Geschichte als Politik: Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert 9783110346367, 9783110346114

The long shadow of history still hangs over relations between Germany and Poland. From their disputes about the Versaill

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German Pages 532 [534] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. Deutsch-polnischer Historikerstreit im Schatten von Versailles
3. Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg
4. Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre
5. Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR
6. Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland
Schlussbetrachtungen
Deutsch-Polnische Historikerkommissionen
Abkürzungs- und Siglenverzeichnis
Bibliographie
Personenregister
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Geschichte als  Politik: Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert
 9783110346367, 9783110346114

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Stefan Guth Geschichte als Politik

Ordnungssysteme



Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael

Band 45

Stefan Guth

Geschichte als Politik Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert

Publiziert mit Unterstützung des SNF zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ISBN 978-3-11-034611-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-034636-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039718-5 Set-ISBN 978-3-11-034637-4 ISSN 2190–1813 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort — VII 1 Einleitung — 1 1.1 Problem, Fragestellung und Themenbegrenzung — 1 1.2 Theorie und Methode — 4 1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage — 15 1.4 Aufbau der Arbeit — 28 2 Deutsch-polnischer Historikerstreit im Schatten von Versailles — 31 2.1 Verhärtete Fronten — 31 2.2 Zwischen wissen­schaftlicher Verbindlichkeit und publizistischem Schlagabtausch 1928–1933 — 40 2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 — 62 3

Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg  — 115 3.1 Deutsche Historiker zwischen Anpassung und Kollaboration — 115 3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand — 135

4

Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre  — 147 4.1 Rahmenbedingungen  — 147 4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung — 153 4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung — 236 4.4 Zwischenfazit Ostforschung–Westforschung — 301

5

Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR — 307 5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft — 307 5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung — 319 5.3 Erreichtes und Versäumtes — 337 5.4 Zwischenfazit zu den ostdeutsch-volkspolnischen Historikerbeziehungen — 349

6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland — 353 6.1 Kontaktanbahnung  — 354 6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel — 361 6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission — 373

VI 

 Inhalt

Schlussbetrachtungen — 455 Deutsch-Polnische Historikerkommissionen — 471 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis — 475 Bibliographie — 479 Personenregister — 515

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Mai 2009 von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Bern als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde für die Publikation überarbeitet und gekürzt. Nach 2013 erschienene Literatur konnte nur noch am Rande berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. em. Marina Cattaruzza, bis 2014 Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Bern, für die ebenso wohlwollende wie kritische Betreuung dieser Arbeit, sowie Prof. Dr. Edoardo Tortarolo, der sich als Zweitgutachter zur Verfügung gestellt hat. Zahlreiche Anregungen verdankt diese Arbeit weiterhin Prof. Dr.  Claudia Kraft, Siegen, Prof. Dr. em. Klaus Zernack, Berlin-Wannsee, Prof. Dr. Klaus Ziemer, bis 2008 Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, Prof. Dr. Eduard Mühle, Münster, Prof. Dr. Georg G. Iggers, Dr. Ingo Loose, Berlin, PD Dr. Markus Krzoska, Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr.  Andrzej Sakson, bis 2011 Leiter des Posener Westinstituts, Dr. hab. Zbigniew Mazur, Posen, Dr. hab. Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Universität Wrocław, Dr.  Heidi Hein-Kirchner, Herder-Institut Marburg und Dr. Eike Eckert, Berlin. Wertvolle Anregungen erhielt ich während der Überarbeitung des Manuskripts im Rahmen eines Gastwissenschaftleraufenthalts am GWZO in Leipzig im Herbst 2010 von Prof. Dr.  Matthias Middell und Prof. Dr.  Frank Hadler. Der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde danke ich für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Klaus-Mehnert-Preis 2012 – insbesondere Prof. Dr. Stefan Troebst, der die Begutachtung vorgenommen hat, und Prof. Dr.  em. Dietrich Beyrau, der die Laudatio hielt und im anschließenden Austausch Anregungen für die abschließende Redaktion des Textes beisteuerte. Fachkundige Hilfe haben mir die Archivare der benutzen Archive zuteilwerden lassen: Erwähnt seien insbesondere die Mitarbeiter der Archive der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, Posen und Krakau sowie des deutschen Bundesarchivs in Berlin und Koblenz. Zu großem Dank bin ich denjenigen verpflichtet, die das Manuskript gegengelesen haben und mir dabei auch manch wertvolle inhaltliche Anregung zuteilwerden ließen: Dr.  Regula Zwahlen, Dr.  Adrian Wettstein und lic.phil.  Marion Wullschleger. Das professionelle Lektorat des Textes hat Cordula Hubert besorgt, der ebenfalls mein herzlicher Dank gilt. Dem Schweizerischen Nationalfonds danke ich für die Gewährung eines einjährigen Stipen­diums für angehende Forschende im Jahr 2006/2007. Das Karman Center for Advanced Studies in Humanities, Bern, hat mit einem weiteren einjährigen Stipendium die Fertig­stellung der Arbeit ermöglicht.

1 Einleitung 1.1 Problem, Fragestellung und Themenbegrenzung Die vorliegende Studie verfolgt die historiographischen Debatten zwischen deutschen und polnischen Historikern durch das bewegte zweite und dritte Viertel des zwanzigsten Jahr­hunderts. Damit wird erstens ein Beitrag zur histoire croisée der deutsch-polnischen Nachbarschaft beabsichtigt. Zweitens soll an diesem Fallbeispiel das Verhältnis von Historiographie und Politik unter den Bedingungen der Moderne ausgelotet werden.1 Vergegenwärtigte Vergangenheit hat in der neueren Geschichte der deutschpolnischen Beziehungen immer wieder stupende Wirkungsmacht entfaltet. Man denke an die stürmischen Kontroversen um angemessene und unzulässige Formen der Erinnerung, die in den letzten Jahren das geplante Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin umbrandeten. Oder an die symbolische Kraft einer geschichtsbewussten Geste, wie sie Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos 1970 darstellte. Für frühere Jahrzehnte sei an die Wirkungsmacht erinnert, welche die deutsch-polnischen Geschichtsmythen eines Henryk Sienkiewicz oder eines Gustav Freytag entfalteten, oder an die Inbrunst, mit der so grundverschiedene politische Kräfte wie die deutschen Liberalen im Vormärz, deutsche und polnische Sozialisten vor dem Ersten Weltkrieg, polnische Nationaldemokraten, deutsche Nationalsozialisten und nach 1945 die großen Volksparteien in Westdeutschland und die kommunistischen Staatsparteien in Ostdeutschland und Volkspolen die historische Schicksalshaftigkeit der deutsch-polnischen Nachbarschaft beschworen haben. Treffend ist in diesem Zusammenhang von einer Historisierung der Politik gesprochen worden.2 In der Tat waren die Erwartungshorizonte deutsch-polnischer Nachbarschaft über weite Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts von den

1 Koselleck verdanken wir den grundlegenden Hinweis darauf, dass „Geschichte“ erst seit der Aufklärung als „machbar“ im Sinne von „politisch verfügbar“ begriffen wurde. Seither stehen Historie und Politik in einem Konkurrenzverhältnis, wenn es darum geht, Geschichte zu „schrei­ben“. Reinhart Koselleck, Über die Verfügbarkeit der Geschichte, in: Ders. (Hg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 260–277. Zur histoire croi­sée s. u. 2 Herbert Ludat, Die deutsch-polnischen Beziehungen im Licht ihrer geschichtlichen Voraussetzungen [1957], in: Ders. (Hg.), Slaven und Deutsche im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zu Fragen ihrer politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen, Köln/Wien 1982, S.  106–130, hier S. 117.

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 1 Einleitung

beziehungsgeschichtlichen Kataklysmen überschattet, die sich zu Lebzeiten der Zeitgenossen zugetragen hatten und ihren Erfahrungs­raum – auch jenen der damaligen Historiker  – entsprechend vereinnahmten.3 Insbesondere die zwei Weltkriege, deren Ursachen und Auswirkungen in Deutschland und Polen maßgeblich als beziehungsgeschichtliche Erscheinungen wahrgenommen wurden, veränderten die äußere Gestalt und innere Ordnung beider Staaten radikal. Die Verarbeitung dieser epochalen Um­brüche – beziehungsweise das Streben nach Legitimation oder Revision ihrer Folgen – verlangte nach historischer Einordnung. Sie ließ nach Präzedenzfällen und Kontinuitäten fragen und wies dabei in die historische Tiefe der deutsch-polnischen Nachbarschaft, deren Wechselfälle es an mehr oder weniger plausiblen Analogien nicht fehlen ließen. Hatte das deutsche Volk nicht über Jahrhunderte einen ungezügelten Drang nach Osten an den Tag gelegt, und kehrte Polen 1945 nicht auf die Gebiete zurück, in denen einst die Wiege seiner Staatlichkeit gestanden hatte? Oder, in entgegengesetzter Deutung: Hatte Polen mit der Vertreibung der Deutschen nicht jene Bande durchtrennt, denen es seine Zugehörigkeit zum Abendland verdankte und ohne die es unter sowjetischer Herrschaft erneut in asiatischer Barbarei zu versinken drohte wie einst zu Zeiten der Mongolenstürme? Schließlich: Hatten Deutsche und Polen nicht auch jahrhundertelang in friedlichem und fruchtbarem Austausch gestanden, und hatten deutsche und polnische Liberale, Arbeiter und Kommunisten nicht Seite an Seite gegen Autokratie und Totalitarismus gekämpft? Historisierende Gegenwarts­interpretationen zeitigten mithin präsentistische Geschichtsdeutungen, die die Vergangenheit für tagespolitische Anliegen in die Pflicht nahmen. So entsprach der Historisierung der Politik eine Politisierung der Historie.4 Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg avancierte die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte zum Diskursraum, den sich die Geschichtswissenschaft mit der Geschichtspolitik zu teilen hatte. Sie wurde zu einer Argumentations- und Legitimationsressource, die von deutscher wie von polnischer Seite mit einer Vielzahl politischer Anliegen befrachtet wurde und sich zum unverzichtbaren Bestandteil der nationalen Meistererzählungen beider Völker, ja gar ihrer moral narratives entwickelte.5 Unter diesen Umständen hatte Geschichtsschreibung die Folgerichtigkeit ideologischer Großentwürfe und tagespolitischer Kurswechsel nachzuwei-

3 Kosellecks Begrifflichkeit. Reinhart Koselleck, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ – zwei historische Kategorien, in: Ders. (Hg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 349–375. 4 Wiederum Ludat, Beziehungen, hier S. 117. 5 Zum Begriff der Meistererzählung und der moral narratives s. u.

1.1 Problem, Fragestellung und Themenbegrenzung 

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sen, revisionistische Territorialforderungen, politische Hegemonialansprüche und kulturelle oder rassische Überlegenheitsphantasien zu bedienen, Gegenwart und Vergangenheit kontinuitätsstiftend oder abgrenzend aufeinander zu beziehen und identitätsspendende Verbindung zu einer verlorenen alten Heimat oder einer neuen, fremden Heimat herzustellen. Wie verschiedenartig die Nachfragen nach Geschichte ausfielen, lässt schon die heterogene Abfolge von Staatsgebilden erahnen, unter deren jeweiligem Dach sie erfolgten: hier Weimarer Republik, Drittes Reich, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, dort Zweite Polnische Republik, Generalgouvernement Polen und Volksrepublik Polen. Für die Frage nach dem Verhältnis von Historiographie und Geschichte ist der deutsch-polnische Fall mithin besonders aufschlussreich, weil er die Geschichts­wissenschaft im Verlauf kurzer Zeiträume in ganz unterschiedlichen Kontexten der Politisierung beobachtbar macht. Die vorliegende Studie bezweckt folglich eine politische Geschichte der Geschichts­schreibung. Dabei rückt sie die Berufshistoriker beider Länder in den Mittelpunkt und fragt nach den politischen Voraussetzungen und Implikationen ihrer jeweiligen historiographischen und geschichtspopularisierenden Tätigkeit. Das schiere Volumen der einschlägigen beziehungsgeschichtlichen Produktion zwingt dabei zur Konzentration auf großangelegte beziehungsgeschichtliche Initiativen. Dazu zählen einschlägig profilierte Forschungs­institute, richtungsweisende Konferenzen und umfangreiche Publikationsprojekte ebenso wie die Foren der bilateralen Begegnung. Das Feld der Geschichtspolitik findet in dem Maße Beachtung, wie es unter persönlicher Beteiligung der Historiker gestaltet wurde oder aber unmittelbarer Bedingungsfaktor ihrer historiographischen Produktion war. Fachfremde Aktivitäten – etwa der deutschen Historiker als Umsiedlungsexperten im Zweiten Weltkrieg – werden hingegen nur am Rande berücksichtigt, insofern sie zur Charakterisierung des jeweiligen Fachverständnisses beitragen.6 Auch in chronologischer Hinsicht setzt die Arbeit gezielte Schwerpunkte. Der erste fällt auf die Dreißigerjahre, als die deutsch-polnische Auseinandersetzung

6 Das scheint insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil bisherige Arbeiten zum Thema oft vor allem die bevöl­kerungsplanerischen Bemühungen der Historiker wahrgenommen und es darüber versäumt haben, den eigent­lichen historiographischen Diskurs auf seine politisch-legitimatorische Stoßrichtung hin zu befragen. S. Götz Aly/Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991; Götz Aly, Theodor Schieder, Werner Conze oder Die Vorstufen der physischen Vernichtung, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1999, S.  163–182; Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 2000; Ders./Michael Fahlbusch (Hg.), German Scholars and Ethnic Cleansing 1920–1945, New York/Oxford 2005.

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 1 Einleitung

zu voller Dynamik auflief und ihre Argumentationsmuster, Brennpunktthemen, Austragungsorte und Organisationsbasen fand. Der zweite gilt den Fünfzigerjahren, als die Auseinandersetzung zunächst unter gänzlich veränderten innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen, aber in Fortsetzung der alten Argumente und Interaktionsmuster wieder aufgenommen wurde, parallel dazu aber auch erste Verständigungsinitiativen in Gang kamen – staatlich verordnet zwischen Polen und der DDR, informell zwischen der BRD und Polen. Einen dritten Fokus bilden die Siebzigerjahre, als die Geschichtswissenschaft im Rahmen der Schulbuchkommission zentral zur Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik beitrug. Auf diese drei Zeitabschnitte richtet sich das forschende Hauptinteresse dieser Arbeit. Dazwischen fallen zwei Jahrzehnte verminderter Kontakte, die jedoch, in unterschiedlicher Weise, die Voraussetzungen für die Folgeepochen definierten und deshalb zumindest in großen Zügen dargestellt werden sollen: zum einen die Jahre des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit, in denen die direkten Kontakte zwischen den Historikern beider Länder gänzlich zum Erliegen kamen, die aber als Epoche traumatischer Erfahrungen die gegenseitige Wahrnehmung über lange Jahre bestimmten. Zum anderen die Sechzigerjahre, als blockpolitische Spannungen eine deutsch-polnische Geschichtsverständigung zwar erneut verzögerten, gleichzeitig aber in der BRD und der VRP wichtige innerwissenschaftliche Reifungsprozesse stattfanden, die eine grundsätzliche Versachlichung der beziehungsgeschichtlichen Diskussion herbeiführten und mithin die Voraussetzung zur fachlichen Verständigung der folgenden Phase schufen.

1.2 Theorie und Methode Methodisch bezieht die vorliegende Studie Anregungen aus mehreren Zugängen, ohne dass sie den facettenreichen Gegenstand in das Korsett eines einzigen, geschlossenen Interpretationsansatzes pressen möchte. Eine politische Geschichte der Geschichtsschreibung muss zunächst nach den Berührungspunkten des Historischen mit dem Politischen fragen.7 Eine Scharnierfunktion kommt dabei dem Fortschrittsgedanken zu. In dem Maße, wie sich der Wandel der menschlichen Verhältnisse seit dem 18. Jahrhundert auf vielen Ebenen beschleu-

7 Grundlegend dazu Mitchell Ash, Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander, in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahme zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51.

1.2 Theorie und Methode 

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nigte und gewissermaßen im Zeitraffer deutlicher sichtbar wurde, gewann die Vorstellung einer linear gerichteten Zeit wachsende Prominenz.8 Vor diesem Hintergrund war es naheliegend, verstärkt nach den Entwicklungslinien zu fragen, die aus der Vergangenheit in die Zukunft wiesen. Vorstellungen über das Gewesene bestimmten so in zunehmendem Maße das Bild des Zukünftigen – sei es im konservativen Sinne als präskriptive Tradition, die geradlinig fortgesetzt werden sollte, sei es im chiliastischen Sinne als Vorgängerepoche, auf die gesetzmäßig eine anders geartete, höher gestufte Nachfolge­epoche folgen sollte. Am deutschen Beispiel erläutert Jörn Rüsen für das späte 19. Jahrhundert: Einerseits wurden Kritik und Interpretation politischen Handelns von historischen Argumenten abhängig gemacht, über deren Geltung nach Kriterien wissenschaftlicher Vernunft entschieden werden sollte, und andererseits bedeutete diese Entscheidungskompetenz der Geschichtswissenschaft eine Aktualisierung ihrer Erkenntnisse, die ihnen den Charakter einer postulatorischen Anweisung zum Handeln verlieh.9

Wenn Fortschrittswahrnehmung den gedanklichen Nexus zwischen Geschichte und Politik überhaupt erst begründet, so muss diese Verbindung in kataklytischen Umbruchzeiten besondere Prominenz gewinnen. Ritter und Marquard postulieren für solche Zeiten einen erhöhten Bedarf nach Deutungen, die die geschichtlichen Zusammenhänge wahren. Der Historiographie komme unter solchen Umständen die Rolle einer „Kompensations­wissenschaft“ zu, die angesichts rasanter und tiefgreifender Veränderungen „Traditions­abrisse“ repariere und damit ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Orientierung, Identitäts­wahrung und Sicherheit stille.10 So kann eine ungewisse Zukunft durch den historisch legitimierten politischen Vorsatz entschärft werden, eine gute Vergangenheit zu restaurieren oder in historischer Gesetzmäßigkeit in eine lichte Zukunft voranzuschreiten. Zweifellos bot die an Umbrüchen reiche deutsch-polnische Beziehungsgeschichte im 20. Jahrhundert solchen Bemühungen um Kontinuitätsstiftung ein reiches Betätigungsfeld.

8 Zur Vorstellung einer Beschleunigung der historischen Zeit Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979. 9 Jörn Rüsen, Johann Gustav Droysen, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 115–262, hier S. 115–116. 10 Erstmals formuliert hat diesen Gedanken Joachim Ritter, Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft, in: Ders. (Hg.), Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt a. M. 1974, S. 109–140 [erstmals publiziert 1963], insbesondere S. 131; popularisiert hat ihn sein Schüler: Odo Marquard, Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften, in: Ders. (Hg.), Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart 1986, S. 98–116, insbesondere S. 105.

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 1 Einleitung

Bis hierhin haben unsere Überlegungen der Geschichte als Diskursraum gegolten. Die jüngste Vergangenheit konstituiert indes stets auch den Erfahrungsraum der Zeitgenossen. Die daraus resultierende (chronologische und oft auch räumliche) Überlagerung von erlebter und besprochener Geschichte begründet die Standortgebundenheit des Historikers.11 Sie lässt ihn die jeweils vorherrschenden sozialen, nationalen, ja gar rassischen Ordnungssysteme als geschichtsmächtige Realitäten erfahren, die vordringlich nach historischer Herleitung und politischer Bewertung verlangen.12 Je unabweislicher diese Realitäten den Historiker lebensweltlich berühren, umso tiefgreifender färben sie seine wissenschaftliche Arbeit – so lautet die These, die es in diesem Zusammenhang zu überprüfen gilt. Formuliert haben sie mehr oder weniger zugespitzt die involvierten Historiker selbst – wenngleich zumeist erst als nachträgliche Apologie für eigene Jugendsünden oder die Verfehlungen der wissenschaftlichen Ziehväter.13 Naheliegend, aber zu kurz gegriffen ist die Annahme, Zeitzeugenschaft färbe lediglich die Zeitgeschichtsschreibung. Vielmehr beweist unser Gegenstand, dass die aus der Gegenwartserfahrung abgeleiteten Urteile auch auf die weiter entfernte Vergangenheit zurückprojiziert wurden. Im Alltag des wissenschaftlichen Lebens erkennt Lutz Raphael drei Bereiche, in denen Historiker aktiv oder passiv mit der Politik in Berührung kommen: Der erste ist durch die Heteronomie bzw. Autonomie des Faches bestimmt, mithin durch das Maß an Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Berufshistoriker von staatlicher bzw. politischer Kontrolle; der zweite wird durch die „freiwillige Parteinahme des Faches für nationalstaatliche Ziele“ gebildet; der dritte erwächst aus der „Einbettung der Geschichtswissenschaft in die spezifischen Formen von Erinnerungsoder Geschichtskulturen“.14 Alle drei Aspekte werden im Lauf dieser Untersuchung

11 Reinhart Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit, in: Ders. (Hg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 176–207, hier S. 186; s. auch Jens Kistenfeger, Historische Erkenntnis zwischen Objektivität und Perspektivität, Frankfurt a. M. 2011, 13–58. 12 Dagegen wird historischer Forschung ohne offensichtlichen Gegenwartsbezug in politisch bewegten Zeiten – zuletzt im Gefolge von 1968 – gerne antiquarische Liebhaberei ohne gesellschaftliche Relevanz vorgeworfen. 13 Die entsprechenden Reflexionen zielten in der Regel auf die tagespolitisch gefärbte historiographische Produktion der dreißiger und vierziger Jahre und erreichten in den Siebzigerjahren ihren Höhepunkt. Stichwortgeber („Präsentismus“) der einschlägigen deutschen Diskussion war Klaus Zernack/Karin Friedrich, Developments in Polish scholarship on German history, 1945– 2000. Introduction to the special issue, in: German History 22/3 (2004), S. 309–322, hier S. 311. In Polen war die starke Gegenwartsfärbung der eigenen Deutschlandhistoriographie vergangener Jahrzehnte etwa auf einer Konferenz von Deutschlandforschern 1977 ein Thema. 14 Lutz Raphael, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, hier S. 44–45.

1.2 Theorie und Methode 

 7

prominent in Erscheinung treten. Betrachten wir die Räume, in denen diese Interaktion erfolgt und die sich mit den Begriffen der akademischen Milieus, der (teil-) gesellschaftlichen Felder und der Ressourcenmärkte fassen lassen. Der akademische Bezugsrahmen kann als Umfeld verstanden werden, welches die Denkmuster von Wissenschaftlern prägt und als Ort kollektiver Erinnerung wirkt, der verschiedene Historikergenerationen auf gemeinsame Regeln und geteilte Werte verpflichtet. Solche akademischen Milieus, zu denen nebst dem universitären Umfeld auch nationale Wissenschaftskulturen sowie die Einbettung in die internationale scientific community zu zählen sind, wirkten daher stabilisierend auf die Disziplin, wie sich auch am vorliegenden Untersuchungsgegenstand zeigen wird.15 Zu eng scheint allerdings der Ansatz, Wissenschaftler ausschließlich auf dem Feld der Wissenschaft zu verorten – agieren sie doch darüber hinaus in einer Vielzahl weiterer Zusammenhänge.16 Politische Parteien, gesellschaftliche Verbände und Kirchen sind Beispiele weiterer, anderen Feldern zugeordneter Milieus, denen unsere Akteure angehören konnten.17 Es ist folglich darauf zu achten, nach welchen Regeln die Zulassung und Positionierung in den jeweiligen Feldern und Milieus funktionierte. Politik und Wissenschaft begegnen sich auf dem Marktplatz der materiellen (bzw. finanziellen) und intellektuellen Ressourcen, auf dem ökonomisches und kulturelles Kapital gegeneinander gehandelt wird.18 In einfachster Form ist dieses Verhältnis als Tauschgeschäft vorstellbar, in dem die Wissenschaft ihre intellektuellen Ressourcen der Gesellschaft respektive den politischen Machthabern anbietet und dafür mit materiellen Ressourcen entschädigt wird, also gewissermaßen Erkenntnisse und Loyalitäten gegen Auskommen tauscht.19 Unter Umständen verpflichtet sich der Wissenschaftler dabei explizit zur Politikberatung oder implizit

15 Ebd., S. 17. 16 Zur Entwicklung und Rezeption von Bourdieus Feldbegriff Rainer Diaz-Bone, Kulturwelt, Diskurs und Lebensstil. Eine diskurstheoretische Erweiterung der Bourdieuschen Distinktionstheorie, Wiesbaden 2010, S. 49–57. 17 In diesem Sinne spricht etwa Connelly vom konservativ-katholischen Krakau als einem Milieu, das die Auf­fassungen und Gesinnungen der dortigen Wissenschaftler stark prägte und der Volksrepublik hartnäckigen Widerstand entgegensetzte. John Connelly, Captive university. The Sovietization of East German, Czech, and Polish higher education, 1945–1956, Chapel Hill 2000, S. 290 u. a. 18 Die Vorstellungen verschiedener Kapitalien, die in den diversen Feldern auf unterschiedliche Weise angesammelt werden, aber bis zu einem gewissen Grade gegeneinander gehandelt werden können, stammt ebenfalls von Bourdieu. Diaz-Bone, Kulturwelt, S. 27–29 u. 32–33. 19 Fachübergreifend und unter positiven Vorzeichen beschreiben dieses Verhältnis die Beiträge in Stefan Fisch/Wilfried Rudloff (Hg.), Experten und Politik. Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive, Berlin 2004.

8 

 1 Einleitung

zur Legitimierung einer bestimmten Politik; unter idealen Bedingungen honoriert die Gesellschaft auch zweckfreie und politisch ungebundene Wissenschaft um des allgemeinen Erkenntnisgewinns willen. Daraus resultiert eine komplexere Spielart der Ressourcenverteilung, in der die Gesellschaft bzw. die Politik die Wissenschaft mit begrenzten materiellen Ressourcen ausstattet; der Verteilungskampf um diese Ressourcen erfolgt dann innerwissenschaftlich im gegenseitigen Kräftemessen konkurrierender Richtungen. Vor diesem Hintergrund weist Raphael zu Recht darauf hin, dass innerfachliche Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Schulen und Denkrichtungen stets auch „Konflikte um die Aneignung von Ressourcen, von Macht und Einfluss“ repräsentieren.20 Oftmals kann von einer Über­lagerung beider Verteilungsprozedere ausgegangen werden; in diesem Fall repräsentieren sowohl das erfolgreiche Ringen um innerwissenschaftliche Anerkennung wie auch das Buhlen um öffentliche Akzeptanz und um die Gunst der Mächtigen gangbare Wege zur Aneignung von Ressourcen.21 Haben wir bisher vor allem nach den Berührungspunkten zwischen Wissenschaft und Politik gefragt, so dürfen doch die unterschiedlichen Rationalitäten nicht übersehen werden, die beiden Feldern innewohnen und sie zueinander in ein dauerhaftes Spannungsverhältnis setzen, das sich gar zur Wahrnehmung gegenseitiger Inkompatibilität steigern kann. Rudloff macht diesen Gegensatz daran fest, dass beide Felder „anderen Erfolgsmaßstäben unterworfen sind, in divergierenden Zeithorizonten denken, unterschiedliche Sprachen sprechen, abweichende Denkstile kultivieren“.22 Damit sind die Symptome des gegenseitigen Befremdens treffend beschrieben. Seine Ursachen lassen sich idealtypisch als Gegensatz von Parteilichkeit und Objektivität fassen, den Rüsen für den Umgang mit der Geschichte folgendermaßen spezifiziert hat: Historisch denken heißt, dass sich das Subjekt dieses Denkens mit seiner Subjektivität, mit seinen Bedürfnissen und Interessen, genauer: mit der Absicht einer Selbstvergewisserung in den Erkenntnis­prozess einbringt, in dem die menschliche Vergangenheit als Geschichte erkannt wird. Wissenschaftlich historisch zu denken heißt, dass eben diese Subjektivität zugunsten einer Objektivität überwunden wird, in der die historische Erkenntnis grundsätzlich für jeden zustimmungsfähig ist […]23

20 Raphael, Geschichtswissenschaft, S. 16. 21 Zum wissenschaftlichen Kampf um Ressourcen und zu akademischen Mobilisierungsstrategien Mitchell Ash, Verordnete Umbrüche – Konstruierte Kontinuitäten. Zur Entnazifizierung von Wissenschaftlern und Wissenschaften nach 1945, in: ZfG 43 (1995), S. 903–924. 22 Wilfried Rudloff, Einleitung. Politikberatung als Gegenstand historischer Betrachtung, in: Stefan Fisch/Wilfried Rudloff (Hg.), Experten und Politik. Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive, Berlin 2004, S. 13–58, hier S. 48. Hervorhebungen im Original. 23 Jörn Rüsen, Historische Vernunft. Grundzüge der Historik I: Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1983, S. 116–136; Zitat S. 118.

1.2 Theorie und Methode 

 9

Erstere, gesellschaftliche-politische Form des historischen Denkens befriedigt Identifikations- und Orientierungsbedürfnisse, welche die Letztere, wissenschaftliche Ausprägung der Geschichtsbetrachtung in ihrer idealtypischen Form nicht bedienen kann. Der Gegensatz wissenschaftlich versus politisch/gesellschaftlich darf allerdings nicht mit Berufsfeldern identifiziert werden, woraus dann zu folgern wäre, dass Berufshistoriker grundsätzlich „wissenschaftlich historisch“ denken. Vielmehr beschäftigt das Spannungsfeld zwischen intersubjektiver Objektivität und (gruppen-)subjektiver Parteilichkeit die Historikerzunft auch in ihrem Innern – die Parteinahme deutscher und polnischer Berufshistoriker zugunsten bestimmter Anliegen nationalistischer oder anderweitig ideologischer Natur konstituiert ja nachgerade den Forschungsgegenstand dieser Studie. Während sich allerdings Geschichtsideologen au­ßerwissenschaftlicher Provenienz vorbehaltlos der Parteilichkeit verschreiben dürfen, verpflichten Fachstandards die Berufshistoriker in der Regel auf Verfahren der intersubjektiven Objektivitätsherstellung. Sie agieren daher im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Sinnstiftung und wissenschaftlichem Wahrheitsanspruch.24 Es ist argumentiert worden, dass die Geschichtswissenschaft nur dann gesellschaftliche Relevanz beanspruchen darf, wenn sie Parteilichkeit und Objektivität bis zu einem gewissen Grade zur Deckung bringen kann.25 Dazu soll Parteilichkeit nicht aufgegeben, sondern offen­gelegt und intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden. Drei Verfahren sollen dabei Objektivität verbürgen: Begründungsobjektivität verlangt, dass historische Darstellungen hinsichtlich ihres Tatsachengehalts unabhängig davon gelten, welche Sinnhaftigkeit ihnen jeweils beigemessen wird. Konstruktionsobjektivität meint die Fähigkeit von Geschichten, Identitätsbildung „in das Medium einer argumentativen Kommunikation einzubinden“. Konsensobjektivität bezeichnet schließlich die Fähigkeit von Geschichten, „durch ihren Bedeutungsgehalt Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten […] in gleicher Weise zur Selbstverständigung dienen zu können“.26 Gewissermaßen als Trivialform der Konsensobjektivität mag man jene Variante der Narrativ­ermittlung verstehen, welche die Auffassungen zweier Par-

24 Zu den daraus hervorgehenden Dilemmata Koselleck, Standortbindung, hier S.  195–202, sowie die Beiträge in Reinhart Koselleck/Wolfgang J. Mommsen/Jörn Rüsen (Hg.), Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft, München 1977. 25 Die Verfechter dieser Position berufen sich gewöhnlich auf Max Weber, der Wertbeziehung „geradezu zum konstitutiven Faktor bedeutungsvoller sozialwissenschaftlicher und insbesondere historischer Aussagen“ erhoben hat. Wolfgang J. Mommsen, Der perspektivische Charakter historischer Aussagen und das Problem der Parteilichkeit und Objektivität historischer Erkenntnis, in: Koselleck, Reinhart/Wolfgang J. Mommsen/Rüsen, Jörn (Hg.), Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft, München 1977, S. 441–468, hier S. 441. 26 Rüsen, Vernunft, S. 128–130, 132.

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 1 Einleitung

teien nach den Prinzipien des kleinsten gemeinsamen Nenners sowie des do ut des zum Ausgleich bringt und gelegentlich mit dem Begriff der Negotiated History gefasst wird.27 Trugen diese Methoden der Objektivitätskonstituierung auch bisweilen dazu bei, das Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Objektivität situativ zu entschärfen, so blieb der Ruf nach mehr Objektivität oder aber der Vorwurf mangelnder Parteilichkeit doch über weite Strecken des deutsch-polnischen Historikerdialogs ein wichtiger Konditionierungsfaktor der bilateralen wie der nationalen Debatten. Wird die Opposition von Parteilichkeit und Objektivität mit dem Ringen der Historiker um Ressourcen in Verbindung gebracht, so ergeben sich daraus die gegensätzlichen Strategien wissenschaftlicher oder politischer Selbstlegitimation.28 In Abhängigkeit von geltenden Verteilungsmechanismen (und, bisweilen, persönlichen Überzeugungen) können Historiker entweder die Wissenschaftlichkeit oder den erhofften politischen Nutzen der eigenen Arbeit in den Vordergrund stellen. Dabei kann es in Abhängigkeit von den herrschenden Zeitumständen einmal erfolgversprechender sein, politische und wissenschaftliche Legitimation als einander ausschließende Kategorien zu postulieren und Anhänger des gegnerischen Lagers als unseriöse Wissenschaftler oder weltfremde Gelehrte im Elfenbeinturm zu diffamieren, ein andermal aber, beide Kategorien als miteinander vereinbar zu verstehen und für die Verbindung der Wissenschaft mit dem Leben zu werben (wie es etwa in den sozialistischen Staaten hieß). Politische Selbstlegitimation gestaltete sich dort am wirkungsvollsten, wo sie nicht als Eigennutz oder unmittelbarer Dienst an politischen Herrschaftsinteressen zu erkennen war, sondern sich gewissermaßen als Beiprodukt aus dem Dienst der Historiker an übergeordneten, breit geteilten Idealen ergab. So wussten sich deutsche Ostforscher wie polnische Westforscher nach dem Zweiten Weltkrieg als unverzichtbare Fürsprecher nationaler Interessen zu positionieren, und als später im Rahmen der ostdeutsch-polnischen Historikerkommission sowie der bundesdeutsch-polnischen Schulbuchkommission das Anliegen der Völkerverständigung in den Vordergrund trat, erschienen die Beziehungshistoriker als Experten der bilateralen Vergangenheitsbewältigung

27 Zum Begriff der negotiated history kritisch Marina Cattaruzza/Sacha Zala, Negotiated history? Bilateral historical commissions in twentieth-century Europe, in: Harriet Jones/Kjell Östberg/ Nico Randeraad (Hg.), Contemporary history on Trial, Manchester 2006, S. 123–143. Affirmativ und ins Praktische gewendet dagegen der Begriffsgebrauch im History and the Politics of Reconciliation Program der Carnegie-Stiftung, online unter (19. 5. 2015). 28 Hierzu Kai Arne Linnemann, Das Erbe der Ostforschung. Zur Rolle Göttingens in der Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit, Marburg 2002, sowie die Rezension von Hans-Christian Petersen unter (19. 5. 2015).

1.2 Theorie und Methode 

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erneut als unabdingbar. Neben der politischen und der wissenschaftlichen identifiziert Linnemann schließlich eine dritte Legitimationsstrategie – jene der moralischen Selbstlegitimation,29 die im Hinblick auf die zweite, von moral narratives geprägte Hälfte des 20. Jahrhunderts durchaus bedenkenswert scheint. Zum Tragen kam sie etwa dann, wenn deutsche und polnische Historiker sich im Rückblick auf den Nationalsozialismus als Anwälte gegen das Vergessen präsentierten. Die Vielschichtigkeit und die Verschachtelungen der deutsch-polnischen Beziehungs­historiographie lassen sich ohne einen Blick auf die Diskursräume, in denen dieser Dialog stattfand, und die darin herrschenden Diskursführerschaften nur schwer darstellen. Als hochgradig spezialisiertes Berufsfeld ist die Geschichtswissenschaft (wie jede andere Wissenschaft auch) einem kleinen Kreis von Eingeweihten vorbehalten;30 als Produzentin allgemein interessierender Einsichten und identitätsstiftender Gewissheiten richtet sie sich hingegen potentiell an eine breite Öffentlichkeit. So verbreitet sich wissenschaftliche Er­kenntnis in einer Reihe konzentrischer Kreise in die Gesellschaft – von der Geschichtswissenschaft über die Geschichtspädagogik bis in die Geschichtspolitik und die Populärhistoriographie. Von Interesse ist für unsere Belange die Frage, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt die Diskursregeln in diesen verschiedenen Kreisen bestimmt, mithin also die Verfügungsgewalt über die in der Geschichtswissenschaft und ihren Ausläufern geltenden Paradigmen und Meistererzählungen innehält. Idealtypisch können dabei drei kollektive Akteure unterschieden werden: Erstens die Fachwissenschaft, zweitens die staatliche Politik, drittens die Gesellschaft (beziehungsweise einflussreiche teilgesellschaftliche Gruppen). Letztere bildet gleichzeitig den Resonanzboden von Erinnerungs- oder Geschichtskulturen und mithin den gemeinsamen Adressaten staatlicher Geschichtspolitik und öffentlichkeits­orientierter Fachwissenschaft. Aufmerksamkeit erfordert die Art und Weise, wie die Vermittlung zwischen Fachwissenschaft, Politik und Gesellschaft auf inhaltlicher Ebene funktioniert, in welcher Form also Deutungen ausgetauscht wurden. Dabei kommt Meistererzählungen oder Masternarrativen eine zentrale Rolle zu, verbinden sie doch „fachwissenschaftliche Erkenntnisanteile mit kulturellen Gedächtnistraditionen, medialen Vergegenwärtigungen und politischen Inszenierungen“ und bilden so gewissermaßen „das geronnene Ergebnis einer sozialen Memoralisierung.“31

29 Ebd., S. 29. 30 Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a. M. 1993, insbesondere S. 22–27. 31 Konrad Jarausch/Martin Sabrow, „Meistererzählung“. Zur Karriere eines Begriffs, in: Dies. (Hg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9–32, hier S. 18.

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Unter einer Meistererzählung wird hier ein Narrativ verstanden, das erstens aufgrund der – politischen, wissenschaftlichen, moralischen – Autorität seiner Urheber und Verfechter einen Führungsanspruch oder gar einen exklusiven Geltungsanspruch erheben kann und das zweitens als verdichtete Erzählvorlage funktioniert, an deren Deutungen und Wertungen sich nachfolgende Darstellungen zu orientieren haben. Diesen kommt dann die Aufgabe zu, die Meistererzählung mit Fakten auszufüllen und mit Details anzureichern, dabei aber gleichzeitig ihre grundsätzliche Richtigkeit zu bestätigen. Hayden White hat bekanntlich behauptet, historische Darstellungen seien unvermeidlich nach den Erzählmustern fiktiver Literatur als Romanze, Tragödie, Komödie oder Satire strukturiert und und gäben damit zwangsläufig eine überwölbende Großdeutung der dargestellten Zusammen­hänge vor.32 Auch wenn man die Unvermeidlichkeit einer solchen Kodierung in Frage stellen mag, bleibt die von White angestoßene Aufdeckung narrativer Tiefenstrukturen in historischen Texten ein lohnendes Unterfangen. Naheliegenderweise sind Meister­erzählungen mit ihrer willentlich sinnstiftenden Intention besonders empfänglich für solche emplotments. Als beliebte Gegenstände von Meistererzählungen fungieren Nationalgeschichten; auch teleologisch geprägte gesellschaftsgeschichtliche Meistererzählungen haben im 19. und 20.  Jahrhundert, insbesondere in marxistischer Form, hohen Stellenwert erlangt. Gleiches gilt in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts für die moral narratives, mit denen ausgehend vom Zweiten Weltkrieg Epochendeutungen des zwanzigsten Jahrhunderts und, für unseren Fall entscheidender, Interpretationen der deutschen Geschichte vorgenommen wurden.33 Es scheint zweckmäßig und angebracht, für jeden betrachteten Diskursraum von der gleich­ zeitigen Existenz mehrerer Meistererzählungen verschiedener Reichweite und unterschied­lichen Abstraktionsgrades auszugehen, also gewissermaßen eine Schachtelung von Narrativen anzunehmen.34 Zur Konkurrenz

32 Hayden White, Metahistory. The historical imagination in nineteenth-century Europe, Baltimore/London 1973. 33 Zum 20. Jahrhundert als Epoche der moral narratives Charles S. Maier, Consigning the twentieth century to history: Alternative narratives for the modern era, in: AHR 105/3 (2000), S. 807– 831, insbesondere S. 807, 812 f., 825–831. Der Begriff des moral narrative geht auf Hayden White zurück, der freilich jeder Form des „faktischen Geschichtenerzählens“ den Impuls unterstellt, die Realität zu moralisieren. Hayden White, Die Bedeutung von Narrativität in der Darstellung der Wirklichkeit, in: Ders. (Hg.), Die Bedeutung der Form. Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung, Frankfurt a. M. 1990, S. 11–39, hier S. 26. 34 In diesem Sinne unterscheidet der amerikanische Historiographiegeschichtler Alan Megill grand narratives von mittleren und kleineren Erzählungen. Allan Megill, Recounting the past. „Description“, explanation and narrative in historiography, in: AHR 94 (1998), S. 627–653.

1.2 Theorie und Methode 

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bzw. zum Anspruch nach gegenseitiger Verdrängung kommt es dann zwischen kommensurablen Meistererzählungen – etwa zwischen einer deutschen und einer polnischen, einer nationalistischen und einer sozialstratifikatorischen Sicht auf die gemeinsame Beziehungsgeschichte. Oft steht es den Urhebern einer Meistererzählung indes auch frei, ihr Narrativ entweder als Ersatz oder als Ergänzung zu einer bestehenden Meistererzählung zu positionieren. So fungierte das Narrativ von der deutsch-polnischen Völkerfreundschaft in der Volksrepublik Polen lange als Ergänzung zum weiterbestehenden Narrativ einer deutsch-polnischen Feindschaft, wobei beide Narrative durch ihren Bezug auf unterschiedliche Klassen und Staaten (BRD/DDR) komplementär konzipiert wurden. Die Ergänzungsstrategie (im Gegensatz zur Verdrängungsstrategie) erwies sich unter autoritären politischen Bedingungen oftmals als bevorzugtes Vehikel alternativer Geschichtsdeutungen, denn so ließen sich unter vorgeblicher Treue zu den Lehrsätzen der gültigen Orthodoxie alternative Interpretationen als Ergänzungen oder reine Ausgestaltungen des verbindlichen Masternarrativs tarnen. Im Folgenden wird deshalb nicht nur darauf zu achten sein, welche Interpretationen die jeweils geltenden Meistererzählungen verbindlich vorgaben. Ebenso bedeutsam scheint, welche Aspekte der historischen Realität von ihnen nicht oder nur in ihren Ausläufern erfasst wurden. Dabei wird sich zeigen, dass diese kaum regulierten Bereiche oftmals Refugien einer ausgangsoffenen oder oppositionell orientierten historischen Forschung waren, ja mehr noch, dass es oft gerade von den lose geknüpften Rändern her möglich war, gültige Meistererzählungen aufzulassen und ihre Erzählfäden zu neuen Narrativen zu verweben. In Anbetracht der wiederholten und tiefgreifenden Umbrüche, in denen die Historiker beider Länder im zwanzigsten Jahrhundert operierten, erweisen sich Deutungsansätze als nützlich, die nach dem Wesen der Kontinuitäten und Brüche fragen, die das wissenschaftliche Denken prägen. Einschlägig ist in diesem Zusammenhang Thomas Kuhns These der Paradigmenwechsel. Demnach verläuft die Entwicklung der Wissenschaft weder rational noch kumulativ, sondern wird durch die Brüche wissenschaftlicher Revolutionen unterteilt, die zuvor hegemoniale Theorien durch neue ersetzen.35 Kuhns Hinweis, dass solche Brüche nicht nur innerfachlichen Rationalitäten folgen, sondern auch außerwissenschaftlichen Einflüssen geschuldet sind, mutet in Anbetracht des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes geradezu als Gemeinplatz an. Und angesichts der Tatsache, dass politisch engagierte Geschichtsschreibung in der Regel einem selektiv verengten Geschichtsbild huldigt, scheint auch der Schluss einsichtig,

35 Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a. M. 1976. Rüsen, Vernunft, hat das Modell auf die Geschichtswissenschaft zugespitzt.

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dass sich das Wissen eines Fachs nicht in allen Phasen seiner Entwicklung kumulativ erweitert, sondern ebenso gut der Beschneidung unterliegen kann. Gute Gründe sprechen indes dafür, den disruptiven Charakter solcher Wandlungen nicht zu überschätzen. Intellektuelle Eliten sind in den meisten Gesellschaften ein knappes Gut, das sich nicht ohne Weiteres substituieren lässt; und aus den daraus resultierenden personellen und institutionellen Kontinuitäten folgt in der Regel auch eine beachtliche Persistenz wissenschaftlicher Leitvorstellungen. Unter diesen Umständen kommen neue Paradigmen in den Geschichtswissenschaften selten darum herum, den bisherigen Forschungsstand zu würdigen. Mehr noch als für die Ebene der Interpretationen gilt dies für den quellenmäßig gesicherten Bestand historischer Fakten, um deren Integration neue Paradigmen nicht umhinkommen. So setzte sich beispielsweise selbst in der politisch besonders stark vereinnahmten Geschichtsdeutung der DDR in den Siebzigerjahren die Erkenntnis durch, dass sich das gültige Narrativ – die sogenannte Tradition – schlüssig in den quellenmäßig verbürgten Ereignisbestand der deutschen Geschichte – das sogenannte Erbe – einbeschreiben musste, wenn die Historie ihre gesellschaftliche Glaubwürdigkeit zurückerlangen wollte. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nochmals an die kontinuitätsstiftende Rolle, die der Geschichtsschreibung oft gerade in Umbruchszeiten zufällt. Es wird deshalb darauf zu achten sein, allen äußeren Kontinuitätsbrüchen zum Trotz auch das Beharrungsvermögen der betrachteten Historiographien in Rechnung zu stellen. Aufmerksamkeit verdienen schließlich die Implikationen, die sich aus der beziehungs­geschichtlichen Anlage der Untersuchung ergeben. Unter den Leitbegriffen Vergleich, Transfer, Transnationalität, histoire croisée und entangled history ist letzthin, auch im deutsch-polnischen Kontext, viel diskutiert worden, welches Augenmerk in solchen Studien den Aspekten der Ähnlichkeit, der Verschiedenheit und der gegenseitigen Beeinflussung der Beziehungspartner zukommen solle.36 Gemeinhin wird dabei vor vorschnellen Gleich­setzungen gewarnt, auf Asymmetrien verwiesen und darauf, dass Beeinflussung niemals einen passiven Empfänger voraussetzt, sondern stets mit aktiver Anverwandlung einhergeht und zu Rückwirkungen führt. Zweifellos ist die unbesehene

36 Zu Begriff und Theorie der Beziehungsgeschichte Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001. Zum Ansatz der histoire croisée Michael Werner/Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: GG 28 (2002), S.  607–636. Zum länderübergreifenden Vergleich historiographischer Nationalkulturen Christoph Conrad/Sebastian Conrad, Wie vergleicht man Historiographien?, in: Dies. (Hg.), Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, Göttingen 2002, S. 11–45.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

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Übertragung von Vorstellungen, die am deutschen Fall gewonnen wurden, auf die polnische Seite problematisch. (Der umgekehrte Fall, obgleich nicht minder problematisch, ist seltener zu beobachten.) Eben davor kann aber eine Perspektive, die beide Seiten forschend einbezieht, bewahren. Des Weiteren muss sich gerade eine Untersuchung, welche die bilateralen Beziehungen ins Zentrum stellt, davor hüten, den nationalen Gegensatz zu verabsolutieren – ist er doch oftmals keineswegs die einzige und bisweilen nicht einmal die bestimmende Scheidelinie, welche die untersuchten Akteure trennt.37 Wenn es gelingt, solche methodischen Fallstricke zu vermeiden, belohnt ein beziehungsgeschichtlicher Ansatz mit dem gewichtigen Vorteil der verschränkten Perspektivik. Die Akteure beider Seiten treten in den Quellen dann nicht nur in ihrer Selbstdarstellung hervor, sondern können darüber hinaus aus dem Blickwinkel der Gegenseite betrachtet werden. Auseinanderklaffende Darstellungen derselben Sachverhalte können auf Interpretationsbedarf hinweisen, der andernfalls verborgen bliebe, und letztlich darf erwartet werden, dass aus der Kombination deutlich unterschiedlicher Perspektiven auf einen gemeinsamen Gegenstand ein plastischeres Bild entsteht, als es die Quellen lediglich einer Seite zu vermitteln vermöchten.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage Ein Forschungsvorhaben im thematischen Schnittpunkt von Historiographiegeschichte und deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte kann an die Forschungsstränge beider Felder anknüpfen. Die Historiographiegeschichte hat in den vergangenen Jahren ihre vormalige Beschränkung auf fachimmanente epistemologische Fragestellungen überwunden und vermehrt nach den politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen von Geschichtsschreibung gefragt.38 Bisher

37 Selbst der Blick auf ein offiziöses bilaterales Gremium wie die deutsch-polnische Schul­buch­ kommission der Siebzigerjahre zeigt, dass die Scheidelinien oft weniger zwischen Polen und Deutschen verliefen als vielmehr innerhalb der beiden nationalen Milieus, zwischen verständigungsbereiten und nationalistisch gesinnten Historikern. 38 Anstöße dazu kamen aus der Wissenschaftssoziologie, die Wissenschaft in erster Linie als so­ ziales System versteht und nach ihren Beziehungen zu Politik und Gesellschaft fragt. Als Beispiel für einen solchen Zugriff etwa Wolfgang Weber, Priester der Klio. Historisch-wissenschaft­l­iche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswis­ senschaft 1800–1970, Frankfurt a. M./Bern/New York 1984. Einschlägig in dieser Hinsicht auch der ideologiekritische Ansatz, der zeittypische Deutungszusammenhänge außerwissenschaft­li­ cher Provenienz in den Blick nimmt. Ernst Schulin, Synthesen der Historiographiegeschichte, in: Konrad Jarausch (Hg.), Geschichtswissenschaft vor 2000, Hagen 1991, S. 151–163.

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blieb dieser Ansatz jedoch stark auf das nationalsozialistische Deutschland bezogen. Die vorliegende Arbeit soll diese Perspektive anhand einer begrenzten Thematik nicht nur chronologisch bis in die Siebzigerjahre verlängern, sondern, indem sie den polnischen Fall einbezieht, auch um eine wichtige Vergleichs- und Bezugsdimension erweitern. Gleichzeitig haben neuere Arbeiten zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte vermehrt auf das hohe Maß an historischer Reflexivität fokussiert, das diesen Beziehungen spätestens seit dem 19. Jahrhundert zu eigen ist. Besonderes Interesse ist in den letzten Jahren den verschränkten Erinnerungskulturen beider Länder zuteil geworden.39 Daraus ergeben sich Einsichten in das gesellschaftliche Umfeld der deutsch-polnischen Beziehungshistorie, wohingegen ihre fachinternen Diskursregeln noch weitgehend der Erforschung harren. Die Anfänge der im engen Sinne historiographiegeschichtlichen Erforschung unseres Gegenstandes lassen sich auf die Sechzigerjahre des 20.  Jahrhunderts datieren. Damals begann auf sowjetisches Geheiß in der Volksrepublik Polen und in der DDR die Auseinandersetzung mit der deutschen Ostforschung als politisch motivierte Ideologiekritik.40 Freilich stand diese Forschung dermaßen unmittelbar im Zusammenhang vorangehender deutsch-polnischer Kontroversen, dass von einer sachlich-distanzierten Außenperspektive nur schwerlich die Rede sein konnte. Immerhin war das Bemühen erkennbar, die Polemik durch quellengestützte Forschungen zu unterfüttern. Zu nennen sind die Ostberliner Untersuchung von Rudi Goguel, die 1964 drei Zentren der deutschen Ostforschung galt,41 und Gerhard Voigts Arbeit über Otto Ho­etzsch aus den späten Siebzigerjahren.42 Den Stand der polnischen Forschung aus den Sechzigerjahren repräsentiert

39 Hans Henning Hahn/Robert Traba (Hg.), Deutsch-polnische Erinnerungsorte, 5 Bde., Paderborn 2011–2015.; Adelheid von Saldern (Hg.), Mythen in Geschichte und Geschichtsschreibung aus polnischer und deutscher Sicht, Münster 1996. 40 Einzelne Artikel über die Rolle der deutschen Ostforscher im Zweiten Weltkrieg waren bereits in den ersten Nachkriegsjahren erschienen, hatten aber keine Fortsetzung gefunden. Jan Baumgart, Tajna organizacja nauki niemieckiej, in: PZ 3 (1947), S.  969–980; Felix-Heinrich Gentzen, „Ostforschung“ zachodnio-niemieckich historyków, in: PZ 12/1 (1956), S.  291–300. Als sowjetischer Startschuss zur Auseinandersetzung mit der Ostforschung kann gelten: V. T. Pašuto, Tak nazyvaemoe „Izučenie vostoka“– Ideologija zapadnogermanskogo revanšizma, in: Voprosy Istorii 34/3 (1959), S. 60–76. 41 Namentlich der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft, der Reichsuniversität Posen und dem Institut für Deutsche Ostarbeit Krakau. Rudi Goguel, Über die Mitwirkung deutscher Wissenschaftler am Okkupationsregime in Polen im zweiten Weltkrieg, untersucht an drei Institutionen der deutschen Ostforschung (Dissertation, maschinenschriftlich), Berlin 1964. 42 Gerhard Voigt, Otto Hoetzsch 1876–1946. Wissenschaft und Politik im Leben eines deutschen Historikers, Berlin 1978.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

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Szłapczyńskis Studie über die deutsche Wissenschaft im Dienst der Expansion und des Revisionismus.43 Ähnlich polemisch, aber quellenmäßig fundierter, präsentierten sich polnische Arbeiten aus den Achtzigerjahren, unter denen Bernard Piotrowskis Untersuchungen zur Reichsuniversität Posen und zur Berliner Publikationsstelle44 sowie Henryk Olszewskis Studie zur Geschichtswissenschaft im imperialistischen Deutschland hervorzuheben sind.45 Zu Recht richteten diese Darstellungen den Blick auf die revisionistischen, später auch expansiven Zielsetzungen der Ostforschung und ihre selbstgewählte Nähe zur nationalsozialistischen „Ostpolitik“, wobei sie allerdings zumeist die praktischen Auswirkungen dieser „Politikberatung“ überzeichneten. Solche Übertreibungen sowie der Umstand, dass diese Studien allzu offensichtlich von der Absicht motiviert waren, wichtige Exponenten des öffentlichen und akademischen Lebens in Westdeutschland zu diffamieren, gestatteten es der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft lange, sie als reine Propaganda­machwerke abzutun. Dass die Historikerschaft im deutschen Westen ihre eigene Fachvergangenheit damals nur sehr begrenzt durchleuchtete, obgleich dies im Zusammenhang der wachsenden Auseinander­setzung mit dem Nationalsozialismus durchaus nahegelegen hätte, war bei der älteren Generation dem Bewusstsein eigener Verfehlungen, bei der jüngeren der Pietät gegenüber den wissenschaftlichen Ziehvätern geschuldet. Lange ging die historiographiegeschichtliche Aufarbeitung der Verquickungen von Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft nicht über Heibers Studie zu Walter Franks Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutsch­land hinaus.46 An die Einfärbung der Ostforschung mit nationalsozialistischem Gedanken­gut wurde zwar sporadisch erinnert, entsprechende Studien blieben aber aus. Reichlich vorschnell hielt Klaus Zernack das braune Erbe der Osteuropawissenschaften bereits 1980 für hinlänglich erforscht.47

43 Józef Szłapczyński/Tadeusz Walichnowski, Nauka w służbie ekspansji i rewizjonizmu, War­ szawa 1969. 44 Bernard Piotrowski, W służbie rasizmu i bezprawia. „Uniwersytet Rzeszy“ w Poznaniu (1941–1945), Poznań 1984; Ders., Propaganda i nauka niemiecka w III Rzeszy o Polsce i Europie Wschodniej na przykładzie działalności Berlińskiej Publikationsstelle, in: Studia Historica Slavo-Germanica 13 (1984), S. 129–162. 45 Henryk Olszewski, Nauka historii w upadku. Studium o historiografii i ideologii historycznej w imperialistycznych Niemczech, Warszawa 1982. 46 Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland, Stuttgart 1966. 47 Klaus Zernack, Bemerkungen zur Geschichte und gegenwärtigen Lage der Osteuropahistorie in Deutschland, in: Klaus-Detlev Grothusen/Klaus Zernack (Hg.), Europa Slavica – Europa Orientalis. Festschrift für Herbert Ludat, Berlin 1980, S. 542–559, hier S. 554.

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Erst zu diesem Zeitpunkt wandten sich bundesdeutsche Historiographiegeschichtler der eigenen Fachgeschichte unter ideologiekritischen Vorzeichen zu. Bernd Faulenbach diagnostizierte bei den deutschen Historikern vom Kaiserreich bis ins Dritte Reich damals eine Ideologie des deutschen Weges, die imperialistischem Machtstreben vehement das Wort geredet habe, wobei der ‚Osten‘ als gewissermaßen natürlicher Expansionsraum Deutschlands aufgefasst wurde. Auf diesen spitzte Wolfgang Wippermann seine Fragestellung von vornherein zu und untersuchte den Ordensstaat als Ideologie. Dabei bezog er sowohl die Geschichtsschreibung wie auch die Publizistik ein und machte damit die Transmissionsmechanismen wissenschaftlicher Forschung in die breitere Öffentlichkeit sichtbar. 1985 umriss Kleßmann in einem längeren Aufsatz erstmals den Zusammenhang zwischen Osteuropaforschung und nationalsozialistischer Lebensraumpolitik.48 Auf breiter Front setzte die Beschäftigung mit der Ostforschung jedoch erst an der Wende von den Achtziger- zu den Neunzigerjahren ein – bezeichnenderweise auf Anstoß eines nicht­deutschen Historikers, der sich durch keine persönlichen Rücksichten gehemmt sah.49 Der Brite Michael Burleigh erklärte das revisionistische Engagement der Ostforscher in seiner quellenreichen Arbeit nicht aus einer erzwungenen Indienstnahme durch die Politik, sondern aus der inneren Dynamik ihres Fachverständnisses und wies nach, dass sich bereits in der Weimarer Republik eine hochgradig politisierte Forschung herausgebildet hatte – sich die Abweichung vom wissenschaftlichen Pfad der Tugend also nicht auf die Jahre des Nationalsozialismus beschränken ließ. Die Publikation einer Polen-Denkschrift von Theodor Schieder aus dem Jahr 1939, in der das unselige Wort von der „Entjudung“ fiel, wirkte wenig später als Initialzündung für die Beschäftigung deutscher Historiker mit der braunen Vergangenheit der wissenschaftlichen Vorväter.50 In der Folge nahm die Forschung zur Rolle der deutschen Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus und insbesondere zur Ostforschung sprunghaft zu. 1993 legte Willi Oberkrome eine erste

48 Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980; Wolfgang Wippermann, Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin 1979; Christoph Kleßmann, Osteuropaforschung und Lebensraumpolitik im Dritten Reich, in: Peter Lundgreen (Hg.), Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1985, S. 350–383. 49 Michael Burleigh, Germany turns eastwards. A study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988. 50 Angelika Ebbinghaus/Karl Heinz Roth, Vorläufer des „Generalplans Ost“. Eine Dokumentation über Theodor Schieders Polendenkschrift vom 7. Oktober 1939, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 7/1 (1992), S. 62–94.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

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ideengeschichtliche Untersuchung zur deutschen Volksgeschichte vor, die ihm als Vorläuferin der bundesdeutschen Sozial- und Strukturgeschichte erschien.51 Es folgten Michael Fahlbuschs Studien zu den zwei wichtigsten Organisationszentren der Ostfor­schung in den Zwanziger- bis Vierzigerjahren.52 In breiterem Rahmen untersuchte Karen Schönwälder das Selbstverständnis deutscher Historiker im Nationalsozialismus.53 Dass dem Thema nun auch im Bewusstsein der breiten Fachöffentlichkeit zentrale Bedeutung zukam, bewiesen die deutschen Historikertage von 1996 und 1998, auf denen zunächst die Ost­forschung und sodann, allgemeiner, die Rolle der Historiker im Nationalsozialismus im Mittelpunkt standen.54 In dem Maße, wie dabei die politische Dienstbeflissenheit von Fachgrößen wie Albert Brackmann, Werner Conze oder Theodor Schieder zutage trat, entging die hitzige Diskussion jener Jahre indes nicht immer der Gefahr, die tatsächlichen Auswirkungen dieser wissenschaftlichen Beraterdienste auf die praktische Politik des Nationalsozialismus im Osten zu überschätzen. Heim und Aly erklärten die wissen­schaftlichen Eliten Deutschlands bereits 1991 zu Vordenkern der Vernichtung und wiesen den Historikern dabei eine wichtige Rolle bei der Planung von rassenideologischem Vernichtungskrieg und Holocaust zu.55 Damit wurde den Wissenschaftlern eine politische Wirkungsmacht zugesprochen, die manche von ihnen wohl erstrebt, aber nicht erreicht hatten, und die Entwicklung der Zunft geriet zum geradlinigen Radikalisierungsprozess, der das Fach gewissermaßen epidemisch erfasst hatte. Dieser Sichtweise ist auch die Studie von Ingo Haar verpflichtet, die sich 2001 mit der Institutionalisierung der Ostforschung auseinandersetzte.56 Dagegen stilisierte Martin Burkert in seiner voluminösen Studie aus dem Jahr 2000 die Arbeit der Ostforscher zum unermüdlichen Verteidigungskampf der Wissenschaft gegen die politische Vereinnahmung durch nationalsozialistische Staats- und Parteistellen.57 Seine verblüffend apologetischen

51 Willi Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945, Göttingen 1993. 52 Michael Fahlbusch, „Wo der deutsche … ist, ist Deutschland!“. Die Stiftung für Deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920–1933, Bochum 1994; Ders., Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutsche Forschungsgemeinschaft“ von 1931–1945, Baden-Baden 1999. 53 Karen Schönwälder, Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1992. 54 Die Erträge der dortigen Diskussion in Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 2000. 55 Aly/Heim, Vordenker. 56 Haar, Historiker. 57 Martin Burkert, Die Ostwissenschaften im Dritten Reich. Teil 1: Zwischen Verbot und Duldung. Die schwierige Gratwanderung der Ostwissenschaften zwischen 1933 und 1939, Wiesbaden

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 1 Einleitung

Urteile sind zu Recht vielfach kritisiert worden,58 seiner Quellenarbeit verdanken wir indes die Kenntnis nützlicher Einzelheiten. Am ehesten lassen sich realistische Einsichten in das Verhältnis von Ostforschung und „Grenzlandpolitik“ noch am regional begrenzten Beispiel gewinnen, wie Kossert gezeigt hat.59 Nachdem sich der Staub dieser bisweilen heftigen Kontroversen in den letzten Jahren etwas gelegt hat, haben sich Hans-Christian Petersen und Jan Kusber um eine nüchterne Bilanz bemüht.60 Auf die ideologiekritischen und institutionengeschichtlichen Arbeiten früherer Jahre folgten zuletzt vorwiegend werkbiographische Studien. So hat Mühle eine umfangreiche Biographie zu Hermann Aubin vorgelegt; Gleiches haben Etzemüller und Dunkhase für Werner Conze, Eckel für Hans Rothfels und Eckert für Gotthold Rhode geleistet.61 Gruppenbiographische und institutionengeschichtliche Ansätze verbindet Błażej Białkowskis Studie zur Reichsuniversität Posen.62 Schließlich verschafft inzwischen auch eine handbuchartige Zusammenschau fundierte Übersicht über Institutionen und Personalia der völkischen Wissenschaften.63 Gänzlich unterbelichtet blieb bis vor kurzem die Entwicklung der deutschen Ostforschung und Osteuropahistoriographie nach 1945. Seit den späten Siebzigerjahren wurde der Mangel entsprechender Untersuchungen zwar wiederholt

2000. Es ist wohl dem harschen Urteil der Rezensenten zuzuschreiben, dass der geplante zweite Band, der die Kriegsjahre behandeln sollte, ausgeblieben ist. 58 Am fundiertesten bei Jörg Hackmann, [Rezension zu:] Martin Burkert, Die Ostwissenschaften im Dritten Reich, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 719–722. 59 Andreas Kossert, „Grenzlandpolitik“ und Ostforschung an der Peripherie des Reiches. Das ostpreußische Masuren 1919–1945, in: VfZG 51/2 (2003), S. 117–146. 60 Hans-Christian Petersen/Jan Kusber, Osteuropäische Geschichte und Ostforschung, in: Jürgen Elvert/Jürgen Nielsen-Sikora (Hg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus, Stuttgart 2008, S. 289–311. 61 Eduard Mühle, Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Düsseldorf 2005; Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtwissenschaft nach 1945, München 2001; Jan Eike Dunkhase, Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20.  Jahrhundert, Göttingen 2010; Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20.  Jahrhundert, Göttingen 2005; Johannes Hürter/Hans Woller (Hg.), Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte, München 2005; Eike Eckert, Zwischen Ostforschung und Osteuropahistorie. Zur Biographie des Osteuropahistorikers Gotthold Rhode, Osnabrück 2012. 62 Błażej Białkowski, Utopie einer besseren Tyrannis. Deutsche Historiker an der Reichsuniversität Posen (1941–1945), Paderborn 2011. 63 Ingo Haar/Michael Fahlbusch (Hg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München 2008.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

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beklagt,64 aber kaum behoben.65 Erste Mosaiksteine, welche die groben Umrisse ausfüllen können, finden sich in Mühles bereits erwähnter biographischer Arbeit über Aubin, in Linnemanns Studie zum Bemühen um eine Restauration der Ostforschung in Göttingen und in zwei Aufsätzen von Hackmann über die Anfänge des Marburger Herder-In­stituts und die allmähliche Distanznahme der bundesdeutschen Ostmitteleuropaforschung von ihren ostforschenden Ursprüngen.66 Jüngst hat nun Corinna Unger eine umfangreiche Studie zur Entwicklung der Ostforschung in Westdeutschland bis in die Siebzigerjahre vorgelegt, die eine Reihe neuer Fakten und Zusammenhänge offenlegt. Allerdings richtet Unger ihr Augenmerk stärker auf die deutschen Forschungen zur Sowjetunion als auf jene zu Ostmitteleuropa und sucht darüber hinaus sämtlichen an der Ostforschung beteiligten Fächern gerecht zu werden, sodass der bundesdeutschen Polenhistoriographie nur verhältnismäßig wenig Raum zuteil wird. Thekla Kleindiensts Studie zur außeruniversitären Osteuropaforschung in der Bundesrepublik konzentriert sich allzu sehr auf finanzielle und institutionelle Belange und vernachlässigt darüber die Inhalte der besprochenen Forschung.67 Auch die Beschäftigung mit der osteuropäischen und insbesondere polnischen Geschichte im zweiten deutschen Teilstaat der Nachkriegszeit harrt noch weitgehend der Erforschung. Nütz­lich ist immer noch der von Hellmann Anfang der Siebzigerjahre herausgegebene Doppelband zur Osteuropahistoriographie der DDR, obgleich er deren Wirken nur an den publizierten Erträgen messen

64 Oskar Anweiler, 25  Jahre Osteuropaforschung, in: Osteuropa 27 (1977), S.  183–191; Eduard Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen zu einem geschichtswissenschaftlichen Paradigma, in: ZfO 46 (1997), S. 317–350, hier S. 323. 65 Skizzenhaft zur Ostforschung nach 1945 Burleigh, Germany, S. 300–321; Erwin Oberländer, Das Studium der Geschichte Osteuropas seit 1945, in: Ders. (Hg.), Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Stuttgart 1992, S. 31–38; Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen; Eduard Mühle, „Ostforschung“, Ostmitteleuropaforschung und das Marburger Herder-Institut. Anmerkungen zu einem komplexen Beziehungsgeflecht, in: Krzysztof Ruchniewicz (Hg.), Dzieje Śląska w świetle badań młodych historyków z Polski, Czech i Niemiec, Wrocław 2000, S. 276–292. 66 Mühle, Volk; Linnemann, Erbe; Jörg Hackmann, „An einem neuen Anfang der Ostforschung“. Bruch und Kontinuität in der ostdeutschen Landeshistoriographie nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Westfälische Forschungen 46 (1996), S.  232–258; Ders., Ein Abschied auf Raten. Ostforschungstraditionen und ihre Nachwirkungen in der bundesdeutschen Ostmitteleuropaforschung, in: Michael Fahlbusch/Ingo Haar (Hg.), Völkische Wissenschaft und Politikberatung im 20. Jahrhundert. Expertise und „Neuordnung“ Europas, Paderborn 2010, S. 347–362. 67 Corinna Unger, Ostforschung in Westdeutschland. Die Erforschung des europäischen Ostens und die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1945–1975, Stuttgart 2007; Thekla Kleindienst, Die Entwicklung der bundesdeutschen Osteuropaforschung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, Marburg 2009.

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 1 Einleitung

konnte.68 Von Archivquellen zehren dagegen zwei spätere Übersichtsbeiträge zur Entwicklung der Osteuropahistoriographie in der DDR, die am Rande auch die Beziehungen zu Polen streifen.69 Einen ersten quellengestützten Aufsatz zu den ostdeutsch-polnischen Historikerbeziehungen, der vor allem auf die Arbeitsbeziehungen der Humboldt-Universität zu polnischen Wissenschaftlern eingeht, hat jüngst Loose vorgelegt.70 Viele Desiderate lässt weiterhin auch die Aufarbeitung der polnischen Westforschung und Deutschlandhistoriographie offen. Erste Anstrengungen in diese Richtung unternahmen polnische Historiographiegeschichtler in den Achtzigerjahren, wobei sich das Augenmerk vornehmlich auf die Zwischenkriegszeit richtete.71 Zu nennen sind insbesondere Bernard Piotrowskis institutionengeschichtliche Untersuchungen zur Entwicklung der Universität Posen und des Ostseeinstituts, die freilich wenig kritische Distanz zum Gegenstand erkennen lassen.72 Vereinzelte Überblicksdarstellungen zur polnischen Deutschlandhistoriographie und zur Geschichtsschreibung der ‚neuen polnischen Westgebiete‘ nach 1945 trugen mehr orientierungsstiftenden als forschenden Charakter.73 Ansätze einer ideengeschichtlichen Sichtweise auf die Westforschung mit vorsichtig ideologiekritischem Anflug lieferte damals bereits Grabski; leider blieb es bei einigen Skizzen.74 Wertvolle Einsichten in die deutsch-polnische Histo-

68 Manfred Hellmann (Hg.), Osteuropa in der historischen Forschung der DDR, 2 Bde., Düsseldorf 1972. 69 Alexander Fischer, Forschung und Lehre zur Geschichte Osteuropas in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (1945–1990), in: Erwin Oberländer (Hg.), Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945–1990, Stuttgart 1992, S. 304–341; Lutz-Dieter Behrendt, Die Osteuropahistoriographie in der DDR. Das Beispiel Leipzig, in: Dittmar Dahlmann (Hg.), Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 2005, S. 183–194. 70 Ingo Loose, Die Sprachlosigkeit der Ideologie. Polnisch-ostdeutsche geschichtswissenschaftliche Beziehungen 1950–1970, in: ZfG 56/11 (2008), S. 935–955. 71 Bernard Piotrowski, Konferencja naukowa na temat stanu i perspektyw badań nad dziejami polskiej myśli zachodniej, in: PZ 38 (1982), S. 283–286. 72 Bernard Piotrowski, La pensée occidentale à l’Université de Poznan, in: Polish Western Affairs 26/1 (1985), S.  105–131; Ders., O Polskę nad Odrą i Bałtykiem. Myśl zachodnia i badania niemcoznawcze Uniwersytetu Poznańskiego (1919–1939), Poznań 1987; Ders., W służbie nauki i narodu. Instytut Bałtycki w latach 1925–1939, Poznań 1991. S. auch Małgorzata Waller, Instytut Zachodnio-Słowiański przy Uniwersytecie Poznańskim (1921–1939), in: PZ 26/4 (1970), S.  378– 407; Zdzisław Grot (Hg.), Dzieje Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza 1919–1969, Poznań 1972. 73 Andrzej Feliks Grabski/Czesław Madajczyk, Niemcy w historiografii Polski Ludowej, in: PZ 37 (1981), S. 39–55; Andrzej Feliks Grabski, Deutschland in der Historiographie Volkspolens, in: GWU 19/2 (1978), S. 104–127. 74 Andrzej Grabski, Zygmunt Wojciechowski i historia macierzystych ziem polskich, in: Zygmunt Wojciechowski (Hg.), Zygmunt Stary (1501–1548), Warszawa 1979, S.  5–69; allgemeiner,

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

 23

rikerkontroverse in der Zwischenkriegszeit bietet eine quellenreiche Arbeit zur Geschichte des polnischen Historikerverbandes aus den späten Achtzigerjahren, die zu Unrecht lange kaum Beachtung fand.75 Die neue Freiheit der polnischen Wissenschaft seit 1990 hat der einschlägigen Forschung nur schleppend neue Impulse verliehen. Nicht ohne Befangenheit widmet sich das Posener Westinstitut seit den Neunzigerjahren der eigenen Vergangenheit – unter anderem im Rahmen dreier Jubiläumsschriften zu seinem fünfzig-, sechzig- und siebzigjährigen Bestehen.76 Die Tätigkeit der polnischen Westforscher nach 1945 ist dabei lange zum aufrechten patriotischen Beharren gegen die doktrinären Zumutungen des Marxismus-Leninismus stilisiert worden. Immerhin hat man sich in Posen letzthin verstärkt um die Sichtung und Edition einschlägiger Quellen zur Institutsgeschichte bemüht.77 Gelegentlich richtet sich der Blick auch über das eigene Institut hinaus und auf die Gesamtheit der polnischen Deutschland-Historiographie.78 Von den nationalkonservativen Akzenten des Posener Milieus hat sich als erster der Stettiner Mediävist Jan Piskorski abgesetzt. Bereits 1990 übte er Kritik an der nationalen Befangenheit der polnischen Historiographiegeschichte;79 seither haben er und einige weitere polnische Autoren sich in Aufsätzen, die zumeist im Rahmen deutsch-polnischer Sammelbände erschienen, um eine sachlich-kritische Sichtweise auf die deutsch-polni-

aber auch mit kursorischem Bezug auf die Westforschung ders., Orientacje polskiej myśli historycznej, Warszawa 1972; Ders., Poland, in: Georg G. Iggers/Harold T. Parker (Hg.), International Handbook of Historical Studies, Westport 1979, S. 301–324. 75 Tadeusz Kondracki, Polskie Towarzystwo Historyczne w latach 1918–1939 (Praca doktorska wykonana pod kierunkiem prof. dr hab. Moniki Senkowskiej-Gluck), Warszawa 1988; publiziert erst 2006 in stark gekürzter, um wesentliche Bezüge zu den deutsch-polnischen Historikerkontakten beschnittener Form: Ders., Polskie Towarzystwo Historyczne w latach 1918–1939, Toruń 2006. 76 Romuald Zwierzycki (Hg.), Instytut Zachodni 50 lat, Poznań 1994; sowie die Beiträge im Przegląd Zachodni 60/2 (2004) und 70/3 (2014). Darin u. a. Henryk Olszewski, Między nauką a polityką. Instytut Zachodni w latach 1944–2004, in: PZ 60/2 (2004), S. 12–19; Bernard Piotrowski, Dorobek naukowy Instytutu Zachodniego, in: ebd., S. 37–69. Solide zur Vorgeschichte des Instituts Zbigniew Mazur, Antenaci. O politycznym rodowodzie Instytutu Zachodniego, Poznań 2002. 77 Andrzej Choniawko/Zbigniew Mazur, Instytut Zachodni w dokumentach, Poznań 2006; Zbigniew Mazur/Aleksandra Pietrowicz, „Ojczyzna“ 1939–1945. Dokumenty – Wspomnienia – Publicystyka, Poznań 2004. 78 Komisja Koordynacyjna Instytutów Ziem Zachodnich, in: PZ 59/4 (2003), S. 191–208; Woiciech Wrzesiński, Polskie badania niemcoznawcze, in: Anna Wolff-Powęska (Hg.), Polacy wobec Niemców. Z dziejów kultury politycznej Polski 1945–1989, Poznań 1993, S. 195–224; Ders., Polskie badania niemcoznawcze po 1945 r., in: Krzysztof Ruchniewicz (Hg.), Dzieje Śląska w świetle badań młodych historyków z Polski, Czech i Niemiec, Wrocław 1998, S. 14–29. 79 Jan Piskorski, Przeciw Nacjonalizmowi w badaniach naukowych nad prześłością stosunków polsko-niemieckich, in: PH 81 (1990), S. 319–324.

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 1 Einleitung

sche Beziehungshistoriographie bemüht.80 Umfassendere Forschungsarbeiten zum Thema sind bisher aber weitgehend ausgeblieben – die erfreuliche Ausnahme zu dieser Regel bildet Maciej Górnys vergleichende Dissertation zu den sozialistischen Historiographien Polens, der ČSSR und der DDR zwischen 1945 und 1960.81 Die Schmerzgrenze der polnischen Historiker im Umgang mit der eigenen Fachvergangenheit markieren dagegen die wütenden Kommentare, die vor einigen Jahren Anetta Rybickas Studie zur Tätigkeit polnischer Wissenschaftler im Krakauer Institut für Deutsche Ostarbeit während des Zweiten Weltkriegs hervorgerufen hat.82 Ergänzung hat die vergleichsweise dürftige polnische Forschung letzthin in den Arbeiten einiger deutscher Historiographiegeschichtler gefunden. So hat Robert Brier eine Literaturstudie und Jörg Hackmann einen quellenreichen Aufsatz zu den Anfängen des Posener Westinstituts vorgelegt,83 und Markus Krzoska ist mit einer umfangreichen wissenschaftlichen Biographie zu Zygmunt Wojciechowski, dem Mentor der polnischen Westforschung im ersten Nachkriegsjahrzehnt, hervorgetreten.84 Auch Gregor Thums vielbeachtete Studie zur polnischen Aneignung Breslaus nach 1945 widmet historio­ graphiegeschichtlichen Fragen einige Aufmerksamkeit.85 Beim Blick auf die Forschungslage erstaunt, wie viele Beiträge ihre Perspektive national – auf die deutsche oder die polnische Seite – beschränken. Dafür sind wohl in erster Linie forschungspraktische Gründe namhaft zu machen, wie mangelnde Sprachkenntnisse oder erschwerter Quellenzugang im Nachbarland. Während polnische Historiographiegeschichtler in der Regel wenigstens so weit

80 U. a. Jan Piskorski, Volksgeschichte à la polonaise. Vom Polonozentrismus im Rahmen der sogenannten polnischen Westforschung, in: Manfred Hettling (Hg.), Volksgeschichten im Europa der Zwischenkriegszeit, Göttingen 2003, S. 239–271; sowie die Beiträge polnischer Autoren in Jan Piskorski/Jörg Hackmann/Rudolf Jaworski (Hg.), „Deutsche Ostforschung“ und „polnische Westforschung“ im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Osnabrück/Poznań 2002; sowie Jakub Tyszkiewicz, Sto wielkich dni Wrocławia. Wystawa Ziem Odzyskanych we Wrocławiu a propaganda polityczna ziem zachodnich i północnych w latach 1945–1948, Wrocław 1997. 81 Maciej Górny, „Die Wahrheit ist auf unserer Seite“. Nation, Marxismus und Geschichte im Ostblock, Köln 2011. 82 Anetta Rybicka, Instytut Niemieckiej Pracy Wschodniej – Institut für deutsche Ostarbeit, Kraków 1940–1945, Warszawa 2002. Zur folgenden Kontroverse s. u., Kap. 3.2.3. 83 Robert Brier, Der polnische „Westgedanke“ nach dem Zweiten Weltkrieg (1944–1950), o. O. 2002. 84 Jörg Hackmann, Strukturen und Institutionen der polnischen Westforschung (1918–1960), in: ZfO 50/2 (2001), S.  230–255; Markus Krzoska, Für ein Polen an Oder und Ostsee. Zygmunt Wojciechowski (1900–1955) als Historiker und Publizist, Osnabrück 2003. 85 Gregor Thum, Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2003.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

 25

mit der deutschen Osteuropaforschung vertraut sind, dass sie ihre Studien zur polnischen Deutschlandhistoriographie richtig einzuordnen wissen, entbehren nicht wenige deutsche Untersuchungen zur Ostforschung jeglicher Kenntnisse der polnischen Gegenseite, wodurch ihre Protagonisten oft wie Schattenboxer wirken, die gegen einen gänzlich unsichtbaren Gegner kämpfen.86 Umso wertvoller sind vor diesem Hintergrund Arbeiten, die ihren Blick gleichermaßen auf beide Seiten richten. Pionierarbeit leistete in dieser Beziehung seit den Siebzigerjahren die polnische Seite, die im Hinblick auf die gemeinsame Schulbuchkommission eine umfangreiche, systematisch vergleichende Analyse der polnischen und der deutschen Beziehungshistoriographie seit dem 19. Jahrhundert erarbeitete.87 Deutsche Forscher legten derweil einige vergleichende Untersuchungen zu ausgewählten Themenfeldern vor – so stellte Hackmann die deutschen und die polnischen Interpretationen der preußischen Geschichte einander gegenüber, und Wippermann leistete dasselbe für die Geschichte des Deutschen Ordens.88 Im Zuge des großen Interesses für die deutsche Ostforschung war es in den letzten Jahren vor allem die deutsche Seite, die sich um eine vergleichende Sichtweise von deutscher Polen- und polnischer Deutschlandforschung bemühte und dabei auch polnische Fachkollegen einbezog. Als bisher substantiellstes Ergebnis dieser Bemühungen darf ein von Piskorski editierter, vergleichender Sammelband zur deutschen Ost- und der polnischen Westforschung gelten.89 Auch nach

86 Dies gilt etwa für Haar, Historiker, und Unger, Ostforschung. 87 Jerzy Krasuski (Hg.), Stosunki polsko-niemieckie w historiografii: studia z dziejów historiografii polskiej i niemieckiej, 3 Bde., Poznań 1974/1984/1991. 88 Jörg Hackmann, Ostpreußen und Westpreußen in deutscher und polnischer Sicht. Landesgeschichte als beziehungsgeschichtliches Problem, Wiesbaden 1996; Wippermann, Ordensstaat. Der Band enthält ungeachtet seines Titels auch ein umfangreiches Kapitel zur polnischen Forschung. 89 Piskorski/Hackmann/Jaworski (Hg.), Ostforschung und Westforschung. Ein seit langem geplanter zweiter Band soll demnächst erscheinen als Jörg Hackmann/Rudolf Jaworski/Jan Piskorski, Ost und West als Problem der Ostmitteleuropaforschung im 20. Jahrhundert. Institutionen, Interaktionen und der internationale Kontext. Des weiteren hat Piskorski einige weitere Beiträge in Aufsatzform vorgelegt: Jan Piskorski, „Deutsche Ostforschung“ und „polnische Westforschung“, in: Michael G. Müller (Hg.), Osteuropäische Geschichte in vergleichender Sicht, Berlin 1996, S. 379–389; Ders., Volksgeschichte; Ders, Die Reichsuniversität Posen (1941–1945), in: Hartmut Lehmann/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, 2 Bde., Bd. 1, Göttingen 2004, S. 241–272; Ders., Polish Myśl Zachodnia and German Ostforschung. An attempt at comparison, in: Ingo Haar/Michael Fahlbusch (Hg.), German Scholars and Ethnic Cleansing 1920–1945, New York/Oxford 2005, S. 260–271. S. auch Michael Garleff (Hg.), Zwischen Konfrontation und Kompromiss. Oldenburger Symposium. Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem der 1930er/1940er Jahre, Oldenburg 1995.

26 

 1 Einleitung

der Verbreitung volksgeschichtlicher Sichtweisen in die mittelosteuropäischen Historiographien der Zwischenkriegszeit ist gefragt worden.90 Erst ansatzweise erforscht sind die zwei bilateralen Historikerkommissionen im doppeldeutsch-polnischen Dreiecksverhältnis der Nachkriegszeit. Eine Studie zu den bilateralen Historikerkommissionen der DDR ging 1987 zwar ausführlich auf die ostdeutsch-polnische Kommission ein, musste aber noch ohne Einsicht in die Archive auskommen und bleibt deshalb oberflächlich.91 Zur westdeutschpolnischen Schulbuchkommission liegen zwar zahlreiche kurze Beiträge vor, die aber fast allesamt Memoirencharakter haben. Die Ausnahme zur Regel bildet ein Aufsatz von Thomas Strobel, der zumindest deutsche Archivquellen auswertet.92 Einem Mangel an Quellen sind die weiterbestehenden Forschungslücken nur in den seltensten Fällen geschuldet. Vielmehr kann, wer Fragen der deutsch-polnischen Historikerbeziehungen bearbeitet, von umfangreichen, wenngleich stark zerstreuten Quellenbeständen zehren. Von Interesse sind dabei für beide Seiten einerseits die Akten wissenschaftlicher Institutionen und die Nachlässe tonangebender Historiker, andererseits jene der staatlichen Einrichtungen, welche die Historiker beaufsichtigten, beauftragten oder finanzierten. Für die Zwischenkriegszeit und die Jahre des Zweiten Weltkriegs erweisen sich auf deutscher Seite die Bestände der Publikationsstelle Berlin-Dahlem im Bundesarchiv Berlin als äußerst aufschlussreich. Einblicke in die – wie noch zu zeigen ist – weitgehend fiktive Ostforschung an der Reichsuniversität Posen im Zweiten Weltkrieg vermittelt das Archiv der dortigen Adam-Mickiewicz-Universität. Für die polnische Seite ist das Quellenmaterial durch kriegsbedingte Archivalien-Verluste teilweise ausgedünnt. Soweit die deutsch-polnische Historikerkonfrontation auf nationaler Ebene koordiniert wurde, liefern die Bestände der Polnischen Historikergesellschaft und die einschlägigen Nachlässe zentraler Historiker wie Marceli Handelsman und Tadeusz Manteuffel in den Archiven der polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, Krakau und Posen vielfältige Einsichten. Die Tätigkeit politiknaher Forschungseinrichtungen, allen voran des Ostsee-Instituts in Thorn und des Schlesischen Instituts in Kattowitz,

90 Manfred Hettling (Hg.), Volksgeschichten im Europa der Zwischenkriegszeit, Göttingen 2003. 91 Günter Stelzig, Um ein gemeinsames Geschichtsbild? Die Zusammenarbeit der Historikerkommission der DDR mit ihren Fachkollegen aus der UdSSR, aus Polen und der Tschechoslowakei im Rahmen der bilateralen Historikerkommissionen (1955–1984), Erlangen 1987; S. auch Hans Werner Rautenberg, Die deutsch-polnische Historikerkommission, in: Manfred Hellmann (Hg.), Osteuropa in der historischen Forschung der DDR, 2 Bde., Bd. 1, Düsseldorf 1972, S. 114–122. 92 Thomas Strobel, Die Gemeinsame deutsch-polnische Schulbuchkommission. Ein spezifischer Beitrag zur Ost-West-Verständigung 1972–1989, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 253–268. Die Erinnerungsliteratur wird im Kapitel zur SBK verzeichnet.

1.3 Forschungsstand, Literatur und Quellenlage 

 27

erschließt sich trotz des kriegsbedingten Verlusts der jeweiligen Institutsarchive aus den Materialien staatlicher Stellen, insbesondere des Außenministeriums, die im Archiv Neuer Akten in Warschau lagern. Spärlich sind aus naheliegenden Gründen die Quellen zur polnischen Westforschung im Zweiten Weltkrieg. Für die Nachkriegszeit halten die beiden Hauptinstitutionen der gegenseitigen historiographischen Auseinandersetzung, das Herder-Institut in Marburg und das Posener Westinstitut, nahezu unerschöpfliche Quellenbestände bereit, deren Auswertung allerdings auf jeweils eigene Schwierigkeiten stößt. Weite Teile des Marburger Archivs waren während der Recherchen für die vorliegende Arbeit unge­ordnet und entzogen sich damit dem Zugriff des Forschers; immerhin sind die Protokolle der Vorstandssitzungen sowie die Berichte an den Vorstand lückenlos verfügbar und sehr aufschlussreich. Das Posener Westinstitut hat sein Archiv dagegen kürzlich vollständig geordnet, gewährt externen Forschern aber nur schleppend Einsicht in seine Bestände. Mit der nötigen Geduld ist aber auch hier viel Interessantes verfügbar, und eine kürzlich herausgegebene Sammlung mit Quellen zur Institutsgeschichte kann eigene Forschungen zwar nicht ersetzen, aber doch ergänzen.93 Abrunden lässt sich das Bild für beide Institute durch Einsichtnahme in die Akten zentraler wissenschaftlicher Leitfiguren sowie der politischen Akteure. Einschlägig sind für beide Seiten die Bestände der Außenministerien, die jeweils eigene Archive unterhalten, sowie für die polnische Seite die Unterlagen der Bildungsabteilung des ZK, die sich im Warschauer Archiv Neuer Akten befinden. Die ostdeutsch-polnischen Historikerbeziehungen lassen sich en détail aus den akribisch geführten Akten der zuständigen ostdeutschen Stellen rekonstruieren, die im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften verwahrt werden. Ergänzende Einsichten vermitteln die Bestände der Berliner Humboldt-Universität. Die Kontroll­bedürfnisse der Parteistellen erschließen sich aus den Aktenbeständen der Wissen­schaftsabteilung der SED im Bundesarchiv in Berlin. Loser geführt, dafür aber bisweilen expliziter in ihren Aussagen, präsentieren sich die Akten der polnischen Seite, die im Archiv des Historischen Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN)94 am Stary Rynek einzusehen sind. Ergänzende Einsichten bieten auch hier die Nachlässe einzelner Historiker. Zur Schulbuchkommission zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen bilden die Bestände des Warschauer Außenministeriums, das die Gespräche mit größter Aufmerksamkeit verfolgte, den aufschluss-

93 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach. 94 Poln. Polska Akademia Nauk.

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reichsten Einzelbestand; auch das Auswärtige Amt in Bonn legte ein reges Informationsbedürfnis an den Tag, das dem heutigen Historiographiegeschichtler zustatten kommt. Als einschlägig erweisen sich in Polen weiter die Akten der Bildungsabteilung des Zentralkomitees (ZK), während in den desolaten Beständen des War­schauer Bildungsministeriums keine einschlägigen Quellen auszumachen sind. Seltsamer­weise lassen sich bei keiner wissenschaftlichen Einrichtung in Polen zusammenhängende Aktensammlungen zur Kommissionsarbeit ausfindig machen, dagegen enthalten die Nach­ lässe individueller Historiker manch Verwertbares. Letzteres gilt auch für die deutsche Seite, wo insbesondere der Nachlass von Gotthold Rhode im Bundesarchiv Koblenz von Bedeutung ist. Dort lagern auch die Akten der deutschen UNESCO-Kommission, die mit der Gesprächs­führung betraut war. Auf Einsichtnahme ins Archiv des Braunschweiger Schulbuchinstituts, das die Gespräche teilweise vorbereitete, wurde verzichtet, weil Georg Strobel auf Basis ebendieser Materialien gegenwärtig eine Darstellung der Schulbuchkommission erarbeitet. Vervollständigt wird das Bild durch ein vielfältiges Angebot an gedruckten Quellen.

1.4 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit soll die Entwicklungslinien des deutsch-polnischen Historiker­diskurses sichtbar machen, woraus sich eine grundsätzlich chronologische Anlage der Darstellung ergibt. Um den vielschichtigen Gegenstand überschaubar zu halten, muss diese aller­dings vielerorts in Teilstränge aufgegliedert werden, die dann jeweils so weit verfolgt werden, bis sie zu einem Abschluss oder Wendepunkt gelangen. So kann das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt werden, ohne die zeitliche Abfolge der Vorgänge aus den Augen zu verlieren. Das erste Kapitel des Hauptteils (Kapitel 2 der Arbeit) schildert die Entwick­ lung der deutsch-polnischen Historikerkontroverse in der Zwischenkriegszeit. Der Internationale Historiker­kongress in Warschau 1933 bildet einen ersten Brenn­punkt der Auseinandersetzung, in dessen Umfeld sich die Argumentations­ muster, Podien und Bastionen der Kontroverse heraus­bildeten. Ein Blick auf die halbherzigen Verständigungsversuche unter dem Eindruck des deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrags – namentlich die gemeinsame Schulbuch­kommission der Jahre 1937/1939 und das Polen-Institut in Berlin – zeigt, dass einem kon­ struktiven Dialog unter den Paradigmen von Ost- und Westforschung enge Grenzen gesetzt waren. Verhältnismäßig knapp werden im Kapitel 3 die Jahre des Zweiten Weltkriegs behandelt – konnte in jenen Jahren von einem deutsch-polnischen Dialog aus

1.4 Aufbau der Arbeit 

 29

naheliegenden Gründen doch keine Rede sein. Dennoch bilden die Kriegsjahre in verschiedener Hinsicht den Abschluss früherer und den Ausgangspunkt späterer Entwicklungen: Für die deutsche Seite wird zu prüfen sein, welcher Stellenwert der historischen Ostforschung unter den Bedingungen der Besatzungspolitik zuteil wurde, während für die polnische Seite nachzuzeichnen ist, wie die OderNeiße-Grenze zur Leitvorstellung der Westforschung avancierte. Kapitel 4 gilt der nach dem Krieg fortgesetzten, unter den Bedingungen der Blockkonfrontation und in Anbetracht der Oder-Neiße-Grenze noch verschärften Auseinandersetzung von bundesdeutscher Ost- und polnischer Westforschung. Dabei richtet sich das Augenmerk ganz auf deren zwei Hauptexponenten: Das Posener Westinstitut auf polnischer und das Marburger Herder-Institut auf deutscher Seite. Kapitel 5 schildert, wie die Historiker der Volksrepublik Polen und der DDR auf die Bezie­ hungspflege zwischen den sozialistischen Nachbarstaaten verpflichtet wurden und in Erfül­lung dieser Aufgabe einen Freundschaftsdiskurs pflegten, der fortwährende Gegensätze eher überspielte, als dass er sie löste. Dass diese Verständigungsschwierigkeiten weniger in der Sache begründet lagen als vielmehr im dogmatischen Schematismus des ostdeutsch-polnischen Geschichtsdiskurses, tritt im Vergleich mit der westdeutsch-polnischen Schul­ buchkommission hervor, deren Tätigkeit wir uns in Kapitel  6 zuwenden. Dabei ist zunächst die mühsame, von den Konjunkturen der Blockpolitik lange behinderte Dialoganbahnung zwischen beiden Seiten zu schildern, um anschließend die von politischen Zwängen auch keineswegs freie, jedoch von einem echten fachwissenschaft­lichen Austausch getragene Verständigung der beiden Seiten in den Jahren 1972–1976 zu rekonstruieren. Dieser Dialog konnte ganz wesentlich von der Versachlichung und Horizont­erweiterung profitieren, die beide Nationalhistoriographien von den Fünfziger- bis in die Siebzigerjahre durchlaufen hatten. Die Schlussbetrachtungen (Kapitel 7) dienen schließlich dazu, die gewonnenen Einsichten zu ordnen und auf die einleitend umrissenen theoretischen Ansätze rückzubeziehen.

2 Deutsch-polnischer Historikerstreit im Schatten von Versailles 2.1 Verhärtete Fronten Der Ausgang des Ersten Weltkriegs traf das nationale Empfinden der deutschen wie der polnischen Historiker tief. Die deutsche Geschichtswissenschaft ging mit erschüttertem Selbstbewusstsein aus dem Krieg hervor. Jahrzehntelang hatte sie ihr Schicksal eng mit Preußen und dem Deutschen Reich verbunden und sich dabei die These vom deutschen Sonderweg zu eigen gemacht. Die Niederlage von 1918 stellte nicht nur den „Sinn“ der jüngsten deutschen Geschichte in Frage, sondern ebenso das Selbstverständnis und die gesellschaftliche Rolle der Historiker, die diesen Sinn erst gestiftet hatten.1 Dagegen mussten die polnischen Historiker den Kriegsausgang als Bestätigung ihres Hoffens und Wirkens verstehen. Über die gesamte Teilungszeit hinweg hatten sie zu den führenden Trägern des polnischen Nationalbewusstseins gezählt und aktiv Strategien der nationalen Wiedergeburt mitformuliert. Diese Bemühungen hatten 1918 Früchte getragen. Die Nachkriegsordnung bedeutete den Historikern beider Länder jedoch nicht nur Bestätigung oder Infragestellung ihrer bisherigen Interpretationen, sondern auch Aufgabe für die Zukunft. Die öffentliche Meinung Deutschlands war sich in der Ablehnung der Versailler Grenzziehungen weitgehend einig, während man sich in Polen revanchistischer deutscher Forderungen wohl bewusst war. In dieser Lage schienen historische Argumente besonders geeignet, den territorialen Status quo herauszufordern oder zu verteidigen. Ein Großteil der deutschen Historikerschaft zeigte sich nach einer kurzen Phase der Verunsicherung grimmig entschlossen, die „Versäumnisschuld“ der deutschen Wissenschaft gegenüber dem „Osten“ abzutragen.2 Inmitten des weitverbreiteten Unbehagens an der Weimarer Republik gewann die im neunzehnten Jahrhundert geprägte Vorstellung von der verspäteten und unvollständigen Nationsbildung neue Aktualität. Unter dem Eindruck seines Untergangs wurde das

1 Faulenbach, Ideologie, S. 36. Auch auf internationaler Ebene verlor die deutsche Historiographie ihren Vorbildcharakter. Ihre Deutungen waren nun heftiger ausländischer Kritik ausgesetzt, und bis 1928 blieben deutsche Historiker von den Internationalen Historikerkonferenzen ausgeschlossen. Haar, Historiker, S. 145. 2 Oberkrome, Volksgeschichte, S. 22–25. Der Begriff von der „Versäumnisschuld“ bei Johannes Papritz, „Die Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft“ und „Die Publikationsstelle“, in: Tagung deutscher wissenschaftlicher Ost- und Südostinstitute, Breslau, 25. bis 27. September 1941, Breslau 1942, S. 37–53, hier S. 43.

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 2 Deutsch-polnischer Historikerstreit im Schatten von Versailles

Bismarck’sche Reich, das zuvor den meisten Historikern als Erfüllung deutscher Staatlichkeit gegolten hatte, als territorial unvollendete Staatsbildung eingeschätzt.3 In noch höherem Maße galt dies für seinen in Versailles beschnittenen Nachfolgestaat. So rückten über das Nahziel einer territorialen Wiederherstellung der „kleindeutschen“ Bismarck’schen Staatsbildung hinaus erneut großdeutsche Gedankenspiele ins Bewusstsein, die Österreich und Teile „Mitteleuropas“ miteinbezogen.4 Die Ansässigkeit von Deutschen außerhalb der Staatsgrenzen und ihre Kulturleistungen im Osten wurden zunehmend betont und fanden ihre eingängigste Darstellung im Konzept des deutschen Volks- und Kulturbodens, obschon sich volksgeschichtliche Paradigmen erst gegen Mitte der Dreißigerjahre endgültig gegen die etatistische Tradition des Historismus durchsetzen konnten. Polen hatte in der deutschen Historiographie vor 1918 wenig Beachtung gefunden.5 Prägend war vielmehr eine Interpretationstradition, die den europäischen Nordosten vom Mächtepaar Deutschland-Russland bestimmt sah und den von beiden Ländern eingeschlossenen Raum als Zwischenzone betrachtete.6 In dieser imperialen Sichtweise fanden die nationalen Aspirationen der Polen allenfalls als Störfaktor Beachtung.7 Symptomatisch für diese Sichtweise war die 1915 von mehreren hundert deutschen Hochschullehrern erhobene Forderung, Deutschland müsse zum Schutze seiner Grenzen einen vorgelagerten Sicherheitskordon in Mittelosteuropa aufbauen und mit deutschem Siedlertum dem polnischen Bevölkerungsdruck entgegentreten. Dem Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch schien zu diesem Zweck die Umsiedlung von bis zu zwei Millionen Polen gerechtfertigt.8 Solche Gedanken weisen bereits auf die bevölkerungspoli-

3 Exemplarisch hierfür Hermann Oncken, Die Wiedergeburt der großdeutschen Idee, in: Österreichische Rundschau 63 (1920), S. 97–114. 4 Wortführende Exponenten der Reichs- und Mitteleuropaidee waren nebst Oncken Otto Westphal, Martin Spahn und Hans Rothfels. Faulenbach, Ideologie, S. 8, 73, 299. 5 Eine Ausnahme bildete Richard Roeppel, Geschichte Polens, Hamburg 1840. S. Henryk Olszewski, Die deutsche Historiographie über Polen aus polnischer Sicht, in: Dittmar Dahlmann (Hg.), Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 2005, S. 281–292, hier S. 284. 6 Zernack, Bemerkungen, S. 550. 7 Dieter Hertz-Eichenrode, Heinrich von Treitschke und das deutsch-polnische Verhältnis. Einige Bemerkungen, ausgehend von dem Aufsatz „Das deutsche Ordensland Preußen“ (1862), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 41 (1993), S. 45–90; Dittmar Dahlmann (Hg.), Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 2005; Burleigh, Germany, S. 13 f. 8 Es handelte sich um die sog. Intellektuelleneingabe. Dazu Imanuel Geiß, Der polnische Grenzstreifen 1914–1918. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg, Lübeck/ Hamburg 1960.

2.1 Verhärtete Fronten 

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tischen Planspiele deutscher Historiker im Nationalsozialismus voraus, an denen Hoetzsch allerdings nicht beteiligt war. Es hing nicht zuletzt mit dieser Geringschätzung der mittelosteuropäischen Völker zusammen, dass ein Großteil der deutschen Historiker sich auch nach 1918 weigerte, die Herausbildung einer von Deutschland und Russland unabhängigen Staatenordnung in der Region als möglichen historischen Entwicklungspfad anzuerkennen. Zwar mahnte Otto Hoetzsch 1920 unter dem Eindruck der neuen Gegebenheiten an, die bis anhin gering geschätzten „subgermanischen Nationalitäten“ als eigenständige Größen der europäischen Geschichte zu erforschen,9 doch deutete die gewählte Begrifflichkeit schwerlich auf einen grundlegenden Gesinnungswandel hin.10 Folglich wurde das ‚Polenproblem‘ nicht als eigenständiger Forschungsgegenstand, sondern weiterhin als Teilaspekt der deutschen Frage verstanden und als Aufgabe der ostdeutschen Landesgeschichte rubriziert.11 Als vergangenes und wieder anzustrebendes Ideal galt eine nationalständische deutsch-slawische Lebensgemeinschaft, die dem deutschen Volk Raum und dem polnischen kulturelle Hebung bringen sollte. Der paradigmatischen Ausgestaltung dieses Programms nahmen sich deutschnationale Historiker wie Hans Rothfels in Königsberg, Albert Brackmann in Berlin, Rudolf Kötzschke in Leipzig und Hermann Aubin in Breslau an. Sie alle waren in deutscher Geschichte respektive in ostdeutscher Landes­geschichte spezialisiert, vertiefte Osteuropakenntnisse konnte keiner von ihnen vorweisen. Ihr wachsender Schülerkreis rekrutierte sich zumeist aus der Kriegsjugendgeneration – zu nennen wären die Rothfels-Schüler Erich Maschke, Theodor Schieder und Werner Conze, weiter Walter Schlesinger als Schüler Kötzschkes sowie das Netzwerk reichs- und polendeutscher Historiker und Archivare, das Brackmann in den Dreißigerjahren um sich scharte und zu dem u. a. Erich Keyser, Walter Recke, Kurt Lück, Alfred Lattermann und Walter Kuhn zählten. Eine erste Zentralstelle, welche die neuen Forschungstendenzen fächerübergreifend

9 Otto Hoetzsch, Tschechoslowakei und Polen, in: Neue Rundschau 31 (1920), S. 295. 10 Glaubhafter plädierten Heinrich Felix Schmid und Reinhold Trautmann im Namen einer slawistisch gerüsteten Osteuropaforschung für eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den osteuropäischen Nationalhistoriographien, fanden damit aber kein Gehör. Heinrich Felix Schmid/Reinhold Trautmann, Wesen und Aufgaben der deutschen Slavistik. Ein Programm, Leipzig 1927. Dazu Zernack, Bemerkungen, S. 553. 11 Erwin Oberländer, Geschichte Ostmitteleuropas – Selbstwert oder Funktion der deutschen Geschichte? Zur historischen Osteuropaforschung der 30er/40er Jahre, in: Michael Garleff (Hg.), Zwischen Konfrontation und Kompromiss. Oldenburger Symposium: Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem der 1930er/1940er Jahre, Oldenburg 1995, S. 25–35.

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zusammenführte, entstand 1926 in Gestalt der Leipziger Stiftung für Volks- und Kulturboden­forschung.12 Direktor wurde der Leipziger Geograph Wilhelm Volz; das namensgebende Konzept steuerte der Berliner Geograph Albrecht Penck bei. Als deutschen Volksboden verstand er ein Gebiet von der anderthalbfachen Größe der Weimarer Republik, das jenseits der Versailler Grenzen Landstriche in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn sowie ein Archipel von Deutschtums­inseln bis weit nach Russland hinein umschloss. Darüber hinaus seien weite Gebiete Mittelosteuropas in solchem Maße von deutschen Rechts-, Verwaltungs-, Bau- und Wirtschaftsformen geprägt, dass sie mit Fug und Recht als deutscher Kulturboden zu betrachten seien.13 Pencks geographische Sichtweise ergänzte Wilhelm Volz mit einer weitausgreifenden historischen Perspektive.14 Einen bis zur Weichsel reichenden deutschen Volksboden begründete er mit der Vermutung einer germanischen Besiedlung in vorgeschichtlicher Zeit, die nach einer slawischen Zwischenphase seit dem 10. Jahrhundert mit einer deutschen „Wiederbesiedelung“ der Region erneuert worden sei. Die Abhandlung von Volz war Teil eines 1924 erschienenen Sammelbandes, der cum grano salis als Gründungsmanifest der multidisziplinären deutschen Ostforschung verstanden werden kann.15 Erstmals fanden sich hier Vorgeschichtler (Wolfgang La Baume), Slawisten (Max Vasmer), Geographen (Wilhelm Volz, Otto Schlüter) und Historiker (Rudolf Kötzschke, Robert Holzmann, Christian Krollmann, Erich Keyser, Manfred Laubert) zur Propagierung gemeinsamer Leitvorstellungen zusammen. Als historischer Vordenker des Volksbodens kann Rudolf Kötzschke gelten. Bereits 1909 hatte er das Programm einer Siedlungsgeschichte umrissen, die geographische, volkspsychologische und kulturelle Aspekte wie Haus-, Orts- und Flurformen berücksichtigen sollte. In seinem Beitrag zu dem gemeinsamen Sammelband ließ er keinen Zweifel an der nationalständischen Rangordnung der Region: Hatten die Slawen im osteuropäischen Raum bloß existiert, so hatten ihn die Deutschen mit überlegener urbaner und agrarischer Kultur geformt.16 Das Schicksal der Leipziger Stiftung besiegelten indes bereits 1931 unbefriedigende wissenschaftliche Erträge und administrative Unregelmä-

12 Getragen wurde die Stiftung vom Reichministerium des Innern. S. Fahlbusch, Wo der Deutsche ist. 13 Albrecht Penck, Deutscher Volks- und Kulturboden, in: Karl Christian von Loesch (Hg.), Volk unter Völkern, Breslau 1926, S. 62–73. 14 Wilhelm Volz (Hg.), Der ostdeutsche Volksboden. Aufsätze zu den Fragen des Ostens, Breslau 1926, S. 5–6. 15 Ebd. 16 Rudolf Kötzschke, Die deutsche Wiederbesiedlung der ostelbischen Lande, in: Ebd., S. 152–179, hier S. 153.

2.1 Verhärtete Fronten 

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ßigkeiten. An ihre Stelle trat einige Jahre später der von Brackmann dominierte, wesentlich schlagkräftigere Forschungsverband der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft (NOFG), der seine Nabe in der dem Geheimen Staatsarchiv Berlin angegliederten Publikationsstelle Berlin-Dahlem (PuSte) fand. Ins Bewusstsein der breiteren deutschen Fachöffentlichkeit drang die Ostforschung auf den deutschen Historikertagen der Zwischenkriegszeit. Der 15. Historikertag in Breslau kon­zentrierte sich 1926 fast ausschließlich auf die deutsche Ostkolonisation.17 Auf dem Kongress spielte die Volksgeschichte bereits eine prominente Rolle. So warb Erich Keyser für den „Kampf um die Erhaltung des alten deutschen Volks- und Kulturbodens“ mithilfe einer „volkstumshistorischen“ Methodologie, und Rudolf Kötzschke warnte davor, die „volkliche“ Bedeutung der deutschen Siedlungen im Osten zu unterschätzen und regte zu diesem Zweck neue Institutionen der fächerübergreifenden Siedlungsforschung an.18 Der Göttinger Historikertag von 1932 beschäftigte sich erneut schwerpunktmäßig mit der Geschichte des deutschen Ostens. Aktueller Anlass dafür war die Vorbereitung der deutschen Teilnahme am Warschauer Historikerkongress von 1933. Hermann Aubin erläuterte in seinem Beitrag die Ostgrenze des alten deutschen Reiches als Ergebnis einer allmählichen, vom Kulturgefälle zwischen Germania und Slavia getriebenen Ausdehnung deutscher Vorherrschaft über Mittelosteuropa. Zu den „Anfängen des Nationalbewusstseins im deutsch-slawischen Grenzraum“ konstatierte Erich Maschke eine unversöhnliche und instinktive Abneigung zwischen Deutschen und Slawen, die im Hochmittelalter den christlich-heidnischen Gegensatz abgelöst habe. Walther Recke brachte politikgeschichtliche und ethnische Argumente zur Eindämmung polnischer Territorialansprüche vor. Selbst in den Forschungen polnischer Anthropologen sah er die frühere Vorherrschaft des nordischen Typus in weiten Gebieten des späteren Polen bestätigt.19 In seinem Abschlussreferat unter dem Titel Bismarck und der Osten stellte Hans Rothfels den Reichskanzler als weisen Architekten einer nationalständisch-föderativen, „deutsch-slawische[n] Lebensgemeinschaft“ im Deutschen Osten dar und schlug so einen Bogen zwischen dem historistischen Etatismus und der neueren Volksgeschichte. Der polnischen Westforschung zollten Keyser und Recke auf dem Kongress demonstrative „Anerkennung“ für ihre Verdienste um die polnische Frühgeschichte und mahnten gleichzeitig zur Intensivierung der eigenen Ostfor-

17 Oberkrome, Volksgeschichte, S. 93. 18 Beide Beiträge in: Bericht über die 15. Versammlung Deutscher Historiker, 3.–9. 10. 1926 in Breslau, Breslau o. J. 19 S. dazu Piskorski, „Deutsche Ostforschung“ und „polnische Westforschung“, hier S. 383.

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schung.20 Der Ausblick auf den Erfurter Historikertag von 1937 zeigt die Zuspitzung solcher Positionen unter dem Eindruck der kämpfenden Wissenschaft. In seinem Beitrag über Die Kräfte des Grenzlandkampfes in Ostmitteleuropa führte der NS-Aktivist Kleo Pleyer die Glaubenssätze einer inzwischen stark rassisch geprägten Volksgeschichte aus.21 Die jüngsten Etappenerfolge der Slawen im Kampf um die „Volksgrenzen“ schrieb er dem Zufluss deutschen Blutes in die benachbarten Ostvölker zu, leitete daraus aber auch ab, dass eine dauerhafte Ordnung dieser Völkermischzone nur unter deutschem Führungsanspruch erfolgen könne.22 Die polnische Historiographie erwies sich in der Zwischenkriegszeit als ebenbürtige Gegen­spielerin der deutschen. Inhaltlich bot sie ein facettenreiches Bild, das sich keineswegs auf die Beschäftigung mit Deutschland beschränkte, diesem aber zentrale Bedeutung beimaß. Die Erfahrung der Germanisierungspolitik im preußischen Teil Polens hatte im Zeitalter des Nationalismus die Vorstellung einer deutsch-polnischen Erbfeindschaft reifen lassen.23 Programmatische Züge gewann die Idee vom deutsch-polnischen Verdrängungskampf unter dem Einfluss der nationaldemokratischen Bewegung von Roman Dmowski in Westpolen. Dessen Parteigänger Jan Ludwik Popławski formulierte gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Gedanken, dass die Gründe für den Untergang des polnischen Staates in der Preisgabe eines westlichen, ethnisch geschlossenen Siedlungsgebiets und der Transformation Polens in einen weit nach Osten ausgreifenden, multinationalen Staat zu suchen seien. Demnach hatte die polnische Nation unter ihrer ersten mittelalterlichen Dynastie der Piasten entlang der Oder und Neiße im Westen und der Weichsel im Osten ihre natürlichen ‚Mutterländer‘ mit guten Verteidigungsbedingungen, günstigen Binnenverbindungen und Anschluss an die europäischen Handelswege und Kulturströme gefunden. In der Folge avancierte dieser Westgedanke – auch als piastische Idee bezeichnet – zum

20 Alle Beiträge in: Bericht über die 18.  Versammlung Deutscher Historiker in Göttingen, 2.–5. August 1932, München/Leipzig 1933. 21 Jürgen Elvert, Geschichtswissenschaft, in: Frank-Rutger Hausmann/Elisabeth Müller-Luckner (Hg.), Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933–1945, München, S. 87–135, hier S. 123–124. 22 Nach Franz Morré, Grenzfragen im Osten, in: JDG 13 (1937), S. 596–612, hier S. 597–598. 23 Unter den polnischen Historikern machten sich u. a. Karol Szajnocha (1818–1868), Wojciech Kętrzyński (1838–1918), Józef Szujski (1835–1883) und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Oskar Balzer solche Ideen zu eigen. Herbert Ludat, Die polnische Geschichtswissenschaft [1939], in: Ders., Slawen und Deutsche im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zu Fragen ihrer politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen, Köln 1982, S. 154–202, hier S. 162, 167–168; Oskar Balzer, O Niemcach w Polsce, in: KH 25 (1911), S. 429–454.

2.1 Verhärtete Fronten 

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Leitprogramm für die Wiederherstellung des polnischen Staates, dessen Verwirklichung auf Kosten Deutschlands und im Schulterschluss mit Russland freilich eine tiefgreifende Umwälzung der Machtverhältnisse in Europa voraussetzte. Weite Verbreitung verschaffte ihm seit der Jahrhundertwende Roman Dmowskis Schrift Deutschland, Russland und die polnische Frage.24 Mit der piastischen konkurrierte die jagiellonische Idee, die Polens Heil im Osten suchte und sich auf das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Reich der Jagiellonen-Dynastie berief, das Polen mit Litauen verbunden und eine Nationalitätenföderation von Polen, Ukrainern und Weißrussen begründet hatte. Der Kriegsausgang von 1918 ließ beide Programme realisierbar erscheinen. Während der Kampf um die Ostgrenze mit Waffengewalt statt Worten geschlagen wurde, kam dem eloquent vorgetragenen Westgedanken in Versailles durchaus grenz­entscheidende Bedeutung zu.25 Die hier errungenen Erfolge ebenso wie die aus polnischer Sicht enttäuschenden Plebiszitergebnisse in Oberschlesien und im südlichen Ostpreußen ließen es in der Folge notwendig erscheinen, die Argumente des Westgedankens auch weiterhin zu schärfen. Ihren Mittelpunkt fand die Westforschung in der 1919 begründeten „Grenzmark­universität“ Posen,26 die laut Senatsbeschluss zur „Pflanzstätte der polnischen Kultur in unseren Westgebieten werden und im Wettbewerb gegen die deutsche Geisteskultur stehen“ sollte.27 Hier forschten und lehrten die führenden Repräsentanten des Westgedankens wie Józef Kostrzewski, Kazimierz Tymieniecki, Teodor Tyc, Marian Zygmunt Jedlicki und Zygmunt Wojciechowski.

24 Roman Dmowski, Niemcy, Rosja a kwestia polska, o. O. 1907. S. auch Roland Gehrke, Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges. Genese und Begründung polnischer Gebietsansprüche gegenüber Deutschland im Zeitalter des Nationalismus, Marburg 2001. 25 Unter der Leitung Dmowskis verliehen polnische Experten, unter ihnen der Historiker Oskar Halecki, der Kartograph Eugeniusz Romer, der Linguist Józef Rozwadowski und der Anthropologe Jan Ciechanowski, polnischen Gebietsansprüchen Beachtung. Piotrowski, Pensée, hier S. 105; ausführlicher Piotrowski, O Polskę. 26 Poln. uczelnia kresowa. Man vergleiche die analoge deutsche Terminologie zur Kennzeichnung der Universitäten von Königsberg und Breslau. 27 Markus Krzoska, Die institutionelle und personelle Verankerung der polnischen Deutschlandforschung in der Zwischenkriegszeit und unmittelbaren Nachriegszeit, in: Frank Halder/ Gabriele Lingelbach (Hg.), Historische Institute im internationalen Vergleich, Leipzig 2001, S. 269–283, hier S. 276–277; Piotrowski, Pensée, der Exponenten der Westforschung aus den verschiedenen Fächern kurz porträtiert; Markus Krzoska, Nation und Volk als höchste Werte. Die deutsche und die polnische Geschichtswissenschaft als Antagonisten zwischen den Weltkrie­ gen, in: Bernard Linek/Kai Struve (Hg.), Nationalismus und nationale Identität in Ostmittel­ europa im 19. und 20. Jahrhundert, Marburg 2000, S. 297–312, hier S. 304.

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Geographisch konzentrierten sie ihre Forschung auf Großpolen und Pommern. In Gestalt des fächerübergreifenden Westslawischen Instituts unter Leitung des Archäologen und Prähistorikers Józef Kostrzewski verschaffte sich die Westforschung hier ab 1921 eine erste Koordinationsstelle.28 In Krakau beschäftigten sich Forscher wie Wacław Sobieski, Władysław Konopczyński und Stanisław Kot mit den polnischen Westgebieten, insbesondere dem nahe gelegenen Schlesien.29 1926 entstand in Thorn das Ostsee-Institut30, das 1935 im Schlesischen Institut31 in Kattowitz eine Ergänzung fand. Beide Einrichtungen verkörperten eine neue, schlagkräftigere Ausprägung der Westforschung, die mit staatlichen Mitteln über Publikationen und Veranstaltungen eine gewichtige Propaganda im In- und Ausland entfaltete. Politische Rückendeckung erhielt die Westforschung vom Verband zur Verteidigung der westlichen Grenzmarken (ZOKZ)32 der sich rasch zur propagandistischen Massenorganisation entwickelte. Wie die deutsche Ostforschung, so positionierte sich auch die polnische Westforschung rasch als multidisziplinäres Unterfangen. An der Seite der Geschichtsforscher trugen Linguisten wie Mikołaj Rudnicki und Stanisław Kozierowski, der Geograph Stanisław Pawłowski, der Soziologe Florian Znaniecki, der Ethnologe Jan Stanisław Bystroń und der Anthropologe Karol Stojanowski maßgeblich zur ihrer Entwicklung bei.33 Daraus entstand ein Amalgam historischer, geopolitischer und ethnographischer Argumente. Auf den polnischen Historikerkongressen der Zwischenkriegszeit stand die Westforschung im Spannungsfeld zweier gegenläufiger Tendenzen: Einerseits blieb sie infolge ihrer Verbindung mit dem nationaldemokratischen Flügel der polnischen Historikerschaft nicht unberührt von den Grabenkämpfen, die die polnischen Gelehrten entlang den Frontlinien der polnischen Innenpolitik entzweiten. Andererseits profitierte sie unter dem Eindruck einer zunehmenden außenpolitischen Bedrohung vonseiten Deutschlands vom patriotischen Schulterschluss der Zunft.34 In der Absicht, Verbundenheit mit den Westgebieten zu demonstrieren, beehrte der Polnische Historikerverband (PTH)35 1925 Posen mit

28 Waller, Instytut. 29 Frank Golczewski, Das Deutschlandbild der Polen, 1918–1939. Eine Untersuchung der Historiographie und der Publizistik, Düsseldorf 1974, S. 22. 30 Poln. Instytut Bałtycki (IB). 31 Poln. Instytut Śląski (IŚ). 32 Poln. Związek Obrony Kresów Zachodnich. 33 Piotrowski, Pensée, S. 110–127. Ausführlicher zu Znaniecki Andrzej Kwilecki, Florian Znaniecki jako socjolog stosunków polsko-niemieckich, in: PZ 64/2 (2008), S. 3–9. 34 Tadeusz Kondracki, Zjazdy historyczne lat 1925, 1930, 1935, in: Jerzy Maternicki (Hg.), Środowiska historyczne II Rzeczypospolitej, 5 Bde., Bd. 4, Warszawa 1986–1990, S. 283–301. 35 Poln. Polskie Towarzystwo Historyczne.

2.1 Verhärtete Fronten 

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dem ersten Nachkriegskongress.36 Das Unterfangen wäre indes beinahe gescheitert, nachdem Józef Piłsudski seine Teilnahmeabsichten erklärt und damit lautstarke Boykottdrohungen nationaldemokratischer Historiker provoziert hatte.37 Der Kongress selbst war dem ersten Piastenherrscher Boleslaus dem Tapferen gewidmet und wurde zur Reverenz an den Westgedanken stilisiert.38 Zahlreiche Vorträge standen im Zeichen der Kritik an den Auffassungen der deutschen Geschichtswissenschaft, der polnische Deutungen der Geschichte Schlesiens, Pommerns und Preußens entgegengehalten wurden. Darin war nicht zuletzt eine Reaktion auf die jüngsten Züge der deutschen Außenpolitik unter Gustav Stresemann zu erblicken, dessen westorientierte, aber antipolnische Politik ihren Höhepunkt zwei Monate zuvor in Locarno gefunden hatte, wo Deutschland die staatsrechtliche Anerkennung seiner Ostgrenze einmal mehr verweigert hatte. Fünf Jahre später führten die Vorbereitungen auf den nächsten Kongress in Warschau 1930 einen noch größeren Eklat herbei. Nach dem Staatsstreich von 1926 und dem Schlag gegen die linke Opposition im Jahre 1930 polarisierte Marschall Piłsudski die polnischen Historiker stärker als je zuvor. Seine Kritiker befürchteten nicht zu Unrecht, dass das angekündigte Thema der Tagung – der November­ aufstand von 1830 – dazu benutzt werden sollte, den Marschall als Nachfolger der damaligen Helden zu glorifizieren. Aus Protest boykottierte eine beachtliche Zahl von Historikern den Kongress – unter ihnen auch führende Fachgrößen.39 Doch einmal mehr schlossen die verbleibenden Teilnehmer unter dem Eindruck der deutsch-polnischen Auseinandersetzung ihre Reihen. Anstoß waren diesmal die deutschen Feierlichkeiten zum siebenhundertsten Gründungstag Königsbergs, die einige Monate zuvor stattgefunden und unter anderem den Band Ostpreußen – 700 Jahre deutsches Land hervor­gebracht hatten.40 Auf dem Kongress rief das gänzlich unwissenschaftliche Buch hitzige Reaktionen hervor und wurde zum Anlass einer ausgreifenden „Preußendiskussion“, in deren Verlauf Wacław Sobieski den deutschen Charakter Ostpreußens bestritt und einen Abriss seiner

36 Dieser Beschluss gleicht in auffallender Weise der Entscheidung des deutschen Historikerverbandes, Breslau als Austragungsort des Kongresses von 1926 zu wählen. 37 Zakrzewski sah sich als Präsident der PTH zur Drohung genötigt, den Kongress notfalls anderswo abzuhalten, und Piłsudski musste seine geplante Ansprache zurückziehen, um den Aufruhr zu besänftigen. Kondracki, Zjazdy, hier S. 287. 38 Kronika IV Powszechnego Zjazdu Historyków Polskich w Poznaniu 6–8 grudnia 1925, in: KH 39 (1925), S. 632 f. 39 So sagten Konopczyński und Kukiel ihre Teilnahme ab, und die beiden designierten Kongress­vorsitzenden, Tokarz und Aszkenazy, traten von ihrem Amt zurück. Kondracki, Zjazdy, S. 292–295. 40 Ludwig Goldstein (Hg.), Ostpreußen – 700 Jahre deutsches Land. Festschrift der Königsberger Hartungschen Zeitung und Verlagsdruckerei, Königsberg 1930.

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masurisch-polnischen Geschichte vortrug. Schließlich wurden Pläne geschmiedet, die polnische Preußenforschung unter dem Dach des Thorner Ostsee-Instituts zusammenzufassen und zu verstärken.41 So stiftete die Abwehr dessen, was als Zumutungen von Seiten der deutschen Politik und Wissenschaft verstanden wurde, unter den polnischen Historiker breiten Konsens, der auch dazu beitrug, innere Zwistigkeiten zu überwinden.42

2.2 Zwischen wissen­schaftlicher Verbindlichkeit und publizistischem Schlagabtausch 1928–1933 2.2.1 Erwartete Konfrontation: Der Internationale Historikerkongress in Oslo 1928 Im Hinblick auf den Internationalen Historikerkongress von Oslo mehrten sich in Polen die Befürchtungen, dass die deutschen Historiker ihren ersten Nachkriegsauftritt vor der inter­nationalen Fachwelt dazu nutzen könnten, eine Breitseite auf Polen abzufeuern.43 Angesichts des zu erwartenden „Kampfes“, so Wacław Sobieski, müsse Polen in Oslo mit einer mindestens dreißigköpfigen Delegation präsent sein, zumal von deutscher Seite an die 150 Teilnehmer zu erwarten seien.44 Bei der PTH teilte man seine Einschätzung, und die Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten und Bildung stellten die benötigten Mittel zur Verfügung.45Als nächstes wandte sich Sobieski der Sprachenfrage zu und erklärte es zum dringenden Anliegen, dass keiner der polnischen Teilnehmer deutsch spräche. Andernfalls könnten die Deutschen ihre Sprache zur Lingua franca Osteuropas erklären und damit dem Stereotyp von der deutschen Kultur­trägerrolle gegenüber Osteuropa

41 Krzoska, Polen, S. 308. Die Ergebnisse dieser Initiative erschienen ab 1935 als mehrbändige Reihe unter dem Titel Dzieje Prus Wschodnich beim Ostsee-Institut Thorn. Zu den Entstehungsbedingungen und Inhalten der Reihe s. u., Kap. 2.3.1. 42 Ludat, Geschichtswissenschaft, S. 175, 177, 181, 183, 185. 43 Hans Schleier, Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Berlin Ost 1975, S. 167 f.; Kondracki, PTH (Diss.), S. 625 f. Ausführlicher zu den im Folgenden dargestellten Zusammenhängen Stefan Guth, Between confrontation and conciliation. German-Polish historiographical relations in the 1930s, in: Storia della Storiografia. History of Historiography 47 (2005), S. 113–160. 44 W. Sobieski an F. Bujak, Krakau, 27. 12. 1927, zit. nach Kondracki, PTH (Diss.), S. 567. 45 Leitung der PTH an das Ministerstwo Wyznań Religijnych i Oświecenia Publicznego, Lemberg, 9. 2. 1928, Archiwum PAN w Warszawie [im Folgenden: APAN-W] I-3/138, Bl. 1.

2.2 Zwischen Verbindlichkeit und Schlagabtausch 

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neue Nahrung verschaffen.46 Für den Kongress erwartete Sobieski eine „Attacke der Deutschen auf Polens Ostseeküste [Pomorze]“: La Baume (Danzig) wird über „Die Urgeschichte der Ostgermanen“ sprechen, d. h. er wird nachweisen, […] dass das polnische Küstengebiet seit Jahrhunderten deutsch war – und Erich Keyser (Danzig) wird darüber sprechen, dass die historische Bildungsarbeit in Fragen […] der slawischen Ostseeküste und des Elbgebiets auf polnischer Seite durch Tendenziosität, auf deutscher [jedoch] durch Sachlichkeit gekennzeichnet sei.

Um den erwarteten Angriff zu parieren, müsse man Józef Kostrzewski, Franciszek Bujak, Kazimierz Tymieniecki, Jan Rutkowski, Roman Lutman und Mikołaj Rudnicki mobilisieren.47 Sobieskis Ausführungen lassen erkennen, dass Ende der Zwanzigerjahre auf beiden Seiten Exponenten des deutsch-polnischen Grenzkampfs in Stellung gegangen waren, ihre Positionen aber noch nicht zum Grundkonsens der breiteren Fachöffentlichkeit geworden waren. Nicht alle polnischen Historiker hielten die nationale Frontstellung in der Wissenschaft für angebracht. So konnte sich Sobieski mit seinem Aufruf, die deutsche Sprache zu boykottieren, nicht durchsetzen, und der prominente Warschauer Historiker Marceli Handelsman zeigte sich gar regelrecht befremdet von der deutschlandfeindlichen Voreingenommenheit seiner Kollegen im In- und Ausland.48 Der Tagungsverlauf schien seine Einschätzung zu bestätigen. Wer eine deutsch-polnische Auseinandersetzung auf breiter Front erwartet hatte, wurde enttäuscht, wenngleich es zu vereinzelten Plänkeleien kam. In der Sektion für Vorgeschichte behauptete La  Baume eine flächendeckende germanische Siedlung auf dem Gebiet des späteren Polen, womit er Entgeg­nungen von Kostrzewski, Rudnicki und Tymieniecki hervorrief. Umgekehrt stieß ein Beitrag Sokolnickis über Bismarcks Rückversicherungsverträge auf harsche deutsche Kritik.49 Eine weitere Kontroverse flammte auf, als der Vortrag eines schwedischen Historikers über chauvinistische Tendenzen im Schulunterricht eine hitzige Kriegsschuld­ debatte zwischen Deutschen, Franzosen und Polen auslöste, obgleich dieses Thema

46 W. Sobieski an Stanisław Zakrzewski, 12. 3. 1928, zit. nach Kondracki, PTH (Diss.), S. 568. 47 W. Sobieski an F. Bujak, o. O., undatiert, zit. nach ebd., S. 568. 48 „Ich bemerkte eine Woge der Ablehnung gegen die Deutschen“, schrieb er an Manteuffel. „Alle, vor allem Lhéritier, bitten und drohen, am Kongress kein Deutsch zu sprechen.“ Marceli Handelsman an Tadeusz Manteuffel, 21. 3. 1928, APAN-W III-192, Listy M. Handelsmana do T. Manteuffla. Auch während des Kongresses beschworen Polen, Franzosen und andere zu Handelsmans Erstaunen eine „deutsche Gefahr“. M.  Handelsman an T.  Manteuffel, Oslo, 17.– 18.7.[1928], ebd. 49 W. Sobieski, Kongres historyków w Oslo, APAN-W I-3/141, Bl. 3; Sprawozdanie Prezesa Delegacji Polskiej na Kongresie w Oslo, APAN-W I-3/139, Bl. 12–14.

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eigentlich vom Kongress verbannt war. Solche Zwistigkeiten blieben jedoch vereinzelt und fügten sich nicht zum Bild einer umfassenden Konfrontation. Im großen Ganzen gaben die Gepflogenheiten der internationalen wissenschaftlichen ‚Courtoisie‘ den Ton an; so schloss etwa eine Banketteinladung der polnischen Delegation auch etliche deutsche Historiker mit ein, und es war ausgerechnet Sobieski, der befriedigt deren vollzähliges Erscheinen registrierte.50 Lange währte der versöhnliche Geist von Oslo indes nicht. Kurz nach dem Kongress entfachte eine publizistische Initiative der polnischen Seite die Kontroverse aufs Neue. Gestützt auf französische Historiker, die sich der polnischen Nation verbunden fühlten, legte die Polnische Bibliothek in Paris eine Serie zu den Problèmes politiques de la Pologne contemporaine auf. Bis zum Warschauer Kongress erschienen drei Bände: La Pologne et la Baltique (1931), La Silésie Polonaise (1931) und La Poméranie Polonaise (1932). Flüssig geschrieben und ohne wissenschaftlichen Apparat, zielten die Darstellungen darauf ab, einem breiten französischen Publikum die polnische Sichtweise zu vermitteln und deutsche Ansprüche auf die umstrittenen Gebiete zurück­zuweisen. Dabei war es den Herausgebern gelungen, französischerseits so prominente Namen wie Emile Bourgeois und Georges Pagès zu gewinnen.51 In ihren Beiträgen polemisierten die verschiedenen Autoren direkt gegen deutsche Positionen: Die Kaschuben seien im Grunde Polen und hätten sich keinesfalls freiwillig unter deutsche Herrschaft begeben; die deutsche Ostkolonisation sei einer planmäßigen Eroberung gleichgekommen, und der polnische Korridor stelle keine Gefahr für die wirtschaftliche Existenz Ostpreußens dar – so lauteten einige der hier vorgetragenen Antithesen zu gängigen deutschen Auffassungen. Hans Rothfels nahm den ersten Band der Reihe zum Anlass für eine Miszelle, die er 1932 unter dem Titel Korridorhistorie in der Historischen Zeitschrift veröffentlichte. Darin unterstrich er den angeblichen propagandistischen Vorsprung der Polen, deren Historiker und Publizisten mit „einer an sich bewundernswerten Intensität“ auf die „geschichtliche Unterbauung des Systems von 1919“ und noch weitergehender Wünsche hinarbeiteten. Nirgends sonst in Europa werde „so entschlossen mit historischen und pseudo­historischen Argumenten gekämpft“, und die deutsche Seite habe der gut alimentierten und organisierten polnischen Offensive kaum etwas entgegenzusetzen. Paradoxerweise verurteilte Rothfels den polnisch-französischen Vorstoß zwar als un­wissen­schaftlich, empfahl ihn im gleichen Atemzug aber nahezu unverhohlen zur Nach­ahmung. Mit der Einschät-

50 Sobieski, Kongres […]; Sprawozdanie Prezesa […]. 51 Bourgeois war seit 1927 Ehrenmitglied der PTH. Sprawozdanie Zarządu Głównego Polskiego Towarzystwa Historycznego 1.IV.1931–31.III.1932, Lwów, APAN-W I-3/267, ad Nr. 544.

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zung, der Band manifestiere „das formelle Bündnis der franzö­sischen und der polnischen Historiographie“, suchte er bei seinen Kollegen zudem Einkreisungs­ ängste und Verteidigungs­reflexe zu wecken.52 Seine Warnung verhallte nicht ungehört und trug zusammen mit ähnlichen Aufrufen von Brack­mann dazu bei, einen publizistischen Gegenschlag vorzubereiten, der 1933 in Form des Sammelbandes Deutschland und Polen erfolgte.53 In Verlauf jener Jahre entwickelte die deutsch-polnische Auseinandersetzung eine auffällige Doppelbödigkeit: Auf der wissenschaftlichen Bühne internationaler Kongresse und histo­rischer Fachpublikationen blieb die wissenschaftliche Verbindlichkeit tonangebend, die publizistische Auseinander­setzung nahm hingegen immer stärker propagandistische Züge an. Zwar trennten die meisten Historiker beide Register formal, viele bewegten sich aber auf beiden Ebenen gleichzeitig. So konnte die Populär­historiographie der jeweiligen Gegen­seite den Radikalen hüben wie drüben jeweils den Vorwand zur Mobilisierung der eigenen Fachhistoriographie zwecks wissenschaftlicher „Abwehr“ liefern.

2.2.2 Von Oslo nach Warschau Die Bemühungen um einen Internationalen Historikerkongress in Polen reichten bis in die frühen Nachkriegsjahre zurück; eine erste offizielle Einladung an das Comité International des Sciences Historiques (CISH) scheiterte 1926 jedoch unter dem Eindruck von Piłsudskis Staatsstreich.54 Hinzu kam die von angelsächsischer und skandinavischer Seite erhobene Forderung, den ersten Nachkriegs­kongress mit deutscher Beteiligung an einem „neutralen“ Ort abzuhalten.55 Vier Jahre später waren die Schatten über der polnischen Kandida­tur verflogen, sodass die wiederholte Einladung nach Warschau für das Jahr 1933 vom Exekutiv­komitee des CISH einstimmig angenommen wurde. Selbst die Deutschen schlossen sich dem allgemeinen Votum vorbehaltlos an. Aus Sicht der Gastgeber kam dem Kongress die Aufgabe zu, Polen der wissen­schaftlichen

52 Hans Rothfels, Korridorhistorie, in: HZ 184 (1932), S. 294–300, hier S. 294. 53 Karl Dietrich Erdmann, Die Ökumene der Historiker. Geschichte der Internationalen Historikerkongresse und des Comité international des sciences historiques, Göttingen 1987, S.  198, Anm.  30. Erich Randt, [Rezension zu:] Deutschland und Polen, in: HZ 151 (1934), S.  373–387, stellte „Deutschland und Polen“ als direkte Reaktion auf die polnisch-französische Reihe dar. Zu „Deutschland und Polen“ s. u., Kap 2.3.3. 54 Protokół posiedzenia PTH z 30 kwietnia 1926r, APAN-W I-3/3; Tadeusz Kondracki, Święto Klio nad Wisłą. Za kulisami VII Międzynarodowego Kongresu Historyków w Warszawie 1939 (sic!), in: Kronika Warszawy 78/2 (1989), S. 55–80, hier S. 55 f. 55 Erdmann, Ökumene, S. 149.

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Welt sowohl als historisch gewachsene wie auch als aktuelle politische Realität vor Augen zu führen. Historiker aus aller Welt würden „das von den Toten auferstandene Polen mit eigenen Augen sehen“ und mit Polen nicht nur akademische, sondern auch „außerwissen­schaftliche, politische Beziehungen“ anknüpfen, frohlockte Sobieski angesichts der erfolgreichen Kandidatur Warschaus.56 Eingedenk der innenpolitischen Spannungen zwischen Nationaldemokraten und Piłsudski-Anhängern, welche die polnischen Historikertage von 1925 und 1930 zerrüttet hatten, bemühte sich die Leitung der PTH im Vorfeld des internationalen Kongresses nach Kräften um nationale Eintracht. Die Interessen der liberalen, meist Piłsudskis Sanacja nahestehenden Hauptstädter wurden sorgfältig mit den Anliegen der konservativ-katholischen Krakauer um Stanisław Kutrzeba austariert; auch gelang es, für den Kongress eine gewichtige Teilnahme von Posener Historikern zu erreichen.57 Im Bemühen, keine Region zu übergehen, wurde eingeplant, den Warschauer Kongress zur feierlichen Abschlusssitzung nach Krakau zu verlegen und interessierten Teilnehmern anschließend Exkursionen nach Gdingen, Vilnius, Lemberg und Zako­pane anzubieten.58 Der Einbezug zweier umstrittener Grenzstädte konnte niemandem entgehen, der mit Polen auch nur oberflächlich vertraut war: Gdingen beherbergte einen neuen polnischen Hafen, mit dem das deutsch dominierte Danzig umgangen werden sollte, und Vilnius war 1920 gegen litauische Ansprüche mit Waffengewalt erobert worden. Im CISH stieß das Exkursionsprogramm auf wenig Gegenliebe, doch schließlich resignierte der Exekutiv­ausschuss vor Handelsmans Hartnäckigkeit.59 Hier zeichnete sich ein Dilemma ab, das die weiteren Kongressvorbereitungen ständig begleiten sollte: Einerseits sollte der Anlass alle Register der nationalen Selbstdarstellung ziehen und den polnischen Charakter der Grenz­regionen unterstreichen, andererseits war auf die Empfindlichkeiten der internationalen Gäste Rück­sicht zu nehmen. Es dauerte nicht lange, bis eine Intervention des schlesischen Wojewoden Michał Grażyński das Dilemma akut werden ließ. Brieflich zeigte sich der enge Vertraute Piłsudskis erzürnt darüber, dass Oberschlesien im geplanten Ausflugsprogramm fehlte – gebiete es doch der „Blick auf die wissenschaftliche und histo-

56 Sprawozdanie Prezesa Delegacji Polskiej na Kongresie w Oslo, APAN-W I-3/139, Bl. 11. Zur Vielzahl der zwischen 1918 und 1939 in Polen veranstalteten internationalen Tagungen s. Jerzy Róziewicz/Henryka Róziewicz, Z dziejów międzynarodowych kontaktów naukowych Polski w latach 1919–1939, in: Problemy Polonii Zagranicznej 9 (1974), S. 339–378, hier S. 348 f. 57 Kazimierz Tymieniecki, VII Międzynarodowy Kongres Historyczny, in: RH 9 (1933), S. 305–312. 58 Bereits 1920, als die Kongressidee erstmals diskutiert worden war, hatten sich die Krakauer zusichern lassen, dass die internationalen Gäste auch in ihrer Stadt Halt machen würden. Kondracki, Święto, S. 69. 59 M. Handelsman, Bericht zur CISH-Sitzung im Haag vom 4.–6. 7. 1932, APAN-W I-3/267, Bl. 582.

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rische Propaganda, die von deutscher Seite machtvoll entfaltet wird“, den ausländischen Gästen den polnischen Charakter Schlesiens vor Augen zu führen.60 Ein bissiger Zeitungsartikel verlieh Grażyńskis Forderung öffentlichen Nachhall. Den Gästen zu zeigen, dass Schlesien und Pommern „die allerpolnischsten Gebiete unserer Republik sind, und dass die deutschen Forderungen nach ihrer Rückgabe […] nur auf dem Wege der militärischen Unterwerfung Polens möglich wären“, bezeichnete er nachgerade als staatsbürgerliche Pflicht der polnischen Historiker, deren Verweigerung nicht ohne Folgen bleiben werde.61 Zu Recht deutete Grażyński die Zurückhaltung der PTH in Grenzfragen als Rücksichtnahme auf deutsche Empfindlichkeiten. Als nämlich im September 1932 ein Thorner Historiker anregte, den Kongress zur „Propa­ganda für das polnische Pom­mern“ zu nutzen und das geplante Ausflugsprogramm zu diesem Zweck um einen Abstecher in seine Heimatstadt zu ergänzen,62 stieß sein Vorschlag beim Organisa­ tions­komitee auf Ablehnung. Zur Begründung verwies Marceli Handelsman auf eine Abmachung mit Karl Brandi, die das Protokoll leider nicht weiter ausführte.63 Demnach kann ange­nommen werden, dass der deutsche Historikerverband den polnischen Verzicht auf grenz­kämpferische Aktivitäten zur Voraussetzung einer deutschen Kongressbeteiligung erklärt hatte. Mocarskis Ansinnen hatte die PTH ohne Weiteres ablehnen können; Grażyńskis Vorschlag zurück­zuweisen war weitaus schwieriger. Mit Sorge beobachtete Handelsman, dass der Przełom-Artikel in Warschau „gehörigen Eindruck“ gemacht habe und die Kongress­organisatoren gar das Wohlwollen der unterstützenden Ministerien kosten könne.64 Offenbar konnten Handelsman und Kutrzeba den erhitzten Wojewoden schließlich mit dem Versprechen besänftigen, die Polonizität Schlesiens in einer Schrift zu erläutern, die an alle Kongress­teilnehmer verteilt wurde.65

60 Michał Grażyński an M. Handelsman, Dezember 1932. Zit. nach M. Handelsman an Bronisław Dembiński, Zakopane, 26. 12. 1932, APAN-W III-10/249, Bl. 14. Zu Grażyński auch Mühle, Volk, S. 273. 61 Słabość czy zaślepienie?, in: Przełom, 10. 12. 1932, S. 2. Obwohl der Artikel keine Verfasserangabe trägt, ist er unschwer mit Grażyński in Verbindung zu bringen. Przełom war 1926 als Organ des von Grażyński mitbegründeten Związek Naprawy Rzeczypospolitej entstanden. 62 Zygmunt Mocarski an ZG PTH, 22. 9. 1932, APAN-W I-3/142, Bl. 22. 63 M. Handelsman, Protokół z posiedzenia Wydziału Wykonawczego Komitetu Organizacyjnego VII Międzynarodowego Kongresu Nauk Historycznych, Warschau, 2. 10. 1932, APAN-W I-3/142, Bl. 18–21. 64 Protokół zebrania Wydziału Wykonawczego Komitetu Organizacyjnego Międzynarodowego Kongresu Nauk Historycznych odbytego w Warszawie 16 i 17 grudnia 1932 r., APAN-W I-3/143, Bl. 71 f. 65 Pologne littéraire. Numéro consacré au Congrès International des Sciences Historiques, Varsovie, 15. 8. 1933; s. u., Kap. 2.2.3.

