretiker der Rechtswissenschaft, in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik, begründet von B. Hille­ brand, herausgegeben von Konrad und Elster, 3. Folge, 14, 161 f., besonders 198; Hinweis auf die gleiche Richtung bei Wilhelm v. Humboldt, ebenda 196. 56) Dagegen mit Recht Stammler, Über die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie, in der Hallenser Festgabe für Windscheid, 1888 S. 3; Brie, a. a. O. S. 21 Note 109; und Stoll a. a. O. Note 199 z. E. mit Bezugnahme aus Cohen, Kants Einfluß auf die deutsche Kultur, S. 24, 37. 56 a) Brie a. a. O. S. 22 Note 111 weist besonders hin auf die Betonung des Individuellen, aus die Behandlung der Völker als einzelne Individuen, die Savigny mit denselben Ausdrücken wie Hegel vortrage; jedoch spricht ebenso z. B. schon Fichte von der Individualität der Völker in den „Reden" (Werke 7, 563 und 467), wie Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat S. 113 treffend dartut; ja dort treten ähnliche Wendungen als allgemeines Denk- und Sprach­ gut der Zeit in fortwährenden Belegen immer wieder auf, so daß Hegel kaum noch irgendein Vorzug bleiben dürfte. Über den Ausdruck „Volksgeist" unten

Note 66. 57) Stoll a. a. O. S. 14 u. 33—35; vgl. außerdem Kuno Fischer, Schelling S. 46, 72; und Haym, Romantische Schule, S. 596. — Über die Möglichkeit

ähnlicher Anregungen von feiten A. W. Schlegels, Stoll a. a. O. S. 15. 58) Nachgewiesen durch Stoll a. a. O. Note 179. 59) Stoll a. a. O. S. 33 f. und Note 174. 60) Die Vorlesungen wurden 1802 gehalten und sind im Druck erschienen 1803; darauf als auf die Quelle Savignys verweist auch L. Goldschmidt a. a. O. S. 638 Note 1.

Zu Kapitel 15, S. 215—217.

103

61) Vgl. im allgemeinen K. Fischer a. a. O. S. 740 f., und im einzelnen Schelling selbst, „System des transzendentalen Idealismus" in der ursprüng­ lichen Ausgabe von 1800 S. 406 s., 744 f., 438 und 281. 62) Fischer a. a. O. S. 707 und Windelband, Geschichte der neuen Philo­ sophie, 2, 275 über „Die Identität des absoluten Organismus und des abso­ luten Kunstwerks." — Vgl. namentlich Schelling, System des transzendentalen Idealismus, S. 454: „Objektiv ist nur, was bewußtlos entsteht"; das ist freilich dort nur in bezug auf die Entstehung des Kunstwerkes gesagt, um dessen Ob­ jektivität zu erklären; es ist auch gerade in bezug hierauf von Savigny bereits aus dem mündlichen Lehrvortrag Schellings entnommen und so verstanden worden; daß es sich aber in Savignys Denkarbeit ganz von selbst auf das Recht übertragen mußte, ist doch gar naheliegend. 63) Schelling, System S. 281 und namentlich Akademische Vorlesungen S. 9: ähnlich war schon oben bei Gönner auf Berührung mit Schellings Be­ griff des Organischen zu verweisen. 64) Die Beziehung von Kant zum Begriff des Organischen, auf die schon Schelling in seiner Abhandlung „Über die erste Kraft der Natur", Hamburg 1806 S. 223, hinweist, ist sauber herausgearbeitet bei Quarch, „Zur Geschichte und Entwicklung der organischen Soziologie", Berner Jnaugural-Dissertation von 1901, erschienen als Band 28 der Berner Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte, herausgegeben von Stein; siehe da besonders S. 57 f. — über die Verbindung, die da von Kant zu Fichte und Schelling führt, in diesem Zusammenhänge überhaupt Edgar Löning a. a. O. S. 73 f. 65) „Von der Weltseele", Schelling, Sämtliche Werke 1, 2; vgl. Jodl in der A. D. B. 31, 9 und K. Fischer a. a. O. S. 519: „Die Natur als Einheit der Kräfte nennt Schelling „Wettseele". 66) Brre, a. a. O. S. 22 und 30. Auch Brie verkennt dabei nicht, daß diese seine immerhin bedeutsame Beobachtung mehr dem Wort als der Sache gilt; aber es hätte doch wohl ausdrücklicher hervorgehoben werden sollen, daß im ganzen „Beruf" schon die „gemeinsame Überzeugung" oder das „gemeinsame Bewußtsein" des Volkes dem Wort und der Sache nach herrschender Begriff ist, vgl. Beruf, in der ursprünglichen Ausgabe von 1814, S. 8—12. — Wegen des Verhältnisses zu Zitelmann, der a. a. O. ähnlich scharf und zwar meines Wissens zum erstenmale (S. 385 Note; 89) Puchtas Priorität hervorgehoben hat und auch sonst zwischen Savigny und Puchta unterscheidet, siehe Brie Note 161. — Über den Ausdruck Volksgeist jetzt auch Meinecke, Weltbürgertum und National­ staat, S. 244 Note 1, vgl. soeben Note 56 a und vor allem Edgar Loening S. 119 f.; auch er weist auf die weitere Bedeutung, also Bedeutungslosigkeit dieses bloßen Ausdruckes sowie auch auf seine wettere Verbreitung hin. 67) K. Fischer a. a. O. S. 832. 68) Schelling, Akademische Vorlesungen, Vorlesung 10; vgl. K. Fischer a. a. O. S. 834. 69) Schelling, Akademische Vorlesungen, S. 105, 107, 143, 233. 69 a) Über diesen Zusammenhang jetzt, wesentlich fördernd, Meinecke, Welt­ bürgertum und Nationalstaat, München und Berlin 1908. Der dort gegebenen

104

Zu Kapitel 15, S. 218—227

Studie darüber, wie der nationalstaatliche Sinn in Deutschland mit der Restaurationsepoche und der Romantik emporwächst, fügt sich die durch Savigny in die Rechtswissenschaft eingefühlte Richtung als Einzelzug ganz und gar ein, und zwar handelt es sich (Meinecke a. a O. S. 79) nicht um die erste „indivi­ dualistische und freie Romantik" sondern um das zweite Stadium einer „politisch und kirchlich gebundenen Romantik", während Hugo und Thibaut beide noch durchaus kosmopolitisch empfinden - vgl auch Meinecke a. a O. S. 195 Note 1. II. 3. 69d) August Friedrich Barkow, geb. 28. Januar 1791 zu Trent auf Rügen, studierte seit 1807 zu Greifswald, Göttingen, Berlin, 1813—1816 in Berlin Erzieher des späteren preußischen Ministerpräsidenten Grafen Adolf Arnim und damals daneben für Savigny tätig, 1817 Dr. jur. und bald darauf Privatdozent in Berlin, 1819 ao, 1827 o Professor zu Greifswald, dort ge­ storben 4. März 1861. Er war verheiratet mit einer Schwester von Homeyer. Er hat auch über die Lex Burgundionuni (1826) und über Mevius (1856) geschrieben. (Muther i. d. A. D B 2, 67). 70) Gierke, a. a. O. S. 14 und Note 43. 71) Vgl. hierüber und über das im Text Folgende den Vortrag von Gierke a. a. O. S. 14 f. mit überzeugendem Anklagematerial, namentlich Note 27 So kann man nicht umhin, Gierke zuzustimmen, wenn er S. 13 schreibt: „Die wirkliche Sünde der historischen Schule beginnt vielmehr da, wo sie ihrem eigenen Prinzip untreu wurde. Solche Untreue gegen sich selbst aber beging sie in ihrem Verhalten zu unserem nationalen Recht" — wenigstens unter still­ schweigender Konnivenz Savignys. Vgl auch ebenda S 46 Note 40 das Zitat aus Savignys System § 2.

II 4 72) Eine vollständige Liste braucht nicht gegeben zu werden, da ein für allemal auf die beiden Übersichten verwiesen werden darf, die Savignys ver­

mischten Schriften beigegeben sind, die eine sachlich, die andere chronologisch geordnet. 73) Vermischte Schriften 3, 155 f 74) Dazu treten freilich noch Haubold, s. oben im ersten Kapitel, und Schrader, s Savignys Vermischte Schriften 3, 156 Note 1 75) Vermischte Schriften, 1, VII f. 76) Außerdem hat natürlich Savigny fortlaufend akademisch, in seinen regelmäßigen Vorlesungen über gemeines und mehrfach auch über preußisches Privatrecht die dogmatische Seite gepflegt; vgl. darüber Genaueres von beson­ derem symptomatischen Interesse bei Gierke a. a. O. S. 48 Note 53.

ni 1. 1) Savignys Tochter Bettina, in Paris geboren, nach Athen an Kon­ stantin Schinas (Schiras in meinem Artikel in der A D. B. 30, 430 ist Druck­ fehler) verheiratet, war in fortwährend regstem geistigen Zusammenhang mit

Zu Kapitel 15, S. 227—234.

105

dem Vater geblieben und scheint besonders enthusiastisch seinem Systemplan Beifall gezollt zu haben. la) Von der interessanten Persönlichkeit des Antonio Salvotti, eines Tirolers aus Mori, der 1809 in Landshut studiert, dann als Untersuchungs­ richter in Venedig und Mailand die italienischen Verschwörer überführt und auf den Spielberg gebracht hatte, erst 1846 nach Wien berufen, dort an den Gesetzgebungsarbeiten beteiligt und zum Freiherrn gemacht worden war, gibt ein feingezeichnetes Charakterbild Ricarda Huch, Das Risorgimento, 1908, S. 115—138. 2) Vorrede zu Bd. 1, S>X, XL 3) Savignys ^verhältnismäßige Gleichgültigkeit 'gegenüber dem System bezeugt auch Bethmaun-Hollweg a. a. O. 648.

III. 2.

4) Vorrede zu Bd. 1 S. XVI. 5) Eine erste Klage darüber finde ich in einem Briese an Eichhorn schon vom 7. Juni 1819, abgedruckt bei v. Schulte, Eichhorn S. 143 f. Da heißt es S. 144: „Mich ärgert es schon lauge, daß hier im Lande unsere Lehre so ganz abgeschnitten von der Praxis dasteht. Darum habe ich mich rasch entschlossen, alle Arbeit, auch die an meinem dritten Bande, beiseite zu legen und für den Winter ein Kolleg über das Landrecht vorzubereiten." Es folgt dann über dieses und die handschriftlichen Materialien dazu ein sehr interessantes Urteil. 6) Der Gegensatz gegen das Naturrecht und den Unterwerfungsvertrag einerseits ist ebenso unverkennbar wie andererseits der gegen Hume, bei dem Staat und" Recht aus dem Bedürfnisse entstehen; Savignys Auffassung ist eine spekulativ vertiefende, die Humes eine empirisch utilitaristische. Vgl. Hume, Essays, Teil 2 Nr. 12 (Philosophische Werke, Ausgabe von 1854, 3, 494 f.) und »An inquiry concerning the principles of moral«, Abschnitt 3 of justice (ebendort 4, 244), ferner etwa noch die Essays »of the origin of government« (Teil 1 Nr. 5, a. a. O. 3, 34 f.) of polygamy and divorces (Teil 1 Nr. 19 a. a. O. 3, 199 f.) und »of national characters« (Teil 1 Nr. 21 a. a. O 3, 217 f.) Gemeinsam bleibt da zwischen Hume und Savigny nur noch die Negaiive, die Ablehnung des Naturrechts und seiner vertragsmäßigen Begründung. Diese Negative aber war zu Savignys Zeit schon lange Gemeinplatz geworden, mag auch ursprünglich zu ihrer Erkenntnis Hume mächtig beigetragen haben. Darauf also kann man einen unmittelbaren Gedankenzusammenhang zwischen Hume und Sävigny nicht aufbauen. Vgl. auch oben Note 47 zu Abschnitt II dieses Kapitels. 7) An diese Textesstelle, S. 42 von Bd. 1 des Systems, schließt sich in Note b die Bemerkung, dies sei der wahre Sinn der oft mißbrauchten Goethe­ stelle: „Es erben sich Gesetz und Rechte" usf.; nicht etwa „sollte darin ein Tadel des positiven Rechts ausgedrückt werden, und das Bedauern, daß nicht lediglich das Naturrecht regiere"; es wäre also nach Savigny jene berühmte Stelle so auszulegen, daß sie nach regerer Tätigkeit der Gesetzgebung, nach abzukürzender Geltungsdauer der Gesetze riefe; Dem entspricht dann allerdings und kommt

106

Zu Kapitel 15, S. 234—235.

Savignys Lehre entgegen, in einer von ihm wohl kaum geahnten Weise, was diesbezüglich Goethe schon in seinen Promolionsthesen vom 6. August 1771 sagt: XLIX, Legum corpus nanquam colligendum. — L, Tabulae potius conscribendae, breves verbis, amplae argumento. — LI, Interpretationes a Principe factae separatim colligendae neque cum tabulis fundamentalibus confundendae. — LII, SeJ qualibet generatione vel novo quodam Regnante ad summum Imperium evecto abrogandae atque novae inter­ pretationes a principe petendae videntur. — Dieses etwas krause, aber pro­ phetische Gespinst von naturrechtlichen, Savignyschen und modernen Ideen kann hier natürlich nicht entwirrt werden; der Anklang an die Fauststelle ist bei der Erwähnung jeder neuen Generation unverkennbar. — Betr. Goethes Doktor­ thesen vgl. „Goethe als Rechtsanwalt", Vortrag, gehalten am 27. Februar zu Köln von Oberlandesgerichtsrat Wieruszowski, erschienen im. „Archiv für Zivil­ und Strafrecht der Nheinprovinz", Separatabdruck Köln 1909, S. 14. 8) System 1, 177 f., hervorgehoben bei Zitelmann, a. a. O. 404. — Natür­ lich aber ist es auch naturrechtlich, daß Savigny im System von der Rechts­ entstehung schlechtweg handelt (1, 6—66), bevor er sich zu der Lehre von den Quellen des heutigen römischen Rechts (1, 66—330) wendet. Diese Vorweg­ nahme der Möglichkeit, eine allgemeinhin anwendbare Rechtsentstehungstheorie unabhängig von den konkreten Quellen aufzustellen, liegt ja auch schon bett Programmschriften der historischen Schule zugrunde. III. 3.

9) Dagegen verteidigt seinerseits Savigny Steins großes Reformwerk in dem unter Savignys Schriften ganz vereinzelt dastehenden Artikel „Die deutsche Städteordnung" gegen den reaktionären Zeitgeist auf das be­ stimmteste und würdigste, wennschon daneben unter Billigung der stark ein­ schränkenden preußischen Gesetzgebung vom 17. März 1831. — Dieser Artikel erschien zuerst in Rankes historisch-politischer Zeitschrift, Bd. 1, Heft 3, 1832, dann in den Vermischten Schriften 5, 183 f. mit ausdrücklich noch immer volles Festhalten der dort bekundeten Ansicht bezeugender Vorbemerkung von 1850. 10) Dieses Vorkommnis aus dem Jahre 1819 ergibt sich aus dem Ab­ lehnungsbrief von Savigny an Beyme, geschrieben Berlin, 23. Juli 1819; ich verdanke die Abschrift aus der im Besitze von Beymes Urenkel befindlichen Ur­ schrift der Güte von Herrn Professor Max Lenz in Berlins 11) Rudorfs a. a. O. S. 29: „Außerdem hat Savigny nur noch einmal im Jahre 1830 und 1831 dem damaligen Kronprinzen von Bayern einen ähnlichen juristischen Privatvortrag gehalten." 12) Savignys Denkschrift zum erstenmal gedruckt bei Stölzel a. a. O. S. 733-750. 13) Der Bericht, wonach Jakob Grimm von der Annahme des Ministerpostens abgeraten hätte, Näßt sich als richtig nicht positiv nachweisen. Jedoch hat diese Überlieferung eine innere Wahrscheinlich­

keit, nach Grimms ganzem Wesen nicht nur, sondern auch nach dem Ton von Grimms Vergleich zwischen dem Savigny ;oon 1803 und von 1847 zweifellos

Zu Kapitel 15, S. 236—239.

107

■für sich (Jakob Grimm, „Das Wort des Besitzes", Festschrift zum 31. Oktober 1850, in Grimms kleineren Schriften Bd. 1, S. 112 f., s. besonders S. 115, 117); wennschon vielleicht nur in dem Sinne, daß Grimm, wenn er gefragt worden wäre, abgeraten haben wurde, während er sich unbefragt auf stillschweigend -ablehnendes Verhalten beschränkt haben mag. Sollte selbst das nicht zutreffen, jo ist immerhin die Überlieferung bezeichnend für den Naturunterschied zwischen -Grimms ausschließlicher Gelehrtenart und Savignys Verbindung von Gelehrten­ tum und weltmännischem Wesen. Vgl. auch Grimm a. a. O. S. 118: „Bei Ihrer Ernennung zum Minister erschraken Ihre alten Freunde"; und ähnlich schou Grimm an Bang im Jahre 1820, s. Stengel, Grimm und Hessen 1, 59. Ähnlich viele Stellen im Briefwechsel zwischen Grimm, Dahlmann und Gervinus,

herausgegeben von Jppel, vgl. das Namensverzeichnis. 14) Nach den durch Stölzel a. a. O. ausführlich, aber immer noch nicht in einem Maße, das volle Einsicht gestattete, gegebenen Materialien habe ich Äber Savignys Ministerium berichtet in der A. D. B. a. a. O. S. 431—434. Seitdem sind noch nicht unbedeutende weitere Materialien zu diesem Abschnitt von Savignys Lebensgeschichte veröffentlicht worden von Dr. Gustav Otto, „Die preußische Staatsanwaltschaft aus Anlaß ihres 50jährigen Bestehens als historisch­ kritische Studie nach amtlichen Quellen bearbeitet", Berlin 1899, im ersten Abjchnitte, der die Plane der Jahre 1843—1847 erörtert, und dabei Savignys Mit­ arbeit teils bespricht, teils auch durch Abdruck der einschlägigen Urkunden beleuchtet. 15) „Darstellung der in den preußischen.Gesetzen über die Ehescheidung -unternommenen Reformen", zunächst anonym 1844, dann in den Vermischten Schriften 5, 222 f. 16) Aus den strafprozessualen Ansätzen teilt Otto a. a. O. einiges auf die Einführung einer Staatsanwaltschaft Bezügliches mit. Diese Ansätze sind aber durch die Verordnung vom 17. Juli 1846, an der Savigny ganz unbeteiligt ist, nicht etwa verwirklicht, sondern vielmehr vollständig durchkreuzt worden, lote Otto ■ü. a. O. nachweist. 17) Selbst wenn dieser zivilprozessuale Entwurf veröffentlicht würde oder "sonst aus den Archiven zur Beantwortung der hier besprochenen Fragen heran­ bezogen würde, müßte dabei immer berücksichtigt werden, unter welchem Drang und Druck der Umstände er gearbeitet ist. — Gegen manche unbedingt Savigny -als Gesetzgeber herabwürdigende Urteile kann denn aber doch verwiesen werden nicht nur auf die unverkennbaren Vorzüge des veröffentlichten Ehescheidungs-entwurfes, sondern jetzt auch auf das abschließende Urteil Ottos über Savignys 'Bemühungen zur Einführung der Staatsanwaltschaft. Otto schreibt a. a. O. S. 59: „Kein Jurist wird ohne tiefe Bewunderung die Auseinandersetzungen lesen, in denen ein Mann wie Savigny mit feinem-gewaltigen Geistesvermögen den spröden Stoff in angemessene Formen zu bringen suchte. Kein Jurist wird jein lebhaftes Bedauern unterdrücken können, daß es diesem Manne nicht ver­ gönnt gewesen ist, was er erstrebt und vorbereitet hatte, auch zu einem gedeih­ lichen Ende zu führen; er würde sein eigenes Wort, daß seine Zeit keinen Beruf zur Gesetzgebung habe, Lügen gestraft haben." Das klingt doch anders «als die Berichte von Bornemann oder auch von Stölzel.

108

Zu Kapitel 15, S. 240—242.

III. 4. 18) Den Sitz im Herrenhause, den Savigny 1856 zusammen mit dem. Kronsyndikat und dem Schwarzen Adlerorden erhielt, hat er nie eingenommen. Von sonstigen ihm zuteil gewordenen Auszeichnungen sei etwa noch erwähnt, daß ihm nach dem Tode Alexander v. Humboldts das Kanzleramt der Friedens­ klasse des Ordens Pour le merite übertragen wurde. 19) Wenn ich in der A. D. B. a. a. O. S. 435 von voller Rüstigkeit? Savignys bis zu seinem Ende schrieb, so muß ich das, durch gefällige Mit­ teilung von Herrn Professor Bremer eines Schlechteren belehrt, hiermit zurück­ nehmen. 20) Bericht darüber von Bruns, Statuten usf. vor dem ersten Bande der Zeitschrift der Savignystiftung. 21) Über die Gründung und Bedeutung der „Zeitschrift für die Rechts­

geschichte", die seit 1861 an die Stelle der alten „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" tritt, wird später im vorletzten Kapitel dieses Buches zu be­ richten sein. ^Der erste 1880 erschienene Band der durch die Mittel der Savigny­ stiftung gesicherten Zeitschrift schließt sich an den 13. Band der bis dahin ohne solche Anlehnung veröffentlichten Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft; dieser 13. Band hatte zu seiner Fertigstellung dreier Jahre, 1876—1878,, bedurft.

IV. 1) Vgl. die Notiz über ein politisches Gespräch mit Ludwig v. Gerlach in Varrentrapps Aufsatz über das Berliner politische Tageblatt und die historisch­ politische Zeitschrift, in der Historischen Zeitschrift 99, 109, und namentlich dort Gerlachs Schlußwort, wonach er Savigny zu der Partei der Parteilosen rechnet: „Er war ein heftiger Moderado." Ein andermal (angeführt bei Meinecke a. a. O. S. 230 Note 3) nennt L. v. Gerlach „Savigny und Konsorten" wegen ihrer historischen Lehre von Staat und Recht „pantheistisch" im scharf tadelnden Sinne. Dem entspricht der Anteil Savignys an der gemäßigt konservativen historisch-politischen Zeitschrift, die dem Treiben der Ultrareaktionäre entgegen­ wirken und geistige Eroberungen für Preußen vermitteln sollte; an ihre Spitze­ würde Ranke als Redakteur berufen, während Perthes sie verlegte. Eben darüber und über die Gegensätze zu denLUltras und ihrem Organ, dem Ber­ liner politischen Wochenblatt, handelt belehrend der angeführte Aufsatz von. Varrentrapp; dort über Savignys Beteiligung besonders S. 84, Note 2. — Ähnlich Meinecke a. a. O. S. 226 f. — In sehr erfreulicher Weise finde ich es aber auch anerkannt, daß' reaktionäre Gesinnung Savignys eigensten Ideen über die Rechtsentstehung aus dem Volksgeiste in letzter Linie widersprochen haben würde, bei' Erich Kaufmann, Über den Begriff des Organismus in der

Staatslehre des 19. Jahrhunderts, S. 12. 2) Betreffend die städtische Freiheit siehe die Abhandlung über die preußische Städteordnung oben Note 9 zu Abschnitt III; und betreffend die akademische Freiheit die Abhandlung über „Wesen und Wert der deutschen Universitäten", zunächst in Rankes historisch-politischer Zeitschrift 1,569 f.„

Zu Kapitel 15, S. 242—246.

109

Hamburg 1832, dann in den Vermischten Schriften 4, 270 f.; diese Stellung­ nahme ist um so verdienstlicher, als Savigny persönlich gleichzeitig von schlimmster Revolutionsangst ordentlich geschüttelt wird, einer Angst, die uns fast befremdlich übertrieben vorkommt, wenn er z. B- am 22. Dez. 1830 in einem bisher unver­ öffentlichten Briefe an Eichhorn (mir zur Benutzung gütigst überlassen durch den Eigentümer, Herrn Oberlandesgerichtsrat Landau in Düsseldorf) schreibt: „Man muß auf den Untergang aller Verhältnisse, die uns erfreulich sind und Sicher­ heit gewähren, gefaßt sein, und alles, was sich erhält, als ein Geschenk betrachten. Daß unser ruhiges Deutschland der Schauplatz von Unruhen geworden ist, während noch Italien still bleibt, gereicht mir zu einer nationalen Beschämung." In demselben Briefe schreibt Savigny Weiler: „Aus mehreren Dörfern, gegen welche ich Weideservituten habe, sind Deputierte zu meinem Geschäftsführer gekommen und haben Verzichtleistung - auf meine Rechte gefordert mit der Drohung, sonst mein Gut zu demolieren." Offenbar deshalb sieht Savigny das Ende der Welt nahen! Bedrohlicher freilich schon, wenn er eben dort meint, den Sturz des Bankhauses Lafitte vorhersehen zu müssen. Dann geht er über zur Besprechung eines Buches von Bethmann-Hollweg, an dem er aber nur „sehr mäßige Befriedigung" gefunden hat, da es zu „breit und unklar" sei, „mühsam und schwerfällig zu lesen"; Hugos letzte Literärgeschichte wird als „gar betrübend" gekennzeichnet, und Klagen darüber, daß der 6. Band des Systems nur langsam vorrücke, schließen sich an. Der Schluß lautet: „Mit alter, herzlicher und aufrichtiger Freundschaft Ihr Savigny." 3) Vermischte Schriften 4, 289 und 5, 185. 4) Siehe auch Mitteilung aus einem Briefe Savignys vom 8. August 1819 an Grimm, von ihm an Bang weitergegeben am 18. desselben Monats rmd daher mitgeteilt von Stengel, Beziehungen von Grimm zu Hessen 1,51 f.; darin sehr energische Äußerungen gegen Polizeimißbrauch, besonders gegen

v. Kamptz und seine Art der Untersuchungsführung. 5) Die Briefstelle, Sie über Savignys religiöses Leben Helles Licht ver­ breitet, wurde zuerst veröffentlicht durch Enneccerus a. a. O., Anhang S. 69; ffe ist u. a. wieder abgedruckt in der A. D. B. a. a. O. 449. Sie stammt aus -einem an Pfarrer Bang gerichteten Brief von 1840. 6) Vgl. auch „Friedrich Karl v. Savigny als Jrenikcr" von O. Pfülf S. J. in den Stimmen aus Maria-Laach, Jahrgang 1904, 66, 33 f. 7) Landsberg in der A. D. B. a. a. O. 450 f. 8) Ich denke dabei namentlich an die beiden Bände von Riearda Huch, Blütezeit der Romantik, von 1901, und über Ausbreitung und Verfall der Romantik, von 1902. Weitere jüngere Werke ähnlicher Art bei Meinecke, Welt­ bürgertum und Nationalstaat, zusammengestellt S. 59 Note 1. 9) Siehe aus Bettinas Briefwechsel, mitgeteilt von O. Pfülf in den Stimmen aus Maria-Laach, Jahrgang 1903, 65, 87 f., den Brief an Klemens Brentano d. d. Berlin, 26. Mai 1841, Nachschrift: „In des Ningseis Buch" (gemeint ist das naturphilosophische „System der Medizin") „hab' ich auch ge­ lesen. Er sei drei- und vierfach gebenedeit contra Schönlein. — Bei Savigny hat man diesen Ausbruch gegen Schönlein für barock und vielleicht auch für

110

Zu Kapitel 15, S. 247-253.

ungerechte Ironie gehalten, ich aber schmecke sie als den bitteren Satz im Kelch der Weisheit." Dies um so bedeutsamer bei dem sonst sehr nahen Freund­ schaftsverhältnis zwischen Savigny und Ringseis. 10) Die folgenden Zitate aus der „Ztschr. f. geschichtl. NW." 1, 4. — Ebenda S. 10; die dort angeführte Behauptung rührt her von Thibaut^ Heidelberger Jahrbücher 1813, Heft 2, S. 110. — Ebenda S. 14. — Beruf S. 113. — Beruf S. 141, allerdings nur Zitat, das Savigny anführt, aber dadurch doch stillschweigend sich aneignet. 11) Vgl. hierfür auch Ehrenberg a. a. O. S. 15, letzter Absatz. — Be­ stätigend kommt hinzu die Stellungnahme eines Lieblingsschülers von Savignys von Bethmann-Hollweg, Einleitung in den Zivilprozeß, 3. Auflage von 1832, der da das Programm der historischen Schule unter Billigung Savignys (s. Wachs Mitteilung aus einem Schreiben Savignys an v. Bethmann-Hollweg in der A. D. B. 12, 766 unten) entwickelt: „Das Recht ist ja auch ein Gegen­ stand der reinen Wissenschaft, die sich um Anwendung und Anwendbarkeit gar­ nicht kümmert." Wer würde das heute wieder zu schreiben wagen? — Eine feinsinnige Beobachtung darüber, wie diese Savignysche und überhaupt die romantische Rechtsauffassung wieder mit der Rechtsauslegungsfrage zusammen­ hängen, stellt an Radbruch in dem Aufsatze „Rechtswissenschaft als Rechts­ schöpfung", Archiv für Sozialwissenschaft 22, 355 f., der hier dankbar benutzt worden ist, nachdem ich durch Stier-Somlo, Jahrbuch des Verwaltungsrechts 3,434 darauf aufmerksam gemacht worden bin.

V. 1. 1) Über Eichhorn grundlegende und ausführliche Biographie von

K. v. Richthofen im Staatswvrterbuch von Bluntschli und Brater 3, 237 f. — Weitere Biographien: L. Reyscher in der Zeitschrift für deutsches Recht 15, 436 f. — H. A. Zachariae, Göttinger Professoren, 121 f. — R. v. Mohl, Zur Ge­ schichte und Literatur der Staatswissenschaft, mehrfach, besonders 2, 593 f. — Frensdorfs in der A. D. B. 6, 469 f. — Derselbe, Rede, gehalten am 19. Nov. 1881 zu Göttingen, mit Anhang, Abdruck zahlreicher wichtiger Aktenstücke, Göttingen 1881. — Loersch, Briefe von Karl Friedrich Eichhorn und zwei an ihn gerichtete Schreiben, herausgegeben zur Säkularfeier seines Geburtstages, Bonn 1881. — Diese schon benutzt bei: v. Schulte, Karl Friedrich Eichhorn, Rede, gehalten am 20. November 1881 zu Bonn, mit Anhang, „Bruchstücke einer Autobiographie", Bonn 1881. — H. Siegel, zur Erinnerung an K. F. Eich­ horn, Wien 1881. — All dies zusammenfassende, stattliche Biographie von v. Schulte, Karl Friedrich Eichhorn, sein Leben und Wirken, mit ungedruckten Briefen, Stuttgart 1884. (Bei Zitaten int folgenden bezieht sich „v. Schulte a. a. O." auf diese Schrift v. Schultes). — Zusammenstellung einzelner Äuße­ rungen über Eichhorn besonders bei v. Schulte a. a. O. S. 4. — Vgl. ferner auch v. Schulte, Geschichte, 190 f., und literärgeschichtlich besonders Roth, die rechtsgeschichtlichen Forschungen seit Eichhorn in der „Zeitschrift für Rechts­ geschichte" 1, 7 f., Weimar 1861, mit ausführlicher Betrachtung auch über die germanistisch rechtsgeschichtliche Forschung vor Eichhorn. — Alle Urteile stimmen

Zu Kapitel 15, S. 253—256.

111

für die maßgebende und epochemachende Bedeutung Eichhorns überein, mit Ausnahme bloß Reyschers, der a. a. O. S. 451/52 leugnet, daß wir ihm „ein neues Grundprinzip, eine gänzlich neue Methode der Wissenschaft" verdankten. — Die Ausführungen des Textes sind eine fortlaufende Widerlegung dieser Häresie, die wohl germanistischem Übereifer entstammt. Dagegen steht meiner Anschauung wohl am nächsten Brunner gelegentlich seines Artikels über Homeyer in den „Preußischen Jahrbüchern" 36, 26. 2) Über Eichhorns Knabenjahre und ferner über die ihm dabei recht ein­ seitig durch Privatunterricht zuteil gewordene latinistische Vorbildung Reyscher a. a. O. S. 437 unter Berufung auf die Memoiren des Ritters v. Lang 1, 244; vgl. auch Frensdorfs, Rede S. 3 f., und von Schulte S. 2. 3) Eichhorn hörte in Göttingen sowohl juristische wie allgemein bildende Vorlesungen. Doch scheint ihm weder Waldeck noch Runde, weder Heyne noch Kästner sonderlichen Eindruck gemacht zu haben; Hugos Bedeutung scheint er durchgefühlt zu haben, aber auch dadurch vorerst nicht gefesselt worden zu sein. 4) Über die Studienreise eingehende Notizen und Briefwechsel, mitgeteitt durch Kerler in der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung", germanistische Abteilung 3, 177 f. Vgl. auch v, Schulte a. a. O. S. 17 Anm. 39. 5) In Frankfurt a. d. Oder, wohin Eichhorn an Stelle Reitemeiers durch Patent vom 8. August 1805 berufen wurde, lehrten neben ihm nur noch Madihn und Meister; er fand 228 Studenten der Rechte dort vor. 6) über Schmalz s. oben Landsberg, Gesch., Text 514 f. 7) An dem Einzug in Paris nahm Eichhorn darnach nicht teil, sondern ging nur nach diesem Einzug von seinem Standquartier Copinghem bei Lille Ende April einige Tage mit Urlaub dorthin; kriegerisch war er nur bis in die Nähe von Compiegne vorgedrungen, s. Loersch a. a. O. _S. 41, 40. 8) Herausgegeben von Loersch a. a. O. 9) Sorgfältige Zusammenstellung der Zuhörerzahlen bei v. Schulte a. a.O. S. 40. Es waren damals eben noch verzweifelt wenig juristische Studenten in Berlin; selbst bei starkem Zuzug aus nichtjuristischen Kreisen erreicht die Höchst­ zahl aus dem Sommer 1816 nicht das volle Hundert. In Göttingen (s. ebenda S. 49) steigt sie alsbald über 300. 10) Artikel in der „Zeitschrift für geschichtliche RW.": in Bd. 8 von 1835, Bd. 11 von 1842 und Bd. 13 von 1846; die Akademievorträge aufgezählt bei Harnack, Geschichte jder königlich preußischen Akademie Berlin, ^und mit den anderen kleineren Schriften vollständig bei Frensdorfs in der A. D. B. a. a. O. 474. 11) Weitere praktische Ämter und Aufträge Eichhorns: seit

1838 Mitglied des Staatsrates; feit 1842 Mitglied der Gesetzgebungskommission, als solcher u. et. bei Beratung des Entwurfs zur preußischen Wechselordnung und bei der kirchenrechtlichen Gesetzgebung gegenüber der katholischen Kirche 1838—1840 tätig; vgl. über letzteren Punkt Sonderbericht von v. Schulte in der „Deutschen Revue", herausgegeben von Richard Fleischer, 7. Jahrgang, Aprilheft, S. 1 f., Berlin 1882; 1838—1846 Spruchmann beim Bundesschieds­ gericht, das indessen nie in Tätigkeit getreten ist; 1843—1844 Mitglied des Oberzensurgerichts. — Formal wurde Eichhorn 1843 von dem Amt als Geheimer

112

Zu Kapitel 15, S. 257—263.

Obertribunalsrat, das er schon seit einiger Zeit wegen gestörter Gesundheit nicht mehr ausfüllen konnte, enthoben und gleichzeitig am 17. März 184'3 zum Geheimen Oberjustizrat in Savignys Ministerium ernannt.

V. 2 12) Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte: Bd. 1—4 der ersten Ausgabe 1808, 1812, 1819, 1823; zweite Ausgabe der beiden ersten Bände 1818; dritte Ausgabe der drei ersten Bände 1821; vierte Ausgabe der vier Bände 1834 bis 1836; und fünfte Ausgabe ebenso 1842—1844. 13) Vorrede, zur ersten Ausgabe von Bd. 4, wiederholt auf S. IV der fünften Ausgabe. 14) Über Christian Gottlob Biener s. oben Landsberg, Gesch., Text 501.

15) Als großes staatsrechtliches Werk kann doch wohl kaum gellen ein Grundriß für Vorlesungen über deutsches Staatsrecht, von dem v. Mohl ein Exemplar aus dem Jahre 1822 (Göttingen) und v. Nichthofen einen Abdruck aus dem Winter 1832/33 (Berlin) kennt; noch die Veröffentlichung eines Kollegienheftes, die E. H. v. Schwarzkopf, ein Schüler Eichhorns, zu dessen lebhaftem Mißvergnügen 1821 zu Genf und Paris unter dem Titel: Exposö da droit public de l'Allemagne vorgenommen hat. — Über den Inhalt siehe v. Mohl a. a. O. S.598 f.; v. Nichthofen a. a. O. 261 f.; Frensdorfs in der A.^D. B. a. a. O. 480; und v. Schulte a. a. O. 116 f. 16) Staatsschriften. Namentlich: „Betrachtungen über die Verfassung des deutschen Bundes in Beziehung auf die Streitigkeiten der Mitglieder des­ selben untereinander oder mit ihren Untertanen", Berlin 1833, in strenger Auf­ fassung des Bundesverhältnisses als eines lediglich völkerrechtlichen gegen Bundesgerichte gerichtet. — Sonstige Deduktionen, namentlich über die Bentincksche Sache, veröffentlicht erst 1847, und über die Ehe des Herzogs von Sussex mit Lady A. Murray, Berlin 1835. Eichhorn hält damals strenge für das de irische Erbfolgerecht an dem starren Ebenbürtigkeitsprinzip seirres „ver­ ewigten großen Lehrers" Pütter fest und hat gewiß dadurch nicht wenig zu dessen Hinübernahme in die neuere Zeit nach Auflösung des deutschen Reiches beigetragen. Dagegen hat er z. B. die Ebenbürtigkeit der Nadziwillichen Familie anerkannt, s. v. Schulte a. a. O. S. 248. Vgl. überhaupt ebendort die gründ­ liche Zusammenstellung aller Gutachten von Eichhorn, der gedruckten nutet sieben Nummern S. 240 f. und der ungedruckten unter 64 Nummern, mit Nachweisungen über den Verbleib der Handschriften, dahinter z. B. Nr. 30 über den bürger­ lichen Tod, dessen Geschichte in Frankreich und Beurteilungen dagegen und dafür; diese Handschrift auf der Bonner Universitätsbibliothek. 17) Staats- und Rechtsgeschichte § 8 Note b zu Anfang, in der 5. Auf­ lage S. 28. 18) Dies bezeugt durch Brunner a. a. O. 36, 22. 19) Wegen des Strafrechts s. das entscheidende, dies bewußt aussprechende Zitat aus Eichhorns Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2 § 379 Note a, bei Loening, Geschichte, Anmerkung 5, S. 322. 20) Loersch a. a. O. S. 80/81.

Zu Kapitel 15, S. 264—269.

113

V. 3.

21) Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissenschaft 1, 125. 22) Vgl. oben Landsberg, Gesch, Text 54 s., 451 und 513; außerdem von Schulte a. a. Ü. 10. 23) Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, daß man, indem man Praktisch deutsches Privatrecht trieb, sich dabei wohl vor sich selbst schon durch ein gewisses Gefühl von der Einseitigkeit der Hufelandschen Deduktion und von der nationalen Rechtsgemeinschaft gerechtfertigt gefunden haben mag; Eichhorn selbst (Zeitschr. f. geschichtl. Rechtswissenschaft 1,131) bemerkt, ebenso gerecht wie geschickt (als alter und neuer Göttinger), daß tatsächlich Runde bei seiner „Natur der Sache" schon dergleichen milverstanden habe. Nur es zum Ausdruck, geschweige denn zu wissenschaftlicher Klarheit zu bringen vermochte man weder vom natur­ rechtlichen, noch vom Kantisch abstrakten Standpunkte aus; das wurde erst durch die historische Rechtsauffassung ermöglicht. 24) Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1, 124—146. Die zahl­ reichen im Text gesperrten Stellen ebenso schon bei Eichhorn selbst. 25) Vgl. z. B. v. Richthofen a. a. O. 249 f. Er scheint da zunächst den bloß wissenschaftlich abstrakten Charakter des nach Eichhorns Prinzip gewonnenen Rechts anzuerkennen, vindiziert ihm aber dann doch wieder S. 252 eine „prak­ tische Anwendbarkeit"; ganz anders freilich Gerber, Über das Prinzip des deut­ schen Privatrechts; darüber unten Kapitel 19, III, 1. [ 26) Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1, 139 Note 6. 27) Weitere Ausgaben 1825, 1829, 1836, 1845. 28) Diese Wörter bei Eichhorn durch besonders starken Fettdruck hervor­ gehoben. 29) Die Stelle, an die Eichhorn das Lehnrecht einstellt, ist das Sachenrecht, 3. Abteilung, einzelne Arten der Rechte an Sachen, darin die Titel: Servituten, Bannrechte, Pfand- und Hypothekenrechte, Lehnrecht, Bauerngüter. 30) Über den römischen Ursprung der deutschen Städteverfassung, nament­ lich im zweiten Abschnitte des betreffenden Aufsatzes, das ist in Bd. 2 S. 165 f. der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft." 31) So auch Gierke, Die historische Rechtsschule und die Germanisten, S. 11 und zugehörige Noten. V. 4. 32) Wegen der Gründe, die Eichhorn bestimmt haben mögen, kein deutsches Staatsrecht auszuarbeiten, obschon er in seinen späteren Lebensabschnitten (vgl. oben Noten 11, 15 und 16 dieses Ab­ schnittes) für staatsrechtliche Dinge sich besonders interessierte, s. Frensdorff in der A. D. B. a. a. O. S. 480 und namentlich Eichhorns eigene briefliche Äuße­

rungen bei v. Schulte a. a. O. S. 213. Seine Ablehnung aller historischen Kon­ tinuität zwischen dem alten Deutschen Reich und dem deutschen Bund äußert sich namentlich durch die Stellungnahme zu den Grundfragen der Bundesverfassung in dem Gutachten von 1833, vgl. oben Note 16; s. aber auch Eichhorns Äuße­

rung über Klüber bei v. Schulte a. a. O. S. 83. — Darum ist denn aber doch San b8 berg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten. 8

114

Zu Kapitel 15, S. 270-277.

für Eichhorn ebenso entschieden wie für Savigny jede Verwechslung mit einer eigentlich reaktionären politischen Doktrin oder Praxis zu verwerfen. So äußert sich Eichhorn entschieden gegen Haller (Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4> 636 Note a und 651). Er ist bereit, das Lehnrecht als abgestorben anzuer­ kennen, zeigt sich auf prozessualem Gebiete fortschrittlichen Reformen keineswegsabgeneigt, kann aber freilich von der Einführung der Geschworenen eine wesent­ liche Verbesserung unseres Gerichtswesens sich nicht versprechen. Weitere Aus­ führungen und Zitate hierüber bei v. Richthofen und bei v. Schulte a. a. OEbendort über kirchliche Stellung besonders 95 f. 33) Grundsätze des Kirchenrechts der katholischen und der evangelischen Religionspartei in Deutschland, Teil 1, Göttingen 1831, Teil 2, Göttingen 1833; anschließend daran eine Quellenstudie: „Über die syrische Sammlung der Quellen des Kirchenrechts", vorgetragen in der Akad. d. W. 1833, abgedruckt in der „Zeitschr. f. geschichtl. RW." 11, 119 f. 34) Zur Bestätigung vgl. namentlich die tief eindringende und warm lobende Charakteristik bei v. Schulte, Geschichte b 192 und ebenso a. a.O. S. 117 f.; eine etwas gereizte Stimmung gegen Walter scheint da dann aber doch mit unterzulaufen. 35) Es blieb z. B. bei der ersten Auflage. Doch ist eine französische Übersetzung von Henry Jouffroy, Leipzig und Paris 1843, erschienen. 36) Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik 1, 23 f. 37) DaS ist jedenfalls belegt, und dadurch ihm insofern die Priorität vor Walter gesichert, schon für das Wintersemester 1821/22 in Göttingen durch Bückings Kollegienheft. S. v. Schulte, Geschichte b 192. 38) So v. Schulte a. a. O. 118. 39) Über Biener und Bickell unten Kapitel 16, I, 1 und I, 3; ebendort ausführlicher über Walter.

V. 5. 40) So nannten ihn die Studenten in Göttingen, wie Frensdorff a. a. Din der Rede von 1881 S. 13 berichtet. S. auch v. Schulte a. a. O. 90 f. undbesonders dort S. 98 f. die treffliche Charakterschilderung von feiten der Witwe, die mit Recht verlangt, daß man ihren Gatten nicht nach dem letzten Jahrzehnt des Lebens beurteile, wo andauernde Kränklichkeit und tiefe Hypochondrie ein­ gewirkt haben. 41) Autobiographie-Bruchstück in v. Schultes Rede von 1881, S. 24. 42) Bei v. Schulte ebendort S. 31. 43) Aus dem Jahre 1828 «in einem Briefe an den Sohn mit Ratschlägen für dessen Studium, bei Loersch a. a. O. S. 46. 44) Die Texteszitate aus der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 4, 671, 697 und 711 f. der fünften Auflage.