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Ungeachtet solcher Ablenkungen verlangte auch die wissenschaftliche Vorbereitung des Kongresses nach Aufmerksamkeit. Es wurde geplant, in allen Sektionen polnische Präsenz zu zeigen, kein Kongressthema ohne polnischen Beitrag zu lassen, eine rege polnische Beteiligung an den Diskussionen zu organisieren und Auftritte in allen fünf Konferenzsprachen sicherzustellen. Um möglicherweise ausfallende ersetzen ausländische Referenten zu ersetzen, wollte man zusätzliche polnische Beiträge in Reserve halten.66 Stanisław Kętrzyński schlug schließlich gar vor, die polnischen Gastgeber sollten die Eignung aller Sektions­vorsitzenden überprüfen und dabei im Falle von Ausländern auf eine polen­freundliche Haltung achten.67 Solche Vorkeh­rungen lassen erkennen, dass das Organisations­komitee die polnischen Beiträge straff koordinieren und ein Maximum an polnischer Präsenz erreichen wollte. Hinweise darauf, dass die Organisatoren den politischen Gehalt der Beiträge zu beeinflussen suchten, finden sich in den Quellen jedoch nicht. Alles spricht dafür, dass sich die PTH in dieser Hinsicht auf die patriotische Gesinnung der teil­nehmenden Historiker verließ. Nachdem auf nationaler Ebene die drängendsten Probleme gelöst waren, richtete das Organi­sationskomitee den Blick erneut auf die internationale Dimension des Kongresses, und dabei trat erneut die deutsche Frage in den Vordergrund. In Oslo hatte es genügt, deutsche Wider­stände gegen den Kongress zu überwinden, jetzt aber stellte sich die wesentlich schwierigere Aufgabe, die Deutschen zur Teilnahme zu gewinnen.68 Einmal mehr war es Handelsman, der im Juli 1932 auf der Sitzung des CISH im Haag auf die deutschen Kollegen zuging und Brandi die Zusage einer „aktive[n] Kongressteilnahme der Deutschen“ abnahm – ein Versprechen, das wenige Monate später auf dem deutschen Historikertag in Göttingen seine Bestätigung fand.69 Den Polen ging es dabei um mehr als eine möglichst vollständige Ökumene der Historiker – vielmehr kam eine deutsche Kongressteilnahme der wissenschaftsdiplomatischen Anerkennung Polens vor den Augen der internationalen Wissenschaftsgemeinde gleich. Im Gegenzug sagte die polnische Seite zu, auf Besuche in ehemals deutschen Städten und Gegenden wie Schlesien und Thorn zu verzichten. Des Weiteren sollte Deutschland zur Kongress­eröffnung neben Frankreich und Großbritannien einen der

66 Protokoł posiedzenia Zarządu Głównego z dnia 29 maja 1932, Warschau, APAN-W I-3/267, Bl. 557. 67 Protokoł zebrania Wydziału Wykonawczego Komitetu Organizacyjnego Międzynarodowego Kongresu Nauk Historycznych, 29. 6. 1933, APAN-W I-3/142 Bl. 29–34. 68 Bronisław Dembiński an Oskar Balzer, Poznań, 10. 5. 1932, zit. nach Kondracki, Święto, S. 61. 69 M. Handelsman, Protokół z posiedzenia […], 2. 10. 1932.

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prestigeträchtigen Plenarbeiträge bestreiten dürfen.70 Auch wurden polnische Referenten ausdrücklich ermutigt, ihre Beiträge in allen offiziellen Kongresssprachen, einschließlich der deutschen, vorzutragen.71 Wo sich dennoch Konflikt­potential abzeichnete, gingen die Polen jeder Auseinandersetzung aus dem Weg. So überließen sie es den Franzosen, den österreichischen Historiker Alfons Dopsch in die Schranken zu weisen, als dieser einen Beitrag zur Kriegsschuldfrage einreichen wollte, und als Dopsch daraufhin verlangte, dass ein polnisches Referat zu den deutsch-polnischen Bezie­hungen während des Krieges zurückgezogen würde, willigten die Polen anstandslos ein.72 Schließlich zeigte man sich bemüht, auch die deutsche Minderheit in Polen einzubeziehen, und beteiligte zu diesem Zweck die deutsche Historische Gesellschaft in Polen an den Kongressvorbereitungen.73 Vom Erfolg dieser Umarmungs-Strategie zeugt der Umstand, dass der polen­deutsche Historiker Alfred Lattermann den Kongress später erstaunlich positiv beurteilte.74 Die Aufmerksamkeit, die sie der deutschen Frage entgegenbrachten, hielt die Polen freilich nicht davon ab, ein weiteres Netz internationaler Kontakte zu pflegen, das zu Beginn der Dreißigerjahre eine merkliche Intensivierung erfuhr.75 Damit verband sich nicht zuletzt die Hoffnung, Polen wissen­schaftsdiplomatisch aus dem Schatten seiner zwei über­mächtigen Nachbarn Deutsch­land und Sowjetunion herauszuführen. In diese Richtung zielte die Initiative, einen Dachverband der osteuro­päischen Historikerverbände und internationalen Osteuropainstitute

70 Protokół zebrania WWKO Międzynarodowego Kongresu Nauk Historycznych, 29. 6. 1933. APAN-W I-3/142, Bl. 29–34. Aus unbekannten Gründen wurde das deutsche Plenumsreferat schließlich von der Eröffnungs- auf die Schlusssitzung verschoben. 71 Protokół posiedzenia Zarządu Głównego z dnia 29 maja 1932 […]. Auch ging den Teilnehmern im Vorfeld des Kongresses einer der Zirkularbriefe in deutscher Sprache zu (die zwei übrigen waren englisch respektive französisch abgefasst). 72 M. Handelsman an B. Dembiński, 16. 3. 1931, APAN-W III-10/249, Bl. 7. Der polnische Beitrag sollte die Verwaltung der schlesischen Minen während der deutschen Besatzung behandeln. Erdmann, Ökumene, S. 202. 73 Protokół posiedzenia Zarządu Głównego z dnia 29 maja 1932 […]. Eine ähnliche Geste erfolgte auch gegenüber der ukrainischen Minderheit, deren Ševčenko-Gesellschaft für Geschichte ebenfalls eingeladen wurde. 74 Alfred Lattermann, Die 7. Internationale Historikertagung in Warschau, in: Deutsche Hefte für Volks- und Kulturbodenforschung 3 (1933), S. 237–240. 75 Hatte das Verzeichnis der ausländischen Ehrenmitglieder der PTH zuvor nur zwei auswärtige Mitglieder verzeichnet, so kooptierte die PTH 1930 auf einen Schlag etliche Historiker aus Mittelosteuropa und dem Ostseeraum in ihre Reihen. Sprawozdanie Zarządu Głównego Polskiego Towarzystwa Historycznego I.IV.1931 – 31.III.1932, Lwów, APAN-W I-3/267. Ihre neuen ausländischen Freunde kamen der PTH bereits im Vorfeld des Warschauer Kongresses zugute; Halvdan Koht aus Oslo entwickelte sich zum treuen Fürsprecher Polens im CISH.

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unter polnischer Ägide zu begründen.76 Auf Initiative von Stanisław Zakrzewski und Handelsman war der Verband 1927 von Einrichtungen aus Polen, der Tschechoslowakei, Lettland, Italien und Frankreich gegründet worden; Ungarn, Jugoslawien, Estland, Bulgarien, Großbritannien und Rumänien folgten später. Deutschland war zeitweilig mit dem Osteuropa­institut Breslau beteiligt, das sich aber 1932 zurückzog – offenbar aus politischen Gründen, die aber nicht weiter aus­geführt wurden.77 Erklärter Zweck des Unterfangens war es, zumindest auf wissen­schaftlicher Ebene eine Politik der guten Nach­barschaft einzuläuten, die Konsens­findung unter den beteiligten National­historio­graphien zu fördern und gemein­same Forschungen voranzutreiben, die das Eigengewicht der Region in der internationalen Wahrnehmung steigern sollten. Auf dem Warschauer Kongress gipfelten diese Bemühungen in einer eigenen Sektion für osteuropäische Geschichte, die auf Betreiben der Polen erstmals anberaumt worden war. Die politische Dimension der Initiative unterstrich ein Abgeordneter des polnischen Außenministeriums mit seiner unaufdringlichen, aber beharrlichen Präsenz in der Gesellschaft.78 Wichtigstes Projekt des Verbandes war ein Wörterbuch der Slawischen Altertümer (Słownik starożytności słowiańskich), das die Geschichte und Kultur des frühen Slawentums in syste­matischer Weise darstellen und damit dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde entgegentreten sollte.79 In Westeuropa war Frankreich der traditionelle Verbündete Polens. Persönliche Gelehrten­kontakte bestanden seit der großen Emigration in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts, und institutionelle Verbindungen waren unmittelbar nach Ende des Weltkrieges geknüpft worden.80 Zu Beginn der Dreißigerjahre hatten diese Beziehungen u. a. in der Reihe Problèmes de la Pologne contemporaine Früchte getragen. Zu diesem Zeitpunkt war die französisch-polnische Freundschaft, getragen vom Bewusstsein einer starken politischen Interessengemeinschaft, beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden. Deutlich unterentwickelt präsentierten sich dagegen die Kontakte zu den angelsächsischen Fachkollegen. Erste Kontakte nach Großbritannien ermöglichte das Treffen des CISH in Cambridge 1930, wo die Polen mit einer großen Delegation Präsenz zeigten. In den

76 Die offizielle Bezeichnung lautete: Federacja Towarzystw Historycznych Europy Wschodniej. 77 Auch sowjetische Historiker waren eingeladen worden, blieben dem Verband aber aus Protest gegen die Beteiligung exilrussischer Historiker fern. 78 Kondracki, PTH (Diss.), S. 554 f., 558 f. 79 Ryszard Grzesik, Pięćdziesięciolecie Instytutu Slawistyki PAN, in: Slavica Slovaca 39/1 (2004), S. 73–76, hier S. 75. Ein Probeheft erschien 1934, weitere Anstrengungen machte der Krieg zunichte. Erst 1950 wurde das Projekt wieder aufgenommen. S. u., Kap. 4.2.7. 80 S. z. B. Materiały Marcelego Handelsmana – Instytucje naukowe zagraniczne – różne. Korespondencja, notatki 1925–1938, APAN-W III-10/160.

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folgenden Jahren nahmen die polnisch-britischen Historikerbeziehungen einen raschen Aufschwung, der 1935 von einem britisch-polnischen Historikertreffen gekrönt wurde und den Polen britische Unterstützung für zwei große Publikationsprojekte ein­brachte.81 Etwas hilflos wirkte dagegen die Anbandelung mit amerikanischen Fachkollegen. Nachdem der polnische Botschafter in Washington „die Geschichtsprofessoren an den hiesigen Universitäten“ als „Kommentatoren der Zeitgeschichte und der aktuellen politischen Ereignisse“ charakterisiert und aus ebendiesem Grund seiner Hoffnung auf eine starke amerikanische Präsenz in Warschau Ausdruck verliehen hatte,82 bedauerte Handelsman das Fehlen jeglicher Kontakte, veranlasste aber rechtzeitig vor dem Kongress die Dekoration Waldo G. Lelands mit der Polonia restituta. Auch in anderen Fällen hielt Handelsman Orden und Würden für ein probates Mittel der wissenschaftsdiplomatischen Kontaktpflege. Sehr zu seinem Unmut scheiterten seine Pläne, eine Reihe von ausländischen Gelehrten mit Ehren­doktorwürden der Warschauer Universität auszustatten, an Zeitmangel.83 Unverkennbar zeigten die internationalen Kontakte der PTH Konvergenzen mit der Landkarte der diplomatischen Interessen der Zweiten Republik: von der traditionellen Allianz mit Frankreich über das Werben um die angelsächsischen Länder und die kleineren Nachbarn Polens in Mittelosteuropa und im Baltikum – mit Ausnahme Litauens – bis hin zu den vorsichtigen Normalisierungsbemühungen gegenüber Deutschland und der Sowjetunion.84 Folgerichtig interessierte sich das Außenministerium lebhaft für die internationalen Aktivitäten der PTH; es kofinanzierte den Warschauer Kongress und delegierte einen Abgeordneten ins Organisationskomitee. Später sollte sich Außenminister Józef Beck persönlich mit der Außenpolitik der PTH befassen.85 Daraus allerdings auf eine systematische Beeinflussung der Historiker zu schließen, wäre verfehlt. Vielmehr kann in außenpolitischen Fragen von einer weitgehenden Interessenidentität zwischen der politischen Elite und den Warschauer Historikern ausgegangen werden, die

81 Das erste britisch-polnische Publikationsprojekt war die Reihe Poland and her Neighbours, deren Schicksal im Folgenden besprochen wird; das zweite eine Geschichte Polens, deren Publikation für die späten Dreißiger­jahre geplant war, die aber nach kriegsbedingter Verzögerung erst 1941–1952 als Cambridge History of Poland erschien. Kondracki, PTH (Diss.), S. 612; 697. Zur deutschen Wahrnehmung Burleigh, Germany, S. 95. 82 Sokołowski an Handelsman, Washington, 12. 10. 1932, APAN-W I-3/267. 83 Protokół zebrania Wydziału Wykonawczego Komitetu Organizacyjnego Międzynarodowego Kongresu Nauk Historycznych, odbytego w Warszawie w Dziekanacie Wydziału Humanistycznego dn. 29 czerwca 1933, APAN-W I-3/142, Bl. 29–34. 84 Diesen Eindruck bestätigt Kondracki, PTH (Diss.), S. 551. 85 Dies geschah im Zuge des Publikationsprojektes Poland and her Neighbours. S. u., Kap. 2.3.3.

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sich oftmals beinahe ebenso sehr als Diplomaten wie als Historiker verstanden.86 Fälle, in denen sich die Historiker in der Pflege ihrer Auslandskontakte von den Interessen der polnischen Außenpolitik behindert sahen, lassen sich erst für die zweite Hälfte der Dreißigerjahre belegen.87 Den innenpolitischen Balanceakt zwischen dem Regierungslager, dem die Warschauer zuneigten, das bei den zumeist konservativen und nationaldemokratischen Krakauer und Posener Milieus indes auf Ablehnung stieß, meisterte die PTH alles in allem mit gutem Gleichgewichtssinn.88 Dabei eröffnete gerade ihre relative Nähe zum Regierungslager den Warschauer Historikern beacht­ liche Handlungsspielräume. So konnten einerseits die notwendigen finanziellen Mittel gesichert werden,89 andererseits gelang es in vielen Fällen, politische Einmischungen abzuwen­den.90 Piłsudski war nach den Erfahrungen der nationalen Historiker­kongresse klug genug, sich nicht übermäßig aufzu­drängen,91 und die

86 Erinnert sei nur an Haleckis Teilnahme an den Versailler Grenzziehungsverhandlungen. Aber auch Handels­man war seiner Karriere nach ein verhinderter Diplomat – ein Botschafterposten in Paris war ihm aufgrund von Intrigen eines ihm feindlich gesinnten Ministerialbeamten entgangen. Kondracki, PTH (Diss.), S. 544. 87 Die Politisierung der auswärtigen Gelehrtenkontakte in jenen Jahren illustrieren die Überlegungen von Marceli Handelsman zur Ernennung ausländischer Ehrenmitglieder der Krakauer Akademie der Wissenschaften: „Was [die vorgeschlagene Ernen­nung von] Kroft angeht, habe ich Bedenken hinsichtlich seiner offiziellen Funktion im tschechischen Außen­ministerium. Ich befürchte Schwierigkeiten von Seiten unserer Regierung, ungeachtet dessen, dass Kroft alle erdenklichen wissenschaftlichen Qualifikationen mitbringt.“ M.  Handelsman an B.  Dembiński, 16. 10. 1935, APAN-W III-10/249, Bl. 28 f. 88 Dass die Sanacja-Regierung im Umgang mit missliebigen Wissenschaftlern wenig zimperlich war, hatte sie 1932 bewiesen, als sie über fünfzig oppositionelle Hochschullehrer entlassen hatte. Peter D. Stachura, Poland 1918–1945. An interpretative and documentary history of the Second Republic, London 2004, S. 67. 89 Nützlich waren Handelsman dabei Kontakte zu Piłsudskis Vertrautem Janusz Jędrzejewicz, der dem Kongress in seiner Funktion als Bildungsminister großzügige finanzielle Unterstützung verschaffte. Odpis wykazu, przedstawionego z księgami Rachunkowymi i dowodami kasowemi dn. 20.X.1933 Min. W. R. i O. P., APAN-W I-3/144. 90 S. z. B. M. Handelsman, Protokół z posiedzenia [...], 2. 10. 1932. Während der Sitzung beschlossen die Verantwortlichen der PTH, staatlicher Einmischung dadurch zuvorzukommen, dass sie den Ministerien für Bildung und Auswärtige Angelegenheiten von sich aus vorschlugen, mit welchen Ministerial­beamten sie zusammenarbeiten wollten. 91 So verzichtete Piłsudski letztlich darauf, seinen Einfluss als Verteidigungsminister über das Historische Büro der Streitkräfte geltend zu machen – dies zumindest, nachdem dessen Direktor Stachiewicz auf internationaler Ebene mit einer Referatsankündigung zur Kriegsschuldfrage Anstoß erregt hatte. Handelsman an Dembiński, 13. 10. 1932, APAN-W III-10/249, Bl. 11.

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Ministerien folgten im Allgemeinen seinem Beispiel.92 Dabei verließ man sich auf die implizite Übereinkunft zwischen Historikern und Politikern, Polen im besten Licht zu präsentieren. In Deutschland einte die Historiker eine ähnliche Hingabe an die nationale Sache; mangels einschlägiger Kenntnisse sahen sich die meisten unter ihnen aber zunächst außerstande, diese gegen polnische Ansprüche zu verteidigen. Dem abzuhelfen, hatte sich Albert Brackmann auf die Fahnen geschrieben, der die Auseinandersetzung der deutschen Historikerzunft mit dem ‚Osten‘ seit dem Göttinger Historikertag von 1932 entschieden vorantrieb. Um die nationalen Anschauungen seiner Fachkollegen zu festigen, ließ er im Hinblick auf den Warschauer Kongress ein vertrauliches Vademecum über die wichtigsten deutschpolnischen Kontroversthemen erarbeiten.93 Der Leitfaden von ein paar Dutzend Seiten war nach den Worten Karl Brandis als „Rüstzeug“ für die deutschen Kongressteilnehmer gedacht, das in allen strittigen Fragen Argumentations­muster für die deutsch-polnische Auseinandersetzung vorgab.94 Angelegt als polnisch-deutsche Wechselrede, führte er zunächst in Frageform den polnischen Standpunkt aus, um anschließend die korrekte Antwort aus deutscher Sicht darzulegen. Die Auseinandersetzung begann in grauer Vorzeit bei der mittelost­europäischen Lausitzer Kultur. Deren protoslawischer Charakter wurde von deutscher Seite energisch bestritten; die Slawen seien erst nach dem zeitweiligen Rückzug der germanischen Stämme in Mittelosteuropa ansässig geworden.95 Eine weitere Auseinander­setzung drehte sich um die Eroberung Danzigs durch die Ordensritter im Jahre 1308, welcher der exemplarische deutsche Historiker einen geringeren Blutzoll zuschrieb als sein polnischer Widersacher, der von 10 000 polnischen Opfern ausging. Es folgte die übliche, sattsam bekannte Kontroverse zur Nationalität von Kopernikus und Veit Stoß, die dadurch entschie­den wurde, dass beide zu „Kulturträger[n] des deutschen Volkes“ erklärt wurden.96 Zum Kern

92 Das Patronat übernahm Staatspräsident Prof. Ignacy Mościcki, und die Liste der Kongressteilnehmer führte kein Geringerer an als „Józef Piłsudski, Maréchal de Pologne“. Comité organisateur du Congrès, VII-e Congrès International des Sciences Historiques, Liste des Membres, Warszawa o. J. [1933], Archiwum PAN w Krakowie [im Folgenden: APAN-K] III-11. 93 Haar, Historiker, S. 140. 94 Karl Brandi, Vertraulicher Bericht über das Comité international des sciences historiques und über die Teilnahme der dt. Delegation auf dem VII. Internat. Historikerkongress von 1933, zit. nach ebd., S. 139 f. 95 Vademecum für die politisch-historische Auseinandersetzung zwischen Polen und Deutschland, hrsg. von der Publikationsstelle des Preußischen Geheimen Staatsarchivs, Berlin (Umdruck) BAB R 153/1704, S. 2–4. 96 Ebd., S. 16.

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der Auseinander­setzungen führte die polnische Behauptung, die Zweite Republik bleibe territorial immer noch weit hinter dem zurück, was die polnischen Grenzen vor den Teilungen umschlossen hätten, und sei daher schwerlich als imperialistisch und expansiv zu bezeichnen. Dem hielt der Deutsche entgegen, dass der polnische Staat vor 1772 weit über seine legitimen ethnischen Grenzen ausgegriffen habe. In diesem Zusammenhang war auch der Auffassung entgegenzutreten, dass es sich bei den slawischen Volksgruppen im deutsch-polnischen Grenzraum um Dialektgruppen des Polnischen handle; vielmehr hätten die Kaschuben und andere Volksgruppen in Pommern und Pommerellen sich nach dem höher­stehenden Westen ausgerichtet und hätten traditionell in „Erbfeindschaft“ zu Polen gestanden. Abgeschlossen wurde der Leitfaden mit einer Erörterung der polnischen Nationalitäten­verhältnisse. Dem polnischen Standpunkt, die Versailler Grenzziehung habe den Polen einen adäquaten Nationalstaat zugesprochen, war dahingehend zu widersprechen, dass in Wahrheit ein überdimensionierter, instabiler Nationalitätenstaat entstanden sei, dessen Sprengkraft die polnische Ordnungsmacht nicht gewachsen sei.97 Verschärft wurde dieses Argument durch seine Verlängerung in die Vergangenheit – die Behauptung einer angeblich chronischen Unfähigkeit Polens zur staatlichen Selbstorganisation. Diese Unfähigkeit, so war der polnischen Seite vorzuhalten, und nicht etwa die Skrupellosigkeit Preußens, Österreichs und Russlands, sei der wahre Grund für die polnischen Teilungen im ausgehenden 18. Jahrhundert.98 Im Kern enthielt das Vademecum bereits die Argumentationsstrategie, die später ausführlicher und etwas zurückhaltender im Band Deutschland und Polen ausgeführt wurde. Es ist bemerkenswert, dass die antipolnische Agitation der deutschen Historiker sich zu einem Zeitpunkt verschärfte, als nach Hitlers Friedensrede vom Mai 1933 bereits die Perspektive eines deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrags aufschien. Der polenfeindliche Impetus der Historiker kann deshalb nicht der Hitler’schen Machtergreifung zur Last gelegt werden; seine Triebkräfte müssen vielmehr im Innern der Zunft gesucht werden, namentlich bei ihren radikal polenfeindlichen Exponenten vom Schlage eines Brackmann oder Rothfels. Auch abseits der polnischen Frage hatte die Machtübernahme der Nationalsozialisten keine allzu tiefgreifenden Konse­quenzen für die deutsche Kongressdelegation. Ungeachtet der Tatsache, dass Studentenaufmärsche und vereinzelte Repressionsmaßnahmen das ihrige getan hatten, um unliebsame Fachvertreter einzuschüchtern, wurde die deutsche Geschichtswissen­schaft in Warschau doch vorwiegend von ihren traditionellen Exponenten und mit herkömm­lichen Themen

97 Ebd., S. 41. 98 Ebd., S. 25.

2.2 Zwischen Verbindlichkeit und Schlagabtausch 

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vertreten.99 Einige von ihnen sahen sich freilich bemüßigt, das neue Regime in privaten Gesprächen wortreich gegen ausländische Kritiker zu verteidigen – sei es aus Überzeugung oder aus Angst.100

2.2.3 Vertagte Auseinandersetzung: Der Warschauer Kongress 1933 Als der Kongress am 21. August 1933 schließlich seine Pforten öffnete, erschien bereits die Tatsache seines Zustandekommens als „wichtiger politischer Sieg“ für die polnischen Gast­geber.101 Den Erfolg unterstrich die beeindruckende Zahl der Teilnehmer: 1100 Historiker waren nach Warschau gereist, mehr als 400 davon aus dem Ausland. Die teilnehmerstärksten ausländischen Delegationen stellten Franzosen, Italiener, Deutsche und Briten. Ein besonderer Triumph lag für die Gastgeber im herausgehobenen Stellenwert, den die polnische Geschichte unter den Kongressthemen einnahm: Mehr als achtzig Beiträge (von 330) waren dem Gegen­stand gewidmet, fast die Hälfte davon wurde von ausländischen Historikern vorgetragen.102 Darüber hinaus verschaffte die Sektion für osteuropäische Geschichte dem regionalen Schwerpunkt zusätz­liches Gewicht. Kein früherer Kongress hatte so stark im Zeichen des Gastgeberlandes gestanden wie dieser.103 Doch auch die Deutschen fanden Anlass zur Genugtuung. Nicht nur waren sie mit einer der größten Delegationen anwesend und hielten nach Franzosen, Italienern und Polen die meisten Referate; Deutsch war auch eine der fünf offiziellen Kongresssprachen, deren Gebrauch zwar hinter dem Französischen zurückblieb, das Englische aber weit übertraf.104 Josef Pfitzners akribische Zählung ergab 52  in deutscher Sprache von „Andersnationalen“ gehaltene Referate. Darunter bildeten erstaunlicherweise die Polen mit zwanzig Beiträgen die größte Gruppe – unter ihnen hatte immerhin jeder Vierte das Deutsche gewählt.105 Mit unverhohlener Befriedigung notierte Pfitzner, dass trotz der politischen Spannungen „die deutsche Sprache in der Wissenschaft an der Ostkante des Reiches keineswegs

99 Karl Brandi, Der Siebente Internationale Historikerkongress zu Warschau und Krakau, 21.– 29. August 1933, in: HZ 149 (1934), S. 213–220, hier S. 214. 100 Erdmann, Ökumene, S. 199 f., 202. 101 Izvestija, 1. 9. 1933. Zitiert nach Róziewicz/Róziewicz, Z dziejów. 102 Erdmann, Ökumene, S. 206 f. Zur starken Präsenz polnischer Themen auch D. Dorošenko, Die osteuropäische Geschichte auf dem VII. Internationalen Historikerkongress in Warschau, in: Zeitschrift für osteuropäische Geschichte NF 4/1 (1934), S. 77–88. 103 Erdmann, Ökumene, S. 207. 104 Tymieniecki, Kongres, hier S. 306. 105 Die sechzig übrigen bevorzugten das Französische.

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gemieden wird.“106 Zu entgehen schien ihm die Möglichkeit, dass der Gebrauch des Deutschen mehr über die erwünschten Adressaten der polnischen Beiträge als über die kulturelle Identität ihrer Verfasser aussagte. Die hierin zum Ausdruck kommende Bereitschaft zur direkten deutsch-polnischen Auseinander­setzung scheint bemerkenswert; offenbar glaubten die polnischen Historiker zu jenem Zeitpunkt ebenso sehr an die Belehrbarkeit des wissenschaft­lichen Gegners, wie sie auf die Überzeugungskraft der eigenen Argumente vertrauten. Tatsächlich gestaltete sich der Umgang zwischen Polen und Deutschen in Warschau verbind­licher als vielfach befürchtet. Der polendeutsche Historiker Lattermann notierte, dass scharfe Auseinandersetzungen weitgehend ausblieben. Strittige Themen seien oft gänzlich vermieden und Interpretationsgegensätze, wo sie doch zur Sprache kamen, sachlich ausgetragen worden.107 Sein Kollege Pfitzner von der Deutschen Universität fühlte sich gar an den „Geist von Oslo“ erinnert: „Versöhnlichkeit, Ausschaltung aller die Gefühle dieser oder jener Nation verletzenden Streitfragen, ruhige, sachliche Kritik bei wissenschaftlichen Auseinander­setzungen, z. B. bei Fragen der deutschen und polnischen Geschichte zwischen Deutschen und Polen beherrschten den Kongress.“108 Skeptischer urteilten neutrale Beobachter wie der Schweizer Historiker Werner Näf, dem die „Leichtigkeit“ auffiel, „mit der etwa zwischen Polen und Deutschen ein Wortgefecht entstand, dessen Temperatur doch von den Gegen­sätzen nicht historischer, sondern politisch-gegenwärtiger Natur bestimmt wurde.“109 Was alarmierte Näf, und was vermittelte Lattermann den Eindruck unverhoffter Harmonie? Auf inhaltlicher Ebene traten gewisse Gegensätze zwischen Polen und Deutschen unüber­sehbar zutage. In den Sektionen für Vorgeschichte und Alte Geschichte bestritt Kostrzewski den germanischen Charakter der südlichen Ostseeküste und nahm für die Weichselmündung eine slawische Besiedlung seit prähistorischer Zeit in Anspruch, verzichtete aber auf seine übliche, gewagtere These vom slawischen Charakter der Lausitzer Kultur. Diese Zaghaftig­keit machte Ludwik Piotrowicz wett, der Plinius, Tacitus, Ptolemaios und Herodot zitierte, um den urslawischen Charakter des späteren Polen in vorgeschichtlicher Zeit zu belegen. La Baume und Wilhelm Unverzagt ergingen sich ihrerseits in Volks- und

106 Josef Pfitzner, Gedanken über den 7. Internationalen Historikerkongress in Warschau, in: Deutsche Hefte für Volks- und Kulturbodenforschung 3 (1933), S. 277–283, hier S. 281. Auch Ty­ mieniecki bestätigte, dass „die allgemeine Diskussion vorwiegend in französischer und deutscher Sprache geführt“ wurde. Tymieniecki, Kongres, S. 306. 107 Lattermann, Historikertagung, S. 238. 108 Pfitzner, Gedanken, S. 278. 109 Werner Näf, Der Internationale Historikerkongress in Warschau und Krakau, in: Der Bund, 12. 9. 1933.

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Kulturbodentheorien, wozu sie ethnologische Forschungen und archäologische Ausgrabungen heranzogen.110 Deutsch-polnische Diskussionen verzeichnete der offizielle Protokollband indes nicht, und der polnische Westforscher Tymieniecki beschränkte sich in seinem Kongressbericht auf die Bemerkung, die deutschen Historiker hätten viel über „Westpolen“ gesprochen, womit er den Terminus „Ostdeutschland“ nicht nur sprachlich, sondern auch geopolitisch übersetzte.111 Zur Freude der Gastgeber stand die Sektion für neueste Geschichte im Zeichen von Polens Beziehungen zu Westeuropa. Behandelt wurden unter anderem die Verbindungen zu den Niederlanden, Italien, Großbritannien und Frankreich.112 Die Polen erblickten in diesen Vorträgen einen höchst willkommenen Beitrag zur Widerlegung deutscher Behauptungen, wonach ihr Land seinen Zugang zur westlichen Kultur ausschließlich deutschen Mittler­diensten verdankte. In der Sektion für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte verfocht Richard Koebner die deut­schen Ursprünge wichtiger polnischer Städte. Ihm trat Kazimierz Tymieniecki entgegen, der die Bedeutung älterer slawischer Gründungen herausstrich.113 Daraufhin machte Robert Holtzmann in deutlicher Zuspitzung von Koebners These geltend, dass die deutschen Stadtgründungen kulturell so weit über ihren slawischen Vorläufern gestanden hätten, dass jene für die weitere Entwicklung jede Bedeutung verloren hätten.114 Im weiteren Verlauf der Session machte Tymieniecki sich den Unterschied zwischen deutscher und deutschrechtlicher Kolonisation zu eigen, um den ethnisch slawischen Charakter vieler mittelalterlicher Stadtneugründungen in Polen zu behaupten, während Koebner diese Differenzierung für gekün­stelt hielt und für die meisten Neugründungen eine deutsche Mehrheitsbevölkerung unterstellte.115 Angesichts solch schroffer Töne erstaunt die von Brandi verzeichnete Verständigungs­bereitschaft, welche die polnischen und die deutschen Teilnehmer der Sektion im Verlauf der „lebhafte[n] Auseinander­ setzungen“ schließlich doch entwickelten. Beide Seiten erklärten am Ende ihr Interesse an „gemein­samen Forschungen auf diesem Gebiet“.116

110 Résumés des communications présentées au Congrès de Varsovie 1933, 2 Bde., Warszawa 1933, Bd. 1, S. 35. 111 Tymieniecki, Kongres, S. 308. 112 Bei den Referenten handelte es sich um P. Kleyntjens, M. Brillo, D. Diringer, P. Silva, W. F. Reddaway und G. Ritter. Résumés, Bd. 1. 113 Procès verbal du Septième Congrès International des Sciences Historiques, Varsovie 1933, in: Bulletin des Sciences Historiques 8 (1936), S. 361–590, hier S. 441. 114 Ebd., S. 442. 115 Ebd., S. 444–446. 116 Brandi, Historikerkongress, S. 219.

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Bei allen Auseinandersetzungen in Einzelfragen blieb so auch in Warschau eine umfassende Kon­frontation zwischen Deutschen und Polen aus. Dennoch standen sich die gegensätzlichen Inter­pretationen beider Seiten diesmal systematischer und kontrastreicher gegenüber, als dies noch in Oslo der Fall gewesen war: Wiederholt bezogen sich die Deutschen auf das revisionistische Paradigma vom deutschen Volks- und Kulturboden, dessen Ränder angeblich ein deutliches Kulturgefälle markierte. Dem hielt die polnische Seite konsistent die Vorstellung einer europäischen Kulturgemein­schaft entgegen, die seit dem Spätmittelalter rege Austausch­beziehungen in alle Himmels­richtungen gekannt und dadurch eine rasche Angleichung der regionalen Entwicklungen herbeigeführt habe. Wichtiger noch war der polnische Versuch zur Neudefinition des historischen Osteuropa-Begriffs, den Handelsman in der Sektion für osteuropäische Geschichte vorexerzierte. Er griff damit in eine Diskussion ein, die sich seit der staatlichen Neuordnung Mittelosteuropas nach dem Ersten Weltkrieg entsponnen hatte und im Wesentlichen drei mögliche Inhalte kannte: Erstens die im 19. Jahrhundert entstandene slawophile Ideologie von der einen slawischen Nation, zweitens den Gedanken eines deutsch dominierten Mitteleuropas, drittens die Vorstellung einer historisch autonomen Großregion zwischen Deutschland und Russland. Erstmals war diese Frage 1923 auf dem Internationalen Historikerkongress in Brüssel breit diskutiert worden; damals hatten sich Oskar Halecki und Handelsman darum bemüht, die Vorstel­lung eines vom europäischen Westen abgesonderten, slawischen Osten aufzubrechen und die Geschichte dieser Region als Geschichte ihrer Europäisierung zu verstehen. Dabei ging es in erster Linie darum, Mittelosteuropa aus dem Schatten Russlands zu lösen, was wenige Jahre nach der Schlacht an der Weichsel gewiss auch tagespolitische Implikationen hatte.117 Als Josef Pfitzner diese Gedanken auf dem Deutschen Historikertag von 1932 aufgriff, offen­barte sich allerdings, wie leicht sie sich im Sinne deutscher Kulturgefälle- und Kulturträger-Paradigmen vereinnahmen ließen.118 So präsentierte sich der Diskussions­zusammenhang, als das Thema in Warschau 1933 erneut auf dem Programm stand. Die Diskussion eröffnete diesmal Jarosław Bidlo, der den

117 Compte rendu du Ve Congrès International des Sciences Historiques, Bruxelles 1923; Oskar Halecki, L’histoire de l’Europe Orientale. Sa division en époques, son milieu géographique et ses problèmes fondamentaux, in: Comité National Polonais (Hg.), La Pologne au Ve Congrès International des Sciences Historiques à Bruxelles 1923, Varsovie 1923. Dazu auch knapp Klaus Zernack, Das Jahrtausend deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte als Problemfeld und Forschungsaufgabe, in: Ders. (Hg.), Preußen – Deutschland – Polen. Aufsätze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, Berlin 1991, S. 3–42, hier S. 6 f. 118 Das Referat in erweiterter Form: Josef Pfitzner, Die Geschichte Osteuropas und die Geschichte des Slawentums als Forschungsprobleme, in: HZ 150 (1934), S. 21–85.

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Osteuropa­begriff auf den byzan­tinischen Kulturkreis beschränkte und Mitteleuropa dem Westen zurechnete.119 Dieser Sichtweise trat Handelsman ent­gegen; in seiner Intervention warf er dem tschechischen Kollegen vor, zweifelhafte zivilisa­ torische Paradigmen zu teilen: Bidlos Versuch, sein Land auf der westlichen Seite einer imaginären europäischen Kulturscheide zu positionieren, spiele letztlich deutschen Kulturgefälle­paradigmen in die Hände. Dagegen wollte Handelsman Osteuropa weiter nach Westen reichen lassen. Er sah Polen, die Tschecho­slowakei, das Baltikum und Russland in einer historischen Schicksals­gemeinschaft verbunden, die von geographischen Gegebenheiten geprägt und im Laufe der Geschichte durch Handels- und Kulturbeziehungen bestätigt worden sei. Den Schwerpunkt dieser Region wollte er, in impliziter Fortführung der jagiellonischen Idee, in Polen erblicken.120 Offen­sichtlich ging es Handelsman diesmal darum, Mittelosteuropa vom deutschen Kulturkreis abzugrenzen; unter diesem Blick­winkel sah er sein Land und dessen Nachbarn lieber im Herzen Osteuropas als an der Peripherie des europäischen Westens. Dabei wollte Handelsman nicht bestreiten, dass Osteuropa, wie er es verstand, zeitweilig ein Machtvakuum dargestellt habe; er betrachtete es jedoch als Machtzentrum für den gesamten Zeitraum vom zwölften bis zum siebzehnten Jahrhundert und erneut in der Gegenwart.121 In Frage gestellt wurde seine Auffassung ausgerechnet von französischer Seite. Es war Lhéritier, der Ost­mitteleuropa als vielgestaltige, ethnisch und politisch zergliederte Region beschrieb, die unverändert zwischen dem deutschen „Drang nach Osten“ und dem russisch-sowjetischen „Drang nach Westen“ zerrieben zu werden drohe.122 Nur eine starke, einigende Idee könne Mittelosteuropa davor bewahren, vom Westen oder Osten aufgesogen zu werden. Die Rolle einer solchen Idee habe zunächst der Katholizismus in Frontstellung gegen den preußischen Protestantismus und die russische Orthodoxie ge­spielt; später seien an seine Stelle die Ideale der Französischen Revolution getreten. Wohl nicht ganz unbewusst spiegelte Lhéritier hier in den Kategorien historischer Begriffs­bildung die internationale politisch-strategische Konstellation aus gallischer Perspektive wider: Osteuropa in der Rolle des französisch dominierten oder doch inspirierten cordon sanitaire

119 Résumés, Bd. 2, S. 197. 120 „C’est donc dans l’histoire de la Pologne qu’il faudra chercher le principe organisateur de l’histoire de l’Europe Orientale tout entier.“ Procès verbal, S. 522. 121 Zur Auseinandersetzung zwischen Handelsman und Bidlo Mieczysław Biskupski, Marceli Handelsman (1882–1945), in: Peter Brock/John D. Stanley/Piotr J. Wróbel (Hg.), Nation and history. Polish historians from the Enlightenment to the Second World War, Toronto/Buffalo/London 2006, S. 352–385, hier S. 368; Otto Hoetzsch, Begriffsbestimmung und Periodisierung der osteuropäischen Geschichte, in: Zeitschrift für osteuropäische Geschichte NF 4/1 (1934), S. 88–102. 122 Procès verbal, S. 526.

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zwischen Deutschland und Russland, die es im wohl­ver­standenen Eigeninteresse ange­nommen habe, aber ohne Einheit nicht wirksam ausfüllen könne.123 In den Reihen der Deutschen nahm man die Risse in der antideutschen Allianz mit Befriedigung zur Kenntnis. Anzeichen einer panslawischen Verbrüderung konnte Pfitzner nirgends erkennen, und Holtz­mann registrierte gar ein erstaunlich distanziertes Verhältnis zwischen Polen und Franzosen.124 In Anbetracht der politischen Obertöne, die in den geschilderten Diskussionen mitschwangen, war Näfs Eindruck einer gespannten Atmosphäre gewiss nicht verfehlt. Ob die deutsch-polnischen Beziehungen auf dem Kongress freilich als gut oder schlecht zu gelten hatten, war in erster Linie eine Frage der vorherigen Erwartungen. Diese waren auf beiden Seiten negativ gewesen und daher leicht zu übertreffen. Den freundlichen Signalen, welche die Polen bereits im Vorfeld des Kongresses an die deutsche Seite gesandt hatten, ließen sie in Warschau weitere versöhnliche Gesten folgen, denen sich die Deutschen in aller Regel nicht verschlossen. So verzeichnete Brandi auf informeller Ebene eine Reihe privater Unterhaltungen mit den polnischen Kollegen.125 Im offiziellen Rahmen mündeten die deutsch-polnischen Meinungswechsel in den verschie­ denen Kongresssektionen wiederholt in Absichtserklärungen, sich vermehrt über Forschungs­ergebnisse und Interpretationsansätze auszutauschen. In der Sektion für Wirtschaftsgeschichte erwogen beide Seiten die Möglichkeit, gemeinsame Forschungsprojekte zur städtischen Siedlungs­geschichte in Angriff zu nehmen,126 und selbst Karol Górski zeigte sich überzeugt, „que l’histoire de Gdansk doit être étudiée en commun par les Allemands et les Polonais.“127 Über solche Einzelvorschläge hinaus knüpften die Polen „substantielle Verhandlungen“ über einen vertieften Austausch mit den Deutschen an.128 Zweimal luden sie deren Delegation zu gesonderten deutsch-polnischen Gesprächen, die durchaus substantiellen Charakter annahmen. Zum ersten Treffen hatte Stanisław Kutrzeba gebeten, von deutscher Seite nahmen Brandi, Rothfels, Maschke und Wolfgang Kohte, von polnischer Seite nebst Kutrzeba Kot, Władysław Semkowicz, Konopczyński und Jan Dąbrowski teil. Einleitend bedauerte Kutrzeba, dass die polnische Historiographie

123 Die Diskussion um den Osteuropa-Begriff sollte nach dem Kongress ihre Fortsetzung finden; Halecki referierte 1934 in Berlin zu diesem Thema und kam nach dem Krieg nochmals darauf zurück. S. u., Kap. 2.3.4, sowie Oskar Halecki, The limits and divisions of European history, London 1950. 124 Pfitzner, Gedanken, S. 282, wo auch die Beobachtungen Holtzmanns zitiert sind. 125 Brandi, Historikerkongress, S. 220. 126 Ebd., S. 219. 127 Procès verbal, S. 535. 128 Brandi, Historikerkongress, S. 220.

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in Deutschland seit dem Weltkrieg kaum noch zur Kenntnis genommen werde. Brandi erwiderte, dass sich insbesondere das Geheime Staatsarchiv in Berlin unter Brackmann um eine verstärkte Rezeption der polnischen Forschung bemühe. Die deutsche „Abwehreinrichtung“ gegen die polnische Forschung erschien hier also im Gewand einer Mittlerin zur Förderung des wissen­schaftlichen Austauschs. Des Weiteren beklagte Kutrzeba Fälle, in denen polnischen Forschern der Zugang zu deut­schen Archiven erschwert worden sei. Brandi erwiderte, was die Zugänglichmachung von jüngeren Archivalien angehe, befinde sich das Deutsche Reich „in einer etwas schwierigeren Lage“ als Polen. Damit deutete er politische Motive an, ohne sie weiter auszuführen. Rothfels führte gewisse Engpässe auf laufende Publikationspläne zurück, verschwieg aber wohlweislich, dass die Publikationsstelle jüngst einen umfangreichen Publikationsplan gerade in der Absicht aufgelegt hatte, Akten der Benutzung durch polnische Forscher zu entziehen.129 Beide Seiten befürworteten einen Aus­tausch jüngerer Historiker zwischen Deutschland und Polen, die Maschke durch „Gemein­sam­keit der Fragestellungen“ verbunden sah, wenngleich sie schwerlich „gleichartige Ergebnisse“ erzielen könnten. Gegen Ende der Zusammenkunft führte Brandi das Gespräch auf eine metahistorische Ebene. Zwar komme die Geschichtswissenschaft nicht umhin, patriotische und volkspädagogische Aufgaben zu erfüllen, von „publizistischer Klopffechterei“ müsse sich die Disziplin jedoch befreien. Unter polnischem Beifall forderte er, man „solle nicht Argumente aus einer fernen Vergangenheit in die Politik tragen“ und müsse der Wissenschaft neben berechtigten nationalen Sichtweisen auch „die universale Geschichts­betrachtung bewahren“. Nationalistische Verengungen konzedierte er auch für die deutsche Seite. Schließlich äußerte er die Hoffnung, die „Fühlungs­aufnahme“ auf dem Kongress und die „Verbesserung der politischen Lage“ möge im Verkehr zwischen den beiden Nationalhistoriographien eine rasche Entspannung nach sich ziehen.130 Hier klang an, dass Hitlers Verständigungspolitik gegenüber Polen die Historiker nicht gänzlich unberührt ließ. Dass die deutsche Seite diesen Besprechungen durchaus eine gewisse Bedeutung beimaß, lässt sich etwa daran erkennen, dass Brandi im Anschluss an den Kongress das Auswärtige Amt über die Pläne zu einem deutsch-polnischen Gelehrtenaustausch informierte.131 Dennoch muss der Umstand, dass sich hier einer der Koordinatoren der wissenschaftlichen „Abwehr“ gegen die Polen als Befürworter vertiefter Wissenschaftskontakte profilierte, Zweifel an der Ernsthaftigkeit der

129 S. u., Kap. 2.3.2. 130 Wolfgang Kohte, Bericht über die Besprechung deutscher und polnischer Historiker am 29. August, Berlin Dahlem, 7. 9. 1933, BAB R 153/162, Bl. 72 f. 131 Erdmann, Ökumene, S. 190.

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deutschen Kooperationsbereitschaft wecken. Schließlich waren Brandi die antipolnischen Umtriebe der Publikationsstelle Dahlem unter Brackmanns Leitung wohl bekannt.132 Den Polen dürfte dieser Umstand damals allerdings nicht bewusst gewesen sein, und so beurteilte Kot die Gespräche im Anschluss an den Kongress vorsichtig positiv und im Glauben, sie eröffneten neue Perspektiven.133 Ein Versuch, die widersprüchlichen Signale zwischen Deutschen und Polen in Warschau zu deuten, muss zum Schluss führen, dass auf beiden Seiten sowohl Gegner wie auch Befür­worter des wissenschaftlichen Dialogs am Werke waren. Sicherlich ist die Aufrichtigkeit der Dialog­befürworter mit Skepsis zu beurteilen, gehörte doch der Anschein von Verständigungs­bereitschaft unter den Augen der versammelten scientific communitiy zum guten Ton. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Kongress bei Polen wie Deutschen den Willen erkennbar machte, den wissen­schaftlichen Gegenspieler direkt anzusprechen, um ihn mit überlegenen Argumenten für den eigenen Standpunkt zu gewinnen. Daraus spricht ein unter den gegebenen Umständen bemerkenswerter Glaube an die objektivierende Kraft einer geteilten wissenschaftlichen Rationalität. Die internationale Beziehungspflege der PTH beschränkte sich indes nicht auf die deutsche Delegation, sonder zielte in alle Richtungen. Vergleichbare Zusammen­künfte fanden auch mit den Vertretern der Tschechoslowakei und der Sowjetunion statt, mit denen ähnliche Themen diskutiert wurden wie mit den deutschen Kollegen.134 Erneut fügten sich diese Gespräche in den größeren Rahmen der damaligen polnischen Außenpolitik, die ihrerseits auf eine Annäherung mit den zwei großen Nachbarn Polens hinarbeitete und diesem Ziel 1932 und 1934 durch die Nichtangriffsverträge mit der Sowjetunion respektive Deutschland einen Schritt näher kam. Diese halboffiziellen Historikerzusammenkünfte können daher als weiterer Hinweis auf die diplomatischen Konnotationen und politischen Obertöne des Kongresses verstanden werden. Diese entgingen auch dem deutschen Botschafter in Warschau nicht. In seinem Bericht an das Auswärtige Amt würdigte Hans-Adolf von Moltke die polnischen Bemühungen, „alle politischen, polemischen, antideutschen Töne [vom Kongress] fernzuhalten“, wofür er ein aufschlussreiches Beispiel anführte: Ausdrücklich habe die polnische Kongressleitung es abgelehnt, eine

132 Burleigh, Germany, S. 49–52; Haar, Historiker, S. 107 f. Brandi bemühte sich zur Zeit der Präsidialkabinette auch bereits um den Ausschluss von Beiträgen slawischer Historiker aus deutschen historiographischen Publikationen. Ebd., S. 148. 133 Stanisław Kot, „Deutschland und Polen“. Czy rewizja stosunków polsko-niemieckich?, in: Wiadomości Literackie, 24. 12. 1933. 134 Kondracki, Święto, S. 71–72.

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Protest­erklärung gegen die nationalsozialistische Universitätspolitik zur Verlesung zu bringen, die von 20 zum Teil namhaften englischen Gelehrten formuliert worden war.135 Die polnische Seite konnte sich eine solche Rücksichtnahme leisten, durfte sie doch davon ausgehen, dass die auf dem Kongress geäußerten Bekenntnisse vieler deutscher Gelehrter zu den neuen Machthabern die deutsche Wissenschaft vor der internationalen Gelehrtenwelt hinlänglich diskreditiert hatten, um ihrer Glaubwürdigkeit in der Auseinandersetzung mit Polen Schaden zuzufügen.136 Unter diesen Umständen schien es weise, die Kritik anderen zu überlassen. So konnten sich die Polen die stille Dankbarkeit der Deutschen sichern und gleichzeitig die Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Hochschulpolitik und der polnischen Demokratie im Allgemeinen aus der Schusslinie halten, die andernfalls Angriffsfläche für deutsche Gegenkritik geboten hätten.137 In diesem Klima der nachbarschaftlichen Höflichkeit blieben die Elemente der gegenseitigen Propaganda beinahe unbemerkt, obschon sie durchaus präsent waren. Das Ausflugsprogramm der polnischen Gastgeber enthielt, auch nachdem man es im Hinblick auf deutsche Empfind­lichkeiten bereinigt hatte, immer noch gewisse antideutsche Akzente, wie etwa die Exkursions­destination Gdingen verdeutlichte. Das internationale Interesse an diesen Ausflügen blieb indes begrenzt, und nicht in allen Fällen hinterließen sie bei den ausländischen Gästen die gewünschten Eindrücke.138 Die Deutschen sahen ihrerseits von ihren früheren Plänen ab, als geschlossene Delegation eine demonstrative Reise in den polnischen „Korridor“ zu unter­nehmen, verfielen stattdessen aber auf eine nicht minder provokative Idee: Dem polnischen Angebot einer Exkursion nach Gdingen setzten die deutschen Historiker aus Danzig eine an alle Teilnehmer des Kongresses gerichtete Einladung in ihre Heimatstadt entgegen, womit sie den „deutschen Charakter“ Danzigs unterstrichen.139

135 Karl Brandi, Vertraulicher Bericht über die Tätigkeit der deutschen Delegation auf dem VII. Internationalen Historikerkongress zu Warschau und Krakau, 21.–29. August 1933, zit. bei Haar, Historiker. 136 Weitverbreitete Abscheu gegen die jüngsten politischen Entwicklungen in Deutschland unter den Kongress­teilnehmern verzeichneten u. a. Karl Brandi und der dänische Historiker Aage Frijs. Erdmann, Ökumene, S. 199–202. 137 1932 hatte die polnische Regierung über fünfzig Hochschullehrer entlassen, die als Anhänger der Opposition bekannt waren. Stachura, Poland, S. 67. 138 Głosy niektórych gości zagranicznych o Kongresie Historyków i o Polsce, Ohne Angabe des Autors, undatiert, APAN-W III-192/33, Bl. 67–71. 139 Erdmann, Ökumene, S. 190.

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Eine weitere Schlacht wurde auf dem Papier geschlagen. Eine Sondernummer der Pologne littéraire zum Kongress porträtierte die umstrittenen polnischen Grenzregionen und strich deren ethnische und kulturelle Polonizität gebührend heraus. Besonders pointiert war der Artikel über Schlesien geraten, dessen polnischen Charakter auch die jahrhundertelange preußische „Exterminations­politik“ nicht habe brechen können. Im Zusammenklang historischer, kultur-morphologischer, linguistischer, ethnographischer und wirtschaftlicher Argumente las sich der Beitrag wie ein Lehrtext der polnischen Westforschung, deren Paradigmen er in geballter Form zusammenfasste.140 Allerdings verharrte solche Propaganda auf dem Kongress im Schatten der wissenschaftlichen und geselligen Anlässe. Erstaunlicherweise widerfuhr dieses Schicksal auch einer wesentlich gewichtigeren Publikation: Dem deutschen Sammelband Deutschland und Polen, der erst nach dem Kongress die Aufmerksamkeit auf sich zog – dann aber mit viel Getöse. Bevor diese Entwicklung darzustellen ist, drängt sich jedoch ein Blick auf den zwischenzeitlichen Auf- und Ausbau der polnischen Westforschung und der deutschen Ostforschung auf.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 2.3.1 Entwicklung der polnischen Westforschung In Polen hatte sich die wissenschaftliche Westforschung zunächst fast ausschließlich an der Universität Posen entfaltet. Der Ruf nach weiteren Stützpunkten, die zusätzliche Ressourcen und eine breitere regionale Auffächerung versprachen, fand erst in den 1930er Jahren Gehör. Zweifellos hatte hierbei der intensivierte internationale Austausch im Umfeld der beiden Warschauer Kongresse mobilisierend gewirkt – nebst dem Historiker­kongress von 1933 hatte auch der Geographenkongress von 1934 in der polnischen Hauptstadt getagt. Insbesondere ein Forschungs­zentrum trat nun aus seinem vormaligen Schattendasein hervor und der Universität Posen tatkräftig zur Seite: das Ostsee-Institut in Thorn, dessen Anfänge in die Zwanzigerjahre zurückreichten. Mit dem Thorner Institut begann in Polen die wissenschaftlich argumentierende, aber politisch getragene West-

140 Maciej Masłowski, La Silésie, in: Pologne Littéraire. Numéro consacré au Congrès International des Sciences Historiques, 15. 8. 1933, S. 6. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Beitrag mit Grażyński abgestimmt worden war und als Kompensation für den verweigerten SchlesienAusflug diente. S. o.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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forschung.141 Seine Gründung um den Jahreswechsel 1925/26 ging auf den Bund zur Verteidigung der westlichen Grenzgebiete zurück;142 Ziel sollte es sein, Polens Stellung an der Ostsee im Klammergriff zwischen zwei expansionshungrigen Nachbarn zu sichern. Erster Institutsdirektor wurde der Wirtschaftsgeograph und Diplomat Stanisław Srokowski, der für eine Verbindung von Wissenschaft und Propaganda „nach deutschem Vorbild“ plädierte.143 Als strammer Nationaldemokrat wurde Srokowski allerdings bereits nach Piłsudskis Staatsstreich im Mai 1926 politisch untragbar. Seine Nachfolge trat der Mediävistik-Professor Teodor Tyc an, dessen Forschungen zur mittelalterlichen Siedlungsgeschichte stets auch auf die territorialen Interessen des modernen Polen abzielten.144 Sein unerwarteter Tod ließ die Institutsleitung 1927 abermals verwaist zurück. Schließlich ging sie auf den Ichthyologen Józef Borowik über, der das Institut mit großem Ehrgeiz zur Drehscheibe der Westforschung ausbaute.145 In den frühen Dreißigerjahren trat ihm der Historiker Roman Lutman zur Seite, der die Verbindung zur Geschichtswissenschaft wiederherstellte.146 Bei seiner Gründung hatte sich das Ostsee-Institut „die Erforschung der wirtschaftlichen, politischen und Nationalitäten-Verhältnisse des Ostseeufers

141 So auch die Sichtweise von Hackmann, Strukturen, 233–237. Zeitgenössische Berichte über die Tätigkeit des Instituts verzeichnet Andreas Lawaty/Anna Domańska, Deutsch-polnische Beziehungen in Geschichte und Gegenwart. Bibliographie, 1900–1998, 4 Bde., Wiesbaden 2000, Bd. 2, S. 644 f. Hagiographische Züge trägt die Darstellung von Piotrowski, W służbie nauki („im Dienste der Wissenschaft“). Vgl. die kontrapunktische Betitelung von Piotrowski, W służbie rasizmu („im Dienste des Rassismus“), über die Reichsuniversität Posen. Mäßig ergiebig, da ohne eigene Quellenarbeit, Petersens Versuch einer knappen Beziehungsgeschichte zwischen dem Ostsee-Institut und dem Königsberger Ostforschungs-Milieu. Hans-Christian Petersen, „Współpraca“ czy „negatywna interakcja“? Relacje pomiędzy niemieckimi badaniami wschodnimi w Królewcu a polską myślą zachodnią, in: PZ 67/2 (2011), S. 157–179. 142 Ursprünglich war die Initiative von dessen Komitee zur Unterstützung der polnischen Seefahrt ausgegangen. Hackmann, Strukturen, S. 233. Damals war in Polen der Glaube weitverbreitet, dass das Land einer aktiven maritimen Politik bedürfe, wenn es seine wirtschaftlichen Interessen wahren und Weltgeltung beanspruchen wollte. Dafür engagierte sich insbesondere die Meeres- und Kolonialliga (Liga Morska i Kolonialna). 143 Stanisław Srokowski, Instytut Bałtycki i jego zadania, in: Strażnica Zachodnia 1 (1926), S. 1–10; dazu Hackmann, Strukturen, S. 234. Als Muster empfahl Srokowski das Breslauer Osteuropa-Institut. Krzoska, Polen, S. 182. 144 Jörg Hackmann, „Volksgeschichte“ als Konzept der Geschichtswissenschaft in Osteuropa? Anmerkungen zum Vergleich von Historiographien, in: Matthias Middell/Ulrike Sommer (Hg.), Historische West- und Ostforschung in Zentraleuropa zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg – Verflechtung und Vergleich, Leipzig 2004, S. 179–201, hier S. 188. 145 Piotrowski, W służbie nauki, S. 52. 146 Zu Lutman Joachim Glensk, Roman Lutman, Opole 1986.

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unter dem Blickwinkel der mit ihnen verknüpften polnischen Interessen“ zum Ziel gesetzt.147 Auf dieser Grundlage sollten Öffentlichkeitsarbeit und Politikberatung betrieben werden. Im Vordergrund standen zunächst wirtschaftliche und demographische, in den Dreißigerjahren dann vor allem historische Aspekte.148 Offensichtlich verstanden es Borowik und Lutman, dem Institut allmählich die Unterstützung der lokalen und nationalen Machthaber zu sichern.149 Im Gegenzug zeigte sich das Institut beflissen, „jeden Verdacht zu vermeiden, dass seine Tätigkeit oppositionellen Charakter tragen könnte“.150 Zur oppositionellen Nationaldemokratie wahrte man Distanz und hob sich damit deutlich vom Posener Westforscher-Milieu ab, das von der herrschenden Sanacja mit ständigem Argwohn bedacht wurde. Auch vor kommunistischer Infiltration war man in Thorn auf der Hut – diesbezügliche Verdächtigungen aus dem Dunstkreis der Sicherheitsdienste verhinderten, dass Adam Lutman, Bruder des Vize-Direktors Roman Lutman und wie dieser Historiker, am Institut die Stelle seines nach Kattowitz abgehenden Bruders einnehmen konnte.151 Seine politische Umsicht brachte dem Institut geldwerte Vorteile ein: In den Dreißigerjahren konnte es im Gegensatz zu seinen bescheidenen Anfängen über ein stattliches Budget verfügen, das auch noch beachtliche Steigerungsraten verzeichnete und nicht einmal durch den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt in Mitleidenschaft gezogen wurde.152 Den größten Beitrag leistete die für Auslandpropaganda zuständige Presseabteilung des Außenministeriums.153 Förderlich waren der Mittel­

147 Statut Instytutu Bałtyckiego, 1926, Archiwum Akt Nowych [im Folgenden: AAN] MSZ/7225, Bl. 44 f. 148 Im Statutenentwurf von 1934 war die wirtschaftliche Orientierung in den Hintergrund getreten, dagegen wurde die allgemein-wissenschaftliche Ausrichtung stärker betont. Ebd., S. 46–48. 149 Nebst guten Beziehungen zum Außenministerium pflegte Borowik enge persönliche Kontakte zum Generalinspektorat der Streitkräfte. Dem Institutskuratorium gehörten u. a. der Wojewode von Pomorze, Stefan Kirtiklis, und der Generalinspektor der Armee, Aleksandr Osiński, sowie der Chełmer Bischof Okoniewski an. Wyciąg z księgi protokołów zebrań zarządu Instytutu Bałtyckiego, undatiert [1934], AAN MSZ/7225, Bl. 81. Eine enge Verbindung zur Lokalpolitik bestand seit der Institutsgründung. Krzoska, Polen, S. 181. 150 Józef Borowik an Tadeusz Cieślak, Sopot, 7. 4. 1966, APAN-W III-268/77, Bl. 8–11. 151 J. Borowik an den Leiter der Presseabteilung des MSZ, 23. 9. 1934, AAN MSZ/7225, Bl. 114 f. Ähnliche Sorgen vor kommunistischer Infiltration trieben zur gleichen Zeit Albert Brackmann, den Leiter der PuSte Berlin-Dahlem, um. Burleigh, Germany, S. 81–86. 152 Hatten 1926 nur 12 000 Złoty zur Verfügung gestanden, so waren für das Jahr 1934 schon gut 140 000 Zł. vorgesehen. 1936 war das Budget auf 250 000 Zł. angewachsen. Notatka w sprawie Instytutu Bałtyckiego, undatiert [Anfang 1935?], AAN MSZ/7230, Bl. 104–108, sowie Krzoska, Polen, S. 183. 153 Weitere Geldgeber waren die Lokalverwaltung (starostwo), das Kultus- sowie das Industrieund Handels­ministerium, diverse Stiftungen und Wirtschaftsvereinigungen. Hinzu kamen Erlöse aus Veranstaltungen und Publikationen. Plan finansowy na rok 1934, AAN MSZ/7225, Bl. 24.

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akquirierung wiederholte Hinweise auf die „unvergleichlich höheren finanziellen und intellektuellen Kräfte“, die Deutschland angeblich in den Kampf um die Ostseeküste investierte.154 Trotz dieser finanziellen Abhängigkeit und der damit verbundenen Nähe zur Politik gelang es Borowik nach eigenem Bekunden, dem Institut in inhaltlichen Belan­gen weitestgehende Freiheit zu wahren.155 Klagen aus dem Wirtschafts- und Außenministerium über fehlende Mitsprache­rechte scheinen diese Sichtweise zu bestätigen. Abhilfe sollte 1934 eine Statuten­änderung schaffen, die das Institut unter die unmittelbare Kontrolle der öffentlichen Hand gestellt hätte.156 Dass die deutsche Presse von diesen Plänen erfuhr und mit aufgesetzter Entrüstung die „politische Wissenschaft in Polen“ heraufziehen sah, gab Borowik jedoch die Argumente an die Hand, mit denen er die Reform­pläne abwenden konnte.157 Die Freiräume, die er und Lutman dem Institut auf diese Weise sicherten, beschränkten sich freilich auf Strategie und Taktik der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Deutschland; im Hinblick auf die übergeordneten Ziele der auswärtigen Politik Polens wusste man sich im Einklang mit dem Außenministerium. So erregte es in Thorn keinen Wider­spruch, als das Ministerium dem Institut 1935 seine Absicht kundtat, es im Hinblick auf das gesteigerte internationale Interesse an „Ostsee-Fragen“ künftig „über jene Themen in Kenntnis [zu] setzen, deren Bearbeitung es zum gegebenen Zeitpunkt besondere Bedeutung zumisst.“158 Sicherte die Kontaktpflege zur Politik die notwendigen finanziellen Mittel, so erschlossen die stetig ausgebauten Kontakte zur polnischen Wissenschaft die nötigen intellektuellen Res­sourcen. Beinahe jeder vierte polnische Wissenschaftler arbeite 1934 auf die eine oder andere Weise mit dem Institut zusammen, und gleichzeitig vermeldete Borowik nicht ohne Stolz, dass er während seiner Auslands­reisen im Ostseeraum und nach Großbritannien Dutzende von Kontakten zu ausländischen Wissenschaftlern angeknüpft habe.159 Solchermaßen ver-

154 S. z. B. Organizacja ruchu umysłowego na Pomorzu, Thesenpapier als Anlage zu: Vorstandsvorsitzender des Ostsee-Instituts, Toruń, an Wacław Przesmycki, Leiter der Presseabteilung im MSZ, 1. 11. 1934, Toruń, AAN MSZ/7225, Bl. 9. Zur spiegelbildlichen Argumentationsweise der deutschen Seite s. o., Kap. 2.2.1. 155 J. Borowik an Tadeusz Cieślak, Sopot, 7. 4. 1966, APAN-W III-268/77, Bl. 8–11. 156 Leonard Możdżeński, Dyrektor Departamentu, Ministerstwo Przemysłu i Handlu, an IB, 30. 3. 1934, AAN MSZ/7225, Bl. 55 f.; Beck, Podsekretarz Stanu, MSZ, Wyd. Pol. Pras., an IB, 10. 2. 1935, ebd., Bl. 115. 157 Roman Lutman an das MSZ, 13. 12. 1934, AAN MSZ/7225. Erschienen war der fragliche Beitrag im Organ des BDO, der Zeitschrift Ostland, Nr. 49, vom 7. 12. 1934. 158 Beck, Unterstaatssekretär in der Presseabteilung des MSZ, an das IB, 10. 2. 1935, AAN MSZ/7225. 159 Organizacja ruchu umysłowego na Pomorzu, AAN MSZ/7225, Bl. 9 ff.

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netzt, entfaltete das Institut eine beachtliche Aktivität. Seit 1930 veranstaltete es zahlreiche, vorwiegend pommernkundliche Konferenzen, deren Themenspektrum von den Kaschuben bis zum Transitverkehr nach Ostpreußen reichte.160 Die umfangreichen Forschungs­ erträge dieser Tagungen wurden der wissen­ schaftlichen Fachöffentlichkeit im Pamiętnik Instytutu Bałtyckiego zugänglich gemacht.161 Dabei dienten die Tagungen nicht nur der fachinternen Kommunikation, sondern waren bewusst darauf angelegt, Wissen­schaftler mit Regierungs­ vertretern, Verbandsfunktionären und Lokalpolitikern zusammen­zuführen. Sie galten bald auch der deutschen Ostforschung als Vorbild162 und erwiesen sich als so erfolgreich, dass das Modell nach 1945 auch in der Volksrepublik Polen fort­ geführt wurde. Dem Informationsfluss zwischen Wissenschaft und Politik diente außerdem ein Bulletin, das mehrmals im Monat einige hundert Entscheidungstive“ zu Fragen informierte, die mit trägern „aus wissenschaftlicher Perspek­ Pommern und „dem polnischen Zugang zum Meer“ in Verbindung standen. Wo spezifischer Beratungsbedarf bestand, erteilte die Abteilung weiterführende Auskünfte und führte zu diesem Zweck gegen Mitte der Dreißigerjahre eine umfangreiche Korrespondenz.163 Auf wissenschaftlicher Ebene betrieb das Institut neben seiner koordinatorischen Tätigkeit zunehmend auch eigene Forschungsvor­ haben, darunter eine Geschichte Ostpreußens, die uns noch beschäftigen wird, und einen historischen Atlas Pommerns; hinzu kamen archäologische und geopolitische Studien und eine laufende Pommern-Bibliographie.164 Im Vordergrund stand indes die Popularisierung vorhandener Ein- und Ansichten. Schon 1931 wurde die Einrichtung einer Abteilung für wissenschaftliche Propaganda möglich,165 die in den folgenden Jahren Vortragsreihen organisierte und einen stetig wachsenden Schriften­ausstoß koordinierte. Bis zum Kriegsausbruch sollte das Institut mehrere hundert wissen­schaftliche und populäre Publikationen herausbringen.166 Der Gipfel dieser Entwicklung war 1937

160 Dazu Krzoska, Polen, S. 183 f. 161 Preliminarz budżetowy Instytutu Bałtyckiego na rok 1934, AAN MSZ/7225, Bl. 23. 162 Ein Memorandum aus den Anfängen von Brackmanns PuSte gab 1932 zu bedenken, die innere Abstimmung der Ostforschung und ihre Ausstrahlung in die Öffentlichkeit könnten verbessert werden, wenn man die pommernkundlichen Tagungen des IB imitiere. Aufgaben des Publikationsfonds, 1932, BAB R 153/1. 163 Notatka dla Pana Naczelnika Wydziału, ungezeichnet, undatiert [Frühjahr 1934], AAN MSZ/8814, Bl. 25–28. 164 Preliminarz budżetowy Instytutu Bałtyckiego na rok 1934, AAN MSZ/7225, Bl. 23. 165 Hackmann, Strukturen, S. 236. 166 Georg Smolka, Die deutschen Ostgebiete in der polnischen Historiographie der Zwischenkriegszeit, in: Clemens Bauer (Hg.), Speculum historiale. Geschichte im Spiegel von Geschichts-

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erreicht, als das Institut die Vierteljahresschrift Jantar auflegte.167 Das Konzept dieser populärwissenschaftlichen, in großer Auflage verteilten Zeitschrift löste bei der Publikationsstelle Berlin-Dahlem ein solches Maß an Bewunderungen und Befürch­tungen aus, dass man dort noch im selben Jahr damit begann, die ganz ähnlich geartete Zeitschrift Jomsburg herauszubringen, in deren erster Ausgabe explizit auf das polnische Gegenstück Bezug genommen wurde.168 Zum publizistischen Hauptprojekt des Ostsee-Instituts avancierte gegen Mitte der Dreißigerjahre die Kleine Ostsee-Bibliothek.169 Darin erschienen ab 1934 nicht weniger als dreißig populärwissenschaftliche Bändchen zur Vergangenheit und Gegenwart Pommerns und Ostpreußens.170 Mit dieser Schriftenreihe zielten Borowik und Lutman über die Landes­grenzen hinweg auch auf ein internationales Publikum, denn kaum lagen die polnischen Text­fassungen vor, begann das Institut mit ihrer Übersetzung ins Englische. Den Bedarf nach dieser kostenintensiven Aktion begründete das Institut 1934 gegenüber der Presseabteilung des Außenministeriums mit der Notwendigkeit, der angeblich einseitigen Information des angelsächsischen Publikums durch die deutsche Wissenschaft gegenzusteuern: Die vorherrschende Meinung ist uns im Allgemeinen nicht gewogen und erklärt sich ganz einfach daraus, dass alle gezwungen sind, ihr Wissen über Polen aus den am stärksten verbreiteten Studien und Quellen deutscher Autoren zu schöpfen. Von unserer Seite gibt es keine ordentliche Gegenwehr; die erschienenen Bücher polnischer Autoren kann man an den Fingern einer Hand abzählen.171

Die Titel der englischen Parallelreihe – weitgehend identisch mit den polnischen Vorlagen – lesen sich wie ein repräsentativer Querschnitt durch die Themen der West­forschung. Die Tonlage der Reihe gab Józef Feldmans Darstellung über den Polnisch-deutschen Gegensatz in der Geschichte vor, der eine ausgesprochen nationalistische Sichtweise zugrunde lag. Józef Kostrzewskis Abriss der pommerschen Vorgeschichte reklamierte für die Slawen das ius primae occupationis an der

schreibung und Geschichtsdeutung (Festschrift für J. Spörl), Freiburg/München 1965, S. 703–719, hier S. 704. Eine Gesamtübersicht über die Veröffentlichungen des Instituts bis 1938 bietet Kompletny katalog wydawnictw Instytutu Bałtyckiego, Gdynia 1938. 167 Dazu Wiktor Pepliński, Problematyka kwartalnika Instytutu Bałtyckiego „Jantar“ (1937– 1939 i 1946–1949), in: Zapiski Historyczne 47/3 (1982), S. 63–74. 168 So das Vorwort in Jomsburg 1 (1937), S. 1 f. Der Hinweis hierauf bei Hackmann, Strukturen, S. 237. 169 Poln. Biblioteczka Bałtycka. 170 Preliminarz budżetowy, AAN MSZ/7225, Bl. 23. 171 Organizacja ruchu umysłowego na Pomorzu, AAN MSZ/7225, Bl. 9.

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Ostseeküste und trat der deutschen These von einer ursprüng­lich germanischen Besiedlung des Gebiets entgegen. Zygmunt Wojciechowski entwickelte in seiner Abhandlung über Mieszko I. und den Aufstieg des polnischen Staates seine Leitthese von den polnischen Mutterländern an Oder und Weichsel.172 Der Posener Mediävist Józef Widajewicz zeigte sich bemüht, die Verbindung der Westslawen an der Ostsee mit dem frühen polnischen Staat aufzuweisen.173 Damit trat er deutschen Studien entgegen, welche die Anhänglichkeit der Pomoranen gegenüber dem deutschen Kulturkreis herausstrichen. Das von Henryk Łowmiański dargestellte Schicksal der alten Prußen eignete sich dazu, die brutale Exterminations­ politik des Deutschritterordens herauszuarbeiten, dessen Ostseepolitik Leon Koczy als aggressive Expansionsbewegung kennzeichnete.174 Dass es sich dabei um eine Wiedereindeutschung alten germanischen Siedlungsbodens gehandelt habe, stellte er entschieden in Abrede. Zygmunt Wojciechowski fiel es zu, Preußens Aufstieg als rücksichtslose Verdrängungspolitik zu schildern, die Polen allmählich den Zugang zur Ostsee geraubt und damit seine Lebensadern abgeschnürt habe. In dem Bändchen wiederholte Wojciechowski das Postulat einer deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße, das er erstmals 1933 in der polnischen Ausgabe dieser Schrift vertreten hatte.175 Die Analogie solcher Sichtweisen zur Gegenwart verdeutlichte schließlich Roman Lutmans zeitgeschichtliche Darstellung über den Korridor.176 Die historische Argumentation fand multidisziplinäre Ergänzung, wobei der wirtschaftlichen Beweisführung hoher Stellenwert eingeräumt wurde. Diverse Studien der Taschenbibliothek suchten nachzuweisen, dass die deutschen Ostprovinzen schon seit dem 19.  Jahrhundert im ökonomischen Niedergang begriffen waren und der deutschen Volkswirtschaft zunehmend entbehrlich wurden, während Polens Überleben von einem eigenen Ostseehafen und freien Wasserwegen zur Küste abhing.177 Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Interpreta-

172 Józef Feldman, Polish-German antagonism in history, Toruń 1935; Józef Kostrzewski, The prehistory of Polish Pomerania, Toruń/London 1936; Zygmunt Wojciechowski, Mieszko I and the rise of the Polish state, Toruń/London 1936. 173 Józef Widajewicz, The Western Slavs on the Baltic, Toruń 1936. 174 Henryk Łowmiański, The ancient Prussians, Toruń/London 1936; Leon Koczy, The Baltic policy of the Teutonic order, Toruń 1936. 175 Zygmunt Wojciechowski, Rozwój terytorialny Prus w stosunku do ziem macierzystych Polski, Toruń 1933. 176 Roman Lutman, The truth about the „Corridor“, Toruń 1933. 177 Jan A. Wilder, The economic decline of East Prussia, Gdynia 1937; Józef Borowik, Gdynia, Poland’s gateway to the sea, Toruń 1933; Mieczysław Rybczyński, The Pomeranian Vistula, Toruń 1934; Antoni Gazeł, Foreign and local trade of the Baltic countries, Toruń/London 1936; Czesław Klarner, Silesia and Pomerania, basic elements of Poland’s economic independence, Toruń 1934.

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tion der sozialen Verhältnisse unter nationalen Vorzeichen. In den einschlägigen Bänden erschien die deutsche Herrschaft als zutiefst ungerechte nationalständische Ordnung, die die kulturelle Gängelung der Polen mit ihrer wirtschaftlichen Benachteiligung verbunden hatte.178 Solche Interpretationen wiesen bereits auf die Argumentationsmuster der Westforschung im kommunistischen Polen voraus. Die knapp zwei Dutzend Bändchen der Baltic Pocket Library erschienen zwischen 1935 und 1937 in Thorn und London. Darf man Borowiks Erinnerungen Glauben schenken, so erreich­ten die Schriften hohe Auflagen von 10  000, bisweilen gar 50  000  Exemplaren.179 Unum­wunden bezeichnete er sie rückblickend als „dankbares Propagandainstrument“, auch wenn Zuschriften britischer Polenfreunde an das Institut vermuten lassen, dass der Erfolg dieser Offensive zumindest in England unter der autoritären Wende der polnischen Obristen litt. So gab ein britischer Parlamentarier zu bedenken, dass die Sympathien der britischen Öffent­lichkeit für Polen nicht mit historischen und geopolitischen Argumenten zu erringen seien, sondern von der Frage abhingen, ob Polen eine rechtsstaatliche Demokratie sei. Nachrichten über grassierenden Antisemitismus und Scheinparlamentarismus ließen anderes vermuten.180 Im polnischen Außenministerium entnahm man dem Schreiben hellsichtig, dass die Propa­ ganda des Ostsee-Instituts „auf die Engländer nicht sehr überzeugend wirkt“.181 Allerdings erinnerte Borowik später daran, dass die Schriften des Instituts ihre volle Wirkung im Ausland erst während des Krieges entfaltet hätten, was nicht unwahrscheinlich klingt.182 Einstweilen ließ man sich in Thorn von skeptischen Stimmen nicht entmutigen, sondern schickte der englischen Ausgabe eine französische hinterher. Gewisse Zweifel an der antideutschen Frontstellung des Instituts regten sich in der Folge des deutsch-polnischen Kulturabkommens, das mit dem Nichtangriffspakt einherging. In Thorn ahnte man die herauf­ziehende Bedrohung der eigenen Existenzgrundlage voraus. Schon in den ersten Januartagen des Jahres 1934 ließ das Institut der Presseabteilung des Ministeriums für Aus-

178 Arthur Osbourne, Landownership and population in Pomerania, Toruń 1933; Florjan Znaniecki, The sociology of the struggle for Pomerania, Toruń 1933; Leon Wasilewski, Nationalities in Pomerania, Toruń 1934. 179 Józef Borowik an Tadeusz Cieślak, Sopot, 7. 4. 1966, APAN-W III-268/77, Bl. 8–11. Krzoska nennt indes – ohne Angabe seiner Quelle – nur Auflagen um die 2000 Exemplare. Krzoska, Polen, S. 185. 180 Josiah C. Wedgwood, Parlamentsabgeordneter und Oberst, an Józef Borowik [Kopie], undatiert [wohl Sommer 1935], AAN MSZ/7227, Bl. 35. 181 Polnische Botschaft in London an Skiwski, Leiter der Presseabteilung des MSZ, 24. 10. 1935, AAN MSZ/7227, Bl. 34. 182 Józef Borowik an Tadeusz Cieślak, 7. 4. 1966.

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wärtige Angelegenheiten (MSZ)183 ein Papier zukommen, in dem fortgesetzte Wachsamkeit gegen­ über Deutschland angemahnt wurde: Man beobachte, dass sich „die Speerspitze der [deut­schen] Publizistik“ weiterhin gegen Polen richte, weshalb man zumindest auf die wichtigsten deutschen Publikationen auch weiterhin „eine ruhige, aber angemessene und begründete Erwiderung“ geben wolle, die jeweils in einer der Weltsprachen publiziert werden müsse.184 Im Außenministerium gingen die Meinungen über den fortgesetzten Sinn und Zweck der Thorner Propagandaoffensive zu diesem Zeitpunkt auseinander. In der Presseabteilung war man der Auffassung, nach dem deutsch-polnischen Abkommen könne die Tätigkeit des Instituts nicht länger als propagandistischer „Kampfeinsatz“ weiter­geführt werden.185 Gegen diese Einschätzung verwehrte sich das Propagandareferat desselben Ministeriums jedoch energisch. Gerade im neuen Klima einer sachlicheren deutsch-polnischen Diskussion sei es nötig, „die Propaganda-Aktion zu entwickeln und dadurch die grundlegenden [polnischen] Auffassungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen dort zu verteidigen, wo sie mit objektiven wissenschaftlichen Untersuchungen gestützt werden können.“186 Ausschlaggebend für die weitere Deutschlandpolitik der Abteilung wurde schließlich die Einschätzung ihres stellvertretenden Leiters, der dem Ostsee-Institut im bisherigen „Abwehrkampf“ gegen die deutsche Propaganda große Verdienste zuschrieb und empfahl, dem Institut die Fertigstellung der laufenden Projekte zu ermöglichen. Eingedenk des Presse­abkommens riet er dazu, „das ganze pommernkundliche Material dann nach dem Druck durchzusehen und dasjenige davon, was sich gegenwärtig nicht zur Verbreitung eignet, im Institut oder im Außenministerium einzulagern, damit es bei Bedarf zur Hand ist und sofort eingesetzt werden kann.“187 So geschah es. Immerhin beschränkte das neue Statut von 1934 den Interessenkreis des Instituts ausdrücklich auf das Gebiet des polnischen Staates.188 Gleichzeitig begann man in Thorn, sich zunehmend nach Großbritannien und Skandinavien auszurichten, wo man neue Verbündete gegen Deutschland zu finden hoffte. Damit wurde der vom Presseabkommen diktierten Vorgabe Genüge

183 Poln. Ministerstwo Spraw Zagranicznych. 184 Antoni Wrzosek, IB, Nauka Niemiecka patrzy na Wschód, Januar 1934, AAN MSZ/7225, Bl. 10–12. Der Text wurde dem Leiter der Presseabteilung des MSZ zugestellt. Vorstandsvorsitzender des IB an Wacław Przesmycki, 11. 1. 1934, ebd., Bl. 9. 185 Kilka uwag, ungezeichnet, undatiert [1935?], AAN MSZ/8814, Bl. 27. 186 Notatka, ungezeichnet, undatiert [1935?], ebd., Bl. 30. 187 A. Wdziękoński, Stv. Leiter der Presseabteilung des MSZ, an den Leiter der Presseabteilung, 19. 3. 1934, AAN MSZ/8814, Bl. 50 f. 188 Artikel 3 des Statuts, dieses zitiert bei Piotrowski, W służbie nauki, S. 294–298.

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getan, von der direkten Konfrontation mit Deutschland wegzu­kommen.189 Sichtbarster Ausdruck dieser Entwicklung war seit 1935 die Zeitschrift Baltic Countries, in der auch ausländische Wissenschaftler zu Wort kamen.190 Auch in diesem Organ nahm allerdings die Auseinandersetzung mit deutschen Positionen breiten Raum ein, und 1936 zeigte sich Franz Morré irritiert darüber, dass die Zeitschrift Deutschland zwar ausdrücklich aus ihrem Interessenhorizont ausschließe, Ostpreußen aber von Heft zu Heft mehr Aufmerksamkeit widme.191 Noch stärker befremden musste aus dieser Warte, dass das Institut 1935 mit der Herausgabe einer Geschichte Ostpreußens begann. Obschon die polnische Historiographie dem Vor­dringen des Deutschritterordens und später des preußischen Staates gen Osten seit Jahren ein geradezu obsessives Interesse zuteil werden ließ, fehlte bisher eine angemessene Gesamt­darstellung dieses Vorgangs.192 Im Zuge der sogenannten „Preußendebatte“ auf dem polnischen Historikertag in Warschau war das Ostsee-Institut 1930 mit der Aufgabe betraut worden, die polnische Preußenforschung zu beleben.193 Geistige Väter des Konzepts waren die Posener Historiker Karol Górski und Zygmunt Wojciechowski. Ihnen schwebte vor, die Rolle des Ordens, der Hanse und Preußens unter besonderer Berücksichtigung ihrer polnisch-masurischen und litauischen Bezüge darzustellen. Da sich eine zusammenhängende Gesamtdarstellung als zu aufwendig erwies, wurde das Werk als Reihe von Studien heraus­gegeben, die zu den aus polnischer Sicht zentralen Fragen Stellung nahmen. Das Augenmaß dieser pragmatischen Lösung verdeutlicht der Ausblick auf ein ähnliches Projekt aus der späteren Volksrepublik, wo seit den frühen Siebzigerjahren beim Posener Westinstitut ein Autorenkollektiv ohne sichtbaren Ertrag an einer Geschichte Preußens arbeitete.194 Auch das Thorner Projekt aus der Zwischenkriegszeit gelangte freilich nicht zur Vollendung, erschien aber immerhin teilweise. Der erste Band beleuchtete die

189 Hier offenbarte das MSZ gegenüber dem IB dieselben Rücksichten auf Deutschland, die gleichzeitig die PTH bei ihrer Antwort auf den Sammelband Deutschland und Polen behinderten. S. u., Kap. 2.3.3. 190 1937 wurde sie zu Baltic and Scandinavian Countries umbenannt. 191 Franz Morré, Grenzfragen im Osten, in: JDG 12 (1936), S. 595–609, hier S. 596. 192 Streng genommen ging der hier zu beschreibenden Geschichte Ostpreußens ein Sammelwerk aus Posen knapp voraus; zeitlich und hinsichtlich des Autorenkreises fiel es aber mit dem wesentlich umfangreicheren Thorner Projekt beinahe zusammen. Marian Zawidzki (Hg.), Prusy Wschodnie. Przeszłość i teraźniejszość, Poznań 1932. 193 S. o., Kap. 2.1. 194 Von der ersten Startschuss-Konferenz des Projekts bis zum Erscheinen des Ersten Bandes sollte es genau 30 Jahre (1971–2001) dauern. Węzlowe problemy dziejów Prus XVII–XX w., Poznań 1971; Bogdan Wachowiak/Andrzej Kamieński, Dzieje Brandenburgii-Prus na progu czasów nowożytnych (1500–1701), 4 Bde., Bd. 1, Poznań 2001.

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Entwicklung des Deutschen Ordens bis 1525, der zweite sollte die Geschichte des Herzogtums Preußen behandeln, der dritte das polnische Element in der Bevölkerung Preußens und die polnischen Kultur- und Verfassungseinflüsse darlegen. Bis Kriegsausbruch erschien lediglich der erste Band, der ab 1935 in sieben Teilen publiziert wurde.195 Mit Blick auf das internationale Publikum begann das Institut wiederum, die Reihe zeitlich versetzt auch in englischer Sprache herauszubringen. Brackmanns Publikationsstelle ließ es sich trotzdem nicht nehmen, einige Bände als Arbeitsübersetzungen ins Deutsche zu über­tragen.196 Im Übrigen stießen die Bände in den Reihen der deutschen Ostforscher, die ihnen anfangs skeptisch entgegengeblickt hatten, mehrheitlich auf verhaltene Anerkennung. Darin mochten die Zwänge des Presseabkommens mit Resten einer traditionellen Wissenschafts­ auffassung konvergieren, welche Forschungsleistungen auch dann anerkannte, wenn deren Urteile von den eigenen abwichen. Erich Maschke erblickte in der Geschichte Ostpreußens gar ein Indiz für die Horizonterweiterung der polnischen Historiographie und Westforschung: Polen hat durch das Diktat von Versailles den Weg an die Ostsee gefunden. Die polnische Geschichts­schreibung hat sich im ersten Jahrzehnt nach Versailles mit der Brücke von Polen zum Meere, mit Pommerellen beschäftigt. Inzwischen ist die Forschung darüber hinausgewachsen. Sie sucht die ganze Geschichte des Ostseeraums zu überblicken. […] Sie geht auch den anderen Kräften und Mächten nach, die mehr als Polen an der Geschichte des Ostseeraums teilgehabt haben.“197

Unüberhörbar schwang in diesem Lob die Erwartung mit, im Ergebnis sachlicher Forschung müsse auch die polnische Wissenschaft Deutschlands historische Vormacht an der Ostsee anerkennen. Diese schulmeisterliche Attitüde war für den

195 Karol Buczek, Podstawy geograficzno-historyczne Prus Wschodnich, Toruń 1936; Henryk Łowmiański, Prusy pogańskie, Toruń 1935; Kazimierz Tymieniecki, Misja polska w Prusach i sprowadzenie Krzyżaków, Toruń 1935; Stanisław Zajączkowski, Podbój Prus i ich kolonizacja przez Krzyżaków, Toruń 1935; Leon Koczy, Polityka bałtycka Zakonu Krzyżackiego, Toruń 1936; Karol Górski, Ustrój państwa i Zakonu Krzyżackiego, Toruń 1938; Władysław Pociecha, Geneza hołdu pruskiego 1467–1525, Gdynia 1938. Den Inhalt der einzelnen Teilbände referiert Marian Bi­ skup, Die polnische Geschichtsschreibung zum Deutschen Orden, in: Michael Garleff (Hg.), Zwischen Konfrontation und Kompromiss. Oldenburger Symposium. Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem der 1930er/1940er Jahre, Oldenburg 1995, S. 73–94, hier S. 87–92. 196 S. Jan Baumgart, Co tłumaczyła „Publikationsstelle“? Wykaz polskich książek i większych rozpraw tłumaczonych w Berlinie w latach 1935–1944, in: PZ 4/1 (1948), S. 44–63. 197 Erich Maschke, Die Hanse in der polnischen Geschichtsschreibung, in: Altpreußische Forschungen 14/1 (1937), S. 15.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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damaligen Umgang der deutschen Ostforscher mit ihren polnischen Gegenspielern durchaus kennzeichnend. Bei aller Herab­lassung konnte sie freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der polnischen West­forschung gegen Ende der Dreißigerjahre gelungen war, sich in präzedenzlosem Umfang die Aufmerksamkeit der deutschen Wissenschaft zu erzwingen. Es ist bezeichnend für die polnische Einschätzung des Nichtangriffsvertrags mit Deutschland, dass nicht nur das Ostsee-Institut diesen Wendepunkt überlebte, sondern im selben Jahr gar noch ein weiteres Grenzland-Institut seine Arbeit aufnehmen konnte: Das Schlesische Institut in Kattowitz.198 Schon früh hatten die deutsch-polnischen Nationalitätenkämpfe im Umfeld der Volksabstimmungen Schlesien ins Bewusstsein der Westforscher gerückt. Das 1922 an Polen gefallene Ostoberschlesien besaß anfangs jedoch keine wissen­schaftlichen Einrich­tungen. Ersatzweise kümmerte sich die Krakauer Akademie der Wissen­schaften um schle­ sische Belange. Dort gab Stanisław Kutrzeba 1933–1935 mit finanziellen Zuschüssen der schlesischen Wojewodschaftsregierung eine dreibändige Geschichte Schlesiens heraus, die bis ins Jahr 1401 führte.199 Offen blieb zunächst der Wunsch nach schlagkräftiger Verbindung politischer Desiderate und wissenschaftlicher Argumente. Bereits 1926 hatte Teodor Tyc die Auffassung vertreten, dass im Kampf um den Besitz Schlesiens „gerade das Fehlen wissenschaftlicher Arbeiten […] für uns ein entscheidendes Hindernis war“.200 Drängend wurde der Wunsch nach einer ent­sprechenden Einrichtung im Hinblick auf das Auslaufen des Genfer Abkommens für Ober­schlesien, das 1937 bevorstand. Für die dann zu erwartenden Auseinandersetzungen und Ver­ handlungen wollte man besser gerüstet sein als zu Beginn der Zwanzigerjahre.201 Politische und finanzielle Unterstützung kam vom Verband zur Verteidigung der Westgebiete und dessen tatkräftigem Förderer, dem schlesischen Wojewoden Michał Grażyński.202 Als das Schlesische Institut im Mai 1934 eröffnet wurde,

198 Zeitgenössische Berichte über die Tätigkeit des Instituts verzeichnet Lawaty/Domańska, Deutsch-polnische Beziehungen, Bd. 2, S. 645–647. 199 Stanisław Kutrzeba (Hg.), Historia Śląska od najdawniejszych czasów do roku 1400, 3 Bde., Kraków 1933–1935. Dazu Hackmann, Strukturen, hier S. 238; Grabski/Madajczyk, Niemcy w hi­ storiografii, S.  42. Die deutschen Historiker reagierten 1936 mit einer Sammel­rezension in der Zeitschrift Osteuropa. Ebd., S.  42. Das deutsche Gegenstück zur polnischen Landesgeschichte war Hermann Aubin (Hg.), Geschichte Schlesiens, Breslau 1938. Von dem mehrbändig geplanten Werk erschien nur Bd. 1 (Von der Urzeit bis zum Jahr 1526). 200 Hackmann, Strukturen, S. 237. 201 Krzoska, Polen, S. 187; Hackmann, Strukturen, S. 238. 202 Bogdan Cimała, Geneza i rozwój Instytutu Śląskiego w Katowicach, in: Krystian Heffner (Hg.), Instytut Śląski 1934–1994, Opole 1994, S. 20–31, hier S. 25.

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war es wie sein Thorner Vorbild als Verein konstituiert, und wie in Thorn gehörte dem Kuratorium der lokale Wojewode an. Direktor wurde Roman Lutman, der zu diesem Zweck das Ostsee-Institut verließ. Eingedenk der aus polnischer Sicht unbefriedi­genden Teilung von 1922 richtete das Institut seine Interessen ausdrücklich auf ganz Schlesien; wie im Falle des Thorner Schwesterinstituts trug seine Arbeit damit irredentistische Züge. Unter Hinweis auf die „politischen Zeiterfordernisse“ wollte man sich in Kattowitz mit den juristischen, sozioökonomischen und zeitgeschichtlichen Auswirkungen des Genfer Abkommens beschäftigen. Eine Reihe von Publikationen sollte gezielt dem damals noch deutschen Oppelner Schlesien gelten.203 Seine verhältnismäßig späte Gründung suchte das Institut durch rege Geschäftigkeit wettzumachen. Eine dickleibige Publikation ermittelte als erstes Stand und Erfordernisse der polnischen Wissenschaft in Schlesien.204 Dem Gedanken der Forschungsförderung entsprach die gezielte Erfassung in- und ausländischer Silesiana in einer laufenden Bibliographie sowie die Suche nach ein­ schlägigem Quellenmaterial zur polnischen Vergangenheit Schlesiens in lokalen Bibliotheken und Archiven. Damit sollte eine Alternative zu den Archiven im deutschen Breslau geschaffen werden, die polnischen Forschern nur beschränkt zugänglich waren. Sodann galt es, die gewonnenen Erkenntnisse möglichst rasch unters Volk zu bringen. Insbesondere die Schule wollte mit dem nötigen Rüstzeug für einen national­bewussten Unterricht versehen werden. Zu diesem Zweck gab das Institut eine Reihe illustrierter Handbücher heraus, die unter dem Titel Schlesien, Land und Leute in gedrängter Form eine polnische Sichtweise der schlesischen Gegenwart und Ver­gangen­heit entfalteten. Die Presse bediente man regelmäßig mit besonderen Mitteilungen. Einige von ihnen waren der polnischen „Mehrheit“ in Westober­schlesien gewidmet, andere brachten Zusammen­ stellungen deutscher Pressestimmen zur polnischen „Volkstumsarbeit“. Fremdsprachige Übersetzungen sollten die Inhalte dieser Mitteilungen über die Grenzen Polens hinaustragen – so wurde es zumindest auf der Jahrestagung des Instituts angekündigt. Neben seiner publizistischen Offensive entfaltete das Schlesische Institut eine rege Vortrags­tätigkeit, die etwa den Anteil Schlesiens am früheren gesamtpolnischen Staatsgebiet darstellte, Die Kulturverbindungen Schlesiens mit

203 Die einschlägigen Passagen aus dem Statut des Instituts zitiert A., Das Schlesische Institut in Kattowitz, in: Deutschland und Polen. Monatsbeilage zur Ostdeutschen Morgenpost, 15. 3. 1936, S. 1, Exemplar aus dem AAN MSZ/7225, Bl. 17. Diesem bei aller Polemik sehr faktenreichen Artikel folgen, wo nicht anders vermerkt, die weiteren Angaben. S. auch IV. Rocznik Towarzystwa Pryjaciół Nauk na Sląsku (1935). 204 Roman Lutman (Hg.), Stan i potrzeby nauki polskiej o Śląsku, Katowice 1936.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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Krakau an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts und Die polnische Sprache in Schlesien herausstrich oder Die schlesische Frage auf der Versailler Friedenskonferenz beleuchtete. Als Referenten traten Universitäts­professoren aus Krakau und Posen ebenso auf wie Journa­listen und Mittelschullehrer. Die Vorträge wurden anschließend als billige Druck­schriften publiziert.205 Der deutschen Öffentlichkeit wurde die Aktivität des Schlesischen Instituts 1936 im gewohnt alarmierten Tonfall hinterbracht, der jeweils dazu diente, eine bessere Alimentierung der eigenen „Abwehrforschung“ einzufordern. Ein gewisser „A.“ bezeichnete das Institut als Einrichtung, für die sich die deutsche Wissenschaft „in allerhöchstem Maße“ interessieren müsse:206 In dieser Stätte der Wissenschaft werden die Waffen für die polnische Staatspolitik geschmiedet. […] Politik und Wissenschaft des wiedererstandenen Polens gehen Hand in Hand, mit allen Mitteln den Rechtsanspruch auf die polnischen „Westmarken“ zu begründen, und die Welt davon zu überzeugen, dass Polen auch heute noch benachteiligt ist, weil die außerhalb der polnischen Staats­grenzen gebliebenen Teile Schlesiens „polnisch“ seien […] Die Tatsache, dass das Schlesische Institut gerade unmittelbar nach dem deutschpolnischen Verstän­digungspakt errichtet wurde, ist eine polnische Betonung der Selbstverständlichkeit, dass die national­politische Auseinandersetzung zwischen Deutschtum und Polentum über die umstrittenen Gebiete auch nicht während der Geltungsdauer von Staatsverträgen ruht und ruhen kann. Dass Deutschtum darf also auch nicht untätig sein! Wenn die deutsche Wissenschaft nicht mit eigener Initiative hervortritt, dann müssen Volk und Staat nachhelfen. Es muss etwas geschehen!207

Dieser Aufruf verhallte jedoch weitgehend ungehört. Anders als in Polen entstand in Deutsch­land kein gesondertes Institut für schlesische Landeskunde, wie es sich insbesondere die Breslauer Ostforscher um Aubin gewünscht hätten. Forschungsprojekte wie die von Aubin im Rahmen der 1921 gegründeten Historischen Kommission für Schlesien herausgegebene Geschichte Schlesiens208 blieben auf die Unterstützung durch Stellen wie das Breslauer Osteuropa-Institut oder Brackmanns Berliner Publikationsstelle angewiesen.

205 A., Institut. 206 Es ist möglich, aber nicht belegbar, dass sich hinter dem Initial Hermann Aubin verbarg. 207 A., Institut. 208 Von dem mehrbändig geplanten Werk erschien jedoch nur der erste Band als Aubin (Hg.), Geschichte Schlesiens. Zur Geschichte des Projekts ausführlich Mühle, Volk, S. 271–283.

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2.3.2 Entwicklung der deutschen Ostforschung Wir haben es miterleben dürfen, wie ein wissenschaftliches Forschungsergebnis vor unseren Augen zu wirkendem Volksbewusstsein geworden ist. (Hermann Aubin, 1937)209

Die Entwicklung der deutschen Ostforschung in den Dreißigerjahren wird gerne als zielstrebiger, geradliniger Weg hin zu einer wohlorganisierten und schlagkräftigen Kampf­wissenschaft geschildert.210 Zweifellos gelang es der Disziplin in jenen Jahren, ihre institutio­nellen Ressourcen auszubauen und ihre Leitvorstellungen zu präzisieren und zu verbreiten. Es sollte aber nicht übersehen werden, dass persönliche Rivalitäten zwischen Platzhirschen und Emporkömmlingen, institutionelle Umbrüche und irrlichternde Paradigmen die kontinuierliche wissenschaftliche und popularisierende Arbeit bis weit in die Dreißigerjahre – und erneut während des Zweiten Weltkrieges – erschwerten. Unter diesen Umständen blieben sowohl der wissenschaftliche Rückhalt wie auch die öffentliche Ausstrahlung der Ostforschung oft hinter den ehrgeizigen Zielen ihrer Akteure zurück. Zwar verfügte die wissenschaftliche Bearbeitung des deutschen Ostens mit der Leipziger Stiftung für Volks- und Kulturbodenforschung und ihrer Zentralstelle für Ostforschung seit 1926 über eine staatlich finanzierte Förderungsinstitution; um entsprechenden Forschungen den nötigen Schwung zu verleihen, hatte der Leipziger Stiftung jedoch stets die kritische Masse gefehlt. 1931 musste sie ihre Aktivitäten nach Unregelmäßigkeiten gar gänzlich ein­stellen. Sollte die Wissenschaft dazu gebracht werden, Deutschlands ‚Schicksalsfragen im Osten‘ zu lösen, so war ein neuer, entschlossener Anlauf nötig. Als Mann der Stunde erwies sich Albert Brackmann, der deutschnationale Gesinnung mit fachlichem Gewicht verband.211 Der Erste Weltkrieg, den er als Lehrstuhlinhaber in Königs-

209 So Aubin in der Einleitung einer Aufsatzreihe über die deutsche Ostbewegung in Deutsches Archiv (1937). Zitiert nach Walter Schlesinger, Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung und die deutsche Ostforschung [1964], in: ZfO 46 (1997), S. 427–457, hier S. 442. 210 Diese Sichtweise findet sich nicht nur bei ostdeutschen und volkspolnischen Historiographiegeschichtlern, sondern auch in der neueren Forschung, so z. B. bei Haar, Historiker. Interessant scheint, dass auch die bundesdeutschen Ostforscher der Fünfzigerjahre den Umfang der Vorkriegsforschung gerne übertrieben, um so die Messlatte für eine Restituierung der Zunft in der BRD möglichst hoch zu hängen. S. etwa Peter-Heinz Seraphim, Notwendigkeit deutscher Ostforschung [Denkschrift], 4. 2. 1953, BAK B 106/1160. 211 Lobend hervorgehoben und ausführlich erläutert wird dieser Umstand bei Ernst Vollert, Albert Brackmann und die ostdeutsche Volks- und Landesforschung, in: Hermann Aubin/Otto Brunner/Wolfgang Kohte/Johannes Papritz (Hg.), Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem Ersten Weltkrieg, 2 Bde., Bd. 1, Leipzig 1942, S. 3–11.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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berg erlebt hatte, hinterließ ihn als Vorkämpfer für den deutschen Osten, der sich in der Deutschnationalen Volkspartei und im Ostmarkenverein gegen die Versailler Grenzziehungen engagierte. 1922 übernahm er den Berliner Lehrstuhl von Dietrich Schäfer, dessen chauvi­nistisches Profil er bruchlos weiterführte. Zu Beginn der Dreißigerjahre bereits knapp sechzig Jahre alt, hatte sich der Mediävist zur wohl einflussreichsten Einzelpersönlich­keit auf dem Feld der deutschen und insbesondere preußischen Geschichte emporgearbeitet.212 Als Mitherausgeber der HZ und der Jahresberichte für Deutsche Geschichte wirkte er maßgeblich auf die fachinterne Meinungsbildung ein.213 Seinen Einsatz für die Ostforschung erhöhte Brackmann schrittweise. Bei den Jahres­berichten hatte er Grenztumsfragen von Beginn an hohen Stellenwert eingeräumt und dabei das Augenmerk zunehmend auf die Ostgrenze des Reichs gewandt.214 Auch bei der HZ verschaffte er entsprechenden Fragestellungen – gemeinsam mit Rothfels – ein Podium.215 Als Direktor des Preußischen Staatsarchivs und des Geheimen Staatsarchivs in Berlin eröffneten sich ihm ab 1929 zusätzliche Möglichkeiten, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der „östlichen“ Geschichtswissenschaft „stärker politisch zu aktivieren“, die er unverzüglich ergriff. Seine Maßnahmen zielten gleichermaßen darauf ab, die deutsche wissenschaftliche „Abwehr“ zu stärken und die Forschung der slawischen „Feindwissenschaft“ zu beschränken. Benutzungsanträge polnischer und sowjetischer Forscher wurden daher seit Brackmanns Amtsantritt äußerst schleppend behandelt.216 Noch 1929 begann Brackmann damit, an seinem Archiv die personellen und dokumentarischen Ressourcen aufzubereiten, die er für die geschichtspoli-

212 Wolfgang J. Mommsen, Vom „Volkstumskampf“ zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Osteuropa. Zur Rolle der deutschen Historiker unter dem Nationalsozialismus, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2000, S. 183–214, hier S. 188. 213 Die Jahresberichte für deutsche Geschichte betreute er gemeinsam mit Fritz Hartung seit ihrer Neuauflage 1926; Mitherausgeber der HZ war er 1928–1935. Burleigh, Germany, S. 45. S. auch Michael Burleigh, Albert Brackmann (1871–1952) Ostforscher. The years of retirement, in: Journal of Contemporary History 23/4 (1988), S. 573–588. 214 Seit 1925 führten die Jahresberichte ein Kapitel über „Grenzlande und Auslanddeutschtum“ (unter diesem und ähnlichen Titeln), in dessen Rahmen Lattermann regelmäßig über das „Deutschtum in Polen“ berichtete. Ab 1933 wurde ein eigenes Kapitel zu den „Grenzfragen im Osten“ geführt. Erich Randt, Grenzfragen im Osten, in: JDG 8 (1932), S. 564–575. (Das nominale Erscheinungsjahr ist irreführend – die Bände erschienen in der Regel mit einjähriger Verzögerung.). 215 Zu volksgeschichtlichen Beiträgen in der HZ ab Mitte der Dreißigerjahre s. Oberkrome, Volksgeschichte, S. 180–183. 216 Haar, Historiker, S. 107.

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tische Auseinandersetzung mit Polen benötigte. Das damals gegründete Institut für Archivwissenschaft und geschicht­liche Weiterbildung (IfA) war von Beginn an darauf ausgerichtet, der Ostforschung den nötigen Nachwuchs heranzuziehen.217 Gleichzeitig leitete Brackmann die Aufarbeitung der im Dahlemer Archiv eingelagerten Archivalien aus den verlorenen Ostprovinzen in die Wege und hoffte, damit die deutschen Ansprüche auf Westpreußen zu stärken.218 Mit der Schließung der Leipziger Stiftung sah Brackmann im Sommer 1931 den Augenblick gekommen, den Um- und Ausbau der Ostforschung an sich zu ziehen und die freigewordenen wissenschaftlichen Ressourcen in Berlin zu bündeln. „Kenner[n] des Ostens“ und Referenten der interessierten Ministerien schlug er eine „Vereinheitlichung“ der historischen Forschung zu „Ostmarkenfragen“ vor.219 Aus seiner Sicht hatte die deutsche Wissenschaft sich bisher kampflos von der „intellektuelle[n] Offensive“ der Polen überrollen lassen. Jenseits der Grenze würden die deutschlandfeindlichen Aktivitäten laufend verstärkt und zu diesem Zweck besondere Einrichtungen wie das Thorner Ostsee-Institut gegründet, die sich ganz der „angewandte[n] Wissenschaft“ verschrieben hätten. Polnische Forscher drängten massiert in deutsche Archive, um dort Material für tendenziöse „Geschichts­klitterungen“ zusammen­zutragen. Ein neues Archivgesetz und Aktensperrungen müssten diesem Treiben Einhalt gebieten.220 Von Recke, dem Leiter des Danziger Ostland-Instituts, kam der Vorschlag, eine systematische Übersicht über die polnische Westforschung aufzubauen. Brackmann schlug eine zentrale Dokumentationsstelle vor, die polnische Einrichtungen, Forscher und Schriften verzeichnen und gleichzeitig auch deutsche Arbeiten zur polnischen Frage erfassen sollte. Bei passiven Maßnahmen wollte es Brackmann aber nicht bewenden lassen, vielmehr sollte die deutsche Wissenschaft der polnischen Forschung auch aktiv entgegentreten. Dazu müssten, so Brackmann, die existierenden Osteinrichtungen ihre Anstrengungen bündeln und gezielt auf Polen ausrichten, das bisher zugunsten der Sowjetunion sträflich vernachlässigt worden sei. Bisher existiere in ganz Deutschland kein einziger Lehrstuhl für polnische Geschichte; selbst die

217 Zu erkennen war dies u. a. daran, das Polnisch als Pflichtfach geführt wurde. Burleigh, Germany, S. 47; Haar, Historiker, S. 108. 218 Bezweckt wurde, mithilfe der Verwaltungs­zeugnisse die deutschen Traditionen der Region sichtbar zu machen. Burleigh, Germany, S. 48. 219 Protokoll über die Konferenz im großen Sitzungssaal des Preußischen Staatsministeriums, 15. 7. 1931, BAB R 153/1. Anwesend waren die Historiker Hoetzsch, Laubert und Recke sowie der Slawist Max Vasmer, zu ihnen gesellten sich neun preußische Archivdirektoren sowie Vertreter des AA und des Preußischen Staatsministe­riums. 220 Burleigh, Germany, S. 50 f.; Haar, Historiker, S. 109.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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Sprachausbildung sei nicht gewährleistet. Hier könne das IfA einspringen und Sprach­kurse sowie Vorlesungen zur polnischen Geschichte anbieten. Unübersehbar verband sich in dieser Darstellung Eigenwerbung mit der Kritik an Nebenbuhlern. Entsprechend skeptisch begegnete der Berliner Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch den Plänen seines neuen Konkurrenten, doch konnte er weder Brackmanns Kritik am geringen Umfang der deutschen Polen­forschung widerlegen noch die Zustimmung des Auswärtigen Amtes und des Preußischen Staats­ ministeriums zu Brackmanns Plänen verhindern. So wurde ein Schulterschluss der herkömmlichen Osteuropa­ kunde und der neuen Ostforschung ins Auge gefasst: Gemeinsam mit Hoetzsch und Vasmer sollte Brackmann für das preußische Kultusministerium Vorschläge zur Aufwertung des Studiums der polnischen Geschichte ausarbeiten.221 Tatsächlich wurde im November 1932 am Seminar für Osteuropäische Geschichte in Berlin eine Professur für polnische Geschichte geschaffen, die jedoch auf Jahre hinaus unbesetzt blieb.222 Zügiger ging man in Dahlem zu Werke, wo unverzüglich mit dem Aufbau einer neuen Zentral­stelle für Ostforschung begonnen wurde.223 Kenntnis davon erlangten freilich nur Eingeweihte, denn die Einrichtung mit dem unscheinbaren Namen Publikationsstelle unter Leitung von Johannes Papritz operierte selbst für die wissenschaftliche Fach­öffentlich­keit weitgehend unsichtbar.224 Das war ein bemerkenswertes Novum und ein auffälliger Gegen­satz zur polnischen Westforschung, deren sämtliche Einrichtungen öffentlich agierten. So geheim die Einrichtung selbst war, so sehr zielten ihre Bemühungen auf öffentliche Wirkung. Möglichst rasch sollte ein umfangreicher Publikationsplan die Lücken schließen, die nach Brackmanns Auffassung in der deutschen Abwehr klafften.225 Ein erster Schwer­punkt lag auf der preußischen Verwaltung

221 Ebd., sowie Michael Burleigh, Wissenschaft und Lebenswelt. Generaldirektor Brackmann und die nationalsozialistische Ostforschung, in: WerkstattGeschichte 8 (1994), S.  69–75, hier S. 50. 222 Burkert, Ostwissenschaften, S. 444–451. 223 Noch 1931 erhielt Brackmann dafür Gelder vom Reichsministerium des Innern und vom Auswärtigen Amt. Burleigh, Germany, S. 88. Förmlich gegründet und der Leitung von Johannes Papritz unterstellt wurde die PuSte zum Jahresbeginn 1932. Ebd., S. 53. 224 Ein ganzes Jahrzehnt lang fand sie in der deutschen Fachpresse nicht die geringste Erwähnung. Erst 1941 erschien eine kurze Notiz in: Tagung deutscher wissenschaftlicher Ost- und Südostinstitute, Breslau, 25. bis 27. September 1941, Breslau 1942; knapp porträtiert wurde sie erstmals in: Die Publikationsstelle Berlin als Mittler in Ostfragen, in: Mitteilungen der Reichsstiftung für deutsche Ostforschung 3 (15. 11. 1943), S. 12 f. So die Ergebnisse der bibliographischen Recherchen von Baumgart, Organizacja, S. 971. Die erste wissenschaftliche Darstellung zur Tätigkeit der PuSte legte 1984 Piotrowski vor. Piotrowski, Propaganda. 225 Baumgart, Organizacja, hier S. 970.

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der Ostprovinzen vor 1918, ein zweiter galt der ostdeutschen Siedlungs- und Kulturgeschichte. Hier sollte Dmitrij Je­gorovs These vom slawischen Charakter der mecklenburgischen Binnen­kolonisation im dreizehnten Jahrhundert widerlegt und gezeigt werden, dass Pommern keinesfalls alter polnischer Volksboden sei. Ein dritter Themenbereich widmete sich den preußisch-polnischen Beziehungen. Dabei sollte insbe­sondere widerlegt werden, dass der Teilungsgedanke aus Berlin gekommen sei. Ein vierter Schwerpunkt galt schließlich dem Deutschtum in Polen.226 Als Bearbeiter wurden dreizehn Historiker und Archivare verpflichtet. Auf diese Weise hoffte man, den Polen die Initiative in der Auseinandersetzung zu entreißen und ihnen gleichzeitig den Zugang zu preußischen Archiven zu erschweren – denn unter Hinweis auf das Publikationsprojekt ließen sich umfangreiche Bestände sperren.227 Wollte die Publikationsstelle zur Nabe der gesamten deutschen Ostforschung werden, mussten indes Wege gefunden werden, ihren Einfluss über den kleinen Kreis der direkt von ihr abhängigen Stipendiaten und Autoren auszuweiten. Zu diesem Zwecke bot es sich an, regelmäßige Tagungen zu veranstalten oder einen Forschungsverbund zu begründen. Als Vorbild schwebte Brackmann das Thorner Ostsee-Institut und dessen pommernkundliche Tagungen vor, nach deren Vorbild er den Zusammenhalt und die Ausstrahlung der Ostfor­schung verbessern wollte.228 Gewissermaßen als Pilotprojekt einer zentral gelenkten Auseinandersetzung mit Polen konnte der Sammelband Deutschland und Polen verstanden werden, der von der Publikationsstelle koordiniert wurde. Ziel war jedoch die Verstetigung dieser Führungs­funktion. Brackmanns Vernetzungsabsichten trafen sich im Verlauf des Jahres 1933 mit dem Bestreben der Deutschtumsverbände, die Grenzland- und Volkstumsforschung nach dem Ende der Leipziger Stiftung neu zu organisieren. Im Einklang mit dem Reichsministerium des Innern und dem Auswärtigen Amt betrieb zunächst der Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) die Gründung regionaler Forschungsgemeinschaften, die den wissen­ schaftlichen „Volkstumskampf“ an den Flanken des Reichs organisieren sollten. Bis Oktober 1933 entstanden eine Alpenländische, eine Westdeutsche und eine Südost­deutsche Forschungsgemeinschaft.229 Als Leiter einer noch zu gründenden Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft fasste der VDA Brackmann ins

226 Ebd.; S. 972; Haar, Historiker, S. 113–115. Albert Brackmann, Jahresbericht zur Ostmarkenforschung für 1932/1933, BAB R 8043, 1170, Bl. 175–183. 227 Haar, Historiker, S. 115. 228 Aufgaben des Publikationsfonds, 1932, BAB R 153/1; Burleigh, Germany, S. 54. 229 Grundlegend zu den Forschungsgemeinschaften Fahlbusch, Wissenschaft.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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Auge, der zwar Skrupel gegen eine politisch gelenkte Forschung vorschützte, sich aber dennoch als geeigneter Kandidat zu präsentieren wusste.230 Hier wird Brackmanns Gratwanderung zwischen Politik und Wissenschaft erkennbar: Eine in ihren Zielen politische, in ihren Methoden jedoch wissenschaftliche Ostforschung, wie sie ihm vorschwebte, ließ sich seines Erachtens nur verwirklichen, wenn es gelang, die aufstre­bende Zunft einerseits von der traditionellen Osteuropa­wissenschaft abzusetzen, der es an politischem Kampfgeist fehlte, sie andererseits aber auch gegen die übermäßige Einfluss­nahme der Deutschtumsverbände abzuschotten, denen das Verständnis für die wissenschaft­ lichen Anforderungen abging, die sich auch und gerade der politisch engagierten Forschung stellten. Hinzu kam gewiss der eigennützige Wunsch, den abgesteckten Claim auf dem Feld der angewandten Wissenschaft gegen die Konkurrenten aus beiden Lagern zu verteidigen, zumal der Konkurrenzkampf zusehends härter wurde. Auf Seiten der Wissenschaft schickten sich die Universitäten Breslau und Königsberg an, ihre Bemühungen um den ‚deutschen Osten‘ zu verstärken.231 Unter dem Einfluss von Hermann Aubin wuchs das Breslauer Osteuropa-Institut über seine rein wirtschafts­wissenschaftlichen und völker­rechtlichen Anfänge hinaus und öffnete sich zunehmend auch der historischen Ostforschung; allerdings blieb die dortige Tätigkeit aufgrund häufiger Personalwechsel unstet.232 In den folgenden Jahren gelang es Brackmann jedoch, den umtriebigen Breslauer Kollegen in eine enge Zusammenarbeit einzubinden. Die Königsberger Ostforschung sollte 1934 durch den erzwungenen Abgang ihres Doyens Hans Rothfels einen herben Rückschlag erleiden; in der Folge verstand es Brackmann, mit einem Netz regionaler Landesstellen für Nachkriegsgeschichte auch in Ostpreußen Fuß zu fassen und dabei Theodor Schieder an sich zu ziehen.233Auf politischgesellschaftlicher Ebene entstand Ende Mai 1933 in Gestalt des Bundes Deutscher Osten (BDO) eine neue Großorganisation, die sich anschickte, Schulung und

230 Haar, Historiker, S. 150 u. 152. 231 Zu diesem Zweck legten beide Hochschulen umfangreiche Ostprogramme auf, die vorerst aber auf den Status von Absichtserklärungen beschränkt blieben. Ebd., S. 154 f. 232 Dazu Hans-Jürgen Bömelburg, Das Osteuropa-Institut in Breslau 1930–1940. Wissenschaft, Propaganda und nationale Feindbilder in der Arbeit eines interdisziplinären Zentrums der Osteuropaforschung in Deutschland, in: Michael Garleff (Hg.), Zwischen Konfrontation und Kompromiss. Oldenburger Symposium. Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem der 1930er/1940er Jahre, Oldenburg 1995, S. 47–72. Eine Übersicht zeitgenössischer Berichte zur Tätigkeit des Instituts findet sich bei Lawaty/Domańska, Deutschpolnische Beziehungen, Bd. 2, S. 647 f. 233 S. u. a. Mommsen, Volkstumskampf, S. 189–196.

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Forschung zum ‚Deutschen Osten‘ unter ihre Kontrolle zu bringen.234 Ähnliche Ansprüche meldete der ‚Stellvertreter des Führers‘ Rudolf Heß an, der zu diesem Zweck einen Volksdeutschen Rat gründete, mit dessen Leitung er den Geopolitiker Karl Haushofer – seinen ehemaligen Professor – und Hans Steinacher vom VDA betreute.235 Unter diesen Umständen kam es am 19.  Dezember 1933 zur Gründungstagung der Nordost-Deutschen Forschungs­gemeinschaft in Berlin. Die Vertreter der maßgeblichen Deutschtumsverbände und des Innen-, Außen-, Erziehungs- und Propagandaministeriums hatten sich eingefunden, um ihr Interesse an der Ostforschung zu bekunden und ihre Ansprüche geltend zu machen. Von Seiten der Wissenschaft waren 25 Forscher erschienen, darunter die Professoren Hermann Aubin, Manfred Laubert, Erich Keyser, Otto Hoetzsch, Rudolf Kötzschke, Franz Steinbach, Hugo Hassinger, Max Vasmer und Walther Vogel, sowie die Privatdozenten Erich Maschke, Walter Kuhn und Franz Anton Doubek; hinzu kamen Johannes Papritz und weitere Archivare.236 Gleich zu Beginn erklärte Brackmann die NOFG zur wissenschaftlichen Kampfvereinigung, die ihre Aufgabe im Rahmen von Hitlers Ostpolitik und im Zusammenspiel mit den deutsch­tumspolitischen Massenverbänden BDO und VDA erfüllen wolle.237 Hans Steinacher dachte ihr die Aufgabe zu, „geistige Waffen der Abwehr wie des Angriffs für das Deutschtum zu schmieden“, und beanspruchte sodann die Oberaufsicht über den Forschungsverbund für den Volksdeutschen Rat.238 Dagegen verzichtete Theodor Oberländer als Leiter des BDO auf die Geschäftsführung der neuen Einrichtung und überließ den Historikern den Vortritt, den Brackmann entschieden an sich zog.239 Als frischgebackener Vorstands­vorsitzender der neuen Forschungsgemeinschaft erhielt er die Kompetenz, die Arbeits- und Budgetpläne aller mit ostdeutschen Fragen befassten Forschungsstellen zu kontrollieren und auf weite Bereiche der einschlägigen Forschungsförderung Einfluss zu nehmen, um eine „einheitliche Arbeits­methode“ durchzusetzen.240 Die regionale Zuständigkeit der neuen Forschungseinrichtung sollte Danzig, Polen, das Baltikum und, in Arbeitsteilung mit

234 Der BDO entstand aus dem Zusammenschluss des Ostmarkenvereins mit dem Heimatbund Ostpreußen, der Jungpreußischen Bewegung, dem Reichsbund der Schlesier und anderen Deutschtumsverbänden. 235 Haar, Historiker, S. 183. 236 Ebd., S. 186. 237 Eröffnungsrede Brackmanns auf der Gründungstagung der NOFG, Dezember 1933, BAB R 153/1546. 238 Steinachers Bericht über die Gründung der NOFG, Dezember 1933, ebd. 239 Burleigh, Germany, S. 72; Haar, Historiker, S. 188 f. 240 Aktennotiz zur Besprechung vom 30. Januar 1943 über die NOFG, BAB R 153/1270.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft in Wien, die Tschecho­slowakei umfassen. Einig waren sich die Versammelten darüber, dass die Treffen der NOFG keine Publikums­veranstaltungen werden, sondern im geschlossenen Kreise stattfinden sollten.241 Deren erste ging Ende April 1934 in Neiße über die Bühne, wo Hermann Aubin am Beispiel Schlesiens vorexerzierte, welche Richtung die Auseinandersetzung mit der polnischen Geschichts­wissenschaft nehmen sollte: Es gelte, Stanisław Kutrzebas Auffassung entgegenzutreten, wonach die Schlesier ursprünglich Slawen gewesen seien. Vielmehr handle es sich um einen germanischen Stamm, der im öffentlichen Bewusstsein als Grundlage einer schlesischen „Stammes­ identität“ verankert werden müsse. Erforderlich sei eine Gesamt­darstellung der schlesischen Geschichte, „in der der polnische Anteil von selbst als kurze Epoche gegenüber dem Reichtum anderer Jahrhunderte zurücktreten“ müsse.242 Zum wissenschaftlichen Großanlass geriet die Konferenz der NOFG im August 1934. In Kahlberg auf der Frischen Nehrung versammelten sich nicht weniger als 74 Ostforscher – unter ihnen Historiker, Bevölkerungswissenschaftler, Minderheitenpolitiker und andere Deutschtumsführer. Hauptthema waren die Implikationen des Hitler-Piłsudski-Pakts für die Ostforschung. Einigkeit herrschte darüber, dass zwar ein Wandel des Tonfalls, aber keine grundsätzliche Kurskorrektur nötig sei. Gewiss müssten offene Revisions­forderungen weg­fallen, den „Fehlkonstruktionen von Versailles“ sei aber weiterhin entgegenzutreten und die historischen Leistungen der Deutschen im Osten gehörten keinesfalls unter den Scheffel gestellt. Im Übrigen könne es nicht angehen, so Maschke, dass eine politische Kurs­korrektur die Forschung beeinträchtige. Vielmehr – so Oberländer – solle man die Forschung wie bisher weiterführen, damit „wir nach zehn Jahren alles das bereit hätten, was wir im gegebenen Falle brauchen könnten“.243 Fast wortgleich wurde dieselbe Idee damals auf polnischer Seite geäußert.244 Die bewusste Einseitigkeit der deutschen Ostforschung unterstrich Papritz mit der Forderung, bei der Themenauswahl durch deutsche Forscher stets nur das zu berücksichtigen, „was unserer Sache zu dienen imstande ist“.245 Die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen wollte man überall betonen.246

241 Haar, Historiker, S. 189 f. 242 Ebd., S. 193 f. 243 Burleigh, Germany, S. 75 f.; Haar, Historiker, S. 212 und 214 f., Zitat S. 215. 244 S. o., Kap. 2.3.1. 245 Haar, Historiker, S. 214 f. 246 Dahinter stand, wie Theodor Oberländer erläuterte, die Furcht vor polnischen Restriktionen, welche deutschen Forschern den Zugang zu polnischen Archiven verwehren könnten. Ebd., S. 212.

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Dass es den Ostforschern dabei hauptsächlich um den Schein ging, zeigte sich im engen zeitlichen Umfeld der Tagung an Brackmanns Weigerung, einer von Hoetzsch organisierten deutsch-polnischen Historikerzusammenkunft beizuwohnen. Stattdessen setzte er gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt seine Mühen daran, die beteiligten deutschen Historiker – nebst Hoetzsch auch Robert Holtzmann, Wolfgang Windelband und Karl Stählin – in Verruf zu bringen.247 Mit mehr oder weniger Zutun Brackmanns lichteten sich so allmählich die Reihen jener, die mit ihm konkurrierten oder ihm hätten entgegentreten können: Im Februar 1935 trat Meinecke nach seiner Kritik an der kämpfenden Wissenschaft als Heraus­ geber der HZ zurück.248 Im selben Jahr schieden mit Rothfels und Hoetzsch zwei Hauptkonkurrenten Brackmanns aus dem wissenschaftlichen Betrieb aus – Ers­ terer aufgrund seiner jüdischen Abstammung, Letzterer im Zusammenhang mit seinem Ruf als „Salonbolschewist“.249 Ein weiterer Schlag gegen die traditionelle Fachwissenschaft war die Auflösung der Historischen Reichskommission 1935, selbst wenn das an ihre Stelle tretende „Reichsinstitut für Geschichtsforschung“ unter Walter Frank nie den umfassenden Kontroll­anspruch einlösen konnte, den es gegenüber der gesamten deutschen Historiographie erhob. Derweil schritt der institutionelle Ausbau der Publikationsstelle zum wissenschaftlichen Dokumentations­zentrum zügig voran. Ab 1931 wurde in kurzer Zeit eine beachtliche Bibliothek deutscher und polnischer Literatur zusammengetragen und ein Pressearchiv angelegt, und Ende 1936 enthielt die Kartei der polnischen Schriften, Einrichtungen und Forscher bereits über 50  000  Einträge.250 Gleichzeitig scharte Brackmann in Dahlem einen Mitarbeiterkreis mit allen benötigten Fach- und Sprachkennt­nissen um sich; mit Polen beschäftigten sich 1936/1937 Johannes Papritz, Wolfgang Kohte, Werner Conze, Eugen Oskar Kossmann, Anton Loessner, Harald Cosack, Hildegard Schaeder, Gerhard Sappok, Robert Adolf Klostermann, Erich Hassinger und Fritz Morré.251 Gleichzeitig erhöhten das Reichsministerium des Innern und das Auswärtige Amt ihre Zuwendungen kontinuierlich.252 Die herausgeberische Tätigkeit der Publikationsstelle begann mit Sammel­ bänden, unter denen Deutschland und Polen (1933) herausragt. Ab 1936 standen

247 Ebd., S. 205–207. 248 Ebd., S. 230. 249 Ebd., S. 200–205. 250 Aufgaben des Publikationsfonds, 1932, BAB R 153/1. 251 Bei Burleigh, Germany, S.  90 f., findet sich eine nützliche tabellarische Aufstellung der PuSte-Mitarbeiter auf dem Stand von 1936/37 mit Angabe ihrer fachlichen und geographischen Spezialisierungen sowie ihrer politischen Affiliation. 252 Ebd., S. 88 und 92.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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eine nach der anderen die im Rahmen des Publikationsplans geförderten monographischen Arbeiten zur Verfügung. Ihre Veröffentlichung erfolgte zumeist in der Flaggschiff-Reihe des Instituts unter dem program­matischen Titel Deutschland und der Osten. Bis 1943 erschienen 22  Bände von recht unterschiedlicher Thematik, Methodik und Qualität. Im ersten Band der Reihe kamen Brackmann und Unverzagt aufgrund ihrer Burgwall­grabungen in Zantoch zum Schluss, eine Grenzburg der Pomoranen zur Abwehr feindlicher Polenstämme entdeckt zu haben. Die Bau­art der Burg trug in ihren Augen unverkennbar germanische Züge. Herbert Ludat schilderte den Kampf deutscher und slawischer Fürsten um Bran­ denburg. Siegfried Mews nutzte einen englischen Gesandtschaftsbericht vom polnischen Hof, um nachzu­weisen, dass der polnische Staat bereits gegen Ende des 16.  Jahrhunderts deutliche Auflösungs­erscheinungen gezeigt habe. Rudolf Grieser rief mit dem „Verräter“ Hans von Baysen eine Art Dolchstoß­legende um den Ordensstaat in Erinnerung.253 Dass die Teilungs­grenze von 1795 eine Art Sollbruchstelle im polnischen Staat darstellte, versuchte Schaeder unter Verweis auf spätmittelalterliche Stammesgrenzen und damit verbundene Separationsbestrebungen zu beweisen. Gerhard Sappok führte den Nachweis, dass Polen seit 963 Otto  I. tributpflichtig gewesen sei, die Gründung des Bistums Posen 968 also in der deutschen Machtsphäre stattgefunden habe. Hans und Gertrud Mortensen kamen in ihrer Studie zur Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußens zum Schluss, dass die deutschrechtlichen dörflichen Siedlungen volksdeutschen Charakter gehabt hatten, und Werner Schulz beschrieb die Zweite deutsche Ostsiedlung im westlichen Netzegau und legitimierte damit die Annexion des Gebiets durch Preußen 1774.254 Weitere Studien folgten in den Kriegsjahren und hatten den Anteil der Deutschen an der ländlichen und städtischen Besiedlung Polens geschichtliche Themen wurden behanzum Gegenstand;255 auch wirtschafts­

253 Albert Brackmann/Walter Unverzagt (Hg.), Zantoch, eine Burg im deutschen Osten, Leipzig 1936; Herbert Ludat, Legenden um Jaxa und Köpenick. Deutsche und slawische Fürsten im Kampf um Brandenburg, Leipzig 1936; Siegfried Mews, Ein englischer Gesandtschaftsbericht über den polnischen Staat zu Ende des 16. Jahrhunderts, Leipzig 1936; Rudolf Grieser, Hans von Baysen, ein Staatsmann aus der Zeit des Niederganges der Ordensherrschaft, Leipzig 1936. 254 Hildegard Schaeder, Geschichte der Pläne zur Teilung des alten polnischen Staates seit 1386, Leipzig 1935; Gerhard Sappok, Die Anfänge des Bistums Posen und die Reihe seiner Bischöfe von 968–1498, Leipzig 1937; Hans Mortensen/Gertrud Mortensen, Die Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußens bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1937; Werner Schulz, Die zweite deutsche Ostsiedlung im westlichen Netzegau, Leipzig 1938; Ders., Quellenband zur Geschichte der zweiten deutschen Ostsiedlung im Netzegau, Leipzig 1938. 255 Horst-Gotthard Ost, Die zweite deutsche Ostsiedlung im Drage- und Küddow-Gebiet (Grenzmark Posen-Westpreußen), Leipzig 1939; Theodor Penners, Untersuchungen über die Herkunft der Stadtbewohner im Deutsch-Ordensland Preußen bis in die Zeit um 1400, Leipzig 1942.

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delt.256 Bevölkerungspolitische Interessen bediente Werner Conze.257 Weiterhin waren aber auch politik- und geistesgeschichtliche Themenstellungen wie in Gotthold Rhodes Arbeit über die polnischen Protestanten und Hans Quednaus Studie zum Herzog Albrecht von Preußen prominent vertreten.258 Gewissermaßen als Krönung der Reihe erschien 1942/43 der über tausend Seiten starke Doppelband Deutsche Ostforschung mit 44 Beiträgen.259 Weitere Studien erschienen im Deutschen Archiv für Landes- und Volkstumsforschung.260 Allen Publikationen war gemein, dass ihnen eine Verbindung zur Publikationsstelle nicht anzusehen war; in fast allen Fällen gehörten jedoch Brackmann oder Papritz, die das Netz von Autoren zusammen­hielten, zu den Herausgebern. Ähnlich verhielt es sich mit den Ostdeutschen Forschungen, die der Volksdeutsche Viktor Kauder im polnischen Kattowitz herausgab. Als erster Band erschienen 1934 Lücks Deutsche Aufbaukräfte in der Entwicklung Polens.261 Offiziell stand hinter der in Leipzig gedruckten Reihe die Historische Gesellschaft für Posen, finanziert und koordiniert wurde sie jedoch größtenteils durch die Publikations­stelle. Gleiches galt für die Deutschen Monatshefte in Polen. Unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Ansprüche waren Brackmann und Papritz darauf bedacht, auch im breiten Publikum ostdeutsche Bewusstseinsbildung zu betreiben. Dazu dienten zunächst Reiseführer und heimatkund­ liche Schriften mit Titeln wie Grenzmarkführer, Ostdeutsche Heimatbücher oder Deutsche Gaue im Osten. Aufgeschreckt durch die Periodika des Thorner OstseeInstituts, lancierte die Publikationsstelle 1937 die populärwissenschaftliche Zeitschrift Jomsburg. Völker und Staaten im Osten und Norden Europas. Benannt war die Zeitschrift nach einer historischen Festung, die dem Leser im Vorwort zur

256 Richard Winkler, Die Weichsel, ihre Bedeutung als Strom und Schiffahrtsstraße und ihre Kulturaufgaben, Leipzig 1939; Detlef Krannhals, Danzig und der Weichselhandel in seiner Blütezeit vom 16. zum 17. Jahrhundert, Leipzig 1942. 257 Werner Conze, Agrarverfassung und Bevölkerung in Litauen und Weissrussland, Leipzig 1941. 258 Hans Quednau, Livland im politischen Wollen Herzog Albrechts von Preußen. Ein Beitrag zur Geschichte des Herzogtums Preußen und des preußisch-livländischen Verhältnisses 1525–1540, Leipzig 1939; Gotthold Rhode, Brandenburg-Preußen und die Protestanten in Polen 1640–1740, Leipzig 1942. 259 Hermann Aubin/Otto Brunner/Wolfgang Kohte/Johannes Papritz (Hg.), Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem Ersten Weltkrieg, 2 Bde., Leipzig 1942–1943. S. dazu unten, Kap. 3.1.1. 260 Baumgart, Organizacja, S. 973. 261 Kurt Lück, Deutsche Aufbaukräfte in der Entwicklung Polens. Forschungen zur deutschpolnischen Nachbarschaft im osteuropäischen Raum mit einem Geleitwort von Dr. Hermann Rauschning, Plauen 1934.

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ersten Nummer in einer vom Presseabkommen geprägten Diktion als frühestes Sinnbild der „gegenseitigen Durchdringung von Germanen und Slawen“ bekannt gemacht wurde.262 Stärker noch als in größeren wissenschaftlichen Arbeiten geriet in den Zeitschriftenbeiträgen der Vergleich von deutscher und polnischer Kultur zur Schwarzweißmalerei: „Deutsche Ordnung stand gegen polnische Destruktion, germanischer Fleiß gegen slawische Indolenz, mitteleuropäische Kultur gegen östliches Barbarentum. Sämtliche Wirtschafts- und Kulturleistungen der Slawen […] galten als ursprünglich deutsch“, resümiert Oberkrome.263 Ein großer Schritt in Richtung „angewandte Wissenschaft“ wurde 1938 getan, als die Publikationsstelle damit begann, vertrauliche Schulungsbriefe für den BDO herauszugeben. Im Verlauf zweier Jahre erschienen mindestens 43 Hefte, die meist Polen und seinen West­gebieten gewidmet waren. Darin wurde ein Überblick über die Deutschen in Polen geboten, die Anfänge der polnischen Staatlichkeit erläutert, die politischen Ziele der polnischen Wissenschaft und ihre Organisation geschildert usw. Nach Kriegsausbruch folgten Schulungs­ briefe für das Ober­ kommando des Heeres264 sowie eine Reihe geschichts­ propagandistischer Schriften unter dem Titel Polenberichte, die später als Nordostberichte fortgeführt wurden und bis 1942 erschienen.265 Auch wenn es Brackmann gelungen war, eine Reihe von Polenkennern an sein Institut zu ziehen und weitere heranzubilden, so handelte es sich dabei doch zumeist um jüngere Forscher, die damals bestenfalls in der zweiten Reihe der deutschen Geschichts­wissenschaft standen. Dagegen hatten die Reaktionen auf Polen und Deutschland im In- und Ausland deutlich gemacht, welch propagandistisches Gewicht einer breit abgestützten und hochrangig besetzten Auseinandersetzung mit der Gegenseite zukam. Wollte man freilich dauerhaft weitere Kreise der deutschen Geschichtswissenschaft für die Auseinandersetzung mit polnischen Positionen gewinnen, so musste das Problem der Sprachbarriere überwunden werden. Diese Schwierigkeit war nur durch Übersetzungen zu lösen, von denen aber zu befürchten war, dass sie der Verbreitung polnischer Thesen im Inund Ausland Vorschub leisten würden.266 Die Lösung erblickte man in vertraulichen Arbeits­übersetzungen, die ausschließlich wissen­schaftlichen und amtlichen Einrichtungen in Deutschland zur Verfügung gestellt werden sollten und

262 Johannes Papritz/Wilhelm Koppe, Vorwort, in: Jomsburg 1 (1937), S. 1 ff. 263 Oberkrome, Volksgeschichte, S. 178. 264 Baumgart, Organizacja, S. 973–974. 265 Polenberichte 1–34 (1939–1940); Nordostberichte 35–64 (1940–1942). 266 Ein von Brackmann selbst weidlich ausgeschlachtetes Negativ-Beispiel dafür war die Breslauer Jegorov-Übersetzung. Burleigh, Germany, S. 54.

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mit deren Anfertigung 1932 im Auftrag des BDO begonnen wurde. In der Folge stieß die Publikationsstelle bis 1944 einen konstanten Strom von vielen hundert Über­setzungen auf Tausenden von maschinen­schriftlichen Seiten aus, wobei Übertragungen aus dem Polnischen klar dominierten.267 Allein 1936 wurden 73  polnische Bücher sowie 1425 Zeitungsartikel ins Deutsche übertragen,268 bis zum Kriegsende waren 531 längere Texte übersetzt worden, darunter 233 Bücher. Die Rangliste der meistübersetzten Autoren führten Kazimierz Tymieniecki, Zygmunt Wojciechowski, Józef Kostrzewski, Karol Górski und Leon Koczy an.269 Angefertigt wurden die Übersetzungen von den Mitarbeitern der PuSte oder von Slawistik­studenten aus der NS-Studentenschaft.270 Laut Brackmann gewannen sie für die Abwehranstrengungen der deutschen Wissenschaft und der Regierung außerordentliche Bedeutung. Das RMdI zeigte sich besonders interessiert an antideutschen Artikeln, die gegen das Presseabkommen verstießen.271 Im Spätsommer 1939 dienten ähnliche, von der Publikationsstelle übersetzte Artikel dem Völkischen Beobachter als willkommener Anlass für eine antipolnische Propagandakampagne, die dem deutschen Überfall auf Polen vorausging.272 Einen weiteren Pfeiler der Institutstätigkeit bildete der Dahlemer Karteiindex zur Über­wachung der polnischen Forschung, der nebst einer umfangreichen Bibliographie und einer toponymischen Konkordanz 1936 bereits 12 000 Personalkarteikarten zur intellektuellen Elite Polens bereitstellte.273 Diese Datensätze dienten unter anderem dazu, bestimmte Forscher gezielt von der Benutzung deutscher Archive auszuschließen, sie wissenschaftlich soweit als möglich zu isolieren und ihre Ausstrahlung einzudämmen.274 Ein potentiell enorm gesteigertes Gewicht erhielten sie nach Kriegsausbruch. Es ist vermutet, bisher jedoch nicht schlüssig belegt worden, dass die Kartei im Kontext der nationalsozialistischen Exterminierungs­politik gegen die intellektuellen Eliten Polens zum Einsatz kam.275 Mit diesem Ausblick wird jedoch bereits einer Entwicklung vorgegriffen, die wenige Jahre früher noch sehr viel ergebnisoffener schien.