VI. 1) Erschöpfend und maßgebend für Jakob Grimms Stellung zur Rechtswissenschaft das Buch von Rudolf Hübner, Jakob Grimm und das-

Zu Kapitel 15, S. 277—281.

115

deutsche Recht, Göttingen 1895. Darnach bleibt aus der älteren Literatur nur etwa noch anzuführen H. Schuster, I. Grimm in seiner Bedeutung für die Rechtswissenschaft, „Juristische Blätter" 1885 Nr. 3 u. 4. Aus der allgemeinen Literatur über Grimm nenne ich nur W. Scherer, Jakob Grimm, 2. Auflage, Berlin 1885. 2) Obwohl Jakob Grimm bekanntlich auch dem Fachstudium nach Jurist war — aber was will dies besagen? 3) Vorrede zu den Rechtsaltertümern S. VH; angeführt bei Hübner a. a. O. S. 99.

VI. 1. 4) Angeführt bei Hübner a. a. O. S. 27 Note 1. 5) Besonders auch der skandinavischen Stämme, deren Poesie, Mythologie, Sprache und Recht Grimm bekanntlich eifrigst verwertet hat; so schon eine Edda­ erzählung in der angeführten Abhandlung im ersten Bande der „Zeitschrift", sodann aber namentlich umfassend und grundlegend eine kurze Übersicht über „Die Literatur der altnordischen Gesetze", ebenda Bd. 3, Heft 1, S. 73 s. — Außerdem noch von Grimm in der „Zeitschr. f. geschichtl. RW." 3, 349 f. ein Artikel „Über den Überfall der Früchte und das Verhauen überragender Äste."

VI. 2. 6) Erste Ausgabe der Rechtsaltertümer in zwei Bänden, wenn­ schon mit durchgezählten Seiten, Göttingen 1828. — 2. und 3. Ausgabe, letztere besorgt von H. Grimm, beide aber unveränderte Abdrucke der ersten (bloß ein Inhaltsverzeichnis ist zur 3. Ausgabe hinzugekommen, das sich Homeyer zur eigenen Benutzung angefertigt hatte), Göttingen 1854 und 1881. — Vierte Auflage, ein Musterwerk der Pietät und des Fleißes, unter Benutzung reichen, später von Grimm selbst gesammelten, aber nicht verwerteten Materials, nach streng kritischen Prinzipien herausgegeben durch Andreas Heusler (als philo­ logischen Mitarbeiter) und Rudolf Hübner (als juristischen Mitarbeiter), zwei Bände, Leipzig 1899. 7) Hübner a. a. O. S. 45 nennt skandinavische, angelsächsische, friesische, französische, spanische und slavische Denkmäler. 8) Diese Kritik wird von Grimm geübt an Schaumann, Wehrgeld der Freien nach der Lex Saxonum; sie steht in der „Zeitschr. f. geschichtl. RW." 11, 385 f. vom Jahre 1842. Darüber Hübner a. a. O. 73. 9) Diese beiden Ausdrücke entleihe ich Hübner a. a. O. 45. 10) Auch die folgenden Ausführungen entnehme ich wörtlich dem Werke meines werten Kollegen und Freundes Hübner S. 50 u. 51. Wozu so trefflich Gesagtes umgießen? 11) Jakob Grimm, Kleinere Schriften 5, 432, angeführt bei Hübner a. a. O. 111. 12) Vgl. die nach beiden Setten hin, für die Romantik wie für die Auf­ klärung, kennzeichnende Äußerung Achim von Arnims, angeführt bei Hübner

116

Zu Kapitel 15, S. 281—286.

S. 63: „Der berühmte Übersetzer Voß hätte sich solche Gelegenheit zum Ver­ höhnen des Mittelalters nicht Vorbeigehen lassen." 13) Z. B. Hübner a. a. 0.102; dortselbst auch ähnliche weitere Zitate 103.

VI. 3. 14) Alle sonst hierher gehörigen Aufsätze, Kritiken, Vorreden uff. sorgfältig zusammengestellt und gekennzeichnet bei Hübner a. a. O. 69 f. 15) Diese Abhandlung in der „Zeitschrift für deutsches Recht", heraus­ gegeben von Reyscher und Wilda, 1841, 5, 1 f.

VI. 4. 16) Dieser zweite Band nennt neben Grimm npch Ernst Dronke und Heinrich Beyer als Mitherausgeber; sie haben die überaus reichhaltige und wohlgeordnete Sammlung aus dem Koblenzer Archiv beigesteuert. 17) Vgl. bei Hübner a. a. O. S. 93 f. 18) Göttinger Gelehrte Anzeigen von 1863, Stück 27, S. 1041, wieder abgedruckt in den „Kleineren Schriften" 5, 452 f. 19) Dies Schlußzitat aus Grimms Vorbericht zu Bd. 4 der „Weistümer", s. Hübner a. a. O. 91.

VI. 5. 20) Vgl. die Zusammenstellung bei Hübner a. a. O. 3 f. 21) Genauer Nachweis bei Hübner a. a. O. 17 f. 22) Kleinere Schriften 8, 549 f., bei Hübner 109. 23) Kleinere Schriften 7, 561, bei Hübner 110. 24) Über diesen Punkt und über den starken Gegensatz, in den sich Grimm durch diese Äußerung zu einem Teile der Versammlung setzte, so daß seine

Wiederwahl zum Vorsitzenden der zweiten Germanistenversammlung zu Lübeck nur noch gegen eine starke Minorität erfolgte, s. Gierke, Die historische Rechts­ schule und die Germanisten S. 57, Note 105 f.

Zum sechzehnten Kapitel. I. 1. 1) Was die Schulangehörigkeit einer Reihe hier zu besprechender Romanisten anlangt, so kann ich mich dafür — natürlich handelt es sich immer nur um einen stillschweigend gebildeten engeren Kreis — auch berufen auf das Zeugnis von E. I. Better, Aus den Grenzmarken der geschichtlichen Rechts­ wissenschaft, Sonderabdruck aus der „Zeitschrift der Savignystiftung für Rechts­ geschichte", comanistische Abteilung 6,24: „Der Kreis von zumeist Berliner und Bonner Professoren, den wir als historische Schule im engeren Sinne bezeichnen dürfen, besah allerlei eigentümliche Sympathien und Antipathien." Im fol­ genden soll stets versucht werden, festzustellen, ob ein Schriftsteller zu diesem engeren Kreise gehört; von Heffter z. B. bemerkt Better bereits a. a. daß er keineswegs ihm beigezählt werden darf.

2) Johann Friedrich Ludwig Göschen, geboren zu Königsberg in Preußen am 16. Februar 1778, auf der Domschule zu Magdeburg vorgebildet, studierte Jurisprudenz 1794—1796 zu Königsberg und 1796—1798 zu Göttingen, ging dann aber aus naturwissenschaftlichen und ökonomischen Inter­ essen zur Landwirtschaft über, die er auf eigenem Landgute seit 1800 betrieb mit dem Erfolg, daß er das Gut 1804 zu verkaufen genötigt war. So zur Rechtswissenschaft zurückgekehrt, suchte er in Magdeburg vergeblich Anstellung im Justizdienst, ging deshalb 1806 nach Berlin und fand hier nun durch Savigny und Niebuhr neue Anregung zur Wiederaufnahme der juristischen Studien. Nachdem er am 26. September 1811 mit der Dissertation »Obser­ vatorium iuris romani specimen« zu Berlin promoviert hatte, wurde er ebendort noch in demselben Jahre ao., 1813 o. Professor der Rechte. 1822 ging er als o. Professor der Rechte und ao. Beisitzer des Spruchkollegiums nach Göttingen, wurde dort 1828 Hofrat, 1829 o. Mitglied des Spruchkollegiums, 1833 Mitglied der Honorenfakultät und ist ebendort am 24. September 1837 gestorben (Sieffenhagen in der A. D. B. 9, 403).

118

Zu Kapitel 16, S. 288—289.

3) Vgl. Halm in der A, D. B. 2, 300, 301; durch Bekker und Lachmann — über diesen Paul, Grundriß der germanischen Philologie, 2. 2hifLr S. 91 — scheint sich damals dieser Fortschritt in der klassischen Philologie angebahnt zu haben, durch Lachmann seine Übertragung auf die germanische Philologie erfolgt zu sein, durch Pertz endlich seine Anwendung auf die Ausgaben der Monumenta Germania©, Bd. 1 von 1826, Bd. 2 von 1829. In der gleichzeitigen sonstigen romaNistisch-juristischen Editionstätigkeit, die noch ganz unter dem Banne der Sorge um möglichste Aufhäufung kritisch ungeprüfter Handschrift­ massen steht, und Konjekturergebnisse beliebig dem Texte einfügt, wie das alles z. B. bei Schrader wahrnehmbar ist, bildet diese kritische Besonnenheit der Gaiusausgabe zunächst noch eine vereinzelte Erscheinung. 4) So das Titelblatt. Tatsächlich ganz vollendet lag die Ausgabe erst 1821 vor, s. Hugo, „Zivilistische Bücherkenntnis" 2, 483. 5) Praefatio Guilelmi Studemund zu seiner und Krügers Ausgabe, Seite V; »nemo Göscheno aut concludere subtilius aut probare acrius coniecturas potuit.« 6) Diese Artikel befinden sich in Bd. 1—4 der „Zeitschrift" ausschließlich; Mitherausgeber ist Göschen bis zu Bd. 7 geblieben. Seine Artikel behandeln einzelnes über Gaius, über die Lesarten einer Pandektenstelle, älteres römisches Recht der Freilassung, eine Ulpianhandschrift u. dgl. m. 7) Zu nennen etwa noch eine Vita von Georg Christian Gebauer, Pro­ gramm aus Göschens letztem Lebensjahr, das mir oben (Landsberg, Gesch., Noten 155) leider noch unbekannt war, übrigens Wesentliches nicht beibringt. 8) Diese Grundrisse sämtlich erst aus Göttingen, 1823, 1824, 1827, 1831. Göschen scheint zu selbständiger Anordnung nach eigenem Grundrisse erst in Göttingen übergegangen zu sein. Bis dahin, in Berlin, hatte er sich ange­ schlossen an Westenbergs Principia iuris secundum ordinem digestorum, wovon er offenbar eben deshalb eine neue Ausgabe Berlin 1814 besorgt hatte. Diese Ausgabe fand Berlin 1823 eine neue Auflage; darnach zu ergänzen oben Landsberg, Gesch., Noten 109. 9) Johann Christian Hasse, geboren zu Kiel am 24. Juli 1779, besuchte die Husumer Gelehrtenschule, dann die Universität Kiel, an der damals Thibaut lehrte, wurde ebendort 1805 Privatdozent und Universitätssyndikus, aber erst 1811 durch eine Inauguraldissertation über die Unentbehrlichkeit der Stipulation für jede novatio voluntaria Doktor der Rechte, in demselben Jahre als o. Professor nach Jena berufen, wo er zugleich auch als Oberappellattonsrat tätig war, ging in gleicher akademischer Stellung 1813 nach Königsberg, 1818 nach Berlin und 1821 nach Bonn, wo er bis zu seinem Tode, 18. November 1830, tätig geblieben ist. (Neuer Nekrolog der Deutschen 1832, S. 801 f. — Darnach Teichmann in der A. D. B. 10, 759.) Von seinem hervorragenden wissenschaftlichen Scharfblick legt es z. B. Zeugnis ab, daß er sofort bei Er­ scheinen von F. L. Kellers Inauguraldissertation unter deren bescheidenem Titel und Auftreten „echtes Talent und überraschende Kombinationsgabe" wahrnahm, worauf er in der Vorrede zum römischen ehelichen Güterrecht S. XVIII hin­ weist ; als geborenen Juristen ähnlich den alten Römern, einen Dogmatiker

Zu Kapitel 16, S. 289—291.

119

rrnd schöpferischen Denker kennzeichnet Hasse sein Schüler Bluntschli in seinen „Denkwürdigkeiten" 1, 76 f. 10) Rheinisches Museum 1, 66. Ich entnehme dieses Zitat Windscheids "Pandekten § 10 Note 2, d. i. Bd. 1 S. 24 der 7. Auflage. Vgl. auch ähnlich Hasses Vorrede zu dem Güterrecht der Ehegatten 1823 S. IV—VI u. S. XII f. 11) Hasse, Güterrecht, Vorrede S. XVII. 12) Vorrede zur Culpa S. 8. 13) 2. Auflage besorgt von Bethmann-Hollweg, Bonn 1838. 14) Einleitung S. 2: „So sprechen hier in neuerer Zeit einige unauf­ hörlich von technischen Bedeutungen und wollen alles recht streng juristisch fixieren, andere dagegen machen es dem römischen Sprachgebrauch so bequem, daß man gar nichts mehr hat, woran man sich halten kann Beides aber Ist gleich fehlerhaft und weder jenes unnatürliche Zusammenschnüren der Worte noch dieses gänzliche Auflösen derselben ist hier am Orte." 15) Germanistische Vorarbeiten Hasses: Aufsatz in der „Zeitschr. f. geschichtl. "RW." 1, 18 f. über Eigentum an beweglichen Sachen nach dem Sachsenspiegel. — „Beitrag zur Revision der bisherigen Theorie von der ehelichen Gitter-gemeinschaft nach deutschem Privatrecht", Kiel 1808. — Aufsatz in der „Zeitschr. f. geschichtl. RW." 4, 60 f. „Skizze des Güterrechts der Ehegatten nach einigen ber ältesten teutschen Rechtsquellen." — Die übrigen Beiträge Hasses zu der Zeitschrift 3, 53 f.. 5, 311 f. sind romanistischer, besonders textkritischer Natur. 16) Diese beiden Aufsätze im „Archiv für die zivilistische Praxis" 5, 1 f. rmd 7, 145 f. (1822 u. 1824). Es ist wohl kein bloßer Zufall, daß gerade sie in Thibauts „Zeitschrift" veröffentlicht sind. 17) Eduard Puggö (Puggaeus), der einzige unter diesen Herausgebern, -auf den nicht weiterhin zurückzukommen sein wird, ist geboren zu Koblenz Weihnachten 1802, besuchte die Universitäten Straßburg, Berlin und Göttingen, hörte dabei namentlich bei Savigny und Hugo, wurde darauf Dr. jur. zu Göttingen, hielt sich eine Zeitlang zu Straßburg auf behufs philologisch-juri­ stischer Arbeit, habilitierte sich in Bonn Herbst 1824, wurde ao. Professor da­ selbst 1826, o. Professor ebenda 1831 und ist als solcher in Bonn gestorben 6. August 1836. Es sind von ihm bloß erschienen: Observationes duae de iure civili, Bonn 1831, da ihm Begabung und Arbeitskraft, die beide von kompetenten und strengen Richtern sehr hoch eingeschätzt wurden, schon früh burch schwere Krankheit und sonstige Unglücksfälle gebrochen waren. 18) Fast alle juristische Artikel des Museums rühren von Mitgliedern der historischen Schule her. Von dem Rheinischen Museum für Jurisprudenz erschienen Wetter: Bd. 3 1829; Bd. 4, Heft 1, 1830; Bd. 4, Heft 2, 1832; — "von hier ab nach Hasses Tode wird es herausgegeben von Bluhme, Bücking, Hollweg, Puchta, Pugge und Unterholzner — Bd. 4, Heft 3, 1833; Bd. 5, 1832 Jus poenitendi contractibus quos vulgo dicunt innominatos re vera non inesse.« Dann vier Abhandlungen in den beiden ersten Bänden (1820 und 1821) von Thibauts Archiv für die zionistische Praxis, meist quellenkrittschen Inhalts, überkühn aber die in Bd. 2 über Einschränkung der ädilizischen Klagen. Dazwischen liegt das Buch „Über römisches Obligationen­ recht, insbesondere über die fabelhafte Lehre von den Innominatkontrakten und dem ius poenitendi/' 6) Diese Besprechung von Mühlenbruch in den Heidelberger Jahrbüchern, Jahrg. 1821, S. 41 f. 7) Vielleicht war diese Verbeugung (S. 4 des Buches von 1819) gegen­ über Savigny darauf berechnet, den Eindruck zu verwischen, den es auf die Berliner juristische Fakultät gemacht haben mußte, daß Gans 1817 ganz über­ flüssiger und unbesonnener Weise es nicht hatte unterlassen können, sich zu dem Witteschen Habilitationsstreit im Drucke zu äußern. Es handelte sich bekanntlich um die Frage der Zulassung des frühreifen „Wunderkindes" Dr. Karl Witte zur Habilitation, der die Fakultät abgeneigt gegenüberstand, vgl. unten Note 11a zu Kap. 17, II, 6. Gans, selbst erst 19jährig, schrieb darüber anonym die Broschüre: „Urteil eines Unparteiischen über das Benehmen der juristischen Fakultät in der Habilitationsangelegenheit des Dr. Karl Witte", Berlin 1817. Näheres über diese Angelegenheit unten in Kapitel 17, II bei der Biographie Wittes. 8) Vgl. namentlich die Erklärung im „System des römischen Zivilrechts im Grundriß nebst einer Abhandlung über Studium und System des römischen Rechts", Berlin 1827, S. 164—167; ferner ebenda S. 202: „in dem sonst so trefflichen Buche von Savigny über den Besitz"; und weiterhin in Gans'„Ver­ mischten Schriften" I, 1 und 45. 9) Vgl. z. B. Scholien zum Gaius S. 383 und 424. 10) Angehängt der Inauguraldissertation de pignoris nomine, Berlin 1820. 11) ........ Hat ein anderer in einer zur Parade angehängten Thesis behauptet und vermutlich auch bewiesen, daß die gute Sitte verletzt wäre, wenn ber Verfasser jemals seines Gleichen würde. Der Verfasser erkennt die Wahr­ heit dieser Behauptung vollkommen an und kann zum Trost hinzufügen, daß die gute Sitte niemals verletzt werden wird." 12) So offenbar richtig in der Vorrede von 1824. Wenn Gans später in einem 1835 an einen Freund geschriebenen, zur Veröffentlichung bestimmten autobiographischen Brief (Hallesche Jahrbücher a. a. O. 1840 S. 902) das auf seine „frühesten Zeiten" zurückdatiert, so handelt es sich offenbar um eine bei solchm Rückblicken leicht vorkommende optische Selbsttäuschung. 13) Gans, Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung, Vorrede zu Bd. 1, S. XXXIX. 14) Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung Bd. 2, Vorrede. 15) „Hallesche Jahrbücher" a. a. O., 1840, S. 902. 16) Wegen des Gegensatzes zu der lediglich praktische Ziele verfolgenden Rechisvergleichung, die sich auf die Gesetze der Gegenwart und der nächstver-

168

Zu Kapitel 16,

363—366.

wandten Kulturstaaten beschränkt, siehe unten bei Mittermaier in diesem Kap. IV, 3. 17) „Jahrbuch der gesamten deutschen juristischen Literatur", herausgegeben von Schunck, Erlangen 1826, 1, 1 f. 18) Zu dem persönlich Ungehörigen rechne ich vor allem die Bemerkung S. 27, 28 „Denn dieselbe Erscheinung" (die besondere Ehrfurcht der Römer vor dem letzten Willen) „ist für uns gar nichts Unerhörtes, sondern eben diese Ehrfurcht vor dem letzten Willen wohnt auch dem germanischen Volke inne, wenngleich nicht, wie es scheint, dem Verfasser." Das heißt wirklich, wenn man die persönliche Stellung von Gans bedenken will, mit vergifteten Waffen fechten. Ebenso leider auch Hugo in einer Rezension von 1821, wieder abgedruckt mit einer ebenso unerfreulich entschuldigenden Note (4) in Hugo, Beiträge zur zivilistischen Bücherkenntnis 2, 482. Übrigens hat Puchtas Äußerung, daß er Gans von nun ab abandonnieren wolle, nicht gehindert, daß die kritische Auseinander­ setzung zwischen Puchta und Gans doch rege sich fortgesponnen hätte. Behält doch selbst zunächst Puchta das Wort zu einer Antikritik gegen die Kritik von Gans über Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, die Puchta im „Rheinischen Museum" veröffentlichte. Auf beide Äußerungen Puchtas ant­ wortete Gans in einer ebenso kurzen wie groben Bemerkung zu Ende einer längeren Note im Grundriß von 1827, S. 171. Dann repliziert Puchta nicht weniger massiv 1829 durch eine Kritik der Gansschen Besitzlehre im „Rheinischen Museum" 3, 289 f.; während ein Artikel von Rudorfs „über den Rechtsgrund der possessorischen Interdikte" in der „Zeitschr. für geschichtt. NW." 7, 90 f. in objektivem Tone, ohne sich zu scharfen Äußerungen gegen Gans hinreißen zu

lassen, die rein positive Besitzesauffassung vertritt. Nachdem dann eine Zeitlang Ruhe geherrscht hat, kommt 1839 wieder Gans gegen Puchta zu Wort mit einem scharfen „Bajonettangriff" in seiner Besitzduplik S. 33 f. Darüber weiteres unten, Text über diese Duplik und Note 30. 19) Grundriß S. 202 f. 20) Veröffentlicht im Märzheft 1827 der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik" S. 321 f. 21) Vgl. den Aussatz von Gans über die Stiftung dieser Jahrbücher in dem Sammelbande „Rückblick auf Personen und Zustände", S. 215 f. 22) Alles dies mit einigen juristischen, belletristischen, autobiographischen Aussätzen von Gans gesammelt in zwei Sammlungen: „Vermischte Schriften,, juristischen, historischen, staatswissenschaftlichen, ästhetischen Inhalts", Berlin 1834, 2 Bändchen; und: „Rückblicke auf Personen und Zustände", Berlin 1836. 23) „Hallesche Jahrbücher" a. a. O. S. 902. Gans hat damals sogar gelegentlich über die jüngste politische Geschichte gelesen und geschrieben; frag­ mentarische Veröffentlichung darüber in Räumers historischem Taschenbuch 1833, 1834.

24) Diese Beiträge sollten eigentlich eine Zeitschrift werden, einem wetteren Kreise zur Mttwirksamkett geöffnet; schließlich aber hat Gans darin fast alles allein geschrieben, und so schließen sich die Hefte fast zu einem einhettlichen Buche von Gans zusammen. Dabei scheinen zwei Aufsätze über die Revision

Zu Kapitel 16, S. 366—369.

169

der Preußischen Städteordnung von 1831 und über die Revision der Gesetz­ gebung auf Zensurschwierigkeiten gestoßen zu sein; wegen der Tendenz vgl. die Zustimmung zu v. Räumers Eintreten für die Steinsche Städteordnung, nament­ lich auch gegen die „Historischen", aus dem Jahre 1828 wieder abgedruckt in den „Vermischten Schriften" 2, 130 f. 25) „Hallesche Jahrbücher" a. a. O. S. 903. 26) Vgl. etwa über die Verdienste dieser Ausgabe der Geschichtsphilosophie und über das Verhältnis zu der 1840 von Karl Hegel besorgten 2. Ausgabe (die 3. von 1848 ist bloß ein Abdruck davon) die Vorrede des Herausgebers Brunstäd in der jüngsten Reklam-Ausgabe S. 5. — Besonders interessant die „Vorrede des Herausgebers" mit bedeutsamer Warnung vor Übertreibung des Hegelschen Schemas'und mit literärgeschichtlichem Überblick.

27) Diese Note von Savigny befindet sich in jener 6. Ausgabe S. 42 als Note 1. In der 7. Ausgabe ist sie S. 60 f. in den Text gestellt; vgl. auch Rudorfs, Anhänge, S. 547, 576 f. 28) Besonders bezeichnend dafür eine ganz kurze Note, in der Gans eine Äußerung von Bethmann-Hollweg anführt, um sie in der Fassung mit denr Tone einer Dankadresse der Kammer an den Souverän (Savigny) zu ver­ gleichen, S. 49 jener „Duplik". Bethmann-Hollweg schrieb da: „Auch hier ist also jener Zustand" (des Besitzes) „nicht durch ein Recht, sondern nur durch den Willen der Person gedeckt"; dazu sagt Gans: „Als wenn Recht und Wille der Person etwas Verschiedenes wären!" Das ist schlüssig. — Übrigens hatte jene Äußerung von Bethmann-Hollweg in das eigenste Organ der Hegel­

schen Schule, in die „Jahrbücher für wisjenschastliche Kritik" 1838, S. 266 f., Aufnahme gefunden. 29) Bruns, Recht des Besitzes, S. 415, Note 3, angeführt von Rudorfs in der 7. Ausgabe des Savignyschen „Besitzes" S. 576.

30) In den „Kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft", heraus­ gegeben von Richter und Schneider, Jahrgang 1839, 4. Heft (April), S. 283 f. Hingegen war wieder ganz objektiv Rudorffs Äußerung in der (Berliner)

„Literarischen Zeitung" 1839, Nr. 3. 31) Daß die Sache sich gerade umgekehrt verhält, ist übrigens schon mit denselben naheliegenden Beweisen umgehend hervorgehoben worden durch einen Artikel der „Halleschen Jahrbücher" von 1839 a. a. O. Nr. 206, 207, dessen Ver­ fasser ich nicht kenne. Dieser Artikel mangelt in allen einschlägigen Literatur­ zusammenstellungen, wohl wegen des nicht zünftigen Ortes, an dem er erschien.

32) „Gans' Kritik gegen Herrn v. Savigny, die Grundlage des Besitzes betreffend, erörtert von Friedrich Schaafs, Stud. der Rechte zu Berlin", Berlin 1839, Savignys Standpunkt vertretend; — dagegen: „Zur Lehre vom Besitze", eine Abhandlung von A. Köppe, stud. jur., 1839. — Weitere Literatur bei Rudorff a. a. O. S. 547 unter Nr. 89. 33) Mit welchem Rechte jüngst wieder Herr Neichsgerichtsrat Eduard Müller (Savigny-Biographie, in der Serie „Männer der Wissenschaft", heraus­ gegeben von Ziehen, 1906, S. 20) von Gans' „allerdings wenig ansprechender

170

Zu Kapitel 16, S. 369—370.

Persönlichkeit" redet, vermag ich nicht abzusehen; ich kann dem nur die Be­ rufung auf Marheinekes Grabrede gegenüberstellen. 34) Daß sich von feiten der Kriminalistik her ein gewisses Einschwenken zum Hegelianismus vorbereitet, hatte Gans helläugig schon 1824 erkannt und sich dafür auf die Werke von Abegg, Jarcke, außerdem auf die Doktordissertation von Michelet (De doli et culpae in iure criminali notionibus, Berlin 1824) berufen, s. seine Vorrede zum 2. Bande des Erbrechts S. XIII. Michelet ist dann ja freilich bekanntlich ausschließlich zur reinen Philosophie übergegangen. 35) Hallesche Jahrbücher a. a. O. 1839 S. 1053: III. 3.

1) Bezüglich der Kriminalisten sei zurückverwiesen auf Note 34 zum vorigen Abschnitt und hingewiesen auf den späteren Abschnitt Kapitel 18, VI. 2) Ernst Wilhelm Freiherr von Reibnitz war schon Geheimer Ober-Revisionsrat und 30 Jahre im praktischen Justizdienste, als er sich im Februar 1822 an den Minister v. Altenstein wendete mit dem Gesuche, ihm eine der beiden von Hasse und Göschen verlassenen ordentlichen Professuren zu übertragen, damit er in Ergänzung der historischen Vorträge, wie sie bis jetzt hauptsächlich an der juristischen Fakultät der Universität Berlin gehalten würden, eine Serie von praktisch-statistischen Vorlesungen halten könne. Im Ministerium scheint man diesem Gesuche nicht unsympathisch gegenüber getreten zu sein, allein die um ein Gutachten darüber angegangene Fakultät gab dieses unterm 19. März 1822, offenbar ganz unter Savignys Einfluß, dahin ab, daß der Reibnitzsche Plan nicht nur überflüssig, sondern höchst gefährlich sei, weil geeignet, dem wissenschaftlichen Studium Abbruch zu tun und „der bloßen Routine die Bahn zu ebnen." Daran scheint sich denn auch eine private Kor­ respondenz zwischen Savigny und Reibnitz geschlossen zu haben. Der Erfolg war der, daß Reibnitz durch Kabinettsorder vom 28. Januar 1823 zum Professor honorarius (wohl die erste Verleihung dieses Titels in Berlin) ernannt wurde, jedoch ohne jedes Gehalt und mit nur gelegentlicher Remuneration, die ihm aber auch wohl mehr mit Rücksicht auf die, scheint es, verzweifelte pekuniäre Lage des alten Herrn, als auf Grund irgendwelchen Vorlesungserfolges ge­ geben wurde. Denn dieser letztere ist stets ausgeblieben, 1823—1826 hat Reibnitz während dreier Semester überhaupt kein Kolleg zustande gebracht. Auch sonst hat er wenigstens Privatkollegien nicht in Schwang zu bringen ver­ mocht; 1829 ist er gestorben. (Vorstehende Angaben über die Beziehungen von Reibnitz zur Universität Berlin nach gütigen Mitteilungen aus den dortigen Akten von Herrn Professor Lenz.) Das Buch nun, auf welches Reibnitz seine akademischen Ansprüche stützen mochte, war sein „Systematisches Lehrgebäude des gesamten in Deutschland geltenden gemeinen Rechts", 2 Bde., Berlin 1824 und 1825. Schon der 1. Band ist von Puchta erbarmungslos zusammengehauen worden in einer Besprechung, die ihm unmittelbar hinter der Kritik gegen Gans' Erbrecht in den Jahrbüchern der gesamten deutschen juristischen Literatur 1, 43 f. zuteil geworden ist, so daß die beiden Rezensionen zusammen gewisser­ maßen eine Gesamt-Exekution der Hegelschen Schule im Zivilrecht darstellen.

Zu Kapitel 16, S. 370.

171

Nur daß eben Reibnitz diese Behandlung denn doch in ganz anderem Maße als Gans verdient: Ein öderes, inhalts- und nutzloseres Werk als jenes Lehr­ gebäude kann man sich wirklich kaum vorstellen. Außer an Reibnitz könnte man etwa noch in diesem Zusammenhänge denken an Leopold Dorotheas v. Henning (s. Prantl in der A. D. B. 11, 777 f.); über seine Doktor-Dissertation von 1821 ist trotz des Titels >De systematis feudalis notione« nicht juristischen, sondern rein historischen Charakters, sie sollte auch zum Erwerbe der Würde als Dr. phil., nicht als Dr. jur. dienen, und will demgemäß bloß das Lehnswesen als eine historische Erscheinung er­ klären, ohne jeden Bezug auf irgendein bestimmtes Lehnrecht oder System. Später hat v. Henning erst recht nichts Hierhergehöriges mehr geschrieben. Neues Leben hat dann der Hegelianismus im Zivilrechte erst wieder gewonnen durch Christiansen iinb Kierulsf; über diese unten Kap. 18, I, 1. 3) Karl Fried rich Göschel, geboren 7. Oktober 1784 zu Langensalza in Thür., besuchte das Gymnasium zu Gotha und die Universität Leipzig, seit 1807 Advokat in seiner Vaterstadt, dort 1811 Mitglied des Stadtrates, als solcher 1815 von Preußen übernommen, 1818 als Oberlandesgerichtsrat nach Naumburg versetzt, 1834 als Hilfsarbeiter ans Justizministerium nach Berlin berufen, 1837 Geheimer Justizrat, 1839 Mitglied des Oberzensurkollegiums, 1843 Mitglied des Oberzensurgerichts, 1845 Mitglied des Staatsrats, aber noch in demselben Jahre als Präsident des Konsistoriums für die Provinz Sachsen nach Magdeburg versetzt, März 1848 von dort durch den Gegensatz des von ihm vertretenen starren Luthertums zu den Folgen der revolutionären Ereig­ nisse vertrieben und genötigt, um seine Entlassung einzukommen, die er am 10 Juni 1848 erhielt. Er lebte seit 1849 als Privatmann in Berlin, seit 1861 wieder in Naumburg, wo er am 22. September 1862 gestorben ist. (Über ihn Heinrich Eduard Schmieder in der evangelischen Kirchenzeitung von 1862 und von 1863. — Danach Hermann Müller in der A. D. B. 9, 397 f.) — Von

-Göschel rührt her eine große Anzahl von Schriften aus den Gebieten der Geschichte, Philosophie, Hymnologie, Theologie und Jurisprudenz, sowie auch der Dante-Forschung, daneben zahlreiche weitere über politische Tagesfragen. — Er galt früher als einer der genauesten Kenner der Hegelschen Philosophie, deren treuer Anhänger er gewesen ist. Die zahlreichen, namentlich in den späteren Bänden seiner „Zerstreuten Blätter" überhand nehmenden literärgeschichtlichen Angaben über fromme und gottselige Juristen älterer und neuerer Zeit entbehren jeder geschichtlichen Bedeutung, Savigny und die historische Schule werden nicht selten gerühmt (z. B. 2, 441, 448), aber auf Gans wird der Begriff des Besitzes aufgebaut (1, 330, 362 f.). In Sachen der Kodifikation kommt Göschel von seiner Art und Weise der Begründung aus zu demselben Ergebnisse wie Savigny, vgl. „Partikularrecht und Pantheismus" S. 37 f.: „Was alle Kodifikation schwierig und bedenklich macht, das ist die Verant­ wortung für die Seele." So läßt sich allerdings jeder Quietismus rechtfertigen. 4) Vgl. „Zerstreute Blätter" 1, 98 und sonst mehrfach. 5) Vgl. Landsberg, Gesch., Text 417 f. — Übrigens richtet sich Göschels Eideswerk hauptsächlich gegen eine gleichzeitige, allerdings noch absolut auf-

172

Zu Kapitel 16, S. 370.

klärerische Behandlung desselben Stoffes von F. G. Leue, Kgl. Preuß. Staats­ prokurator in Aachen „Von der Natur des Eides", Aachen und Leipzig 1836. Auf diesen Leue und seine namentlich prozessualen Schriften, sämtlich ent­ schlossen reformatorischen und liberalen Sinnes, wird noch zurückzukommen sein. 6) Unter philosophischem Pantheismus in Anwendung auf das Recht versteht Gösche! die Neigung, bloß in allen positiven Rechten die Existenz eines höchsten Rechtes als immanent anzuerkennen, die individuelle Existenz aber eines höchsten Rechts als solchen zu leugnen. 7) A. W. Götze, „Das Prvvinzialrecht der Altmark nach seinem Stand­ punkt im Jahre 1835. Im Auftrage des Kgl. Justizministeriums für die Ge­ setzrevision nach amtlichen Quellen bearbeitet", 2 Abteilungen, Magdeburg 1836. — Es handelt sich um eines der vielen um diese Zeit zu Gesetzesrevisionszwecken im ministeriellen Auftrage, d. h. auf Anregung von v. Kamptz her, entstandenen Werke über den augenblicklichen Stands der preußischen Provinzial­ rechte. Ähnlich z. B. die von C. Schvltz über die Kurmark Brandenburg, Berlin 1834; von Geh. Obertribunalrat Hartmann über das Fürstentum Eichsfeld, 1835; und von G. E. Pinder über die vvrm. sächsischen Landesteile Preußens^ 1836, vgl. Gösche! a. a. O. S. 30, 31 und 37. Dazu kommt die entsprechende Bearbeitung der Rechtslage in der preußischen Rheinprovinz von Maurenbrecher^ s. unten in diesem Kap. III, 4. — Natürlich halten die mit diesen Sammlungen betrauten Schriftsteller allen Anlaß, fiir die Geltung solcher Provinzialrechte gegen das allgemeine Landrecht einzutreten. Das war nun namentlich von feiten Götzes, in dem Vorworte seines Werkes, geschehen; Götze hatte da die Richter aufgefvrdert, diese altbodenständigen Rechte möglichst gegen verflachende Allgemeinheit zur Geltung zu bringen; er hatte ihnen dafür die nötige Be­ wegungsfreiheit durch Anwendung Hegelscher Formeln verschaffen wollen; da­ gegen hatte G. F. Gärtner ein „Sendschreiben" erlassen, das den Richter in die engeren Grenzen des Gehorsams gegen das allgemein geltende Recht zurück­ verweist; und hierauf hat denn wieder Gvschel in der im Texte genannten Schrift entgegnet. Sv führt die Sache, unter Hegelschen Schlagworten und dialektischen Kunstgriffen, tatsächlich bereits zu einer Auseinandersetzung über das Verhältnis von „Gesetz und Richteramt"; vgl. besonders Gvschel a.' a. O. S. 17 f. und zugehörige Noten. — August Wilhelm Götze, als er das Werk schrieb Oberlandesgerichtsrat in Magdeburg, wurde dann Geheimer Justizrat und Vortragender Rat im Preußischen Justizministerium, dann wieder eine Zeitlang Präsident in Greifswald, schließlich (1846) Obertribunal-Bizepräsident. (Stölzel „Brandenburg-Preußische Gerichtsverfassung und Gerichtsverwaltung" 2, 541.)

8) Friedrich Julius Stahl, Rechtsphilosoph und Politiker, ist ge­ boren zu München am 16. Januar 1802. Von seinem Vater, einem streng­ gläubigen Juden, wurde er in alljüdischer Orthodoxie erzogen, jedoch nicht auf hebräische Wissenschaft beschränkt, ffondern dem Gymnasium zugeführt. Rasch durchlief er dies, Lyzeum und philologisches Institut und bestand bereits im 18. Jahre den Konkurs für das Gymnasiallehreramt. Dann aber ging er zum Studium der Rechtswissenschaft und am 6. November 1819 zum Christentum

Zu Kapitel 16, S. 370-371.

173

lutherischer Konfession über, an deren Dogmen er auf Lebenszeit mit unbedingter Gläubigkeit und mit starrer Folgerichtigkeit festgehalten hat. Deshalb von der Philosophie seiner Zeit abgestoßen, aber von der positiven Jurisprudenz und namentlich der historischen Nechtsschule angezogen, habilitierte sich Stahl in seiner Vaterstadt 1827 mit einer einflußlos gebliebenen Untersuchung „Über das ältere und neuere römische Klagerecht." Jedoch kehrte er bald zu der Philo­ sophie zurück, nicht um ihr zu folgen, sondern um sie vom theosophischen Boden aus zu überwinden. Dazu entnahm er das Rüstzeug teils der späteren Philo­ sophie von Schelling, aus dessen damaliger mystisch-theosophischer Epoche, teils der Hegelschen Dialektik und Begriffswelt, wozu er eigenartige höchst persön­ liche Anschauungen, besonders über das irrationale und superrationale Moment der Einzelpersönlichkeit, bei Gott und bei dem Menschen, seinerseits beisteuerte. Auf diesem Boden ist dann seine „Philosophie des Rechts" erwachsen; der erste Teil, die kritisch alles Bisherige zersetzende Geschichte der Rechtsphilosophie, erschien zuerst 1829, zuletzt 1870; der zweite Teil erschien in zwei Abteilungen 1833 und 1837, in 3. Auflage 1856, und liefert Stahls eigenen dogmatischen Aufbau. — Es ist nicht unsere Sache, hier Stahls weiteren Lebensgang, seine schriftstellerische und politische Betätigung zu verfolgen; bekanntlich wurde er, nachdem ihm sein Werk 1832 eine außerordentliche, bald ordentliche Professur in Erlangen verschafft hatte, 1840 nach dem Sturze des Ministers v. Alienstein im Zusammenhang mit der Berufung von Schelling nach Berlin gezogen, von wo aus er dann seinen umfassenden Einfluß an der Universität, bei Hufe und später im Herrenhaus geübt hat. Sein Lebens-und Charakterbild genauer zu zeichnen bin ich bemüht gewesen in der A. D. B. 35, 392 f.; einige nicht unwesentliche Züge hat dafür seitdem beigesteuert Erich Kaufmann „Studien .zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes", Inauguraldissertation, Leipzig 1906, besonders § 3 S. 53 f.; ältere Literatur zusammengestellt in der A. D. B. a. a. O. S. 400. 9) Zum Verständnisse dieser Dinge muß man sich immer wieder gegen­ wärtig halten, daß freilich einerseits Hegels selbständiges Philosophieren erst nach Schellings früherer Epoche und auf Grund von deren Leistungen beginnt, andererseits aber Schellings Spätzeit und deren theosophische Philosophie wieder erst nach Hegels frühern Tode (1831) einsetzt. — Übrigens darf man sich durch

die Erklärungen, die Stahl so oft gegen Hegel richtet (vgl. z. B. Vorrede zur 1. Auflage der „Rechtsphilosophie" Bd. 1 S. VI), nicht allzu stark beeinflussen lassen; daß er, namentlich in seiner Auffassung und Behandlung der Geschichte, nach wie vor von Hegel abhängig geblieben ist, dürste unverkennbar sein; eine solche, lediglich auf ein bestimmtes begriffliches Ergebnis hinausgehende Ge­ schichte der Rechtsphilosophie, wie sie Stahl liefert, wäre doch wohl ohne Hegels Vorbild kaum denkbar; und ebensowenig wird man sich umgekehrt durch alle die Lobsprüche, die Stahl auf Savigny unb die historische Rechtshandlung häuft, trügen lassen dürfen, sondern man wird bedenken müssen, was eigentlich damit gesagt wird, wenn es über Savigny und dessen Schule (an derselben Stelle Revue nistorique du droit fran^ais et ötranger« von 1856 S. 71 f.) 13) Einige romanistisch-dogmatische Aufsätze von Zachariae, besonders aus seiner ersten Zeit im „Archiv für die zivilistische Praxis" 27, 1 f., und in der „Zeitschr. f. gesch. Rechtsw." 12, 258 f. Ferner gelegentlich einiges Rechtshistorisch-romanistische an sonstigen Stellen. 14) Diese Besprechung von Heimbach in „Richter und Schneiders Jahrbüchern" 6, 481 f.

15) Außerdem noch zu nennen: Al ^onal oder die Schrift über die Zeit­ abschnitte, Heidelberg 1836, aus der früheren Epoche; und aus der spätesten die, eine kritische Ausgabe des vb^o% aT^aTiartixos enthaltende Abhandlung 7 „Wissenschaft und Recht für das Heer vom 6. bis 10. Jahrhundert", in der „Byzantinischen Zeitschrift" 3, 457 f.

16) Diese Abhandlungen hauptsächlich in den »Mömoires de l’Acadömiedes Sciences de St-Pötersbourg, Serie VII, Bd. 23, Nr. 6 und 7, Bd. 28r Nr. 7, Bd. 32, Nr. 16; aber auch in den Monatsberichten der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, philologisch-historische Klasse 1881, 13 f., und besonders. 1887, Nr. 53. 17) Darüber Bericht „Ein Winter in Griechenland", 1879—1880, Leipzig 1881 anonym erschienen.

18) Mortreuil, Histoire du droit Byzantin, 1843—1846; besprochen Don Lachariae in Richters und Schneiders Jahrbüchern 8, 794 f. und 11, 581 f.

19) Diese dritte Auflage trägt den Titel „Geschichte des griechisch-römischen Rechts"; unter demselben Titel erschien auch schon die zweite Ausgabe, Berlin 1877. 20) Worte von William Fischer a. a. O.

21) Imper. Justiniani Novellae quae vocantur sive constitutione» quae extra codicem supersunt ordine chronologiae digestae, zwei Teile, Leipzig 1881, mit Anhängen von 1884 und 1891. 22) Karlowa, Römische Rechtsgeschichte 1, 1021, Note 1.

23) Diese Abhandlungen Zachariaes erschienen durchweg in der „Zeitschrf. gesch. Rechtsw." oder für Rechtsgeschichte bzw. in der „Zeitschr. der SavignyStiftung", rom. Abt. Vgl. in ersterer 14, 95 f.; 15, 90 f.; in der „Zeitschr. f. RG." 10, 48 f. ; in der „Savigny-Stiftung" namentlich eine Artikelfolge „Ausund zu den Quellen des römischen Rechts" in Bd. 8, 10, 12, 13, 15; außerdem 6, 1 f. und 8, 1 f.

Zu Kapitel 17, S. 487—488.

217

II. 7.

1) Ed uard Platner, geboren zu Leipzig 13. August 1786 als Sohn des dortigen Professors der Medizin und Philosophie Ernst Platner, gestorben zu Marburg 5. Juni 1860, bezog schon 14 Jahre alt die Universität Leipzig, wo er zuerst klassische Philosophie studierte, auch der schönen Literatur sich zu­ wendete, dann aber als „Brotwissenschaft" die Jurisprudenz ergriff. Zuerst unter Haubold und Biener in Leipzig, dann unter Hugo und Heeren in Göttingen lernte er auf diese seine Wissenschaft humanistische Neigungen über­ tragen und gewann dadurch dauernd die Richtung seines schriftstellerischen und akademischen Wirkens. Er habilitierte sich 1809 in Leipzig auf seine Doktor­ dissertation >De collegiis opificum < hin, wurde 1811 als ao. Professor nach Marburg berufen, dort 1814 o. Professor und ist als solcher da bis zu seinem Ende tätig gewesen. Er las hauptsächlich Naturrecht und römische Rechts­ geschichte und behandelte in zahlreichen akademischen Reden auch allgemeinere Stoffe. Zu beachten etwa der Aufsatz: über die Bedeutung und die Resultate des Rechtsbegriffes, in Fichtes „Zeitschr. f. Philosophie und Theologie", 1839, und seine Biographie des ihm besonders befreundeten Philologen Gottfried Hermann in Bergks und Caesars „Zeitschrift für Altertumswissenschaft" 1849. (Justi und Gerland, Fortsetzung zu Strieders hessischem Gelehrtenlexikon 512 f. und 1, 79. — E. L. Th. Henke, Festrede über ihn, Marburg 1860. — Wipvermann in der A. D. B. 26, 257 f.). — Betr. gräzistische Studien innerhalb der historischen Schule vgl. oben in Kap. 16, I, 1 über Heffter, Note 51 und zu­ gehörigen Text.