267 Baumgart, Co tłumaczyła. 268 Burleigh, Germany, S. 97. 269 Baumgart, Organizacja, S.  978. Nebst diesen monographischen Studien wurden u. a. die Mitteilungen des Schlesischen Instituts aus den Jahren 1935 bis 1939 mit 145 Ausgaben fast komplett übersetzt, vollständig waren auch die Übersetzungen der Mitteilungen des Ostsee-Instituts in Thorn bzw. Gdingen (32 Positionen). Ebd., S. 974–976. 270 Ebd., S. 978; Burleigh, Germany, S. 97 f. 271 Baumgart, Organizacja, S. 979. 272 Fahlbusch, Wissenschaft, S. 562. 273 Burleigh, Germany, S. 89. 274 Ebd., S. 94–96. 275 Fahlbusch, Wissenschaft, S.  469–477; 567–570; Willi Oberkrome, Historiker im „Dritten

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2.3.3 Das deutsche „Abwehrbuch“ und die „Publikation zur Verteidigung der Westfront Polens“ Die Entstehung des 1933 zum Warschauer Kongress herausgegebenen Sammelbandes Deutschland und Polen ist anderweitig bereits geschildert worden,276 soll hier jedoch in großen Linien nachgezeichnet werden, da sie den Ausgangs­punkt für das folgende Wechselspiel deutscher und polnischer Aktionen darstellt. Vater der anfänglichen Idee war Erich Krahmer-Möllenberg, der Leiter der Deutschen Stiftung.277 Er hatte bereits 1932 vorgeschlagen, einen Präventivschlag gegen die polnische Propaganda zu führen und zu diesem Zweck rechtzeitig zum Warschauer Kongress einen Band über die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen vorzulegen. Die Ministerien für Innere und Auswärtige Angelegenheiten begrüßten die Idee und delegierten sie an Albert Brackmann, der sich mit dem ursprüng­lichen Konzept jedoch nicht zufriedengab und statt der geplanten Monographie einen Sammelband mit Beiträgen führender Fachgrößen ins Auge fasste.278 Bald konnte er sich zu einer ansehnlichen Autorenliste beglückwünschen, auf der Hermann Oncken und Gerhard Ritter, Hans Rothfels und sein Schüler Erich Maschke, Hermann Aubin und Arnold Oskar Meyer, Karl Stählin und Otto Hoetzsch sowie Max Hein und Walter Recke figurierten. Verweigert hatte sich nur Friedrich Meinecke. Größer war die Heraus­forderung, diese heterogene Gruppe auf einen einheitlichen „deutschen Standpunkt“ zu ver­pflichten. Ritter zeigte sich im Hinblick auf den kämpferischen Charakter des Buchs skeptisch und erklärte, er wisse nichts von dem angeblichen polnischen Angriff, den es abzuwehren gelte;279 Max Hein und Arnold Oskar Meyer warfen Brackmann dagegen ungebührliche Rücksicht auf polnische Empfindlichkeiten vor.280 Hans Rothfels plädierte zwar pro forma für die wissenschaftliche Freiheit der Autoren, verlangte aber Klarheit darüber, dass die Fragestellung des Bandes „nicht von der reinen Wissenschaft sondern von einem politischen Ziel her bestimmt“ sei. Über die allgemeine Zwecksetzung der „Abwehr“ müsse Einigkeit herrschen. Konzeptionell regte er an, auf eine Darstellung der Deutschen als historische Wohltäter

Reich“. Zum Stellenwert volkshistorischer Ansätze zwischen klassischer Politik- und neuerer Sozialgeschichte, in: GWU 50 (1999), S. 74–98, hier S. 86. 276 Burleigh, Germany; Haar, Historiker. 277 Die Deutsche Stiftung wurde gemeinsam von den Ministerien für Innere und Auswärtige Angelegenheiten getragen und diente der Unterstützung der deutschen Minderheit in Polen. Burleigh, Germany, S. 99 f. Zu Krahmer-Möllenberg s. Haar, Historiker, S. 116. 278 Ebd., S. 123 f.; Burleigh, Germany, S. 62. 279 Gerhard Ritter an Albert Brackmann, 1. 1. 1933, BAB R 153/216. 280 Max Hein an Albert Brackmann, 26. 1. 1933, ebd.; Arnold Oskar Meyer an Brackmann, 4. 4. 1933, ebd.

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der Polen zu verzichten, da eine solche Sichtweise im Hinblick auf die Teilungen Polens oder die ordensritterliche Kolonisation gar zu angreifbar sei. Stattdessen müsse die historische Einheit des mittelosteuropäischen Raums betont und die Ordnungsfunktion unterstrichen werden, die Preußen und Deutschland hier über Jahrhunderte wahrgenommen hätten.281 Brackmann, dessen Kenntnisse des Ostens nicht mit jenen des Königsberger Doyens konkur­rieren konnten, nahm die Vorschläge bereitwillig entgegen und machte sie auch den übrigen Autoren zur Vorgabe.282 Zum kategorischen Imperativ wurde Roth­fels‘ Aufforderung, die Vergangenheit am Maß der politischen Ordnung zu messen und unter diesem Blickwinkel polnische Versäumnisse und deutsche Leistungen herauszustellen. Eine solche Sichtweise würde eine deutsche Vorherrschaft über die Region als historisch beste Lösung hervortreten lassen. Schließlich übermittelte Brackmann den Autoren den Wunsch des Auswärtigen Amtes nach einem moderaten Tonfall. Auf nationalsozialistische Rassen- und Führerrhetorik sollte gänzlich verzichtet werden, und selbst das Volks- und Kulturboden-Theorem war mit Umsicht zu verwenden. Hitlers außenpolitische Beschwich­tigungspolitik durfte nicht durch explizite Revisionsforderungen gestört werden.283 Wie beabsichtigt und in Anbetracht des weitgefächerten Autorenkreises zu erwarten, deckten die Beiträge ein breites Themenspektrum ab, das von der Vorgeschichte des ostdeutschen Raumes über Die historisch-geographischen Grundlagen der deutsch-polnischen Bezie­hungen bis zur Politische[n] Entwicklung Osteuropas vom 10.–15.  Jahrhundert reichte. Prominent vertreten waren regionalgeschichtliche Aspekte mit Darstellungen zu Ost- und Westpreußen sowie Schlesien und Österreich. Deutsche Einflüsse auf die polnische Kultur, das religiöse Leben und das Rechtswesen Polens bildeten einen weiteren Schwerpunkt. Der letzte Teil des Buchs war der Neuzeit gewidmet und beschäftigte sich mit den preußisch-polnischen Beziehungen, den deutsch-polnischen Beziehungen während des Weltkriegs und dem Problem des Nationalismus im Osten.284 Schenkte man dem Vorwort von Brackmann und Brandi Glauben, so verfolgte der Band den ehrenwerten Zweck, die deutsch-polnische Diskussion in sachlichere Bahnen lenken. Nicht vom Gegensatz der beiden Völker wollte man ausgehen, sondern von ihrer in tausendjähriger Nachbarschaft begründeten

281 Hans Rothfels an Brackmann, 19. 2. 1933, ebd. 282 Nicht nachvollziehbar scheint vor diesem Hintergrund die (nicht klar belegte) Aussage Haars, Rothfels sei wegen seiner allzu aggressiven Haltung „von der konzeptionellen Gestaltung des Abwehrwerks ausgeschlossen“ worden. Haar, Historiker, S. 122. 283 Ebd., S. 123 f. 284 Eine ausführliche Darstellung der Inhalte des Bandes findet sich bei Burleigh, Germany, S. 65–68, sowie bei Haar, Historiker, S. 140–144.

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Nähe.285 Als die polnischen Historiker einige Monate nach Kongressende von dem Band Notiz nahmen, entgingen ihnen die guten Absichten der deutschen Kollegen indes gänzlich. Nachdem in Warschau Vieles auf eine zaghafte Entspannung hingedeutet hatte, erschien das Buch nun als gewollte Neuauflage der deutsch-polnischen Konfrontation. Besonderen Verdruss erregte die publi­ zistische Leichtigkeit, mit der namhafte deutsche Historiker über ungelöste Forschungs­fragen hinweggingen: „Viele Passagen des Buches berufen sich nicht auf die wissenschaft­liche Wahrheit, so wie sie mehr oder weniger gesichert ist, sondern auf äußerst gewagte, ja gar phantastische Thesen, zu deren noch so schwacher Begründung eine Reihe dicker Bände geschrieben werden müssten“, urteilte Zakrzewski.286 Für Kot stand außer Frage, dass der Band nach einer polnischen Erwiderung verlangte. Für eine solche hätten die polnischen Historiker „die historischen Fakten mit ihrer gewichtigen Aussagekraft“ auf ihrer Seite. Bei aller Indignation ließ Kot aber auch Verständigungs­bereit­schaft erkennen. Die „Zuträglichkeit und Nützlichkeit“ deutscher Einflüsse auf die polnische Kultur wolle niemand bestreiten – daneben dürften aber die Eigenleistungen der Polen nicht vergessen werden. Auch müsse daran erinnert werden, dass Polen von Preußen und Deutschen nicht nur kulturelle Segnungen, sondern auch rück­sichtslose Machtpolitik erfahren habe. Über all das müssten die Historiker beider Länder sich austauschen, denn: „Wenn sich die deutsche und die polnische Sichtweise in so vielen vordringlichen Fragen messen, wird dies für die Weltmeinung lehrreich sein, und es wird auch […] für die deutschen Historiker von Interesse sein.“287 Kot schloss mit dem Wunsch nach Zusammenarbeit und Austausch und erinnerte nochmals an die deutsch-polnischen Begegnungen in Warschau, die in diese Richtung gewiesen hatten. In der Zwischenzeit unternahm Halecki, der gute Kontakte zu katholischen Kollegen in Deutschland unterhielt, einen ernstgemeinten Verständigungsversuch. Mit einer Besprechung von Deutschland und Polen in der öster­ reichischen Wochen­schrift Der christliche Ständestaat wandte er sich unmittelbar an ein deutsches Publikum. Dort unterstellte er dem Band, eher geopolitische als historische Interessen zu verfol­gen.288 Von noch größerer Bedeutung war seine

285 Albert Brackmann (Hg.), Deutschland und Polen, Beiträge zu ihren geschichtlichen Beziehungen, München 1933, unpaginiertes Vorwort. 286 Stanisław Zakrzewski, Zamiast Przedmowy, in: Stanisław Zakrzewski/Józef Kostrzewski, Niemcy i Polska, in: KH 48 (1934), S. 776–886, hier S. 778. 287 Kot, Czy rewizja. Ähnlich Zakrzewski/Kostrzewski, Niemcy, S. 779. 288 Oskar Halecki, Machtgefälle oder Kulturgemeinschaft. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen vom polnischen Standpunkt aus, in: Der christliche Ständestaat. Österreichische Wochenhefte, 28. 1. 1934, S. 1–11, hier S. 11.

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Bereitschaft, an einem Treffen mit den deut­schen Historikern Robert Holtzmann, Wolfgang Windelband und Karl Stählin teilzunehmen, das Otto Hoetzsch organisiert hatte.289 Die Zusammenkunft blieb allerdings fruchtlos, da Brackmann mit der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts bereits einen „stillen Boykott“ aller Bemühungen zur deutsch-polnischen Verständigung vereinbart hatte und dem Treffen konsequenterweise fernblieb.290 Verständlicherweise trugen diese halbherzigen Verständigungssignale wenig dazu bei, den polnischen Wunsch nach historiographischer Revanche zu besänftigen. Dass der deutsche Band eine Erwiderung verlangte, anerkannten auch polnische Regierungsstellen, die im Übrigen seinen Vertrieb in Polen verboten291 – sehr zum Unwillen der polnischen Historiker, die dadurch die Verbreitung der geplanten polnischen Replik in Deutschland bedroht sahen.292 Diese Erwiderung ließ allerdings auf sich warten. Zwei umfangreiche Besprechungen von Deutsch­land und Polen richteten sich zum Ärger Kots nur an das polnische Fach­publikum.293 Seines Erachtens musste man dem propagandistischen Machwerk der Deutschen nicht im wissenschaftlichen Rahmen, sondern in der breiten Öffentlichkeit entgegentreten und dabei nicht auf das in-, sondern auf das ausländische Publikum zielen: Zuallererst wäre es erforderlich, den Deutschen auf deutschem Terrain zu antworten, also mit einem in Deutschland in deutscher Sprache herausgegebenen Buch. Dies ist in der gegenwärtigen politischen Situation nicht unmöglich, aber man müsste sich der Vermittlung des Verbandes Deutscher Historiker bedienen. […] Unabhängig von der deutschen Ausgabe muss eine englische erscheinen.294

289 Hoetzschs Bemühungen um die deutsch-polnische Verständigung trugen unter dem Eindruck von Hitlers konzilianter Polenpolitik taktische Züge. Es scheint daher fragwürdig, wenn ihn Haar in dieser Frage zum konzilianten, wissenschaftlich integren Gegenspieler Brackmanns stilisiert. Ingo Haar, Osteuropaforschung und „Ostforschung“ im Paradigmenstreit. Otto Hoetzsch, Albrecht Brackmann und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Dittmar Dahlmann (Hg.), Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 2005, S. 37–54. 290 Mit dieser Entscheidung war Brackmann auf der sicheren Seite, während seine gesprächsbereiten Kollegen Hoetzsch, Stählin und Windelband ihre Lehrstühle wenig später verloren. Haar, Historiker, S. 206 f. 291 Burleigh, Germany, S. 69; Kondracki, Święto, S. 77. 292 Stanisław Kot an den Vorstand der PTH z. H. des Vorsitzenden S.  Zakrzewski, Krakau, 24. 8. 1934, zit. bei Kondracki, PTH (Diss.), S. 635–638. 293 Kazimierz Tymieniecki/Andrzej Wojtkowski/Zygmunt Wieliczka, [Sammelrezension polnischer Historiker zu:] Deutschland und Polen. Beiträge zu ihren geschichtlichen Beziehungen, in: RH 9 (1934), S. 280–304; Zakrzewski/Kostrzewski, Niemcy. 294 Stanisław Kot an den Vorstand der PTH, 24. 8. 1934, zit. nach Kondracki, PTH (Diss.), S. 636– 638.

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Kots Überlegungen werfen ein Schlaglicht auf den schillernden Charakter der deutsch-polnischen Historikerbeziehungen in jenen Jahren. Trotz seiner Empörung über das, was er als propagandistisches Machwerk betrachtete, ging er offenbar davon aus, dass sich das deutsche Publikum und umso mehr die deutsche Histo­rikerschaft, deren Hilfe er gar in Anspruch nehmen wollte, den polnischen Argumenten gegenüber empfänglich zeigen würden. Gleichzeitig pochte er auf einen Kampf mit gleich langen Spießen – in diesem Falle gewichtigen Sammelbänden. In diesem Zusammenhang beschwerte er sich über die Beschwichtigungspolitik gewisser politischer Kreise, die aus Rücksicht auf die „polnisch-deutsche politische Idylle“ von einer Antwort abrieten.295 Keinesfalls dürfe man das Feld kampflos den Deutschen überlassen, schließlich sei hinlänglich „bekannt, wie viel Einfluss die Historiker bei den verschiedenen Völkern besitzen“.296 Kots Klagen über den Wankelmut der Politik waren nicht unbegründet: Wohl hatte das Außen­ministerium seine Unterstützung zunächst vage zugesagt, dann aber widerrufen, nur um sie nach einem Gespräch Zakrzewskis mit Außenminister Józef Beck erneut zu bekräftigen.297 Dabei hatte es jedoch verlangt, dem Band über die deutsch-polnischen Beziehungen eine Darstellung der historischen Kontakte Polens zum skandinavischen Raum vorauszuschickten298 – eine Forderung, die den Historikern wohl zu Recht als Ausdruck einer Hinhaltetaktik erschien.299 Nichtsdestotrotz wurde im November 1934 ein Herausgeberkomitee gebildet, dem Stanisław Zakrzewski, Stanisław Kutrzeba, Oskar Halecki und Marceli Handelsman zugehörten. Es erhielt die unmissverständliche Aufgabe, eine „Publikation zur Verteidigung der Westfront Polens“ vorzubereiten.300 Zu Weihnachten 1934 stand fest, dass das Buch bei McMillan in London erscheinen und nicht weniger als vier Bände umfassen sollte: „Band I – Siedlungs­fragen – Herausgeber Prof. Tymieniecki, Bd. II – kulturelle Aspekte, Herausgeber Prof. Kukiel, Bd. III – Geschichte der frühesten Kontakte, Heraus­geber Kętrzyński, Bd. IV – politische Beziehungen der jüngeren Vergangenheit.“301 Offenbar hatte

295 Hier spielte Kot auf den deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrag vom 26. 1. 1934 an. 296 Stanisław Kot an den Vorstand der PTH, 24. 8. 1934, zit. bei Kondracki, PTH (Diss.), S. 636– 638. 297 Protokół posiedzenia ZG PTH z 16 kwietnia 1934 r., APAN-W I-3/4. 298 Marceli Handelsman an Bronisław Dembiński, Warschau, 26. 12. 1934, APAN-W III-10/249, Bl. 21. 299 Kondracki, PTH (Diss.), S. 640. Dafür, dass es sich hierbei um eine bewusste Strategie des MSZ handelte, spricht auch der gleichzeitige Versuch, das Thorner Ostsee-Institut von seinem Deutschland-Fokus zu lösen und es auf Skandinavien auszurichten. S. o., Kap 2.3.1. 300 Protokół posiedzenia […], 4. 11. 1934, APAN-W I-3/4. 301 Marceli Handelsman an Bronisław Dembiński, Warschau, 26. 12. 1934, APAN-W III-10/249, Bl. 21.

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man die ursprüngliche Absicht, zunächst eine deutsche Ausgabe herauszubringen, fallengelassen, um sich ganz auf das angelsächsische Publikum zu konzentrieren. Dabei sollte die polnische Antwort auf den deutschen „Angriff“ Letzteren an Umfang erheblich übertreffen und war mithin geeignet, den Konflikt zu eskalieren. Die Inhalte der Publikation zu bestimmen, war keine einfache Aufgabe. Verschiedene Entwürfe zu einem Inhaltsverzeichnis von Handelsman, Halecki, Feldman und Kutrzeba ließen Differenzen zwischen den Warschauern und den Krakauern hervortreten. Zwar verband alle der Wunsch, ein breites Panorama der deutsch-polnischen Beziehungen zu entwerfen, doch wollten die Krakauer bei der Vorgeschichte beginnen und im Folgenden ethnische, linguistische und kulturelle Schwerpunkte setzen, die in die Nähe der deutschen Volksgeschichte führten. Dagegen blieben die Warschauer der traditionellen Politikgeschichte verhaftet, zeigten wenig Interesse an der Vorgeschichte, spannten ihren Horizont aber bis in die Gegenwart, welche die Krakauer – eingedenk ihrer gespannten Beziehungen zum Piłsudski-Regime – diskret beiseite ließen. In der Summe reichten die vorgeschlagenen Themen in chrono­logisch regressiver Reihenfolge von Bismarcks Polenpolitik (Handelsmans Entwurf, vorgesehener Autor: Feldman) über Polen, Deutschland und die europäische Kultur­ gemeinschaft (Halecki) und die Frage der Städte in Polen (Handelsman/Tymieniecki) bis zur Vorgeschichte (Kutrzeba und Feldman), der ein Kapitel zu den Geographischen Grundlagen (Feldman und Kutrzeba/Semkowicz) voraus­gehen sollte. Feldman wollte explizit auch den Kampf um Vorherrschaft zwischen dem deutschen und dem polnischen Element (von Dąbrowski) behandelt wissen.302 Wie sich das Projekt in den folgenden Jahren entwickelte, ist nur spärlich belegt. Erst im Juli 1939 beantwortete die PTH eine Anfrage des Außenministeriums nach dem Stand der Arbei­ten. Darin machte sie die wechselhafte Konjunktur der deutsch-polnischen Beziehungen für die verzögerte Publikation verantwortlich, beeilte sich aber anzufügen, dass der gegen­wärtige Stand dieser Beziehungen eine Drucklegung nun besonders dringlich erscheinen lasse.303 Unschwer lässt sich aus den vorsichtig formulierten Zeilen der unterschwellige Vorwurf herauslesen, dass das Außenministerium selbst die Publikation aus Rücksichtnahme auf Deutschland ungebührlich lang verzögert habe.304 Zu diesem Zeit-

302 Tematy, APAN-W I-3/142, Bl. 42–45. 303 Am 28. 4. 1939 hatte Deutschland den Nichtangriffsvertrag von 1934 aufgekündet, nachdem Polen deutsche Forderungen nach Eingliederung Danzigs ins Reich und nach einer Autobahn durch den polnischen „Korridor“ abgelehnt hatte. 304 MSZ an PTH, Warschau, 27. 7. 1939, APAN-W I-3/30, Bl. 43; Vorstand der PTH an MSZ, 1. 8. 1939, APAN-W I-3/30, Bl. 42.

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punkt war der erste Band bereit zum Druck; die Publikation wurde schließlich durch den Kriegsausbruch verhindert. Alles in allem ist festzuhalten, dass die Historiker, ähnlich wie in Deutschland, mehr Kampfeslust zeigten als die Außenpolitiker. Besonders aufschlussreich scheint die Entschlossenheit von Marceli Handelsman. Er, der eine „deutsche Gefahr“ früher als Einbildung abgetan hatte, verlangte nun entschieden eine geordnete Abwehr gegen die „organisierte und wohlgeplante deutsche Aktion […] die auf wissenschaftliche Beherrschung der Ostgebiete zielt“. Das war eine auffälliger Gesinnungswandel für einen Historiker, der wenige Jahre zuvor ein recht wohlwollendes Bild seiner deutschen Kollegen gepflegt hatte.305

2.3.4 Freundschaftsbezeugungen: Das deutsch-polnische Institut in Berlin 1934–1939 Am 26. Januar 1934 unterzeichneten Polen und Deutschland einen Nichtangriffsvertrag, der die politischen Beziehungen zwischen beiden Staaten in den folgenden Jahren merklich ent­spannte. Die grundlegenden Streitfragen, die Polen und Deutschland entzweiten und deren Ursachen nach Auffassung der Zeitgenossen Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zurückreichten, waren damit freilich nicht aus der Welt geschafft.306 Gewiss verordnete ein Presse- und Kulturabkommen der Tages­berichterstattung, dem Kulturbetrieb und den Wissen­ schaften in beiden Ländern ab Februar 1934 versöhnlichere Töne.307 Die tiefverwurzelte Gegnerschaft zwischen polnischen und deutschen Gelehrten ließ sich indes nicht auf die Schnelle überwinden. In ihrer skeptischen Haltung wussten die Wissenschaftler beider Länder die Kulturabteilungen ihre Außenministerien hinter sich; in Deutschland nahmen auch das Reichs­erziehungs­ministerium und das Preußische Staats­ministerium eine obstruktive Haltung ein. Dagegen zeigten sich die Vordenker des deutschpolnischen Pakts auf beiden Seiten bestrebt, die politische Dividende des

305 Protokół posiedzenia, 4. 11. 1934, APAN-W I-3/4. Angesichts seiner jüdischen Abstammung beunruhigte Handelsman die ‚Machtergreifung‘ vermutlich stärker als seine polnischen Kollegen. Auch häuften sich im Polen jener Jahre die Fälle von offenem Antisemitismus, vor deren Hintergrund es Handelsman womöglich geboten schien, sein patriotisches Profil zu schärfen. Antisemitische Ausfälle gegen Handelsman notierte Harold Temperley gegenüber Lhéritier 1937. Erdmann, Ökumene, S. 222. 306 So auch Burleigh, Germany, S. 131. 307 Zu den Auswirkungen des Abkommens in Deutschland Carsten Roschke, Der umworbene „Urfeind“. Polen in der nationalsozialistischen Propaganda 1934–1939, Marburg 2000.

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Abkommens abzuschöpfen. Diesen Umstand machte sich Józef Lipski als neuer Botschafter Polens in Berlin zunutze. Im preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, den Brackmann verächtlich als „Polenfreund“ titulierte,308 und in Alfred Rosenberg, dem damals noch einflussreichen Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, fand er im Frühling 1934 gewogene Partner für den Plan eines deutsch-polnischen Instituts in Berlin. Als Vorbild der neuen Einrichtung diente das bereits bestehende deutsch-italienische Institut. In Anbetracht der vorwiegend (kultur-)politischen Absicht des Projekts störte es offenbar nicht, dass mit Achim von Arnim ein sachfremder Wissenschaftsorganisator mit dem Aufbau der Einrichtung betraut wurde, dem jegliche Polenkenntnisse abgingen, der jedoch als SA-Obergruppenführer die nötigen Parteibeziehungen ausweisen konnte und in seiner Funktion als Leiter einer privaten Hochschule auch über die nötige Infrastruktur verfügte. Am 25.  Februar 1935 erfolgte die feierliche Eröffnung des Instituts durch Botschafter Lipski; Hermann Göring persönlich übernahm das Protektorat.309 Misstrauen weckte das neugegründete Institut bei den bestehenden Ostforschungs­einrichtungen – allen voran bei der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas (DGSO), die sich bisher zwar fast ausschließlich mit der Sowjetunion beschäftigt hatte, nach der national­ sozialistischen Machtübernahme aber den Ruch des Salonbolschewismus abstreifen wollte und deshalb Anstrengungen unternahm, ihre Nützlichkeit für Hitlers neue Ostpolitik unter Beweis zu stellen. Erste Frucht dieser Bemühungen war 1934/35 eine Vortragsreihe „hervorragender polnischer Persönlichkeiten“, unter denen sich auch Oskar Halecki befand.310 In seinem Referat zum Begriff der osteuropäischen Geschichte schlug Halecki, der sich bereits im Anschluss an den Warschauer Historikerkongress um eine Verständigung mit den deutschen Kollegen bemüht hatte, versöhnliche Töne an. Mit Genugtuung nahmen die Zuhörer seine Absage an eine panslawische Interpretation der osteuropäischen Geschichte zur Kenntnis. Ebenso verwandte er sich freilich gegen Pfitzners Ansatz, die osteuropäische Geschichte unter dem Eindruck einer deutschen Kulturdominanz zusammenzu-

308 Burkert, Ostwissenschaften, S. 392. 309 Arnim teilte sich die Institutsleitung mit Vertretern der polnischen Botschaft, des Außenpolitischen Amts und des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Ebd., S. 367– 371 und 394. 310 Weitere Referenten waren der Altertumswissenschaftler Prof. Zieliński, der Volkswirtschaftler Prof. Krzyżanowski und der Dichter Juliusz Kaden Banderowski. Bericht über die Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas, zitiert nach dem Abdruck in: Osteuropa 55/12 (2005), S. 68–74, hier S. 71 f. Zu Haleckis Referat Franz Morré, Grenzfragen im Osten, in: JDG 11 (1935), S. 609–620, hier S. 613.

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fassen.311 Sicherheitshalber sprach Halecki vor einem geschlossenen Hörerkreis, denn deutschland­feindliche Stimmungsmache war aus Sicht der Veranstalter von polnischen Gelehrten immer zu erwarten.312 Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Bemühungen war den Verantwortlichen der DGSO das Deutsch-Polnische Institut ein Dorn im Auge, zumal sie es aus nati­ onalpolitischer Warte als gefährlich naiv betrachteten. Gegenüber dem Auswärtigen Amt machte Generalsekretär Werner Markert geltend, das neue Institut lade geradezu zur polnischen „Kulturpropaganda“ ein und bezwecke vermutlich eine nationalistische Aktivierung der in Deutschland lebenden Polen. Man müsse daher auf Gegenseitigkeit pochen und ein analoges Institut in Warschau einfordern. Die Intervention zeigte Wirkung, und Hoetzsch wurde als Vizepräsident der DGSO mit der Aufsicht über die Vortragsreihen des Instituts betraut.313 Nur einen Monat später fiel er jedoch in Ungnade und wurde zwangs­pensioniert. Den offiziellen Anlass dazu lieferte die Betreuung eines jüdischen Doktoranden, der eigentliche Grund war aber wohl in Hoetzschs bisheriger Nähe zur Rapallo-Politik zu suchen, die ihn schwerlich zum Wegbereiter einer deutsch-polnischen Annäherung prä­ destinierte.314 Als Ersatz für Hoetzsch wurde Hans Uebersberger aus Breslau auf den Berliner Osteuropa-Lehrstuhl berufen, gleichzeitig übernahm er dessen Pflichten im Deutsch-Polnischen Institut.315 Bei seinem Amtsantritt wurde ihm auferlegt, sich auf die Geschichte Ostmittel­europas zu konzentrieren,316 doch war er dazu als ausgesprochener Russland­spezialist wenig geeignet. Die polnische Botschaft ließ sich von solchen Unregelmäßigkeiten nicht beirren. Für einen ersten Vortragszyklus schlug sie nicht weniger als zwei Dutzend Referate zu einem breiten Themenspektrum vor.317 Ein feierlicher Eröffnungs­ vortrag sollte Marschall Piłsudski wür­digen, weitere Beiträge die Demographie und Wirtschaft Polens, seine Verfassung, sein Bildungswesen und seine Wehrfä-

311 Zur vorangehenden Diskussion des Osteuropabegriffs durch polnische und deutsche Historiker s. o., Kap. 2.2.3. 312 Bericht über die Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas, zitiert nach dem Abdruck in: Osteuropa 55/12 (2005), S. 68–74, hier S. 71 f. 313 Burkert, Ostwissenschaften, S. 369–371. 314 Ebd., S. 372. 315 Später sollte auch er in Ungnade fallen. Ebd., S. 387. 316 Oberländer, Geschichte Ostmitteleuropas, S. 29. 317 Die deutsche Seite suchte den polnischen Enthusiasmus indes zu dämpfen und stellte für die Referate ledig­lich einen kleinen Interessentenkreis in Aussicht. Gedacht wurde v. a. an ausgewählte Lehrer und Presse­vertreter. Deutsch-Polnisches Institut an der Lessing-Hochschule an Botschaftssekretär J. Skorkowski, Berlin, 25. 10. 1935, AAN Ambasada RP w Berlinie [im Folgenden: ARPB]/1422, Bl. 17–19.

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higkeit darstellen. Landeskundliche Referate müssten, so ein interner Vermerk, „auf geschickte Weise“ die „Polonizität“ der polnischen Ostseeküste und der Region Vilnius hervorheben.318 Im Zentrum des Referatszyklus sollten indes „historisch-politische Themen“ stehen. Im Zuge dessen sollte Zieliński „Die historische Rolle Polens in Mitteleuropa“ erläutern, Smogorzewski das Verhältnis von „Polen und Deutschland gestern und heute“. Über das scheinbar unverfängliche Thema „Polnische Volksfeste“ sollte Mośćicki auf den Nationalfeiertag und damit auf die Verfassung des 3.  Mai 1791 zu sprechen kommen, die als Beweis dafür dienen sollte, dass Polen seine innere Krise gegen Ende des 18.  Jahrhunderts bereits überwunden hatte und daher kein Eigenverschulden an den polnischen Teilungen trug. Seiner willkürlichen Zergliederung habe sich das polnische Volk in sporadischen Aufständen widersetzt, wie ein Referat von Marceli Handelsman über den Januaraufstand von 1863 beweisen sollte.319 Nach seiner nationalen Wiedergeburt hatte sich das Land – wie weitere Referate darlegen sollten – zu einem wirtschaftlich leistungsfähigen Staat gewandelt, dessen Grenzen angeblich auch im Nordwesten (Pommern) und Nordosten (Gebiet Wilna) national gefestigte Gebiete umschlossen. In der Summe zielten die polnischen Vorschläge darauf ab, Polen als lebensfähige Nation mit starker Selbstbehauptungskraft zu porträtieren. Bei der deutschen Gegenseite stieß der Programmentwurf allerdings auf gewichtige Einwände, wie aus den zahlreichen Streichungen im Entwurf hervorgeht. Keine Gnade fand der Beitrag von Kazimierz Smogorzewski, der sich als polnischer Korrespondent in Berlin den Ruf eines NS-kritischen Berichterstatters erworben hatte und in Paris als umtriebiger Initiator einer polonophilen, deutschlandfeindlichen Kampagne der französischen Geschichts­ wissenschaft 320 in Erscheinung getreten war. Dass Handelsmans Referat über den Januaraufstand von 1863 abgelehnt wurde, hing weniger mit dem Thema zusammen – der Aufstand hatte sich gegen die russische Teilungsmacht gerichtet – als vielmehr mit der jüdischen Abkunft des Referenten. Die These, dass Polen im Zuge der Teilungen Opfer seiner aggressiven Nachbarn geworden sei, schien der polnischen Botschaft Berlin wohl selbst zu heikel, wie die skeptische Randnotiz „Preussen?“ erahnen lässt, und fiel offenbar der Selbstzensur zum Opfer. Wenig erstaunt schließlich, dass sich die deutsche Seite im Hinblick auf „Westpreußen“ und den

318 Entwurf zu einem Vortragsprogramm für das Polnisch-Deutsche Institut 1935/6, als Anlage zu: J. Skorkowski, Sekretär der polnischen Botschaft Berlin, an das MSZ, Politische Abteilung IV, 8. 10. 1935, AAN ARPB/1422, Bl. 21–24. 319 Ebd. Reinschrift ebd., Bl. 22–24. Dort fehlen die ausgestrichenen Themen. 320 S.o, Kap 2.2.1, sowie Haar, Historiker, S. 203 f.

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„Korridor“ Belehrungen über den polnischen Charakter der Ostseeküste verbat – die entsprechenden Themen aus dem landes­kundlichen Referatsblock fielen ebenfalls der Streichung zum Opfer. Abhilfe versprach ein neuer Programmentwurf, in dem der ehrwürdige Bronisław Dembiński mit einem historischen Beitrag über „Polens Rolle in Europa“ an die Stelle Smogorzewskis getreten war.321 Schließlich wurde das Referat nochmals ausgetauscht und durch einen Bei­trag des erwiesenermaßen deutschlandfreundlichen Oskar Halecki ersetzt.322 Auch hatte man sich darauf besonnen, dass ein Referat über die autoritäre polnische Verfassung von 1935 der deutsch-polnischen Eintracht eher zuträglich sein mochte als die Erinnerung an das Grund­gesetz von 1791. Dagegen versprach ein Beitrag über „Vorgeschichtliche Zeugnisse“ in Polen vor dem Hintergrund anhaltender Diskussionen um das ius primae occupationis von Germa­nen und Ur­slawen neuen Zündstoff.323 Aus der Korrespondenz der Presseabteilung geht hervor, dass sich das Außenministerium die vorgängige Kontrolle der polnischen Referats­manuskripte ausbat.324 Verfänglich schienen der polnischen Seite deutsche Versuche, die „jüdische Frage“ als Quelle deutsch-polnischer Eintracht zu erschließen. Zwar hatte die polnische Botschaft zunächst arglos ein Referat über „Juden in Polen“ zugesagt, doch bald dämmerte Józef Paprocki, dem vorgesehenen Referenten und Direktor des Instituts für Nationalitätenfragen in Warschau, dass er als offiziöser Repräsentant der polnischen Minderheitenpolitik mit dem geplanten Vortrag im In- und Ausland mehr Schaden als Nutzen anrichten konnte.325 Seine Bedenken gegen den Vortrag wurden im Außenministerium bestätigt, wo man beim besten Willen nicht erkennen konnte, welchen „Vorteil uns ein solcher Vortrag in Deutschland gegenwärtig einbringen könnte“. Stattdessen befürchtete man, dass „die Behandlung eines solch heiklen Themas, selbst vor einem im strengsten

321 J. Chmieliński, Presseabteilung beim MSZ, an polnische Botschaft Berlin, 22. 11. 1935, AAN ARPB/1422, Bl. 40. 322 J. Chmieliński, Presseabteilung beim MSZ, an polnische Botschaft Berlin, Warschau, 13. 2. 1936, AAN ARPB/1422, Bl. 70. Das allzu kurzfristig angesetzte Referat wurde dann erneut verschoben. J. Skorkowski, Polnische Botschaft Berlin, an MSZ, 10. 4. 1936, ebd., Bl. 93–96. Ob Halecki schließlich überhaupt vortrug, lässt sich nicht feststellen. 323 J. Chmieliński, Presseabteilung beim MSZ, an polnische Botschaft Berlin, 22. 11. 1935, AAN ARPB/1422, Bl. 40. 324 J.  Skorkowski, Botschaftssekretär, an den Bischof von Tschenstochau [Teodor] Kubina, 2. 1. 1936, AAN ARPB/1422, zwischen Bl. 41 und Bl. 53. 325 J.  Chmieliński an polnische Botschaft Berlin, 22. 11. 1935; J. Skorkowski, Botschaftssekretär, an Direktor Józef Paprocki, Institut für Nationalitätenfragen in Warschau, 4. 1. 1936, AAN ARPB/1422, Bl. 54.

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Sinne wissenschaftlichen Publikum, für uns leicht unerwünschte Folgen haben könnte“. Daraufhin entschuldigte sich Paprocki beim deutsch-polnischen Institut unter Verweis auf drückende Arbeitslasten.326 Nicht ohne Stolz vermeldete Józef Lipski dagegen Ende Mai 1936 nach Warschau, der Major und Historiker Olgierd Górka habe einen Vortrag über die polnische Armee im Nationalen Klub an der Bellevue­straße gehalten – dem symbolträchtigen Ort von Hitlers erstem Auftritt in Berlin im Jahre 1922. Seine Worte hätten bei den anwesenden hochrangigen Persönlich­keiten einen „hervor­ragenden Eindruck“ hinterlassen und „der Zurschaustellung unserer militärischen Stärke“ gedient.327 Polen war bereit, so die Botschaft, im Dialog mit Deutsch­land versöhnliche Töne anzuschlagen, aber es agierte aus einer Position der Stärke. Insgesamt lassen die Aktivitäten des Berliner Instituts das Bild zweier Staaten entstehen, die auf innenpolitischer Ebene zunehmend Gemeinsamkeiten entwickelten. Auffällig ist, dass beide Seiten zur Darstellung ihres nationalen Selbstverständnisses zunächst namhafte Historiker ins Feld führen wollten (Hoetzsch, Dembiński, Halecki), diese aber rasch in den Hintergrund gerieten – offenbar nicht zuletzt deshalb, weil ihre geschichtlich begründeten Entwürfe der nationalen Selbstdefinition nicht mit dem raschen Wandel im Selbstbild beider Staaten mithalten konnten.328 Ins Auge sticht ferner, dass die Berliner Gesellschaft nach dem Bruch mit Hoetzsch und Uebersberger jeglichen Kontakt zur deutschen Ostforschung und zur universitären Osteuropahistoriographie vermied. Uebersberger, Markert, Philipp, Laubert, Stasiewski, Ludat oder Brackmann wurden nicht zu Referaten eingeladen. Eine Liste von „Ostinteressierten“, welche die Publikations­ stelle der polnischen Botschaft hatte zukommen lassen, blieb unberücksichtigt. Offenbar hielten es weder die polnischen Partner noch die deutschen Parteistellen für wünschenswert, die Ostforscher in die Verständigung einzu­beziehen.329 Umtriebig bemühte sich Arnim in den folgenden Monaten um den weiteren Ausbau des Insti­tuts;330 dem ‚Führer‘ persönlich hielt er die politische und

326 Tadeusz Gwiazdowski, Presseabteilung beim MSZ, an polnische Botschaft Berlin, 17. 1. 1936, AAN ARPB/1422, Bl. 60. 327 Józef Lipski, polnischer Botschafter in Berlin, an die Presseabteilung des MSZ, 30. 5. 1936, AAN ARPB/1422, Bl. 114. 328 So war Hoetzsch trotz seiner Hinwendung zu Polen noch als Vertreter der deutsch-russischen Großmacht­solidarität bekannt, und dass sich die polnischen Historiker mehrheitlich als Anhänger der liberalen Mai-Verfassung von 1791 auswiesen, konnte im national­sozialistischen Deutschland ebenfalls wenig Sympathie wecken. 329 Burkert, Ostwissenschaften, S. 397f. 330 Gleichzeitig verstärkten andere Institutionen ihre polenkundlichen Aktivitäten: Georg von Manteuffel-Szoeges baute an Ribbentrops Auslandhochschule ein kleines Polen-Institut auf,

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wirtschaftliche Bedeu­tung der deutsch-polnischen Beziehungspflege vor Augen und wurde dafür mit einem symbolischen Zuschuss belohnt.331 Einwände gegen den Ausbau des Instituts erhob hingegen das Auswärtige Amt, das eine solche Aufwertung erst zulassen wollte, wenn in Warschau ein entsprechendes Gegenstück seine Pforten öffnete. Die Gründung einer solchen Einrichtung hatte Lipski bereits bei der Eröffnung des Berliner Instituts in Aussicht gestellt, entsprechende Schritte ließen aber auf sich warten.332 Erst im Sommer 1938 konnte in Warschau eine Polnisch-Deutsche Gesellschaft gegründet werden,333 die nun ebenfalls ein ambitiöses Vortrags­programm realisieren sollte, das jedoch keine Historiker einbezog.334 Bereits im April 1939 brachte die rapide Verschlechterung des zwischenstaatlichen Klimas die Tätigkeit der beiden Gesell­schaften indes zum Erliegen.335 Der Hitler-Stalin-Pakt bescherte dem Institut schließlich eine radikale Kehrtwende: Die Villa an der Kurfürsten-Straße und das Vereins­vermögen wurden zum Grundstock einer deutsch-sowjetischen Anstalt, deren Benennung als Zentralstelle Osteuropa die radikale Kehrtwende etwas verschleiern sollte. Ein Großteil der Mitarbeiter wurde übernommen.336

2.3.5 Schlichtungsversuche: Die Schulbuchgespräche von 1937/1938 Eine Revision der deutschen und polnischen Schulbücher „im Geiste der Verständigung“ stellte das Presseabkommen von 1934 in Aussicht.337 Neu war die Ein-

und am Ostseminar der Hoch­schule für Politik fand der Polenhistoriker Herbert Ludat Anstellung. Ebd., S. 374 und 388. 331 Von Arnim an Adolf Hitler [Abschrift], 27. 4. 1936. AAN ARPB/1422, Bl. 125–128; Lammers, Chef der Reichskanzlei, an von Arnim [Abschrift], 5. 5. 1936, AAN ARPB/1422, Bl. 124. 332 Burkert, Ostwissenschaften, S. 389–391. 333 Deren Vorsitz übernahm der deutschlandfreundliche Germanistikprofessor Zygmunt Łempicki. Ebd., S. 386, 393–395. 334 Als Referenten wollte man u. a. gewinnen: den Rassenkundler Eugen Fischer, den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch, die Pädagogen Ernst Krieck und Eduard Spranger, Albert Speer sowie den Juristen Carl Gördeler. Einige Referate wurden gehalten und von der deutschen Botschaft in Warschau als erfolgreich beurteilt. 335 Mit Einwilligung Ribbentrops unternahm Kleist als Generalsekretär der deutschen Gesellschaft in diesem Monat eine letzte Polenreise, auf der er prominente Intellektuelle für eine Verständigungsaktion zu gewinnen suchte. Burkert, Ostwissenschaften, S. 396. 336 Ebd., S. 397 f. 337 Krzysztof Ruchniewicz, Der Entstehungsprozess der Gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchkommission 1937/38–1972, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 237–252, hier S. 241.

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sicht, dass gerade der Schulunterricht einer deutsch-polnischen Verständigung entgegen­stand, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr; bisher hatte sie allerdings eher zum Gedankengut linksliberaler und katholischer Pazifisten gehört. 1924 hatte Hellmut von Gerlach, der sich als Unterstaats­sekretär im preußischen Innenministerium und Ratsmitglied des Internationalen Friedens­büros für die Aussöhnung Deutschlands mit seinen Nachbarn einsetzte, erste Versuche unternommen, polnische Historiker und Politiker für die Gründung einer bilateralen Schulbuch­ kommission zu gewinnen.338 Gerlachs Überzeugung von der deutschen Kriegsschuld setzte ihn in seinem Heimatland allerdings heftigen Anfeindungen aus, und letztlich scheiterte die Initiative auch am Mangel kompromissbereiter polnischer Ansprechpartner. Dennoch blieb die Idee leben­dig. 1927 verfasste Siegfried Kawerau für den Bund entschiedener Schul­reformer eine Denkschrift über die deutschen Geschichtsbücher, in der er zur Mäßigung gegenüber dem östlichen Nachbarland aufrief und eine Darstellung „im Sinne der Verständigung und des Friedens“ anmahnte.339 Niemals mehrheitsfähig, scheiterten solche Bemühungen nach der Machtübernahme Hitlers am politischen Profil ihrer Träger.340 Auf polnischer Seite wurden Schulbuchgespräche mit Deutschland zu Beginn der Dreißigerjahre zum staatlichen Anliegen erhoben. Entsprechende Möglichkeiten schien der Völkerbund zu eröffnen, unter dessen Dach pazifistisch gesinnte Wissen­schaftler und Pädagogen seit den Zwanzigerjahren darauf hinwirkten, die widerstreitenden Geschichtsbilder der europäischen Nationen miteinander zu versöhnen.341 Polnische Hoffnungen, auf diesem Wege zu Schulbuch­gesprächen mit Deutschland zu gelangen, scheiterten allerdings am deutschen Austritt aus dem Völker­bund im Oktober 1933.

338 Olszewski, Deutsche Historiographie aus polnischer Sicht, S. 286; Henryk Olszewski, Helmuta Gerlacha rozważania o ideologii i polityce niemieckiej w latach 1890–1935, in: Barbara Stoczewska/Michał Jaskólski (Hg.), Myśl polityczna od historii do współczesności, Kraków 2000, S. 313 ff. 339 Ruchniewicz, Entstehungsprozess, hier S. 239. 340 Minoritäre Verständigungsinitiativen hatte es zuvor freilich mehrfach gegeben. 1927–1931 existierte in Berlin ein Deutsch-Polnisches Verständigungs­komitee sozialdemokratischer und linkskatholischer Parlamentarier, dem auf polnischer Seite eine analoge Einrichtung gegenüber­ stand. AAN ARPB/2648. Im April 1933 rapportierte die Botschaft das Bemühen links-katholischer deutscher Zentrums­politiker, in Frankfurt a. M. einen Kreis zur Erforschung der historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen zu bilden. AAN ARPB/2649. 341 Bereits im Sommer 1932 hatte in Den Haag eine erste inter­nationale Konferenz zum Geschichtsunterricht statt­gefunden, und im Juni 1933 richtete die polnische Delegation bei der Commission Internationale de Coopération Intellectuelle des Völker­bundes eine Unterkommission für Lehrbücher ein. In diesem Rahmen engagierte sich unter anderen Oskar Halecki. Erstaunlicherweise ist die Arbeit dieser Kommissionen unter dem Dach des Völkerbunds bisher kaum erforscht worden. Eine erste Übersicht bieten Cattaruzza/Zala, History.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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Nach Hitlers Machtübernahme kochte die Furcht vor den Folgen einer antipolnischen Indok­trination der deutschen Schuljugend in Polen weiter hoch. „Wenn es wahr ist, dass der Krieg von 1870/1871 vom preußischen Volksschullehrer gewonnen wurde“, mahnte eine besorgte Stimme nach der Machtergreifung Hitlers, „so steht außer Frage, dass der zukünftige Krieg, auf den die deutsche Regierung hinarbeitet, erneut vom Lehrer vorbereitet werden soll“.342 Unter diesen Umständen wurden Rufe laut, die zum didaktischen Wettrüsten mit Deutschland aufforderten.343 Offensichtlich maß man dem Geschichtsunterricht für die geistige Mobil­machung der Nation in jenen Jahren hohe Bedeutung zu. Zur Abrüstung war man nur bereit, wenn sie auf gegenseitiger Basis erfolgte, wonach es zunächst nicht aussah. Vielmehr ließen die im Presseabkommen in Aussicht gestellten Schulbuch­gespräche auf sich warten,344 und es häuften sich gar die Anzeichen dafür, dass die polenfeindliche Propaganda an deutschen Schulen weiter zunahm. So hatte Franz Lüdtke 1934 im Namen des BDO vorgeschlagen, eine verpflichtende „Ost-Erziehung“ einzuführen, die den Schülern die Ost­ sendung des deutschen Volkes näherbringen sollte, und dafür die Zustimmung des preußischen Erziehungs­ministeriums erhalten.345 (In diesem Vorstoß ist wohl auch das ursprüngliche Vorbild für die bundesdeutsche ‚Ostkunde‘ der Fünfzigerjahre zu suchen.) 1935 erläuterte Helmut Lüpke, Ost­forscher und Stipendiat von Brackmanns Publikationsstelle, auf der ersten Geschichtstagung des NS‑Lehrerbundes Die Ausrichtung der deutschen Geschichts­wissenschaft nach Osten, und Franz Morré stellte in den Jahresberichten für deutsche Geschichte befriedigt fest, die neue nationalsozialistische Regierung messe „den historischen und politischen Fragen der deutschen Ostgrenze“ im Schul­unterricht mehr Bedeutung zu als die bisherige Bildungs­politik.346 Angesichts dieser Entwicklung zog der polnische Botschafter in Berlin einen offiziellen Protest beim Auswärtigen Amt in Erwägung, kam letztlich aber zum

342 So ein gewisser Andrzej Zand, zitiert nach Romuald Gelles, Sprawy polskie w szkole nie­ mieckiej w latach 1919–1939, Wrocław/Warszawa/Kraków 1991, S. 192. 343 So rief Ewa Maleczyńska im Nachrichtenblatt der polnischen Geschichtslehrer dazu auf, die junge Generation für den bevorstehenden geistigen und womöglich auch physischen Kampf gegen das entfesselte Germanentum zu rüsten. Wiadomości Historyczno-Dydaktyczne 1933, Heft 1, S. 1812. In der VRP profilierte sich Maleczyńska 1950 als entschiedene Vorkämpferin der deutsch-polnischen Historikerverständigung. S. u., Kap. 4.2.5. 344 Ruchniewicz, Entstehungsprozess, S. 241. 345 Bohdan Samborski, Generalkonsulat der Republik Polen in Oppeln, an die Botschaft Berlin, 21. 9. 1934, unter Berufung auf einen Artikel in der Frankfurter Zeitung. AAN ARPB/432, Bl. 60. 346 Helmut Lüpke, Die Ausrichtung der deutschen Geschichte nach Osten, in: NS-Lehrerbund (Hg.), Vorträge der ersten Geschichtstagung des NS-Lehrerbundes in Bremen, Leipzig 1935, S. 25–42; Morré, Grenzfragen (1935), S. 615.

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Schluss, dass die vagen Formulierungen des Presse­abkommens dazu kaum Handhabe boten. Als ermutigender Anfang mussten Józef Lipski immerhin die Bestrebungen am Deutsch-Polnischen Institut in Berlin erscheinen, polenkundliche Kurse für einen Kreis ausgewählter Lehrer anzubieten. Unver­drossen schlug er deshalb bilaterale Schulbuchgespräche mit Deutschland vor und fand dafür die Unterstützung seines Außenministeriums. Daraufhin wurde die Botschaft im Berliner Reichsbildungs­ministerium vorstellig, wo man „informelle“ Gespräche zwischen deutschen und polnischen Historikern zusicherte.347 Auch im Rahmen der deutsch-polnischen Bespre­chungen zum Erfüllungsstand des Presse­abkommens im Juni 1936 unterstrich Vize­außenminister Jan Szembek den Stellenwert solcher Gespräche für Polen. Nach dem erfreulichen Tonwechsel in der Presse müsse man sich nun endlich den Schulbüchern widmen: „Schließlich ist die Erziehung der Jugend im Geiste der gut­nachbar­schaftlichen Beziehungen, die gegenwärtig zwischen den beiden Staaten herrschen, eine erstrangige Aufgabe.“348 Diese unverzüglich anzugehen, zeigte sich die polnische Seite fest entschlossen. Auf einer Sitzung im Dezember 1936 glaubten sich die Experten für Gespräche mit der deutschen Seite gewappnet. Marceli Handelsman warnte allerdings vor überzogenen Hoffnungen und äußerte die Erwartung, die Deutschen würden die Gespräche nur pro forma führen. Optimistischer gab sich ein Vertreter des Außenministeriums, der aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt haben wollte, dass man sich mit dem ‚neuen Deutschland‘ oft schneller verständigen könne als mit dem alten.349 Zum Gesprächsführer ernannte die polnische Seite den renommierten Mediävisten Jan Dąbrowski. Als die deutsche Seite ihre Ansprech­ partner bekannt gab, schienen sich Handels­mans Befürchtungen zunächst zu bestätigen: Berufshistoriker waren nicht vorgesehen, stattdessen wurden Ministerialrat A. Usadel vom Reichsbildungsministerium und Studienrat Rudolf Fitzek aus Breslau mit der Gesprächs­führung betraut. Letzterer hatte sich als Verfasser antipolnischer Gedichte und Theaterstücke einen Namen gemacht.350 Entsprechend entmutigend begannen die Verhandlungen: Ein erstes deutsch-polnisches Treffen in Berlin verlief ergebnislos, da die deutsche Seite gänzlich unvorbereitet erschienen war.351 Diese Nachlässigkeit musste den Polen angesichts ihrer eigenen Gesprächs­vorbereitungen besonders verdrießlich

347 AAN ARPB/438, Bl. 2–5. 348 Diariusz i teki Jana Szembeka, Londyn 1965, Bd. 2, S. 222 f. Zitiert nach Gelles, Sprawy pol­ skie w szkole niemieckiej, S. 195. 349 AAN MSZ/1915, Bl. 46–48. 350 Von ihm stammte etwa das notorische Bühnenstück Volk an der Grenze, das nach dem Presseabkommen abgesetzt worden war. AAN ARPB/438, Bl. 28; MSZ 7060, Bl. 315. 351 AAN ARPB/438, Bl. 39, 41 f.

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erscheinen, hatte man doch vorgängig nicht weniger als 145 deutsche Lehrbücher durchgesehen und rezensiert. Die Mehrheit der begutachteten Unterrichtsmittel widersprach in den Augen der Rezensenten dem Geist der deutsch-polnischen Presse­vereinbarung.352 Immerhin kam man in Berlin überein, „dass aus den Lehrund Lesebüchern alle Ausdrücke und Wendungen ausgemerzt werden sollten, die auf den Vertragspartner beleidigend und herabsetzend wirken könnten und geeignet seien, das nationale Empfinden des anderen Volkes zu verletzen“.353 Auch nahm die deutsche Seite den polnischen Wunsch zur Kenntnis, weitere Verhandlungen mit einem ausgewiesenen deutschen Historiker zu führen. So fand sich zur nächsten Gesprächsrunde Ende August 1937 nebst Fitzek kein Geringerer als Hermann Aubin in Warschau ein.354 Damit signalisierte die deutsche Seite nicht nur ihre Bereitschaft, die Gespräche ernst zu nehmen, sondern verschaffte den Verhandlungen auch gleichzeitig Rückhalt in der deutschen Ostforschung. Die Delegation war vom Reichs­bildungs­ministerium in Absprache mit dem Auswärtigen Amt zusammengestellt worden und hatte diesmal eine „sehr umfangreiche Vorbereitung“ betrieben.355 Im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der bevorstehenden Gespräche gab sich Aubin gegenüber den polnischen

352 Die enorme Bedeutung, die man den Gesprächen mit Deutschland beimaß, tritt im Vergleich noch deutlicher hervor: Zwar führte Polen damals mit neun weiteren Staaten Schulbuchgespräche, doch selbst zusammen­genommen blieb die Zahl der rezensierten Lehrbücher aus Tschechien, Lettland, Rumänien, Frankreich, Eng­land, der Sowjetunion, Portugal, Schweden und Italien hinter jener der deutschen zurück. Prof. K. Lutostański, Vorsitzender der Polnischen Kommission für Internationale Intellektuelle Zusammenarbeit, an MSZ, Abteilung für internationale Organisationen, 24. 3. 1937, AAN MSZ/1915, Bl. 136. 353 Deutsche Aufzeichnung über die Verhandlungen zur Frage der Angleichung der Schulbücher mit Polen im Kultusministerium zu Warschau am 28. und 29.  August 1937, undatiert, als Anlage zu Fitzek an die PuSte, Breslau, 27. 7. 1938, BAB R 153/1371. Dort wird die genannte Vereinbarung dem ersten Treffen zugeschrieben. S. auch Deutsche Aufzeichnung über die ersten Besprechungen zur Frage der Angleichung der Schulbücher mit Polen im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zu Berlin am 6. und 7. 4. 1937, Abschrift, als Anlage zu Wiktor Skiwski, Presseabteilung des MSZ, an polnische Botschaft Berlin, 15. 5. 1937, AAN ARPB/438, Bl. 38. 354 Auf polnischer Seite erhielt Dąbrowski derweil Verstärkung vom Geschichtspädagogen Prof. Bogdan Nawro­czyński aus Warschau und einem nicht näher bekannten Dr. Kowalski. 355 Dabei war dem Breslauer Osteuropa-Institut ein Arbeitskreis unter Leitung von Ernst Birke zur Hand gegan­gen, dem „junge Vertreter der Geschichte, Geographie, Volkskunde und Rassenkunde, des BDO, der SS und der Reichsschrift­tums­kammer“ angehörten. Jahresbericht des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Universität Breslau für das Jahr 1937/38, S. 6, undatiert, Exemplar aus dem BAB R 153/1371.

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Gesprächspartnern zuversichtlich – schließlich teile man eine gemeinsame Sprache, die sich aus der Verwurzelung im jeweils eigenen „Volkstum“ ergebe.356 Vorbereitend hatten beide Seiten Listen mit beanstandeten Lehrbuchpasgestellt und auf dieser Grundlage Themenkreise bestimmt, sagen zusammen­ deren Besprechung ihnen besonders dringlich schien. Zunächst trug die polnische Abordnung ihre Desiderate vor. Am Anfang ihrer chronologisch geordneten Beschwerdeliste stand die Klage, in den meisten deutschen Lehrbüchern finde sich kein Wort über die Entstehung Polens. Dagegen spreche man ständig davon, dass die Deutschen altgermanischen Volks­boden zurückgewonnen hätten. „Der Eindruck, es solle eine Rückeroberung der verlorenen Gebiete vorbereitet werden, erscheine polnischerseits vor allem bedenklich“, hielt die deutsche Besprechungsnotiz fest. Darauf erwiderte die deutsche Abordnung, die Germanen hätten das fragliche Gebiet schon tausend Jahre vor den Slawen besiedelt; der Ausdruck „alter germanischer Volksboden“ könne deutscherseits deshalb nicht aufgegeben werden. Er werde jedoch „ohne jede Wieder­eroberungs­tendenz“ gebraucht. Den polnischen Vorschlag, angesichts der Völker­wanderungen die Vorstellung jeglicher uransässigen Völker überhaupt fallen zu lassen, parierte Aubin mit dem Hinweis, es seien vor allem polnische Forscher, die mit dem Ausdruck von der „slawischen Urheimat“ einen autochthonen Anspruch erhöben. Zur Begründung diene dabei die „wissenschaftlich nicht haltbare These“ vom urslawischen Charakter der Lausitzer Kultur. Dass die Entstehung des polnischen Staates in deutschen Schulbüchern kaum Erwähnung fand, entschuldigte die deutsche Seite mit dem Zwang, den Lehrstoff zu begrenzen – gab aber zu, dass die „innere Anteilnahme“ der Deutschen „natürlicherweise in erster Linie den Germanen“ gehöre. Immerhin konzedierte sie, „dass die heute gebrauchten Lehrbücher zu einer Zeit entstanden seien, als der polnische Staat den Verfassern noch nicht in einer solchen fest umrissenen Bedeutung gegenüber gestanden habe, wie das heute der Fall sei“. Das kam einer Abkehr vom Bild Polens als Saisonstaat gleich und wurde mit der Zusage verbunden, bei einer Neuauflage der Lehrbücher für Abhilfe zu sorgen.357 Hinsichtlich der Christianisierung Polens konzedierte die polnische Seite einen großen Einfluss der deutschen Kirche. Es gehe aber zu weit, wenn deutsche Lehrbücher behaupteten: „Verchristlichung und Verdeutschung waren eins“. Die deutsche Abordnung erwiderte versöhnlich, es handle sich bei dieser ganzen Frage im Grunde nur um einen Unterschied in der Nuancierung.

356 Enno Meyer, Deutsch-polnische Schulbuchgespräche. Ein Zwischenbericht zu den gegenwärtigen deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen der beiderseitigen Unesco-Kommission, in: GWU 24 (1973), S. 35–43, hier S. 35 f. 357 Deutsche Aufzeichnung über die Verhandlungen […] am 28. und 29. August 1937, S. 4.

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Die Korrektur der beanstandeten Formulierung wurde zugesichert. Ebenso rasch verständigte man sich über die Abwehr der Tataren bei Liegnitz im Jahre 1241. Die einzig richtige Lesart müsse lauten, dass Deutsche und Polen hier gemeinsam das Abendland verteidigt hätten.358 Überraschenderweise kam der Wunsch, die deutsche Ostkolonisation stärker unter dem Blick­winkel des friedlichen Zusammenlebens und weniger als kriegerische Auseinandersetzung darzustellen, von polnischer Seite. Im Anschluss an die Auseinandersetzungen zwischen Polen und dem deutschen Orden hätten über dreihundert Jahre lang friedliche Beziehungen zwischen Deutschen und Polen geherrscht, was in den Schulbüchern „im allgemeinen viel zu wenig zum Ausdruck“ komme. Dieser Sichtweise schloss sich die deutsche Seite gerne an, erhob in diesem Zusammenhang aber die Forderung, polnischen Schülern vermehrt die deutschen Kultur­einflüsse auf ihr Land näherzubringen. Die polnische Seite erwiderte, solche Einflüsse wolle man gar nicht leugnen, verwahrte sich aber gegen die Sichtweise, dass „Polen alles nur den Deutschen verdanke“, und monierte, dass die polnische Kultur in den deutschen Lehrbüchern gewissermaßen „nur als eine Nebenkultur der deutschen“ erscheine. Daraufhin gestand die deutsche Abordnung der polnischen Kultur großherzig eine gewisse „Originalität“ zu – schließlich gehöre der Glaube an die Eigenständigkeit jeder völkischen Kultur zum Kernbestand der nationalsozialistischen Lehre. Keine Einigkeit konnte über die „Volks­zugehörig­keit des Kopernikus“ erlangt werden.359 Zur Geschichte Polens während der Teilungszeit wollte sich die polnische Seite mit der Aus­sage bescheiden, der Unabhängigkeitskampf des 19.  Jahrhunderts habe sich „in der Hauptsache gegen Russland gerichtet“. Darin lag ein Zugeständnis an die Deutschen, denn diese Aussage rückte die preußische Mitverantwortung an den Teilungen in den Hintergrund. Als Gegenleistung wollte die polnische Seite ihren ‚Freiheitskampf‘ gegen das zaristische und das sowjetische Russland in deutschen Lehrbüchern gebührend gewürdigt sehen, wozu die Deutschen gerne Hand boten: „Bei der Kampfstellung des Dritten Reiches gegenüber dem Bolschewis­mus könne künftighin in den deutschen Lehrbüchern die epochale Bedeutung der Schlacht bei Warschau [gegen die Rote Armee 1920] gar nicht mehr übergangen werden.“ Schließlich nahmen die Polen den Deutschen die Zusicherung ab, in Zukunft um eine angemessene Darstellung von Sobieskis Rolle bei der Befreiung Wiens von den Türken besorgt zu sein. Insgesamt trat aus der Summe der polnischen Wünsche das Bild einer Nation hervor, die ihre Stellung unter den Völkern Westeuropas ohne übermäßige Abhängigkeit von einem

358 Ebd., S. 4–6. 359 Ebd., S. 6–8.

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kultu­rellen Ziehvater selbst errungen hatte und sich bei der Abwehr von Tataren, Türken und Sowjets als unverzichtbare Vormauer ebendieser europäischen Völkerfamilie profiliert hatte. Damit war die Diskussion der polnischen Wünsche abgeschlossen und die Besprechung wandte sich den deutschen Forderungen zu. Oberste Priorität hatte aus deutscher Sicht die Kriegsschuldfrage – sei es doch mit der deutschpolnischen Verständigung in besonderem Maße unvereinbar, dass in polnischen Geschichtslehrbüchern „der Welt­krieg noch im Sinne der von Seiten der Entente aufgebrachten Kriegsschuldlüge und der Greuelmärchen darge­stellt werde“. Souverän erklärte die polnische Abordnung, Polen habe keine Veranlassung, nach Schul­digen zu suchen; die beanstandeten Stellen würden geändert. Nur kurz zur Sprache kam das nationalsozialistische Deutschland. Die Polen versprachen, für die Beseitigung einer Lehrbuchpassage zu sorgen, in der dargelegt wurde, dass das national­sozialistische Einparteien­system und die Rassenpolitik des Dritten Reiches „Gleichheit und Freiheit“ der Bürger in Deutschland beseitigt hätten.360 Sodann kam die Diskussion auf Bismarcks Nationalitätenpolitik, die der deutschen Seite als reine Abwehrmaßnahme gegen den polnischen Irredentismus erschien. Verglichen mit den „Nationalitätenkämpfen im Osten nach 1918“ sei Bismarck geradezu „mit Katzen­pfötchen“ vorgegangen. Auch hier versprach die polnische Abordnung eine objektive Dar­stellung, ohne sich auf konkrete Aussagen festzu­legen. Im Hinblick auf die Teilungen Polens zeigten die Deutschen Verständnis dafür, dass das polnische Volk diese Vorgänge „als das schmerz­lichste Kapitel seiner Geschichte empfinde“. Im Gegenzug sagte die polnische Abordnung zu, die Schilderung der Teilungen auf das Faktische zu beschränken und auf Anklagen zu verzich­ten.361 Außerstande sahen sich beide Seiten, eine einvernehmliche Sicht auf die Auseinandersetzung des deutschen Ritterordens mit Polen zu finden. Erfolglos warben die Deutschen dafür, die gewaltsamen Methoden des Ordens als Normalfall einer kriegerischen Zeit zu verstehen. Bezeichnenderweise sollte auch die deutsch-polnische Schulbuchkommission der Siebzigerjahre, die unter ganz anderen politischen Vorzeichen zusammentrat, in dieser Frage keine Einigung erzielen.362 Weiterhin zeigte sich die deutsche Seite pikiert über die „Behandlung der Germanen und des deutschen Volkscharakters“ in den polnischen Lehrbüchern. Die Polen sicherten zu, in Zukunft respektvoller mit den Germanen umzugehen.363

360 Ebd., S. 9–14. 361 Ebd., S. 14–16. 362 S. u., Kap. 6.3.5. 363 Deutsche Aufzeichnung über die Verhandlungen […] am 28. und 29. August 1937, S. 17 f.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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Das heikelste Thema der Gesprächsrunde hatten sich beide Seiten bis zum Schluss aufgespart: „Die polnischen und die deutschen Forderungen bezüglich der abgetrennten Gebiete und der Abstimmungskämpfe“. Besonderen Anstoß nahmen die Polen an der Behauptung, dass die deutsch-polnische Grenze 1918 „weit in deutsches Gebiet hineinverlegt“ worden sei.364 Ihrer Auffassung nach hatte die Zweite Republik Gebiete zurückerhalten, die historisch und eth­nisch zum polnischen Staat gehörten. Dagegen erwiderte die deutsche Seite plump, es könne „nicht bestritten werden, dass die abgetrennten Teile bis dahin deutsches Gebiet gewesen seien“. Auf eine Diskussion über die Rechtmäßigkeit dieses Status quo ante mochte man sich nicht einlassen. Uneinigkeit herrschte auch hinsichtlich der Abstimmungsgebiete: Während die deutsche Seite davon ausging, dass das mehrheitlich für Deutschland votierende Schlesien gesamthaft an Deutschland hätte fallen müssen, betrachteten die Polen die Zweiteilung des Gebiets nach regionalen Mehrheiten als gerecht. Unangenehm war den Polen, dass deutsche Schulbücher „Überfälle und Gewalttaten“ polnischer „Banden“ in Schlesien betonten. Über solche „historische Kleinigkeiten“ müsse man hinwegsehen und sich stattdessen auf die Aussage beschränken, dass der Kampf von beiden Seiten „erbittert“ geführt wurde und sich „irreguläre Truppen“ daran beteiligten.365 Im Folgenden unterstellten sich beide Seiten revisionistische Absichten. Die Polen monierten, in deutschen Lehrbüchern werde von „unerträglichen Ostgrenzen“ gesprochen; selbst Formu­lierungen wie: „Solange die Grenzen nicht geändert sind“ seien anzutreffen. Auf den Begriff des „Polnischen Korridors“ müsse gänzlich verzichtet werden. Die deutsche Seite lehnte dies mit der spitzfindigen Begründung ab, es handle sich hierbei um eine „rein verkehrstechnische Bezeichnung“. Immerhin erschienen auch der deutschen Seite Darstellungen, wonach die politisch „ungeordneten“ Verhältnisse im Korridor ein Sicherheitsrisiko für die Region darstellten, als überholt. Im Hinblick auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg verdient es Beachtung, dass die Polen nachdrücklich bestritten, ihr Land verlange eine Westgrenze an der Oder. Solche Forderungen seien marginale Auswüchse eines extremen Nationalismus; wenn deutsche Lehrbücher sie hochspielten, könne dahinter nur der Wunsch stehen, bei der deutschen Jugend Hass auf Polen zu schüren.366

364 Diese Formulierung fand sich im Lehrbuch von Teubner, Bd. IV, S. 137. Ebd., S. 19. 365 Deutsche Aufzeichnung über die Verhandlungen […] am 28. und 29. August 1937, S. 18 f. 366 Man verstieg sich gar zur Aussage, es gebe in Polen „keine Partei und keine politische Richtung, die revisionistisch sind.“ Ebd., S. 20–22. Die grenzüberschreitenden Interessen etwa des Thorner Ostsee-Instituts wurden dabei geflissentlich übergangen.

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Wenn die polnischen Verhandlungsführer ihr Land solchermaßen als saturierte Macht dar­stellten, so schloss das auch die Aufforderung an die deutsche Seite in sich, die Ergebnisse der territorialen Arrondierung Polens nach dem Ersten Weltkrieg anzuerkennen. Kritik am Vilnius-Feldzug verbat man sich ebenso wie negative Urteile über Polens Machtübernahme in Galizien; genauso allergisch reagierte man auf Äußerungen über den angeblichen Niedergang der Regionen Posen und Westpreußen unter polnischer Herrschaft. Die Deutschen erklärten daraufhin umgehend ihr Désinteressement an Galizien und Litauen und gestanden gar zu, Posen sei „auch heute noch ein fruchtbares und geordnetes Land“. Anstoß nehme man nur an der Entrechtung der dort ansässigen Deutschen und an der Tatsache, dass polnische Lehr­bücher sich über angeblich ungerechtfertigte Klagen der in Polen lebenden Minderheiten beim Völkerbund beschwerten. Dem begegneten die Polen mit dem Hinweis, hier seien vor allem Litauer, Juden und Ruthenen gemeint, die „besondere Unannehmlich­keiten“ verur­sachten.367 Abschließend wurde vereinbart, die Verhandlungen in Berlin fortzusetzen. Dort fand Ende Juni 1938 im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volks­bildung eine dritte Gesprächsrunde statt.368 Den Stellenwert der Gespräche sollte ein Empfang der polnischen Delegierten bei Kultusminister Rust unterstreichen; an den Verhandlungen selbst war diesmal auch der Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes zugegen.369 Inhaltlich brachten die Gespräche wenig Neues; man beschränkte sich darauf, die beider­seitigen Notizen zu den Verhandlungen des Vorjahres abzugleichen. Als nächstes wollte man dafür sorgen, dass die Ergebnisse der Gespräche „nunmehr fruchtbar gemacht werden“. Dazu sollten die Lehrbuchverfasser beider Länder über die zuständigen Ministerien mit dem Inhalt der Warschauer Besprechungen bekannt gemacht werden. Am Schluss der Verhandlungen wurden eine förmliche deutsch-polnische Vereinbarung und eine begleitende Pressenotiz über die Angleichung der Geschichtslehrbücher verabschiedet.370 Deren Wortlaut ließ sich wenige Tage später in der deutschen Presse nachlesen. Es entbehrte gewiss nicht der Ironie,

367 Deutsche Aufzeichnung über die Verhandlungen […] am 28. und 29. August 1937, S. 23. 368 Die Teilnehmer waren dieselben wie bei den Warschauer Besprechungen vom Vorjahr. Aktennotiz, Berlin-Dahlem, 22. 6. 1938, BAB R 153/1317. 369 So vermerkte es der regierungsnahe Warschauer Kurier Codzienny in der Ausgabe vom 29. 6. 1939, der hier nach dem Pressespiegel der PuSte zitiert wird. Polnische Presseauszüge (Nr. 285) der Publikationsstelle Berlin-Dahlem, 30. 6. 1938, BAB R 153/1371. 370 Deutsche Aufzeichnung über die Verhandlungen zur Frage der Angleichung der Schulbücher mit Polen im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 27. u. 28. 6. 1938, BAB R 153/1371.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

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dass der knappe Text unter dem Titel Geschichtsbücher für den Frieden ausgerechnet im Angriff erschien.371 Er führte aus: Diese Vereinbarung besagt, dass künftig die deutschen und die polnischen Geschichtslehrbücher die­jenigen Zeitabschnitte, in denen die beiden Völker im Gegensatz zueinander gestanden haben, sachlich und leidenschaftslos darstellen sollen. Alle Ausdrücke und Wendungen werden verschwinden, die auf den Vertragspartner beleidigend und herabsetzend wirken müssen und geeignet sind, das nationale Empfinden des anderen Volkes zu verletzen. Diese Regelung wird bei der Neubearbeitung der deut­schen und polnischen Geschichtslehrbücher Berücksichtigung finden […]. Damit sind nach fünf Viertel­jahren Wege der Verständigung gefunden worden, die um so zukunfts­sicherer erscheinen, als sie zu allererst von der Jugend der beiden vertragschließenden Völker beschritten werden.372

Dass das gegenseitige Misstrauen anhielt, zeigt eine Stellungnahme Fitzeks aus dem Juli 1938, in der er argwöhnte, die Polen würden nach dem Erscheinen der neuen deutschen Geschichts­lehrbücher gewiss weitere Forderungen erheben und behaupten, dass die deutsche Seite die getroffenen Vereinbarungen nicht einhalte. Neues „Gegenmaterial“ über polnische Geschichts­lehrbücher sei ihm deshalb „sehr erwünscht“.373 Bereits im September war er fündig geworden. Die revidierten polnischen Lehrbücher unterschieden sich demnach im Tonfall von älteren Ausgaben, „doch der Geist ist derselbe geblieben“. Weiterhin werde der „Anteil der Deutschen an der Hebung der Kultur Polens […] totgeschwiegen“, der deutsche Orden verdammt, und überall fänden sich weiterhin „Ansprüche auf Schlesien, Ostpreußen und Pommerellen“.374 Auch in Polen gab es Stimmen, die an den Erfolgs­aussichten der Vereinbarungen zweifelten.375 Zu diesem Zeitpunkt gingen beide Seiten noch davon aus, dass weitere Gesprächsrunden folgen sollten, in deren Rahmen die Schul­ atlanten und die Lesebücher besprochen werden sollten.376 Dazu kam es jedoch nicht mehr, denn in den folgenden Monaten nahm das Misstrauen auf der Achse Berlin–Warschau im Umfeld der Münchner Konferenz deutlich zu.

371 Die Berliner Gauzeitung der NSDAP war nach dem Völkischen Beobachter das wichtigste Presseorgan der NSDAP. Gegründet und herausgegeben wurde sie von Joseph Goebbels. 372 Geschichtsbücher für den Frieden. Eine Vereinbarung zwischen Deutschland und Polen, in: Der Angriff, 4. 7. 1938. Exemplar aus dem BAB R 155/1371. 373 Fitzek an die PuSte Berlin-Dahlem, Breslau, 27. 7. 1938, BAB R 153/1371. 374 Fitzek an die PuSte Berlin-Dahlem, 12. 9. 1938, sowie die beigefügten Rezensionen polnischer Lehrbücher, BAB R 153/1371. 375 AAN ARPB/438, Bl. 62 f.; 65. 376 Fitzek, Deutsche Abordnung zur Angleichung der Schulbücher mit Polen, an die PuSte Berlin-Dahlem, Breslau, 27. 7. 1938, BAB R 153/1371.

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 2 Deutsch-polnischer Historikerstreit im Schatten von Versailles

2.3.6 Erneute Eiszeit Als der letzte Internationale Historikerkongress der Zwischenkriegszeit 1938 in Zürich zu­sammentrat, hatten die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen in Polen und Deutschland in beiden Delegationen ihre Spuren hinterlassen. Die deutsche Delegation umfasste nun eine Reihe nationalsozialistischer Historiker unter der Leitung von Walter Frank, und die Repres­sionen gegen jüdische oder politisch unliebsame Historiker hatten Lücken hinter­lassen.377 Und während die polnische Delegation oberflächlich intakt schien, hatten staatliche Repressionen gegen Stanisław Kot und antisemitische Ausfälle gegen Marceli Handelsman vor dem Kongress einige Aufmerksamkeit auf die verschärfte Universitätspolitik der Regierung und das unduldsamere politische Klima in Polen gelenkt.378 Dennoch waren die eingesessenen Historiker in beiden Delegationen auch diesmal in der Mehrzahl: Karl Brandi führte wie bereits in Warschau erneut die deutsche Delegation an (obgleich seine Wahl dies­mal nicht unbestritten erfolgt war), und unter den deutschen Referaten blieben national­sozialistisch inspirierte Beiträge wie jene von Franz Koch, Ernst Anrich und Gustav Adolf Rein die Ausnahme.379 Ritter nahm sich gar die Freiheit, Otto Scheel dafür zu kritisieren, dass er in seinem Vortrag zum „Volksgedanke[n] bei Luther“ den deutschen Reformator als Vor­ läufer Hitlers zu porträtieren suchte.380 Noch weniger Veränderungen waren auf polnischer Seite festzustellen; alle aus Warschau vertrauten Gesichter waren erneut angereist, obschon einige ihren Reisepass diesmal nur unter Schwierigkeiten erhalten hatten. Das deutsch-polnische Klima hatte sich indessen merklich abgekühlt. Die beidseitigen Kon­takte in Zürich ließen nicht erkennen, dass die politische Entspannung zwischen Deutschland und Polen die Historiker jemals berührt hatte.

377 Einzelheiten der nationalsozialistischen Repressionen gegen missliebige Historiker bei Schönwälder, Historiker, S. 66–74. 378 Zu Kots politisch motivierter Emeritierung Erdmann, Ökumene, S.  228. 1938 war ihm zunächst der Reisepass verweigert worden. Erst nachdem die PTH beim Außenministerium interveniert und eine Presse­kampagne in Gang gesetzt hatte, wurde die Entscheidung revidiert. Siehe z. B. Dziwne koleje paszportu prof. Kota, in: Głos narodu, 1. 9. 1938. Zu Handelsman Erdmann, Ökumene, S. 222. Weitere Repressionen richteten sich gegen Wacław Sobieski und Jan Cynarski. Andrzej Feliks Grabski, Zarys historii historiografii polskiej, Poznań 2000, S. 174. 379 Peter Stadler, Im Schatten der Kriegsgefahr. Der Internationale Historikerkongress in Zürich 1938, in: Schweizer Monatshefte 6 (1990), S. 484–495, hier S. 487 f. 380 Diese innerdeutsche Kontroverse wurde von den Teilnehmern aus anderen Ländern vielfach als Beleg einer immer noch intakten wissenschaftlichen Freiheit in Deutschland interpretiert. Ebd., S. 488–489.

2.3 Verschärfte Auseinandersetzung und verordnete Annäherung 1934–1939 

 113

Dass in der Zwischenzeit Schulbuchgespräche zwischen beiden Seiten stattgefunden hatten und sie sich zu offiziellen Wissenschaftskontakten bereitgefunden hatten, war der historiographischen Verständigung ganz offensichtlich nicht zustatten gekommen oder musste vielmehr als oberflächliche Förmlichkeit verstanden werden. Im Gegensatz zu Warschau waren die deutsch-polnischen Kontakte in Zürich durch­weg frostig.381 Insgesamt näherten sich die Polen der deutschen Frage diesmal merklich angriffslustiger als in Warschau. Besonders aussagekräftig war Handelsmans Beispiel. Der bislang relativ liberale Historiker hatte sich diesmal Le procès de la renationalisation de la Silésie au XIXe s. vorgenommen und setzte entsprechend (volkstums-)kämpferische Akzente. Dagegen zeigten die Deutschen eine auffallende Neigung, die polnische Frage gänzlich zu ignorieren. Karol Maleczyński notierte, dass weder sein eigener, gewollt provokanter Beitrag, noch andere Referate mit antideutscher Spitze eine deutsche Reaktion hervorriefen.382 Jadwiga Karwasińska nahm das deutsche Verhalten gar zum Anlass für weitreichende Schlüsse: „Mir scheint“, so schrieb sie, „dass die Deutschen in Zukunft dazu neigen, die Geschichte und die Historiker Polens per non est zu behandeln“.383 So legt der Züricher Kongress zwei Schlüsse nahe: Erstens war der Glaube an den Nutzen des wissenschaftlichen Austauschs offenbar sowohl den Polen als auch den Deutschen abhanden gekommen, und die internationale Gelehrten­gemeinschaft tat diesmal wenig, um das flüchtige Ideal der ‚Ökumene der Historiker‘ mit Leben zu erfüllen. Zweitens liefen die anämischen Diskussionen letztlich auf das Ein­geständnis hinaus, dass historische Argumente in Anbetracht der internationalen Machtpolitik zunehmend entbehrlich erschienen.

381 Bonjour beobachtete allerdings, dass dies auch für die Beziehungen vieler anderer Nationalitäten kennzeichnend war. Erdmann, Ökumene, S. 244. 382 Sprawozdanie J. Karwasińskiego i K. Maleczyńskiego, APAN-W I-3/147, Bl. 9. 383 Kondracki, PTH (Diss.), S. 604.

3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg Es gibt keinen polnischen Staat mehr. Es gibt auch keine polnische Geschichtswissenschaft mehr. […] Die Zeit ist gekommen, um die Erforschung der Geschichte des mittelalterlichen Deutschtums in Polen allein aus der Verantwortung vor der gesamtdeutschen Geschichte […] weiterzuführen. (Erich Maschke, 1942)1 Krieg um die Wiedergutmachung historischer Schuld und historischer Fehler, Krieg um die politische Größe Polens. Polnisches Kriegsziel ist eine Ostseeküste von Klaipeda bis Stettin und eine Grenze an der Oder. (Anonym, 1942)2

Die Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen deutschen und polnischen Historikern ist auf die Kriegszeit nur bedingt anwendbar, wird sie doch von der in jenen Jahren bestehenden extremen Ungleichheit zwischen beiden Seiten weitgehend ad absurdum geführt. Nach 1945 bildete der national­sozialistische Eroberungskrieg im Osten freilich über Jahrzehnte den zentralen und immer wiederkehrenden Bezugspunkt historischer Auseinander­setzungen über Oder und Neiße hinweg. Dabei standen die Historiker beider Länder lange Jahre unter dem Eindruck ihrer Kriegs­erfahrungen. In Polen blieb die Rolle der deutschen Fach­ kollegen während des National­sozialismus unvergessen; dies­bezügliche Vorbehalte stellten nebst blockpolitischen Barrikaden eine der wichtigsten Hürden dar, die der Wieder­aufnahme eines fruchtbaren wissenschaftlichen Meinungsstreits zwischen Polen und Deutschen entgegen­stand. Im Ausblick auf diese weitere Entwicklung sind einige Bemerkungen zu den Kriegsaktivitäten und -erfahrungen der Historiker beider Völker angebracht.

3.1 Deutsche Historiker zwischen Anpassung und Kollaboration Das Tun und Lassen der deutschen Ostforscher im Zweiten Weltkrieg hat letzthin viel Beachtung gefunden.3 Wenn über deren historiographische Produktion

1 Erich Maschke, Das mittelalterliche Deutschtum in Polen, in: Hermann Aubin (Hg.), Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem ersten Weltkrieg, 2 Bde., Bd. 1, Leipzig 1942, S. 486–515, hier S. 515. 2 Zitat aus der Kleinen Bibliothek der Westgebiete, wiedergegeben nach Jan Jacek Nikisch, Organizacja „Ojczyzna“ w latach 1939–1945, in: Więż 28/10–12 (1985), S. 184–207, hier S. 197. 3 Als Beispiele seien hier nur Schulze/Oexle (Hg.), Deutsche Historiker, und Haar, Historiker genannt.

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 3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg

aus jenen Jahren trotzdem nur wenig bekannt ist, so liegt dies daran, dass das gegenwärtige Interesse sich in erster Linie auf die damaligen bevölkerungspolitischen Planspiele der Ostforscher richtet.4 Hier soll es indes vorrangig um die Frage gehen, welche Entwicklung die im eigentlichen Sinne historische Ostforschung in den Kriegsjahren durchlief und wie ihr Stellenwert im Hochschul- und Forschungswesen jener Jahre zu veranschlagen ist. Dabei sollen die ambitionierten Absichtserklärungen der Zunft, wo möglich, an ihren tatsächlichen Erträgen gemessen werden.

3.1.1

Zwischen Volksgeschichte und Bevölkerungspolitik

Mit Polens schneller Niederlage im September 1939 und der weitgehenden Stilllegung seines öffentlichen intellektuellen Lebens glaubte sich die deutsche Ostforschung dauerhaft ihres Gegners enthoben. In kürzester Zeit zerschlug die nationalsozialistische Besatzungs­herrschaft das polnische Hochschulwesen; die rücksichtslose und gewaltsame Vorgehens­weise, die dabei zur Anwendung kam, wurde in Krakau besonders augenfällig, wo im November 1939 die gesamte Professorenschaft der Jagiellonen-Universität verhaftet und in Konzentra­tions­lager verschleppt wurde.5 Inwiefern im Zuge solcher Aktionen gegen die polnische Intelligenz auch der von der Publikationsstelle Dahlem zusammengestellte Index polnischer Forscher und Politiker zum Einsatz kam, ist unklar.6 Fest steht hingegen, dass das brutale Vorgehen gegen die geistigen Eliten Polens unter deutschen Historikern kaum Proteste hervorrief.7 Vielmehr erfüllte der schnelle Sieg über Polen viele Ostforscher mit unverhohlener Freude: Mit einem Schlag hatte das Dritte Reich jene Kontrolle über

4 S. dazu den Literaturbericht von Dietrich Beyrau, Eastern Europe as a „Sub-Germanic Space“. Scholarship on Eastern Europe under National Socialism, in: Kritika 13/3 (2012), S. 685–723. 5 Ausführlich hierzu Jochen August, „Sonderaktion Krakau“: Die Verhaftung der Krakauer Wissenschaftler am 6. November 1939, Hamburg 1997. Allgemein zur deutschen Politik gegenüber den intellektuellen Eliten Polens Christoph Kleßmann, Die Selbstbehauptung einer Nation. Nationalsozialistische Kulturpolitik und polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement 1939–1945, Düsseldorf 1971; Ders./Wacław Długoborski, Nationalsozialistische Bildungspolitik und polnische Hochschulen 1939–1945, in: GG 23/4 (1997), S. 535–559; Hans-Christian Harten, De-Kulturation und Germanisierung. Die nationalsozialistische Rassen- und Erziehungspolitik in Polen 1939–1945, Frankfurt a. M. 1996. 6 Fahlbusch, Wissenschaft, S. 570. 7 Burleigh, Germany, S. 227. Unter den deutschen Osteuropaspezialisten protestierten nur der Slawist Max Vasmer und der Historiker Robert Holtzmann, die in dieser Angelegenheit beim AA vorstellig wurden. Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 56.

3.1 Deutsche Historiker zwischen Anpassung und Kollaboration 

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den ‚Ostraum‘ zurückgewonnen, die Deutschland im Denken dieser Historiker als geschichtlich verbrieftes Recht zustand.8 Doch was die Ostforscher als Patrioten und Nationalisten freute, musste sie als Wissenschaftler gleichzeitig beunruhigen, denn mit der Niederwerfung Polens war ihre bisherige raison d’être – die Legitimierung deutscher Ansprüche in Abwehr polnischer Gegenpositionen – mit einem Mal weggebrochen. Der Osten war wieder deutsch, und unter diesen Umständen schien vielen Entscheidungsträgern der Blick in die Zukunft reizvoller als jener in die Vergangenheit – zumal nicht der Nachweis historischer Rechte, sondern die Demonstration militärischer Übermacht zum Ziel geführt hatte. Unter diesen Umständen klang es beinahe schon beschwörend, wenn Papritz mahnte, der „militärischen Wiederbesitznahme“ habe die „geistige Wiedereroberung“ zu folgen.9 Wollte die Ostforscherzunft ihre Existenzberechtigung nicht sehr bald in Frage gestellt sehen, musste sie sich neu positionieren. Dabei standen zwei Wege offen, die beide auf der Vorstel­lung von Deutschlands historischer Berufung zur Herrschaft über Mittelosteuropa beruhten: Zum einen konnte versucht werden, den Machthabern historische Kenntnisse als praktisches Herrschaftswissen für die Neuordnung des Ostens zu verkaufen. In dieser Hinsicht suggerierte die Vorstellung von der ‚Wiedereindeutschung‘ des Ostens, dass bei der Gestaltung der demo­graphischen, toponymischen, politischen und wirtschaftlichen Verfassung Mittel­osteuropas auf historische Vorbilder zurückgegriffen werden konnte. Zum anderen sahen sich die Geschichtsforscher berufen, den neuen Beherrschern des Ostens in den Reihen von Armee, Sicherheitsdiensten und Verwaltung ein Bewusstsein historischer Sendung zu vermitteln. Das Wissen um die glorreiche deutsche Vergangenheit sollte Soldaten, Beamten und dereinst Neusiedlern ein Gefühl der Legitimität und Normalität vermitteln, das sich aus der Vorstel­ lung einer kontinuierlichen, nur in historischen Ausnahme­situationen unterbrochenen deutschen Vorherrschaft über Mitteleuropa speiste. Wie historische Forschung, Politikberatung und Geschichtspropaganda nach den Vorstellungen der Ostforscher ineinandergriffen, erläuterte Schieder exemplarisch auf einer bevölkerungs­geschichtlichen Tagung, die im Herbst 1940 in Berlin stattfand. Demnach erwartete die Geschichtsforscher in den eroberten Gebieten eine dreistufige Aufgaben­stellung: Erstens hätten sie die bei Beginn der deutschen Herrschaft vorgefundene ‚volkspolitische Struktur‘ historisch zu deuten, zweitens müssten sie auf dieser Grundlage ‚volksgeschichtliche Tatsachen‘ heraus­

8 So erkannte etwa Brackmann im deutschen Sieg über Polen den Beweis dafür, „dass die Versailler Ordnung im Osten Europas falsch war“. Albert Brackmann, Krisis und Aufbau in Osteuropa. Ein weltgeschichtliches Bild, Berlin 1939, S. 7. 9 Zitiert nach Fahlbusch, Wissenschaft, S. 548.

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 3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg

arbeiten, „die den neuen Aufbau, Siedlungs- und Umsiedlungsplänen in irgend einer Weise Richtung weisen können“, und drittens gelte es, zur „Vertiefung des Heimatbewusst­seins der in dieses Gebiet kommenden Menschen“ beizutragen, indem die „in der Landschaft und ihrer Geschichte vorgefundenen deutschen Kräfte und Einflüsse“ propagiert würden.10 Das unbestrittene Zentrum der historischen Ostforschung blieben auch im Krieg die NOFG und die Publikationsstelle. Die in ihren Reihen organisierten Wissenschaftler, die sich bereits vor dem Krieg bewusst in die Nähe der Politik begeben hatten, wussten sich den neuen Anforderungen geschmeidig anzupassen und brachten dabei beide Verwertungsmöglichkeiten ihrer Zunft – Politikberatung und Geschichtspropaganda – zur Anwendung. Ersteres brannte den Ostforschern nach Kriegsbeginn im September 1939 besonders unter den Nägeln, zumal man in Berlin-Dahlem feststellen musste, dass Anfragen von politischen Handlungsträgern ausblieben.11 Unter diesen Umständen befand Aubin: „Die Wissenschaft kann nicht einfach warten, bis sie gefragt wird, sie muss sich selber zu Wort melden.“12 Zur Vorbereitung einer solchen Wortmeldung diente der NOFG eine Zusammenkunft Ende September 1939 in Breslau, die ganz im Zeichen bevölkerungspolitischer Zukunftsvisionen stand.13 Daraus ging die von Schieder redigierte Denkschrift über die ostdeutsche Reichs- und Volksgrenze vom 7. Oktober 1939 hervor.14 Sie unterbreitete auf historischer und bevölkerungsstatistischer Grundlage einen umfassenden Plan für die zukünftige deutsch-polnische Grenzziehung und fasste zu diesem Zweck umfangreiche Umsiedlungen ins Auge. Dabei wurden mehrere Varianten von der Wiederherstellung des Status quo ante 1919 bis zur „Rückgewinnung“ des gesamten deutschen „Volks- und Kulturbodens“ – sprich: einer Ausdehnung des Reichs bis zur deutsch-sowjetischen Demarkationslinie – ins Auge gefasst. Ersteres hätte die Umsiedlung von mindestens einer Million Menschen bedingt, Letzteres gar

10 Bericht der bevölkerungspolitischen Tagung in Berlin v. 22./23. 11. 1940, BAB R153/1544, S. 25– 30. 11 Mommsen, Volkstumskampf, S. 197. 12 Hermann Aubin an Albert Brackmann, 18. 9. 1939, zitiert nach Ebbinghaus/Roth, Vorläufer, hier S. 79. 13 Anwesend waren Aubin, Kuhn, Schieder, Groba, Birke, Petry und Trillmich. Arbeitsplan für die Denkschrift über die ostdeutsche Reichs- und Volkstumsgrenze. Protokoll der Sitzung vom 28.IX.39 in Breslau, BAB R 153/291. 14 Abgedruckt bei Ebbinghaus/Roth, Vorläufer. Den sachlichsten Abriss zur Entstehung und den Inhalten der Denkschrift bietet Mommsen, Volkstumskampf, S. 197 ff.; s. auch Mühle, Volk, S. 372–376. Die Darstellungen von Aly und Haar sind erheblich polemischer.

3.1 Deutsche Historiker zwischen Anpassung und Kollaboration 

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„Bevölkerungsverschiebungen allergrößten Ausmaßes“ erforderlich gemacht.15 Zu Recht erkennt Mommsen in solchen Plänen ein Einschwenken der Historiker auf die radikalen Konzepte der nationalsozialis­tischen Bevölkerungspolitik.16 Es sollte aber nicht vergessen gehen, dass deutsche Intellektuelle, unter ihnen der Osteuropahistoriker Hoetzsch, bereits im Ersten Weltkrieg für die Umsiedlung von Millionen von Polen plädiert hatten.17 Die praktische Bedeutung der Denkschrift ist umstritten. Ebbinghaus, Roth und Aly gilt sie als Vorläufer des Generalplans Ost,18 Kocka und Mommsen veranschlagen sie gering und glauben, sie sei bei den politischen Entscheidungsträgern kaum zur Kenntnis genommen worden.19 Auch „durch eilfertige Anpassungen ihrer Projekte an die Planungen der nationalsozialistischen Ostpolitik“ sei es den Ostforschern nicht gelungen, sich bei den politisch Mächtigen in Erinnerung zu bringen und „ihren bislang bestehenden Einfluss zurückzugewinnen“.20 Dem ist entgegenzuhalten, dass die NOFG zumindest im Hinblick auf ihre eigene Existenzwahrung erfolgreich agierte und den gesamten Krieg über eine rege Aktivität entfalten konnte, während die historische Ostforschung anderswo unter Personal- und Mittelknappheit litt oder geplante neue Einrichtungen erst gar nicht in Gang kamen. Und wenn Papritz 1941 erläuterte, die NOFG habe sich unter Kriegs­ bedingungen schwerpunkt­mäßig zu einer „volkspolitischen“ Forschungseinrichtung gewandelt, so spricht auch dies dafür, dass solche Beratungsdienste Anklang fanden.21 In der Folge war die Publikations­stelle auf verschiedenen Ebenen in die ‚Neuordnung‘ des Ostens involviert. Sie beteiligte sich sowohl an der „Festset-

15 Brackmann ging zunächst von ca. 8 Mio. umzusiedelnder Polen aus, später kursierten im Zusammenhang mit dem Generalplan Ost wesentlich höhere Zahlen. Fahlbusch, Wissenschaft, S. 549. 16 Mommsen, Volkstumskampf, S. 202. 17 S. o., Kap. 2.1. 18 So bereits die titelgebende Leitthese von Ebbinghaus/Roth, Vorläufer. Aly, Schieder, S. 164, ortet in den Begriffen „Volkstums­brücken“ und „Einkesselung“ sprachliche Vererbungslinien von Schieder zu Heinrich Himmler. Fahlbusch, Wissenschaft, S. 565 u. 576, verweist auf die zeitliche Nähe mehrerer bevölkerungs­politischer Tagungen der NOFG zu den Überarbeitungszyklen des Generalplans Ost und vermutet, dass der Chefkartograph der PuSte, Franz Doubek, 1942 zu dessen Planungsstab gehörte. 19 Zu Kocka Aly, Schieder, S.  177; Mommsens Einschätzung in Mommsen, Volkstumskampf, S. 203 f. und 206. Mommsen glaubt fälschlicherweise, dass die Denkschrift nur dem AA zugeleitet wurde, das damals kaum noch Einfluss auf die Ostpolitik gehabt habe. In Wirklichkeit ging sie auch dem Reichsinnenministerium und dem Ober­kommando der Wehrmacht zu, wie Mühle, Volk, S. 375, belegt. 20 Mommsen, Volkstumskampf, hier S. 203 f. 21 Papritz, Forschungsgemeinschaft, hier S. 40.

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 3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg

zung der deutsch-russischen Interessen­grenze“ wie auch an der „Grenzziehung zwischen dem General­gouvernement und dem Reichsgebiet“. Zur Eindeutschung der Ortsnamen in den neuen Reichsgebieten leistete sie einen substantiellen Beitrag, und später stellte sie für verwaltungs­technische Belange kartographische und statistische Darstellungen bereit.22 In ihrem Jahresbericht rühmte sich die NOFG, dass einige ihrer Dokumentationen Reichsinnen­minister Wilhelm Frick sowie Hitler selbst vorgelegen seien.23 Auch spielte die Publikations­stelle eine wichtige Rolle bei der Erstellung der sogenannten deutschen Volkslisten, die ‚Eindeutschungsfähige‘ von auszuweisenden ‚Fremd­völkischen‘ zu unterscheiden suchten.24 Schließlich leitete sie im Februar 1943 ein ‚bevölkerungs­geschicht­ liches Sofortprogramm‘ in die Wege, das in Erwartung einer Friedenskonferenz wissenschaftliche Unterlagen für etwaige Auseinander­ setzungen „geschichts­ über Volkstumsfragen der ostdeutschen Grenzlande“ bereitstellen sollte und bereits erkennbar defensive Züge trug.25 Die Kardinalfrage, wieweit die Historiker mit solchen Arbeiten einen unverzichtbaren Beitrag zur nationalsozia­listischen Umsiedlungs- und Vertreibungspolitik geleistet haben, bedarf indes weiterhin der Klärung, wie selbst Haar am Ende seiner umfangreichen Studie zu eben diesem Thema einräumt.26 Unabhängig davon gestatten die hier lediglich angedeuteten Aktivitäten bezeichnende Rück­ schlüsse auf die politische Dienstbeflissenheit der beteiligten Historiker. Erweitert man den Blick über die individuelle Verantwortung hinaus auf das kollektive Fach­verständnis der Disziplin, so gelangt man zum Schluss, dass der nationalistisch, ja rassistisch verstandene Dienst am eigenen Volk damals zahlreichen Historikern als das eigentliche Tertium Compara­tionis galt, das ihre Wissenschaft

22 Fahlbusch, Wissenschaft, S.  556–558. Bereits vor dem Septemberfeldzug hatte F. A. Doubek ein Verzeichnis der Ortschaften mit deutscher Bevölkerung auf dem Gebiet des polnischen Staates, Berlin 1939, erstellt. Nach der Eroberung folgten zahlreiche weitere Arbeiten für den Dienstgebrauch der deutschen Behörden, von denen hier nur Herbert Ulbricht/Kurt von Maydell, Die Ostgebiete des Deutschen Reiches und das Generalgouvernement der besetzten polnischen Gebiete in statistischen Angaben, genannt sei. Weitere Arbeiten zu Händen der Behörden verzeichnet Papritz, Forschungsgemeinschaft. 23 So der Jahresbericht der NOFG 1939/1940, zitiert nach Fahlbusch, Wissenschaft, S. 551. 24 Papritz, Forschungsgemeinschaft, S.  47; Burleigh, Germany, S.  185 ff.; Fahlbusch, Wissenschaft, S. 567–569. 25 Im Gang befindliche Arbeiten der Publikationsstelle Berlin-Dahlem bzw. Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft, November 1943, BAB R 153/933. Zitiert nach Mühle, Volk, S. 370. 26 Haar, Historiker, S. 366. Mommsen, Volkstumskampf, S. 206, gibt sich überzeugt, dass die bevölkerungspolitischen Beratungs­dienste der NOFG und der ihr angeschlossenen Landesstellen für Nachkriegsgeschichte durch radikalere ‚Lösungen‘ von SS-eigenen Forschungseinrichtungen im Generalgouvernement in den Schatten gestellt wurden.

3.1 Deutsche Historiker zwischen Anpassung und Kollaboration 

 121

mit der Politik verband. Unter dem Eindruck weitgefasster demographischer und staatspolitischer Gestaltungsspielräume eröffneten sich im Überlappungs­bereich zwischen Bevölkerungs­ politik einerseits und Volks- und Siedlungs­ geschichte andererseits verantwortungsschwere Kooperationsmöglichkeiten, die der akademischen Seite praktische Nutzbarmachung ihrer Kenntnisse, der politischen aber wissenschaftliche Fundierung ihrer Handlungen versprachen. In vergleichender Perspektive ist festzuhalten, dass der ‚Kriegs­einsatz‘ der deutschen Ost­ forscher im Zweiten Weltkrieg sicherlich einen Extrem-, aber gewiss keinen Einzelfall angewandter Geschichtswissenschaft darstellte: Auf ähnliche, wenngleich weniger durchdachte Konzepte der deutschen Wissenschaft im Ersten Weltkrieg ist bereits hingewiesen worden.27 Bezeichnend ist in dieser Hinsicht aber auch der Vergleich mit der polnischen Westforschung der frühen Nachkriegszeit, die in den späten Vierzigerjahren ganz ähnliche konsultative Dienste zugunsten der Polonisierung des neuen Westpolen leistete.28 Neben der historisch inspirierten Politikberatung betrieb die NOFG eine intensive Geschichts­ propaganda zugunsten des deutschen Ostens. Das Ziel dieser Propaganda erblickte Ernst Zipfel, der neue Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, darin, „aus der Geschichte den Nachweis zu erbringen, dass alles höhere Leben im Ostraum deutschen bzw. nordischen Ursprungs ist und dass die slawischen Völker selbst der ordnenden Hand des deutschen Men­schen bedürfen, um zu Ruhe und Wohlstand zu gelangen.“29 Bereits vor dem Krieg hatte die Publikationsstelle, wie geschildert, damit begonnen, Schulungsbriefe für den BDO heraus­zugeben; dazu gesellten sich nach Kriegsausbruch ähnlich gestaltete Lehrhefte für das Ober­kommando des Heeres.30 In beiden Reihen erschienen einige Dutzend Schriften. Ebenfalls ein Produkt der Kriegszeit waren die Polenberichte, die später als Nordost­berichte fortgeführt wurden und bis 1942 erschienen.31 Darin wies etwa Kurt Maydell auf ganzen fünf Seiten das Städtewesen in Polen als „deutsche Schöpfung“ aus, und Gotthold Rhode musste sich mit vier Seiten begnügen, um frühe Pläne einer preußisch-litauischen Union zu erläutern.32 Dagegen nahmen sich Brackmanns Ausführungen zu Krisis und Aufbau in Osteuropa. Ein welt­geschichtliches Bild im Auftrag des SS-Ahnenerbes auf knapp

27 S. o., Kap 2.1. 28 S. u., Kap 4.2.2. 29 Oberländer, Geschichte Ostmitteleuropas, S. 33 f. 30 Baumgart, Organizacja, S. 973 f. 31 Polenberichte 1–34 (1939–1940); Nordostberichte 35–64 (1940–1942). 32 Kurt von Maydell, Das Städtewesen in Polen – eine deutsche Schöpfung, Berlin 1939; Gotthold Rhode, Die Ostpolitik des Großen Kurfürsten. Die Pläne einer preußisch-litauischen Union, Berlin 1941.

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siebzig Seiten schon beinahe gewichtig aus.33 Besorgt um die Breitenwirkung der eigenen propa­gandistischen Arbeit, dachten die Ostforscher darüber nach, Schriftsteller mit der anschaulichen Ausgestal­tung ihrer Erkenntnisse zu beauftragen. Bezüglich der Sprache kam man überein, nicht gar zu simpel zu schreiben, um ein bildungsbürgerliches Publikum nicht unnötig zu vergraulen.34 Offenbar konnte die Publikationsstelle gegenüber den unterstützenden Ministerien glaubhaft machen, dass solche Darstellungen einer tragfähigen wissenschaftlichen Unterfütterung bedurften. So wurde der laufende Publikationsplan der Dahlemer Einrichtung bei Kriegs­beginn nochmals bekräftigt,35 und die Flaggschiffreihe des Instituts – Deutschland und der Osten – konnte bis 1943 weitergeführt werden. Ihren wissenschaftlichen Höhepunkt markierte 1942/43 der schwergewichtige Doppelband Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Auf­gaben seit dem Ersten Weltkrieg.36 Auf über 1200  Seiten versammelte das von Aubin heraus­gegebene Werk Aufsätze von 43 Autoren und unterstrich damit nicht nur den Geltungsan­spruch der geistes- und sozialwissenschaftlichen Ostforschung, sondern auch die Führungs­position von Albert Brackmann, dem es als Festschrift zum siebzigsten Geburtstag gewidmet war. Das Spektrum der Beiträge reichte von Überblicksdarstellungen über Forschungsberichte bis hin zu programmatischen Leitaufsätzen. Unter den Verfassern fanden sich Historiker, Vorgeschichtler, Archäologen, Geographen, Volkstumsforscher und Rassenkundler sowie einige Deutschtums­politiker, wobei sich fast alle Beiträge um eine historische Sichtweise bemühten. Die meisten Texte verband der Volksbegriff, der jedoch durchaus vielfältig gedeutet wurde: Neben rassen- und siedlungs­geschichtlichen Ansätzen standen Beiträge, die kultur-, sozial- oder wirtschaftsgeschichtlich operierten; auch der klassischen Politik­geschichte wurde relativ viel Raum zuteil. Dieser Augenschein verdeutlicht, dass der verallgemeinernde Begriff der „Volksgeschichte“ zwar die Intentionen der Ostforscher zu fassen vermag, nicht aber als Hinweis auf eine einheitliche Methodik verstanden werden sollte. Vielmehr blieb auch die in Dahlem koordinierte Forschung bemerkenswert eklektisch; Vereinheitlichungsbemühungen galten weniger der methodischen Herangehensweise als vielmehr der politischen Aussage der jeweiligen Beiträge. Selbst auf dieser Ebene variierten die Aufsätze des Sammelbandes allerdings über eine weite Bandbreite: Hatte der Krieg auf einige Autoren geradezu enthemmend gewirkt und zur maximalen Zuspitzung der historischen Darstellung auf politische Ziele

33 Brackmann, Krisis. 34 Mühle, Volk, S. 388. 35 Fahlbusch, Wissenschaft, S. 554 f. 36 Aubin u. a. (Hg.), Ostforschung.

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geführt, so zogen sich andere auf detailreiche faktographische Arbeiten zurück und gaben sich damit zufrieden, nicht mit den geltenden Paradigmen in Konflikt zu geraten. Beschäftigte sich der Sammelband noch ganz überwiegend mit Ostmitteleuropa – was nicht zuletzt daran lag, dass die Mehrzahl der Beiträge auf frühere Forschungen zurückging –, so verschoben sich die Interessen der Publikationsstelle mit dem Feldzug gegen die Sowjetunion zusehends von Polen auf Russland, was etwa in den Themenstellungen der Nordostberichte deutlich hervortrat. Auch in der Übersetzungsarbeit des Instituts traten jetzt russische Arbeiten in den Vordergrund.37 Der Doppelband zur Ostforschung verdeutlicht, dass die Publikationsstelle in Verbindung mit der NOFG die unbestrittene Nabe der geistes- und sozialwissenschaftlichen Ostforschung bildete, auf deren Ressourcen auch die universitären und universitätsnahen Institute der Osteuropa­kunde in Berlin, Königsberg, Leipzig und Breslau angewiesen blieben. Deren Bemühungen um eigene Ostforschungszentren kamen nach Kriegsbeginn rasch ins Stocken; oftmals brachten die kriegsbedingten Personalausfälle herbe Einschnitte mit sich. So wirkte in Königsberg Theodor Schieder, wegen eines Herzleidens wehruntauglich geschrieben, zunächst im Rahmen der Landesstelle für Nachkriegsgeschichte, ab 1942 dann auch mit einem Lehrauftrag an der Universität.38 Das dortige Institut für Ostforschung, das aus dem vormaligen Institut für ostdeutsche Wirtschaft hervorgegangen war, blieb allerdings auf die Sowjetunion konzentriert.39 In Breslau koordinierte Hermann Aubin als Ordinarius, Vor­sitzender der Historischen Kommission für Schlesien und Vorstandsmitglied der NOFG die dortige Ostforschung.40 Der Arbeitsschwerpunkt lag hier auf der Bevölkerungsgeschichte Gesamtschlesiens, wobei aus den mittelalterlichen Zuständen deutsche Anrechte auf die Region hergeleitet werden sollten. Zwar erblickte das Reichsinnen­ ministerium in solchen Arbeiten ein unentbehrliches „Handwerks­zeug für die Ein­deutschungspolitik“; den Personalmangel, der die Forschungsarbeiten seit 1940 stark verlangsamte, konnte es aber auch nicht beheben.41 Gänzlich brach lag die Arbeit in der Historisch-Politischen Abteilung des Breslauer OsteuropaInstituts, da seine Referenten bereits 1941 „sämtlichst eingezogen“ waren.42 In seinen geschichts­propagandistischen Schriften jener Jahre blickte Aubin, der

37 Fahlbusch, Wissenschaft, S. 560 f. 38 Aly, Schieder; Oberkrome, Volksgeschichte, S. 213. 39 Tagung, S. 32 f. 40 Mühle, Volk, S. 269 f. 41 Ebd., S. 368–370. 42 Tagung, S. 12.

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methodischen Akribie entbunden, gerne auch über Schlesien hinaus, um den ganzen ‚Ostraum‘ in den Blick zu nehmen und die ‚deutschen Kulturleistungen im ehemaligen Polen‘ in toto zu würdigen.43 Dabei zeigte er sich überzeugt, dass die Herrschaft von Polen und Tschechen über deutsche Minderheiten in der Zwischenkriegszeit eine Perversion historisch gewachsener Verhältnisse dargestellt habe, während die Volkstümer des Ostens nun, unter deutscher Oberhoheit, erneut zu einem einvernehmlichen Zusammenleben zurückfinden könnten.44

3.1.2 Schlagkräftige Kampfwissenschaft oder kriegsversehrte Rumpfdisziplin? Anfänglich weckte die Besetzung Polens bei den deutschen Historikern Hoffnungen auf neue Betätigungsmöglichkeiten. Es schien naheliegend, dass die Ostforschung die wissen­schaft­lichen Einrichtungen ihrer bisherigen Gegenspieler übernehmen würde – Aubin etwa beschäf­tigte im September 1939 die Frage, „ob wir das ‚Schlesische Institut‘ umdrehen und damit auf die Polen schießen sollen“.45 Unter deutscher Herrschaft würden die polnischen Biblio­theken, Archive und Ausgrabungsstätten nun mehr deutschen Wissenschaftlern offenstehen. Erweiterte Forschungsmöglichkeiten schienen sich abzuzeichnen.46 Die folgende ‚Eindeutschung‘ der polnischen Forschungseinrichtungen und Universitäten warf unter den Bedingungen des Krieges für die Historiker aber kaum den erhofften Nutzen ab. Die Geschichtswissenschaften galten im Allgemeinen nicht als kriegswichtig, und der Ausbau ihrer Forschungseinrichtungen genoss bestenfalls nachgeordnete Priorität; auch wurden Histo­riker nur in den seltensten Fällen vom Wehrdienst befreit. Anschaulich werden diese Zusam­menhänge im Schicksal der historischen Ostforschung an der Universität Posen. Zwar zeigte man sich angesichts der Tatsache, dass sich die Lehrstätte in der Zwischenkriegszeit als „Vorposten des Polentums auf wissenschaftlichem Gebiet“ hervorgetan hatte, in Berlin entschlossen, „durch die Schaffung einer deutschen Universität in Posen eine Hochburg deutscher Kulturleistung und ein Bollwerk gegenüber dem Polen-

43 Hermann Aubin, Geschichtlicher Aufriss des Ostraums, Berlin 1940; Ders., Von der deutschen Kulturleistung im ehemaligen Polen, in: Hein Schlecht/Heinz Rieke (Hg.), Dichter auf den Schlachtfeldern Polens, Leipzig o. J. [1939/40], S.  77–90. Ein Verzeichnis aller Arbeiten Aubins aus der Kriegszeit findet sich bei Mühle, Volk, S. 650 f. 44 Aubin, Kulturleistung. 45 Hermann Aubin an Brackmann, 18. 9. 1939, BAB 153/291. 46 Unverzagt versprach sich von der „Besetzung weiter Teile des Ostraums“ anfänglich die Möglichkeit, Fragen nach der Ansässigkeit von Germanen im späteren Polen und nach der Urheimat der Slawen im deutschen Sinne zu klären. Unger, Ostforschung, S. 64.

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tum aufzurichten“.47 Praktische Fächer – insbesondere die Agrarwissenschaft – sollten jedoch Vorrang genießen.48 Dennoch erhielt die im April 1941 begründete Reichsuniversität auch eine philosophische Fakultät,49 die aber von Anfang an unter Rechtfertigungsdruck stand. Diesen Eindruck jedenfalls vermitteln Reinhard Wittrams Überlegungen zur Rolle der geistes­wissen­schaftlichen Fakultät im Kriege: Wir sind uns dessen bewusst, dass all unser wissenschaftliches Forschen und Fragen sich an der Wirk­lichkeit dieses Krieges zu messen und zu bewähren hat. […] Wenn aber über Erkenntnistheorie gelesen wird, über Goethe und die Musik, über die kretisch-mykenische Kultur, so mag wohl die Frage entstehen, welche Beziehung diese Gegenstände zum Lebenskampf unseres Volkes haben. […] Indem das deutsche Volk die Führung Europas übernimmt, muss es sich darauf besinnen, was es an Erbgut, an Fähigkeiten, Kenntnissen, Erfahrungen, an seelischer Kraft dazu mitbringt! Aber noch ein anderes ist notwendig: wir müssen uns darüber klar werden, welches die wirklich tragfähigen Grundlagen des neuen Europa sind, welche rassischen Urkräfte, welche geschichtlichen Mächte wir aufrufen müssen, damit die europäischen Völker die neue Ordnung begreifen, die ein einzelner Deutscher in Vollmacht seines Genius heraufführt. Dafür aber ist Bedingung, dass wir uns immer wieder zum Bewusstsein der geschichtlichen Stunde erheben, die wir durchleben. […] [M]it mehreren Fächern – länderkundlichen, rassen- und kulturkundlichen – gilt [die] Arbeit [der Philosophischen Fakultät] den Grundlagen des neuen Europa, […] besonders aber dem Werden des europäischen Ostraums, der endlich mit all seinen geschichtlichen und natürlichen Voraussetzungen in unser Weltbild aufgenommen werden muss. Eine Ostuniversität hat es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben anzusehen, genaue und zuverlässige Kennt­nisse vom großen europäischen Osten, dem uralten Wirkungsraum unseres Volkes, zu erarbeiten und unermüdlich zu vermitteln. Man meistert nur das, was man kennt. […] Geisteswissenschaft kann uns aber niemals nur das historische Verhältnis zu den Denkmälern des deutschen Geistes sein, nur Deutung unseres gewiss unerschöpflichen Erbes, sondern immer zugleich das faustische Begehren, tiefer in den Zusammenhang der Dinge einzudringen und die geschichtliche Stunde im kosmischen Licht der Gestirne zu sehen.50

47 RMdI (gez. Pfundtner) an Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 18. 1. 1940 betr. Errichtung der deutschen Universität in Posen (Abschrift für RMWEV), Archiwum Uniwersytetu Adama Mickiewicza w Poznaniu [im Weiteren: AUAM] 143/73, Bl. 33. 48 Aktenvermerk des RMWEV vom 14. 11. 1939, AUAM 143/73, Bl. 110. 49 Zur Vorgeschichte, Gründung und Organisation der Universität Białkowski, Utopie, S. 93–172, sowie Piskorski, Reichsuniversität Posen, insbesondere S. 249–258. Mit dem Status einer „Reichsuniversität“ verband sich der Anspruch einer nationalsozialistischen „Musterhoch­schule“ bzw. „Kampf­universität“. Außer in Posen wurden solche Reichsuniversitäten in Straßburg, Prag und Dorpat eingerichtet, was ihre Ausrichtung auf den „Grenztumskampf“ unterstreicht. Teresa Wróbelska, Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg als Modell nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten, Toruń 2003. Zu Posen auch Helmut Wilhelm Schaller, Die „Reichsuniversität Posen“ 1941–1945. Vorgeschichte, nationalsozialistische Gründung, Widerstand und polnischer Neubeginn, Frankfurt a. M. 2010. 50 Arbeitsbericht der Philosophischen Fakultät, ohne Verfasserangabe [vermutlich Wittram], 20. 4. 1942, AUAM 78/17, Bl. 17–21.

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Offenbar schienen solche Überlegungen in Berlin nicht abwegig. Die philosophische Fakultät erhielt sechzehn Institute, darunter ein ansehnliches Historisches Institut, das auf dem Papier mit drei Professoren und zwei Dozenten ausgestattet wurde. Unter ihnen dominierten, wie in vielen Fächern, baltendeutsche Wissenschaftler: Reinhard Wittram, Leonid Arbusow, Georg von Rauch, Manfred Hellmann.51 Wittram avancierte bald zum Dekan der philosophischen Fakultät. Geplant und realisiert wurden auch ein vorgeschichtliches und ein volkspolitisches Institut.52 Günstige Voraussetzungen für die historische Ostforschung versprach die Grün­dung einer Reichsstiftung für deutsche Ostforschung bei der Universität, aus deren Mittel zwei – letztlich nie realisierte – Institute für Polenforschung und Ostsiedlung gespeist werden sollten.53 Immerhin bedachte die Stiftung in den folgenden Jahren die Historiker Laubert und Lück mit Auszeichnungen, im Übrigen konzentrierte sie sich aber auf die Förderung praktisch anwendbarer Forschungen. Unter den Baltendeutschen, mit denen das historische Institut der Universität bestückt wurde, befanden sich zwar einige Russlandspezialisten, Polenkenner fehlten jedoch gänzlich. Der polendeutsche Historiker Kurt Lück konnte diese Leerstelle bis zu seinem frühen „Heldentode“ nur pro forma schließen.54 Danach solle die Anwerbung von Herbert Ludat und Werner Conze Abhilfe schaffen.55 Letzterem hatte die Behandlung einer Kriegsverletzung im Dezember 1940 die Habilitation in Wien gestattet, doch wurde er bald darauf an die Ostfront versetzt.56 Ihm sollte im Spätsommer in Posen eine Dozentur für Agrar- und Wirtschaftsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung Osteuropas übertragen werden – wobei die Spezialisierung gewiss nicht ohne Rücksicht auf die praktischen und ideologischen Erfordernisse der deutschen Besatzungsherrschaft gewählt worden war. Conze bekundete im November 1941 per Feldpost sein Interesse, blieb aber unabkömmlich.57 Sporadische Erkundigungen Wittrams orteten ihn im Februar 1942 „als Batterieführer an der Ostfront“,58 im Juni 1943

51 Białkowski, Utopie, S. 173–198; Piskorski, Reichsuniversität Posen, S. 258 u. 261. 52 Hanns Streit, Bericht Nr. 2: Zur Lage der Wissenschaftsangelegenheiten und über den Aufbau der Universität Posen, 1. 12. 1939, AUAM 143/73, Bl. 62–90, hier Bl. 67 und 82. 53 So die Ankündigung von Greiser anlässlich der Institutseröffnung. Piskorski, Reichsuniversität Posen, hier S. 254 u. 258. Zur Reichsstiftung auch Burleigh, Germany, S. 290 u. 294 ff. 54 Reinhard Wittram an Kurator der Reichsuniversität Posen, Betr. Urlaubs- und Versetzungsantrag für Dozent Dr. Ludat, 20. 11. 1942, AUAM 78/313, Bl. 6. 55 In aller Ausführlichkeit hierzu jetzt Białkowski, Utopie, S. 199–242. 56 Reinhard Wittram an Rektor der Reichsuniversität Posen, Betr. Lehrprobe des Dr. phil. habil. W. Conze, 3. Juni 1943, AUAM 78/328, Bl. 38. 57 R. Wittram an Rektor der Reichsuniversität Posen, 9. 12. 1941, AUAM 78/328, Bl. 19. 58 R. Wittram an Universitätskurator in Posen, Betr. Dr. Conze, 20. 2. 1942, AUAM 78/328, Bl. 29.

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„als Hauptmann bei einer Division im Osten“. Immerhin hatte er kurz zuvor mit einer Vorlesung über „Die Umwandlung der Volksordnung Mitteleuropas durch die liberalen Agrarreformen“ in Posen seine öffentliche Lehrprobe bestanden.59 Mit dem Argument, sein Seminar bedürfe ostkriegserprobter Lehrkräfte, um den Unterricht vor „Stubengelehrsamkeit“ zu bewahren, bemühte sich Wittram im April 1944 bei Conzes Vorgesetzten in der Reichswehr um dessen Freistellung.60 Kurz darauf beschied das Reichs­wissenschafts­ministerium dem Posener Universitätskurator Conzes „Ernennung zum außerordentlichen Professor“ in Posen.61 Dessen Lehrtätigkeit blieb im Folgenden allerdings auf wenige Kursstunden während eines Fronturlaubs im Sommer 1944 beschränkt.62 Ähnlich verlief Herbert Ludats Scheinkarriere in Posen: Zwar wurde er im Juli 1941 zum „Dozenten für Mittlere und Neuere Geschichte mit besonderer Berücksich­tigung der polnischen Geschichte“ ernannt. Seine Dienstpflicht bei der Wehrmacht verhinderte jedoch den Antritt der Stelle, was Wittram dazu veranlasste, sich im November 1942 beim Universitätskurator über den vollständigen Mangel an „Arbeitskräften auf dem Gebiet der Geschichte des deutschpolnischen Verhält­ nisses“ zu beklagen. Auch der „Aufbau einer deutschen Landesgeschichts­forschung im Wartheland“ könne nur erfolgen, wenn es gelinge, die dafür vorgesehenen akademischen Kräfte „endlich an die Arbeit zu bringen“. Für die Ausbildung der Posener Studenten sei die „Vermittlung von Kenntnissen über das historische Wesen des Polentums“ schließlich „unerlässlich.“63 Zu Jahresbeginn 1944 hatte Ludat seine Stelle aber immer noch nicht antreten können, und Wittram erkundigte sich, „ob es sich nicht doch einrichten ließe, dass Sie wenigstens zeitweise Wehrdienst und Vorlesungstätigkeit in Posen miteinander vereinigten“.64 Eine solche Möglichkeit zeichnete sich jedoch erst im Dezember 1944 ab. „Sie sind uns natürlich hochwillkommen“, antwortete Wittram noch, dann brach die Korrespondenz ab.65 Dass Wittram Ludats Amtsantritt gegenüber dem Universitätskurator zu diesem Zeitpunkt noch als „unter volkspolitischen Gesichtspunkten vordringlich wichtig“ erachtete, mutet schon beinahe grotesk

59 R. Wittram an Rektor, Betr. Lehrprobe […], AUAM 78/328, Bl. 38. 60 R. Wittram an Dienststelle der Feldpostnummer 00229, 8. 4. 1944, AUAM 78/328, Bl. 66. 61 RMWEV an Universitätskurator in Posen betr. Dr. Werner Conze vom 14. 4. 1944, AUAM 78/328, Bl. 67. 62 Białkowski, Utopie, S. 221. 63 RMWEV (gez. Groh) an Universitätskurator in Posen, Betr. Ludat, 12. 7. 1941, AUAM 78/313, Bl. 2; R. Wittram an Kurator der Reichsuniversität Posen, Betr. Urlaubs- und Versetzungsantrag für Dozent Dr. Ludat, 20. 11. 1942, AUAM 78/313, Bl. 6. 64 R. Wittram an Doz. Dr. Ludat, Königsberg, 6. 1. 1944, AUAM 78/313, Bl. 15. Zu dieser Zeit hielt Ludat neben seinem Wehrdienst sporadisch Vorlesungen in Riga. Ebd. 65 R. Wittram an Doz. Dr. Ludat, Köslin, 15. 12. 1944, AUAM 78/313, Bl. 25.

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an.66 So entpuppen sich die in der Literatur mehrfach herausgestrichenen Kriegs­ einsätze von Ludat und Conze an der Posener Universität weitest­gehend als Fiktion, und von einer historischen Polenforschung an der Reichsuniversität kann schwerlich die Rede sein.67 Interessant bleibt die Beobachtung, dass beide Wissenschaftler aus unterschiedlichen Beweggründen nach Posen drängten. Während alles dafür spricht, dass Conze hier tatsächlich Anschluss an die kämpfende Wissenschaft suchte, hoffte Ludat offenbar in erster Linie auf eine universitäre Nische, in der er den Krieg unter begrenzten Konzessionen an den militanten wissenschaft­lichen Zeitgeist hätte aussitzen können.68 Auch die Existenz einer historischen Ostforschung am Institut für Deutsche Ostarbeit (IDO) in Krakau muss weitgehend als Potemkin’sche Fassade gewertet werden. Das Institut wurde von Hans Frank, Hitlers Generalgouverneur in Polen, im April 1940 auf den Trümmern der Universität Krakau begründet. Sein Interesse am historischen Verhältnis von Deutschen und Polen hatte der Jurist 1941 in einer Schrift unter dem Titel Deutsche Ordnung und polnische Wirtschaft bewiesen, worin er zum melancholischen Schluss gelangte, dass die Polen den Deutschen ihre histo­rische Aufbauleistung im Osten mit nichts als Hass gedankt hätten.69 Die geschichtlichen Interessen des Generalgouverneurs schienen der historischen Ostfor­schung in Krakau gute Perspektiven zu eröffnen, zumal Frank anlässlich der Instituts­gründung die Arbeit der NOFG lobend hervorhob.70 Den ostforschenden Historikern dachte er die Aufgabe zu, die Unausweichlichkeit deutscher Dominanz über den Osten nachzuweisen – umso schneller würden sich die Polen mit dem Faktum einer erneuerten deutschen Ober­herrschaft abfinden.71 Abträglich war dem neuen Institut der Umstand, dass sein Leiter, der von Frank ernannte Jurist Wilhelm Coblitz, sich rasch mit der Berliner Publikations-

66 R.  Wittram an den Universitätskurator durch den Rektor der RU Posen, 18. 12. 1944, AUAM 78/313, Bl. 28. 67 Ähnlich erging es verwandten geisteswissenschaftlichen Fächern. Kriegsbedingt verwaist waren u. a. auch die Vor- und Frühgeschichte (Ernst Petersen), die Slawische Philologie (Maximilian Braun), die Geschichte des musikalischen Volksgutes (Walter Wiora), die Volks- und Landeskunde der Sowjetunion (Gerhard von Mende) und die Volkslehre unter besonderer Berücksichtigung des Grenz- und Volksdeutschtums (Hans Schwalm). Die Entwicklung der Philosophischen Fakultät der Reichsuniversität von der Eröffnung bis zum 31. 3. 1943, AUAM 78/81, Bl. 108–111, hier Bl. 109. 68 So das überzeugend hergeleitete Urteil von Białkowski, Utopie, insbesondere S. 184 u. 240. 69 Burleigh, Germany, S. 254. 70 Namentlich erwähnte er Lattermann, Kauder, Lück und Aubin. Ebd., S. 257 f., unter Bezugnahme auf Institut für deutsche Ostarbeit (Hg.), Jahrbuch, Krakau 1941, S. 7 f. 71 Ebd.

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stelle überwarf. Sappok, der aus Dahlem nach Krakau gekommen war und die wissenschaftliche Leitung des IDO hätte übernehmen sollen, verließ das Institut noch vor Jahresende.72 Monatelange blieb es daraufhin eine Scheineinrichtung ohne Personal; Wunschkandidaten wie Kuhn, Oberländer, Lück, Ludat und Maschke waren verhindert oder lehnten dankend ab. Nur allmählich fand das IDO junge und mittelmäßige Kräfte, doch in vielen Fällen wurden Stellen nur pro forma besetzt, und deren Inhaber hielten sich, der Residenzpflicht entbunden, nur selten oder gar nicht in Krakau auf.73 Im Januar 1941 zählte das IDO auf dem Papier elf Sektionen für Vorgeschichte, Geschichte, Kunstgeschichte, Rassen- und Volkskunde, Recht, Wirtschaft, Sprachwissenschaft, Geographie, Landwirtschaft, Gartenwirtschaft und Forstwirtschaft.74 Die Instituts-Sektionen sollten womöglich noch während des Krieges in Universitäts-Fakultäten umgewandelt werden.75 Einige von ihnen entwickelten nach Anlaufschwierig­keiten eine gewisse Betriebsamkeit; das galt insbesondere für die Sektion für Rassenund Volkskunde.76 Andere kamen gar nicht zustande oder verharrten in einer Art Kümmer­zustand – so auch die historischen Abteilungen. An ehrgeizigen Absichten mangelte es dabei nicht. So sollte die Sektion für Vorgeschichte unter Werner Radig „den deutschen Führungsanspruch im Vorfelde des deutschen Volks- und Kulturbodens“ aus „den Urtiefen des geschichtlichen Lebens“ erweisen und sichtbar machen.77 Zu diesem Zweck organisierte sie im Spätsommer 1941 eine Ausstellung zum Germanenerbe im Weichselraum, die in Franks Augen nicht weniger verdeutlichte als dies: „Fremdling in diesem Land ist nicht der Deutsche, sondern der Nichtdeutsche“.78 Die kunstgeschichtliche Sektion unter Ewald Behrens, einem früheren Stipendiaten der Publikationsstelle, brachte gemeinsam mit den Ostforschern in Dahlem immerhin zwei Ausstellungen zu

72 Burleigh, Germany, S.  259 f. Ursprünglich hatte das Krakauer Institut eine Außenstelle der PuSte werden sollen – so hatten es Johannes Papritz und Hermann Aubin am 15. 12. 1939 in Krakau mit Hans Frank besprochen. Fahlbusch, Wissenschaft, S. 570. 73 Burleigh, Germany, S. 263–265. 74 Einen Überblick über die Aufgaben – nicht jedoch über die tatsächlichen Erträge! – der einzelnen Sektionen bietet Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 63–65. 75 Ebd., S.  69 f. Zur personellen Ausstattung der neuen Universität schlug Frank gar die Verlegung einer Universität aus dem Reich nach Krakau vor. Eine Führerentscheidung zerschlug solche Pläne im August 1941. 76 Die Sektion verfügte unter Leitung von Fritz Arlt und später Anton Plügel über 32 Angestellte und drei Abteilungen: Anthropologie, Ethnologie und Jüdische Studien. Institut für Deutsche Ostarbeit (Hg.), Jahrbuch, Krakau 1941; Burleigh, Germany, S. 266–279. 77 So die Worte Radigs in Deutsche Forschung im Osten. Mitteilungen des Instituts für Deutsche Ostarbeit 1/5 (1941), S. 37 ff. Zitiert nach Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 63. 78 Burleigh, Germany, S. 274–277. Zitat nach Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 67.

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Veit Stoß (1941) und zur Frühen deutschen Kunst aus Krakau und der Karpathenregion (1942) zustande. Auch an den Kopernikus-Feierlichkeiten des IDO in den Jahren 1942 und 1943 waren die Historiker beteiligt.79 Die kostspielige Faksimile­ ausgabe einer illustrierten Stadtchronik aus dem Jahre 1505 sollte „für das Deutschtum Krakaus unwiderlegliches Zeugnis ablegen“.80 Erwin Hoff, der die Universität Breslau wegen Prüfungsbetrugs hatte verlassen müssen und 1936 in die SS eingetreten war, leitete die Sektion für Geschichte. Diese sollte ganz im Geiste des gefallenen Kurt Lück deutsche Aufbaukräfte in Polen nachweisen, „da der deutsche kulturelle und politische Führungsanspruch durch die geschichtlichen Leistungen unseres Volkes im ehemaligen Polen am wirksamsten zu begründen ist“. Erstrebt wurde nicht weniger als eine gänzlich neue, volksgeschichtliche Darstellung des osteuropäischen Raums.81 Gemessen daran nahm sich der Ertrag der Sektion kläglich aus, beschränkte er sich doch auf wenige kleine Schriften, unter anderen Hoffs aus der historischen Tiefe schöpfende Antwort auf die Frage: Warum deutsche Führung im Generalgouvernement?82 Ähnlichen Themen widmete sich die Propagandazeitschrift des IDO Aus Zeit und Geschichte.83 In der Schriftenreihe des Instituts für deutsche Ostarbeit erschienen hingegen einige durchaus substantielle Arbeiten, darunter vor allem Herbert Ludats Studie zu den Anfängen des polnischen Staates, Manfred Lauberts Darstellung der Preußischen Polenpolitik von 1772–1914 und Ellinor Puttkamers Geschichte der Polnischen Nationaldemokratie.84 Mitarbeiter des IDO waren die Autoren aber alle nicht. Auch auf den wissenschaftlichen Jahrestagungen des Instituts wurde einer historischen Sichtweise Raum gegeben, die Beiträge stammten aber in der Regel von Institutsfremden wie Aubin oder verzichteten auf wissenschaftliche Ansprüche.85 Schließlich waren am Institut polnische Historiker tätig, die zwar keine eigene Forschung leisten durften, deren Hilfsdienste aber offenbar bei der Sichtung polnischer Literatur und polnischer Archivalien in

79 Burleigh, Germany, S. 278 f. 80 Zitiert nach Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 67. 81 Ebd., S. 63. Ebendort auch das Zitat. 82 Burleigh, Germany, S. 277 f. Seine substantiellste Forschungsleistung war die achtzigseitige Darstellung Erwin Hoff, Lublins Gründungshandfesten zu deutschem Recht 1317/1342, Krakau 1942. 83 Burleigh, Germany, S. 273. 84 Herbert Ludat, Die Anfänge des polnischen Staates, Krakau 1942; Manfred Laubert, Die preußische Polenpolitik von 1772–1914, Krakau 1944; Ellinor Puttkamer, Die polnische Nationaldemokratie, Krakau 1944. 85 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 67 f.

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Anspruch genommen wurden.86 Besuche deutscher Historiker in den Krakauer Archiven blieben eine Seltenheit, wie Kazimierz Kaczmarczyk nach Kriegs­ende aussagte; dagegen hätten polnische Archivmitarbeiter des Öfteren deutsche Anfragen bearbeitet.87 1943 kamen die geisteswissenschaftlichen Sektionen des IDO unter dem Druck der Kriegserfordernisse weitgehend zum Erliegen.88 Diese Beobachtungen führen zum Schluss, dass das offenbar recht großzügig alimentierte Krakauer Institut für ostinteressierte Historiker zwar eine Art wissenschaftlicher Dienst­leistungseinrichtung darstellte, die Publikationsmöglichkeiten bot und gewisse Recherche­aufträge ausführte, dass von einer eigenen historischen Ostforschung in Krakau während des Krieges aber schwerlich die Rede sein kann. Bisherige Darstellungen verschleiern diesen Befund, indem sie sich damit begnügen, Absichtsbekundungen aus der Frühzeit des Instituts zu zitieren.89 Eine weitere Spielart praktischer Geschichtsarbeit wurde überhaupt erst unter den Bedingungen des Krieges möglich. Die Rede ist von den Aktivitäten deutscher Archivare im Generalgouvernement, die von Ernst Zipfel, Leiter des Reichs- und des preußischen Staatsarchivs, koordiniert wurden und mithin in enger Verbindung zur NOFG standen. Elf Archivare, die offenbar keine Vorbehalte gegen ihren Osteinsatz hegten, waren während des Kriegs damit beschäftigt, die polnischen Archive nach den Erfordernissen des Tages zu reorganisieren und auf neue Standorte zu verteilen. Neben der – im Kontext der gewaltsamen national­sozialistischen Bevölkerungspolitik höchst verfänglichen – polizeilichoperativen Nutzung ging es dabei vor allem um das Auffinden von Beständen deutscher Provenienz.90 Auch propagandistischen Aufgaben wurden die Archivare gerecht: Gestützt auf einseitig selektionierte Quellen organisierten sie Ausstellungen wie Deutsche Leistungen im Weichselraum, Deutsche Größe oder Nach Ostland wollen wir fahren.91 Kaum Fortschritte machte die reichsweite Koordination der Ostforschung. Einflussreichste Nabe der historischen ‚Ostarbeit‘ blieb die Publikationsstelle Dahlem und die um sie gruppierte NOFG. Einen weitergehenden Versuch zur Zusammenfassung der Ostforschung unternahm darüber hinaus nur das Reichs­ministerium

86 S. u., Kap. 3.2.3. 87 Aussage von Kazimierz Kaczmarczyk, 28. 5. 1945, Archiwum PAN w Poznaniu [im Folgenden: APAN-P] III-35/92, Bl. 5 f. 88 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 66. Im August wurde das IDO aus dem Generalgouvernement ins Reichsinnere verlegt und arbeitete fast nur noch für die Wehrmacht. Ebd. 89 So etwa ebd., S. 63–65. 90 Stefan Lehr, Ein fast vergessener „Osteinsatz“. Deutsche Archivare im Generalgouvernement und im Reichskommissariat Ukraine, Düsseldorf 2007. 91 Ebd., S. 162 f.

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für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, das im September 1941 alle ihm bekannten Ostforschungseinrichtungen im Osteuropainstitut Breslau zusammenrief. Dass sich auch das Auswärtige Amt, das Reichs­ministerium des Innern und das Ostministerium an der Tagung beteiligten, machte sie zum wohl ernsthaftesten Koordinationsversuch jener Jahre.92 Bezweckt wurde, „eine Fühlung­ nahme“ zwischen Forschungseinrichtungen und amtlichen Stellen herbeizuführen, „um eine gemeinsame Ausrichtung auf die großen Ziele in die Wege zu leiten, die durch die mili­tärische, politische und wirtschaftliche Entwicklung im gesamten Ostraum auch der deutschen Wissenschaft gesteckt sind.“93 Während der Vizepräsident der Provinz Schlesien die versammelten Wissenschaftler daran erinnerte, dass ihr Einsatz „im letzten Grund der Politik“ dienen müsse, sicherte der Vertreter des Reichswissenschafts­ministeriums zu, dass die Politik lediglich Ziele vorschlagen werde, die innere Autonomie der Wissenschaft aber nicht antasten wolle.94 Die versammelten Wissenschaftler waren ihrerseits der Größe der neuen Aufgaben durchaus gewahr, allein: Das Klima war von gegenseitigem Misstrauen geprägt, und selbst die Einrichtung einer Mittelstelle, die ausschließlich der gegenseitigen Infor­mation dienen sollte, lehnten die Anwesenden aus Sorge, damit unwillentlich einen Primus inter Pares heranzuziehen, ab. Auch argumentierte Papritz, die NOFG habe die erwünschte Koordination für weite Teile der Ostforschung bereits wirkungs­voll herbeigeführt.95 Sein Argument fand Anerkennung, sodass die neu gegründete Deutsch-Südosteuropäische Arbeitsgemeinschaft die NOFG schließlich nur ergänzen und zu diesem Zweck die Koordination zwischen Breslau, Leipzig, Graz und Wien übernehmen sollte.96 Der Rest der Tagung galt der Bestands­aufnahme der bestehenden Forschung, wobei die vorgetragenen Tätigkeitsberichte der verschiedenen Institute den Eindruck stützen, dass die Beschäftigung mit Polen damals bereits hinter die Russlandforschung zurücktrat. Eine weitere Osttagung organisierten die Dienststelle Rosenberg und das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete im März 1942 in Berlin. Auch diese Tagung kann jedoch schwerlich als Erfolg im Sinne der Initiatoren verstanden werden.

92 Es erstaunt, dass weder Burleigh noch Oberkrome oder Haar diese Zusammenkunft in ihren einschlägigen Arbeiten zur Kenntnis genommen haben – immerhin wurden ihre Ergebnisse im Druck veröffentlicht (zunächst freilich nur „streng vertraulich“): Tagung. 93 So Hans-Jürgen Seraphim, der Direktor des Breslauer Osteuropa-Instituts, im Vorwort zu ebd., S. 3. 94 Wortmeldungen von Oberpräsident Bachmann und Oberregierungsrat Dr. Scurla, ebd., S. 5 und 7. 95 Die Aussprache wird in ebd., S. 108–133, ausführlich wiedergegeben. 96 Fahlbusch, Wissenschaft, S. 555.

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Zwar bildete sie vermutlich den Anstoß zur Gründung der sogenannten Reichszentrale für Ostforschung, die von Rosen­berg 1943 mit der Aufgabe betraut wurde, den Osten als deutsches „Schicksalsland“ zu erweisen und eine neue Geschichte des Ostraums zu erarbeiten, doch wurden solche geistes­wissenschaftlichen Projekte im Zuge der damaligen Beschränkung der Wissenschafts­förderung auf die kriegsrelevanten Naturwissenschaften rasch illusorisch.97 Es vermag kaum zu überraschen, sei aber der Vollständigkeit halber erwähnt, dass die deutschen Ostforscher während des Krieges so gut wie gar keine Beziehungen zu polnischen Wissenschaftlern unterhielten. Am ehesten noch lieferten sie sich in Ansätzen eine Polemik mit exilpolnischen Historikern und Publizisten, aus deren Arbeiten die Publi­kationsstelle zwischen 1940 und 1944 einige Dutzend Texte übersetzen ließ.98 Unter dem Eindruck düsterer Vorahnungen drängten Aubin und Brackmann seit Jahresende 1942 außerdem darauf, die Auseinandersetzung der NOFG mit polnischen Forderungen nach einer Angliederung ostdeutscher Gebiete an einen zukünftigen polnischen Staat zu intensivieren, was in Anbetracht der kriegsbedingt knapper werdenden Ressourcen allerdings kaum umzusetzen war.99 Persönliche Kontakte zu polnischen Kollegen kamen, abgesehen von jenen Fällen, in denen Deutsche über polnische Mitarbeiter geboten, überhaupt nicht zustande. Soweit bekannt, wagte es lediglich Wilhelm Unverzagt, dieses ungeschriebene Gesetz in Frage zu stellen, nachdem sich im Frühling 1941 ein früherer polnischer Fachkollege und Bekannter bei ihm in Erinnerung gebracht hatte. Auch er erkundigte sich allerdings vorsichtshalber bei der Publikationsstelle, ob er die Buchsendung von Włodzimierz Antoniewicz, der „nicht zu den Chauvinisten und Hetzern unter den polnischen Vorgeschichtsforschern gehört“, mit einer Gegengabe erwidern dürfe. Die Publikationsstelle leitete die Anfrage an die Regierung des Generalgouvernements weiter, worauf aus Krakau „grundsätzliche Bedenken“ gegen „die Aufnahme eines schriftlichen Verkehrs zwischen deutschen und polnischen Professoren“ geltend gemacht wurden.100

97 Ebd. Dem Erfolg der Reichszentrale stand auch entgegen, dass sie als Projekt des Ministeriums für die besetzten Ostgebiete auf den Widerstand der Parteikanzlei und des Reichserziehungsministeriums stieß. Johannes Kalisch/Gerhard Voigt, „Reichsuniversität Posen“. Zur Rolle der faschistischen deutschen Ostforschung im 2. Weltkrieg, in: Alfred Anderle/Werner Basler (Hg.), Juni 1941. Beiträge zur Geschichte des hitlerfaschistischen Überfalls auf die Sowjetunion, Berlin Ost 1961, S. 188–206, hier S. 188 ff. 98 Baumgart, Co tłumaczyła; Fahlbusch, Wissenschaft, S. 575. 99 Mühle, Volk, S. 386 f. 100 Wilhelm Unverzagt an die PuSte Berlin-Dahlem, 19. 5. 1941; Regierung des Generalgouvernements, Hauptabteilung Innere Verwaltung an die PuSte Berlin-Dahlem, Krakau, 17. 6. 1941, beide im BAB R 153/47.

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Dass ihr Kriegsbeitrag bei den politischen Entscheidungsträgern wenig Rückhalt fand, konnte den Ostforschern auf Dauer nicht verborgen bleiben. Zwar glaubte der geltungssüchtige Brackmann bis 1942 an „die unmittelbare Wirkung dieses Kriegseinsatzes deutscher Wissen­schaft“,101 Hermann Aubin fragte sich dagegen schon Ende Dezember 1939, ob „die homöo­pathischen Dosen geschichtlicher Erfahrung, die ich hier und da anbringen kann, noch etwas nützen können“, und gewann bald den Eindruck, dass „die politischen Entscheidungen […] ganz ohne jede Berührung mit wissenschaftlicher Einsicht über uns hinwegzugehen scheinen.“102 Solche Zweifel mussten weiter um sich greifen, nachdem die Wissenschafts­förderung des Reichs sich seit 1943 zusehends auf die kriegswichtigen Fächer verengte und den Geistes­wissenschaftlern kaum noch Ressourcen zukommen ließ. Auch fanden die Ostforscher in dem Maße, wie sich das Kriegsglück wendete, nach anfänglicher Euphorie allmählich wieder zu einer realistischeren Einschätzung der deutschen Zukunft im Osten zurück. Seit Ende 1942 richteten Brackmann und Aubin die geschichts­politischen Aktivitäten der NOFG zunehmend auf mögliche Friedensverhandlungen aus. Zwar hielt man es offenbar noch für denkbar, dass Deutschland dann aus einer Position der Stärke würde auftreten können, denn weiterhin bemühte man sich um den Nachweis, dass Polen das Werk deutscher Aufbaukräfte sei und daher unter deutscher Oberherrschaft verbleiben müsse. Dass andererseits aber auch Argumente gegen die Erneuerung eines gen Westen erweiterten polnischen Staates gesucht werden sollten, lässt erkennen, dass die Ostforscher zu diesem Zeitpunkt auch eine deutsche Niederlage nicht mehr ausschlossen. Sollte dieser Fall eintreten, so durfte er die Ostforscher nach Brackmanns Auffassung nicht wieder wie 1918 unvorbereitet antreffen – vielmehr müsse gerade dann „das Rüstzeug für die Verteidigung der deutschen Rechte“ bereitstehen. Auch ist zu beobachten, dass die Leitbilder der Ostforscher, allen voran Aubins, im Verlauf des Jahres 1943 allmählich von einer deutsch bestimmten Ordnung Mittelosteuropas abrückten und stattdessen zunehmend den Schulter­schluss der europäischen ‚Kulturgemeinschaft‘ gegen die vordringende sowjetische ‚Barbarei‘ in den Vordergrund rückten. Hier zeichnete sich, wie Mühle beobachtet, bereits der Keim jener Abendland-Ideologie ab, die die bundesdeutsche Ostforschung nach 1945 beseelen sollte.103

101 Jahresbericht 1941/42, zitiert nach Fahlbusch, Wissenschaft, S. 563. 102 H. Aubin an Kaehler, 30. 12. 1939, und an Theodor Frings, 5. 2. 1940, zitiert nach Mühle, Volk, S. 381 u. 382. 103 Ebd., S. 386 f. Notiz Albert Brackmanns vom 23. 10. 1944 zitiert nach ebd. Zur AbendlandIdeologie in der bundesdeutschen Ostforschung s. u. Kap 4.3.7.

3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 

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3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 3.2.1 Verfolgung und Zerstörung Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht kam das polnische Hochschul­ wesen beinahe über Nacht zum Erliegen – zunächst vor allem infolge willkürlicher Terrorakte, allgemeiner Besatzungswirren sowie der Quartiernahme deutscher Verwaltungs-, Militär- und Polizei­kräfte in den Hochschulgebäuden. Erst im Verlauf des Jahres 1940 bestätigten amtliche deutsche Verlautbarungen die de facto längst erfolgte Stilllegung des polnischen Hoch­schulwesens. Demnach blieb jeglicher Lehrbetrieb untersagt, die Tätigkeit wissenschaftlicher Vereine wurde verboten und die Drucklegung jeglicher wissenschaftlicher Schriften unter Strafe gestellt. Auch der Zugang zu Bibliotheken und Archiven wurde den Polen verwehrt, sofern sie nicht im Dienste der deutschen Besatzungsherrschaft arbeiteten.104 Gleichzeitig waren die polnischen Wissenschaftler auch an Leib und Leben bedroht: Im Rücken der Wehrmacht gingen Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes der SS nach vorberei­teten Fahndungslisten gegen polnische Intellektuelle vor. Am radikalsten war das Vorgehen in jenem Teil Polens, der als Reichsgau Wartheland dem deutschen Reich angegliedert wurde. Hier kam es zu zahlreichen Morden und massenhaften Abschiebungen ins Generalgouverne­ment.105 Im Mai 1940 kündigte Hans Frank die Liquidierung der polnischen Intelligenz an; Heinrich Himmler und Hitler sprachen dagegen offiziell von Abschiebung, und im weiteren Verlauf der Besatzungsherrschaft kam es nicht zu einer konsequenten Vernichtung der Intellektuellen – wohl aber zu sporadischen, teilweise planvollen, immer öfter aber auch willkürlichen Verhaftungs- und Tötungsmaßnahmen.106 Der spektakulärste Schlag der deutschen Besatzer bestand in der bereits erwähnten Verhaftung der gesamten Krakauer Professorenschaft zu Beginn des Krieges. Diese sogenannte „Sonderaktion Krakau“ erfolgte am 6. November 1939 und betraf 183 Professoren und Mitarbeiter der Krakauer Hochschulen, die in die Konzentra­tionslager Sachsenhausen und Dachau verbracht wurden und dort teilweise zu Tode kamen. Erst nach internationalen Protesten wurde ein Teil

104 Marceli Handelsman, Nauka historyczna w Polsce w czasu okupacji, undatiert [1947], APAN-W III-192/39. Den bisher besten Überblick zum Thema bieten Kleßmann/Długoborski, Bildungspolitik. 105 Beate Kosmala, Polen, in: Wolfgang Benz/Hermann Graml/Hermann Weiss (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1998, S. 641–646. 106 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 43–47.

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 3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg

der Wissenschaftler entlassen.107 Zu ähnlichen Aktionen kam es in Lublin und Lemberg.108 Hohen Blutzoll forderte gegen Kriegs­ende nochmals der Warschauer Aufstand. Etliche Historiker gehörten dem Untergrund nicht nur als Forscher und Lehrer, sondern auch als Kämpfer an; andere wurden Opfer der brutalen ‚Pazifizierungsmaßnahmen‘, ohne selbst an den Kämpfen beteiligt gewesen zu sein. So verlor bis zum Ende des Krieges mehr als die Hälfte aller polnischen Historiker ihr Leben.109 Beträchtlich waren auch die Schäden an der wissenschaftlichen Infrastruktur – an Universitäts-, Bibliotheks- und Verlagsgebäuden. Schwerer wogen allerdings die unwieder­bringlichen Verluste an Archivbeständen, die insbesondere in Warschau zu beklagen waren. Während die Schäden durch Abtransporte und Kampfhandlungen während des Warschauer Aufstandes noch vergleichsweise gering blieben, zerstörten gezielte Vernichtungsaktionen von Räumungs­kommandos der SS im November 1944 die Warschauer Bestände fast voll­ständig.110

3.2.2 Forschung und Lehre im Untergrund Nach der deutschen Invasion entwickelte sich in Polen sehr rasch ein ausgeprägtes wissen­schaftliches Leben im Untergrund. Dabei kamen den polnischen Gelehrten konspirative Erfahrungen aus der Teilungszeit zugute, über die zumindest die ältere Generation noch verfügte. Als Ansporn diente den Historikern gewiss auch die Leuchtturmfunktion, die ihr Fach für das polnische Nationalbewusstsein schon zu Teilungszeiten erfüllt hatte. Zentrum des akade­mischen Untergrundes wurde Warschau, wo die zwei wichtigsten Geheim­universitäten des Landes entstanden. Die eine knüpfte an die frühere Warschauer Universität an; hier avancierte das von Marceli Handelsman und Janina Dębowska organisierte Geschichts­studium nach der Polonistik rasch zum zweitwichtigsten Fach mit bis zu 100  Studierenden.111 Als zweite Untergrund-Hochschule der Stadt nahm die sogenannte Universität der Westgebiete112 die Tradition der Posener Universität wieder auf, deren Personal sich in großem Umfang ins General­gouvernement abgesetzt hatte. Im Rahmen des Geschichts­studiums wurden Kurse in Vorge-

107 Ausführlich hierzu August, Sonderaktion. 108 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 56 f. 109 Grabski, Zarys, S. 199. 110 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 78. 111 Ebd., S. 133–135. Siehe hierzu auch die gegen 1960 niedergeschriebenen Erinnerungen Tadeusz Manteuffels in APAN-W III-192/20. 112 Poln. Uniwersytet Ziem Zachodnich.

3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 

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schichte, mittelalterlicher und neuzeitlicher Geschichte, Geschichte der Westslawen und Geschichte Pommerns angeboten, die von einigen Dutzend Studenten in Anspruch genommen wurden.113 Ähnliche Untergrund­universitäten folgten in kleinerem Rahmen in Krakau und Lublin.114 Dienten die Universitäten unter Kriegsbedingungen fast ausschließlich der Lehre, so erhielt die wissenschaftliche Forschung Unterstützung von Seiten der sogenannten Landesdelegatur, der Repräsentanz der Londoner Exil­regierung, die mithilfe privater Spender nach eigenem Bekunden zeitweise bis zu neunhundert Wissen­schaftler finanzierte, die zusammen etwa dreihundert Handbücher und Monographien erarbeitet haben sollen. Ein Großteil dieser Arbeiten ging allerdings im Warschauer Aufstand verloren.115 Eine weitere, unter anderen von Zygmunt Wojciechowski koordinierte Hilfsmaß­nahme für brotlose Wissenschaftler bestand darin, polnische Verlage und Buchhandlungen zu Voraus­zahlungen für wissenschaftliche Werke zu bewegen, die nach dem Krieg erscheinen sollten.116 Die polnischen Westforscher traf die deutsche Besatzung noch unmittelbarer als das Gros der polnischen Wissenschaft. Im täglichen Leben waren die Westforscher stärker als ihre Kollegen dem nationalsozialistischen Vernichtungszug gegen die intellektuellen Eliten Polens ausgesetzt – erstens, weil ihre Heimatregion Großpolen dem „Reich“ eingegliedert und deshalb intensiver ‚gesäubert‘ wurde als das Generalgouvernement,117 zweitens, weil sie als Gegner Deutschlands anhand einer schwarzen Liste gesucht wurden, die vermutlich von deutschen Ostforschern erstellt worden war.118 Viele von ihnen flüchteten ins General­ gouvernement, insbesondere nach Warschau, was ihrem Engagement freilich keinen Abbruch tat. Denn auf weltanschaulicher Ebene erschien der Krieg als Bestätigung vertrauter Prämis­sen von der inhärenten Aggressivität und Expansivität des westlichen Nachbarn. Deutschland zeigte erneut sein wahres Gesicht,

113 Es unterrichteten Prof. R.  Pollak, Doz. Dr. W.  Kowalenko, Prof. Chodynicki, Doz. Dr. J. Woliński und Dr. St. Bodniak. Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 137 f. Zygmunt Wojciechowski lehrte Recht und Wirtschaft. Krzoska, Polen, S. 302. 114 Kleßmann, Selbstbehauptung, 140 f. 115 Ebd., S. 145. 116 Władysław Kowalenko, Tajny Uniwersytet Ziem Zachodnich – Uniwersytet Poznański 1940– 1945, Poznań 1961, S. 68. 117 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 43–48. 118 Krzoska, Nation und Volk, S.  310. Dass die deutschen Repressionsmaßnahmen trotzdem erstaunlich lückenhaft blieben, war keiner unerklärlichen Milde, sondern mangelnder Übersicht angesichts der Kriegswirren zuzu­schreiben. So wurde Wojciechowski zwar zu Beginn der deutschen Besatzung in Posen inhaftiert, danach aber wieder auf freien Fuß gesetzt, sodass er schließlich über Krakau nach Warschau gelangte, wo er sich dem Widerstand anschließen und Lehrveranstaltungen abhalten konnte. Krzoska, Polen, S. 297–301.

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folgte seinem räuberischen Drang nach Osten und frönte der „pangermanischen Vernichtungsidee“.119 Die Erbfeindschafts­ these erfuhr ihre bisher eindrücklichste Bestätigung. Unter diesen Bedingungen wurde der Weltkrieg als Ansporn verstanden, den Westgedanken als geistige Waffe weiter zu schmieden. Schon kurz nach Kriegsbeginn nahmen führende Westforscher wie Kostrzewski, Kosierowski, Pawłowski, Rudnicki, Tymieniecki, Widajewicz und Wojciechowski wieder Kontakt zueinander auf. Den geeigneten Rahmen hierzu stellte zunächst das Netzwerk der Untergrunduniversitäten dar. Laut Kaczmarczyk soll Zygmunt Wojciechowski damals einen konkreten Publikationsplan zum deutsch-polnischen Themenkomplex erarbeitet haben.120 Daraufhin wurden, so Wojciechowski rückblickend, „systematisch Arbeiten über jene Gebiete verfasst, von denen man annehmen durfte, dass sie sich im Ergebnis des Krieges innerhalb der polnischen Grenzen wiederfinden würden.“121 Ihre Recherchen betrieben die Westforscher vor allem in Krakau und Warschau, wo es gewisse Möglichkeiten der Bibliotheks- und Archivbenutzung gab. Materielle Unterstützung leistete der mit Wojciechowski befreundete Buchhändler Stanisław Arct, der einen Großteil der fertigen Manuskripte kaufte. So entstanden etwa eine Geschichte Schlesiens von Kazimierz Kaczmarczyk und Kazimierz Piwarski sowie zwei Arbeiten von Karol Górski zur Geschichte Danzigs und Ostpreußens. Etliche dieser Arbeiten gingen jedoch während des Warschauer Aufstands verloren.122 In Anbetracht ihrer Ziele war es naheliegend, dass die Westforschung früh den Kontakt zum politischen Widerstand suchte und zeitweise beinahe ununterscheidbar mit ihm verschmolz. Eine wichtige Plattform hierfür bildete die im September 1939 gegründete Widerstandsgruppe Ojczyzna (Vaterland) in Posen,123 die rasch zur führenden Untergrundorganisation in den polnischen Westgebieten avancierte und sich am der Landesdelegatur beteiligte. Ihren Kampf gegen den Okkupanten verband sie von Beginn an mit der Propaganda für eine neue polnische Westgrenze.124 Nach einem deutschen Schlag gegen den Posener Untergrund verlagerte sie ihre Tätigkeit 1942 nach Warschau. Dort übernahmen Angehörige

119 So Józef Szujski (1835–1883), zitiert nach Ludat, Geschichtswissenschaft, hier S. 156. 120 Zdzisław Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57. 121 Zygmunt Wojciechowski, Sprawozdanie dyrekcji złożone na walnym zerbraniu w dniu 16 marca br., in: PZ 2/1 (1946), S. 291–298, hier S. 291. 122 Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni […]. 123 Gründungsmitglieder waren Witold Grot und Kirył Sosnowski, zu denen sich bald auch der Jurist Jan Jacek Nikisch, der Schlesienhistoriker Alojzy Targ und der Initiator der Warschauer Untergrunduniversität, Pfarrer Maksymilian Rode, gesellten. Zur Ojczyzna Krzoska, Polen, S. 299 ff., sowie die Quellensammlung von Mazur/Pietrowicz, Ojczyzna. 124 Nikisch, Ojczyzna, hier S. 186–197.

3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 

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der Ojczyzna, allen voran Zygmunt Wojciechowski, die Leitung des ‚Westbüros der Regierungsdelegatur‘.125 Dem Westbüro oblag es, die polnische Kontinuität der dem Reich angeschlossenen Gebiete politisch zu vertreten und propagandistisch in Erinnerung halten. Darüber hinaus begann es sich jedoch früh für Gebiete jenseits der polnischen Westgrenze von 1939 zu interessieren und entfaltete eine rege Werbung für deren Eingliederung in einen polnischen Nachkriegs­staat.126 Interessanterweise stießen die teilweise sehr weitgehenden Pläne auf den Widerstand der Londoner Exilregierung, die damals fürchtete, das Wohlwollen der westlichen Alliierten durch überzogene Forderungen zu verlieren.127 Auch mit der Heimatarmee suchte der Ojczyzna-Kreis Beziehungen anzuknüpfen, doch stand diesen Kontakten weiterhin das überkommene Misstrauen zwischen Nationaldemokraten und PiłsudskiAnhängern entgegen.128 Einen Schwerpunkt legte das Westbüro auf die Bildungsarbeit, zu deren Förderung am 22.  Juni 1941 das sogenannte Weststudium gegründet wurde.129 Führender Kopf wurde Zygmunt Wojciechowski,130 der auf der Gründungsversammlung die Zuversicht verbreitete, dass man das Kriegsende in ein paar Jahren in einem polnischen Breslau begehen könne.131 Darin mochte sich patriotischer Zweckoptimismus mit einem realistischen Sinn für die lang­fristigen

125 Poln. Biuro Zachodnie przy Delegaturze Rządu, später umbenannt in Biuro Ziem Zachodnich – Büro der Westgebiete. Edward Serwański, Myśl zachodnia w działalności politycznej Wiel­ kopolan w okresie okupacji hitlerowskiej, in: Andrzej Kwilecki (Hg.), Polska myśl zachodnia w Poznaniu i Wielkopolsce. Jej rozwój i realizacja w XIX i XX wieku, Poznań 1980, S. 198. Gleichzeitig unterhielt Wojciechowski auch Beziehungen zum konkurrierenden Büro für Studien über die Neuen Gebiete beim Oberkommando der Heimatarmee (Biuro Studiów dla Ziem Nowych przy Komendzie Głównej AK). Krzoska, Polen, S. 303. 126 Mirosław Dymarski, Ziemie postulowane (ziemie nowe) w prognozach i działaniach pol­ skiego ruchu oporu 1939–1945, Wrocław 1997, S. 49–55; Leopold Gluck, Od ziem postulowanych do ziem odzyskanych, Warszawa 1971, S. 30; Serwański, Myśl zachodnia, S. 196–197. 127 Dymarski, Ziemie, S. 59. 128 Krzoska, Polen, S. 306–307. 129 Poln. Studium Zachodnie. Zum Weststudium s. Dymarski, Ziemie; S. 62–64; Jan Jacek Nikisch, Korzenie polskiej myśli zachodniej Instytutu Zachodniego, in: PZ 50/3 (1994), S. 107–115, hier 110–112; Karol Marian Pospieszalski, O mojej pracy w Studium Zachodnim, in: PZ 50/3 (1994), S. 121–126; Maria Wojciechowska, ‚Prehistoria‘ Instytutu Zachodniego, in: Dzieje Najnowsze 2/3 (1970), S. 226–230; Kowalenko, Uniwersytet. 130 Wojciechowski war für diese Aufgabe prädestiniert, hatte er doch bereits zuvor die wissenschaftliche Abteilung des Westbüros geleitet, sich an der Gründung der Universität der Westgebiete beteiligt und die Programmatik der Ojczyzna führend mitbestimmt. Zdzisław Kaczmarczyk, Zygmunt Wojciechowski (1900–1955), in: PZ 31/4 (1975), S. 169–179, hier S. 173. 131 Edward Serwański, Dnia 13 lutego 1945 roku…, in: PZ 50/3 (1994), S. 95–106; Brier, Westgedanke, S. 20.

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Kräfte­verhältnisse der kriegführenden Mächte verbinden – Tadeusz Manteuffel erinnerte sich später, dass unter den damals herrschenden Bedingungen aus polnischer Sicht nur die Hoffnung auf eine baldige deutsche Niederlage blieb, dass eine solche nach dem Kriegs­eintritt der West­alliierten aber auch allgemein erwartet wurde.132 Wojciechowski seinerseits mochte bereits zu diesem Zeitpunkt vermuten, dass sich Hitler mit dem Angriff auf die Sowjet­union, der zufällig am selben Tag begann, endgültig übernommen hatte. Hinzu kam die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, in dem sich die übermächtigen Nachbarn Polens letztlich gegenseitig niedergerungen und damit den Weg für ein unabhängiges Polen bereitet hatten. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen erblickten die Westforscher im Kriegs­geschehen schon erstaunlich früh die Chance zu einer territorialen Arrondierung Polens, die über den 1919 erreichten Besitzstand hinausgehen sollte.133 So diente das Weststudium von Anfang an dem Zweck, den Boden für möglichst weitgehende Gebietsforderungen zu bereiten, wozu seine Initiatoren propagandistische und wissen­schaftliche Anstrengungen unternahmen. Zum Inhalt des Studiums sollte die Erforschung der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen und der ‚geforderten Gebiete‘ ebenso gehören wie die Dokumentation der deutschen Verbrechen während der Besatzung. Auch die bevölkerungs­ politischen und administrativen Konsequenzen der beabsichtigten Westerweiterung Polens suchte man bereits zu antizipieren. Schließlich wollte man sowohl die eigene Bevölkerung als auch das Ausland von Polens historischen Rechten auf die fraglichen Gebiete überzeugen.134 1942 wurde dem Krieg in der Kleinen Bibliothek der Westgebiete135 eine Bedeutung beigemessen, die weit über den reinen Abwehrkampf hinausging: „Krieg um die Wiedergutmachung historischer Schuld und historischer Fehler, Krieg um die politische Größe Polens. Polnisches Kriegsziel ist eine Ostseeküste von Klaipeda bis Stettin und eine Grenze an der Oder“.136 Zu Händen des Oberkommandos der Heimatarmee hatte Wojciechowski dieses Ziel bereits im Winter 1941 formuliert. Damals legte er den Entwurf einer neuen polnischen Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße vor, in dem er bereits

132 T.  Manteuffel, Sekcja Historyczna Tajnych Kursów Uniwersyteckich. Wspomnienia z działalności w dziedzinie tajnego nauczenia w okresie okupacji, undatiert [gegen 1960], APANW III-192/20. 133 Michał Pollak, Instytut Zachodni. Powstanie i rozwój organizacyjny w ciągu dziesięciolecia, in: PZ 10/3–4 (1955), S. 469–486. 134 Antoni Czubiński, Instytut Zachodni (1944–1986), Poznań 1987, S.  8; Pollak, Instytut Zachodni, S. 469. 135 Poln. Biblioteczka Ziem Zachodnich. Die Reihe wurde vom Westbüro herausgegeben. 136 Zitiert nach Nikisch, Ojczyzna, hier S. 197.

3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 

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Schätzungen zum polnischen und polonisierungs­fähigen Bevölkerungsanteil der zukünftigen Westgebiete vornahm.137 1943 verfasste der Kreis um das West­ studium ein Memorandum, das einer künftigen polnischen Regierung dazu riet, bei Kriegsende einer Friedenskonferenz vorzugreifen und mit der vollständigen Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den geforderten Gebieten vollendete Tatsachen zu schaffen, wodurch Plebiszite mit zweifelhaftem Ausgang von vornherein überflüssig würden.138 Im selben Jahr erschienen in der Kleinen Bibliothek drei Hefte unter dem bezeichnenden Titel Die zurückkehrenden Länder, die Ostpreußen, Danzig, Pommern und Gesamtschlesien zum Gegenstand hatten und damit zu erkennen gaben, dass sich die Metapher der Rückkehr keineswegs auf die 1939 verlorenen Gebiete beschränkte, sondern darüber hinaus weitere Gegenden für Polen reklamierte, die man als historisch slawisch verstand.139 Die Vision von einem künftigen Westpolen an Oder und Neiße verband sich aufs Engste mit Überlegungen zur Vergangenheit und Zukunft des deutschpolnischen Verhältnisses. Bereits 1941 verfasste Wojciechowski gemeinsam mit Jan Moszyński eine geopolitisch und historisch argumentierende Schrift über das deutsch-polnische Verhältnis und seine Bedeutung für Mitteleuropa. Ihr lag der Leitgedanke zugrunde, dass Deutschland sich im Verlaufe seines Aufstiegs zur Weltmacht zunächst im Osten gestärkt habe, um dann mit vergrößerter Machtfülle über den Westen herzufallen. Eine künftige Friedensordnung müsse Deutschland in Schach halten, indem sie ihm ein mächtiges, bis an Oder und Neiße vorgeschobenes Polen entgegenstelle. Dies habe man in Versailles versäumt, nun gelte es diesen Fehler zu korrigieren. Zusätzliche Stärkung könne das slawische Mitteleuropa, das auch der Sowjetunion Einhalt gebieten müsse, aus einer staatlichen Union der Polen, Tschechen und Slowaken schöpfen. Auf der anderen Seite müsse Deutschland-Österreich durch eine Teilung entlang der konfessionellen Grenze zwischen Protestanten und Katholiken weiter geschwächt werden.140 1943 erschien Wojciechowskis Programmschrift Deutschland – Polen.

137 Krzoska, Polen, S. 308. 138 Antoni Wrzosek, Przyczynek do genezy ‚Rady Naukowej dla Zagadnień Ziem Odzyskanych‘ (Ze wspomnień z lat 1939–1947), in: Studia Śląskie 33 (1977), S. 27–37. Krzoska weist allerdings darauf hin, dass Wojciechowski erst 1945 entschieden auf das Argument eingeschwenkt sei, alle Deutschen müssten aus Polen vertrieben werden. Zuvor habe er in schwankender Argumentation bald für deren (Re-)Polonisierung plädiert, bald sich mit einem Bekenntnis zum polnischen Staat zufriedengeben wollen. Krzoska, Polen, S. 315. 139 Autoren der Bände, die vorwiegend statistische und enzyklopädische Informationen darboten, waren die Geographen Jan Dylik, Maria Czekańska und Antoni Wrzosek. Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 146. 140 Zygmunt Wojciechowski/Jan Moszyński, Stosunki polsko-niemieckie i problem Europy środkowej, Warszawa 1941.

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Zehn Jahrhunderte Kampf, in der er das Konzept der polnischen Mutterländer vollendete und Polens Bestehen und Wohlergehen von seinem Beharren im Westen abhängig machte.141 Auf eine ausführliche Zusammenfassung des Werks kann an dieser Stelle verzichtet werden, da sie anderweitig bereits geleistet wurde und die vorliegende Arbeit die Argumente der Schrift im Zusammenhang mit einer Ausstellung zum deutsch-polnischen Verhältnis rekapituliert, die nach dem Krieg in Posen geplant wurde.142 Ein letzter Arbeitsbereich des Weststudiums bestand in der Dokumentation der deutschen Besatzungsverbrechen in Polen, die Karol Marian Pospie­szalski vorantrieb und die nach dem Krieg die Grundlage für die Documenta Occupationis des Posener Westinstituts bildete.143 Der gescheiterte Warschauer Aufstand öffnete den Angehörigen der Ojczyzna im Herbst 1944 die Augen dafür, dass Polen seine ehrgeizigen Ziele im Westen nicht im Alleingang erreichen konnte. Ungeachtet der allgemeinen Verbitterung über das Beiseitestehen der Roten Armee während des Aufstandes plädierte Wojciechowski, ganz berechnender Realpolitiker, im Dezember 1944 für einen Schulterschluss mit der Sowjetunion. Hatte er 1942 noch ein Polen zwischen der Oder im Westen und der Grenze von 1939 im Osten gefordert, so erschien ihm der Verlust Ostpolens – das ihm niemals besonders am Herzen gelegen hatte – nun als verschmerzbar, wenn sich Polen dafür die Unterstützung der Sowjetunion für seine Forderungen im Westen erkaufen konnte.144 Bei der Exilregierung konnte sich die Ojczyzna mit diesem Konzept jedoch nicht durchsetzen: Tomasz Arciszewski hielt in London weiterhin daran fest, dass Polen nicht Breslau und Stettin, sondern Lemberg und Vilnius fordere. Im Namen der Ojczyzna stellte der Jurist Jan Jacek Nikisch im Rat der polnischen Untergrund­parteien145 daraufhin einen Misstrauensantrag gegen die Exilregierung, der er Verrat an den Lebensinteressen der polnischen Nation vorwarf: Die polnische Nation kämpfte nicht um die Vertreibung des Besatzers aus den Grenzen von 1939, sondern um einen dauerhaften Schutz zukünftiger Generationen vor der endgültigen Ausrottung, um ein Ende der tausendjährigen germanischen Expansion, um eine Rückkehr

141 Ebd.; Zygmunt Wojciechowski, Polska – Niemcy. Dziesięć wieków zmagania, Warszawa 1943. Daneben verfasste er eine polnische Verfassungsgeschichte und eine Biographie König Zygmunts sowie, gemeinsam mit seiner Frau Maria, eine Überblicksdarstellung zu den Dynastien der Piasten und der Jagiellonen. Krzoska, Polen, S. 307. 142 Krzoska, Polen, S. 317–324, sowie unten, Kap. 4.2.4. 143 Pospieszalski, O mojej pracy; Krzoska, Polen, S. 310, Anm. 47. Zur wiederum von Pospie­ szalski geleiteten Beschäftigung des Posener Westinstituts [im Weiteren: IZ] mit den deutschen Besatzungsverbrechen s. u., Kap. 4.2.6. 144 Grabski, Wojciechowski, S. 24. 145 Dem sog. Rat der Nationalen Einheit, poln. Rada Jedności Narodowej.

3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 

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auf die Muttergebiete der polnischen Nation, um den Zufluss der Oder, der die beste Grenze aus strategischer, politischer und wirtschaftlicher Sicht ist.146

Der Antrag scheiterte, sodass sich die Ojczyzna im Dezember 1944 entschloss, auf eigene Faust die Zusammenarbeit mit den polnischen Kommunisten – und damit mit der Sowjet­union – zu suchen. Die entsprechenden Schritte gehören bereits zur unmittelbaren Vorge­schichte des Posener Westinstituts und werden weiter unten beschrieben. Festzuhalten bleibt, dass der Seitenwechsel der Ojczyzna zweifellos dadurch erleichtert wurde, dass die bürger­lichen Kräfte des polnischen Widerstands einer Westausdehnung Polens nie den Stellenwert beigemessen hatten, der ihm in den Augen Wojciechowskis und seiner Mitstreiter gebührte.147

3.2.3 Kollaboration? Viel Staub aufgewirbelt hat in Polen letzthin die Frage, ob polnische Historiker in den Kriegsjahren mit der deutschen Besatzungsmacht kollaboriert hätten.148 Die Diskussion entfachte eine ansonsten wenig bemerkenswerte Arbeit von Anetta Rybicka zum Institut für Deutsche Ostarbeit, in der die Autorin in einem kurzen Kapitel auf den Umstand einging, dass das Institut eine Reihe wissenschaftlicher Hilfskräfte polnischer Nationalität beschäftigte.149 Unter ihnen befanden sich prominente Wissenschaftler wie der Siedlungs­historiker Władysław Semkowicz und der Sprachkundler Mieczysław Małecki. Beide traten nach ihrer Freilas­sung aus deutschen Konzentrationslagern in den Dienst des IDO. Rybickas Schilderung dieser Episode kollidierte mit dem Mythos einer Zunft, die sich stets – und nicht zu Unrecht – als führende Kraft im patriotischen Widerstand gegen die deutsche Okkupationsherrschaft gesehen hatte. Wütende Angriffe in der Tagespresse warfen der Autorin daraufhin die Verunglimpfung verdienter Fachgrößen vor,150 sodass sich schließlich nicht nur Rybicka, sondern auch ihr Betreuer Marian Wojciechowski herausgefordert sahen, ihre patriotische Gesinnung öffentlich

146 Nikisch, Ojczyzna, S. 206. Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung bei Brier, Westgedanke, S. 23. 147 Darauf weist insbesondere Krzoska, Polen, S. 307, hin. 148 Zur Kollaboration in Polen allgemein Klaus-Peter Friedrich, Collaboration in a „Land with­ out a Quisling“. Patterns of cooperation with the Nazi German occupation regime in Poland during World War II, in: Slavic Review 64/4 (2005), S. 711–746. 149 Rybicka, Instytut. 150 Forum der Kritik war die Krakauer Wochenzeitung Tygodnik Powszechny, die zu diesem Thema vom Mai bis August 2003 Beiträge von Marcin Kula, Andrzej Paczkowski und Tomasz Szarota abdruckte.

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 3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg

zu beteuern.151 Neue Erkenntnisse förderte die emotional geführte Debatte nicht zutage, sie warf aber auch in Bezug auf die polnischen Historiker die Frage auf, wie die Zusammen­arbeit mit dem Besatzer zu bewerten sei. Das Spektrum möglicher Antworten steckten die Schlagworte Kollaboration auf der einen und Sabotage auf der anderen Seite ab. Ähnlich war die Diskussion bereits während des Krieges geführt worden. Damals schwankte die Warschauer Untergrund­führung zwischen der Verurteilung solcher Tätigkeiten als Opportunismus und ihrer Anerkennung als Subversion.152 Rybicka war insbesondere der Widerspruch aufgefallen, dass deutsche Berichte die Arbeit der polnischen Angestellten meist als „nützlich“ und „hilfreich“ beurteilten, während die Betroffenen ihre Tätigkeit als „Manipulation“ und „Sabotage“ einstuften. Zwei Beispiele mögen diese Zusammenhänge illustrieren. So arbeitete der profilierte War­schauer Historiker und Mitbegründer der dortigen Untergrunduniversität, Tadeusz Manteuf­fel, während des Krieges im Auftrag der deutschen Behörden als Kustos im Archiv Neuer Akten. Seinen Zugang zu Quellenbeständen und photomechanischen Verviel­fältigungs­apparaten nutzte er dazu, die historische Abteilung der Untergrund­universität mit kopierten Quellen­texten zu versorgen. Ähnlich agierten polnische Hilfskräfte im Krakauer IDO.153 Welche Aufgaben polnische Wissenschaftler für die deutsche Archiv­verwaltung zu verrichten hatten, zeigt anschaulich das Beispiel des Posener Historikers Kazimierz Kaczmarczyk. Nach dem deutschen Überfall auf Polen wurde er von der Gestapo verhaftet und interniert. In dieser Lage bat Kaczmarczyk, der den Deutschen bereits als Mit­glied der deutsch-polnischen Archivkommission aus der Zwischenkriegszeit bekannt war, um eine Anstellung im Staats- und Stadtarchiv Krakau. Stattdessen wurde ihm der Posten des Direk­tors im Universitäts- und Akademiearchiv angeboten, den er annahm.154 In der Folge verbrachte Kaczmarczyk drei Jahre damit, das im Zuge einer Umlagerung durcheinandergeratene Universitätsarchiv neu zu ordnen.155 Angehörigen der polnischen Nationalität sei die Benutzung des

151 Anetta Rybicka, O kolaboracji. W odpowiedzi moim polemistom, in: PZ 59/4 (2003), S. 257– 260; Marian Wojciechowski, O książce Anetty Rybickiej „Instytut Niemieckiej Pracy Wschodniej – Institut für Deutsche Ostarbeit Kraków 1940–1945“, in: ebd., S. 256 f. Insgesamt beschäftigte das IDO 344 Mitarbeiter, darunter 150 Polen. Es handelt sich dabei um kumulierte Angaben für die gesamte Tätigkeitsspanne des Instituts, die so zu keinem Zeitpunkt erreicht wurden. 152 Kleßmann, Selbstbehauptung, S. 144. 153 Ebd., S. 136. 154 Dr. Randt, Amt des Generalgouverneurs für die Besetzten Polnischen Gebiete, Abteilung Innere Verwal­tung, Archivwesen, an Dr. R. Kaczmarczyk, Tschenstochau, Paulinerkloser (Jasna Góra), 4. 6. 1940, APAN-P III-35/90. 155 Kazimierz Kaczmarczyk, [Rechenschaftsbericht über die Tätigkeit während des Krieges], Krakau, 28. 5. 1945, APAN-P III-35/92, Bl. 5 f.

3.2 Polnische Historiker zwischen Verfolgung und Widerstand 

 145

Archivs untersagt gewesen, gab Kaczmarczyk nach Kriegsende zu Protokoll, und angesichts täglicher Kontrollen durch Angehörige des IDO sei es auch nicht in Frage gekommen, sie heimlich einzuschleusen. Dagegen habe die Möglichkeit bestanden, Archivalien an die Bibliothek der Jagiellonen-Universität auszuleihen, zu der polnische Wissenschaftler eher Zugang gefunden hätten.156 Neben seiner Tätigkeit im Universitätsarchiv sichtete Kaczmarczyk im Auftrag der Deutschen die Archive von Klöstern und jüdischen Gemeinden auf dem Stadtgebiet und in der Umgebung Krakaus.157 Jarosław Matysiak, der zurzeit an einer Biographie des Historikers arbeitet, geht davon aus, dass Kaczmarczyk durch Verheimlichung von Akten Polen und Juden vor der national­sozialistischen Verfolgung geschützt habe. Die angeführten Quellenbelege bleiben allerdings dürftig.158 Nach Kriegsende leitete Kaczmarczyk den Wiederaufbau des Posener Staatsarchivs. Sein Sohn Zdzisław Kaczmarczyk stand während des Krieges ebenfalls in deutschen Diensten, ab 1941 war er als wissenschaftliche Hilfskraft im Referat für Rechtsgeschichte des IDO beschäftigt. Gleich­zeitig habilitierte er sich an der geheimen Universität der Westgebiete in Warschau.159 Nach dem Krieg war er führend am Aufbau des Posener Westinstituts beteiligt. Eine abschließende Bewertung solcher Fälle muss vertiefenden Studien vorbehalten bleiben – es scheint jedoch legitim, anhand der Umrisse und in Anbetracht der bisherigen Diskussion einige vorläufige Schlüsse zu ziehen. Tatsächlich dürften polnische Wissen­schaftler, die sich in den Dienst der deutschen Besatzer stellten, in den meisten Fällen sowohl ihre persönliche Position wie auch das nationale Interesse im Auge gehabt haben. Echtes Engagement für die Anliegen des Besatzers wird man angesichts der deutschen Politik gegen­über den polnischen Eliten schwerlich unterstellen können; auch scheint zweifelhaft, ob die Bereitschaft polnischer Gelehrter zur wissenschaftlichen Hilfsarbeit in deutschen Instituten oder deutsch verwalteten Bibliotheken und Archiven mit dem Begriff des

156 Ebd. 157 Aus dem August 1942 datiert ein Passierschein, der Kaczmarczyks Auftrag festhält, im amtlichen Interesse die Archivbestände der Krakauer Klöster zu verzeichnen. Direktion der Archive im Staatssekretariat der Regierung des Generalgouvernements, Bescheinigung, Krakau, 14. 8. 1942, APAN-P III-35/90. Gemäß einer weiteren Vollmacht vom Juli 1943 war Kaczmarczyk „beauftragt, die in Nowy Wiśnicz […] noch vorhandenen jüdischen Archivalien festzustellen.“ Dr. B., in Vertretung, Direktion der Archive im Staatssekretariat der Regierung des Generalgouvernements, 6. 7. 1943, APAN-P III-35/90. 158 Jarosław Matysiak, Kazimierz Kaczmarczyk (1878–1966), in: Archiwistika Polski 42/2 (2006), S. 37–49. Matysiaks 2010 in Posen verteidigte Dissertation über Kaczmarczyk ist bisher nicht erschienen. 159 Paweł Dembiński/Jarosław Matysiak im Inventar zum Bestand Zdzisław Kaczmarczyk APAN-P III-68.

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 3 Deutsche und polnische Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg

Opportunismus zutreffend gefasst ist, verstanden die Betroffenen ihre Situation in vielen Fällen doch zu Recht als Zwangslage. Schließlich stellte die Tätigkeit in deutschen Diensten während des Krieges für polnische Forscher die einzige Möglichkeit dar, an polnische Archiv- und Bibliotheks­bestände zu gelangen, was aus vielfältigen Gründen nötig schien – sei es zum Schutz der Bestände selbst, sei es zur Förderung polnischer Forschungen oder zu dem Zweck, inhaltlich sensible Bestände vor den Augen der Besatzer zu verbergen. Für solche Intentionen spricht der Umstand, dass die meisten dieser Forscher gleichzeitig mit den polnischen Untergrund­universitäten in Verbindung standen.160 Bei alledem wird die Möglichkeit indes kaum auszuschließen sein, dass ihre Arbeit sich im Einzelnen für die deutschen Behörden als nützlich erwies und unter Umständen der Besatzungspolitik in die Hände spielte.161

160 Ein Advocatus Diaboli könnte freilich einwenden, dass auch diese Zusammenarbeit opportunistische Gründe haben konnte, insofern sie die Betroffenen vor Vergeltungsmaßnahmen des polnischen Untergrundes schützte. 161 Zu einem ganz ähnlichen Urteil gelangt Lehr: „Die polnischen Archivare trugen […] ihren kleinen Beitrag zur ‚Aufbauarbeit‘ im Generalgouvernement bei. Sie taten es weder freiwillig noch eifrig.“ Lehr, Osteinsatz, S. 300.

4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre 4.1 Rahmenbedingungen Einige Monate nach Kriegsende verzeichnete Deutschland sechs bis sieben Millionen Tote, darunter deutlich mehr Soldaten als Zivilisten.1 Nachkriegspolen hatte bei ähnlich hohen Bevölkerungsverlusten vor allem gefallene Zivi­listen zu beklagen.2 Diese Einbußen betrafen auch die Historiker – in Polen sogar stark überpropor­tional: Hier war jeder zweite Historiker dem nationalsozialistischen Vernichtungszug gegen die intellektuellen Eliten des Landes erlegen.3 In Deutschland war die Zahl der gefallenen Historiker geringer, aber nicht unbe­trächtlich; unter den Ostforschern lag sie auf ähnlichem Niveau wie unter den polnischen Historikern.4 Hinzu kamen in beiden Ländern institutio­nelle Verluste: In Polen

1 Laut aktuellen Schätzungen beliefen sich die militärischen Verluste Deutschlands auf 5,3 Mio. Personen. Rüdiger Overmans, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 1999. Die Zahl ziviler Opfer unter deutschen Staatsbürgern und „Volksdeutschen“ dürfte bis Kriegsende die Zahl von 1 Mio. nicht überschritten haben – darunter ca. 0,3 Mio. Opfer der NSVernichtungspolitik. Rüdiger Overmans, Kriegsverluste im Kontext von Reparationsinteressen, in: Historie 1 (2008), S. 93–102, S. 97. Nach Kriegsende forderten Flucht und Vertreibung nach amtlichen deutschen Schätzungen ca. 2 Mio. Opfer unter ethnischen Deutschen. Belegt sind davon knapp 0,5 Mio.; Overmans nimmt unter Verweis auf massive Überschneidungen in den Opferkategorien an, dass die tatsächlichen Zahlen nicht wesentlich höher liegen können. Ebd., S. 100. Etwa 80 % dieser Opfer starben während der Flucht und Vertreibung aus dem polnischen Nachkriegsstaat. Offizielle deutsche Angaben nennen dagegen immer noch 1,2 Mio. Opfer aus Polen, darunter allerdings auch Todesfälle infolge von Hunger und Krankheiten. 2 Eine offiziöse polnische Studie von 2009 beziffert die polnischen Kriegsopfer auf 5,6–5,8 Mio. Tote, darunter ca. 3 Mio. Polen jiddischer und 2,8 Mio. polnischer Muttersprache (in letzterer Zahl eingeschlossen sind ca. 0,2 Mio. polnischsprachige Juden). Wojciech Materski/Tomasz Szarota, Straty osobowe i ofiary represji pod dwiema okupacjami, Warszawa 2009, S. 29 f. u. 32. Gniazdowskis Interpolation aus den Ergebnissen der neuesten polnischen Forschungsliteratur kommt auf eine Zahl von ca. 1,4 Mio. ethnisch polnischer Opfer auf deutschem Besatzungsgebiet. Dem stehen ca. 0,15 Mio. Opfer unter polnischen Armeeangehörigen gegenüber, ca. 0,13  Mio. davon von deutscher Hand. Mateusz Gniazdowski, Bevölkerungsverluste durch Deutsche und Polen während des Zweiten Weltkriegs. Eine Geschichte der Forschungen und Schätzungen, in: Historie 1 (2008), S. 65–92, 87 f. Es ist evident, dass die Opferzahlen beider Seiten selbst ein erstrangiges Politikum darstellen, das auch die Historiker beider Seiten beschäftigte. 3 Grabski, Poland, S. 301. 4 Seraphim schätzte 1953, dass von rund 120 haupt- und nebenamtlichen Ostforschern der Zwischenkriegszeit 60–80 überlebt hätten. Peter-Heinz Seraphim, Notwendigkeit deutscher Ostforschung [Denkschrift], 4. 2. 1953, BAK B 106/1160.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

waren zahlreiche Universitäten, Bibliotheken und Archive zerstört oder geplündert worden, während Deutschland wichtige Zentren der Ostforschung – vor allem Königsberg und Breslau – verloren hatte. Dabei markierte die Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 in Zentraleuropa noch kein Ende der kriegsbedingten Umwälzungen. Vielmehr setzten die siegreichen Alliierten zunächst gemeinsam, im Zeichen der wachsenden OstWest-Konfrontation bald auch gegeneinander, eine territoriale, demographische und politische Neuordnung der Region in Gang. In der Folge verlor Deutschland knapp ein Viertel seines Staatsgebietes von 1937, und Polen rückte um 300 Kilometer nach Westen. Etwa zwei Millionen Polen sowie ca. zwölf Millionen Deutsche (darunter ca.  sieben Millionen aus neuerdings polnisch verwalteten Gebieten) sahen sich zur Umsiedlung in die neuen Grenzen ihrer verschobenen Nationalstaaten gezwun­gen. Im Zeichen des Systemgegensatzes wurde Deutschland vier Jahre später in zwei Staaten aufgeteilt; gleichzeitig erfuhren die äußerlich veränderten Staaten eine tief­greifende innere Umgestal­tung. Polen und das vormalige Mitteldeutschland wurden zu Einparteienstaaten nach sowje­tischem Muster umgeformt, Westdeutschland entwickelte sich zu einer pluralistischen Demokratie nach westeuropäischem Vorbild. So sahen die Historiker, die sich in Deutschland und Polen mit der Beziehungsgeschichte der beiden Länder befassten, innert weniger Jahre nicht nur ihren Gegenstand um ein weiteres konfliktträchtiges Epochenkapitel anwachsen; sie fanden sich oftmals auch in einem grund­legend veränderten akademischen Umfeld wieder – zum einen infolge von Flucht und Vertreibung, zum anderen als Ergebnis der politischen Um­wälzungen. Dass es in Polen und Westdeutschland (seltener in Ostdeutschland) dennoch den meisten gelang, ihre Lehr- und Forschungs­tätigkeit aus den Vorkriegs- und Kriegsjahren nach 1945 dauerhaft wieder aufzunehmen, wirft die Frage auf, wo und wie sie in der politisch-intellektuellen Landschaft der Nachkriegsgesellschaften ihren Platz fanden. Betrachten wir deshalb die Voraussetzungen für den weiteren deutsch-polnischen Historiker­ dialog, die sich in den ersten fünf Nachkriegs­jahren herausbildeten. 1. Territoriale und ethnographische Umgestaltung: Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 wurde ein deutsch-polnischer Grenzverlauf an Oder und Görlitzer Neiße festgelegt, der zunächst vorläufig bis zum Abschluss einer endgültigen Friedensregelung gelten sollte. Wie nach dem Ersten Weltkrieg die Versailler Grenze, so fesselte die Oder-Neiße-Linie nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufmerksamkeit nicht nur der Ostforscher, sondern auch der breiten deutschen Öffent­lichkeit. Von entscheidender Bedeutung war, dass die territorialen und ethnographischen Veränderungen 1945 – mehr noch als 1918 – als exzeptionell und temporär wahrgenommen wurden: Angesichts der weitgehenden Wieder­herstellung der übrigen europäischen National-

4.1 Rahmenbedingungen  

 149

staaten in ihrer vormaligen Form stellte sich die territoriale Umgestaltung Deutschlands und insbesondere Polens als Ausnahme dar.5 Ähnlich singulär erschienen die Zwangsumsiedlungen, die zwar als Erwiderung auf die nati­ onalsozialistische Bevölkerungspolitik gelten konnten, jedoch in Friedenszei­ ten und im Zeichen einer vordergründig demokratischen Neuordnung präzedenzlos schienen. Vor diesem Hintergrund wurde dem vorläufigen Charakter der neuen Grenze besonderes Gewicht beigemessen: Die deutsche Öffentlichkeit konnte sich der Hoffnung auf Revision hingeben, die polnische hingegen trieb die Angst vor einer neuen Teilung um, die eintreten würde, wenn Polen zwischen den an die Sowjetunion abgetretenen und den von Deutschland zurückgeforderten Gebieten auf einen schmalen Rumpfstaat von der Größe des Groß­herzog­tums Warschau reduziert würde. Vor diesem Hintergrund ist die geradezu obsessive polnische Furcht vor einer deutsch-sowjetischen Verständigung zu sehen, die selbst ein Viertel­jahrhundert später noch die polnische Einschätzung der neuen deutschen Ostpolitik von Bundeskanzler Brandt überschatten sollte. 2. Einbettung der deutsch-polnischen Frage in den Ost-West-Gegensatz: War die deutsch-polnische Grenzfrage im Anschluss an den Ersten Weltkrieg von europäischer Bedeutung, so rückte sie im Zuge der sowjetisch-amerikanischen Konfrontation ins Zentrum der Weltpolitik. Der Kalte Krieg verhinderte eine abschließende Friedensregelung und fixierte den deutsch-polnischen Status post bellum nach dem Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz 1947 im Schwebezustand. Jeder Versuch seiner einseitigen Veränderung hätte fortan unab­seh­bare Folgen gezeitigt. Der Sowjetunion – und mit ihr den polnischen Kommunisten – fiel es unter diesen Bedingungen leicht, sich als Garanten der Oder-Neiße-Linie zu profilieren, und in der polnischen Öffentlichkeit wuchs nolens volens die Einsicht, dass der territoriale Bestand des eigenen Staates sowjetischen Schutzes bedurfte. Erst die bedingte Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch Deutschland 1970/72 minderte die Abhängigkeit von der sowjetischen Schutzmacht. In der sowjetischen Besatzungszone Deutsch­lands und späteren DDR setzte Moskau, gegen anfängliche Widerstände aller politischen Kräfte, die bedingungslose Anerkennung der Nachkriegsgrenzen als unanfecht­baren Grundsatz durch. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs traten die West­alliierten deutschen Revisionswünschen weder entschieden entgegen, noch unterstützten

5 Theodor Schieder (Hg.), Handbuch der europäischen Geschichte, 7 Bde., Stuttgart 1976–1979, Bd. 7, S. 336.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

sie sie offen. Dennoch profitierte die wiederauflebende Ostforschung seit den späten Vierzigerjahren vom antikommunistischen Klima des Kalten Krieges, in das sie ihre herge­brachten Thesen mit minimalen Modifikationen einbetten konnte. Der antisowjetische Konsens gestattete es nun, sowohl das „verschobene“ Polen als auch das beschnittene Deutschland als Opfer sowjetischer Expansionswünsche darzustellen. 3. Unterschiedliche Grade staatlicher Diskursführerschaft: Selbst unter den Bedingungen des politischen Pluralismus der Bundesrepublik kannte der öffentliche Diskurs Tabubereiche, die zumindest in den ersten beiden Nachkriegsdekaden durch die schnell erlahmende Ausein­ andersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den antikommunistischen Grundkonsens abgesteckt wurden. Dabei handelte es sich jedoch eher um die Ergebnisse eines vom Staat zwar begünstigten, aber nicht erzwungenen Konsenses. Demgegenüber erhoben die Monopolparteien in der Volksrepublik Polen und der SBZ/DDR Anspruch auf unwider­sprochene Meinungs­ führerschaft. Im „befreiten“ Polen gelang die Monopolisierung des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens indes weit weniger umfassend als im besiegten Deutschland. Die akademische, kirchliche und künstlerische Intelligenz konnte östlich von Oder und Neiße oftmals Ansichten vertreten, die vom staatlichen Leitdiskurs abwichen – wenngleich bisweilen um den Preis harter Repressionen. Diese Resistenz fußte unter anderem in einer nationalen politischen Kultur, die einen Sozialismus sowjetischer Prägung als dauernden Angriff auf die polnische Identität erscheinen ließ. Ein weiterer, spezifisch akademischer Grund für die Resistenz gegen den Staatssozialismus war ein besonderes Standesbewusstsein der polnischen Professorenschaft. Es wurde aus der Tradition des Widerstands gegen die Teilungs­mächte und den Nationalsozialismus sowie einem Berufsethos gespeist, der die berufsständische Mythologie einer patriotischen Vorbildfunktion pflegte.6 So konnten die polnischen Universitäten ihre Wissenschaftler und Lehrpersonen weitgehend unbeschadet über die stalinistische Epoche hinüberretten – ganz im Gegensatz zu den Säuberungen, die selbst in der benachbarten und ebenfalls ‚befreiten‘, nicht besiegten Tschechoslowakei die Hochschulen versehrten.7 In der DDR hinterließ die bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 andauernde Abwanderung politisch andersdenkender Wissenschaftler in den Westen

6 Connelly, University, S. 283 f. In der Tschechoslowakei und der DDR sieht Connelly diese Faktoren wesentlich schwächer ausgeprägt. 7 Tony Judt, Postwar. A history of Europe since 1945, New York 2005, S. 172 f.; Connelly, University, S. 282.

4.1 Rahmenbedingungen  

 151

ein Konzentrat regimefreundlicher Akademiker. Auch im traditionell hohen Stellen­wert des Staates im deutschen historischen Denken hat man bisweilen einen Faktor gesehen, der dem Konformismus der Geschichtswissenschaften auch nach 1945 Vorschub leistete.8 4. Stellenwert der historischen Selbstvergewisserung im deutsch-polnischen Kontext: Wenn die These zutrifft, wonach Geschichtsschreibung in modernen Gesellschaften Entwicklungs­ brüche durch kontinuitätsstiftende Traditionsbildung kompensiert, so bot sich den Historikern in der Folge des Krieges in allen drei Gesellschaften ein weites Aktionsfeld, das sie sich freilich mit politischen Akteuren teilen mussten. Die politische und gesellschaftliche Nachfrage nach historischer Selbst­ vergewisserung variierte dabei von Staat zu Staat ebenso wie die Möglichkeiten, ihr zu ent­sprechen. Große identitäts- und kontinuitätsstiftende Potenz entfaltete das polnische Geschichtsbewusstsein, das sich während des Krieges erneut (wie schon im 19. Jahr­hundert) als Refugium nationaler Gesinnung in Zeiten der Staatslosigkeit bewährt hatte und eine Legitimationskraft entfaltete, deren auch die Volks­republik nicht entbehren konnte. Vor diesem Hintergrund erwies sich die spät­stalinistische Kritik nationaler Traditionen als kurzfristiges Intermezzo. Eine wesentlich ambivalentere Wirkung entfaltete der Bezug auf die nationale Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten, wo die NS-Zeit nicht nur eine klare Abgrenzung von der jüngsten Vergangenheit erforderte, sondern auch die Frage nach der langfristigen Bewertung der deutschen Geschichte aufwarf. Reagierten Geschichtspolitik und Historiographie in der DDR zunächst mit weitestgehender Distanzierung von der deutschen Vergangenheit (vorbehaltlich ihrer sozialistischen Traditionslinien), so überwog in der Geschichtsschreibung der Bundes­republik anfänglich das Element der sozialismus als Kontinuitätsstiftung (unter Ausklammerung des National­ ‚Ausnahmeepoche‘). In den sechziger und siebziger Jahren fand die ostdeutsche Historiographie zu einer positiveren Bewertung des nationalen Erbes zurück, während in der Bundesrepublik eine kritische Revision einsetzte. Innerhalb der historischen Selbstdefinition der drei Staaten kam dem deutsch-polnischen Verhältnis wiederum in Polen die größte Bedeutung zu.

8 Ebd., S. 284–286. Gegen diese Deutung ist allerdings einzuwenden, dass dem Staat auch im polnischen historischen Denken – gerade unter dem Eindruck der polnischen Staatslosigkeit während der Teilungsepoche – große Bedeutung beigemessen wurde. Als Beispiel für eine ausgesprochen etatistische Geschichtsauffassung kann Zygmunt Wojciechowski gelten. Henryk Olszewski, Instytut Zachodni 1944–1994, in: Romuald Zwierzycki (Hg.), Instytut Zachodni 50 lat, Poznań 1994, S. 5–70, hier S. 16.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

Dies galt für die Nachkriegszeit in besonderer Weise, da nun eine Wiederherstellung der deutsch-polnischen Grenze von 1937 das neue Polen existentiell bedroht hätte. Dieser Umstand erklärt den anhaltenden Eifer der polnischen Legitimationsbemühungen. Umgekehrt relativierten wirtschaftlicher Aufschwung und politische Konsolidierung in der Bundesrepublik allmählich den Verlust der Ostgebiete. Vor diesem Hintergrund hatten Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen in Polen ein weitaus größeres Mobilisierungspotential als in Deutschland. Im Ergebnis bildete das Thema für die kommunistische Partei Polens (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, PVAP) einen zentralen Bestandteil ihrer Legitimations­strategie, während revisionistische Geschichtsdeutungen in der Bundesrepublik Deutschland nur begrenzte Wählerkreise (Vertriebene) erschlossen, andere – insbesondere am linken Rande des politischen Spektrums seit den Sechzigerjahren – hingegen nachhaltig verprellten. In der DDR war das Thema nur unter größten Verrenkungen politikfähig. Für die Historiker in Polen und der Bundesrepublik bedeutete dies zweierlei: Zum einen war die Nachfrage nach historischer Legitimation des Status quo in Polen erheblich größer als in Westdeutschland. In den ersten Nachkriegsjahren beschäftigte sich rund ein Drittel der gesamten historio­ graphischen Produktion Polens mit deutschen Fragen; in den folgenden drei Jahr­zehnten lag der Anteil zwischen zehn und fünfzehn Prozent.9 Für die deutsche historio­graphische Beschäftigung mit Polen sind keine Zahlen bekannt, die Prozentsätze betragen aber mit Sicher­heit in beiden deutschen Staaten nur einen Bruchteil davon. Zum anderen lastete auf den polnischen Deutschland­kundlern aber auch ein merklich höherer politischer Druck als auf den bundesdeutschen Polen­kennern. In der DDR dürfte das öffentliche Interesse angesichts der geographischen Nähe zu den ehemaligen Ostgebieten größer gewesen sein als in der Bundesrepublik, auf Moskauer Geheiß durfte ihm aber nur sehr selektiv entsprochen werden. Eine nationalistische Instrumentalisierung der Beziehungsgeschichte verbot sich im Interesse der Pax Sovietica weitestgehend. In der Folge wurde das Thema der deutsch-polnischen Beziehungen teils vermieden, teils im Rahmen eines offiziellen Freundschaftsdiskurses behandelt. Für die quellenforschende historische Beschäftigung war es daher nur begrenzt zugänglich; hinzu kamen die Vorbehalte der ostdeutschen Autoritäten gegenüber vertieften Kontakten der DDR-Historiker zu den liberaleren polnischen Kollegen. Verfolgen wir, wie sich diese unter­schiedlichen Bedingungen auf die Arbeit der Historiker auswirkten.

9 Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, S. 54 f.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung An die Stelle des deutschen Drangs nach Osten tritt eine neue Epoche des neuerlichen slawischen Marschs nach Westen. […] An der Schwelle zum zweiten Jahrtausend hält Polen erneut Wache an der Oder.10

4.2.1 Die Anfänge des Westinstituts Die Kriegserfahrung berührte die Beschäftigung der polnischen Historiker mit der ‚deutschen Frage‘ in zweifacher Hinsicht. Erstens erlangte das Thema, das immer schon einen wichtigen Gegen­stand der polnischen Historiographie gebildet hatte, nun erst­rangige Bedeutung.11 Zweitens führte die Unmittelbarkeit des Erlebten zunächst zu einer sehr gegenwartsbezogenen Betrachtungsweise.12 Treffend beschrieb Zygmunt Wojciechowski das Westinstitut 1951 gegenüber der Wissen­schaftsabteilung des ZK als „Werk jener wissenschaftlichen Kreise, die im Ergebnis ihrer wissen­schaftlichen Arbeit zum Schluss gekommen waren, dass eine solche und keine andere [als die in Potsdam beschlossene] Grenz­ziehung und internationale Beziehungslage, d. h. engste Zusammenarbeit zwischen Polen und der Sowjetunion, zweckmäßig seien.“13 Seine Worte verhehlten kaum, dass taktische Überlegungen, nicht ideologische Gemeinsam­keiten die Westforscher zur Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern geführt hatten. In der Tat waren die strammen Nationaldemokraten, die sich in den Kriegsjahren um die Untergrundgruppe Ojczyzna gesammelt und ihre Hoff­nungen ursprünglich auf eine angloamerikanische Befreiung Polens gesetzt hatten, erst gegen Kriegsende zur Einsicht gelangt, dass ein Schulterschluss mit der Sowjetunion ihrer Vision von einem weit nach Westen vorgeschobenen Nach­kriegs­ polen die besten Realisierungschancen bot.14 Im Geiste eines illusionslosen Prag­

10 Aus dem Schlusswort von Zygmunt Wojciechowski, Polska – Niemcy. Dziesięć wieków zmagania, 2. Aufl., Poznań 1945. 11 Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, hier S. 54. 12 Zernack/Friedrich, Developments, S. 311, hat in diesem Zusammenhang treffend von einer Phase des Präsentismus gesprochen. 13 Notatka w sprawie stosunku Instytutu Zachodniego do nowej organizacji nauki w Polsce, als Anlage zu: Zygmunt Wojciechowski an Wydział Nauki KC PZPR, 22. 5. 1951, AAN Komitet Centralny Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej [im Folgenden: KC-PZPR]/237/XVI/59, Bl. 1–6. 14 Zdzisław Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57. Zur Ojczyzna die Dokumentensammlung Mazur/Pietrowicz, Ojczyzna.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

matismus erarbeitete die Gruppe um den Publizisten Edmund Męclewski und den Historiker Zygmunt Wojciechowski im Dezember 1944 daher das Programm für ein wissenschaftliches Institut, das die Ein- und Absichten der Westforschung ins politische Kalkül der neuen sozialistischen Entscheidungsträger einbringen sollte. Beabsichtigt wurden Forschungsarbeiten, die sich erstens mit der „Festigung des Polentums in den Westgebieten“ und zweitens mit der „deut­schen Ostexpansion“ befassen sollten.15 Mit einer entsprechenden Denkschrift16 begab sich Wojciechowski am 12.  Februar 1945 zu Edward Osóbka-Morawski, dem Premierminister der Interimsregierung.17 Der Zeitpunkt war günstig gewählt: Unmittelbar zuvor hatten sich Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin in Jalta darauf verständigt, Polen für seine territorialen Verluste im Osten mit deutschen Gebietsabtretungen zu entschädigen, den Verlauf der zukünftigen deutsch-polnischen Grenze aber noch offen ge­lassen.18 Eine wissenschaftliche Legitimation polnischer Gebietsansprüche im Westen musste vor diesem Hintergrund als Gebot der Stunde erscheinen. Zusätzlichen Nutzen ver­sprach Wojciechowskis Angebot, die Kompetenzen der West­forscher in die adminis­trative Polonisierung der erworbenen Gebiete einzubringen. Zu diesem Zweck sollten Gutachten zu den Nationalitätenverhältnissen sowie zu den Möglichkeiten einer pol­nischen „Kolonisation“ der Westgebiete erarbeitet werden.19 Mit seiner Offerte hatte Wojcie­chowski die Bedarfslage der Regierung offenbar richtig eingeschätzt – der Premier hielt es für „höchst angezeigt, mit dem Untergrund-Institut eine engere Zusammenarbeit aufzu­nehmen“.20 Den Luxus ideologischer Vorbehalte gegen die Westforscher konnte sich die kommu­nistische Interimsregierung damals nicht leisten. Innenpolitisch noch weitgehend isoliert, war sie drin­gend auf die Unterstützung von Mitläufern angewiesen. Hinzu kam, dass die Kommu­nisten in radikaler Abkehr von früheren

15 Zitiert nach Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Dokument Nr. 1, S. 39 f. S. auch Piotrow­ ski, Dorobek naukowy, S. 38, Anm. 2. 16 Z.  Wojciechowski, Memoriał w sprawie Instytutu Zachodniego, Archiwum Instytutu Zachodniego [im Weiteren: AIZ] 13/1, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 2, S. 40–42. 17 Vermittelt hatten Henryk Raabe, Begründer der Universität Lublin und sozialistischer Politiker, sowie Włodzimierz Antoniewicz, der Rektor der Warschauer Universität. Krzoska, Polen, S. 332; Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni […]. 18 Die Konferenz tagte vom 4. bis 11. 2. 1945. Der Grenzverlauf entlang der Oder und Lausitzer Neiße wurde erst in Potsdam festgelegt. 19 Z. Wojciechowski, Memoriał […]. 20 Zitiert nach Wojciechowski, Sprawozdanie, S. 291.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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Positionen neuerdings eine patriotische Selbst­darstellung pflegten, die durch ein Bündnis mit der nationalistischen Westforschung nur gewinnen konnte. Besonders glücklich traf es sich in diesem Zusammen­hang, dass Wojciechowski bereits in den Dreißigerjahren eine polnische Westgrenze an Oder und Neiße gefordert hatte.21 Wojciechowski seinerseits war frühzeitig zu einer realistischen Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse gelangt. Die Erfahrungen der Zwischen­kriegs­zeit hatten ihn gelehrt, dass der innenpolitische Kleinkrieg mit der Regierung der großen außenpolitischen Auseinander­setzung mit dem deutschen Gegner nur abträglich war.22 Schon nach dem Warschauer Auf­stand hatte er erkannt, dass eine zu­künftige polnische Regierung von Moskaus Gnaden abhängen würde, worauf er die Verbin­dungen zur Londoner Exilregierung abge­ brochen und sich mit den Kommunisten arrangiert hatte.23 Zustatten kam ihm dabei, dass die National­demokratie in ihrem Kampf gegen Deutschland auch früher schon auf Russland gesetzt hatte, obgleich diese Strategie nach der Oktoberrevolution in Vergessenheit geraten war. Dennoch bestanden hier Anknüpfungspunkte, die Wojciechowski nun zu einer panslawischen Vision erweiterte und der polnischen Öffentlichkeit anhand einer historischen Metapher schilderte: Ebenso, wie Polen und Russen den Deutschen Orden 1410 bei Tannen­ berg mit vereinten Kräften niedergerungen hätten, sei auch der Sieg über das national­ sozialistische Deutschland nur durch slawische Waffenbrüderschaft möglich geworden. Umgekehrt habe Preußen in Zeiten slawischer Zwietracht zu gefährlicher Machtfülle auf­steigen können. Daraus könne es nur eine Lehre geben: „Heute ist die Zeit gekommen, die polnisch-russischen Beziehungen dauerhaft zu ordnen, in engem Zusammen­hang mit dem neuen Tannenberg des Slawentums, in Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die slawischen Staaten und Völker dauerhaft vor einem neuen deutschen Angriff zu schützen.“24 Ende Februar 1945 erfolgte die Gründung des Westinstituts per Dekret des Minister­präsidenten. Ungeachtet der schwierigen Zeitumstände wurden dem Institut von Anfang an großzügige Mittel zuteil. Ein vorläufiger Budgetplan für das Jahr 1948 sah bereits Ausgaben in Höhe von 24 Millionen Złoty vor – gut das Tau-

21 Daran erinnerte er die neuen Machthaber wiederholt. S. etwa Z. Wojciechowski an Verteidigungsminister Marschall Michał Żymierski, 23. 12. 1947, AIZ 22/1. 22 Damals hatten es nur wenige Vertreter der Westforschung verstanden, sich mit der Regierung zu arrangieren. Als Rollenmodell mochte Wojciechowski Borowik erscheinen, der das IB in den Dreißiger­jahren geschickt an das Sanacja-Regime herangeführt hatte. S. o., Kap. 2.3.1. Auch der junge Wojciechowski selbst hatte sich bereits damals auf das Piłsudski-Lager zubewegt. Olszewski, Instytut Zachodni, S. 14. 23 Brier, Westgedanke, S. 22 f. 24 Zygmunt Wojciechowski, Grunwald in: PZ 1 (1945), S. 1–8, Zitat S. 7.

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sendfache eines damaligen monatlichen Durch­schnitts­gehalts. Vier Jahre später wurden bereits mehr als dreimal so hohe Ausgaben eingeplant.25 Solchermaßen dotiert und ausgestattet, stellte das Westinstitut in den ersten Nachkriegsjahren die wohl schlagkräftigste Institution der polnischen Geistes- und Gesellschafts­ wissenschaften dar.26 Diese Vorrangstellung war etwa daran zu erkennen, dass das Institut bereits in den ersten zehn Jahren seines Bestehens beinahe hundert Schriften heraus­brachte und seine Zeitschrift, der Przegląd Zachodni (Westrundschau), in den ersten Nach­kriegsjahren als einziges historisches Periodikum des Landes kontinuierlich erscheinen konnte.27 Dem politischen Gewicht der neuen Institution entsprach ihre wissenschaftliche Besetzung: Unter den dreißig Gründungsmitgliedern waren alle, die in der forschung Rang und Namen hatten.28 Als wissenschaftliche polnischen West­ Gesellschaft organisiert, pflegte das Institut im Geiste traditioneller wissen­ schaftlicher Selbst­verwaltung eine demokratische Binnenstruktur, die für alle wich­tigen Entscheidungen die Zustimmung der Mitglieder­versammlung vorsah.29 Dass es sich dabei nicht bloß um eine Förmlichkeit handelte, zeigt der Umstand, dass in diesem Gremium selbst in den Jahren des stalinistischen Drucks noch lebhaft über den Kurs des Instituts gestritten wurde. Die Mitgliederversammlung wählte das Kurato­rium, in dem nebst Wissen­schaftlern30 qua Amt auch politi-

25 Preliminarz Budżetowy Instytutu Zachodniego na rok 1948, als Anlage zu einem Schreiben des IZ an Andrzej Grodek, Poznań, 11. 3. 1948, APAN-W III-81/194, Bl. 92. Der Budgetplan für 1952 sah – nach einem Währungsumtausch von 1949, der den Wert des Złoty etwa um das 20-fache erhöhte – Ausgaben von 3,7 Mio. Złoty vor. Hackmann, Strukturen, S.  246. Ausbezahlt wurden die Mittel vom Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete bzw. zunächst von dessen Vorgänger­institution, dem Büro für die Westgebiete. 26 Zur Einordnung der Westforschung in den Gesamtzusammenhang der polnischen Nachkriegs­historiographie s. Rafał Stobiecki, Między kontynuacją a dyskontynuacją. Kilka uwag na temat po­wojennych dziejów polskiej nauki historycznej, in: Jerzy Maternicki (Hg.), Metodologiczne problemy syntezy historii historiografii polskiej, Rzeszów 1998, S. 265–285. 27 Die traditionellen Leitorgane der Zunft – Kwartalnik Historyczny, Przegląd Historyczny, Roczniki Historyczne – nahmen ihr Erscheinen erst Jahre später wieder auf. 28 Eine vollständige Liste der Gründungsmitglieder ergibt sich aus Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 8 und 9, S. 47 und 49. In den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Mitglieder zügig auf 123 an. Piotrowski, Dorobek Naukowy, S. 39; Olszewski, Instytut Zachodni, S. 9 f. 29 Diese Organisationsform folgte dem Vorbild der Zwischenkriegsinstitute und bot die Möglichkeit, einen weiteren Kreis von Forschern und gesell­schaftlich-politischen Schlüsselfiguren an das Institut zu binden und dabei auch allfällige Konkurrenten zu vereinnahmen. Brier, Westgedanke, S. 27. 30 An ihrer Spitze Tadeusz Lehr-Spławiński; weiter u. a. die Rektoren der Universitäten Posen, Thorn und Breslau. Hackmann, Strukturen, S. 246.

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sche Entscheidungsträger saßen.31 Zum ersten Direktor bestimmte das Kuratorium erwartungsgemäß Zygmunt Wojciechowski, der diesen Posten bis zu seinem frühen Tod 1955 innehatte. Seinen Führungsstil hat Olszewski, der wohlwollende Chronist des Instituts, als gleichermaßen autoritär wie familiär beschrieben.32 Zum Zweck des Instituts erklärte das Statut „die Erforschung des Gesamt­ komplexes der Beziehungen der Slawen, insbesondere Polens, zu Deutschland“.33 Den politischen Hinter­grund dieser Zielsetzung er­läuterte Zdzisław Kaczmarczyk 1947. Demnach sollte die Erforschung der „tausendjährigen Geschichte des deutsch-polnischen Ringens“ Polen nicht zuletzt in den Stand versetzen, „sich gegen erneute Versuche eines solchen Angriffs in der Zukunft zu sichern.“34 Diese Aufgabenstellung implizierte nicht nur wissenschaftliche Forschung, sondern auch politikberatende und propagandistische Aktivitäten. Vor dem Hinter­grund solcher Überlegungen fand das Institut schnell zu einer dreigliedrigen Aufgaben­ stellung: Erstens gedankliche und administrative Aneignung der Westgebiete, zweitens Klärung der polnischen Beziehungen zum deutschen Nachbarn, drittens Schulterschluss mit den slawischen ‚Brudervölkern‘, insbesondere der Sowjetunion und der Tschechoslowakei. Unverkennbar lag dieser geistigen Gliederung der ‚Westfrage‘ eine fortgesetzt kriegerische Perspektive zugrunde, die Freund-Feind-Kategorien verhaftet blieb.

4.2.2 Zwischen Wissenschaft, Politikberatung und Propaganda Es war dieses Wissenschaftsverständnis, dass sich auch im Przegląd Zachodni niederschlug. Abgesehen von einigen Leitartikeln mit rein propagandistischem Charakter taten die hier publizierten Beiträge allen formalen Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten Genüge. Zum Tragen kam die politische Aufgabenstellung der Zeitschrift in ihrer inhaltlichen Aus­richtung, die sich an der dreigliedrigen Themenstellung des Instituts orientierte. Eine Biblio­graphie der 1945–1955 erschienenen Artikel verzeichnete unter der Rubrik Studien zur deutschen Thematik über 300  Beiträge historischer – oft zeitgeschichtlicher – und gegen­warts­bezogener Natur. In der Rubrik Polnische Westgebiete fanden sich

31 So gehörten dem Kuratorium 1947 u. a. hochrangige Vertreter der Ministerien für Bildung, Wiedergewonnene Gebiete und Auswärtige Angelegenheiten an. Protokół z Walnego Zgroma­ deznia członków IZ, 29. 3. 1947, APAN-P III-68/61, Bl. 10–13, hier Bl. 11. 32 Olszewski, Instytut Zachodni. 33 Z życia Instytutu Zachodniego, in: PZ 3/4 (1947), S. 360–377, hier S. 372. 34 Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni […].

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Aufsätze zu Großpolen, Schlesien, dem Lebuser Land und Pommern. Unter den fast 750 Titeln domi­nierten für alle Regionen die historischen Darstellungen, was sich aus der Absicht ergab, die alte Polonizität dieser Gebiete zu beweisen. Die Slawischen Studien befassten sich mit der Tschechoslowakei und, in geringerem Umfang, der Lausitz.35 In den­selben Kontext gehörten auch die verhältnismäßig knappen, politisch dafür umso gewich­tigeren Plädoyers zugunsten der polnischsowjetischen Solidarität.36 Trotz der unbestrittenen Dominanz der Historiker war das Institut in Anlehnung an die frühere Westforschung von Beginn an interdisziplinär ausgerichtet. Sein Fächerkanon um­fasste Geschichte, Vor- und Kunstgeschichte, Sprach- und Literaturwissenschaft, Geo­graphie, Demographie, Ethno­graphie, Ökonomie und Juris­prudenz.37 Dass nicht alle Speziali­sierungen zu jedem Zeitpunkt mit gleichem Aufwand gepflegt wurden, liegt auf der Hand; in Abhängigkeit von der „politischen und gesellschaftlichen Nachfrage“38 verschoben sich die Schwerpunkte vor allem in den Anfangsjahren laufend.39 Dabei spielte die Geschichte in den Organi­grammen des Instituts zumeist eine untergeord­nete Rolle, während sie seinen wissen­ schaftlichen Ausstoß in der Regel augenfällig dominierte. Dieses Missverhältnis verweist auf das begrenzte Interesse, das historische Argumente bei den politischen Entscheidungsträgern fanden, oder vielleicht gar, allgemeiner gefasst, auf die Grenzen der Nutzbarmachung histo­rischer Argu­mente für die politische Praxis. Es lässt sich feststellen, dass in den Anfangs­jahren des Instituts demo­graphische, ökonomische und völkerrechtliche Gutachten von staat­lichen Akteuren wesent­lich reger in Anspruch genom­men wurden als historische Abhand­lungen. Auch in späteren Jahren sollte sich die Kritik an der historischen Arbeitsweise des Instituts wiederholen, bei aller Forcierung der Sozialund Politikwissenschaften blieb sie aber in den Publikationen des Instituts bis weit in die Sechzigerjahre dominant. Dabei sträubten sich die westforschenden Historiker keineswegs dagegen, andere Wissenschaften einzubeziehen; ganz im Gegenteil bedurften sie ihrer: teils um die Voraussetzungen ihrer Darstellungen zu gewinnen – etwa durch sprachgeschichtliche oder archäologische Studien,

35 Maria Walentynowicz/Andrzej Wędzki, Bibliografia zawartości Przeglądu Zachodniego 1945– 1955, Poznań 1957. 36 Flaggschiff dieser Artikel war Wojciechowski, Grunwald, auf den noch einzugehen ist. 37 Olszewski, Instytut Zachodni, S. 7 f. 38 Diese machte der Vizedirektor des Instituts, Michał Pollak, bereits 1947 für die laufenden Schwerpunkt­verlagerungen des Instituts verantwortlich. Ebd., S. 10. 39 Die pausenlose Umformung der fachlichen Sektionen des Instituts in den Anfangsjahren umreißt ebd., S. 10 f. Eine Momentaufnahme vom verästelten Organigramm des Instituts vermittelt für das Jahr 1948 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 42, S. 101.

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die den Mangel an schriftlicher Überlieferung für die Vorgeschichte ausgleichen sollten –, teils um die Folge­rungen ihrer Geschichts­betrachtungen in politisch relevante Handlungsanweisungen umzu­münzen, wie dies etwa im Rahmen von völkerrechtlichen oder demographischen Gutachten möglich war. Dabei hatte die Geschichts­wissenschaft zumindest unter Wojciechowski aber stets die Rolle einer heimlichen Leit­wissenschaft inne, die sich die anderen Fächer dienstbar machte und sie zusammenführte.40 Für die Westforscher selbst stand der politische Nutzen ihrer Arbeit – gerade auch auf historischem Gebiet – außer Frage. Auf entsprechende Zweifel der Machthaber reagierten sie mit der festen Entschlossenheit, die tagespolitische Verwertbarkeit ihrer Erkenntnisse unter Beweis zu stellen. 1946 ermahnte Wojciechowski seine Mitstreiter, die Arbeiten des Instituts müssten sich besonders in der Anfangsphase ganz „auf die laufenden Bedürfnisse“ des Lan­des konzen­trieren. Nur so könne es „rasch eine gebührende Stellung gegenüber den Macht­habern und der Gesell­schaft erlangen“.41 Wojciechowski war demnach bereit, zugunsten politischer Expertisen und propagandistischer Öffentlichkeitsarbeit zunächst die wissen­schaftliche Grundlagenarbeit hintanzustellen, auch wenn er gegen Ende der Vierzigerjahre auf deren Reaktivierung drängte.42 Auch zu diesem späteren Zeitpunkt ging es freilich nicht darum, die Forschung von politischen Aufgaben zu befreien. Vielmehr war Wojcie­chowski über­zeugt, dass das Institut seine Mission nur dann erfüllen konnte, wenn es beide Brückenköpfe einer angewandten Wissenschaft – Forschung und Politikberatung – gleichermaßen festigte. Wie sehr ein politisches Engagement der Wissenschaft Wojciechowski am Herzen lag, lässt sich am missionarischen Eifer ablesen, mit dem er die „Umstellung des polnischen historischen Denkens“ weg von der Fixierung auf den verlorenen Osten und hin zum zukunftsträchtigen Westen betrieb.43 Dabei nahm er für sich in Anspruch, dass er die polnische Historikerzunft bereits in den 1930er Jahren mit dem Gedanken einer polnischen Westgrenze an Oder und Neiße vertraut gemacht44 und sie damit gewissermaßen auf die „Staatsraison“ der späteren Volksrepublik vorbereitet habe.45

40 Diese Vorrangstellung der Geschichtswissenschaft bestätigt etwa Wrzesiński, Badania, S. 206. 41 Protokół z II-go zebrania Dyrekcji Instytutu 22 II 45, APAN-P III-8, abgedruckt in Choniawko/ Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 5, S. 44–46. 42 Z. Wojciechowski an Premier Cyrankiewicz, 4. 4. 1949, AIZ 22/3. 43 Diese Reorientierung bezeichnete er als „unendlich wichtige Aufgabe“. Z.  Wojciechowski, Memoriał – notatka w sprawach Instytutu Zachodniego, 28. 10. 1953, AIZ 21/20, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 60, S. 133–136. 44 Wojciechowski, Rozwój terytorialny; auch übersetzt als Zygmunt Wojciechowski, The territorial development of Prussia in relation to the Polish homelands, Toruń/London 1936. 45 Z. Wojciechowski, Memoriał – notatka […].

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Zweifellos war die Gestaltung der neuen polnischen Westpolitik im Schulterschluss mit den Machthabern also ein echtes Anliegen der Westforscher, das Zdzisław Kaczmarczyk folgen­dermaßen rechtfertigte: Das Institut betreibt in seiner Arbeit bis zu einem gewissen Grade sog. angewandte Wissenschaft, in­dem es Thesen formuliert, die zwar natürlich auf einer festen wissenschaftlichen Grundlage ruhen, die aber dennoch einer sofortigen Anwendung im Leben zugeführt werden können. […] Das Institut distanziert sich ausdrücklich von jeder Form des Missbrauchs der Wissenschaft für die Zwecke des Augenblicks, kann sich der Einsicht aber nicht verschließen, dass die gegenwärtigen Zeiten eines unerhörten Kraftaktes zum Wiederaufbau von Staat und Nation der redlichen Hilfe von Seiten der Wissenschaft und ihrer Vertreter bedürfen.46

Als Vorbild für ein solches Wissenschaftsverständnis nannte Wojciechowski in einem Zeitungsinterview ganz arglos die Arbeit politikberatender Institute in den Vereinigten Staaten,47 und Kamiński beobachtete 1955, „dass die Form des politisch-wissen­schaftlichen Instituts, das mit wissenschaftlichen Methoden politische Fragen unter­sucht und dem politischen Spiel wissenschaftliche Quellen und Materialien zur Verfügung stellt, heute immer verbreiteter angewendet wird.“ Als Beispiele nannte er das britische Royal Institute of International Affairs, das Münchner Institut für Zeitgeschichte und das österreichische Forschungsinstitut für Fragen des Donauraumes.48 Auf der Suche nach Einfluss und Unterstützung bewegte sich das West­ institut auf zwei Pfaden in den Dunstkreis der Politik: zum einen über persönliche Beziehungen, zum anderen über institutionelle, fachlich begründete Kontakte. Sehr zustatten kam den Westforschern dabei der Umstand, dass die Kommunisten die Entwicklung der Westgebiete von Anfang an zu ihrem Prestigeprojekt erhoben. Zu diesem Zweck betrieben sie im Herbst 1945 die Gründung eines neuen Ministeriums für die Wiedergewonnenen Gebiete (MZO)49 und sicherten den Ministerposten anschließend ihrer Gallionsfigur Władysław Gomułka.50 Den West­forschern ebnete das neu geschaffene Ministerium den Weg in die staatliche

46 Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57, hier S. 3 f. 47 Słowiańszczyzna przesuwa się ku zachodowi. Wywiad z dyrektorem Instytutu Zachodniego prof. dr. Zygmuntem Wojciechowskim, in: Głos Wielkopolski, Nr. 103, 11.VI.1945, zitiert nach dem Exemplar in APAN-P III-68/61. 48 Andrzej Józef Kamiński, Projekt programu organizacji i pracy, undatiert [Ende 1955], AIZ 3/2, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 70, S. 162–167. 49 Poln. Ministerstwo Ziem Odzyskanych. 50 Damit geboten die Kommunisten schlagartig fast uneingeschränkt über ein Drittel des Landes, das so dem Zugriff konkurrierender politischer Kräfte weitgehend entzogen wurde. Krzoska, Polen, S. 334.

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Exe­kutive, denn auf partei­lose Experten konnten die Kommunisten zu diesem Zeitpunkt nicht verzichten. So wurde Wojciechowskis Vertrauter Władysław Czaj­ kowski zum prominenten Mitarchitekten und Vizeminister des MZO, und der dem Ministerium ange­schlossene Wissenschaftliche Rat lud einen breiten Kreis von Westforschern zur Mitarbeit ein.51 In umgekehrter Richtung wurde die Verzahnung zwischen Wissenschaft und Politik dadurch gestärkt, dass Regierungs­ vertreter in den Vorstand des Westinstituts einzogen.52 Im Vordergrund der Institutsarbeit standen in den folgenden Monaten und Jahren völker­rechtliche und wirtschafts­geo­graphische Argumentarien zugunsten der Oder-Neiße-Linie (oder einer gar noch weiter vorgeschobenen Grenze)53 sowie toponymische, demographische und kulturgeschichtliche Bestandsaufnahmen in den neuen Westgebieten.54 Übergeordnete Aufgabe war in allen Fällen deren „Reslawi­sierung“.55 Dem Bildungs­ministerium, das damals ein eigenes Büro für die Wieder­gewonnenen Gebiete unterhielt56 und damit die volkspädagogische Bedeutung der Frage unter­strich, empfahl sich das West­institut mit dem Gedanken, Darstellungen über die West­gebiete für schulische Zwecke zu erarbeiten.57 Für das Justizministerium dokumentierte es die in Polen begangenen national­

51 Brier, Westgedanke, S. 33–37. 52 Mit Władysław Wolski wurde gar ein strammer Kommunist ohne vorherige Verbindungen zum West­gedanken Vizepräsident des Kuratoriums. Ebd., S. 38. Zu den weiteren Kuratoriumsmitgliedern gehörten 1947 Władysław Czajkowski, wie Wolski Vizeminister im MZO, sowie zwei Vizeminister aus dem Außen- und dem Bildungsministerium: Stanisław Leszczycki und Henryk Jabłoński. Protokół z Walnego Zgromadeznia członków IZ, Poznań, 29. 3. 1947, APAN-P III-68/61, Bl. 10–13, hier Bl. 11. Eine Außenstelle in Warschau unter Leitung von Andrzej Grodek sollte dem IZ die Verbindung zur Regierungszentrale sichern. Krzoska, Polen, S. 336. 53 So wurde in einem 1945 erarbeiteten Memorandum empfohlen, für Polen Brückenköpfe westlich der Oder-Neiße-Linie einzufordern. Zygmunt Wojciechowski/Maria Kiełczewska/Leopold Gluck/Zdzisław Kaczmarczyk, O lewy brzeg środkowej i dolnej Odry, in: PZ 1/2–3 (1945), S. 61–87. 54 Wojciechowski, Sprawozdanie. Ein Verzeichnis dieser Arbeiten findet sich in der chronologischen Gesamtbibliographie bei Zwierzycki (Hg.), Instytut Zachodni, S. 83–104, einschlägig hier die Arbeiten aus den Jahren 1945–1947. 55 Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, S.  46. Die Formulierung von der „Reslawisierung“ fand sich gar auf den Passier­scheinen, die die Bewegungsfreiheit der Institutsangehörigen in den Westgebieten gewährleisteten. Pełnomocnik Rządu R. P. na Województwo Poznańskie, Zaświadczenie, 12. 4. 1945, AIZ 13/1, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 7, S. 46. 56 Michał Pollak, Biuro Ziem Odzyskanych w Ministerstwie Oświaty, in: PZ 14/5 (1958), S. 79–98. 57 Daraus ging schließlich eine umfangreiche Reihe unter dem Titel Länder Altpolens hervor. S. u., Kap. 4.2.3.

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sozialistischen Verbrechen,58 und auf außenpolitischer Ebene engagierte es sich im Komitee für aus­wärtige Angelegenheiten der Westgebiete beim MZO.59 Ihren Höhepunkt erreichte die außenpolitische Beratungstätigkeit des Instituts vor der Moskauer Außenministerkonferenz vom April 1947. Von dieser Zusammenkunft, die eine abschließende Friedensregelung für Deutschland herbeiführen sollte, erwartete man in Polen grund­legende Weichenstellungen für die zukünf­tigen Beziehungen zum westlichen Nachbarn. Wojciechowski nahm dies zum Anlass, bei Premier Józef Cyrankiewicz „eine Verdoppelung distischen Auf­ wandes“ anzumahnen.60 Im des wissenschaftlich-propagan­ Büro für Kongress­arbeiten, das die polnischen Bedin­gungen für den ausstehenden Friedensschluss formu­lieren sollte und damit das polnische Pendant zum deutschen Büro für Friedensfragen darstellte, zeigte man sich geneigt, die Vorstellungen der Wissenschaftler anzuhören. So versammelten sich im Februar 1947 über vierzig Experten aus Wissenschaft und Politik zum ersten deutsch­land­kundlichen Kongress der Nachkriegszeit in Polen.61 In seiner Eröffnungsrede vertrat Wojciechowski das Credo, dass die gegenwärtige Deutsch­landfrage nur in der historischen Rückschau richtig beurteilt werden könne. „Für einen Historiker, der sich in der deutschen Ostpolitik der letzten tausend Jahre auskennt, besteht kein Zweifel an der ordensritterlich-brandenburgischen Genealogie der nationalsozialistischen Bewegung“, belehrte er die an­wesenden Entscheidungsträger. Im Osten habe Deutschland sein zerstöre­ risches Potential entfaltet und sei zur Bedrohung für die gesamte menschliche Zivilisation aufgestiegen. Dieser Auslass müsse endlich verschlossen werden, um das deutsche Macht- und Aggressionspotential dauerhaft einzudämmen.62 Insbesondere gelte es, allfälligen grenz- und bevölkerungs­politischen Zugeständnissen der Siegermächte an Deutschland entgegenzutreten, die Polen hindern würden, die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung zu vollenden. Die Abschiebung der

58 Wojciechowski, Sprawozdanie. Ausführlicher s. u., Kap. 4.2.6. 59 Hierzu Krzoska, Polen, S. 344 ff.; Wrzesiński, Badania, S. 201. 60 Z. Wojciechowski an Premier Józef Cyrankiewicz, 10. 4. 1947, AIZ 22/1. 61 Zdzisław Kaczmarczyk, Sprawozdanie sekretarza generalnego, prof. Zdzisława Kaczmar­ czyka, z działalności Instytutu Zachodniego za rok 1947, in: PZ 4/1 (1948), S. 682. 62 Zjazd niemcoznawczy w Poznaniu, 20–22 luty 1947r., 3 Bde., Poznań 1947 [maschinenschriftliches Manuskript, vervielfältigt], S. 3–7. Kopien des vertraulichen Berichts finden sich im Archiwum Ministerstwa Spraw Zagranicznych [im Weiteren: AMSZ] Biuro Prac Kongresowych [im Weiteren: BPK] 18/438/28 und in der Bibliothek des IZ (Signatur Dz. N. 755/1–3). Dazu auch Bronisław Pasierb, Polskie prace przygotowawcze do Traktatu Pokojowego z Niemcami 1916–1948. Instytucje – ludzie – problemy, Wrocław 1996, S. 283.

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Deutschen aus Polen sei „die Grundlage des Zusammenlebens beider Länder“.63 Janusz Pajewski, ebenfalls Historiker, verfolgte die Deutschlandpolitik der Sieger­ mächte nach Versailles und weiter in die Vergangenheit zurück und zog daraus den Schluss, nur Russland und Frankreich hätten ein historisch gewach­senes Verständnis für die deutsche Gefahr, wäh­rend die angelsächsischen Mächte für die kontinentale Dimension des deutschen Expansionsdrangs blind seien. Ihnen müsse man auf der bevorstehenden Konferenz daher beson­ders auf die Finger schauen, umso mehr, als sie bereits wieder Anstalten machten, Deutsch­land gegen die Sowjetunion auszuspielen und den deutschen Irredentismus für ihre kurz­fristigen taktischen Ziele zu nutzen.64 Historisch argumentierende Beiträge waren auf der Konferenz allerdings in der Minderheit – der Großteil der Referate behandelte unmittelbar aktuelle Fragen wie jene der verfassungs­rechtlichen Neugestaltung sowie der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands.65 Abschließend stellte Anna Rejnent Überlegungen zu den Möglichkeiten der kulturellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen an. Dass man sich hierzu ungeachtet aller Vorbehalte gegenüber dem Nachbarvolk bereits 1947 Gedanken machte, scheint bemerkenswert. Rejnent argumentierte, die Nieder­lage Deutsch­ lands gebe Polen Gelegenheit, die re-education des Nachbarlandes mitzube­ stimmen und es in eine friedliche Zukunft zu lenken. Ihre Ausführungen lieferten die Vorlage zu einer kontro­vers geführten Diskussion, die für unsere Zwecke von Interesse ist, weil sie das gesellschafts­psychologische Klima erkennen lässt, in dem polnische Historiker sich in den folgenden Jahren mit den Positionen ihrer deutschen Kollegen auseinandersetzten.66 Włodzimierz Głowacki sprach sich für eine kulturelle Zusammenarbeit mit dem westlichen Nachbarland aus, um dadurch den dortigen „Umerziehungsprozess“ zu beschleu­nigen. Das könne allerdings erst gelingen, wenn Polen seinen „Minderwertigkeitskomplex“ gegenüber Deutschland überwunden habe. Ein Magister Bogusiak forderte hingegen, den Deutschen die Überlegenheit der polnischen Kultur vor Augen zu führen und zu diesem Zweck nachzu­weisen, „was Polen und die Slawen in die deutsche Kultur eingebracht haben.“ Alexander

63 Zjazd niemcoznawczy, S. 119. Zu Jahresbeginn hatte Wojcie­chowski gar auf eine Aussiedlung der Deutschen auch aus Frankfurt an der Oder gepocht. Z. Wojciechowski, Uwagi na temat preliminariów konferencji pokojowej, undatiert [Frühjahr 1947], AMSZ BPK 18/845/59, Bl. 43–46. 64 Ebd., S. 89–97. 65 Zu diesen Themen referierten Karol Marian Pospieszalski, Aleksander Rogalski, Bolesław Srocki, Stanisław Waszak, Włodzimierz Głowacki, Michał Zakrzewski, Józef Białek und Alfons Klafkowski. Ebd. 66 Zjazd niemcoznawczy, S. 119, die Diskussion zum Referat ebd., S. 119–126.

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Rogalski hielt ihm entgegen, dass sich auch dann nichts an der deutschen Gering­schätzung für alles Polnische ändern würde. Jedes polnische Angebot zur kulturellen Zusammenarbeit würde in Deutschland nur als Bestätigung dafür gelesen, „dass wir schwach und kulturell minder­wertig sind.“ Diese Einschätzung sah Janusz Pajewski durch die Er­fahrung der Zwischen­kriegszeit bestätigt. Dass ideologische Orientierungen an diesem Zustand für die Zukunft etwas ändern könnten, hielt man für unwahrscheinlich: Edmund Jan Osmańczyk zeigte sich überzeugt, den deutschen Kommunisten könne man zumindest solange nicht trauen, wie sie eine Grenz­revision im Osten versprächen. Und Wojciechowski warnte, der deutsche Imperialismus könne auch im internationalistischen Gewand auftreten: „Ich kann mir ohne weiteres ein nationalistisches Deutschland im kommunistischen Mäntel­chen vorstellen.“ Dass dieser Gedanke keineswegs abwegig war, sollten die polnischen Histo­riker in späteren Jahrzehnten im Umgang mit ihren ostdeutschen Kollegen erfahren.67 Beflügelt vom Erfolg der Posener Konferenz, bemühte sich das Westinstitut in der Folge, den Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit unter seinen Fittichen zu institutionalisieren. Unter dem Namen des Deutsch­ landkundlichen Studiums plante man ein großangelegtes Schulungsprogramm, dessen Schwerpunkt auf der Gegenwart und Zeit­geschichte Deutschlands liegen sollte.68 Ausdrücklich wurde hervor­gehoben, dass das Programm dem „Meinungsaustausch zwischen politisch-propagan­distischen und wissenschaftlichforschenden Akteuren“ dienen sollte.69 Zur raschen Ver­breitung seiner Erträge wollte sich das Westinstitut mit dem Polnischen Westverband (PZZ) vernetzen – einer Massenorganisation, die damals um die 100 000 Mitglieder zählte und sich die Propaganda der ‚Wiedergewonnenen Gebiete‘ auf die Fahnen geschrieben hatte.70 Auf einer Arbeitstagung schlug Janusz Pajewski den deutschen Natio­ nalismus als Schwerpunkt­thema vor, das geeignet schien, wissenschaftliche und propagan­distische Interessen zu verbinden.71 Zum Leiter des Studiums wurde Bolesław Srocki gewählt,72 der unver­züglich einen ehrgeizigen Publikationsplan auflegte. Als Auftakt einer Reihe Deutschland­kundlicher Studien erschien eine

67 S. u., Kap. 5. 68 Instytut Zachodni w latach 1945/6, undatiert [1947], APAN-P III-68/61, Bl. 42–45. 69 Protokół z posiedzenia Rady Studium Niemcoznawczego, 7. 7. 1947, APAN-P III-68/64, Bl. 1 f. 70 Poln. Polski Związek Zachodni. Auch mit der Presseagentur West, dem Schlesischen Institut und dem Ostsee-Institut wollte man kooperieren. Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57, S. 9. Zur Zusammenarbeit des IZ mit dem PZZ Krzoska, Polen, S. 344 ff. 71 Posiedzenie Rady Studium Niemcoznawczego, 7. 7. 1947, AIZ 67/1; Protokół z posiedzenia […]. 72 Janusz Pajewski, Opinia w sprawie przemiany Studium Niemcoznawczego, 24. 11. 1950, AIZ 67/1.

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Gesamtdar­stellung der deutschen Geschichte, die Tymieniecki und Pajewski in den Kriegsjahren für die Ver­wendung an den Untergrund­universitäten verfasst hatten.73 Nicht weniger als sieben weitere Titel folgten in Jahresfrist; danach machte indes der Macht­antritt des stalinistischen Hardliners Bolesław Bierut alle weitergehenden Pläne zunichte. Aus Warschau schlug den Westforschern nun tiefes Misstrauen entgegen, und die fort­schreitende Abschottung des Landes beeinträchtigte den Zugang zur deut­ schen Presse und Literatur und entzog dem Studium so allmählich seine Arbeits­grundlage. Unter diesen Umständen beschloss man 1950 in Posen, sich von der Tagesaktualität abzuwenden und ganz der Geschichte Deutschlands zu widmen.74 Auch der neuen Forschungsabteilung für Geschichte Deutschlands blieb freilich nichts anderes übrig, als die Jahre des Stali­nismus mehr oder weniger lautlos auszu­sitzen.75 Bemerkenswert scheint, dass die historische Rückbesinnung dem Wunsch der Partei nach einer gegenwartsbezogenen Deutschlandkunde diametral entgegen­ lief. Selbst unter verschärften politischen Bedingungen bewiesen die Forscher mithin beachtlichen Eigensinn. An seine politikberatende, insbesondere außen­politisch-konsultative Tätigkeit konnte das Westinstitut erst nach Stalins Tod wieder anknüpfen76 – dann wusste es sie indes erfolgreich zu verstetigen und mithin auch seine Daseinsberechtigung lebendig zu halten.77

4.2.3 Die Wiedergewonnenen Gebiete oder: Altpolnische Lande Hand in Hand mit der Politikberatung ging die propagandistische Popularisierung des Westgedankens in der polnischen Bevölkerung.78 Zu diesem Zweck

73 Kazimierz Tymieniecki, Dzieje Niemiec do początku ery nowożytnej, Poznań 1948; Janusz Pajewski, Niemcy w czasach nowożytnych, 1527–1937, Poznań 1947. 74 Als weitere Experten neben sich selbst nannte er Klafkowski und Kamiński. J Pajewski, Opinia […]. 75 Studium Niemcoznawcze – Sekcja Badania Dziejów Niemiec, Sprawozdanie z prac w IV kwartale roku 1950, 3. 1. 1951, AIZ 67/1. 76 Noch im Todesjahr Stalins empfahl sich das IZ beim MSZ wieder als außenpolitische Beratungsstelle. Z.  Wojciechowski an die Presse- und Kulturabteilung des MSZ, 28. 12. 1953, APANP III-8/6/42. 1961 wurde die Reihe Deutschlandkundliches Studium wieder aufgenommen. S. u., Kap. 4.2.11. 77 Noch 1985 verzeichnen die laufenden Akten des ZK: „Das Institut hat auch eine Reihe von Expertisen für die praktischen Bedürfnisse der polnischen Politik erstellt, u. a. für das Außen- und das Justizministerium.“ Informacja o aktualnym stanie Instytutu Zachodniego i jego potrzebach, 21. 11. 1984, AAN KC-PZPR/1354/LVIII/686. 78 Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57.

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wurden Vortragsreihen und Ausstellungen geplant und populärwissenschaftliche Schriften herausgegeben, deren Gesamt­auflage sich bereits zwei Jahre nach Institutsgründung der Zweihunderttausender-Marke näherte.79 Dabei zehrte das Publikationsprogramm vorerst jedoch größtenteils von Forschungsleistungen aus der Zwischenkriegszeit und den Kriegsjahren. Im Vordergrund stand zunächst die Legitimierung der neuen Westgebiete, wobei unter den Westforschern allgemein der Eindruck vorherrschte, man habe in der Zwischenkriegszeit zu zaghaft argumentiert und tue unter den gegebenen Umständen gut daran, das Versäumte nachzuholen und offensiver aufzutreten. Anders als früher dürfe sich die Reichweite der polnischen Interessen nicht verkürzen, „vielmehr muss sie sich ausdehnen, um nach West­pommern auch die Gebiete Mecklenburgs und Branden­burgs einzuschließen“, forderte etwa Józef Mitkowski.80 Anstrengungen in diese Richtung waren bereits während des Krieges unternommen worden, sodass erste polonozentrische Deutungen der Geschichte Schlesiens, Westpreußens und Danzigs schon in den ersten Friedensjahren erscheinen konnten.81 Freilich blieben diese Darstellungen ohne die Möglichkeit zu gründlichen Archivrecherchen thesenhaft. Władysław Gomułka erteilte den Historikern daher bereits 1946 den Auftrag zur historiographischen Rekonstruktion einer slawisch-polnischen Vorgeschichte Schlesiens, damit „das Volk an der Geschichte des piastischen Polens erzogen“ werde.82 Wie schwer diese Aufgabe zu erfüllen war, wenn wissenschaftliche Standards eingehalten werden sollten, zeigt der Umstand, dass diese unmittelbar nach dem Krieg angestoßenen Bemühun­gen erst in den Jahren 1960–1985 in einer mehrbändigen Darstellung Erfüllung fanden.83 So lange wollte und konnte Wojciechowskis Truppe nicht warten. Vielmehr rüstete man zu einem publi­zistischen Kraftakt, dessen Ergebnis in den Jahren 1948–1959 erschien und den bezeich­nenden Titel Länder

79 Instytut Zachodni w latach 1945/6, APAN-P III-68/61, Bl. 42–45, verzeichnet 37 zumeist populär­wissen­schaftliche Titel mit einer Gesamtauflage von 176 000 Exemplaren – aufgelistet bei Zwierzycki (Hg.), Instytut Zachodni. Zehn Jahre nach Institutsgründung waren bereits fast 100 Titel in insgesamt über 350 000 Exemplaren erschienen. Olszewski, Instytut Zachodni, S. 25. 80 Józef Mitkowski, Pomorze Zachodnie w stosunku do Polski, Poznań 1946, S. 199. 81 Zdzisław Kaczmarczyk, Krótkie dzieje Śląska w wiekach średnich (do r. 1526), Warszawa 1946; Kazimierz Piwarski, Dzieje Gdańska w zarysie, Gdańsk 1946. 82 Hermann Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel/Stuttgart 1977, S. 184. 83 Zwar lässt sich der verzögerte Beginn des Unterfangens mit politischen Schwierigkeiten in der Zeit des polnischen Stalinismus erklären, nicht aber die lange Zeitspanne bis zur Vollendung des Werks.

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Altpolens trug.84 In fünf umfangreichen und großzügig illustrierten Bänden mit insgesamt mehr als vier­tausend Seiten behandelte die monumentale Edition Niederschlesien, Westpommern, das Lebuser Land, Ermland und Masuren sowie Ober­schlesien.85 In dem Werk fand Wojciechowskis Credo, wonach die Gebiete zwischen Oder und Weichsel einst die Wiege des polnischen Staats gebildet hatten, seine umfassende Ausgestaltung. Anders als in ihren wissenschaftlichen Arbeiten und den betont sachlichen Expertisen für den staatlichen Dienstgebrauch zogen die Westforscher für die Öffentlichkeitsarbeit ein anderes Register: Hier gelte es, so Wojciechowski 1945, geeignete „Gefühls­zustände“ zu erwecken: Die [polnische] Gesellschaft muss empfinden, dass sie das Ihrige in Besitz nimmt, dass Breslau, Legnica, Stettin auf ebenso polnischem Land liegen wie Krakau, Posen und Danzig. Die Gesellschaft muss die Geschichte der Polonität dieser Länder durchleben; man muss ihr eines der ersten polnischen Staats­wappen auf der Grabplatte Heinrichs  IV. in Breslau zeigen, ihr den schlesischen Wawel in Legnica zeigen, sie daran erinnern, dass wir Westpommern einst kraft unserer polnischen Anstren­gungen mit Polen vereint und christianisiert haben […].86

Den Lesern wurden die propagandistischen Anliegen des Werks erfrischend offenherzig dargelegt. „Unsere Aufgabe liegt in der Darstellung der polnischen Geschichte dieser Gebiete und in der Projektion der gegen­wärtigen polnischen Realität dieser Gebiete auf diesen historischen Hintergrund“, verkündete das Vorwort zum ersten Band – und weiter: „Eine solche Darstellung verlangen [….] die Erfordernisse der Gegenwart“.87 Kennzeichnend für die Arbeit waren mithin der Aktualitätsbezug und die bewusste Einseitigkeit der Perspektive. Selbst für so stark germanisierte Gebiete wie Niederschlesien und Westpommern habe man „zahl­reiche Verbindungen zu Polen“ ausgemacht, lobte Bernard Piotrowski noch

84 Zdzisław Kaczmarczyk/Marian Suchocki/Zygmunt Wojciechowski (Hg.), Ziemie Staropolski, 5 Bde., Poznań 1948–1959. Dazu Zernack/Friedrich, Developments, S. 313; Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, S. 46. 85 Kirył Sosnowski/Mieczysław Suchocki (Hg.), Dolny Śląsk, 2 Bde., Poznań/Wrocław 1948; Janusz Deresiewicz (Hg.), Pomorze Zachodnie, 2 Bde., Poznań 1949; Michał Sczaniecki (Hg.), Ziemia Lubuska, Poznań 1950; Stanisława Zajchowska/Maria Kiełczewska-Zaleska (Hg.), Warmia i Mazury, 2 Bde., Poznań 1953; Kazimierz Popiołek/Mieczysław Suchocki/Seweryn Wysłouch/ Stanisława Zajchowska (Hg.), Górny Śląsk, 2 Bde., Poznań 1959. 86 Wojciechowski, Grunwald. Zitiert nach Olszewski, Instytut Zachodni, S. 26. 87 Zygmunt Wojciechowski, Słowo wstępne, in: Kirył Sosnowski/Mieczysław Suchocki (Hg.), Dolny Śląsk, 2 Bde., Bd. 1, Poznań/Wrocław 1948, S. 11.

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2004 im Przegląd Zachodni (und sagte damit ebenso viel über die gegenwärtige wie über die damalige Geisteshaltung der Westforschung aus).88 Als der erste Band zu Niederschlesien 1947 erschien, stieß er bei den politischen und gesell­schaftlichen Entscheidungsträgern, denen das Westinstitut Belegexemplare zukommen ließ, auf einhellige Zustimmung. Es verriet einiges über die damaligen Loyalitäten des Instituts, dass sich unter den ersten Empfängern nebst Józef Cyrankiewicz, dem Vorsitzenden des Ministerrates, und Marschall Michał Rola-Żymierski, dem Verteidigungsminister, auch der polnische Primas, August Kardinal Hlond, befand. Letzterer zeigte sich von dem Werk „tief bewegt“, während der Marschall betonte, dass der Band auch für die Moral der Truppe bedeutsam sei.89 Während die Wissenschaftler, angespornt von solchen Erfolgen, in rascher Folge vier weitere Halbbände fertigstellten und zum Verkauf brachten, nahm das politische Klima in der Volks­republik allerdings eine Wendung, die dem Unterfangen höchst abträglich war. Ab 1949 flossen die Subventionen aus Warschau nur noch stockend,90 und gegen Jahresende 1952 mussten die Angehörigen des West­instituts feststellen, dass ihr Prestigeprojekt über Nacht aus sämtlichen Buchhand­lungen verschwunden war. Damit wollte sich Wojciechowski zunächst nicht abfinden. Schriftlich bat er die War­schauer Regierung, im Interesse der nationalen Sache ideologische Großzügigkeit walten zu lassen: Gewiss – würden sie heute herausgegeben, so wären diese Bände ideologisch tiefschürfender, aber dennoch: Die in ihnen dargelegten Fakten sprechen von Polens Rechten auf diese Regionen, von den dortigen Zeichen der polnischen Kultur. Bedenkt man, dass es sich hierbei um die einzige Darstellung zur Geschichte dieser Länder in der populärwissenschaftlichen Literatur Polens handelt, so scheint es geraten, sie nicht […] aus dem Verkehr zu ziehen – gerade jetzt, im Augenblick einer anschwellenden [bundesdeutschen] Revisionismuswelle.91

Wojciechowskis Einspruch verhallte indes wirkungslos, und bis 1959 sollten keine weiteren Bände mehr erscheinen können. Hinter den Kulissen wurde derweil um den Charak­ter der Reihe gerungen. Nachdem die Neugründung der Polnischen

88 Piotrowski, Dorobek Naukowy, S. 40. 89 Józef Cyrankiewicz an das IZ, 18. 12. 1947, AIZ 22/1; August Kardinal Hlond an Kirył Sosnowski und Mieczysław Suchocki, 18. 12. 1947, ebd.; Michał Żymierski an Zygmunt Wojciechowski, 20. 12. 1947, ebd. 90 Z.  Wojciechowski an Tadeusz Dietrich, Vorsitzender des Zentralen Planungsamtes, Warschau, 22. 1. 1949, AIZ 22/3. 91 Z. Wojciechowski an „Herrn Minister“ [Name des Empfängers unleserlich], 28. 11. 1952, AIZ 22/4.

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Akademie der Wissen­schaften 1952 nicht zuletzt der schärferen Kontrolle der Forscher dienen sollte, war es nur folgerichtig, dass ihre gesellschaftswissenschaftliche Abteilung die Altpolnischen Lande aufs Korn nahm. In einer ungezeichneten Rezension übte sie scharfe Kritik am Entwurf für den Oberschlesien-Band und ließ damit erkennen, wie sich die ideologischen Vorgaben binnen weniger Jahre von nationalen zu internationalistischen und klassenkämpferischen Prämissen verschoben hatten. Den Verfassern wurde zur Last gelegt, sie hätten unreflektiert für das polnische Element in der schlesischen Geschichte Partei ergriffen und dabei selbst reaktionäre Kräfte wie die polnischen Feudalherren und die katholische Kirche favorisiert, während die Arbeiter­klasse und insbesondere ihre nichtpolnischen Träger viel zu wenig Beachtung gefunden habe. Herausgekommen sei „ein bourgeoiser, nationalistischer Ausfall“, geprägt von „klerikal-nationalistische[m] Fälschertum“. „Die Autoren“, so das drohende Fazit der Bespre­chung, „müssen vorgemerkt werden.“92 Solche Anwürfe wollten sich die Posener Westforscher nicht gefallen lassen. Als ungerecht wies man insbe­sondere den Vorwurf zurück, die Geschichte der Arbeiterbewegung ungenügend zu berück­sichtigen – entsprechende Untersuchungen, auf die man hätte zurückgreifen können, seien doch gerade erst im Entstehen begriffen.93 Ungeachtet solcher Einwände verschärfte sich der Druck. 1953 und 1954 sollten schlesien- und pommern­kundliche Konferenzen die polnische Historikerschaft auf den neuen Kurs einschwören.94 Ihren Höhepunkt erreichte die Kritik auf der Vollversammlung des West­instituts im Juni 1954. Bogusław Leśnodorski, der sich als Schriftleiter des Kwartalnik Historyczny in Warschau als Vorreiter der Gleichschaltung profiliert hatte, war angereist, um in Posen nach dem Rechten zu sehen. Er befand, im Zustand der Altpolnischen Lande spiegle sich die kläg­liche Befindlichkeit des gesamten In­stituts. Eine Neuausrichtung „auf dem Boden des Kampfes sowohl gegen den deutschen als auch gegen den polnischen Natio­nalismus“ tue not.95 Erscheinen konnte der Oberschlesien-Band schließlich erst unter Gomułka, also nach der Entstalinisierung und im Zuge einer neuerlichen natio­nalistischen Rückbesinnung.96 Immerhin in einem Punkt

92 Monografia Górnego Śląska, Wyd. Instytutu Zachodniego, undatiert [zwischen 1952 und 1955], ohne Verfasserangabe, als Anlage zu: Z. Kaczmarczyk an Juliusz Bardach, 4. 2. 1955, APANP III-68/63, Bl. 82 f. 93 Ebd. 94 Wrzesiński, Badania, S. 211. 95 Walne Zebranie Instytutu Zachodniego, in: PZ 10/7–8 (1954), S. 530–556, auszugsweise abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 61, S. 136–149, hier S. 146–147. 96 Auch wirkte unter den Herausgebern mit Kazimierz Popiołek jetzt ein marxistischer Historiker, der mit dem nationalistisch orientierten Schlesienspezialist des IZ, Seweryn Wysłouch, zu

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hatten sich Staatsmacht und Westforscher noch in der alten Ära finden können: Die Darstellung der neuen, polnischen Gegenwart der Westgebiete erschien beiden Seiten als lohnenswertes Unterfangen. Das Ergebnis dieser Bemühungen bildete 1957 ein Zusatzband der Altpolnischen Lande unter dem Titel Der Wiederaufbau der Wiedergewonnenen Gebiete 1945–1955.97 Trotz aller Schwierigkeiten dürften die Beteiligten Ende der Fünfzigerjahre mit Zufriedenheit auf ihr Werk zurückgeblickt haben. Angesichts der vorüberziehenden stalinis­tischen Bedrängung war das Projekt zwar mit erheblicher Verzö­gerung, letztlich aber ohne nennenswerte inhaltliche Abstriche vollendet worden. Von Polens Anrecht auf die neuen Westgebiete wollte freilich nicht nur die inländische Öffentlichkeit überzeugt werden; mindestens ebenso wichtig schien die Auslandpropaganda. Von Anfang an hatte das Westinstitut deshalb auf eine fremdsprachige Ausgabe der Länder Altpolens gedrängt, doch blieben die Reaktionen aus Warschau zögerlich.98 Dahinter stand die Überlegung, dass eine gesonderte Darstellung der Westgebiete deren Zugehörigkeit zu Polen für ein ausländisches Publikum eher in Frage stellen als bekräftigen würde.99 Nachdem die Reihe in Warschau wenig später in Ungnade fiel, war an eine fremdsprachige Ausgabe ohnehin nicht mehr zu denken,100 und die bereits fertig­gestellten Übersetzungen verschwanden in den Schubladen der Zensurbehörde.101 Schließlich wurde der Wunsch nach einer fremd­sprachigen Über­setzung der Reihe von gänzlich unerwarteter Seite erfüllt – wenn auch schwerlich in der gewünschten Weise: 1952 gab das Marburger Herder-Institut eine deutsche Übersetzung des gesamten Werks auf 1500 Seiten in Auftrag. Das Ergebnis erschien zwischen 1954 und 1960 in der Reihe der Wissenschaftlichen Über­setzungen, die nicht an ein breites Lesepublikum gelangen sollten, sondern, in der Tradition der Publikationsstelle Berlin-Dahlem, nur zur internen Unterrichtung der deutschen Ostforschung gedacht waren.102

Beginn der 1950er Jahre heftig um die geeignete Darstellung der schlesischen Geschichte gestritten hatte. Seweryn Wysłouch, Rozważania metodyczne, in: PZ 6/7–8 (1950), S. 3–9. 97 Kazimierz Piwarski (Hg.), Odbudowa Ziem Odzyskanych (1945–1955), Poznań 1957. 98 Krzoska, Polen, S.  345; Z.  Wojciechowski an Premierminister Józef Cyrankiewicz, Poznań, 13. 3. 1947, AIZ 22/1, abgedruckt in: Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 23, S. 72 f.; Z. Wojciechowski an das Präsidium des Ministerrats, 24. 4. 1948, AIZ 22/2, abgedruckt in ebd., Nr. 36, S. 91–93, hier S. 92. 99 So etwa Józef Dubiel, Vize-Min. für öffentliche Verwaltung, 14. 4. 1948. AAN 199/40, Bl. 11 f. 100 Rührend wirkt der in dieser Situation von Andrzej Józef Kamiński geäußerte Vorschlag, Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss je einen Satz der Altpolnischen Lande zukommen zu lassen. Letzterer verstehe polnisch. J. Kamiński an das Direktorium des IZ, 5. 10. 1949, AIZ 67/1. 101 Z. Wojciechowski an die Presse- und Kulturabteilung des MSZ, 30. 12. 1953, APAN-P III-8/6/42. 102 Veröffentlichungen über Ostmitteleuropa, hrsg. vom Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat, Marburg an der Lahn, o. J. [ca. 1967], Exemplar im BAK B 106/38929.

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Den polnischen West­forschern mochte es späte Genugtuung verschaffen, dass der Propa­ganda­wert ihrer Arbeit wenn nicht von der eigenen Regierung, so doch zumindest vom deutschen Kontrahenten erkannt wurde.

4.2.4 Zehn Jahrhunderte polnisch-deutscher Feindschaft Wenn die Westforscher die polnische Vergangenheit der „Wiedergewonnenen Gebiete“ in hellem Lichte hervorhoben, so diente ihnen Preußen bzw. Deutschland stets als dunkle Kontrastfolie. Es kann unter diesen Umständen nicht erstaunen, dass sich die Arbeiten über das westliche Nachbarvolk zunächst weniger durch ihre wissenschaftliche Qualität als vielmehr durch ihre polemische Schärfe auszeichneten, zumal die meisten davon in der Kriegs­zeit (seltener bereits in den Dreißigerjahren) entstanden waren. In der Regel wurde in diesen Schriften ein unvereinbarer Gegensatz zwischen Polen und Deutschen behauptet, den Wojcie­ chowskis Darstellung Deutschland–Polen. Zehn Jahrhunderte Kampf bereits augen­fällig im Titel führte.103 Seiner Arbeit folgten weitere Schriften, die ein breites Panorama der deutsch-polnischen Auseinandersetzungen von der grauen Vorzeit bis in die jüngste Gegen­wart zeich­neten: In einer vorwiegend sprach­geschichtlich argumentierenden Studie lokalisierte Lehr-Spławiński Herkunft und Urheimat der Slawen im Einzugsgebiet von Oder und Weich­sel und trat damit dem deutschen „Missbrauch der Vorgeschichte zu Er­oberungs­zwecken“ entgegen.104 Daran anschließend verwahrte sich Zdzisław Kaczmarczyk gegen die These, dass es sich bei der Deutschen Kolonisa­tion östlich der Oder um eine Wieder­eindeutschung urgermanischer, nur zwischenzeitlich slawisierter Gebiete gehandelt habe. Auch habe diese Expansion des Schwertes bedurft, während das Slawentum die Siedlungs­dynamik seit dem 19.  Jahrhundert friedlich zu seinen Gunsten gewendet habe. In der Gegenwart sei ein slawisches Vordringen bis an die Elbe denkbar.105 Gerard Labudas Habilitation zu den Anfängen des polnischen Staates hob deren selbständige und eigengesetzliche Züge hervor und relativierte so die Bedeutung deutscher ‚Aufbaukräfte‘.106 Marian Friedberg begegnete in seiner umfangreichen Gegenüber­stellung von Polnischer und deutscher Kultur den Kulturgefälle-Paradigmen der deutschen Seite. In vielen Fällen seien die

103 Wojciechowski, Dziesięć wieków. Ein Vorläufer dieser Abhandlung wurde bereits 1942 im Untergrund gedruckt. 104 Tadeusz Lehr-Spławiński, O pochodzenie i praojczyźnie Słowian, Poznań 1946; Zitat aus Wojciechowski, Sprawozdanie, S. 291. 105 Zdzisław Kaczmarczyk, Kolonizacja niemiecka na wschód od Odry, Poznań 1945, S.  5–8; 257–259. 106 Gerard Labuda, Studia nad początkami państwa polskiego, Poznań 1946.

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Deutschen in Polen nicht als Schöpfer, son­dern lediglich als Vermittler kultureller Errungen­schaften aufgetreten, die weiter westlich entstanden seien. Auch habe Polen schnell gelernt, sich solche Einflüsse gestaltend anzuverwandeln, und umgekehrt eine große Assimilations­kraft entfaltet, sodass es am Ausgang des Mittelalters machtvoll über die deutschen Heraus­forderungen triumphiert habe.107 Ausgesprochen polemisch gehalten war Józef Feldmans Darstellung des Deutsch-polnischen Problems in der Geschichte, für die der Autor auf eine seiner Arbeiten aus den Dreißigerjahren zurückgegriffen hatte.108 Im gleichen Geist, aber deutlich sarkastischer personifizierte Władysław Konopczyński die deutsche Hyper­trophie in Friedrich dem Großen. Dessen Größe müsse an seiner vor­ dringlichen historischen Mission, dem „Slawen­fresser­tum“, gemessen werden – und diese habe er im Zuge der Teilungen Polens vortrefflich erfüllt. Seine expansiven Energien habe er darüber hinaus auf Enkel und Urenkel vererbt; in Hitler hätten sie sich ein letztes Mal aufgebäumt.109 Aus der zeitlichen Distanz ist leicht erkennbar, wie stark alle diese Arbeiten die Eindrücke des Krieges auf frühere Jahrhunderte zurückprojizierten. Umso mehr verblüfft ihre qualitative Spannbreite: Während die Arbeiten von Friedberg und Labuda über Jahrzehnte wissen­schaftliche Gültigkeit bewahrten, blieben die zitierten Schriften von Konopczyński, Feldman und Wojciechowski lediglich ihrer polemischen Qualitäten wegen in Erinnerung. Augenfällig zeigt sich an diesen Beispielen, welche Bedeutung selbst unter der geteilten Voraussetzung lebensweltlicher Betroffenheit und nationaler Voreingenommenheit der jeweiligen Entscheidung des Autors zwischen wissen­schaftlicher oder politischer Selbstlegitimation und dem daraus resultierenden Stellenwert geschichtswissenschaftlicher Fachstandards zukam. Dass ein und derselbe Historiker dabei zwischen beiden Legitimationsstrategien hin- und herwechselte, war eher die Regel als die Ausnahme. Zygmunt Wojciechowskis Schaffen legt davon beredtes Zeugnis ab. In Klammern sei angemerkt, dass es wiederum der fleißigen Übersetzungs­arbeit des Herder-Instituts zu verdanken war, wenn sich mit einiger Verzö­ge­rung auch deutsch­sprachige Leser mit dem Inhalt der genannten Werke vertraut machen konnten.110

107 Marian Friedberg, Kultura polska a niemiecka. Elementy rodzime a wpływy niemieckie w ustroju i kulturze Polski średniowiecznej, 2 Bde., Bd. 2, Poznań 1946, S. 256 f. 108 Józef Feldman, Problem polsko-niemiecki w dziejach, Katowice 1946, insbesondere S. 169. 109 Władysław Konopczyński, Fryderyk Wielki a Polska, Poznań 1947, S. 259–262. 110 Die Übersetzungen verzeichnet: Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat, Veröffentlichungen über Ostmitteleuropa, Marburg an der Lahn o. J. [ca. 1967], zitiert nach dem Exemplar im BAK B 106/38929.

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Eher in die publizistische Breite als in die wissenschaftliche Tiefe zielte der Publikationsplan für die bereits erwähnte Reihe Deutschland­kundlicher Studien. Demnach sollte Bogdan Suchodolski Hitlers „Mein Kampf“ als „Evange­lium des Nationalsozialismus“ deuten, Janusz Pajewski wollte in einer Studie zu den großen Männern der deutschen Geschichte die „Schöpfer der Macht und der Niederlage des gegenwärtigen Deutschlands“ identifizieren, und Karol Marian Pospieszalski plante eine verfassungs­geschicht­liche Darstellung zum Deutschen Reich von 1871–1945. Ein noch zu bestimmender Autor sollte die Rolle der Ausland­ deutschen als Wegbereiter deutscher Expansion unter­suchen.111 Nachdem die neue Warschauer Führung unter Bierut den Westforschern das Vertrauen entzog, blieben die Manuskripte indes unvoll­endet liegen.112 Der breiten Öffentlichkeit aus dem In- und Ausland sollte die erneuerte West­ idee schon kurz nach Kriegsende in einer großangelegten Ausstellung veran­ schaulicht werden. Im wechsel­ haften Schicksal dieses Projekts lassen sich Charakter und politische Bedingtheit der West­forschung in den ersten Nachkriegsjahren beispielhaft ver­folgen. Bereits im Juni 1945 entwickelten das Westinstitut und der Polnische Westverband gemein­sam die Idee einer Ausstellung, die das patriotische Bewusstsein der Bevölkerung am Rück­blick auf den heroischen Behauptungskampf gegen Deutschland schulen sollte. In seinen propagandistischen Absichten und dem Umstand, dass es gemeinsam von einer Massen­organisation und einer wissenschaftlichen Einrichtung getragen wurde, zeigte das Projekt Ähnlichkeiten zur deutschen Ostausstellung 1933/1934, die damals gemeinsam vom BDO und Brackmanns Publikationsstelle organisiert worden war.113 Die Stoß­richtung der Posener Ausstellung war freilich diametral entgegengesetzt. Im Zentrum der Beweis­führung sollten die deutschen Kriegsverbrechen und der polnische Charakter der Westgebiete stehen. In Anbetracht dieser Inhalte dachte man an Titel wie „Antideutsche Ausstellung“ oder „Ausstellung der Westgebiete und der deutschen Ver­brechen in Polen“; programmatischer war die Variante: „Durch Kampf und Blut auf den piastischen Pfad“. Mitte Juni stellte sich das Ministerium für Information und Propaganda hinter das Projekt und be­auftragte Czesław Pilichowski, den Leiter des PZZ, mit der Leitung der Vorbereitungen. Hoffte man zunächst darauf, die Ausstellung möglichst rasch zu realisieren, so setzte sich bald schon die Über­zeugung durch, dass die gewichtige Botschaft nicht mit ein paar „improvisiert und zufällig zusammengewürfelten Ausstellungs­stücken“ zu

111 Bolesław Srocki, Projekt planu wydawniczego na rok 1948, Dezember 1947, AIZ 67/1. 112 Tymieniecki, Dzieje Niemiec; Pajewski, Niemcy. 113 Dazu Haar, Historiker, S. 161–171.

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vermitteln sei, sondern gründlicher Vorbereitung bedürfe und im großen Rahmen aufzuziehen sei.114 Einen ersten, im Westinstitut erarbeiteten Konzeptentwurf legte der PZZ im Juli 1945 dem Propagandaministerium vor. Als Arbeitstitel diente die Bezeichnung „Zehn Jahrhunderte polnisch-deutschen Kampfes“, was Zygmunt Wojciechowski als Ideengeber des Unterfangens auswies.115 Als Ausstellungslokal hatte dieser das Posener Hohenzollernschloss – vormals Symbol der preußischen Herrschaft über Westpolen und zuletzt Sitz von Gauleiter Greiser – ausersehen: „Das wird ein klares politisches Statement sein.“ Umso bezeichnender wirkt es, dass Wojciechowski zugleich eine sichtbare Präsenz der neuen politischen Macht­haber ablehnte: „Die Ausstellung muss einen klar gesellschaftlichen Charakter haben. Dem Staat kommt dabei eine diskrete Rolle zu.“116 Zweck der Schau müsse es sein, die Bevölkerung aus dem Dämmer­ schlaf zu rütteln und ihre nationalen Instinkte zu wecken, die im langen Volkstumskampf mit dem deutschen Element geschmiedet worden sind. […] Die politische Aufgabe der Ausstellung besteht darin, allen Bürgern des polnischen Staates die Gunst und das Gewicht des gegenwärtigen historischen Augenblicks bewusst zu machen, der es uns erlaubt, nach fast zehn Jahrhunderten das Werk der politischen Gründer des Polnischen Staates, Mieczysław I. und Bolesław Chrobrys, fortzuführen und zu vollenden, und zwar: den Bau eines mächtigen, nationalen Polnischen Staates, der auf den Einzugsgebieten der zwei polnischen Flüsse ruht: der Weichsel und der Oder.117

Vorgesehen waren ein „historisch-retrospektiver“ und ein „gegenwartsbezogenprospektiver“ Teil, wobei der erste im effekthascherischen historischen Präsens bereits detailliert ausgemalt wurde: Zunächst sollten Archäologen und Prähistoriker die „Urwiege“ Polens darstellen und den Gegensatz zeigen, der sich bereits damals zwischen „unseren“ sesshaften „Vorvätern“ und den nomadisierenden Germanen abgezeich­net habe. In den anschließenden Sälen würden die Historiker veranschaulichen, wie im Mittelalter der polnische Staat an Oder und Weichsel erstand, sich von Anfang an zur Ostsee ausrichtete und sich sogleich der Deutschen erwehren musste. Deren ordensritterliche Expansion habe Polen

114 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 71–72. 115 Wystawa „Dziesięć wieków zmagań polsko-niemieckich“, Poznań, Juli 1945, APANP III-68/66, Bl. 6–27. An der Konzeption der Ausstellung war nebst Wojciechowski auch Józef Kostrzewski maßgeblich beteiligt. Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 90. 116 Wystawa „Dziesięć wieków […]“. Später wurde diese Idee noch weiter ausgeführt: Die Ausstellung müsse der Gesellschaft als ihr eigenes Werk, als „Selbstvergewisserung ihrer Aufgaben und Ideale“ erscheinen. Ebd., S. 74. 117 Wystawa „Dziesięć wieków […]“.

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im 13. Jahrhundert – so das schiefe, aber dramatische Bild – „an der Mündung seiner zwei Rückgrat-Flüsse beim Genick gepackt“. Beide Völker kämpften jetzt „um Leben oder Tod“. Schon in jenen Jahren hätten die „deutschen Verbrechen von 1285 und 1308“ die zivilisierte Welt erschauern lassen und die Bestialitäten von 1939–1945 vorweggenommen. Gleichzeitig seien neue Vorboten der Unterwerfung in Gestalt deutscher Kolonisten in Polen einge­drun­gen, und zum ersten Mal habe sich die „deutsche Zange“ aus Brandenburger und Luxemburger Staat um Polen geschlossen. Erst in letzter Minute habe Polen sich mit russischer Hilfe bei Tannenberg aus dem deutschen Würgegriff befreien können. Doch der hart erkämpfte Triumph habe auf Dauer einschläfernd gewirkt. Während Polen im Osten zum mächtigen Großreich emporgewachsen sei, habe es die im Westen dräuende Gefahr verkannt. So habe das „preußische Ungeheuer“ erstehen können, das zunächst die Teilungen Polens initiierte, um daraufhin die Vormacht in Deutschland an sich zu reißen und auf dieser Grundlage zur Eroberung Europas, ja der ganzen Welt anzusetzen. Heldenhaft habe sich die polnische Nation behauptet und mit der Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg einen ersten Etappensieg errungen. Doch das brüchige Versailler Fundament habe den neuen Staat territorial verwundbar gemacht. Unter diesen Umständen habe Hitler zur „Synthese von tausend Jahren Hass“ werden können. In Polen hätten die Deutschen ihr ganzes Vernichtungspotential bewiesen, doch darauf sei die schwerste Niederlage ihrer Geschichte gefolgt und damit das Ende des Drangs nach Osten. „Nie mehr wird ein Deutscher einen Polen unterdrücken! Nie mehr wird der deutsche Imperialismus wieder­erstehen. Auf dem Brandenburger Tor wehen polnische Fahnen!“ Im Anschluss an diesen Ritt durch die Geschichte sollte ein aktueller Teil die Gegenwart und Zukunft der „zurückkehrenden Länder“ ausmalen, vor allem aber Polens Rechte auf die Westgebiete darlegen. Diese sollten unter verschiedensten Blickwinkeln geltend gemacht werden. In geographischer Hinsicht musste die Oder-Neiße-Linie als natür­liche Westgrenze Polens erscheinen. Unter geopolitischem Blickwinkel sollte der Raum zwischen Oder und Bug als unteilbares Ganzes dargestellt werden, in dem nur eine große Macht bestehen könne. Den Deutschen müssten auch die Einfallskeile in diesen Raum entzogen werden, vor allem Schlesien. Eine ethnographische Betrachtungsweise lasse erkennen, dass die Menschen an der Oder „durch die Gemeinschaft von Blut und Sprache“ mit Polen verbunden seien. Aus demographischer Perspektive müsse die biologische Vermehrungsfähigkeit (rozrodczość) der Polen der Geburtenarmut der Deutschen gegenüber gestellt werden. Während Polen so unter dem Druck einer schnellen Bevölkerungs­entwicklung der Raum zu eng geworden sei, habe sich in den vormaligen deutschen Ostgebieten im Sog fortgesetzter Abwanderung ein demo­graphisches Vakuum gebildet. Die Dramatik dieser Entwicklung werde

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durch eine ökonomische Betrachtung noch unterstrichen: Zur selben Zeit, als die Region an der Oder für Deutschland fortwährend an wirtschaftlicher Bedeutung verloren habe und die Böden brach gelegen hätten, hätten in Polen fünf Millionen Bauern ohne Land eine kümmerliche Existenz gefristet. Es fällt nicht schwer, die beiden vorangehenden Argumente als direkte Umkehr deutscher Vorstellungen vom „Volk ohne Raum“ zu erkennen. Letzte Zweifel an der Rechtmäßigkeit polnischer Ansprüche auf die neuen Gebiete sollten schließlich mit dem Argument getilgt werden, die Westgebiete könnten als Kompensation für zerstörte und verlorene polnische Städte verstanden werden: Warschau, Posen, Lemberg und Vilnius. Schließlich sollten auch Polens historische Anrechte auf die Westgebiete nochmals verdichtet werden: „a/ Die Gebiete an der Oder gehören seit der Morgendämmerung der Geschichte zum Bestand des polnischen Staates, b/ Die Christianisierung dieser Gebiete ist ein Werk der Polen, c/ In nationaler und kultureller Hinsicht sind sie mit dem Mutterland verbunden.“ Der Hinweis auf das polnische Christianisierungswerk lässt deutlich erkennen, wie wenig sich die Ausstellungsmacher zu diesem Zeitpunkt von kommunistischen Ideen beirren ließen. Insgesamt fällt auf, dass die Argumente bis ins Detail Wojciechowskis Darstellung Zehn Jahrhunderte Feindschaft folgten. Bevor die Besucher die Ausstellung verlassen würden, sollten sie Zeugen eines pathetischen „Schlussakzents“ werden: Im letzten Saal schlüge eine aufgezeichnete Glocke – die mächtige Krakauer Sigismund-Glocke. Daraufhin würde ein Sprecher intonieren: „Hörst du? Es schlägt die historische Stunde!“ In den Pausen zwischen den Schlägen der Glocke würden die „Verse des neuen polnischen Evangeliums“ erklingen: 1. „Der tausendjährige Feind Polens und des Slawentums ist niedergestreckt“. 2. „Polen erlangt Gebiete zurück, die ihm für Generationen den ersehnten Frieden bringen werden“. 3. „Weichsel und Oder, die nationalen Flüsse Polens, kehren zur Aufgabe zurück, die ihnen die Natur zugedacht hat: Sie werden von Neuem Rückgrat des polnischen Wirtschaftsorganismus“. 4. „Wohlstand für Generationen steht in Aussicht. Um ihn zu erlangen, bedarf es auch deiner Anstren­gung. Es erklingt die Antwort: „Wir kommen zu dir, oh Erde, unsere Mutter, um mit dem Gesicht in deinen Staub zu fallen. Wir sind nicht nur [reich an] Zahl, sondern auch [an] Kraft…“

Die Gleichsetzung patriotischer Lehrsätze mit der christlichen Heilslehre war keine Erfindung Wojciechowskis: Unverkennbar bezog er sich hier auf den polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz und dessen Bücher des polnischen

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Volkes und der polnischen Pilgerschaft, die bereits in den 1830er Jahren nationale Anliegen mit christlicher Rhetorik verbunden hatten. Aufmerksamkeit verdienen schließlich die Kunstgriffe, die in der Ausstellung zur Anwen­dung kommen sollten: „[D]ie Methoden der Aktualisierung (z. B. Gegenüberstellung der deutschen Methoden in der Schlacht bei Glogau mit den von den Deutschen angewandten Methoden in Warschau im August 1944), der Synthese und des Vergleichs.“ Hier wird deutlich, dass Wojciechowski und seine Mitstreiter die Aktualisierung der Geschichte sehr wohl als bewusste Methode reflektierten. Ihr „Präsentismus“ war also nicht – oder zumindest nicht nur – eine gewissermaßen zwanghafte Folge traumatischer Kriegserlebnisse, sondern vielmehr ein gezielt eingesetztes Stilmittel. Dem entsprach, dass die Ausstellung mit verschiedenen audiovisuellen Mitteln arbeiten sollte: „Sprache, Text, Licht, Bewegung (Kinoeffekte), Plastik.“ So solle etwa „im ersten Raum anfangs weitgehende Dunkelheit herrschen, die dann aufgehoben wird, um den Eintritt Polens ins Licht der Geschichte zu illustrieren.“118 Im September 1945 billigte Stefan Matuszewksi, der damalige Propaganda­ minister, das Kon­zept der Ausstellung; gleichzeitig entschied er zugunsten einer Schau von nationaler Bedeu­tung und internationaler Ausstrahlung. Die Eröffnung wurde für den ersten Jahrestag der deutschen Kapitulation (8.  Mai 1946) geplant.119 Doch diese hochfliegenden Pläne scheiterten zunächst an finanziellen Engpässen.120 Erst im Hinblick auf die erwartete Friedens­konferenz für Deutschland wurde das Projekt im Frühjahr 1946 wieder aufge­nommen.121 Nun sagte der Staat beträchtliche Mittel zu und bekräftigte seinen Führungs­anspruch durch die Bildung eines Regierungskommissariats, dem Vertreter der Ministerien für Information und Propa­ganda, Wiedergewonnene Gebiete und Finanzen angehörten.122 Mit einiger Verspätung machte auch das Außenministerium seine Interessen geltend.123

118 Ebd. 119 Protokół z zebrania Komisji Międzyministerialnej, 26. 2. 1946, AAN Ministerstwo Informacji i Propagandy [im Weiteren: MiiP] 1, Bl. 19; Sprawozdanie z wstępnych prac nad zorganizowaniem wystawy „Dziesięć wieków zmagania polsko-niemieckich“, AAN MIiP 795, Bl. 174. 120 Protokół z konferencji poświęconej zorganizowaniu wystawy „10 wieków zmagań PolskoNiemieckich“, Wrocław, 25. 2. 1947, APAN-W I-4/1, Bl. 8–10; Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 75. 121 L.  Karnkowski/E.  Męclewski, Projekt schematyczny Wystawy Wrocławskiej, undatiert [1947], APAN-W I-4/1, Bl. 20–26. 122 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 76. 123 Protokół z  posiedzenia Naukowego Komitetu Wystawy Wrocławskiej, 8. 3. 1947, APAN-W I-4/2.

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Grundlegend modifiziert wurde die bisher als eigenständige Veranstaltung konzipierte Aus­stellung durch den Beschluss, sie mit einer seit Längerem geplanten Leistungsschau der polnischen Westgebiete zu verbinden, die als Verschnitt aus Landesausstellung und Gewerbe­messe die Aufbauarbeit in den Westgebieten illus­trieren sollte. Wirtschaftliche Aspekte sollten im Vordergrund stehen, doch war auch hier daran gedacht worden, einen historischen Rückblick zu integrieren.124 Aus der Perspektive der Warschauer Zentralmacht schien die Zusammen­ führung beider Ausstellungen in Breslau nur folgerichtig: so würden sich historische und gegenwartsbezogene Perspektive effektvoll ergänzen, und der geplante Volksfest­charakter versprach den erwünschten Massenzulauf, für den in Breslau auch bereits die nötige Infra­struktur bestand. Darüber hinaus scheint es wahrscheinlich, dass die geographische Zuteilung der Propagandaressourcen bereits die Topographie allfälliger Revisionsgefahren vorweg­zunehmen suchte. Schließlich dürfte sich hier auch erstmals der Wunsch niedergeschlagen haben, Zygmunt Wojciechowski als übermächtigen Spiritus Rector der polnischen West­forschung in die Schranken zu weisen und in Breslau ein der Volksmacht wohlgesonnenes Wissen­schaftler­milieu heranzuziehen.125 So empfanden die Posener Westforscher die Verlagerung der Ausstellung von Posen nach Breslau wohl zu Recht als Affront; aus den weiteren Vorbereitungen zogen sie sich im Folgenden gänzlich zurück. Die Kontinuität wahrte der polnische Westverband, dessen Leiter sich bereiterklärte, das Posener Konzept in Breslau einzubringen.126 Am Leitgedanken der Aus­stellung änderte sich daher zunächst wenig.127 Dagegen nahm die beabsichtigte Größen­ ordnung immer gigantischere Ausmaße an. War die Schau zunächst für ein regionales, bestenfalls nationales Publikum gedacht gewesen, so herrschte inzwischen Einigkeit darüber, dass sie auch aus­ländische Besucher in großer Zahl anziehen sollte.128 Das Konzept hielt daher fest: „Im Ausland möchten wir mit dieser Aus­stellung

124 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 75–89; zur historischen Ausstellung S. 79. 125 Auch Krzoska verweist im Zusammenhang mit der Ausstellung auf die regionalen Rivalitäten der West­forscher, behauptet aber fälschlicherweise, Posen und das IZ seien zu keinem Zeitpunkt an den Vorbereitungen beteiligt gewesen. Krzoska, Polen, S. 348. 126 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 90. 127 Wystawa „Ziemie Odzyskane w trzecim roku po wojnie“ Wrocław 1948r. Koncepcja ogólna, als Anlage zu: Cz. Pilichowksi/B. Szymański an B. Olszewicz, Poznań, 7. 5. 1947, APAN-W I-4/1, Bl. 3–4. 128 Protokół z konferencji poświęconej zorganizowaniu wystawy „10 wieków zmagań PolskoNiemieckich“, Wrocław, 25. 2. 1947, APAN-W I-4/1, Bl. 8–10; Protokół z  posiedzenia Naukowego Komitetu Wystawy Wrocławskiej, 8. 3. 1947, APAN-W I-4/2.