2) Karl Gustav Geib, geboren 12. August 1808 zu Lambsheim in der Rheinpfalz, durch einen dichterisch und literarisch begabten Onkel in der Liebe zum klassischen Altertum erzogen, studierte 1827—1831 in München, Heidelberg, Bonn und wieder in Heidelberg, wo er 1831 promovierte, prakti­ zierte dann eine Zeitlang zu Frankenthal, ging 1832, auf einen durch v. Maurer vermittelten Ruf hin, als Regentschaftssekretär nach Griechenland, kehrte 1834 mit v. Maurer heim und faßte nunmehr den Entschluß, sich der akademischen Laufbahn zuzuwenden. Er wurde darauf, ohne noch doziert zu haben, 1836 nach Zürich als ao. Professor gerufen, dort Februar 1842 zum o. Professor für Strafrecht und Prozeß befördert, folgte 1851 einem Rufe nach Tübingen und ist dort am 23. März 1864 gestorben. Seiner griechischen Periode entstammt die geistvolle und aufklärende „Darstellung des Rechtszustandes in Griechen­ land während der türtischen Herrschaft und bis zur Ankunft König Ottos I." 1835. (Lueder, Gustav Geib, sein Leben und Wirken, Leipzig 1864. — Derselbe in der A. D. B. 8, 500 f.) 3) Mommsens Rezension in der „Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung", Jahrgang 3 von 1844, S. 245 f. und 257 f.; jetzt wieder abgedruckt in Theodor Mommsens gesammelten Schriften, „Juristische Schriften" 3, 469 f. 4) Geib, Die Reform des deutschen Rechtslebens, Leipzig 1848. Geib, der sich dabei fortwährend selbst zur gefchichttichen Schule rechnet, setzt sich darin,

218

Zu Kapitel 17, S. 489.

namentlich auch (besonders S. 16 f.) mit dem auseinander, was er als Ver­ kehrtheiten dieser Schule einzusehen gelernt hat. 5) Von diesen Untersuchungen von Rubino ist einzig der 1. Teil erschienen mit dem Sondertitel „Über den Entwicklungsgang der römischen Verfassung bis zum Höhepunkt der Republik". Siehe über ihn Mommsen a. a. O. (in der Kritik von Geib, Gesammelte Schriften S. 470) „er hat weder Niebuhrs Takt noch Rubinos Methode"; und ferner Herzog „Geschichte und System der römischen Staatsverfassung" 1 (1884), S. XIII f.; über ein anderes Werk von Rubino, die erst nach seinem Tode, 1868, herausgegebenen „Beiträge zur Vor­ geschichte Italiens", eine höchst interessante, die Eigenart des besprochenen Ge­ lehrten trefflich kennzeichnende Rezension von Nissen in der „Historischen Zeit­ schrift" 20, 405 f. — Joseph Rubino, 1799 in Fritzlar geboren, von jüdischen Eltern abstammend, vorgebildet zu Kassel und Marburg, bezog 1815 die Universität Marburg, an der er zwei Jahre Rechtswissenschaft studierte, und ging dann erst, in Heidelberg, unter den Anregungen von Creuzer und Schlosser her, zur Altertumswissenschaft über. Er promovierte am 21. September 1821 zu Marburg als Dr. phil., ward 1832 in außergewöhnlicher Stellung Dozent der älteren Geschichte und Philologie an der Universität Marburg, aber erst, nachdem er 1842, nach dem Tode seiner Mutter, zum Christentum, dem er längst nahestand, unter Annahme der Vornamen Joseph Karl Friedrich übergetreten war, 1843 ebenda o. Professor. In dieser Stellung ist er dann geblieben bis zu seinem Tode, Marburg 10. April 1864. (Benediktus Niese in der A. D. B. 55, 591 f. auf Grund mühsamer Erforschung dieses bis dahin unbekannten Lebens­ laufes mit mehreren eingehenden Angaben auch über Rubinos sämtliche Schriften, seine literarischen Verdienste und namentlich über seine Stellung zu Mommsen.) 6) Philipp Eduard Huschke, geboren zu Minden am 26. Juni 1801, absolvierte das Gymnasium zu Gotha und Ilfeld, bezog, humanistisch gründlich vorgebildet, die Universität Göttingen 1817, wo er besonders durch Hugo be­ einflußt worden zu sein scheint, promovierte dort 1820 und ging dann nach Berlin, „um Savigny zu hören, in dessen Hause er auch freundliche Aufnahme fand und vielfach verkehrte. Dennoch kam es nicht zu einem engeren Anschlüsse an denselben, vielmehr hat Huschke auch Savigny gegenüber unerachtet aller Verehrung, die er dem großen Manne entgegenbrachte, stets eine große Selb­ ständigkeit des Urteils gewahrt und sich keineswegs den in der historischen Schule damals herrschenden Ideen kritiklos hingegeben." (Worte Schirmers a. a. O. S. 194 f.) Huschke habilitierte sich 1821 zu Göttingen, ward 1824 als o. Professor nach Rostock berufen, ging von da in gleicher Eigenschaft 1827 nach Breslau und ist dort bis zu seinem Ende, 8. Februar 1886, verblieben. Er war ein Gelehrter von großer Vielseitigkeit, der, außer seinen zahlreichen juristischen, auch vielfach philosophische, archäologische, theologische und kirchen­ politische Schriften verfaßt hat, letztere vom streng altlutheranischen Standpunkte aus, der sich wesentlich in seiner ganzen Weltanschauung und Tätigkeit — er war auch Präsident des Konsistoriums der sogenannten Altlutheraner — geltend gemacht zu haben scheint. (Schirmer im „Arch. f. ziv. Pr." 70, 163 f. mit feiner Schilderung der Persönlichkeit, offenbar auf Grund nahen persönlichen Verhält--

Zu Kapitel 17, S. 489—492.

219

nisses. — Baron, in der „Kritischen Vierteljahresschrift" 29, 161 f., der Huschte als Lehrer liebevoll kennzeichnet. — Ivo Pfaff, in der A. D. B. 50, 515 f. mit Würdigung der genau aufgezählten Schriften, einschließlich der zahlreichen Auf­ sätze in Zeitschriften; diese Aufzählung füllt über zwei Seilen des großen Formats der A. D. B.) 7) Huschkes früheste Schriften: Rostocker Habiliiationsschrift >De causa Siliana«; Untersuchungen zu Cicero, 1826; lncerti auctoris magistratuum et sacerdotiorum populi romani expositiones ineditae, die Frucht einer Pariser Studienreise, 1829. 8) Die Abhandlung über die Rechtsregel »Nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest« von 1834 ist erschienen im „Rheinischen Museum" 6, 257 f., in das Huschte überhaupt zahlreiche Artikel geschrieben hat. 9) Genauer Titel »Jurisprudentiae antejustinianae quae supersunt«. In denselben Wirkungskreis gehört auch Huschkes schon wegen ihrer Handlich­ keit viel benutzte Jnstitutionenausgabe, Berlin 1868. 10) Diese Serien zuerst in der „Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß", "Neue Folge, Bd. 2 f., später im „Archiv für zivilistische Praxis" Bd. 62 f., zuletzt eine Nachlese aus^seinem Nachlaß, herausgegeben durch Wlassak in der „Zeitschr. f. RG.", Bd. 22. 11) Von diesen Abhandlungen und Schriften seien genannt: Über die in

Siebenbürgen gefundenen lateinischen Wachstafeln, in der „Zeitschrift f. gesch. Rechtsw." 12, 173 f.; über Alter und Verfasser der Legum Romanarum et Mosaicarum collatio, ebenda 13, 1 f.; über die Transmissip Theodosiana in dep „Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß", Neue Folge 9, 53 f.; über den Codex Gregorianus und Hermogenianus, in der „Zeitschr. f. RG." 6,279 f.; über das alte römische Jahr und seine Tage, Breslau 1869; über Fruchtper.zeption im letzten Dotaljahr, „Zeitschr. f. Rechtsgesch." 10, 1 f.; und über die vermögensrechtliche Handlungsfähigkeit der mündigen Minderjährigen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, ebenda 13, 311 f. 12) So, offenbar richtig, Schirmer a. a. O. S. 166. Bedürfte es noch eines besonderen Beweises für diesen Zusammenhang, so würde er dadurch erbracht, daß Huschke sich für die Berechtigung seiner Methode in Rechtswissenschaft und 'Geschichte auf die Physik beruft; gerade dahin aber hatte ja Steffens Schellings Methode übertragen.^ II. 8.

1) Georg Julius Ribbentrop, geboren ^u Bremerlehe 2. Mai 1798, gestorben zu Göttingen 13. April 1874, studierte von 1814 ab in Göttingen rind Berlin, 1817 Akzessist bei der Universitätsbibliothek zu Göttingen, dort 1819 Dr. jur., 1820 Privatdozent, 1822 ao. Beisitzer des Spruchkollegiums, 1823 ao., 1832 o. Professor des römischen Rechts, das er mit geistiger Frische -und vielem Erfolge gelehrt hat (Landsberg in der A. D. B. 26, 405 f.). 2) Wilhelm Franz Gottfried Francke, geboren zu Lüneburg 26. Juli 1803, studierte seit 1821 in Göttingen, dort Dr. jur. 1824, Privat­ dozent 1825, ao. Professor 1828, nach Jena als Oberappellationsgerichtsrat und

220

Zu Kapitel 17, S. 493.

o. Professor berufen 1831, Ostern 1844 als Professor der Rechte nach Göttingen zurückgekehrt, dort gestorben 12. April 1873. — Hauptschriften: Zivilistische Ab­ hundlungen , Göttingen 1826; Beiträge zur Erläuterung einzelner Rechts­ materien, Göttingen 1828; das Recht der Noterben und Pflichtteilsberechtigten, Göttingen 1831; Kommentar über den Pandettentitel De hereditatis petitione,. Göttingen 1864, Franckes gediegenste und eigenartigste Leistung (Muther in der A. D. B. 7, 242 f.). 3) Außerdem seien als Monographien dieser Zeit und Richtung hier noch etwa genannt, obgleich die Grenzbestimmung gegenüber der folgenden Epoche um so schwieriger wird, je weniger bedeutsam hie ein­ zelnen Schriften sind, die folgenden: Albrecht Erxleben, Über die con-

dictiones sine causa, zwei Abteilungen, Göttingen 1850 und 1853, vgl. auch unten Kap. 19.1, 2 und dazu Note 3. — Girtanner, „Die Bürgschaft nach gemeinem Zivilrecht", 1851 (Wilhelm Girtanner, geboren 1823 zu Schnepfen­ thal, 1848 Privatdozent zu Jena, dort 1850 ao., 1853 zu Kiel o. Professor, da gestorben 28. Juli 1861). — Rudolf Elvers, „Die römische Servituten­ lehre", Marburg 1856. — E. Ruhstrat, „über negotiorum gestio", 1858. — Und vielleicht schließlich noch Schwanert, Naturalobligation, 1861. — Ferner sei erinnert an die verschiedenen Abhandlungssammlungen, die damals emporsprossen; außer den schon genannten etwa noch an die „Abhandlungen aus dem Pandektenrecht", Erlangen 1840, des später, als wankelmütig vom Liberalismus seiner früheren Zeit abgefallen, vielgenannten bayerischen Staats­ mannes und Ministers Ludwig Carl Heinrich Freiherrn von der Pfordien, 1811—1880, der sich auch an den germanistischen Forschungen (Studien zu Kaiser Ludwigs oberbayerischem Stadt- und Landrecht, München 1875) beteiligte (Wippermann in der A. D. B. 25, 695 f.). 4) Friedrich Mommsen, geboren in Flensburg 3. Januar 1818, be­ suchte dort bis 1836 das Gymnasium, dann die Universitäten Kiel, Berlin undMünchen, machte 1841 sein Staatsexamen, wurde 1848 Rat am Obergericht zu Schleswig, dann aber durch die dortigen Wirren aus der Heimat vertrieben, zu Göttingen 1852 Dr. jur., 1853 Privatdozent, 1854 ao. und 1859 o. Pro­ fessor, 1864 wieder Rat am Appellationsgericht zu Flensburg, 1867 Oberappellationsgerichtsrat zu Berlin, Februar 1868 Präsident des neuerrichteten evangelisch-lutherischen Konsistoriums in Kiel, als solcher mit bedeutendem Er­ folge tätig, namentlich wesentlicher Urheber einer Kirchengemeindeordnung, die August 1869 erschien und fast unverändert in die Kirchengemeinde-Synodal­ ordnung für Schleswig-Holstein von 1876 übernommen wurde; dazu Kommentar von ihm und H. F. Chalybäus 1878; demgemäß wurde Mommsen Ehrendoktor der theologischen Fakultät zu Kiel 25. Oktober 1876. Mommsen wurde 1879 auch noch Kurator ber. Universität Kiel, entfaltete als solcher für die Anstalt und besonders für ihre Institute hingebende Tätigkeit, und gehörte seit 1884 auch dem preußischen Staatsrate an, trat 1891 in den Ruhestand und ist am 1. Februar 1892 auf einer italienischen Reise, die sein Alter an Jugendein­ drücken wieder aufsrischen sollte, zu Rom gestorben, am 11. Februar zu Kiel bestattet worden (Johann Saß, in der A. D. B. 52, 462 f.).

Zu Kapitel 17, S. 493.

221

5) GustavLudwig TheoderMarezoll, geboren 13. Februar 1794 zu Göttingen, studierte zu Jena und Göttingen, hier hauptsächlich bei Hugo, promovierte ebenda 1815 mit der Dissertation: >De Institutionum ordine«, wurde Privatdozent zu Jena, ao. Professor zu Gießen, dort 1818 o. Professor und 1826 wirklicher Oberappellationsrat, ging 1837 nach Leipzig und war dort als erfolgreicher Lehrer des römischen Rechts bis 1864 tätig. Seitdem zurück­ gezogen, ist er gestorben 25. Februar 1873. — Seine in der Art Hugos ge­ lehrten zivilistischen Untersuchungen aus früherer Zeit handeln über die Tafeln von Heraklea 1816 und über „Die bürgerliche Ehre, ihre gänzliche Entziehung und teilweise Schmälerung", 1824. Auch hat er ein Lehrbuch des Naturrechts 1818 und ein tüchtiges Lehrbuch des gemeinen deutschen Kriminalrechts 1841, 3. Aust. 1856, verfaßt. Sein durch gründliche Kenntnisse und eigene selbständige Vorarbeiten legitimiertes „Lehrbuch der Institutionen" ist von Pellat 1852 ins Französische, von Polignani 1866 ins Italienische übersetzt worden (Teichmann, in der A. D. B. 20, 315 f.). 6) Karl Ludwig Arndts, später geadelt mit dem Beinamen von Arnesberg, ist geboren zu Arnsberg in Westfalen 19. August 1803, hauptsächlich Don der Mutter mit vorzüglicher Einsicht erzogen, schon als Gymnasiast wegen seiner besonderen Gründlichkeit gelobt, studierte 1820—1823 in Bonn und Heidelberg, faßte hierauf den Entschluß, sich der akademischen Laufbahn zu widmen und ging deshalb noch für ein Jahr weiteren Studiums nach Berlin, wo er durch Savignys vollendeten Lehrvortrag stark beeinflußt wurde. Nach­ dem er in Berlin promoviert, dort auch sein Militärjahr bei den Gardeschützen abgedient hatte, habilitierte Arndts sich 1826 in Bonn, wurde aber dort trotz hervorragender Leistungen erst Ende 1836 ao. Professor, dann 1838 als o. Pro­ fessor und Nachfolger Unterholzners nach Breslau berufen. Bevor er jedoch ■feine Stellung antrat, wurde er für München gewonnen, wo er vom 1. April 1839 ab akademisch tätig war, mit Unterbrechung dieser Tätigkeit durch Be­ rufung in die bayerische Gesetzgebungskommission 1844—1847 und durch Teil­ nahme am Frankfurter Parlament 1848 bis Mai 1849, in dem Arndts der "großdeutschen Partei angehörte. Von München ging er 1855 nach Wien, nicht ohne daß man ihn dort zu halten lebhafte Bemühungen aufgeboten hätte, doch Hab zugunsten von Wien wohl hauptsächlich den Ausschlag der Beruf, die Methode und Ergebnisse der romantischen Schule nach Österreich zu über­

tragen, eine Aufgabe, für die ihn der Minister, Graf Thun, besonders ins Auge gefaßt hatte. Arndts hat dann in Wien regelmäßig seine Vorlesungen gehalten, bis er^Ende Mai 1874 die Altersgrenze des österreichischen Gesetzes -erreicht hatte, durch die üblichen Ehren und Orden, oder auch wohl einen Teil darüber hinaus, ausgezeichnet. Anfangs Juni 1874 verließ er Wien auf längere Zeit, um sich zunächst auf seine Besitzung in Mühlfeld am Ammersee zu be­ geben, wo er sonst.seine Ferien zuzubringen gewohnt war; von dort aus unternahm er seine zweite Romfahrt, während die erste 1834—35 in der Freiheit des Privatdozententums erfolgt war; den Rest seiner Tage verlebte er ab­ wechselnd in Mühlfeld und Wien; hier ist er am 1. März 1878 gestorben. — Arndts war ein aufrechter Charakter, eine vornehme Persönlichkeit von streng

222

Zu Kapitel 17, S. 494—499.

konservativer Gesinnung auch in der Wissenschaft, in der Politik und im Glauben nach einseitig katholischen Prinzipien orientiert, als Jurist aber unparteiisch und seiner Berliner Schule stets, auch nach sonst eingetretenen Divergenzen, dankbar eingedenk. Er hat zahlreiche Artikel in die „Historisch-politischen Blätter" ge­ schrieben, auch des Leonhardus Pappus »Epitome rerum germanicarum ab anno 1617 ad annum 1648 gestarum«, 2 Bände, 1856 und 1858 heraus­ gegeben. Sein Lehrerfolg war kein durchschlagender, von jeher infolge einer gewissen Schwerfälligkeit, später wohl auch noch auf Grund bedauerlicher Schwer­ hörigkeit. (Ernst Landsberg in der A. D. B. 46, 41 f. unter Angabe der weiteren, nicht ganz unbeträchtlichen Literatur über Arndts). 7) Diese Studie, eine Frucht von Arndts erstem römischen Aufenthalts veröffentlicht in der Zeitschr. f. Rechtswissenschaft im Ausland 1836 und 1837^ 8) Das andere der Arndtsschen Lehrbücher ist seine „Juristische Enzyklo­ pädie und Methodologie", zuerst 1843, 9. Auflage 1895; es erfreut sich ähnlicher Vorzüge wie das Pandekten-Lehrbuch, namentlich der bestimmten und klaren Kürze. 9) Gesammelt erschienen die Abhandlungen von Arndts in den drer mächtigen Bänden seiner „Gesammelten zivilistischen Schriften", Stuttgart 1873bis 1874. 10) Artikel „Zivilgesetzgebung im allgemeinen" in Bluntschlis und Braters Staatswörterbuch 2, 492 f., wieder abgedruckt in Arndts „Gesammelten zivili­ stischen Schriften" 3, 125 f.

in.

1) Wesentliche Vorarbeit für diesen ganzen Abschnitt ist die schon mehrfach angeführte Rede von Gierke „Die historische Rechtsschule und die Germanisten", gehalten zu Berlin 3. August 1903, im Drucke erschienen mit zahlreichen Noten. Berlin 1903. III. 1. 1) Außerdem wäre aus dem Jahre 1827 noch zu erinnern an die Äuße­

rungen von Nietzsche, gelegentlich seiner Besprechung von Heffters Prozeßinsti­ tutionen, siehe oben Note 25 zu Kap. 16. I. 2. 2) In der Reihenfolge, wie sie im Text vorkommen, sind benutzt aus Bernhards „Restauration" folgende Stellen: Nr. 14 Abs. 2; Nr. 16; Nr. 25; Nr. 80; Nr. 32; Nr. 35. Über Persönlichkeit und sonstige Schriften von Friedrich Ludwig Freiherrn v. Bernhard, geb. 22. Juli 1801 in Düsseldorf, 1826 Dozent in München, ^dort 1832 ao. und 1833 o. Professor^ abgegangen 1844, gest. 25. Januar 1871, s. Prantl, Geschichte der Universität München 2, 527, Nr. 314. 3) Nikolaus Falck, geb. zu Emmerloo an der Nordwestküste des Herzog­ tums Schleswig 25. November 1784, gestorben zu Kiel 5. Mai 1850; er scheint eine friedfertige, liebenswürdige Persönlichkeit gewesen zu sein, kein Heißsporn^ namentlich auch noch nicht gegenüber Dänemark, im Gegensatz zu der folgenden Generation, auch im Jahre 1848 besonnen und zurückhaltend, selbständig auch gegenüber dem „Modeton" und dem, was er als Exzesse verurteilen zu müssen

Zu Kapitel 17, S. 499—501.

223

glaubt. (H. Ratjen, „Erinnerungen zu Falcks Andenken", Kieler akademische Monatsschrift 1850, Heft 2, und mit Zusätzen separat Kiel 1851. — A. L. I. Michelsen in der A. D. B. 6, 539 f.). 4) Daher sein verbreitetes Lehrbuch der juristischen Enzyklopädie, 1. Aus­ gabe 1825, letzte von Jhering bearbeitete Auflage von 1851. 5) Worte von Michelsen a. a. O. 6) Über die Vorarbeit von Albrecht Gottfried Schrader s. oben Note 23 zu Kap. 13. II. 2. 7) Wegen der ablehnenden Stellung von Falck gegen die subsidiarische Verwendung des römischen Rechts siehe namentlich auch seine Enzyklopädie § 90, in der 3. Auflage S. 175. 8) In dieser Beziehung außer den im Texte genannten Schriften haupt­ sächlich noch zu nennen Falcks „Staatsbürgerliches Magazin mit besonderer Rücksicht auf Schleswig-Holstein und Lauenburg", 1. Serie von 10 Bänden 1821—1831, 2. Serie ebenso stark 1832—1841, und dann noch 4 Bände unter dem Titel „Archiv" 1842—1845; vgl. Michelsen a. a. O. S. 541. 9) Vgl. oben Landsberg, Gesch., Text Kap. 7. II. 4 S. 265 f.

III. 2. 1) Die Rede von Beseler wieder abgedruckt als Anlage Nr. 3 bei Beseler „Erlebtes und Erstrebtes" S. 119 f. 2) Siehe oben Note 23 zu Kap. 16. IV. 2. 3) Bluntschli, „Die neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen", Zürich 1839, wieder aufgelegt und dem deutschen Juristentage gewidmet, Zürich 1862; im folgenden benutzt besonders S. 48. 4) Reyscher, Erinnerungen S. 89. 5) August Ludwig Reyscher, geboren am 10. Juli 1802 zu Unter­ riexingen a. d. Enz, württemb. Oberami Vaihingen, gestorben zu Kannstatt am Neckar 1. April 1880, in einer altwürttembergischen „Schreibstube" vorgebildet, bezog Ostern 1821 die Universität Tübingen, wo er sich der Burschenschaft an­ schloß, wurde 1824 Privatsekretär bei dem Württembergischen Gesandten in München, 1826 im Württembergischen Justizministerium beschäftigt, wo der Plan seiner Gesetzsammlung entstand, daraufhin 1829 zuerst als Privatdozent mit dem Titel eines ao. Professors nach Tübingen berufen, dort 1831 wirklicher ao. Professor, 1837 o. Professor und als solcher im Amte geblieben, bis er aus politischen Gründen am 31. März 1851 auf eine Ratsstelle bei der Kreisregierung in Ulm versetzt wurde, worauf er, Mai 1851, seine Entlassung erbat und er­ hielt. Seit der Zeit lebte er als Rechtsanwalt mit fast ausschließlich konsul­ tativer Praxis zuerst in Stuttgart, dann seit 1853 in Kannstadt. Er ist an der politischen Bewegung 1848 stark beteiligt gewesen, besonders als Mitglied der sogenannten Fünfzehner-Kommission der Württembergischen Kammer, im liberalen, aber entschieden antiradikalen Sinne, demgemäß natürlich auch als Anhänger und Förderer des deutschen Einheilsgedankens, wennschon nicht als Mitglied des Frankfurter Parlaments. Auch in späteren Jahren hat er ein württem-

224

Zu Kapitel 17, S. 502—503.

bergisches Kammermandat ausgeübt und dabei namentlich das Rümelinsche Konkordat (1861) zu Fall gebracht. Er war Mitglied des Ausschusses des Nationalvereins und dann auch als Vertreter seines Heimatbezirks Mitglied des ersten deutschen Reichstags. Zu fast allen vaterländischen und politischen, uamentlich verfassungsrechtlichen Fragen, die in den Jahren 1848—1866 auf­ tauchten, hat er sich auch publizistisch durch Gutachten, Denkschriften, Reden, Zeitungsartikel, immer entschieden in demselben liberalen und nationalen Sinne, geäußert. (Nach seinen eigenen Aufzeichnungen erschienen seine „Erinnerungen aus alter und neuer Zeit", Freiburg und Tübingen 1884, herausgegeben von Karl Rieke. — Außerdem über ihn Karl Rieke in der A. D. B. 28, 360 f. — Gegen eine ungerechte Beurteilung in R. v. Mohls „Lebenserinnerungen" 1, 207 verteidigte ihn erfolgreich Thudichum in der Tübinger Chronik vom 5. und 7 März. 1902).

6) Ein genaues Verzeichnis von Reyschers sämtlichen Schriften geben die angeführten Erinnerungen S. 211 f. unter 80 Nummern. Davon sind die im Text gerühmten Quellensammlungen die folgenden: „Vollständige, histo­ risch und kritisch bearbeitete Sammlung der Württembergischen Gesetze", Stutt­ gart und Tübingen 1828—1851, 19 Teile in 22 Bänden, alle unter Reyschers Leitung und Verantwortung erschienen; von ihm selbst bearbeitet die erste Ab­ teilung „Sammlung der Staatsgrundgesetze", 3 Bände 1828—1830. — Ferner die besonders verdienstliche „Sammlung altwürttembergischer Slatutarrechte mit historisch kritischen Anmerkungen", Tübingen 1834. — Man sieht deutlich, daß diese Sammlungen so recht eine Aufgabe für den Politiker einerseits, den Ger­ manisten andererseits waren. Das Württembergische Privatrecht aber, als wesentlich auf dem römischen gemeinen Recht beruhend, verlangte für seine (wennschon partikularistische) dogmatische Bearbeitung einen Romanisten. Schon deshalb konnte hier wissenschaftlich Reyscher gegen Wächter, von dem Unter­ schiede der Begabung ganz abgesehen, nicht aufkommen. Bon Reyschers „DaS gesamte Württembergische Privatrecht" lag Bd. 1 schon seit 1837 vor, als Wächters 1. Bd. (1839) erschien; dann folgten von Reyscher Bd. 2 erst 1843 und Bd. 3 endlich 1848. Die beiden ersten Bände haben eine zweite Auflage gefunden unter dem Titel „Gemeines und württembergisches Privatrecht" 1845 und 1847. Wächter führt Reyschers Sammlungen dankbar an 1, 23 f.; des Privatrechts ersten Band trocken, ohne Zusatz 1, 1140. 7) Siehe besonders „Zeitschr. f. deutsches Recht" 1, 40. 8) Vgl. auch schon Reyscher „Über die Bedürfnisse unserer Zeit in der

Gesetzgebung mit besonderer Rücksicht auf den Zustand der letzteren in Würt­ temberg", Stuttgart und Tübingen 1828. Diese Schrift ist die gemeinsame Wurzel von Reyschers Württembergischen Sammlungen und von seinen germa­ nistisch-legislativen Einsichten. 9) So auch im wesentlichen das vorsichtig abwägende Urteil von Gierke a. a. O. S. 26 mit den zugehörigen Noten 99—101.

10) Der Aufsatz „Für und wider das deutsche Recht" datiert vom Jahre 1842, er steht in der Zeitschrift 7, 121 f. Weitere Ausführungen in demselben

225

Zu Kapitel 17, S. 503—504.

Zusammenhang ebenda 9, 337 f. und 10, 153 f., besonders auch über den Be­ griff des gemeinen deutschen Rechts. Dabei tritt Reyschers rattonalistische Nei­ gung, aus der Natur der Sache zu schließen, besonders störend hervor. 11) Wilhelm Eduard Wilda, geboren 17. August 1800 zu Altona, wo sein Baler, der Seligmann hieß, als Chef eines bedeutenden Handelshauses lebte, aber schon 1802 starb. Die Witwe zog nach Hamburg, wo sie zum zweiten Male heiratete. Der Stiefvater Wilda rettete dem Knaben einen Bermögensrest und nahm sich seiner auch sonst so einsichtig an, daß der jungeMann aus Dankbarkeit sich seinen Namen beilegte. Er besuchte das Johanneum zu Hamburg, von 1821 ab die Universitäten Götttngen und Heidelberg, pro­ movierte an letzterer summa cum laude am 14. März 1825, trat in demselben Jahre aus dem Judentum, dem er stets innerlich fremd geblieben war, auch formal zum Christentum über, ging noch zu Ergänzungsstudien nach Kiel und Kopenhagen (dorthin und nach Schweden hat er sich 1834 abermals zur Vor­ bereitung für sein strafrechtliches Werk mit Unterstützung der preußischen Re­ gierung begeben), kehrte Herbst 1826 nach Hamburg zurück, ward daselbst Bürger und nach längerer Reise durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich Advokat, obschon ihm die Praxis wenig zusagte. Auf den Erfolg seiner Forfchungen über das Gildenwesen hin — er erhielt dafür den Preis der Kopen­ hagener Gesellschaft der Wissenschaften — siedelte er nach Halle über, um sich ganz der Gelehrtenlaufbahn zu widmen. Er habilitierte sich dort 1831, wurde noch in demselben Jahre dort ao. und 1842, auf Empfehlung von Savigny und von Jakob Grimm hin, in Breslau o. Professor. Seit 1§48 saß er im Vorstände des zu Breslau errichteten konstitutionellen Zentralvereins, nahm überhaupt mit Feder, Geist und Gemüt lebhaften Anteil an der Bewegung jener Tage, kehrte aber alsdann von ihr, tief bekümmert über ihr Fehlschlagen, fönst jedoch nicht eben ungern zur reinen Forschung zurück. Herbst 1854 nach Kiel an Falcks Stelle berufen, hatte er dort eben seine Tätigkeit ausgenommen, als der Tod ihr ein von Bielen lebhaft beklagtes Ende setzte. — Er wird allfeitig gerühmt wegen seines gesunden, klaren Geistes, seines ausgezeichneten Wissens und auch als edler Mensch, der in einem kleinen, verwachsenen Körper «ine still und warm brennende Flamme echter Begeisterung für Wissenschaft nnd Vaterland mit einer von jedem „Scheinenwollen völlig entfernten Auf­ richtigkeit" (Planck) und echte Herzensgüte hegte. Bezeichnenderweise bezieht sich sein einziger, nicht auf streng historischer Forschung beruhender Aufsatz auf Gewissensfreiheit; er erschien [in der „Zeitschrift für deutsches Recht" Bd. 11, Nr. 5 und 7. — (Nachruf an ihn von I. W. Planck in der „Zeitschrift für deutsches Recht" 16, 444 f., mit Ergänzung von Reyscher, besonders mit mehreren, bezeichnenden und feinsinnigen Briefauszügen ebenda 448 f. — Darnach von Eisenhart in der A. D. B. 42, 491. — Konrad Maurer in der „Kritischen Überschau" 4, 380 f.) 12) Wildas Aufsätze in seiner „Zeitschrift" 1,171 f. (mit einem allgemeinen Vorwort 167—171); ferner in den Bänden 2, 8, 12, 15. 13) Die folgenden Zitate aus Wilda „Strafrecht der Germanen", Vorrede, S. I, IX, XIII.

Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten.

15

226

Zu Kapitel 17, S. 505—509.

14) Hierfür verdient als Vorläufer Wildas genannt zu werden Franz Arnold Maria von Woringen „Beiträge zur Geschichte des deutschen Strafrechts", 1. Beitrag (mehr nicht erschienen), Erläuterungen über das Kompositionenwesen, Berlin 1836, eine auch an sich tüchtige Arbeit, die in selten erfreulicher Weise den echt historischen gegen den philosophischen Standpunkt auf kriminalistischem Gebiete vertritt. — v. Woringen, geboren 6. Juli 1804 zu Düsseldorf, in Heidelberg habilitiert 1828, an die Universität Berlin über­ gesiedelt 1832, »dort 1837 ao. Professor, 1843 als o. Professor wach Freiburg berufen und gegangen, dort gestorben 6. Januar 1870. Bekannt war seinerzeit auch sein Programm „Einige Worte zur Verteidigung der Alberto-Ludoviciana" nämlich gegen den Verdacht klerikaler Gebundenheit, Wintersemester 1846/47 (v. Eisenhart in der A. D. B. 44, 212 f.). 15) Wilda in der „Zeitschrift" 1, 167 f. 16) Puchta bespricht diese neuere, „ungemütliche" germanistische Richtung gelegentlich seiner Anzeige von Savignys System, Bd. 1 in Richters unb Schneiders „Kritischen Jahrbüchern" 1840, S. 675; und kommt darauf zurück im „Kursus der Institutionen" 1. Aufl. 1, 107. 17) Reyscher in der „Zeitschrift" 7, 134.

HI. 3. 1) Über Beseler im allgemeinen Gierke in der „Zeitschrift der SavignyStiftung", germ. Abt. 10, 1 f.; und Goldschmidt in der „Zeitschrift für Handels­ recht" 36, 1 f. — über seine früheren Jahre bis zur Berufung nach Berlin autobiographischer Bericht, bei dem indessen das Politische entschieden in den Vordergrund tritt, mit zahlreichen Anlagen, Aktenstücken, Reden und dergleichen „Erlebtes und Erstrebtes 1809—1859", Berlin 1884. — Namentlich aber er­ schöpfend R. Hübner in der A. D. B. 46, 444—472; weitere Literatur dort z. E. zusammengestellt. 2) Man verlangte zuerst eine abermalige Promotion; nachdem diese am 6. Januar 1835 erfolgt war, fehlten Papiere, die den von der dortigen Regierung geforderten Nachweis einiger praktischer Beschäftigung erbringen sollten, aus der Heimat. Erst als Atteste darüber aus Schleswig beschafft worden waren, erfolgte die Genehmigung zur Abhaltung von Vorlesungen. 3) „Zur Beurteilung der sieben Göttinger Professoren und ihrer Sache", Rostock 1838, wieder abgedruckt in „Erlebtes und Erstrebtes", Anlage 5. Dem entspricht es dann auch, daß Beseler die ihm von Lornsen über die, Unionsver­ fassung Dänemarks und Schleswig-Holsteins „vertrauensvoll zur getreuen Hand" übergebene Abhandlung Jena 1841 treulich veröffentlichte mit einer Charakteristik jenes Patrioten als Einleitung, mit tiefer politischer Wirkung auf die Herzogtümer. 4) „Erlebtes und Erstrebtes", S. 89. 5) Aus diesem Anlässe entstand, während Beseler sonst dem Strafrecht fernsteht, sein „Kommentar über das Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten und das Einführungsgesetz vom 14. April 1851 nach amtlichen Quellen", Leipzig 1851. Irgendwie beträchtlicherer wissenschaftlicher oder prattischer Einfluß kann diesem Werke indessen kaum zugeschrieben werden.

Zu Kapitel 17, S. 509—516.

227

6) Bekannt ist namentlich. ein dramatischer Zusammenstoß mit Bismarck, der im Reichstage am 23. März 1887 erfolgte; siehe Hübner a. a. O. S. 467. 7) Der Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852 in seiner rechtlichen Bedeu­ tung geprüft, Berlin 1863. — Die englisch-französische Garantie vom Jahre 1720, Berlin 1864. — Für die politischen Verhältnisse von Schleswig-Holstein tritt freilich die Stellung von Georg Beseler weit zurück hinter die seines älteren Bruders, des späteren Bonner Kurators, Wilhelm Beseler, der 1806—1884 lebte. Siehe über ihn August Sach in der A. D. B. 46, 473 f. 8) Beseler hat eine ganze Reihe bedeutsamster Gutachten, Schiedssprüche und statuarischer Bestimmungen, besonders betreffend das deutsche Privatfürsten­ recht und sonstige Sondergebiete des deutschen Privatrechts, geliefert. Auf­ gezählt sind sie bei Hübner, a. a. O. 462 f. — Aufsätze staatsrechtlicher Art über die Reichstagskompetenz, über Reichsmilitärgesetz und Budgetrecht von Beseler stehen in den preußischen Jahrbüchern 28, 184 f. und 33, 589 f.. 9) Eine kurze Blütezeit Rostocks, gekennzeichnet durch die erfolgreichen Berufungen von Männern wie Planck, Otto Mejer, Windscheid, E. I. Bekker scheint wesentlich auf Beselers dortige Wirksamkeit sich zurückführen zu lassen. 10) Albrecht besprach Beselers Erbverträge, zuerst den ersten Band in den >,Göttingischen Gelehrten Anzeigen" von 1835, Stück 54 und 55, sodann die folgenden Bände in Richters und Schneiders Jahrbüchern (1842) 11, 321 f.; daraus S. 322 das im Text folgende Zitat. 11) Für die Lehre von den Testamentsvollstreckern, die Beseler in der „Zeitschrift für deutsches R." 9, 144 f. behandelt, erscheint als Vorgänger Beselers Pauli, der schon früher genannte Germanist des lübischen Ober­ gerichts in seinen „Abhandlungen aus dem lübischen Recht" III § 16 f. Außer­ dem Scholz III, Über Testamentsvollzieher, Altenburg 1841. Dieser S ch o lz III,

den wir gleichfalls schon mehrfach zu nennen hatten, ist ein fruchtbarer, prak­ tischer Schriftsteller über mancherlei durchweg germanistische Sondergebiete, das Baurecht, das Landwirtschaftsrecht, auch das eheliches Güterrecht auf den deut­ schen Bauerngütern, aus den 30 er und 40 er Jahren. Er war offenbar ange­ regt und gefördert durch Christian Ludwig Runde, der sein Buch von 1837 über die Erbfolge unter den Ehegatten auf Bauerngütern ebenso mit einem Vor­ worte versehen hat, wie ein anderes Buch desselben Verfassers von Mittermaier mit einem Vorworte aus gestattet worden ist. 12) Vergleiche oben zu Beginn des Abschnittes III 2 in diesem Kapitel. 13) Sorgfältige Analyse von Beselers Werk über Volksrecht und Juristen­ recht namentlich bei Zitelmann, Gewohnheitsrecht und Irrtum, im „Archiv für die zivilistische Praxis" 66, 323 f., besonders 387 und 437 Anrn. 194; darnach Hülbner a. a. O. 470/ 14) Volksrecht und Juristenrecht S. 42. 15) Über die Einzelheiten siehe Zitelmann a. a. O.; da sie für die Weiter­ gestaltung der literärgeschichtlichen Entwicklung nicht maßgebend geworden sind, so brauchen sie hier nicht entwirrt zu werden. 16) Volksrecht und Juristenrecht S. 121. 17) Ebenda S. 157.

228

Zu Kapitel 17, S. 514-516.

18) Ebenda S. 364. 19) Wegen der Umstimmung zugunsten der Schwurgerichte, die wenigstens für Kriminalsachen einige Jahre nach der Veröffentlichung von „Volksrecht und Juristenrecht" bei Beseler stattfindet, siehe Gierke, Rede v. 1903, S. 52 Note 73. 20) Reyscher in der „Zeitschrift für deutsches Recht" 6, 363 f. 21) Bolksrecht und Juristenrecht S. 239. 22) Puchta, in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik von 1844 Bd. 1 S. 1 f.; auch in Separatausgabe erschienen. , 23) Beselers Antwort findet sich in einem deshalb besonders erschienenen Nachträge zu „Bolksrecht und Juristenrecht", Leipzig 1844, in Form eines seinen Gegner persönlich und pathetisch anredenden Schlußwortes. 24) K. G. v. Wächter, Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Strafrecht. Leipzig 1844 S. 183 f., besonders Note 223. 25) Reinhold Schmid in Richters und Schneiders Jahrbüchern (Jahr­ gang 1844), 15, 385. — Die hier an Beseler und an der historischen Schule zugleich geübte Kritik kehrt wieder in Schmids selbständigem Werke (siehe mehr darüber und über Schmid im allgemeinen unten Kap. 19 I 2) „Theorie und Methodik des bürgerlichen Rechts", Jena 1848, besonders in dessen zweiter Abteilung „Die Form der Rechtsbildung", S. 167 f. Schmid bekämpft da die ganze Rechtsentstehungslehre der historischen Schule als auf einer ungerecht­ fertigten Hypostasierung und Personifizierung des Volksgeistes beruhend. Da­ durch werde der Begriff eines objektiven Willens, eines sittlichen Organismus künstlich gewonnen und eben dadurch der wirkliche Grund allen Ethos, aller geschichtlichen Bewegung und aller Rechtsbildung, der einzelne Mensch und sein Denken, zurückgedrängt. Mit anderen Worten, Schmid stellt sich auf einen (im Sinne der Scholastik) streng nominalistischen Standpunkt und wirft der histo­ rischen Schule Realismus vor. Vielmehr, meint er, müsse man aus der mensch­ lichen Natur anthropologisch die Entstehung des Rechts herleiten; einen Volks­ geist gebe es weder im Sinne Savignys und Puchtas noch im Sinne Beselers, sondern bloß vom Staate gesetztes Recht einerseits und hauptsächlich, daneben gewillkürtes Recht und Herkommen andererseits- Gewohnheitsrecht und Gerichts­ gebrauch haben für Schmid ihre Gültigkeit nur aus einem consensus spe­ cialis des Gesetzgebers, Rechtsbildung von seilen der Wissenschaft im eigent­ lichen Sinne gibt es nicht, sondern nur, insofern die Wissenschaft die in der Natur der Sache und des Menschen gegebenen Rechtsanschauungen und Rechts­ sätze ans Licht zieht und entwickelt. Man versteht von diesem Ergebnisse aus rückblickend erst, wieso für Schmid der Schritt Beselers ein solcher nach der richtigen Seite hin, aber eben auch nur ein durchaus ungenügender erster Schritt sein mußte. 26) Heinrich Thöl, Bolksrecht, Juristenrecht, Genossenschaften, Stände, Gemeines Recht, Rostock und.Schwerin 1846. 26a) Vgl. etwa auch die äußerst scharf tadelnde, fast geringschätzige Äuße­ rung von Gervinus -über Beselers Buch in einem Briefe von Grimm, in: Briefwechsel zwischen Grimm, Dahlmann und Gervinus, herausgegeben von Jppel, 2, 252 f.

Zu Kapitel 17, S. 517—521.

229

27) Otto Gierke, der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht, Leipzig 1889. 28) Hübner a. a. O. S. 469. 29) Kleinere schriftstellerische Arbeiten aus Beselers späterer Zeit finden sich zusammengestellt z. B. bei Hübner a. a. O. S. 463. Darunter sind die Festgaben: Für Savigny 1860, Zur Geschichte des deutschen Ständerechts: für Bethmann-Hollweg 1868, Der Neubruch nach älterem deut­ schen Recht; und für Homeyer 1871, Über die Gesetzeskraft der Kapitularien. — Ferner zwei Aufsätze in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte „Über die deutschen Kaiserurkunden als Rechtsquellen" (2, 367 f.) und „Über den Judex im bay­

rischen Volksrecht" (9, 244 f.). — Die Wiederannäherung an den romanistischen Flügel der historischen Schule spricht sich deutlich genug in der Adresse der beiden erstgenannten Festschriften aus. Die Bewegung war zur Ruhe gekommen, höheres Alter und gemeinsame Tätigkeit in derselben Fakultät mochten hinzu­ getreten sein; doch hat Beseler zeitlebens nicht Savigny den kühlen Brief -ver­ geben, mit dem dieser, auf die Zusendung von „Volksrecht und Juristenrecht" antwortend, die Germanisten schließlich auf den Ausbau der „Provinzialrechte" verwiesen hatte, vgl. den Wortlaut dieses Briefes vom 13. Oktober 1843 in „Erlebtes und Erstrebtes" S. 253 als Anlage 7, und dazu Beselers Bemer­ kung im Texte dieses Buches S. 52. 30) Im einzelnen stellt Hübner a. a. O. S. 467 an Beiträgen Beselers zu einem deutschen bürgerlichen Gesetzbuche etwa noch folgende zusammen: Be­ sprechung von Rundes ehelichem Güterrecht, 1844, in Richters und Schneiders kritischen Jahrbüchern 16, 581 f., mit Ratschlägen betreffend künftige gesetzgebend Regelung dieser Materie, die genau den Weg empfehlen, der später tatsächlich beschritten wurde. — Gutachten für den fünften deutschen Juristentag 1864, über das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle. — Denkschrift über die Stellung des bürgerlichen Gesetzbuches zum Familienrecht des hohen Adels, 1877, in den Ergebnissen wesentlich in den Art. 57 und 58 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ausgenommen. — Und: Rektvratsrede vom 3. August 1880, gedruckt als Anlage 4 zu „Erlebtes und Erstrebtes". — Unmittelbare Mitarbeit ist Beseler bekanntlich nicht vergönnt gewesen. III. 4. 1) „Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt a. Main am 24., 25. und 26. September 1846", Frankfurt a. Main 1847; und „Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck am 27., 28. und 30. September 1847", Lübeck 1848. 2) Frankfurter Verhandlungen S. 9. 3) Reyscher, in seiner Zeitschrift 7, 142; angeführt wird dort List, das nationale System der politischen Ökonomie, 1, 96 und 134. 4) Frankfurter Verhandlungen S. 151. 5) Anton Christ, damals Ministerialrat in Karlsruhe, 1847 Hofgerichtsdirektor in Rastatt, einer der eifrigsten Vorkämpfer des einheimischen Rechts, hatte 1842 eine Schrift erscheinen lassen über deutsche Nationalgesetz­ gebung, worin er Abschaffung des römischen und des französischen Rechts und

230

Zu Kapitel 17, S. 521—525.