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die Überzeugung wecken, dass Deutschland eine potentielle Gefahr nicht nur für Polen, sondern auch für Europa und die Welt birgt.“129 Entsprechend gewichtig wurde das wissenschaftliche Organisationskomitee besetzt, das sich nun vorwiegend aus Breslauer Professoren rekrutierte.130 Die beabsichtigten Argumentations­weisen erläuterte ein weiteres Konzept: Demnach sollte die umstrittene These vom prä­slawischen Charakter der Lausitzer Kultur die Uransässigkeit der Slawen in Zentraleuropa beweisen. Archäologisch freigelegte Verteidigungsanlagen würden die frühen Abwehr­bemühungen der Slawen gegen die deutschen Aggressoren demonstrieren, Funde mittel­alterlicher Gebrauchsgegenstände den hohen Stand der polnischen Alltagskultur illustrieren. Ein deutscher Autor aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurde als Kronzeuge für den polnischen Charakter Schlesiens beigezogen.131 Das polnische Interesse an der Ostseeküste würden neuzeitliche Pläne zum Ausbau des Danziger Hafens und einer polnischen Flotte belegen. Schließlich sollte der polnische Widerstand im Zweiten Weltkrieg gewürdigt werden.132 Allerdings stieß man im Verlauf der weiteren Vorbereitungen auf beträchtliche Schwierigkeiten: So förderten die Recherchen der ethnographischen Sektion in zahlreichen Museen kaum verwertbare Ausstellungsstücke zutage.133 „Der effektvolle Teil der Ausstel­lung fällt weg“, bedauerte der Ethnograph Roman Reinfuss in diesem Zusammenhang, „denn im Bereich der Volks­kultur ist es schwierig, etwas zu zeigen. Wir finden hier nämlich Kultur­ erzeugnisse von westeuropäischem, nicht slawischem Charakter.“134 Ersatzweise wollte man sich auf die karto­graphische Darstellung von slawischen Bräuchen und Bauformen verlegen. Ähnliche Misserfolge begründete die vorgeschichtliche Sektion mit dem Argu­ment, dass sich die Suche in den teilweise schwer beschädigten Museen äußerst mühsam gestalte.135 Frustriert mussten die Forscher zur Kenntnis nehmen, dass sich der Nachweis einer ewigen Polonität der Westgebiete schwerer führen ließ als zunächst angenommen, denn geeignete Text- oder Sachquellen waren oft nur spärlich oder mit großem Aufwand und nach aufwendiger Selektion herbeizuschaffen. Wollte man sich vor den kriti-

129 Wystawa „Ziemie Odzyskane w drugim roku po wojnie“ we Wrocławiu 1947r, undatiert [Februar 1947], APAN-W I-4/1, Bl. 18 f. 130 B. Olszewicz, Sprawozdanie Komitetu Naukowego Wystawy Historycznej pod nazwą „Tysiąc lat zmagań polsko-niemieckich“, 15. 5. 1947, APAN-W I-4/3, Bl. 2–10. 131 Schummel, Johann Gottlieb, Reise durch Schlesien im Julius und August 1791, Berlin 1995. 132 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 91–93. 133 Protokół z konferencji poświęconej zorganizowaniu […]. 134 Protokół z  posiedzenia Naukowego Komitetu Wystawy Wrocławskiej, 8. 3. 1947, APAN-W I-4/2. 135 Protokół z konferencji poświęconej zorganizowaniu […].

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schen Augen der inter­nationalen Fachwelt nicht blamieren, so hätte die geplante volksgeschichtliche Beweis­führung eine äußerst aufwendige und damit langwierige Vorbereitung erforderlich gemacht. Es mochte nicht zuletzt solchen argumentativen Schwierigkeiten geschuldet sein, wenn der historische Teil der Ausstellung wenig später empfindlich beschnitten wurde. Den verdutzten Mitgliedern des wissenschaftlichen Komitees wurde mitgeteilt, ein Regierungs­ausschuss habe entschieden, die Aus­stellung in erster Linie auf die neuesten Errungenschaften Polens in den ‚Wiedergewonnenen Gebieten‘ auszurichten und historische Aspekte nur summarisch einzu­ bringen.136 Schwerer als die wissenschaftliche Unzulänglichkeit der Beweisführung wog wohl die politische Inopportunität der Konzeption, die vor dem Hintergrund der ein­setzenden Blockkonfrontation immer deutlicher hervortrat. In dem Maße, wie die Wahr­scheinlichkeit einer abschließenden Friedenskonferenz für Deutschland schwand, verlor auch die Auseinandersetzung mit deutschen Argumenten ihren Nutzen. Symptomatisch für diesen Wandel ist eine Weisung aus dem April 1948, die betonte, es gebe keinen Anlass, die West­gebiete in den Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen zu stellen, vielmehr gelte es, sie im gesamtpolnischen Zusammenhang zu betrachten.137 Das revidierte Ausstellungskonzept sollte deshalb schwerpunktmäßig auf die Überzeugungs­kraft wirtschaftsgeographischer, volkswirtschaftlicher, demographischer und kultureller Zusammenhänge setzen.138 Auch auf der übergeordneten Ebene der Gesamtausstellung spiegelten sich in den folgenden Monaten immer deutlicher die politischen Umwälzungen jener Jahre. Anfang 1948 brachte die Polnische Arbeiterpartei die Ausstellungsleitung, die bisher mehrheitlich in den Händen der Polnischen Sozialistischen Partei PPS gelegen hatte, unter ihre Kontrolle.139 Und im zeitlichen Umfeld der Berlinkrise ließ der Regierungskommissar das Organisationskomitee wissen, die Ausstel­ lung habe in letzter Zeit ihre Stoßrichtung geändert – aus einer antideutschen Demonstration sei eine anti-imperialistische Ausstellung geworden. Mit diesem raschen Kurswechsel konnten die Ausstellungsmacher nicht Schritt halten. Eine hörte, konstaRegierungsdelegation, der auch ein sowjetischer Berater ange­ tierte vor Ort schwerwiegende Mängel. So werde die Hilfe der Sowjetunion bei

136 Udział P. Z. Z. w pracach przygotowawczych do Wystawy Wrocławskiej, als Anlage zu: B. Szymański/Cz. Pilichowski an B. Olszewicz, Poznań, 14. 7. 1947, APAN-W I-4/1, Bl. 11 f. 137 Stellungnahme von Józef Dubiel, Vize-Min. für öffentliche Verwaltung, 14. 4. 1948. AAN 199/40, Bl. 11 f. 138 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 98–101. 139 Zu diesem Zweck setzte sie den parteitreuen Westforscher und Rechtshistoriker Tadeusz Cieślak als Vize­direktor der Ausstellung durch. Dieser leitete eine Erweiterung des Direktoriums ein, aus der eine Mehrheit für die PPR resultierte. Ebd., S. 105–109.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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der Befreiung der West­gebiete und die anschließende Führungsrolle der Arbeiterpartei bei ihrem Wiederaufbau weitgehend verschwiegen, und die polnischdeutschen Beziehungen würden trotz aller Ermahnungen immer noch polemisch dargestellt. In letzter Minute versuchte man nun mit zusätzlichen Spruch­bändern und Schautafeln, die Ausstellung auf Kurs zu bringen. In der historischen Abteilung wurde der polnisch-russischen Waffenbrüderschaft von Tannenberg bis zum Zweiten Weltkrieg mehr Raum gegeben. Auch wurde eine kartographische Darstellung entfernt, welche die Siedlungsgebiete und Ausbreitungswege der Urslawen hätte darstellen sollen.140 Darin lässt sich unschwer eine polnische Kapitulation in der damaligen polnisch-sowjetischen Auseinandersetzung um die slawische Urheimat erkennen.141 Der solchermaßen nochmals bereinigte historische Ausstellungsteil erwartete seine Besucher an durchaus prominenter Stelle im Zentrum des Ausstellungsgeländes mit sechs Räumen. Der erste Saal zur Vorgeschichte und frühen Piastenzeit stand unter dem Motto: „Wir sind seit dreitausend Jahren hier.“ Kopernikus war der Namensgeber des zweiten Saals, der die kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen berühmter Westpolen würdigte. Polnische Verteidigungsbereitschaft veranschaulichten im dritten Saal monumentale Ölgemälde Boleslaus‘ des Tapferen und der Schlacht bei Tannenberg, um die sich Schaustücke zum deutsch-polnischen Kampf vom frühen Mittelalter bis ins siebzehnte Jahrhundert gruppierten. Schiffsmodelle versinnbildlichten im vierten Saal Polens Verbundenheit mit dem Meer. „Ziviler Widerstand“ der schlesischen Bevölkerung gegen das Preußentum sollte den Besu­chern anhand der Exponate im fünften Saal plausibel gemacht werden. Das durfte wohl als Anspielung auf Gandhis zeitgenössischen Kampf gegen die indische Kolonialmacht gedeutet und mithin als Versuch verstanden werden, der antideutschen Spitze der Ausstellung die geforderte anti-imperialistische Stoßrichtung zu geben. Vertieft wurde diese Thematik im sechsten Saal, der die historische Ausstellung abschloss und die schlesischen Aufstände als Kampf polnischer Arbeiter und Bauern gegen deutsche Feudalherren und Kapitalisten deutete.142 Unerwartete Ausstellungspräsenz wurde in letzter Minute dem Polnischen Westverband zuteil. Der Pavillon, in dem der Regionalverband der schlesischen Juden den Holocaust und das Wiederaufleben jüdischen Lebens im sozialistischen Polen darstellen wollte, hatte bei den politischen Inspekteuren Mitte Juli den Eindruck von „jüdischem Nationalismus und Hang zur Absonderung“ hinterlassen

140 Ebd., S. 115, 121–122. 141 S. u., Kap 4.2.7. 142 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 156.

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und wurde daher geräumt. Den verlassenen Pavillon übernahm der Westverband, der es besser verstand, die nationale Integrität des neuen Polen zu illustrieren.143 Eröffnet wurde die Ausstellung der Wiedergewonnenen Gebiete am 21.  Juli 1948 im Beisein Bieruts. In seiner Entourage klaffte indes eine auffällige Lücke: Władysław Gomułka, der Minister für die Wiedergewonnenen Gebiete, fehlte, nachdem das Politbüro seinen Kurs im Juni scharf kritisiert und ihn anschließend in Zwangsurlaub geschickt hatte. Das Angebot der Parteiführung, bei der Ausstellungseröffnung öffentlich Selbstkritik zu üben, hatte er abgelehnt.144 Zu diesem Zwischenfall passte es, dass die PPR, nachdem die Ausstellung ihre Tore bereits geöffnet hatte, bei den Ausstellungsleitern „moralisch-ideologische“ Mängel konstatierte und sie über Nacht mehrheitlich durch verlässlichere Kräfte ersetzte. Mit gut anderthalb Millionen Besuchern erlangte die Ausstellung tatsächlich den beabsichtigten Rang als Massenveranstaltung. Erwartet hatte man allerdings doppelt so viele Gäste, und selbst die tatsächliche Besucherzahl speiste sich größtenteils aus organisierten Reisen von Schulklassen und Betriebsbelegschaften, denen nur 220  000  Individualbesucher gegenüber­standen. Fast gänzlich blieb der erwartete Ansturm aus dem Ausland aus, nur einige Tausend Tschechen und wenige Hundert französische Intellektuelle begaben sich nach Breslau.145 Aus Sicht der Westforscher hinterließ die Ausstellung einen bitteren Nachgeschmack. Nicht nur hatten ihnen die Vorbereitungen in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass ihr Narrativ von der deutsch-polnischen Feindschaft nicht mehr gefragt war: Auch die „geistige Aneig­nung der Westgebiete“ wurde nun für abgeschlossen erklärt. Diese seien – so wurde aus Warschau beschieden – jetzt als integraler Bestandteil Polens zu betrachten und bedürften künftig keiner Sonder­behandlung mehr.146 Damit wurde eine weitere raison d’être der Westforschung obsolet. Ganz konsequent war die Staatsmacht in dieser Frage allerdings nicht – insbesondere in Anbetracht der fortgesetzten Zweifel, die im Ausland an der Polonität dieser Gebiete laut wurden. So erreichte das West­institut 1952 – ausgerechnet auf dem Höhepunkt der stalinistischen Repressionen – eine Bitte des Außenministeriums, sich an der Konzeption einer Ausstellung über die Westgebiete zu beteiligen, die im westlichen Ausland, vor allem in Frankreich und den USA, auf Tournee gehen sollte. Der einzige Wermuts­tropfen für die Posener Historiker dürfte darin bestanden haben, dass die Ausstellung vor allem die wirt-

143 Ebd. Zum Schicksal der jüdischen Ausstellung ebd., S. 112–117. Nicht nachweisen lässt sich Krzoskas Behauptung, das IZ habe sich auf der Ausstellung mit einem eigenen Pavillon vorstellen dürfen. Krzoska, Polen, S. 348, Anm. 64, mit ins Leere führendem Verweis auf Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 90. 144 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 128. 145 Ebd., S. 136–138; Thum, Stadt, S. 293. 146 Tyszkiewicz, Sto wielkich dni, S. 126–131; s. auch Brier, Westgedanke, S. 71.

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schaftlich-kulturelle Entwicklung herausstellen und „historische Fragen kurz und allgemein behandeln“ sollte.147

4.2.5 „Distinguendum est“: Neuer Blick auf Deutschland Unzweideutig hatten die Vorbereitungen zur Breslauer Ausstellung den Westforschern die Entschlossenheit der Partei vor Augen geführt, das Feindbild Deutschland im Zuge der Blockkonfrontation durch ein imperialistisches – sprich: nordamerikanisch-westeuropäisches – zu ersetzen. Diese Bemühungen erreichten mit der Gründung der DDR 1949 ihren Höhepunkt. Die Begeisterung der Westforscher für den jüngsten Spross der sozialistischen Völkerfamilie hielt sich allerdings in Grenzen. Vielmehr stürzte die Gründung der DDR Wojciechowski und seine Getreuen in eine veritable Sinnkrise. In den Worten Henryk Olszewskis zwang sie das Westinstitut „zur Abkehr vom bisherigen integralen Verständnis der deutschen Frage“ – sprich: zur Aufgabe seines gänzlich negativen Deutschlandbildes.148 Die These von den „zehn Jahrhunderten deutsch-polnischer Feindschaft“ hatte unter diesen Umständen ausgedient. Eine im Auftrag des Bildungsministeriums verfasste Rezension warf Wojciechowskis gleichnamiger Darstellung nationalistische Vorurteile und mangelndes Klassenbewusstsein vor, werde doch der deutsch-polnische „Kampf“ als „grundsätzlicher Antagonismus“ dargestellt, „losgelöst von gesellschaftlich-politischen Verhältnissen, gegründet nur auf angebliche nationale oder rassische Gegensätze.“ Wojciechowski verschweige das verhängnisvolle Paktieren der polnischen Vorkriegselite mit Hitlerdeutschland und unterschlage, dass Polen seine Westgrenze an Oder und Neiße dem sowjetischen Sieg über den Hitlerismus verdanke. Das Buch müsse daher aus Schulen und öffentlichen Büchereien verbannt werden.149 Mit diesem Urteil war nicht nur Wojciechowskis Geschichtsbild in Frage gestellt, sondern auch eine wichtige Einnahmequelle des Westinstituts, das sich bisher im großen Stil aus dem Verkauf seiner Schriften alimentiert hatte.150 Es war wohl kein Zufall, dass

147 St. Korzeniowski, Leiter der Abteilung für die auswärtigen Einrichtungen der Volksrepublik Polen beim MSZ, an Z. Wojciechowski, 14. 11. 1952, AIZ 22/4. 148 Olszewski, Między nauką a polityką, S. 16; Olszewski, Instytut Zachodni, S. 20. Zum Wandel des Deutschlandbildes im PZ jetzt auch Maria Zmierczak, Obraz Niemców i Niemiec w „Przeglądzie Zachodnim“ w latach 1945–1990, in: PZ 70/3 (2014), S. 63–82. 149 Ungezeichnete Rezension, als Anlage zu J. Barbag, Ministerstwo Oświaty i Wychowania [im Weiteren: MOiW], an IZ, 29. 11. 1949, APAN-P III-8/6/41. 150 Z. Wojciechowski, Posen, an die Oberbibliotheksdirektion beim Bildungsministerium, Warschau, 5. 4. 1947, AIZ 22/1; Z. Wojciechowski an Janiczek, Leiter der Oberbibliotheksdirektion beim Bildungsministerium, 19. 7. 1947, AIZ 22/1.

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die tonangebende historische Zeitschrift der Sowjetunion das Buch fast gleichzeitig besprach und zu einem ähnlich negativen Urteil kam.151 Im Westinstitut hörte man die Signale. Dass man sehr wohl zwischen dem reaktionären und dem progressiven Deutschland zu unterscheiden wisse, stellte Wojciechowski im Przegląd Zachodni mit einem Leitartikel unter dem sprechenden Titel „Distinguendum est“ unter Beweis. Zwar beharrte er darauf, dass die deutsch-polnischen Beziehungen über die Jahrhunderte „vorwiegend schlecht waren“. Hüten wollte er sich aber künftig vor dem Begriff der deutsch-polnischen Erbfeindschaft, denn für die verhängnisvolle deutsche Ostexpansion seien nicht die Deutschen als Volk, sondern das Junkertum als Klasse verantwortlich zu machen. Diese Junkerklasse aber sei in der DDR von sowjetischer Hand „mit den Wurzeln“ ausgerissen worden, und an ihrer Stelle sei „der deutsche Bauer und Arbeiter in die geschicht­liche Arena getreten“. Mit sowjetischer Hilfe werde das deutsche Volk so „vom Pfad des Nationalismus auf den Weg der Völkerverständigung geführt.“ In Westdeutschland hingegen habe der amerikanische Imperialismus den deutschen Nationalismus neu entfacht. Für das Nachbarvolk müsse daher gelten: „Die Legitimation seiner demokratischen Kreise erwächst aus der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. […] Ein Deutscher, der diese Grenze anerkennt, und ein deutscher Revisionist stehen heute auf diametral entgegengesetzten Positionen.“ Nicht so sehr die politische Observanz als vielmehr die Einstellung zur Oder-Neiße-Grenze unterschieden also den guten vom schlechten Deutschen. Dem sozialistischen Bewusstsein räumte Wojciechowski dabei lediglich eine Hilfsfunktion ein. Zwiespältig fiel auch seine Kritik des polnischen Nationalismus aus. Zwar konzedierte er, im Polen der Zwischen­kriegs­zeit sei Nationalismus ebenso an der Tagesordnung gewesen wie im damaligen Deutschland. Bezeichnenderweise sah er das Problem nach 1945 aber nicht durch ein neues, sozialistisch-kosmopolitisches Bewusstsein gelöst, sondern durch ethnische Flurbereinigungen: Die Westverschiebung Polens und die Aussiedlung der Deutschen habe das Land in ethnischer Hinsicht zu einem „viel gesünderen Organismus“ gemacht.152 Natürlich wurde auch daran gedacht, das Distinguendum-est-Paradigma mit wissenschaft­lichen Schriften zu unterlegen. Zu diesem Zweck erwog Kaczmarczyk, in einem vergleichenden Doppelband die Gegensätzlichkeit der beiden deutschen Staaten herauszuarbeiten. So hoffte man, den unmissverständlichen politischen Vorgaben gerecht zu werden.153 Zustande kam letztlich aber nur eine

151 Michail Misko, [Rezension zu:] Polska-Niemcy. Dziesięć wieków zmagania in: Voprosy Istorii 5/1 (1949), S. 140–143. 152 Zygmunt Wojciechowski, Distinguendum est, in: PZ 5/2 (1949), S. 185–188. 153 Bolesław Bierut hatte, wie Kaczmarczyk betonte, auf dem dritten Plenum des ZK der PVAP

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Sondernummer des Przegląd Zachodni zur Gründung der DDR.154 Wichtiger war gewiss, dass die Autoren des Westinstituts ihr bisher gänzlich düsteres Deutschlandbild allmählich um ein paar hellere Pinselstriche ergänzten. Besonders Aleksander Rogalski beschäftigte sich im Przegląd Zachodni ab 1949 wiederholt mit positiven Traditionen im deutschen Geistesleben, die im Zeichen der re-education auch für einen „moralischen Neuanfang“ genutzt werden sollten. Auch ließ er die Bereitschaft erkennen, negative ideologische Entwicklungen aus sozioökonomischen Faktoren zu erklären.155 Wenn Wojciechowski und seine Getreuen allerdings glaubten, mit solch behutsamen Kurskorrekturen den neuen politischen Anforderungen bereits Genüge getan zu haben, so irrten sie. Der Gang nach Canossa stand ihnen noch bevor. 1950 erreichte die Posener Westforscher eine Einladung nach Breslau, wo sich eine landes­weite Historikerkonferenz mit den deutsch-polnischen Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen sollte. Die Veranstaltung war als sorgfältig koordiniertes Sammelreferat der Professoren Ewa Maleczyńska, Karol Maleczyński, Władysław Czapliński und Kazimierz Piwarski angelegt, an das sich eine inszenierte Diskussion anschloss, die weniger der Kritik als der Bestätigung der Referenten diente und um einige Selbstkritiken reumütiger Westforscher ergänzt wurde.156 Einleitend charakterisierte Stanisław Arnold die deutsch-polnische Beziehungshistoriographie als Lackmustest und pièce de résistance für die Entwicklung der polnischen Geschichtswissenschaft in ihrer Gesamtheit. An diesem Problem, so Arnold, ließen sich „am leichtesten die Rückstände alter Forschungsmethoden, einer überholten Ideologie“ veranschaulichen, die der Kritik und Analyse bedürften.157 Anschließend zeigte sich Ewa Maleczyńska zunächst ausdrücklich „stolz“ auf die Erträge der bisherigen

auf die dringende Notwendigkeit einer differenzierten Erforschung der deutschen Frage verwiesen. Z. Kaczmarczyk an die Direktion des IZ, 23. 11. 1949, APAN-P III-68/63, Bl. 49. 154 Kronika Niemiec współczesnych. Powstanie Demokratycznej Republiki Niemieckiej (Zbiór tekstów), in: PZ 6/1–2 (1950), S. 102–150. 155 Brier, Westgedanke, S. 72. Dass es sich dabei vor allem um Lippenbekenntnisse handelte, beweisen Rogalskis kritische Äußerungen zu Deutschland im nichtöffentlichen Rahmen. S. weiter oben in diesem Teilkapitel. 156 Solche Konferenzen mit Direktivcharakter waren eine typische Erscheinung der stalinistischen Wissen­schaftspolitik jener Jahre. Als wichtige Wegmarken für die polnische Geschichtswissenschaft als Ganzes gelten gemeinhin die methodologische Konferenz von Otwock 1951/1952, die den polnischen Historikern die historisch-materialistische Orthodoxie aufzwang, und der Krakauer Historikerkongress von 1958, auf dem sich die polnische Historiographie erfolgreich aus dieser Umklammerung befreite. 157 Herbert Ludat (Hg.), Polen und Deutschland. Wissenschaftliche Konferenz polnischer Historiker über die polnisch-deutschen Beziehungen in der Vergangenheit, Köln/Graz 1963, S. 28 f.

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polnischen Deutschland-Historiographie – „sogar auf jene, die unter den bürger­ lichen Voraussetzungen entstanden sind“. Inzwischen habe sich die Erbfeindschaftsthese aber in aller Deutlichkeit als irrig erwiesen und müsse ausgemerzt werden. Diese Leitvorstellung habe zwangsläufig in die Frontstellung gegen die deutsche Geschichtswissenschaft geführt, wobei man sich unter umgekehrten Vorzeichen in verhängnisvoller Weise dem Denken des Gegners angenähert habe. „[W]ährend wir die Ergebnisse zurück­wiesen, […] übernahmen wir die Art des Denkens, stellten wir dem deutschen Nationalismus den polnischen Nationalismus entgegen, dem deutschen Rassismus […] den polnischen Rassismus.“ Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs habe diese unselige Entwicklung auf die Spitze getrieben. Dies gelte etwa, wenn Karol Górski über den niedrigen Stand der polnischen Rassenkunde klage oder Zygmunt Wojciechowski auf den deutschen Drang nach Osten nun einen polnischen Marsch nach Westen wolle folgen lassen. So wichtig es gewesen sei, den urpolnischen Charakter der „wiedergewonnenen Westgebiete“ historiographisch nachzuweisen, müssten nun alle Versammelten, die Referentin eingeschlossen, „lernen, den Kampf nicht als einen Volkstums-, sondern als einen Klassenkampf zu begreifen.“158 Nur aus dieser Perspektive rückten auch Erscheinungen wie die deutsch-polnische Freundschaft im Völkerfrühling oder der gemeinsame Arbeiterkampf ins Blickfeld. Den Fluchtpunkt dieser Bemühungen müsse eine neue Gesamtdarstellung der deutsch-polnischen Beziehungen bilden, die in „enge[r] Verbindung […] mit der fortschrittlichen deutschen Wissenschaft“ entstehen müsse, mit der man inzwischen eine „gemeinsame Sprache“ teile.159 In der DDR nahm man die Konferenz mit absehbarer Genugtuung zur Kenntnis. Schon eher erstaunt, dass die geschichtspolitischen Signale aus Breslau auch in der Bundesrepublik auf positive Resonanz stießen. Unmittelbar nach dem Erscheinen der Konferenzprotokolle planten Ludat und Rhode, die der Text „geradezu sensationell“ anmutete, die unverzügliche Herausgabe einer deutschen Übersetzung, mit der sie ihren Fachkollegen den Gesinnungswandel im Nachbarland vor Augen führen wollten.160 Wenn diese Historiker nun gar zum

158 Ebd., S. 28 f., 35, 45 f. Die Rednerin hatte notabene noch kurz zuvor selbst zu den deutschlandfeindlichen Scharfmachern gehört. Unter anderem war sie Mitautorin der Altpolnischen Lande und zeitweise auch an der Vorbereitung der Ausstellung Zehn Jahrhunderte Feindschaft beteiligt. 159 Ebd., S. 52. Im Anschluss an diese Standortbestimmung wandten Karol Maleczyński, Ewa Maleczyńska und Kazimierz Piwarski diese interpretatorischen Vorgaben auf das Hochmittel­ alter, die Epoche von 1320–1454 und die Teilungsperiode sowie die Zweite Polnische Republik an. 160 Ebd., S. 24. Der Übersetzungsband, dem dieses Zitat entnommen ist, ließ allerdings über ein Jahrzehnt auf sich warten. Die polnischen Konferenzprotokolle in: Sobótka 5 (1950), S. 1–90.

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direkten Dialog mit der polnischen Geschichtswissenschaft aufriefen, so deshalb, weil sie das Aufbrechen nationalistischer Dogmen auf polnischer Seite offenbar sogar unter der – unübersehbaren – Bedingung begrüßten, dass der Wandel durch eine klassenstratifikatorische Sichtweise herbeigeführt wurde. Diese Wahrnehmung teilte auch Hermann Aubin, der 1956 erklärte: „Unter der neuen, von der UdSSR bestimmten Ausrichtung kann man in der polnischen Geschichtswissenschaft Anerkennung wenigstens der großen wirtschaftlich-sozialen Fortschritte finden, welche die deutsche Ostsiedlung den dortigen Völkern gebracht hat.“161 Damit war in der Beurteilung des sowjetischen Einflusses auf Polen eine seltsame Widersprüchlichkeit eingekehrt: Einerseits würdigte man dessen differenzierende Wirkung auf die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte ungeachtet dessen, dass sie unter spätstalinistischem Zwang zustande kam. Andererseits verfocht man weiterhin eine ausgeprägte Abendland-Ideologie, wonach es als Deutschlands Sendung erschien, Polen aus seiner bolschewistisch-asiatischen Knechtung zu befreien. Für die polnische Deutschlandhistoriographie blieb die Breslauer Konferenz Episode. Der begrenzte Anklang, den sozialstratifikatorische Sichtweisen unter polnischen Historikern gefunden haben mochten, schwand 1956 unter dem Eindruck der neu gegründeten ostdeutsch-polnischen Historikerkommission, in der die ostdeutschen Historiker unter Bezug auf die marxistische Orthodoxie eine Geschichtsklitterung betrieben, die die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg relativierte. Gleichzeitig läutete Gomułka in Polen die Rückkehr zu einem nationalkommunistischen Masternarrativ der polnischen Geschichte ein.162

161 Hermann Aubin, Die Deutschen in der Geschichte des Ostens, in: GWU 7 (1956), S. 512–545, hier S. 517. Klaus Zernack gelangte noch 1988 zu einer positiven Bewertung der Breslauer Konferenz. Klaus Zernack, Völkerbeziehungen als Problem der Geschichtswissenschaft. Methodologische Grundfragen der deutsch-polnischen Schulbucharbeit, in: Marian Drozdowski (Hg.), Między historią a teorią. Refleksje nad problematyką dziejów i wiedzy historycznej, Warszawa 1988, S. 508–515, hier S. 511. Skeptisch hingegen Jörg Hackmann, Deutschlands Osten – Polens Westen als Problem der Geschichtsschreibung. Anmerkungen zu einer vergleichenden Historiographiegeschichte, in: Matthias Weber (Hg.), Deutschlands Osten – Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde, Frankfurt a. M./Berlin/Bern 2001, S. 209–235, hier S. 228. 162 S. u., Kap. 5.

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4.2.6 Studia Occupationis In dem Maße, wie sich die größeren Zusammenhänge der deutsch-polnischen Beziehungs­geschichte in ein politisches Minenfeld verwandelten, erschien die eng begrenzte Epoche der nationalsozialistischen Besatzung vielen Historikern zunehmend als sicheres Refugium. In der Ablehnung des ‚Hitlerismus‘ waren sich Westforscher und Kommunisten einig – wenngleich auch diese Eintracht um den Preis einer Tabuisierung der sowjetischen Besatzungsherrschaft in Ostpolen erkauft werden musste.163 Die Erforschung der Naziverbrechen in Polen bildete daher einen wichtigen Schwerpunkt des Westinstituts. Von Beginn an unterhielt es eine Abteilung zur Erforschung der hitleristischen Verbrechen in Polen. Die ebenfalls geläufige Bezeichnung der Arbeitsgruppe als Abteilung für Dokumentation verweist auf die Arbeits­weise und Zielsetzung der Einheit – schon im unmittelbaren Anschluss an den Warschauer Aufstand hatte Karol Marian Pospieszalski, der die Abteilung von 1945 bis 1966 leitete, mit der Materialsammlung zu den deutschen Verbrechen begonnen, und in den folgenden Jahren wurde das Archiv der Abteilung laufend ergänzt. Den größten Posten der Sammlung stellten Volkslisten dar.164 Kaczmarczyk beschrieb die Tätigkeit der Sektion folgendermaßen: Die Abteilung für Dokumentation sichert die unter dem Blickwinkel des öffentlichen Interesses und aus Sicht zukünftiger Historiker wichtigsten deutschen Dokumente, wirbt dafür, Erinnerungen aus der Besatzungszeit niederzuschreiben und Zeitzeugenberichte zu sammeln, und leitet ihre Ergebnisse an die Warschauer Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen bzw. die Prokuratur des Sondergerichts in Posen weiter.165

Disziplinär bewegte sich die am Westinstitut betriebene Okkupationsforschung zwischen Zeitgeschichte und Rechtswissenschaften;166 aus naheliegenden

163 Dass es sich dabei aus Sicht der Forscher um einen bedeutenden Abstrich handelte, belegen die in der ersten Jahreshälfte im Umkreis der Ojczyzna geschmiedeten Pläne zur Gründung einer Kammer zur Erforschung der deutschen und sowjetischen Besatzung. Selbstredend hatte der zweite Teil der Aufgabenstellung in der Volksrepublik keine Chance auf Verwirklichung. Zbigniew Mazur, Karol Marian Pospieszalski. Badania nad okupacją niemiecką w Instytucie Zachodnim, in: PZ 65/2 (2009), S. 125–140, hier S. 126. 164 Z. Wojciechowski, Memoriał – notatka w sprawach Instytutu Zachodniego, 28. 10. 1953, AIZ 21/20, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 60, S. 133–136, hier S. 134; Z. Kacz­ marczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57. 165 Instytut Zachodni w latach 1945/6, APAN-P III-68/61, Bl. 42–45. Hier die Aussage, dass die Kommission im März 1946 gegründet wurde. 166 Pospieszalski selbst war Staatsrechtler, verstand sich aber auch als Zeithistoriker. Zu seiner tragenden Rolle für die Abteilung s. Mazur, Pospieszalksi; Lech Janicki, Karol Marian Pospie­ szalski – uczony, prawnik i badacz dziejów okupacji hitlerowskiej w Polsce, in: PZ 45/4 (1989), S. 1–21.

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Gründen waren die Studien der Abteilung zunächst vor allem juristisch ausgerichtet, mit wachsendem Abstand zu den Ereignissen dann stärker zeitgeschichtlich orientiert. Auch erweiterte sich die Forschungs­perspektive bereits einige Jahre nach Kriegsende über die deutschen Kriegsverbrechen hinaus auf das Leben und Überleben der polnischen Bevölkerung unter deutscher Besatzung.167 In den ersten Jahren ihres Bestehens arbeitete die Abteilung eng mit der Hauptkommission zur Erforschung der Deutschen Verbrechen in Polen beim polnischen Justizministerium zusam­men, der Pospieszalski und Wojciechowski auch persönlich angehörten.168 Die ersten Dokumentationen des West­ instituts dienten denn auch vor allem der Ahndung national­sozialistischer Ver­ brechen durch polnische und internationale Gerichte – unter anderen auch durch das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal.169 Im Westinstitut war man indes der Auffassung, dass die Wirkung der gesammelten Dokumente und Expertisen nicht auf die Gerichtssäle beschränkt bleiben dürfe. Aus diesem Grund begann man unverzüglich damit, die Erträge der Abteilung in zwei Reihen herauszugeben: In den Forschungen zur deutschen Besatzung in Polen wurde der völkerrechtswidrige und inhumane Charakter der deutschen Besatzungsherrschaft angeprangert, das System der Zwangsarbeit geschildert und die Plünderung der polnischen Volkswirtschaft durch die Treuhandstelle Ost untersucht.170 Darstellung fanden auch die Bemühungen der deutschen Zivilverwaltung, im Osten Polens deutsche Siedlungskolonien zu errichten.171 Thematisch eng mit den Forschungen verflochten waren die Quellenpublikationen zur deutschen Besatzungsherrschaft, die als Documenta Occupationis

167 Als Konsequenz daraus erfolgte 1949 eine Umbenennung in Abteilung für die Erforschung der hitleristischen Besatzung in Polen. Olszewski, Instytut Zachodni, S. 11. 168 Krzoska, Polen, S. 340. Einen gerafften Überblick über die Geschichte der Hauptkommission (poln. Główna Komisja Badania Zbrodni Niemieckich [nach 1949: Hitlerowskich] w Polsce, im Weiteren: GKBZN/GKBZH) bietet Maria Rutowska, Główna Komisja Badania Zbrodni Przeciwko Narodowi Polskiemu: Instytut Pamięci Narodowej, in: PZ 51/3 (1995), S. 144–150. 169 Im IZ gesammelte Materialien kamen u. a. in den Prozessen gegen Greiser, Fischer, Stricker und Mattern zum Einsatz. Z.  Kaczmarczyk, Instytut Zachodni. In Nürnberg dienten die ersten zwei Bände der Documenta Occupationis als Beweismittel. Olszewski, Instytut Zachodni, S. 29– 30. 170 Karol Marian Pospieszalski, Polska pod niemieckim prawem 1939–1945 (Ziemie Zachod­ nie), Poznań 1946; Alfons Klafkowski, Okupacja niemiecka w Polsce w świetle prawa narodów, Poznań 1946; Tadeusz Kłosiński, Polityka przemysłowa okupanta w Generalnym Gubernator­­ stwie, Poznań 1947; Władysław Rusiński, Położenie robotników polskich w czasie wojny 1939–1945 na terenie Rzeszy i „obszarów wcielonych“, 2 Bde., Poznań 1949/1955. 171 Janusz Deresiewicz, Okupacja niemiecka na ziemiach polskich włączonych do Rzeszy (1939–1945), Poznań 1950; Zbigniew Janowicz, Ustrój administracyjny ziem polskich wcielonych do Rzeszy Niemieckiej 1939–1945, Poznań 1951.

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herausgegeben wurden. Ihre starke Wirkung ergab sich aus der Unmittelbarkeit, mit der sie die Ereignisse der Besatzungszeit greifbar werden ließen. So vermittelten Augenzeugenberichte und Photographien ein erschütterndes Bild des Warschauer Aufstandes von 1944. Ein weiterer Band trug die Kriegserinnerungen polnischer Jugendlicher zusammen.172 In dieser wie in anderen Arbeiten stützte sich das Westinstitut auf umfang­reiche Zeitzeugenaussagen – ganz ähnlich der Vorgehensweise, die später bei der bundes­deutschen Dokumentation der Vertreibungen Anwendung fand.173 Weitere Bände erschienen in deutscher Originalsprache: Der Abdruck eines 1944 verfassten Memorandums zum „Polen-Problem in der Rüstungswirtschaft“ sollte belegen, dass die Deutschen nicht nur durch Mordaktionen, sondern auch durch Zwangsarbeit unter härtesten Bedingun­gen auf die Ausrottung des polnischen Volkes hingearbeitet hatten.174 1949 folgte eine Quellensammlung zur Entstehung und Anwendung der sogenannten deutschen Volkslisten, zwei weitere Bände versammelten Zeugnisse der deutschen Rechtsprechung in den eingegliederten und besetzten Gebieten.175 Wenn diese Quellen in deutscher Originalsprache wiedergegeben wurden, so geschah dies nicht zuletzt mit Blick auf die erhoffte internationale Resonanz. Der Erfolg dieser Anstrengungen zeigte sich darin, dass die Reihe in der Bundesrepublik bald als Argu­ment diente, die Arbeit an der eigenen Dokumentation der Vertreibungen zu beschleunigen.176 Ein naheliegendes Thema sparte die Okkupationsforschung des Westinstituts gänzlich aus: die Verfolgung und Vernichtung der polnischen Juden. Es wäre falsch, aus diesem Umstand allein einen Beleg für antisemitische Tendenzen zu konstruieren; vielmehr war die Holocaust-Forschung dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau vorbehalten. Freilich mag diese strikte Aufgabenteilung der polnisch-jüdischen Opferkonkurrenz Vorschub geleistet haben, die in späteren

172 Zygmunt Wojciechowski (Hg.), Zbrodnia niemieckie w Warszawie 1944 r., Poznań 1946; Zdzisław Grot/Wincenty Ostrowski (Hg.), Wspomnienia młodzieży wielkopolskiej z lat okupacji niemieckiej 1939–1945, Poznań 1946. 173 Zu deren Erhebung hatte das IZ 1946 einen Fragebogen erarbeitet, der in 5000 Exemplaren verteilt wurde. Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57. 174 Karol Marian Pospieszalski (Hg.), Memoriał pt. „Die Bedeutung des Polen-Problems für die Rüstungswirtschaft Oberschlesiens“, wydany przez Oberschlesisches Institut für Wirtschaftsforschung, Poznań 1945, hier S. 9. 175 Ders. (Hg.), Niemiecka lista narodowa w „Kraju Warty“. Wybór dokumentów, Poznań 1949; Ders. (Hg.), Hitlerowskie „prawo“ okupacyjne w Polsce. Wybór dokumentów, 2 Bde., Poznań 1952/1958. 176 Mathias Beer, Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Großforschungsprojekt „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, in: VfZG 46 (1998), S. 345–389, hier S. 361 f.

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Jahren zur Neigung führte, die polnischen auf Kosten der jüdischen Opfer­zahlen zu vermehren. Auch steht außer Frage, dass die Arbeit des Jüdischen Instituts während des Stalinismus massiv behindert wurde.177 Das gleiche Schicksal ereilte die Okkupationsforschung des Westinstituts, die in der ersten Hälfte der 1950er Jahre fast vollständig zum Erliegen kam. Erst Chruščevs Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU befreite die Forscher aus ihrer Lähmung. Nur wenige Wochen später versammelten sie sich in Warschau zu einem Arbeits­treffen, das der Besatzungsforschung neue Impulse verleihen sollte. Als Gastgeber fungierte die kurz zuvor gegründete und von Stanisław Płoski geleitete Abteilung für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs beim Historischen Institut der PAN,178 geladen waren die Hauptkommission zur Erforschung der hitleristischen Verbrechen in Polen,179 das Jüdische Historische Institut, die Historische Kommission der Streitkräfte, die Abteilung Parteigeschichte beim Zentralkomitee der PVAP, die zentrale Archivverwaltung und das Westinstitut – Letzteres repräsentiert durch Kazimierz Piwarski und Karol  M. Pospieszalski.180 Einleitend beklagte Czesław Madajczyk den Rückstand und die oft mangelhafte Qualität der polnischen Besatzungsforschung. Neue Dynamik sollte nun von drei Forschungsgruppen aus­gehen, die sich der deutschen Vernichtungspolitik, der polnischen Widerstandsbewegung und dem Kampf polnischer Streitkräfte

177 Zur expliziten Aufgabenteilung zwischen der Besatzungsforschung des IZ, der GKBZH und dem Jüdischen Historischen Institut Mazur, Pospieszalksi, hier S. 133. Eine Geschichte des Jüdischen Historischen Instituts steht noch aus; siehe derweil die knappe Darstellung von Hanna Węgrzynek, The fiftieth anniversary of the Jewish Historical Institute, in: Acta Poloniae Historica 76 (1997), S. 267–270, sowie Abraham Wein, The Jewish Historical Institute in Warsaw, in: Yad Vashem Studies on the European Jewish Catastrophe & Resistance 8 (1970), S. 203–213, und Maurycy Horn, Żydowski Instytut Historyczny w Polsce w latach 1944–1949, in: Biuletyn Żydowskiego Instytutu Historycznego 109 (1979), S. 3–15. Allgemein zur wechselvollen Geschichte der polnischen Holocaustforschung Jerzy Tomaszewski, Historiografia polska o zagładzie, in: ebd. 194 (2000), S. 155–170. 178 K. M.  Pospieszalski an die Direktion des IZ, undatiert [1956], APAN-P III-112/3/8. Geleitet wurde die Abteilung von Doz. Stanisław Płoski. K. M.  Pospieszalski in der Diskussion auf der Vollversammlung des IZ vom 15. 10. 1957, APAN-P III-112/3/8. Im Krieg hatte Płoski bei der Komenda Głowna der Heimatarmee das Historische Büro geleitet. Nach dem Krieg übernahm er die Leitung des Instituts für Nationales Erinnern. 179 Man beachte die aus Rücksicht auf die DDR erfolgte Akzentverschiebung von den deutschen auf die hitleristischen Verbrechen, die ihren nomenklatorischen Niederschlag in der Benennung der Kommission fand. 180 Sprawozdanie z konferencji poświęconej badaniu dziejów okupacji hitlerowskiej w Polsce, odbytej w dn. 20. 3. 1956 w instytucie Historii Polskiej Akademii Nauk w Warszawie, 23. 3. 1956, APAN-P III-112/12.

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gegen den Hitlerismus annehmen sollten. Ihnen sollten zwei weitere folgen, von denen eine die Politik der Londoner Exilregierung, die andere die „Beziehung der Hitleristen zu den besitzenden polnischen Klassen und deren Beziehung zum Okkupanten (Kollaboration)“ untersuchen sollte. Ins Auge fällt hier die zaghafte Annäherung an das Thema Kollaboration, das bereits a priori auf die „besitzenden Klassen“ eingeschränkt wurde. Bedenken gegen die geplante Erforschung der Widerstandsbewegung erhob ein Genosse Poterański von der Abteilung für Parteigeschichte. Er glaubte befürchten zu müssen, dass der Kampf der „linken Bewegungen“ dabei zu wenig Berücksichtigung finden könnte, da es hierzu bis zur Gründung der Partei im Jahre 1942 kaum Material gebe. Damit ließ er bereits durchblicken, weshalb die Partei die Okkupationsforschung bisher behindert hatte und ihr auch in Zukunft immer wieder Steine in den Weg legen sollte: Jede quellennahe Beschäftigung mit den Besatzungsjahren musste die Propagandabehauptung von der führenden Rolle des kommunistischen Widerstands Lügen strafen und früher oder später den bürgerlichen Widerstand in den Blick rücken. Es schien der PVAP daher oft opportuner, entsprechende Forschungen gleich von vornherein zu unterbinden.181 Einschlägige Erfahrungen mit dieser Praxis hatte Edmund Osmańczyk gesammelt, der in seinem Diskussionsbeitrag ostentatives Interesse für die Heimatarmee – also den bürgerlich-konservativen Flügel des Widerstands – bekundete. Auch Oberst Tuszyński vom Historischen Büro der Streitkräfte wies auf die „damalige Atmosphäre“ hin, die solchen Forschungen nicht zuträglich gewesen sei und weiterhin nachwirke. So weigerten sich ehemalige Kämpfer der BauernBataillone aus Angst vor Repressionen immer noch, ihre Kriegserinnerungen niederzuschreiben. Es verdient Beachtung, dass sich Tuszyński als Vertreter der Streitkräfte hier auf die Seite der „Aufklärer“ stellte und damit gegen die Vertuschungsstrategie der Partei wandte. Bedenkt man, dass sich die Kommission auch den Einsatz regulärer polnischer Militärformationen gegen den Nationalsozialismus zum Thema machte, so entsteht das Bild einer Armee, die sich eher der nationalen als der sozialistischen Tradition verpflichtet sah. Auch Janusz Gumkowski von der Hauptkommission zur Erforschung der hitleristischen Verbrechen in Polen beklagte die jahrelange Behinderung der Besatzungsforschung durch offizielle Stellen:

181 So beschränkte sich das IZ noch Mitte der Sechzigerjahre vorwiegend auf die „Handlungen der Besatzer selbst“, während der Widerstand gegen den NS in seinen Forschungen „nur am Rande“ Beachtung fand. Michał Sczaniecki, Direktor des IZ, an den Lehrstuhl für Geschichte der UdSSR, Zentral- und Südost-Europas der Universität Brünn, 18. 5. 1964, AIZ 35/2.

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Die Hauptkommission habe Auszüge aus Franks Tagebuch zur Widerstandsbewegung editiert. Die Publikation dieser Auszüge stoße noch immer auf Schwierigkeiten. Die Hauptkommission plane, gemeinsam mit dem Jüdischen Historischen Institut eine Dokumentensammlung zur Extermination herauszugeben. Viel Material habe das vormalige Ministerium für Öffentliche Sicherheit eingezogen. Der Hauptkommission sei es nicht gelungen, sich Zugang zu diesen Dokumenten zu verschaffen.182

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die stalinistischen Herrschaftsmethoden, dass das Justizministerium, dem die Hauptkommission ja angehörte, sich jahrelang in keiner Weise gegen die Zumutungen der Staatssicherheit hatte zur Wehr setzen können. Ähnliches wusste Stanisław Płoski über seine Zeit als Direktor des Instituts für Nationales Erinnern183 zu berichten: Dieses Institut besaß einen Teil des Archivs der Delegatur (Delegatura Krajowa) der Londoner Regierung. Dieses Archiv wurde vom Sicherheitsministerium ausgeliehen und nicht mehr zurück­gegeben. Im Institut wurde eine Bibliographie der Untergrundpresse erarbeitet. Diese Bibliographie befindet sich heute bei der Abteilung für Parteigeschichte, die die Archivalien des Instituts für Nationales Erinnern beim Präsidium des Ministerrats übernommen hat. […] Im Institut für Nationales Erinnern existierte auch […] eine Chronik des Warschauer Aufstandes, die ungefähr 800  Seiten umfasste. Diese Materialien hat [jetzt] ebenfalls die Abteilung für Parteigeschichte. Ihm ist bekannt, dass ein großes Archiv zu den Bauern-Bataillonen existierte. Nach den ersten Verhaftungen in den Reihen der Bauern-Bataillone sei dieses Archiv verschwunden. Er fürchte, es sei vernichtet worden.

Begleitet von wachsender Empörung der Beteiligten – das Protokoll vermerkt „Unruhe im Saal“ – entstand so Stück für Stück das Bild einer Staatsmacht, die ihre Sicherheitsdienste dazu genutzt hatte, systematisch Quellen zur Besatzungszeit aus dem Verkehr zu ziehen oder gänzlich zu vernichten. Angesichts solcher Zustände und mit offensichtlichem Vertrauen in die gewandelten politischen Verhältnisse forderte Henryk Altman, Direktor der Zentralen Archivverwaltung, die Versammelten dazu auf, vom Sicherheitsministerium gemeinsam die Herausgabe der eingezogenen Akten zu verlangen.184 Ein propagandistisches Moment berührte schließlich Pospieszalski, der darauf hinwies, dass Polen international als Opfer der nationalsozialistischen

182 Sprawozdanie z konferencji […], 23. 3. 1956. 183 Das Institut war bereits 1944 in Lublin gegründet worden, um die Geschichte des Weltkriegs zu erforschen. Weil es aus Sicht der Partei „einseitig“ arbeitete und sich der Parteilinie nicht fügen wollte, wurde es 1949 aufgelöst. Rafał Stobiecki, Historia pod nadzorem. Spory o nowy model historii w Polsce (II połowa lat czterdziestych – początek lat pięćdziesiątych), Łódź 1993, S. 105 f. 184 Sprawozdanie z konferencji […], 23. 3. 1956.

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Verbrechen nicht angemessen wahrgenommen werde. Das Fehlen entsprechender polnischer Studien habe „Lidice“ und „Oradour“ international zum Synonym für Massenexekutionen und Pazifizierungsaktionen der Deutschen werden lassen, obgleich in Polen solche Verbrechen in weitaus größerem Maß­stab stattgefunden hätten.185 Wenn man bedenkt, dass die erlittenen Kriegsleiden bei der Begründung der polnischen Wiedergutmachungsansprüche, insbesondere des Anspruchs auf die Oder-Neiße-Grenze, eine durchaus prominente Rolle spielten, wird umso deutlicher, wie hoch die Partei den möglichen Ansehensverlust veranschlagte, der aus einer eingehenden Erforschung der Besatzungszeit für die kommunistische Bewegung zu erwachsen drohte. Partei-Interessen hatten auch in diesem Fall Vorrang vor nationalen Interessen, und dieser Umstand steigerte die Verbitterung der versammelten Forscher noch.186 Abschließend sprach sich die Mehrheit der Anwesenden dafür aus, Hans Franks Tagebuch im vollen Umfang von ca. 11  000  Seiten herauszugeben, am besten in deutscher Originalsprache. Dieses Ziel erwies sich rasch als zu ehrgeizig, immerhin erschienen aber noch im selben Jahr erste Auszüge in polnischer Übersetzung.187 Kennzeichnend für die andauernde Wankelmütigkeit der Machthaber ist der Umstand, dass die Veröffentlichung weiterer Aus­züge bis 1970 auf sich warten ließ, obschon beide Teile als aufeinanderfolgende Bände einer eigens geschaffenen Reihe ausgewiesen wurden.188 Erst zu diesem Zeitpunkt erschien auch Płoskis Studie zur Darstellung der Besatzungsherrschaft in Franks Tagebuch.189 Von den neuerlichen Verzögerungen, die ihnen bevorstanden, ahnten die tatendurstigen Forscher 1956 freilich noch nichts. Bereits im April trat die Kommission ein weiteres Mal zusammen, um die geplanten Forschungsgruppen in Gang zu bringen und die entsprechenden Zuständigkeiten zu klären. Dabei wurde schnell klar, dass die Machteliten des Landes keines­falls daran dachten, die Besatzungsforschung ausschließlich den Historikern zu überlassen: Unübersehbar machten staatliche Organe in allen Forschungsgruppen ihren Einfluss geltend – allen voran die Partei, nach ihr die Streitkräfte, das Justiz- und das

185 K. M.  Pospieszalski, Problemy dla specjalnych badań w zakresie dziejów okupacji hitlerowskiej. Głos w dyskusji 20.3.56, niedergeschrieben am 19. 3. 1956, APAN III-112/3/8. 186 Sprawozdanie z konferencji […], 23. 3. 1956. 187 Stanisław Piotrowski (Hg.), Dziennik Hansa Franka, Warszawa 1956. Auch verfasste Piotrowski auf der Grundlage des Tagebuchs eine Darstellung in englischer und deutscher Sprache. Ders., Hans Frank’s diary, Warszawa 1961; Ders., Hans Franks Tagebuch, Warschau 1963. 188 Die Reihe war betitelt als: „Polnische Fragen vor dem Internationalen Kriegsverbrecher­ tribunal in Nürnberg“. Stanisław Piotrowski (Hg.), Dziennik Hansa Franka i dowody polskie prze­ ciwko SS, Warszawa 1970. 189 S. Płoski (Hg.), Okupacja i ruch oporu w dzienniku Hansa Franka 1939–1945, 2 Bde., War­ szawa 1970–1972.

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Außenministerium.190 Im offensichtlichen Bestreben, die Kontrolle zurückzugewinnen, bemühte sich die Partei auch bald wieder, den Stellenwert der Okkupationsforschung nach ihren Vorstellungen zu be­messen. Noch 1956 wurde in der PAN die Weisung ausgegeben, dass „die Besatzungsthematik in Zukunft nur eine instrumentelle Funktion gegenüber der BRD-Thematik erfüllen wird.“191 Damit wurde der Okkupationsforschung die wenig ehrenhafte Rolle einer Zuträgerin für die Diffamierungskampagne des sozialistischen Lagers gegenüber der Bundesrepublik zugedacht. Es lag in der Logik der fortschreitenden Gleichschaltung, dass dem notorisch schwer kontrollierbaren Westinstitut wenig später aus Warschau geheißen wurde, seine Abteilung zur Erforschung der hitleristischen Okkupation aufzulösen. Dass Pospieszalski sich als Leiter der Abteilung katholischer und prowestlicher Neigungen verdächtig gemacht hatte, dürfte die Entscheidung begünstigt haben. Damit wurde eines der produktivsten Zentren der Besatzungsforschung aufgegeben.192 In Vorfällen wie diesem manifestierte sich eine trügerische Doppeltendenz jener Jahre, die darauf hinauslief, Tabus der Forschung und Darstellung zwar einerseits zu lockern, sie andererseits aber politisch verlässlichen, „progressiven“ Historikern in die Hände zu geben. Ähnlich erging es dem Westinstitut als Ganzem, wie noch zu zeigen ist. Nicht nur im Westinstitut, sondern landesweit blieb die Besatzungsforschung in den fol­genden Jahren hinter ihren Möglichkeiten zurück.193 Erst 1963 erreichte die Wissenschaftler aus den Schaltstellen der Macht, die ihre Arbeit üblicher-

190 Die politisch heikle Erforschung des polnischen Widerstandes sollte der Abteilung für Parteigeschichte unterstellt werden, dem Historischen Institut der PAN nur eine Zuträgerrolle zukommen. Mit der Erforschung der regulären polnischen Militärformationen im Krieg wurde die Historische Kommission der Streit­kräfte betraut. Die NS-Vernichtungspolitik sollten die GKBZH, das IZ und das Jüdische Historische Institut gemeinsam erforschen. Dem Historischen Institut der PAN, dem Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (Poln. Polski Institut Spraw Międzynarodowych, PISM) und der Hauptschule des Auswärtigen Dienstes oblag die Erforschung der internationalen Politik während des Krieges unter besonderer Berücksichtigung Polens; einen Arbeitsschwerpunkt sollten Grenzfragen bilden. Schließlich wurde eine Arbeits­ gruppe zur Erforschung der sozio­ökonomischen Problematik Polens während des Zweiten Weltkriegs begründet – von Kollaboration war nicht mehr offen die Rede –, deren Ressortierung vorderhand offen blieb. Protokół z zebrania Komisji Badań nad dziejami narodu polskiego w okresie II wojny światowej z dnia 10.IV.1956, APAN-P III-112/3/8. 191 K. M. Pospieszalski an die Direktion des IZ, undatiert [1956], APAN-P III-112/3/8. 192 Noch im März desselben Jahres hatte eine Auswertung im Auftrag der PAN gezeigt, dass das IZ von allen polnischen Instituten am meisten zur Okkupation publiziert hatte. K. M. Pospieszalski in der Diskussion auf der Vollversammlung des IZ vom 15. 10. 1957, APAN-P III-112/3/8. 193 Einen Überblick über den Fortgang der Forschungen vermittelt das periodische Bulletin der GKBZH.

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weise bremsten, ein neuer Aufruf zu beschleunigter Arbeit. Nun drängte der Wissenschaftsausschuss beim ZK der PVAP darauf, unverzüglich die „kriminellen Aktivitäten der Hitlerverbrecher“ zu durchleuchten.194 Anlass für die plötzliche Eile war die heranrückende Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen in der Bundesrepublik, die für das Jahr 1965 bevorstand;195 aufrüttelnd dürfte auch der Beginn der Frankfurter Auschwitzprozesse gewirkt haben. Die Leitung der gesellschaftswissenschaftlichen Abteilung der Akademie forderte daraufhin die Akademiehistoriker, das Westinstitut und andere Einrichtungen auf, die Besatzungsthematik in ihren Forschungsplänen stärker zu gewichten. Gemeinsam mit der GKBZH lud sie die einschlägigen Institute im November 1963 zu einer Konferenz, die sich „mit der Verwendung der vorhandenen wissenschaftlichen Materialien in allfälligen Prozessen gegen die hitleristischen Verbrecher und für Propagandazwecke gegen die herrschenden Kreise in der BRD“ beschäftigten sollte.196 Einmal mehr stand also die anti-imperialistische Meinungsmache ganz oben auf der Prioritätenliste. Auf der Konferenz rügten Staats- und Parteifunktionäre die bisherige Arbeit der Besatzungsforscher. Diese hätten sich zu stark auf die Opfer konzentriert, anstatt „die Täter fest[zu] stellen und Beweise für ihre Schuld [zu] sammeln.“ Es sei deshalb nötig, neue Forschungen in diese Richtung zu lenken.197 Dem stand freilich der desolate Zustand des Quellenmaterials entgegen, dessen Sichtung und Ordnung folglich Vorrang eingeräumt wurde.198 Oberste Priorität sollte sodann die Popularisierung der erwarteten Forschungserträge genießen – vorzugsweise in westlichen Fremdsprachen, wobei man insbesondere „die Demaskierung ehemaliger Hitleristen“ im öffentlichen Leben der Bundesrepublik vorantreiben wollte.199 Damit folgte man einem Wunsch der ostdeutschen Regierung,200 die kurz zuvor mit einer Parteidelegation in Warschau vorstellig geworden war und sich überzeugt gezeigt hatte, dass eine solche Kampagne den bundesdeutschen Regierungsapparat und

194 Tadeusz Cieślak an Henryk Jabłoński, wiss. Sekretär der PAN, 6. 12. 1963, APAN-W II73/367/36/181. 195 T. Cieślak an das Historische Büro der Streitkräfte, 21. 11. 1963, APAN-W II-73/367/36/181. 196 T. Cieślak an H. Jabłoński, 6. 12. 1963; ebenso T. Cieślak an das Historische Büro der Streitkräfte, 21. 11. 1963, APAN-W II-73/367/36/181. 197 Notatka z konferencji w sprawie przyśpieszenia badań dot. zbrodni hitlerowskich, odbytej 19.XI.63 r. w Wydziale I PAN, 19. 11. 1963, APAN-W II-73/367/36/181. 198 Auch sollte weiteres Quellenmaterial aus der UdSSR beschafft werden. T. Ciesłak an Henryk Jabłoński, APAN-W II-73/367/36/181. 199 Notatka z konferencji w sprawie przyśpieszenia badań […]. 200 T. Cieślak an die Abt. Wissenschaft und Bildung beim ZK der PVAP, 21. 11. 1963, APAN-W II73/367/36/181.

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die bürgerlichen Parteien empfindlich treffen und die Bundesrepublik in der internationalen Öffentlichkeit diskreditieren würde, während die DDR dadurch in vorteilhaftem Licht erschiene.201 Die polnische Seite hielt fest, dass die ostdeutschen Vorschläge „mit unseren Bemühungen zur Bekämpfung des Militaris­mus und Revisionismus [in der BRD] konvergieren.“202 Aus den Erörterungen wurde der Schluss gezogen, die Hauptkommission zur Erforschung der Hitleristischen Verbrechen in Polen kurzfristig beträchtlich aufzustocken. Damit kam die Intensivierung der Besatzungsforschung indes erneut einer staatlichen Instanz zugute, was von den wissenschaftlichen Forschungsinstituten entsprechend kritisiert wurde. Michał Sczaniecki ließ als Direktor des Westinstituts mit erkennbarem Unwillen durchblicken, der Hauptkommission habe es auch bisher nicht an Mitteln, wohl aber am politischen Willen zur beherzten Aufarbeitung des Themas gefehlt.203 Daraufhin wurden auch den übrigen Instituten zusätzliche Mittel in Aussicht gestellt, die aber ausblieben.204 Gemindert wurde die Last der Aufgabe durch die Arbeitsteilung im sozialistischen Lager. Besonders rege zeigte sich aus naheliegenden Gründen die DDR; das von ihr veröffentlichte Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik205 erfüllte auch das polnische Desiderat nach einer „Reihe mit Biographien der hitleristischen Verbrecher“.206 Im Ausgang des Frankfurter Auschwitzprozesses, der mit gewichtigen Schuldsprüchen endete, erblickten die polnischen Besatzungsforscher nicht zuletzt einen Erfolg ihrer eigenen Dokumentationsarbeit. Gleichzeitig wurde darin die Bereitschaft der bundesdeutschen Politik und Justiz greifbar, die Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen endlich auch selbst entschiedener voranzutreiben. 1965 nahm der Beschluss des Deutschen Bundestages, die Verjäh-

201 Notiz zu einer Besprechung von Angehörigen der Zentralkomitees von PVAP und SED am 9.–10. 4. 1963 in Warschau, als Anlage zu: Z. Wróblewski, Leiter der Abt. Wissenschaft und Bildung beim ZK der PVAP, an Stefan Żółkiewski, 7. 6. 1963, APAN-W II-73/367/36/181. Eingedenk der bereits erzielten Erfolge in den „Angelegen­heiten Oberländer, Hering, Kolb, Schiedmeier“ müsse man künftig noch enger zusammenarbeiten. Ebd. 202 Ebd. 203 M. Sczaniecki an den Sekretär der Abteilung I der PAN, 28. 6. 1963, APAN-W II-73/367/36/181. 204 Eine Kontrollbesprechung im Jahr 1964 zeigte, dass weder das IZ noch das Schlesische oder das Jüdische Historische Institut ihre Forschungen zur Besatzungszeit ausgeweitet hatten, da die versprochenen Mittel ausgeblieben waren. Notatka z konferencji w sprawie przyśpieszenia badań […]. 205 Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.), Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft, Berlin Ost 1965. 206 Notatka z konferencji w sprawie przyśpieszenia badań […].

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rungsfrist für die nationalsozialistischen Verbrechen zu verlängern und teilweise ganz aufzuheben, der polnischen Enthüllungskampagne etwas von ihrer Dringlichkeit. Nur wenige Jahre später schuf schließlich die politische Verständigung zwischen Westdeutschland und Polen ein Klima, in dem eine Diffamierung der Bundesrepublik ihren propagandistischen Nutzen weitgehend einbüßte. Das schmälerte zwar in keiner Weise die geschichts­wissenschaftliche und moralische Wünschbarkeit weiterer Forschungen, nahm der Arbeit aber ihren kampagnenhaften Charakter. Es ist daher wohl nicht falsch, ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre von einer Normalisierung der polnischen Okkupationsforschung zu sprechen, die offensichtlich mit einer Lockerung politischer Kontrollen einherging. Unter diesen Umständen konnte das Westinstitut seine Arbeit zur Besatzungsthematik wieder aufnehmen und die Erträge seiner Forschungen in steter Folge in den Documenta Occupationis sowie den Forschungen zur deutschen Besatzung in Polen veröffentlichen.207

207 Es erschienen in der Reihe Documenta Occupationis u. a.: Karol Marian Pospieszalski (Hg.), Sprawa 58 000 „Volksdeutschów“. Sprostowanie hitlerowskich oszczerstw w sprawie strat niemieckiej mniejszości w Polsce w ostatnich miesiącach przed wybuchem wojny i w toku kampanii wrześniowej, Poznań 1959 (und eine 2. Aufl. in derselben Reihe 1981); Czesław Łuczak (Hg.), Wysiedlenia ludności polskiej na tzw. ziemiach wcielonych do Rzeszy 1939–1945, Poznań 1969; Ders. (Hg.), Położenie polskich robotników przymusowych w Rzeszy 1939–1945, Poznań 1975; Alfred Konieczny/Herbert Szurgacz, Praca przymusowa Polaków pod panowaniem hitlerowskim 1939–1945. Wybór źródeł i opracowanie, Poznań 1976; Wacław Długoborski, Położenie ludności w rejencji Katowickiej w latach 1939–1945. Wybór źródeł i opracowanie, Poznań 1983; Eugeniusz Kozłowski/Piotr Matusak, Eksploatacja siły roboczej i grabież ziem polskich przez Wehrmacht w końcowym okresie II wojny światowej. Wybór źródeł i opracowanie, Poznań 1986; Czesław Łuczak, Położenie ludności polskiej w tzw. Kraju Warty w okresie hitlerowskiej okupacji. Wybór źródeł i opracowanie, Poznań 1990. In den Besatzungsstudien wurden publiziert: Jan Pietrzykowski, Hitlerowcy w Częstochowie w latach 1939–1945, Poznań 1959; Edward Serwański, Obóz jeniecki w Ostrzeszowie 1939–1945, Poznań 1960; Kowalenko, Uniwersytet; Stanisław Nawroc­ ki, Hitlerowska okupacja Wielkopolski w okresie zarządu wojskowego (wrzesień–październik 1939 r.), Poznań 1966; Włodzimierz Jastrzębski, Hitlerowskie wysiedlenia z ziem polskich wcielonych do Rzeszy 1939–1945, Poznań 1968; Jan Sziling, Polityka okupanta hitlerowskiego wobec Kościoła katolickiego 1939–1945, Poznań 1970; Stanisław Nawrocki, Policja hitlerowska w tzw. Kraju Warty w latach 1939–1945, Poznań 1970; Barbara Bojarska, Eksterminacja inteligencji polskiej na Pomorzu Gdańskim (wrzesień–grudzień 1939), Poznań 1972; Marian Walczak, Na­ uczyciele Wielkopolscy w latach wojny i okupacji (1939–1945), Poznań 1974; Jerzy Marczewski, Hitlerowska koncepcja polityki kolonizacyjno-wysiedleńczej i jej realizacja w „Okręgu Warty“, Poznań 1979.

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4.2.7 Polen und Slawen, Germanen und Deutsche Das Motiv der deutsch-polnischen Erbfeindschaft verband sich in der Propaganda des West­instituts von Anfang an kontrapunktisch mit dem Bild von der slawischen Solidarität. Auf Wojciechowskis programmatischen Artikel zur polnischrussischen Waffenbrüderschaft gegen den Deutschen Orden bei Tannenberg und die darin vorgenommenen Aktualisierungen sind wir bereits eingegangen.208 Solche Leitartikel konnten allerdings nicht verbergen, dass die Westforschung bis 1945 ausgesprochen polonozentrisch gearbeitet und wenig zur Herleitung eines gesamtslawischen Gemeinschaftsgefühls beigetragen hatte. Es entsprach dem Zeitgeist, dass solche Gemeinsamkeiten nun in der Frühgeschichte gesucht wurden.209 Dafür war einerseits der Umstand verantwortlich, dass die neuere Geschichte aus polnischer, tschechischer und russischer Sicht stärker von Gegensätzen als von Gemein­samkeiten geprägt war. Zum anderen hatte der moderne Nationalismus, und insbesondere die Auseinandersetzung mit dem rassistischen nationalsozialistischen Weltbild, einer ethnischen Betrachtungsweise auch in den osteuropäischen Wissenschaftskulturen Vorschub geleistet – eine Entwicklung, die nicht nur den Untergang des Dritten Reichs überdauerte, sondern im staatssozialistischen Kontext noch intensiviert wurde. Der Anstoß dazu kam aus der UdSSR. Dort hatte sich die ‚Slawenkunde‘ [Slavjanovedenie], die zuvor einer traditionellen sprach- und literaturwissenschaftlichen Slawistik glich, unter dem Eindruck des Krieges und der Ausweitung des sowjetischen Herrschaftsgebiets auf die westslawischen Völker zu einer Wissenschaft gewandelt, die panslawische Ansprüche mit ethno-historischen Paradigmen zu unterlegen suchte.210 Leitmotiv war die Überlegenheit der Slawen gegenüber den Germanen. Unter diesen Umständen schien es auch den Posenern geraten, den Blick von der deutsch-polnischen auf die slawisch-germanische Auseinandersetzung auszuweiten. Bereits 1948 war diese Perspektive im Statut des Westinstituts verankert

208 S. o., Kap 4.2.1. 209 Bezeichnend ist im Umkehrschluss, dass die kulturräumlichen Argumente, die sich in der Zwischenkriegszeit um den Osteuropa-Begriff gerankt hatten, nicht wieder aufgenommen wurden. S. o., S. 71. 210 V. D. Koroljuk, Slavjanovedenie, in: Bol’šaja Sovetskaja Enciklopedija, 30 Bde., Moskva 1970–1978, online unter (20. 5. 2015). Zu diesen Fragen arbeiteten in der Sowjet­union Forscher wie B. A.  Rybakov, P. N.  Tret’jakov, Ju.  V.  Bromlej, V. D. Koroljuk und I. B. Grekov. Diese Ausrichtung dominierte bis in die Sechzigerjahre, danach trat allmählich eine stärker politik- und kulturgeschichtlich akzentuierte Betrachtungsweise in den Vordergrund.

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worden;211 entsprechend wandte sich das Institut seit 1949 verstärkt der slawischen und „insbesondere der west-slawischen Thematik“ zu. Damit wurde ein Interessenkreis wieder aufgenommen, den das von Józef Kostrzewski gegründete Westslawische Institut an der Universität Posen bereits in der Zwischenkriegszeit verfolgt hatte. Zum Zwecke der wissenschaftlichen Abwehr beschäftigte man sich insbesondere „mit der Präsenz germanischer Stämme auf den später polnischen Gebieten in den ersten Jahrhunderten unserer Ära“.212 Die Voraussetzungen dafür waren gegeben, verfügte die Westforschung doch über einen starken prähistorischen Zweig, den am prominentesten Tadeusz Lehr-Spławiński und Józef Kostrzewski verkörperten. Zum wichtigsten Projekt avancierte 1950 das Lexikon der Slawischen Altertümer,213 das an ein unvollendetes Unterfangen aus der Zwischenkriegszeit anknüpfte. Aus der Vorgeschichte arbeitete man sich langsam in neuere Epochen vor. 1951 plante das Westinstitut einen Band zur Geschichte der slawisch-germanischen Konfrontation, der vom ersten Jahrhundert bis ins Hochmittelalter führen sollte.214 Dazu wollte man auch sowjetische und tschechische Autoren beiziehen.215 Einer gesamtslawischen Sichtweise war anfangs der Umstand abträglich, dass gerade die pol­nischen Urslawentheorien – insbesondere jene von LehrSpławiński – ausgesprochen polono­zentrisch ausgerichtet waren. Schlesinger bemerkte noch in den Sechzigerjahren, „dass die polnische Urslawentheorie in gewisser Weise auch gegen die anderen slawischen Völker gerichtet ist; jedenfalls erscheinen ihr die Polen als die echten und eigentlichen Slawen.“216 In Anbetracht dieser Akzentuierung stiftete die Slawenthematik in ihrer prähistorischen Spielart zunächst mehr Zwie- als Eintracht. Bereits 1948 war Lehr-Spławiński zur Zielscheibe sowjetischer Kritik und damit zum Risiko für das Institut geworden, weil seine Thesen von der polnischen Urheimat der Slawen sowjetischen

211 Punkt III.1 im Statut Instytutu Zachodniego, 1948, APAN-W III-81/194, Bl. 1 f. Die Hinwendung zur Slawen- und Germanenforschung unterstreicht auch Hackmann, Strukturen, S. 248 f. 212 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 48, S. 111–113. 213 Poln. Słownik Starożytności Słowiańskich. Dazu ebd., Nr.  48, S.  111–113, sowie Krzoska, Polen, S. 342. 214 Vordruck: Z. Wojciechowski, IZ, an Prof. [Name fehlt], 25. 7. 1951, APAN-W III-192/45, teczka Instytut Zachodni 1947–50, Bl. 28. 215 Darunter aus der Sowjetunion den Prähistoriker Artamov, der laut Wojciechowski ähnliche Ansichten vertrat wie Lehr, sowie den Historiker Grekov. Z. Wojciechowski an Min. [Name fehlt], 12. 5. 1950, AIZ 22/3. 216 Schlesinger, Ostbewegung, S. 453. Von dieser Akzentuierung war die polnische Forschung auch unter Druck kaum abzubringen. Noch 1960 vertrat Witold Hensel die Auffassung, wonach die Ur­slawen seit dem 13. Jh. v. Chr. ein Gebiet vom Dnjepr bis westlich der Oder bewohnt hätten und die direkten „Vorfahren“ der Polen seien. Ebd.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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Auffassungen widersprachen.217 Wojciechowski musste sich auf höchster politischer Ebene um Schadensbegrenzung bemühen.218 Es ist aufschlussreich, dass Wojciechowski 1951/1952, als das Westinstitut unter massivem Druck der stalinistischen Wissenschaftspolitik stand, ausgerechnet die Slawenthematik als Aktivum betrachtete, mit dem er seiner Einrichtung das Überleben sichern wollte. Das Westinstitut, so sein Vorschlag ans Zentralkomitee der PVAP, könne als slawenkundliches Institut in die neu zu gründende Polnische Akademie der Wissenschaften eingehen.219 Dazu kam es nicht, weil die PAN 1954 ein eigenes Institut für Slawenkunde gründete, an dem das Westinstitut nicht beteiligt war.220 Vielmehr musste es der neuen Einrichtung das Lexikon der Slawischen Alter­tümer abtreten,221 womit die Posener offiziell die Zuständigkeit für die politisch so bedeutsame Slawenkunde verloren.222 Außer Frage steht, dass die Beschäftigung mit den gemeinsamen Anfängen des Slawentums perspektivisch auf spätere Epochen abzielte und gewissermaßen dazu dienen sollte, die Politikgeschichte von den Anfängen her unter dem Vorzeichen ethnischer und kultureller Zusammengehörigkeit neu aufzurollen. Wie eine solche panslawische Geschichte für das Mittelalter aussehen konnte, hatte Wojciechowski bereits im Tannenberg-Artikel knapp umrissen; gegen Ende der Vierzigerjahre ließ er weitere Versatz­stücke einer solchen Sichtweise folgen. So bot er einem sowjetischen Gelehrten 1949 demonstrativ Schützenhilfe, als dieser in Paris über die „staatsbildenden Fähigkeiten“ der Slawen referierte. Er selbst

217 Elizabeth Valkenier, Soviet impact on Polish post-war historiography 1946–1950, in: Journal of Central European Affairs 11 (1951/1952), S. 372–396, hier S. 378. 218 Premier Cyrankiewicz ließ er wissen, Lehr-Spławiński und Kostrzewski stünden inzwischen im produktiven Austausch mit ihren sowjetischen Fachkollegen. Z. Wojciechowski an Premier Cyrankiewicz, 2. 10. 1948 und 24. 12. 1949, AIZ 22/2 und 22/3. 219 Z. Wojciechowski, 22. 5. 1951, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 2–6, sowie erneut Ders., Notatka w sprawie Instytutu Zachodniego, 18. 5. 1952, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 41–43. Diesmal hoffte er gar, aus der Konkursmasse des IZ nicht nur ein slawenkundliches, sondern auch ein historisches Institut in die neue Akademie einzubringen. 220 Die neue Einrichtung wurde mit einer Abteilung für Frühgeschichte des Slawentums ausgestattet, worin die ethnohistorische Neuausrichtung der Slawenkunde deutlich zum Ausdruck kam. Dass das neugeschaffene Institut 1957 auch vormalige Arbeitsfelder des Polnisch-Sowjetischen Instituts übertragen bekam, unterstrich noch zusätzlich die panslawisch-identitätsstiftende Aufgabe der Slawenkunde. Grzesik, Pięćdziesięciolecie. 221 Dort wurde das Nachschlagewerk zwischen 1961 und 1996 publiziert. Ebd., S. 75. 222 Allerdings verblieb die Redaktion des Lexikons in Posen, wodurch eine informelle Mitarbeit des IZ weiterhin möglich war. Eine formale Bilanz der umfangreichen slawenkundlichen For­ schungen des IZ zog 1954 Tadeusz Lehr-Spławiński, Słowianoznawstwo w pracach i wydaw­ nictwach Instytutu Zachodniego w latach 1945–1954, in: PZ 11/3–4 (1955), S. 551–560.

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habe, so Wojciechowski, bereits vor dem Krieg in vorderster Reihe gegen den Hitlerismus gekämpft, der seinen Angriff auf Osteuropa ja bekanntlich mit der Behauptung vorbereitet habe, den Slawen fehle die Fähigkeit zur Staatsbildung, weshalb die Begründung des polnischen ebenso wie des russischen Staates den Normannen zuzu­schreiben sei. Dabei wisse man doch, so Wojciechowski, dass diese Wikinger als gemeine Räuber in andere Länder eingefallen seien, weshalb ihre Züge in den slawischen Raum höchstens davon zeugen könnten, dass dort eine reich entwickelte Kultur existierte, die zu plündern sich lohnte.223 Mit solchen Worten, wie grobschlächtig sie auch daherkommen mochten, bewies Wojciechowski seinem sowjetischen Kollegen, dass er den panslawischen Solidaritätsgedanken verinnerlicht hatte und bereit war, die gemeinsamen Interessen der slawischen Historiographie gegen deutsche Zumutungen zu verteidigen. Pflichtbewusst begann Wojciechowski damals auch, sich in die sowjetische Literatur einzulesen.224 Seine Annäherungsversuche wurden erwidert. Bereits 1948 hatten zwei prominente sowjetische Historiker Polen bereist und dabei auch dem Westinstitut einen Besuch abgestattet.225 Auf Augenhöhe verkehrte man freilich nicht. Vielmehr ließ die sowjetische Seite unmissverständlich durchblicken, dass die polnische Historiographie sich den sowjetischen Auffassungen unterzuordnen habe – selbst in Fragen der polnischen Nationalgeschichte.226 Fraglos hatte sich die gesamtslawische Solidarität um einen russischen Primus inter Pares zu gruppieren. Der Anziehungskraft des Solidaritätsparadigmas in Polen war das wenig förderlich. Der neu entdeckte gesamtslawische Gemeinschaftssinn sollte sich freilich nicht auf den großen sowjetischen Bruder beschränken, sondern auch die Tschechoslowakei einbeziehen, mit der Polen in der Zwischenkriegszeit über Grenzfra-

223 Z. Wojciechowski an Borys Grekow, 10. 5. 1949, APAN-P III-8/6/27. 1948 war Wojciechowski zum ersten Mal in die UdSSR gereist. Z. Wojciechowski an MSZ, 21. 5. 1948, AIZ 22/2. 224 Aus einer Moskauer Bibliothek ließ er sich damals Werke über die Kiewer Rus‘ und das altrussische Städte­wesen zukommen. D. D. Ivanov an Z. Wojciechowski, 29. 4. 1949 APAN-P III8/6/27. 225 Wybitni historycy radzieccy profesorowie Tretiakow i Udalcew w Poznaniu, in: Głos Wielko­ polski V/270, 30. 9. 1948, zitiert nach dem Exemplar in APAN-P III-8/6/27. 226 So wurden im Oktober 1950 führende polnische Historiker nach Moskau zitiert, um hier mit der neuen Meistererzählung der polnischen Geschichte vertraut gemacht zu werden. Offiziell war die sowje­tische Seite an polnischen Anregungen für ihre mehrbändige Geschichte Polens interessiert, doch war klar, dass der Gedankentransfer in Wirklichkeit ausschließlich in umgekehrter Richtung erfolgen sollte. Ausführlich hierzu Zbigniew Romek, Polsko-radzieckie dyskusje o „Istorii Polszi w trech tomach“ w latach 1950–1959, in: Andrzej Wierzbicki (Hg.), Klio Polska. Studia i materiały z dziejów historiografii polskiej po II wojnie światowej, Warszawa 2004, S. 169–189.

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gen im Streit gelegen hatte.227 So verfasste Wojciechowski 1947 eine signalhafte Darstellung unter dem Titel Polen–Tschechien. Zehn Jahrhunderte Nachbarschaft. Bereits dem Titel nach stand dieses Werk in Antithese zu Wojciechowskis kanonischer Schrift Polen–Deutschland. Zehn Jahrhunderte Kampf.228 In Klammern sei angemerkt, dass es bis in die Achtzigerjahre dauerte, bis eine Studie aus dem Westinstitut auch die deutsch-polnischen Beziehungen unter den Begriff der Nachbarschaft stellte.229 In den folgenden Jahren unterhielt das Institut regelmäßige Kontakte zu tschechischen Historikern,230 richtete ein Tschechoslowakisches Studium ein,231 begann mit der Herausgabe einer Tschechoslowakischen Bibliothek und trug polenkundliche Materialien für tschechische Fachzeitschriften zusammen.232 Die tschechischen Partner meldeten ihrerseits Interesse an, Artikel zu einer französischsprachigen Revue Occidentale beizusteuern, die das Westinstitut vorbereitete.233 Selbst vor der DDR machte die gesamtslawische Solidarität nicht halt. Zu diesem Zweck verwiesen ostdeutsche und sowjetische Forscher auf die frühmittelalterliche Präsenz slawischer Stämme im ostelbischen Germanien und erinnerten an die Verschmelzung germanischer und westslawischer Bevölkerungsgruppen zu den sogenannten deutschen Neustämmen – den Mecklenburgern, Brandenburgern, Pommern, Obersachsen und Sorben (Germania Slavica).234 Vor dem Hintergrund dieser Blutsverwandtschaft wurde den Ostdeutschen eine von ihren westlichen Volksgenossen verschiedene Wesensart zuge­schrieben.235 Das war insofern eine notwendige Voraussetzung zur Rehabilitierung der Ost­deutschen, als der Nationalsozialismus in jenen Jahren gerne einem grundlegenden Defekt des deutschen Nati-

227 Anders als die Annäherung an die UdSSR war die Versöhnung mit der ČSSR ein echtes Anliegen Wojciechowskis, dessen Ehefrau Bohemistin war. Hackmann, Strukturen, S. 243. 228 Wojciechowski, Dziesięć wieków; Zygmunt Wojciechowski (Hg.), Polska – Czechy. Dziesięć wieków sąsiedztwa, Katowice 1947. 229 Antoni Czubiński, Polacy i Niemcy. Dziesięc wieków sąsiedztwa, Warszawa 1987. 230 Deren Zweck sollte u. a. darin bestehen, gemeinsam den Kulturgefälle-Paradigmen der deutschen Kunst­geschichte entgegenzutreten. Protokół Konferencji Historycznej Czesko-Polskiej w Osiecznej dnia 9 września 1947r., 12. 9. 1947, APAN-W III-192/45, t. Instytut Zachodni 1947–50, Bl. 22–24. 231 Protokół posiedzenia Dyrekcji Instytutu Zachodniego w Poznaniu w dniu 6 lipca 1948 r., AIZ 5/1. 232 IZ an Andrzej Grodek, 11. 3. 1948, APAN-W III-81/194, Bl. 86–88. 233 Dieser Wunsch kam vom tschechischen Botschafter in Paris, Jindrich Nosek. Z. Wojciechowski an MSZ, 4. 11. 1947, AIZ 22/1. 234 Dazu Gotthold Rhode, Polen und Deutsche in Schulbüchern zur Geschichte, in: BAK N 1445/252. 235 Fischer, Forschung, hier S. 311. S. hierzu auch unten, S. 347.

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onalcharakters angelastet wurde.236 Auch eröffnete es die Möglichkeit, der Bevölkerung des künstlich geschaffenen ostdeutschen Teilstaats einen eigenen, von den Einwohnern der Bundesrepublik verschiedenen Volkscharakter zuzusprechen. Das Westinstitut tat indes wenig, um dieser Meistererzählung Rückhalt zu verschaffen, und es muss dahingestellt bleiben, wieweit die Umdeutung der Ostdeutschen zu Halbslawen dazu beitrug, in Polen Sympathien für den neuen Bruderstaat zu wecken. Die ostdeutsch-polnische Historikerkommission beschäftigte sich seit 1956 jedenfalls regelmäßig mit dem slawischen Substrat in der ostdeutschen Bevölkerung.237 Die westdeutschen Ostforscher verfolgten die rhetorische Slawisierung ihrer ostelbischen Landsleute mit offenkundiger Sorge.238 Es gehört zu den vielen Paradoxa der stalinistischen Kulturpolitik, dass einerseits wissenschaftliche Kontakte zwischen den osteuropäischen Volksdemokratien herbeigeführt werden sollten, das restriktive Reise- und Kommunikationsregime jener Jahre solche Kontakte aber zunehmend verunmöglichte. So schlief die Zusammenarbeit der volksdemokratischen Historiographien unter panslawischen Vorzeichen allmählich ein, um erst zu Beginn der Sechzigerjahre auf neuerliche Anregung aus der Sowjetunion nochmals eine kurzfristige Wiederbelebung zu erfahren.

4.2.8 Auslandsarbeit und internationale Kontakte Bei allem Verständnis für die Notwendigkeiten der gesamtslawischen Solidarität zielten die Interessen des Westinstituts doch stärker auf den europäischen Westen. Józef Feldman erklärte es 1946 geradezu zur Mission Polens, die Welt über Deutschland aufzuklären: Tausend Jahre Erfahrung, die im letzten Krieg ihren Höhepunkt erreichten, ermöglichen es uns besser als jedem anderen Volk, die deutsche Seele zu ergründen. Diese Wissenssumme sollten wir mit der Welt teilen, insbesondere mit der angelsächsischen Welt. […] Vor allem müssen wir dem Ausland die grundlegende Tatsache bewusst machen, dass die Größe des heutigen Deutschlands auf Kosten Polens geschaffen worden ist und dass folglich ein starker, nach Westen orientierter polnischer Staat ein wirksames Hindernis gegen neue Aspirationen Deutschlands bilden kann – das andernfalls fähig ist, die Welt zum dritten Mal in eine Katastrophe zu führen.239

236 Solche Auffassungen vertrat im IZ besonders akzentuiert Suchodolski. Bogdan Suchodolski, Dusza niemiecka w świetle filozofii, in: PZ 1/2–3 (1945), S. 88–120. 237 Demselben Zweck galt die Zusammenarbeit des Instituts für Sorbische Volksforschung der Ostberliner Aka­demie mit der Universität Breslau. 238 S. u., Kap. 4.3.6. 239 Feldman, Problem, S. 169.

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Besondere Bedeutung wurde dieser Aufgabe in Erwartung einer abschließenden Friedens­regelung mit Deutschland beigemessen.240 Eine erste Möglichkeit in diese Richtung boten wissenschaftliche Auslandkontakte. Zu nutzen gedachte man insbesondere die traditionell guten Beziehungen zu Frankreich. In Paris unterhielt die Krakauer Akademie eine Außen­stelle, und 1947 konnte die polnische Botschaft Kontakte zum prestigeträchtigen Centre international de synthèse historique anknüpfen, das sich gerade mit dem Thema europäischer Kulturgrenzen befasste und nach dem Rhein und der Donau nun auch den Oder-WeichselRaum zum Gegenstand einer Konferenz machen wollte. Hier öffne sich, so der Bildungsbeauftragte der Botschaft, „ein weites Feld, das unsere Historiker bestellen müssen.“241 Darum ließ sich Wojciechowski nicht zweimal bitten. Mit den französischen Kollegen konnte er sich auf ein Konferenzprogramm einigen, das den politischen Anliegen Polens umfängliche wissenschaftliche Schützenhilfe versprach.242 Demnach sollte der Posener Geograph August Zierhoffer die Unteilbarkeit des Oder-Weichsel-Raums aufzeigen und Lehr-Spławiński im selben Gebiet die Urheimat der Slawen nachweisen. Michał Sczaniecki wollte deren beachtlichen Kulturstand zu Zeiten Karls des Großen erläutern, Maria Wojciechowska die frühslawische Zivilisation als tragfähige Basis für westliche Kultur­einflüsse schildern und Wojciechowski verdeutlichen, dass Preußen und Deutschland auf Kosten Polens zu ihrer für ganz Europa verhängnisvollen Machtfülle gelangt seien.243 Der Vorschlag fand in Warschau und Paris Zustimmung und wurde entsprechend umgesetzt. Von französischer Seite referierten Henri Berr, Pierre George und M. Portal.244 Wollte man freilich ein breiteres westliches Publikum ansprechen, mussten den Konferenzen Publikationen in westlichen Sprachen folgen. Als hoffnungsvoller Anfang erschien 1947 ein englischsprachiger Sammelband mit kanonischen Texten der Westforschung;245 als wünschenswert erachtete man darüber hinaus die vierteljährliche Herausgabe besonderer Auslandsnummern des Przegląd

240 Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57, S. 11. 241 Z.  Kolankowski, Delegierter des Bildungsministeriums bei der polnischen Botschaft in Paris, an Z. Wojciechowski, 20. 5. 1947, APAN-P III-8/6/27. 242 Z.  Wojciechowski an das MSZ, Dot. współpraca Instytutu Zachodniego z  Centre de Syn­ thèse, 4. 11. 1947, AIZ 22/1. 243 Z. Wojciechowski an das PISM, 24. 9. 1948, APAN-P III-8/6/27. 244 Programme des 5èmes journées de synthèse historique (Octobre 1948). Exemplar aus APANP III-8/6/27. 245 Maria Kiełczewska-Zaleska/Tadeusz Lehr-Spławiński/Zygmunt Wojciechowski/Józef Feldman (Hg.), Poland’s place in Europe, Poznań 1947; Z.  Wojciechowski an Min. W. Grosz, MSZ, 7. 7. 1947, AIZ 22/1.

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Zachodni.246 Tatsächlich erschien noch im selben Jahr eine erste Nummer der Western Review,247 und im Folgejahr konnte das Westinstitut zwei Nummern einer Revue Occidentale auflegen.248 Für die Finanzierung kam das Büro für Kongressarbeiten des MSZ auf, was auf die unmittelbare außenpolitische Zielsetzung der Publikationen verweist.249 Dann jedoch ereilte beide fremdsprachigen Zeitschriften ein vorzeitiges Ende. Wie man in Posen in Erfahrung brachte, zeichnete dafür Premier Cyrankiewicz persönlich verantwortlich. Sein Entschluss war gefallen, nachdem aus Moskau Missfallen über die chauvinistischen Positionen des Westinstituts angeklungen war.250 Die Episode verdeutlichte den Posenern, dass ihr Institut nur dann auf Westkontakte hoffen durfte, wenn es sich im Osten den Rücken freihielt. So versuchte Wojciechowski 1950, sich die Wiederaufnahme der Zeitschrift mit inhaltlichen Konzessionen zu erkaufen: „Thematisch würde in den nächsten Nummern starker Nachdruck auf den Revisionismus westdeutscher Kreise gelegt“, stellte er der Presseabteilung des MSZ in Aussicht.251 Sein Vorschlag blieb jedoch ergebnislos, und auch ein weiterer und letzter Vorstoß, der bezeichnenderweise einige Monate nach Stalins Tod im Jahre 1953 erfolgte, scheiterte.252 Ein ähnliches Ende nahmen die Versuche des Westinstituts, fremdsprachige Bücher heraus­zugeben, wobei hier die staatlichen Repressionen klarer hervortreten. 1948 präsentierte das Westinstitut dem Präsidium des Ministerrats einen umfangreichen Übersetzungsplan. Bisher, so die Begründung, könnten Ausländer ihr Wissen über die deutsch-polnischen Beziehungen und die polnischen Westgebiete fast nur aus deutschen Darstellungen schöpfen, was den polnischen Interessen in höchstem Maße abträglich sei. Abhilfe tue not und könne vom West­ institut geleistet werden. Für das stärker geopolitisch interessierte angelsächsi-

246 Z. Kaczmarczyk, Instytut Zachodni, undatiert [1947?], APAN-P III-68/61, Bl. 46–57, S. 11. 247 Die Ausgabe erschien in einer Auflage von 2000 Exemplaren im Umfang von 168 Seiten. Ebd. 248 Z. Wojciechowski an das ZK der PVAP, 9. 12. 1953, AIZ 22/4. Der polnische Botschafter in Paris und namhafte Schriftsteller Jerzy Putrament unterstützte die Idee und verstand es, Vize-Außenminister Stanisław Leszczycki dafür zu gewinnen. Z. Wojciechowski an MSZ, 4. 11. 1947, AIZ 22/1. 249 Z.  Wojciechowski an Min. W.  Grosz, MSZ, Presseabteilung, 1. 7. 1948, AIZ 22/2. Diesen Zusammenhang wollte Wojciechowski auch gar nicht verschweigen, bat er doch den damaligen Außenminister um ein Vorwort zur ersten Ausgabe. Z. Wojciechowski an Min. Z. Modzelewski, 24. 4. 1948, AIZ 22/2. 250 Z.  Wojciechowski an Premier Cyrankiewicz, 2. 10. 1948, AIZ 22/2. Anstoß hatte v. a. die polono­zentrische Urslawentheorie von Lehr-Spławiński erregt. S. o. 251 Z. Wojciechowski an Gottesmann, Direktor der Presseabteilung des MSZ, 13. 3. 1950, AIZ 22/3. Der Vorschlag beruhte auf einem Gespräch mit Cyrankiewicz vom 1.3. 252 Z. Wojciechowski an das ZK der PVAP, 9. 12. 1953, AIZ 22/4.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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sche Publikum schlug man landeskundliche Monographien über die neuen Westgebiete vor; dem französischen Publikum unterstellte man dagegen eher zivilisationsgeschichtliche Interessen. Die Kosten des Übersetzungsprogramms veranschlagte das Institut auf stolze 10  Millionen Złoty, für die der polnische Staat aufkommen sollte.253 Offenbar stimmte der Ministerrat zu, und das Westinstitut fertigte in kurzer Zeit die entsprechenden Übersetzungen an und ließ sie der zuständigen Zensurbehörde zukommen, wo sie indes auf Nimmerwiedersehen verschwanden.254 Ohne dass die Posener Forscher davon erfuhren, beschäftigte sich das Zentralkomitee der PVAP im März 1952 mit den Auslandspublikationen des Westinstituts. Dabei beantragte die Wissenschaftsabteilung des ZK, „dem Westinstitut jede Art von Übersetzungen in Fremdsprachen [zu] verbieten“ – offenbar mit Erfolg, denn die Manuskripte blieben weiterhin liegen.255 Erst nach Stalins Tod wagte es Wojciechowski, eine neue Publikationsoffensive für das west­liche Ausland einzufordern256 und sich beim Außenministerium nach dem Verbleib der bereits übersetzten Schriften zu erkundigen257 – eine Aufforderung, die er 1956 im Umfeld von Chruščevs Entstalinisierungskampagne wiederholte.258 Es sollte jedoch noch einmal fünf Jahre dauern, bis das Institut mit der regelmäßigen Herausgabe eines englischen Periodikums beginnen konnte. Seit 1961 erschienen halbjährlich die Polish Western Affairs; 1965 folgte La Pologne et les Affaires Occidentales. Erstere (und vermutlich auch Letztere) Zeitschrift wurde erneut vom polnischen Außenministerium finanziert.259 Auch Vortragsreisen ins westliche Ausland wurden in jenen Jahren wieder möglich,260 doch gelangte die polnische Regierung rasch zur Einsicht, dass es im Allgemeinen zweckmäßiger war, die patriotischen Energien der polnischen Diaspora zu nutzen. Zu diesem

253 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 36, S. 91–93. Den englischen Titeln sollten die Lande Altpolens zugrunde gelegt werden, für die französischen Publikationen sollten LehrSpławiński, O pochodzenie; Friedberg, Kultura, und Józef Kostrzewski, Kultura prapolska, Poznań 1947, übersetzt werden. 254 Z. Wojciechowski an Gottesmann, Direktor der Presseabteilung des MSZ, 13. 3. 1950, AIZ 22/3. 255 K. Petrusewicz, Leiter der Wissenschaftsabteilung des ZK der PVAP, Notatka dla Sekretarza KC PZPR tow. E.  Ochaba dotycząca Instytutu Zachodniego, undatiert [1950], AAN KC-PZP/237/ XVI/8. 256 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 58, S. 129–131. 257 Z. Wojciechowski an die Presseabteilung des MSZ, 30. 12. 1953, APAN-P III-8/6/42. 258 Uchwała Komisji dla zaplanowania dalszej działalności Instytutu Zachodniego powzięta w dniu 21 lutego 1956 r., AIZ 3/2, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 73, S. 174–176. 259 M. Sczaniecki an die Abteilung I der PAN, 15. 1. 1963, AIZ 35/1. 260 So lud etwa das MSZ die Angehörigen des IZ ein, Vorträge im polnischen Kulturzentrum in Paris zu halten. Gerard Labuda an die wissenschaftlichen Mitarbeiter des IZ, 17. 12. 1958, AIZ 35/1.

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Zweck wurden die Verbindungen zu den patriotischen und propagandistischen Organisation der Polonia in Großbritannien, den USA und Frankreich verstärkt;261 eine willkommene Gelegenheit dazu bildeten die Jahrtausendfeiern des polnischen Staates in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre.In fachlicher Hinsicht waren zweifellos die Kontakte nach Deutschland vorrangig. Mit der DDR bestand ab 1956 im Rahmen der ostdeutsch-polnischen Historikerkommission ein kontinuierlicher, wenngleich oft zäher Austausch. In die Bundesrepublik Deutschland existierten seit den späten Fünfzigerjahren sporadische Kontakte, die sich aber erst 1972 in der deutsch-polnischen Schulbuchkommission verstetigten. Beide Beziehungsstränge werden uns noch gesondert beschäftigen.

4.2.9 Die Westforschung unter stalinistischem Druck Es ist bereits deutlich geworden, wie die Leitvorstellungen der Westforschung gegen Ende der Vierziger- und Anfang der Fünfzigerjahre unter politischen Druck gerieten. Staatliche Eingriffe schmälerten aber nicht nur die interpretatorischen Spielräume der Westforscher, sondern bedrohten auch die institutionelle Substanz ihrer Disziplin und in letzter Konsequenz gar ihre persönliche Unversehrtheit. Als Wojciechowski und seine Getreuen den neuen Machthabern bei Kriegsende ihre Dienste angetragen hatten, blieb ihr Weggefährtentum zunächst darauf beschränkt, ein klar begrenztes geopolitisches Interesse mitzutragen: Polens Herrschaftsanspruch über die neuen Westgebiete. Dagegen lehnte Wojciechowski eine Umgestaltung der polnischen Gesellschaft nach sowjetischem Vorbild anfangs in aller Öffentlichkeit ab. Das akademische Jahr der Universität Posen eröffnete er im Dezember 1945 mit dem unverhohlenen Plädoyer für den Erhalt einer freiheitlichen politischen Ordnung in Polen, aus der das Land über Jahrhunderte seine Abwehrkraft gegen Deutschland geschöpft habe.262 Aus diesen Worten sprach sehr viel unmittelbarer die Furcht vor einer Umgestaltung Polens nach sowjetischem Muster als die zu diesem Zeitpunkt weitgehend hypothetische Angst vor einer erneuten Bedrohung durch Deutschland in ferner Zukunft. Über solches Freidenkertum hinwegzusehen, waren die neuen Machthaber in Warschau jedoch nicht lange bereit. Dass Zygmunt Wojciechowski und seine Frau 1947 nicht als Kandidaten für die Sejm-Wahlen zugelassen wurden, war

261 Edmund Męclowski, Działalność Towarzystwa Rozwoju Ziem Zachodnich w 1958 roku i plan pracy na rok 1959, 1. 3. 1959, APAN-W III-81/205, Bl. 30–61, hier Bl. 58. 262 Druckfassung: Zygmunt Wojciechowski, Hołd Pruski, in: PZ 1 (1945), S. 285–293, hier S. 292 f.

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ein frühes Warnsignal.263 Erstmals bangte Wojciechowski in diesem Jahr auch um die Auszahlung staatlicher Subventionen an sein Institut,264 und beunruhigt musste er registrieren, dass wichtige Ansprechpartner der Westforschung aus den staatlichen Ministerien verschwanden.265 Im Spätherbst desselben Jahres dachte man in Warschau bereits darüber nach, das Westinstitut zu verstaatlichen. Wojciechowskis Einwand, dass das Institut seine Propagandaaufgaben im Ausland als wissenschaftliche Einrichtung besser erfüllen könne denn als staatliche Stelle, fand zwar zunächst Gehör;266 allerdings wuchs 1948 der Druck, die Westforschung zu straffen und zu zentralisieren.267 Im Mai forderte Wojciechowski, die „Liquidationspsychose“ um das Westinstitut müsse ein Ende nehmen, und ließ damit erkennen, dass er das Institut in ernsthafter Gefahr wähnte. Gerade jetzt, da die deutsche Ost­forschung in Göttingen wiedererwache, gelte es schlagkräftig zu bleiben.268 Auch gegenüber Gomułka unternahm es Wojciechowski, die Daseinsberechtigung seines Instituts zu verteidigen. In seinem Schreiben an den damaligen Staatschef anerkannte er bezeichnenderweise erstmals zwei historische Herausforderungen, denen sich Polen seit 1945 stellen müsse: Erstens den Umbau der Gesellschaft, zweitens die Westverschiebung des Staates. Im Sinne einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit mit anderen Stellen habe sich das Westinstitut bisher auf letztere Aufgabe konzentriert.269 Hier klang im Gegensatz zu früheren Äußerungen immerhin die Bereitschaft an, sich mit der sozialistischen Umgestaltung Polens abzufinden, auch wenn weiterhin die Absicht fehlte, sie aktiv mitzutragen. Unglücklicherweise hatte Wojciechowski sich den falschen Adressaten ausgesucht – im Herbst 1948 wurde Gomułka als rechtsnationaler Abweichler abgesetzt.

263 Dabei waren sie von der Praxis betroffen, dass keine ehemaligen Angehörigen des Untergrunds zu den Wahlen zugelassen wurden. Brier, Westgedanke, S. 68, sowie Olszewski, Instytut Zachodni, S. 24. 264 Z. Wojciechowski an Min. Władysław Wolski, 30. 6. 1947, AIZ 22/1. 265 Im Juni 1948 wurde der Wissenschaftliche Rat beim Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete aufgelöst, im Frühjahr das gesamte Ministerium. Brier, Westgedanke, S. 71 f. Schon ein Jahr früher war im MSZ das Komitee für Auslandpropaganda der Westgebiete abgeschafft worden. Z. Wojciechowski an Stanisław Leszczycki, 20. 4. 1947, AIZ 22/1. Gleichzeitig hatte auch das Bildungsministerium sein Büro für die Westgebiete aufgelöst und dessen Leiter, den Westforscher Pollak, entlassen. Min. Skrzeszewski an Z. Wojciechowski, 24. 4. 1947, AIZ 22/1. 266 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 30, S. 82. 267 Zu diesem Zweck schlug das Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete im Mai 1948 vor, die damals bestehenden vier Westforschungsinstitute in einem einzigen Zentrum zusammenzulegen. Ebd., Nr. 39, S. 96–99. 268 Ebd., S. 93–94, hier S. 94. 269 Ebd., S. 89–91, hier S. 89.

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Zwar überlebte das Posener Institut im Sommer 1948 als einzige Einrichtung den radikalen Beschnitt der polnischen Westforschung durch die Partei,270 doch der Etappenerfolg erwies sich rasch als Pyrrhussieg. Bis 1949 wurden auch die Presseagentur West und der PZZ aufgelöst, sodass der Westforschung die mediale Ausstrahlung und die Verankerung in einer gesellschaftlichen Massenorganisation abhanden kamen.271 Auch der unmittelbare Druck auf das Westinstitut nahm weiter zu. Augenfälliger Gradmesser dafür war das Tempo, mit dem sich die staatliche Zensur verschärfte. Hatte sich die Kontrolle bis zur Jahreswende 1947/1948 in der Regel auf die Gegenlektüre durch die staatlichen Institutionen beschränkt, die das jeweilige Werk finanzierten,272 so griffen das Zentrale Büro für Pressekontrolle und seine nachgeordneten Instanzen ab 1948 immer tiefer in die Manuskripte des Instituts ein. Texte, die den Zensor wenige Monate zuvor noch anstandslos passiert hatten, wurden nun empfindlich beschnitten.273 Zu Beginn des Jahres 1950 wurde in Warschau die Zentrale Publikationskommission274 geschaffen, wodurch alle polnischen Verlage der Aufsicht des Ministeriums für Kultur und Kunst unterstellt wurden.275 Für zusätzliche Schwierigkeiten sorgte die gleichzeitige Bevormundung der Autoren und Herausgeber durch Zensurinstanzen auf nationaler und regionaler Ebene. So wurden bisweilen selbst Texte, die das Westinstitut in Warschau hatte gutheißen lassen, nachträglich vom städtischen Amt für Pressekontrolle in Posen beanstandet.276 Im Frühjahr 1952 entwickelte der linientreue Verfassungshistoriker Juliusz Bardach im Auftrag der Bildungsabteilung des ZK gar die Idee, den einflussreichen Posten des Verwaltungsdirektors im Westinstitut mit einem Mitarbeiter des Posener Amts für Pressekontrolle zu besetzen.277 In wachsender Bedrängnis wandte sich Wojciechowski an Edward Ochab, den ZK-Sekretär höchstpersönlich, und beklagte sich darüber, dass das Westinstitut

270 Diesem Schnitt fielen das Schlesische Institut, das Masurische Institut und Teile des OstseeInstituts zum Opfer, deren Überbleibsel formal dem IZ einverleibt wurden. Z. Wojciechowski an Min. Władysław Wolski, 19. 9. 1947, AIZ 22/1. S. auch Krzoska, Polen, S. 369–370. 271 S. u. a. ebd. 272 Als Beleg für diese Praxis Z. Wojciechowski an das Büro für Kongressarbeiten beim MSZ, 18. 12. 1947, AIZ 22/2. 273 Z. Wojciechowski an das CBKP, 4. 1. 1948, AIZ 22/2. 274 Poln. Centralna Komisja Wydawnicza. 275 Z. Wojciechowski an das Kuratoriumspräsidium des IZ, 26. 1. 1950, AIZ 22/3. 276 Z. Wojciechowski an Lesław Wojtyga, 10. 6. 1950, AIZ 22/3. Trotz häufiger Misserfolge bestand die erfolgreichste Strategie darin, einer Publikation die Unterstützung einflussreicher Parteistellen zu sichern, bevor sie zur Zensur einge­reicht wurde. S. z. B. Z. Wojciechowski an das GUKP, 12. 11. 1952, AIZ 22/4. 277 J. Bardach, Notatka w sprawie Instytutu Zachodniego, 3. 3. 1952, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 27–33. Der Vorschlag gelangte allerdings nicht zur Ausführung.

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inzwischen fast nur noch für die Schublade produziere, weil kaum noch ein fertiges Manuskript die Zensur passiere. Aus durchsichtigen Gründen bemühte sich Wojciechowski, diese Schwierigkeiten nicht dem politischen Willen der Partei, sondern der Unfähigkeit der nachgeordneten Kontrollorgane anzulasten.278 Nach dem Tod Stalins witterte er Morgenluft und beklagte sich bereits im Sommer 1953 erneut darüber, dass druckfertige Manuskripte des Instituts seit Jahren bei den Zensurorganen „verrotten“.279 Im gleichen Maße, wie die Einkünfte aus dem Bücherverkauf versiegten, aus denen sich das Westinstitut zuvor maßgeblich finanziert hatte,280 begannen ab 1949 auch die Subventionen zu stocken. Im Oktober 1951 sah sich das Institut in der dramatischen Situation, dass die monatlichen Subventionen seit Jahresbeginn ausgeblieben waren.281 Damit hatten die mageren Jahre begonnen, die bis 1955 andauern sollten. Appelle an die ranghöchsten Repräsentanten der Volksrepublik brachten keine Abhilfe.282 Unter diesen Umständen schrumpfte das Institut auf einen kleinen Restbestand zusammen: Hatte es 1949 noch 60 Mitarbeiter beschäftigt, so waren es 1955 nur noch 19 – davon gerade einmal anderthalb wissenschaftliche Stellen.283 Entlassungen waren dabei nicht das Schlimmste, was den Institutsangehörigen widerfahren konnte: 1948/1949 verhaftete die Sicherheitspolizei Wojcie­ chowskis Mitstreiter Edward Serwański, Jan Jacek Nikisch und Kirył Sosnowski, die anschließend unter dem Vorwurf antikommunistischer Widerstandstätigkeit im Zweiten Weltkrieg zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.284 Karol Marian Pospieszalski, dessen katholische Publizistik – unter anderem für die britische BBC – seit langem das Missfallen der Partei erregte, versuchte man 1952 mit Karriereversprechen und unter massiver Gewaltandrohung als informellen Agenten zu verpflichten.285 Zweifellos zielten

278 Z. Wojciechowski an Edward Ochab, 10. 3. 1952, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 34–37. 279 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 58, S. 129–131. 280 Z. Wojciechowski an Vize-Min. Henryk Jabłoński, 10. 4. 1948, AIZ 22/2; Z. Wojciechowski an Premier, 4. 4. 1949, AIZ 22/3. 281 Z.  Wojciechowski, Notatka w sprawie zasadniczej subwencji Instytutu Zachodniego, 4. 10. 1951, AIZ 22/4; Notiz über die vom IZ empfangenen Subventionen, ungezeichnet, Poznań, Mai 1951, AIZ 22/4. 282 Gerard Labuda, Instytut Zachodni w obliczu likwidacji w roku 1955, in: PZ 59/3 (2003), S. 207–222, hier S. 208, Anm. 2. 283 Brier, Westgedanke, S 74; Pollak, Instytut Zachodni, S. 482. 284 Dazu Olszewski, Instytut Zachodni, S. 24. Ausführlicher Karol Marian Pospieszalski, Pracownicy Instytutu Zachodniego przed wojskowym sądem rejonowym w Warszawie, in: Kronika Miasta Poznania 65/3 (1997), S. 288–296. 285 K. M. Pospieszalski, Partyjne ingerencje w mojej karierze uniwersyteckiej, undatiert [1997, mit späteren Ergänzungen], APAN-P III-112/22/6. Auch das Institut als Ganzes stand in jenen Jah-

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solche Aktionen auch darauf ab, Zygmunt Wojciechowski selbst einzuschüchtern. Dass er letztlich verschont blieb, verdankte er sowohl seiner Prominenz wie seinen persönlichen, auf frühere Bekanntschaften zurückgehenden Beziehungen zum Sicherheitsapparat.286 Dennoch glaubte er sich im März 1952 am Ende seiner physischen und geistigen Kräfte.287 Umso auffälliger ist, wie rasch sich die Sanktionen nach Stalins Tod lockerten: Bereits 1954 erhielten Wojciechowski und Lehr-Spławiński wieder hohe staatliche Auszeichnungen, und noch im selben Jahr kandidierte Wojciechowski erfolgreich für die Einheitsliste der Nationalen Front und wurde in den Nationalrat der Wojewodschaft Posen gewählt.288 Auch ist es angesichts der beschriebenen Repressalien erstaunlich, dass der Mitgliederbestand des Westinstituts – ganz im Gegensatz zur Zahl seiner Mitarbeiter – selbst auf dem Höhepunkt des Spätstalinismus weiter anwuchs.289 Es fällt schwer zu beurteilen, ob jenen, die sich auf diese Weise dem Institut verbanden, die damit einhergehenden politischen Risiken vernachlässigbar schienen oder ob die Mitgliedschaft gar Züge eines patriotischen Protests gegen die kommunistische Staatsmacht annahm.290 Dramatisch wirkten sich die Repressionen auf die Veröffentlichungen des Instituts aus. Während sein Publikationsverzeichnis für die ersten fünf Jahre über 60 Titel auswies, waren es in den folgenden sechs Krisenjahren (1950–1955) gerade noch neun.291 Noch einschneidender erschien die Schrumpfung in Anbetracht der Tatsache, dass das darbende Westinstitut den letzten Rest der wenige Jahre zuvor noch florierenden Westforschung darstellte. Immerhin fand Wojciechowski bei den politischen Instanzen mit dem Appell Gehör, im Sinne der Substanzwahrung wenigstens den Przegląd Zachodni am Leben zu erhalten.292

ren unter intensiver Beobachtung der Sicherheitsdienste. Stanisław Jankowiak, Instytut Zachodni w pierwszej połowie lat pięćdziesiątych. Walka o przetrwanie, in: Kronika Wielkopolski 21/2 (1993), S. 22–26, hier S. 25. 286 Krzoska, Polen, S. 377–378, Anm. 173. Dabei war ihm zugutezuhalten, dass er sich immer wieder für seine Mitarbeiter und Kollegen verwandte. Ebd. 287 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 53, S. 124 f. 288 Brier, Westgedanke, S. 77. 289 Hatte es 1948 noch 94 Mitglieder gezählt, so waren es 1950 bereits 123, 1954 gar 147. Olszewski, Instytut Zachodni, S. 9 f. 290 Connelly macht geltend, in Polen sei eine parteikritische Gesinnung oft geradezu Voraussetzung für öffentliche Anerkennung gewesen – zumindest in katholischen Milieus. Connelly, University, S. 290. 291 Zwierzycki (Hg.), Instytut Zachodni, S. 83–88. 292 Z.  Wojciechowski ans Presse- und Informationsbüro beim Präsidium des Ministerrats, 1. 10. 1952, AIZ 22/4. Dem Argument der Substanzwahrung schloss sich 1952 auch ein im Auftrag des ZK der PVAP verfasstes Gutachten an, das die Zeitschrift gar als „gegenwärtig im Grunde

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Jahrelang gelang es ihm, dessen Erscheinen mit oberflächlichen Zugeständnissen an den politischen Zeitgeschmack zu sichern.293 Dabei dienten linientreue Leitartikel als Feigenblatt, um die weiterhin recht konservativen Beiträge der Zeitschrift zu kaschieren.294 Die Beschäftigung mit der politisch heiklen neueren und neuesten Geschichte vermied man in jenen Jahren fast vollständig, für die Behandlung älterer Epochen blieben jedoch beachtliche Freiräume erhalten.295 Auch schreckten die Westforscher nicht davor zurück, ihre Positionen dezidiert gegen marxistische Kritiker zu verteidigen, denen sie ihrerseits vorwarfen, analytische Dürftigkeit mit progressivem Gebaren zu kaschieren.296 Auf Dauer konnte Wojciechowskis Fassadenschwindel den politischen Machthabern aber nicht verborgen bleiben. Ein parteiinterner Bericht urteilte auf dem Höhepunkt des Spätstalinismus über seine Leitartikel hellsichtig: Ihr wahrscheinliches Ziel besteht nicht darin, irgendjemanden zu überzeugen […], sondern darin, den gesamten restlichen Inhalt der Zeitschrift, der weder thematisch noch ideologisch mit den einleitenden Deklarationen verbunden ist, [gegen politisch-ideologische Kritik] zu immunisieren.297

In Anbetracht solcher Vorwürfe sahen sich die Posener Westforscher zu weitergehenden Kon­zessionen gezwungen. Ende 1953 erschien im Przegląd Zachodni ein Leitartikel, der Stalins jüngste Auslassungen über die historisch-materialistischen Entwicklungsgesetze als unschätz­baren Schlüssel für das Verständnis der polnischen Westgebiete und ihres historischen Schicksals pries.298 Vorausgegangen war diesem intellektuellen Kniefall eine denkwürdige Sitzung der gesell-

genommen einzige historische Zeitschrift Polens“ bezeichnete, die noch regelmäßig erscheine. J.  Bardach, Notatka w sprawie Instytutu Zachodniego, 3. 3. 1952, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 27–33. 293 Besonders augenfällig wird dies im Vergleich mit anderen historischen Fachzeitschriften, v. a. dem führenden Kwartalnik Historyczny, der deutlich konsequenter auf den Historischen Materialismus verpflichtet wurde. S. z. B. den programmatischen Artikel von Kazimierz Piwarski, Kryzys historiografii burżuazyjnej a materializm historyczny, in: KH 57/1 (1949), S. 3–42. 294 Dabei nahm er in affirmativer Weise Stellung zur Tagespolitik, lobte den Einsatz der Kommunisten für die Westgebiete und begrüßte die Gründung der DDR. Zygmunt Wojciechowski, Zjednoczenie partii robotniczych a Ziemie Odzyskane, in: PZ 4/12 (1948), S. 609 f.; Wojciechow­ ski, Distinguendum est. Zu dieser Praxis auch Hackmann, Strukturen, S. 248. 295 Krzoska, Polen, S. 370. 296 So parierte etwa Seweryn Wysłouch die Kritik Kazimierz Popiołeks an seiner Darstellung der oberschlesischen Nationalitätenverhältnisse. Wysłouch, Rozważania. 297 Zitiert nach Olszewski, Instytut Zachodni, hier S. 21. 298 Mieczysław Suchocki, Problematyka Ziem Odzyskanych w świetle pracy Józefa Stalina: „Ekonomiczne problemy socjalizmu w ZSRR“, in: PZ 9/6 (1953), S. 375–396.

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schaftswissenschaftlichen Abteilung bei der neugeschaffenen Warschauer PAN im Januar 1953. Dort hatte Adam Schaff, damals Vorkämpfer der stalinistischen Ortho­doxie (der sich später in der Rolle des sozialistischen Freidenkers gefiel), ein Leitreferat gehalten, das unter Verweis auf die angebliche Objektivität historischer Gesetze scharf mit der ideographischen Arbeitsweise der traditionellen Historikerzunft ins Gericht ging. Als Negativbeispiel musste mit Tadeusz Manteuffel die damalige Leitfigur der polnischen Geschichtswissenschaft herhalten, als methodisches Ideal wurde die besagte Schrift von Stalin präsentiert.299 (Es scheint im Übrigen bezeichnend, dass die Kritik an der Geschichts­wissenschaft selbst zu diesem Zeitpunkt noch von einem Fachfremden geleistet werden musste, weil für diese Aufgabe offenbar kein vertrauenswürdiger Historiker von Format zur Verfügung stand.) Vordergründig musste der besagte Aufsatz von Mieczysław Suchocki deshalb als Geste der bedingungslosen Unterwerfung erscheinen. Eine genauere Lektüre fördert freilich zutage, dass der Autor für die polnischen Westgebiete eine „Besonderheit der Entwicklung des sozio-ökonomischen Prozesses“ beanspruchte: Im Zuge der kolonialen Unterwerfung dieser Gebiete hätten sich deutsche Eroberer zur herrschenden Oberschicht aufgeschwungen und die ansässigen Polen zur Unterschicht herabgedrückt; auf diese Weise seien soziale und nationale Gegensätze zusammengefallen. Folglich habe sich auch das Streben nach sozialer und nationaler Emanzipation in ein und demselben Kampf verbunden, und die gesetzmäßige historische Entwicklung, die zum Sieg der Arbeiterklasse führte, bewirkte gleichzeitig auch den „Sieg des Polentums auf diesem Gebiet“.300 Hier zeigt sich deutlich, mit welchen Sophismen die Westforscher versuchten, den Marxismus für ihre Zwecke zu vereinnahmen.301 Mit Suchockis Artikel war freilich auch bereits der Zenit der Stalinisierung erreicht: Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass dieselbe Nummer des Przegląd Zachodni das Lob Stalins bereits in einem Nachruf singen konnte.302 Das Schicksal des Westinstituts blieb indes weiterhin ungewiss. Während der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre drohte ihm beinahe ununterbrochen die Auflösung.

299 Adam Schaff, Zagadnienie obiektywności praw historycznych, APAN-W III-192/51, Bl. 21–42. Zur „Stalin-Sitzung“ der Akademie aus Sicht der Partei AAN KC-PZPR/237/XVI/7. Schaff suchte seine Rolle als stalinistischer Einpeitscher später damit zu entschuldigen, dass er die Wissenschaft durch Selbstdisziplinierung vor Repressionen habe schützen wollen. 300 Suchocki, Ekonomiczne problemy, S. 388–390. 301 Dieses Argumentationsmuster konstatiert auch Brier, Westgedanke, S. 79. Allerdings böte die Frage, inwie­fern die Identifizierung der Slawen mit den positiven Klassenkräften nicht bereits von der sowjetischen Historiosophie vorweggenommen wurde, Raum für eine weitergehende Untersuchung. 302 Przegląd Zachodni 8/1 (1953), S. 1–5.

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Ihren Ausgang hatten die Liquidationspläne 1950 im Wissenschaftsausschuss des ZK der PVAP genommen. Damals fasste man erstmals die Gründung einer neuen landesweiten Akademie in Warschau ins Auge. Im Zuge dessen sollte das Westinstitut aufgelöst werden und seine Konkursmasse an das Historische Institut der neuen Akademie übergehen.303 Zu diesen Plänen nahm im Frühjahr 1952 ein Gutachten aus der Feder von Juliusz Bardach Stellung. Darin hob der als linientreu eingestufte Verfassungshistoriker zwar die Verdienste des Instituts um die Erforschung der Westgebiete hervor, monierte zugleich aber seinen katholisch-nationalistischen Kurs, auf den die Partei noch immer „keinerlei realen Einfluss“ nehmen könne. Zweifellos bedürfe die Volksrepublik auch zukünftig einer Forschungseinrichtung, die sich der Westgebiete annehme – das Westinstitut könne diese Rolle aber nur dann erfüllen, wenn es sich der historisch-materialistischen Methodik öffne. Zu diesem Zweck müssten eine Parteizelle eingerichtet und weitgehende personelle Veränderungen vorgenommen werden: Janusz Pajewski und Maria Wojciechowska seien aus dem Institut zu entfernen, Kaczmarczyk und Labuda müssten Schlüsselpositionen erhalten, und aus dem wissenschaftlichen Beirat wären „feindlich eingestellte Leute“ zu entfernen. An ihrer Stelle müssten Wissenschaftler aus den Reihen der Parteimitglieder eingeschleust werden.304 Obschon es der Partei also nicht gelungen war, das Institut zu infiltrieren, ortete man in seinen Reihen Opportunisten und Pragmatiker, aus denen man echte Weggefährten zu machen hoffte. Tatsächlich sollte sich im Weiteren zeigen, dass die hier genannten Wissen­schaftler – Kaczmarczyk und Labuda – den Umbau des Instituts in den folgenden Jahren mittrugen und es dabei näher an die Partei heranführten. Auf der Grundlage von Bardachs Beurteilung sprach sich das ZK dafür aus, das Westinstitut zu schließen und seine Arbeitsfelder an das Historische Institut der Akademie zu über­tragen.305 Wojciechowskis Aufnahme in ebendiese Akademie306 signalisierte wenig später jedoch, dass man ihn nicht ausschalten,

303 Kazimierz Petrusiewicz, Notatka dla sekretarza KC PZPR E.  Ochaba dotycząca Instytutu Zachod­niego, undatiert [1950], AAN KC-PZPR/237/XVI/41; Zofia Zemankowa, Notatka informacyjna dotycząca tworzącego się AIH PAN, ebd. 237/XVI/8. S. auch Krzoska, Polen, S. 371 f. 304 J. Bardach, Notatka w sprawie Instytutu Zachodniego, 3. 3. 1952, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 27–33. 305 Notatka o celach i zadaniach Instytutu Historii PAN, ohne Verfasserangabe, undatiert [Frühjahr 1952], AAN KZ PZPR 237/XVI/8, Bl. 36–38; K. Petrusewicz, Leiter des Wissenschaftsausschusses des ZK der PVAP, Notatka dla Sekretarza KC PZPR tow. E. Ochaba dotycząca Instytutu Zachodniego, undatiert [Ende März 1952], AAN KC-PZP/237/XVI/8. S. auch Hackmann, Strukturen, S. 249. 306 Als deren ordentliches Mitglied zeichnete er: Notatka w sprawie Instytutu Zachodniego, 18. 5. 1952, AIZ 108/1. Wenig später hielt er auch in den Wissenschaftlichen Rat des Historischen Instituts der PAN Einzug. AAN KC-PZPR/237/XVI/8, Bl. 73; s. auch Hackmann, Strukturen, S. 250.

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sondern lediglich einbinden wollte. Daraufhin witterte dieser die Gelegenheit, seinen „erprobten Mitarbeiterbestand“ als „Westsektion“ in die neue Akademie einzubringen.307 Der Partei schwebte freilich ein klarerer Schnitt vor.308 Tatsächlich wurden die Aktivitäten und der Mitarbeiterbestand des Instituts in der Folge empfindlich beschnitten309 – die Schließung blieb jedoch aus. Labuda mutmaßt in diesem Zusammenhang, dass die mit der Liquidation beauftragte Akademieverwaltung dem Institut wohlgesonnen war und seine Auflösung bewusst verzögerte und dass letztlich zu Wojciechowskis Lebzeiten auch bei der Partei der politische Mut zur Schließung des Instituts fehlte.310 Solange das Institut in der Schwebe hing, kam auch Bardachs Säuberungsplan nicht zur Anwendung, und so scharte sich weiterhin der vertraute Wissenschaftlerkreis um Wojciechowski, wenngleich die Mitarbeiter nun meist auf Auftragsbasis oder ehrenamtlich tätig waren.311 Als Vertrauensmann der Partei wurde lediglich Piwarski eingeschleust.312 Dessen Meinungen seien für das Institut, so ein internes Protokoll in gehässigem Tonfall, „unabhängig von seinen Kompetenzen […] besonders wichtig.“313 Hatte Wojciechowski gegenüber den politischen und wissenschaft­ lichen Aufsichtsbehörden lange geltend machen können, eine geschlossene Gruppe gleichgesinnter Wissenschaftler zu vertreten, so kam es unter dem andauernden äußeren Druck allmählich auch im Innern des Instituts zu Ermüdungsrissen, die auf den Mitgliederversammlungen immer deutlicher zutage traten. Schon 1952 waren in diesem Rahmen Forderungen laut geworden, das Westinstitut programmatisch auf den historischen Materialismus zu verpflichten.314 Als Anführer dieser Reformer profilierte sich Zdzisław Kaczmarczyk,315 den die Partei zuvor bereits

307 Notatka w sprawie Instytutu Zachodniego, 18. 5. 1952, AIZ 108/1. Zur Weiterführung propagandistischer Aktivitäten sollte eine Art Rumpfinstitut außerhalb der Akademie belassen werden. Ebd. 308 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr.  55, S.  126 f. Die propagandistische und gegenwartsbezogene Arbeit des IZ sollte ans PISM übergehen. Ebd. 309 Unter anderem verlor das Institut seine Geschichte Pommerns sowie das Lexikon der Slawischen Altertümer, und auf der Gehaltsliste verblieb neben Wojciechowski nur noch Vizedirektor Roman Pollak. 310 Labuda, W obliczu likwidacji, S. 212. 311 Protokół posiedzenia […] 14 kwietnia 1953. 312 Er wurde im Herbst 1953 zweiter Vizevorsitzender des Kuratoriums. S. Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 61, S. 136–149, hier S. 146. 313 Protokół z łącznego posiedzenia Dyrekcji Instytutu Zachodniego, oraz Komitetów Redakcyjnych: Przeglądu Zachodniego, Biblioteki Tekstów Historycznych i Documenta Occupationis w dniu 16 października 1953 r., AIZ 5/2, abgedruckt in ebd., Nr. 59, S. 132 f. 314 Olszewski, Instytut Zachodni, hier S. 33. 315 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 61, S. 136–149.

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als „loyal und verfügbar“ charakterisiert hatte.316 Ihren Höhepunkt erreichte die Richtungsdiskussion auf der Mitgliederversammlung von 1953. Aus deren Vorfeld hat sich ein vertrauliches Schreiben von Bogusław Leśnodorski an Kaczmarczyk erhalten, das die Anreise gewichtiger Wissen­schaftspolitiker ankündigte317 und regelrechte Regieanweisungen für die Diskussion enthielt: Von dir wird in der Diskussion eine sachlich-kritische Stellungnahme erwartet. Auf keinen Fall darf die Versammlung den Eindruck erwecken, die eine oder andere Seite stünde isoliert da, gefragt ist eine gerechte und gründliche Analyse und Bewertung der Leistungen und Versäumnisse des Instituts und des Przegląd [Zachodni], ebenso wie der Versuch, den weiteren Weg abzustecken.318

Aus diesen Zeilen geht zweierlei hervor: Zum einen existierten im Westinstitut zu diesem Zeitpunkt bereits zwei klar geschiedene Fraktionen – offenbar ging ein jüngerer Kreis „progressiver“ Historiker gezielt auf Distanz zu den „Alten“. Zum anderen zeigt Leśnodorskis Sorge um die Zukunft des Instituts, dass auch den parteinahen Historikern am Erhalt der Einrichtung gelegen war.319 Sein Wunsch, keine der beiden „Seiten“ zu isolieren, legt gar den Schluss nahe, dass Leśnodorski nicht die Absicht hatte, die alte Garde der Westforscher gänzlich auszuschalten, sondern eher darauf abzielte, ihnen den Blick für die Erfordernisse und Möglichkeiten der neuen Zeit zurechtzurücken. Auf der Mitgliederversammlung gab sich Wojciechowski kompromissbereit und deutete die bisherige Arbeit des Instituts als Beitrag zur Festigung der Volksrepublik, die ihrerseits durch die „Rückkehr“ an Oder und Neiße den Westgedanken zur Erfüllung gebracht habe.320 Mieczysław Suchocki, der Chefredakteur des scharf kritisierten Przegląd Zachodni, räumte ein, man habe bisher nicht immer konsequent genug auf marxistischem Boden argumentiert. Allerdings sei das behandelte Themenfeld auch förmlich mit idealistisch-nationalistischen Fall­gruben übersät. Künftig solle der Blick auf Deutschland ideologisch fester

316 K. Petrusewicz, Leiter des Wissenschaftsausschusses des ZK der PVAP, Notatka dla Sekre­ tarza KC PZPR tow. E. Ochaba dotycząca Instytutu Zachodniego, undatiert [Ende März 1952], AAN KC-PZP/237/XVI/8. 317 U. a. Jabłonowski und Cieślak von der Gesellschaftswissenschaftlichen Abteilung der PAN, sodann Juliusz Bardach und Leśnodorski selbst. 318 Bogusław [Leśnodorski], Warszawa, an Zdzisław Kaczmarczyk, Poznań, 21. 6. 1954, APAN-P III-68/63, Bl. 94. 319 So ist wohl auch Labudas Urteil zu verstehen, Bardachs harsche Beurteilung des IZ vom März 1952 sei „im großen Ganzen … positiv“ gewesen. Labuda, W obliczu likwidacji, S. 211. 320 Die Darstellung der Diskussion folgt Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 61, S. 136– 149.

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gegründet werden. Eine übermäßige Politisierung der Zeitschrift schein ihm hingegen nicht ratsam – stelle der Przegląd doch die einzige polnische Antwort auf eine Reihe von westdeutschen Zeitschriften dar, die alle wissenschaftlichen Charakter beanspruchten – so die Zeitschrift für Osteuropaforschung, Osteuropa, die Jahrbücher für Geschichte Osteuropas und die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte.321 Die anschließende Diskussion wurde von Zdzisław Kaczmarczyk eröffnet, der, wie ihm Leśnodorski aufgetragen hatte, eine ideologische Kritik des Westinstituts aus den eigenen Reihen vornahm. Das Institut müsse den Zielen dienen, die ihm die Partei aufzeige. Gerard Labuda bewies mit der Aufforderung, Stalins methodische Anregungen stärker als bisher in die wissenschaftliche Arbeit des Instituts einzubeziehen, solide Linientreue. Gleichzeitig brachte er sich mit einem Lob für Wojciechowskis unermüdlichen Kampf für die polnischen Westgebiete als Kompromisskandidat zwischen den beiden Flügeln der Traditionalisten und der „Progressiven“ in Position. Stanisław Arnold wollte als Vorkämpfer der Stalinisierung vor allem die sowjetischen Verdienste um das neue Polen gewürdigt wissen, das seine Westgrenze nicht zuletzt der Roten Armee verdanke. Auch müsse deutlicher herausgearbeitet werden, dass sich hinter dem deutschen Revisionismus inzwischen der amerikanische Imperialismus verberge. Halb Drohung, halb Versprechen war die abschließende Mahnung des Akademierepräsentanten Jabłoński, die Zukunft des Westinstituts hänge unmittelbar von seiner Reformbereitschaft ab. Abschließend schärfte er den Anwesenden nochmals die politische Tageslosung ein: „Wir sind nicht antideutsch, aber wir sind gegen den deutschen Revisionismus.“322 Wenn der Zickzackkurs der Partei gegenüber dem Westinstitut noch weiterer Belege bedurfte, so folgten sie im Oktober mit dem definitiven Beschluss zur Schließung des Instituts – der letztlich auch wieder revidiert werden sollte. Es war eine fast schon theatralische Würdigung des ungeheuren politischen und wissenschaftlichen Gewichts von Zygmunt Wojciechowski, dass der Schließungsbescheid am Rande seiner Beerdigung erging.323 Unverzüglich und eigenmächtig verfasste Labuda daraufhin ein Memorandum, in dem er die „ideologische Krise“ des Westinstituts anerkannte. Es müsse reorganisiert, dürfe aber nicht geschlossen werden, denn eine umfassende Deutschlandforschung sei für Polens Außenpolitik ebenso unverzichtbar wie für die öffentliche Bewusstseinsbildung im

321 Ebd., S. 139–143. 322 Ebd., S. 145–148, Zitat S. 148. 323 Gänzlich formlos informierte Bogusław Leśnodorski Gerard Labuda am Rande der Zeremonie im Namen der PAN über den Schließungsentscheid. Labuda, W obliczu likwidacji, S. 207.

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Inland.324 Aufhorchen ließ die positive Grundhaltung, die Labuda der Deutschlandkunde zugrunde legen wollte und die er explizit zwar nur auf die DDR bezog, von der er die BRD aber zumindest nicht ausschloss. Es war absehbar, dass Labudas Offenheit für den Marxismus und seine Unvoreingenommenheit gegenüber Deutschland, die er vorpreschend im Alleingang formuliert hatte, bei den übrigen Institutsangehörigen keine ungeteilte Zustimmung auslösen würden. Dennoch überrascht die Unversöhnlichkeit, mit der „konservative“ und „progressive“ Westforscher in der Folge aufeinanderprallten. Ungeachtet der existentiellen Krise erwies sich die Kluft zwischen beiden Fraktionen als so tief, dass sie schließlich mit zwei gesonderten Memoranden zur Zukunft des Instituts an die Politik gelangten. Weitgehendes Entgegenkommen gegenüber Warschau signalisierte die Stellungnahme der „Progressiven“ vom 9. November 1955. Das war kein Wunder, denn seine Verfasser standen der Partei nicht nur gedanklich näher, sondern hatten für ihre Vorschläge auch unmittelbare Anregungen aus dem inneren Kreis der Macht erhalten.325 In ihrem Memorandum stellten sie sich vorbehaltlos hinter Labudas Vorschläge und signalisierten die Bereitschaft zu „ideologische[n] Verän­derungen“.326 Ausweichend begegneten sie dem Ansinnen der Partei, die wissenschaftliche Selbstverwaltung des Instituts einer strafferen politischen Kontrolle zu opfern. Der Vorschlag, eine Reorganisationskommission einzusetzen, spielte auf Zeit.327 Der alten Garde der Westforscher, die sich nach dem Tode Wojciechowskis hinter Lehr-Spławiński scharte, schienen diese Vorschläge zu opportunistisch. Ihre Denkschrift kam mit dem Versprechen, den progressiven Kräften in der Geschichte und Gegenwart Deutschlands mehr Aufmerksamkeit zu schenken, zwar ebenfalls dem politischen Zeitgeist entgegen. Einer politischen Gleich-

324 G.  Labuda, Pro memoria w sprawie reorganizacji Instytutu Zachodniego w Poznaniu, 16. 10. 1956, abgedruckt in: Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 63, S. 151 f. 325 Am 8. November hatte Kaczmarczyk eine Nachricht von Juliusz Bardach erreicht, der geheimniskrämerisch mitteilte, er habe am Vortag in Sachen IZ ein Gespräch mit einer „kompetenten Persönlichkeit“ geführt. Erfolg verspreche demzufolge ein Memorandum des IZ an die PAN, in dem die Bereitschaft zu Veränderungen erläutert würde. Als neuen Direktor favorisiere man in Warschau Labuda. Julek [J. Bardach] an Zdzisław Kaczmarczyk, 8. 11. 1955, APAN-P III-68/63. 326 Miczał Sczaniecki/Zdzisław Kaczmarczyk/Józef Matuszewski/Gerard Labuda/Witold Jakóbczyk/Własysław Rusiński/Jan Wąsicki/Janusz Deresiewicz/Janusz Pajewski, Memoriał w sprawie reorganizacji Instytutu Zachodniego w Poznaniu, AIZ 3/2, abge­druckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 67, S. 158 f. 327 Die gewünschten Veränderungen sollten nach Vorstellung der Wissenschaftsfunktionäre durch Abschaffung des gewählten Kuratoriums und Einführung eines ernannten wissen­ schaftlichen Rats herbeigeführt werden. Ebd.

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schaltung des Instituts wurde jedoch eine kaum verklausulierte Absage erteilt: „Eine der wichtigen Eigenschaften des Instituts, die ihm insbesondere im Ausland wissenschaftlich Autorität verleiht, ist der Umstand, dass es im Ergebnis einer freien gesell­schaftlichen Initiative entstanden ist“.328 Das forsche Auftreten dieser Gruppe wurde noch unterstrichen durch eine Art Vermächtnis, in dem Maria Wojciechowska die letzten Wünsche ihres verstorbenen Gatten zur Zukunft des Instituts hinterbrachte. Als Nachfolger habe er sich einen Historiker von internationalem Renommee gewünscht, der seine patriotischen Überzeugungen nicht der politischen Tageskonjunktur opfere.329 Sie selbst warnte für den Fall, dass das Institut zum „Sprachrohr der Propaganda“ verkomme, vor einem irreparablen Glaubwürdigkeitsverlust der Einrichtung in der polnischen Öffentlichkeit.330 Erwartungsgemäß fanden die Vorschläge der „progressiven“ Fraktion bei der Akademieleitung und im ZK mehr Anklang,331 doch noch gaben sich die Konservativen nicht geschlagen. Lehr-Spławiński gelang es in einem überraschenden Coup, die neuberufene Reorganisationskommission unter den Einfluss seiner Fraktion zu bringen332 und den konservativen Posener Professor Seweryn Wysłouch für den Direktorenposten in Stellung zu bringen, für den er sogar die Unterstützung des Politbüromitglieds und Geheimdienstchefs Jakub Berman geltend machte.333 In Anbetracht ihrer durchkreuzten Pläne wünschten die Progressiven nun doch einen Warschauer Eingriff herbei. Gegenüber der Akademieleitung zeigten sie sich „beunruhigt“ angesichts der Machenschaften der gegnerischen Fraktion und bezeichneten den vorgeschlagenen Thronprätendenten als rückwärtsgewandt und „ungeeignet“. Für den Posten des Direktors

328 Juliusz Kolipiński/Edmund Męclewski/Kirył Sosnowski/Kazimierz Dziembowski/ Włodzimierz Głowacki/Zdizław Jaroszewski/Władysław Chojnacki/Kazimierz Śląski/Roman Lutman an das Kuratorium des IZ, zu Händen Tadeusz Lehr Spławiński, AIZ 3/2, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 65, S. 154–157. 329 Maria Wojciechowska, 23. 10. 1955, APAN-P III-8/6/49, sowie AIZ 3/2, abgedruckt in ebd., Nr. 64, S. 152–154. 330 M. Wojciechowska, 15. 11. 1955, ohne Empfängerangabe, AIZ 3/2, abgedruckt in ebd., Nr. 68, S. 159 f. 331 Z. Kaczmarczyk an Józek [wohl: Józef Mitkowski], 10. 1. 1956, APAN-P III-68/63, Bl. 123. 332 Dies bewerkstelligte er, indem er zur Ernennung der Reorganisations­kommission nur das bekanntermaßen traditionalistische Kuratorium, nicht aber die Vollversammlung des IZ einberief. Ebd. 333 Witold Jakóbczyk/Zdzisław Kaczmarczyk/Michał Sczaniecki an Henryk Jabłoński, Wissenschaftlicher Sekretär der PAN, undatiert [nach dem 22. 11. 1955], APAN-W III-68/63. Berman war 1944–1956 Politbüromitglied und verantwortlich für den Staatssicherheitsdienst UB.

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empfahlen sie an seiner Statt Kazimierz Piwarski oder Gerard Labuda.334 Dieser Anregung wollte man sich in Warschau nicht verschließen. Als am 13. Dezember schließlich die überfällige Vollversammlung des Instituts zusammentrat, tagte sie unter den wachsamen Augen der ebenso linientreuen wie einflussreichen Warschauer Professoren Stanisław Arnold und Jan Wasilkowski.335 Unter diesen Umständen wendete sich das Blatt.336 Nun blies Lehr-Spławiński zum Rückzug, und aus seinem Umfeld verlautete, dass er zur Rettung des Instituts ein offenes Zerwürfnis der beiden Fraktionen vermeiden und nachgeben wolle.337 Hinter vorgehaltener Hand ließ er freilich die Auffassung verlauten, dass Kaczmarczyk die Macht im Institut an sich reißen wolle, um es zugrunde zu richten. Auch bezichtigte er die Progressiven des schamlosen Opportunismus – „des plötzlichen Abrückens von Prof. W[ojciechowski] aus Furcht, dass er stürzt und euch erdrückt oder mit sich reißt, und der Wiederanbiederung, als Wojciechowski wieder Bedeutung erlangte.“ Derjenige, der dies alles berichtete, schloss mit einem Einfühlungsversuch, der gleichzeitig die Kluft zwischen alter und junger Generation hervortreten ließ: „Auch darf man die grundsätzliche Haltung dieser älteren Leute nicht vergessen, die von unserer so verschieden ist – dieser Leute, die sich fragen, ob nicht vielleicht […] der TYGODNIK POWSZECHNY allzu links sei.“338 Der Tygodnik Powszechni war die Stimme des konservativen Katholizismus, die bis zu diesem Zeitpunkt von politischen Eingriffen fast gänzlich verschont geblieben war. Im Folgenden wurde Labuda aus Warschau zu verstehen gegeben, dass er der Wunsch­kandidat für den Direktorenposten sei. Es mag politische Vorsicht gewesen sein, dass Labuda das Angebot vorerst ausschlug und stattdessen Piwarski ins Spiel brachte.339 Am 22. Februar 1956 trat schließlich die entscheidende Mitgliederversammlung des Westinstituts zusammen. In einer aufsehenerregenden Stellungnahme distanzierte sich Gerard Labuda radikal von Zygmunt Wojciechowskis Vorstellung einer tausendjährigen deutsch-polnischen Feindschaft – in Wahrheit habe es zwischen beiden Völkern stets auch positive Kontakte

334 Ebd. 335 Letzterer verantwortete als Sekretär der Abteilung I der PAN die politische Kontrolle der Gesellschafts­wissenschaften. 336 J.  Kaczmarczyk an Józek [wohl: Józef Mitkowski] Poznań, 10. 1. 1956, APAN-P III-68/63, Bl. 123. 337 Als Kompromisslösung galt jetzt die Formel: „Direktor Labuda, erster Vizedirektor Piwarski, zweiter Vizedirektor Cyprian“. Józek [wohl: Józef Mitkowski] an Z.  Kaczmarczyk, Kraków, 2. 1. 1956, APAN-W III-68/63, Bl. 120–122. 338 Ebd. 339 Labuda, W obliczu likwidacji, S. 214 f., Anm. 28.

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gegeben. Dagegen plädierte Kamiński dafür, die Anfänge des deutschen Imperialismus weiterhin bis in die Tiefen der feudalen Epoche zurückzuverfolgen. Dass sich damit nicht etwa ein Konservativer, sondern ausgerechnet einer der wenigen Marxisten im Institut anschickte, Wojciechowskis Erbfeindschaftsthese zu retten, lässt die verschlungenen Pfade erkennen, auf denen sich im damaligen Polen nationalistische und marxistische Auffassungen kreuzten. Czekanowski parierte Labudas Ausführungen mit den „scherzhaften Worten“, man wolle das Institut wohl in eine Gesellschaft für deutsch-polnische Freundschaft umwandeln, und verdeutlichte damit, dass die meisten Anwesenden den Ruf nach einer differenzierten Sichtweise auf Deutschland immer noch als aufgesetzte Konzession an den politischen Zeitgeschmack verstanden.340 Schließlich schritt man zur Wahl des neuen Instituts-Direktors. Mit nur einer Stimme Vor­sprung für Kazimierz Piwarski gewann die progressive Fraktion äußerst knapp. Der neu ge­kürte Direktor zeigte sich zuversichtlich, dass das Institut mit der Hilfe von Staat und Partei den neuen Herausforderungen gewachsen sei, die es – man beachte die Reihenfolge – „im Dienste des Volkes, des sozialistischen Polen, des Friedens und Fortschritts der Menschheit“ zu erfüllen habe. Die knapp geschlagenen Konservativen konnten sich damit trösten, dass Tymieniecki und Wysłouch zu VizeVorsitzenden des Kuratoriums gewählt wurden.341 Die beschriebenen Ränkezüge verdeutlichen, dass das Westinstitut in jenen Jahren keines­wegs mit geschlossenen Reihen gegen die Zumutungen der Politik kämpfte, wie dies hagio­graphische Darstellungen gerne behaupten. Vielmehr war der Transformationsprozess jener Jahre in hohem Maße auch innerer Fraktionskampf zwischen einer jüngeren und einer älteren, einer opportunistischeren und einer stärker auf ihren Eigensinn bedachten Wissen­schaftlerfraktion. Nicht ganz zu Unrecht erblickte die polnische Exilpresse in der Umformung des Instituts 1956 eine Unterordnung unter die Politik: „Es grenzt an Ironie“, hieß es in London, „dass der Anschlag auf das Institut und seine Zeitschrift ausgerechnet in der Phase des allenthalben verkündeten ‚Tauwetters‘ erfolgt.“342 Auch Hackmann zeigt sich überzeugt, dass die Wiederbelebung des Instituts „nur unter Aufgabe der 1945 von Wojciechowski geschaffenen Freiräume möglich war.“343 Ganz so

340 Nadzwyczajne walne zebranie Instytutu Zachodniego, in: PZ 12/1–2 (1956), S. 214–224, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 74, S. 176–187. 341 Ebd. 342 Zmiany w Instytucie Zachodnim, in: Przegląd Zachodni, Londyn, 1956, Nr. 7/8. Zitiert nach der Abschrift in APAN-P III-8/6/49. 343 Hackmann, Strukturen, S. 253 f.

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eindeutig lagen die Dinge freilich nicht, wie ein Gedankenaustausch des Institutskuratoriums 1957 zeigte. Dort stellte Labuda seine Mitstreiter vor die Frage, in welchem Maße das WI [West-Institut] Exponent der gesellschaftlichen Meinung sein soll und in welchem Maße es solche Initiativen mit den Warschauer Partei- und Regierungs­ instanzen abstimmen soll. […] Prof. Klafkowski bekräftigt unter Bezugnahme auf Prof. Labudas Frage nach der Disponibilität des WI gegenüber den Warschauer Partei- und Regierungsinstanzen, das Institut sei eine wissenschaftliche Einrichtung mit Dienstleistungscharakter. Das bedeute allerdings nicht, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter des WI den Partei- und Regierungsinstanzen als Lakaien [wörtlich: Schuhputzer] dienen müssten. Der Experte müsse wahrheitsgetreue Materialien liefern – ohne Rücksicht darauf, ob diese den Partei- und Regierungsinstanzen gefielen oder nicht. Eine andere Frage sei dann, wie die Partei- und Regierungsinstanzen diese Materialien nutzten, aber das sei bereits nicht mehr Angelegenheit des Instituts.344

Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft erschien hier mithin als gleichberechtigte Zusammenarbeit autonomer Partner, die sich nicht in das jeweilige Tätigkeitsfeld des anderen einmischten. Es dürfte den Beteiligten wohl bewusst gewesen sein, dass sie damit eher ein Ideal als die gängige Praxis umschrieben, und man wird in der Annahme kaum fehlgehen, dass solche Gedankengänge bald den Charakter eines wissenschaftlichen Arbeitsethos, bald auch den Status einer Selbsttäuschung annehmen konnten. Wie wir noch sehen werden, waren sie allemal auch in der bundesdeutschen Ostforschung verbreitet.

4.2.10 Entstalinisierung und Arrangement mit der Staatsmacht Nach dem Abgang der Stalinisten und der Rückkehr Gomułkas an die Macht erlebte der Westgedanke eine Renaissance, die in den Jahren 1957–1959 nicht nur die eigentliche West­forschung neu belebte, sondern auch zur Gründung einer neuen Massenorganisation führte: der Gesellschaft für die Entwicklung der Westgebiete,345 welche die Nachfolge des 1950 aufgelösten Westverbands antrat. Labuda begrüßte die Gründung, verschaffte sie der Westforschung doch in seinen Augen gesellschaftliche Unterstützung und ein „geeignetes politisches Klima“.346

344 Protokół z posiedzenia Kuratorium IZ w dniu 7 marca 1957 r., AIZ 3/2, zitiert nach Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 77, S. 193–201, hier 195–197. 345 Poln. Towarzystwo Rozwoju Ziem Zachodnich [im Weiteren: TRZZ]. 346 Przemówienie prof. Gerarda Labudy na konferencji we Wrocławiu w dniu 20.I.1959 r. o potrzebie współ­pracy i koordynacji prac społecznych instytutów naukowych, działających na Ziemiach Zachodnich, 20. 1. 1959, APAN-P III-76/99.

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Vor dem wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft betonte er die Aufgabe der historischen Wissenschaften, zur „kulturellen Aneignung“ der West-Gebiete beizutragen und der dortigen Bevölkerung ein Gefühl der Verwurzelung zu geben.347 Seine Ausführungen zeigten, dass das Westinstitut nach Gomułkas Rückkehr an die Macht zu seiner ursprünglichen Existenzberechtigung – der Legitimierung von Polens Westerweiterung – zurückgefunden hatte. Labuda mochte Deutschland sehr viel unvoreingenommener gegen­überstehen als sein Vorgänger Wojciechowski; an Polens Anspruch auf die ‚Wieder­gewonnenen Gebiete‘ zweifelte er jedoch ebenso wenig wie sein vormaliger Mentor. Deutlich wurde dies im Umfeld der Tausendjahrfeierlichkeiten des polnischen Staates.348 Propagandistische Hauptaufgabe der Veranstaltung war es, die territoriale Identität der Volksrepublik Polen mit dem ersten polnischen Staat der Piasten herauszustellen. Zu diesem Zweck sollte 1965 an die zwanzigjährige „Rückkehr“ der Westgebiete in den polnischen Staatsverband erinnert werden,349 und bereits 1960 wurde mit großem Aufwand der Schlacht bei Tannenberg gedacht.350 In den folgenden Jahren setzten sich Polens Historiker intensiv mit den Anfängen des polnischen Staates351 und dem deutschen ‚Drang nach Osten‘ ausein­ander.352 Labuda versprach im Namen des Westinstituts, als dessen Vizedirektor er damals amtierte, eine Geschichte der polnischen Westgrenze über 1000 Jahre beizusteuern, deren Notwendigkeit er folgendermaßen begründete: Die Gesellschaft erwartet Erklärungen, weshalb der polnische Staat seinerzeit die Westgrenze an Oder und Neiße gestaltet hat, weshalb er in der Folge von ihr abwich, weshalb er schließlich nach vielen Jahrhunderten zu ihr zurückkehrte. Aufgabe des Westinstituts ist die Verbindung der Vergangenheit mit der Gegenwart.353

347 Protokół posiedzenia Prezydium Rady Naukowej do spraw Ziem Zachodnich odbytego w dniu 3 marca 1958r., 3. 3. 1958, APAN-W III-81/205, Bl. 11–18, hier S. 3 f. 348 Diese Feierlichkeiten waren nicht zuletzt als Gegengewicht zu den Tausendjahrfeiern der Christianisierung Polens geplant, die die katholische Kirche zeitgleich mit großem Aufwand und sehr zum Missfallen der Partei­führung organisierte. Andrzej Wyczański, Uwagi o nauce histo­ rycznej w Polsce w dobie X Międzynarodowego Kongresu Nauk Historycznych w Rzymie (1955), in: PH 97/1 (2006), S. 49–64, hier S. 53. 349 Zur Arbeit des mit den Vorbereitungen beauftragten Komitees APAN-W III-192/61. 350 Uchwała Komitetu Przygotowawczego Obchodów Tysiąclecia Państwa Polskiego akceptowana przez Radę Państwa, 12. 2. 1960, APAN-W III-192/61, Bl. 59–71, S. 7 u. 14. 351 Die Ergebnisse einer Konferenz unter diesem Titel, die ausführlich auf die Stellung Frühpolens gegenüber dem deutschen Reich eingegangen war, präsentierte der Kwartalnik Historyczny in Nr. 4 des Jahres 1960. 352 Herbert Ludat, Die Anfänge des polnischen Staates und das Verhältnis der Polen zu ihrer Geschichte, in: GWU 11/10 (1960), S. 581–599. 353 Udział Instytutu Zachodniego w przygotowaniu obchodu „tysiąclecia“ państwa polskiego, Januar 1957, APAN-W III-192/61, Bl. 11. Wenig später plante das IZ bereits fünf Millennium-

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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Dass Labuda die Argumentation zugunsten einer historischen Westgrenze Polens an Oder und Neiße offenbar schwerer fiel als zunächst erwartet, wusste das Institut hinter patriotischem Getöse zu verbergen; von den argumentativen Schwierigkeiten des Unterfangens zeugt jedoch der Umstand, dass der Autor sich erst zu Beginn der Siebzigerjahre in der Lage sah, eine befriedigende Darstellung des Gegenstandes zu veröffentlichen, die unter dem Titel Polens Westgrenze. Tausend Jahre politischer Geschichte erschien.354 Deutlich kristallisierte sich in jenen Jahren ein spezifischer Umgang mit der deutsch-polnischen Frage heraus, der die geschichtspolitische Argumentation in Polen für die nächsten drei Jahrzehnte prägen sollte. Politische Grundlage dieser Linie war der Umstand, dass an der Oder-Neiße-Linie als polnischer Westgrenze unter allen Umständen festzuhalten war, auf der Basis des territorialen Status quo aber gleichzeitig eine Verständigung mit Deutschland – auf jeden Fall mit der DDR, zunehmend aber auch mit der BRD – herbeigeführt werden sollte. Dieses Doppelinteresse führte dazu, dass beide Diskursfelder, polnische Westgebiete erstens und deutsch-polnische Beziehungen zweitens, ungeachtet ihrer inhaltlichen Verbundenheit zunehmend divergierenden Diskursregeln gehorchten: 1. Der historiographische Umgang mit Polens Westgebieten stand weiterhin unter der Kuratel eines rigiden Nationalismus, der wissenschaftliche Interpretationen außerhalb der gängigen Geschichtsmythen der piastischen Idee oft gänzlich verunmöglichte. 2. In der Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen eröffneten sich hingegen zwischen den gegensätzlichen Paradigmen historischer Erbfeindschaft und sozialistischer Völker­freundschaft allmählich Deutungsspielräume, die zwar stark von der politischen Konjunktur abhängig blieben, allmählich aber doch einer sachlicheren, das heißt weniger apodiktischen und stärker quellengestützten Forschung den Weg bereiteten.

spublikationen: Die Geschichte der polnischen Westgrenze sollte nun zwei Bände umfassen – einen „historisch-geographischen“ von Zygmunt Sułowski sowie einen politikgeschichtlichen von Gerard Labuda und Kazimierz Piwarski. Weiter sollte Benon Miśkiewicz die Verteidigung der polnischen Westgrenze in frühfeudaler Zeit darstellen; der deutsch-polnischen Frage auf der Versailler Friedenskonferenz sollte ein Sammelband gewidmet werden, und für Józef Kostrzewskis Frühpolnische Kultur plante man eine dritte Auflage. Preliminarz budżetowy wydawnictw związanych z Millenium, Poznań, 24. 5. 1958, APAN-P III-68/63, Bl. 130. 354 Gerard Labuda, Polska granica zachodnia. Tysiąc lat dziejów politycznych, Poznań 1971. Zur Gesamtheit von Labudas Forschungen zur polnischen Westgrenze s. Marceli Kosman, Polska granica zachodnia. Siedem dekad badań Gerarda Labudy, in: PZ 67/2 (2011), S. 137–155.

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Diese Schere zwischen einer zunehmend sachlichen Deutschlandhistoriographie und einer weiterhin stark dogmatischen Geschichtsschreibung der polnischen Westgebiete gilt es im Folgenden in Erinnerung zu behalten, verlieh sie der polnischen Westforschung doch auf lange Jahre ihr eigenartiges Gepräge und sorgte noch im Rahmen der bundesdeutsch-polnischen Schulbuchkommission in den Siebzigerjahren für unerwartete Wendungen der deutsch-polnischen Verständigungsbemühungen. Doch verfolgen wir die Auseinandersetzung mit der deutschen Wissenschaft von ihren Anfängen an.

4.2.11 Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichtswissenschaft In den ersten Nachkriegsjahren befand sich die polnische Westforschung in der sonderbaren Lage, dass ihr der eben noch so übermächtige Gegner, die deutsche Ostforschung, abhanden gekommen war. Der Auseinandersetzung mit deutschen Positionen tat dies keinen Abbruch, denn aus polnischer Sicht hatte die deutsche Wissenschaft in den Jahren ihrer machtpolitisch gesicherten Überlegenheit reichlich Interpretationen produziert, die es zu widerlegen galt. Diese Aufgabe wurde mit großem Eifer in Angriff genommen. Die geistigen Voraussetzungen der Ostforschung suchte man dabei nicht in den spezifischen Befangenheiten einer wissenschaftlichen Disziplin, sondern in der Hypertrophie eines ganzen Volkes. Die Vorstellung, dass nationales Engagement der wissenschaftlichen Arbeit per se abträglich sei, überforderte zu diesem Zeitpunkt das Abstraktionsvermögen der meisten Westforscher. Im selben nationalistischen Diskurs befangen wie ihre deutschen Kollegen, waren sie weitgehend unfähig oder doch unwillens, diesen zu hinterfragen. So ließen sie das problematische Wissenschaftsverständnis ihrer deutschen Gegenspieler weitgehend unkommentiert. Die wenigen Versuche, die in diese Richtung unternommen wurden, sind schnell überblickt und beschränkten sich im wesentlichen auf drei Beiträge im Przegląd Zachodni, mit denen die Ostforschung 1947/1948 gewissermaßen inventarisiert und ad acta gelegt wurde. Im Zuge dessen erfuhr Brackmann eine Würdigung als „politischer Professor“, der die Grundsätze wissenschaftlicher Redlichkeit aufs Gröbste missachtet habe. Die zentrale Lenkung der deutschen Ostforschung durch eine „Geheimorganisation“ in Gestalt der Publikationsstelle Dahlem lieferte den Beleg dafür, dass die deutsche Wissenschaft in den Dreißiger- und Vierzigerjahren nur mit geheimbündlerischen Methoden gegen die überlegenen Argumente der freien polnischen Wissenschaft angekommen sei. Besondere Genugtuung verschaffte den polnischen Westforschern in diesem Zusammenhang die Entdeckung, dass die Publikationsstelle in großem Stil polnische Arbeiten ins Deutsche übertragen und damit einer Auseinandersetzung für würdig befunden hatte, die Übersetzun-

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gen aber nicht öffentlich zugänglich machte, da sie offenbar die Überzeugungskraft der polnischen Argumente fürchtete.355 Der deutschen Nachkriegshistoriographie galt 1947 Wojciechowskis Besprechung von Meineckes Deutscher Katastrophe in den Spalten des Przegląd Zachodni. Das Urteil lautete, Meinecke habe den Nationalsozialismus nicht als zwangsläufigen Fluchtpunkt einer seit Jahrhunderten fehlgeleiteten Geschichte erkannt, sondern ihn gewissermaßen zum Betriebsunfall der deutschen Historie bagatellisiert und damit das Wesen des Problems verkannt.356 Dieser vom Geist der re-education getragene Text sollte in den folgenden Jahren keine Fortsetzungen finden. Die Tatsache, dass ein fertiger Aufsatz zu Brackmanns Verständnis der polnischen Geschichte in Wojciechowskis Schublade liegen blieb,357 gibt Anlass zur Vermutung, dass eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Thesen der Ostforschung in Warschau kein Interesse fand und womöglich gar als unnötige Würdigung feindlicher Auffassungen galt, die sich ohnehin erledigt hatten. Noch zu Jahresbeginn 1950 konnte man in Posen davon ausgehen, dass polnischen Bedenken gegen die Überreste der deutschen Ostforschung international Rechnung getragen wurde. Damals erkundigten sich die Organisatoren des bevorstehenden internationalen Historiker­kongresses in Paris bei ihren polnischen Kollegen, ob gegen die Teilnahme bestimmter deutscher Historiker Vorbehalte bestünden. Das Westinstitut erhob Einwände gegen Wilhelm Unverzagt und „große Vorbehalte“ gegen Hermann Aubin sowie Edmund Stengel, „der zweifellos Kollaborateur war.“358 Noch im selben Jahr gelangten die polnischen Westforscher jedoch zur Einsicht, dass sie sich in falscher Sicherheit wiegten, wenn sie glaubten, ihre deutschen Gegenspieler seien dauerhaft gebannt. Spätestens seit der Gründung des Herder-Instituts im Jahre 1950 war erkennbar, dass die deutsche Ostforschung zu „einem neuen Anfang“ (Aubin) anhob. Besonders dramatisch erschien in Posen der Umstand, dass das Wiederaufleben der Ostforschung mit der stalinistischen Repression der Westforschung zusammenfiel. „Adenauer,

355 Jan Kosiński, Polityczny profesor, in: PZ 3 (1947), S. 980–992; Baumgart, Organizacja; Ders., Co tłumaczyła. 356 Zygmunt Wojciechowski, Katastrofa Niemiec w oświetleniu historyka niemieckiego, in: PZ 3 (1947), S. 687. Es handelt sich um eine Besprechung von Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946. 357 Z.  Wojciechowski, Istota dziejów Polski w ujęciu p. Alberta Brackmanna, Manuskript für den Przegląd Zachodni, 12 Bl., 1947, APAN-P III-8, Ks. Nabytków B-84 – Fragment Nr. 5, 2. 358 Z.  Kaczmarczyk, Sekretär der Wissenschaftsabteilung, an Tadeusz Manteuffel, 7. 1. 1950, APAN-W III-192/38, Bl. 147. Stengel war 1937 zum Präsidenten des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde ernannt worden.

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der das Westinstitut und mich persönlich letzten Monat so scharf angegriffen hat, würde sich gewiss freuen, wenn er von den Bedingungen wüsste, unter denen wir jetzt arbeiten“, schrieb ein verbitterter Wojciechowski im März 1952 an ZK-Sekretär Edward Ochab.359 Seine Klage blieb unbeantwortet. So ist es kein Zufall, dass das Westinstitut erst nach Stalins Tod, im Sommer 1953, eine Kampagne zur Abwehr der Ostforschung startete. Den Anfang machte ein alarmierendes Schreiben an die gesellschaftswissenschaftliche Abteilung der PAN „Betr[effend] wissenschaftliche Institute in Westdeutschland, die sich mit Ostfragen beschäftigten, die Notwendigkeit, sie zu beobachten und die Notwendigkeit, ihnen im Ausland entgegenzuwirken“. Nach der kriegsbedingten Unterbrechung hätten die Ostforscher aus Berlin, Danzig, Königsberg und Breslau inzwischen ihre Arbeit in Westdeutschland wieder aufgenommen. Flaggschiff der neuen Einrichtungen sei das Marburger Herder-Institut, wo Hermann Aubin, Erich Keyser und der Anthropogeograph Herbert Schlenger dem unheilvollen Raumbegriff neues Gewicht verliehen. Unter ihren Mitarbeitern fänden sich ehemalige Polendeutsche wie Gotthold Rhode, die über hervorragende Polenkenntnisse verfügten. Vorgeblich bemühe sich das Institut, ein neues Verhältnis zu den Völkern Mittel-Osteuropas zu finden. „Aber das sind die gleichen Taschenspielertricks wie bisher.“ In Wahrheit sei das Institut „eine offensichtliche Fortsetzung der Brackmann’schen ‚Publikations­stelle‘“. Die Aktivitäten, die es gemeinsam mit weiteren Einrichtungen desselben Schlags entfalte, dienten einem großangelegten revisionistischen Plan zu, den Adenauer Schritt um Schritt verwirkliche.360 Gegenüber der Staats- und Parteiführung spitzte Wojciechowski dieses Argument wenige Monate später noch zu, indem er die Ostforscher als unmittelbare Vordenker der deutschen Ostpolitik darstellte: Diese Institutionen und diese Periodika bilden die Grundlage eines umfassenden politischen Pro­gramms. Es hat den Zweck, in der deutschen Gesellschaft und in den Ländern, auf die die deutsche Propaganda einwirkt, die Überzeugung zu erhalten, die Westgebiete gehörten zu Deutschland und der polnische Expansionsdrang müsse nach Osten gelenkt werden. […] In diesen Instituten wird also ein wissenschaftlich-politisches Programm geschmiedet, das zum geeigneten Zeitpunkt auf Polen angewandt werden soll. […] Auf diese Aktivitäten muss große Aufmerksamkeit verwandt werden, denn indem man sie beobachtet, kann man – ähnlich wie dies vor dem letzten Krieg der Fall war – sehr konkrete Schlüsse über die in nächster Zeit beabsichtigte Richtung der praktischen westdeutschen Politik ziehen.361

359 Z. Wojciechowsi an Edward Ochab, 10. 3. 1952, AAN KC-PZPR/237/XVI/59, Bl. 34–37. 360 Dagegen seien die polnischen Propagandabemühungen, die sich besonders in Frankreich unmittelbar nach dem Krieg hoffnungsvoll angelassen hätten, seit 1949 fast zum Erliegen gekommen. Z. Wojciechowski an die Abteilung I der PAN, Warszawa, 18. 6. 1953, AIZ 21/20, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 58, S. 129–131. 361 Z. Wojciechowski, Memoriał – notatka w sprawach Instytutu Zachodniego, 28. 10. 1953, AIZ 21/20, abgedruckt in ebd., Nr. 60, S. 133–136.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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Umso verdrießlicher schien es den Posenern, dass die Voraussetzungen für eine genaue Beobachtung noch kaum gegeben waren. Zwar hatte das Westinstitut mit einigen deutschen Ostinstituten, „die in den letzten Jahren und Monaten aus der Erde geschossen sind wie Pilze nach dem Regen“, einen Schriftenaustausch anknüpfen können, doch blieben die Buch­sendungen aus dem Herder-Institut und dem Münchner Institut für Zeitgeschichte immer wieder an der Grenze hängen.362 Und noch in einem zweiten Sinne sah Wojciechowski die wissenschafts-propagandistische Auseinandersetzung mit Deutschland durch staatliche Eingriffe beeinträchtigt: Zensur und Verlagszentralisation hätten die wissenschaftliche Produktion in Polen so schwerfällig gemacht, dass publizistische Angriffe aus der Bundesrepublik nur noch mit großer Verzögerung zu parieren seien, und wenn neue Werke endlich doch alle Zensoren passiert hätten, seien sie so langweilig, dass sie kaum noch in Polen, geschweige denn im Ausland, Leser fänden. Dagegen sei die Ostforschung daran, ihre Kampfschriften aus der Zwischenkriegszeit neu aufzulegen.363 Interessant ist, dass das Institut die Möglichkeit einer deutsch-polnischen Entspannung bereits damals vorwegnahm, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unter diesen Bedingungen aber noch größere Bedeutung zumaß: Friedliche Beziehungen zur Bundesrepublik würden die kulturelle Rivalität zweifellos noch erhöhen und den polnischen Rückstand umso dramatischer hervor­treten lassen, lautete das Argument.364 Aus den überlieferten Quellen wird nicht ersichtlich, wie sich die politische Führung zu den propagandistischen Abwehrplänen des Westinstituts stellte. Dass sie zumindest kein Veto einlegte, ist aus dem Umstand ersichtlich, dass das Institut gleichzeitig zu den politischen Vorstößen eine publizistische Offensive im Przegląd Zachodni begann. „Westdeutschland erneuert die Ostforschung im großen Stil“, warnte Mieczysław Suchocki noch vor Jahresende 1953. 1954 folgten Beiträge zum Göttinger Arbeitskreis und zum Herder-Institut.365 Eine außergewöhnlich umfangreiche Besprechung galt dem gerade erschienenen ersten Band zur „Dokumentation der Vertreibungen“, den Andrzej Józef Kamiński als

362 Z. Wojciechowski an das ZK der PVAP, 9. 12. 1953, AIZ 22/4. 363 Als Beispiel nannte der Verfasser Walter Kuhns Geschichte der deutschen Ostsiedlung der Neuzeit, die beim Herder-Institut [im Weiteren: HI] neu aufgelegt werden solle. 364 Z. Wojciechowski an Stefan Żółkiewski, Leiter der Abteilung Wissenschaft des ZK der PVAP [in Kopie an Bolesław Bierut, Józef Cyrankiewicz, Jakub Berman], Dotyczy ofensywy naukowej w Niemczech Zachodnich, Juni 1953, AAN KC-PZPR/237/XVI/231, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 62, S. 149 f. 365 Mieczysław Suchocki, Niemcy zachodnie wznawiają na szeroką skalę tzw. „Ostforschung“, in: PZ 9/4–5 (1953), S. 597–603; Andrzej Józef Kamiński, Słowo o „Göttinger Arbeitskreis“, in: PZ 10/5–6 (1954), S.  203–220; Zygmunt Wojciechowski, Elementy historii Polski w ujęciu HerderInstitut, in: PZ 9/4–5 (1953), S. 603–605.

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„Dokument des westdeutschen Revisionismus“ verurteilte, das den Grundsätzen wissenschaftlicher Redlichkeit spotte.366 Neben solchen Beiträgen muteten Aufsätze wie jener über die „Wende zum Fortschritt in der deutschen historischen Literatur“ – gemeint war die Historiographie der DDR – wie Pflichtübungen im Unterscheiden von Klassenfreund und Klassenfeind an.367 Glaubt man Kamińskis Ausführungen von 1955, so war der Gegner inzwischen zu monströser Größe herangewachsen: „Einige Dutzend Institute, die sich wissenschaftlich nennen“, betrieben in Deutschland eine revisionistische Propaganda, die „alle Kontinente“ erreiche. „All diese Zentren verfügen über einen riesigen Stab von Mitarbeitern und Zuträgern und über nahezu unbegrenzte Mittel, die ihnen von den zuständigen Regierungsstellen der Deutschen Bundesrepublik, vom Großkapital und auch von den amerikanischen Imperialisten bereitwillig zur Verfügung gestellt werden.“ Ihnen könne in Polen nur das Westinstitut Paroli bieten, und auch das nur, wenn es seine Abwehrmaßnahmen intensiviere.368 Dabei gelte es, die Initiative zurückzugewinnen: An die Stelle abwehrender Detailpolemik müsse der Nach­weis eigener Überlegenheit treten – „z.B. Aufweis der polnischen Errungenschaften in den Westgebieten ohne ausdrückliche Polemik mit der revisionistischen Propaganda über die ‚polnische Wirtschaft‘, die ‚Wüste jenseits der Oder‘ etc.“ Defensive Argumente müssten einer offensiven Taktik weichen – „Vortragen des Kampfes auf das Terrain des Gegners: De­maskierung des deutschen Imperialismus […], Verdeutlichung […] des gesellschaftlich-politischen Stammbaums der gegenwärtigen Regierung und der Bonner Politik etc.“ Angriff sei bekanntlich die beste Verteidigung. Die Erforschung des deutschen Imperialismus wollte Kamiński 1848 beginnen lassen – nur so könne gezeigt werden, dass der Hitlerismus der Kulminationspunkt einer langfristigen Fehlentwicklung der deutschen Geschichte gewesen sei und nicht ein Ausnahmefall, wie dies Ritter und Rothfels behaupteten. Immerhin fällt auf, dass Kamiński im Vergleich zu Wojcie­chowski die Vorgeschichte des Nationalsozialismus von tausend auf hundert Jahre verkürzte – offensichtlich

366 Andrzej Józef Kamiński, O dokumentację przesiedlenia Niemców z obszarów we wschód od Odry i Nysy, in: PZ 10/7–8 (1954), S. 458–475. Suspekt schienen dem Rezensenten sowohl die Art der Quellenerhebung durch nachträgliche Befragung wie auch die unklaren Kriterien zur Auswahl der Zeitzeugen, die unerklärterweise wohl Flüchtlinge mit nationalistischer Gesinnung und gehobener Klassenzugehörigkeit bevorzugt hätten. Seine schärfste Kritik richtete er gegen die weitgefasste Deutung des Vertreibungsbegriffs, unter den auch Flucht und Evakuation durch deutsche Stellen subsumiert würden. Ebd., S. 469 f. 367 Andrzej Józef Kamiński, Zwrot ku postępowi w niemieckiej literaturze historycznej, in: PZ 9/1–5 (1953), S. 375–396. 368 A. J. Kamiński, Projekt programu organizacji i pracy, undatiert [November/Dezember 1955], AIZ 3/2, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 70, S. 162–167, Zitat S. 161.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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eine Konzession an Warschauer Vorgaben, sich auf das 19. und 20. Jahrhundert zu beschränken. Doch nicht nur die Verbindung des Hitlerismus mit der Vergangenheit gelte es herauszustellen, sondern auch jene mit der Gegenwart. Zu diesem Zweck sollte der Nachweis geführt werden, dass das deutsche Volk den Imperialismus nicht aus eigener Kraft überwunden habe. Insbesondere müsse gezeigt werden, dass die Attentäter des 20. Juli 1944 keine Korrektur der expansiven deutschen Außenpolitik bezweckt hätten. Hier wurde ein Ereignis angesprochen, dessen Bewertung bundesdeutsche und polnische Historiker noch zwanzig Jahre später in der Schulbuchkommission scheiden sollte.369 Eindringlich forderte Kamiński, der Gegnerabwehr im Umgang mit Deutschland Vorrang vor der Freundschaftspflege einzuräumen – schließlich stehe der weitaus größere der beiden deutschen Staaten Polen immer noch feindselig gegenüber. Verhängnisvoll schien ihm in diesem Zusammenhang die Tendenz, den Einfluss der „progressiven Kräfte“ in Westdeutschland zu überschätzen.370 Seine Wachsamkeits­parolen richtete er nicht zuletzt an die eigenen Reihen, in denen die Einschätzung um sich griff, der deutsche Revisionismus sei inzwischen auch in der Bundesrepublik selbst in die Defensive geraten. So kehrte Edmund Osmańczyk von einer Arbeitsreise in die BRD mit dem Eindruck zurück, die dortige Öffentlichkeit glaube kaum noch an eine Änderung des gegenwärtigen Status quo, und wo dies doch der Fall sei, halte man die Wiedervereinigung Deutschlands bei gleichzeitiger Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze für die wahrscheinlichste Lösung.371 Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Instituts vom 22. Februar 1956 be­kräftigte Labuda seine Forderung nach einem konstruktiven Verhältnis zu Deutschland und verdeutlichte unmissverständlich, dass dazu ein Bruch mit Wojciechowskis Leitgedanken notwendig sei: Prof. Wojciechowski [sah] die Geschichte der polnischen Mutterländer als Geschichte der Auseinandersetzung mit dem deutschen Staat […] Diese eigenwillige Konzeption der Mutterländer hat die gesamte Tätigkeit des Westinstituts belastet. Für die zukünftige Tätigkeit des Instituts muss die Grundlage eine andere sein – die Frage nach der Geschichte und den Formen des polnisch-deutschen Zusammenlebens, die Frage der Kontaktsuche mit den neuen Kräften des Fortschritts und der Demokratie in Deutschland, insbesondere in der DDR.372

369 S. u., Kap. 6.3.2. 370 Kamiński, Projekt programu organizacji i pracy […]. 371 E.  Osmańczyk an das Kuratorium des IZ, zu Händen T. Lehr-Spławiński, Warszawa, 5. 11. 1955, abgedruckt in: Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 69, S. 161. 372 Zebranie, abgedruckt in Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr.  74, S.  176–187, hier S. 181 f.

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Die Formen des deutsch-polnischen Zusammenlebens seien nicht immer antagonistisch ge­wesen und müssten es auch in der Gegenwart nicht sein. Geschickt leitete Labuda aus den Gesetzmäßigkeiten einer historisch-materialistisch verstandenen Geschichte Konsequenzen für das polnisch-deutsche Verhältnis ab: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts habe Deutschland in feudaler Expansion nach Osten gedrängt, seither habe die kapitalistische Entwicklung zur industriellen Verdichtung im Westen Deutschlands geführt. Dadurch seien die Grundlagen für ein friedliches Nebeneinander von Deutschen und Polen gelegt worden, die nach dem letzten, schrecklichen Aufbäumen des reaktionären deutschen Imperialismus genutzt werden könnten.373 Bereits damals wusste man im Westinstitut auch durchaus schon zwischen der „radikalen Ostforschung“ und einer „gemäßigten Gruppe“ bundesdeutscher Historiker zu unterscheiden. Zur Ersteren rechnete man Hans Rothfels und Werner Conze, zur Letzteren den Kreis um die Historische Zeitschrift – Ludwig Dehio, Gerhard Ritter und Fritz Hartung. Unsicher war man sich hinsichtlich der Gesinnung von Helmut Krausnick, dem Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte.374 1956 veröffentlichte Labuda im Przegląd Zachodni einen umfang­ reichen Aufsatz unter dem Titel Alte und neue Tendenzen in der westdeutschen Geschichts­schreibung.375 Erstmals brachte er darin vor einem breiten Publikum die Einschätzung zum Ausdruck, dass die westdeutsche Historikerzunft neben revisionistischen Vertretern auch ‚sachliche‘ Exponenten vorweisen könne, mit denen eine Verständigung unter bestimmten Umständen nicht ausgeschlossen sei. Damit fiel das bisherige Dogma, wonach ein deutsch-polnischer Dialog nur mit den ‚progressiven‘ Historikern der DDR möglich sei. Förderlich waren solchen Auffassungen fraglos die damaligen Zeitumstände. In den späten Fünfzigerjahren zeichnete sich erstmals eine Entspannung zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland ab, an der auch die Historiker beider Länder teilhatten. Enno Meyers Schulbuchthesen, Walter Schlesingers neue Sicht auf die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung und Fischers Thesen zu den deutschen Kriegszielen im Ersten Weltkrieg standen beispielhaft für diese Dialogbereitschaft. Etliche polnische Historiker nahmen diese Diskussionsanstöße auf und lieferten sich in den folgenden Jahren eine

373 Ebd. Vgl. Hackmann, Strukturen, S. 253. 374 Derjenige, der diese Unterscheidungsgabe bewies, war ironischerweise wiederum Kamiński, der an anderer Stelle so eifrig das Schreckensbild des allumfassenden Revisionismus in der bundesdeutschen Forschung und Politik malte. A. J. Kaminski, Notatka dla p. prof. Zygmunta Wojciechowskiego, als Anlage zu: Z. Wojciechowski an Manfred Lachs, MSZ, 9. 2. 1955, AIZ 22/4. 375 Gerard Labuda, Stare i nowe tendencje w historiografii zachodnio-niemieckiej, in: PZ 12/5– 8 (1956), S. 224–252.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

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Auseinandersetzung mit den deutschen Kollegen, die unter der Kruste floskelhafter Bekenntnisse zu hergebrachten Geschichtsmythen zahlreiche Verständigungsansätze zwischen den beiden Historiographien erkennen ließ.376 Unter diesem Eindruck systematisierte Labuda die deutsch-polnische historiographische Auseinandersetzung 1960 unter dem Titel Zentrale Probleme der deutschpolnischen Beziehungen in der Vergangenheit zu einer Art Prüfliste, die zukünftige deutsch-polnische Historikergespräche abzuarbeiten hätten. Dabei teilte er die zu behandelnden Fragen in zwei große Kreise: einen territorialen, der mit dem Ordensstaat begann und mit der Oder-Neiße-Linie endete, und einen demographischen, dessen Bogen von der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung bis zu den Zwangsaussiedlungen nach 1945 reichte. Zur erwünschten Diskussion kam es vorerst jedoch nicht.377 1961 unterbrach der Bau der Berliner Mauer die keimende Verständigung. Auch vom Posener Westinstitut wurde verlangt, dass es den antiimperialistischen Schutzwall als notwendige Abwehrmaßnahme gegen die Bonner Revisionisten darstelle. Allerdings mahnte Kaczmarczyk 1962 zu einer geschmeidigen Strategie: Auf „unmittelbare Polemik“ wolle man verzichten, die „Auseinandersetzung mit den revisionistischen Thesen“ Westdeutschlands solle sachlich und im Rahmen eines soliden Forschungs- und Publikationsprogramms erfolgen – so gebiete es die „Würde der polnischen Wissenschaft“.378 Hier klang bei aller Dienstbeflissenheit der Posener Westforscher der Unwille an, wieder zu einer gänzlich holzschnittartigen Deutschland-Propaganda zurückzukehren. Selbst unter den gewandelten Bedingungen rissen die Kontakte in die Bundesrepublik nicht mehr gänzlich ab. Zumindest am Rande war das Institut in die kirchlichen Initiativen zur deutsch-polnischen Verständigung involviert. Bereits 1959 waren die Institutsangehörigen Zbigniew Kulak und Marian Wojciechowski in die Bundes­republik gereist, um erste Kontakte mit bundesdeutschen Historikern anzuknüpfen. Dabei stellten die deutschen Gesprächspartner nicht ohne Verwunderung fest, dass die politischen Vorstellungen der beiden Polen, die nominell der PVAP angehörten, „stark kath[olisch] orientiert“ seien, „was auch

376 Labudas Repliken auf Schlesinger erschienen im PZ 14/1 (1958), S. 186 ff., sowie in Western Affairs 2/2 (1961), S. 260–283. Ludat (Hg.), Polen und Deutschland, S. 143. 377 Gerard Labuda, Węzłowe problemy stosunków polsko-niemieckich w przeszłości, in: Kry­ s­tyna Trawińska-Nastula (Hg.), O problemie niemieckim, Warszawa 1960, S.  9–34. Dazu auch Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, S.  49. Erst im Vorfeld der bundesdeutsch-polnischen Schulbuchgespräche holte Labuda diese Thesen wieder aus der Versenkung, um sie der deutschen Gegenseite zu präsentieren. S. u., Kap. 6.3.1. 378 Z.  Kaczmarczyk, Zwalczanie rewizjonizmu zach.-niemieckiego, undatiert [1962?], APAN-P III-68/63, Bl. 157.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

daran zum Ausdruck kam, dass sie sich erboten, eine Verbindung zu dem profiliertesten Vertreter der kath. Znak-Gruppe im polnischen Sejm, dem Schriftsteller Kisielewski herzustellen.“379 Bemerkenswert scheint, dass auch Labuda, der seit 1959 Institutsdirektor war und von dem sich die Partei 1956 eine historisch-materialistische Neu­ orientierung des Instituts versprochen hatte, die katholischen Strömungen im Institut keineswegs ausmerzte.380 Zwar gewannen Parteimitglieder unter den Institutsangehörigen in jenen Jahren die Mehrheit, doch 1961 ging die Institutsleitung erneut an einen parteifernen Historiker, Michał Sczaniecki, über. Unter dem Eindruck, dass die Parteizelle im Institut ihren Einfluss nicht nutze und den verbleiben­den Trägern einer „klerikalen Ideologie“ nicht entschlossen genug entgegentrete, entschloss sich das Wojewodschaftskomitee der Partei 1964 zu dessen Absetzung.381 Die formale Handhabe dazu war 1962 gelegt worden, als die wissenschaftliche Selbstverwaltung des Instituts beendet worden war.382 Sczaniecki musste Zdzisław Kaczmarczyk weichen, der es indes ebenfalls versäumte, die „Klerikalen“ in die Schranken zu weisen. Aus Sicht der Partei war dies umso bedenklicher, weil kirchliche Kreise in Polen und Deutschland in jenen Jahren für eine Verständigung zwischen beiden Völkern warben. Nach ermutigenden Signalen aus der Bundesrepublik bekannten sich namhafte polnische Bischöfe im November 1965 öffentlich zur Versöhnung zwischen den beiden Nachbarvölkern.383 Auf die kirchliche Infragestellung ihrer außen- und bündnispolitischen Dogmen reagierte die Partei überaus gereizt. Eine Diffamierungskampagne unterstellte dem Klerus Verrat an der polnischen Nation, und Vertreter der intellektuellen Eliten wurden genötigt, eine Erklärung gegen den Brief der Bischöfe zu unterzeichnen. Diesen Schritt verweigerte im Westinstitut eine Reihe von Wissenschaftlern, unter ihnen der Zeitgeschichtler Karol Marian Pospieszalski. Auf diesen Eklat antwortete die Partei mit einem erneuten Direktorenwechsel: Mit Władysław Markiewicz übernahm nun ein gänz-

379 Vermerk des Polen-Arbeitskreises Wlotho, zu Händen des interministeriellen Arbeitskreises für Ost-West-Fragen, März 1959. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes [Im Weiteren: PAAA], B 12/473. 380 Dies mochte mit seinem Selbstverständnis als Mittler zwischen dem konservativen und dem progressiven Flügel des IZ zusammenhängen. 381 Choniawko/Mazur, IZ w dokumentach, Nr. 105, S. 265–268. 382 Dies war bewerkstelligt worden, indem das IZ, wie seit langem geplant, administrativ von seinem Trägerverein getrennt und der Akademie unterstellt worden war. Hackmann, Strukturen, hier S. 254. 383 Hierzu Basil Kerski/Thomas Kycia/Robert Żurek, „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe von 1965 und seine Wirkung, Osnabrück 2006.

4.2 Das Posener Westinstitut und die erneuerte Westforschung 

 235

lich loyaler Vertrauensmann der Partei die Leitung des Instituts; Pospieszalski wurde entlassen.384 Ein Hardliner war indes auch Markiewicz nicht; wenige Jahre später erwarb er sich als polnischer Delegationsleiter der Schulbuchgespräche zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland rasch die Wertschätzung der westdeutschen Fachkollegen. All diese Umtriebe erschütterten die wissenschaftliche Beschäftigung des Instituts mit Deutschland nie mehr derart grundlegend, wie dies zu Zeiten des Stalinismus geschehen war. Seit den späten Fünfzigerjahren entfaltete es eine kontinuierliche Forschungs- und Publikationstätigkeit, die zwar nicht ohne ideologisches Beiwerk auskam, meist aber auf soliden Recherchen beruhte. Im Zentrum standen Untersuchungen zur Geschichte Deutschlands und der deutschpolnischen Beziehungen im 20.  Jahrhundert. Die Okkupationsforschungen des Instituts haben oben bereits Darstellung gefunden; ein breiteres Themenfeld bediente darüber hinaus das Deutschlandkundliche Studium. Die Reihe, die 1948 nach zwei Bänden eingestellt worden war, wurde in den späten Fünfzigerjahren neu belebt und verzeichnete bis Ende der Sechzigerjahre siebzehn weitere Titel.385 Unter dem Eindruck der Fischer-Kontroverse386 dominierten Fragen nach der Kontinuität deutscher Hegemonialbestrebungen in Mittel- und Osteuropa. Die Spuren des deutschen Imperialismus verfolgte man von den historischen Schriften eines Hans Delbrück über den Ostmarkenverein und die Haager Konferenz bis zur Vertriebenenpartei BHE; unter politischem Druck wurde auch eine wis­ senschaftlich wenig befriedigende epochenüberspannende Perspektive auf das Phänomen gesucht.387 Den Gang der deutsch-polnischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit rekapitulierten Jerzy Krasuski und Marian Wojciechowski minutiös in drei einander ergänzenden Bänden.388 Eine weitere Studie beleuch­

384 Pospieszalski urteilte, das Institut habe fortan faktisch dem Wojewodschaftskomitee der PVAP unterstanden. K. M.  Posieszalski, Uwagi o przebiegu prac profesora w IZ 1945–66, 10. 10. 1990 [mit nachträglichen Ergänzungen], APAN-P III-112/3/7. 385 Bis 1988 folgten nochmals 34 Bände. 386 Zur Fischerkontroverse und ihrer Rezeption in Polen s. u., Kap. 6.2. 387 Jerzy Krasuski, Spór o orientację imperializmu niemieckiego w dobie wilhelmińskiej. Poglądy polityczne Hansa Delbrücka, Poznań 1961; Janusz Pajewski/Adam Galos/Witold Jakóbczyk/Felix-Heinrich Gentzen (Hg.), Dzieje Hakaty, Poznań 1966; Andrzej Józef Kamiński, Stanowisko Niemiec na pierwszej konferencji haskiej (1899), Poznań 1962; Antoni Walczak, BHE zachodnioniemiecka partia przesiedleńców, Poznań 1967; Gerard Labuda (Hg.), Wschodnia eks­ pansja Niemiec w Europie środkowej. Zbiór studiów nad tzw. niemieckim „Drang nach Osten“, Poznań 1963. 388 Jerzy Krasuski, Stosunki polsko-niemieckie 1919–1925, Poznań 1962; Jerzy Krasuski, Stosunki polsko-niemieckie 1926–1932, Poznań 1964; Marian Wojciechowski, Stosunki polsko-niemiec­ kie 1933–1938, Poznań 1965.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

tete die Pläne zum Anschluss Österreichs an Deutschland nach dem Ersten Welt­krieg.389 Mit dem Nationalsozialismus beschäftigte sich eine soziologische Untersuchung zur Entstehung der NSDAP und eine historisch-demographische Studie zu den Umsiedlungen deutscher Bevölkerungsgruppen im Zweiten Weltkrieg.390 Viel Beachtung fand auch die Regelung der ‚deutschen Frage‘ nach 1945. Krasuski behandelte in zwei Studien die Deutsch­landpolitik der vier Großmächte 1945–1949 und die Teilung Deutschlands 1949–1955.391 Der DDR galten schließlich drei Studien zum politischen System, der Industrieverwaltung und der Kulturpolitik.392 Dass sich sämtliche Darstellungen auf das letzte Jahrhun­ dert der deutschen Geschichte konzentrierten, entsprach dem politischen Desi­ derat nach gegenwarts­bezogener Forschung. Dennoch dominierten historische Arbeiten, und unter ihnen überwogen wiederum die konventionellen Ansätze der Politik- und Geistesgeschichte; gesellschafts­ geschichtliche und politologische Arbeiten blieben die Ausnahme. Erst ab Mitte der Sechzigerjahre verschob sich das Schwergewicht der institutsinternen Forschung unter dem Soziologen Mar­ki­e­ wicz allmählich weg von der Geschichte und hin zu politologischen und soziolo­ gischen Ansätzen.393 Eine Renaissance erlebten historische Themen in den Sieb­ zigerjahren unter dem Eindruck der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche.394

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung Die „Ostforschung“ wäre an sich kein Problem, wäre da nicht ihre General­these, dass alles Gute in Zentraleuropa das Verdienst der Deutschen ist. (Józef Kokot, 1964)395

389 Jerzy Kozeński, Sprawa przyłączenia Austrii do Niemiec po I wojnie światowej (1918–1922), Poznań 1967. 390 Jakub Banaszkiewicz, Powstanie partii hitlerowskiej. Studium socjologiczne genezy faszyzmu niemieckiego, 1919–1923, Poznań 1968; Janusz Sobczak, Hitlerowskie przesiedlenia ludności niemieckiej w dobie II wojny światowej, Poznań 1966. 391 Jerzy Krasuski, Polityka czterech mocarstw wobec Niemiec 1945–1949, Poznań 1967; Ders., Podział Niemiec. NRD i NRF w latach 1949–1955, Poznań 1969. 392 Lech Janicki, Ustrój polityczny Niemieckiej Republiki Demokratycznej, Poznań 1964; Józef Boroń, Organizacja przemysłu w Niemieckiej Republice Demokratycznej, Poznań 1968; Kazimierz Kolańczyk, Polityka kulturalna i szkolnictwo akademickie w Niemieckiej Republice Federalnej, Poznań 1963. 393 Hierzu Hackmann, Strukturen. 394 Instytut Zachodni (Hg.), Katalog Wydawnictw, Poznań 1992. 395 Sprawozdanie z Sesji Naukowej pt. „Węzłowe problemy stosunków słowiańsko-niemieckich w XIX i XX wieku“. /Poznań, dn 7–9 maja 1964 r./, undatiert [Mai 1964], AIZ 20/10.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

 237

Ich hatte gemeint, als Historiker zu sprechen, in Wirklichkeit lag ein politisches Wunschbild zugrunde. (Walter Schlesinger, 1962)396

Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus schien eine Beschäftigung mit dessen gigantischer Schadensbilanz in historischer Perspektive unausweichlich. War die gesamte deutsche Geschichte auf diesen Tiefpunkt zugesteuert, offenbarte er gewissermaßen ihr Wesen? Insbesondere ausländische Intellektuelle waren geneigt, diese Frage zu bejahen und daraus eine grundsätzliche Negativität der deutschen Geschichte abzuleiten. Das galt nicht nur für polnische Beobachter, sondern auch für angelsächsische Kommentatoren wie den Briten Alan J. P. Taylor.397 In Deutschland schloss sich der sozialistische Publizist Alexander Abusch dieser Sichtweise an. Seine „Miserekonzeption“ der deutschen Geschichte zeichnete die Entwicklung von Luther bis Hitler als kontinuierlichen Fehlverlauf, der durch spätbürgerlich-imperialistische Verfallstendenzen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem katastrophalen Abwärtsstrudel beschleunigt worden sei.398 Mit solchen Einschätzungen verband sich oft auch Kritik an den Interpreten der deutschen Geschichte. Als intellektuelle Wegbereiter des deutschen Expansions- und Revisionsstrebens hätten die konservativen deutschen Historiker der Politik aktiv zugedient und seien damit für beide Weltkriege mitverantwortlich, formulierte etwa Zygmunt Wojciechowski den Vorwurf.399 Im Zusammenhang mit solcher Kritik, vor allem aber aus eigener Erschütterung, sahen sich deutsche Historiker gedrängt, das Vorgefallene zu reflektieren.400 In dieser „starke[n] morali­sche[n] Besinnungsphase“401 riefen führende Fachvertreter vom Schlage eines Gerhard Ritter zu „einer totalen Umstellung des deutschen Geschichtsdenkens“ auf oder konzedierten, wie Friedrich Meinecke: „unser herkömmliches Geschichtsbild […] bedarf jetzt allerdings einer gründli-

396 Schlesinger, Ostbewegung, hier S. 446 f. 397 Alan J. P. Taylor, The course of German history, London 1945. Dazu knapp Stefan Berger/ Peter Lambert/Peter Schumann (Hg.), Historikerdialoge. Geschichte, Mythos und Gedächtnis im deutsch-britischen kulturellen Austausch 1750–2000, Göttingen 2003, S. 107. 398 Alexander Abusch, Der Irrweg einer Nation, Berlin 1946. Dazu Wolfgang Küttler, Bemerkungen zum Platz der osteuropäischen Geschichte in der DDR-Historiographie im Rahmen des Ost-West-Konflikts, in: Dittmar Dahlmann (Hg.), Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 2005, S. 159–172, hier S. 162, sowie Martin Sabrow, Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969, München 2001, S. 428. 399 Wojciechowski, Katastrofa Niemiec. Dazu auch Olszewski, Instytut Zachodni, S. 19. 400 S. hierzu auch Hans-Erich Volkmann, Deutsche Historiker im Umgang mit Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg 1939–1949, in: Ders. (Hg.), Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau, München/Zürich 1995, S. 861–911. 401 Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 305.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

chen Revision“.402 Als exemplarisches Ergebnis dieser Reflexion kann Meineckes Versuch gelten, die „deutsche Katastrophe“ als Modernisierungskrise im gesamteuropäischen Kontext zu deuten.403 Dieser Impetus zur Besinnung währte indes nicht lange, denn bald rückte der heraufziehende Kalte Krieg die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in den Hintergrund. Der rasche ideologische Umschwung weg von der Entnazifizierung und hin zum Antikommunismus verminderte den Druck zur Reflexion nicht nur der nationalen, sondern auch der fachlichen und persönlichen Vergangenheit. Wenn diese Entwicklung der Historikerzunft im Allgemeinen den Übergang in die Nachkriegszeit erleichterte, so ermöglichte sie ihn im Falle der besonders belasteten Ostforschung überhaupt erst. Deren Vertreter waren der nationalsozialistischen Ostpolitik oft nicht nur gedanklich, sondern in vielen Fällen auch arbeitspraktisch stark verbunden gewesen.404 Dafür bestand in der breiteren Fachöffentlichkeit durchaus ein kritisches Bewusstsein, das allerdings nur verhalten geäußert wurde – etwa wenn eine anonyme Stimme der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde angesichts personeller und interpretatorischer Kontinuitäten vorwarf, nahtlos an die diskreditierte Vergangenheit anzuknüpfen, „ohne irgendwelche Lehren gezogen zu haben.“405 Zum Problem wurden diese Vorbehalte den Ostforschern aber erst in den späten Fünfzigerjahren, als sie sich von der universitären Wissenschaft zunehmend ausgegrenzt fanden. Einschneidender traf sie in den ersten drei Nachkriegsjahren die Ahndung ihres konkreten Engagements für die NSDAP, die SA oder die SS durch die Besatzungsbehörden: Nicht wenige unter ihnen wurden zu Haftstrafen in alliierten Internierungslagern verurteilt oder mit einstweiligen Berufsverboten belegt.406 Ihnen eröffnete der Kalte Krieg einen Rehabilitations-

402 Bernd Faulenbach, Zur Geschichtswissenschaft nach der deutschen Katastrophe, in: Walter H. Pehle/Peter Sillem (Hg.), Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945?, Frankfurt a. M. 1992, S. 191–204, hier S. 195. Ein weiterer Traditionskritiker war Fritz Hartung. Ebd. 403 Meinecke, Katastrophe. 404 S. dazu auch das DDR-Braunbuch und die darin aufgeführten Ostforscher, die Linnemann zusammenstellt. Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.), Braunbuch; Linnemann, Erbe, S. 12. 405 Corinna Unger, „Objektiv, aber nicht neutral“. Zur Entwicklung der Ostforschung nach 1945, in: Osteuropa 55/12 (2005), S. 113–131, hier S. 118. 406 Ersteres galt etwa für Herbert Jankuhn und Johannes Papritz, Letzteres für „Keyser, Weiß, Jilek und Köller“. Bericht über die Vorstandssitzung am 21. Januar 1958, Dokumentensammlung des Herder-Instituts Marburg [im Weiteren: DSHI] 200, Vorstandssitzungen des Herder-Forschungsrates [im Weiteren: VdHFR]. Zu Papritz Hackmann, Anfang, hier S. 238.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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pfad, der die intellektuellen Handlanger der nationalsozialistischen Ostpolitik zu Vorkämpfern gegen die sowjetische Bedrohung werden ließ. Dabei konnte die Zunft von der mangelnden Trennschärfe des Ostbegriffs profitieren, der sie selbst nach Kräften Vorschub leistete. Im Lichte des Ost-WestGegensatzes und unter dem Eindruck eines geschlossenen Ostblocks reichte es oftmals aus, wenn die Ostforscher sich nach 1945 als Verteidiger westlicher Werte gegen östliche Bedrohungen gerierten. Dabei fiel weder auf, dass der in Frage stehende ‚Osten‘ vor 1941 oft weniger die Sowjetunion als vielmehr Polen zum Inhalt gehabt hatte; ebenso unbemerkt blieb, dass die Ostforscher wie andere Apologeten des deutschen Sonderwegs ihr Land vor 1945 schwerlich zum ‚Westen‘ gerechnet hatten. Entscheidend war, dass die transatlantische Frontstellung gegen die Sowjetunion die deutsche Kriegsführung an der Ostfront nachträglich wenn nicht in ihren Methoden, so doch hinsichtlich ihrer Bedrohungsszenarien in gewisser Weise zu rechtfertigen schien.407 Daraus ergab sich die paradoxe Situation, dass ausgerechnet das primäre Aktionsfeld nationalsozialistischer Zerstörungspolitik für mindestens ein Jahrzehnt weitgehend aus deren Schadensbilanz verschwand. Die nationalsozialistischen Verbrechen auf polnischem Gebiet erschienen in der großen geopolitischen Perspektive des Ost-West-Gegensatzes allenfalls noch als bedauerliche Begleiterscheinungen eines im Grunde gerechtfertigten Krieges.408 Solche Gedankengänge hatten die Ostforscher bereits bei Kriegsende vorweggenommen, wenn sie als vermeintliche Repräsentanten einer gerechten Sache ein ausgesprochenes Opferbewusstsein in persönlicher, fachlicher und nationaler Hinsicht entwickelten. Wer seine „Treue zu Heimat und Wissenschaft“ nicht mit dem Leben bezahlt habe, sei doch „aus Amt und Heimat vertrieben, [seiner] Bücher und Sammlungen beraubt“ worden, hieß es noch 1952 in der ersten Nummer der Zeitschrift für Ostforschung (ZfO). Die Einrichtungen der Ostforschung seien „vernichtet oder ihr durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse entzogen“ worden.409 In dieser Sichtweise schien die Zunft das Schicksal der Nation zu teilen, für deren Behauptung sie nach dem Ersten Weltkrieg gekämpft hatte und die sie nun noch weiter zurückgeworfen fand. Vor diesem Hintergrund galt es für Volk und Fach zu retten, was zu retten war. Sollte es gelingen, die personellen und materiellen Ressourcen der Ostforschung zu sichern, so die Überlegungen von Aubin und Konsorten, so wäre damit nicht nur die eigene Karriere gesichert, sondern auch

407 1953 bat General Ridgeway, Eisenhowers Nachfolger als Supreme Allied Commander in Europe, die Allied High Commissioners, alle deutschen Offiziere zu begnadigen, die zuvor für Kriegsverbrechen an der Ostfront verurteilt worden waren. Judt, Postwar, S. 272. 408 S. u., Kap. 4.3.7, sowie Unger, Ostforschung, S. 140. 409 Zitiert nach Hackmann, Anfang, S. 232.

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

die fachliche Expertise bewahrt worden, die im Hinblick auf den erwarteten Friedensvertrag für den deutschen Osten womöglich das Schlimmste zu verhindern wüsste. In diesem Sinne bezeichnete Mortensen 1951 „die Erhaltung eines Ostforschernachwuchses als wirkliche Lebensfrage für das deutsche Volk“.410

4.3.1 „Schicksalsfragen des gesamten Deutschen Ostens“: Der Göttinger Arbeitskreis Diese Bemühungen verdichteten sich zunächst in zwei Initiativen. Die erste führte im November 1946 zur Gründung des Göttinger Arbeitskreises für den Deutschen Osten. Die dortige Universität war bei Kriegsende zum Fluchtpunkt vor allem der Königsberger Ostforscher geworden,411 die sich nun zusammenfanden, um den Alliierten im Hinblick auf die Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947 die „Unentbehrlichkeit Ostpreußens für Deutschland“ in geschichtlicher, kultureller und völkerrechtlicher Hinsicht vor Augen zu halten.412 Über diese konkrete Aufgabe hinaus gelobte der Arbeitskreis, sich der „Schicksals­frage des gesamten deutschen Ostens“ zu widmen. Zu diesem Zweck wollte er insbesondere den „von der polnischen Propaganda verwandten Behauptungen“ entgegentreten.413 Die im Arbeitskreis vertretenen Historiker Theodor Schieder, Werner Markert und Walther Hubatsch zeigten sich zunächst entschlossen, dieses politische Nahziel ohne Umschweife zu verfolgen. So verfasste Theodor Schieder 1948 für den Arbeitskreis eine anonyme Denkschrift über „Ostpreußens Geschichte und Kultur in europäischer Bedeutung.“ In altbekannter Manier betont er darin das deutsch-slawische Kulturgefälle, kennzeichnete die deutsche Seite aber in neuer Weise als Repräsentant des westlichen Europa.414 Langfristig war den Historikern

410 Abschrift aus einem Schreiben von Prof. Dr. Mortensen, Göttingen, vom 10.10.51, DSHI 200, Mitteilungen an den Vorstand [im Weiteren: MadV], Nr. 21–50. 411 Unter ihnen Theodor Schieder, Werner Conze, Walther Hubatsch, Werner Markert und Theodor Oberländer, aber auch Erich Keyser aus Danzig und für kurze Zeit Hermann Aubin aus Breslau. Linnemann, Erbe, S.  20 f. Auch das Königsberger Staatsarchiv wurde nach Göttingen verlegt. Unger, Ostforschung, S. 130. 412 Hackmann, Anfang, S. 239. Initiator war der ehemalige Kurator der Königsberger Universität, Friedrich Hoffmann. Das Ergebnis dieser Bemühungen war eine Denkschrift, deren historische Argumentation Walther Hubatsch übernommen hatte. 413 Zitiert nach ebd., S. 240. 414 Die Anonymität war ein Schutzmantel, den der Arbeitskreis bewusst gewährte, „um die Autoren vor politischen Schwierigkeiten zu bewahren“. Joachim Freiherr von Braun, Fünf Jahre

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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allerdings daran gelegen, solche Memoranden mit wissenschaftlichen Forschungen zu untermauern. Hier zeigten sich allerdings bald die Grenzen des Arbeitskreises: Zwar ließen sich einige Vorhaben zur ost- und westpreußischen Landes­ geschichte sowie die eine oder andere Publikation aus Mitteln des Arbeitskreises finanzieren. Unter dem Eindruck der Tagespolitik und dem Einfluss der Vertriebenenverbände richtete sich der Kreis aber zunehmend publizistisch aus – insbesondere, nachdem 1949/1950 der Versuch gescheitert war, ihn zur neuen Zentralstelle der bundesdeutschen Ostforschung auszubauen.415 Schieder, Markert und später auch Walther Hubatsch, denen inzwischen die akademische Verankerung gelungen war, musste der Arbeitskreis nun eher als Belastung ihrer wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit erscheinen. Sie gingen in der Folge auf Distanz zu ihm, ohne ihn ganz zu verlassen. Politisch machte sich das propagandistische Engagement des Kreises indes schnell bezahlt. Die Nähe zu den Vertriebenenverbänden brachte Spenden­ gelder ein, und die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Büro für Friedensfragen in Stuttgart öffnete den Weg zur finanziellen Unterstützung zunächst durch die niedersächsische Landesregierung, später auch die Bundes­regierung.416 Bis in die späten Fünfzigerjahre erblickte das Auswärtige Amt im Göttinger Arbeitskreis ein nützliches Sprachrohr für revisionistische Forderungen, die das offizielle Deutschland so nicht erheben konnte, ohne seine neugewonnenen Alliierten zu irritieren, deren Präsenz in der deutschen Öffentlichkeit ihm aber als geeignete Klangkulisse deutscher Außenpolitik erschienen. Werke wie der Atlas Östliches Mitteleuropa, der Atlas zur Geschichte der deutschen Ostsiedlung, Deutschlands Ostproblem und Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie entstanden allesamt im Auftrag und mit dem Geld des Außenministeriums, ohne dass dies in den Bänden kenntlich gemacht wurde.417 Solche Arbeitsbeziehungen lassen erkennen, dass der den Ostforschern anhaftende Makel der nationalsozialistischen Belastung aus Sicht der politischen

Arbeit für den deutschen Osten. Der Göttinger Arbeitskreis, Tätigkeitsbericht zu seinem fünfjährigen Bestehen, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg 2 (1952), S.  208–251, hier S. 214. 415 Schon wenig später taxierten die bundesdeutschen Ostforscher die Arbeiten des Arbeitskreises als „grundsätzlich nicht […] wissenschaftlich.“ Der Stand der Ost-Institute nach der Besprechung im Bundesministerium des Innern am 28.10. und auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde am 23.10.52, S. 5, DSHI 200, MadV, Nr. 21–50. 416 1952 erhielt der Arbeitskreis vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen 90  000 DM, vom Innenministerium einen „einmaligen Zuschuss“ in nicht genannter Höhe. Der Stand der Ost-Institute […]. S. auch Hackmann, Anfang, S. 240. 417 Unger, Ostforschung, S. 131.

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Instanzen inzwischen eindeutig hinter ihre besondere Befähigung zur „geistigen Auseinandersetzung mit dem Osten“ zurück­getreten war. Dass diese Sichtweise auch von den amerikanischen Behörden geteilt wurde, legen Spenden nahe, die der Arbeitskreis in den 1950er Jahren von der Rockefeller-Stiftung entgegennehmen konnte.418 In der Folge entfaltete der Kreis eine rege publizistische Tätigkeit, die einerseits der Polemik gegen die Oder-Neiße-Grenze auf nationaler und internationaler Ebene diente, andererseits die Vertriebenengemeinde mit nostalgischen heimatkundlichen Beiträgen versorgte.419 1959 erschien ein umfangreiches Handbuch über Das östliche Deutschland, das auch ins Englische übertragen wurde.420 Breiten Raum nahm unter den Publikationen des Arbeitskreises die „wissenschaftlich“ unterfütterte antipolnische Öffentlichkeitsarbeit ein. Arbeiten der volksdeutschen Historiker Kurt Lück und Viktor Kauder aus nationalsozialistischer Zeit wurden nach oberflächlichen Retuschen neu aufgelegt. Mehrere Auflagen erfuhr zwischen 1952 und 1967 eine Abhandlung zur Deutsch-slawischen Schicksalsgemeinschaft, die bereits im Titel auf nationalständische Konzepte von Rothfels und Brackmann rekurrierte.421 Allgemein wurde in der Propaganda des Arbeitskreises in ungebrochener Kontinuität zur früheren Ostforschung betont, was die Deutschen dem Osten kulturell, politisch und wirtschaftlich gegeben hätten; im Gegensatz zur Weimarer Versailles-Polemik wurden die Polen hingegen sehr viel weniger für das verantwortlich gemacht, was Deutschland 1945 territorial genommen worden war. Die Rolle des Feindbildes kam nun der Sowjetunion zu; Polen erschien dagegen nicht selten als Opfer, das ähnlich wie Deutschland unter der kommunistischen Expansion zu leiden hatte. Auch zur Vertreibung der Deutschen waren die Polen angeblich von den Sowjets angestiftet worden. Dies jedenfalls suggerierte 1950

418 Linnemann, Erbe, S. 126. 419 Seit 1947 unterhielt der Arbeitskreis eine Schriftenreihe, in der schon in den ersten zehn Jahren ungefähr 150 zumeist kleinere Titel erschienen. Bis 1970 waren es gar fast 400 Publikationen, darunter die erwähnte Schriftenreihe mit gerafften Darstel­lungen zu Geschichte, Landeskunde, Wirtschaft und Kultur der deutschen Ostprovinzen, sowie Ostdeutsche Beiträge zur ostdeutschen Lokalgeschichte. Ebd., S. 129 f. 420 Göttinger Arbeitskreis (Hg.), Das östliche Deutschland. Ein Handbuch, Würzburg 1959; Goettingen Research Committee (Hg.), Eastern Germany. A handbook, 3 Bde., Würzburg 1960– 1963. 421 Kurt Lück/Viktor Kauder (Hg.), Deutsch-polnische Nachbarschaft. Lebensbilder deutscher Helfer in Polen, Würzburg 1957; Fritz Gause, Deutsch-slawische Schicksalsgemeinschaft. Abriss einer Geschichte Ostdeutschlands und seiner Nachbarländer, Kitzingen am Main 1952 (3. Aufl. 1967). Zum Motiv der Schicksalsgemeinschaft von Polen und Deutschen s. die Einleitung zu Brackmann (Hg.), Deutschland und Polen.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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eine Publikation unter dem Titel Dokumente der Menschlichkeit im Zeitalter der Massenaustreibungen, in der „Taten der Nächstenliebe“ dargestellt wurden, die Polen und Tschechen den Opfern der Zwangsaussiedlungen hatten angedeihen lassen.422 Der Band wurde zur wohl bekanntesten Publikation des Arbeitskreises, was er nicht zuletzt einem Lob von Albert Schweitzer verdankte. Entschieden wandte sich der Arbeitskreis indes gegen die Auffassung, die Vertreibungen seien eine Konsequenz der vorangegangenen nationalsozialistischen Volkstumspolitik und die Oder-Neiße-Grenze daher gerechtfertigt. Diese Auffassung war prominent von der britischen Historikerin Elizabeth Wiskemann geäußert worden.423 Adenauer persönlich wünschte eine Entgegnung, die vom Bundesvertriebenenministerium an den Göttinger Arbeitskreis delegiert wurde und 1957 in deutscher und englischer Sprache erschien.424 Nachdem sich das öffentliche Interesse in den Sechzigerjahren von der Opferrolle Deutsch­lands stärker zu dessen Täterrolle verschoben hatte, beeilte sich der Kreis, eine Schicksals­gemeinschaft von Polen und Deutschen nicht nur im gemeinsamen Leid, sondern auch in der schuldhaften Komplizenschaft des Handelns ausfindig zu machen. So betonte eine Jahrestagung in den späten 1960er Jahren die Juniorpartnerrolle Polens an der Seite von Hitler-Deutschland seit dem Freundschaftsvertrag von 1934.425 Hinter dem vorgeblichen Bemühen um Differenzierung stand mithin die Absicht, Konturen historischer Verantwortung zu verwischen. Von polnischer Seite wurde der Göttinger Arbeitskreis als reaktionärer Stoßtrupp des deutschen Imperialismus gegeißelt, wobei seine tatsächliche Wirkung auf die bundesdeutsche Politik und Öffentlichkeit gelegentlich grotesk überzeichnet wurde. Die offen revisionistische Stoßrichtung des Kreises stand indes auch in Deutschland außer Frage und fand ihre Bestätigung schließlich darin, dass dem Kreis nach der förmlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik 1974 sämtliche Bundesmittel entzogen wurden.426 In der Folge

422 Göttinger Arbeitskreis (Hg.), Dokumente der Menschlichkeit aus der Zeit der Massenaustreibungen, Kitzingen am Main 1950. Eine englische Übersetzung erschien 1952. 423 Elizabeth Wiskemann, Germany’s Eastern neighbours. Problems relating to the Oder-Neisse Line and the Czech frontier regions, London/New York/Toronto 1956. 424 Göttinger Arbeitskreis (Hg.), Deutschlands Ostproblem. Eine Untersuchung der Beziehungen des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn, Würzburg 1957. Dazu Unger, Objektiv, S. 122. S. auch Kap. 4.3.8. 425 Dazu Horst Jablonowski/Herbert G. Marzian, Probleme der deutsch-polnischen Beziehungen zwischen den beiden Weltkriegen, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg 19 (1969), S. 27–78. 426 Boris Meissner, Die Entwicklung des Göttinger Arbeitskreises e. V. seit 1946 und sein Beitrag zur Osteuropaforschung, online unter (20. 5. 2015).

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 4 Bestätigte Erbfeindschaft? Die ersten Nachkriegsjahre

verlegte er seinen Interessenfokus auf die deutsche Teilung und die sowjetische Innen- und Außenpolitik – ein Hinweis darauf, dass die Beschäftigung mit ‚Ostdeutschland‘ im alten Wortsinne zu diesem Zeitpunkt kaum noch auf öffentliche Nachfrage stieß.

4.3.2 An einem neuen Anfang: Die Entstehungsgeschichte des Herder-Instituts Eine zweite Initiative zur Rettung der Ostforschung verband sich in den ersten Nachkriegs­jahren mit dem Bemühen, die NOFG wiederzubeleben und ihren zentralen Knotenpunkt, die vormals in Berlin-Dahlem angesiedelten Publikationsstelle, zu erhalten. Deren Restbestände waren nach Coburg verbracht worden, wo sie ihr früherer Direktor, Johannes Papritz, als amerikanischer Internierter weiterbetreute.427 Aus dieser Stellung heraus konnte er den gerade nach Hamburg berufenen Hermann Aubin 1946 für seinen Plan gewinnen, die Publikationsstelle in der Hansestadt als Institut für Geschichte und Länderkunde Nordost­europas zu erneuern. „Wenigstens von einer einzigen letzten Stelle in Deutschland aus“, hieß es in der zu diesem Zweck verfassten Denkschrift, wolle man das wissenschaftliche Leben im Ostseeraum beobachten – „im Sinne einer wissenschaftlichen Verpflichtung, die wir der deutschen Arbeit von einem Drei-Viertel-Jahrtausend in all diesen Gebieten und nicht zuletzt in den deutschen Ostprovinzen schulden.“ Vergangenheitskritischer argumentierte Papritz in einer Denkschrift für die amerikanische Militärregierung, in der er die „Isolation“ der deutschen Ostforschung durch die „Nazi-Politik“ beklagte, die es nun wettzumachen gelte.428 Doch die Besatzungsbehörden hatten zunächst andere Pläne. Im Wissen um das nationalsozialistische Engagement von Papritz und seinen Mitstreitern verweigerten sie die Freigabe der Publikationsstellen-Bestände, die stattdessen im Frühjahr 1948 nach Washington überführt wurden – allerdings erst, nachdem Papritz sie zur Weiterverwendung aufbereitet hatte. Diese Vorgehensweise legt die Vermutung nahe, dass der Bestand in den USA weniger zur Beweissicherung gegen die national­ sozialistische Ostpolitik, sondern eher als Starthilfe für die junge amerikanische Sowjetologie dienen sollte. Von diesem Vorhaben

427 Hackmann, Anfang, S. 236. 428 Die Bücherei und die wissenschaftlichen Sammlungen der Publikationsstelle und ihre zukünftige Verwen­dung im Rahmen eines Institutes für Geschichte und Länderkunde Nordosteuropas, BAB R 153/963; Entwurf einer Denkschrift von Papritz an das Military Government Coburg, 21. 12. 1946, ebd.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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bis zur Absicht, die Ostforschung doch in ihrem Mutterland Deutschland wiederherzustellen, war es nur noch ein kleiner Schritt. So wurde Papritz nach eigenem Bekunden 1948 bei seiner Entlassung aus dem amerikanischen Lager aufgefordert, in Marburg ein ostkundliches Folge­institut zur Publikationsstelle einzurichten.429 Hoffnungsfroh schlug er Aubin vor, die Nord- und Ostdeutsche Forschungs­gemeinschaft wiederzubeleben.430 Dieser sah den Zeitpunkt zum Handeln im Sommer 1949 gekommen, als die bevorstehende Gründung der Bundesrepublik entscheidungsbefugte und verständnisvolle deutsche Ansprechpartner versprach. Mit dem Ziel, die Ostforschung „wieder planmäßig in Gang“ zu bringen, versammelte Aubin die früheren Mitstreiter am Rande des ersten deutschen Historikertages nach dem Krieg im September 1949 in München.431 Hier ließ er sich in Abwesenheit des früheren, nun in der DDR lebenden Vorsitzenden Albert Brackmann die Leitung der erneuerten Forschungsgemeinschaft übertragen und einen Arbeitsausschuss einsetzen, dem neben ihm noch Erich Keyser, Werner Markert und Walther Hubatsch angehören sollten. Geographisch hätte sich die neue Ostforschung – wie die alte – in erster Linie auf den „ostdeutsch-polnischen Raum“ zu konzentrieren. Thematisch sollte die Oder-NeißeFrage, obschon sie den impliziten Fluchtpunkt aller Arbeiten bilden würde, „im Hintergrund“ bleiben, denn von „direkteren politischen Aufgaben“ wolle man sich fernhalten und stattdessen „der reinen Forschung dienen“.432 Die politische Funktionalisierung dieser Forschung war indes höchst erwünscht – ging man doch davon aus, „dass eine deutsche Regierung, wenn sie sich mit diesen Gebieten und Fragen zu befassen hat, es nicht auf der Grundlage von politischen Phrasen, sondern wissenschaftlich unantastbarer Beweismittel tun muss.“433 In einer Denkschrift an das Bundesinnenministerium und das Ministerium für

429 Die Materialien der PuSte kehrten aber erst 1957 nach Deutschland zurück, wo sie dem HRF als „dauerndes Depositum“ übergeben wurden. Bericht über die Vorstandssitzung am 17. Oktober 1957, DSHI 200, VdHFR; Bericht über die Vorstandssitzung am 29. August 1957, ebd. 430 Johannes Papritz an Hermann Aubin, 6. 9. 1948, wiedergegeben nach Hackmann, Anfang, S. 238 f. Zur Gründungsgeschichte des HFR siehe auch Eduard Mühle, Institutionelle Grundlegung und wissenschaftliche Programmatik der westdeutschen Beschäftigung mit der „deutschen Geschichte“ im östlichen Mitteleuropa (1945–1959), in: Jerzy Kloczowski/Witold Matwiejczyk/Eduard Mühle (Hg.), Doświadczenia przeszłości: Niemcy w Europie Środkowo-Wschodniej w historiografii po 1945 roku, Lublin/Marburg 2000, S. 25–64; Ferdinand Seibt, Johann Gottfried Herder-Forschungsrat, in: Erwin Oberländer (Hg.), Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945–1990, Stuttgart 1992, S. 256–280. 431 Hermann Aubin an J. Papritz, 12. 6. 1949. Zitiert nach Hackmann, Strukturen, S. 240 f. 432 Aufzeichnung von Kossmann vom 21. 9. 1949, zitiert nach Hackmann, Anfang. 433 J. Papritz, Zur deutschen Ostforschung, 30. 8. 1949, zitiert nach ebd., S. 242.

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gesamtdeutsche Fragen stellte Aubin der Bundesregierung denn auch explizit die Hilfe der Wissenschaftler „bei der Vorbereitung des Friedensvertrages, bei der Vertretung unserer Ansprüche jenseits von Oder und Neiße, für die erhoffte Wiederbesiedlung dort“ in Aussicht, wozu man „ein neues Konzept deutscher Ostpolitik“ erarbeiten könne.434 Wenig später gab das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen grünes Licht. Mit dem Göttinger Arbeitskreis, der Aubins Initiative zunächst aus Sorge um seine Pfründe torpediert hatte, wurde auf Wunsch des Ministeriums eine Arbeitsteilung vorgesehen, die dem Marburger Institut die wissenschaftliche Forschung und dem Göttinger Kreis die Popularisierung ostkundlicher Erkenntnisse übertrug.435 Die Gründungsversammlung der neuen Institution fand Ende April in Marburg statt. Aubin wurde von den 22  versammelten Gründungsmitgliedern zum Präsidenten des gerade geschaffenen Forschungsrates ernannt; in den Vorstand wurden ferner Johannes Papritz, Erich Keyser und Theodor Schieder gewählt. Gleichzeitig wurde das Marburger Institut gegründet und der Leitung von Werner Essen unterstellt, der den Posten bald an Keyser abtreten sollte. Dem Forschungsrat wurden die erneuerten Historischen Kommissionen angeschlossen, die nach dem Ersten Weltkrieg zur Erforschung der damaligen ostdeutschen Gebiete gegründet worden waren.436 Benannt werden sollte das neue Institut nach ausführlichen Vorüberlegungen in einer Weise, die es „aus der politischen Dreckzone“ heraushalten würde.437 Seiner politischen Konnotationen wegen schien der nomenklatorische Bezug auf den „Osten“ zur Außen­darstellung ungeeignet; als unverfänglicher Namens­ patron erschien der slawenfreundliche Johann Gottfried Herder.438 Anschließend machte Aubin die Anwesenden mit der doppelten Aufgabe von Forschungsrat und Institut vertraut: Einerseits muss […] die Tradition der deutschen Ostmitteleuropaforschung weitergeführt werden; andererseits aber muss die Ostausbreitung der abendländischen Kultur festgestellt werden, die durch ihre deutsche Vermittlung weit über die Ostgrenze des deutschen Volksbodens hinausgedrungen ist. Die Völker am Ostrande des deu[t]schen Sprachgebietes müssen sich trotz ihrer gegenwärtigen Einverlei­bung in die osteuropäisch-asiatische

434 H. Aubin, Denkschrift über die Umwandlung der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemein­ schaft in eine (Nord- und) Ostmitteleuropäische Forschungsgemeinschaft, Hamburg 1949, BAK B 150/3402.1. 435 Hackmann, Anfang, S. 246. 436 Mühle, Institutionelle Grundlegung, S. 38 ff. 437 Zahn, Vermerk über eine Besprechung mit Essen, 8. 8. 1950, zitiert nach Hackmann, Anfang, S. 247. 438 Ebd., S. 247 f.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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Machtsphäre wieder ihrer kulturellen Zugehörigkeit zum Abendlande bewusst werden, das mit seiner ehrwürdigen Kultur und seiner Gewissens- und Geistesfreiheit wieder für alle west- und mitteleuropäischen Völker die ersehnte Heimat werden soll.439

Diese Zielsetzungen waren nach dem Verständnis des Sprechers durchaus vorsichtig formuliert. Nicht von „Ostforschung“, sondern von „Ostmitteleuropaforschung“ war die Rede; an die Stelle des „deutschen Kulturbodens“ war die „Ostausbreitung der abendländischen Kultur“ getreten, der Begriff „Volksboden“ schien Aubin allerdings wiederverwertbar. Auch mochte er die „kulturellen Großleistungen des deutschen Volkes im Osten unseres Erdteils“ keineswegs unter den Scheffel stellen,440 doch sollten deutsche Kulturbringerdienste künftig im europäischen Gewand offeriert werden. Schließlich fällt auf, dass der abendländische Lockruf an die mittelosteuropäischen Staaten hier prominenter vorgetragen wurde als die Mahnung zur Restitution des „deutschen Ostens“. In Bezug auf Polen, das von Beginn an den unbestrittenen Interessenfokus des Herder-Instituts bildete, behob diese rhetorische Neugewichtung indes nicht das Problem, dass das Land zwar kulturell in den Westen gebeten, territorial aber doch nach Osten verwiesen werden sollte. Trotz solcher Ungereimtheiten waren die Ausführungen Aubins auf der ersten wissen­schaftlichen Tagung des Forschungsrates im Oktober 1950 von der Einsicht geprägt, dass man „nicht in derselben Weise fortfahren“ könne wie bisher und das deutsche Element in Mittelosteuropa nicht isoliert betrachten dürfe. Ähnlich betonte Erich Keyser 1951, die erneuerte Ostforschung müsse „den Blick weiter als vorher richten und nationalistische Übertreibungen meiden“.441 Aus dieser Vorsicht sprachen nicht zuletzt politische Rücksichtnahmen. Unmissverständlich hatte das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen darauf hingewiesen, die Arbeit des Instituts dürfe der Bundesrepublik keine außenoder innen­politischen Schwierigkeiten einhandeln. Aus diesem Grunde sei sie auch im Wesentlichen auf das deutsche Territorium in den Grenzen von 1937 zu beschränken.442 Der Forschungsrat steckte sein Interessengebiet indes weiter ab und nannte „Pommern, Westpreußen, Ostpreußen, Wartheland, Schlesien, Baltenland, Polen und die Tschechoslowakei.“443 Die Beschäftigung mit diesen

439 Bruno Schier, [Protokoll zur] Gründungs-Mitglieder-Versammlung des Johann-GottfriedHerder-Instituts am 29. April 1950, zitiert nach ebd., hier S. 248. 440 Ebd., zitiert nach Mühle, Ostforschung, hier S. 279. 441 Erich Keyser, Bericht über die Arbeiten der Mitglieder des J. G. Herder-Forschungsrates auf dem Gebiet der Ostforschung in den Jahren 1950–1954, DSHI 200, Tätigkeitsberichte 1950–1958. 442 Hackmann, Anfang, S. 250. 443 Der J. G.Herder-Forschungsrat und das J. G.Herder-Institut, ohne Verfasserangabe, als Beilage zu den 9. Mitteilungen an den Vorstand, 28. Juni 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20.

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Regionen wurde noch dadurch bekräftigt, dass das Institut für sie – mit Ausnahme der letztgenannten zwei Länder – auch jeweils gleichnamige historische Kom­missionen eingerichtet hatte.444 Als ein polnischer Journalist den belasteten Begriff des „Warthelands“ allerdings 1958 als Beleg für die revisionistisch-propagandistische Ausrich­tung des Instituts wertete, bestritt Gotthold Rhode in einer Replik, dass jemals eine entsprechende Kommission existiert habe.445 Nochmals weiter fasste Aubin das Arbeitsfeld des Herder-Instituts adressatengerecht in einem Schreiben an das Auswärtige Amt von 1951: Demnach wurde in Marburg „die Zwischenzone zwischen Deutschland und Russland vom Sudentenland bis Finnland“ erforscht. Es gehe um das „Verständnis des nahen Ostraumes und namentlich des deutschen Anteils an demselben.“ Damit waren die vormaligen Maßstäbe geostrategischen Großraumdenkens wiederhergestellt. Erschöpft sah Aubin den deutschen Bedarf an Ostforschung damit aber noch nicht; neben dem Herder-Institut fehlten, so Aubin, „noch ein Südost- und ein Russland- oder Sowjet-Institut.“446 Das Auswärtige Amt wies im Gegenzug halbherzig darauf hin, dass „die Grenzen von 1937“ zu beachten seien, konzedierte jedoch im selben Atemzug, die „Folgen des Versailler Vertrages“ könnten in die Argumentation miteinbezogen werden.447 Nach politischen Diskussionen, an denen sich unter anderem die Bundestagsmitglieder Carlo Schmidt und Willy Brandt beteiligt hatten, wurden die Unsicherheiten um den geographi­schen Interessenfokus des Instituts schließlich 1952 im Rahmen einer Aussprache im Bundesministerium des Innern entschieden. Die entsprechende Vorstandsmitteilung des Herder-Instituts hielt fest: Eine von manchen Seiten erstrebte Einschränkung der Arbeiten des Herder-Instituts auf den deutschen Osten wurde von Dr. Kossmann unter Hinweis darauf abgelehnt, dass eine solche Begrenzung das Institut allzu leicht als ‚hakatistisch‘ erscheinen lassen könnte. Nicht nur die deutschen Ostgebiete, sondern auch die angrenzenden Länder Tschechei, Polen und Baltenland gehören zum ‚deutschen Interessengebiet‘ und müssen daher einheitlich bearbeitet werden.448

444 Ebd. 445 Michał Jawor, Die Grenzen von 1937, in: Tygodnik Zachodni, 19. 10. 1957. Auf eine Zuschrift Rhodes replizierte der Autor im Tygodnik Zachodni vom 16. 11. 1957. Der gesamte Diskussionsstrang in deutscher Übersetzung in DSHI 200, MadV Nr. 111–130. 446 H. Aubin an das AA, Hamburg, 2. 6. 1951 (Abschrift), DSHI 200, MadV Nr. 1–20. Beide Defizite sollten wenig später durch entsprechende Institutsgründungen in München beseitigt werden. 447 E. Keyser, 15. Mitteilung an den Vorstand, Marburg a. d. L., 15. 8. 1951, S. 3, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 448 Der Stand der Ost-Institute nach der Besprechung im Bundesministerium des Innern am 28.10. und auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde am 23.10.52, S. 5, DSHI 200, MadV Nr. 21–50.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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Dem deutschen Ostmarkenverein („Hakatisten“) aus Reichszeiten wurde hier offenbar weniger sein antipolnischer Impetus als sein angeblich beschränkter geopolitischer Horizont zur Last gelegt. Eugen Oskar Kossmann, der Urheber dieser Überlegungen, war ein alter Bekannter des Marburger Kreises, hatte er doch früher selbst für die Publikationsstelle gearbeitet, war inzwischen aber zum ersten Ost-Referenten der Adenauer-Regierung avanciert und diente dem HerderInstitut als wohlgesonnener Ansprechpartner im Auswärtigen Amt.449

4.3.3 Personelle und konzeptionelle Kontinuitäten Auch im eigenen Forscherkreis setzte Aubin auf vertraute Gesichter. Zielstrebig renovierte er im Herder-Forschungsrat den personellen Bestand der früheren Forschungsgemeinschaft.450 Eine Nachfrage des britischen Hochkommissars zur politischen Vergangenheit der Ratsmitglieder wies Werner Essen Anfang 1951 mit dem Hinweis ab, dass der Rat ein „rein wissenschaftliches Gremium“ sei, das sich durch seine Forschung legitimiere – „ohne Rück­sicht auf äußere Belastungen“. Überhaupt müsse die Zeit zu solchen Nachforschungen „nun endlich vorüber“ sein.451 Die vermeintlich „zusammengeschmolzene Schar der Ungebrochenen“452 fand sich unter diesen Umständen rasch zu einer stattlichen Forschergruppe zusammen – im ersten Jahr seiner Existenz konnte der Forschungsrat seinen Mitgliederbestand auf 40 Personen nahezu verdoppeln. Im Zuge der günstigen politischen Konjunktur holte Keyser 1953 Erkundigungen ein, „welche Ostforscher noch nicht im Amt sind, damit diese bei den jetzt zu erwartenden stärkeren Einstellungen von 131ern in erster Linie berücksichtigt werden.“453 131er nannte man in der Bundesrepublik ehemalige Beamte des nationalsozialistischen Staates, die laut Bundestagsbeschluss vom April 1951 wieder beamtet werden durften, sofern ihnen im Entnazifizierungsverfahren keine besonderen Belastungen nachgewiesen worden waren.454 Zu dieser Kategorie zählten im Institut 1958 „Keyser, Weiß, Jilek, Köller“.455

449 Später (1965–1998) wurde er Mitglied im HFR. 450 Diese Absicht hatte er bereits vor der Gründung des HFR bekräftigt. Hackmann, Anfang, S. 246. 451 Vermerk Essen, 9. 1. 1951, BAK, NL Aubin, 1179/442, Bl. 156. Zitiert nach Unger, Ostforschung, S. 129. 452 Zum Geleit, in: ZfO 1 (1952), S. 1. 453 Bericht über die Vorstandssitzung am 30. April 1953, DSHI 200, VdHFR. 454 Ihre Bezeichnung verdankten die Betroffenen Artikel 131 des Grundgesetzes, auf den sich die Amnestie-Entscheidung des Bundestages stützte. 455 Bericht über die Vorstandssitzung am 21. Januar 1958, DSHI 200, VdHFR.

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Im Ergebnis verzeichnete der Herder-Forschungsrat 1958 46  ordentliche Mit­glieder. Es dominierten die Historiker im engeren Sinne mit 24  Fachvertretern – darunter 17 Professoren. Hinzu kamen drei Vorgeschichtler, ein Kirchengeschichtler und ein Rechts­historiker, zwei Kunst- und ein Musikhistoriker, fünf Volkskundler, vier Geographen, drei Volkswirtschaftler und zwei Slawisten. Mit wenigen Ausnahmen handelte es sich um altgediente Ostforscher aus der Zwischenkriegs- und Kriegszeit – nur sieben Mitglieder waren jünger als 50 Jahre.456 Linnemann betrachtet die Ostforscher in diesem Zusammenhang als generationelle Kohorte, die er mit Ulrich Herberts Begriff der Kriegsjugendgeneration in Verbindung bringt.457 Deutlich zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine zukünftige Personalknappheit ab, denn das Reservoir reaktivierbarer „älterer Kräfte“ war rasch erschöpft, und wissenschaftlicher Nachwuchs blieb aus.458 Mit den Vorkriegsjahren verbanden die Ostforschung nicht nur personelle Kontinuitätslinien, sondern auch ein weitgehend unverändertes Fachverständnis. Auf die immer wieder erörterte Frage, wie man sich zur Bundesregierung stellen solle, antwortete Werner Essen 1956 mit dem Hinweis auf die NOFG und die Publikationsstelle, die ihm als Musterbeispiel für ein fruchtbares Verhältnis von Wissenschaft und Politik erschien. „Der Kreis um Prof. Brackmann und die Mitglieder der Forschungsgemeinschaft haben in einer ganz freien und unabhängigen Form ihre Wirksamkeit gehabt, gleichzeitig aber verschränkt mit einer staatlichen Dienststelle“. Wenn jetzt im Herder-Forschungsrat manch einer die politische Indienstnahme der Ostforschung fürchte, so könne daran erinnert werden, dass diese damals „in erhöhtem Maße denkbar gewesen“ wäre. Sie sei aber „nicht Wirklichkeit geworden“.459 Freilich hatte Essen auch in seiner eigenen Karriere nur geringe Ansprüche an die Trennung von Wissenschaft und Politik gestellt: Seine wissenschaftliche Arbeit zu den Nationalitätenverhältnissen im Baltikum hatte er ab 1933 mit einer Karriere als Volkstumsspezialist im Innenministerium und später beim Reichskommissariat Ostland verbunden, die er nach dem Krieg als Ministerialrat im Vertriebenenministerium fortsetzte.460 Den Kontakt mit der

456 Verzeichnis der Mitglieder des J. G.Herder-Forschungsrates (Stand: 1. Mai 1958), als Anlage zur 136. Mit­teilung, DSHI 200, MadV, Nr. 131–150. 457 Linnemann, Erbe, S. 24. 458 E. Keyser, Denkschrift des Koordinierungsausschusses der deutschen Ostinstitute über die weitere Förderung ihrer Arbeiten (Entwurf) [1958], DSHI 200, MadV, Nr. 131–150. 459 Bericht über die Vorstandssitzung am 14. 11. 1956, S. 6, DSHI 200, VdHFR. 460 Zu Essen BAB R 153/1148 sowie Christoph Dieckmann, Überlegungen zur deutschen Besatzungsherrschaft in Osteuropa 1941–1944. Das Beispiel Litauen, in: Annaberger Annalen 5 (1997), S. 26–46.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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Wissenschaft hatte er 1950/51 als erster Direktor des Herder-Instituts erneuert, dessen Interessen er seither auch in seiner politischen Funktion vertrat. Auch nach der Auffassung Aubins sollte die erneuerte Ostforschung ihren Umgang mit der Politik an den Usancen der Zwischenkriegszeit orientieren. Als er 1951 mit Jakob Kaiser, dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, die zukünftige Zusammenarbeit besprach, berichtete er zunächst „ausführlich“ über die Ostforschung seit den Zwanzigerjahren. Der Minister versicherte im Gegenzug, dass die Wissenschaft der deutschen Ostpolitik auch in Zukunft „unentbehrlich“ sei, und sicherte „ausreichende Mittel“ für entsprechend zweckdienliche Forschungen zu.461 Die Finanzierung wurde im Folgenden zügig gesteigert: Unterstützte das Ministerium als Hauptgeldgeber des Herder-Instituts dieses 1952 noch mit 240 000 DM,462 so waren es 1958 bereits 560 400 DM463 und 1961 779 208 DM.464 Hinzu kamen projektbezogene Entschädigungen durch das Auswärtige Amt in wechselnder Höhe. Dass diese großzügige Förderung entscheidend von persönlichen Kontakten abhing, war den Ostforschern wohl bewusst. Solche Kontakte wurden daher sorgfältig gepflegt und geknüpft: Mitglieder des Herder-Forschungsrates waren seit 1950 Bundesminister Theodor Oberländer und Ministerialrat Werner Essen im Vertriebenen­ministerium.465 Eugen Oskar Kossmann, Leiter des Ostreferats des Auswärtigen Amtes, hatte für die Publikationsstelle und die NOFG gearbeitet. Als weitere Vertreter der Ostforschung – wenngleich nicht des Herder-Instituts – gehörten Werner Markert, Klaus Mehnert, Gerhard von Mende und Otto Schiller dem sogenannten Ostkreis an, der die Bundesregierung in ostpolitischen Fragen beriet.466 Und als 1958 die Ost-Abteilung des Auswärtigen Amtes neu gegliedert wurde, wies eine Mitteilung an den Vorstand des Herder-Instituts darauf hin, dass es sich beim neuen Dirigenten der Abteilung um „Dr. Northe […], Vetter von Rhode“ handle.

461 E. Keyser, Vermerk über die Rücksprache von Aubin und Keyser mit Bundesminister Kaiser und Ober­regierungsrat von Zahn am 25. 5. 1951, Marburg a. d. L., 30. 5. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 462 Der Stand der Ost-Institute nach der Besprechung im Bundesministerium des Innern am 28.10. und auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde am 23.10.52, S. 1, DSHI 200, MadV Nr. 21–50. 463 Bericht über die Sitzung des Vorstandes am Sonntag, dem 27. 4. 1958, DSHI 200, VdHFR. 464 Insgesamt beliefen sich die Einnahmen des Instituts in jenem Jahr auf gut 800 000 DM; es wurde also bei­nahe ausschließlich vom gesamtdeutschen Ministerium finanziert. Abschluss des Rechnungsjahres 1961 Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat, als Anlage zu: Bericht über die Tätigkeit des Johann-Gottfried-Herder-Instituts für das Jahr 1961, 9./10. 3. 1962, PAAA B 12/304B. 465 Laut Verzeichnis der Mitglieder des J. G.Herder-Forschungsrates […] 1958. 466 Unger, Objektiv, S. 117.

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Von Seiten der Politik hatte bereits 1952 Staatssekretär Franz Thedieck aus dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen darauf hingewiesen, „dass er uns kaum so erhebliche Zuwendungen hätte machen können, wenn er [i.e. Thedieck] nicht mit Herrn Aubin seit langen Jahren gut bekannt wäre und dieser nicht als erster Antragssteller zu ihm gekommen wäre.“467

4.3.4 Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik Vor diesem Hintergrund war es konsequent, dass die Vertreter des Forschungsrates der Politik immer wieder ihre Dienste antrugen. Im Mai 1951 schlug Aubin vor, „dass bei passender Gelegenheit eine Wochenend-Aussprache zwischen Ostforschern und solchen Wirtschafts­führern und Politikern stattfinden soll, die an der künftigen Gestaltung des Ostens beteiligt sind.“468 Hätten die ostdeutschen und polnischen Polemiker Aubin die Worte in den Mund legen können – sie hätten wohl kaum andere Formulierungen gewählt um zu beweisen, dass die bundesdeutschen Ostforscher als Handlanger der Imperialisten und Monopolkapitalisten einen neuen Eroberungszug gen Osten planten. So abwegig der Vorwurf aktiver Kriegs­vorbereitung war, so plausibel scheint es, dass Aubin unter dem Eindruck des Koreakrieges und der Berliner Blockade mit der Möglichkeit eines neuen Krieges rechnete und im Hinblick auf eine entsprechende Friedensregelung deutsche Ordnungsvorstellungen für die „künftige Gestaltung des Ostens“ bereithalten wollte.469 Sekundiert wurde er von Peter-Heinz Seraphim, der im Juli 1951 erklärte, dass „unsere Arbeit, wenn sie auch keineswegs der Politik dienen will, das Ziel hat[,] an der Neugestaltung dieses Raumes in europäischem und deutschem Sinne mitzuwirken.“470 Damit begaben sich beide zumindest gedanklich erneut auf das kompromittierte Feld raumkundlich-ostforschender Politikberatung. Bezeichnenderweise war es im August 1951 die Politik, welche die übereifrigen Ostforscher auf die Wissenschaft zurückverwies – freilich aus taktischen Überlegungen. Kein Geringerer als Walter Hallstein zollte den Marburger Ostforschern im Namen des Auswärtigen Amtes für ihre Tätigkeit „im Sinne der Grund-

467 Bericht über die Besprechung der Herren Aubin und Keyser in den Bundesministerien am 25. 1. 1952, S. 2, DSHI 200, MadV Nr. 21–50. 468 E. Keyser, Vermerk über die Rücksprache […]. 469 Zur allgemeinen Kriegserwartung in dieser Zeit Judt, Postwar, S. 147–153. 470 Peter-Heinz Seraphim, Über die Notwendigkeit soziologischer Ostarbeit, als Anlage zu: P. H. Seraphim an den HFR, 3. 7. 1951 (Abschrift), dies als Anlage zu: E. Keyser, 9. Mitteilungen an den Vorstand, 28. 6. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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lagen-Forschung“ zwar ausdrücklich Anerkennung, warnte sie aber eindringlich vor „politische[n] Stellungnahmen“, die bei den Westmächten „Unruhe“ hervorrufen könnten. Daher dürften auch die von Aubin vorgeschlagenen Gespräche zwischen Ostforschern und außenpolitischen Entscheidungsträgern nur „streng vertraulich“ durchgeführt werden. Solange die deutsche Aufklärungsarbeit apolitisch daherkomme, könne man sich darauf verlassen, dass sie in den USA auf offene Ohren stoße. In diesem Sinne gehe es um eine „wissenschaftliche Vorbereitung der politischen Angelegenheiten“, bei der die Ostforschung unentbehrlich sei.471 Was Walter Hallstein – als Schöpfer der nach ihm benannten Hallstein-Doktrin ein wichtiger Ideengeber der bundesdeutschen Außenpolitik472 – hier vortrug, war ein höchst politisches Plädoyer für eine ostentative Politikferne des Instituts. Diese Strategie wurde indes auch in Polen durchschaut. Selbst wenn man von der politischen Revisionspropaganda der Ostforschung einmal absehe, schrieb ein polnischer Beobachter 1957, „müssen auch [deren] ‚rein wissenschaftliche Interessen‘ unsere Unruhe wecken.“ Eine ähnliche Intensivierung der Ostmitteleuropaforschung wie in der Gegenwart habe man zuletzt in den Dreißigerjahren beobachten können.473 In der Folge markierten Politik und Wissenschaft denn auch gegenseitige Distanz. Von der ins Auge gefassten Umwandlung des Instituts in eine Bundesstelle nahmen die Marburger Ostforscher wieder Abstand – schweren Herzens, denn damit blieben ihnen die ersehnten Beamtenbezüge verwehrt. Dafür konnte weiterhin darauf verwiesen werden, dass der Herder-Forschungsrat „keine politische Einrichtung und das Herder-Institut keine behördliche Dienststelle“ sei.474 Auch so war allerdings die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, dass das Institut aus den Mitteln des gesamtdeutschen Ministeriums und des Auswärtigen Amtes finanziert wurde. Vor diesem Hintergrund mahnte Papritz schon 1956, „dass die Ostforschung es sich nicht leisten könne, so harmlos wie andere Institute vom Staat Geld zu nehmen.“475 Alternative Finanzquellen waren aber auf

471 E.  Keyser an die Vorstandsmitglieder Aubin/Papritz/Keyser/Schieder, 15.  Mitteilungen an den Vorstand, Marburg a. d. L., 15. 8. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 472 Hallstein war 1951–1958 Staatssekretär im AA. Er formulierte im September 1955 die sog. Hallstein-Doktrin, wonach die Anerkennung der DDR durch ein Drittland den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur BRD nach sich zog. 473 Michał Jawor, Aus Unwahrheit wird nicht Wahrheit, Tygodnik Zachodni, 16. 11. 1957. Zitiert nach der deutschen Arbeitsübersetzung, S. 6, DSHI 200, MadV Nr. 111–130. 474 Der J. G.Herder-Forschungsrat und das J. G.Herder-Institut, ohne Verfasserangabe, wohl als Beilage zu: 9. Mitteilungen an den Vorstand, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 475 Bericht über die Vorstandssitzung am 14. November 1956, S. 10, DSHI 200, VdHFR.

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die Schnelle nicht verfügbar,476 sodass schließlich zu einer wenig befriedigenden Scheinlösung gegriffen wurde: Seit 1957/1958 bemühten sich die Ministerien, ihre Zahlungen an das Herder-Institut zu verschleiern – das Auswärtige Amt, indem es die „vertrauliche Behandlung“ der erteilten Zuwendungen verlangte, das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, indem es die Mittel des Herder-Forschungsrats aus dem Haushaltsplan des Bundesministeriums in eine „Beilage“ verbannte.477 Dessen ungeachtet ging man in Bonn davon aus, „dass das [Herder-]Institut hoheitsrechtliche Aufgaben des Ministeriums [für gesamt­ deutsche Fragen] wahrnimmt.“478 Der Nutzen solch konspirativer Maßnahmen war denn auch begrenzt, wie Reinhard Wittram sarkastisch konstatierte: „Dass wir die Geldmittel des Staates verteilen, weiß man […] überall. Wir sind […] ‚Agenten des Nato-Kapitals‘“.479 So gab das konspirative, aber durchschaubare Verhältnis zwischen Institut und Ministerien Anlass zu unaufhörlichen Verdächtigungen, die dem Ruf des Instituts abträglich waren. 1955 hatte die schlechte Presse über das Institut im In- und Ausland einen Umfang erreicht, der es geraten erschienen ließ, sie den Ratsmitgliedern nur noch „gesammelt vorzulegen“. Gleichzeitig rapportierte Bernhard Stasiewski, „dass er beim Historikerkongress in Rom von kirchlicher Seite auf die deutsche Ostforschung hin angesprochen worden sei. Manche Stellen sind der Meinung, dass diese in die Richtung eines verlängerten Nachrichtendienstes gerät.“480 Man wird kaum fehlgehen, die vatikanische Nachfrage auf polnisches Interesse zurückzuführen. Ganz abwegig waren solche Verdächtigungen nicht – als 1951 beim Bundes­ministerium für gesamtdeutsche Fragen über die Einrichtung eines „Informations­dienstes in Ostfragen“ beraten worden war, der die diesbezüglichen Aktivitäten der bestehenden Nachrichtendienste zusammenfassen sollte, hatte es tatsächlich Überlegungen gegeben, das Herder-Institut in geheimdienstliche Strukturen einzubeziehen. Aubin und Keyser hatten sich dem

476 In den föderalen Strukturen der BRD oblag der Unterhalt wissenschaftlicher Einrichtungen grundsätzlich den Ländern, doch fand sich Hessen zur Aufwendung der erheblichen Mittel, die das HI benötigte, offenbar nicht bereit. 477 E. Keyser, 123. Mitteilungen an den Vorstand, Marburg a. d. L., 6. 12. 1957, DSHI 200, MadV Nr. 111–130. 478 Bericht über die Vorstandssitzung am 21.  Januar 1958, DSHI 200, VdHFR. Ganz ähnlich wurde in Polen der Status des Posener IZ umschrieben: „Während es wissenschaftliche Forschungen präsentiert, die der polnischen Staatsräson dienen, tritt es jedoch nicht als staatliche oder Regierungsinstitution auf.“ Informacja o aktualnym stanie Instytutu Zachodniego i jego potrzebach, 21. 11. 1984, AAN KC-PZPR/1354/LVIII/686. 479 Bericht über die Vorstandssitzung am 14. November 1956, S. 10, DSHI 200, VdHFR. 480 Ebd.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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Ansinnen damals aber widersetzt und erklärt, „dass das H[erder-]I[nstitut] nur wissenschaftliche Aufgaben durchführen könne und daher eine solche Informationsstelle anderswo geschaffen werden müsse.“481 Den informellen politischen Beratungsdiensten des Instituts taten solche Skrupel indes keinen Abbruch. Noch 1958 forderte Aubin den Institutsvorstand auf, sich vornehmlich mit der „Beschaffung von Unterlagen für politische Bedürfnisse“ zu beschäftigen.482 Und 1959 betonte der scheidende Vertriebenenminister Theodor Oberländer „die dringende Notwendigkeit weiterer Ostforschung, besonders auch zur Unterrichtung der Politiker.“483 Auch die eine oder andere Rede von Bundeskanzler Adenauer wurde in Marburg verfasst.484 So sehr den Marburgern daran gelegen war, die deutsche Ostpolitik mitzugestalten, so entschieden verwandten sie sich doch in der Regel gegen politische Eingriffe in jene Sphäre, die sie als innerwissenschaftlich betrachteten. Die Autonomie des Faches veranschlagten sie so hoch, dass sie selbst jene wissenschaftlichen Positionsbezüge gegen politische Angriffe schützten, die ihnen selbst missliebig waren. Am deutlichsten wurde dies, wenn der aka­demische Nachwuchs die Pfade der traditionellen Ostforschung verließ und sich auf neues Terrain vorwagte, wie es insbesondere in der Umbruchszeit der frühen Sechzigerjahre geschah. So setzte sich der Forschungsrat 1961 über die Bedenken von Legationsrat Gotthold Starke gegen Hans Roos‘ Wahl zum korrespondierenden Mitglied hinweg. Starke hatte im Namen des Auswärtigen Amtes geltend gemacht, dass Roos in den polenfreundlichen Cahiers Pologne-Allemagne publiziert habe und daher ungeeignet sei.485 Mehr Staub wirbelte die „Angelegen­heit Wehler“ auf. Hans-Ulrich Wehler, der sich damals als Schüler Schieders noch im Dunstkreis der Ostforschung bewegte, hatte 1962 in Essen und Solingen über seine Forschungen zum amerikanischen Imperialismus referiert, deren antiimperialistische Spitze das polnische Parteiorgan Trybuna Ludu in großer Aufmachung und freier Nacherzählung wiedergab.486 Auch in diesem Fall wurde das Auswärtige Amt in Marburg vorstellig und verlangte Klärung und gegebenenfalls eine Diszip-

481 E. Keyser, 15. Mitteilung an den Vorstand, 15. 8. 1951, S. 2, DSHI 200, MadV, Nr. 1–20. 482 Bericht über die Vorstandssitzung am 9. Juli 1958, S. 1, DSHI 200, VdHFR. 483 Dienstreise nach Bonn am 3. und 4. Juni 1959, DSHI 200, MadV, Nr. 131–150. 484 Bericht über die Vorstandssitzung am 20. Mai 1963, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 485 Bericht über die Vorstandsitzung am 9. März 1961, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 486 Seine aus den damaligen Forschungen hervorgehende erste Habilitationsschrift zum Aufstieg des amerika­nischen Imperialismus 1865–1900 aus dem Jahr 1964 wurde von der Fakultät der Universität Köln abgelehnt. Auch ein zweiter Habilitationsversuch Wehlers u. d. T. Bismarck und der Imperialismus wurde 1968 nur unge­wöhnlich knapp angenommen.

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linierung des Abtrünnigen.487 In seiner Antwort bemühte sich der Forschungsrat zwar, die Wogen durch den Hinweis zu glätten, dass Wehler im polnischen Parteiorgan „entstellt“ wiedergegeben worden sei, sah sich aber gleichzeitig zu einer grundsätzlichen Klarstellungen veranlasst: Der Vorstand ist darüber einig, dass die Pflege des Nachwuchses in der Ostforschung sich nur darauf erstrecken kann, den jungen Ostforschern wissenschaftliche Sicherheit zu geben und sie zur Entwicklung eigener Anschauungen zu ermutigen. Jede Bevormundung wäre verfehlt. Die politische Erziehung hat auf andere Art und Weise zu erfolgen.“488

Etwas relativiert werden diese hehren Worte durch den Umstand, dass sie zu einem Zeitpunkt geäußert wurden, als die Ostforschung ihre Wissenschaftlichkeit besonders in Frage gestellt sah und entsprechenden Profilierungsdruck verspürte. Immerhin hatte der Vorstand dem Forschungsrat bereits in der Vergangenheit eingeschärft, die „Übernahme von Vorträgen vor nicht rein wissenschaftlichen Kreisen“ sei generell „nicht […] erwünscht“.489 Im Gegensatz zum Göttinger Arbeitskreis wahrte das Herder-Institut seit den späten Fünfzigerjahren, und insbesondere seit Eugen Lemberg den Vorsitz angetreten hatte, Distanz gegenüber den politischen Vertriebenenorganisationen – namentlich gegenüber dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten.490

4.3.5 Dem deutschen Osten in memoriam et spe Fast mochte es scheinen, dass neben dem politischen Engagement der Ostforschung die wissenschaftliche Arbeit des Herder-Instituts zur Nebensache geriet. Das war freilich nicht im Sinne der Forscher, die ja gerade ihr wissenschaftliches Kapital in die Ostpolitik und die öffentliche Diskussion über „den Osten“ einbringen wollten. In fachlicher Hinsicht lag dieses Kapital vor allem bei den Historikern, die im Forschungsrat die Mehrheit stellten. Zwar genoss die multidisziplinäre Zusammenarbeit mit den angrenzenden Fächern in der Ostforschung traditionell hohen Stellenwert. Doch war das Volkstumskonzept, das in seinen vielfachen histori-

487 Bericht über die Vorstandssitzung am 12. Januar 1962, S. 5, DSHI 200, VdHFR. 488 Bericht über die Vorstandssitzung am 10. April 1962, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 489 Bericht über die Vorstandssitzung am 25. und 27. April 1957, DSHI 200, VdHFR. 490 So wollte man dem Begehren des BHE zur Gründung eines Ostkollegs „abwartend und mit Zurückhaltung“ begegnen. Bericht über die Vorstandssitzung am 20. Mai 1960, S. 1, DSHI 200, VdHFR.

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schen, kulturellen, soziologischen und rassischen Bezügen vor 1945 die Nabe dieser fachlichen Integration gebildet hatte, nach dem Krieg zumindest teilweise weggebrochen, wodurch die Integration verschiedener Fächer dauerhaft erschwert wurde. Politische Entscheidungsträger drängten allerdings seit den späten Fünfziger- und verstärkt noch zu Beginn der Siebzigerjahre darauf, den Gegenwartsbezug der Ostforschung durch eine erneute multidisziplinäre Öffnung zu stärken. Ins Auge gefasst wurde zu diesem Zweck ein modernisierter Fächerkanon, der nebst historischen auch politologische, soziologische, juristische und bisweilen gar naturwissenschaftliche Spezialisierungen umfassen sollte.491 Diesen Anregungen war im Herder-Institut indes wenig Erfolg beschieden.492 Zwar beschloss der Vorstand schon früh, „die Gegenwartsforschung nachdrücklich zu fördern“;493 auch plädierte Peter-Heinz Seraphim im Juli 1951 eindringlich dafür, die Arbeit des Instituts nicht auf historische Forschungen zu beschränken: Volks- und Landeskunde, Recht, Wirtschaft und Soziologie sind erkenntnismäßig nicht weniger wich­tige Gebiete. Dazu kommt, dass unsere Arbeit, wenn sie auch keineswegs der Politik dienen will, das Ziel hat, an der Neugestaltung dieses Raumes in europäischem wie in deutschem Sinne mitzuwirken. In der internationalen Diskussion, die wir doch anzuregen wünschen, spielt die historische Fragestellung allein keine entscheidende Rolle mehr. Bereits bei der Korridordiskussion nach dem 1. Weltkrieg erwies sich in den angelsächsischen Ländern, insbesondere in den historisch wenig interessierten USA die historische Problematik als wenig ansprechend. Nach dem 2. Weltkriege wurden die politischen Entscheidungen über diesen Raum kaum noch historisch motiviert, sondern sehr einfach durch den Wunsch, den im Osten verkleinerten Kriegsalliierten Polen im Westen reichlich zu entschädigen. Auch polnischerseits wurde zwar auf die Polonität dieser Gebiete hingewiesen, die historische Argumentik [sic] trat aber doch sehr zurück und spielt heute nur noch am Rande eine Rolle.494

Angesichts solcher Herausforderungen sollten die dem Forschungsrat angegliederten Historischen Kommissionen fachlich geöffnet und zu „Landeskommissionen“ mit Fachgruppen für Geschichte, Landes- und Volkskunde, Soziologie, Wirtschaft und Recht umgestaltet werden. Von Haus aus Volkswirtschaftler, hatte

491 E. Keyser, Denkschrift des Koordinierungsausschusses der deutschen Ostinstitute über die weitere Förderung ihrer Arbeiten (Entwurf), undatiert [1958], DSHI 200, MadV Nr. 131–150. 492 Das Institut bot hierfür keine attraktiven Forschungsvoraussetzungen und konnte folglich auch keine Neuzugänge aus den erwünschten Fächern anziehen. Spezialisierte Universitätsinstitute wie jenes für Ostrecht in München oder jenes für sowjetische Wirtschaft in Wilhelmshaven konnten solchen Interessen besser gerecht werden. 493 Bericht über die Vorstandssitzung am 4. u. 5. 12. 1953, DSHI, VdHFR. 494 Peter-Heinz Seraphim, Über die Notwendigkeit soziologischer Ostarbeit, als Anlage zu: E. Keyser, 9. Mitteilungen an den Vorstand, 28. 6. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20.

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Seraphim den interdisziplinären Grenzgang vor 1945 als nationalsozialistischer Judenexperte mit soziologischen und historischen Fragestellungen geprobt und dabei Kompetenzen erworben, für die er nun als Mitglied des Herder-Forschungsrates einen neuen Untersuchungsgegenstand suchte.495 Seine Anregungen zeitigten indes nur bescheidene Erfolge: Wohl wurden die Historischen Kommissionen schließlich in Historisch-Landeskundliche Kommissionen umbenannt, doch wurde damit nur die ohnehin seit Längerem praktizierte Mitarbeit von Geographen, Kunst- und Kirchenhistorikern honoriert. Am ehesten fand eine multidisziplinäre Perspektive Eingang in gegenwartsbezogene Gesamtdarstellungen, die das Institut in den Fünfzigerjahren im Auftrag der Ministerien erarbeitete. Hierfür wurden Volkswirtschaftler, Soziologen und Völkerrechtler beigezogen. Fluchtpunkt solcher Auftragsarbeiten waren die deutschen Grenzen von 1937 – und gelegentlich auch jene von 1914 –, die der Oder-Neiße-Linie entgegengestellt wurden. So wünschte Eugen Oskar Kossmann vom Auswärtigen Amt schon wenige Monate nach der Institutsgründung im Oktober 1950 „ein Buch zur Unterrichtung des Auslands, besonders der USA, über die deutschen Ostgebiete in den Grenzen von 1937 mit ‚Argumenten‘ für ihre künftige politische Rückforderung“.496 Ein knappes Jahr später legte Herbert Schlenger den Arbeitsplan für ein Taschenbuch des Deutschtums im Osten vor. Darin führte er aus, in Anbetracht des Zielpublikums müsse sich das Werk ganz „auf die Psychologie des ausländischen Lesers einstellen.“ Das Taschenbuch habe „jede aufdringliche propagandistische Note zu vermeiden.“ Beginnen müsse man mit der Vertreibung der ostdeutschen Bevölkerung, da dieses Thema „das Gemüt des Ausländers am ehesten ansprechen wird.“ In diesem Zusammenhang müsse man den Einwand entkräften, dass die Deutschen bereits im 19.  Jahrhundert durch starke Abwanderung ihre „mangelnde Anteilnahme an der Gestaltung des Ostraumes“ bekundet hätten. Solche Thesen wurden von der polnischen Wissenschaft in jenen Jahren mit Nachdruck verfochten. Im Folgenden sei die „Geschichte der deutschen Besiedelung des Ostraumes“ darzulegen und hierbei der deutsche Standpunkt zur Lausitzer Kultur auszuführen, um anschließend die (frühere) „Germanische Landnahme“ und die (spätere) „Slawische Landnahme“ zu schildern. Sodann sei das mittelalterliche Ödland im Osten den Kulturlandschaften des 20. Jahrhunderts gegenüberzustellen. Dadurch trete die „Erweiterung des Lebensraumes [!] durch die deutsche Kulturarbeit in der

495 Zu Seraphim Hans-Christian Petersen, Bevölkerungsökonomie – Ostforschung – Politik. Eine biographische Studie zu Peter-Heinz Seraphim (1902–1979), Osnabrück 2007. 496 Bericht über die Vorbereitung des Taschenbuches über die deutschen Ostgebiete, als Anlage zu: Der Stand der Ost-Institute […].

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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Land- und Waldwirtschaft“, die den Polen und Russen nun einmal nicht liege, anschaulich zutage. Schließlich sei „Das geistige Gesicht des Ostens“ in seinen deutschen Zügen zu zeichnen. Vor diesem Hintergrund könne dann auf die Entwicklung der politischen Grenzen eingegangen werden. Unbeirrt wurde hier der Gedanke des deutschen Volks- und Kulturbodens erneuert, ver­schränkt mit den altbekannten Thesen von der polnischen Unfähigkeit zu politischen und kulturellen Leistungen.497 Dass dabei nicht nur gedanklich, sondern auch arbeitspraktisch auf die späte Zwischenkriegszeit zurückgegriffen wurde, erläuterte Keyser den Forschungsrats­mitgliedern bei einer erneuten Diskussion des Projekts: „Kurz vor dem letzten Kriege wurde unter Leitung von Prof. Schieder ein ‚Taschenbuch über den deutschen Osten‘ durch die Publikationsstelle Dahlem unter Hinzuziehung zahlreicher sachkundiger Mitarbeiter vorbereitet. Die damals fertiggestellten Vorarbeiten liegen vor.“ Allerdings geriet das Projekt anschließend ins Stocken. 1952 mahnte Keyser die „schnellste Fertigstellung des Buches“ an. Dies könne, „wenn auf besonders zeitraubende Voruntersuchungen, auf Gleichmäßigkeit und Vollständigkeit aller Angaben verzichtet wird, in einigen Monaten erreicht werden.“498 Einmal mehr zeigte sich hier die enthemmende Wirkung des publizistischen Genres, das auf Nachweise scheinbar verzichten konnte. Das Endprodukt dieser Bemühungen erschien 1955 in erster, 1957 bereits in dritter, erweiterter Auflage. Die politischen Anliegen der Auftraggeber und Autoren konnte es nicht verhehlen. Gleich einleitend bezeichnete es Gotthold Rhode als Hauptaufgabe des Buches, einer Reihe von Thesen entgegenzutreten, mit denen die „Abtretung“ der deutschen Ostgebiete begründet werde. „Sie reichen von der Behauptung, dass Ostdeutschland die Urheimat der Slawen sei, bis zu der Feststellung, dass die kulturell und wirtschaftlich zurückgebliebenen Ostgebiete vom Deutschen Reich vernachlässigt worden seien“.499 Das vorliegende Sammelwerk wolle sachlich über die „Richtigkeit und Unrichtigkeit“ dieser Thesen unterrichten.500 Bei der Durchsicht des Bandes stechen die frappanten Parallelen zu den Autoren und Themen des 1942/43 erschienenen Sammelwerkes Deutsche Ostforschung ins Auge.501 Wolfgang La Baume und Walter Kuhn bewegten sich mit ihren Beiträgen zum Altertum sowie zum Gang der deutschen Besiedlung durchwegs

497 Arbeitsplan für ein Taschenbuch des Deutschtums im Osten, als Anlage zu: E.  Keyser, 9. Mitteilungen an den Vorstand, Marburg a. d. L., 28. 6. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 498 Bericht über die Vorbereitung […]. 499 Gotthold Rhode (Hg.), Die Ostgebiete des Deutschen Reiches, 3. Aufl., Würzburg 1957. Aus dem Vorwort zur ersten Auflage, S. VII. 500 Ebd., S. VIII. 501 Aubin u. a. (Hg.), Ostforschung.

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auf den ausgetretenen Pfaden der Ostforschung. La  Baume kontrastierte eine frühe und verhältnismäßig hoch entwickelte germanische Kultur mit einer späteren und primitiveren Slawenkultur und widersprach einmal mehr Kostrzew­ skis Behauptung vom slawischen Charakter der Lausitzer Kultur, zeigte aber auch Hemmungen, sie für die Germanen zu reklamieren. Kuhn ließ seinerseits keinen Zweifel am Kulturträgertum der deutschen Ostsiedler, welche die Länder östlich von Oder und Neiße im Hochmittelalter „in ihrer gesamten materiellen und geistigen Kultur aus primitiven, wenig differenzierten frühgeschichtlichen Verhältnissen herausgerissen und der hochentwickelten, vielgegliederten Formenwelt des europäischen Westens eingefügt“ hätten.502 Auch Das Geistige Gesicht des Ostens zeichnete Ludwig Petry mit deutschen Zügen, idealtypisch verkörpert in „Nikolaus Germanus“ (Kopernikus). Des Weiteren enthielt der Band selbst bei getreuer Faktenwiedergabe stellenweise höchst fragwürdige Urteile – etwa, wenn Gotthold Rhode sich angesichts polnischer Ausschreitungen gegen ansässige Deutsche während des deutschen Überfalls im September 1939 zur Folgerung veranlasst sah: „Die Brutalisierung des Krieges im Osten nahm mit diesen Ausschreitungen gegen die wehrlose und friedliche Zivilbevölkerung ihren Ausgang.“503 Im Vergleich mit der oben umrissenen ursprünglichen Konzeption wird jedoch klar, dass der Umgang mit den vorgefundenen Fakten, so er glaubwürdig bleiben sollte, und die Rücksicht auf das erwartete kritische Publikum die beabsichtigten Interpretationen im resultierenden Band meist nur in stark abgeminderter Form zuließen. Hinzu kam, dass das Buch 1955, in einer wirtschaftlich aufstrebenden, optimistisch-vorwärtsgewandten Bundesrepublik, bereits auf ein ganz anderes geistiges Klima antwortete als jenes, welches für die erste Konzeption prägend war und in ungleich höherem Maße rückwärtsgewandtem Verlustempfinden und Selbstmitleid Ausdruck verliehen hatte. So war der knappe Abschnitt zur Vertreibung der Deutschen aus der Feder von Gotthold Rhode in einem betont sachlichen Duktus gehalten, Aussagen zur deutschen Aufbauleistung im Osten wurden eher beiläufig in den Band eingestreut, und Erich Keyser musste einräumen, dass die deutsche Bevölkerung der Ostgebiete seit der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts tatsächlich in großer Zahl nach Westen abgewandert sei. Entschärfend blieb nur der Hinweis, dass die polnische Bevölkerungsgruppe es ihr gleichgetan hatte.504 Denselben Gegenstand wie das Taschenbuch

502 Ebd., S. 27. 503 Ebd., S. 135. Die von ihm genannten Opferzahlen wurden indes durch spätere Studien bestätigt. 504 Erich Keyser, Die Bevölkerung der östlichen Provinzen des Preußischen Staates von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Jahre 1939, in: Gotthold Rhode (Hg.), Die Ostgebiete des Deutschen Reiches, Würzburg 1957, S. 54–95, hier S. 63.

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sollte das Handbuch der deutschen Ostgebiete behandeln, das auf zehn Bände angelegt wurde und das unvollendete Osthandbuch des Deutschen Friedensbüros wiederaufnehmen sollte. Durch das Projekt hoffte man die „Beschäftigung vieler Ostforscher“ sicherzustellen und diese an das Herder-Institut zu binden.505 Inhaltlich sollte die Reihe „in erster Linie eine Materialsammlung bieten, die auch einmal praktischen Zwecken dienen könnte.“ Das Handbuch würde sich im großen Ganzen an die Grenzen von 1937 halten müssen. Allerdings sollten bereits im ersten Band über Die Geschichte der deutschen Ostprovinzen „das Streudeutschtum im Wartheland und im Weichselgau in geschickter Weise einbezogen werden“. Damit war dem Band, den Rhode, Hubatsch und Aubin verfassen sollten, eine volksgeschichtliche Perspektive vorgegeben. Für den zweiten Band sollte Walter Recke Die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im Hinblick auf die Gebiete jenseits der Oder und Neiße aufbereiten. Diese Engführung der Beziehungsgeschichte auf die Grenzfrage widerspiegelte einmal mehr das konstituierende Prinzip der Ostforschung seit ihrer Entstehung im Schatten von Versailles. In den folgenden Bänden sollten ältere Studien von Keyser und Essen über Die Bevölkerung verwertet werden, Seraphim würde Die Wirtschaft darstellen, Petry einmal mehr Das geistige Leben der deutschen Ostprovinzen. Sodann sollten Rhode und Wolfgang Wagner in zeitgeschichtlicher Perspektive auf Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie zurückkommen, deren völkerrechtliche Beurteilung Scheuner im achten Band leisten konnte. Dazwischen wäre von einem Doktoranden Schieders Die Vertreibung der Ostdeutschen darzustellen. Eine abschließende Geographische Landeskunde fiele in Schlengers Zuständigkeit. Erscheinen sollten die Bände 1951–1953.506 Von den geplanten zehn erschienen jedoch nur drei Bände: Als erster die Darstellung der ostdeutschen Wirtschaft von Seraphim, als zweiter die Arbeit von Wagner zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie und, ergänzend dazu, ein in der ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehener Quellenband zur Oder-NeißeGrenze von Rhode und Wagner507 – Letzterer auch in englischer, französischer und spanischer Ausgabe. Die Gründe für diesen Kurs­wechsel lassen sich aus den

505 Vorläufiges Verzeichnis über die für das Osthandbuch in Aussicht genommenen Mitarbeiter und die Länge der Beiträge, als Anlage zu: 9. Mitteilungen an den Vorstand, 28. 6. 1951, DSHI 200, MadV. Die Reihe wurde vom AA mit rund 31 000 DM finanziert. Unger, Objektiv, S. 122. 506 Plan über die Fortsetzung des „Osthandbuchs des Deutschen Friedensbüros“, als Anlage zu: 30. Mitteilungen an den Vorstand [1951], DSHI 200, MadV Nr. 21–50. 507 Peter-Heinz Seraphim, Die Wirtschaft Ostdeutschlands. Vor und nach dem zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1952; Wolfgang Wagner, Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie in den diplomatischen Verhandlungen während des Zweiten Weltkriegs, Stuttgart 1953; Gotthold Rhode/ Wolfgang Wagner (Hg.), Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie in den diplomatischen Verhandlungen während des Zweiten Weltkrieges, Stuttgart 1956.

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Akten des Herder-Instituts nicht ersehen; erkennbar ist aber die markante Herabstufung der historischen Perspektive, die – abgesehen von der jüngsten Zeitgeschichte in Wagners Darstellung – gänzlich fallengelassen wurde. Über diese politischen Auftragsarbeiten hinaus entfaltete das Institut bald eine kontinuierliche und breit gefächerte Publikationstätigkeit. Bereits die Titel der Reihen und Zeitschriften zeigen, wie sehr dem Herder-Institut an einer wissenschaftlichen Profilierung gelegen war, führten sie doch beinahe alle das Prädikat „wissenschaftlich“ oder das Subjekt „Forschung“ im Namen. Wichtigstes Aushängeschild war die Zeitschrift für Ostforschung, die seit 1952 vierteljährlich erschien und mit Abhandlungen, Forschungsberichten und Buchbesprechungen in erster Linie der Auseinandersetzung mit polnischen Positionen dienen sollte. So jedenfalls hatte das Institut den Bedarf nach einer eigenen Zeitschrift begründet: „Da in den polnischen Zeitschriften die Geschichte des deutschen Ostens sehr eingehend und häufig durch dieselben Verfasser wie früher behandelt wird, scheint es […] dringend erforderlich, dass die deutsche Wissenschaft so bald wie möglich mit einer eigenen Zeitschrift zu diesen Ausführungen Stellung nimmt und ihre eigenen Forschungsergebnisse veröffentlicht“, notierte Essen im Januar 1951.508 Nicht ausgesprochen, wohl aber mitgedacht war die Folgerung, dass auch auf deutscher Seite ‚bewährte Kräfte‘ zur Feder greifen sollten. Dass auch in inhaltlicher Hinsicht auf Kontinuität gesetzt wurde, verdeutlichte Aubin in seiner paradigmatischen und oft zitierten Einführung unter dem Titel An einem neuen Anfang der Ostforschung 1952. „Nichts kann uns davon entbinden, die Geschichte des östlichen Mitteleuropa schon allein deshalb zu pflegen, weil sie ein Teil unserer eigenen Geschichte ist“, lautete sein trotziges Credo,509 und als Leitvorstellung aller Beschäftigung mit Mittelosteuropa betrachtete er die „Einsicht, dass das Dasein des östlichen Mitteleuropa unter der Dreiheit der Grundbedingungen steht: der Trias der Vielheit kleiner Völker und Staaten als innewohnender Struktur des Raums, des Anteils daran und der Nachbarschaft des großen Volkes der Deutschen als des vorzüglichsten Vermittlers abendländischer Gesittung dahin im Laufe der Geschichte, und der Nachbarschaft und Einwirkung Russlands, das zur Weltmacht des Bolschewismus erwachsen ist.“510 In Polen wurde die neue Zeitschrift denn auch argwöhnisch beobachtet. 1957 besprach Karol Maleczyński die ersten fünf Jahrgänge in der Sobótka, dem schlesischen Pendant des Posener Przegląd Zachodni. Nicht zu Unrecht stieß er

508 Zitiert nach Hackmann, Anfang, S. 251. 509 Hermann Aubin, An einem neuen Anfang der Ostforschung, in: ZfO 1 (1952), S. 3–16, hier S. 14. 510 Ebd., S. 15 f.

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sich daran, dass Aubin die Teilungszeit als Epoche maximaler Stabilität in der polnischen Geschichte lobte, Schieder auf ein übernatio­nales Europa hoffe, in dessen nationaler und kultureller Rangordnung Polen allerdings am Schluss rangiere, und Ludat immer noch kein Verständnis für die Ablehnung zeigte, die dem 1933 von Brackmann herausgegebenen Sammelband „Deutschland und Polen“ in Polen widerfahren war. „Was bedeutet das alles?“, fragte er rhetorisch und antwortete: „Es geht um die Begründung der Unhaltbarkeit der Zustände östlich der Oder, um die Rückkehr in den alten deutschen Machtbereich und sogar um erneute Expansion über diese Grenzen hinaus, wenn auch jetzt, nach den Misserfolgen der brutalen Methoden, in einer etwas verschleierten Art ausgedrückt.“ Daneben fand Maleczyński aber auch einige sachliche Beiträge von Karl Hartmann und Hans Mortensen.511 Für größere wissenschaftliche Arbeiten bot die Zeitschrift für Ostforschung freilich nicht genügend Raum. Behelfsmäßige Abhilfe schufen zunächst die Wissenschaftlichen Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas, die bis in die Sechzigerjahre foto­mechanisch vervielfältigt wurden und sich sowohl aufgrund der begrenzten Auflage wie auch hinsichtlich ihrer meist enggefassten Thematik eher an ein kleines Wissenschaftlerpublikum richteten. Von 1951 bis 1985 erschienen über 120 Bände, die oft auf wissenschaftlichen Qualifikationsschriften beruhten und vorwiegend landes- und lokalgeschichtliche Themen von der Frühen Neuzeit bis in die Zwischenkriegszeit behandelten. Das Gepräge der Ost­forschung zeigte sich in der Konzentration auf Nationalitätenfragen und einer damit einher­gehenden volksgeschichtlichen, später allgemeiner sozialgeschichtlichen Ausrichtung, die sich in einigen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Studien zur Nachkriegszeit fortsetzte. Größere Publikumswirksamkeit entfalteten die Marburger Ostforschungen, die es von 1953 bis 1985 auf über vierzig Bände brachten. Breiten Raum nahmen volksgeschichtliche Themen ein, die das Brauchtum und „Volksleben“ der Deutschen im Osten, seltener auch jenes ihrer slawischen Nachbarn untersuchten.512 Eng damit verbunden waren siedlungsgeschichtliche Studien, die meist auf den Beitrag der Deutschen zum Städtewesen und zur ländlichen Siedlung im östlichen Mitteleuropa abhoben513 und Anlass

511 Besprechung der Jahrgänge I–V der „Zeitschrift für Ostforschung“ durch Karol Maleczyński in: Sobótka Nr. 2, 1957, S. 263–268. Zitiert nach der im HI von Karl Hartmann angefertigten deutschen Übersetzung, als Anlage zu 130. Mitteilungen an den Vorstand, 21. 4. 1958, DSHI 200, MadV Nr. 111–130. 512 U. a. Walter Salmen, Das Erbe des ostdeutschen Volksgesanges. Geschichte und Verzeichnis seiner Quellen und Sammlungen, Würzburg 1956; Hans B. Meyer, Das Danziger Volksleben, Würzburg 1956; Walter J. Rauch, Presse und Volkstum der Lausitzer Sorben, Würzburg 1959. 513 U. a. Erich Weise, Die Schwabensiedlungen im Posener Kammerdepartement 1799–1804,

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zu weiteren wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Arbeiten gaben, die sich etwa der ostpreußischen Landwirtschaft und dem weitgehend in deutschen Händen liegenden polnischen und baltischen Fernhandel des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit widmeten.514 Religions- und kirchengeschichtliche Studien stellten den Protestantismus und verwandte Reformbekenntnisse ins Zentrum.515 Für das 19. und 20.  Jahrhundert führte die volksgeschichtliche Betrachtungsweise dagegen zur Konzentration auf Nationalitäten- und Minderheitenfragen, die politik- und diplomatiegeschichtlich behandelt wurden. Zur Beschäftigung mit dem Schicksal der deutschen Minderheiten nach Versailles trat seit 1960 auch das Interesse für slawische Minoritäten, insbesondere jene der Polen in Preußen.516 Den baulichen und künstlerischen Spuren der deutschen Vergangenheit in Mittelosteuropa galt seit 1955 eine eigene Reihe zu den Bau- und Kunstdenkmälern des deutschen Ostens.517 Nur spärlich wurde man in den Sechzigerjahren dem

Würzburg 1961; Winfried Küchler, Das Bannmeilenrecht. Ein Beitrag der mittelalterlichen Ostsiedlung zur wirtschaftlichen und rechtlichen Verschränkung von Stadt und Land, Würzburg 1964; Oskar Kossmann, Lodz. Eine historisch-geographische Analyse, Würzburg 1966; Heide Wunder, Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte der Komturei Christburg. 13.–16. Jahrhundert, Wiesbaden 1968. 514 U. a. Charlotte Warnke, Die Anfänge des Fernhandels in Polen, Würzburg 1964; Hermann Schmidt/Georg Blohm, Die Landwirtschaft von Ostpreußen und Pommern. Geschichte, Leistung und Eigenart der Landwirtschaft in den ehemals ostdeutschen Landesteilen seit dem Kriege 1914/18 und bis Ende der dreißiger Jahre, Marburg/Lahn 1978. 515 U. a. Arthur Rhode, Geschichte der evangelischen Kirche im Posener Lande, Würzburg 1956; Erich Weise, Die Amtsgewalt von Papst und Kaiser und die Ostmission. Besonders in der 1. Hälfte des 13.  Jahrhunderts, Marburg 1971; Alfred Kleindienst/Oskar Wagner, Der Protestantismus in der Republik Polen 1918/19 bis 1939 im Spannungsfeld von Nationalitätenpolitik und Staatskirchenrecht, kirchlicher und nationaler Gegensätze, Marburg 1985. 516 U. a. Richard Breyer, Das Deutsche Reich und Polen 1932–1937. Außenpolitik und Volksgruppenfragen, Würzburg 1955; Erwin Viefhaus, Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Eine Studie zur Geschichte des Nationalitätenproblems im 19. und 20.  Jahrhundert, Würzburg 1960; Hans-Ulrich Wehler, Sozialdemokratie und Nationalstaat. Die deutsche Sozialdemokratie und die Nationalitätenfragen in Deutschland von Karl Marx bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Würzburg 1962; Rudolf Korth, Die preußische Schulpolitik und die polnischen Schulstreiks. Ein Beitrag zur preußischen Polenpolitik der Ära Bülow, Würzburg 1963; Helmut Neubach, Die Ausweisungen von Polen und Juden aus Preußen 1885/86. Ein Beitrag zu Bismarcks Polenpolitik und zur Geschichte des deutsch-polnischen Verhältnisses, Wiesbaden 1967; Peter Böhning, Die nationalpolnische Bewegung in Westpreußen 1815–1871. Ein Beitrag zum Integrationsprozess der polnischen Nation, Marburg/Lahn 1973. 517 Bericht über die Vorstandssitzung am 8. März 1955, DSHI 200, VdHFR. Erst 1985 verschwand der Deutschtumsbezug zumindest nomenklatorisch aus der Reihe, die fortan als Bau und Kunstdenkmäler im östlichen Mitteleuropa herausgegeben wurde.