Schaffung einer vaterländischen, in ihren Grundzügen auf deutschem Recht ruhenden Gesetzgebung verlangt hatte; vgl. Gierke, Rede v. 1903, S. 45 Note 38 und S. 53 Note 80. Mit Recht spricht da Gierke Christ das Verdienst zu, daß er „zuerst" — nämlich ganz anders als seinerzeit Thibaut — „die Kodifikation aus geschichtlichen und organischen Gesichtspunkten begründet" habe. 6) Frankfurter Verhandlungen S. 151. 7) Lübecker Verhandlungen S. 233. 8) Gierke a. a. £). S. 25 unten und S. 54 Note 91. 9) Näheres auch bei Gierke a. a. O. S. 58 Note 110.

IV. 1. 1) Ludwig Friedrich Wilhelm Duncker, geboren zu Rinteln 6. Januar 1804, Universitäten Marburg und Göttingen, hier promoviert 1628, habilitiert Ostern 1829 und später Universttätsaktuarius, seit 1833 nach Mar­ burg übergesiedelt als Dozent, Universitätssyndikus und Aktuar der juristischen Fakultät, ebenda 1841 ao. Professor, Ostern 1843 als Nachfolger Thöls zur o. Professur nach Göttingen berufen, dort aber bald schon so schwer erkrankt, daß er seine Lehrtätigkeit einstellen mußte; gestorben Göttingen 2. August 1847 (Frensdorfs in der A. D. B. 5, 472). 2) Wilhelm Theodor Kraut, geboren zu Lüneburg 15. März 1800, studierte 1819 zu Göttingen, 1820 und 1821 zu Berlin, Dr. jur. am 10. August 1822 und habilitiert Oktober desselben Jahres zu Göttingen, 1825 Beisitzer des dortigen Spruchkollegiums, 1828 ebenda ao., 1836 o. Professor, 1850—1853 durch Wahl seiner Universität Mitglied der ersten Hannöverschen Kammer, ge­ storben zu Göttingen 1. Januar 1873. (Eisenhart in der A. D. B. 17, 92 f.) 3) Als unmittelbar vorangegangen zu nennen die „Grundzüge eines Systems des deutschen Privatrechts mit Einschluß des Lehnrechts", Jena 1828> von Friedrich Ortloff, damals Professor zu Jena, späterem Präsidenten des Oberapellationsgerichts dortselbst, der sich auch um Quellengeschichte ver­ dient gemacht hat durch seine „Sammlungen deutscher Rechtsquellen" Bd. 1, Das Rechtsbuch nach Distinktionen 1836, und Bd. 2, Das Rechtsbuch Johann Purgoldts nebst statutarischen Rechten von Gotha und Eisenach, 1860. — Friedrich Ortloff, der Vater des Kriminalisten Hermann Ortloff, geb. zu Erlangen 10. Ok­ tober 1797, gestorben zu Jena 10. Oktober 1868, ist auch bekannt geworden durch die Redaktion der Entwürfe einer Strafprozeßordnung und eines Straf­ prozeßbuches für die thüringischen Staaten, angefertigt 1849, Gesetz geworden 1850; ferner namentlich durch häufig maßgebende Mitarbeit als Vertreter der Länder seines Gerichts bei der Abfassung des sächsischen bürgerlichen Gesetz­ buches von 1863; und ebenso endlich bei den, wennschon ohne gesetzliches Er­ gebnis gebliebenen Beratungen derselben Sächsisch-Thüringischen Kommission über den Entwurf einer Zivilprozeßordnung. Auf strengem Aktenstudium soll beruhen seine „Geschichte der Grumbachschen Händel", ,4 Bde., Jena 1868—1870. (Nekrolog von dem Sohne Hermann O. in den Blättern für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, Bd. 16, auch separat erschienen. — Darnach K. Schulz in der A. D. B. 24, 449 f.)

Zu Kapitel 17, S. 525—528.

231

4) Kleinere Werke von Kraut: »De argentariis et nummulariis«, Göt­ tingen 1826. — De codicibus Lüneburgensibus quibus libri juris germ. medio aevo scripti continentur, Göttingen 1830. — Das alte Stadtrecht von Lüneburg, Göttingen 1845. IV. 2.

1) Hierfür war vorangegangen die Ausgabe, die auf Plancks Anregung 1847 nach einer Göttinger Handschrift besorgt worden war von Friedrich Wilhelm Unger, dem Verfasser der Werke über „Die altdeutsche Gerichts­ verfassung", 1842, und „Die Geschichte der deutschen Landstände", 2 Bde.,' 1844, 1845; dieses letztere Buch wird von Mohl (2, 327) gerühmt als „den besten Einzelschriften der geschichtlichen Schule" zuzuzählendes. Unger hat 1810—1876 gelebt, wurde der rechtsgeschichtlichen Forschung durch Eichhorn gewonnen, kehrte aber später mit bleibender Liebe und starken Erfolgen zu seiner älteren Neigung, -er Kunstgeschichte, zurück, der er sich namentlich seit 1858 ausschließlich zu Göttingen gewidmet hat: die Rechtswissenschaft verschwand seitdem für ihn so vollständig, daß ihm seine eigenen Bücher gänzlich fremd wurden. — Aus seiner juristisch-germanistischen Epoche stammen noch Abhandlungen über die älteste Geschichte des öffentlichen Rechts in den Landen zwischen Niederrhein und Niederelbe (1839), über den Zweikampf (in den Göttinger Studien 2, 1847), und über römisches und nationales Recht, 1848. In letzterer Studie wird das Verhältnis des kastilianischen Rechts nicht unfein zum Vergleich des gegen­ wärtigen Kampfes zwischen römischem und deutschem Recht herangezogen. — Alle diese juristischen Arbeiten Ungers kennzeichnet Frensdorff dahin, daß sie sich zeitgemäße Aufgaben gestellt haben, auch mit Fleiß und Quellenkenntnis ver­ faßt sind, aber doch wegen ihres Mangels an Gestaltungskraft wenig in die wissenschaftliche Entwicklung einzugreifen vermochten. (F. Frensdorff in der A. D. B 39, 289 f. mit umfassenden weiteren Literaturangaben.) 2) Siehe oben Stintzing, Gesch. S. 10 f.

3) Eine weitere Handausgabe, besorgt von Weiske 1840, ist ohne beson­ deren kritischen Wert, lediglich nach der Leipziger Handschrift gearbeitet und, wie der Herausgeber selbst bemerkt, wesentlich der alten Gärtnerschen ähnlich. Aber sie ist bequem in Format und 'Ausstattung, sowie durch die Beigabe eines auf Homeyerscher Grundlage gearbeiteten Glossars und hat deshalb fortwährend bis heute (spätere Auflagen besorgt von R. Hildebrand) im Gebrauche gestanden; 8. Auflage 1905.

4) Brunner, a. a. O. (oben S. 141) S. 44. 5) Frensdorff a. a. O. S. 47. 6) Alexander v. Daniels (Verwandtschaft mit dem früher besprochenen H. G. W. Daniels nicht nachweisbar), geboren zu Düsseldorf 9. Ottober 1800, 1843 Rat am rheinischen Kassationshof, 1844 o. Professor der Rechte und Mit­ glied des Obertribunals zu Berlin, dort gestorben 4. März 1868 (Teichmann in v. Holtzendorffs Rechtslexikon s. h. v. — E. Ullmann in der A. D. B. 4, 734 f.).

Zu Kapitel 17, S. 528—531.

232

7) Daniels, Handbuch der für die Kgl. Preuß. Rheinprovinzen verkündeten Gesetze uff. Die beiden ersten Bände herausgegeben zusammen mit Karl Th. F. Bormann.

8) Geschichte und System des französischen und rheinischen Zivilprozesses, 1849. — Grundsätze des rheinisch-französischen Strafverfahrens, 1849. — Die Zivilstandsgesetzgebung für England und Wales, 1851.

9) Handbuch der deutschen Reichs- u. Staatenrechtsgeschichte 1859—1863. — Deutsche Rechtsdenkmäler des Mittelalters, mit Gruben und Kühns heraus­ gegeben 1857—1863.

1862.

10) Lehrbuch des gemeinen preußischen Privatrechts, 1851, 1852-; 2. Ausg. Erweitert zu einem „System des preußischen Zivilrechts", 1866. 11) Ficker „Über einen Spiegel deutscher Leute und dessen Stellung zum

Sachsen- und Schwabenspiegel", 1857; Sonderabdruck aus den Berichten der philosophisch-historischen Klasse der Wiener Akademie der Wissenschaften 23, 115 f. Vgl. Stobbe, Gesch. d. deutsch. Rechtsquellen 1, 328, Notel; und jetzt näheres bei I. Jung, Julius Ficker S. 254 f.

12) Homeyer, in den „Monatsberichten der Berliner Akademie" 1857, S. 622 f. über sonstige Zustimmung und Anerkennung, die Ficker allseitig fand. Jung a. a. O. S. 257. 13) v. Daniels, Spiegel der deutschen Leute, 1858.

14) Dagegen erfolgte allerdings eine Duplik Fickers „über die Entstehungszeit uff." 1859. In demselben Jahre hat Ficker den „Spiegel deutscher Leute" selbst herausgegeben.

15) Siehe oben, Stintzing, Gesch., S. 9, Text zu Note 2. 16) Jetzt allerdings • dagegen Aloys Meister „Zur Deutung des Harttgemal" in Steinhaufens „Archiv für Kunstgeschichte" 1906, S. 395 f.; und Phi­ lipp Heck, das Hantgemal des Codex Falkeneteinensis und anderer Fund­ stellen, in den „Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung" 28, 1 f. 17) Heck a. a. O. S. 49. 18) Vorläufer und Beiträge zu den Hausmarken 1868, Nachträge 1872. 19) Brunner a. a. O. S. 53.

IV. 3. 1) Der von Lahberg hinterlassene Text des Schwabenspiegels wurde herausgegeben und mit Vorrede versehen durch Reyscher; siehe auch über beide Ausgaben, die von Lahberg und die von Wackernagel, Reyscher in seiner Zeit­ schrift 7, 157 f. 2) Friedrich Leonhard Anton Freiherr v. Laß berg, geboren zu Lindau 13. Mai 1798, studierte zu Freiburg, Heidelberg, Göttingen und Jena, dort promoviert 3. August 1819, alsdann hohenzollern-sigmaringischer Beamter, zuletzt 1836 Direktor des Hofgerichts und der Landesregierung, ge­ storben 30. Juni 1838 (Reyscher in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Schwaben-

Zu Kapitel 17, S. 531—533.

233

spiegels. — Franz Muncker innerhalb des dem Vater gewidmeten Artikels in der A. D- B- 17, 783 f.). 3) Vgl. den Brief des Vaters an Reyscher, datiert „auf der alten Meers­ burg, am Bodensee, 30. September 1842", abgedruckt in Reyschers Zeitschrift a. a. O. S. 161 f. 4) Als von Wackernagel aus dem Kreise der deutschen Rechtsquellen herausgegeben ist außerdem noch anzuführen das Bischofs- und Dienstmannen­ recht von Basel, 1852.

IV. 4. 1) Ernst Theod or Gaupp, geboren 31. Mai 1796 zu Kleingaffron bei Raubten in Schlesien, bestand zwischen der Teilnahme an beiden Abschnitten der Befreiungskriege Ostern 1815 sein Abiturientenexamen, bezog die Uniberfh täten Ostern 1816 Breslau, Michaelis 1817 Berlin, Ostern 1819 Göttingen, promovierte 16. September 1820 mit Auszeichnung auf Grund einer romanistischen Dissertation zu Berlin unter Bieners Vorsitz, habilitierte sich zu Breslau Herbst 1820, wurde ebendort Oktober 1821 ao. und, nachdem er Juli 1822 bis Mai 1823 mit staatlicher Unterstützung eine fruchtbare Studienreise nach Italien gemacht hatte (er fand da u. a. in Neapel ein Stück einer sehr alten Pandektenhandschrift, das er 1825 herausgab), 1826 o. Professor. Er trat 1832 außerdem in das Oberlandesgericht zu Breslau ein und ist, in diesem Amte und akademisch bis zuletzt tätig, zu Breslau, 10. Juni 1859, gestorben. (Hermann Schulze, in der. „Zettschr. f. deutsch. Recht" 20, 108 f. mit weiteren Angaben über Ganpps kleinere Ausgaben und Aufsätze, über seine politischen Flugschriften und Anschauungen und über seine ganze Persönlichkeit. — Dazu Nachwort von Reyscher ebenda. — H. Schulze in der A. D. B. 8, 425 f.) 2) Einzelne mehr dogmatische Ansätze, z. B. betr. die Gewere im ersten Bande der „Zeitschrift für deutsche Rechtswissenschaft", und eine Enzyklopädie .von 1823 sind von wesentlich geringerer Bedeutung. Eine Sammlung seiner germanistischen Abhandlungen erschien Mannheim 1853. 3) Heinrich Gottfried Philipp Gengler, geboren 25. Juli 1817. zu Bamberg, verließ das dortige Gymnasium 1835, studierte zu Würzburg und Heidelberg, besonders unter Mittermaier, von dem er sich lebenslänglich Vor­ liebe für strafprozessuale praktische Probleme und Vorlesungen aneignete, wurde 1841. zu Erlangen auf Grund einer außerordentlich umfassenden Dissertation und ebenso außerordentlicher persönlicher Ängstlichkeit zum Dr. jur. in absentia

kreiert, bestand 1842 als Erster seiner Reihe die zweite Staatsprüfung, habili­ tierte sich in Erlangen, wo er dann zeitlebens verblieben ist, 1843 für krimi­ nalistische Fächer, nahm, durch eine Lücke im Bestände der Fakultät bewogen, bald germanistische hinzu, wurde dafür 1847 ao. Professor ohne Gehalt, 1850 mit Gehalt, 1851 o. Professor. Bon der Lehrtätigkeit entbunden 1891. Ge­ storben zu Erlangen 29. November 1901 (Sehling, in der „Zettschr. d. SavignyStistung, germ. Abt., 23, 1 f.). 4) Paul Johannes Merkel ist geboren 1. August 1819 zu Nürnberg aus städtischem Patriziergeschlecht, in dem schlicht innerlich religiösen und ge-

234

Zu Kapitel 17, S. 534.

Liegen konservativen Geiste dieses Geschlechts festgewurzelt und diesem Geiste gleichmäßig treu in Leben und Wissenschaft. Schon dadurch war für ihn ein nahes inneres Verhältnis zu Savigny wohl vorbereitet, ein Verhältnis, das für Äerkel maßgebend in jeder Beziehung werden sollte. — Zunächst besuchte Merkel das Nürnberger Gymnasium, dann seit Herbst 1836 die Universität München; dort wohnte er im Hause seines mütterlichen Oheims, des Oberkonsistorialpräsidenlen v. Roth, dessen Sohn Paul Roth ihn später an Berühmt­ heit als Germanist noch überholen sollte. Merkel vertauschte nach dem Tode seines Balers, 1838, die Universität München mit Erlangen und trat Ende 1840 als Konzipient bei einem Rechtsanwalt in Nürnberg in die praktische Tätigkeit ein. Indessen setzte er auch während dieser Zeit die wissenschaftliche Beschäftigung fort und wurde dabei hauptsächlich bestimmt durch Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (persönlich lernte er Savigny erst viel später kennen), sich ähnlichen Studien zu widmen. Er entschloß sich deshalb im Januar 1845 zu einer längeren italienischen Studienreise, die ihn über Genua nach Rom, von dort nach Neapel und Sizilien, dann nach Monte Cassino und wieder für längere Zeit (November 1845 bis Juli 1846) nach Rom, endlich nach allen größeren Orten Norditaliens führte. Sie wurde durch die bedeutsamsten Funde und Ergebnisse gelohnt. Im April 1847 nach Nürn­ berg heimgekehrt, erwarb er die Erlanger Doktorwürde und verlegte nun, seiner umfassenden Veröffentlichungen wegen, seinen Wohnsitz nach Berlin, wo er sich alsbald auch (Januar 1850) habilitierte. Bon dort wurde er nach Königsberg 1851 als ao. Professor, jedoch bereits 1.852 als o. Professor nach Halle berufen, wo er dann bis an sein frühes Lebensende, die Ferien meist in Nürnberg verbringend, gelebt und gewirkt hat. Am 19. Dezember 1861 ist er zu Halle gestorben. Seiner anhänglichen Liebe an die Vaterstadt gibt eine Stiftung Ausdruck, die er ihr mit seinen kostbaren Familiensammlungen, darunter dem berühmten silbernen Tafelaufsatz von Jamnitzer und einer Reihe Original-Kupfer- und Holzschnitte von A. Dürer gemacht hat. (Über ihn ein Aussatz von dem nächst ihm genauesten Kenner des lombardischen Rechts und seiner Geschichte, August Anschütz, in der „Zeitschr. f. Rechtsgesch." 3, 193; — noch eingehender, unter genauer Würdigung auch seiner kirchlichen Stellung, seiner kirchenrechtlichen Abhandlungen, seines musikalischen Verständnisses und Standpunktes, seiner Lehrtätigkeit und seiner ganzen eigenartig melancholischen Persönlichkeit überhaupt Böhlau in der A. D. B. 21, 439 f.) — Über August

Anschütz, 1826—1872, den Herausgeber der Lombarda-Kommentare des Ariprand und Albertus, Heidelberg 1855, und der Summa legis Longobardoram, Halle 1870, siehe v. Savigny in der A. D. B. 46, 16. Es ist derselbe, der auch einen Kommentar zum deutschen HGB. zusammen mit v. Völderndorff in drei Bänden, Erlangen 1868—1874, geschrieben und die 5. Ausgabe von Zachariaes Handbuch des französischen Zivilrechts, Heidelberg 1852 f., besorgt hat.

5) Archivio storico Italiano 1846 App. III, p. 692 s. 6) „Zeitschrift für deutsches Recht" 12; 281 f. Siehe darüber auch v. Amira in der A. D. B. 53, 539 gelegentlich der Paul Roth gewidmeten Lebens­ beschreibung.

Zu Kapitel 17, S. 534—537.

235

7) Darüber auch, im Vergleich mit den vorangegangenen Ausgaben von Pardessus und Waitz, letzterer in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen" von 1851, Stück 96, S. 953 f. 8) Hierbei wurde Merkel schon wesentlich unterstützt von Boretius, der dann seine Hilfsleistungen auf Bluhme übertrug. Siehe unten Kap. 20. III, 5. 9) Karl Lehmann, „Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" 10, 469 f., und die neue Ausgabe in Bd. 5, 1 der Quartausgabe der Leges, 1888, mit ausführlicher Vorrede. 10) Die drei Abhandlungen über den Judex, über die Adelsgeschlechter und über das Firmare im bayerischen Volksrecht, „Zeitschrift für Rechtsgesch." 1, 131 f.; 1, 255 f.; und 2, 101 f.: die beiden letzteren nach Merkels Tode herausgegeben, die eine von Böhlau, die andere von Paul Roth. — Eine „mit besonderer Liebe gearbeitete Abhandlung über die Quellen und Handschriften" des bayerischen Volksrechts im „Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Rechtskunde" 11, 593 f. (1858). 11) Worte aus der Widmung der Geschichte der Langobarden an Savigny. 12) Commentatio qua Juris Siculi sive assisarum regni Siciliae fragmenta ex codicibus manuscriptis proponuntur, akademische Festschrift von Halle zu Henkes 50 jährigem Jubiläum 1856. 13) Karl Otto Johannes Theresius Freiherr v. Richth ofen, geboren 30. Mai 1811 auf dem väterlichen Gute zu Damsdorf bei Striegau in Schlesien, gestorben ebendort 6. März 1888. Er studierte zu Breslau bei UnterHolzner, in Berlin unter Savigny und Eichhorn und in Göttingen unter Jakob Grimm, promoviert zu Halle 1840, habilitiert 1841 zu Berlin, wurde dort bald darauf zum ao. Professor ernannt, legte aber 1860 die Professur nieder und lebte seitdem meist zu Damsdorf, die Winter über aber häufig in Berlin. Er war auch parlamentarisch und mit Eifer als praktischer Landwirt tätig; im Jahre 1860 machte ihn die Berliner philosophische Fakultät zu ihrem Dr. honoris causa, seit 1868 war er sehr augenleidend, trotzdem aber „mit eiserner Energie und selbstloser Hingebung der Forschung treu geblieben" (Brunner in der „Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung", germ. Abt., 9, 247 f.). 14) Brunner a. a. O. S. 249. 15) Über Johann Martin Lappenberg Pauli in der A. D. B. 17, 707 f. mit zahlreichen weiteren Literaturangaben. 16) Emil Franz Rößler, geboren zu Brüx in Böhmen 5.Juni 1815, studierte die Rechte zu Prag, promovierte dort 1842 mit einer Dissertation „über das Ausgedinge auf deutschen Bauerngütern", lehrte dann an der dor­ tigen Universität als Supplent der Lehrkanzel für österreichisches Zivilrecht, bis er 1846, wie der Text berichtet, nach Wien ging. Im Jahre 1847 reiste er durch Deutschland und nahm dabei auch an der ofterwähnten Germanisten­ versammlung teil. Dann kehrte er 1848, als Abgeordneter des Wahlbezirks Saaz in das Frankfurter Parlament entsandt, wieder in deutsche Verhältnisse zurück. Sein Anschluß an die Gagernsche Partei und seine Abstimmung für das preußische Erbkaisertum scheint ihn dann in Österreich unmöglich gemacht

zu haben, während Ansätze zu einer akademischen Laufbahn in Deutschland,

236

Zu Kapitel 17, S. 538—539.

besonders durch Habilitation als Privatdozent in Göttingen, ebenso aussichtslos sich gestalteten. So mußte er 1858 mit einer Berufung nach Erlangen als 2. Bibliothekar fürlieb nehmen, und es noch als Verbesserung ergreifen, als er 1862 mit dem Titel eines Hofrats als Bibliothekar der Fürsten von Hohenzollern nach Sigmaringen gerufen wurde. Dort ist er am 5. Dezember 1863 seiner Nervenkrankheit erlegen. Seine späteren Forschungen bezogen sich auf die Geschichte der Universität Göttingen (1855) und auf die Biographie von Leibnitz; in letzterer Beziehung sind die bedeutsamen Funde, die er gemacht hat, nach seiner Angabe durch den Franzosen Foucher de Careil verwertet worden. (Wahlberg in der „Allgemeinen österreichischen Gerichtszeitung" vom 19. Dezember 1863, Nr. 152, Abdruck in des Verfassers gesammelten Schriften 1, 216 f. - Wattenbach in der A. D. B. 29, 264 f.)

IV. 5. 1) Homeyer gewidmet erschien von Waitz 1871 die Schrift: „Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert, mit einem An­ hänge über Freien- und Schöffengut"; 2. Aufl., Berlin 1886.

2) Weitere Bände: Zweiter 1847; dritter 1860; vierter 1861; fünfter 1874; sechster 1875; siebenter 1876 und achter 1878. Das Werk reicht bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts. Weitere Auflagen 1865—1885. Zur allgemeinen Orientierung über Waitz siehe etwa F. Frensdorff in der A. D. B. 40, 602 f. mit reichen Literaturangaben. 3) Frensdorff a. a. O. S. 623; vgl. auch Waitz selbst in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen", Jahrg. 1851, Stück 96, S. 976. 4) Gesammelte Abhandlungen von Georg Waitz. 1. Bd. „Abhandlungen zur deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte", herausgegeben von Karl Zeumer, Göttingen 1896. Ich nenne von den Aussätzen im Text nicht die Stücke 1, 2 und 3 dieser Sammlung, da deren Ergebnisse wohl in die große Verfassungsgeschichte übergegangen sind. Die Rezensionen beschäftigen, sich be­ sonders wehrfach mit Ficker; im einzelnen können sie hier nicht besprochen werden. 5) Diese Schrift ist in die Sammlung nicht ausgenommen; siehe zu ihr noch die Kritik von Waitz über andere Ausgaben in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen" 1850, Stück 32—35, S. 320—340, und 1851, Stück 96, S. 953—975. — Voraufgegangen war allerdings schon die grundlegende Ausgabe von Pardessus; vgl. über diesen unten Kap. 18, III.

6) Diese beiden Aufsätze Nr. 5 und 8 der Sammlung. Der erste davon erschien zuerst in den „Abhandlungen der Göttinger Gesellschaft für Wissen­ schaften" Bd. 7, der andere in Sybels „Historischer Zeitschrift" 13, 90 f. Zu vergleichen auch der Artikel „Lehnswesen" in Bluntschlis und Braters Rechts­ wörterbuch 6, 357 s., Nr. 7 der Sammlung. 7) „Abhandlungen der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften" Bd. 6,

Nr. 4 der Sammlung.

Zu Kapitel 17, S. 539—543.

237

8) Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1886, 19. Sitzung der philosophischen und historischen Klasse Dom 1. April, Nr. 10 der Sammlung. 9) Zuerst erschienen in der Kieler allgemeinen Monatsschrift für Wissen­ schaft und Literatur 1853; nicht ausgenommen in die gesammelten Abhand­ lungen. — Zur Geschichte und Bedeutung dieser Schrift vgl. Brie „Der Bundes­ staat" besonders S. 105 f.; Zorn, „Die Entwicklung der Staatsrechtswissenschaft seit 1866" im Jahrbuch des öffentlichen Rechts, herausgegeben von Jellinek, Laband und Piloty, 1907, S. 47 f., besonders S. 60 f.; und Meinecke „Welt­ bürgertum und Nationalstaat", S. 463 f. 10) Darüber, daß diese anonym erschienene Flugschrift, die sich selbst als „Eine Stimme aus Bayern" bezeichnet, nicht, wie vielfach angenommen, von Dünniges, sondern von Bluntschli herrührt, siehe Brie a. a. O. S. 83 Anm. 44. Bluntschli hat dann das dort Vorgetragene am Schluffe seiner Geschichte des Schweizerischen Bundesrechts (Bd. 1 Kap. 34) weiter aus geführt. 11) Über Stahls Schrift „Die deutsche Reichsverfassung nach dem Beschlusse der deutschen Nationalversammlung und nach dem Entwürfe der drei königlichen Regierungen beleuchtet", geschrieben und zweimal gedruckt im Jahre 1849, siehe Meinecke a. a. O. S. 475. Sie ist fast ausschließlich politischen, nicht juristischen Inhalts. 12) Karl Hegel, geboren zu Nürnberg 7. Juni 1813, gestorben zu Er­ langen, wo er seit 1856 Professor der Geschichte war, 5. Dezember 1901; über ihn vom juristischen Standpunkte aus U. Stutz in der Zeitschrift der SavignyStiftung, germ. Abteilung, Bd. 23 S. XXXIII f. 13) Erinnert sei außerdem an einen anderen Historiker und Ranke-Schüler, den später als Berater und Freund König Maximilians II. von Bayern bekannt und verdient gewordenen Franz Alexander Friedrich Wilhelm von Dünniges (1814—1872), wegen seines Werkes „Das deutsche Staatsrecht und die deutsche Reichsverfassung" Bd. 1 (mehr nicht erschienen), Berlin 1842. Es behandelt nur die Zeit von der Krönung Karls des Großen bis in das 11- Jahrhundert, wird aber, soweit es reicht, wegen seiner bedeutenden Gelehr­ samkeit nicht nur, sondern namentlich auch wegen des darin betätigten „staats­ männischen Blickes" gerühmt. Dagegen ist Dönniges nicht der Verfasser der „Bemerkungen über die neuesten Vorschläge zur deutschen Verfassung" von 1848, die vielmehr von Bluntschli herrühren, siehe soeben Note 10 (v. Mohl a. a. O. 2, 256; Rumpler, in der A. D. B. 5, 339 f). 14) Nikolaus Adolf Westphalen, geboren zu Hamburg 7. Mai 1793, studierte in Göttingen, promovierte dort 8. Marz 1820, war seitdem Rechtsanwalt in Hamburg und später Sekretär der Oberalten ebenda, dort gestorben 22. September 1854 (Hermann Joachim in der A. D. B. 42, 228). 15) Westphalen „Hamburgs Verfassung und Verwaltung in ihrer allmäh­ lichen Entwicklung bis auf die neueste Zeit", 2 Bde., 1841, und in zweiter Auf­ lage 1846; und „Geschichte der Hauptgrundgesetze der Hamburgischen Verfassung", 3 Bde., 1844—1846. Von diesen beiden Werken ist das erstere dasjenige, dem v. Mohl a. a. O. 2, 390, das im Text wörtlich angeführte Lob spendet.

238

Zu Kapitel 17, S. 543—545.

16) F e r d i n a n d D o n a n d 1, geboren zu Bremen 3. Juni 1803, gestorben ebendort 3. Juni 1872. Es handelt sich um ein Jugendwerk desselben Mannes, der später in seiner Vaterstadt bei dem Verfassungskampfe des Jahres 1848, dann als Senator, namentlich als leitendes Mitglied der Justizkommission des Senates eine bedeutsame Tätigkeit auf dem Gebiete der Rechtspflege, besonders für die Organisation des Gefängniswesens nach dem Pönitentiarsystem, entfalten und sich als Kriminalist vorteilhaft bekannt machen sollte durch den 1861 er­ schienenen „Entwurf eines Strafgesetzbuches der freien Hansestadt Bremen". Von ausführlichen sowohl rechtsphilosophischen wie rechtsgeschichtlichen Motiven begleitet, ist dies ein Werk sowohl gediegenster wissenschaftlicher Bildung, wie gesetzgeberischer Trefflichkeit, das weithin Aufmerksamkeit erregte und vor allem als Fortschritt über das zugrunde gelegte preußische Strafgesetzbuch hinaus Anerkennung fand. Darum war dieser Entwurf auch besonders geeignet bei der Ausarbeitung eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund — weil diese so nahe bevorstand, hatte man in Bremen selbst 1868 davon abge­ sehen, auf Grund des umgearbeiteten Donandtschen Entwurfes ein eigenes Strafgesetzbuch zu erlassen — berücksichtigt zu werden, wie es denn auch sowohl sachlich wie persönlich durch.Berufung Donandts in die vorbereitende Kommission (Berlin, Oktober—Dezember 1869) der Fall gewesen ist. Bei all dem scheint es Donandt mehr um gründliche, als um rasche Arbeit zu tun gewesen zu sein, so daß er, der geduldig 1852—1861 an der Abfassung, 1862—1868 an der Revision des Bremischen Entwurfes gearbeitet hatte, das schnelle Tempo der norddeutschen Strafgesetzgebung nicht zu billigen vermochte. Spätere Nachträge zu seinem verfassungsgeschichtlichen Jugendwerk hat er gelegentlich im Bremischen Magazin, eine größere Studie über den Bremischen Zivilprozeß des 14. Jahr­ hunderts im fünften Bande des Bremischen Jahrbuchs 1870 geliefert. (Ehmcke in der A. D. B. 5, 328 f.)

IV. 6. 1) Von kleineren germanistischen Schriften von Phillips aus dieser Zeit zu nennen „Die Lehre von der ehelichen Gütergemeinschaft", 1830. Ferner eine Abhandlung in den Wiener Sitzungsberichten 24, 26 „Die deutsche Königs­ wahl bis zur goldenen Bulle", stark vermehrt wieder abgedruckt in Band 3 seiner gesammelten Schriften.

2) Heinrich Zöpfl, geboren zu Bamberg 8. April 1807, vorgebildet zu München, wo sein Vater Appellationsgerichtsrat war und zu Bamberg, studierte seit April 1824 zu Würzburg, promovierte da 1827, setzte dann seine Studien in Heidelberg fort, dort Privatdozent seit 1828, ao. Professor seit 1834, o. Professor 1842, Vertreter der Universität in der badischen ersten Kammer seit 1860, hörte erst Ende 1876 auf zu lesen und ist zu Heidelberg 4. Juli 1877 gestorben. (Heinze in der Augsburger allgemeinen Zeitung von 1877 S. 2883 f., Gedächt­ nisrede; und in der Kritischen Vierteljahrsschrift 20, 304 f. — Teichmann in Holtzendorffs Rechkslexikon s. h. v. — v. Schutte in der A. D. B. 45, 432 s. — Jellinek in der Heidelberger Festschrift von 1905 1, 268 f., sowie auch v. Lilien-

Zu Kapitel 17, S. 545—549.

239

thal ebendort 1, 240 f. — Über seine Werke außerdem v. Mohl, Geschichte und

Literatur der Staatswissenschasten 1, 308; 2, 264, 267, 304, 306, 328, 384). 3) Vgl. dafür Zöpfl, Abhandlung in der „Zeitschrift für deutsches Recht" 5, HO f. (Jahrgang 1841) über „Das germanische Element im Code Napoleon". 4) In der Schrift „Konstitutionelle Monarchie und Volkssouveränität", Frankfurt 1848, steht Zöpfl im wesentlichen auf parlamentarisch konstitutionellem Standpunkte; aber dieser hat sich ihm bekanntlich allmählich nach den Stürmen der Revolution und mit dem Alter immer mehr ins Strengkonservative umge­ bildet. Schließlich ist Zöpfl der entschiedenste Anhänger des Deutschen Bundes und des Frankfurter Bundestages geworden, die dadurch gegebene erschien ihm als die normale Gestaltung des staatlichen deutschen Lebens, so daß er den Um­ wälzungen von 1866 keinerlei Verständnis, geschweige denn Zuneigung mehr entgegenzubringen vermochte. 5) „Über Mißheiraten in den deutschen regierenden Fürstenhäusern über­ haupt und im Oldenburgischen Gesamthause insbesondere", 1853; „Über hohen Adel und Ebenbürtigkeit", 1853; und zahlreiche Einzelgutachten. 6) Weitere gelegentliche Beiträge zur Gerichtspraxis des Mittelalters gibt Zöpfls Rektoraisrede vom Jahre 1849 „Über den Prozeß von Kurmainz gegen

Götz von Berlichingen wegen Beschädigungen im Bauernkriege", eine höchst interessante Veröffentlichung aus den einschlägigen Prozeßakten selbst, wesentlich für das Charakterbild des Götz und für seine Rolle im Bauernaufstände. 7) Auf diese spätere Forschung, namentlich auf das gediegene Buch von Karl Güterbock (lebt noch unter uns, geboren 18 April 1830 zu Königs­ berg, wo er später dauernd Professor war) über die Entstehungsgeschichte der Carolina, von 1876, und auf das weiterführende Werk über „Die Quellen der Bambergenais, ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts" von Emil Brunnenmeister, Leipzig 1879, kann hier nicht mehr eingegangen werden; denn die gesamte Tätigkeit beider, besonders Brunnenmeisters (erlebte 1854 bis 1896) liegt jenseits der Grenze von 1870. Brunnenmeister ist wohl als Schüler Osenbrüggens anzusehen, dessen Nachfolger er 1879 wurde (v. Savigny in der A. D. B. 47, 297 s.); er hat auch demgemäß das römische Strafrecht gründlich beherrscht und behandelt (Tötungsverbrechen, Leipzig 1887). 8) Dies Urkundenbuch umfaßt das alte Bamberger Stadtrecht, das GerichtSbuch der Stadt Bamberg, kleinere Ordnungen und einzelne Rechtsfälle. 9) Weitere Auflagen 1876 und 1883.

IV. 7. 1) Eduard Osenbrüg gen, geboren 24. Dezember 1809 zu Ütersen in Holstein, vorgebildet auf dem Gymnasium zu Hildesheim, studierte klassische Philologie zu Kiel und Leipzig, habilitierte sich dafür 1835 zu Kiel, trat 1842 zur juristischen Fakultät über, folgte gegen Ende 1843 einem Rufe als ordent­ licher Professor des Strafrechts nach Dorpat, geriet dort Sommer 1851 mit der Regierung in Konflikt, infolgedessen er seines Lehrstuhls enthoben wurde. Er wurde noch im Herbste desselben Jahres nach Zürich als Nachfolger von Geib

240

Zu Kapitel 17, S. 549—551.

berufen und ist dort in seiner Stellung bis zu seinem Ende, 9. Juni 1879, ge­ blieben. Außer seiner wissenschaftlichen, vielgestaltigen und vielumfassenden Pro­ duktion ist er stets auch eifrig akademisch tätig gewesen, besonders durch krimi­ nalistische Übungen, ferner populär-literarisch, durch Aufsätze und Schriften zu­ nächst über baltische Lebensverhältnisse („Nordische Bilder", 1853. 2. Auflage, 1864) später in sehr starkem Umfange über Schweizer kulturhistorische Verhält­ nisse, über Land und Leute aus der Urschweiz, ja selbst durch Abfassung des Textes für illustrierte Schweizer Prachtwerke u. dgl. m. Geschildert wird er als „eine gerade, offene Natur, liebenswürdig, wennschon etwas empfindlich im Ver­ kehr mit Kollegen und Freunden, anregend und fördernd gegenüber seinen Schülern und Zuhörern, pflichttreu und unerschrocken im Amte, ein warmer Verehrer der Schweiz, ohne das alte deutsche Vaterland je aus dem Herzen zu verlieren." (So R. Lüning in der A. D. B. 24, 463 f. — Pözl in der Kriti­ schen Vierteljahresschrift 22, 321 f. — A. v. Orelli im Berner Bund vom 19. Juni 1879, Grabrede). 2) Ähnlich war ein anderer Mitarbeiter des Kriegelschen Corpus Iuris

zugleich historischer Kriminalist, nämlich der später als Kirchenrechtschriftsteller be­ kannt gewordene Emil Herrmann. Er hat eine für ihre Zeit treffliche Biographie des Johann Frhrn. zu Schwarzenberg, des Verfassers der Carolina, 1841, als Beitrag zur geschichtlichen Behandlung des Strafrechts beigesteuert. Siehe über Emil Herrmann und das Kriegelsche Corpus) Iuris überhaupt oben Note 42 zu Kap. 13, II, 3 und über Emil Herrmann als Kanonisten unten in diesem Kapitel VI, 3, z. E. 3) Diese kleinen Aufsätze erschienen zunächst in der von Osenbrüggen mil­ herausgegebenen „Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins in Zürich", dclnn auch gesammelt unter dem Titel „Deutsche Rechtsaltertümer aus der Schweiz", drei Hefte, Zürich 1858, 1859. Ferner sind ihrer mehrere veröffentlicht in der „Österreichischen Gerichtszeitung", in der „Zeitschrift für deutsches Recht", in der „Heidelberger kritischen Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft", Ad. 5, in der „Zeitschrift für Rechtsgeschichte", Bd. 1, in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische -Klasse, in der „Münchner kritischen Vierteljahrsschrift" (besonders in Band 8 über das Straf­ recht in Kaiser Ludwigs Landrechtsbuch von 1346), auch eine Gratulations­ schrift für Mittermaier von 1859 gehört dazu. Übrigens beschränken sich alle diese Aufsätze keineswegs ausschließlich auf das alemannische Rechtsgebiet noch auf das Strafrecht, doch geben diese den weitaus überwiegenden Stoffkreis ab. 4) In dem Aussatze „Die Aufgabe einer Geschichte des deutschen Straf­ rechts", Münchener kritische Vierteljahresschrift 4, 200 f. 5) Außer Zöpfl und Osenbrüggen läßt sich aus der Zeit vor Güterbock und Brunnenmeister (siehe soeben Note 7 zu IV, 6), aber in diese noch Hinein­ ragend als gründlicher historischer Kriminalist derselben Art noch aufführen: Hermann Seeger, geboren 18. August 1829 zu Stuttgart, Privatdozent in Tübingen 1854, ao. Professor daselbst 1858, mit Gehalt 1862, o. Professor ebenda als Nachfolger Geibs 1864, gestorben ebenda, nachdem er von der Professur 1. Oktober 1901 zurückgetreten war, 12. Juni 1903. Seine Arbeiten gingen

Zu Kapitel 17, S. 552.

241

ähnlich wie die von Osenbrüggen vom römischen Rechte aus, behandeln aber die Geschichte des Strafrechts von da bis in die neueste Zeit unter besonderer Berücksichtigung der dogmengeschichtlichen und literärgeschichtlichen Entwicklung, jedoch immer nur in einzelnen Beiträgen und nicht in ganz so streng methodolocisch quellenmäßiger und tiefgrabender Forschung, wie die Osenbrüggens; da­ neben Dogmatisches. — So enthalten schon seine „Abhandlungen aus dem Strafrecht" von 1858 (erster Band) als Hauptstück in der dritten Erörterung „Bemerkungen über die Grundansichten des römischen und deutschen Rechts von der Notwehr und den mit ihr verwandten Fällen der Selbsthilfe" eine aus­ führliche Dogmengeschichte der Materie von Rom bis zur Neuzeit. — Ferner zu nennen: „Über die Ausbildung der Lehre vom Versuch der Verbrechen in der Wissenschaft des Mittelalters", Tübingen 1869. — „über das Verhältnis der Rechtspflege zum Gesetze zur Zeit Ciceros", Festschrift für Wächter 1869. — „Tie strafrechtlichen Consilia Tubigensia von der Gründung der Universität bis zum Jahre 1600" (aus den Beiträgen zur Geschichte der Universität Tübingen) 1877. — „Über versuchte Verbrechen nach römischem Recht", 1879. — Endlich „Die Strafrechtstheorien Kants und seiner Nachfolger im Verhältnis zu den allgemeinen Grundsätzen der kritischen Philosophie", Festschrift für Berner, 1892. — Von den dogmatischen Schriften wohl am bedeutendsten Bd. 2 der „Abhandlungen aus dem Strafrecht", über die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, 1862, mit weitgehender Inanspruchnahme solcher Rückwirkung, aber auch mit gründlicher geschichtlicher und literärgeschichtlicher Einleitung. (Teichmann in Beitelheims biographischem Jahrbuch für das Jahr 1903). — Bei alledem bleibt indessen stets das gellende Recht nach wie vor getrennt von diesen, wennschon sonst noch so verdienstlichen geschichtlichen Untersuchungen. Anders wird das erst zum Teile bei Glaser und Wahlberg, s. unten Kass. 20, VI, 2; und namentlich ist auf die Überwindung dieses Mangels gerichtet die Lebensarbeit von Richard Löning (geboren zu Frankfurt a. M. 17 August 1848, jetzt o. Professor der Rechte zu Jena), die aber wieder über den zeitlichen Rahmen dieses Buches allzusehr und allzuvollständig hinausgeht, als daß sie hier noch eingehender besprochen werden konnte. Immerhin dürfen wohl seine beiden Werke wenigstens genannt werden: „Über Ursprung und rechtliche Be­

deutung der in alldeutschen Urkunden enthaltenen Strafklauseln", 1875; und „Der Reinigungseid bei Ungerichtsklage", 1880. Es ist derselbe Kriminalist, dessen Rede vom 29. April 1882 hier fortwährend, stets mit lebhaftem Danke, fast immer mit sachlicher Zustimmung benutzt worden ist: auch hat er noch jüngstens in einer abermaligen Programmschrift von 1907 („Über Wurzel und Wesen des Rechts") an den letzten Grundsätzen der historischen Schule mit Gewandtheit und Feinheit in neuerer Form festgehallen.