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Ruf nach gegenwartsbezogenen sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen gerecht.518 Auch die seit 1955 erscheinende Reihe Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, in der so verschiedene Werke wie Kuhns Arbeiten über die deutsche Ostsiedlung, Rhodes Studie zur polnischen Ostgrenze und Conzes Untersuchung zur deutschen Polenpolitik im Ersten Weltkrieg erschienen, blieb auf historische Themen fokussiert.519 Die publikumswirksame Auseinandersetzung mit der „Wissenschaft der Ostvölker“, die das Herder-Institut in den genannten Publikationen betrieb, konnte jedoch nur erfolgen, wenn die deutschen Forscher mit den Thesen vertraut waren, die es zu widerlegen galt. Da die wissenschaftliche Kommunikation von Ost nach West oftmals an politischen Hürden, und – häufiger noch – an Sprachbarrieren scheiterte, sah sich das Herder-Institut hier zu einer Vermittlerrolle berufen, die es freilich zunächst höchst selektiv wahrnahm und in einer Weise betrieb, die die Polemik in den Vordergrund stellte. Seit 1950 fertigte es Wissenschaftliche Übersetzungen zahlreicher Schriften aus Mittelosteuropa an.520 Es handelte sich dabei meist um historische Arbeiten polnischer Autoren, von einzelnen Aufsätzen bis hin zu mehrbändigen Werken. Umfangreichster Ertrag dieser Arbeit war die seit 1952 geplante und von 1954 bis 1960 realisierte Übertragung der Ziemie Staropolski des Posener Westinstituts als Altpolnische Lande auf nicht weniger als 1500  Seiten.521 Ganz in der Tradition der Publikationsstelle Berlin-Dahlem sollten die Wissenschaftlichen Übersetzungen nicht an ein breites Lesepublikum gelangen, sondern waren nur zur Unterrichtung der deutschen Wissenschaft

518 Werner von Knorre, Zehn Jahre Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON). Entwicklung und Ergebnisse 1949–1959, Würzburg 1961; Kurt König, Die Wandlung der inneren Wirtschaftsstruktur in Polen seit 1945. Eine wirtschaftspolitische Studie unter besonderer Berücksichtigung der Autarkie- und Exporttendenzen, Würzburg 1963. 519 Walter Kuhn, Geschichte der deutschen Ostsiedlung in der Neuzeit. Das 15. bis 17. Jahrhundert, 2 Bde., Köln 1955–1957; Ders., Vergleichende Untersuchungen zur mittelalterlichen Ostsiedlung, Köln 1973; Gotthold Rhode, Die Ostgrenze Polens. Politische Entwicklung, kulturelle Bedeutung und geistige Auswirkung, Köln 1955; Werner Conze, Polnische Nation und deutsche Politik im Ersten Weltkrieg, Köln 1958. 520 So der Titel einer 1952 eigens geschaffenen Reihe, welche den seit 1950 angefertigten Übersetzungen eine Publikationsheimat gab. Ergänzend erschienen seit 1951 tagesaktuelle Übersetzungen aus der ostmittel­europäischen Presse und Literatur als monatlicher Wissenschaftlicher Dienst für Ost-Mitteleuropa. Hinweis darauf in: Der Johann Gottfried Herder-Forschungsrat und das von ihm begründete Johann Gottfried Herder-Institut, ungezeichnet, undatiert [1952], DSHI 200, MadV Nr. 21–50. 521 Veröffentlichungen des J. G.Herder-Forschungsrates, Marburg, Oktober 1952, S. 4, DSHI 200, MadV Nr. 21–50; Johann Gottfried Herder-Forschungsrat (Hg.), Veröffentlichungen, Marburg o. J. [ca. 1967]. Exemplar im BAK B 106/38929.

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gedacht,522 was im Übrigen bereits ihre Drucklegung als hektographierte Maschinenschriften und die fehlenden Bemühungen um die Übersetzungsrechte erkennen ließen.523 Dennoch ließ die Marburger Ostforscher die Furcht nicht los, ihr Beitrag zur Feinderkennung könne dem gegnerischen Gedankengut bei unbedarften Rezipienten ungewollte Publizität verschaffen. Der Gesamtvorstand hielt es 1953 für „bedenklich, polnische […] Werke ohne kritische Erläuterungen weiteren Kreisen zugänglich zu machen“.524 Eine konstruktive Wendung versuchte Ludat der Reihe in den Sechzigerjahren zu geben, indem er anregte, anstelle von umfangreichen Monographien größere Tagungsberichte zu veröffentlichen, von denen er sich einen umfassenderen Überblick über Themen und Ansätze der polnischen Historiographie versprach. Dafür wurde 1962 schließlich eine eigene Reihe unter dem Titel Quellenhefte zur Lage der Geschichtswissenschaft in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen, in der jedoch nur wenige Hefte erschienen.525

4.3.6 Slawen und Deutsche Wie der vorangehende Überblick über die Publikationen des Instituts bereits erkennen ließ, zeigten Institut und Forschungsratsmitglieder innerhalb der historischen Thematik eine große Spannbreite, die von der slawisch-germanischen Vorgeschichte bis zum deutsch-polnischen Verhältnis in der Zwischenkriegszeit reichte. Ein Großteil dieser Arbeiten wurde durch den Bezug auf die ‚Ostgrenze‘ verklammert, die nicht nur etatistisch, sondern ganz im Sinne der früheren Ostforschung auch kulturell und ethnisch verstanden wurde. In letztere Kategorie fiel die Beschäftigung mit der westlichen Siedlungsgrenze der Slawen von der Vorgeschichte bis ins Mittelalter, wie sie von der Fachgruppe für Vor- und Früh­geschichte betrieben wurde.526 Angesichts der weit nach

522 Bericht über die Vorstandssitzung am 13./14. November 1957, S. 5, DSHI 200, VdHFR. Zur den Übersetzungen der PuSte S. o., Kap. 2.3.2. 523 In einzelnen Bibliothekskatalogen – etwa im Hessischen Bibliotheksverbund – hat bis heute der Vermerk überlebt: „Nur zur Unterrichtung des Empfängers“. 524 Bericht über die Vorstandssitzung am 30./31. 10. 1953, S. 5, DSHI 200, VdHFR. 525 Bericht über die Vorstandssitzung am 20. Mai 1960, S. 4, DSHI 200, VdHFR; Vereinbarung zwischen den Herausgebern der „Quellenhefte zur Lage der Geschichtswissenschaft in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg“, H. Ludat und G. Rhode, und dem Johann Gottfried HerderForschungsrat (Entwurf), als Anlage zum Bericht über die Vorstandssitzung am 12. 6. 1962, DSHI 200, VdHFR. 526 Bericht über die Vorstandssitzung am 8. Oktober 1956, S. 3, DSHI 200, VdHFR.

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Deutschland hineinreichenden slawischen Toponymie muss dieses Interesse zunächst erstaunen, zumal die Untersuchungen von Volksforschern und Prähistorikern wie Herbert Jankuhn, Wolfgang La Baume und Bruno Schier angeführt wurden, die kaum im Verdacht übermäßiger Slawophilie standen. Der Anstoss für solche Umtriebe kam denn auch aus der DDR: In einem Schreiben an den Forschungsrat wandte sich Walther Ziesemer 1951 gegen Reinhold Trautmanns in Leipzig zusammengestellte Sammlung slawischer Ortsnamen in Ostdeutschland. An der Wissenschaftlichkeit des Unterfangens wollte er zwar nicht zweifeln, wohl aber an seiner politischen Zweckmäßigkeit: Denn es kann der Eindruck entstehen, als ob es in jenem Raum im Mittelalter nur slawische Ortsnamen und keine deutschen gegeben habe. Dadurch könnte ein falsches Bild entstehen, das […] auch politisch von Einfluss werden könnte, indem es vielleicht einen historischen Anspruch [der Polen] auf jene [Gebiete] rechtfertigen könnte. Es scheint mir daher eine Aufgabe einer dem Osten zugewandten Wissenschaft zu sein, ein einseitig-slawisches Bild der Kolonisation auf Grund der Ortsnamen nicht aufkommen zu lassen und die deutsche Besiedelung des Landes auf Grund von Ortsnamen zur Geltung zu bringen.527

Solche Kritik schien den Slawengrenzforschern jedoch ungerechtfertigt. Sie vertraten die Auffassung, dass die deutsche Frühgeschichte unter den herrschenden politischen Bedingungen schwerlich in die Offensive gehen könne, wohl aber zu den Thesen der polnischen Prähistoriker Stellung nehmen müsse. Sonst, so Schier, „werden wir uns nicht darüber wundern dürfen, wenn sich die Weltöffentlichkeit die von großslawischen Wunschträumen getragenen ‚Ergebnisse‘ der polnischen Ortsnamenforschung zu eigen macht, welche slawische Ortsnamen bis an die Ufer des Rheins und nach Ostfrankreich feststellen (Rudnicki).“ Solche Phantasien gelte es durch genaue Kenntnisse der „Westausdehnung des slawischen Siedlungsraums im Mittelalter“ zu widerlegen. Auf dieser Grundlage könne dann eine umfas­sende Darstellung der ostdeutschen Siedlungsbewegung in Angriff genommen werden, wobei das Fortleben slawischer Ortsnamen nur „mit einem jahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Neben- und Durcheinanderwohnen von Deutschen und Slawen“ zu erklären sei. „So wird auch die Ortsnamenforschung die alte Lehre von der totalen Austreibung bzw.

527 Walther Ziesemer an den HFR, 14. 1. 1951, BAK N 1179/45, S.  130. Zitiert nach Hackmann, Anfang, S.  256 f. Am Rande sei angemerkt, dass man Trautmann schon in den 1930er Jahren bezüglich seiner wendischen Forschungen Ähnliches vorgeworfen hatte. Burleigh, Germany, S. 121–126.

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Vernichtung der Slawen mit Feuer und Schwert mit ihren Mitteln zu widerlegen imstande sein.“528 Gegen den Elan ihrer polnischen Gegenspieler konnten die Bemühungen der deutschen Prähistoriker indes nicht ankommen, sodass der Koordinierungsausschuss der Deutschen Ostforschung noch 1961 verstärkte Anstrengungen anmahnte, um den Aktivitäten der kommunistischen Staaten wirkungsvoller zu begegnen.529 Dem stand jedoch die implizite Ächtung der belasteten Forschungsrichtung selbst in der deutschen Fachöffentlichkeit entgegen.530 Als etwa Walther Steller 1959 den Tabubruch wagte und die „Urgermanen­theorie“ wieder aufgriff – wobei er sie gar noch verschärfte, indem er eine nennenswerte Zuwanderung slawischer Gruppen nach „Ostdeutschland“ leugnete –, wandte sich die deutsche Fachwissenschaft nahezu geschlossen gegen seine Thesen. Im Herder-Forschungsrat war Ludat „der Meinung, dass „seitens des Forschungsrates Schritte gegen Prof. Steller unter­nommen werden müssten“, und man erwog, „allen Stellen, die sein Buch gekauft haben, eine ausführliche Kritik desselben zuzuleiten“.531 Die Beschäftigung mit der Slawengrenze war aber nicht nur Reaktion auf polnische Urslawenthesen, sondern antwortete gleichzeitig auf eine Kampagne, die auf sowjetisches Geheiß darauf abzielte, die Germania Slavica in der historischen Tradition der DDR zu verankern.532 Demnach hatte der Umstand, dass der ostwärts der Elbe gelegene Teil Germaniens im Laufe des 7. und 8. Jahrhunderts zeitweise von Slawen besiedelt worden war, im Volkscharakter der Ostdeutschen

528 Aktenvermerk [zum ersten „wissenschaftlichen Gespräch der Mitarbeiter des Herder-Instituts“ u. d. T. „Volk­liche Schichtung der Ortsnamen in Ostdeutschland“ am 13. Juni 1951, geleitet von E. Keyser], DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 529 Als dafür kompetente Stelle benannte er das HI. Anliegen der Deutschen Ostforschung, formuliert vom Koordinierungsausschuss der Deutschen Ostforschung, Berlin, 27. 11. 1961, BAK 106/21345. 530 Schon 1953 hatte der Ausschuss für Ostforschung der DFG die Volkstumsforschung bei der Nennung förderungswerter Ostdisziplinen unter den Tisch fallen lassen. Unger, Ostforschung, S. 122 f. 531 Bericht über die Vorstandssitzung am 2. Juni 1961, S. 6, DSHI 200, VdHFR. Die umstrittene Arbeit beschäftigte sich mit „Name und Begriff der Wenden (Sclavi)“. Stellers Thesen traten auch Wolfgang La  Baume, Georg Kossack und Wolfgang Fritze entgegen. Letzterer veröffentlichte: Wolfgang H. Fritze, Slawomanie oder Germanomanie? Bemerkungen zu W. Stellers Lehre von der älteren Bevölkerungsgeschichte Ostdeutschlands, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9–10 (1961), S. 1–12. Anklang fand Steller an diversen pädagogischen Hochschulen: Karl-Günter-Schirrmeister, Ostakademie Königstein, an Dr. von zur Mühlen, Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte [im Weiteren: BMV], 21. 1. 1966, BAK 106/2410. 532 Zum politischen Kontext dieser Bemühungen s. o., Kap. 4.2.7.

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tiefe Spuren hinterlassen. Ernst Niekisch, Soziologieprofessor und prominentes SED-Mitglied, ließ im Dezember 1951 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verlauten: „Das starke osteuropäische Element im Ostdeutschen stimmt mit reinem Westeuropäertum nicht zusammen. […] Verwandtschaften im Denken und Fühlen mit der Wesensart polnischer oder russischer Menschen sind unverkennbar.“533 Gleichzeitig verstärkte die Wissenschaft in der DDR ihre Forschungen zu den ethnischen und kulturellen Überresten slawischer Besiedlung auf ihrem Territorium.534 Die Betonung des slawischen Erbes sollte also die ethnische Verwandtschaft der Ostdeutschen mit ihren westslawischen Nachbarn hervorkehren und sie so den sowjetischen Bemühungen zugänglich machen, die Völkerfreundschaft zwischen den sozialistischen Bruderstaaten mit panslawischen Argumenten zu unterfüttern. Alarmiert folgerte ein (namentlich nicht bekannter) Mitarbeiter des Herder-Institut aus diesen Bemühungen: „Das ist deutlich genug. Das deutsche Volk ist also keine historische Einheit, die künstliche Grenze, die es auseinanderreißt, ist historisch so tief begründet, dass sie das Volk in zwei aufgrund der verschiedenen geschichtlichen Herkunft völlig wesensverschiedene Teile spaltet.“ Um solchen Tendenzen entgegenzutreten, müsse man alles tun, um der absterbenden Landesgeschichte in „Mitteldeutschland“ unter die Arme zu greifen. Sollte man damit scheitern, würde man nicht nur um die Gebiete jenseits von Oder und Neiße, sondern gar um das ostelbische Deutschland bangen müssen: Es wird dann außerordentlich erschwert sein, denen mit wissenschaftlich durchschlagskräftigen Argumenten entgegenzutreten, die schon heute behaupten, das Gebiet der Sowjetzone gehöre historisch nicht zum abendländischen Westen, sondern zum europäischen Osten. […] Es ist an der Zeit, mit solcher Geschichtsklitterung aufzuräumen. Dies kann nur geschehen mithilfe einer aktionsfähigen landes­geschichtlichen und landeskundlichen Forschung für das Gebiet der Sowjetzone.“535

In der Folge versuchte man, bei den Bundesbehörden Fördermittel für einschlägige wissen­schaftliche Arbeiten „in der Sowjetzone“ zu erwirken,536 und zu den Konferenzen über die Slawengrenze wurden anfänglich auch Historiker und

533 FAZ vom 24. 12. 1951, zitiert nach: Die Lage der Geschichtswissenschaft in der Sowjetzone, ungezeichnet, undatiert. DSHI 200, MadV Nr. 21–50. 534 Die slawischen Minderheiten in der DDR waren ein regelmäßiges Thema der Historikerkommission der DDR und VRP, die zur Intensivierung diesbezüglicher Forschungen eine Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Sorbische Volksforschung und der Universität Breslau in die Wege leitete. 535 Die Lage der Geschichtswissenschaft […]. 536 Bericht über die Sitzung des Vorstandes am 1. Mai 1952, S. 5, DSHI 200, VdHFR.

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Frühgeschichtler „aus der Zone“ eingeladen.537 1956 entstand eine Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Forschung in Gießen, an der auch Aubin beteiligt war. Diese veranstaltete Arbeitstagungen, legte Veröffentlichungen zur mitteldeutschen Geschichte auf und versandte Schriften an einzelne Forscher in der DDR.538 Das Tauwetter nach Stalins Tod weckte kurzfristig Hoffnungen auf verstärkte Kontakte in die „Zone“, die sich allerdings spätestens mit dem Bau der Berliner Mauer wieder zerschlugen. Im Zusammenhang damit betrachtete man die Pflege der mitteldeutschen Landesgeschichte ab 1961 als Aufgabe der westdeutschen Forschung, deren sich eine eigene Einrichtung nach dem Muster des Marburger Instituts annehmen sollte.539 Wohl bewusst übertrug man die „mitteldeutsche Landesgeschichte“ nicht dem Herder-Institut, um – wie Schlesinger 1963 vermutete – nicht den Eindruck zu erwecken, dass man die Zugehörigkeit dieser Region zu Osteuropa implizit anerkenne.540 Dass sich das geforderte Institut nicht realisieren ließ, hatte mehrere Gründe: Zum einen zeigten sich die vorhandenen Fachkräfte mit Schlesinger an der Spitze immer weniger geneigt, ihre Forschung mit politischen Anliegen zu verbinden, zum zweiten fehlte der landesgeschichtliche Nachwuchs, und zum dritten waren die zuständigen Bundesstellen nicht bereit, ein weiteres historisch-politisches Institut zu finanzieren. Inhalt sowohl der mitteldeutschen wie auch der ostdeutschen Landesgeschichte war zuvor­derst die deutsche Ostsiedlung. So sehr man zögerte, in der wissenschaftlich-politischen Auseinandersetzung mit Polen, der DDR und der Sowjetunion vor die Schwelle der annalis­tisch verbürgten Historie zurückzugehen, so sicher fühlte man sich in Bezug auf die mittel­alterliche und neuzeitliche Geschichte. Sah man sowjetische Hegemonieansprüche im vorgeschichtlichen „volklichen“ Ausgreifen der Slawen nach Westen begründet, so glaubte man den Anspruch auf eine deutsche Einflusssphäre mit dem Hinweis auf die mittelalterliche deutsche Ostkolonisation stützen zu können. Prägnantester Wortführer dieser Auffassung war der Volkskundler Bruno Schier. In einem öffentlichen Referat des Herder-Forschungsrates trug er im Oktober 1950 die Auffassung vor, dass „die kulturelle Aktivierung der westsla-

537 So geschah es auf den Konferenzen in Lübeck, Linz und Bamberg. Ebd. Gleichzeitig wurde die „Bildung einer Mitteldeutschen Historischen Kommission“ in Westdeutschland ins Auge gefasst. Diese sollte, sofern möglich, mit Historikern aus der „Sowjetzone“ zusammenarbeiten. Bericht über die Vorstandssitzung am 24./25.1.51, S. 4, DSHI 200, VdHFR. 538 Bericht über die Vorstandssitzung am 22. Juni 1956, S. 1, DSHI 200, VdHFR. 539 Als Leiter der geplanten Einrichtung fasste die Mitteldeutsche Historische Kommission auf einer Zusammenkunft in Würzburg 1961 Schlesinger ins Auge. Bericht über die Vorstandssitzung am 12. 9. 1961, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 540 Schlesinger, Ostbewegung, S. 445.

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wischen und magyarischen Nachbarn“ von „germanisch-deutschen Aufbaukräften“ ausgegangen sei, die in vorgeschichtlicher Zeit zunächst über das unter den eingewanderten Slawen verbliebene „Restgermanentum“ und später, im Mittelalter, über das „städtische Deutschtum“ hebend auf ihre Umgebung einge­wirkt hätten. „Die Durchtränkung mit deutschen Kulturformen“, folgerte Schier, „ist das Hauptmerkmal des mitteleuropäischen Raumes. Sie hat aus dem Vorfeld Asiens ein Gebiet europäischer Möglichkeiten gemacht“.541 Auch auf diesem Feld erwies sich der Spagat zwischen politischen und wissenschaftlichen Ansprüchen auf Dauer allerdings als schwierig, und die Erfordernisse der professionellen Selbstpositionierung zwangen die involvierten Forscher früher oder später meist dazu, entweder die politische oder die wissenschaftliche Legitimierung der eigenen Arbeit in den Vordergrund zu stellen. Diese beiden Pole verkörperten im Umkreis des Herder-Instituts mit zunehmender Deutlichkeit Walter Kuhn und Walter Schlesinger. Kuhn, der sich zunächst im VDA, später in der NOFG als Volkstumsforscher hervorgetan hatte und in den Dreißigerjahren in Breslau sowie nach dem Krieg in Hamburg ohne Habilitation, aber mit Unterstützung Aubins eine Professur für Volkstumsforschung erhalten hatte,542 blieb seinen deutschtumszentrierten Sichtweisen treu und zielte mit seinen Nachkriegspublikationen weiterhin auf politische Wirkung. Zu seinem Werk über die Geschichte der deutschen Ostsiedlung in der Neuzeit543 bemerkte Labuda 1961 treffend, die deutsche Ostkolonisation sei zusehends ein „Tagesproblem“ geworden. Dabei sei die bemühte Kontinuitätslinie fragwürdig: „Wir möchten festhalten, welche weite Spanne zwischen jenem friedlichen Zusammenleben und der von uns unlängst erlebten Zeit besteht.“544 Spätere Publikationen Kuhns widmeten sich der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung und einer deutschen Sprachinsel in Schlesien und ließen keinen Zweifel daran, dass Kuhn seinen Ansätzen aus den Dreißigerjahren treu geblieben war.545 Eine differenziertere Sichtweise entwickelte Schlesinger, der seit den späten Fünfzigerjahren für eine apolitische Geschichtsschreibung plädierte.546 Aufsehen erregte er 1957 mit einem Aufsatz über die Geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung in der Historischen Zeitschrift. Zwar betrach-

541 Bruno Schier, West und Ost in den Volkskulturen Mitteleuropas. Vortragsmanuskript, DSHI 200, Mitgliederversammlungen des HFR. 542 Haar, Historiker, S. 274 f.; Unger, Ostforschung, S. 98. 543 Kuhn, Geschichte der deutschen Ostsiedlung. 544 Gerhard Labuda, in: Western Affairs 2(1961), zitiert nach Schlesinger, Ostbewegung, S. 447. 545 Kuhn, Vergleichende Untersuchungen; Ders., Geschichte der deutschen Sprachinsel Bielitz (Schlesien), Würzburg 1981. 546 Schlesinger, Ostbewegung.

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tete auch Schlesinger den Verlust des deutschen Ostens als Katastrophe für ganz Europa, das mit diesem Vorgang seine „Mitte“ verloren habe.547 Die Schuld an dieser Entwicklung wies er jedoch unumwunden der „nationalsozialistischen Ostpolitik“ zu. Vor diesem Hintergrund werde die deutsche Geschichtswissenschaft nicht umhin kommen, „in vielem umzudenken, in der klaren Erkenntnis, dass die Übertreibungen und Einseitigkeiten des Volkstumskampfes nach dem ersten Weltkrieg und vollends der nationalsozialistischen Zeit einer gründlichen und bewussten, nicht nur unausgesprochenen Revision bedürfen.“548 Im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen übte Schlesinger damit Traditionskritik nicht nur an der nationalsozialistischen, sondern auch an der Weimarer Ostforschung – mithin an der Ostforschung insgesamt. Zwar hielt er daran fest, dass die Ostsiedlung sich segensreich auf die Entwicklung Ostmitteleuropas ausgewirkt habe;549 die überkommenen deutschen Interpretationen unterzog er aber einer grundlegenden Revision, die chauvinistischen Überhöhungen die Grundlage entzog. Abwegig sei es, in Bezug auf das Mittelalter von einer ‚Wiederbesiedlung‘ ostdeutschen Volksbodens zu sprechen, denn die in grauer Vorzeit dort ansässigen Germanen könnten keinesfalls als Vorfahren der späteren Deutschen vereinnahmt werden. Auch sei die deutsche Ostsiedlung nicht, wie gerne behauptet, in ein Vakuum vorgestoßen, sondern einer „einheimischen, keineswegs kulturlosen Bevölkerung“ begegnet.550 Ein von Südwesten nach Nordosten verlaufendes europäisches Kulturgefälle könne für das Frühmittelalter zwar nicht geleugnet werden, finde seine Parallele aber auch im Verhältnis von Römern und Germanen, Franzosen und Deutschen. Auch habe Ostmitteleuropa den kulturellen Vorsprung des Westens „in kurzer Zeit eingeholt, stellenweise sogar überholt, wie im 14.  Jahrhundert in Böhmen.“551 Die oft wiederholte Behauptung, „den Westslawen mangele die staatsbildende Kraft“, sei so nicht haltbar. Sowohl Tschechen wie Polen hätten noch vor der Jahrtausendwende fest umgrenzte Flächenstaaten begründet, und die Norman­nentheorie, wonach das polnische Herrscherhaus wikingischer Abstammung sei, „ist ganz unsicher“.552 Dem militärischen Vordringen der Deutschen gen Osten hätten die Slawen in ihren neu christianisierten Staaten Einhalt geboten; die deutsche Ostsiedlung sei daher meist als Landesaus-

547 Walter Schlesinger, Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung, in: HZ 183/3 (1957), S. 517–542, hier S. 517 u. 541 f. 548 Ebd., S. 518; 520. 549 Ebd., S. 534 und passim. 550 Ebd., S. 520, 522, 529. 551 Ebd., S. 531. 552 Ebd., S. 523–526.

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bau slawischer Herrscher und Grundherren erfolgt.553 Auch die Grundlagen des ostmitteleuropäischen Städtewesens seien bereits vor Ankunft der Deutschen gelegt worden, obschon unbestreitbar bleibe, dass diese wesentlich zu seinem Aufblühen beigetragen hätten. Klar zu unterscheiden sei zwischen einer Zone deutschen Einflusses und dem eigentlichen Ostdeutschland. Denn während Polen, Böhmen und Ungarn die deutschen Einflüsse anverwandelt hätten, ohne im deutschen Volk aufzugehen, sei es im eigentlichen Ostdeutschland – im späteren Österreich und in Brandenburg-Preußen – zu einer „Umvolkung“ gekommen, im Zuge derer die slawische Bevölkerung „vom Deutschtum aufgesogen“ wurde. Dadurch habe sich der „deutsche Volksboden“ um ein Drittel seines Umfangs gen Osten erweitert und Gebiete gewonnen, die später zur Grundlage der beiden deutschen Großstaaten, Österreichs und Preußens, wurden.554 Der Umstand, dass „im beträchtlichen Umfange Bevölkerung slawischer […] Herkunft im deutschen Volke aufgegangen ist“, sei eine Grundtatsache der deutschen Geschichte. Die Slawen im Osten hätten damit ebenso wie die „Welschen“ im Westen wesentlich „zur Substanz des gesamtdeutschen Volkstums“ beigetragen – ein Umstand, den Schlesinger positiv wertete: Wir können uns [dieser Tatsache], nachdem die Phrasen von germanischem Herrenmenschentum verklungen sind, unbefangen freuen. Sie erweist weit besser als die weit hergeholten […] Argumente, mit denen der deutsche Osten als altpolnisches Land in Anspruch genommen wird, wer in diesem Gebiet ein Heimatrecht hat: ganz gewiss in erster Linie jene ostdeutschen Neustämme, die entstanden aus der Verschmelzung der zugewanderten Angehörigen deutscher Altstämme mit einheimischen Slawen. […] Vertrieben sind heute zusammen mit den Nachfahren der nach Osten gezogenen deutschen Bauern und Bürger auch die Nachfahren der im deutschen Volke aufgegangenen Slawen und Prußen, […] vertrieben allein deshalb, weil sie ohne Zwang zu Deutschen geworden sind.555

Damit wendete Schlesinger seine Ausführungen doch noch ins Politische. Auf geschickte Weise griff er das Faktum eines slawischen Substrats in der ostelbischen deutschen Bevölke­rung auf, ließ es jedoch nicht als Hinweis für die Zugehörigkeit der „Ostdeutschen“ zum slawischen Kulturkreis erscheinen, sondern umgekehrt als Votum für die Zugehörigkeit einer Mischbevölkerung zum deutschen Westen. Vergleicht man diese Auslegung mit den bereits dargestellten, zu jener Zeit in der DDR vertretenen Interpretationen, dann wird deutlich, wie sogar

553 Ebd., S. 530 f. 554 Ebd., S. 535–537. 555 Ebd., S. 539.

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unbestrittene historische Fakten unter dem Einfluss politischer Wunschvorstellungen gänzlich entgegengesetzte Bedeutungen annehmen konnten. In den Reihen sowohl der deutschen Ostforschung wie auch der polnischen Westforschung lösten Schlesingers Ausführungen ein reges Echo aus. Jenen gingen sie zu weit, diesen nicht weit genug. So würdigte man in Polen zwar Schlesingers differenzierte historische Sichtweise und seinen Respekt für die slawische Geschichte, kritisierte aber seine gegenwartsbezogenen, ideologischen Implikationen. Gerard Labuda erkannte in Schlesingers Aufsatz den proble­matischen Versuch, die historische deutsche Ostsiedlung als Vorlage für das Zusammenleben von Polen und Deutschen in der Gegenwart zu nutzen – als Plädoyer für ein Kondominium etwa, oder gar für die Forderung, die slawischen Völker hinter die Weichsel zurück­zutreiben. Letzterer Vorwurf war gewiss überzogen und stellte eine Konzession an die staatliche Propaganda dar. Dennoch hielt Schlesinger seinem polnischen Kollegen fünf Jahre später zugute, „dass er recht hat, wenn er auch mir die Verknüpfung wissenschaftlicher und politischer Fragestellungen vorwirft […] Ich hatte gemeint, als Historiker zu sprechen, in Wirklichkeit lag ein politisches Wunschbild zugrunde.“556 Im Kreise der Marburger Ostforschung stießen Schlesingers Ausführungen zwar auf Widerspruch, übergehen konnte man sie angesichts der immer lauter werdenden Kritik an der Ostforschung aber nicht. Schlesingers Thesen wurden deshalb zum Anstoß für die überfällige Selbstreflexion der Disziplin, auf die weiter unten noch einzugehen ist.

4.3.7 Abendland und Asien Wenn Schlesinger schrieb, dass die deutsche Ostbewegung des Mittelalters die Völker des östlichen Mitteleuropa einem „kulturellen Beschleunigungsprozess“ unterworfen und damit ihren Einbezug ins christliche Abendland besiegelt habe, so klang darin keine Feindseligkeit mehr an, wohl aber ein vereinnahmender Gestus, der die Haltung der Ostforscher gegenüber den östlichen Nachbarn Deutschlands seit Mitte der Fünfzigerjahre zunehmend prägte.557 Unter dem Eindruck der poststalinistischen Ablösungserscheinungen im Ostblock waren nicht wenige Ostforscher der Auffassung, das westliche Europa und insbesondere Deutschland müsse sein Werben um die Länder der „europäischen Mitte“

556 Schlesinger, Ostbewegung, S. 446 f. Zur deutsch-polnischen Diskussion über Schlesingers Aufsatz auch Ludat (Hg.), Polen und Deutschland, S. 143, sowie Mühle, Ostforschung, S. 282. 557 Schlesinger, Ostbewegung, S. 534.

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verstärken. Unter diesem Eindruck traten die konfrontativen Momente der Ostforschung hinter integrative Deutungen zurück. An die Stelle nationaler Gegensätze traten kulturelle Gemeinsamkeiten, an die Stelle der deutsch-slawischen Volksgrenze die abendländisch-asiatische Kulturgrenze. Erstere war mit Polens Westgrenze zusammengefallen, Letztere sollte mit seiner Ostgrenze zur Deckung gebracht werden. Es war wieder einmal Aubin, der diese Sichtweise paradigmatisch herausarbeitete. Dabei ließ er freilich keinen Zweifel daran, dass Ostmitteleuropa nur durch deutsches Wirken in den abendländischen Kulturkreis gelangt sei. Über die Zäsur von 1945 hinweg war er der Auf­fassung, dass die östliche Grenze der Deutschen zugleich Grenze des Abendlandes gewesen sei – „ein Bollwerk, das, wie einst der römische Limes, zwei große Lebensgebiete schied und den weiten Kreis des abendländischen Daseins gegen den mehr als einmal drohenden An­drang der Barbaren […] verteidigte. Seine Festigkeit war der Schutz des Okzidents, seine Vorverlegung dessen Erweiterung.“558 Es spricht Bände, dass Aubin diese bereits 1932 formulierte Sichtweise 1959 in unveränderter Form nochmals publizierte und dabei explizit die weiterbestehende Gültigkeit seiner früheren Interpretationen behauptete.559 Unter dem jüngsten ‚Andrang der Barbaren‘ war diese Grenze freilich „dorthin zurückgeworfen, wo sie unter Karl dem Großen gestanden hatte“, erläuterte Aubin 1957 im Handbuch politisch-historischer Bildung für die Bundeswehr.560 In dieser Kampfsituation mussten Polen und Tschechen als Verbündete des Westens zurückgewonnen werden. Folgerichtig sah Aubin diese Völker durch eine antibolschewistische Schicksalsgemeinschaft mit den Deutschen vereint, selbst wenn ihnen bisweilen die Einsicht in diesen Umstand abgehe. Schließlich habe die „Herausdrängung der Deutschen aus den Randstaaten nach 1918“ zur „Schwächung von deren abendländischer Widerstandskraft“ beigetragen.561 Den nationalsozialistischen Versuch, Deutschlands Vorherrschaft in Ostmitteleuropa mit kriegerischen Mitteln wiederherzustellen, verurteilte Aubin wohl im Bezug auf seine Ausführung, nicht aber hinsichtlich seiner grundsätzlichen Berechtigung: Rhetorisch fragte er, „ob eine ehrliche Verfolgung des nationalen Gedankens durch das unter seinem Zeichen sich erhebende Deutschland nicht zu einer

558 Hermann Aubin, Die Ostgrenze des alten deutschen Reiches. Entstehung und staatsrechtlicher Charakter, 2. Aufl., Darmstadt 1959 [Erstpublikation 1932]. Zitat S. 10 f. 559 Ebd., S. 5. 560 Hermann Aubin, Abendland, Reich, Deutschland und Europa, in: Innere Führung Bundesministerium für Verteidigung (Hg.), Schicksalsfragen der Gegenwart. Handbuch politisch-historischer Bildung, 6 Bde., Bd. 1, Tübingen 1957, S. 29–63. 561 Ebd., S. 56 f.

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höheren und friedlichen Ordnung des nahen Ostens hätte führen können“. Bedauerlicherweise habe Hitler die Chance, mittels „einer starken, aber selbstlos führenden Hand“ einen „Grenzwall des Abendlandes gegen das bolschewistische Russland“ zu formen, missbraucht, ja schlimmer noch: Er habe die „abendländischen Abwehrkräfte“ Ostmitteleuropas zerschlagen und der Roten Armee so den Weg nach Westen geebnet.562 Ungeachtet solcher Vorbehalte stellte Aubin die nationalsozialistische Ostpolitik in eine tausendjährige Kontinuität zur frühmittelalterlichen Ostsiedlung, um daraus zu folgern, im Grunde sei es immer darum gegangen, Russlands Bedrohungspotential einzudämmen.563 In dieser Sichtweise erschien Hitler als Sündenbock, der das berechtigte Anliegen deutscher Dominanz über Ostmitteleuropa zeitweilig diskreditiert habe, nicht aber die historische Aufgabe vergessen machen dürfe, „Russlands Drang von Ost nach West“ (Wolfrun) entgegenzutreten.564 In dramatischen Analogien verglichen die Ostforscher das sowjetische Ausgreifen nach Westen mit dem Mongoleneinfall des 13. Jahrhunderts.565 Die Sowjetisierung Ostmitteleuropas, der 1959 ein Band gewidmet wurde, erschien als Zerstörungswerk, in dessen Licht die vormaligen deutschen Aufbaukräfte umso positiver hervortraten.566 Zusätzliche Überzeugungskraft gewann diese Deutung, wenn gezeigt werden konnte, dass Polen in Geschichte und Gegenwart beharrlich für den Westen optiert hatte. So machten sich die deutschen Ostforscher daran, die antisowjetischen und russlandkritischen Manifestationen des polnischen Tauwetters in die Geschichte zurückzuverfolgen. Im Zuge dessen zeigten sie sich zunehmend geneigt, Polen beim Schutz abendländischer Gesittung im Laufe der Geschichte eine Juniorpartnerrolle an Deutschlands Seite zuzuschreiben. Nun schien es opportun, die Grenze zwischen Abendland und Asien nicht länger mit der deutschen, sondern vielmehr mit der polnischen Ostgrenze zusammenfallen zu lassen. Schon in der Konzeption zum Handbuch von 1951 sollte der polnischen Ostgrenze als europäischer Kulturgrenze ein eigener Band gewidmet werden.567

562 Ebd., S. 59 f. 563 Dazu Mühle, Volk, S. 607, und Unger, Ostforschung, S. 140 f. 564 So Gerhard Wolfrun in Peter-Heinz Seraphim/Reinhart Maurach/Gerhard Wolfrun, Ostwärts der Oder und Neiße. Tatsachen aus Geschichte – Wirtschaft – Recht, Hannover 1949, S. 46. 565 Ernst Birke/Rudolf Neumann, Voraussetzungen und Grundzüge der Sowjetisierung OstMitteleuropas, in: Dies. (Hg.), Die Sowjetisierung Ost-Mitteleuropas. Untersuchungen zu ihrem Ablauf in den einzelnen Ländern, Frankfurt a. M./Berlin 1959, S. 1–19, hier S. 18. 566 Ernst Birke/Rudolf Neumann (Hg.), Die Sowjetisierung Ost-Mitteleuropas. Untersuchungen zu ihrem Ablauf in den einzelnen Ländern, Frankfurt a. M./Berlin 1959. 567 Hermann Aubin an das AA, Hamburg, 2. 6. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20.

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Gedacht war dabei offenbar an einen Beitrag Rhodes, der dem Thema seine Habilitation widmete. Offenbar schreckte Rhode aber in Anbetracht des weitläufigen Gegenstands vor einer gerafften Darstellung zurück – seine 1955 publizierte, gewichtige Habilitationsschrift gelangte lediglich bis ins Jahr 1401.568 Die Motivation seiner Studie verschwieg Rhode nicht: Ihm ging es darum, „in Zeiten großer Umgestaltung“ und im Zeichen der „Besinnung auf Inhalt und Wert der Begriffe Abendland und Europa“ die Grenze Europas durch die Ostgrenze Polens abzustecken.569 Faktographisch war Rhodes Werk über alle Zweifel erhaben, auf interpretatorischer Ebene bemängelten Rezensenten hingegen zu Recht, dass Rhode Polen allzu früh ein europäisches Sendungsbewusstsein als antemuralis christianitatis unterstellte und dass er jegliche Definition des Westens, um den sich doch alles drehte, vermissen ließ.570 Polnischen Lesern fiel zudem auf, dass Rhode zwar sehr wohl Polens Frontstellung gen Osten schilderte, seine zeitweilige Abwehrhaltung gegenüber dem deutschen Westen, insbesondere dem Deutschen Orden, aber geflissentlich überging und gleichzeitig mehr Sympathie für Polens territoriale Interessen im Osten als im Westen aufbrachte.571 Ungeachtet solcher Kritik hielt sich Rhode zugute, die polnische Historiographie im Sinne einer „Ersatzforschung“ dort zu ergänzen, wo politische Tabus den volkspolnischen Historikern Fesseln anlegten.572 Zumindest unter den Exilpolen wurde diese Auffassung geteilt.573 Nationalen Altruismus wird man Rhode trotzdem nicht unterstellen wollen. Fast gleichzeitig mit dem Erscheinen seiner Studie wurden im interministeriellen Arbeitskreis Oder-Neiße, dem neben Angehörigen des Auswärtigen Amtes, des Vertriebenen- und des gesamtdeutschen Ministeriums auch Ostforscher ange-

568 Rhode, Ostgrenze Polens. Für die folgenden Jahrhunderte stellte Rhode zwei weitere Bände in Aussicht, welche die Darstellung bis 1945 weiterführen sollten, aber nie erschienen. 569 Zitate aus Rhodes Vorwort, in: ebd. S. auch Richard Breyer, [Rezension zu:] Gotthold Rhode, Die Ostgrenze Polens, in: Osteuropa NF 7/5 (1957), S. 388 f. 570 Oswald P. Backus, [Rezension zu:] Gotthold Rhode, Die Ostgrenze Polens, in: AHR 62/1 (1956), S. 114 f. 571 Oskar Halecki, [Rezension zu:] Gotthold Rhode, Die Ostgrenze Polens, in: American Slavic and East European Review 16/1 (1957), S. 93–95. 572 Noch 1975 bemerkte er: „Nach wie vor ist es [in der VRP] freilich unmöglich, über die polnischen Ostgebiete als Ganzes zu schreiben […] und man erwartet von Deutschen oder anderen Ausländern, das diese sich dessen annehmen.“ G.  Rhode, Geschichtsbild und Geschichtsbewusstsein im gegenwärtigen Polen. Vortrag in der Politischen Akademie Tutzing am 27. 11. 1975, BAK N 1445/102. 573 S. W. Kozłowski zählte das Werk in der einflussreichen Pariser Kultura gar zu den wenigen deutschen Arbeiten über Polen, um die ein polnischer Historiker nicht herumkomme. Kultura 11/145 (1959), S. 146–149. Zitiert nach der deutschen Arbeitsübersetzung im BAK B 106/1162.

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hörten, Überlegungen angestellt, wie die Beziehungen zu Polen ohne deutschen Verzicht auf revisionistische Forderungen entspannt werden könnten. Dabei kam man überein, „dass die Berechtigung der polnischen Ansprüche auf verlorene polnische Ostgebiete stark von uns betont werden muss. Es muss gezeigt werden, dass wir auch konstruktiv denken und nicht nur an uns.“574 Weit davon entfernt, einen neuen Blick auf Polen zu eröffnen, war das Interpretament von der abendländischen Schicksalsgemeinschaft zwischen Deutschland und Polen noch auf Jahre hinaus der sprichwörtliche neue Schlauch, in den alter Wein gefüllt wurde. Welche Über­legungen sich hinter dem AbendlandGedanken verbargen, wurde 1957 klarer, als der Vorstand des Herder-Instituts beschloss, seine nächste Jahresversammlung der „ost-westlichen Auseinandersetzungen an der Ostgrenze Polens“ zu widmen. Bei dieser Gelegenheit sollten Jankuhn und Sturm über die Vorgeschichte referieren, Schwidetzky die „Rassenkunde“ abdecken, Stasiewski, Rhode und Spuler die kirchlichen und Rhode, Jablonowski, von Rauch und Ludat die politischen Verhältnisse erläutern. Stöckl würde die Sozial- und Siedlungs­geschichte beitragen, Spuler den „Einbruch östlicher Völker“ ergänzen. Weder die ins Auge gefassten Fachrichtungen noch deren Repräsentanten schienen besonders geeignet, Polen bei seinem Selbstverständnis als Vormauer der europäischen Kultur zu fassen. Dass der Gedanke eines abendländischen Kulturraums unter Einschluss Mittelosteuropas weiterhin mit dem Kulturgefälle-Paradigma kombiniert wurde, zeigte sich noch 1963, als der Vorstand beschloss, „die beiden nächsten Tagungen unter das Gesamtthema ‚Das Problem der Kultur­überschichtung in Ostmitteleuropa‘ zu stellen.“ Ein grundlegender Vortrag sollte den Begriff des „Kulturgefälles“ definieren und vom Mittelmeerraum über den westeuropäischen bis in den ostmitteleuropäischen Raum verfolgen; weiterhin müssten die damit verbundenen Phänomene der „Kulturüberschichtung“, der „Assimilierung“, das Verhältnis von „Autochthonen“ und „Überfremdung“ sowie „die Frage der Minderwertigkeits- und Überheblichkeitskomplexe“ dargestellt werden.575

574 Von Loesch, Beratung im Arbeitskreis Oder-Neiße, 17. 7. 1956, PAAA B 12/257. An der entsprechenden Sitzung nahm Rhode allerdings nicht teil. Außer Frage stehen jedoch seine engen Verbindungen zur Ostabteilung des AA, die er seit 1960 im Arbeitskreis für Ost-West-Fragen beriet. Protokoll über die 5. Arbeitstagung des Arbeitskreises für Ost-West-Fragen in Köln [4.–5. 3. 1960], undatiert, PAAA B 12/243. 575 Bericht über die Vorstandssitzung am 17. Juni 1963, DSHI 200, VdHFR.

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4.3.8 Staatsgrenzen und Nationalitätenfragen So sehr man sich im Herder-Institut bemüht zeigte, die europäische Nachkriegsordnung in die Fluchtlinie vergangener Jahrhunderte zu stellen, um ihre angebliche Widernatürlichkeit auf­zuzeigen, so tat man sich anfangs aus naheliegenden Gründen doch schwer damit, den letzten, zeitgeschichtlichen Bogen in die Gegenwart zu schlagen. Schließlich fiel es aus einer Per­spektive der longue durée erheblich einfacher, über die Unregelmäßigkeiten der neuesten Ereignisgeschichte hinwegzusehen. Dennoch war um eine politikgeschichtliche Darstellung der jüngsten europäischen Entwicklung seit dem Ersten Weltkrieg nicht herum­ zukommen, wollte man das Feld nicht kampflos den – zunächst vor allem ausländischen – Kritikern Deutschlands überlassen, die oft genug die Auffassung vertraten, Deutschland habe seine historischen Ansprüche auf die Ostgebiete durch eigene Schuld verwirkt. Zur prominentesten Vertreterin dieser Sichtweise avancierte 1956 Elizabeth Wiskemann, die die Vertreibung der Deutschen aus Mittelosteuropa als selbstverschuldete Folge der nationalsozialistischen Besatzungs- und Deportationspolitik interpretierte.576 Alarmiert durch den offiziösen Charakter der Publikation, verlangte Bundeskanzler Adenauer persönlich eine Entgegnung, die den Göttinger und Marburger Ostforschern aufgetragen wurde.577 Der Göttinger Arbeitskreis erklärte sich bereit, eine Erwiderung zu verfassen,578 wohingegen der Herder-Forschungsrat eine Beteiligung ablehnte, „damit der wissenschaftliche Ruf des Instituts durch die Beteiligung an einer politisch zu bewertenden Veröffentlichung nicht gefährdet wird.“579 Ungeachtet solch vornehmer Zurückhaltung bildeten Positionen wie die von Wiskemann den Abstoßungspunkt, an dem sich die revisionistische deutsche Zeitgeschichtsforschung anfänglich orientierte. Aus der Abwehr solcher Interpretationen ergab sich zunächst eine Schwer­punktsetzung, die gewissermaßen komplementär zur späteren Vergangenheitsbewältigung funktionierte und sich auf die Opferrolle Deutschlands und die Täterrolle seiner östlichen Nachbarn konzentrierte. Den Fluchtpunkt dieser Argumentation markierte erstmals in der gewünschten wissenschaftlichen Qualität Wolfgang Wagners Auseinander-

576 Wiskemann, Neighbours. 577 Hallstein, Staatssekretär des Bundeskanzleramts, an den Bundesvertriebenenminister, 23. 8. 1956, PAAA B 12/257. Das Buch war beim Royal Institute of International Affairs herausgegeben worden, das Foreign Office unterstrich jedoch seinen nicht-offiziellen Charakter. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, London, an das AA, 13. 8. 1956, PAAA B 12/257. 578 Diese erschien als Göttinger Arbeitskreis (Hg.), Deutschlands Ostproblem. 579 Bericht über die Vorstandssitzung am 8. Oktober 1956, S. 3, DSHI 200, VdHFR.

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setzung mit der Entstehung der Oder-Neiße-Linie.580 Seine Studie erschien 1953 und wurde wenig später um einen belegenden Quellenband ergänzt,581 der auch in englischer, französischer und spanischer Ausgabe herausgebracht wurde.582 Wagners Arbeit verfolgte die diplomatischen Verhandlungen, in denen die Großmächte während des Kriegs und in den ersten Nachkriegsmonaten bis zur Potsdamer Konferenz die polnischen Nachkriegsgrenzen und mithin die künftige deutsche Ostgrenze diskutierten. Dabei gelangte er zu dem Schluss, dass „die deutschen Ostgebiete nur ein Handelsobjekt für Zwecke der höheren Politik“ darstellten und vor allem dazu dienten, Polen für seine Gebietsabtretungen an die Sowjetunion zu entschädigen.583 Entsprechend sprach Wagner die Hauptverantwortung für die Oder-Neiße-Linie Stalin zu, betonte aber auch Churchills Rolle als Fürsprecher einer Westausdehnung Polens.584 Betrachtet man die Studie im Kontext der wissenschaftlichen Gesamtproduktion des Herder-Instituts, so tritt die machtpolitische Willkür der Großmächte und insbesondere der Sowjetunion als harter Traditionsbruch hervor, der jahrhundertealte historische Kontinuitäten in Mittelosteuropa durch die „Austreibung“ der Deutschen zerrüttete und eine klaffende Lücke hinterließ. Historisch gewachsene Verhältnisse, so die Kernaussage, hatten machtpolitischer Willkür weichen müssen – zum Schaden der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarvölker. Geschmälert wurde die Überzeugungskraft dieser Sichtweise durch die unvermeidbare Frage nach der deutschen Mitverantwortung an diesen Vorgängen. Nichtdeutschen Autoren wie Wiskemann erschien die Erschütterung Ostmitteleuropas durch das nationalsozialistische Deutschland als naheliegende Voraussetzung, ohne die eine Neuordnung der Region durch die Alliierten weder nötig noch möglich geworden wäre. Es mit diesem Argument aufzunehmen, sah sich die revisionistische deutsche Forschung letztlich außerstande. So klaffte in der deutschen Argumentation eine zentrale Leerstelle, die nur höchst notdürftig mit dem Gedankengang gefüllt

580 Wagner, Die Wirtschaft Ostdeutschlands. 581 Rhode/Wagner (Hg.), Quellen. 582 Darauf konterte die Polish Western Association of America mit Walter M. Drzewieniecki, The German-Polish Frontier, Chicago 1959. Innerhalb des sozialistischen Lagers oblag die Grenzpolemik den Historikern der DDR, die diese Aufgabe zum Ärger ihrer polnischen Kollegen allerdings nur schleppend wahrnahmen – s. u., Kap. 5.2.1. Ergebnis war Rudi Goguel (Hg.), Polen, Deutschland und die Oder-Neiße-Grenze, Berlin 1959. 583 Wagner, Die Wirtschaft Ostdeutschlands, S. 130. 584 Dass eine solche Sichtweise selbst den Ansprüchen strammer Revisionisten gerecht werden konnte, zeigt sich darin, dass Wagners Arbeit vom Bundesvorsitzenden des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten als „friedliche Waffe“ im Dienste deutscher Ansprüche im Osten gelobt wurde. Von Kessel an das AA, 29. 3. 1957, PAAA, B 12/260.

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wurde, man dürfe nicht ein ganzes Volk für die vermeintliche Wahnsinnstat eines Einzelnen verantwortlich halten. Indirekt wurde das Argument von der deutschen Hauptverantwortung für die europäische Umwälzung freilich dadurch anerkannt, dass man versuchte, den nationalsozialistischen Aggressionskrieg im Osten mit der für Deutschland angeblich unerträglichen Situation vor dem Krieg zu erklären. In den Mittelpunkt rückte damit die Versailler Ordnung, die Politik der polnischen und tschechischen Zwischenkriegsrepubliken und die Lage der deutschen Minderheiten in diesen Ländern. Oft kamen die Impulse – und das Geld – für die politikgeschichtliche Rechtfertigungs­historiographie aus der Politik. 1952 regte Friedrich von Zahn vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen eine Arbeit über die „politische Entwick­lung der Oststaaten zwischen den beiden Weltkriegen“ an,585 und Kossmann vom Auswärtigen Amt erklärt sich bereit, Mittel für eine „größere wissenschaftliche Bearbeitung der Politik der kleinen Oststaaten von 1918–1939 bereitzustellen“.586 Solche Arbeiten sollten die politische Labilität, den unduldsamen Nationalismus und die außenpolitische Aggressivität der mittelosteuropäischen Staaten zwischen den Weltkriegen vor Augen führen und diese dadurch als ungeeignete Verwalter eines – im Falle Polens – gar noch erheblich erweiterten Staatsgebietes erscheinen lassen. Die darin anklingende, nachtragende Feindseligkeit gegen Völker, die in jüngster Geschichte Opfer zunächst der deutschen und anschließend der sowjetischen Großmacht-Ambitionen geworden waren, rief allerdings besonders im Ausland Widerwillen hervor, sodass sich die Ostforscher bald darauf verlegten, die deutsche Opferrolle herauszustreichen. Am Herder-Institut verfasste beispielsweise Viefhaus, ein Schüler Schieders, eine Studie zu den Pariser Minderheitenschutzverträgen von 1919, und Gotthold Rhode trug sich mit dem Gedanken, eine Dokumentation über das Deutschtum in Polen nach 1918 beizusteuern, die letztlich aber nicht zustande kam.587 Geplant wurden darüber hinaus Arbeiten über „Deutschland und Polen im Ersten Weltkrieg“, „Die deutsch-polnischen Beziehungen 1933–1939“ und die „Geistige[n] Grundlagen der Nationalitätenpolitik in Mitteleuropa.“588 Dagegen hatte Theodor Schieder dem Herder-Forschungsrat bereits 1951 vorgeschlagen, die nationalen Scheuklappen abzustreifen. Zu diesem Zweck wollte er einen Arbeitskreis zur

585 Niederschrift über die Vorstandssitzung am 29. 5. 1954, DSHI 200, VdHFR. 586 Bericht über die Besprechung der Herren Aubin und Keyser in den Bundesministerien am 25. 1. 1952, S. 1, DSHI 200, MadV Nr. 21–50. 587 Viefhaus, Die Minderheitenfrage; dazu der Bericht über die Vorstandssitzung am 1. März 1954, S. 1, DSHI 200, VdHFR. Die Studie von Viefhaus finanzierte das HI mit 9 000 DM. Protokoll über die Vorstandssitzung am 27. 10. 1959, S. 4, DSHI 200, VdHFR. 588 Hermann Aubin an das AA, Hamburg, 2. 6. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20.

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Erforschung der Nationalitätenfrage und des Nationalismus im Osten gründen und der Ostforschung damit ein weites Forschungsfeld erschließen: Zu behandeln seien Themen, „die durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ein besonderes Maß an Aktualität besitzen“, wie die Nationalstaatstheorie, die Natio­ nalitätenpolitik in Ostmitteleuropa seit dem Ersten Weltkrieg und die jüngsten Nationalitäten-Aussiedlungen. Diese müssten in einer historischen Fluchtlinie verortet werden, die über die Nationalitätenverhältnisse in der späten Habsburgermonarchie bis zur „Volkstumspolitik“ des mittelalterlichen deutschen Reichs zurückführe. Solche Forschungen könnten dazu beitragen, die „Kata­strophen der Vergangenheit“ zu erhellen, und gleichzeitig Anstöße für die „zukünftige Gestaltung der Lebensgemeinschaft der europäischen Völker“ liefern. Dem Herder-Forschungsrat böten sie Gelegenheit, seine angestammten Kompetenzen auf neue Forschungsfelder vorzutragen.589 Was Schieder hier vorschlug, darf im Rahmen der Ostforschung als erster Versuch verstanden werden, die hergebrachte volkstumsgeschichtliche Sichtweise zeit- und raumübergreifend zu kontextualisieren und damit zu historisie­ ren. Im Herder-Forschungsrat blieb sein Ansatz chancenlos. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, seine Forderung nach einer vergleichenden Sicht der Natio­ nalitätenfrage wenig später in das Großforschungsprojekt zur Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa einzubringen. Dabei sollte deutlich werden, dass eine solche Perspektive die revisionistischen Interessen Deutschlands nachhaltig unterminieren konnte.590 An solchen Konsequenzen hatte man in Marburg gewiss wenig Interesse.

4.3.9 Internationale Kontakte Von Beginn an bemühte sich das Herder-Institut um die internationale, insbesondere angelsächsische Öffentlichkeit. Damit wollte man „der ungeheuer rührigen, von zweckwissenschaftlichen Forschungen unterbauten Propaganda der Oststaaten […] wirksam entgegentreten“.591 Gegenüber dem Auswärtigen Amt unterstrich Aubin die Dringlichkeit des Anliegens:

589 Nach Schieders Vorstellung sollte der Arbeitskreis überfachlich zusammengesetzt sein und Soziologen, Historiker, Volkskundler, Rechtsgeschichtler und Ökonomen umfassen. Theodor Schieder, Begründung eines Arbeitskreises zur Erforschung der Nationalitätenfrage und des Nationalismus im Osten, Köln, 20. 6. 1951, als Anlage zu: Keyser, 9. Mitteilungen an den Vorstand, 28. 6. 1951, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. 590 S. u., Kap. 6.2. 591 Abschrift aus einem Schreiben von Prof. Dr. Mortensen, Göttingen, vom 10.10.51, DSHI 200, MadV Nr. 21–50.

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Es ist uns durch Mitteilungen aus dem Ausland genugsam bekannt, dass die fremden Länder zur Unterrichtung über den nahen Ostraum von deutscher Seite nur stark veraltetes Material zur Verfügung haben. Selbst die Congress Library in Washington enthält bei aller Vollständigkeit über dieses Gebiet fast nur Schriften der Ostvölker, welche auch in den letzten Jahren auf diesem Gebiete eine sehr rege Tätigkeit entfaltet haben. Dieser völlig einseitigen Unterrichtung zu steuern sind verlässliche, wissenschaftlich begründete Darstellungen notwendig. Sie sind bereits in mehrfacher Staffelung in Arbeit […] Der Forschungsrat ist auch in Überlegungen eingetreten, in welcher Weise die Aufklärung des Auslandes auch durch persönliche Kontakte mit Forschern desselben herbeigeführt werden kann.592

Nach altbekanntem Muster wurde hier einmal mehr die Angriffigkeit der gegnerischen Propa­ganda aufgebauscht und zum Ausbau der eigenen „Abwehr“ aufgerufen. Erfreut konnte man im Klima des Kalten Krieges registrieren, „dass in den USA eine große Bereitschaft vorhanden ist, sich über Ostverhältnisse zu unterrichten.“593 Mitte der Fünfzigerjahre berichtete Keyser über „den zunehmenden Besuch und Briefwechsel mit ausländischen Ostforschern“,594 und einige Jahre später dachte man darüber nach, profilierte Osteuropaforscher aus dem westlichen Ausland zu korrespondierenden Mitglieder des Herder-Forschungsrats zu ernennen.595 Der fachlichen Auseinandersetzung auf internationalem Parkett wich man indes jahrelang aus;596 erst Ende der Fünfzigerjahre glaubte man sich gerüstet, im deutschen Sinne auf die internationale Wissenschaftler­ gemeinschaft einzuwirken. Als Plattform einer deutschen Kampagne wurde der Internationale Historikerkongress in Stockholm 1960 ins Auge gefasst. Aus den Reihen von Herder-Institut und -Forschungsrat sollten Rhode, Ludat, von Rauch, Hellmann und Johansen am Kongress teilnehmen.597 Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wollte man ausgewählten ausländischen Historikern „deutsche Ost-

592 Hermann Aubin an das AA, Hamburg, 2. 6. 1951, DSHI 200, MadV, Nr. 1–20. 593 E. Keyser, 15. Mitteilung an den Vorstand, 15. 8. 1951, S. 2, DSHI 200, MadV Nr. 1–20. S. auch Eduard Mühle, Kooperation und Internationalität, in: Herder-Institut Marburg (Hg.), Das HerderInstitut. Eine Forschungsstätte für die historische Ostmitteleuropa-Forschung, Marburg 2000, S. 63–68. 594 Bericht über die Vorstandssitzung am 17.  Juni 1955, S.  1, DSHI 200, VdHFR. 1956 sollten Rhode und Hartmann in die USA bzw. nach Paris reisen, um mit ausländischen Ostforschern „Fühlung zu nehmen“. Bericht über die Vorstandssitzung am 10. Februar 1956, S. 2, DSHI 200, VdHFR. Auch wurden Stipendien für Aufenthalte am Institut vergeben. Bericht über die Vorstandssitzung am 8. März 1955, S. 1, DSHI 200, VdHFR. 595 Bericht über die Vorstandssitzung am 13. Nov. 1961, S. 5, DSHI 200, VdHFR. 596 Als 1954 daran gedacht wurde, „eine Aussprache zwischen deutschen und westlichen Historikern über Ostprobleme zu veranstalten“, schreckte der Vorstand zurück und hielt „die Durchführung einer solchen Bespre­chung ohne sehr eingehende Vorbereitung für unmöglich.“ Bericht über die Vorstandssitzung am 7. Juli 1954, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 597 Bericht über die Vorstandssitzung am 12. 2. 1960, S. 4, DSHI 200, VdHFR.

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Literatur“ übersenden.598 Ein Vorbereitungstreffen der ost-interessierten deutschen Historiker sollte ein überzeugendes Auftreten in Oslo gewährleisten.599 Wäre es nach Papritz gegangen, so hätten daran ausnahmslos alle deutschen Teilnehmer des Stockholmer Kongresses teilnehmen müssen. Offenbar schwelgte er in Erinnerungen an den Internationalen Historikerkongress von 1933, in dessen Vorfeld Brackmann die deutschen Teilnehmer geschlossen auf eine nationalbewusste Linie verpflichtet hatte. Immerhin lud der Vorstand ein Dutzend Forscher zu einer Arbeitstagung ein,600 wo der Entschluss gefasst wurde, eine Nummer der ZfO auf den Kongress auszurichten und den Teilnehmern als Festgabe zu überreichen.601 Auch dieser Plan weckt Erinnerungen an das Vorgehen von 1933, als die Teilnehmer des Warschauer Kongresses mit dem Sammelband Deutschland und Polen beschenkt worden waren. Welchen Effekt ihre Offensive auf die internationale Meinungsbildung hatte, konnten freilich auch die beteiligten Ostforscher kaum abschätzen. Eher vage berichtete Papritz dem Forschungsrat nach seiner Rückkehr aus Stockholm von Gesprächen, die er mit ausländischen Gelehrten geführt habe, wobei er weniger allfällige Propagandaerfolge als vielmehr die neugeknüpften Kontakte zu volkspolnischen Kollegen hervorhob.602 Hatte Stockholm noch im Zeichen der Entspannungspolitik von Camp David gestanden, so rückte der Bau der Berliner Mauer 1961 eine einvernehmliche Lösung der Deutschlandfrage in weite Ferne. Deutschland erschien nun als Opfer inhumaner Machtpolitik, was ihm kurzfristig die Sympathien insbesondere der angelsächsischen Öffentlichkeit eintrug. Noch im September 1961 erreichte die Marburger eine Einladung nach Chicago, wo der deutschlandfreundliche Politologieprofessor Kurt Glaser eine Konferenz zum Thema Berlin and the Future of Eastern Europe plante. Glasers erklärte Absicht war es, „der einseitigen Unterrichtung der amerikanischen Öffentlichkeit durch die polnischen und tschechischen Emigranten entgegen[zu]wirken.“ Sein Bogenschlag von der sowjetischen Deutschlandpolitik zur Meinungsmacht der ostmitteleuropäischen Exilanten verweist auf den Umstand, dass eine harte Deutschlandpolitik, selbst wenn sie von sowjetischer Seite ausging, in den Vereinigten Staaten bei den ansässigen Polen und Tschechen meist Fürsprecher fand. Vor diesem Hintergrund traf es

598 Zur Finanzierung der Aktion fand sich das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen bereit. Bericht über die Vorstandssitzung am 11. März 1960, S. 4, DSHI 200, VdHFR. 599 Protokoll der Vorstandssitzung am 17. Juli 1959, S. 6, DSHI 200, VdHFR. 600 Bericht über die Vorstandssitzung am 18. 9. 1959, S. 3–5, DSHI 200, VdHFR. 601 Protokoll über die Vorstandssitzung am 27. 10. 1959, S. 2, DSHI 200, VdHFR; Bericht über die Vorstandssitzung am 24. 6. 1960, S. 3, DSHI 200, VdHFR; Bericht über die Vorstandssitzung am 23. Juli 1960, S. 7, DSHI 200, VdHFR. Ergebnis war Heft 2 des Jahrgangs 1960. 602 Bericht über die Vorstandssitzung am 5. Oktober 1960, S. 5 und 8, DSHI 200, VdHFR.

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sich gut, dass auch der emigrierte polnische Politologe Jerzy Hauptmann die Veranstaltung mittrug. In den folgenden Jahren sollte er sich als lebhafter Befürworter einer deutsch-polnischen Verständigung auf antikommunistischer Basis profilieren.603 Erreichen sollte die Veranstaltung „Ostforscher und Politiker“ aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Europa.604 Den deutschen Standpunkt sollten etwa zehn Wissenschaftler und Parlamentarier vertreten, darunter Lemberg und Rhode.605 Den Verlauf der Tagung wertete man im Herder-Institut als Erfolg. Unter dem Eindruck des Mauerbaus waren die deutschen Argumente in Chicago auf offene Ohren gestoßen: Die Amerikaner mit ihrem religiös unterbauten Humanismus begreifen vor allem die menschlichen Probleme, die mit der Errichtung der Mauer ausgelöst worden sind, und von daher vertieft sich auch ihr Verständnis für die Vertreibung. Es konnten wertvolle Kontakte gewonnen werden […] Der sachliche wissenschaftliche Gehalt der deutschen Vorträge hat allgemein Eindruck gemacht. Die Ressentiments der polnischen und tschechischen Emi­ granten kamen nicht zur Geltung, zumal eine Reihe jüdischer Emigranten aus Ostmitteleuropa den deutschen Standpunkt vertrat.606

Erleichtert hielt man fest, dass die Konferenz nicht zur Nischenveranstaltung der politischen Rechten geraten war – vielmehr seien unter den amerikanischen Teilnehmern alle politischen Richtungen vertreten gewesen und von deutscher Seite hätten Politiker sowohl der CDU als auch der SPD teilgenommen. Dennoch blieb ein leises Unbehagen über den politischen Cha­rakter der Veranstaltung zurück, sodass man sich weiteren Plänen gegenüber abwartend verhalten wollte, „zumal wenn politische Gesichtspunkte stärker in den Vordergrund treten sollten.“607

603 Jerzy Hauptmann wurde später gemeinsam mit Gotthold Rhode Leiter der Lindenfelser Gespräche. Richard Breyer, Der exilpolnische wissenschaftliche und kulturelle Kongress vom 9.–12. September 1970 in London, S. 3, DSHI 100/247. 604 Bericht über die Vorstandssitzung am 8. Dezember 1961, S. 1, DSHI 200, VdHFR. 605 Ebd. Dagegen schloss man den anfänglich ins Auge gefassten Birke wieder aus dem deutschen Teilnehmerkreis aus, da er als politisch vorbelastet galt. Bericht über die Vorstandssitzung am 12. Januar 1962, S. 3, DSHI 200, VdHFR. Das Bundespresseamt und das AA finanzierten die deutsche Kongressteilnahme mit 120 000 DM. Bericht über die Vorstandssitzung am 12. Januar 1962, S. 3, DSHI 200, VdHFR. 606 Bericht über die Vorstandssitzung am 10. April 1962, S. 1, DSHI 200, VdHFR. 607 Bericht über die Vorstandssitzung am 10. September 1962, S. 1, DSHI 200, VdHFR.

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Immerhin wurden die Konferenzbeiträge veröffentlicht,608 und 1966 fand eine Folgeveranstaltung in Wiesbaden statt.609

4.3.10 Auseinandersetzung mit der polnischen Wissenschaft So sehr den Marburger Ostforschern an den politischen Implikationen ihrer Arbeit gelegen war, erblickten sie ihre Existenzberechtigung doch stets in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Oststaaten. Eigenen Positionsbezügen ging dabei in der Regel ein gründliches Bemühen voraus, die Standpunkte der Gegenseite zu erfassen und an die deutsche Fachöffentlichkeit zu vermitteln. Davon zeugen die Wissenschaftlichen Mitteilungen und die Wissenschaftlichen Übersetzungen des Instituts. Trotz des beachtlichen Umfangs dieser Anstrengungen blieb es allerdings lange bei einer selektiven Wahrnehmung, die von den Partikularinteressen der beteiligten Ostforscher bestimmt war. In Reaktion darauf zeigte sich der Vorstand 1960 bestrebt, in der ZfO eine „systematische Berichterstattung über das östliche wissenschaftliche Schrifttum“ einzuführen. Dies sei bisher „dem Zufall überlassen worden“.610 Besonders dringend schien die Beobachtung der höchst aktiven polnischen Vorgeschichte, sodass man sich 1958 mit dem Gedanken trug, einen jungen Prähistoriker mit der Auswertung der polnischen Literatur zu beauftragen.611 Direkte Kontakte zu polnischen Forschern kamen indes erst relativ spät und auch dann nur verhalten in Gang. Zu einem kurzen Tauwetter kam es während des Polnischen Frühlings, der die Marburger Ostforscher ebenso unverhofft ereilte wie die deutsche Außenpolitik. Als der Geograph und Ostforscher Wilhelm Wöhlke in Göttingen im Sommer 1955 über den „Austausch von jungen Forschern mit Warschau“ nachdachte, lehnte das Auswärtige solche Kontakte zunächst ab;612 zum Jahresende 1957 erklärte das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen dann im Einvernehmen „mit anderen Bonner Stellen“, man werde Einreisen für polnische Wissenschaftler unterstützen.613 Dieser Erlaubnis hatte man

608 David S. Collier/Kurt Glaser (Hg.), Berlin and the Future of Eastern Europe, Chicago 1963. 609 Breyer, Der exilpolnische […] Kongress. 610 Bericht über die Vorstandssitzung am 12. 2. 1960, DSHI 200, VdHFR. 611 Bericht über die Vorstandssitzung vom 26. November 1958, S. 2. DSHI 200, VdHFR. 612 So die briefliche Anweisung von Oberregierungsrat v. Zahn, die Keyser dem Vorstand des HFR im Sommer 1955 mitteilte. Bericht über die Vorstandssitzung am 17. August 1955, S. 3, DSHI 200, VdHFR. 613 125.  Mitteilungen an den Vorstand. Bericht über die Vorstandssitzung am 20.  Dezember 1957, S. 3, DSHI 200.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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in Marburg vorgegriffen und bereits im Sommer 1957 mehrfach wissenschaftliche Gäste aus der Volksrepublik empfangen.614 Inhaltliche Aspekte kamen dabei nur andeutungsweise zur Sprache. So fielen den Gästen im Herder-Institut Wandkarten mit den deutschen Grenzen von 1937 auf, und Mieczysław Klima­ szewski äußerte die Befürchtung, „dass die neue deutsche Ostforschung in der gleichen Weise betrieben würde wie durch bestimmte Kreise während des letzten Krieges.“ Dagegen äußerten sich Stanisław Leszczycki und Jerzy Serczyk nach eigenem Augenschein anerkennend über die wissenschaftlichen Bemühungen der Marburger. Die Gastgeber notierten, dass die (allesamt des Deutschen kundigen) Gäste „auch die deutschen Städtenamen, wie Breslau“, benutzten.615 Nach ihrer Rückkehr in die Volksrepublik mussten die polnischen Besucher allerdings feststellen, dass sie ihre neugewonnenen Freiheiten überschätzt hatten. Serczyk wurde vom Ministerium für Hochschulwesen aufgefordert, die Zusammenarbeit mit dem Herder-Institut zu beenden und die Kontakte zu Gotthold Rhode abzubrechen.616 Ähnliche Anweisungen waren offenbar an andere Wissenschaftler ergangen, sodass auch der Thorner Historiker und Westforscher Karol Górski auf einen Besuch in Marburg verzichtete – wohl aber nach Bonn und Göttingen reiste. Dessen ungeachtet konnten im September 1957 erstmals Angehörige des Herder-Instituts nach Polen reisen,617und 1959 trat Richard Breyer eine sechswöchige „Studienreise durch Polen und die deutschen Ostgebiete“ an, die Wacław Długoborski mit diskreter Unterstützung der polnischen Politik vermittelt hatte und die auch vom Auswärtigen Amt finanziell geför­dert wurde.618 Auf seiner Reise wollte Breyer „Menschen kennenlernen, mit denen wir wis-

614 Mühle, Kooperation. Auf Einladung Wöhlkes kamen die Geographen Leszycki und Klima­ szewski sowie der historische Publizist Smogorzewski; Rhodes Einladung folgten die Historiker Marian Wojciechowski und Jerzy Serczyk. Bericht über die Vorstandssitzung am 5./6. Juli 1957, S. 6, DSHI 200, Vorstandssitzungen HFR; sowie Jerzy Serczyk, Minęło życie, Toruń 1999, S. 92 f. Es folgten noch im selben Jahr Wacław Długoborski aus Breslau sowie später Franciszek Paprocki. Briefkontakte wurden zu Tadeusz Cieślak und Karol M. Pospieszalski hergestellt. 125. Mitteilungen an den Vorstand […], S. 3, DSHI 200; Richard Breyer, Bericht von einem Austausch von Wissenschaftlern des Johann Gottfried Herder-Instituts und der Wirtschaftshochschule Kattowitz, DSHI 100, Breyer 204, Polenreise 1959. 615 Vermerk über den Besuch von Prof. Dr.  Stanislaw Leszczycki aus Warschau und Prof. Dr. Mieczyslaw Klimaszewski aus Krakau am 11. 5. 1957 im Herder-Institut, S. 2, DSHI 200, MadV Nr. 111–130. 616 Serczyk, Życie, S. 94. 617 Mühle, Kooperation. 618 Bericht über die Sitzung des Vorstandes am 27.  April 1959, DSHI 200, MadV Nr.  131–150. Długoborski war zuvor mit Unterstützung des HI in die BRD gereist. Protokoll über die Vorstandssitzung am 27. 10. 1959, DSHI 200, VdHFR.

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sensch., z. T. auch polit. in einer ständigen Auseinander­setzung stehen“.619 Zu einer Begegnung mit polnischen Westforschern kam es im Schlesischen Wissenschaftlichen Institut in Kattowitz. Nachdem Edward Serwański vom Posener Westinstitut die anwesenden West­forscher mit einem Referat über Probleme des deutschen Revisionismus immunisiert hatte, erläuterte Breyer die Deutsche Ostforschung heute. Dabei beschrieb er sein Fach als junge Disziplin, die auf die „neue[n] Probleme seit 1914“ antworte, und gestand ein, sie sei seit 1938/1939 „belastet“. Im Nationalsozialismus sei „Missbrauch“ mit ihr getrieben worden; 1945 habe der „Zusammenbruch“ zur „Besinnung“ auf Nachbarschaft und „Schicksals­gemeinschaft“ geführt. Herders Name stehe im Marburger Institut als Gegenthese zur nationalen Sichtweise Rankes und für „Weite und Vielfältigkeit, Aufgeschlossenheit, innere Anteilnahme, Bemühen um nat. Gerechtigkeit.“620 Die Atmosphäre der anschließenden Diskussion bezeichnete Breyer in seinem offiziellen Reisebericht als „durchaus offen und rücksichtsvoll.“621 Seine handschriftlichen Notizen lassen aber auch polemische Akzente erkennen, etwa wenn er eine Wortmeldung Józef Kokots und seine Replik im Telegrammstil mit den Worten: „Naziści? [Nazis?] – Für wen halten Sie uns?“ festhielt oder auf die Frage nach den „Intentionen der Geldgeber“ mit: „Keine!“ antwortete. Polnischer Kritik an Manfred Laubert nahm Breyer den Wind aus den Segeln, indem er ihn als „Pseudo-Wiss[enschaftler]“ abtat.622 Weitere Besuche führten Breyer ins Schlesische Institut nach Oppeln, an die Breslauer Universität und in Warschau in das Historische und das Geographische Institut der PAN, die Hauptschule für Auslanddienst des MSZ, das PISM und die Presseagentur West. Damit kam er seiner Absicht, „sämtliche Institute in Polen und den deutschen Ostgebieten aufzusuchen, welche sich mit deutsch-polnischen Fragen, insbesondere den ‚Wiedergewonnenen Gebieten‘ befassen“, recht nahe.623 Beschränkten sich solche Besuche im Wesentlichen noch darauf, persönliche Kontakte anzuknüpfen, so dachte man im Klima des Tauwetters schon bald an einen vertieften wissenschaftlichen Meinungsaustausch.624 Schnell zeigte

619 Handschriftliche Notizen, ohne Titel, undatiert, DSHI 100, Breyer 204, Polenreise 1959. 620 Handschriftliches, stichwortartiges Vortragsmanuskript, ohne Titel, undatiert, DSHI 100, Breyer 204, Polenreise 1959. 621 Richard Breyer, Bericht von einem Austausch von Wissenschaftlern des Johann Gottfried Herder-Instituts und der Wirtschaftshochschule Kattowitz, DSHI 100, Breyer 204, Polenreise 1959. 622 Handschriftliche Notizen, ohne Titel, undatiert, DSHI 100, Breyer 204, Polenreise 1959. 623 Breyer, Bericht von einem Austausch […]. 624 Bereits Ende 1957 hatte Papritz angeregt, „Tagungen unter Teilnahme polnischer Wissenschaftler zu veranstalten“. 125. Mitteilungen an den Vorstand […], S. 4, DSHI 200, MadV. Auch an

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sich allerdings, dass das offizielle Polen die außeruniversitären Ostforschungsinstitutionen zu boykottieren trachtete. In der Folge konnte das Institut nur verdeckt in Erscheinung treten, erlebte aus seiner Position in der zweiten Reihe aber einige bemerkenswerte Kooperationsanläufe, die andeuten, was im Klima des Tauwetters zunächst möglich schien. So wurde 1956 zwischen volkspolnischen, westdeutschen und ostdeutschen Prähistorikern ein mehrbändiges Gemeinschaftswerk über die vorgeschichtlichen Denkmäler Pommerns geplant, das kurz zuvor noch undenkbar gewesen wäre – und das auch bereits vor seiner Umsetzung wieder ins Reich des Utopischen entschwinden sollte. Initiatoren des Projekts waren Hans Jürgen Eggers aus Hamburg, sein früherer Vorgesetzter Wilhelm Unverzagt in Ostberlin625 sowie Witold Hensel in Warschau. Auf deutscher Seite sollten auch Angehörige des Herder-Forschungsrates an der Dokumentation teilnehmen, doch wünschte Eggers, aus Rücksicht auf die polnische Seite weder den Herder-Forschungsrat noch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen im Vorwort zu erwähnen.626 Zwar reisten Eggers und Neumann 1957 und 1958 nach Polen,627 um die Ausgabe vorzubereiten, und für den Winter 1959/1960 wurde ein längerer Aufenthalt zweier polnischer Prähistoriker in der Bundesrepublik geplant,628 doch dann verlieren sich die Spuren des Projekts – spätestens die Berliner Mauer dürfte ihm ein Ende gesetzt haben. Erfolgreicher entwickelte sich die archivarische Zusammenarbeit mit der Volksrepublik Polen, die Papritz als Leiter des Hessischen Staatsarchivs und der Marburger Archivschule trotz seiner auch in Polen bekannten Vergangenheit bei der Publikationsstelle Berlin-Dahlem in die Wege leiten konnte. Nachdem der Internationale Historikerkongress in Stockholm die Gelegenheit zum persönlichen Kontakt gegeben hatte, gelang es ihm, den Direktor der polnischen Staatsarchive, Henryk Altman, in die Bundesrepublik einzuladen. Der Besuch verlief „in einer sachlich-freundlichen Atmosphäre“ und eröffnete die „Aussicht auf eine Verbesserung der Beziehungen zu den polnischen Archiven“.629

Stipendien für polnische Nachwuchswissenschaftler wurde gedacht. Bericht über die Vorstandssitzung am 29. August 1957, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 625 Vor 1933 arbeitete Eggers am Staatlichen Museum für Vor- und Frühgeschichte bei Wilhelm Unverzagt an der Aufnahme vorgeschichtlicher und mittelalterlicher Burgwälle. 626 Bericht über die Vorstandssitzung am 14. November 1956, DSHI 200, VdHFR. 627 Bericht über die Vorstandssitzung am 13./14. November 1957, S. 5, DSHI 200, VdHFR. 628 Bericht über die Vorstandssitzung am 18. 9. 1959, S. 3, DSHI 200, VdHFR. 629 Bericht über die Vorstandssitzung am 19. November 1962, S. 1, DSHI 200, VdHFR. Tatsächlich wurden in der Folge auch Vertreter aus der Bundesrepublik (Bruchmann, Sante und Winter) zu internationalen Archivarengesprächen nach Warschau eingeladen. Bericht über die Vorstandssitzung am 2. Juni 1961, S. 6, DSHI 200, VdHFR.

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Nach dem Ende des polnischen Frühlings kamen solche Kontakte jedoch fast vollständig zum Erliegen.630 Unter diesen Umständen verlegte sich das HerderInstitut auf den Versand wissenschaftlicher Literatur nach Polen, wofür das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen einen eigenen Fonds zur Verfügung stellte.631 Um kein Misstrauen zu erregen, wollte man von einem institutionalisierten Versand absehen und stattdessen über persönliche Kontakte vorgehen. Auch sollten nicht nur Veröffentlichungen des Instituts versandt, sondern möglichst auch Wünsche der ausländischen Partner erfüllt werden.632 1959 dachte man gar an den „Aufbau einer Abteilung für den Auslandversand wissenschaftlichen Ostschrifttums“, mit dem Empfänger in Ost und West beglückt werden sollten, und gewann dafür die Zustimmung des Auswärtigen Amtes.633 Zu Beginn der Sechzigerjahre bestanden Tauschbeziehungen zu circa dreißig polnischen Einrichtungen.634 Als die deutsch-polnische Schulbuchkommission in den Siebzigerjahren umfassendere Möglichkeiten für deutsch-polnische Historikerkontakte schuf, stand das Herder-Institut allerdings abseits. Anschluss an die Gespräche hatte nur Gotthold Rhode, der in Marburg zumindest anfänglich über die Treffen mit den polnischen Historikern rapportierte.635 Erst in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre profitierte auch das Herder-Institut in bescheidenem Umfang von den verbesserten Kontakten zur Volksrepublik. Nun wurden vermehrte Archiv- und Forschungsaufenthalte sowie Vortragsreisen nach Polen möglich. Auch erschienen vereinzelt Aufsätze polnischer Wissenschaftler in der ZfO, und umgekehrt fanden in den Achtzigerjahren einige Beiträge von Institutsangehörigen ihren Weg in die polnischen Zeitschriften.636 Fast gleichzeitig zur Aufnahme von Kontakten in die Volksrepublik kamen in der zweiten Hälfe der Fünfzigerjahre erste Beziehungen zu polnischen Exilhistorikern in London und Paris zustande. Hatten diese den Ostforschern lange die kalte Schulter gezeigt, so wuchs ihre Gesprächsbereitschaft in dem Moment, als sie sich von ihren volkspolnischen Nebenbuhlern ausgestochen sahen. Die Hoffnungen, die man in Marburg kurzfristig auf den Kontakt zur „nicht­kommunistischen“

630 Bis 1973 folgen nur fünf weitere Reisen von Institutsangehörigen nach Polen. Mühle, Kooperation. 631 Bericht über die Vorstandssitzung am 2. Juni 1961, S. 6, DSHI 200, VdHFR; Bericht über die Vorstandssitzung am 8. Dezember 1961, S. 4, DSHI 200, VdHFR. 632 Bericht über die Vorstandssitzung am 12. 9. 1961, S. 3, DSHI 200, VdHFR. 633 Bericht über die Vorstandssitzung am 5. Juni 1959, S. 1, DSHI 200, VdHFR. 634 Mühle, Kooperation. 635 Bericht über die Vorstandssitzung am 1. 12. 1970, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 636 Mühle, Kooperation.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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polnischen Wissenschaft setzte – etwa, wenn man 1961 „Emigranten aus den Ostblockstaaten“ als korrespondierende Mitglieder des Forschungsrates gewinnen wollte637 –, erfüllten sich allerdings nicht. Zwar kam es nebst einigen Besuchen polnischer Emigranten in Marburg638 1956 und 1964 in Tübingen und London zu zwei bundesdeutsch-exilpolnischen Gesprächsrunden, an denen auch das Herder-Institut beteiligt war, doch zeigten die meisten polnischen und etliche deutsche Teilnehmer wenig Neigung, die eigenen Auffassungen im Dialog mit der Gegenseite zu revidieren.639 Freundschaftlichen Charakter gewannen später die Barsinghausener Gespräche, die allerdings eher der nostalgischen Erinnerungspflege der Vorkriegsgeneration dienten als dem geschichtswissenschaftlichen Austausch.640 Dagegen gelang es den Marburger Ostforschern nicht, dauerhaften Kontakt zu den tonangebenden, auch in der Volksrepublik stark rezipierten Organen des Exilpolentums zu finden: den Londoner Wiadomości und insbesondere der Pariser Kultura sowie deren historiographischer Tochterpublikation, den Zeszyty Historyczne.

4.3.11 Äußere Kritik und innerer Wandel Bei ihrer Gratwanderung zwischen politischer Zweckforschung und strenger Wissenschaft­lichkeit kamen die Herder-Einrichtungen seit der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre von beiden Seiten unter Druck. Aus Sicht der Ministerien waren sie nicht politisch genug, einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit erschienen sie hingegen als übermäßig politisiert. In Bonn galt die Arbeit des Marburger Instituts den Ministerien schon 1951 als „praktisch wenig brauchbar“ für die bundesdeutsche Ostpolitik.641 Nachdem es in den folgenden Jahren doch zu einigen politischen Auftragsarbeiten gekommen war, markierte 1958 die Gründung eines

637 Bericht über die Vorstandssitzung am 13. Nov. 1961, S. 5, DSHI 200, VdHFR. 638 Bereits 1953 berichtete Keyser dem Vorstand von der Absicht „eines Vertreters der Polen in London, das H[erder-]I[nstitut] zu besuchen.“ Bericht über die Vorstandssitzung am 30.  April 1953, S. 6, DSHI 200, VdHFR. 1958 suchte Kolarz vom Osteuropa-Dienst der BBC das Institut auf. 130. Mitteilungen an den Vorstand, 21. April 1958, DSHI 200, MadV, Nr. 111–130. 1961 referierte Zdzisław Pechnik aus Paris in Marburg zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs auf Polen. Bericht über die Vorstandssitzung am 13. Januar 1961, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 639 S.  Rafał Stobiecki, Klio na wygnaniu. Z dziejów polskiej historiografii na uchodźstwie w Wielkiej Brytanii po 1945 r., Poznań 2005, 140–156. 640 S. Niedersächsischer Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte (Hg.), Die Barsinghausener Gespräche (1–4), Leer 1961. 641 So die Kritik Mendes. Unger, Ostforschung, S. 134.

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Arbeitskreises für Ost-West-Fragen, der „als wissenschaftlicher Beirat der Ostabteilung“ fungieren sollte, deutlich den Erwartungsschwund der Ministerien hinsichtlich der politischen Nützlichkeit der Ostforschung.642 Zwar wollte man weiterhin Kontakt zu den „Ostinstituten“ halten, doch müsse es das Auswärtige Amt künftig selbst in die Hand nehmen, „die vielfältigen Ergebnisse der Ostforschung der politischen Praxis nutzbar zu machen“, denn: „Diese Institutionen stellen […] meist die sogenannte zweckfreie Forschung in den Vordergrund und halten sich mit einigen Ausnahmen von Forschungsaufträgen für aktuelle politische Zwecke zurück.“643 Freilich hielt das institutionelle Auseinanderdriften von akademischer Ostforschung und politischer Wissenschaftsverwertung einzelne Ostforscher nicht davon ab, weiterhin in beiden Sphären mitzuwirken: Aus den Reihen des Herder-Forschungsrats trat Gotthold Rhode dem ministeriellen Arbeitskreis bei;644 auch Schieder war zumindest sporadisch an dessen Beratungen beteiligt. Einblicke in die Deutungen und Gedankenspiele, die den Arbeitskreis umtrieben, vermittelt eine Arbeitstagung im Jahre 1960, die sich mit dem Problem von „Imperialismus und Fremd­herrschaft in Ostmitteleuropa“ beschäftigte. Einleitend charakterisierte Theodor Schieder den sowjetischen Imperialismus als Erbe der russischen Expansionstradition. Gotthold Rhode erkannte darin den Ausdruck einer geopolitischen Notwendigkeit und führte aus, dass der ostmitteleuropäische Raum infolge seiner geringen geographischen Gliederung, dem Fehlen eines natürlichen Zentrums und seiner starken nationalen, sprachlichen und konfessionellen Zersplitterung in gewissem Maße nach einer großräumigen staatlichen Ordnung verlangt. Abgesehen von den ungarischen und polnischen Reichsgründungen sowie von der österreichisch-ungarischen Monarchie waren es aber zumeist benachbarte Imperien, die den ostmitteleuropäischen Raum in ihren Machtbereich miteinbezogen, u. a. Byzanz, das Fränkische Reich, die Türkei, das zaristische Russland und neuerdings die Sowjetunion.645

An diese Aufzählung noch Preußen bzw. Deutschland anzufügen, überließ Rhode in vornehmer Zurückhaltung seinen Zuhörern. Dem Referat folgte eine Diskussion, die sich um die „Frage einer eventuellen zukünftigen Ordnung des ostmitteleuropäischen Raumes“ drehte. Zwar wurde eine „imperialistische Lösung […]

642 Groepper, Aufzeichnung Betr. 10.  Arbeitstagung des Arbeitskreises für Ost-West-Fragen, 10. 4. 1962, PAAA B 12/377a. 643 Wickert an das Referat 112, Betr. Arbeitskreis für Ost-West-Fragen, 12. 12. 1961, PAAA B 12/376. 644 Als zweiter Polenspezialist wurde Gerd Ruge vom Westdeutschen Rundfunk in Köln beigezogen. Notiz vom Juni 1962, PAAA B 12/377a. 645 Protokoll über die 5.  Arbeitstagung des Arbeitskreises für Ost-West-Fragen in Köln [4.– 5. 3. 1960], undatiert, PAAA B 12/243.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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allgemein abgelehnt“, da sie dem Selbstbestimmungsrecht und der Gleichberechtigung der Völker, Kulturen und Rassen widerspreche. Als ebenso „ungeeignet“ erschien den Anwesenden aber auch „eine Wiederauflösung des ostmitteleuropäischen Raumes in eine Vielzahl kleiner, völlig selbständiger Nationalstaaten, wie sie nach dem 1.  Weltkrieg praktiziert worden ist“. Damals hätten ständige Streitigkeiten zwischen den souveränen Kleinstaaten den Raum destabilisiert. Als einzige „praktikable“ Lösung betrachtete man unter diesen Umständen die föderative Zusammenfassung Ostmitteleuropas, „wobei den sich herausbildenden Nationalstaaten die Freiheit der eigenvölkischen, kulturellen Entwicklung belassen wird“. Die Föderierung solle dabei „im Rahmen eines größeren Zusammenschlusses innerhalb Europas erfolgen, da sonst die Gefahr besteht, dass der ostmitteleuropäische Staatenbund als Gegengewicht bzw. Puffer gegen eine andere benachbarte Macht benutzt wird.“646 Solche Denkfiguren erinnern frappant an die deutschen Mitteleuropa-Pläne aus dem Umfeld des Ersten Weltkriegs. Der sprachliche Duktus („den […] Nationalstaaten [wird] belassen“) verrät unmissverständlich, dass die Versammelten sich weiterhin eine gewisse Verfügungs­gewalt über Ostmitteleuropa anmaßten. Zwar verzichtete man darauf, ausdrücklich einen deutschen Führungsanspruch zu formulieren und sprach stattdessen lieber von einer euro­päischen Lösung. Dennoch hielt man es im unmittelbaren Zusammenhang mit solchen Überlegungen für sinnvoll, das frühere deutsche Ausgreifen in diesen Raum in ein günstiges Licht zu rücken.647 Solche Gedankenspiele lassen die polnischen Befürchtungen jener Jahre, wonach die westeuropäische Integration als Vehikel zur Wiederherstellung deutscher Hegemonialansprüche zu verstehen war, als nicht gänzlich unbegründet erscheinen.648 Mühe bekundeten die Anwesenden im Weiteren mit dem Begriff des Selbstbestimmungsrechts, da dieser in Mittelosteuropa letztlich „zu einer ‚Balkanisierung‘ bisher – wenn auch durch Fremdherrschaft – einigermaßen geordneter Großräume führen“ müsse. Zwar wollte man aus propagandistischen Gründen am Begriff der Selbstbestimmung festhalten, für wirklich begründet hielt man ihn aber im mitteleuropä­ischen Kontext nur im Hinblick auf das deutsche Volk,

646 Ebd. Hervorhebung im Original. 647 Zu diesem Zweck sollten Erinnerungen an den Deutschen Orden nach Möglichkeit vermieden werden, um unseligen historischen Bogenschlägen bis hin zum nationalsozialistischen Feldzug im Osten entgegenzuwirken. Lieber wollte man das Andenken der deutschen „Handwerker, Händler und Bauern“ wahren, die als Siedler friedlich zur kulturellen Hebung Osteuropas beigetragen hatten. 648 Zeugnisse dieser Interpretation finden sich in den zahlreichen Artikeln, die der Przegląd Zachodni in den Sechzigerjahren der europäischen Integration widmete.

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für das er „zum entscheidenden Kampfbegriff gegen die sowjetrussische Fremdherrschaft in Mitteldeutschland“ werden sollte – „zumal hier als dessen Träger ein geschichtlich längst formiertes Volk mit besonderem Nachdruck aufzutreten vermöge.“649 Hier klangen nationalständische Überlegungen nach, die Hans Rothfels in der Zwischenkriegszeit entwickelt hatte. Demnach ließ sich das Nationalitätenprinzip auf die ethnisch gemischte Bevölkerung Ostmitteleuropas kaum anwenden; Rothfels hatte deshalb für eine deutsche Vormachtstellung plädiert. In diese Richtung wies auch die im Arbeitskreis geäußerte Unterscheidung zwischen geschichtlichen und geschichtslosen Völkern. Bei alledem muss betont werden, dass der Arbeitskreis in keiner formellen Beziehung zum Herder-Institut stand. Dennoch verdient es Beachtung, dass Schieder und Rhode sich an solchen Überlegungen beteiligten. Auf der anderen Seite sah sich das Institut in der bundesdeutschen Öffentlichkeit mit dem Vorwurf konfrontiert, sein wissenschaftliches Bemühen nicht klar genug von der Politik abzugrenzen. 1957 bedauerte man in Marburg, „dass trotz aller gegenteiligen Bemühungen […] immer noch in weiten Kreisen ein Misstrauen gegen die wissenschaftliche Haltung des Instituts zu bemerken ist.“ Dieses Misstrauen kam angeblich weniger aus Polen als aus der DDR und den „wissenschaftlichen Kreisen Westdeutschlands.“650 Auch dem Bundesvertriebenenminister fielen in den späten Fünfzigerjahren die „zunehmenden gehässigen Angriffe auf die Ostforschung in der Bundesrepublik“ auf.651 Hinweise auf die wissenschaftliche Güte des eigenen Schaffens reichten in dieser Situation nicht aus, um solche Vorbehalte zu zerstreuen. Vor diesem Hintergrund machte sich Aubin 1957 Gedanken über eine „stärkere Festigung“ von Herder-Institut und Forschungsrat – „damit keine Gefährdung bei einem etwaigen politischen Umschwung eintritt.“ Es sei zu bedenken, „dass unsere Arbeit von einer größeren und politisch bedeutsamen Öffentlichkeit nicht getragen wird.“652 Die Ostforschung und ihre Vergangenheit zog also nicht, wie üblicherweise behauptet,653 erst ab Mitte der 1960er Jahre die Kritik der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit auf sich, sondern bereits ein rundes Jahrzehnt zuvor. Unger vermutet demnach zu Recht, dass außerhalb der Ostforschung „durchaus ein kritisches Bewusstsein um die nationalsozialistische Belastung vieler [ihrer] Vertreter“ bestand.654 Wis-

649 Protokoll über die 5. Arbeitstagung […]. 650 Gemeinsame Sitzung des Vorstandes mit dem Haushaltsausschuss am 14. März 1957, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 651 Dienstreise nach Bonn am 3. und 4. Juni 1959, DSHI 200, MadV, Nr. 131–150. 652 Bericht über die Vorstandssitzung am 14. und 15. Februar 1957, DSHI, VdHFR. 653 So etwa bei Linnemann, Erbe, S. 29. 654 Unger, Objektiv, hier S. 118.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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senschaftsintern wurde, wenngleich zumeist hinter verschlossenen Türen, Kritik an der Vergangenheit einzelner Ostforscher geübt. So entschied man 1951, die Dokumentation der Vertreibung nicht durch die Beteiligung des zwar fachlich als kompetent eingestuften, aber stark NS-belasteten Walther Recke zu gefährden.655 Breiter gestreut war die Kritik von Georg Rohde, dem Rektor der Freien Universität Berlin, der 1953 an die „mit Recht bestehenden politischen Bedenken gegen viele derjenigen Herren, die sich jetzt wieder dazu drängten, an der Ostforschung beteiligt zu werden“, erinnerte. Auch der Berliner Osteuropahistoriker Werner Philipp sah die Gefahr, dass das Fach von „politisch nicht einwandfreien Kräften“ in Verruf gebracht werden könne.656 Die Ostforschung reagierte darauf mit einer – freilich recht beschränkten – Ausgrenzung der politisch allzu belasteten Zunftmitglieder. Etzemüller konstatiert in diesem Zusammenhang die Existenz einer „negativen Grenze“, die jene ausschloss, die nicht den normalen Qualifikationsweg gegangen waren, sondern sich im Nationalsozialismus durch politische Handlangerdienste nach oben katapultiert hatten.657 Weitere fachinterne Sanktionierungs­maßnahmen griffen dann, wenn ein Forscher durch extreme Positionen die ganze Zunft in Verruf zu bringen drohte, wie bereits am Beispiel Stellers zu beobachten war. Besonders belastete Exponenten standen gewissermaßen unter Vorverdacht und wurden ausgebremst, bevor sie inopportune Positionen vertreten oder durch ihren Namen wichtige Projekte in Verruf bringen konnten. Dies galt etwa im Falle Seraphims, dem im geschlossenen Kreis zwar weiterhin ein Mitspracherecht eingeräumt, jedoch keine öffentlichkeits­wirksame Profilierung mehr gewährt wurde.658 Eine ähnliche Behandlung erfuhr Ernst Birke, ein Schüler Aubins, der sich seit 1933 als SS-Mitglied in der nationalsozialistischen Bildungsbewegung betätigt hatte und dem Sicherheitsdienst bei der politischen Unterwanderung der Geschichtswissenschaft zur Hand gegangen war.659 Im Hinblick auf seinen weiteren Verbleib in der Ostforschung beschloss der Herder-Forschungsrat: „Die Veröffentlichungen Birkes sollen von Keyser im Einvernehmen mit Birke politisch überprüft

655 Beer, Spannungsfeld, S. 360. 656 Zitiert nach Unger, Ostforschung, S. 121. 657 Etzemüller, Sozialgeschichte, S. 222. Zu ihnen zählte etwa Hans Joachim Beyer, der vormalige Leiter der Reinhard-Heydrich-Stiftung der SS in Prag, den Aubin 1952 gegenüber dem Bundesinnenministerium für untragbar erklärte. Unger, Ostforschung, S. 120. 658 Gegen seine Beteiligung regte sich 1950 Widerstand in der neubegründeten DGO. Unger, Ostforschung, S. 200. 659 Zu Birke Mühle, Volk, S. 245–249; Unger, Ostforschung, S. 155 u. 163.

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werden.“660 Seiner Ausgrenzung widersetzte sich Birke indes erfolgreich, indem er seine Fachkollegen mit ihrer eigenen Vergangenheit unter Druck setzte.661 Im selben Maße, wie die öffentliche Kritik zunahm, verschärften sich auch die fachinternen Zweifel an der bisherigen Ausrichtung der Ostforschung. Wie bereits dargestellt, war es Walter Schlesinger, der 1957 die germanozentrischen Grundannahmen der Zunft grundlegend in Frage stellte.662 Auf seine Kritik reagierte man in Marburg mit einem bisher unbekannten Maß an Verunsicherung, wie ein Schreiben Keysers an den Vorstand des Herder-Forschungsrates vom Oktober 1957 verdeutlicht: Der Aufsatz von Schlesinger […] hat grundsätzliche Fragen aufgeworfen, insbesondere wieweit heute andere Wege als vor dem Kriege zu gehen sind. […] Sollten wir daher nicht unsere Tagung über ‚Fragen und Fragwürdigkeiten der heutigen Ostforschung‘ abhalten? Es wäre sowohl Grundsätzliches zu erörtern (z. B. unser Verhältnis zur polnischen Forschung), wie auch die vermeintlich neue Auffassung über bestimmte Ereignisse der Vergangenheit (Kolonisation, Ostpolitik des preußischen Staates).

Keyser dachte an eine Tagung, an der nicht nur Eingeweihte, sondern auch der Ostforschung fernstehende und ihr gegenüber kritisch gesinnte Historiker teilnehmen sollten.663 Dahinter stand die Absicht, die Gegensätze zu eruieren, die sich innerhalb der Zunft aufgetan hatten, und auszuloten, wie weit ihr Rückhalt in der breiteren Fachöffentlichkeit noch reichte. Widerstand gegen die geplante Standortbestimmung leisteten Hermann Aubin und Johannes Papritz,664 während Eugen Lemberg sich hinter Keyser stellte und, dessen Einladung folgend, auf der Jahresversammlung des Instituts im April 1958 eindringlich zur fachlichen Selbstreflexion aufrief.665 In seinem Beitrag verlangte er nicht weniger als einen vollständigen Bruch mit den bisherigen nationalistischen Grundannahmen der Disziplin. Noch immer, so Lemberg, verharre die Ostforschung „in den apologetischen und vin-

660 Bericht über die Vorstandssitzung am 7. Juli 1954, S. 2, DSHI 200, VdHFR. Auch Birkes anfänglich geplante Teilnahme an der Chicagoer Tagung 1960 scheiterte an politischen Bedenken. Bericht über die Vorstandssitzung am 12. Januar 1962, S. 5, DSHI 200, VdHFR. 661 Als Aubin sich 1959 widerwillig zeigte, Birkes Habilitationsschrift über Frankreichs Ostpolitik im 19. Jh. anzuerkennen, erinnerte ihn Birke daran, dass er mit Aubins Unterstützung im Sinne des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS in die Auto­nomie der Universität Breslau eingegriffen habe. Haar, Historiker, S. 276, Anm. 83. 662 S. o., Kap. 4.3.6. 663 E. Keyser, 121. Mitteilung an den Vorstand, 8. 10. 1957, DSHI 200, MadV Nr. 111–130. 664 Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen, S. 340. 665 Bericht über die Vorstandssitzung am 27. März 1958, DSHI 200, VdHFR.

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dikativen Fragestellungen der vergangenen Volkstumskampfsituation“. In den beiden Weltkriegen sei der kompetitive Nationalismus jedoch ad absurdum geführt worden – am gründlichsten in den „Exzessen des Nationalsozialismus“. Seit 1945 organisiere sich die Welt nicht mehr nach nationalen, sondern nach ideologischen Gegensätzen. Eine nationale Betrachtungsweise sei daher gänzlich obsolet geworden, und die Ostforschung tue gut daran, nicht weiter einseitig die Leistungen und Ansprüche der Deutschen in Ostmitteleuropa zu betonen, sondern zu zeigen, wie die ansässigen Völker – nebst Deutschen auch Polen, Tschechen und Ungarn – diesem Raum im Laufe der Geschichte gemeinsam sein Gepräge verliehen hätten. Eine solche Forschung, die das Verbindende und nicht das Trennende der Region betone, könne in der gegenwärtigen Lage nur in Westdeutschland stattfinden, das als einziges Land Mittel- und Osteuropas geistige Freiheit genieße. Der deutschen Osteuropakunde erwachse daraus eine hohe Verantwortung, die sie „ohne jede Rücksicht auf etwaige Interessen des Deutschtums in Ostmitteleuropa“ wahrnehmen müsse.666 So unmissverständlich Lemberg seine Kollegen aufforderte, sich vom Revisionismus zu verabschieden – dem Antikommunismus blieb er im Gegensatz zu späteren Kritikern der Ostforschung treu. Wenn er deutschen Verzicht auf revisionistische Ansprüche forderte, stand dahinter gerade die Absicht, den ostmittel­europäischen Ländern den Ausweg aus dem sowjetischen Einflussbereich nicht durch kleinliche nationalegoistische Vorbehalte zu verbauen. Zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, wie sie Lemberg forderte, fanden sich die Ostforscher zu diesem frühen Zeitpunkt indes nicht bereit – vielmehr hoffte man, die aufkommende Kritik mit oberflächlichen Dementis beiseite zu wischen: 1959 sollte Theodor Schieder einen Aufsatz über die „politische Rolle der deutschen Ostforschung seit Beginn des Jahrhunderts bis heute“ schreiben, „um dem dummen Gerede entgegenzu­treten, dass sie ‚revanchistisch‘ sei.“667 Offenbar war die moderne Ostforschung im Bewusst­sein ihrer Akteure so stark mit ihrer Vergangenheit vor 1945 verknüpft, dass eine Ehren­ rettung des Faches nur als Ganzes möglich schien. Traditionskritik hätte aus dieser Perspek­tive wohl den Anstoß zur vollständigen Demontage der Zunft bedeutet. Dennoch war die Kritik an der Ostforschung auch in den eigenen Reihen nicht mehr zum Schweigen zu bringen. Das zeigte sich 1959, als Lemberg Präsident des Herder-Forschungsrates wurde. Dass er sich in den folgenden Jahren als Vordenker der Neuausrichtung profilierte, konnte niemanden überraschen. Bereits 1960 plädierte er erneut nachdrücklich dafür, den Eigenwert der ost-

666 Zitiert nach Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen, S. 341. 667 Klaus Mehnert an Oberländer, zitiert nach Unger, Objektiv, S. 128.

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mitteleuropäischen Geschichte anzuerkennen,668 und zwei Jahre später rief er dazu auf, die Fragestellungen der Ostforschung in größere Zusammenhänge einzuordnen, wozu Methoden der historischen Komparatistik Hand böten. Das Thema der deutschen Ostsiedlung schien ihm besonders geeignet, um auf einer Tagung des Forschungsrates auszuloten, wie weit sich die Anschauungen bereits gewandelt hatten und wo Innovationsbedarf bestand.669 Dass Schlesinger, der seit 1961 Mitglied des Forschungsrates war, mit dem Hauptreferat betraut wurde, versprach eine kritische Bestandsaufnahme670 – zumal Lemberg ihn ausdrücklich aufgefordert hatte, einen „Beitrag zur Selbstprüfung“ der deutschen Ostmitteleuropaforschung zu leisten.671 Wie hart er aber mit der Zunft ins Gericht ging, dürfte die Anwesenden doch überrascht haben; jedenfalls wurde sein Referat erst 1997 öffentlich gemacht. Unter dem Titel Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung und die deutsche Ostforschung kritisierte Schlesinger sehr deutlich das revanchistische Grundanliegen, das die Ostforschung von Beginn an durchdrungen habe.672 Außer Frage stand für Schlesinger, dass der Höhepunkt der Politisierung – und damit der Tiefpunkt der Ostforschung als Wissenschaft – in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur erreicht worden sei. Freilich hielt er an der Annahme fest, dass die deutschen Ostforscher an den NS-Verbrechen „im allgemeinen nicht beteiligt“ gewesen seien und selbst jene, die in der Zeit des Dritten Reiches „recht laut ins Horn gestoßen hatten“, inzwischen einen „wirklichen Gesinnungswandel“ vollzogen hätten.673 Mit solchen Zugeständnissen suchte er seine Zuhörer für eine Traditionskritik zu vereinnahmen, die erheblich weiter zielte als bisher üblich: Ausdrücklich stellte er nämlich den bisher gültigen Grundkonsens in

668 Eugen Lemberg, Eröffnung der Tagung, in: Ernst Birke/Eugen Lemberg (Hg.), Geschichtsbewusstsein in Ostmitteleuropa. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Tagung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates über die geistige Lage der ostmitteleuropäischen Völker (April 1960), Marburg 1961, S. 1–3. Dazu auch Unger, Ostforschung, S. 281. 669 Lembergs Ziele wurden von den übrigen Vorstandsmitglieder zumindest teilweise mitgetragen: Auch Rhode sprach sich dafür aus, „parallele Erscheinungen der Ostbewegung bei anderen Völkern in Vergleich mit der deutschen Ostsiedlung zu setzten“, und Papritz verwandte sich gegen ahistorische Kontinuitätsbildungen und riet dazu, „die mittelalterliche Ostbewegung von den neuzeitlichen Nationalitätenproblemen zu trennen.“ Ungewöhnlich konservativ zeigte sich bei dieser Gelegenheit Ludat, der forderte, die Forschung solle sich auf die Frage beschränken, „was die Alte Welt für den Osten getan hat und wieweit der Osten ein Teil Europas ist.“ Bericht über die Vorstandssitzung am 9. Juli 1962, DSHI 200, VdHFR. 670 Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen, S. 344. 671 Walter Schlesinger, Ostbewegung, S. 427. 672 Ebd. 673 Ebd., S. 442.

4.3 Das Marburger Herder-Institut und die erneuerte Ostforschung 

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Frage, wonach die Ostforschung erst durch den Kontakt mit dem Nationalsozialismus korrumpiert worden sei. Vielmehr sei die deutschtumszentrierte Ostforschung, so Schlesinger, in ihrer nationalistischen Beschränktheit von Anfang an ein wissenschaftlich fragwürdiges, hochgradig politisiertes Unterfangen gewesen.674 Seine Fundamentalkritik ließ Schlesinger in eine unzweideutige Forderung münden: Ich bin der Meinung, dass wir uns davon lösen sollten, und zwar ganz ehrlich, politische Forderungen und Wünsche der Gegenwart mit historischen Argumenten unterstützen oder gar begründen zu wollen, so wie man es zwischen den Weltkriegen tat, wie es Polen, Tschechen und Sowjetdeutsche immer noch tun und wie es auch bei manchen von uns Deutschen der Bundesrepublik noch immer wenigstens als Möglichkeit erwogen zu werden scheint.675

Bezeichnend scheint der Aufruf zur „Ehrlichkeit“ – mit halbherzigen Lippenbekenntnissen zur politikfreien Forschung könne sich die Zunft, so Schlesingers Botschaft, nicht länger aus der Verantwortung stehlen. Beachtung verdient ferner der Umstand, dass Schlesinger die Forschung in den sozialistischen Staaten nicht länger als Ansporn für wissenschaftlich-politische „Abwehrmaßnahmen“ ins Feld führte, sondern als warnendes Beispiel für die Gefahren politisierter Wissenschaft darstellte. Selbstgerechtigkeit gegenüber der ostmitteleuropäischen Forschung schien ihm dennoch fehl am Platz. Bevor man diese für ihren hohen Politisierungsgrad rüge, müsse man „zunächst vor unserer eigenen Tür […] kehren.“676 Aus dem Wissen um die politische Befangenheit beider Seiten zog Schlesinger zwei Folgerungen für den Blockgrenzen überschreitenden Dialog: Zum einen schien es ihm geraten, aus dem Propagandagetöse der Gegenseite die geschichtswissenschaftlichen Argumente herauszufiltern, zum anderen mahnte er dazu, den Nationalsozialismus als Schlüsselereignis der Beziehungsgeschichte anzuerkennen: „Was in der nationalsozialistischen Zeit unseren östlichen Nachbarvölkern angetan worden ist, sollte niemals vergessen oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden; es bildet den schaurigen Hintergrund auch der heutigen wissenschaftlichen Diskussion.“677 Wolle man die scheinbar unversöhnliche Frontstellung zwischen deutscher und polnischer bzw. sowjetischer Wissenschaft überwinden, so müsse die deutsche Seite das Ihrige dazu tun. Als

674 Angesichts solcher Einseitigkeit äußerte Schlesinger generelle Zweifel, ob „eine volksgeschichtliche Betrachtungsweise heute noch möglich“ sei. Ebd., S. 444. 675 Ebd., S. 456. 676 Ebd., S. 429. 677 Ebd., S. 442.

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erster Schritt dazu erschien ihm die „Distanzierung von der Kulturträgertheorie“, um die er sich selbst „nicht als einziger Deutscher“ bemühe.678 Schlesinger rief die Ostforscher also erstens zur fachlichen Selbstreflexion und zweitens zum Dialog mit den Mittelosteuropäern auf. Wie sehr beides zusammenhing, erwies sich ein Jahr später, als der Forschungsratsvorstand die Möglichkeit erörterte, Wissenschaftler aus dem Ostblock zu Gesprächen nach Marburg zu bitten. Rasch kam man zum Schluss, dass es für Einladungen zu wissenschaftlichen Forschungsratstagungen „im gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu früh“ sei, weil diese Veranstaltungen vorläufig der „Selbstklärung“ dienten.679 Diese kam allerdings auch in den folgenden Jahren nicht recht voran. Bereits die Erwiderungen auf Schlesingers Referat hatten die tiefe Kluft offenbart, die sich zwischen „Revisionisten“ und „Traditionalisten“ geöffnet hatte. Für Letztere hatte der Volkstumsforscher Bruno Schier das Wort ergriffen und gemahnt, man dürfe nicht vergessen, dass die entscheidende Schlacht um die deutsche Ostgrenze noch zu schlagen sei. „Überflüssige und zum unrichtigen Zeitpunkt abgegebene Schuldbekenntnisse deutscher Wissenschaftler“ würden nur der Gegenseite – dem Weltkommunismus – in die Hände spielen. Auch Hermann Aubin warnte vor einem „Scherbengericht“ über die frühere Ostforschung.680 Angesichts solcher Widerstände zerschlugen sich die Hoffnungen von Lemberg und Schle­singer, die Ostforschung von innen heraus auf neue Pfade und aus dem Schatten der Politik herauszuführen. Wenn selbst die Traditionalisten in der Diskussion von 1962 einen gewissen Wandlungsbedarf anerkannten, so begründeten sie dies aus der Notwendigkeit, einer veränderten politischen ‚Großwetterlage‘ gerecht zu werden.681 Akut wurde der Reformdruck schließlich im Zuge der neuen Ostpolitik von Bundeskanzler Brandt. Eine Ostforschung, die sich weiterhin als „Deutschtumsforschung“ verstand, erschien der neuen Bundesregierung in Hinblick auf die geplante Aussöhnung mit der Sowjetunion und Polen als kontraproduktiv und geriet daher massiv unter Beschuss.682 Dass Günter Grundmann seinen Kollegen im Forschungsratvorstand unter diesen Umständen zu „weitgehender Angleichung an eben die Ostpolitik der neuen Regierung“ riet und damit auf Zustimmung stieß, scheint charakteristische für die Haltung

678 Als Beispiel nannte Schlesinger Ludat. Ebd., S. 449; 451. 679 Bericht über die Vorstandssitzung am 19. November 1962, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 680 Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen, S. 347. 681 Hackmann, Anfang, S. 232 f. 682 So sprach sich das AA Ende 1970 dafür aus, die bisher in die Deutschtumsforschung investierten Mittel in Zukunft für die Erarbeitung „sachliche[r] Informationen über die sozialistischen Staaten sowie die Friedens­forschung“ zu investieren. Unger, Objektiv, S. 130.

4.4 Zwischenfazit Ostforschung–Westforschung 

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des Marburger Kreises gegenüber der Politik.683 Dem späten Willen zum Wandel fehlte allerdings zusehends der Inhalt: 1971 musste Breyer eingestehen, dass das Institut kaum noch Forschung betreibe und de facto auf den Status einer Koordinations- und Dokumentationsstelle herabgesunken sei. Als Hauptgrund für diese Entwicklung nannte er den Umstand, dass keine jüngeren Wissenschaftler für das Herder-Institut zu gewinnen seien.684 Unter diesen Umständen konnten die Herder-Einrichtungen schwerlich zum wissenschaftlichen Zugpferd der neuen Ostpolitik werden, zumal das politische Warschau sie konsequent boykottierte. Als einziger Institutsangehöriger war Gotthold Rhode am deutsch-polnischen Historikerdialog im Rahmen der Schulbuchkommission engagiert – und verdeutlichte dabei, wie schwierig das Lavieren zwischen Völkerverständigung und Deutschtumsinteressen blieb. Mit seiner gewiss nicht von nationaler Selbstverleugnung geprägten Dialogbereitschaft gegenüber Polen handelte er sich in den eigenen Reihen vielfachen Widerspruch ein. Als einer der wissenschaftlich profiliertesten Angehörigen des Forschungsrates wurde er doch erst 1984 in knapper Wahl zum Vorsitzenden des Gremiums gewählt.685 Damit trat das Institut den Weg aus der wissenschaftlichen Selbstisolierung an, dessen Ziel es freilich erst im Zuge der Umwälzungen von 1989 erreichte.

4.4 Zwischenfazit Ostforschung–Westforschung Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung bildeten im 20.  Jahrhundert die akademische Begleiterscheinung der politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen. Im Vordergrund stand auf beiden Seiten die Legitimation territorialer Ansprüche mit wissenschaftlichen Argumenten; Aufstieg und Niedergang der zwei Forschungsrichtungen folgten daher eng dem Verlauf der politischen Beziehungen zwischen den beiden Völkern und Ländern. Bereits die nationalen Konflikte des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatten ihren Niederschlag in den Historiographien beider Nationen gefunden, doch sah sich die deutsche Wissenschaft im Glauben an die Stärke der Bismarck’schen Reichsgründung durch die nationalen Aspirationen der Polen damals nicht hinlänglich herausgefordert, um der Angelegenheit systematische Beachtung zukommen zu lassen, und auf polnischer Seite avancierte der West-

683 Bericht über die Vorstandssitzung am 5. Mai 1970, S. 2, DSHI 200, VdHFR. 684 Protokoll der Sitzung des Koordinationsausschusses deutscher Osteuropa-Institute am 12. Februar 1971 im Osteuropa-Institut München, BAK B 106/38928. 685 Gespräch mit Klaus Zernack vom 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee.

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gedanke zwar zum politischen Programm, doch fehlten lange die akademischen Ressourcen, um das Konzept zum wissenschaftlichen Paradigma auszuformen. Beides änderte sich mit der deutschen Kriegsniederlage von 1918, in deren Folge Polen als Staat wiedererstand und Deutschland bedeutende Gebietsabtretungen hinnehmen musste. Vor diesem Hintergrund bildeten sich in beiden Ländern gewichtige Forschungsrichtungen heraus, die in Deutschland um Revision, in Polen um Legitimation der neuen Grenze kämpften und in den Zwanziger- und Dreißigerjahren zunehmenden Einfluss auf die jeweilige Fachöffentlichkeit gewannen. Als Kontrahenten derselben Auseinandersetzung teilten deutsche Ost- und polnische West­forschung zentrale Leitvorstellungen: Beide Forschungsrichtungen waren national selbstzentrierte Paradigmen, die sich auf die Leistungen und Ansprüche des eigenen Volkes konzentrierten und die Gegenseite lediglich als negativen Einflussfaktor der eigenen Nationalgeschichte wahrnahmen. Daraus resultierte auf beiden Seiten eine bewusste und offen eingestandene Einseitigkeit der Forschung, die nicht nur Deutungsmuster und Werturteile bestimmte, sondern ganz maßgeblich auch bereits die Themenwahl präjudizierte. Auf deutscher Seite wurde diese Tendenz noch durch den Umstand akzentuiert, dass die Ostforschung nicht etwa aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Osteuropa, sondern aus der ostdeutschen Landesgeschichte hervorgegangen war. Dem national verengten Tunnelblick wurde in methodischer Breite gehuldigt: Damit suchte man beidseits der Grenze den umfassenden Charakter der eigenen Ansprüche und ihre vielschichtige Berechtigung nachzuweisen. Hüben wie drüben waren die Fächerkanons deshalb weitgehend deckungsgleich und umfassten Geschichte, Archäologie und Prähistorie, Kultur- und Kunstgeschichte, Linguistik, Geographie, Demographie, Anthropologie, Ethnographie und Ökonomie. Der Geschichtswissenschaft kam dabei die Rolle einer Integrationswissenschaft zu, vermochte sie doch entlang einer chronologischen Narrationsachse am ehesten den Zusammenhalt der verschiedenen Ansätze zu sichern und Kohärenz zu stiften. Für ihr Fachverständnis blieb dies nicht folgenlos, denn als Nabe eines multidisziplinären Fächerverbundes sah sie sich zur methodischen Erweiterung über ihre angestammten Fachgrenzen und überkommenen Ansätze herausgefordert. Dabei war unmittelbar einsichtig, dass sich nationale Ansprüche jenseits der eigenen Staatsgrenzen oder gar erst in Antizipation eines eigenen Staatswesens – wie im polnischen Falle vor 1918 und zwischen 1939 und 1945 – mit den Mitteln einer herkömmlichen Politikgeschichte im Sinne des Historismus allein nicht verfechten ließen. So kamen vermehrt siedlungsgeschichtliche und kulturmorphologische Ansätze zur Anwendung, für die Karl Lamprecht in Leipzig sowie die französische Annales-Schule bereits tragfähige methodische Grundlagen gelegt hatten.

4.4 Zwischenfazit Ostforschung–Westforschung 

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In der deutschen Ostforschung avancierten diese Ansätze unter dem Paradigma des deutschen Volks- und Kulturbodens zum grundlegenden methodischen Rüstzeug. Besser als der Begriff der Volksgeschichte verdeutlicht diese Terminologie den zunächst nationalintegrativen, auf der nationalständischen Reichsidee beruhenden Charakter des Volksbegriffs; dieser nahm erst um die Mitte der Dreißigerjahre eine nationalexklusiv-ethnische Bedeutung an. Die polnische Westforschung argumentierte etatistischer als ihre deutsche Gegenspielerin und blieb damit stärker politikgeschichtlich akzentuiert. Ihre Leitvorstellungen verdichteten sich im Paradigma der polnischen Mutterländer, demzufolge die Gebiete an Oder und Weichsel als ethnisch homogenes Siedlungsgebiet der Urslawen die Wiege der polnischen Staatlichkeit gebildet hätten. Als These ließe sich formulieren, dass die Westforschung zunächst auf die argumentative Untermauerung der wiedergewonnenen polnischen Eigenstaatlichkeit in den bestehenden Grenzen zielte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zuge der territorialen Expansion in die Westgebiete, fand eine stärker irredentistisch argumentierende und darin der Volksgeschichte vergleichbare Argumentationsweise unter dem Schlagwort der Slawenkunde breiten Eingang in die polnische (und die sowjetische) Geschichtswissenschaft. Ungeachet solcher Unterschiede sorgte die dialogische Aufeinanderbezogenheit beider Seiten dafür, dass die Argumentationsmuster und Interpretationskategorien des Gegners zum Zwecke der Erwiderung sehr weitgehend aufgegriffen und unter umgekehrten Vorzeichen repliziert wurden, wodurch die methodische Nähe beider Seiten im selben Maße zunahm, wie die Verständigungsbereitschaft zwischen ihnen sank. Bei aller wissenschaftlichen Akribie, die sie im Detail bisweilen an den Tag legten, verbanden Ost- und Westforschung erstaunlich simple Argumentationsmuster. Dazu zählte der Anspruch, ein umstrittenes Gebiet in vorgeschichtlicher Zeit zuerst besiedelt zu haben (ius primae occupationis), sodann die Behauptung, es durch Aufbauleistungen des eigenen Volkes überhaupt erst urbar gemacht und als Kulturlandschaft und Wirtschaftsraum erschlossen zu haben; ferner die Auffassung, es bilde mit dem eigenen Staatsterritorium oder dem Kernsiedlungsgebiet des eigenen Volkes einen geschlossenen Herrschafts-, Siedlungs-, Kultur- und Wirtschaftsraum, dessen Überantwortung an den Nachbarstaat einer Amputation des eigenen Volks- und Staatskörpers gleichkomme, und die daraus abgeleitete Überzeugung, nur im Rahmen der eigenen Staatsgrenzen könne die fragliche Region zu dauerhaftem Frieden, Ordnung und Wohlstand geführt werden. Schließlich pochten beide Seiten auf die Gültigkeit politischer Besitztitel und bezweifelten deren Rechtmäßigkeit für die Gegenseite. In der Summe fällt auf, dass die Geschichtswissenschaft als Leitdisziplin der Ost- und Westforschung ihr fachliches Spezifikum – eine Wissenschaft vom Wandel in der Zeit zu sein – zunehmend vernachlässigte und stattdessen zum

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Nachweis ahistorischer Grundkonstanten schritt, die mit biologistischen Metaphern und völkerpsychologischen Interpretationsmustern bekräftigt wurden. Nachdem Deutschland im Zweiten Weltkrieg zunächst eine gewaltsame Lösung der territorialen Auseinandersetzung mit Polen erzwungen und sich darüber hinaus weite Teile des Nachbarlandes einverleibt hatte, wandelte sich die deutsche Ostforschung kurzfristig zur selbstzufriedenen Legitimationswissenschaft des neugeschaffenen Status quo, die ihren Triumph unter den Bedingungen des Krieges allerdings auf wissenschaftlicher Ebene kaum auskosten konnte und sich stattdessen mit mäßigem Erfolg als praktische Handlangerin der deutschen Neuordnung Osteuropas empfahl. Weit davon entfernt, sich mit diesen schwer erträglichen Gegebenheiten abzufinden, erklärte die polnische Westforschung den Weltkrieg zum abschließenden Entscheidungskampf einer tausendjährigen Auseinandersetzung zwischen Polen und Deutschen und radikalisierte ihre Forderungen zu einem expansiven Programm, das weit über die Grenzen des zwischenkriegszeitlichen Polen hinauszielte und die Oder als Westgrenze eines polnischen Nachkriegsstaates ins Auge fasste. Als diese Vision auf der Potsdamer Konferenz Wirklichkeit wurde, diente sich die polnische Westforschung dem neuen Volkspolen mit gutem Erfolg als wissenschaftliche Verteidigerin der neuen Grenzen an, derweil die deutsche Ostforschung sich zu Beginn der Fünf­ziger­jahre neu organisierte, um einmal mehr die Revision der territorialen Folgen eines verlorenen Krieges zu betreiben. In Anbetracht der tiefgreifenden territorialen Umwälzungen in der Folge des Zweiten Weltkrieges erstaunt nicht an sich die Tatsache, dass die Revision bzw. Legitimation der neuen Grenzen nach 1945 erneut zum Gegenstand breiter wissenschaftlicher Bemühungen wurde. Aufmerksamkeit verdient vielmehr der Umstand, dass polnische Westforschung und deutsche Ostforschung ihre Argumentations- und Deutungsmuster aus der Zwischenkriegszeit zunächst nahezu unbeschadet in gänzlich andere politische Zusammenhänge hinüberretten konnten und dass es ihnen in beiden Ländern gelang, die Beschäftigung mit dem Nachbarland auf lange Jahre weitgehend zu monopolisieren. Zwar litt die Westforschung in Polen vorübergehend unter stalinistischen Repressionen, und in der Bundesrepublik wurde wissenschaftsintern verhaltene Kritik am politischen Erbe der Ostforschung laut. Dennoch konnten beide Paradigmen sich mit geringfügigen Konzessionen behaupten: Die Abkehr der deutschen Ostforschung vom völkischen Vokabular früherer Jahre und die Anpassung der polnischen Westforschung an sozialistische Argumentationsschablonen trugen oberflächlichen Charakter. Das erstaunliche Beharrungsvermögen der beiden Richtungen erklärt sich zum einen aus den außen- und erinnerungspolitischen Funktionen, die sie im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang beider Länder erfüllten, zum anderen wissenschaftsimmanent aus weitgehenden personellen Kontinuitäten. Diese

4.4 Zwischenfazit Ostforschung–Westforschung 

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führten dazu, dass Forschungsansätze, in welche die betroffenen Wissenschaftler in den Vorkriegsjahren investiert hatten, weiterhin gepflegt wurden und dass Werke, die wegen des Krieges nicht hatten erscheinen können, nun nachträglich veröffentlicht wurden. Verstärkend kam in der Bundesrepublik hinzu, dass der Ostforschung bald der wissenschaftliche Nachwuchs ausging – sie also gezwungenermaßen auf „bewährte Fachkräfte“ angewiesen blieb. In den Bereich dieser innerwissenschaftlichen Kontinuitäten gehört auch die hartnäckige Dominanz der Geschichtswissenschaft, die den seit Ende der Fünfzigerjahre gehäuft auftretenden politischen Forderungen nach gegenwartsbezogener Forschung in beiden Ländern lange widerstand. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Krieg entwickelte sich die Relevanz der deutschen Ost- und der polnischen Westforschung für das jeweilige nationale Selbstverständnis allerdings auseinander: In Polen entsprach der fortgesetzt hohe Stellenwert der Westforschung der tragenden Bedeutung der neuen Westgebiete für den restituierten Nachkriegsstaat. In Deutschland litt die Ostforschung indessen in dem Maße an Bedeutungsverlust, wie die Bundesrepublik sich zum wirtschaftlich prosperierenden und politisch stabilen Staat entwickelte, dem die verlorenen Ostgebiete zunehmend entbehrlich wurden. Ein weitgehender Verlust ihrer raison d’être ereilte die beiden Kontrahenten, als die deutschpolnische Normalisierung zu Beginn der Siebzigerjahre eine Grenzrevision faktisch von der politischen Agenda verschwinden ließ; zu ihrem definitiven Ende gelangte diese Entwicklung mit der endgültigen völkerrechtlichen Bestätigung der Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze des wiedervereinigten Deutschland 1990. Im Zuge dieser Entwicklung gingen die personellen und institutionellen Ressourcen der deutschen Ost- und der polnischen Westforschung unter Verdünnung ihres Gedankengutes in der breiteren Fachöffentlichkeit auf, wo sie in Restbeständen freilich weiterhin zur Verfügung standen und stehen, um sporadische Verstimmungen zwischen den beiden Nachbarstaaten mit wissenschaftlichen Begleitscharmützeln zu unterlegen. Bei allen Parallelen und Ähnlichkeiten darf schließlich ein grundlegender Unterschied nicht übersehen werden: In beiden Staaten operierten die Wissenschaftler nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz unterschiedlichen Freiheitsgramodalitäten der deutschen Ostforschung den. Auch wenn die Finanzierungs­ ähnlich wie im Falle der polnischen Westforschung ein gewisses Auftragsverhältnis gegenüber den staatlichen Ministerien implizierten, bewegte sie sich doch in einem wissenschaftlichen Umfeld, das grundsätzlich alle Freiheiten eines demokratischen Verfassungsstaats bot und damit jederzeit die Möglichkeit zum Dissens, zur eigenständigen wissenschaftlichen und politischen Meinungsäußerung offenhielt. In Polen war dagegen nicht nur die Westforschung, sondern die Wissenschaft im Ganzen den Maßgaben einer autoritären Einparteienregierung

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ausgesetzt, deren ideologische Leitvorstellungen explizit auch die Wissenschaft erfassten. Zusätzlich gespreizt wurde diese Differenz der Freiheitsgrade noch durch den ungleichen Stellenwert, den die deutsch-polnischen Beziehungen in der Bundesrepublik und in Polen besetzten: Die deutschland- und außenpolitischen Interessen der BRD richteten sich nur sporadisch, in der zweiten Hälfte der Fünfziger- und erneut zu Beginn der Siebzigerjahre, auf Polen und blieben ansonsten stärker auf die Sowjetunion fokussiert, wodurch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Polen zumeist im Windschatten der politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit verharrte. Dagegen standen Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen und der ‚Wiedergewonnenen Gebiete‘ in der Volksrepublik Polen dauerhaft im Interessenfokus von Staat und Partei. Der Oder-Neiße-Grenze wurde hier existentielle Bedeutung beigemessen, und ihre Verteidigung im Schulterschluss mit der Sowjetunion bildete den Eckstein einer Legitimationsstrategie, die das kommunistische Regime der Bevölkerung als einzigen Garanten des polnischen Nachkriegsstaates empfehlen sollte. Unter diesen Umständen verteidigte die Partei eifersüchtig ihren interpretatorischen Führungsanspruch in der Deutschlandfrage und zeigte sich immer wieder bemüht, ihre diesbezügliche Meistererzählung auch in der Wissenschaft durchzusetzen.686 Wie es den polnischen Wissenschaftlern unter diesen Umständen dennoch gelang, ähnlich differenzierte Sichtweisen auf die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte zu entwickeln wie ihre bundesdeutschen Kollegen, und wie sie dabei ihre Fachgenossen im sozialistischen deutschen Bruderstaat hinter sich ließen, ist Gegenstand der folgenden Kapitel.

686 S. dazu auch Kap. 6.

5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR 5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft „Ich kann mir ohne weiteres ein nationalistisches Deutschland im kommunistischen Mäntelchen vorstellen.“1 (Zygmunt Wojciechowski, 1947)

Von 1956 bis 1990 unterhielten die Deutsche Demokratische Republik und die Volksrepublik Polen eine zwischenstaatliche Historikerkommission, deren Aufgabe in der Verständigung über die gemeinsame Vergangenheit von Deutschen und Polen bestand.2 Angesichts des zurückliegenden Krieges galt ihre Arbeit einem überaus diffizilen Gegenstand;3 im Rahmen oktroyierter staatssozialistischer Systeme fand sie zudem unter ungünstigen Bedingungen statt. Bedacht mit dem Auftrag zur positiven Traditionsstiftung, hatte die Kommission ein weites Spannungsfeld zwischen

1 Zjazd niemcoznawczy, S. 122. 2 Dieses Kapitel erschien erstmals als Stefan Guth, Erzwungene Verständigung. Die Kommission der Historiker der DDR und der Volksrepublik Polen 1956–1990, in: VfZG 57/4 (2009), S. 497–542. Zeitschriftenherausgebern und Verlag danke ich für die Genehmigung zum Wiederabdruck. Die Forschung zur ostdeutsch-polnischen Historikerkommission und zu den deutsch-polnischen Historikerkontakten im Allgemeinen präsentiert sich bisher überschaubar. Eine erste knappe Übersicht lieferte Rautenberg, Historikerkommission; die bisher einzige umfangreiche Studie zu den bilateralen Historikerkommissionen der DDR erschien 1987 noch ohne Einsicht in Archivquellen. Stelzig, Geschichtsbild. Loose, Sprachlosigkeit, beleuchtet vor allem die Arbeitsbeziehungen der Berliner Humboldt-Universität zu polnischen Wissenschaftlern. Zwei gute Übersichtsbeiträge zur Entwicklung der Osteuropahistoriographie in der DDR, die am Rande auch die Beziehungen zu Polen streifen, bieten Behrendt, Osteuropahistoriographie in der DDR, und Fischer, Forschung. Dagegen beschränkt sich Küttler, Bemerkungen, auf die ostdeutsche Geschichtsschreibung zu Russland bzw. der Sowjet­union. Nützlich hingegen immer noch der Doppelband zur Osteuropahistoriographie der DDR von Hellmann (Hg.), Osteuropa. 3 Auch die Repräsentanten der Kommission suchten dies nicht zu verschleiern – so sollte etwa ein Dokumen­ten­band über die deutsch-polnischen Beziehungen mit den Worten eingeleitet werden: „Es gab 1945 kaum zwei andere Völker, deren Beziehungen durch die Schuld der herrschenden Klassen Deutschlands so belastet waren wie das polnische und das deutsche Volk.“ Entwurf einer Einleitung für den Dokumentenband [über die Bezie­hungen zwischen der VR Polen und der DDR von 1949–1976], o. J. [1974?], Archiv der Berlin-Brandenburgi­schen Akademie der Wissenschaften [im Weiteren: ABBAW] ZIG 710/2.

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alter „Erbfeindschaft“4 und neuer Völkerfreundschaft, verurteiltem Nationalismus und angestrebtem Sozialismus zu überbrücken – ein Spannungs­feld, das etliche der beteiligten Historiker auch in ihrer persönlichen Biographie verkörperten, sofern ihre wissenschaftliche Tätigkeit in die Zwischenkriegszeit zurückreichte.5 Für eine gründliche und mithin langwierige historiographische Aufarbeitung blieb indes kaum Zeit; die politische Agenda verlangte, dass die Vergangenheits­bewältigung nach den Regeln eines rigiden ideologischen Schematismus im Eiltempo erfolgte. Hinzu kam, dass die ostdeutsch-volkspolnische Historiker­verständigung durch die fortgesetzte historiographische Ausein­andersetzung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen nachhaltig konterkariert wurde.6 Folgt man der Selbstdarstellung der Kommission, so gingen diese Zusammenhänge freilich eine einfache Verbindung ein: Demnach hatte der Nationalismus der Zwischenkriegszeit die deutsch-polnische Verständigung hintertrieben (und hintertrieb sie in Westdeutschland noch immer), wohingegen der Sozialismus der Nachkriegsjahre eine Versöhnung ermöglichte, indem er nationale Gegensätze in internationaler Klassensolidarität aufhob.7 Die Innen­perspektive, wie sie aus den Quellen hervortritt,8 offenbart freilich, dass unter der Kruste verordneter Freundschaft erhebliche Gegensätze fortbestanden.9

4 Symptomatisch: Wojciechowski, Dziesięć wieków. Erstmals tritt die Denkfigur einer deutschslawischen Erb­feindschaft wohl bei František Palácky auf. Aubin, Die Deutschen, hier S. 521. 5 Dies gilt v. a. für die polnische Seite, wo eine weitaus größere Kontinuität der akademischen Fachelite be­stand als in der DDR. In Deutschland fanden sich die in der Zwischenkriegszeit mit Osteuropa befassten Historiker nach 1945 größtenteils in der BRD zusammen. In der DDR wurden auf dem Feld der Osteuropa-Historiographie dagegen nur vergleichsweise wenige Karrieren aus der Vorkriegszeit fortgesetzt (Wilhelm Unverzagt, Eduard Winter); mehrheitlich wurde das Fach mit neuen Köpfen aufgebaut (Felix-Heinrich Gentzen, Johannes Kalisch, Reinhold Jeske, Heinz Lemke, Eva Seeber). 6 So taten sich die polnischen Historiker oft schwer damit, sich – wie es Henryk Olszewski formulierte – nach der Gründung der DDR „vo[m] bisherigen integrale[n] Verständnis der deutschen Frage“ abzuwenden und ein „gutes“ von einem „schlechten“ Deutschland zu unterscheiden. Olszewski, Instytut Zachodni, hier S. 20. 7 Siehe etwa Helmut Bleiber, Vorwort, in: DDR-Sektion der Kommission der Historiker der DDR und der Volksrepublik Polen (Hg.), 30 Jahre Kommission der Historiker der DDR und der Volksrepublik Polen. Eine Chronik, Berlin 1986. 8 Zur Tätigkeit der Kommission sind heute umfangreiche Archivbestände einsehbar, die sich im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, im Bundesarchiv Berlin, dem Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk, dem Archiwum Akt Nowych und dem Archiv des polnischen Außenministeriums in Warschau konzentrieren und die gesamte Tätigkeitsspanne der Kommission abdecken. Die veröffentlichten Erträge der Kommissionsarbeit liefern dagegen nur sehr begrenzte Einsichten, wie Stelzig, Geschichtsbild, zeigt. 9 Hier ist Stelzig zu widersprechen, der – ohne Zugang zu den Akten der Kommission – davon ausgegangen war, dass Diskussionen „im eigentlichen Sinn“ kaum stattgefunden hätten, „da

5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft 

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Im Folgenden soll deshalb dargestellt werden, wie die deutsch-polnische Beziehungs­geschichte im volksdemokratischen Kontext fortgeschrieben wurde. Dabei wird zu zeigen sein, dass dem historiographischen Paradigmenwechsel weg von nationalen Gegensätzen und hin zu sozialstratifikatorisch begründeten Solidaritäten zweifelhafter Erfolg beschieden war. Die Altlasten der gemeinsamen Vergangenheit ließen sich nicht dauerhaft aus dem deutsch-polnischen Diskurs verbannen; wir werden sehen, dass sie die Kommission immer wieder beschäftigten und entlang der nationalen Scheidelinie polarisierten. In mehr oder minder scharfer Abweichung vom nationalen Agnostizismus der historisch-materialistischen Meistererzählung entwickelten deutsche und polnische Historiker im Lauf der Jahre grundlegend verschiedene Erklärungsansätze der gemeinsamen Vergangenheit und erschlossen sich dabei auch ganz unterschiedliche Interpretations­spielräume. In diesem Sinne soll das folgende Kapitel nicht nur einen weiteren, bisher kaum erforschten Strang der deutsch-polnischen Beziehungs­historiographie in der Nachkriegszeit beleuchten,10 sondern gleichzeitig auch eine vergleichende Perspek­tive auf die bisher sehr DDR-zentrisch behandelte Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen „gebundener Geschichtswissenschaft“ im Sozialismus ermöglichen.11

kontroverse Standpunkte höchst selten […] aufeinanderstießen.“ Ebd., S.  245. Hingegen war Rautenberg, Historikerkommission, hier S.  114, schon zu Beginn der 1970er Jahre aufgefallen, dass „auf den gemeinsamen Tagungen deutsche und polnische Wissenschaftler durchaus geteilte Auffassungen vertreten.“ 10 Vergleichende Darstellungen, die beide Seiten einbeziehen, liegen bisher nur zu Einzelaspekten vor und tragen eher präliminarischen Charakter. Stelzig, Geschichtsbild; nur am Rande zum Verhältnis von DDR- und VRP-Historiographie: Behrendt, Osteuropahistoriographie in der DDR; Christoph Kleßmann, DDR-Historiker und „imperialistische Ostforschung“. Ein Kapitel deutsch-deutscher Wissenschaftsgeschichte im Kalten Krieg, in: Deutschland Archiv 35 (2002), S. 13–31; Stefan Creuzberger/Jutta Unser, Osteuropaforschung als politisches Argument im Kalten Krieg. Die Abteilung für Geschichte der imperialistischen Ostforschung als politisches Instrument im Kalten Krieg (1960–1968), in: Osteuropa 48 (1998), S. 849–867. 11 Górnys vergleichende Studie zur polnischen, ostdeutschen und tschechischen Geschichtswissenschaft im Sozialismus ist jüngst auch in deutscher Übersetzung erschienen, beschränkt sich allerdings auf die Jahre 1945–1960. Górny, Wahrheit. S. auch Frank Hadler/Georg G. Iggers, Überlegungen zum Vergleich der DDR-Geschichtswissenschaft mit den „gespaltenen“ Historiographien Ostmitteleuropas nach 1945, in: Georg G. Iggers/Konrad Jarausch (Hg.), Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsproblem, München 1998, S. 433–444.