IV. 8. 1) Über Johann Kaspar Bluntschli ausführlich die von dem Herausgeder aus seinen Tagebüchern und Briefen zu Ende geführte Autobiographie „Denkwürdiges aus meinem Leben", auf Veranlassung der Familie durchgesehen und veröffentlicht von Dr. Rudolf Seyerlen, 3 Bände 1884. Siehe ferner die ßaibSbetg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Q. Noten. 16

242

Zu Kapitel 17, S. 552—555.

gesamte oben bei Keller angeführte Literatur und den Artikel von Meyer von Knonau in der A. D. B-47, 29 f. Endlich die Festrede von Meili: I. C. Bluntschli und seine Bedeutung für die moderne Rechtswissenschaft, Zürich 1908; die etwas übertriebene Bemessung, die den „unsterblichen Verdiensten" Bluntschlis dort zuteil wird, ist wohl Zeit und Ort zugute zu halten. 2) Die erste Formulierung dieser ju8t6-miIl6u-Doktrin findet sich bereits in Bluntschlis Jugendschrist von 1831 „Das Volk und der Souverän im all­ gemeinen und mit besonderer Rücksicht auf die schweizerischen Verhältnisse." Dieser Schrift treten freilich Bluntschlis eigene Denkwürdigkeiten 1, 133 f. recht skeptisch als einer unreifen Arbeit gegenüber; soweit sie sich aber einerseits gegen „Souveränitätsschwindel der Menge" wendet und andererseits zur re­ präsentativen Staatsform, sei diese sonst monarchisch oder republikanisch, be­ kennt, entsprechen die Äußerungen dieser Schrift schon den dauernd von Bluntschli festgehaltenen Überzeugungen. 3) Über die Rolle, die dabei Bluntschli, besonders in der Angelegenheit

der Berufung und Pensionierung von Strauß gespielt hat, neuestens ausführ­ lich, aber doch wohl übermäßig scharf gegen Bluntschli Theobald Ziegler, David Friedrich Strauß 1, 289 f., und dagegen wieder Adolf Hausrath in der „Deut­ schen Rundschau" vom 1. März 1908 S. 394. 4) Bluntschli, Denkwürdiges 1, 196. 5) Weitere Auflagen des allgemeinen Staatsrechts, München 1857 ; München 1863; München 1869; fünfte umgearbeitete Auflage unter dem Titel „Lehre vom modernen Staat", davon die beiden ersten Bände Stuttgart 1875, ein dritter Teil unter dem besonderen Titel „Politik als Wissenschaft" 1876; jene, beiden ersten Bände in 6. Auflage durchgesehen von E. Loening 1885/86. 6) Die erste Auflage des Staatswörterbuches wurde vollendet 1870. Da­ neben begann seit 1869 unter Bluntschlis Aufsicht und E. Loenings Leitung eine neue, wesentlich abgekürzte Auflage zu erscheinen, die fertiggestellt in drei Bänden 1875 vorlag. 7) Karl Brater war mit Bluntschli durch die gemeinsame Hinneigung zu Rohmer und zu dessen Ideen in Verbindung gekommen. — Brater ist ge­ boren am 27. Juni 1819 zu Ansbach, wo sein Vater Appellationsgerichtsrat war, studierte zu Erlangen, Heidelberg und Würzburg, wurde nach einigen Jahren vorbereitender Praxis in Nürnberg und München 1847 als Hilfsarbeiter in die Gesetzgebungskommission des bayerischen Justizministeriums berufen, dann Bürgermeister der Stadt Nördlingen, mußte diese Stellung wegen des Konfliktes mit der konservativen Partei und mit der Kreisregierung Januar 1851 niederlegen, lebte seitdem als Privatmann zuerst in Nördlingen, seit 1855 in München. Er wurde 1858 von der Stadt Nürnberg zum Landtagsabgeord­ neten gewählt und ist dauernd im Besitze seines Mandates geblieben bis zu seinem am 20 Oktober 1869 zu München erfolgten Tode Seine literarischen Arbeiten bezogen sich zunächst (1848) auf eine Reform des Erbrechts im Sinne eines ergänzend eingreifenden, staatlichen oder gemeindlichen Erbrechts, dann auf bayerisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht, das er durch zahlreiche und gediegene Abhandlungen und Kommentare (zu einer Reihe einzelner Ge-

Zu Kapitel 17, S. 555—557.

243

setze, zu großen Abschnitten eines von Dollmann herausgegebenen Sammel­ werks und auch zur Gerichtsordnung) und besonders durch Herausgabe der „Blätter für administrative Praxis", gegründet 1851, wesentlich förderte; end­ lich auf politische Fragen, die er in einer Reihe gediegener und wirksamer Flugschriften im liberal-konstitutionellen und namentlich im entschiedenst deutsch­ nationalen Sinne behandelte. Er gehörte September 1859 zu den Begründern des deutschen Nattonalvereins und ließ am 1. Oktober desselben Jahres die „Süddeutsche Zeitung" in München ins Leben treten, um im täglichen jour­ nalistischen Kampfe für die Einigung Deutschlands unter preußischer Führung zu wirken. Auch war er Redakteur der ähnlich gerichteten bayerischen Wochen­ schrift, Mitglied des Ausschusses des deutschen Nationalvereins und zuletzt noch in der Schleswig-Holsteinischen Sache für den Augustenburger tätig. In seinen letzten Lebensjahren zwang ihn erschütterte Gesundheit auf einen Teil dieser Wirksamkeit zu verzichten. (Einen besonders warmen und inhaltsreichen Nach­ ruf widmet ihm, als selbstlosen Patrioten, hochstehenden Publizisten und edlen Menschen, Frensdorff in der A. D. B. 3, 261 f., wo auch weitere Literatur­ angaben sich zusammengestellt finden; seine Verdienste speziell um die Wissen­ schaft des Verwaltungsrechts, der er durch „prinzipielle und begriffsscharfe Behandlung des Stoffes in Bayern ihre ersten Fundamente" gegeben habe, würdigt Piloty, Festgabe für Laband, 1, 271 f. 8) Zuerst 1866 bloß „Das moderne Kriegsrecht der zivilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt" (2. Auflage 1874); dann erweitert „Das moderne Völkerrecht der zivilisierten Staaten als Rechtsbuch dargelegt" 1868, weitere Auflagen 1872 und 1878, auch mehrfach in fremde Sprachen übersetzt. Dem Werke soll Liebers Entwurf einer Instruktion für die Feldarmee der vereinigten nordamerikanischen Staaten (siehe unten Kap. 18, V. 4 z. E.) als Vorbild ge­ dient haben. 9) Vgl. Bluntschlis Vorschläge zugunsten der Industriearbeiter in den Denkwürdigkeiten 2, 212. 10) Diese zuerst deutlich hervortretend in den „Psychologischen Studien über Staat und Kirche", Zürich 1844. 11) Vgl. dafür auch etwa noch Bluntschlis Vorträge: „Geschichte und Recht der religiösen Bekenntnisfreihett", Elberfeld 1867; und „Altasiatische Gottes- und Welttdeen in ihren Wirkungen auf das Gemeinleben der Menschen dargestellt", Nördlingen 1866. 12) Siehe darüber etwa eingehend F. v. Holtzendorff „I. C. Blurttschli und seine Verdienste um die Staatswissenschaft", Berlin 1882, und A. Rivier in »Revue de droit international« 13, 612 f. 13) 2. Auflage 1856; vgl. Bluntschlis eigene Angaben in den Denk­ würdigkeiten 1, 194 f. 14) über diese verschiedenen Perioden in der Entwicklung der schweizeri­ schen Rechtsgeschichte Ulrich Stutz, gelegentlich der Rezension einiger einschlägiger Sonderforschungen in der „Zeitschr. d. Savigny-Stiftung", germ. Abt., 27, 422 f. 15) Die Geschichte des schweizerischen Bundesrechts erschien in einem Bande 1849, ein Urkundenband folgte 1852; die zweite Auflage erschien 1875.

244

Zu Kapitel 17, S. 557—559.

— Vorangegangen war eine rein politisch-geschichtliche, auf neue gelehrte For­ schung weder gestützte noch Anspruch erhebende „Geschichte der Republik Zürich", 2 Bände bis zu Zwinglis Tod 1846, wozu Hottinger 1856 einen 3. Band ge­ liefert hat; und eine eindringende Untersuchung: „Der Tag zu Stanz um Weihnachten 1481" in dem Archiv der von Bluntschli mitgegründeten allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz, Bd. 4. 16) Wegen des Schlußkapitels, das Bluntschlis Auffassung über Bundes­ staat und Staatenbund weiter entwickelt, siehe oben Note 10 zu diesem Kap. IV. 5 und ausführlicher Brie, der Bundesstaat S. 83 f. 17) Denkwürdigkeiten 1, 390 f.

18) Bluntschli gab sein Gesetzbuch selbst mit kurzen Anmerkungen im Drucke heraus 1853—1855 und in 2. Auflage 1864—1865. 19) Bluntschli, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, 2. Auflage 1860, dritte besorgt von Felix Dahn 1864.

20) Johann Jakob Blümer, geboren zu Glarus 29. August 1819, gestorben zu Lausanne 12. November 1875, Schüler von Keller und Bluntschli, Savigny, Ranke und Ritter (dem Geographen). Er schrieb außer dem im Text genannten Werke ein schweizerisches Bundesstaatsrecht in 2 Bänden, 1863 bis 1864, begründete auch einen kantonalen historischen Verein, in dessen Jahr­ büchern er zahlreiche geschichtliche Aufsätze, auch eine „Urkundensammlung zur Geschichte des Landes Glarus" 1865 veröffentlicht hat. Er war mehrfach Präsi­ dent des Ständerais in Bern, gehörte seit 1848 dem Bundesgerichte an und wurde, als dieses 1874 nach Annahme der revidierten Verfassung ständige Be­ hörde mit dem Sitz in Lausanne ward, dort als Schöpfer des betreffenden Organisationsgesetzes nicht nur Mitglied, sondern erster Präsident (Joachim Heer in dem genannten Jahrbuch 14, 1 f. — Meyer von Knonau in der A. D. B. 47, 26 f.). 21) Philipp An ton von Segesser, aus luzernischem Patrizier­ geschlecht geboren zu Luzern 3. April 1817, gestorben ebendort 30. Juni 1888, studierte zu Heidelberg, Bonn und Berlin, an letzteren beiden Universitäten beeinflußt von Walter und Savigny, und trat darauf in die Dienste seiner Vaterstadt, dort stets gern angestellt, so oft die konservativ-klerikale Richtung herrschte, sonst in oft hoffnungslose Opposition gedrängt, trotzdem aber einen in solcher Zeit an ihn ergangenen Ruf des Ministers Grafen Leo Thun nach Österreich (zur Professur für deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht

in Graz) aus patriotischem Opfersinn abzulehnen imstande. Ein Aufschwung seiner Partei brachte ihm im Jahre 1872 die Stelle als Schultheiß. Um so schroffer ablehnend aber stand er der Bundesverfassung von 1874 gegenüber und ebenso den meisten modernen Gestaltungen, der Gotthardbahn wie den neuen deutschen Verhältnissen. — Seine politischen, publizistischen und histori­ schen Veröffentlichungen können hier nicht genannt werden, als Ergänzungen zu dem im Text genannten Werke seien angeführt seine Übersicht über die Rechtsquellen in Luzern, in Bd. 5 der „Zeitschrift für schweizerisches Recht", seine Ausgabe des alten Stadlrechts von Luzern, 1855, und seine Abhandlung

Zu Kapitel 17, S. 559.

245

über das Bürgerliche Gesetzbuch von 1812 im 3. Bd. der „Zeitschrift der kanto­ nalen juristischen Gesellschaft" (Meyer von Knonau in der A. D. B. 33, 594 f.). 22) Georg v. Wyß, aus einer angesehenen Familie, deren Mitglieder vielfach an der Spitze der städtischen Geschäfte gestanden hatten, geboren als Sohn des Bürgermeisters David v. Wyß zu Zürich 31. März 1816, gestorben ebendort 17. Dezember 1893, Professor der Geschichte an der dortigen Uni­ versität. (Ausführliches Lebensbild von Meyer von Knonau in einem dortigen Lokalblatt, in Separatausgabe erschienen, Zürich 1896. — Auszug daraus in der A. D. B. 44, 417 f.) — über Friedrich v. Wyß, gestorben im Alter von fast 90 Jahren am 29. November 1907, früher lange o. Professor der Rechte zu Zürich, und über seine privat- wie verfassungsrechtlich bedeutsamen Werke (Ges. Abhandlungen, Zürich 1892) U. St. in der Zeitschr. d. Savigny-Stiftung, germ. Abt. 28, 639 f.; Zeitschr. f. schweiz. Recht 49, z. A.; und Meyer v. Knonau i. d. Anzeiger f. schweiz. Gesch. 9, 397 f. 23) Friedrich Georg v. Bunge, geboren zu Kiew 1. März 1802, nach dem Tode des Vaters mit der Mutter 1815 nach Dorpat übergesiedelt, absol­ vierte das dortige Gymnasium 1818, erhielt 1821 eine silberne Medaille für eine Preisschrist >De veterum romanorum agnatione«, 1822 Lektor der russi­ schen Sprache an der Universität und Translateur bei ihrer Behörde, bald auch Privatdozent des Provinzialrechts, 1825 Ratsherr der Stadt Dorpat und Stadt­ syndikus, 1827 von der Heidelberger juristischen Fakultät wegen seiner Schrift über das livländische Ritterrecht zum Dr. iuris in absentia promoviert, 1831 oo., 1832 o. Professor des Provinzialrechts an der Universität Dorpat, bis 1837 neben Clossius, dann neben Carl Otto v. Madai, dem trefflichen Romanisten und durch die politischen Wirren der Zeit viel umhergeworfenen Lehrer, dem bekannten Verfasser des Werkes „Die Lehre von der Mora", Halle 1837 (1809—1850, siehe Steffenhagen in der A. D. B. 20, 29 f.). Als beide durch einen Gewaltstreich der russischen Regierung 1842 von der Uni­ versität vertrieben wurden, siedelte Bunge nach Reval über, wo er Stadt­ syndikus und bald auch wortführender Bürgermeister, sowie Präsident des Städtekonsistoriums wurde. Er wurde 1856 vom Grafen Bludow in die zweite Abteilung der eigenen Kanzlei des Kaisers als Oberbeamter zur Kodifikation des Privatrechts nach Petersburg berufen, schied nach Bewältigung dieses Werkes aus dem Staatsdienste aus und nahm nun seinen Wohnsitz in Deutsch­ land, zuerst in Gotha 1865—1879, dann in Wiesbaden, wo er, 95 Jahre alt, im März 1897 gestorben ist. (Über ihn nach einer in den 80 er Jahren ver­ faßten, 1891 von W. Greiffenhagen herausgegebenen Selbstbiographie, aber unter Verbesserung einzelner dort eingeschlichener Ungenauigkeiten H. Diederichs in der „Baltischen Monatsschrift" 1897, Bd. 44, Jahrg. 39, S. 357 f., Abdruck einer in der Sitzung der kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst am 4. April 1897 gehaltenen Rede.) 24) Über Dabelow siehe oben, Landsberg, Gesch., Text 441, Noten 282. — Kurze Zeit trat daneben als Bunges Lehrer der bekannte Patriot und Politiker Wilhelm Snell (1789—1851), der später in Bern eine naturrechtlich-demokratische Staatsrechtschule begründete (sein Naturrecht erschien Langenau 1857

246

Zu Kapitel 17, S. 559-564.

neue Ausgabe Bern 1885), während er früher einmal, 1819, auf Grund jeiner „Kriminalistischen Abhandlungen", Gießen 1819, durch Steins Vermittlung Aussicht auf das kriminalistische Ordinariat zu Bonn zu haben schien, dann sich aber mit Dorpat hatte bescheiden müssen (Wilhelm Oechsli in der A. D- B. 34, 512 f.). 25) Bereits in v. Bunges erster Schrift von 1822: „Wie und nach welchen Regeln müssen die in Livland geltenden Gesetze interpretiert werden?" — denn schon hier wird getrennte Behandlung jeder Rechtsquelle nach Entstehungszeit und Zusammenhang verlangt. 26) „Wie kann der Rechtszustand Liv-, Esth- und Kurlands am zweck­ mäßigsten gestaltet werden? Geschichtlich entwickelt." Ein auf Anlaß des Grafen Speransky erstattetes Gutachten über die damals in Fluß gekommene Kodifikationsfrage. 27) Besonders zu nennen Bunges Ausgabe des Revaler Stadlrechts mit gediegener literärgeschichtlicher Einleitung, zwei Bände 1844 und 1847; und zuletzt noch „Alllivlands Rechtsbücher zum Teil nach bisher unbenutzten Texten", Leipzig 1879. 28) Den Zivilprozeß betreffend gesellt sich von späteren Dorpater Rechts­ lehrern zu Bunge namentlich noch Oswald Schmidt, der vom 17. Januar 1823 bis zum 29. Juli 1890 gelebt hat, in Dorpat habilitiert feit 1860; vgl. über ihn und die wissenschaftliche wie theoretische Bedeutung seines Haupt­ werkes über den ordentlichen Zivilprozeß nach livländischem Landrecht (Dorpat 1880) Engelmann in der A. D. B. 55, 883 f. V. 1.

1) Hans Karl Briegleb, geboren zu Bayreuth 1. Mai 1805, studierte zuerst Theologie, dann Rechtswissenschaft, ließ sich in Nürnberg als Advokat nieder, wurde auf sein erstes Buch hin als o. Professor der Rechte 1842 nach Erlangen berufen, ging dann in gleicher Stellung 1845 nach Göttingen, wo er am 5. September 1879 gestorben ist (v. Savigny in der A. D. B. 47, 233 f.). 2) Diese Zitate sind wörtlich beigegeben in einem besonderen zweiten Teil, der nur diese „Chrestomathie von Belegstellen" enthält. 3) Hinzuzunehmen als romanistische Grundlage die Dissertation von 1843: Summatim cognoscere quid et quäle fuerit apud romanos. 4) Wetzells Polemik gegen Briegleb in den „Kritischen Jahrbüchern" 1848, S. 769 f.; vgl. zu alledem Oetker in der „Zeitschrift für Zivilprozeß" Bd. 15, vn f. 5) Brieglebs spätere Abhandlungen erschienen gesammelt in einem Bändchen 1868.

V. 2.

1) Johann Julius Wilhelm (später von) Planck, Enkel des be­ kannten Kirchenhistorikers Gottlieb Jakob Planck zu Göttingen, Vetter des heute berühmteren, weil an unserem neuen Bürgerlichen Gesetzbuche so wesent­ lich beteiligten G. Planck, ist geboren zu Göttingen, 22. April 1817. Durch

Zu Kapitel 17, S. 565—568

247

Privatunterricht vorgebildet, trat er 1829 in die Sekunda des Göttinger Gym­ nasiums, bezog Ostern 1834 die Universität Jena, studierte weiter Herbst 1834 bis 1835 in Göttingen unter Mühlenbruch, Albrecht und Dahlmann, dann wieder bis 1837 in Jena, promovierte dort 20. August 1837, habilitierte sich in Göttingen, nachdem er da ll/2 Jahre als Auditor am Kgl. Amt tätig ge­ wesen war, auch als Akzessist an der Universitätsbibliothek Stellung gefunden und Repetitorien gegeben hatte, im Jahre 1839, war seit 1841 Assessor am dortigen Spruchkollegium und wurde 1842 als o Professor nach Basel berufen. Von da ging er in gleicher Eigenschaft nach Greifswald 1845, wo er auch Mit­ glied des Appellationsgerichts war und als solcher 1849 der ersten dortigen Schwurgerichtssession vorsaß. Unmittelbar hintereinander an das berühmte Oberappellationsgericht Lübeck und als Falcks Nachfolger nach Kiel berufen, entschloß er sich, Oktober 1850 an letztere Universität überzusiedeln, an der er von da ab Zivilprozeß, Strafrecht und Strafprozeß lehrte, auch mit besonderem Erfolge prozessuale Übungen leitete. Er trat ferner in Kiel als ao. Mitglied dem Oberappellationsgericht bei und unterließ es nicht, als entschiedener Augusten­ burger sich an der politischen Tagesbewegung zu beteiligen. Als Nachfolger des Kriminalisten Dollmann wurde Planck 1867 nach München berufen, ging also offiziell zunächst für Strafrecht dorthin, jedoch unter sttllschweigender An­ nahme, daß er auch für Zivilprozeß an Stelle des alternden Bayer eintteten werde. Als dieser 1876 starb und Planck nun auch formal das Fach des Zivil­ prozesses übertragen wurde, stellte er seine Strafrechtsvorlesungen ein. In München wurde er ferner 1881 Mitglied der Kgl. bayer. Akademie, sodann Vorsitzender der Kommission für die Savigny-Stiftung und Mitglied der histo­ rischen Kommission. In den 90 er Jahren begann er seine Lehrtätigkeit einzu­ schränken ; Ostern 1895 ließ er sich von ihr ganz entbinden; gestorben ist er zu München am 14. September 1900. (Lothar Seuffert in der „Zeitschr. f. deutsch. Zivilproz." 28, Vf. — v. Bechmann in der „Allgem. Zeitung", Jahrg. 1900, Beilage Nr. 230. — Ernst Mayer in der „Zeitschr. d Savigny-Stiftung", germ. Abt., 22, XVH f.) 2) Festrede in der öffentlichen Sitzung der Kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften vom 27. Dezember 1888, gedruckt in den Schriften der Akademie 1889. Selbstverständlich sind die Ausführungen dieser Rede im Text hier viel­ fach verwertet. Damals hat I. W. Planck auch bei dieser Akademie die An­ regung zu einer Sammlung und Veröffentlichung der Magdeburger Schöffen­ sprüche im großen Stile gegeben; der erste, 1901 von Friese und Liesegang cherausgegebene Band davon ist seinem Andenken gewidmet. 3) Vorbereitet durch seine Habilitationsschrift über die »continentia causae«, Göttingen 1829. 4) Vgl. etwa im allgemeinen W. Endemann „Die Entwicklung des Be­ weisverfahrens im deutschen Zivilprozeß seit 1495", Bonn 1895, S. 96 f. und außerdem namentlich Lothar Seuffert a. a. O. S. X. 5) Dasselbe gilt für einen Artikel von Planck über Beweisführung in der „Zeitschrift für deutsches Recht" 10, 204 f. Vgl. Ernst Mayer a. a. O. S. XIX, 6) Seuffert a. a. O. S. XIII.

248

Zu Kapitel 17, S. 568.

7) Etwa noch anzuführen zwei kleinere antiquarische Aufsätze in den Sitzungsberichten der Bayer. Akademie der Wissenschaften, vgl. Ernst Mayer a. a. O.

V. 3. 1) Georg. Wilhelm Wetzell, geboren am 23. Januar 1815 zu Hof­ geismar in Kurhessen, erhielt den ersten Unterricht an der dortigen Stadt­ schule, der sein Baler als Rektor Vorstand, besuchte dann das Kasseler Gym­ nasium, trug sich eine Zeitlang mit dem Plane, Theologie zu studieren, ent­ schied sich dann aber für die Rechtswissenschaft. Er bezog die Universität Marburg Herbst 1833 und hörte dort bei Bangerow und Büchel, namentlich aber bei Puchta, unter dessen bestimmenden Einfluß er damit trat Dem­ gemäß verwandle er ein ihm nach bestandenem Kandidatenexamen Frühjahr 1838 zugefallenes Reisestipendium nicht nur zunächst zu einigen weiteren Studien­ semestern in Berlin, um da bei Savigny (außerdem bei Klenze, Rudorfs, v.' Lancizolle, Gans, Ranke und Ritter) zu hören, sondern auch zu einer Fahrt nach München, um dort bei Schelling selbst dessen Philosophie zu studieren, als welche ihm, wie er selbst sagt, „in der wirren Zeit" einen festen „Halte­ punkt" zu gewähren schien. Im Frühjahr 1840 habilitierte er sich zu Marburgs wurde dort 3. April 1845 ao., 16. Juli 1846 o. Professor, folgte aber Oktober 1851 einem Rufe nach Rostock, wo er in derselben Eigenschaft bis Frühjahr 1863 blieb. Im April dieses Jahres übernahm er eine Professur in Tübingen, stand dieser jedoch nur wenige Jahre vor, da sein früherer Landesherr, Großherzog. Friedrich Franz II. von Mecklenburg - Schwerin, ihm sein Ministerium des Innern anbot und Wetzell dieser Aufforderung nicht ungern folgte, teils aus Neigung zu politisch-administrativer Betätigung, teils auch aus Anhänglichkeit an die ihm besonders zusagenden mecklenburgischen Verhältnisse, während er für die süddeutsche Art nicht eben geschaffen gewesen zu sein scheint. Sein neues Amt, das er, am 15. Januar 1866 aus der württembergischen akademi­ schen Stellung entlassen, am 10. April 1866 antrat und bis zum 1. Oktober 1886 bekleidete, dürfte ihm namentlich zu strenger Durchführung seiner politisch hoch­ konservativen wie kirchlich ausgeprägt positiven Überzeugungen Anlaß geboten haben; doch ist diese seine staatsmännische Wirksamkeit, über die ich weiter nicht unterrichtet bin, für diese Stelle ja auch ohne weitere Bedeutung. Nachdem er seine Entlassung genommen hatte, zog er sich nach Rostock zurück, hierdurch seine Anhänglichkeit an die Universitätsverhältnisse bekundend, wie er denn stets mit der Wissenschaft, auch während jener 20 Ministerjahre, in Verbindung ge­ blieben war und ihr nun weiter zu folgen nicht unterlassen zu haben scheint Sein Doktorjubiläum beging er dort in noch großer körperlicher Rüstigkeit am 16. Mai 1890 und wurde bei diesem Anlasse durch Verleihung des mecklen­ burgischen Adels ausgezeichnet; am 22. Oktober 1890 ist er zu Rostock gestorben(Htker in der „Zeitschr. f. deutsch. Zivilpr." Bd. 15 von 1891, S. V f., unter

Benutzung reichen urkundlichen Materials und eines mir unzugänglich gebliebenen Nachrufes in den „Hessischen Blättern", Nr. 1690 vom 12. September 1890; und in der A. D. B. 55, 61 f.)

Zu Kapitel 17, S. 568—569.

249

2) Zu Wetzells späteren kleinen Abhandlungen gehören hauptsächlich zwei materiellrechtlich romanistische Dissertationen über die auctoritas der 12 Tafeln von 1840 und über die in integrum restitutio von 1850. Ferner Rezensionen 'in den „Kritischen Jahrbüchern", über deren wichtigste, gegen Briegleb gerichtete schon soeben bei diesem (oben Note 4 zu V. 1) berichtet wurde. Außerdem be­ stehen sie in einem Nachrufe für Puchta in Hubers „Janus" 1846, S. 337 f., und in einer Gedächtnisrede auf Stahl, abgedruckt in der Beilage Nr. 73 der „Neuen preußischen Zeitung" vom 27. März 1862. 3) Nur die erste Abteilung des ersten Bandes ist etwas gedrängter ge­ arbeitet, wohl auf Grund eines ursprünglich andersartigen Planes; die Er­ weiterung auch dafür ist dann in der zweiten Auflage erfolgt.

4) Spätere Systeme sind die von R. Osterloh, Lehrbuch des gemeinen deutschen Zivilprozesses, zwei Bände, Leipzig 1856; Renaud, Lehrbuch des ge­ meinen deutschen Zivilprozeßrechts, Leipzig und Heidelberg 1867; und Ende­ mann „Das deutsche Zivilprozeßrecht", Heidelberg 1868. Bon diesen drei Werken stellt sich das letzte eine ganz andere Aufgabe, nämlich den bisherigen Zivil­ prozeß einer gründlichen Kritik zu unterziehen, um damit eine neue Gesetz­ gebung vorzubereiten; es gehört also (siehe unten Kap. 20, V. 2 und VI. 1) in einen ganz anderen Zusammenhang. Bei Renaud liegt gleichfalls schon das Verdienst auf einem anderen Gebiete, hier nämlich in der förderlichen Berücksichti­ gung neuerer territorialer Zivilprozeßgesetzgebung (siehe unten Kap. 18, III. 4). Von allen dreien aber gilt zweifellos im übrigen das im Text Bemerkte; wegen einiger sonstiger Ansätze zur Fortbildung der Zivilprozeßwissenschast über die mit Wetzell erreichte historische Höhe hinaus nach anderer Seite, soweit diese Ansätze noch in unsere Epoche fallen, siehe unten Kap. 20, VI. 1. — Osterloh, der übrigens auch der historischen Schule nahestehl, hat mehr Bedeutung auf dem Gebiete des Kgl. sächsischen Territorialrechts, dessen Prozeß er 1843 und 1845 gründlich bearbeitet hat. Er hat auch über die Reform der Zivilprozeß­ gesetzgebung in Sachsen und in Deutschland 1865 geschrieben und sein Gut­ achten über einen Entwurf einer Prozeßordnung für den Norddeutschen Bund 1870 abgegeben. Gerade bei ihm aber dürfte die wissenschaftliche Überlegenheit von Wetzell unbestreitbar sein. (R. Osterloh lebte 1813—1884, war seit 1850 o. Professor des Zivilprozesses zu Leipzig. Über ihn A. T. in der A. D- B., Bd. 52, 725 s.)

VI. 1) Für eine jüngere Methode sozialpolitischer Behandlung des Kirchen­ rechts wird der Ausgangspunkt wohl gefunden bei dem Mainzer Bischof Wilhelm Emanuel Freiherrn v. Ketteler (1811—1877), siehe v. Schulte, Gesch., 398 f. Er persönlich würde allenfalls noch in den Rahmen unserer Dar­ stellung hineingezogen werden können, aber nicht mehr diese sozialpolitische Bewegung selbst, für die er doch höchstens als allererster Anfangspunkt, richtiger wohl als entfernter Vorläufer, in Betracht kommen kann. Es genüge deshalb, seiner hier erwähnt zu haben.

250

Zu Kapitel 17, S. 569—570.

2) Die jüngere historische Schule innerhalb des Kirchenrechts unterscheidet sich von der älteren dadurch, daß sie germanistische Momente zur Erklärung des Kirchenrechts mit Nachdruck heranzieht, etwa so, wie Briegleb die germa­ nistischen Einflüsse in den zivilprozessualen Bildungen des Mittelalters erkannte. Diese Übertragung des germanistischen Prinzips aufs Kirchenrecht beginnt jedoch im wesentlichen erst ganz gegen Ende des 19. Jahrhunderts, besonders durch die Werke von Ulrich Stutz über die Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens und über die Eigenkirche, beide von 1895. Es kann deshalb hier darauf nicht eingegangen werden.

VL 1. 1) Zu diesen Que ll e n f o rsch e r n gehört Augustin Theiner, der spätere Präfekt des vatikanischen Archivs (1804—1874) wegen seiner Arbeiten über ältere Dekretalensammlungen, Leipzig 1829, und „über Ivos vermeintliches Dekret", Mainz 1832. Ferner Friedrich Kunst mann, der die sogenannte Kanonensammlung des RemediuS von Chur aus der Münchner Handschrift zum erstenmal vollständig herausgab, kritisch erläuterte und dem Ursprung nach be­ stimmte, Tübingen 1836. Er hat dann die lateinischen Pönitentialbücher der Angelsachsen, Mainz 1844, mit geschichtlicher Einleitung drucken lassen und auch in späteren Jahren (1861, 1863) im Archiv für katholisches Kirchenrecht gute Bemerkungen und Mitteilungen über Bernhard von Pavia, sowie zur Geschichte des Grattanischen Dekrets veröffentlicht, überholt wurden dann freilich seine Forschungen durch die Untersuchungen von Karl Hildenbrand über die germanischen Pönitentialbücher und durch die gleichzeitig von Wasserschleben angestellten Studien über „Die Bußordnungen der abendländischen Kirche nebst einer rechtsgeschichtlichen Einleitung", Halle 1851. Von dem letztgenannten, besonnenen und gediegenen Forscher besitzen wir außerdem eine ganze Reihe von Schriften und Abhandlungen aus dem Gebiete der kanonistischen Quellen­ kunde. Dazu gehören die Beiträge zur Geschichte der vorgratianischen Kirchenrechtsquellen, Leipzig 1839; Studien über Regino von Prüm 1840; über den Ursprungsort der pseudoisidorischen Dekretalen 1843 und über falsche Dekretalen im allgemeinen 1844; aus weit späterer Zeit nochmals über eine irische Kanonen­ sammlung, Gießen 1874. Außerdem hat Wasserschleben im Anschlüsse an prak­ tische Fragen die kirchenregimenttichen Verhältnisse in den deutschen Landes­ kirchen mehrfach dogmatisch behandelt, in Verbindung damit 1877 „Das Ehescheidungsrecht kraft landesherrlicher Machtvollkommenheit".

In Anlehnung daran wäre schließlich etwa noch zu erwähnen die Schrift, die das Thema von Pseudoisidor im 19. Jahrhundert zuerst wieder quellenmäßig untersucht hat, De fontibus et consilio pseudoisidorianae collectionis, Göt­ tingen 1832, von Friedrich Heinrich Kunst (gestorben zu Paris Oktober 1841), vgl. v. Schulte Gesch. b 227. Bon diesen Forschern wurde Carl Hildenbrand, geboren zu München 19. Oktober 1814, dort Dr. jur. 1842 und Privatdozent 1844, 1847 ao., 1851 o. Professor in Würzburg, er ist dort gestorben Anfang 1872. Von ihm rührt

Zu Kapitel 17, S. 570.

261

auch eine erste geschichtliche Behandlung des Reinigungseides her, in seiner Münchener Preisschrift von 1841 (v. Schulte Gesch. 404). Friedrich Kunstmann ist geboren zu Nürnberg 1811, wurde 1834 Priester und Dr. jur., 1837 Religionslehrer an der Landwirtschafts- und Gewerbe­ schule zu München 1839 zugleich beim Kadettenkorps, 1840 Prinzenerzieher in Lissabon, 1846 nach München h«imgekehrt, dort 1847 ao., 1848 o. Professor des Kirchenrechts an der juristischen Fakultät, später auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften; er starb zu München 15. August 1867. Seine nicht quellen­ geschichtlichen Arbeiten handeln z. B. über die gemischten Ehen 1839 und über „Grundzüge eines vergleichenden Kirchenrechts der christlichen Konfessionen", München 1867. (v. Schutte, Gesch. 397 f.) Ludwig Wilhelm Hermann Wasserschleben endlich ist geboren zu Liegnitz 22. April 1812, besuchte dort das Gymnasium, Universitäten Breslau und Berlin, an letzterer Dr. jur. 25. Juni 1836 und Herbst desselben Jahres Privatdozent, 1841 ao. Professor in Breslau, 1850 o. Professor in Halle, 1852 in Gießen, 1873 Mitglied der ersten hessischen Kammer, seit 1875 zugleich Kanzler der Universität Gießen, legte dieses Kanzleramt 1883, das Lehramt Ende des Wintersemesters 1888/89 nieder, gestorben zu Gießen am 28. Juni 1893. Er hat auch eine Reihe germanistischer Arbeiten verfaßt, (v. Schutte Gesch. 247 f. und ausführlicher in der A. D. B. 41, 236 f.). 2) Aemilius Ludwig Richter ist geboren zu Stolpen unweit Dres­ den am 5. Februar 1808, besuchte das Gymnasium zu Bautzen, dann seit 1826 drei Jahre hindurch die Universität Leipzig, wo er außer juristischen noch histo­ rische und philosophische Studien betrieb. Im Jahre 1829 trat er in den Staatsdienst zu Leipzig als Obergerichtsauditor ein, begann als Advokat zu praktizieren und habilitierte sich gleichzeitig an der Universität, obschon er aus ökonomischen Gründen das Dottorat noch nicht erworben hatte. Dieses wurde ihm dann auf Hugos Antrag 1835 honoris causa von Göttingen verliehen. In Leipzig wurde er 1836 zum ao. Professor ernannt, 1838 folgte er einem Rufe als o. Professor nach Marburg, wo er seine glücklichste und ruhig schaffens­ freudigste Zeit durchlebte, bis er 1846 nach Berlin berufen wurde. Dort über­ nahm er nicht nur eine Professur an der Universität, an der er sich auf das Kirchenrecht beschränkte, sondern sofort schon daneben, als eine dem Minister Johann Albert Friedrich Eichhorn ebenso nahestehende wie bequeme Hilfskraft, eine Reihe von Arbeiten im Ministerium der geistlichen Angelegenheiten. Er wurde nun Mitglied des durch Kabinettsordre vom 28. Februar 1848 errichteten Konsistoriums von Anfang an, 1850 ebenso bei der Errichtung des evangelischen Oberkirchenrats in diesen mit dem Titel eines Oberkonsistorialrats berufen und vertauschte 1859 diese Stellung mit der eines geheimen Regierungs- und Vor­ tragenden Rats im Kultusministerium. Diese seine späteren Berliner Jahre wurden nicht nur durch mannigfache körperliche Leiden schwer bedrückt, sondern auch durch ein Übermaß praktischer Inanspruchnahme, wobei erbitterte sachliche und persönliche Reibungen, besonders mit Stahl, störend hinzutraten. Die Würdigung seiner prakttsch polittschen Leistungen auf dem Gebiete der evange­ lischen Landeskirchenverfassung (er scheint hier eben nicht sehr erfolgreich gewesen

252

Zu Kapitel 17, S. 570—575.

zu sein) gehört nicht hierher. Ebensowenig die seiner preußischen, auch katho­ lischen Kirchenpolitik; doch scheint es sich dabei weniger um Geltendmachung eines eigenen festen dogmatischen oder politischen Standpunktes gehandelt zu haben, als um die Bereitwilligkeit, sich und seinen Namen in den Dienst der vermittelnden Tätigkeit seines Ministers zu stellen. Richter war eben eigentlich weder Politiker noch Staatsmann, auch nicht Anhänger einer bestimmten kirchen­ politischen Partei, sondern, auf Grund innerlicher Kirchlichkeit, wesentlich nur Geschichtsforscher und Kirchenrechtsgelehrter, der dafür freilich durch seine Be­ ziehungen zu den kirchenregimentlichen Verhältnissen mannigfache Anregung und Förderung erfahren hat. (v. Schulte in Doves Zeitschrift für Kirchenrecht 5, 259 f. — Dove, ebenda 7, 273 f. und abermals, am ausführlichsten, in Hertzog und Hauck, Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche Bd. XVI von 1905. — Hinschius, in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte 4, 351 f. — v. Schulte Gesch. b 210 f, — Über politische Einzelheiten Eilers, Das Mini­ sterium Eichhorn, Berlin 1849; und Mejer in der A. D. B. 5, 739 f. nebst dort Weiler zusammengestellten Literaturangaben.)

3) Als kleinere Arbeiten von Richter neben seiner Ausgabe des Corpus Iuris Canonici sind zu nennen: Beiträge zur Kenntnis der Quellen, über Verbesserungen zu Gratian, über eine Leipziger Dekretalenhandschrift u. dergl. m., aus den Jahren 1834—1844.

4) Über die Ausgabe, ihre Aufgabe und ihren Plan siebe vor allem die Selbstanzeige von Richter in seinen und Schneiders Jahrbüchern, 1. Jahrgang, 2, 1084 f. — Ferner Hinschius a. a. O. S. 352; Friedberg, in der Festschrift für Hänel vom 18. April 1876 S. 20 f.; und v. Schulte, Gesch. b S. 213 Note 3. 5) Das hier durchmusterte Material besteht im wesentlichen aus den 80 Bänden des Thesaurns der Kardinalskongregationsentscheidungen, ferner dem Bullarium Romanum und dem gesamten Werke Papst Benedikt XIV. 6) Dove a. a. O. S. 336.

7) Reyschers und Wildas Zeitschrift für deutsches Recht, 4, 1 f. 8) Von Richter rühren als spätere Lehrbuchauflagen her die von 1844, 1848, 1853 und 1856; dann folgen die drei von Dove (der schon bei der Vorbereitung der fünften beteiligt gewesen war) besorgten, deren erste (1865/67) noch den Text Richters streng beibehält und Notizen aus Richters Nachlaß ver­ wertet, während die 7. und 8. Auflage von 1871—1874 und 1877—1886 von dem Herausgeber sehr stark überarbeitet sind, wie ja, um sie zeitgemäß zu er­ halten, nach den 1870 eingetretenen gewaltigen Umschwüngen der Dinge in Staat und Kirche unvermeidlich. Die letzte 8. Auflage rührt übrigens auch wieder nur in ihrem ersten größeren Teil von Dove her, nämlich für die Liefe­ rungen 1—5, 1877—1882; sie wurde dann von Kahl 1884—1886 zu Ende geführt. 9) Von Schulte sowohl in der Zeitschrift für Kirchenrecht wie in seiner Geschichte a. a. O. 10) Heinrich Friedrich Jacobson, geboren zu Königsberg 8.Juni 1804, besuchte dort das Gymnasium und seit 1823 die Universität, wurde 1826

Zu Kapitel 17, S. 575—576.

253

Dr. jur., studierte dann noch zwei Jahre in Berlin und in Göttingen, wurde in Königsberg 1828 Privatdozent, 1831 ao., 1836 o. Professor und ist dort gestorben 19. März 1868. Sein im Text genanntes Hauptwerk war vorbereitet durch eine Quellengeschichte des katholischen und des evangelischen Kirchenrechts für die Provinzen Preußen und Posen, die er in drei Abschnitten, 1837, 1839 und 1844 veröffentlicht hat. (A. Wach, in der Zeitschrift für Kirchenrecht 8, 375 f. mit Zusätzen von Dove. — v. Schulte Gesch. b 208).

11) Genauer gesprochen ist Begründer der Zeitschrift für Kirchen­ recht Dove allein und zwar, wie F. Frensdorfs in dessen Lebensschilderung (Bettelheim, Biogr. Jahrbuch 12, 44 f.) angibt, auf eine Anregung von E. Herr­ mann hin, gewesen; erst seit dem vierten Bande (1864) tritt ihm Friedberg zur Seite. Die Zeitschrift hat im ganzen 22 Bände und außerdem 3 Ergänzungs­ bände erreicht, ehe sie im Jahre 1889 eingestellt wurde. In dem ersten Bande (1, 138 f.) ist abgedruckt ein von Richter im Juni 1855 erstattetes Gutachten über die Verfassungsverhältnisse der evangelischen Kirche in Ungarn Eine Zusammenstellung seiner sonst bekannt gewordenen Gutachten u. a. bei v. Schulte a. a. O. S. 225 Note 11, Würdigung derselben u. a. bei Hinschius a. a. O. S. 374. — Ferner steht in demselben ersten Bande der Zeitschrift für Kirchen­ recht Richters bedeutsamer Artikel „Über die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Staat und der katholischen Kirche in Preußen seit der Verfassungs­ urkunde vom 5. Dezember 1848." 12) Während leider mangels jeder zeitgemäßen historischen oder sonst wissenschaftlichen Begründung seitab der Wissenschaft stand das im Thema ver­ wandte, sonst so fleißige Werk von Nikolaus München „Das kanonische Gerichts­ verfahren und Strafrecht", 2 Bde., Köln und Neuß 1865. — Über Nikolaus

München, geboren 1793, späteren Gesch. 430 f.).

Dompropst zu Köln,

siehe v. Schulte,

13) Robert Schneider, geboren zu Schleiz 27. Oktober 1807, dann in Schwerin, hierauf in Leipzig lebend, dort Dr. phil. am 31. März 1829, Dr. jur. am 20. Februar 1834, ebenda in demselben Jahre Privatdozent und ao. Professor 1838, Appellationsrat in Dresden 1848, Vizepräsident des dortigen Appellationsgerichts 1857, Präsident desselben 1866, sächsischer Justizminister seit 1867, gestorben zu Pontresina 4. September 1871. Literärhistorisch hat Schneider nicht viel, aber Gutes geleistet: zwei Abhandlungen de Servio Sulpicio Rufo, Leipzig 1834, und den Anfang (einige Hefte) eines Index omnium rerum et sententiarum quae in Corpore Iuris Iustiniani continentur, quem verborum ordine observato edidit, Leipzig 1837, ein vor­ trefflich gedachtes Werk, das aber von Schneider nur bis Accusare, dann noch von einem Nachfolger, W. G. Busse, Ademptio durchgeführt ist, womit das Unternehmen abbricht. (Die Lebensdaten über Schneider hat mir gütigst Herr Professor Beer, Leipzig, aus den dortigen Akten mitgeteilt.) 14) Vgl. v. Schulte a. a. O. S. 222 Noten 10 und 11. Für die große Masse der studierenden Jugend scheint dagegen Richters. Vortrag weniger an­ anziehend und wirksam gewesen zu sein.

254

Zu Kapitel 17, S. 576.

VI. 2. 1) George Phillips — seine Biographie sei hier, wo seine Haupt­ bedeutung im Texte hervortritt, eingeschoben — ist geboren am 6. Januar 1804 zu Königsberg, wo sein Vater, James Phillips, von Geburt Engländer, aber verehelicht mit einer Schottin, sich zum Betrieb kaufmännischer Geschäfte nieder­ gelassen hatte. „Sein Baler war ein gebildeter Mann, von dessen geistigem Leben der Verkehr mit Kant Zeugnis gibt" (Schulte a. a. O,), und der dem Sohne eine treffliche Erziehung zuteil werden ließ. Dieser besuchte die Gym­ nasien zu Königsberg und Elbing, bezog 1822 die Universität Berlin, wo er bei Savigny hörte, und begab sich dann noch nach Göttingen zu Eichhorn. An letzterer Universität promovierte er 1825, machte dann eine Reise nach England zu Studienzwecken und habilitierte sich 1826 für deutsches Recht in Berlin, wo er auf Grund seiner ersten hervorragenden Leistungen schon im folgenden Jahre zum ao. Professor ernannt wurde. Damals aber setzte schon in ihm die Ent­ wicklung ein, die ihn am 14. Mai 1828 zur katholischen Kirche überzutreten veranlaßte und damit bei dem von vornherein überschwenglichen Charakter dieses Konvertitentums (Annahme der päpstlichen Unfehlbarkeit, der päpstlichen Herrschaftsgewalt über Kirche, Staaten und Fürsten uff.) den preußischen Ver­ hältnissen alsbald entfremdete. Er ging deshalb 1833 nach München, wurde dort nach kurzer, ihm wenig zusagender Verwendung im Ministerium des Innern 1834 o. Professor zunächst der Geschichte, dann nach einigen Monaten der Rechte und trat in die engste Verbindung mit einem Kreise gleichgesinnter Männer (Döllinger, Möhler, Windischmann, Lasaulx, den beiden Görres und vor allem Clemens Brentano), einem Kreise, aus dem hervor dann nach der Kölner Katastrophe von 1837 die Gründung der so einflußreich gewordenen historisch-politischen Blätter erfolgte. Aus dieser ihm besonders sympathischen, später zeitlebens von ihm vermißten Stellung und Umgebung wurde Phillips 1847, während er eben das Rektorat bekleidete, herausgerissen durch die traurige Lola-Montez-Skandalaffaire, an der er einen vielleicht nicht ganz angemessenen, jedenfalls aber von Charakter und von moralischem Mute zeugenden Anteil nahm. Daß man ihm, als er deshalb gemaßregelt werden sollte, eine Stelle als Rat an der Regierung zu Landshut statt der Professur anb'ot, kann natür­ lich nur als Hohn, daß er sie ausschlug, als selbstverständlich bezeichnet werden. Im Jahre 1848 nahm er teil an der Frankfurter Nationalversammlung als Vertreter eines münsterländischen Wahlkreises, als Mitglied der streng katholischen und anttpreußischen Partei. Im Jahre 1850 lehnte er eine Professur in'Würz­ burg ab, folgte aber einer Berufung als o. Professor der Rechte nach Inns­ bruck, von wo er 1851 in gleicher Eigenschaft nach Wien versetzt wurde. Dort hat er von da ab, nur einmal auf drei Jahre, 1862—1865, beurlaubt, eine eifrige Lehrtätigkeit entfaltet, während er die Ferien regelmäßig auf seinem Landsitze zu Aigen bei Salzburg oder auf Reisen, gern auch in München zu­ brachte. Zu Aigen ist er am 6. September 1872 gestorben. — Bon eigentlich politischer Betätigung hat er sich in Österreich stets fern gehalten. Die Er­ eignisse der Jahre 1866 und 1870 bedeuteten den Schiffbruch aller seiner Hoff­ nungen und Ideale, die auf Wiederherstellung mittelalterlicher Staats- und

Zu Kapitel 17, S. 578.

255

Kirchenverhältnisse für Groß-Deutschland gingen, (v. Schulte, Gesch. 375 f. in großer Ausführlichkeit. — H. Siegel, im „Almanach der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften" vom Jahre 1873, S. 192 f. — Hülskamp, im „Literarischen Handweisek für das katholische Deutschland", 1872, Spalte 399 f.) 2) Friedrich Heinrich Theodor Herbert Bering, geboren zu Liesborn in Westfalen 9. März 1833, Professor in Czernowitz und nachher in Prag, gestorben 30. März 1896, war auch sonst wohl Phillips' fleißigster Nach­ eiferer und Nachfolger; von ihm geht, ähnlich wie von Richters Schülern die Gründung der Zeitschrift für Kirchenrecht, die Blüte des Hauptorgans dieser Richtung aus, des „Archivs für das katholische Kirchenrecht mit besonderer Rücksicht auf Österreich und Deutschland." Diese Zeitschrift war ursprünglich 1857 geschaffen bloß für Österreich, durch Karl Kraft Ernst Freiherrn

von Moy de Sons (1799—1867, Lehrer des Natur- und Staatsrechts in Würzburg und München, später der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte und des Kirchenrechts in Innsbruck); sie wurde unter Ausdehnung auf Deutschland von Bering seit 1861 mit, feit 1862 bis an sein Lebensende allein redigiert. — Bon Moy, auf dessen Werk über das Bayerische Staatsrecht wir unten Kap. 18, V. 4 zurückkommen, kann als wissenschaftlich verdienter, menschlich vor­ trefflicher, persönlich zarter und feiner Vertreter dieser Richtung, ferner auch noch wegen seiner philosophischen Grundlinien des Rechts (Wien 1854—1857) und wegen seiner Untersuchungen über die Geschichte des christlichen Eherechts im Morgen-und Abendland bis zur Zeit Karls des Großen, Regensburg 1883, genannt werden. Einen eigentümlichen Gegensatz zu ihm bildet der ursprüng­ lich radikal liberale, später im derben volkstümlichen Ton für „Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche" kämpfende Franz Josef Ritter v. Buß, 1803 bis 1878, Professor zu Freiburg im Breisgau seit 1833. (über beide v. Schulte Gesch. 369 f. und 391 f.; zur Charakteristik von Buß besonders die dort Note 1 abgedruckte Stelle von Gustav Freytag, Karl Matthy, Geschichte seines Lebens, S. 232.) — Außerdem wären etwa noch als um die Rechtsgeschichte verdient zwei Nichtjuristen dieses Lagers anzuführen: der Kirchenhistoriker Karl Josef v. Hefele (geb. 1809, 1836 Privatdozent, 1837 ao., 1840 o. Professor zu Tü­ bingen, Bischof von Rothenburg 1869) wegen seiner großen 7 bändigen Kon­ ziliengeschichte, Freiburg 1855—1874, neue Auflage 1873 (Frank in der A. D. B. 50, 109 f.), und der Theologe Josef Hergenröther (geb. 1824, ao. Prof, des Kirchenrechts und der Kirchengeschichte in der theologischen Fakultät Würz­ burg 1852, o. Professor ebenda 1855, nach Rom vorübergehend berufen 1868, dann endgültig dorthin gezogen durch seine Ernennung zum Kardinaldiakon vom 12. Mai 1879, in Rom alsbald Präfekt der apostolischen Archive, gestorben zu Mehreren 3. Oktober 1890) wegen seines großen Werkes über Photius den Patriarchen von Konstantinopel und das Schisma, 3 Bände, 1867—1869, sowie wegen seiner staatSkirchenrechtlichen Schriften. (Lauchert in der A. D. B. 50, 228 f.) 3) v. Schulte a. a. O. S. 386. 4) Offenbar hat Phillips auch deshalb, weil er alles, was ihm begegnete, in sein großes Werk einzustellen vermochte, weniger Anlaß zu wissenschaftlichen

256

Zu Kapitel 17, S. 578—581.

Sonderuniersuchungen gefunden. Genannt sei eine Schrift über „Die Diözesan­ synode", Freiburg 1849, die eigentlich „Gegen die Diözesansynode" oder „Bon der Bedeutungslosigkeit der Diözesansynode" heißen müßte; und Einzelnes in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften von 1864 u. 1865. 5) Siegel a. a. O. S. 199. 6) Phillips' vermischte Schriften erschienen in 2 Bänden, Wien 1856; Nachtrag dazu in einem 3. Bande, Wien 1860. Die beiden im Texte besonders genannten Abhandlungen stehen in diesem 3. Bande; die eine über Walter Map rührt vom Jahre 1853 her, die andere über Katzenmusik usf. aus dem Jahre 1849, ist dann aber hier stark vermehrt und umgearbeitet worden.

VI. 3. 1>Iohann Friedrich v. Schulte gibt seine eigene Autobiographie und das Verzeichnis seiner bis dahin erschienenen Schriften in seiner Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts 3, 435 f. Dort sind nament­ lich auch S. 437 f. die zahlreichen Abhandlungen und Quellenausgaben, die von ihm herrühren, soweit sie bis 1880 erschienen waren, zusammengestellt. Sie beruhen auf umfassenden handschriftlichen Studien und dehnen sich über die Quellengeschichte des Corpus Iuris Canonici und seiner Literatur gleichmäßig aus. Dazu sind seit 1880 eine Reihe weiterer ähnlicher Veröffentlichungen ge­ treten, namentlich die der Summa Magistri Rufini, Gießen 1892. Einen inter­ essanten Rückblick über sein reichbewegtes politisches, wissenschaftliches, kirchliches und akademisches Leben entwirft v. Schulte unter Erzählung vieler Einzelheiten in seinen Lebenserinnerungen Bd. 1, Gießen 1908; Bd. 2, Gießen 1909, gibt dazu eine Sammlung seiner kirchenpolitischen Aufsätze; Bd. 3, Gießen 1909, eine Sammlung seiner geschichtlichen, sozialen, politischen und biographischen Essays. 2) Friedrich Maaßen, geboren zu Wismar 24. September 1823, studierte zu Jena, Berlin, Kiel und Rostock bis 1847, dann Advokat, 1851 Dr. iur. in Rostock. Nach seinem Übertritt zur katholischen Konfession 1852—1854 Informator des Fürsten von Löwenstein-Wertheim-Freudenberg; t855 Professor des kanonischen und römischen Rechts in Pest, dann in Innsbruck und Graz, 1870 in Wien, dort 1873 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, gestorben zu Innsbruck 9. April 1900. Auch er gehört zu den Männern, die Graf Leo Thun zur Regeneration der österreichischen Juristenfakultäten zu gewinnen ver­ standen hatte, (v. Schulte, Gesch. 427 f. — Karl Groß, in den Annalen der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien 1900, S. 365 f.) 3) Namentlich »Concilia aevi Merovingici«, außer in den Monumenta Germaniae, für die Maaßen diese Ausgabe besorgt hat, besonders erschienen Hannover 1893. 4) Vgl. Maaßens Gedächtnisrede auf Savigny, gehalten in der Akademie der Wissenschaften zu Wien am 21. Februar 1879, S. 7 und 8. 5) Otto Alexander Georg Mejer, geboren 27. Mai 1818 zu Zellerfeld am Harz, besuchte das Gymnasium zu Klausthal, studierte die

Zu Kapitel 17, S. 581—583.

257

Rechte in Göttingen, Berlin und Jena, am 30. Januar 1841 Dr. jur. zu Göt­ tingen, ebendort Auditor beim Amtsgericht und 1842 Privatdozent, dann Ostern 1847 oo., Herbst 1847 o. Professor zu Königsberg, Herbst 1850 in Greifswald, Ostern 1851 in Rostock, hier zugleich seit Ostern 1853 Rat am Konsistorium, Ostern 1862 auch Bibliothekar, seit Ostern 1874—1885 Professor in Göttingen, von da ab Präsident des Hannöverschen Landeskonsistoriums, gestorben 24. De­ zember 1893. (v. Schulte, Gesch. b 243 f. — Phil. Zorn in der A. D. B. 52, 297 f.) 6) Seine archivalischen Studien wurden besonders angestellt während längerer Reisen durch Italien und Belgien in den Jahren 1845 und 1846. 7) Mejers Studie über „Febronius, Weihbischof I. N. von Hontheim und sein Widerruf" ist eingehend benutzt oben, Landsberg, Gesch., Text 370 f. und Noten 237 f.

8) Zorn a. a. O. S. 301. 9) Richard Wilhelm Dove, geboren als ältester Sohn des berühmten Physikers Heinrich Wilhelm Dove zu Berlin am 7. Februar 1833, dort Gym­ nasium und Universitätsstudien, ebendort 1855 Dr. jur., 1859 Privatdozent, dann 1862 ao. Professor, 1863 o. Professor in Tübingen, Herbst 1865 in Kiel, 1868 in Göttingen. In dieser Stellung ist er verblieben' bis zu dem einige Jahre vor seinem Ende erfolgten Übertritte in den Ruhestand; gestorben zu

Göttingen 18. September 1907. Er war außerdem vielfach amtlich oder auf Grund von Wahlen beteiligt am Kirchenregiment, am Landeskonsistorium und am politischen und parlamentarischen Leben, 1875 als Vertreter seiner Univer­ sität nach H. A. Zachariaes Tode in das preußische Herrenhaus berufen. Außer seinen im Text genannten Arbeiten sind hauptsächlich seine „Untersuchungen über die Sendgerichte" (Zeitschr. f. D. R. Bd. 19 u. Zeitschr. f. Kirchenrecht Bd. 4 und 5) als selbständige wissenschaftliche Leistung und seine „Sammlung der wichtigeren neueren Kirchenordnungen uff.", Tübingen 1865, zu nennen; außer­ dem zahlreiche Artikel in Enzyklopädie u. dgl. m. . (Sehling in der „Deutschen Juristenzeitung" 1907, S. 1066 f. — F. Frensdorfs in Bettelheims Biogr. Jahrb. 12, 44 f.)

10) Emil Albert Friedberg, geboren zu Konitz am 22. Dezember 1837, studierte zu Heidelberg und Berlin, dort 1862 Privatdozent, ao. Professor in Halle 1865, o. Professor in Freiburg 1868, auch beteiligt an der preußischen Kirchengesetzgebung im Jahre 1872, in Leipzig als Lehrer des Kirchen- und Staatsrechts tätig seit 1873. Wir verdanken ihm auch gründliche literärgeschichtliche Studien über die juristische Fakultät der Universität Leipzig, zuletzt zusammengefaßt im 2. Bande der Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig 1909. Seine internationale Stellung wird bezeugt durch die Festgabe seiner Schüler zu seinem 70. Geburtslage, „Beiträge zum Kirchenrecht", Leipzig 1908, herrührend von 13 Gelehrten, darunter Italienern, Griechen und Rumänen. 11) Außer der Vorrede zur Ausgabe selbst vgl. den Programmartikel dafür von Friedberg in der „Zeitschrift für Kirchenrecht" 14, 1 f. „Eine neue LandSberq, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten. 17

258:

Zu Kapitel 17, S. 583-584.

kritische Ausgabe des Corpus Iuris Canonici", auch gedruckt als Leipziger Festgabe für Hänel zum 18. April 1876.

12) Jedoch sind selbstverständlich Beiträge Anderer, auch handschriftlich bei­ gesteuerte Unterstützungen, reichlich benutzt, worüber die Vorrede genau Rechen­ schaft ablegt. Darunter mehrere Quellenabschriften angefertigt von dem Kano­ nisten und bedeutenden Historiker Hermann Hüffer, dem Bonner Rechts­ lehrer, geb. zu Münster i. W. 24. März 1830, gest, zu Bonn 15. März 1905. 13) Bekanntlich handelt es sich um eine Kontroverse mit Sohm, gegen dessen „Recht der Eheschließung" von 1875 Friedberg seine „Verlobung und Trauung" 1876 schrieb, worauf Sohm noch in demselben Jahre mit der Schrift „Trauung und Verlobung" replizierte. 14) Darunter besonders wichtig die ergänzende Ausgabe der Quinque compilationes antiquae, 1882. 15) Sohm, bei O. Fischer, Rechtsforschung und Rechtsunterricht auf den deutschen Universitäten, 1893, S. 119. 16) Paul Hinschius, geboren zu Berlin am 25. Dezember 1835, vor­ gebildet auf dem grauen Kloster dortselbst, bestand im Alter von 16V4 Jahren die Reifeprüfung Ostern 1852, studierte die Rechtswissenschaft zu Heidelberg und Berlin, löste an letzterer Universität eine romanistische Preisaufgabe unter den Auspizien F. L. Kellers, durch dessen juristische Schärfe und Eleganz er offenbar mächtig angeregt wurde. Dann aber wurde er für das Kirchenrecht gewonnen von Richter, so daß er am 10. Februar 1855 mit der Dissertation de jure patronatus regio sich die Doktorwürde erwarb. Nachdem er nun zu­ nächst eine Zeitlang der Praxis sich gewidmet hatte, habilitierte er sich in Berlin Ende 1859 für Kirchenrecht und Zivilprozeß, wurde 1863 zum ao. Professor für Kirchenrecht, deutsches Recht und Zivilprozeß nach Halle, 1865 in gleicher Eigenschaft nach Berlin zurückberufen, folgte aber noch in demselben Jahre einer weiteren Berufung als o. Professor für preußisches Zivilrecht und Handelsrecht nach Kiel. Bon da sollte er nach Ablehnung eines Freiburger Rufes eben an die neue Universität Straßburg übergehen, als er von dem Kultusminister Falk unterm 27. März 1872 abermals nach Berlin, jetzt als o. Professor des Kirchen­ rechts, zurückberufen wurde. Er ist in dieser Stellung dann 53 Semester hin­ durch tätig gewesen. Zunächst allerdings wurde er stark daneben in Anspruch genommen durch Mitarbeit an der gesetzgeberischen Aufgabe des Ministeriums Falck; namentlich „an der technischen und stofflichen Ausarbeitung der MaiGesetze von 1873 und des Personenstandgesetzes von 1875 hatte er hervor­ ragenden Anteil" (Seckel a. a. O.). Alsbald jedoch ist diese Teilnahme am politischen und verfassungsmäßigen Leben des Staates und der Kirche wieder zurückgetreten; von 1876 ab hat Hinschius sich wieder ausschließlich seinem literarischen und akademischen Berufe gewidmet, namentlich der Förderung seines kirchenrechtlichen Buches, an dem er bis zuletzt gearbeitet hat. Nach längerem schweren Leiden ist er zu Berlin am 13. Dezember 1898 gestorben. (Seckel in der Real-Enzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche von Herzog-Hauk, 3. Aufl. 8, 90 f. — Ulrich Stutz in der A. D. B. 50, 344 f)

Zu Kapitel 17, S. 584—586.

259

17) Wissenschaftlich dazu etwa zu vergleichen seine Abhandlung in Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 1, 187 f. (1883): „Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche." Hinschius hat dort auch theoretisch den Standpunkt absoluter staatlicher Kirchenhoheit ge­ nau so vertreten, wie er der Mai-Gesetzgebung zugrunde lag; so ist denn auch der 3. Band des Kirchenrechts noch 1883 Falk gewidmet. 18) Auf Edgar Loening kommen wir nochmals zurück unten in Kap. 20; dort auch einige Daten aus seinem Leben. 19) Auf v. Scheurl kommen wir wieder zurück unten in Kap. 19,111. 3, dort auch Daten zu seinem Leben. Seine hauptsächlichen kirchenrechtlichen Schriften sind „Sammlung kirchenrechtlicher Abhandlungen", 4 Abteilungen, 1872 f., und „Entwicklung des kirchlichen Eheschließungsrechts", 1877. 20) Von Emil Herrmanns frühester Tätigkeit bei der Kriegelschen Ausgabe des Corpus Iuris Civilis war bereits oben Note 42 zu Kap. 13, II. 3 die Rede; ebendort sind auch bereits seine Lebensdaten mitgeteilt. Einer da­ zwischen liegenden Leistung, der Biographie Schwarzenbergs, ist Erwähnung geschehen oben in diesem Kapitel Note 2 zu IV. 7. Die im Text als der Vor­ bereitung des Gesetzgebungswerks gewidmet bezeichnete Schrift erschien Berlin 1862 unter dem Titel: „Die notwendigen Grundlagen einer die Konsistorial- und Synodal-Ordnung vereinigenden Kirchenverfassung." Für weitere Einzelheiten üb«r Lebensgang, schriftstellerische (namentlich auch kriminalistische), politische umd gesetzgeberische Tätigkeit Herrmanns, wie namentlich auch über seine Gesanntpersönlichkeit sei abermals auf den Artikel von Fritz Stier-Somlo in der A. D. B. 50, 248 f. verwiesen. Seitdem ist dazu gekommen ein Bericht über „Seinen Eintritt in die Leitung des Berliner Oberkirchenrats und seinen Austrittt", Mitteilungen aus seinem schriftlichen Nachlasse, veröffentlicht von Albert vom Bamberg 1907, Sonderabdruck aus den „Evangelisch-Lutherischen Blättern" 31„ 587 f. und 663 f.

Zum achtzehnten Kapitel. 1.1.

1) Johannes Christiansen, Sohn des Hardesvogts Christiansen, der eine seiner Töchter an Kierulff, eine andere an den späteren Bonner Ku­ rator W. Beseler verheiratete, geboren zu Schleswig 31. März 1809, studierte in Bonn, wo ihn besonders Niebuhrs Vorträge fesselten, in Berlin und Kiel

die Rechte, zu Kiel Dr. jur. 1832, ao. Professor 1843, o. Professor 1844, ge­ storben 19. März 1853. Über ihn G. Beseler, der Bruder seines Schwagers,

in der A. D. B. 4, 216, wo hauptsächlich ein längerer, außergewöhnlich lob­ preisender Aussatz von.Kierulfs über Christiansen mitgeteilt >vird.

Kierulff wird

dabei von G. Beseler als „Christiansens eng verbundener Jugendfreund und Mitstrebender" bezeichnet. — Außer dem im Text besprochenen früheren Werk

Christiansens gibt es von ihm noch ein späteres, ein Lehrbuch, geheißen „Insti­ tutionen des römischen Rechts

oder erste Einleitung in das Studium des

römischen Privatrechts", Mona 1843. Es stellt sich auf einen weit mehr popu­ lären, den hergebrachten Anschauungen entgegenkommenden Standpunkt und

gibt hauptsächlich eine mit reichem Quellenmaterial ausgestattete elementare

RechtSgeschichte.

Nur kurz wird dabei in einer allgemeinen Vorbemerkung über

das Wesen des Rechts des Verfassers sonstiger Standpunkt mehr bloß ange­

deutet als entwickelt, wie denn überhaupt in diesem Buche Christiansens Eigen­ tümlichkeit, aber auch seine Genialität weit weniger hervortritt. 2) Römische Rechtsgeschichte S. 9. 3) Unmittelbar an Jhering erinnert sogar in Christiansens späteren „Insti­ tutionen" (s. Note 1) der Schluß der allgemeinen Vorbemerkung: „Denn um den

Geist ist es zu tun; der Buchstabe des römischen Rechts ist jetzt tot und war tot bei seinen Le.bzeiten, nur wer den Geist des römischen

Rechts erkennt, kann darin den Wert des römischen Rechts anerkennen; und wer das römische Recht nicht anerkennt, der hat auch seinen Geist nicht ver­ standen und tut recht, seinem Mißverständnis keinen Wert beizulegen. Wer

Zu Kapitel 18, S. 592—597.

261

aber den Geist des römischen Rechts besitzt, besitzt auch den Geist des Rechts überhaupt und ist so jedem besonderen Recht näher, als selbst irgendeinem besonderen Recht, welches er ohne den Geist des Rechts besäße." Von Einzelheiten erinnert die Kritik, die Jhering (Geist § 5 Note 29 S. 63 der 4 Auflage) der Hugoschen Periodisierung widerfahren läßt, stark an Christiansens römische Rechtsgeschichte S. 23 f. Doch finde ich weder a. a. O., noch sonstwo bei Jhering ein auf Christiansen verweisendes Zitat. Nur einmal nennt Jhering Christiansen, nämlich, um sich über ihn lustig zu machen, zu Beginn des „Begrifsshimmels" in „Scherz und Ernst" 1. Note der 3. Abteilung, S. 247 der 3. Auflage. Immerhin genügt das, zu beweisen, daß Jhering unseren Christiansen mindestens gekannt hat. 4) Siehe die oben Note 1 angeführte Äußerung von Beseler a. a. O.

S. 216. 5) Johann Friedrich Martin Kierulff, weitere Daten: Er stu­ dierte in Kiel unter Falck, Burchardi und Dahlmann, in München unter Schel­ ling und Wening-Jngenheim, wurde Dr. jur. in Kiel am 23. September 1831, ebenda ao. Professor 1834, o Professor 1839, Ostern 1842 in gleicher Eigen­ schaft nach Rostock berufen, dort 1843 Rat und 1852 Vizepräsident des Oberappellationsgerichts. Nachdem er 1879 in den Ruhestand getreten, erlebte er noch sein Doktorjubiläum 1881. Gestorben ist er zu Lübeck, wo er wohnen .geblieben war, am 17. Juli 1894. (Ältere Nachrichten über ihn antiquiert durch

den Artikel von Teichmann in der A. D. B. 55, 513 f, da dieser Artikel auf umfassendem archivalischen Material beruht. Darnach ist namentlich zu berichtigen, was Alberti, Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen und Eutinischen Schriftsteller, über Kierulff berichtet.) 6) Theorie des gemeinen Zivilrechts S. XIX f. 7) Diese Anmerkung lerntet: „Es gibt nur eine Unsittlichkeit, nicht aber eine Unrichtigkeit des Rechts, über das Unsittliche aber gibt es nur ein absolut subjektives Urteil." — Man vergleiche diese Äußerung mit der entsprechenden, die soeben im Text aus Christiansen über die „Nichtsittlichkeit" des Rechts mit­ geteilt ist, und man wird die vollständige, fast bis auf den Wortlaut sich er­ streckende Übereinstimmung beider Schriftsteller bestätigt finden. 8) Theorie des gemeinen Zivilrechts S. 170 Note. 9) Ebenda S. 79 Note. I. 2.

1) Johann Adam von Seuffert, als Kohn von Johann Michael Seuffert (siehe oben Landsberg, Gesch., Text 433 f. und Noten 277) geboren zu Würzburg am 15. März 1794, studierte zuerst Geschichte, dann die Rechte in Würzburg, nahm 1814 teil an den Befreiungskriegen, promovierte März 1815 in der juristischen und Juli 1815 in der philosophischen Fakultät zu Würzburg, besuchte dann noch mehrere Monate die Universität zu Göttingen, wo er bei Heise und bei Hugo hörte, habilitierte sich darauf in Göttingen Anfang des Wintersemesters 1815/16, verlegte seine Tätigkeit als Privatdozent nach Würz­ burg Frühjahr 1816, wurde dort, nach Ablehnung eines Rufes an die Universität

262

Zu Kapitel 18, S. 597.

Gent, Juli 1817 ao. Professor für Geschichte, Pandekten und bayerisches Zivil-recht, endlich ebendort für dieselben Fächer o. Professor 1819. — Im Jahre 1831 wurde Seuffert zum Vertreter der Universität Würzburg in den bayerischen Landtag gewählt, in diesem zum zweiten Vorsitzenden, eine Ehrenstellung, die vor ihm sein Vater bekleidet hatte. Trotz der Besonnenheit seiner liberalen Haltung wuchs indessen in Regierungskreisen die Annahme, daß Seuffert all­ zubedenklich „zur Demokratie hinneige"; so gehörte er zu den Opfern, die 1832 an der Universität Würzburg der Reaktion sielen. Behr wurde damals ver­ haftet und dauernd zugrunde gerichtet, Schönlein von seinem Lehrstuhle ent­ fernt, Seuffert wurde durch Signal vom 28. Ottober 1832 als Appellationsgerichtsassessor, jedoch mit seinem bisherigen Gehalt, Titel und Rang eines Appellatiönsrates, nach Straubing versetzt. Er fügte sich und fand in dem, was anderen die Schlagader wissenschaftlicher Produktton durchgeschnitten hätte, neue Anregung: Verständnis für die Aufgabe, die die Theorie der Praxis gegenüber zu erfüllen hat, damals aber so vielfach unerfüllt ließ, war ja ohne­ hin bei ihm vorhanden, seine diesem Bedürfnisse abzuhelfen bestimmte Sammel­ tätigkeit wurde ihm aber offenbar durch den Übergang von.dem akademischen zum richterlichen Berufe nahegelegt. Letzterer wurde ihm, aufgenöttgt wie er war, nun doch alsbald so lieb, daß er 1833 eine Berufung als o. Professor der Rechte nach Zürich ausschlug; darauf wurde er 1834 zum Rate am Appellations­ gericht zu Ansbach ernannt und fand dort einen noch wesentlich befriedigenderen Wirkungskreis; es ist das die Stelle, in der er nun verblieb, von der aus er seine beiden großen Sammelwerke ins Leben rief. Daneben huldigte er der Poesie und besonders ber Spruchdichtung, wandle sich auch in den Jahren 1847 und 1848 wiederum der Politik zu, und zwar so, daß er zunächst beim An­ schwellen des demokratischen Übermaßes sich diesem mit einer Reihe von Flug­ schriften und Zeitungsartikeln, unter Einsetzung und Verlust des ihm aus den 30et Jahren her umgebenden Märtyrer-Prestiges, entgegenmarf, dann aber ebenso entschieden der triumphierenden Reattion zur Verteidigung des Konstitutionalismus gegen bürokratische und absolutistische Gelüste. Daß er es unter diesen Umständen mit beiden Seiten verdarb, von vielen ehemaligen Freunden und Gesinnungsgenossen des reaktionären Renegatentums geziehen, von der Regierung denn aber doch nicht als zuverlässig angesehen, weder in der richter­ lichen Laufbahn befördert, noch sonstwie zu einflußreicher Verwendung heran­ gezogen wurde, war gewissermaßen selbstverständlich. Er selbst wußte sich dessen wohl zu trösten und faßte die Summe dieser seiner Erfahrungen zusammen in den bescheiden stolzen Vers, der zu allen Zetten für treffliche Männer seines Schlages zutreffen wird:

„Von Wühlern Schmähung, von Gewaltigen traf mich Leid, Und beides glänzt wie Schmuck auf meinem Ehrenkleid." In seinen letzten Jahren schwer leidend, ist Seuffert am 8. Mai 1857 ge­ storben. Von seinen zahlreichen Werken aller Art (aufgezählt in der „Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege" 4, 455) ist außer den im Text genannten ' juristisch wohl noch das bedeutendste sein „Handbuch des deutschen Zivilprozesses

Zu Kapitel 18, S. 597—600.

263

auf der Grundlage und nach der Ordnung der bayerischen Gesetzgebung", auch unter dem Titel „Kommentar über die bayerische Gerichtsordnung", 4 Bände 1836—1842, die 2. Auflage unter Seufserts Mitwirkung bearbeitet von Karl Brater, dem uns schon als Arbeilsgenossen Bluntschlis bekannten Schriftsteller, Erlangen 1853 f. Die Fortdauer der beiden großen Sammelwerke Seufferts über seinen Tod hinaus ist durch eine ganze Reihe von Mitarbeitern herbei­ geführt worden. Das Archiv namentlich wurde, nachdem des Begründers Sohn, E. A. Seuffert, schon neben diesem für Bd. 9—11 als Mitherausgeber erscheint, von diesem Sohne als alleinigem Herausgeber seit Bd. 12 (Anzeige vom 30. Juni 1857) übernommen, ging dann aber schon Juni 1863 mit dem 16. Bande in andere Hände (Bd.16—34 Oberappellationsgerichtsrat a.D. Dr. A. F. W. Preußer zu Kiel, dann seit Oktober 1879 Oberappellationsgerichtsrat F. Schütt, der bis heute dem Archiv vorstehl) über, aber wohl nicht, ohne daß die Familie Seuffert dabei beteiligt geblieben wäre. (Zahlreiche Nekrologe in den Tages­ blättern, iu der kritischen Überschau 6, 137 f. und in den Blättern für Rechts­ anwendung 22, Nr. 15. — Darnach und auf Grund umfassenden Aktenmaterials Heigel in der A. D. B. 34, 58 f.) 2) Die 4. und letzte Ausgabe erschien 1861—1870, besorgt und stark um­ gearbeitet von E. A. Seuffert, dem Sohne des Verfassers, von dem als dem Fortsetzer des Archivs schon in der vorigen Note gesprochen ist. 3) Karl Friedrich Ferdinand Sintenis, geboren zu Zerbst am 25. Juni 1804, studierte zu Leipzig 1822—1824, Dr. jur. in Jena 1825, darauf als Regierungsadvokat in seiner Vaterstadt niedergelassen, zu Ostern 1837 als o. Professor der Rechte an die Universität Gießen berufen, wo er. bis 1841 Zivilprozeß und Pandekten las Kehrte Ostern 1841 in die Heimat zurück, um dort in die Landesregierung und in das Konsistorium einzutreten, 1847 durch den Herzog Leopold Friedrich von Anhalt-Dessau in dessen Landesdirektionskollegium berufen und zugleich mit der Leitung der Kabinettsangelegenheilen betraut, 1848 aus diesen Stellungen ausgetreten, aber als Mitglied des Oberlandesgerichts zu Dessau verblieben, Mitglied auch des Anhaltischen Landtages 1849 und des Staatenhauses im Unionparlament zu Erfurt 1850, im letzteren Jahre auch zweiter und 1853 alleiniger Präsident des für die Herzogtümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen gebildeten Oberlandesgerichts. Im Jahre 1859 nahm er zu Dresden teil an der Bearbeitung des Bürgerlichen Gesetz­ buches für das Königreich Sachsen, 1862 wurde er neben seiner Oberpräsidialstellung ins Ministerium berufen, 1863 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt und erhielt den Vorsitz in dem neuerrichteten Staatsministerium für ganz An­ halt. Er nahm noch 1866 teil an der Beratung des norddeutschen Bundes­ entwurfes zu Berlin, war dabei entschieden im Sinne eines engen Anschlusses an Preußen tätig, fing dann aber an zu kränkeln, legte sein Oberpräsidium 1867 und alle seine Staatsämter 1868 nieder und ist am 2. August 1868 ge­ storben. (Nekrolog in den Blättern für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt. — Mitteilungen des Vereins für anhaltische Geschichte und Altertumskunde, Dessau 1890, 5, 714 f. mit vollständigem Schriftenverzeichnis. — W. Hosäus in der A. D. B. 34, 404 f.)

264

Zu Kapitel 18, S. 600—606.

4) Siehe über das System den Aufsatz, in dem er darüber besonders ge­ handelt hat, in der Gießener Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß Bd. 19. 5) Sinterns steht dabei nicht allein, sondern war [beim Corpus Iuris Canonici (2 Bände 1834—1837) gemeinsam mit Bruno Schilling tätig, beim Corpus Iuris Civilis nur als einer in einem ..Verein Rechtsgelehrter", von denen sich außer ihm als beteiligt nennen die beiden Leipziger Professoren Karl Eduard Otto und Bruno Schilling; das Werk erschien in 7 Bänden 1830—1833. 6) Außerdem seien von Sintenis' Schriften, um von seiner Vielseitigkeit eine Vorstellung zu geben, noch genannt: „Erläuterungen über verschiedene Lehren des Zivilprozesses, nach Linde", Gießen, 1839, 1840; „Bon dem Maje­ stätsverbrechen", Zerbst 1828; „Zur Frage von den Zivilgesetzbüchern", Leipzig 1853; und „Anleitung zum Studium des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen", 1864; ferner zahlreiche Zeitfchriftenartikel u. dgl. m. 7) Die zweite Auflage erschien 1860, 1861, die dritte 1868, 1869. Auch diese dritte Auflage ist noch ganz von Sintenis gearbeitet, wenn auch zum Teil erst nach seinem Tode erschienen, vgl. das Vorwort vom 12. Januar 1868. 8) Rudolf Siegmund Freiherr von Holzschuher, aus der be­ rühmten Nürnberger Patrizierfamilie gleichen Namens entsprossen — im höheren Alter soll er dem Dürerschen Porträt seines Ahnherrn, das jetzt das Berliner Museum ziert, auffallend ähnlich gesehen haben —, geboren zu Nürnberg am 22. Juni 1777, gestorben ebenda 20. Juli 1861, hatte 1795 zu Altorf, 1797 zu Jena studiert, dann wieder zu Altdorf 25. April 1799 promoviert, darauf seine Kraft wesentlich dem politischen Dienst, zuerst seiner Vaterstadt, dann seinem neuen Heimatlande Bayern, in dessen Landtag, gewidmet. Erst als ihm nach vielen politisch-ökonomischen und patriotischen Wechselfällen und Erregungen in den 40er Jahren die Freude am öffentlichen Leben gänzlich ausging — er war Rechtsbeistand Palms gewesen, hatte für die Nürnberger Staatsgläubiger in Bayern gekämpft, hatte im bayerischen Landtag für Justiz- und Finanzfragen sich bemüht, dann aber doch von feiten der Regierung Urlaubsversagung, wo­ durch ihm der Wiedereintritt in die Kammer abgeschnitten wurde, erleben müssen, — wandte er sich juristisch-wissenschaftlicher Tätigkeit zu, aus der daS im Text genannte Werk hervorging. (Näheres über ihn mit weiteren umfassenden Angaben bei Eisenhart in der A. D. B. 13, 32 s.)

I. 3. 1) Zur Biographie von Vangerow: v. Stintzing in v. Weech, Badische Biographien 2, 283 f. — v. Marquardsen in der „Kölnischen Zeitung" vom 27. Oktober 1870, Morgenausgabe, Wiederabdruck in „K. A. v. Vangerow und R. v. Mohl", Erlangen 1886. — Ernst Landsberg in der A. D. B. 39, 479 f. — Ernst Immanuel Better, 4 Pandektisten, Heidelberger Festschrift 1903, 1, 178 f. 2) Es hat mir vorgelegen in der Handschrift eines älteren hiesigen Kol­ legen, genau und vollständig mitgeschrieben. 3) Vgl. E I. Better a. a. O., besonders S. 199 Note 36: „Nun muß es der Binsebub auch verstehen" — studentisches Urteil über Vangerows Vortrag

Zu Kapitel 18, S. 607—608.

265

mit Herbeiziehung einer bekannten Heidelberger Straßenfigur, eines halbblöd­ sinnigen Binsenverkäufers. II. 1.

1) Gustav Alexander Bielitz lebte 1769—1841. Sein im Text ge­ nanntes Werk erschien 1823—1830, zum Teil zum zweitenmal aufgelegt 1835. (Teichmann in der A. D.' B. 2, 264 f.) 2) Max Karl Friedrich Wilhelm Grävell, juristischer und philo­ sophischer Schriftsteller, auch Politiker, zuerst stark liberaler, dann konservativer Richtung, bekannt als Vorsitzender des letzten, reaktionären Reichsministeriums 1849, lebte 1781—1860; sein im Text genanntes Werk erschien 1824—1832. (Teichmann in der A. D. B. 9, 613 f.) 3) Josef Edler von Winiwarter, geboren zu Krems 14. April 1780, Gymnasium Krems, Universität Wien, dort Dr. jur. 10. Dezember 1804, Professor des römischen und vaterländischen bürgerlichen Rechts zu Lemberg 1806, für letzteres 1827 nach Wien versetzt, da gestorben 18. Januar 1848. Das im Text genannte Werk erschien 1831—1838, in 2. Auflage 1838—1854. (Wurzbach, österreichische Biographie 37, 72 f.) Außerdem seien für diese Früh­ zeit des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches etwa noch genannt die Kom­ mentare dazu von dem Prager Michael Schuster, einen noch gemeinrechtlich tüchtig geschulten Juristen, 1818, und (ganz flach) von Franz Xaver I. F. Nippel 1830-1836. 4) Über Johann Heinrich Bender (1797—1859) und auch schon über seine Bearbeitung des Frankfurter Privatrechts siehe oben Note 56 zu Kap. 13, III. 3. 5) Vgl. Stintzing, Gesch. 549 f. und Stintzing-Landsberg 141. 6) Über Jakob Friedrich Weishaar und sein Werk spricht rühmend Wächter in seinem Württembergischen Privatrecht 1, 684 f. Danach war Weis­ haar geboren zu Korb 1775, Advokat seit 1797, Abgeordneter seit 1813, Präsi­ dent der Kammer der Abgeordneten von 1819—1831, Minister des Innern 1832, gestorben 1834. 7) Hier etwa noch zu nennen Karl Friedrich Curtius, Handbuch des im Königreich Sachsen geltenden Zivilrechts, spätere Abschnitte bearbeitet von H. Friedrich Hänsel und Albert Kriege! 1798—1799,1835-^1837; besonders 4. Teil 1831-1834; weitere Auflagen 1846—1851, 1858. 8) Über v. Zeiller siehe oben Landsberg, Gesch., Text 524 f. und Noten

324 f. 9) Karl Josef Pratobevera, später Freiherr v. Wiesborn, geboren zw Bielitz 17. Februar 1766, Gymnasium Teschen, Universität Wien zur Vor­ bereitung auf kaufmännischen Beruf, statt dessen 1786 zur Rechtswissenschaft übergegangen, zu dem Behufe abermals Studium in Wien, dort nach 1792 bestandener Prüfung Advokat, 1796 zum Appellationsgerichtsrat in Krakau er­ nannt, 1806 nach Wien als Hofrat zurückberufen zur Bearbeitung der Galizi­ schen Geschäfte bei der obersten Justizstelle, 1807 Beisitzer der Hofkommission in Gesetzessachen, 1814 Referent im Staatsrat, 1818 Vizepräsident des Nieder-

266

Zu Kapitel 18, S. 608—609.

österreichischen Appellationsgerichts, daneben u. a. auch Vorsitzender der Spezial­ kommission zur Revision des Strafgesetzbuches, 1824 Rektor der Universität, 1838 aus den meisten seiner Ämter, 1841 aus allen ausgeschieden, 28. August

1848 Ehrendoktor der Universität Prag,- gestorben zu Wien 6. Dezember 1853 (Wurzbach, Österreichische Biographie 23, 210 f). 10) Sebastian Jenull, geboren zu Winklern im Möllthal OberkärnthenS 4. Januar 1777, Gymnasium Salzburg, Universität Graz, dort 29. Mai 1802 Dr. jur., von Zeiller (der damals Präsident der Oberstudienkommission war) als Dozent der politischen Wissenschaften, des österreichischen Privatrechts und Kriminalrechts sofort in Graz angestellt, dort 1804 Professor dieser Fächer, 1810 bei der Universitätsreorganisation dort behalten als Professor des Naturund österreichischen Zivilrechts, 1830 in gleicher Eigenschaft nach Wien versetzt, 1837 wirklicher Hofrat, 1842 in den Ruhestand getreten, gestorben zu Wien 28. Dezember 1848. Er ist der jüngste Vertreter der so tüchtigen und leistungs­ fähigen älteren österreichischen Juristenschule, die das große Kodifikationswerk geschaffen und "aus dem Rohen wissenschaftlich zugearbeitet hatte; mit ihm stirbt sie aus. Nach einem Vermittlungsversuche durch Hye (siehe unten in diesem Kap. VI. 6) folgt dann später der Thunsche Import der historischen Richtung (über Jenull Wurzbach 10,166 f.). — Hinzuzunehmen etwa noch als Ergänzung nach der Seite des Polizeistrafrechts hin das Werk von Josef Kudler, „Erklärung des Strafgesetzes über schwere Polizeiübertretungen", zuerst er­ schienen 1824, in späteren Auflagen besorgt von Hye, ein Werk, das seinerzeit von der Kritik als eine Musterleistung anerkannt wurde und in starken Auf­ lagen reihenden Absatz fand. Kudler, Nationalökonom und Jurist, geboren zu Graz 10. Oktober 1786, nach Wien berufen 1821 als Professor der politischen Wissenschaften und der österreichischen politischen Gesetzeskunde, seit 1834 Redak­ teur der „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzes­ kunde", aus dem Lehramte ausgeschieden 1848, dann Mitglied und eine Zeit­ lang erster Vizepräsident des konstituierenden Reichstags, auch seit 1848 Mit­ glied der Akademie, gestorben zu Wien 6. Februar 1853, ist hauptsächlich be­ kannt durch sein rasch berühmt gewordenes Lehrbuch „Die Grundlehren der Volkswirtschaft", zuerst Wien 1846. (Darüber Roscher, Geschichte der National­ ökonomie S. 907. — Über Kudler im allgemeinen von Roschmann-Hörburg in

der A. D. B. 17, 292 f.) 11) Über den allgemeinen strafrechtstheoretischen Standpunkt des Straf­

gesetzbuches von 1803 und Jenulls, den auch Kudler teilt, vgl. Stooß, Lehr­ buch des österreichischen Strafrechts 1, 46, Note 56. 12) Friedrich Wilhelm Ludwig Bor ne mann, sonstige Daten: Machte den Feldzug 1815 als freiwilliger Jäger mit, studierte dann zu Berlin, trat 1819 in den preußischen Justizdienst, hielt als Hilfsarbeiter am Ober­ appellationsgericht zu Greifswald 1825—1831 zugleich Vorträge an der dortigen Universität über preußisches Landrecht, wurde 1837 vortragender Rat im Finanz- , Ministerium, 1842 Mitglied und 1843 Staatssekretär des Staatsrates, auch Präsident des Oberzensurgerichts, war Mitglied der preußischen Nationalver­ sammlung von 1848, der ersten Kammer von 1849 und, als. Kronsyndilus,

Zu Kapitel 18, S. 609—612.

267

des Herrenhauses seit 1860. Außer den im Text genannten Schriften noch als wertvoll durch reiche Kasuistik anzuführen: „Erörterungen im Gebiete des preußischen Rechts", erstes und einziges Heft, 1855. (Über ihn nach einem Gedächtnisworte von Friedberg, Berlin 1864, Göppert in der A. D. B. 3, 173 f.) 13) Göppert a. a. O. 14) Über Christian Friedrich Koch auf Grund verschiedener Nachrufe

aus den Jahren 1872 und 1875 Teichmann in der A. D. B. 16, 368 f. 15) Kochs Entwurf zu einer zivilprozessualen Reform er­ schien 1848, wurde aber meist ungünstig beurteilt. Übrigens war Koch zur Sache wahrlich genügend legitimiert, besonders auch durch seine scharfe und energische Schrift „Preußens Rechtsverfassung und wie sie zu reformieren sein möchte", 1843, mit Fortsetzung 1844; ferner durch ein „Lehrbuch des preußi­ schen Zivilprozesses", 1847, 2. Aufl. 1854; und endlich selbst durch ein „For­ mularbuch für instrumentierende Gerichtspersonen und Notarien", zuerst 1844, in acht Auflagen stark verbreitet. — Für Kochs Herabsinken vom Stolze wissen­ schaftlichen Höhendranges ist es doch bezeichnend, daß er sich auf eine solche Arbeit wie diese letzte überhaupt als reifer, berühmter Mann, der dessen materiell nicht mehr bedurfte, einließ, während er zur Zeit seiner Armut der­ gleichen verschmäht hatte. 16) Über die Rechtsgelehrten und Schriften, die das preußische Recht auf dieser Stufe behandelt haben, gibt, außer den bekannten späteren Lehrbüchern des preußischen Privatrechts, besonders genaue Auskunft zugleich mit Angabe der damals darüber gehaltenen akademischen Vorlesungen L. Goldschmidt, Rechtsstudien und Prüfungsordnungen, S. 82 f., anläßlich des dort auf die Entwicklung des Rechtsstudienganges in Preußen geworfenen Überblickes. Ge­ nannt seien danach noch folgende Schriftsteller und Werke: Zunächst die Umarbeitung, die Kleins „System des preußischen Privat­ rechts" (vgl. oben Landsberg, Gesch., Noten 299) 1830 und 1835 fand durch die Gebrüder Friedrich und Ludwig v. Rönne unter eingehender Berücksichtigung des gemeinen Rechts, also in derselben Richtung wie die Leistung der im Text besprochenen Juristen, über Friedrich Ludwig v. Rönne, der später wesentlich als Politiker bekannt geworden ist, siehe A. D. B. 29,133 f.; über den Staatsrechtsgelehrten Ludwig v. Rönne unten in diesem Kap. V. 4. Ferner kommt in Betracht die Tätigkeit von I. D. H. T emme, der sich besonders um die sonst arg vernachlässigte Provinz des preußischen Strafrechts verdient gemacht hat; namentlich sein „Lehrbuch des preußischen Strafrechts", das 1853 erschien, aber schon durch ein Handbuch von 1837 vorbereitet war, verdient die Anerkennung, daß es des bis . dahin ganz unverarbeiteten Stoffes in erfreulicher Weise Herr geworden ist. Aber auch Temmes „Lehrbuch des preußischen Zivilrechts" von 1846 ist ein seinerzeit brauchbares Kompendium besserer Art gewesen. Später hat er noch zwei Lehrbücher des schweizerischen (1855) und des neuen deutschen Strafrechts (1876) bearbeitet. — Übrigens ist Temmes Name ja bekannter geblieben durch seine politischen Schicksale. Jodokus Deodalus Hubertus Tem'me ist geboren zu Lette in West­ falen 22. Oktober 1798, vorgebildet durch seinen Onkel, einen Geistlichen, bezog

268

Zu Kapitel 18, S. 612.

1813 die Prima des Paderborner Gymnasiums, dann die Universität Göttingen, 1817 Auskultator, 1819 Referendar, 1821 Assessor in Hohenlimburg, dann eine Zeitlang fürstlich Bentheimscher Prinzenbegleiter auf den Universitäten Heidel­ berg, Bonn und Marburg, sodann der Reihe nach an den Gerichten zu Arns­ berg, Ragnit, Stendal, Greifswald tätig. Schließlich wurde er 1839 zweiter Direktor am Berliner Kriminalgericht. Hier trat er in Betätigung seiner demo­ kratischen Überzeugungen ins politische Leben ein, wurde 1844 aus der Haupt­ stadt durch die Beförderung zum Gerichtsdirektor in Tilsit entfernt, kehrte aber zu ihr 1848 als Staatsanwalt zurück, um wieder aus ihr als Vizepräsident des Oberlandesgerichts nach Münster herausbefördert zu werden. Die Beteili­ gung an der weiteren liberalen Politik, namentlich der Steuerverweigerung, führte zu immer schärferen Schritten gegen ihn; schließlich wurde er unter rück­ ziehender Anwendung einer Verordnung durch das Obertribunal als Disziplinar­ hof im Februar 1851 zur Amtsentsetzung verurteilt, ein Urteil, das eines der traurigsten Blätter in den Annalen der deutschen Gerichtshöfe bildet, während er 1850 vor dem Geschworenengericht von der Anklage des Hochverrats glatt freigesprochen worden war. Temme begab sich nun, nachdem das Scheitern anderer Versuche gezeigt hatte, daß es ihm in der Heimat unmöglich gemacht war, sich durchzubringen, ins Exil nach Zürich. Zwar erhielt er dort alsbald eine Professur, blieb aber doch für seinen Unterhalt hauptsächlich auf den Ertrag seiner belletristischen Arbeiten (hauptsächlich eine Reihe beliebter Kriminalromane) angewiesen. Obschon 1863 von den Berliner Wählern ins Abgeordnetenhaus gerufen, ist er von da ab Zürich treu geblieben, nur ein­ mal, 1878, nach Niederlegung der Züricher Professur, auf kurze Zeit nach Tilsit übergesiedelt. Nach Zürich zurückgekehrt, ist er dort am 14. November 1881 gestorben, bis ans Ende unerschütterlich seinen demokratischen Ansichten getreu in Wissenschaft und Leben. („Berliner Tageblatt" vom 20. November 1881. — Erinnerungen an I. D. H. Temme, zuerst in der „Frankfurter Zeitung", dann selbständig herausgegeben von seinem Schwiegersohn Stephan Born, Leipzig 1883. — Franz Brünner, in der A. D. B. 37, 558 f.) Weiterhin gehört hierher die ganze verdienstliche Tätigkeit von Ludwig Eduard Heydemann (lebte 18. Mai 1805 bis 11. September 1874, Teich­ mann in der A. D. B. 12, 349), für den auf Savignys Veranlassung Dezember 1845 der erste ordentliche Lehrstuhl des preußischen Landrechts zu Berlin er­ richtet wurde, nachdem er dieses ebendort schon seit 1840 mit außergewöhn­ lichem Erfolge gelehrt hatte. Seine Werke behandeln das preußische Landrecht sowohl geschichtlich wie dogmatisch, stets aber im Zusammenhang mit der Praxis, in der er eben deshalb neben seiner Universitätslaufbahn verblieben ist. Er schrieb „Über die Elemente der Joachimschen Konstitution vom Jahre 1527", Berlin 1841. — Über preußische Nachdruckgesetzgebung, 1863. — Als besonders wertvoll werden bezeichnet sein „Grundriß des Systems des preußischen Zivil­ rechts", 1851, und mehr noch desselben Werkes erweiterte zweite Auflage unter beni Titel „Einleitung in das System des preußischen Zivilrechts", 1861, und Fortsetzung 1868, jedoch nicht vollendet. — Schließlich aus späteren Jahren noch anzuführen seine Schrift „Anklänge des preußischen Landrechts an die deutsche

Zu Kapitel 18, S. 612—619.

269

Parentelordnung", 1871, wegen des dogmengeschichtlichen Zusammenhanges mit dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch. Endlich seien noch genannt als tüchtige Einzelwerke die Monographie von Karl Witte (dem bekannten Rechtshistoriker, siehe oben Note 11 a zu Kap. 17, II. 6 und Text dazu) über das preußische Jntestaterbrecht von 1838 und das Werk von Franz Löher, „Das System des preußischen Landrechts in deutsch­ rechtlicher und philosophischer Begründung", Paderborn 1852, während die Schrift des Kirchenrechtshistorikers Laspeyers über das „System des preußischen Privatrechts" aus dem Jahre 1843 schon oben, wo von ihm die Rede war (Kap. 16, I. 3) Erwähnung gefunden hat. 17) Wegen des unvermeidlich sachlichen und wegen des bald wieder aus­ geglichenen persönlichen Konflikts mit Wächter vgl. O. v- Wächter, Karl Georg v. Wächter S. 62 f.

II. 2.

1) Diese schon früher genannten Schriften von Wächter sind: „Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Strafrecht", 1844, und „Beiträge zur deutschen Geschichte, insbesondere zur Geschichte des deutschen Strafrechts", 1845. 2) Siehe namentlich Wächters Aufsatz über Gesetzgebung in Rottecks und Welckers Staatslexikon s. h. v. 3) Belege dafür aus Ausführungen von Windscheid und Jhering zu­ sammengestellt bei O. v. Wächter a. a. O. S. 148. 4) Diese Abhandlung in Band 24 und 25 des Archivs, Jahrgänge 1841 und 1842. 5) Als späterer Beitrag Wächters zum württembergischen Recht ist be­ sonders zu nennen seine Vorrede zu der Stuttgart 1859 erschienenen Ausgabe der Materialien zum württembergischen Landrecht vom 1. Juni 1610. 6) Windscheid, Nekrolog von 1880, S. 38, angeführt bei O. v. Wächter a. a. O. S. 150. 7) Vgl. schon oben Kap. 16, Text S. 391. 8) Außerdem als Wächters letzte Schriften zu nennen: „Strafrechtliche Fragen, drei Programme (I. Über die Gewalt bei der Erpressung, H. über den Tatbestand der Kindesabtreibung, III. zur Texteskritik und Auslegung des Strafgesetzbuches, namentlich §§ 88 und 89)", Leipzig 1875, 1876 und 1877 (auch im „Gerichtssaal" 27, 161 f.; 29, 1 f. und 29, 321 f.); und „Die Entscheidungsgründe zu dem Schiedssprüche in der Berlin-Dresdener Eisenbahn­ sache", Leipzig 1877. — Posthum hrsggb. Pandekten, 2 Bde., 1880/81.

II. 3. 1) Doch sei hier ergänzend auch noch zurückverwiesen auf einen echten Sproß der älteren historischen Schule, der daneben die territoriale Privatrechtswissenschaft in unmittelbarem Anschluß an Wächters Beispiel zu behandeln ver­ standen hat, den oben (Kap. 17, II. 6) schon besprochenen älteren (Karl Wil­ helm Ernst) Heimbach, als Verfasser des „Lehrbuches des partikulären Privat-

270

Zu Kapitel 18, S. 619—620.

rechts der zu den Obergerichten zu Jena und Zerbst vereinten Länder", 1848, mit Nachträgen 1851—1853. III. 1) Vgl. im allgemeinen: Jolly „Die neuere Literatur des Wechselrechts" in der „Kritischen Vierteljahrsschrist" 2, 537 f. — Kuntze, in „Schletters Jahr­ buch der deutschen Rechtswissenschaft" 6, 119 f. — Goldschmidt „Über die wissen­ schaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und den Zweck dieser Zeit­ schrift", Einleitungsartikel zu Bd. 1 seiner „Zeitschrift für Handelsrecht".

HI. 1. 1) Karl Eineri, geboren als Sohn des Juristen und Bürgermeisters Christian Gottlob Einert zu Leipzig 31. Dezember 1777, dort 1802 Advokat, 1807 Dr. jur., 1816 Mitglied der Juristenfakultät, 1828 Präsident des Handels­ gerichts, 1835 als Rat in das Justizministerium berufen und mit der Aus­ arbeitung eines Entwurfes zu einer sächsischen Wechselordnung betraut, der 1841 im Druck erschien. Seit 1843 Vizepräsident des Oberappellationsgerichts zu Dresden, als solcher Vertreter des Königreichs Sachsen bei den Leipziger Wechselrechtskonferenzen 1847, zuletzt Appellationsgerichtspräsident in Leipzig. Dort gestorben 25. Februar 1855. (Sieffenhagen in der A. D. B. 5, 759.) 2) Siehe Landsberg, Gesch., Text 491's. 3) Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels, der oben besprochene rheinische Kenner und Bearbeiter des französischen Rechts. Hierher gehört seine Schrift: „Grundsätze des Wechselrechts", Köln 1827. 4) Bon Bender, dem mehrfach schon erwähnten Bearbeiter des Frank­ furter Rechts, rühren her „Grundsätze des deutschen Wechselrechts mit Berücksichtigung der Gesetzgebung und Wissenschaft des Auslandes", Darmstadt 1828; sie erschienen als zweiter Band seiner Grundsätze des deutschen Handelsrechts. 5) Außerdem von G. K. Treitschke, Handbuch des Wechselrechts, Leipzig 1824. — Eine ähnliche enzyklopädische Arbeit, zugleich schon ausgesprochener­ maßen auch eine Vorarbeit für die allgemeine deutsche Wechselordnung war das Werk von I. L. U. Dedekind: „Abriß einer.Geschichte des Wechselrechts und seiner Bearbeitung in sämtlichen Staaten Europas", Braunschweig 1843. Er­ gänzt durch die Schrift: „Vergangenheit und Gegenwart des deutschen Wechsel­ rechts mit Wünschen für seine Zukunft, für seine gleichförmige Kodifikatton in ganz Deutschland", 1844. — Georg Karl Treitschke, geboren zu Dresden 27. Dezember 1783, 1829 Assessor in der Leipziger Juristenfakultät, 1845 Appel.lationsgerichlsrat zu Dresden, gestorben 1855, gilt auch sonst als tüchtiger handelsrechtlicher Schriftsteller wegen seiner Bücher „Lehre von der Erwerbs­ gesellschaft", 1824, 2. Auflage 1844. — „Kaufkontrakt", 1838, 2. Auflage noch 1865. — „Rechtsgrundsätze vom Kommissionshandel", 1839. — Julius Levin Ulrich Dedekind, geboren zu Holzminden 11. Juli 1795, seit 1820 Privat­ dozent zu Göttingen, seit 1822 Lehrer der Rechte am Collegium Carolinum in Braunschweig, dort gestorben 2. August 1872. (Spehr in der A. D. B. 5,15 f.)

Zu Kapitel 18, S. 620—625.

271

6) Abhandlung 2 in Eineris „Erörterungen einzelner Materien des Zivil­ rechts", 1840, 2. Auflage 1846. Nach einer Vorbemerkung darin hat Eineri sich auch damals schon um den Entwurf eines Kgl. sächsischen Firmengesetzes bemüht, woraus sich ergibt, daß er das Problem des kaufmännischen Namens sofort im Zusammenhang mit dem des alltäglichen Namens erfaßt hatte. 7) Vgl. z. B. I. E. Kuntze, Deutsches Wechselrecht, S. 36, und Oskar Wächter, Wechselrecht des deutschen Reiches, Stuttgart 1883, S. 65 f. |8) Specimen VI, S. 5.

in. 2. 1) Friedrich August Gottlob Liebe (später v. Liebe), geboren zu Braunschweig 18. Dezember 1809, bezog Ostern 1828 die Universität Göttingen, bestand Ende 1831 die erste Staatsprüfung, ward darauf Advokat und Notar in Braunschweig und ging, nachdem er sich so die Mittel verschafft hatte, zum Staatsdienst über, mittels einer zweiten, im März 1836 „vorzüglich" bestandenen Prüfung. Zum 1. August 1837 wurde er Kreisgerichtsassessor in Wolfenbüttel, nach Erscheinen seines Werkes über die Stipulation aber 1841 in das herzog­ liche Staatsministerium gezogen, zunächst zu Sekretärdiensten, am 1. Januar 1847 zum Hofrat befördert, 30. April 1848 zum Legationsrat und zum braun­ schweigischen Bundestagsgesandten in Frankfurt ernannt. Seine weitere diplo­ matische und staatsmännische Laufbahn ist der Herbeiführung eines deutschen Einheitsstaates mit preußischer Spitze auf Grundlage konstitutionell monarchi­ scher Verfassung der in ihrer beschränkten Selbständigkeit gesicherten Glied­ staaten gewidmet, und hat dieses Ziel mit einer Gewandtheit, einem politischen Verständnis und einem -Eifer verfolgt, denen es nicht versagt geblieben ist, zu dem großen Erfolge von der bescheidenen Stellung des braunschweigischen Einzelstaates aus beizusteuern und dadurch auch wieder diesem Einzelstaate manchen Vorteil zu erwirken. Nach Gründung des Deutschen Reiches hat dann v. Liebe Braunschweig im Bundestag vertreten und dort als hervorragende Arbeitskraft und kenntnisreicher Geschäftsmann am Ausbau der deutschen Ver­ fassung und Gesetzgebung, an allen Justizfragen und Finanzangelegenheiten des Reiches bedeutenden Anteil gehabt. Gestorben ist er am 9. April 1885. (P. Zimmermann, in der A. D. B. 51, 698 f.) 2) Protokolle der Wechselrechtskonferenzen S. 4.

in. 3. 1) Zur Biographie von Heinrich Thöl: Gareis in „Buschs Archiv für Theorie und Praxis des Handelsrechts" 46, 5 f. — Ehrenberg, in „Goldschmidts Zeitschrift für das Handelsrecht" 31, 564 f. — F. Frensdorfs, Vortrag, gehalten in der Göttinger Gesellschaft für Kirchenrechtswissenschaft am 22. Juli 1884, erschienen zu Freiburg i. B. 1885 und als Anhangshest zur „Zeitschrift für Kirchenrecht", Bd. 20. — Derselbe in der A. D. B. 38, 47 f. — Einzelne Äuße­

rungen von Goldschmidt in der „Zeitschrift für Handelsrecht" 1, 17 ; 26, 606 f.; 28, 441 f.; 33, 499; von Beseler „Erlebtes und Erstrebtes" 29, 52; von Reysche.r „Erinnerungen" 89; von Bluntschli „Denkwürdigkeiten" 2, 287.

272

Zu Kapitel 18, S. 626—631.

2) Worte Frensdorffs a. a. O., offenbar aus eigenem Erlebnis. 3) Handelsrecht, Bd. 1, weitere Auflagen 1850, 1854, 1862, mit nur äußerlich angefügter Berücksichtigung-des neuen Handelsgesetzbuches, 1875 ganz umgearbeitet auf Grundlage des Handelsgesetzbuches, und 1879. — Diese Ver­ schiedenheit in der Benutzung des neuen Handelsgesetzbuches zwischen den Auf­ lagen von 1862 und 1875 beruht keineswegs auf Widerstreben oder auf Lang­ samkeit bei der Bewältigung seines Stoffes, sondern auf starrer Prinzipien­ treue/ 1862 sah Thöl im Inhalte des Handelsgesetzbuches noch kein gemeines, sondern bloß allgemeines Recht, das er deshalb dem gemeinen Rechte unter­ ordnet, bloß im einzelnen Falle da, wo es positivrechtlich gilt, anerkennt. Im Jahre 1875 ist dieses- Recht auch formal gemeines deutsches Recht geworden und nunmehr zur Herrschaft gemeinhin berufen. Vgl. Laband in der „Kriti­ schen Vierteljahresschrift" von 1870, 12, 45 f. über die Auflage von 1862. 4) Diese Studien machte Thöl, während er die Ferien in seiner Vater­ stadt zubrachte, besonders 1836. 5) Dies gilt auch noch voll und ganz für die gleichzeitigen handelsrecht­ lichen Werke des namentlich um das Seerecht sachlich verdienten, „trefflichen" (so nennt ihn Mommsen, Gesammelte Schriften 3, 586) Meno Pöhls: Darstellung des gemeinen deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts, allgemeiner Teil 1828. — Seerecht 1830—1833. — See-Assekuranzrecht 1832, 1834. — Recht der Aktiengesellschaft 1842. — Aber auch die französischen Bearbeiter des Code de commerce waren über einen beschreibend kasuistischen Standpunkt kaum hinaus­ gekommen, trotz des Vorsprunges, den ihnen die festere gesetzliche Unterlage bot und trotz des auf diesem Gebiete berechtigten Rufes von Jean Marie Pardessus (1772—1853) und seines Cours de droit commercial, zuerst 1814—1816, 6. Ausgabe besorgt von E. de Roziere, 4 Bände, 1856/57. — Merkwürdig nur, wie auch geschichtlich dieses Werk von Pardessus so absolut nichts bietet, jeden, selbst den leisesten Versuch äußerlich oder innerlich an die Rechtsentwicklung anzuknüpfen, vermissen läßt, das jetzt geltende Recht wie vom Himmel gefallen nicht nur darstellt, sondern auch innerlich auffaßt, obschon doch später Pardessus, auf der Spur der deutschen historischen Schule wandelnd, seine berühmte sechs­ bändige Sammlung und Erörterung der ältesten und älteren Seerechte unter dem Titel: »Collection des lois maritimes antörieures au 18^« Siede«, 1828—1845, und seine umfassende, 65 Handschriften verwertende Ausgabe der >Loi salique« mit 14 angehängten, gründlich verfassungsgeschichtlichen Disser­ tationen, Paris 1843 veröffentlicht hat. Beide sind bedeutende und je auf ihrem Gebiete grundlegende Leistungen; vgl. wegen des salischen Gesetzes besonders Kraut, in den „Göttinger Gelehrten Anzeigen" von 1847, Stück 137, S. 1723 f. 6) Goldschmidt, in der „Zeitschrift für Handelsrecht" 1, 17. 7) Handelsrecht, Bd. 2, weitere Auflagen 1865, 1873, 1878. 8) Einleitung in das deutsche Privatrecht S. 107 f., § 38, Note 1. 9) Ebenda, z. B. S. 143, Note 5, Warnung gegen die verallgemeinernde Behauptung, „daß alle Rechtssätze des Handelsrechts auf das Prinzip des kauf­ männischen Kredits hinauslaufen". 10) Siehe Pappenheim in der A. D. B. 49, 439.

Zu Kapitel 18, S. 632—634.

273

11) Von feiten Goldschmidts wurde diese Polemik geführt in den beiden oben angeführten Aufsätzen der „Zeitschrift für Handelsrecht", Bd. 26 und Bd. 2. ,2) Goldschmidt a. a. O. S. 33, 499. 3) Kierulff ist nicht viel älter als Thöl, des ersteren Hauptwerk datiert von IM, Thöls Handelsrecht von 1841; Thöl hat weder in Kiel noch in Rostoc, wo Kierulff gelehrt hat, studiert; und der „berühmte Präsident" des Oberwpellationsgerichts Lübeck, den Thöl in der Vorrede von 1841 erwähnt, ist danals natürlich noch nicht Kierulff, sondern noch Heise. Man bedenke end­ lich, dß das Studium Thöls in Lübischen Urteilen, zu dem man ihn als hauptfichlich durch Kierulffs Grundsätze bestimmt vermuten könnte, aus 1836 stamm, also drei Jahre vor Erscheinen des Werkes von Kierulff liegt; wiederum ist es also dabei eher Heise als Kierulff, um dessen Einfluß es sich handelt. .4) Vgl. z. B. außer dem rasch bekannt gewordenen und schon erwähnten Ausdnck „Summenversprechen" etwa noch den Ausdruck „Vorvertrag", Vor­ wort zrr 3. Auflage des Handelsrechts, Bd. 1, 1854. .5) Vgl. z. B. für die Unterscheidung von Spiel und Wette Ehrenberg a. a. D. S. 572. III. 4.

Auf Thöls Standpunkt steht von den neueren handelsrechtlichen Zeit­ schriften wohl wesentlich, im Gegensatz zu Goldschmidts „Zeitschrift für das gesamt Handelsrecht", das „Archiv für die Theorie und Praxis deS allgeminen deutschen Handels- und Wechselrechts", begründet 1865 durch F. B.Busch, fortgeführt seit 1876 durch H. Busch. — Ferdinand Benja­ min Zusch, geboren zu Arnstadt 19. August 1797, studierte zu Jena und Leipzii, wo namentlich Haubold Einfluß auf ihn übte, trat dann in den heimi­ schen Etaats- und Justizdienst, 1842 Präsident des Landeskollegiums zu Arn­ stadt, 1852 Vizepräsident des den Thüringischen Staaten gemeinschaftlichen Appellltionsgerichts Eisenach, in den Ruhestand übergetreten 1862, gestorben 14. Aigust 1876. Er ist Autor u. a. eines Kommentars zu den Strafgesetz­ büchen Sachsens und Thüringens 1848 und zahlreicher Artikel im „Archiv für die zivl. Praxis" (Nekrolog in seinem Archiv 34, 435 f.). 9 Karl Heinrich Ludwig Brinkmann, geboren zu Hamburg 1809, dort längere Zeit Advokat, 1846 zu Heidelberg als Dozent des Handels-, Wechses- und Seerechts habilitiert, auch Mitbegründer der „Kritischen Zeit­ schrift mr die gesamte Rechtswiffenschaft", in der sich mehrere kleine Aufsätze von ihm banden, gestorben 1855 (Brie in der A. D. B. 3, 333). i) Achilles Renaud, abstammend aus alladeliger hugenottischer Familr, ist geboren zu Lausanne 14. August 1819, erzogen zu Bern, wo sein Vater seit seinem dritten Lebensjahre als reformierter Geistlicher lebte. Achilles Renaw bestand dort sein Abiturientenexamen im 18. Jahre und bezog nun der Rehe nach die Universitäten Bern, Heidelberg, Berlin und wiederum Heidel­ berg, vobei er namentlich Thibaut, Savigny und Bangerow seine Ausbildung verbackt. In Heidelberg promovierte er, ging dann noch für ein halbes Jahr Laidsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten . 18

274

Zu Kapitel 18, S. 635.

zu Studienzwecken nach Paris und schrieb nun sein erstes juristisches Werk über ein Thema des französischen Rechts, >la mort civileDe evictione citra stipulationem praestanda« es eingesührt, beim Abdrucke der Di­ gestenstelle die Angabe des Verfassernamens stets selbstverständlich vorauf­ zuschicken, wie seither allgemein üblich geworden, damals aber von ihm, wenigstens ohne ihm bekanntes Vorbild neu geübt. 3) Physik hörte Better bei Dove nach seiner Mitteilung „trefflich", und stand dann in nahem Verkehr namentlich mit Kirchhoff, Bunsen, Kühne und Königsberger. Indem er dies berichtet, bemerkt er dazu, er habe überhaupt „Naturkunde gesucht, so viel zu finden war". Den spielenden Natur-Analogien, die zu seiner Anfangszeir Brauch waren, ist er vielleicht eben darum ferne geblieben. 4) Vetters Einleitungsartikel zu seinen und Muthers Jahrbüchern trägt den Titel: „Über das gemeine deutsche Recht der Gegenwart und dessen Behandlung."

5) Anonym auf Veranlassung des Bundeskanzlers veröffentlicht 1868. 6) In der mir gütigst überlassenen autobiographischen Aufzeichnung zum Abschlüsse. 7) Rektoratsrede vom 22. November 1886 „Über den Streit der historischen und philosophischen Rechtsschule"; Heidelberger Festschrift „Bier Pandettisten" von 1903; die mehrfach angeführte Schrift über B. W. Leist und seine Äqualen;

der Nachruf an Pernice in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung, rom. Abt., Bd. 22; und letztlich noch eine interessante Zusammenstellung charakteristischer

Zu Kapitel 20, S. 849-851.

357

Erinnerungen an Puchta und Wächter in der Festgabe der Deutschen JuristenZeitung zum Leipziger Universitäts-Jubiläum 1909, S. 95 f. 8) Das persönliche Verhältnis zu Jhering war in späteren Jahren ein wirklich freundschaftliches geworden. Mitteilung Vetters selbst a. a. O. 9) Bekker, Heidelberger Festschrift 1, 151. 10) Vgl. Archiv für bürgerliches Recht 28, 176, auch angeführt in dem­ selben Zusammenhang bei Max Rümelin, Festrede von 1907, S. 44, Note 47. Seitdem spinnt sich die Kontroverse über alte Fragen in neuen Formen fort, besonders zwischen Sohm und Heck. Siehe Festgabe der Deutschen JuristenZeitung zum 500jährigen Jubiläum der Universität Leipzig 1909, Artikel über Begriffsjurisprudenz von Sohm, S. 171 f.; und fernerhin Deutsche JuristenZeitung 14, 1457 f., 15, 114 f. 11) Nachtrag dazu über das Prinzip der prozessualischen Konsumption in der Zeitschrift der Savigny-Stistung, rom. Abt., 21, 1 f.

12) Diese Studien handeln >de emptione venditione quae Plauti fabulis fuisse probetur«, 1853, und über »Loci Plautini de rebüs creditis«, 1861. Wegen des ursprünglichen Planes siehe die ersten Worte eines späteren Aufsatzes, der unter der Überschrift „Die römischen Komiker als Rechtszeugen" in der Zeitschr. d. Savigny-Stistung, rom. Abt., 13, 1 f. erschienen ist und an­ läßlich einiger Rezensionen weitere Plautinische Studienfrüchte mitteilt.

13) Ein kleiner Auftakt dazu ist der Artikel über das Verhältnis von Actio zu Obligatio in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte 9, 366 f.; ein kleiner Nach­ trag zur Lehre von der legis actio in der Zeitschrift der Savigny-Stistung, rom. Abt., 25, 1 f. von 1904. 14) Bon dem, was Bekker über das Obligationenrecht zu sagen vorhatte, haben wir wohl die zusammengedrängte, historisch wie dogmatisch bedeutsame Summe vor uns in seinem Aufsatze von 1902 „Über die Objekte und die Kraft der Schuldverhältnisse, geschichtliche Überschau von der Zeit der Manusinjektion bis in die Gegenwart", erschienen in der Zeitschrift der Savigny-Stistung, rom. Abt., 23, 1 f. 15) Stand doch Bekker Mommsen auch persönlich nahe, wie dieser denn ja auch zahlreiche Artikel in Vetters und Muthers Jahrbücher beigesteuert hat. 16) In den dogm. Jahrb. 12, 1 f. 17) In den Sitzungsberichten der K. Bayer. Akademie der Wissenschaften, Sitzung der philosophisch-historischen Klasse vom 3. November 1898. Better ist seit 1897 korrespondierendes Mitglied dieser Akademie.

18) Hierher würde namentlich gehören, außer seiner Tätigkeit als Mit­ herausgeber von seinen und Fischers Beiträgen, Vetters Besprechung von Sprache und System des Entwurfes zum Bürgerlichen Gesetzbuche, Heft 2 dieser Beiträge, 1888, und seine ttefeindringende Studie „Zur Reform des Besitz­ rechts" in den dogm. Jahrb. 30, 235 f., die auf den zweiten Entwurf des BGB. von starker Wirkung gewesen ist. Der Veröffentlichungen aus dem laufenden Jahrhundert Erwähnung zu tun, enthalte ich mich vollständig aus naheliegenden Gründen.

3H8

Zu Kapitel 20, ®, 852—853.

I. 4. 1) Die Gleichaltrigen, die besonders schon in den ersten Bänden der dogm. Jahrb. auftreten, sind aus diesem Anlasse bereits zusammen gestellt oben in Note 7 zu Kap. 19, III. 3. Von den doxt Eingereihteu ist nur Demelius dem Atter wie der Auffassung nach wesentlich jünger und deshalb hier aber­ mals in Erinnerung zu bringen; wegen seiner frühen Wirksamkeit mußte er schon dort eingestellt werden.

2) Gustav Hartmann, geboren zu Vechelde in Braunschweig am 31. März 1835, Gymnasium Braunschweig, von 1853 ab Universität Göttingen, wo er besonders von Francke und Thöl angeregt worden ist — man beachte seinen Beginn mit erbrechtlichen Studien gemäß dem Beispiele Franckes und seinen lebenslänglich bewährten prakttsch fortschrittlichen Sinn gemäß dem Bei­ spiele Thöls —, erwarb 1855 einen akademischen Preis, promovierte zu Götttngen 11. März 1857 und habilitierte sich dort 1860. Er folgte einem Rufe als o. Professor Frühjahr 1864 nach Basel, 1872 nach Freiburg, 1878 nach Göttingen, endlich Frühjahr 1885 nach Tübingen, wo er am 16. November 1894 gestorben ist. (H. Degenkolb, Archiv f. d. zivilist. Praxis 84, 1 f. mit Schriften­ verzeichnis. — I. Pfaff in der A. D. B. 50, 28 f.) 3) Sie finden sich in der Reihenfolge des Textes an folgenden Stellen: Dogm. Jahrb. 17, 69 f., 20, 1 f.; Archiv f. d. zivilist. Praxis 65, 147 f.; Dogm. Pahrb. 22, 417 f.; Archiv f. d. zivilist. Praxis 7,2, 161 f. Eine Zeit lang war Hartmann Mitherausgeber des Archivs für die zivilistische Praxis; darin u. a. auch noch sein Artikel über das Schuldverhättnis nach römischem und modernem Recht, 70, 169 f. 4) 'Diese in der Habilitationsschrift von 1860 „Zur Lehre von den Erb­

verträgen und den gemeinschaftlichen Testamenten"; in dem akademischen Pro­ gramm von 1864 über die querela inofficiosi testamenti; und in einem Auf­ sätze der Zeitschrift für Rechtsgeschichte Bd. 5 über Einzelheiten der lex Julia et Papia. 5) Im Archiv f. d. zivilist. Praxis 77, 161 f.

6) Ferdinand Regelsberger, geboren zu Gunzenhausen 10. Sep­ tember 1831, Gymnasien Erlangen und Leipzig, 1857 Dr. jur., 1858 habilitiert zu Erlangen, zu Zürich 1862 ao., 1863 o. Professor. Folgte Berufungen 1868 nach Gießen, 1872 nach Würzburg, 1881 nach Breslau und 1884 nach Göttingen, wo er jetzt noch tätig ist. — Sonstige Werke: Zur Lehre vom Attersvorzug der Pfandrechte 1859; Die Vorverhandlungen bei Verträgen 1868; Bayerisches Hypothekenrecht, Studien dazu 1872; System in zwei Bänden (als Teil der pyN Meibom herausgegebenen Sammlung deutscher Hypothekenrechte) 1874 bis 1881, 3. Auflage 1896 ; und „Pandekten", erster (einziger) Band, 1893. 7) August Bechmann, später v. Bechmann, geboren zu Nürnberg am 16. August 1834, mütterlicherseits ein Urenkel des großen Christian Thomasius, Gymnasium Nürnberg, Universitäten München und Berlin, Dr. jur. 1860, habilitiert zu Würzburg 1861, sofort o. Professor zu Basel 1862, folgte dann Berufungen nach Marburg 1864, Kiel Herbst 1864, Erlangen 1870, Bonn 1880,

Zu Kapitel 20, S. 853—854.

359

München als Nachfolger von Brinz 1888; wurde dort Staatsrat der Krone Bayern 1891, auch Mitglied der Kgl. Bayer. Akademie; dort gestorben am 11. Juli 1907. — Ältere Schriften außer den im Text genannten: „Zur Lehre vom Eigentumserwerb durch Akzession", 1867. — Über das jus postliminii und die lex Cornelia, 1872.

8) Bechmann, Kauf, 1 Teil, Geschichte, 1876; 2. Teil, System, 2 Bände, 1884 und 1905.

9) Gustav Mandry, später v. Mandry, geboren 31. Januar 1832 zu Waldsee in Württemberg, Gymnasium Ehingen, Universitäten Heidelberg und Tübingen seit 1849, bestand 1854 die erste und 1855 die zweite württembergische Staatsprüfung für den praktischen Justizdienst, wurde 1856 Assistent am Stadt­ gericht Stuttgart, aber schon August 1861 o. Professor des römischen, bald auch des württembergischen Rechts zu Tübingen, in welcher Stellung er verblieben ist. Seit 1884 Mitglied der ersten, dann auch der zweiten Kommission zur Abfassung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, hielt er sich längere Zeit un deren Sitz auf und kehrte erst 1889 nach Tübingen heim, um dann den Vorsitz der Kommission für den Entwurf eines württembergischen Ausführungs­ gesetzes zu übernehmen. Er wurde am 14. April 1899 zum Staatsrat ernannt, 15. Juli 1900 auf seinen Wunsch pensioniert, aber noch 10. Juni 1901 zum Mitglied der Kammer der Standesherrn auf Lebenszeit berufen, wie er schon seit 1885 Mitglied des Staatsgerichtshofes war. Er ist gestorben zu Tübingen am 30. Mai 1902. Er war langjähriger Mitherausgeber des Archivs für die zivilistische Praxis. Außer den im Text genannten Werken begann er noch in hohem Alter die Ausarbeitung eines umfassenden „Württembergischen Privat­ rechts", das dann von O. Haidlen fertiggestellt wurde, drei Teile 1901—1903. (Teichmann in Bettelheims biogr. Jahrb. 7, 133 f.) 10) Diese letzte Ausgabe bearbeitet durch O Geib.

11) Außer den im Text Genannten seien hier noch folgende Romanisten zusammengestellt, die eben noch in unsere Epoche sich einordnen lassen und darin Erwähnung verdienen, nach der Reihenfolge des Geburtsalters August Ubbelohde, geboren 18. November 1833 zu Hannover, seit 1851 Universität Götttingen, von 1854 ab einige Jahre in der juristischen Praxis, promoviert zu Göttingen „mit Auszeichnung" 15. Oktober 1856, dort Privatdozent 1857, ao. Professor 1862, o. Professor zu Marburg 1865, dort verblieben bis zu seinem Tode 30. September 1898. — Ubbelohde ist von allen hierher gehörigen Dogmatikern wohl der, welcher der reinen historischen Schule am strengsten treu geblieben ist; auf diesem Gebiete hat er sich durch zahlreiche Arbeiten, beginnend mit der Habilitationsschrift über die Kompensation (Göt­ tingen 1858) seine Verdienste erworben. Hauptwerke: die Monographie über die Lehre von den unteilbaren Obligationen, Göttingen 1862, und die Bear­ beitung der Jnterdiktenlehre in dem Glückschen Pandektenkommentar, Serie der Bücher 43 und 44, 5 Bände, Erlangen 1889—1896. Dabei sind zugrunde ge­ legt und durchgeführt die eigenartigen Anschauungen über römische Gerichts­ verfassung, die in O. E. Hartmanns darauf bezüglichem Werke zuerst vertreten

360

Zu Kapitel 20, S. 854.

worden sind (Chronik der Universität Marburg für 1898/99 S. 3 f. mit Schriften­ verzeichnis. — Ernst Landsberg in der A. D. B. 54, 724 f.). — Dieser Otto Ernst Hartmann, geboren 30. September 1822 zu Lüneburg, gestorben zu Göttingen, wo er 1851—1859 und wieder seit 1862 (zwischenzeitlich in Halle) Professor der Rechte war, am 17. September 1877, veröffentlichte den ersten Abschnitt seines Werkes unter dem Titel: „Der Ordo judiciorum und die judicia extraordinaria der Römer", Teil I über die römische Gerichtsverfassung, 1859; der Rest wurde erst aus seinem Nachlasse herausgegeben von Ubbelohde, 1886. (Frensdorff in der A. D. B. 10, 698 f.) Heinrich Robert Göppert, Sohn des berühmten Botanikers und Paläontologen gleichen Namens, geboren zu Breslau 14. März 1838, studierte zu Breslau, Heidelberg und Berlin, promovierte zu Breslau am 23. Januar 1858, dort, wo er auch eine Weile im praktischen Justizdienst stand, habilitiert Oktober 1863, Herbst 1865 ao. und August 1868 o. Professor, seit 1870 auch politisch tätig, Mitte 1873 ins Kultusministerium berufen und da namentlich mit der Leitung der Universitätsabteilung betraut, 1874 Geh. Regierungsrat, 1877 Geh. Ober-Regierungsrat ; während gedeihlicher Tätigkeit, der besonders Verdienste um die Förderung des Universitätswesens nachgerühmt werden, durch einen Unfall auf einer Dienstreise betroffen, daran gestorben zu Berlin am 18. Mai 1882. — Seine Hauptwerke handeln über die organischen Erzeugnisse, Halle 1869, und über einheitliche zusammengesetzte und Gesamtsachen nach römischem Recht, 1871, letzteres deshalb allgemeiner bedeutsam, weil es den Einfluß der stoischen Philosophie auf das römische Recht beansprucht und da­ mit, wie später sich ergeben hat, auf der richtigen Fährte gewesen ist. Hinter­ lassene Fragmente zu einem großen Werk über die Rückwirkung der Gesetze wurden von E. Eck herausgegeben in den Dogm. Jahrb. 22, 1 f. Eine ältere Schrift von 1864 behandelt die Lehre vom Miteigentum nach preußischem Land­ recht. (Teichmann in der A. D. B. 49, 454 f.) Ernst Wilhelm Eduard Eck, geboren zu Berlin als Sohn des dor­ tigen Professors der Medizin und Direktors der Pepiniere am 21. August 1838, verbrachte nur einige Jahre am Friedrich Werder-Gymnasium, um von 1851 ab auf Schulpforta den humanistischen Vorstudien obzuliegen, die ihn dauernd der Beschäftigung mit dem klassischen Altertum zuführten. Er studierte seit Ostern 1857 in Heidelberg und Berlin, besonders gefördert durch Bangerow und E. I. Bekker, ferner aber auch durch Ämilius Ludwig Richter, so daß er am

27. März 1860 mit einem kirchenrechtlichen Thema promovierte. Nachdem er 1865 das Assessorexamen bestanden hatte, wurde er sofort im Handelsministerium beschäftigt, habilitierte sich 1866 zu Berlin, wurde dort ao. Professor 1871 und folgte dann Berufungen als o. Professor nach Gießen 1872, Halle 1873, Breslau 1877, bis er 1881 nach Berlin zurückkam, um dort mit Perniee zusammen die Brunssche Professur zu übernehmen. Dabei fiel Eck hauptsächlich die dogmatische Tätigkeit zu und vor allem die Übungsleitung, die er mit besonderem Geschick und Erfolg pflegte. Auch beteiligte er sich eifrig an den Geschäften des deut­ schen Juristentags und der Berliner juristischen Gesellschaft; in dieser hielt er am 17. Dezember 1892 den auch hier gerne benutzten gediegenen Vortrag zur

Zu Kapitel 20, S. 854.

361

Feier des Gedächtnisses von Windscheid und Jhering (erschienen Berlin 1893). Nach Veröffentlichung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, an dessen Ent­ wurfsbeurteilung er sich besonders für das Erbrecht (in E. I. Belkers und O. Fischers Beiträgen, Heft 17, 1890) beteiligt hatte, hielt er über dessen In­ halt grundlegende, von Juristen jeden Alters und Ranges besuchte Vorträge an der Berliner Hochschule; diese Borträge wurden teils von ihm selbst, 1896, teils von seinem Schüler Professor Rudolf Leonhard in Breslau 1903—1906 herausgegeben, nachdem Eck selbst nach schweren Leiden 'zu Berlin am 7. Ja­ nuar 1901 gestorben war. Bon seinen älteren hierher gehörigen Arbeiten ist wohl die bedeutendste die über die doppelseitigen Klagen des römischen und gemeinen Rechts 1870; ferner sei genannt die über die Verpflichtung des Ver­ käufers zur Eigentumsgewährung nach römischem und gemeinem Recht, 1874. Aus einer späteren Zeit rühren her der Beitrag zur Lehre von den ädilizischen Klagen in der Festgabe für Beseler, 1885; ein Aufsatz über pompejanische Geschästsurkunden in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung 22, 60 f. und 151 f., 1888, und über das gesetzliche Pfand- und Vorzugsrecht des Vermieters, be­ treffend unpfändbare Sachen, in der Festschrift für Gneist 1889. Endlich ist es noch Eck, der in der von O. Fischer herausgegebenen Zusammenstellung „Rechts­ forschung und Rechtsunterricht auf den deutschen Universitäten" den Überblick über'Forschung und Studien auf dem Gebiete des römischen Rechts 1893 ge­

geben hat, der auch international über die fremdländischen Zustände gut orien­ tiert. (Leonhard in der Deutschen Juristenzeitung 6, 61 f. — Teichmann in Bettelheims Biogr. Jahrb. 6, 188 f.) Endlich sei hier noch als der Jüngste, der eben noch in diese Periode gehört, genannt Ludwig Enneccerus, geboren zu Neustedt am 1. April 1843, Universität Göttingen, dort 1868 Dr. jur., 1870 Privatdozent und 1872 ao. Professor, seit 1873 o. Professor zu Marburg. Seine erste Arbeit über Be­ griff und Wirkung der Suspensivbedingung und des Anfangstermines datiert von 1871. Von ihm rühren auch her wichtige Beiträge zur Biographie Savignys, 1879. Seine späteren Leistungen, namentlich zum deutschen bürgerlichen Rechte, können hier nicht mehr berücksichtigt werden.

I. 5. 1) Bernhard Windscheid ist geboren am 26. Juni 1817 zu Düssel­ dorf aus bergisch-westfälischer Familie. Nachdem sein Vater nach Emmerich ver­ setzt war, besucht Bernhard W. die dortige Knabenschule, dann die in Reckling­ hausen, endlich nach Rückversetzung seines Vaters nach Düsseldorf das dortige Gymnasium, das er 1834 absolvierte. Er studierte nun, mit seinem Jugend­ freunde v. Sybel zusammen, zunächst in Berlin, dann in Bonn seit 1835 die Rechtswissenschaft, die ihm aber durch Böckings Unterricht fast verleidet worden wäre, wäre er nicht zu ihr zurückgewonnen worden, indem er, wieder in Berlin 1835—1837 studierend, dort bei Savigny hörte. Im Jahre 1837 bestand er die erste juristische Prüfung und trat zu Düsseldorf in den praktischen Justiz­ dienst. Er promovierte 1838 und habilitierte sich 1840 zu Bonn als Privat-

362

Zu Kapitel 20, S. 854.

dozent des römischen Rechts. Erst 1847 wurde er dort als ao. Professor an­ gestellt, dann aber schon im Herbste desselben Jahres nach Basel als o. Professor berufen. Weiteren Berufungen folgte er 1852 nach Greifswald, 1857 aber nach München, wo seine akademische Tätigkeit alsbald einen starken Aufschwung nahm. Von da ging er als Nachfolger von Vangerow, der ihn dafür noch selbst vom Krankenlager aus brieflich gewonnen hatte, 1871 nach Beendigung des großen Krieges nach Heidelberg, wo er sich indessen nicht ganz so wohl gefühlt zu haben scheint, wie an anderen Universitäten vorher und nachher. Darum ließ er sich im Herbste 1874 für Leipzig gewinnen, dem er dann unter Ablehnung selbst wiederholter Berliner Berufungen treu geblieben ist. Seine umfassende, durch dogmatische Vorträge und exegetische Übungen in stets über­

fülltem Hörsaal geübte akademische Lehrtätigkeit unterbrach er freilich 1880, um sich, als einziger romanistischer Theoretiker schon seit 1874 dazu berufen, der Arbeit bei der ersten Kommission zum Entwürfe eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches nunmehr ganz an Ort und Stelle, d. h. in Berlin, zu widmen, schied aber aus dieser Kommission schon Oktober 1883 wieder aus, also noch lange vor Vollendung des ersten Entwurfes, um nach Leipzig und zur Lehr­ tätigkeit zurückzukehren. Den 70. Geburtstag durfte er noch in voller Frische, zum Ehrenbürger der Stadt Leipzig ernannt, 1887 inmitten zahlreicher Ovationen, das 50jährige Doktorjubiläum ebenso Dezember 1888 feiern. Am 26. Oktober 1892 ist er zu Leipzig nach eben halbjähriger Krankheit gestorben, 5 Wochen nach seinem Freunde Jhering, mit dem ihn trotz aller Verschiedenheiten und gelegentlicher Mißstimmungen bis zu Ende ein enges Band verknüpft hat. — Religiös hatte Windscheid lange eine freie Sonderstellung eingenommen, war jedoch 1890 zum protestantischen Bekenntnisse übergegangen. Menschlich war er eine Persönlichkeit von außergewöhnlicher Feinheit, Stille und Bescheidenheit, von strenger Gewissenhaftigkeit, ein Förderer der Bolkswohlfahrt, besonders als eifriges Mitglied der Armendirektion, und ein nicht minder eifriger Förderer der Tierschutzvereine, ein wohlwollender Kollege für jüngere strebsame Kräfte, peinlich gerecht und höflich gegen jedermann, aber durch die Berufsinteressen fast ausschließlich, soweit wahrnehmbar, in Anspruch genommen, von mild­ gemessenem zurückhaltendem Wesen, wenigstens im höheren Alter. Aus der Jugendzeit dagegen wird er als heiterer Genosse Jmmermanns in Düsseldorf, aus dem früheren Mannesalter als gerne gesehenes Mitglied des Kreises der Heyse, Wilbrandt, Geibel, Sybel, Jolly und Liebig in München ge­ schildert, als ein Mensch von froher Gemütsart und dem Genusse des gediegen Schönen in Natur sowohl wie in Kunst gerne zugänglich. Die Wandlung, die sich, da offenbar mit den höheren Jahren vollzogen haben muß, geht der für seine literarische Wirksamkeit konstatierbaren durchaus parallel, so daß sie sich gegenseitig bestätigen. In beiderlei Beziehung mag kausal dazu, außer dem natürlichen Einflüsse des Alters, das bei aller Bescheidenheit unabweisbare Ge­ fühl der überschweren Verantwortung mitgewirkt haben, die Windscheid durch feine Stellung als Präceptor Germaniae in iure civili auferlegt war. (Zahl­ reiche Nekrologe unmittelbar nach dem Tode über Windscheid, meist über Wind­ scheid und Jhering als einander ergänzende Gegensätze zusammen, z. B. v. Eck,

Zu Kapitel 20, S. 854—855.

363

Rudolf Leonhard, Francis Hagerup in der norwegischen Tidsskift for Retsvidenskab, Jahrgang 1893, Alphonse Nivier in The Juridical Review, Edinburg, Januar 1893, und von Kuntze, der aber auch Brinz heranzieht, erweiterter Sonderabdruck aus dem 2. Bande des sächsischen Archivs für bürgerliches Recht und Prozeß; so auch von Ernst Landsberg in der „Nation" 1892, Heft Nr. 6 S. 84 f. und in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 28. November 1892 Nr-278. — Es liegt in der Natur der Sache, daß da durchweg ein pietätvollparänetischer Ton vorherrscht. Dagegen wurde aIerschärfste Kritik an beiden Heroen in merkwürdig unbilliger, hochfahrender und verletzender Weise geübt durch Kohler in der „Zukunft", 1893, S. 54 f. und 113 f. und später vielfach immer wieder; s. dagegen auch die feine Abfuhr, die Kohler versetzt wird durch Unger, „Nachzügler" (Separatabzug aus der Neuen Freien Presse vom 25. und 29. Dezember 1909) S. 17. — Darauf folgt, besonders über den. Heidelberger Aufenthalt, die Äußerung von E. I. Bekker in der Heidelberger Festschrift von

1903 S. 55 f. — Genauesten biographischen Bericht aber gibt, offenbar unterstützt durch Mitteilungen der Familie und durch Kenntnis der Korrespondenz sowie aller sonstigen persönlichen Beziehungen, der Abschnitt „Windscheids Lebegang" S. IX f., vor der von Oertmann besorgten Ausgabe von Windscheids gesam­ melten Reden und Abhandlungen, Leipzig 1904 erschienen und mit sehr charak­ teristischem Porträt Windscheids ausgestattet; ein zweiter Abschnitt desselben Vorwortes, Windscheid als Jurist, S. XXI f., liefert eine bedeutsame literärgeschichtliche Darstellung, herrührend von dem Herausgeber Oertmann. — Be­ sonders förderlich endlich durch die Heranziehung neuester Kontroversen über Rechtsbehandlung und Rechtsentwicklung die Tübinger Rektoratsrede von Max Rümelin, gehalten am 25. Februar 1907: „Bernhard Windscheid und sein Ein­ fluß auf Privatrecht und Privatrechtswissenschaft", der ich in vielen Punkten zustimme, während ich mich mit ihr betreffend anderer Punkte im Texte hier auseinandersetze. — Seitdem noch zahlreiche Einzelheiten über Windscheid als Juristen wie als Menschen, als Mitarbeiter am bürgerlichen Gesetzbuche wie als Förderer der Leipziger gemeinnützigen Gesellschaft in zahlreichen Beiträgen verschiedener Professoren und Schüler, im Anschlüsse an einen Hauptartikel von Richard Schmidt, in der Festgabe der Deutschen Juristenzeitung zum 500jährigen Jubiläum der Universität Leipzig S. 100 f.; dort auch ein bedeutsamer Brief von Jhering an Windscheid, datiert Gießen, 18. April 1865, S. 120 f.) 2) Wenn wir absehen von der Doktordiffertation, De valida mulierum intercessione, 1838. 3) . Zuerst noch die kleine Abhandlung von 1849 über das Prinzip des SCltum Vellejanum im Archiv f. d. zivilist. Praxis 32, 283 f. 4) Ausgenommen in die gesammelten Reden und Aufsätze S. 127 f., mit einer Ergänzung betr. die Potestativbedingung, die zuerst 1852 erschienen war. 5) In dem Archiv f. d. zivilist. Praxis 78, 161 f.; dagegen Lenel, von dem in demselben Archiv 74, 213 f. der entscheidende Angriff gegen diese Lehre ausgegangen war, wiederum ebendort 79, 49 f.; einen vorsichtigen Rettungs­ versuch zugunsten der heute verpönten Windscheidschen Lehre macht Oertmann a. a. O. S. XXIII.

364

Zu Kapitel 20, S. 655—866.

6) Darauf macht zutreffend aufmerksam, soweit es sich um die Beziehungen zu Windscheid handelt, Oertmann a. a. O. S. XXV. 7) Dazu Windscheids Aufsatz über „Singularsukzession in Obligationen" in der „Kritischen Überschau" 1, 27 f. von 1853, der oben schon im vorigen Kapitel verwertet wurde. — Vgl. auch Windscheids Beiträge ebendort 1, 181 f. betreffend ruhende Erbschaft und vermögensrechtliche Persönlichkeit, sowie 6,209 f. (von 1859) betreffend Korrealobligation. Diese Literaturberichte und Kritiken geben wie einen Vorgeschmack von Windscheids späteren Lehrbuchnoten, siehe auch Krit. VIS 3, 161 f. von 1861. Genau vor dem ersten Pandektenbande 1862 brechen diese kritischen Artikel bezeichnenderweise ab; die kritischen Wert­ urteile finden nun eben in die Pandekten Aufnahme. 8) Die seit 1900 erschienenen, von Kipp besorgten Auflagen gehören nicht mehr hierher. Immerhin sind sie ein erfreulicher Beleg für die andauernde Wertschätzung, deren das Werk genießt, besonders da sie sich bemüht haben, durch Einschaltung auf das neue bürgerliche Recht bezüglicher „vergleichender" Abschnitte dem Bedürfnisse der Gegenwart sich anzupassen, ohne ^damit die Windscheidschen Ausführungen selbst zu vermischen. 9) „Wille und Willenserklärung", eine Studie, veröffentlicht im Archiv f. d. zivilist. Praxis 68, 72 f. vom Jahre 1880. Vgl. im übrigen die Oertmannsche Sammlung und deren Register. Dort auch Windscheids Reden über die historische Schule und über Savigny S. 66 f. und S. 81 f., sowie sein oben benutzter Aufsatz zur Erinnerung an Berthold Delbrück S. 292 f. 10) Rümelin a. a. O. S. 36 f., 43 f.] 11) Vgl. wegen dieses einzelnen Wortes Rümelin a. a. O. S. 13 Note 8. 12) Vgl. Rümelin a. a. O. S. 31 und 32. 13) Rede von 1884, in den ges. Reden und Abhandlungen S. 101.

II. 1. 1) Eine juristische Würdigung von Mommsens Werk gibt übersichtlich und auS genauester Kenntnis Gradenwitz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung tont. Abt. 25, 1 f. 1904. — Guten Überblick über Mommsens Werke auch bei

Emilio Costa, Discurso inaugurale per l’anno di studi 1904/05, Bologna 1904. — Sonst beste bisherige zusammenfassende Biographie von Ludo Moritz Hartmann in Beitelheims biogr. Jahrb. Bd. 9 von 1906, auch separat erschienen Gotha 1908, dort weitere Literaturangaben in dem Vorworte. — Schriften­ verzeichnis von Zangemeister, fortgesetzt von Emil Jakobs, Berlin 1905, unter 1513 Nummern mit trefflichen Registern; die in den Noten dieses Ab­ schnitts ohne weiteres Zitat beigefügten Nummern beziehen sich auf dieses Ver­ zeichnis. — Schriftensammlungen: Reden und Aussätze, gesammelt von Otto Hirschfeld, erschienen 1904; und: Gesammelte Schriften, bisher erschienen fünf Bände, die drei ersten Bände juristische Schriften, zwei weitere Bände historische Schriften, das Ganze nach Mommsens Plan angelegt. Der erste Band noch zum Teil von Mommsen selbst besorgt (Nr. 1505), der Rest besorgt teils von Hirschfeld, teils von Kübler, Berlin 1905—1908. — Eduard Meyer, Kleine

Zu Kapitel 20, S. 867-869.

365

Schriften zur Geschichtstheorie und zur wirtschaftlichen und politischen Geschichte des Altertums, Halle 1910, Nekrolog für Theodor Mommsen, S. 539 f. 2) Eduard Philippi, dessen Geschichte des Patronats über juristische Personen im Rheinischen Museum NF. 8, 530 f. (im 'Jahre 1853) erschienen war. Die angeführten Äußerungen Mommsens aus einem Nachwort dazu, das tatsächlich einen Nachruf an Philippi bedeutet; wieder abgedruckt in Mommsens ges. Schr. 3, 467. 3) Angeführt bei Hartmann a- a. O. S. 11J 4) Die Kieler Dissertation, ad legem quam dicunt de scribis viatoribus praeconibus und de auctoritate, ist zum erstenmal gedruckt mit den Thesen in der Sammlung von Mommsens Schriften 3, 455 f. 5) Bei den kleineren Arbeiten mag man einen gewissen Hinweis daraus entnehmen, was nach Mommsens eigenem, aber nur vorläufigem und ungefährem Plan in die drei juristischen Bände seiner ges. Schriften ausgenommen ist bzw. werden sollte. Doch bemerkt der Herausgeber des dritten Bandes, Kübler, selbst und ebenso der Herausgeber des ersten historischen Bandes, Hirschfeld, daß eine scharfe Abgrenzung ganz unmöglich ist. 6) Nr. 149; vgl. auch Nr 530—532; ferner Nr. 1017 und 1253. 7) Zeitschrift der Savigny-Stiftung, rom. Abt. 25, 33 f. 8) Über diese Leipziger Zeit Georgi in derSestgabe der Deutschen JuristenZeitung zum 500jährigen Jubiläum der Universität Leipzig, 1909, S. 124 f. 9) Nr. 40; vgl. ferner Nr. 77, 113, 140, 141. 10) Nr. 270, 271, 281—284, 349, 350 (besonders wichtig, über die kritische Grundlage unseres Digestentextes 5, 407 f. von 1862), 367, 368. 11) Nr. 495, 530-532, 594—596, 638, 803, 1035 (besonders bemerkens­ wert, über die römischen Anfänge von Kauf und Miete, 6, 260 f.), 1116, 1173; 1198-1201, 1256—1262, 1289, 1339 (ägyptische Papyri), 1340, 1385, 1401, 1428 (das Theodosische Gesetzbuch), 1444, 1445 (betr. die Ordnung der Frag­ mente in den Pandektentiteln gegen Hofmann für Bluhme 1901), 1446—1448, 1471—1475, 1501 (die Popularklage), 1508, 1509. 12) Angeführt bei Hartmann a. a. O. S. 13. 13) Vgl. These 13 in Mommsens Doktordissertation, angeführt bei Hart­ mann a. a. O. S. 159 Note 69, jetzt abgedruckt in ges. Schr. 3, 466: Illud, graeca non leguntur, cum verum esse tum probandum, cum res Graecae philologorum sint, Latinae j urisconsultorum. 14) Als Beleg dafür, wie sehr für Mommsen wirklich alle lateinischen Dinge Juristenaufgaben sind und wie das auch wieder auf die römische Ge­ schichtswissenschaft von ihm angewendet worden ist, sei einmal eine Einzelheit herausgegriffen, die Deutung des für Galba und seinen Aufstand mehrfach, u. a. bei Sueton und Plinius, vorkommenden Ausdrucks »Adsertor libertatis« im zionistischen Sinne und die dadurch gewonnene grandiose Ausfassung über „den letzten Kampf der römischen Republik", abermals polemisch durchgeführt in einem besonderen Artikel unter der Überschrift »adsertor libertatis« mit ver­ nichtender ironischer Schlußwendung gegen den'unglücklichen Gegner, Nr. 761 und 881, ges. Schr. 4, 333 f. Man vergleiche aber auch noch etwa die juristische

866

Zu Kapitel 20, S. 870-872.

Behandlung der Scipionen-Prozesse und die dadurch gewonnenen Ergebnisse in den „römischen Forschungen" 2, 417 f. 15) Hartmann a. a. O. S. 20 f. und besonders S. 30 mit zugehöriger Note 17. — Harnack, Geschichte der Königl. Preußischen Akademie der Wissen­ schaften 2, 517 f. 16) Natürlich verstanden im völkerpsychologischen Sinne, in dem Sinne, daß Rom und römisches Recht sich stärker gegenseitig bedingen als sonst wohl das Wesen manchen Staats und sein Recht. Dagegen prächtige Zurückweisung der Hegelschen Formel („das römische Recht, das beste und vollkommenste", „der römische Staat von der Weltgeschichte ausersehen zum Träger der.Rechtsidee") als einer den übrigen Völkern und Zeilen und der Weltgeschichte selbst gesagten „Impertinenz" in Mommsens Zürcher Rede von 1852, ges. Schr. 3, 595. Ebenda werden auch gerade die schwachen Seilen des römischen Rechts in voller Schärfe gekennzeichnet. 17) Diese Rede ist zum erstenmal gedruckt worden 1907 in Mommsens ges. Schr. 3, 591 f.; eine weilergehende Wirkung konnte sie also zu der Zeit, in der sie gehalten wurde, noch nicht ausüben, darum habe ich mich ihrer Be­ nutzung oben in Kap. 19, I. 3 enthalten. Vgl. aber auch schon Mommsens Äußerungen aus dem Jahre 1851 in Zarnckes literarischem Zentralblatt, wieder abgedruckt ges. Schr. 3, 576: „Der Verfasser hat es vollkommen begriffen, worauf es jetzt in der Wissenschaft ankommt: es ist dies die systematische Aus­ rottung des Veralteten bis in seine letzten Wurzeln und Verzweigungen und die juristische Gestaltung des noch lebensfähigen alten wie des später neu ent­ wickelten Rechts." Schärfer kann das Programm der Richtung, die ich in diesem Kapitel als die jüngere historische zusammenfasse, nicht aufgestellt noch gebilligt werden. 18) So kennzeichnet Hartmann die Lebenszeit bis zur Berufung nach Berlin 1858.

19) Die Menge vorbereitender, berichtender, ergänzender, erwägender und ausnützender Einzelartikel bleibt hier außer Erwähnung; ebenso unterlasse ich die Angabe einzelner Daten über das Erscheinen der Bände jenes großen Unternehmens, die leicht, z. B. aus dem Register bei Zangemeister-Jakobs, zu finden sind. 20) Vgl. den Abschnitt bei Hartmann a. a. O. S. 82 f.: „Mommsen Akademiker und wissenschaftlicher Organisator"; es handelt sich da u. a. um Limes-Forschung, um die Reorganisation der Monumenta Germania©, das Corpus Nummorum, um den Thesaurus linguae latinae und um Plan eines Corpus Papyrorum, über welchen Näheres Wilcken, Archiv Papyrusforschung 3, 147 f. (1904).

als die um den für

21) Nr. 1271, Dankschreiben Mommsens, abgedruckt u. a. bei Gradenwitz a. a. O. S. 6. 22) Die zahlreichen Nachträge siehe etwa bei Zangemeister-Jakobs im Register unter den Stichworten: „Münze, Münzfunde, Münzpächter, Münz­ stätten, Münzwährungen, Münzwesen."

Zu Kapitel 20, S. 872^-874.

367

23) Dazu noch Nr. 283 über den Schalttag, vgl. aber auch Nr. 1393 Und das Register bei Zangemeister-Jakobs s. v. calendarium und hemerologiuni. 24) Nr. 882, 1050, 1075 über römische Maße und Gewichte; Nr. 11.3 über eine milde Stiftung Nervas; Nr. 146, 150 über das Edikt Diokletians de pretiis rerura venalium, vgl. auch Nr. 295, '298 ; Nr. 204 Beitrag zu der Ausgabe der Schriften der römischen Feldmesser, vgl. auch Nr. 317, 1326 und Nr. 574; Nr. 301 über römische Eigennamen; Nr. 302 über die Buchstabe'nfolge des römischen Alphabets uff. 25) Besonders Nr. 1198 über Papinianus und Nr. 1472 über Salvius

Julianus. 26) Wenigstens seien hier die Nummern der Schriften bis 1880, die ich als im wesentlichen einschlägige mir zusammengestellt habe, aus ZangemeisterJakobs angegeben: Nr. 3, 4, 11, 12, 133, 140, 141, 146, 150, 237, 238, 239 (die ausführliche und berühmte Abhandlung über die Stadtrechte von Salpensa und Malaca vom Jahre 1855), 255, 270, 271, 275, 281 (der Artikel „Gajus ein Provinzialjurist" von 1859), 284, 286, sowie 312 und 1176, 295, 415, 662, sowie 664 und 755, 722 (die pompejanischen Quittungstafeln des L. Cäcilius Jucundus), 742, 756, 757, 842, 843, 880. 27) Bgl. Hartmann a. a. O. S. 91 f.: es handelt sich wesentlich um die Forschungen zu Paulus Diakonus 1879, und um die Ausgaben des Jordanes von 1882; der sog. Chronica minora, das ist Monumenta Germaniae historica, Autores antiquissimi, Bd. 9 f. von 1891—1898; des Cassiodor von 1861 und von 1894; und der Gesta Fontificum Romanorum von 1898. 28) Diese sechste Auflage wurde zusammen mit Gradenwitz besorgt, der dann die siebente jetzt neu und allein herausgegeben hat. 29) Der Satz begann, wie mir Krüger mitteilt, 1865; die ersten zehn Bücher erschienen J866, der 1. Band in vier Faszikeln 1866—1868, der 2. Band ebenso in vier Faszikeln 1868—1870. Außer Krüger sind natürlich noch andere Mitarbeiter beteiligt; so rührt z. B. die dabei verwertete vortreffliche neue Florentina-Kollation her von den Philologen Kießling und Reifferscheid; aber auch Schraders Papiere sind, wie oben Kap. 13, II. 3 erwähnt, doch noch von Mommsen nicht ohne Erfolg benutzt worden. 30) Erschienen in Bekkers und Muthers Jahrb. 5, 407 f., Nr.'350; vgl.

aber auch schon Nr. 318 vom Jahre 1861; schließlich am ausführlichsten und endgültig die Einleitung zu der Digestenausgabe selbst, die, heute vor dem 1. Bande stehend, ursprünglich zum 2. Bande 1870 erschienen ist, wobei eine vorläufige Borrede zum 1. Bande von 1868 fortgelassen ist; vgl. zu alledem Kantorowicz (s. d. folgende Note) 30, 185, Note 2. 31) So scheint denn doch auch sich im wesentlichen zu ergeben aus der ersten sorgfältigen und weiterführenden Nachprüfung, der dieses Werk Momm­ sens unterzogen worden ist durch Hermann U. Kantorowicz in seinen Aufsätzen: „über die Entstehung der Digestenvulgata", Zeitschr. d. Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, rom. Abt., Bd. 30 f.; denn an diesem Gesamtergebnisse kann natürlich durch einzelne kleinere Nachträge und Ausstellungen, die da zu Mommsen geliefert werden, nichts geändert werden; vielmehr wird gerade da-

368

Zu Kapitel 20, S. 874—876.

durch, vgl. besonders 30, 238 f., die bedeutsamste Bestätigung von Mommsens Treffsicherheit und Zuverlässigkeit geboten, einschließlich selbst seiner im Er­ gebnisse von Kantorowicz der Hauptsache nach gebilligten Feststellung betr. die Litera Bononiensis, obschon da Kantorowicz den Grundsatz, durch dessen Anwendung Mommsen zu diesem Ergebnisse kommt, entschieden mißbilligt, 30, 184 f., 211 f., 249, 257 f. 32) Better a. a. O. (über B. W. Leist) S. 5, vgl. auch S. 29. 33) Betr. den Codex Thöodosianus siehe Zangemeister-Jakobs Nr. 1503 und Hartmann a. a. O. S. 99. Bon Mommsen selbst gearbeitet sind noch unter Verwertung des Krügerschen Apparates Bd. 1 Teil 1 (daS Vorwort 380 Seiten) und Bd. 1 Teil 2 (Text mit dem Apparat 931 S.); davon wurde Teil 2 noch ganz, Teil 1 noch bis S. 185 vor Mommsens Tode fertiggesteltt; die beiden Teile erschienen 1905. Betr. die Beteiligung von Krüger siehe weiteres unten in diesem Abschnitte unter Nr. 2. 34) Gradenwitz a. a. O. S. 25. 35) Diese Rezensionen sind zusammengestellt in den ges. Schr. 3. 469—578, bilden also vereinigt eine stattliche Leistung. Weitaus die ausführlicheren Artikel darunter sind die aus den Jahren 1844/45, in den verschiedensten periodischen Blättern veröffentlicht, offenbar dem Interesse an den besprochenen Werken und eingehender Beschäftigung mit ihrem Stoffe entsprungen. Dahin gehört z. B. die schon früher bei Geib erwähnte Rezension von dessen Geschichte des römischen Kriminalprozesses; die im Text genannte von Keller; und eine solche von ASverus, die Denunziation, geschrieben, ohne daß Mommsen um den Tod des Verfassers gewußt hatte: sonst würde, sagt eine nachträgliche Note, der Ton sich gemildert haben, aber nicht das Urteil haben anders ausfällen können: „Denn die Wissenschaft stirbt nicht" (a. a. O. 3, 519 Note). Die Serie aus dem Jahre 1851 dagegen verdankt ihre Entstehung mehr den, persönlichen Be­ ziehungen zu den Kreisen, aus denen Zarnckes literarisches Zentralblatt hervor­ ging (Hartmann a. a. £). 43); sie sind alle dort veröffentlicht, in einer knappen Gedrängtheit des Stils, durch welche von da ab Mommsen immer schärfer das Gepräge seines Geistes jeder noch so kurzen oder gelegentlichen Äußerung auf­

zudrücken versteht. Sie beziehen sich u. a. auf Heumanns Handlexikon; Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter Bd. 7 in 2. Auflage; Savignys Obligationenrecht; Puchtas kleine zivilistische Schriften; Girtanners Bürgschaft und Buchkas Stellvertretung. 36) Über^verschiedene Bruchstücke des 4. Bandes, davon zwei (Nr. 760 und 761) erschienen 1877, und über das Schicksal des Ganzen, Bemerkung zu Nr. 761 und Hartmann a. a. O. 78 mit zugehöriger Note 38. Ein weiteres Bruchstück ist zuerst gedruckt in Mommsens ges. Schr. 5, 589 f. Alle hierher gehörigen Einzelheiten stellt zusammen Costa a. a. O. S. 55, Note 47. 37) Vgl. darüber Mommsen selbst in einer Rede aus dem Jahre 1848, zuerst gedruckt in seinen ges. Schr. 3, 580 f.; der hierher bezügliche Abschnitt über Niebuhr und seine Verdienste um die historische Schule S. 586 f. 38) Ich denke hier natürlich hauptsächlich an Mitteis' „Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreichs", 1891; aber

Zu Kapitel 20, S. 876—880.

369

es sei auch erinnert an Bruns-Sachau, Syrisch-römisches Gesetzbuch. Vgl. ferner Zangemeister-Jakobs Nr. 548 schon von 1869: „Syrisches Provinzialrecht und römischer Reichskataster". 39) Angeführt bei Hartmann a. a. O. S. 93; vgl. auch Nr. 1339 u. 1407, sowie kleinere Stücke in den ges. Schr. 1, 445 f. 40) Wichtigere Zwischenarbeiten etwa: Die Rechtsfrage zwischen Cicero und dem Senat, Nr. 253; römische Forschungen, 2 Bde. 1863 u. 1879, Nr. 358 ix. 806; ferner Nr. 554, 559, 678, 767, 770, 804. — Aus späterer Zeit Nr. 940, 978, 1022, 1111, 1242, 1373, 1392, 1432. 41) Von dem Staatsrecht erschienen Bd. 1 im Jahre 1871, Bd. 2 in zwei Abteilungen, zusammen 1067 Seiten stark, 1874 und 1875; Bd. 3 ebenso, zu­ sammen 1336 Seiten stark, 1887 und 1888. 42) Vgl. außerdem Nr. 333, 629—631, 1142, 1180, 1198, 1238 u. 1239. 43) Angeführt bei Hartmann a. a. O. S. 99. 44) Bei Mommsen nachweislich als leitender Grundgedanke vorgebildet schon seit 1842; vgl. die Rezension von Geib in der Neuen Jenaischen allge­ meinen Literatur-Zeitung 3, 245, im Abdrucke der ges. Schr. 3, 468 letzte Zeile und 469 erste Zeile. 45) Angeführt bei Hartmann a. a. O. S. 100. 46) Nachträge dazu bzw. Anwendungen davon auf einzelne besonders interessante Strafprozesse siehe in Mommsens ges. Schr. 3, 389 f. XXXV bis XXXVIII, darunter XXXVI die Pilatusakten, bei Zangemeister-Jakobs Nr. 1477. 47) Herausgegeben mit den Antworten von H. Brunner, B. Freudenthal, I. Goldziher, H. F. Hitzig, Th. Nöldeke, H. Oldenberg, G. Roethe, I. Wellhausen und U. v. Wilamowitz-Möllendorf, und mit einer Vorrede von Binding, Leipzig 1905, Nr. 1512; vgl. auch 1479. 48) E. I. Better, B. W. Leist und seine Äqualen S. 29.

II. 2.

1) Mitarbeiter, nicht Schüler: denn alle hier zu nennenden Männer waren schon — mit Ausnahme allenfalls von Studemund — über das Schüleraller herausgetreten, als sie Mommsen näher traten, wennschon sie dann ja vieles von ihm empfangen haben mögen. Ebensowenig können aber auch z. B. Pernice oder Karlowa als Schüler von Mommsen im eigentlichen Sinne bezeichnet werden. Ich weiß überhaupt nicht, auf welche Juristen sich die Äußerung v.on E. I. Better, daß Mommsen auch bei uns Schule gemacht habe (Better, B. W. Leist a. a. O. S. 4), beziehen soll, wenn sie nicht etwa im weiteren Sinne zu verstehen ist dahin, daß Mommsens Beispiel für eine Reihe nachstrebender Kräfte maßgebend geworden sei. 2) Paul Krüger, geboren zu Berlin am 20. März 1840, studierte da 1858—1861, promovierte daselbst 9. März 1861, Auskultator und Referendar ebenda 17. April 1861 bis 2. November 1865, habilitiert zu Berlin 27» Juli 1864. Italienische Studienreise März 1868—1869, ao. Professor, in Marburg Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. II. Noten.

24

3IO

Zu Kapitel 80, S. 880—883.

25. November 1870, o. Professor ebenda 1. Oktober 1871, zu Innsbruck 7. Ok­ tober 1872, zu Königsberg 23. Oktober 1873, zu Bonn 1. Oktober 1888. Erstlingsschrist: Prozessuale Konsumption und Rechtskraft des Erkenntnisses 1864/ '3) Kritik des justinianischen Kodex 1867. — Kritische Versuche im Gebiet des römischen Rechts 1870. — Codicis Just, fragmenta Veronensia 1874. - . - 4) lJn biefet Beziehung besonders betr. die sogen. Turiner Jnstitutionenglöfie, die Krüger von späteren Zitaten gesäubert und mit wesentlich verbessertem Ttzxte (gegenüber der Ausgabe in Savignys Geschichte des römischen Nechts im Mittelalter 2, 321 f.) in der Zeitschr. f. RG. 7, 44 f. herausgegeben hat. .Siehe aber auch Krüger in der Zeitschr. f. RG. 17 über Bruchstücke griechischer Kom­ mentare zu klassischen Jüristenschristen. 5) Über Wilhelm Studemund, 1843—1889, sein Leben und seine

sonstige Tätigkeit Leopold Cohn in der A. D. B. 36, 721 f. mit weiteren Zitaten. 6) Über Rudolf Schöll, 1844—1893, ausführliche Biographie von

seinem Bruder F. Schöll im „Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft" von 1897 S. 9 f. 7 darnach mit weiteren Zitaten Bruno Keil in der A. D. B. 54, 140 f. 6 a) Legis duodecim tabularum reliquiae, edidit, constituit, prolegomena addidit R. Schöll, Leipzig 1866. v7) Dafür, daß- Schöll auch bei der zwischenzeitigen Beschäftigung mit den griechischen Altertümern vielfach sich gerade um juristisches Verständnis bemüht hat, vgl. namentlich seine quaestiones fiscales juris Attici, Festschrift für Schömann 1873 7 und seine Abhandlung über Attische Gesetzgebung in den Sitzungsberichten der K. B. Akademie, histör.-phil. Klasse, 1886, S. 83—139;

sveriso urteilt Bruno Keil a. a. O. S. 147: „DaS Gebiet der griechischen Anti­ quitäten hat er wie kein anderer jemals beherrscht; man vermißt nur die spezifisch Böckhsche Richtung nach der volkswirtschaftlichen Seite hin; dafür bietet das juristische Element den Ersatz." Auch ist Schöll die Würde eines Dr. jur. h. c. von der Heidelberger Fakultät 1886 verliehen worden. 8) Krügers Rechtsgeschichte erschien in französischer Bearbeitung 1894.

.

H. 3.

' ' 1) Möritz Voigt, geboren am 10. September 1826 zu Leipzig, wo er sein ganzes Leben zugebracht hat. Er habilitierte sich 1853, wurde ao. Professor 1864 Und v. Honorarprofessor 1875. Ist gestorben 7. November 1905. Seinem Nekrolog (in den: Berichte über die Verhandlungen der K. S. Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied Voigt war, phil.-histor. Klasse 57, 299 f.) von Mittels folgt im wesentlichen die Darstellung im Texte; siehe außerdem die Literaturzusammenstellung in der Totenliste auf das Jahr 1905 des Biographi­ schen Jahrbuchs von Bettelheim 10, 265. J : 2) Vöigt, Iüs naturale, aequum et bonum unb ius gentium der Römer, 4 Bände, 1871—1876; außerdem zahlreiche Abhandlungen, seit 1871 fast aus­ schließlich in den Berichten und Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften. - •>

Zu Kapitel 20, S. 883—885,

aTi

3) Lothar Anton Alfred Pernice, geboren zu Halle 18. August 1841 als jüngstes Kind des Kurators der dortigen Universität; bestand -dort das Abiturientenexamen mit 16 Jahren, ging dann aber noch auf ein halbes Jahr zu Corßen nach Schulpforia behufs Vertiefung seiner philosophischen Vorkenntnisse. Er studierte zu Halle, Göttingen und Tübingen (also nie unter Mommsen) Philologie und Jurisprudenz. Promoviert zum Dr. phil. in Halle 14. Juli 1862, zum Dr. iur. ebenda 27. April 1863, arbeitete er praktisch einige Zeit beim Gericht in Greifswald, machte dann den böhmischen Feldzug 1866 mit, wobei er im Walde von Sadowa schwer verwundet wurde, habilitierte sich nach einigem Schwanken für römisches Recht in Halle 1867, wurde dort. 1870 ao., 18,71 o. Professor, aber mit ihm. unangenehmen Lehrauftrag für Straf­ recht, folgte darum 1872 einem Rufe nach Greifswald, kehrte 1877 als Roma-nist nach Halle zurück und erhielt 1881 die Berufung nach Berlin, wohin ihn namentlich die Pflege der Beziehungen zu Mommsen zog; er wurde dort Mit-r glied der Akademie 1884 und ist dort gestorben 23. November 1901. (Nekrolog von E. I. Bekker in der „Zeitschr. der Savigny-Stiftung", rom. Abt., 22, Ist — Teichmann, in Bettelheims „Biogr. Jahrb." 6,184 f. mit weiteren Zitaten.) 4) über ältere Arbeiten siehe Bekker a. a. O. S. VI. Diese sind zum Teil auch germanistischer Art, da Pernice eine Zeitlang dem Studium, des deutschen Rechts sich zugeneigt zu -haben scheint; für die entschiedene Rückkehr zum römischen Recht kommt E. I. Bekker ein Teil des Verdienstes zu.

: 5) Im einzelnen erschienen Bd. 1 .der ersten Bearbeitung 1873, Bd. 2' ebenso 1878, Bd. 3, Abt. 1 ebenso 1892; damit bricht diese Bearbeitung ab unt> es beginnt die neue, die den Labeo persönlich ins Vorwort verweist; davon erschien Abt. 1 im Jahre 1895 und der zweiten Abteilung erste Hälfte,1900., 6) Die meisten dieser Parerga, nach Borträgen in der Berliner Akademie, abgedruckt in der „Savigny-Zeitschrift".

7) Eintrittsrede in die Berliner Akademie; das wörtliche Zitat des Textes daraus angeführt bei Bekker a. a. O. S. VII; vgl. aber zu den gesamten Aus­ führungen des Textes.die gesamte Eintrittsrede in den Sitzungsberichten der Akademie, 1887, 2. Halbband, S. 731 f. 8) Wir können hier von Pernice nicht scheiden, ohne die Worte seines Meisters und Freundes Th. Mommsen über ihn zum Abdrucke zu bringen, die zuerst von Bekker a. a. O. S.'IXf. mitgeteilt wurden, „als das Urteil eines gelehrten Berliner Freundes über den Gelehrten Pernice". Daß es sich um Mommsen handelt,. beweisen nicht nur Stil und Gedankeninhalt überzeugend, sondern es wird auch von Zangemeister-Jakobs und durch Kübler bestätigt, die das Stück unter ihre Mommsen-Sammlungen ausgenommen haben; vgl.' ges. Schr. 3, 579. Es lautet: „Pernice strebte nach dem römischen Bollrecht. Ihm, dem wie wenig anderen Juristen das philologische Werkzeug ebenso zur Hand lag wie das juristische, lag es im Sinne, vor allem das Sakralrecht,' darin auch das öffentliche, wo es mit dem Privatrecht sich berührt, wiederzu­ gewinnen. Ihm war der Papinianismus widerwärtig und so griff « nachdem Labeo. Lieber hätte er, wäre es nröglich gewesen, statt des republikanisierenden

372

Zu Kapitel 20, S. 885—886.

Oppositionsmannes einen richtigen Republikaner nach Art der alten Mucier auf den Altar gestellt. -Kühn war das Mühen — man kann kaum fortfahren: herrlich der Lohn. Das römische Bollrecht mit ergänzten Lücken, mit beseitigten Schlacken wiederzuschaffen, geht wohl über Menschenkraft hinaus. Aber auch das Streben nach unerreichbaren Zielen ist ein fruchtbares, und nicht vielen, aber den Besten hat Pernices Labeo die Rechtsanschauung erweitert und vertieft."

9) Otto Karlowa, geboren zu Bückeburg 11. Februar 1836, Gyrn* nasium Wolfenbüttel, studierte dann zu Göttingen unter Francke, Briegleb, Herr­ mann, Thöl und Waitz Rechtswissenschaft und Geschichte, weiter in Berlin und Jena, und erhielt wieder zu Göttingen einen akademischen Preis 1858. Nach Ablegung des ersten juristischen Staatsexamens 1859 war er anderthalb Jahre lang Auditeur an der Justizkanzlei zu Bückeburg, ging dann aber zur aka­ demischen Laufbahn über, indem er zu Bonn 1862 mit der Dissertatio de natura adque indule cvvalka.yp.wioi promovierte und sich habilitierte. Er wurde von da als o. Professor Herbst 1867 nach Greifswald, Ostern 1872 nach Heidelberg berufen, wo er bis Ende des Wintersemesters 1902/03 gelesen hat, am 3. Januar 1904 aber gestorben ist. („Deutsche Juristenzeitung" 9, 153. — Teichmann, in Bettelheims „Biogr. Jahrb." 9, 284 f.) 10) Bd. 1 Staatsrecht und Rechtsquellen 1885; Bd. 2 erster Teil Privat­ recht mit Ausnahme des prätorischen Erbrechts 1901; es fehlt das prätorische Erbrecht und der ganze zweite Teil, der Zivilprozeß, Strafrecht und Straf­ prozeß geben sollte. 11) Vgl. Karlowa selbst, Römische Rechtsgeschichte, Einleitung zu Bd. 1, S. 18 f.

III. 1.

1) Paul Rudolf v. Roth, Sohn des bayerischen Oberkonsistorialpräsidenten und Staatsrats Karl Johann Friedrich v. Roth (gestorben 1853, A. D. B. 29, 317 f.) und Better von Johannes Merkel, ist geboren zu Nürn­ berg am 11. Juli 1820, absolvierte, 16 Jahre alt, das „alte Gymnasium" zu München und hat dann dort seine ganze Studienzeit, 1836—1840, verbracht. Nachdem er eine Weile sich dem praktischen Justizdienste gewidmet hatte, ging er zur akademischen Laufbahn erst über 1848, indem er da am 2. Februar pro­ movierte und am 6. Mai sich habilitierte, beides wieder in München. Er folgte Herbst 1850 einem Rufe als ao. Professor nach Marburg, wurde April 1853 o. Professor in Rostock, Herbst 1857 in Kiel und am 1. April 1863 auf den Lehrstuhl für deutsches Recht, bayerisches Recht und Staatsrecht nach München berufen, den bis dahin Bluntschli innegehabt hatte. Im Jahre 1874 trat er in die Kommission zur Ausarbeitung des bürgerlichen Gesetzbuches ein, siedelte auch zu ihren Zwecken nach Berlin über und hat ihr bis zu ihrer Auflösung 1888 angehört, ist jedoch bei ihrer Arbeit wenig hervorgetreten, auch von dem Ergebnisse nicht sehr befriedigt gewesen. Nach München 1888 zurückgekehrt, mußte er bald um Beurlaubung von seiner akademischen Tätigkeit nachsuchen;

Zu Kapitel 20, S. 887—889.

373

er ist dort am 28. März 1892 gestorben. (Schröder, in der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung", germ. Abt., 13, 150 f. — v. Amira, in der A. D. B. 53, 538 f. mit vollständigem Schriftenverzeichnis.) 2) In den „Münchener gelehrten Anzeigen" 27, Nr. 144—152, vom Jahre 1848. 3) Wegen der Polemik mit Waitz vgl. in dessen ges. Abhandl. Nr. V, S. 178 f. und Nr. VIII, S. 318 f.; siehe auch oben Kap. 17, IV. 5. 4) Dieses Zitat und die weiten des Textes aus v. Amira a. a. O. 5) „Münchn. histor. Jahrb." 1865, S. 277 f.

III. 2.

1) Felix Dahn, Die Könige der Germanen, das Wesen des ältesten Königtums der germanischen Stämme und seine Geschichte bis zur Feudalzeit, erschien von 1861—1907 in zehn Abschnitten, die fünf ersten 1861, 1866, 1870 und 1871, die letzten fünf von 1886 ab. Dazu noch seine westgotischen Studien von 1874, wie denn auch aus jenem größeren Werke die fünfte, westgotische Abteilung als die wissenschaftlich wertvollere gilt. — Felix Dahn, geboren 9. Februar 1834 zu Hamburg, Universitäten München, Berlin, habilitiert zu München 1857, ao. Professor zu Würzburg 1863, o. Professor ebenda seit 1865, zu Königsberg seit 1872 und zu Breslau seit 1888. Er ist bekannt auch als Verfasser einer stattlichen Reihe historischer Romane. 2) Julius Kaspar Ficker, geboren als Sohn eines born am 30. April 1826, herangewachsen im Hause seines Oberlandesgerichtsvizepräsidenten Scheffer-Bo ich orst in streng lisch-patrizischer Überlieferung und Gesinnung. Er absolvierte

Arztes in Pader­ Stiefvaters, des westfälisch-kathodas Gymnasium

zu Münster und bezog Herbst 1844 die Universität Bonn, zunächst als sind, iur., erst Anfang 1846 übergetreten zur Phil. Fakultät, um sich nun ausschließlich dem geschichtlichen Studium zu widmen. Dessen Fortsetzung erfolgte 1847 und 1848 zu Münster und Berlin, daran reihte sich ein Aufenthalt in Frank­ furt a. M., zu Anfang 1849 ging er nach Bonn zurück, wo er am 19. Dezember 1849 gleichzeitig promovierte und sich habilitierte. Von hier wurde er schon Herbst 1852 nach Innsbruck gezogen, wo er dann geblieben ist bis zu seinem am 10. Juli 1900 erfolgten Tode. Er hat da der philosophischen Fakultät bis 1862 und abermals 1877—1879 angehört, in der Zwischenzeit der juri­ dischen, nach 1879 war er aus dem Universitälsverbande ausgeschieden. — Ficker ist in Innsbruck das Haupt einer jungösterreichischen Historikerschule geworden, die er da gegründet und reich ausgestaltet hat, aus der auch eine Reihe verdienter jüngerer Rechtshistoriker hervorging. Was die Aera Thun für die Rechtswissenschaft in Wien durch Männer wie Arndts, Phillips, Siegel Unger, das hat sie für Geschichte und Rechtswissenschaft in Innsbruck dadurch geleistet, daß sie Ficker dorthin zu berufen und dort zu halten verstanden hat. (Bgl. über diesen Zusammenhang A. v. Wretschko, Geschichte der juristischen Fakultät Innsbruck, S. 46 f., und besonders über Ficker S. 48.) Der großdeutsch-katholische Gegensatz, in dem diese Fickersche Schule eine Zeit lang,

374

ZU'Kapitel 20,