310  5.1.1

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Voraussetzungen und Anfänge

Im Schatten der wiederbelebten Konfrontation zwischen polnischer Westforschung und bundesdeutscher Ostforschung nahm sich die historiographische Annäherung zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen zunächst bescheiden aus. Betrieben wurde sie von verein­zelten Historikern, die beidseits der Grenze als Vorreiter einer „progressiven“ Geschichts­auffassung auftraten und im diskursiven Prokrustesbett des Historischen Materialismus der sozialistischen Völkerverständigung das Wort redeten. So verurteilten ostdeutsche Geschichtsforscher wie Felix-Heinrich Gentzen in polnischen Fachzeitschriften die antipol­ nische Stoßrichtung der nichtsozialistischen deutschen Historiographie,12 und 1950 propagierten polnische Historiker in Breslau unter politischem Druck einen Neubewertung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte auf sozialistischer Basis. Man habe nun, so Ewa Maleczyńska, „eine gemeinsame Sprache […] mit der fortschrittlichen deutschen Wissen­schaft“ gefunden.13 Drei Jahre später schlug ein ranghoher polnischer Wissenschafts­funktionär die Bildung einer gemeinsamen Historiker­kommission vor.14 Im Oktober 1954 kam es zu einer ersten über Einzelkontakte hinausgehenden Begegnung, als ostdeutsche Historiker auf Einladung der Polnischen Akademie der Wissenschaften an einer Tagung zum 500.  Jahrestag der Rückkehr Pommerns nach Polen teilnahmen.15 Bereits aus der Themenstellung des Anlasses wird ersichtlich, dass das polnische Interesse an bilateralen Kontakten sich zunächst darauf beschränkte, ostdeutsche Historiker für die Legitimierung des Status quo post 1945 einzuspannen. Pflichtschuldig betonte Gentzen denn auch den „urpolnischen Charakter“ Pommerns.16 Im Anschluss an die Tagung erörterten deutsche und polnische Histori-

12 So etwa Gentzen, Ostforschung. Den breiteren gesellschaftlichen Rahmen für die deutschpolnische Verständigung sollte die 1948 in Berlin gegründete Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft für deutsch-polnische Freundschaft bilden, die ihre Tätigkeit in der DDR allerdings bereits 1953 wieder einstellte, nachdem sie in der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland aufgegangen war. Stelzig, Geschichtsbild, S. 238 f. 13 Die Protokolle dieser Konferenz wurden 1963 im Auftrag des HFR nahezu ungekürzt in deutscher Über­setzung herausgegeben: Ludat (Hg.), Polen und Deutschland, Zitat S. 52. 14 Es handelte sich um Bronisław Krauze vom Institut für wissenschaftliche Kaderausbildung beim ZK der PVAP. Bei derselben Gelegenheit schlug Krauze auch eine vertiefte Zusammen­arbeit zwischen seinem Institut und dem Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED vor. Karl Obermann, Bericht über Besprechungen mit polnischen Historikern in Warszawa, Krakow und Wroclaw, 21. 12. 1953, Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin (im Folgenden AHUB), Philosophische Fakultät nach 1945, 76. 15 Stelzig, Geschichtsbild, S. 239. 16 So die Polnische Presseagentur PAP und die Parteizeitung Trybuna Ludu vom 25. 10. 1954. Die Rückendeckung ostdeutscher Historiker für polnische Territorialinteressen wurde in der BRD

5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft 

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ker mögliche Gemeinschaftsprojekte,17 die im Juli 1955 in den Politbüro­beschluss „Über die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ eingingen. Erforscht werden sollten demnach „die Freundschaft zwischen den deutschen Demokraten und den polnischen Revolutionären Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts [sowie der] gemeinsame Kampf der deutschen und polnischen Arbeiterklasse vor dem ersten Weltkrieg und in der Zeit der Weimarer Republik gegen die Kriegs- und nationale Unterdrückungspolitik der deutschen und polnischen Imperialisten und Monopolisten“. Dabei gelte es den Fälschungen der „Ost­forschung“ entgegenzutreten.18 Der geplanten Zusammenarbeit stand allerdings die grundsätzliche Deutschland-Skepsis vieler polnischer Historiker entgegen – institutionell verkörpert im Posener Westinstitut, dessen pauschal antideutsche Positionen durch die Existenz eines sozialistischen deutschen Staates bisher keine nennenswerte Erschütterung erfahren hatten.19 Im Mai 1956 statteten Felix-Heinrich Gentzen und Gerhard Schilfert dem Institut deshalb einen Besuch ab20 und rangen den Verantwortlichen die Zusage ab, zukünftig „Polens Bevölkerung die ungeheure Bedeutung der Entstehung der DDR aufzeigen“ zu wollen.21 Erstmals scheinen bei dieser Gelegenheit die ostdeutschen Beweggründe für die bilaterale Zusammenarbeit auf, die darauf abzielten, von den Polen die moralische Anerkennung einer positiven, von der DDR fortgeführten Tradition der deutschen Geschichte zu erlangen. Damit war der Boden für die Gründung der Kommission der Historiker der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen (kurz Deutsch-Polnische Historiker­kommission – DPHK) bereitet, die am 7. Mai 1956 in Warschau erfolgte und der auch ein Vertreter des Posener Westinstituts (Gerard

misstrauisch verfolgt. S. Presse und Informationsdienst der Bundesregierung, Polnische Wissenschaft über Pommern, Bonn, Nr. 179/54 vom 18. 11. 1954, BAK B 106/1161. 17 Am dazu anberaumten Treffen nahmen im März 1955 von deutscher Seite Gerhart Schilfert, K. Obermann und Felix Heinrich Gentzen teil, von polnischer Seite Bronisław Krauze, Ewa Maleczyńska, Kazimierz Popiołek, Henryk Zieliński, Władysław Długoborski und Bogusław Leśnodorski. Stelzig, Geschichtsbild, S. 239 f. 18 Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik [Beschluß des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands], in: ZfG 3 (1955), S. 507–527, hier S. 518. 19 Lediglich pro forma hatte der Institutsdirektor Zygmunt Wojciechowski 1949 die Notwendigkeit anerkannt, zwischen der BRD und der DDR zu unterscheiden. Wojciechowski, Distinguendum est. 20 Stelzig, Geschichtsbild, S. 241. Dazu auch Przegląd Zachodni 12 (1956), S. 431. 21 PZ 12 (1956), S.  225–228. Zitiert nach Rudolf Neumann, Polens Westarbeit. Die polnischen Kultur- und Bildungseinrichtungen in den deutschen Ostgebieten, Bremen 1966, S. 41.

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Labuda) beiwohnte.22 Aufgabe der Kommission sollte es sein, „die freundschaftlichen Beziehungen der Völker beider Länder“ zu fördern.23 Zu diesem Zweck verständigte man sich darauf, zunächst eine wechselseitige Harmonisierung der Schulbücher herbeizuführen,24 um dann in einem zweiten Schritt auch die wissenschaftliche Forschung zu Themen von beiderseitigem Interesse gemeinsam anzugehen.25 Mit solchen Zielsetzungen fügte sich die DPHK scheinbar nahtlos in den inter­nationalen Kontext ähnlicher Kommissionen, die es sich nach den beiden Weltkriegen zur Aufgabe gemacht hatten, die nationale Engführung der Geschichtsschreibung im Interesse der Völker­verständigung zu überwinden.26 Angesichts solcher Vorbilder glaubte man sich auch verpflichtet, die Entstehung der Kommission akademisch-zivilgesellschaftlicher Initiative zuzuschreiben – „persönliche Kontakte“, so Helmut Bleiber rückblickend, hätten die „wesent­ liche[n] Voraussetzungen“ zur Gründung einer bilateralen Historikerkommission geschaffen.27 Hier sind Zweifel angebracht: Im Gegensatz zu den westeuropäischen Historiker­kommissionen, die in der Regel auf die Initiative Einzelner zurückgingen und erst allmählich von der UNESCO koordiniert wurden,28 lassen die Mitte der Fünfzigerjahre in schneller Folge gegründeten Historikerkommissionen im sowjetischen Einflussbereich eine aus Moskau gesteuerte Initiative zur Vernetzung der National­historiographien im sowjetischen Einfluss­bereich ver-

22 Formale Grundlage der Kommissionsgründung war der Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 14. 5. 1955. Stelzig, Geschichtsbild, S. 241 f. 23 Heinrich Scheel, Gründungstagung der deutsch-polnischen Historikerkommission, in: ZfG 4 (1956), S. 805 f., hier S. 806. 24 Schlussprotokoll der 1.  Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission [7.–11. 3. 1956 in Warschau], 11. 3. 1956, ABBAW, ZIG 555. Dieser Anspruch wurde allerdings nie umfassend verwirklicht – s. u., Kap. 5.3.2. 25 Geplant wurden vor allem gemeinschaftliche Darstellungen und Quellensammlungen zu beziehungs­geschichtlichen Fragen, u. a. zur deutsch-polnischen Freundschaft, zur Novemberrevolution, zur Zeit der sächsischen Könige in Polen, zum Ostmarkenverein und zu den „monopolistischen Verbindungen in der schlesischen Industrie“. Ebd. 26 In der Forschung hat die Tätigkeit dieser Kommissionen bisher erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefun­den. Einen ersten Gesamtüberblick bieten Cattaruzza/Zala, History. 27 Bleiber, Vorwort, S. 1. Diese Selbstdarstellung entspricht der von Sabrow konsta­tierten Neigung der DDR-Historiographie, sich nach außen zur „Normalwissenschaft“ zu stilisieren. Martin Sabrow, Die DDR-Geschichtswissenschaft als „Meta-Erzählung“, in: Ders. (Hg.), Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, Leipzig 1997, S. 19–34, hier S. 23; Ders., Beherrschte Normalwissenschaft. Überlegungen zum Charakter der DDR-Historiographie, in: GG 24 (1998), S. 412–445. 28 Cattaruzza/Zala, History.

5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft 

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muten.29 Dabei stand anfänglich wohl nicht so sehr die Gleichschaltung der frag­ lichen Historiographien im Vordergrund, sondern im Gegenteil die kontrollierte Entfesselung lange aufgeschobener Diskussionen über beziehungs­geschichtliche Streitfragen, die die sozialistische Eintracht unter der Oberfläche des offiziellen Freundschaftsdiskurses empfind­lich störten.30 Im Anschluss an die poststalinistischen Unruhen in Polen und Ungarn wuchs indes schon bald wieder die Furcht vor den unberechenbaren Folgen einer wissenschaftlichen Liberalisierung;31 nun wurden die Kommissionen unter zunehmender sowjetischer Beteiligung linientreu ausgerichtet.32 Im Zusammenhang damit gewann auch das ursprüng­liche Aussöhnungsanliegen eine seltsam changierende Modalität: Bisweilen wurden Verständigung und Aussöhnung – wie in den westlichen Kommissionen – als erstrebtes Ziel betrachtet und entsprechender Diskussionsbedarf vage anerkannt, bisweilen wurden sie unter Verweis auf die erleichternde Wirkung internationa-

29 Die Gründung der deutsch-tschechischen Kommission erfolgte 1955, jene der deutsch-ungarischen 1961. Die polnischen Historiker unterhielten ihrerseits bilaterale Kontakte in mehrere Nachbarstaaten. Ein zentraler „Gründungsbefehl“ aus Moskau lässt sich in den deutschen Akten freilich nicht dingfest machen, ebenso wenig wie eine damit einhergehende verbindliche Aufgabenstellung. Auch Stelzig bleibt den Beleg für seine Aussage schuldig, die DPHK sei im Zuge einer „von der UdSSR gewünschten Annäherung zwischen Polen und der DDR“ erfolgt. Stelzig, Geschichtsbild, S. 242. 30 Dafür spricht der Gründungszeitpunkt im Umfeld des Tauwetters mit seiner gelockerten Diskussionskultur, die den Historikern anfänglich auch aktiv signalisiert wurde. Nur einen Monat nach Chruščevs Kritik an Stalin auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 rief ein ungezeichneter Grundsatzartikel in Voprosy Istorii die sowjetischen Historiker zu quellennaher und faktengetreuer Arbeit auf und ermunterte sie, nicht erst auf „Anweisungen“ und „Direktivartikel“ zu warten. Georg G. Iggers/Wilhelm Schulz, Geschichtswissenschaft, in: Klaus D. Kernig (Hg.), Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, 6 Bde., Bd. 2, Freiburg/Basel/Wien 1968, S. 914–959, hier S. 935. Siehe auch Sabrow, Diktat, S. 75. 31 Zum Ausdruck kam dies in einem Beschluss des ZK vom März 1957, der scharfe administrative Maßnahmen gegen die Redaktion der Voprosy Istorii nach sich zog. Iggers/Schulz, Geschichtswissenschaft, S. 935. Dennoch konnte die sowjetische Geschichtswissenschaft nicht mehr unter die stalinistische Disziplin von ehedem gezwungen werden, sondern legte fortan eine gewisse Differenzierung an den Tag, in deren Rahmen bisweilen auch kritische Stimmen erklangen. Behrendt weist darauf hin, dass in der DDR fortan unter Berufung auf die Sowjetwissenschaft „mitunter auch Dinge ausgesprochen werden [konnten], die im Widerspruch oder abweichend zur Parteimeinung standen“. Behrendt, Osteuropahistoriographie in der DDR, S. 191. 32 Bezeichnend dafür scheint, dass das zunächt dezentrale Beziehungsnetz durch die Gründung bilateraler Kommissionen mit sowjetischer Beteiligung nun einen Knotenpunkt in Moskau erhielt. Symptomatisch war in diesem Zusammenhang 1957 die Gründung der ostdeutsch-sowjetischen Kommission, die sich auf ihrer konstituierenden Sitzung demonstrativ zur Orthodoxie bekannte. Stelzig, Geschichtsbild, S.  83; Sabrow, Diktat, S.  80. Mit einiger Verspätung folgten bilaterale sowjetische Kommissionen mit Ungarn (1968) und Polen (1971).

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ler Klassensolidarität als bereits gegebene Voraussetzung der Kommissionsarbeit angenommen, die nur noch entsprechend zu zelebrie­ren war – wobei letztere Option insbesondere das öffentliche Auftreten der Kommissionen prägte. Im Zeichen dieser verordneten Eintracht dienten die bilateralen Historiker­kommis­ sionen denn auch der Selbstdarstellung des sozialistischen Lagers nicht nur vor den eigenen Bürgern, sondern auch über die Blockgrenzen hinweg.33 Es war in diesem Zusammenhang wohl kein Zufall, dass die Gründung der ostdeutsch-polnischen Kommission just zu jenem Zeitpunkt erfolgte, als auch die bundesdeutschen Historiker erste Kontakte zu polnischen Kollegen knüpften. Werner Markert hatte 1956 in Tübingen erstmals seit Kriegsende bundesdeutsche und exilpolnische Historiker zum Gespräch über die gemeinsame Beziehungsgeschichte zusammengebracht, während Enno Meyer im selben Jahr ein vielbeachtetes Thesenpapier zu diesem Gegenstand vorlegte und damit auch bei volkspolnischen Historikern auf lebhafte Resonanz stieß.34 Nach sozialis­ tischem Verständnis konnte es nicht angehen, dass eine historiographische Verständigung zwischen polnischen und westdeutschen Historikern – Letztere aus DDR-Perspektive uneinsichtige Erben der Ostforscher – eher gelang als zwischen zwei sozialistischen ‚Bruder­historiographien‘. Es mochte daher aus ostdeutscher Perspektive beruhigen, dass diese Annäherung aus blockpolitischen Gründen zunächst ohne Folgen blieb.

5.1.2 Gegensätzliche Partner Freilich ließ sich auch die Verständigung zwischen DDR und Volksrepublik Polen mühevoll an. In der Beurteilung der Meyer’schen Thesen war man sich uneins – die ostdeutschen Histo­riker lehnten sie rundweg ab, während auf polnischer Seite nicht nur Exilhistoriker, sondern auch einige volkspolnische Fachvertreter Interesse zeigten und sich in der Folge zu weiteren Gesprächen bereiterklärten.35 Schwerer wog indes, dass auch zwischen Ostdeutschen und Volkspolen in der Schulbuchfrage keine Annäherung herbeigeführt werden konnte. Zwar hatte die

33 In diesen Deutungsrahmen passt auch das sowjetische Bestreben, Kontakte zu den Historikern westlicher Staaten – allen voran Italiens und Frankreichs – aufzunehmen. 34 Zu den Reaktionen auf seine Thesen Meyer, Schulbuchgespräche, hier S. 37. Zum deutschpolnischen Historikertreffen in Tübingen u. a. Krzysztof Ruchniewicz, Zögernde Annäherung. Der Beginn des wissenschaftlichen Dialogs zwischen polnischen und deutschen Historikern in der Nachkriegszeit, in: Jahrbuch des deutschen Polen-Instituts Darmstadt 11 (2000), S. 23–54, hier S. 26–41, sowie Stobiecki, Klio, S. 139–145. 35 S. u., Kap. 6.3.1.

5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft 

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zweite Sitzung der DPHK im November 1956 diese Frage zum zentralen Gegen­ stand, doch blieb eine Einigung in weiter Ferne. Das Protokoll musste sich schließlich damit begnügen, unüberwindbare Gegensätze notdürftig zu kaschieren: Die Aussprache über die Lehrbucharbeiten in der DDR und in der Volksrepublik Polen ergab völlige Übereinstimmung in dem wichtigen Punkt, eine Unifizierung der Auffassungen abzulehnen. Nicht immer war das, was für das deutsche Volk fortschrittlich war, ebenso fortschrittlich für das polnische Volk. Die Einheitlichkeit der Auffassung darf nicht darin bestehen, zu einer gleichmäßigen Behandlung gemeinsamer Probleme in beiden Ländern in beiden Lehrbüchern kommen zu wollen; die Einheit­lichkeit der Auffassung, die in gemeinsamen Besprechungen herauszuarbeiten ist, muss vielmehr so aussehen, dass Einigkeit darüber besteht, welche Seite des bestimmten Problems von der deutschen Geschichtsschreibung, welche Seite von der polnischen betont werden wird.36

Vorderhand konnte man sich also lediglich darauf einigen, dass man sich uneins war; die nationalen Narrative beider Seiten standen sich bis auf weiteres unversöhnlich gegenüber. Zwischen zwei ungelenkten Historiographien könnten solche Differenzen angesichts einer bis aufs Äußerste belasteten Beziehungsgeschichte kaum erstaunen. Wie aber lässt sich der zutage tretende Gegensatz unter den Prämissen einer vorgeblich von beiden Seiten geteilten sozialistischen Geschichtsdeutung verstehen? Hier wird ein Blick auf die Entwicklung der beiden Nachkriegshistoriographien nötig. Zunächst durchliefen ostdeutsche und polnische Geschichtswissenschaft nach 1945 eine vergleichbare Entwicklung: Auf eine Phase der Duldung bürgerlicher Historiker,37 bedingt durch das Werben der neuen Machthaber um gesellschaftliche Zustimmung und den Mangel an marxistischen Historikern, folgte im Zeichen der Machtkonsolidierung vor Ort und spätstalinistischer Vorgaben aus Moskau ab 1948 eine Phase verschärfter Kontrolle und forcierter Umgestaltung. Zur Bewertungs­ richtlinie der Nationalgeschichte wurde dabei ein historiosophisches Schema erhoben, das sämtliche historischen Erfolge den fortschrittlichen Volksmassen zuschrieb, alle Misserfolge hingegen der egoistischen Politik der besitzenden Klassen anlastete.38 Die National­geschichte zerfiel dadurch in zwei antagonistische Stränge, die mit den Prädikaten „progressiv“ und „reaktionär“ versehen wurden. Im Verhältnis zwischen den Staaten und Völkern sollten nationale Gegensätze der internationalen Klassensolidarität

36 Ergänzungsbericht zum Schlussprotokoll der 1. Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission, 5. 11. 1956, ABBAW ZIG 555. 37 Zu Polen Grabski, Zarys, S. 199–204; zur DDR Sabrow, Diktat. 38 Grabski, Zarys, S. 211 f.

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

weichen, was der linientreue polnische Historiker Bogusław Leśnodorski ausdrücklich auch für das deutsch-polnische Verhältnis bekräftigte: Im hellen Licht der durch die Quellen bezeugten Wahrheit muss die Verbundenheit zwischen der polnischen und […] der deutschen revolutionären Arbeiterbewegung dargelegt werden. Die diese Epoche behandelnden Forscher müssen […] die gegen das Volk gerichtete, antinationale Haltung der Bourgeoisie, der Großgrundbesitzer und ihrer politischen Repräsentanten klar herausstellen.39

Nicht entlang nationaler, sondern entlang sozialer Scheidelinien gelte es also zu differenzieren. Zum Zeitpunkt der Kommissionsgründung waren beide Partner dieser Sichtweise allerdings in ganz unterschiedlichem Maße verpflichtet, denn im post­stalinistischen Tauwetter liefen die Entwicklungen in den zwei Ländern seit 1956 rasch auseinander. In Polen wurde die neue Bewegungs­freiheit unverzüglich genutzt. In der Historikerschaft begann die Abrechnung mit der stalinistischen Orthodoxie 1956 und erreichte ihren Höhe­punkt zwei Jahre später auf dem VIII.  polnischen Historikerkongress in Krakau, als insbesondere Tadeusz Manteuffel die Geschichtsklitterungen der Parteihistoriker um Tadeusz Daniszewski40 schonungslos kritisierte.41 Ein dogmatischer Historischer Materialismus war damit diskreditiert; es erfolgte eine weitreichende Rückkehr zur traditionellen National­geschichte,42 der sich auch die PVAP nicht gänzlich verschließen wollte. Die nationale Rückbesinnung des Regimes verkörperte Władysław Gomułka, der vor seiner zeitweiligen Entmachtung 1948 „Minister für die Wiedererlangten Gebiete“ gewesen war und der polnischen Westforschung als Erster Sekretär nach 1956 zu neuer Blüte verhalf.43 Nationaler Zusammenhalt, so die Botschaft, rangierte künftig wieder vor Völker­freundschaft.44 In diesem Kontext betrachte-

39 Bogusław Leśnodorski, Die Geschichtswissenschaft im ersten Dezennium Volkspolens, in: ZfG Beiheft 3 (1956), S.  3–62, hier S.  47 f. Diese internationalistische Sichtweise hatte sich auf polnischer Seite 1956 indes schon weitgehend überlebt. 40 Ihm unterstand das Parteigeschichtliche Institut beim ZK der PVAP. 41 Grabski, Zarys, S. 213. Text des Referats bei Stanisław Trawkowski (Hg.), Historyk wobec historii. Rozprawy nieznane, pisma drobne, wspomnienia, Warszawa 1976. 42 Besonders dezidiert vertritt Borejsza die These vom nicht-kommunistischen Charakter der polnischen Geschichtswissenschaft seit Ende der 1950er Jahre. Jerzy Borejsza, Einige Anmerkungen zur polnischen Zeitgeschichtshistoriographie nach 1989, in: Alojz Ivaniševic/Andreas Kappeler/Walter Lukan/Arnold Suppan (Hg.), Klio ohne Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, Frankfurt a. M. 2002, S. 247–258. Kritisch dazu die Erwiderung von Klaus Bachmann, Noch mehr Anmerkungen zur polnischen Historiographie, in: ebd., S. 259–266. 43 Neumann, Westarbeit, S. 168. 44 Diese national-integrative Tendenz der polnischen Historiographie fiel auch Enno Meyer auf. Meyer, Schulbuchgespräche, S. 39.

5.1 Von der Erbfeindschaft zur Völkerfreundschaft 

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ten es die Polen nicht länger als opportun, „gleichsam eine Internationale marxistischer Historiker zu gründen.“45 Anders präsentierte sich die Lage in der DDR, wo parteikommunistische Historiker nach einer Phase der Verunsicherung ihre Positionen unbeschadet halten und in der Folge gar noch ausbauen konnten.46 Im Ergebnis wurde hier weiterhin ein dialektisches Geschichtsbild gepflegt, das vom innernationalen Gegensatz progressiver und reaktionärer Kräfte ausging. Die gegensätzlichen Geschichtsbilder von ostdeutschen und volkspolnischen Historikern reflektierten indes nicht nur den unterschiedlichen Grad der Entstalinisierung, sondern bildeten auch die jüngsten historischen Erfahrungen beider Länder ab – zunächst die Zweistaatlichkeit Deutschlands gegenüber der staatlichen Einheit Polens, vor allem aber die gegensätzlichen Rollen beider Länder im Zweiten Weltkrieg. Daraus erwuchsen beidseits der Grenze gänzlich unterschiedliche Bewertungen der eigenen Nationalgeschichte: In Polen konnte diese überwiegend positiv konnotiert werden – von den Anfängen der polnischen Staatlichkeit bis zur Volksrepublik spannte sich der Bogen eines legitimen und letztlich erfolgreichen Kampfs um nationale Selbstbehauptung und Entfaltung. Anders in Deutschland, wo man sich nach 1945 mit dem Erbe des Nationalsozialismus konfrontiert sah, was eine ungebrochene Identifizierung mit der eigenen Geschichte nachgerade verbot. Dennoch musste sich die DDR um positive Anknüpfungspunkte in der deutschen Vergangenheit bemühen, wollte sie im in- und ausländischen Bewusstsein mehr darstellen als eine willfährige sowje­tische Besatzungszone. Es galt daher, die deutsche Geschichte auf positive und negative Traditionen zu überprüfen, wobei das marxistisch-leninistische Geschichtsmodell mit seiner antagonistischen Grundkonzeption überaus gelegen kam. Es wurde, wie Sabrow darlegt, zur „narrative[n] Grundlage“ der sogenannten „Zwei-Linien-Theorie“, der zufolge sich die deutsche Geschichte in eine „reaktionäre“ und eine „fortschrittliche“ Linie unterteilte. Demnach bildeten mittelalterliche Ostexpansion, fürstliche Territorialisierung der Neuzeit, Sieg der Konterrevolution 1948, Bismarck’sche Reichseinigung, Krieg und NS-Herrschaft eine negative Linie, die in der BRD mündete, während die Revolutionen von 1525, 1848 und 1918 Etappen einer positiven Linie markierten, die auf die DDR hinführte.47

45 Mit diesen Worten reagierten die polnischen Historiker auf der ersten Sitzung der DPHK, als sie von ihren ostdeutschen Kollegen auf Pläne des italienischen Gramsci-Instituts angesprochen wurden, eine „Konferenz der marxistischen Historiker aller Länder“ auszurichten. Ergänzungsbericht zum Schlussprotokoll der 1. Tagung […]. 46 Sabrow, Diktat, S. 77–81, 87, 92, 94; Ilko-Sascha Kowalczuk, Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 1997, S. 316. 47 Besonders pointiert wurde diese Sichtweise in einer Programmschrift dargelegt, welche die Staatsführung der DDR am 17. 6. 1962 von einem eigens einberufenen Nationalkongress sanktio-

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Eine solche Sichtweise hatte keineswegs nur innerdeutsche Implikationen. Vielmehr wurde sie, einmal zur offiziellen Geschichtsdeutung avanciert, auch nach außen vertreten, wie eine Konzeption zur internationalen Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft aus dem Jahr 1966 belegt: Die gesamte internationale Arbeit der Historiker der DDR muss darauf gerichtet sein, unser marxistisch-leninistisches Geschichtsbild […] im Ausland zu verbreiten. […] Dabei ist von den beiden entgegengesetzten Grundlinien in der Geschichte des deutschen Volkes auszugehen: – der Rolle der progressiven, humanistischen Kräfte, insbesondere der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und den Lehren aus ihrem 120jährigen Kampf […]; – der Einschätzung der reaktionären, nach innen anti-nationalen und nach außen aggressiven Kräfte, die heute im westdeutschen Staat mit Hilfe der „Ostforschung“ und der „Sowjetologie“ ihre alten Pläne durchsetzen wollen.48

Mithin standen sich in der DPHK von Beginn an eine dualistisch konzipierte ostdeutsche und eine holistisch angelegte polnische Nationalgeschichte gegenüber. Wie sich dieser Gegensatz auswirkte, verdeutlicht ein Beispiel aus dem Jahr 1958, als Felix-Heinrich Gentzen als Vertreter der gemeinsamen Kommission dem VIII. polnischen Historikerkongress beiwohnte – also eben jenem Kongress, auf dem die Entstalinisierung in der polnischen Geschichtswissenschaft zum Durchbruch gelangte. Bestürzt musste Gentzen feststellen, wie die harmonischen Klänge deutsch-polnischer Klassensolidarität auf polnischer Seite nun wieder von nationalen Dissonanzen überstimmt wurden: Ein […] Redner […] traf die Feststellung, dass es [bei den oberschlesischen Aufständen] nicht um einen Kampf der polnischen Arbeiter gegen die deutsche oder polnische Bourgeoisie gegangen sei, sondern um dem Kampf der Polen gegen die Deutschen. Es sei an der Zeit, dass „der echte National­held Korfanty“ (einer der extremsten Vertreter des polnischen Nationalismus und Agent der polnischen Großbourgeoisie[)] endlich auf den Platz gestellt würde, der ihm gebührt. Auch dieser Bemerkung wurde lauter Beifall gezollt. […] Ich machte diesen Beitrag zum Gegenstand einer Bemerkung […] Ich wies dabei auf die Notwendigkeit

nieren ließ. Demnach habe in der DDR „alles seine Heimstatt, was es in der deutschen Geschichte an Gutem, Schönem und Fortschrittlichem gibt“, in der Bundesrepublik werde hingegen „alles konserviert und belebt, was es in der deutschen Geschichte an Rückständigem, Barbarischem und Unmenschlichem, an Dummheit und Borniertheit“ gebe. Die geschichtliche Aufgabe der Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands, in: ZfG 10 (1962), S. 758 – 786, hier S. 760. 48 Entwurf einer Konzeption über die internationale Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft, 29. 8. 1966, S. 10 f., ABBAW, Arbeitsgemeinschaft der gesellschaftswissenschaftlichen Institute und Ein­richtungen 72/1.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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hin, angesichts der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges durch den westdeutschen Imperialismus, der Volkspolen und die DDR in gleicher Weise bedrohte, dieser Gefahr gemeinsam zu begegnen. Dies könne aber nicht durch eine nationalistische Konzeption der deutschpolnischen Feindschaft erfolgen, wie sie von einem der Diskussionsredner unter Beifall des Publikums vertreten worden sei. Als Deutschen, der aus der Geschichte die richtigen Lehren gezogen hat und für das polnische Volk Gefühle aufrichtiger Freundschaft hege, habe mich diese Feststellung und die Reaktion des Publikums darauf besonders betrübt. Trotz der 6  Millionen durch den deutschen Faschis­mus ermordeten Polen dürfe man nicht die Tatsache des gemeinsamen Kampfes, Leidens und Sterbens Hunderttausender deutscher und polnischer Antifaschisten gegen den gemeinsamen Feind, den deut­schen Faschismus, Imperialismus und Militarismus [vergessen].49 Dieses seien Traditionen, auf denen man aufbauen müsse, wobei die deutschen und die polnischen Historiker im Augenblick die besonders wichtige Aufgabe des Kampfes gegen die westdeutsche Ostforschung und der Heraus­arbeitung der freundschaftlichen Traditionen in der Geschichte des deutschen und des polnischen Volkes hätten.50

Mit seinem Versuch, die gemeinsamen Interessen deutscher und polnischer Proletarier zu beschwören, stieß Gentzen freilich auf taube Ohren. Eine solche Deutung der Geschichte hätte die Polarisierung in Täter und Opfer relativiert, die die Nationalitätenkämpfe des 19. Jahrhunderts und insbesondere der Zweite Weltkrieg zwischen beiden Völkern aufgerissen hatten. Dieser Gegensatz galt vielen polnischen Historikern indes als Höhepunkt eines jahrhundertealten deutsch-polnischen Antagonismus und gleichzeitig als schlagendes Argument, um die deutschen Kollegen von der polnischen Lesart dieses Konfliktes zu überzeugen. Es ging also nicht nur darum, die offensichtliche Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg anzuerkennen, sondern in ihrem Licht darüber hinaus auch die polnische Meistererzählung der deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Mittelalter als maßgebliche Interpretation der gemeinsamen Kommission zu etablieren.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung Auf welche „Verhandlungsmasse“ bezog sich nun das deutsch-polnische Ringen um eine national nivellierende beziehungsweise national akzentuierte Beziehungsgeschichte? Einen Eindruck von den thematischen Horizonten der Kommission vermitteln die Inhalte ihrer alljährlichen wissenschaftlichen Kolloquien. Dem Selbstverständnis der Kommission folgend können diese zunächst der reaktionä-

49 Im Original: „verwechseln“ – wohl ein Flüchtigkeitsfehler. 50 Heinrich Gentzen, Bericht über den VIII. Kongress der polnischen Historiker vom 12.–17.9.58 in Kraków, undatiert [September 1958], ABBAW, ZIG 710/2. Hervorhebungen im Original.

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ren oder progressiven Traditionslinie zugeordnet werden,51 um anschließend eine weitere Differenzierung zu erfahren. Daraus ergibt sich die folgende Einteilung:52 1. Dem ‚Kampf mit der reaktionären Tradition‘ lassen sich folgende – hier in drei Kreisen gesammelte – Themen zuordnen: –– Vergangenheitsbewältigung: Schulbuchvergleich (1956), Zweiter Weltkrieg (1960, 1967, 1989), Versailler Vertrag (1961), Vertrag von Locarno 1925 (1964), deutsche beziehungsweise polnische Minderheiten im Nachbarland 1918–1939 (1965), Brandenburg-Preußen (1986); –– Auseinandersetzung mit dem reaktionären Gegner vor 1945: Ostmarkenverein (1963), deutsche Sozialdemokratie und polnische Frage (1959),53 deutsche politische Parteien und Strömungen gegenüber Polen 1850– 1900 (1968); –– Auseinandersetzung mit dem reaktionären Gegner nach 1945: Westdeutsche Ostforschung (1958–1960), Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen in den westdeutschen Geschichtswerken (1956, 1962). 2. Als ‚Hervorhebung der progressiven Tradition‘ sind folgende Themenkreise zu verstehen: –– Behandlung der progressiven Tradition nach 1945: Oder-Neiße-Grenze (1956), Stand der beiden sozialistischen Geschichts­wissenschaften (1957 und 197554), Entwicklung der zwei volksdemokratischen Staaten (1961),

51 W. Schmidt, Vorschlag zur gemeinsamen Auszeichnung der bilateralen Historikerkommission der DDR und der VR Polen durch die Akademie der Wissenschaften der DDR und die Polnische Akademie der Wissenschaften im Jahre 1988, Berlin, 16. 12. 1987, ABBAW, ZIG 710/2. 52 Die Themenstellungen werden aus Platzgründen paraphrasiert – und nicht im Wortlaut – wiedergegeben. Sie wurden zusammengestellt nach: DDR-Sektion der Kommission der Historiker der DDR und der Volksrepublik Polen (Hg.), 30 Jahre Kommission der Historiker der DDR und der Volksrepublik Polen. Eine Chronik, Berlin 1986, sowie ergänzend ab 1984 nach: H. Bleiber an Janusz Tazbir, Berlin, 14. 3. 1984, ABBAW, ZIG 171; Protokoll der XXXII. Tagung, Wroclaw, 20. 9. 1985, ABBAW, ZIG 710/1; Protokoll der XXXIII. Tagung, Potsdam, 23. 5. 1986, ebd.; Protokoll der XXXIV. Tagung, Warschau, 16. 10. 1987, ebd.; Protokoll der XXXV. Tagung, Leipzig, 3. 6. 1988, ebd.; Bericht über die XXXVI. Tagung, Rostock, 10. 6. 1989, ABBAW, ZIG 710/2. Etwas abweichend systematisiert Stelzig, Geschichtsbild, S. 245–295. Vgl. die teilweise ähnlichen Themen der westdeutsch-polnischen SBK: Widerstand im Zweiten Weltkrieg (1977), Vormärz (1979), Aufklärung (1980), Industrialisierung und Arbeiterbewegung (1983). Eine Aufstellung aller bis 1990 behandelten Themen findet sich im Anhang. 53 Hier erfolgte eine Verurteilung der „rechten Sozialdemokratie“ v. a. durch die DDR-Seite – die polnische Seite zeigte sich wohlwollender. Stelzig, Geschichtsbild, S. 252. 54 Die 22. Sitzung der DPHK beschäftigte sich mit den Errungenschaften der polnischen Historiker zum 30. Jahrestag der VRP und jenen der ostdeutschen Historiker zum 25. Jubiläum der DDR. Czesław Madajczyk an Stanisław Krzykała, Warschau, 15. 11. 1974, Archiwum Instytutu Historii PAN w Warszawie [im Folgenden: AIH PAN] 5/107, Bl. 181.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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Nationalisierung der Industrie (1966), Bezie­hungen DDR–VRP (1970), sozialistische Umgestaltung und wissenschaftlich-technische Revolution (1971), 25 Jahre DDR/30 Jahre VRP (1975), 30 Jahre DDR/35 Jahre VRP (1979), 35 Jahre DDR/40 Jahre VRP (1984), Umwälzungen in der SBZ und VRP 1944/45–1949 (1985); –– Aufspüren der progressiven Tradition vor 1945: Novemberrevolution 1918 (1969), Gründung von KPD und KPP (1978), revolutionäre deutsch-polnische Völker­freund­schaft in den 1830er Jahren (1980), fortschrittliche Freiheitsbewegungen in Deutschland und Polen vor 1848 (1981), Rosa Luxemburg und Julian Marchlewski (1987), Revolutionäre Demokraten im Vormärz und 1848 (1988); –– Kulturbeziehungen: Deutsch-polnische Kulturbeziehungen, insbesondere zwischen DDR und VRP (1972), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert (1974), Kulturgeschichte 1800–1850 (1976), Aufklärung in Deutschland und Polen (1977), Reformation in Deutschland und Polen (1982), deutsch-polnische Kulturbeziehungen seit 1850 (1983), soziale, politische und kulturelle Wandlungen in Mitteleuropa im 17. Jahrhundert (1984). Bilanzierend fällt auf, dass die Beschäftigung mit der reaktionären Traditionslinie (und damit auch die Vergangenheitsbewältigung) sich im Wesentlichen auf die ersten zehn und die letzten fünf Jahre (1985–1990) der Kommission beschränkte und vorwiegend – aber nicht ausschließlich, wie wir noch sehen werden – auf die deutsche Seite gerichtet war. Demgegenüber wurden die progressiven Traditionen der gemeinsamen Beziehungsgeschichte über den gesamten Zeitraum thematisiert, blieben zunächst aber auf die Selbstbespiegelung der neuen sozialistischen Staaten beschränkt. Erst seit den 1970er Jahren wurden gedeihliche deutsch-polnische Beziehungen – zunächst politisch-sozialer, dann zunehmend auch kultureller Art – auch vor der Epochenwende von 1945 aufgespürt. Dabei kristallisierte sich allmählich eine gewisse Asymmetrie zugunsten der deutschen kulturellen Ausstrahlung auf den Nachbarn heraus – fassbar in der Behandlung von Themen wie der Novemberrevolution oder der Reformation. Geht man davon aus, dass Vergangenheitsbewältigung vorwiegend im Interesse der Polen lag (und von den Deutschen nur soweit gewünscht wurde, wie sie zur Exkulpierung der DDR nötig war), während die Behandlung des progressiven Beziehungserbes mit unterschwelliger Betonung deutsch-polnischer Beeinflussung eher deutschen Wünschen entsprach, so scheint hier ein sich wandelndes Kräfteverhältnisse zwischen Polen und Deutschen hervorzutreten. Diese Beobachtung verlangt nach genauerer Analyse.

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

5.2.1 Selbstbewusste Polen, bescheidene Ostdeutsche In den ersten Jahren der Kommission nutzten die Polen die Gunst der Stunde, um den Deutschen im Ringen um konkurrierende Nationalmythen und umstrittene Erinnerungsorte symbolträchtige Konzessionen abzuringen.55 Meist erfolgten diese Initiativen zwar im Zusammenhang mit der Historikerkommission, aber außerhalb ihres institutionellen Rahmens in Kontexten, in denen eine polnische Majorisierung der deutschen Partner möglich war – beispielsweise auf polnischen oder internationalen, jedoch in Polen ausgerichteten Kongressen mit deutschen Gästen. Im Rahmen von Jahresfeierlichkeiten, Publikationen und Konferenzen zum 1000-jährigen Bestehen Polens, zur Polonität Pommerns,56 Schlesiens, Danzigs oder Kopernikus‘,57 ja gar zum slawischen Charakter der Lausitzer Kultur58 wurden die DDR-Historiker von ihren polnischen Kollegen involviert und unter sanftem Druck dazu gebracht, ihr Einverständnis mit der jeweiligen polnischen Sichtweise zu erklären. Mit einem Anflug von Erschöpfung notierte Heinrich Scheel 1958 die für das nächste Jahrfünft anstehenden polnischen Jubiläen, die allesamt nach ostdeutscher Beteiligung verlangten: 1960: Chopins 150. Todestag. 1960: 550. Jahrestag der Schlacht bei Grunwald. 1963: Die erste schriftliche Erwähnung des polnischen Staates vor 1000 Jahren. 1963: 100. Jahrestag des Januaraufstandes 1863.

55 Zum Begriff historischer Mythen Yves Bizeul, Politische Mythen und Rituale in Deutschland, Frankreich und Polen, Berlin 2000. Der Begriff des Erinnerungsortes stammt von Pierre Nora. 56 Einbeziehung ostdeutscher Historiker in die Internationale Pommernkunde-Konferenz 1960 in Szczecin; ostdeutsche Unterstützung bei der Publikation einer polnischen Rezension westdeutscher Pommern-Literatur 1964. 57 Polen ehrte den Astronomen 1953 mit großem Aufwand. Bereits die wenig zwingende Wahl des Jubiläums­jahres – 480 Jahre nach der Geburt und 410 Jahre nach dem Tod des Gelehrten – macht deutlich, dass hier die erstbeste Gelegenheit ergriffen wurde, Kopernikus für die eigene Nation zu beanspruchen. Im Vorfeld der ost­deutschen Beteiligung an den Feierlichkeiten wurde Kopernikus von polnischer Seite konsequent als „berühmter polnischer Gelehrter“ bezeichnet, während die DDR-Seite im Verkehr mit der polnischen Seite anfangs jede nationale Zuordnung vermied, erst später dann die Sprachregelung vom „polnischen Gelehrten“ übernahm. Akademieleitung an Instytut Historii PAN, 17. 6. 1953, 5. August, 24. 10. 1953. ABBAW, Akademieleitung 488. 58 U. a. wurden die ostdeutschen Historiker in diesem Zusammenhang um Begutachtung einer polnischen Geschichte Pommerns gebeten, die im ersten Band auch auf den polnischen Charakter der Lausitzer Kultur eingehen sollte. Gerard Labuda an Johannes Schildhauer, Poznań, 17. 9. 1968, ABBAW, ZIG 710/4.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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1964: 20. Jahrestag des Bestehens Volkspolens. 1964: 600. Jahrestag der Entstehung der Jagiellonen-Universität in Krakau.59

Zweifellos sollte diese Parade nationaler Errungenschaften Polens historischen Leistungs­ausweis als Kulturnation und Großmacht vergegenwärtigen und damit nicht zuletzt auch seinen Bestand in den Grenzen von 1945 legitimieren. Denn der Fluchtpunkt dieser Bemühungen blieb stets die Grenze an Oder und Neiße. Bereits auf ihrer zweiten Tagung gelobte die Kommission, diese „Friedensgrenze zwischen Deutschland und Polen […] mit allen Kräften sichern“ zu wollen, und bezeichnete es als „besondere Aufgabe der Historiker beider Länder“, dazu die wissenschaftlichen Argumente beizusteuern.60 Gleichzeitig zeigten sich die Polen jedoch unzufrieden mit ostdeutschen Stellungnahmen in dieser Kardinalfrage der nachbarschaftlichen Beziehungen. Henryk Zieliński kritisierte in diesem Zusammenhang gleich drei ostdeutsche Titel, denen er vorwarf, die angeblich periphere Rolle der ehemaligen Ostgebiete in der deutschen Wirtschaft nicht klar genug betont zu haben und ihre enge historische Verbindung mit Zentralpolen zu verschleiern.61 Damit wurden die DDR-Historiker in die Nähe der westdeutschen Ostforschung gerückt, die durch die neue Grenze vitale Wirtschafts­zusammenhänge durchtrennt sah und Polen vorwarf, seinerseits an der Integration der fraglichen Gebiete zu scheitern. Die Ostdeutschen gaben schuldbewusst zu, dem Thema seit 1950 nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, und anerkannten 1957 in der Subkommission Schlesien, dass „Die Vernachlässigung der Ostprovinzen (besonders Schlesiens) im Rahmen der deutschen Wirtschaft“ zu den Themen gehöre, deren Bearbeitung durch deutsche und polnische Historiker „notwendig, bzw. wünschenswert wäre“.62 Doch nicht nur unterschiedliche Bewertungen brachte das heikle Thema an den Tag – es offenbarte darüber hinaus auch die grundlegend verschiedenen Argumentationsweisen beider Seiten, wie Gentzen rückblickend in einem Bericht an die Abteilung Wissenschaften des ZK der SED freimütig zugab:

59 Heinrich Scheel, Beschlussprotokoll der deutschen Sektion der deutsch-polnischen Historikerkommission, 10. 10. 1958, ABBAW, ZIG 710/1. 60 Kuczynski/Leśnodorski, Schlussprotokoll der 2. Tagung der deutsch-polnischen Historiker­ kommission, Berlin, 17. 11. 1956, ABBAW, ZIG 555. 61 Jan A. Wilder, II posiedzenie Polsko-Niemieckiej Komisji Historycznej w Berlinie, in: KH 64/1 (1957), S. 236f, hier S. 237; KH 64 (1957), S. 237; Stelzig, Geschichtsbild, S. 245 f. Die kritisierten Darstellungen stammten von Paul Wandel, Rudi Goguel/Heinz Pohl und Felix-Heinrich Gentzen. 62 Zusatzprotokoll der Subkommission „Schlesien“, Leipzig, 4. 12. 1957, ABBAW, ZIG 555.

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

[Es] wurde [auf der 2. Kommissionstagung von 1956] festgestellt, dass die Argumentation zur Begrün­dung der Oder-Neiße-Grenze auf Grund der in beiden Ländern vorhandenen unterschiedlichen histo­rischen, politischen und psychologischen Voraussetzungen nicht die gleiche sein könne. So könne z. B. eine historische oder ethnographische Begründung der Oder-NeißeGrenze, wie sie in der poln. Propa­ganda üblich ist, dem dt. Leser gegenüber nicht dargeboten werden, zumal diese Begründung zu einem Bumerang für revisionistische Forderungen werden könne. Auf der anderen Seite sei das Argument der Wiedergutmachung des am poln. Volke begangenen Unrechtes und der Garantie der staatlichen Sicherheit Polens für die poln. Propaganda kein überzeugendes Argument.63

Eine gemeinsame Argumentationsweise ließ sich somit kaum herbeiführen. Immerhin leisteten die Ostdeutschen 1959 mit einer umfangreichen Dokumentensammlung zur Oder-Neiße-Linie propagandistische Nacharbeit – freilich erst, nachdem eine revisionistische westdeutsche Darstellung Konter verlangt hatte.64 Mochte man sich auf ostdeutscher Seite auch nicht durchwegs freudigen Herzens von historischen Besitzständen trennen, so ging man doch rasch dazu über, unhaltbar gewordene Ansprüche mit deklarativer Geste als chauvinistische Altlasten zu verabschieden. Dem zollten selbst skeptische polnische Historiker der alten Schule zunächst Anerkennung. So fand Kazimierz Tymieniecki 1954 auf einer eigens einberufenen Diskussion des von Leo Stern vorgelegten Arbeitsplans für den ersten Band der Geschichte Deutschlands (bis 1400) lobende Worte: In der Darstellung der Geschichte Deutschlands im Osten Europas gelingt [dem Konzept] der Verzicht auf aggressive Tendenzen und ein sehr gerechtes Urteil in Bezug auf die dort ansässigen Völker, insbesondere die Slawen, worin es eher an die deutsche Wissenschaft von vor hundert Jahren erinnert.65

Solcher Verzicht auf – ohnehin aussichtslose – revisionistische Positionen verlieh dem antifaschistischen Gründungsmythos der DDR anfänglich eine gewisse Glaubwürdigkeit.66 In seinem Licht ließen sich nationalsozialistische Altlasten zunächst erstaunlich reibungslos aus der Vorgeschichte des sozialistischen Deutschland entsorgen. Geradezu exemplarisch tritt dies im Umgang der ostdeutschen Historikerschaft mit der Vergangenheit der eigenen Zunft

63 Felix-Heinrich Gentzen, Einschätzung der Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Geschichte Polens seit 1955, 27. 8. 1962, BAB SAPMO DY 30/IV 2/9.04/98. 64 Goguel (Hg.), Polen, Deutschland. Offenbar als Reaktion auf: Rhode/Wagner (Hg.), Quellen. 65 Protokół z zebrania Katedry Historii Powszechnej w dniu 1 kwietnia 1954, Toruń, 1. 4. 1954, APAN-W III-192/45, Bl. 63 f. Ihre Gleichsetzung mit der liberalen deutschen Wissenschaft des 19. Jhs. dürfte den DDR-Historikern freilich kaum gefallen haben. 66 Dazu Herfried Münkler, Antifaschismus und antifaschistischer Widerstand als politischer Gründungsmythos der DDR, in: APuZ B 45 (1998), S. 16–29.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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zutage: Nachdem die bilaterale Kommission bereits 1958 zur westdeutschen Ostforschung getagt hatte, machten die ostdeutschen Historiker das Thema zum Gegenstand einer umfang­reiche Wanderausstellung unter dem Titel „Wissenschaft im Dienste des ‚Dranges nach Osten‘“, die 1960 mit Unterstützung der polnischen Partner auf Tournee in fünf polnische Universitätsstädte (Breslau, Krakau, Lublin, Warschau und Stettin) geschickt wurde, wo sie insgesamt fast 50 000 Besucher anzog.67 In der Ausstellung wurde das Wirken der deutschen Ostforschung vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg anhand von Quellenauszügen und erläuternden Texten dokumentiert und scharf verurteilt.68 Aufs Korn genommen wurden insbesondere Theodor Oberländer, Hermann Aubin, Hans Koch, Peter-Heinz Seraphim und Eugen Lemberg, die im wissenschaftlichen und politischen Leben der Bundesrepublik exponierte Positionen einnahmen.69 Das polnische Publikum verstand die Ausstellung mehrheitlich als ehrliche Aufarbeitung der jüngeren deutschen Historiographiegeschichte.70 Weitgehend unbemerkt blieb, wie die ostdeutschen Historiker sich selbst und ihren Staat jeder Verantwortung entzogen, indem sie das problematische Erbe in den Bahnen der

67 Dieses Masseninteresse war sicherlich auch der maßlosen Überschätzung der bundes­ republikanischen „Ostforschung“ durch die Feindbild-Propaganda der volksdemokratischen Staaten geschuldet. Als Beispiel hierfür Szłapczyński/Walichnowski, Nauka w służbie ekspansji i rewiz­ jonizmu. Demnach gab es in der BRD etwa 200 Ostforschungszentren mit insgesamt 2000 Angestellten und Gesamtkosten von 100 Mio. DM jährlich. An den Schulen werde Ostkunde gelehrt, und Ostforscher seien in allen Ministerien und Medien anzutreffen und arbeiteten darauf hin, ihre revisionistischen Programme umzusetzen. Inhaltsangabe gemäß einer Rezension in Życie Partii 9/1969, S.  40 f., hier wiedergegeben nach der Arbeitsübersetzung von Renate Schilling für das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED vom 24. 10. 1969, ABBAW, ZIG 555. 68 Den Ausstellungskatalog editierte Goguel. Rudi Goguel (Hg.), Wystawa: Nauka w służbie „Drang nach Osten“, zorganizowana przez Sekretariat Stanu do Spraw Szkolnictwa Wyższego i Zawodowego Niemieckiej Republiki Demokratycznej przy współpracy Ministerstwa Szkolnictwa Wyższego Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej i eksponowana w polskich ośrodkach uniwersytec­ kich, Berlin 1960. 69 Edward Męclewski, „Ostforschung“ im Dienste des Drangs nach Osten, in: ZfG 9/1 (1961), S.  1112–1115, hier S.  1114. Der Propagandafeldzug gegen die westdeutsche „Ostforschung“ war von Moskau in den späten 1950er Jahren initiiert worden, s. etwa Pašuto, Izučenie vostoka. An der HU Berlin bildete Rudi Goguel 1960 auf Geheiß des Staatssekretärs für das Hoch- und Fachschulwesen eine Abteilung für Geschichte der imperialistischen Ostforschung. Herder, Stv. Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen, an Prof. Schröder, Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin, 4. 4. 1960, AHUB, Rektorat nach 1945, 292, Bl. 15. 70 Darauf lassen jedenfalls die Einträge in den Gästebüchern schließen. Anlage 5 zu Scheel, Die Wander­ausstellung „Nauka w służbie Drang nach Osten“ in der Volksrepublik Polen (3. 10. 1960– 23. 1. 1961). Abschlussbericht der Ausstellungsleitung, 1. 3. 1961, ABBAW, ZIG 710/4.

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Zwei-Linien-Konzeption vollumfänglich der Bundesrepublik anlasteten. Keine Zweifel an dieser Absicht ließ Heinrich Scheels Schlussbericht: Die politische Zielsetzung und Bedeutung der Ausstellung bestand vor allem darin, durch fundierte wissenschaftliche Dokumentation […] die Gefahr des westdeutschen Revanchismus – vor allem seiner „wissenschaftlichen Wegbereiter“ – in seiner ganzen Größe zu zeigen […] Durch die Bekanntgabe zahlreicher bisher unveröffentlichter Dokumente über die Tätigkeit westdeutscher Ostforscher während der Weimarer Republik wie auch in der Nazizeit und im zweiten Weltkrieg trug die Ausstellung wesentlich zur Entlarvung der […] historischen Wurzeln der psychologischen Kriegsführung Westdeutschlands bei.71

Dass man im Zuge der Recherchen zur Ostforschung auch auf Spuren späterer DDR-Historiker gestoßen war, allen voran Eduard Winter, wurde wohlweislich verschwiegen.72 Ebenso bezeichnend scheint, dass man von einer Präsentation der Ausstellung in der DDR selbst absah.

5.2.2 Neues deutsches Selbstbewusstsein Die Attraktivität der dualistischen Konzeption bestand nicht nur darin, sich auf schmerzlose Weise vom negativen Erbe der deutschen Geschichte zu distanzieren. Vielmehr barg sie auch die Möglichkeit, ein positives Erbe zu beanspruchen und sich damit zu identifizieren. Diese Option begannen die ostdeutschen Historiker in der gemeinsamen deutsch-polnischen Kom­mission im Verlauf der Sechzigerjahre einzufordern.73 So erklärte Reinhold Jeske 1966 mit neuem Selbstbewusstsein:

71 Ebd. Meine Hervorhebungen. 72 Allerdings war man besorgt, Winter könnte sich in der Kampagne gegen die west­deutsche Ostforschung durch Rücksichten auf ehemalige Arbeitskollegen befangen zeigen. Sabrow, Diktat, S. 81; Kleßmann, DDR-Historiker, S. 22. Auch Fritz Hartung und Wilhelm Unverzagt hatten Kontakte zur Ostforschung unterhalten, wie ihre damalige Mitarbeit am Sammelband Brackmann (Hg.), Deutschland und Polen, zeigt. Aufsehen erregte dagegen 1956 die Übersiedlung des „reuigen“ Ostforschers Eberhard Wolfgramm „aus Gewissensgründen“ in die DDR. Dazu Linnemann, Erbe, S 151. 73 Auf nationaler Ebene hatte sich diese Hinwendung zum „positiven Erbe“ bereits seit 1952 abgezeichnet – bekräftigt 1955 mit dem Beschluss „Zur Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der DDR“, der die Abkehr von der Misere-Theorie markiert und eine Rückbesinnung auf „große nationale Traditionen“ (Reformation, Bauernkriege, Befreiungskriege, 1848/49) angemahnt hatte. Stelzig, Geschichtsbild, S. 77. Die demgegenüber verzögerte Präsentation des „positiven deutschen Erbes“ auf internationaler Ebene war offenbar außenpolitischen Rücksichten geschuldet.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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Die deutsche Frage sollte in der Zukunft mehr denn je die konzeptionelle Orientierung unserer Arbeit in der Kommission bilden. […] Es gilt dahingehend zu wirken, dass die DDR in der Histo­riographie und in der politischen Publizistik der benachbarten sozialistischen Länder stärker als bisher in ihrer grundsätz­lichen Bedeutung für die weitere Entwicklung in Europa in Erscheinung tritt. (Und nicht in erster Linie nur als guter Verbündeter im Kampf gegen die revanchistische Politik des westdeutschen Imperialis­mus). […] Themen, die sich auf die progressiven Richtungen in der deutschen Geschichte und ihren Beziehungen zu anderen Völkern beziehen, insbesondere aber die Themen zur Geschichte der deut­schen Arbeiterbewegung können im Sinne der oben genannten Konzeption behandelt werden.74

Der Kommission stand damit eine heikle Rejustierung ihrer Sicht auf die gemeinsame Beziehungsgeschichte bevor. War die bisher vorherrschende Behandlung negativer deutscher Tradition (Ostmarkenverein, Schlesische Aufstände, Zweiter Weltkrieg, Ostforschung) den patriotischen Bedürfnissen der polnischen Historiographie gerade dort entgegen­gekommen, wo die Beziehungsgeschichte von nationalen Interessengegensätzen gezeichnet war, so drohte nun ein Konkurrenzverhältnis beiderseitiger Ansprüche auf positive Selbst­darstellung. Einmal mehr bestätigte sich der Eindruck aus den Anfangsjahren der Kommis­sion, wonach „das, was für das deutsche Volk fortschrittlich war“, nicht immer „ebenso fortschrittlich für das polnische Volk“ gewesen sei.75 Widerspruchsfrei vereinen ließen sich beiderseits positive Geschichtsbilder noch am ehesten in der Behandlung der jüngsten Geschichte ab 1949. So favorisierte die ostdeutsche Seite im Rahmen der gemeinsamen Konferenzen zunächst Aspekte der volksdemokratischen Entwicklung beider Staaten nach 1945.76 Von hier aus arbeitete man sich seit den späten 1960er Jahren zurück über den gemeinsamen Widerstandskampf deutscher und polnischer Anti­faschisten im Zweiten Weltkrieg bis zum gemeinsamen Arbeiterkampf (Rosa Luxemburg, Julian Marchlewski), um schließlich bei der deutschen Polenfreundschaft der 1830er Jahre anzugelangen. Bald zeigten die DDR-Historiker allerdings eine für die polnische Seite irritierende Tendenz, immer weitere Bereiche ihrer Geschichte in den positiven Traditions­strang einzuweben und ihre angeblich günstige Wirkung auf Polen heraus­zustreichen: So machten sie etwa den Einfluss der Reformation auf

74 Reinhold Jeske, Stellungnahme zur Arbeit der Deutsch-Polnischen Historikerkommission (Abschrift), 22. 6. 1966, ABBAW, Nationalkomitee der Historiker 4. Hervorhebung im Original. 75 S. o., Kap. 5.1.2. 76 S. die Themenübersicht weiter oben. Auch initiierte die ostdeutsche Seite in den 1970er Jahren einen Dokumentenband zu den Beziehungen zwischen der VRP und der DDR, der bis 1989 aber nur teilweise abgeschlossen wurde. Die entsprechenden Materialien: ABBAW, ZIG 710/8.

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

Polen ebenso zum Thema gemeinsamer Konferenzen77 wie die Hanse78 oder die Rolle der deutschen Kultur in Schlesien.79 Das Thema Schlesien mache allerdings auch die Schranken sichtbar, die revisionismus­verdächtigen ostdeutschen Interpretationen von der Pax Sovietica gesetzt wurden: Die DDR-Seite konnte hier nur vereinzelt an deutsches Erbe erinnern, musste aber auch immer wieder Beiträge beisteuern, die deutschen Ansprüchen auf Schlesien entgegenliefen.80 Ungeachtet solcher politisch auferlegter Beschränkungen mussten die deutscherseits vorgebrachten Akzente manchem Polen als Vexierbilder alter Kulturgefälle-Paradigmen erscheinen.

5.2.3 Preußen In den Siebzigerjahren setzte zum größten Missfallen der Polen gar ein vorsichtiges Werben um eine partielle Rehabilitierung Preußens ein.81 Bereits 1969 kon-

77 Die gegensätzlichen Interpretationen der Reformation Luthers offenbarten laut Fran­ ciszek Ryszka jahrhundertealte nationale Voreingenommenheiten und beschränkten sich kei­ neswegs auf Kleinigkeiten. Franciszek Ryszka, Die Freiheit der Rede und die Unterstellung, eine schwierige und heikle Angelegenheit, in: Polityka vom 8. 1. 1983, zitiert nach der Arbeitsübersetzung in BAK N 1445/152. Die Beschäftigung mit der Reformation wurde von polnischen Historikern damals jedoch nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern sogar forciert betrieben, u. a. im Rahmen der Zeitschrift Odrodzenie i Reformacja w Polsce. Dabei ging es den Polen allerdings um den Nachweis eigenständiger polnischer Entwicklungen, den Deutschen hingegen um die Strahlkraft des deutschen Vorbilds. 78 Dies im Rahmen der Hansischen Arbeitsgemeinschaft, die 1955 in Leipzig von Heinrich Sproemberg als ostdeutsche Fortführung des 1870 gegründeten und in Westdeutschland wiederbelebten Hansischen Geschichtsvereins ihre Arbeit aufgenommen hatte. 79 Dies vor allem in der Subkommission Schlesien. Dazu etwa Zusatzprotokoll betr. Geschichte Schlesiens, 15. 11. 1956, ABBAW, ZIG 555. 80 Das deutsche Erbe Schlesiens betonten Themenstellungen zur Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Kultur in Schlesien 1914–1945, zur deutschen Literatur, Kunst und Wissenschaft in Schlesien sowie zum wissenschaftlichen Leben Breslaus 1850–1914. Der Negierung deutscher Ansprüche auf Schlesien dienen dagegen Themen wie „Die Vernachlässigung der Ostprovinzen (besonders Schlesiens) im Rahmen der deutschen Wirtschaft“ oder „Das Scheitern der faschistischen Germanisierung in Oberschlesien“. Die ersten drei Themen aus: Zusatzprotokoll der Subkommission Schlesien zum Schlussprotokoll der 3. Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission, 4. 12. 1957, ABBAW, ZIG 555; das vierte aus Popiołek/Gentzen, Protokoll der Subkommission Schlesien, 27. 9. 1961, ABBAW, ZIG 710/1. 81 Eine Übersicht über die Tendenzen der ostdeutschen Preußen-Historiographie bietet Hans Alexander Krauß, Die Rolle Preußens in der DDR-Historiographie. Zur Thematisierung der preußischen Geschichte durch die ostdeutsche Geschichtswissenschaft, Frankfurt a. M./Bern 1993.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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statierte Antoni Czubiński als Gast der Deutschen Historikergesellschaft auf der Preußen-Konferenz in Halle eine neue „Tendenz, […] die fortschrittlichen und demokratischen Traditionen Preußens stärker als bisher herauszuarbeiten.“82 Daraufhin kam es bereits 1970 in Posen zu einer ersten ostdeutsch-polnischen Konferenz zur Geschichte Preußens.83 Eine Dekade später war die beobachtende Haltung der polnischen Seite offenem Unmut gewichen. „Inzwischen“, so ein nicht namentlich gekennzeichneter Bericht der DDR-Seite 1980, „ist uns von polnischer Seite […] sehr nachdrücklich angedeutet worden, dass unsere Aufarbeitung preußischer Traditionen beunruhigt, weil sie zur Abschwächung unserer bisherigen kritischen Haltung gegenüber der preußischen Expansionspolitik nach dem Osten führen könnte.84 Ausführlicher registrierte Scheel das polnische Misstrauen in einer Aktennotiz aus demselben Jahr: Prof. Dr. Marian Biskup […] erklärte mir, dass man in Polen über die in der DDR in jüngster Zeit massiv eingesetzt habende Welle von Publikationen aller Genres, aber auch von Filmen im Fernsehen etc. beunruhigt sei, die sich mit der preußischen Geschichte beschäftigen. Man frage sich, wo das enden solle. Man begreife nicht die politische Stoßrichtung dieser Aktivitäten. Diese Beunruhigung möge ich bitte aus polnischer Sicht verstehen, für die beispielsweise Friedrich II einer der Totengräber des selbständigen polnischen Staates war (1. poln. Teilung 1772) […], für die Gneisenau und Clausewitz als die preußischen Militärs gelten, die 1831 den zaristischen Truppen unrühmliche Schützenhilfe bei der Niederschlagung des polnischen November-Aufstandes leisteten etc. etc. […] Für mich war erstaunlich, dass Biskup, den ich als einen soliden Historiker kenne, der sich normalerweise nur zu Dingen äußert, die er wirklich gelesen hat und gründlich kennt, hier Vorstellungen kolportierte, die ganz offensichtlich aus oberflächlichster Optik gewonnen sind. Diese Tatsache bestärkt mich in der Annahme, dass er dieses Gespräch in irgendeinem Auftrag gesucht hat.85

Den polnischen Bedenken wurde Rechnung getragen, indem im Spätherbst 1980 im Posener Westinstitut ein außerordentliches Treffen beider Seiten zur Preußenfrage anberaumt wurde, „bei dem ohne jede Publizität ein freundschaftlicher

82 Antoni Czubiński, Sesja naukowa poświęcona roli Prus i reakcyjnego prusactwa w historii Niemiec, in: PZ 26/1 (1970), S. 230–232, hier S. 232. 83 Gerard Labuda, Projekt sesji historyków polskich i NRD na temat historii Prus, 18. 1. 1970, APAN-P III-77/12, Bl. 215. 84 Zum Vortrag von Dr. Jarema Maciszewski vom Juni 1980, ohne Verfasserangabe, undatiert [Juni 1980], ABBAW, ZIG 710/4. 85 Heinrich Scheel, Aktennotiz über eine von dem Vorsitzenden der polnischen Sektion der bilateralen Historikerkommission DDR–VR Polen gewünschte persönliche Unterredung am 29.5.80 anlässlich der 27. Tagung dieser Kommission in Leipzig, Berlin, 17. 6. 1980, ABBAW, ZIG 710/2.

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Meinungsaustausch erfolgen sollte.“86 Als Ergebnis wurde festgehalten, dass die Beratungen eine gewisse Klärung gebracht hätten,87 wenngleich die polnische Seite ausdrücklich festhielt, dass „noch nicht alle Vorbehalte ausgeräumt“ seien.88 So wurde das Thema 1986 – erneut auf polnischen Wunsch hin – nochmals aufgegriffen, diesmal im Rahmen einer regulären Zusammenkunft der Kommission. „Dabei“, so der entsprechende Bericht, „verfolgte man die Absicht, Fachleute aus der DDR mit den Grundvorstellungen der in Poznań unter Hinzuziehung von Historikern aus Toruń vorbereiteten dreibändigen Geschichte Preußens bekannt zu machen.“89 Offenbar ging es den polnischen Historikern also darum, die deutschen Kollegen für ihre Interpretation der preußischen Geschichte zu gewinnen. Dass dies nur unvollständig gelang, zeigte sich noch 1988 anlässlich eines Polenbesuchs von Ingo Materna, der sich im Westinstitut mit dem Vorwurf konfrontiert sah, angesichts der ostdeutschen Preußenwelle würden die Ergebnisse der polnischen Geschichtswissenschaft – etwa über Preußen und Friedrich II. – durch die DDR-Historiker ungenügend zur Kenntnis genommen.90 Damit verband sich eine Reihe kritischer Fragen – unter anderem: – Wie versteht sich der Abriss des Berliner Schlosses mit der Aufstellung des Denkmals Friedrich II., war das nicht eine unvorbereitete Überraschung? […] – Deuten nicht Veröffentlichungen wie Friedrich II., Bismarck u. a. auf eine Preußenwelle in der DDR (ebenso F.II.-Ausstellung in Potsdam: hier gab es angeblich Kataloge nur für DM-West)?91

86 Ebd. Referenten und Diskutanten waren u. a. Horst Bartel, Walter Schmidt, Ingrid Mittenzwei, Helmut Schmitter, Antoni Czubiński und Witold Jakóbczyk. 87 Zu den Inhalten der Besprechung Jan Kosim an Piotr Łossowski, Notatka informacyjna w sprawie konferencji historyków polskich i NRD w Poznaniu oraz inauguracyjnego posiedzenia Towarzystwa im. Jabłonowskich w Lipsku, 12. 12. 1980, AIH PAN 5/208. Die Konferenzmaterialien wurden im PZ veröffentlicht. 88 Protokoll der XXVIII. Tagung 1981 in Slupsk, ABBAW, ZIG 710/1. 89 Bericht über die XXXIII. Tagung der Historikerkommission DDR-VR Polen, 24. 5. 1986, ABBAW, ZIG 710/2. Pikanterweise hatte man im September 1985 bereits Adelheid Simsch aus Westberlin angefragt, ob sie zur Begleitung dieser Synthese ein Semester in Poznań zu verbringen bereit wäre. AIH PAN, 5/87, Bl. 107. 90 Ingo Materna, Bericht über eine Vortragsreise in die VR Polen vom 18.–20. 1. 1988, organisiert durch die Liga für Völkerfreundschaft der DDR auf Anforderung der „Gesellschaft Wisla-Odra“, 22. 1. 1988, ABBAW, HG 160. 91 Ebd.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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In ähnlichen Bahnen wie die Preußen-Rehabilitation, aber weniger publikumswirksam und von der polnischen Seite deshalb auch kaum zur Kenntnis genommen, erfolgten in der DDR bereits seit den 1960er Jahren Bestrebungen zu einer umfassenden Neubewertung der „Ostbeziehungen des deutschen Volkes in ihrer geschichtlichen Entwicklung“ – so der Titel eines umfangreichen Thesenpapiers aus dem Jahr 1963, das als Grundlage für eine Publikation zum selben Thema dienen sollte.92 Schon 1956 hatten Deutsche und Polen in der Historiker­ kommission laut Gentzen „gemeinsam festgestellt, dass man die Wanderung deutscher Handwerker und Bauern nach Polen nicht in den Begriff des ‚Dranges nach dem Osten‘ einbeziehen dürfe.“93 Auf dem Höhepunkt der Erbe-und-Traditions-Welle attestierte Walter Schmidt diesen Bemühungen ein Vierteljahrhundert später, dass man schon damals nuanciert zu differenzieren versucht habe „zwischen dem, was progressiv war, und dem, was sich negativ und verhängnisvoll auswirkte.“94 In Abmilderung der ursprünglich pauschalen Verdammung der Ostexpansion zeigte man sich also bereits in den Sechzigerjahren bemüht, dem historischen Phänomen auch positive Aspekte abzugewinnen. Anfänglich erfolgte die hier skizzierte Wiederaneignung der deutschen Geschichte durch die DDR-Historiographie beinahe verstohlen, um erst in den Achtzigerjahren in der Diskussion um das „Erweiterte Erbe“ öffentlichen Ausdruck und offizielle Sanktionierung zu erhalten. Nun wurden drei „gesetzmäßige“ Phasen der historiographischen Entwicklung in der DDR geltend gemacht: In den späten Vierzigerjahren habe sich die DDR-Historiographie zunächst auf die Ablehnung des reaktionären Konservatismus, Imperialismus und Faschismus konzentriert, im Zeichen des konsolidierten Sozialismus der Fünfziger- und Sechzigerjahre ihr Interesse dann auf alle progressiven Leistungen des deutschen Volkes ausgeweitet, um in einer dritten Etappe seit den 1970er Jahren schließlich ein neues Verhältnis zur ganzen deutschen Geschichte zu entwickeln.95 Die polnischen Partner zeigten

92 Die Ostbeziehungen des deutschen Volkes in ihrer geschichtlichen Entwicklung, undatiert [vor dem 15. 8. 1963], ABBAW, Historiker-Gesellschaft 67. Auf der Grundlage dieses Thesenpapiers sollte eine „Kurze Geschichte der Ostbeziehungen des deutschen Volkes (bzw. der deutschen Ostpolitik)“ entstehen, deren Veröf­fentlichung für 1964 geplant war, aus ungeklärten Gründen aber nicht zustande kam. Dr. R/K, Beantwortung des Fragespiegels, Leipzig, 7. 9. 1963, ABBAW, HG 160. 93 Felix-Heinrich Gentzen, Einschätzung der Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Geschichte Polens seit 1955, 27. 8. 1962, BAB SAPMO DY 30/IV 2/9.04/98. 94 Walter Schmidt, Zur Entwicklung des Erbe- und Traditionsverständnisses in der Geschichtsschreibung der DDR, in: ZfG 33/3 (1985), S. 195–212, hier S. 204. 95 Dazu Horst Bartel/Walter Schmidt, Historisches Erbe und Tradition – Bilanz, Probleme, Konsequenzen, in: ZfG 30/9 (1982), S. 816–829; Schmidt, Entwicklung. Die Erbe- und Traditionsdis-

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

sich von solchen Horizonterweiterungen freilich wenig angetan und bezweifelten wiederholt den Nutzen des erweiterten Erbe-Begriffs.96 Im Gegenzug wuchs allerdings auch die deutsche Irritation über das Geschichtsverständnis der polnischen Partner. Unverkennbar legten diese bei der Herausarbeitung der gemeinsamen progressiven Traditionen beider Völker nur mäßigen Eifer an den Tag. Typisch für diesen Problembefund war ein 1970 von Heinrich Scheel verfasstes Gutachten zu einem Manuskript von Antoni Czubiński über den Einfluss der deutschen Novemberrevolution auf die nationale Wiedergeburt Polens 1918. Scheel schrieb: [Es] blieben noch einige Wünsche hinsichtlich der Einschätzung des polnischen Staates und der natio­nalen Bewegung offen. Wir möchten Sie bitten, diese Probleme […] noch einmal zu überarbeiten. So halten die Gutachter für problematisch, dass die Klassenposition der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte nicht differenzierter herausgeschält wird. Dadurch entsteht der Eindruck, es handele sich um einen polnischen Staat „über den Klassen“. Vielleicht wäre es möglich, stärker als bisher die Auswirkung der Novemberrevolution auf die Belebung der sozialen Kämpfe in ganz Polen und auf die Stärkung der internationalistischen Zusammenarbeit zwischen den proletarischen Zentren zu zeigen. Mit anderen Worten, gegenwärtig beschränkt sich die Darstellung noch zu sehr auf Grenzfragen, d. h. die nationale Problematik im engeren Sinne.97

Deutlich trat in solchen Auseinandersetzungen der polnische Unwille zutage, zugunsten einer zwischen Deutschen und Polen geteilten positiven Tradition den integrativen Mythos der eigenen Nationalgeschichte aufzugeben und damit eine Ambivalenz der polnischen Geschichte zuzulassen, die den Relativierungsbemühungen der ostdeutschen Seite in die Hände spielen würde. Im Fluchtpunkt solcher Deutungsverschiebungen drohte eine normative Gleichsetzung

kussion ist dokumentiert in Helmut Meier/Walter Schmidt, Erbe und Tradition in der DDR. Die Diskussion der Historiker, Berlin 1988. 96 So hinterbrachte Ingo Materna seinen deutschen Kollegen 1988 etwa folgende polnische Einschätzung: „Die erweiterte Erbe-Traditionssicht führte bisher wohl nur für den Feudalismus zu Weiterungen.“ Ingo Materna, Bericht über eine Vortragsreise in die VR Polen vom 18.–20. 1. 1988 […], ABBAW, HG 160. 97 Heinrich Scheel an Antoni Czubiński, undatiert [September 1970], ABBAW, ZIG 710/5. Ähnlich in anderem Zusammenhang: „Insgesamt ist […] zu unterstreichen, dass die nationale Frage […] teilweise sehr verabsolutiert und losgelöst von der sozialen Problematik betrachtet wurde. Die Referate zur Geschichte Volkspolens fanden in der Diskussion relativ wenig Beachtung. Dagegen spielte das ‚Zwischenkriegspolen‘ eine viel größere Rolle“. Walter Schmidt, Bericht über die Teilnahme am X.  Allgemeinen Kongress der Polnischen Historikergesellschaft, 14. 10. 1969, ABBAW, Historikergesellschaft der DDR 160.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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von deutscher und polnischer Geschichte, die den Polen aus naheliegenden Gründen unerträglich schien.

5.2.4 Der Zweite Weltkrieg Als Folge solcher Spannungen wuchs beidseits von Oder und Neiße das Unbehagen an der Gegenseite und ihrer – so nahm man es jeweils wahr – historiographischen Schönfärberei. Am heftigsten entbrannte diese Auseinandersetzung um den Zweiten Weltkrieg und seine Vorgeschichte.98 Deutscherseits wurde der Krieg in den internationalen Kontext des Niedergangs des kapitalistisch-imperialistischen Systems gestellt und innenpolitisch dem Monopolkapitalismus angelastet.99 Gegen diese verharmlosende Darstellungsweise erhoben die Polen scharfe Kritik. So berichtete Scheel von der 17. Tagung der DPHK im Juni 1970: [I]n der diesmaligen Diskussion und in persönlichen Gesprächen [wurde] deutlich, dass es der polnischen Seite um die Frage geht, ob mit der Erklärung des Charakters des Faschismus aus den Interessen der Monopolbourgeoisie heraus, nicht eine Einengung der Kriegsschuld eines großen Teils des deutschen Volkes nur auf die Monopolbourgeoisie erfolge. […] Von Jędruszczak und anderen wurde – auch bei dieser Gelegenheit nicht erstmalig – angedeutet, dass in unseren Darstellungen des Faschismus die Verbrechen, wie z. B. die Okkupation Polens, an denen sehr viele Deutsche teilgenommen haben, nicht genügend berücksichtigt würden. Ebenso sind wir schon mehrmals darauf hingewiesen worden, dass der Anteil des polnischen Volkes an der Zerschlagung des deutschen Faschismus in unserer Geschichtsschreibung nicht ausreichend beachtet werde.100

98 Bezeichnenderweise widmete sich die DPHK dem Thema in offiziellem Rahmen erst 1960, nachdem 1959 die deutsch-sowjetische Historikerkommission (DSHK) verbindliche Deutungsvorgaben geliefert hatte. Stelzig, Geschichtsbild, S. 257. An der einschlägigen Sitzung der DSHK in Berlin waren mit Kazimierz Popiołek und Czesław Madajczyk auch zwei polnische Historiker anwesend, die über die deutsche Besatzungspolitik in Polen referierten. Karl-Heinz Schwarze, Die Kommission der Historiker der DDR und der UdSSR, in: Manfred Hellmann (Hg.), Osteuropa in der historischen Forschung der DDR, 2 Bde., Bd. 1, Düsseldorf 1972, S. 104–113, hier S. 107. 99 Dabei stützte man sich auf die von Georgi Dimitroff 1935 auf dem VII. Weltkongress der kommunistischen Internationale geprägte Formel, die das NS-Regime als die „offene Diktatur der reaktionärsten Gruppe des deutschen Finanzkapitals“ definiert hatte. Sabrow, Diktat, S. 379. 100 Heinrich Scheel, Bericht über die XVII. Tagung der Kommission der Historiker der DDR und der VR Polen in der Zeit vom 2. bis 5. Juni 1970 in Görlitz, 4. 6. 1970, BAB DY/30/IV A 2/9.07/160. Dass die polnischen Historiker in weniger polarisierten Zusammenhängen durchaus zu einer differenzierten Behandlung der Kollektiv­schuldfrage bereit waren, zeigt etwa Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, S. 45.

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

Offenbar erkannten die polnischen Historiker wohl, dass man sich in der DDR unter Verweis auf historische Gesetzmäßigkeiten um eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit drücken wollte. Nicht nur die Frage nach der Breite der Verantwortungszuschreibung innerhalb der deutschen Gesellschaft, sondern selbst jene nach der grundsätzlichen deutschen Kriegsschuld wurde von beiden Seiten unterschiedlich beantwortet. Davon zeugen die Kommentare, die polnische Historiker im Herbst 1968 an der Konzeption einer geplanten ostdeutschen Geschichte Deutschlands im Zweiten Weltkrieg anbrachten: Die Verfasser haben die Genesis des zweiten Weltkrieges eingehend beleuchtet. Es wäre jedoch not­wendig, die Tatsache stärker zu unterstreichen, dass das 3.  Reich die Verantwortung für die Entfachung des zweiten Weltkrieges trägt. […] Die Verfasser unterstreichen mehrmals die Notwendigkeit, die Einschätzung des Charakters des Krieges zu differenzieren, der von den einzelnen, vom III. Reich überfallenen Staaten geführt wurde. Im Zusammenhang damit möchten wir den Vorschlag machen, eindeutig zu formulieren, dass Polen vom ersten Kriegstag an einen gerechten Verteidigungskrieg geführt hat, um seine Existenz zu wahren.101

Im Spiegel der polnischen Kritik wird deutlich, wie die Zwei-Stränge-Konzeption die historische Verantwortung für den Krieg entnationalisierte. Das zog nicht nur eine partielle Exkulpierung Deutschlands nach sich, sondern lief auch auf eine teilweise Inkrimination Polens hinaus, wie der letzte Satz des polnischen Kommentars bereits andeutete. In der Folge trat diese Tendenz noch klarer zutage. So wurde 1964 für eine der folgenden Tagungen der gemeinsamen Kommission „eine vergleichende Betrachtung der faschistischen Bewegung und der faschistischen staatlichen Struktur in Deutschland und Polen“ ins Auge gefasst.102 Offensichtlich sperrten sich die Polen gegen diese Themenstellung, jedenfalls wurde sie später nicht mehr aufgegriffen.103 1975 ließ Janusz Żarnowski auf einer Konferenz zum Thema „Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR und der VRP“ dann durchblicken, dass die neuere polnische Geschichts­wissenschaft zu einer engeren Definition des Faschismus tendiere, in deren Rahmen der polnische Staat der 1930er Jahre keinen Platz finde.104 Dem konnten sich die ostdeut-

101 Bemerkungen zu der Konzeption der „Geschichte Deutschlands im zweiten Weltkrieg“, undatiert [Herbst 1968], ABBAW, ZIG 171. 102 Gerhard Schilfert/Kazimierz Popiołek, Schlussprotokoll der XI. Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission, Wernigerode, 28. 5. 1964, S. 2, ABBAW, ZIG 710/1. 103 Nur selten kam die polnische Seite der ostdeutschen so weit entgegen, dass sie vage den „internationalen Charakter des Faschismus und die Solidarität seiner Gegner“ anerkannte. Stelzig, Geschichtsbild, S. 252. 104 Ebd., S. 274.

5.2 Themen und Muster der Auseinandersetzung 

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schen Kollegen offenbar nicht anschließen, denn noch 1988 wurden sie von den Polen gefragt, ob „der 2. Weltkrieg in seiner 1. Phase in der DDR immer noch beiderseitig imperialistisch charakterisiert“ werde.105 Offensichtlich machte sich die ostdeutsche Seite im Umgang mit dem faschistischen Erbe das tu-quoque-Argument zu eigen. Demnach war auch das Polen der späten Zwischenkriegszeit ein faschistischer Staat – seine Eroberung durch Deutschland erfolgte gewissermaßen im Zuge der Selbstzerfleischung der imperialistischen Mächte.106 Gegen diese Tendenz zur Gleichsetzung setzten sich die Polen entschieden zur Wehr. Zu ganz grundsätzlichen Äußerungen sah sich Czesław Madajczyk in den späten Siebzigerjahren veranlasst: „Der 1939 vom Zaun gebrochene Krieg wurde zur einzigen Möglichkeit den Hitlerfaschismus in seine Schranken zu weisen und schließlich zu vernichten. Daher war der polnisch-deutsche Feldzug so, wie er auf polnischer Seite geführt wurde, ein gerechter Krieg.“107 Es mutet rückblickend erstaunlich an, dass polnische Historiker sich genötigt sahen, den Widerstand ihres Landes gegen die deutsche Aggression von 1939 zu verteidigen. Verständlich wird diese Konstellation bei einem Seitenblick auf die Sowjetunion. Diese war vor dem Hintergrund des Hitler-Stalin-Paktes daran interessiert, den polnischen Staat der späten Zwischenkriegszeit als Hort des Faschismus zu deuten, um den sowjetischen Einmarsch in Ostpolen als antifaschistischen Präventivschlag darzustellen. Angesichts solcher Zusammenhänge war den Polen schon früh bewusst, dass sie mit ihrer Interpretation der deutschpolnisch-sowjetische Dreiecksbeziehung zwischen 1917 und 1945 im „Ostblock“ auf verlorenem Posten kämpften. Mochten die zwei großen Nachbarn auch im sozialistischen Gewand als neue Verbündete Polens auftreten – ihre fortdau-

105 Bericht über eine Vortragsreise in die VR Polen vom 18.–20. 1. 1988 […], ABBAW, HG 160/4. 106 In verhaltenerer Form scheint diese Argumentationsfigur auch in den frühen westdeutschpolnischen Kontakten auf. So wollten die deutschen Initiatoren die erste westdeutsch-polnische Historikerbegegnung 1956 in Tübingen anfangs ganz dem Thema des deutsch-polnischen Nicht­ angriffsvertrags von 1934 widmen und plädierten u. a. für einen „Vergleich zwischen der Krise der Demokratie in Deutschland und Polen“ in den 1930er Jahren. Ruchniewicz, Annäherung, S. 28. 107 Czesław Madajczyk, Die internationale Bedeutung des von Polen im Jahre 1939 geführten Vertei­digungskrieges, undatiert (1978/1979), ABBAW, ZIG 710/7. Ungeachtet der Berechtigung solcher Aussagen neigten polnische Historiker bisweilen auch dazu, die Gerechtigkeit der polnischen Sache zu verabsolutieren und deren kritikwürdigen Aspekte zu bemänteln. So erklärte der Parteihistoriker Jarema Maciszewski noch 1980 jeg­liche Beschäftigung mit der Aussiedlung und Vertreibung von Deutschen nach Kriegsende für inopportun. Übersetzung eines internen Vortrags von Prof. Jarema Maciszewski, Leiter Abt. Wissenschaft und Volksbildung im ZK [der PVAP], gehalten Mitte Juni 1980, ABBAW, ZIG 710/4, S. 33 f.

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ernde historiographische Interessengemeinschaft hinsichtlich des Jahres 1939 bot jahrhundertealtem polnischem Misstrauen neue Nahrung und hielt die Erinnerung an die Gefahren der polnischen Mittellage lebendig.108 Es war daher nicht erstaunlich, dass man begann, verstärkt auch jenseits der Blockgrenze um Sympathie für die polnische Sichtweise zu werben.109 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre plante die Polnische Akademie der Wissenschaften eine internationale Konferenz zu Problemen des Zweiten Weltkriegs,110 die von ostdeutscher Seite pro forma unterstützt wurde.111 Gewissermaßen als letzte Solidaritätsprobe wurde das Thema 1967 auch zum Gegenstand der jährlichen Sitzung der deutschpolnischen Historiker­kommission erhoben – mit einem für beide Seiten ernüchternden, wenngleich nicht unerwarteten Ergebnis: Referate und Diskussionen offenbarten scharfe Gegensätze in der Beurteilung der Vorgeschichte des Krieges, insbesondere hinsichtlich des Versailler Systems, des Rapallo-Vertrags, der Rolle der Komintern und des Hitler-Stalin-Pakts inklusive seiner Zusatz­verträge. Ein vertraulicher Bericht der ostdeutschen Seite vermerkte:112

108 Polnisches Misstrauen gegenüber der UdSSR kam in den Sitzungen der Historikerkommission immer wieder zum Ausdruck. So „verstieg sich“ Wereszycki auf dem polnischen Historikertag 1958 laut Gentzen unter lebhaftem Beifall zur Aussage: „Immer wenn Russland schwach war, war Polen stark. Nur ein Weltkrieg konnte Polen befreien, und nur ein neuer Weltkrieg wird ihm die endgültige Freiheit geben.“ Felix-Heinrich Gentzen, Bericht über den VIII. Kongress der polnischen Historiker vom 12.–17.9.58 in Kraków, undatiert [September 1958], ABBAW, ZIG 710/2. Ähnlich eine ostdeutsche Einschätzung aus dem Jahr 1980, derzufolge das sowjetisch-polnische Verhältnis „nach wie vor das gravierende politische Problem“ in der polnischen Geschichtswissenschaft ebenso wie in der öffentlichen Meinung bilde. Sowohl Primas Stefan Wyszyński als auch einige Streikführer hätten explizit die sowjetisch-polnische Schlacht an der Weichsel von 1920 beschworen. H. Scheel/H. Gemkow/R. Jeske, Zum Vortrag von Dr. Jarema Maciszewski vom Juni 1980, undatiert, ABBAW, ZIG 710/4. 109 Voraussetzung hierfür war die allmähliche Anerkennung der volkspolnischen Historiker als legitime Vertre­ter der polnischen Historiographie auf dem internationalen Parkett, insbesondere im CISH, wo sie sich erst in den 1960er Jahren endgültig gegen die Konkurrenz der exilpolnischen Geschichtsforscher durchsetzen konnten. 110 Dazu hatten Historiker aus der Tschechoslowakei, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Ungarn und der UdSSR ihre Teilnahme zugesagt. Tadeusz Manteuffel an das Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Warszawa, 19. 4. 1967, ABBAW ZIG 710/1. Die Konferenz war zunächst für 1967 geplant, wurde dann aber auf 1970 vertagt. Schilfert/Rysz­ ka, Beschlussprotokoll der XIV. Tagung der Kommission 1967 in Augustow, 19. 5. 1967, ABBAW, ZIG 710/1. 111 Beschlussprotokoll der XVI. Tagung der Kommission 1969 in Myszkowce, ABBAW ZIG 710/1. 112 Eildermann/Löwel, Bericht über die Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission vom 17.–19. Mai 1967 in Augustow, undatiert [Sommer 1967], ABBAW, ZIG 555. In der DDR wurde das geheime Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt bis 1989 geleugnet. Den einzigen diesbezüglichen Tabubruch, der jedoch umgehend geahndet wurde, stellt dar: Günter Paulus, Die zwölf

5.3 Erreichtes und Versäumtes 

 337

Heftig angegriffen [von den Polen] wurden das geheime „Zusatzprotokoll“ vom 23. 8. 1939 und die drei geheimen „Zusatzprotokolle“ vom 28. 9. 1939. In einem der letztgenannten „Zusatzprotokolle“, die Dozent Wojciechowski im Bonner Archiv eingesehen hat, soll u. a. eine Vereinbarung über gegen­seitige Information und Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der polnischen Widerstandsbewegung enthalten sein. Auf dieser Grundlage sei es zu zwei Treffen von Vertretern der Gestapo und des NKWD gekommen. In diesem Zusammenhang machte eine polnische Genossin vom Archiv des Instituts für Parteigeschichte in Warszawa in einer Pause zu Prof. Eildermann die Bemerkung, dass es ein Material gebe, nach dem das NKWD der Gestapo 500 deutsche Kommunisten übergeben habe.113

Beide Parteien schieden in der Gewissheit, sich auf dem internationalen Parkett nicht aufeinander verlassen zu können. Zwar hatten die Polen ihren deutschen Kollegen zugesichert, „die genannten Probleme in der internationalen Beratung, an der auch westdeutsche Historiker teilnehmen werden“, nicht aufzuwerfen; auf deutscher Seite war man aber überzeugt, dass sie dennoch zur Sprache kommen würden. „Bei den unterschiedlichen Stand­punkten“ werde deshalb „ein gemeinsames einheitliches Auftreten nicht gesichert sein“.114

5.3 Erreichtes und Versäumtes 5.3.1

Seitenblick auf die Bundesrepublik

In der Folge gelang mit dem Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 rascher als erwartet der politische Durchbruch in den Beziehungen zwischen der BRD und der Volksrepublik Polen. In diesem Umfeld intensivierten sich die sporadischen Kontakte zwischen bundes­deutschen und volkspolnischen Historikern in schneller Folge. Besorgt rapportierte H. Lehmann 1970 von seiner Konferenzteilnahme in Posen, „dass es einige polnische Histo­riker gibt, die der kämpferischen Auseinandersetzung mit der westdeutschen Geschichts­schreibung nicht zustimmen, sondern ein kollegiales Verhältnis zu den bürgerlichen, ebenso wie zu den sozialistischen Historikern aufrecht erhalten möchten.“115 Bereits 1972 traten die Beziehungen zu den westdeutschen Historikern dann in den Vordergrund: Unter dem Dach der deutsch-polnischen Schulbuchkommission fanden sie zu einer

Jahre des Tausendjährigen Reiches, Berlin 1965. Dazu Sabrow, Diktat, S. 378–393, insbesondere S. 382. 113 Eildermann, Bericht über die Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission vom 17.–19. Mai 1967 in Augustow, ABBAW ZIG 555. 114 Ebd. 115 H. Lehmann, 14. 10. 1970, ABBAW, ZIG 171.

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institutionalisierten, kontinuierlichen Form.116 Schon Ende des Jahres urteilte das polnische Außenministerium: „Die Zusammenarbeit und der wissenschaftliche Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland ist konkreter und nützlicher als jener mit der DDR.“117 Waren die Themen der Schulbuchkommission oftmals auch ganz ähnlich gewählt wie jene der ostdeutsch-polnischen Kommission, so überflügelten ihre Erträge doch rasch alles, was das ostdeutsch-polnische Pendant nach fünfzehn Jahren Vorsprung aufzuweisen hatte. Regelmäßig wurden die Materialien der wissenschaftlichen Sitzungen publiziert, und bereits 1976 konnten umfassende gemeinsame Schulbuchempfehlungen verabschiedet werden. Zudem wurde der westdeutsch-polnischen Kommission eine wesentlich größere Publizität zuteil als ihrer Ostblock-Schwester. 1975 zog Marian Wojciechowski im Parteiorgan Nowe drogi denn auch eine überwiegend positive Bilanz der bisherigen Aussprachen mit den bundesdeutschen Fachkollegen, die in den Worten gipfelte: „Es ist kaum vorstellbar, dass irgendwer in der polnischen Schule heute die Problematik BRD nach der gleichen Art wie vor Abschluss des Vertrages vom 7. Dezember 1970 unterrichten würde.“ Letzterer Satz schien das Missfallen der abseits stehenden ostdeutschen Historiker besonders zu erregen, jedenfalls ist er in einer Rohübersetzung des Artikels in den Akten der DDR-Sektion mit Randanstreichungen versehen worden.118 Überhaupt stieß die westdeutsch-polnische Annäherung bei den ostdeutschen Eliten rundweg auf Ablehnung, stellte sie doch nachgerade die Legitimation der DDR als das bessere, antifaschistische und daher einzig legitime Deutschland in Frage. Die SED hatte sich ihre Loyalität zur Oder-Neiße-Grenze bislang damit vergelten lassen, dass die polnische Seite die DDR in der internationalen Arena gegenüber der BRD bevorzugte.119 Diese Dividende schien nun auszufallen, und die DDR lief Gefahr, den Polen angesichts der bundes­deutschen Ankerkennung für die polnische Westgrenze verzichtbar zu werden. Diese drohende Entbehrlichkeit bekamen bald auch die ostdeutschen Historiker zu spüren, zeigte man ihnen in Polen doch zunehmend die kalte Schulter. So rapportierte etwa Eckhard Müller-Mertens 1971 nach einem lange vorausgeplanten Arbeitsbesuch in Thorn

116 S. u., Kap. 6.3. 117 J. Stępień, Notatka z narady w Departamencie Współpracy Kulturalnej i Naukowej MSZ w dniu 13 listopada 1972 roku poświęconej problematyce współpracy naukowej pomiędzy Polską i Niemiecką Republiką Federalną, Warszawa, 13. 11. 1972, AMSZ D IV 46/77/W-13. 118 Marian Wojciechowski, Z prac komisji podręcznikowej RPL-FRG, in: Nowe drogi 9/316 (1975), S. 132–141. Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung in ABBAW, ZIG 710/2. 119 Włodzimierz Borodziej/Klaus Ziemer (Hg.), Deutsch-polnische Beziehungen 1939–1945– 1949. Eine Einführung, Osnabrück 2000, S. 279.

5.3 Erreichtes und Versäumtes 

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gekränkt die Abwesenheit aller Ansprechpartner vor Ort: „Prof. Gorski war nach Westdeutschland […] gereist, Prof. Biskup fuhr zu einer Sitzung nach Warschau, auch Prof. Grudczinski [Grudziński] weilte außerhalb.“ Umso mehr ärgerte Müller Mertens der unverhohlen vorgebrachte Wunsch seiner polnischen Gesprächspartner nach einer weiteren Intensivierung der Wissenschafts­beziehungen zu Westdeutschland. „Das Interesse daran wurde nachhaltig bekundet. Umso mehr befremdete die Aufnahme des Gastes aus der DDR.“120 Ähnliches Desinteresse mussten die ostdeutschen Historiker in Polen fortan immer wieder hinnehmen.121

5.3.2 Schulbuchgespräche Angesichts solcher Brüskierungen entsteht der Eindruck, die polnische Seite habe die DDR in ihrem Selbstverständnis als das „bessere Deutschland“ unter Zugzwang setzen wollen.122 Tatsächlich schien diese Strategie Erfolge zu zeitigen, signalisierte die ostdeutsche Seite in der Folge doch eine gewisse Verständigungsbereitschaft. Zwar lehnte sie dreiseitige Schul­buchgespräche unter Einschluss westdeutscher Historiker weiterhin kategorisch ab,123 immerhin fand sie sich aber zur Wiederaufnahme der seit 1956 weitgehend brachliegenden Gespräche im bilateralen Rahmen bereit. 1971 wurde fast zeitgleich mit der Aufnahme westdeutsch-polnischer Gespräche eine „gemischte Kommission zwischen DDR

120 Müller-Mertens an das Direktorat für Internationale Beziehungen der Humboldt-Universität zu Berlin, Bericht über die Vortragsreise in die VR Polen vom 1. bis 4. 6. 1971 (Abschrift), Berlin, 10. 6. 1971, ABBAW, HG 160. 121 So berichtete etwa auch Helmut Bleiber 1985 von der 32. Tagung der DPHK: „Auffallend war, dass an dem wissenschaftlichen Kolloquium von Angehörigen des historischen Instituts der Universität in Wrocław, in deren Räumen die Tagung stattfand, kaum jemand zu sehen war.“ Die polnische Seite ließ durchblicken, dass es sich dabei auch um einen politisch motivierten Boykott des Kolloqiumsthemas – die sozialen und kulturellen Umwälzungen in der SBZ und der VRP 1945 bis 1949 – gehandelt habe. Helmut Bleiber, Bericht über die 32. Tagung der Historiker-Kommission der DDR und der VRP vom 16. bis 21. September 1985 in Wrocław, [21. 9. 1985], ABBAW, ZIG 710/2. 122 Ähnlich taktierten die polnischen Historiker gelegentlich aber auch im Kontakt mit ihren bundesdeutschen Kollegen. So betonte etwa Antoni Czubiński 1980 in der SBK, dass den polnischen Historikern das Geschichtsbild der DDR näher stehe als jenes der westdeutschen Historiker. Antoni Czubiński, Die Konzeption eines polnischen Lehrbuchs der deutschen Geschichte, in: Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Nationalgeschichte als Problem der deutschen und der polnischen Geschichtsschreibung. XV. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker 1982 in Braunschweig, Braunschweig 1983, S. 95–106, hier S. 101. 123 So im Rahmen der Kommissionstagungen von 1956 und 1962.

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und VRP zur Prüfung der Geschichts- und Geographie-Lehrbücher“ der jeweils anderen Seite berufen.124 Im Anschluss an deren erste Zusammenkunft legten beide Delegationen schriftliche Kommentare zu den Lehrbüchern der Gegenseite vor.125 Darin monierten die Polen die allgemeine Dürftigkeit polnischer Bezüge in den ostdeutschen Lehrmitteln. Positiv erschien ihnen, dass der Imperialismus der deutschen Herrscherklassen in allen Epochen gebührend verurteilt werde, negativ vermerkten sie, dass der polnische Freiheitskampf (1863, 1918 ff., 1939– 1945) zu wenig Beachtung finde; auch würden die Leistungen der polnischen Kultur kaum gewürdigt. Umgekehrt attestierten die deutschen Gutachter den polnischen Schulbüchern eine im Allgemeinen angemessene Darstellung der ostdeutsch-polnischen Beziehungen. Allerdings würden bisweilen die historischen Gesetzmäßigkeiten und der Klassencharakter der antipolnischen Politik Deutschlands vernachlässigt, ebenso der Zusammenhang von sozialem und nationalem Befreiungs­kampf.126 Damit wurde einmal mehr der polnische Boykott gegenüber der Zwei-Linien-Interpretation der deutschen Geschichte gerügt. In den folgenden Jahren wurden diese Schulbuchgespräche zwar fortgesetzt, zeitigten aber keine greifbaren Ergebnisse.127 Vor dem Hintergrund der westdeutsch-polnischen Gespräche, die 1976 umfassende gemein­same Empfehlungen für den Geschichtsunterricht hervorbrachten, nimmt sich der Leistungs­ ausweis der ostdeutsch-polnischen Verhandlungen umso bescheidener aus. Gerard Labuda beklagte rückblickend, dass es während der gesamten Wirkungszeit der Kommission nicht gelungen sei, ein gleichwertiges ostdeutsch-polnisches Pendant zur Schulbuchkommission zwischen der

124 In auffallender Parallele zur Konstellation im Umfeld der Kommissionsgründung von 1956 ist hier wiederum das Bestreben ersichtlich, einer westdeutsch-polnischen Verständigung zuvorzukommen. 125 Beteiligt waren von deutscher Seite u. a. Friedrich Weitendorf und Reinhold Kruppe, von polnischer Seite Benedykt Zientara, Marian Wojciechowski und Janusz Żarnowski. Benedykt Zien­ tara, Uwagi dotyczące spraw polskich w podręcznikach historii w NRD, APAN-W III-329/163. 126 In diesem Zusammenhang pochten die deutschen Gutachter auf den progressiven Charakter der „Befreiungs­kriege“ gegen Napoleon, wobei sie die sowjetischen Historiker auf ihrer Seite wussten: 1963 hatte die DSHK den antinapoleonischen Kampf ausdrücklich als progressive Gemeinsamkeit der deutschen und der russischen Politik hervorgehoben. Schwarze, Kommission, S. 108 f. Den Polen galt Napoleon hingegen als Vorkämpfer ihrer nationalen Befreiung. 127 Diese Einschätzung wird durch eine parteiamtliche polnische Notiz zum Stand der polnischen Bemühungen um internationale Schulbuchrevision bestätigt. Dort werden zur DDR – im Gegensatz zu nahezu allen übrigen Staaten – keine Angaben über Erfolge gemacht, sondern nur die Tatsache sporadischer Treffen vermerkt. Notatka o stanie prac nad weryfikacją wiedzy o Polsce w zagranicznych podręcznikach szkolnych historii i geografii, undatiert [ca. 1977], AAN KC-PZPR/1354/LVIII/532, Bl. 104–129, hier Bl. 111.

5.3 Erreichtes und Versäumtes 

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BRD und der VRP zu schaffen.128 Stattdessen verfolgte Ostberlin die Tätigkeit der Schulbuchkommission misstrauisch aus der Distanz. Davon zeugt der Umstand, dass mehrere Spezialisten auf deren Aktivitäten „angesetzt“ wurden.129 Auch ließ sich die ostdeutsche Seite in der DPHK von den polnischen Kollegen regelmäßig über die Beratungen der SBK informieren und versuchte über jene gar Einfluss auf deren Entscheidungs­findung zu nehmen.130 Eine eigene Beteiligung an dreiseitigen Gesprächen lehnte Ostberlin aber stets entrüstet ab.131 Mehrere Vorstöße, die Labuda in diese Richtung zunächst bei Schilfert und später gegenüber Scheel unternahm, blieben erfolglos und endeten gar mit Labudas Ausschluss aus der DPHK.132 Und als die polnische Seite 1979 eine Arbeitstagung in Poznań unter Beteiligung von VRP, DDR und BRD zum polnischen Projekt einer dreibändigen Deutschen Geschichte vorschlug, wies Johannes Kalisch dies als „politische Instinktlosigkeit unserer polnischen Freunde“ zurück.133 Die DDR-Historiker, so Labudas abschließendes Urteil, hätten es vorgezogen, „Beobachter unserer Gespräche mit den bundesdeutschen Historikern zu bleiben“.134

128 Gerard Labuda, Rozmowy podręcznikowe: 1956–1990, in: Ders. (Hg.), Rozmowy polskoniemieckie o przeszłości, Poznań 1996, S. 461–464. 129 G.  Neuner, Präsident der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, an H. Scheel, Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der DDR, 6. 8. 1979, ABBAW, ZIG 710/2. 130 Als 1989 das IZ und das Internationale Schulbuchinstitut in Braunschweig [im Folgenden: ISBI] eine Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen als Gemeinschaftsarbeit in Angriff nehmen wollten, ersuchten die ostdeutschen Historiker ihre Kollegen in der DPHK, eventuellen gesamtdeutschen Ansprüchen der BRD entgegenzutreten und auf eine positive Darstellung der DDR zu achten. Helmut Bleiber, Bericht über die XXXVI. Tagung der Historikerkommission der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen, [Anfang Juni] 1989, ABBAW, ZIG 710/2. 131 Von dieser Verweigerungshaltung war sie nur 1956 kurz abgewichen. Damals gab das Schlussprotokoll der 2. Sitzung der DPHK in Anbetracht von Enno Meyers Schulbuchthesen dem Wunsch Ausdruck, „dass die deutschen Freunde eine geeignete Form finden für eine Besprechung der Schulbücher der DDR, der Bundes­republik und Polens durch interessierte Fachvertreter der drei Staaten in Berlin“. Die Formulierung dieses Passus lässt freilich erkennen, dass er auf polnische Anregung entstanden war. Kuczynski/Leśnodorski, Schlussprotokoll der 2.  Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission, Berlin, 17. 11. 1956, ABBAW, ZIG 555. 132 Labuda, Rozmowy podręcznikowe. 133 Johannes Kalisch an Heinrich Scheel, Rostock, 6. 3. 1979, ABBAW, ZIG 710/2. Auf dem Brief Scheels handschriftliche Antwort: „Teilnahme klar und höflich ablehnen.“ 134 Labuda, Rozmowy podręcznikowe.

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5.3.3 Gemeinschaftsprojekte Ihrerseits konnte die ostdeutsch-polnische Kommission nur wenige aus gemeinsamer Initiative erwachsene Publikationen vorweisen. Nach dreißig Jahren Kommissionstätigkeit waren lediglich drei Bände zur Oder-Neiße-Grenze (1959), zu den polnisch-sächsischen Beziehungen während des Nordischen Krieges (1962) und zum Ostmarkenverein (1966) sowie eine Quellenpublikation zur deutschpolnischen Freundschaft im Völkerfrühling (1982) erschienen.135 Hinzu kam die gegenseitige Begutachtung historischer Standardwerke mit beziehungs­ geschichtlichen Aspekten, darunter ein polnisches Gutachten zur Konzeption der Geschichte Deutschlands im Zweiten Weltkrieg136 und deutsche Gutachten zu polnischen Darstellungen der Geschichte Pommerns,137 Schlesiens138 und Preußens.139 Seit Ende der Siebzigerjahre erfolgte allerdings eine gewisse Belebung einschlägiger Publikationen in der DDR. Das Gefäß hierfür boten die Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, die zwischen 1976 und 1989 in 15  Heften bei der historischen Abteilung der Universität Leipzig erschienen und teilweise eng an die deutsch-polnische Historiker­kommission angelehnt waren. Bereits der Zeitrahmen der Publikationsinitiative verdeutlicht, dass es sich hierbei um den Versuch handelte, ein Gegengewicht zur westdeutsch-polnischen Schulbuch­kommission und ihren regelmäßig erscheinenden Tagungsbänden zu schaffen. Die Themen der Hefte umfassten neben der unausweichlichen Beschäftigung mit dem deutschen „Imperialismus“ und dem ebenso obligaten Lob auf die Freundschaftstraditionen zwischen den beiden Völkern und ihrer Vollendung in den Beziehungen zwischen der DDR und der

135 Goguel (Hg.), Polen, Deutschland; Johannes Kalisch/Jozef Gierowski (Hg.), Um die polnische Krone. Sachsen und Polen während des Nordischen Krieges 1700–1721, Berlin 1962; Adam Galos/Felix-Heinrich Gentzen/Witold Jakóbczyk, Die Hakatisten. Der Deutsche Ostmarkenverein (1894–1934). Ein Beitrag zur Geschichte der Ostpolitik des deutschen Imperialismus, Berlin 1966; Helmut Bleiber/Jan Kosim (Hg.), Dokumente zur Geschichte der deutsch-polnischen Freundschaft 1830–1832, Berlin 1982. Geplant als Doppelausgabe in beiden Sprachen, aber schließlich nur polnisch erschienen: Heinrich Gemkow, Wspólne tradycje. Współdziałanie polskiego i niemieckiego ruchu robotniczego. Wybór dokumentów i materiałów, Warszawa 1983. 136 Anlage zu: Bericht über die Dienstreise von Dr. Gerhard Hass, Leiter der Arbeitsgruppe Faschismus und zweiter Weltkrieg, und Dr. Olaf Groehler nach Warschau vom 4.–8. November 1968, Berlin, 13. 11. 1968, ABBAW, ZIG 171. 137 Jozef Gajek an das Staatssekretariat für Hoch- u. Fachschulwesen Berlin, 1. 2. 1960, ABBAW, ZIG 555, sowie die Anlagen zu: Abschrift von Gerard Labuda an Johannes Schildhauer, Poznań, September 1968, ABBAW, ZIG 710/4. 138 Zusatzprotokoll betr. Geschichte Schlesiens, 15. 11. 1956, ABBAW, ZIG 555. 139 S. o., Kap. 5.2.3.

5.3 Erreichtes und Versäumtes 

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Volksrepublik Polen auch einige unpolemisch formulierte und durchaus interessante Frage­stellungen. So fanden die deutsch-polnischen Beziehungen im Zeichen der Reformation sowie im 17. und 18. Jahrhundert Behandlung, weiter Polens staatliche Restitution und Entwicklung in der Zwischenkriegszeit und die damit verbundenen Grenz- und Minder­heitenfragen im deutsch-polnischen Kontext, schließlich die deutsche Ostpolitik zwischen den Weltkriegen und Polens Schicksal im Zweiten Weltkrieg.140 Demonstrativer Höhepunkt der Kommissionstätigkeit war 1981 die Herausgabe eines Bandes des Jahrbuchs für Geschichte und einer Nummer des Kwartalnik Historyczny mit Beiträgen von Historikern des jeweils anderen Landes.141 Das Austausch­unterfangen sollte „die Wertigkeit der beiderseitigen Kooperation bekräftigen“ – einmal mehr „auch gegenüber Dritten, die westlich der Elbe beachtliche Aktivitäten in dieser Hinsicht entwickeln.“142 Allerdings kam das Projekt schon in seiner Anlage eher einem Aneinander-Vorbeireden gleich als einem Dialog. Hinzu traten inhaltliche Differenzen: So fand die polnische Seite die deutschen Beiträge „insgesamt sehr theoretisch“,143 wohingegen die deutsche Seite bei den polnischen Kollegen in mehreren Fällen die politische Linientreue vermisste. Konnten in den Beiträgen von Janusz Tazbir und Tadeusz Jędruszczak „die prekärsten Stellen“ noch durch übersetzerische Freiheiten gemildert werden, so sorgte der Aufsatz von Madaj­czyk in Ostberlin für schlaflose Nächte:

140 Sektion Geschichte der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (Hg.), Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, 15 Bde., Rostock 1976–1989. Darin: Kulturelle und wissenschaftliche Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen: Materialien der XIX. Tagung der Kommission der Historiker der DDR und Volkspolens, 1976; Der deutsche Imperialismus und Polen 1918 bis 1939: Referate und Diskussionsbeiträge eines Kolloquiums vom 13. und 14. Mai 1977 in Rostock, 1978; Polen im Bannkreis des Imperialismus 1918 bis 1944, 1980; Polen im Schatten von Versailles, 1981; Polen an der Schwelle zweier Epochen (1939–1944), 1982; Grenzrevision und Minderheiten­frage zwischen beiden Weltkriegen, 2 Bde., 1982; Probleme der Reformation in Deutschland und in Polen, 1983; Traditionen der Freundschaften und Zusammenarbeit DDR – Volksrepublik Polen, 1984; Gemeinsam für Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit, 1985; Völkerfreundschaft – eine Vision wird Wirklichkeit, 1986; Wege zueinander – Kultur und Politik im 19. und 20. Jahrhundert, 1987; Konfrontation oder gute Nachbar­schaft? Deutschlands Ostpolitik zwischen beiden Weltkriegen, 1988; Rückkehr auf die Landkarte Europas (1918–1939), 1989; Deutschland und Polen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, 1989. 141 Jahrbuch für Geschichte 23 (1981); KH 88/1 (1981). 142 Heinrich Scheel an Kurt Zeisler, Cheflektor des Akademie-Verlages, Berlin, 6. 6. 1980, ABBAW, ZIG 710/2. 143 Wolfgang Schröder an Heinrich Scheel, Leipzig, 3. 3. 1980, ABBAW, ZIG 710/2.

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Es ist dies nämlich ein Referat, das M. in Moskau gehalten hat und das dort sehr kühl aufgenommen wurde. […] Also eine sehr delikate Angelegenheit. Ich sah mein Heil nur darin, […] dem Vielbeschäftigten in der 2. Audienz einige Änderungsvorschläge zu präsentieren, die die schlimmsten Blüten köpfen. Den Versuch zu wagen, den Stier bei den Hörnern zu packen und z. B. eine Passage vorzuschlagen, die die Verantwortung Polens an der Entwicklung der internationalen Krise von 1938/39 betrifft, hätte eine Konfrontation bedeutet, die die Kompromissbereitschaft des Autors beseitigt hätte. Vielleicht ist die vereinbarte Fassung gerade noch tragbar. Wenn man dabei berücksichtigt, dass M. offenbar mit dem Auftrag Direktor geworden war, die Zeitgeschichte zu organisieren…144

Pikanterweise war es in den letzten Jahren der DPHK dann aber nochmals Madaj­ czyk, der die magere Publikationsliste der Kommission aufbesserte. 1987 wurde seine grundlegende Studie zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen in deutscher Übersetzung in der DDR veröffentlicht.145 Begründet wurde dieser Schritt mit der „Gefahr, dass ein BRD-Verlag das Buch in deutscher Sprache druckt, wenn wir es nicht übersetzen.“146 Offenbar wirkte auch hier der Konkurrenzdruck von Seiten der Bundesrepublik. Ansonsten blieben Übersetzungen insbesondere polnischer Titel in die Gegensprache spärlich, die Herausgabe einer Geschichte Polens aus polnischer Feder für deutsche Leser blieb ein jahrzehntelang gehegtes und niemals eingelöstes Desiderat der polnischen Seite. Wurden die Erträge der wissenschaftlichen Tagungen publiziert, so geschah dies – mit Aus­nahme einiger Abdrucke im Jahrbuch für Geschichte – meist an relativ entlegener Stelle.147 Weitgehend unerfüllt blieben damit polnische Hoffnungen, die Kommission könne der polnischen Geschichtswissenschaft ein Fenster zur deutschsprachigen Fachgemeinschaft auch jenseits der DDR aufstoßen. Weder bei der Übertragung polnischer Werke ins Deutsche noch bei der Beschaffung westdeutscher historischer Literatur – um die die polnische Seite ihre ostdeutschen Kollegen gelegentlich bat – war die Kommission sonderlich aktiv. Beides sollte ab 1972 die westdeutsch-polnische Schulbuchkommission bieten.

144 Ebd. Hervorhebung im Original. Die abschließenden Auslassungspunkte stammen ebenfalls vom Autor und sind wohl als Äquivalent eines Kopfschüttelns zu lesen. 145 Czesław Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939–1945, Berlin 1987. 146 Heinrich Scheel an Otto Reinhold, Rektor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, 12. 10. 1977, ABBAW, ZIG 710/2. Tatsächlich erschien die deutsche Übersetzung unter demselben Titel und im gleichen Umfang ein Jahr später auch in der BRD (Köln 1988). 147 Eine Übersicht der Kommissionspublikationen bis 1972 erschließt Rautenberg, Historikerkommission.

5.3 Erreichtes und Versäumtes 

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5.3.4 Geschichte und Politik Auf der Suche nach Gründen für die Versäumnisse der Kommission darf ein letzter Punkt nicht unbeachtet bleiben. Jenseits aller historiographischen Differenzen schürten die unberechenbaren tagespolitischen Entwicklungen in Polen ostdeutsches Misstrauen. DDR-Historiker witterten im Umgang mit polnischen Kollegen und auf Dienstreisen in die Volks­republik immer wieder politische Gefahren. 1958 verband Scheel die Überlegung, polnische Gastprofessoren an ostdeutsche Universitäten einzuladen, mit Bedenken, dass diese „dann bei uns Lektionen halten, die nicht in Ordnung sind“, und entwickelte Ideen, wie man „diesem schädlichen Einfluss“ begegnen könne – nämlich „durch kritische Auseinander­setzungen im Anschluss an die Lektion“ und durch sorgfältige Auswahl der Gäste.148 Ungeachtet solcher Vorsichtsmaßnahmen mochte sich die politische Führung nicht gänzlich auf die Selbstkontrolle ihrer intellektuellen Eliten verlassen. Unter dem Eindruck der polnischen und tschechoslowakischen Protestbewegungen von 1968 wurden die universitären Kontakte der DDR in die benachbarten Volksdemokratien auf ein Mindestmaß zurück­ gestutzt. 1970 musste Heinrich Scheel vermelden, dass „es kaum noch Historiker bei uns gibt, die sich mit der polnischen Geschichte beschäftigen.“149 Die wenigen sprachkundigen Fachkollegen hätten „im Zuge der Hochschulreform alle – oder fast alle – andere Aufgaben erhalten.“150 Ein weiterer Bericht aus dem Jahr 1972 gab zu bedenken, dass der gemein­samen Historikerkommission seit der Auflösung des Instituts für Geschichte der europäischen Volksdemokratien in Leipzig das „Hinterland“ fehle.151 Behrends Begründung für die Schließung dieses Instituts darf daher analog auch für die deutsch-polnische Historiker­kommission (und ihre deutschtschechische Schwester) gelten: „Damit sollte ein Übergreifen der damals in

148 Heinrich Scheel, Zusätzliche Bemerkungen zu Punkt 5, als Anlage zum Beschlussprotokoll der Sitzung vom 10. 10. 1958, Berlin, 10. 10. 1958, ABBAW, ZIG 710/1. 149 Heinrich Scheel, Bericht über die XVII. Tagung der Kommission der Historiker der DDR und der VR Polen in der Zeit vom 2. bis 5. Juni 1970 in Görlitz, 7. 7. 1970, ABBAW, ZIG 555, Bl. 6. 150 „Dr. D. Lötzsch im DIZ wurde auf die Auseinandersetzung mit der ‚Ostforschung‘ umgesetzt, Dr. Kalisch, Rostock als hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär der Universität eingesetzt. Dr. Eva Seeber muss sich mit der Geschichte des sozialistischen Weltsystems nach 1945 beschäftigen. Dr. Lemke arbeitet an der Geschichte der UdSSR.“ Durch diese Umstände sei „die Beschäftigung mit der polnischen Geschichtswissenschaft in keinem Falle mehr institutionell gebunden, sondern ist sehr zufällig und mehr oder weniger für die die polnische Sprache beherrschenden Mitarbeiter eine Nebenbeschäftigung.“ Ebd. 151 Kommission der Historiker der DDR und der VR Polen, ohne Verfasserangabe, undatiert [1973/1974], ABBAW, ZIG 171.

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Polen und der ČSSR verbreiteten Reformvorstellungen auf die DDR verhindert werden.“152 Als sich die politische Lage in Polen im Zeichen von Solidarność und Kriegs­recht erneut zuspitzte, wurde die Arbeit der Kommission noch weiter abgesichert – und gleichzeitig fachlich verflacht –, indem vor allem junge, politisch zuverlässige und mit Polen wenig verbundene Historiker mit begrenzten Sprachkenntnissen herangezogen wurden.153 Häufiger als zuvor enthielten die Berichte ostdeutscher Kommissionsmitglieder über Begeg­nungen mit polnischen Kollegen nun auch ausführliche Schilderungen der politischen Lage im Nachbarland. So suchten am Rande der Tagung von 1981 „alle Mitglieder der [deutschen] Delegation die Gelegenheit zu persönlichen Gesprächen, bei denen in großem Umfang die gegenwärtige Lage in der VR  Polen im Mittelpunkt stand. Dabei wurde die Gelegenheit genutzt, unseren Standpunkt in geeigneter Form darzulegen.“154 Den polnischen Kollegen war umgekehrt bewusst, dass ihre Aussagen an die politischen Entscheidungsträger der DDR weitergereicht würden. Sie nutzten diesen informellen Weg bisweilen, um politische Botschaften an das befreundete sozialistische Ausland abzusetzen: „Übereinstimmend und fast beschwörend“ brachten sie etwa im selben Jahr zum Ausdruck, „die Bruderparteien mögen nicht die Geduld verlieren. Ein Einmarsch wäre die Katastrophe.“ Beinahe beleidigt musste Scheel konstatieren: „Keiner der Genossen zog als einen letzten Ausweg unsere Hilfe auch nur in Erwägung.“155 Schuld an der politisch-gesellschaftlichen Gärung im Nachbarland trugen aus Sicht der ostdeutschen Historiker nicht zuletzt die polnischen Fachkollegen – hatten diese es doch immer wieder versäumt, ihre ideologische Vorbildfunktion in der Gesellschaft wahr­zunehmen. Missbilligend musste Olaf Groehler 1970 feststellen, dass „eine Reihe polnischer Historiker offenbar nur bedingt unsere Auffassung vom politischen Engagement der marxis­tischen Geschichts­schreibung“

152 Behrendt, Osteuropahistoriographie in der DDR, hier S. 187. 153 Rautenberg, Historikerkommission, S. 122. 154 Heinrich Scheel, Bericht über die Teilnahme an der XXVIII. turnusmäßigen Tagung der Historiker-Kommission der DDR und der VR Polen, 7. 7. 1981, ABBAW, ZIG 710/2. 155 Heinrich Scheel, Bericht über Leitungsberatungen zwischen den Historikergesellschaften der DDR und der VR Polen im Rahmen der Vereinbarung über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden Gesellschaften vom 2.  Dezember 1974 in Warschau, VR Polen, Berlin, 1. 4. 1981, ABBAW, HG 160. 1986 hatte sich die Lage aus ostdeutscher Perspektive weiter verschlechtert – es war festzuhalten, „dass von den an der Tagung teilnehmenden 13 polnischen Historikern nach unserer Kenntnis nur einer Mitglied der PVAP war.“ Regimekritische Äußerungen fielen inzwischen auch „von polnischen Historikern, die zwar parteilos sind, in den Jahren 1980/81 aber einen politisch klaren, die Politik der „Solidarność“ verurteilenden Standpunkt ein­nahmen.“ Bericht über die XXXIII. Tagung der Historikerkommission DDR-VR Polen, ohne Verfasserangabe, undatiert [Ende Mai 1986], ABBAW, ZIG 710/2.

5.3 Erreichtes und Versäumtes 

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teile. So habe Jędruszczak, der Leiter des Militär­historischen Instituts, im Gespräch eine „scharfe Trennung vom politisch-historischen Propagandisten, dessen Betätigungsfeld die Massenmedien im weitesten Sinne sind, und dem wissenschaftlich arbeitenden Historiker“ vorgenommen. Groehlers Auffassung, dass die Arbeit des Historikers im Zeichen der Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus „eine zutiefst politische Aufgabe“ sei, quittierten die polnischen Kollegen mit der unverbindlichen Bemerkung, „dass sie selbstverständlich Verständnis dafür hätten, wenn wir angesichts unserer Lage eine Reihe von Fragen politisch zugespitzter und schärfer in den Mittelpunkt stellten.“156 In der hohen Politisierungsbereitschaft der ostdeutschen Historiker spiegelte sich ihr enges Verhältnis zur Staatsmacht. Deren Durchsetzungskraft ließ es geraten erscheinen, den Anforderungen von oben gerecht zu werden. Davon zeugt etwa der „Entwurf einer Konzep­tion über die internationale Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft“ aus dem Jahr 1966, der an der Staatsnähe der DDR-Historiographie keine Zweifel lässt: Die Auslandsarbeit der Historiker ist ein Teil der Außenpolitik der DDR überhaupt. Sie hat ihr zu dienen und muss sich in die kultur- und wissenschaftspolitische Konzeption der mit den außen­politischen Aufgaben betrauten Institutionen in der DDR einfügen.157

Dermaßen beflissen, der obrigkeitlichen Aufgabenstellung gerecht zu werden, verloren die ostdeutschen Geschichtsforscher allerdings zusehends die gesellschaftliche Nachfrage aus den Augen. Besorgt konstatierte H. Meyer 1975 in der DPHK, es gebe eine „gewisse Diskrepanz“ zwischen den Interessen der „Konsumenten historischen Wissens“ und den Gegenständen, mit denen sich sozialistische Historiker beschäftigten.158 Der sozialistische Erziehungs­auftrag drohte am mangelnden Publikumsinteresse zu scheitern. Wie bereits gezeigt, begegnete die ostdeutsche Historiographie diesem Missstand Schulter an Schulter mit der Staatsführung, indem die historisch-nationale Selbstdefinition der DDR kontrolliert, aber umfassend erweitert wurde. Ob hierbei die polnische Geschichtspolitik Pate stand, bleibt vorerst eine offene Frage.

156 Olaf Groehler, Reisebericht über Archivstudienreise in die Volksrepublik Polen vom 13. April bis zum 3. Mai 1970, undatiert, ABBAW, ZIG 171. 157 Entwurf einer Konzeption über die internationale Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft, ohne Verfasserangabe, 29. 8. 1966, ABBAW, Arbeitsgemeinschaft der gesellschaftswissenschaftlichen Institute und Einrichtungen 72. 158 Diese Beobachtung äußerte er auf der 22. Konferenz der DPHK 1975 in Lublin. Stelzig, Geschichtsbild, S. 275.

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 5 Verordnete Freundschaft zwischen Polen und der DDR

Außer Zweifel steht hingegen, dass sich dasselbe Problem in Polen ungleich zugespitzter präsentierte. Hier bedrängte eine zunehmend kritische Öffentlichkeit die immer defensiver agierenden Geschichtsideologen der Partei, wobei sich die Historiker in aller Regel als Vermittler zwischen obrigkeitlichen Vorgaben und gesellschaftlichen Bedürfnissen verstanden. Selbst ein Parteihistoriker wie Jarema Maciszewski forderte 1980 das Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei eindringlich auf: [Es] ist stets Kontakt mit dem gesellschaftlichen Bewusstsein des Volkes zu halten. Wenn wir in unserer politischen Arbeit, auf dem Gebiet der Geschichte, entgegen dem gesellschaftlichen Bewusst­sein handelten, dann würde zweifelsohne niemand uns hören und uns niemand glauben. Man darf z. B. keine Vorbehalte gegenüber der Zweiten Republik, gegenüber dem bürgerlich-jünkerlichen Polen haben […], denn wenn wir bei einer Analyse der zwanzig Jahre zwischen den beiden Weltkriegen eine solche These aufstellen, dann würden sich die Menschen selbstverständlich von uns abwenden. Das sind theoretische Beispiele, denn solche Gedanken kommen wohl niemandem in den Sinn. Es wäre töricht, wenn wir z. B. Groll gegenüber den Soldaten des September [1939] hegten, weil sie in den Reihen einer bürgerlichen Armee kämpften, oder gegenüber den Teilnehmern am Warschauer Aufstand, weil sie überhaupt gekämpft haben.159

Insgesamt wird man den polnischen Geschichtsforschern bescheinigen dürfen, dass sie der gesellschaftlichen Nachfrage seit den 1960er Jahren wesentlich weiter entgegenkamen als ihre ostdeutschen Kollegen, auf diesem Weg aber zumindest ein Stück weit von der offiziellen Geschichtspolitik begleitet wurden, sodass die aus eigener Kraft zu überbrückende Distanz zwischen Staat und Gesellschaft in zahlreichen Fragen geringer ausfiel als in der DDR. Auf die deutsch-polnische Verständigung wirkte sich die beiderseitige Aufwertung national­bewusster Positionen derweil nicht unbedingt negativ aus. Zwar führte sie seit den Siebzigerjahren zu einer schärferen Konturierung deutsch-polnischer Gegensätze, zwang aber gerade dadurch zur erneuten Beschäftigung mit ungelösten Kardinalfragen der gemeinsamen Beziehungsgeschichte – am deutlichsten in den bereits dargestellten Auseinandersetzungen um die preußische Geschichte. Hatte man eine „gemeinsame Sprache“ im sozialistischen Jargon nie ganz finden können, so schien sie jetzt in einer nationalbewussten Diktion greifbar zu werden. Das abrupte Ende der Kommission im Jahr 1990 kam für beide Seiten unerwarteter als die politische Wende, der es geschuldet war. Ehe sie sich versah,

159 Übersetzung eines internen Vortrags von Prof. Jarema Maciszewski, Leiter Abt. Wissenschaft und Volksbildung im ZK [der PVAP], gehalten Mitte Juni 1980, ABBAW, ZIG 710/4.

5.4 Zwischenfazit zu den ostdeutsch-volkspolnischen Historikerbeziehungen 

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wurde die Geschichte im Dienste der Zukunft von der Gegenwart überrollt. Am 18.  September 1990 traten leitende Kommissionsmitglieder in Warschau ein letztes Mal zusammen. Hier erklärte sich die deutsche Seite vor dem Hintergrund finanzieller und organisatorischer Unwägbarkeiten bis auf Weiteres außerstande, die Kommissionstätigkeit fortzuführen.160 Bezeichnend scheinen Gedanken zu einer – nicht verwirklichten – wissenschaftlichen Folgeinitiative, die sich in kontinuierlicher Form dem „Platz Deutschlands, Polens und Russlands in Europa“ widmen sollte. Dies darf wohl als Hinweis darauf verstanden werden, wie stark die Sowjetunion in der ostdeutsch-polnischen Kommission als abwesender Dritter doch stets mitgedacht worden war.161

5.4 Zwischenfazit zu den ostdeutsch-volkspolnischen Historikerbeziehungen Wie ist die Tätigkeit der deutsch-polnischen Historikerkommission rückblickend zu bewer­ten? Fassen wir zusammen. 1. Die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Beziehungsgeschichte hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits wurden im Rahmen der Kommission bisweilen durchaus kontroverse Themen aufgegriffen. Als Beispiele hierfür dürfen die Diskussionen um die Ursachen des Zweiten Weltkriegs und um Preußens Rolle in der deutschen Geschichte gelten. Hier und in anderen Fällen wurden wiederholt auch sehr grundsätzliche Auseinander­setzungen ausgetragen, die weit über offiziell approbierte Geschichtsbilder hinauswiesen und etwa das heikle deutsch-polnisch-sowjetische Verhältnis im Umkreis des Hitler-Stalin-Pakts berührten. Angesichts solcher Tatsachen wäre es falsch, die Kommission einzig als Podium ritualisierter Bruderschafts­gesten zu verstehen. Wo dieser Eindruck entstand, war er der ungeschriebenen Regel geschuldet, Auseinander­setzungen hinter verschlossenen Türen zu führen, erzielte Einigung hingegen öffentlich zu zelebrieren. 2. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die Kommission in strittigen Fragen nur bescheidene Verständigungserfolge erzielte. In der Regel verlegte man sich darauf, weitgehend unumstrittene und positiv konnotierte Gemeinplätze der deutsch-polnischen Beziehungs­geschichte in Erinnerung zu rufen, so etwa die deutsch-polnische Freundschaft im Völker­frühling und in der sozialistischen Bewegung, oder aber den gemeinsamen Gegner zu beschwö-

160 Jan Kosim an Jan Zamojski, Warszawa, 26. 9. 1990, APAN-W III-308/6, Bl. 61–65. 161 Ebd.

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ren – Faschisten und Hakatisten in der Vergangenheit oder den „westdeutschen Imperialismus“ in der Gegenwart. Wo substantielle Einigungen erzielt wurden, waren sie nicht der historiographischen Verständigung zwischen Deutschen und Polen, sondern dem politischen Schiedsspruch der Sowjetunion geschuldet. Deren geschichtsideologische Solidaritäten kamen bald den deutschen, bald den polnischen Interessen zugute und blockierten dabei oft die historisch berechtigten Interpretationen der jeweils anderen Partei. So stieß das Interesse der DDR-Historiker an der deutschen Vergangenheit von Schlesien, Pommern und Ostpreußen auf die geschlossene Ablehnung von Polen und Russen; vielmehr waren Oder-Neiße-Grenze und Zwangsumsiedlungen als historische Notwendigkeiten zu legitimieren. Umgekehrt scheiterte die polnische Interpretation des September 1939 am gemeinsamen nationalbewussten Widerstand von DDR und UdSSR; eine ähnliche Komplizenschaft verband Deutsche und Russen aber auch hinsichtlich der polnischen Teilungen und der napoleo­nischen Kriege. 3. Die widersprüchlichen Sichtweisen von Polen und Deutschen wurden, wie wir gesehen haben, zum methodischen Gegensatz formalisiert. Unter dem Banner des historischen Materialismus vertraten ostdeutsche Historiker eine national nivellierende, sozialstrati­ fika­ torisch akzentuierte Sichtweise der deutsch-polnischen Beziehungen (Zwei-Linien-Para­ digma), während ihre polnischen Kollegen weiterhin mehrheitlich von der Warte einer traditionellen Nationalgeschichte aus argumentierten. 4. Im Rahmen dieser gegensätzlichen Geschichtsbilder folgte der ostdeutschpolnische Dialog bald eingespielten Diskursmustern: Die DDR-Historiker strebten danach, sich vom negativen Strang der deutschen Geschichte zu distanzieren und ihn der reaktionären Monopol­bourgeoisie anzulasten, die 1949 in einem ebenso reaktionären Staat – der Bundesrepublik – aufgegangen sei, und den positiven Strang der deutschen Geschichte herauszuarbeiten, ihn mit den „progressiven“ Klassenkräften – insbesondere dem Proletariat – zu identifizieren und als Vorgeschichte der DDR zu vereinnahmen. Gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit nahmen die DDR-Historiker daher weniger die Pose der reuigen Nation als jene der anklagenden Klasse ein. Hinsichtlich der Gegenseite war ihnen daran gelegen, den Polen bei ihrer Geschichtsdeutung dieselbe Zweispurigkeit von progressiver und reaktionärer Traditionslinie nahezubringen und so auf eine normative Gleichstellung Polens und Deutsch­lands hinzuwirken. Bezüglich des deutsch-polnischen Verhältnisses ging es schließlich darum, Verknüpfungen zwischen den positiven Linien beider National­geschichten zu zeigen, aber auch eine Vergleichbarkeit der negativen Linien herauszuarbeiten (tu-quoque-Argument).

5.4 Zwischenfazit zu den ostdeutsch-volkspolnischen Historikerbeziehungen 

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5. Demgegenüber drängten die polnischen Historiker darauf, die polnische Geschichte in ihrer Gesamtheit als überwiegend – wenn auch nicht in strang darzustellen, wobei kaum jedem Detail – positiven Entwicklungs­ nach Klassen unterschieden wurde. Kritikwürdige Aspekte der polnischen Geschichte wurden demzufolge ausgeblendet – wie im Falle der Zwangs­ aussiedlung der deutschen Bevölkerung – oder allenfalls als vereinzelte dunkle Flecken zugelassen, eine kohärent negative („reaktionäre“) Tradition der polnischen National­geschichte aber entschieden verneint. Bezüglich des deutsch-polnischen Verhältnisses wurde ein normatives Gefälle zugunsten Polens betont; hinsichtlich der Gegenseite plädierten die Polen auf Unteilbarkeit nationaler historischer Verantwortung. Dahinter stand die Überzeugung, dass strittige Fragen nicht zu lösen seien mit einer Partei, die sich ausschließlich als Verkörperung des „Guten“ in der deutschen Geschichte verstand. Dieser Umstand erklärt vielleicht mehr als jeder andere Faktor das polnische Interesse an der Schulbuchkommission mit der Bundesrepublik oder – besser noch – an dreiseitigen polnisch-doppeldeutschen Geschichtsgesprächen, die von der DDR indes konsequent verweigert wurden. 6. Aus dem Gesagten geht bereits hervor, dass die Kommission den nationalen Gegensatz mitnichten vergessen machte. Mochte auch die sozialistische Meistererzählung vom inter­nationalen Klassenkampf die nationalen Narrative bisweilen überdecken – überwinden konnte sie sie keinesfalls. Das möglicherweise vorhandene Potential einer gesellschafts­geschicht­lichen Betrachtungsweise, allzu nationalistische Perspektiven aufzubrechen, machte die ostdeutsche Seite zunichte, indem sie einen dogmatischen historischen Materialismus zur Gleichwertung von polnischer und deutscher Geschichte benutzte. Es erstaunt kaum, dass diese Sichtweise der gemeinsamen Beziehungsgeschichte in Polen kaum Anhänger gewinnen konnte, solange sie als Vehikel einer apologetischen Geschichtsklitterung diente. 7. So ist das sozialistische Geschichtsbild, dessen konsensstiftende Wirkung immer wieder betont wurde, in Wahrheit eher als Hemmschuh der deutschpolnischen Verständigung zu werten. Pointiert ließe sich gar behaupten, dass erst die seit den späten Sechzigerjahren durchbrechende Wiederaneignung der Nationalgeschichte durch die DDR-Historiographie beide Seiten allmählich zu einer gemeinsamen Sprache zurückfinden ließ. Jedenfalls lassen die polnischen Reaktionen auf den erweiterten Erbe-Begriff nebst anfänglicher Besorgnis auch eine gewisse Erleichterung darüber erkennen, dass die DDRHistoriographie ihre nationalen Positionen nun wieder unverstellt vortrage. Auf dieser Basis konnte sich die DPHK daran machen, strittige Fragen wie die Bewertung Preußens oder die Beurteilung des Zweiten Weltkriegs neu auszuhandeln. Auf polnischer Seite wurde dabei wohl erkannt, dass die DDR-

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Historiker auf ihren Reakquirierungszügen durch die deutsche Vergangenheit auch zunehmend ambivalente Erbstücke für sich reklamierten und sich in der Folge nicht mehr so einfach aus der Verantwortung für die negativen Erscheinungen der deutschen Geschichte würden stehlen können. Auf die daraus erwachsenden Widersprüche wurde immer öfter hingewiesen. 8. Außer Frage steht, dass die Historikerkommission in den Siebzigerjahren vom west­deutsch-polnischen Dialog überholt wurde. Immerhin dürfte die Auseinandersetzung mit den ostdeutschen Kollegen die polnischen Geschichtsforscher in gewissem Sinne auf ihre späteren Gespräche mit den bundesdeutschen Historikern vorbereitet haben. Letztlich verdeutlicht der Vergleich mit der Schulbuchkommission aber vor allem, dass die deutschpolnische Geschichtsverständigung im staatssozialistischen Kontext weniger an nationalen Gegensätzen scheiterte – so schwerwiegend diese auch sein mochten – als vielmehr an gänzlich verschiedenen Auffassungen von den politischen Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der Historiographie.

6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland Die Schulbuchkommission steht für eine Phase, wo wirklich ein Dialog zwischen Deutschland und Polen stattfinden konnte. Bis dahin bestand der Dialog aus zwei Monologen. (Marek Prawda, 2007)1 Aber hier handelt es sich eben auch um ein Stück historischer Diplomatie oder diplomatischer Historie. Wie man es nimmt. (Hans-Adolf Jacobsen, 1975)2

Nach dem Tiefpunkt des Zweiten Weltkrieges dauerte es ein Jahrzehnt, bis die Kontakte zwischen deutschen und polnischen Historikern wieder in Gang kamen. Bemerkenswerterweise erfolgten die ersten Begegnungen bundesdeutscher und polnischer Geschichtsforscher um die Mitte der Fünfzigerjahre mit nur geringem Rückstand auf die staatlich verordnete Annäherung zwischen den Historikern der DDR und der Volksrepublik Polen. Erste Begegnungsorte boten die Internationalen Historikerkongresse des CISH.3 Als sich Polen und Deutsche auf dem Kongress in Rom 1956 erstmals gegenüberstanden – 1950 war den Deutschen die Teilnahme noch verwehrt geblieben –, hatte die Blockkonfrontation im Bewusstsein der internationalen Historikerschaft nationale Gegensätze bereits überlagert.4 Die Polen waren mit zwei Delegationen – einer volks- und einer exilpolnischen – vertreten, während die Teilnehmer aus den beiden deutschen Staaten formell in einer gemeinsamen Delegation auftraten, da das CISH der DDR die Anerkennung verweigerte. Unter dem Druck politscher Vorgaben bemühten sich ostdeutsche und volkspolnische Historiker um ostentative Solidarität. Gleichzeitig deutete sich eine vorsichtige Annäherung zwischen bundesdeutschen und exilpolnischen Historikern an.5 Die daraus hervorgehenden Kontakte, die 1956 und 1964 zu zwei gemeinsamen Konferenzen führten, werfen ein interessantes Schlaglicht auf die Historikerdiplomatie in Zeiten des Kalten Krieges,

1 Marek Prawda, Polens Botschafter in Berlin im Interview mit der Deutschen Welle, 2007, online unter (20. 5. 2015). 2 Hans-Adolf Jacobsen, Bilanz der 8. Deutsch-Polnischen Schulbuchkonferenz, in: Das Parlament, 10. 5. 1975, S. 14–17. 3 Dazu Erdmann, Ökumene, S. 337 f., 391 ff., 424 ff. 4 So geht etwa auch Erdmann, Ökumene, für die Nachkriegszeit nicht mehr auf den deutschpolnischen Gegensatz ein, dem er in der Zwischenkriegszeit großen Raum gibt. Zum Kongress in Rom S. Wyczański, Uwagi o nauce historycznej. 5 Ruchniewicz, Annäherung, S. 32 f., Anm. 26.

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sind darüber hinaus aber weitgehend folgenlos geblieben. Stobiecki hat diesem Kapitel eine ausführliche Darstellung gewidmet, auf die an dieser Stelle verwiesen sei.6 Ungleich weitreichendere Folgen hatte die allmähliche Überwindung des Schweigens zwischen bundesdeutschen und volkspolnischen Historikern, die deshalb im Folgenden eingehender behandelt wird.

6.1 Kontaktanbahnung In den Bereich des Denkbaren rückten Blockgrenzen überschreitende deutschpolnische Historikerkontakte erst in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre. Möglich machte dies die allmähliche Entspannung zwischen den Machtblöcken im Zuge der Entstalinisierung, in deren Folge sich erste Austausch- und Begegnungs­möglichkeiten eröffneten. Im Hoffen auf eine diplomatische Annäherung gewährten die außenpolitischen Entscheidungsträger der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen den bilateralen Wissenschaftler­ kontakten zunächst diskrete Unterstützung.7 Unter diesen Vorzeichen kam es in den späten Fünfzigerjahren zu ersten gegenseitigen Besuchen. Auf Einladung deutscher Polenkenner wie Gotthold Rhode und Herbert Ludat, von denen Letzterer bereits in den frühen Fünfzigerjahren wieder briefliche Kontakte nach Polen angeknüpft hatte,8 reisten noch vor 1960 zahlreiche polnische Historiker in die Bundesrepublik – unter ihnen Gerard Labuda, Zbigniew Kulak und Marian Wojciechowski vom Posener Westinstitut, Wacław Długoborski aus Kattowitz und Karol Górski aus Thorn.9 Es fällt freilich auf, dass dieses Privileg

6 Stobiecki, Klio. 7 Deutscherseits existierte seit 1961 ein eigenes Referat für wissenschaft­liche Kontakte zu den osteuropäischen Staaten beim AA. Unger, Ostforschung, S. 284, 332. Auf polnischer Seite ermunterte das MSZ die Historiker des Landes, den von Enno Meyer in Gang gebrachten Schulbuchdialog aufzugreifen. Hintergrund waren Hoffnungen auf eine baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Labuda, Rozmowy podręcznikowe, hier S. 461. 8 Enno Meyer, Wie ich dazu gekommen bin. Die Vorgeschichte der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche 1948–1971, Braunschweig 1988, S.  25. Der Deutsche Akademische Austauschdienst [DAAD] schuf 1958 erstmals für acht polnische Dozenten die Möglichkeit, ein halbes Jahr an westdeutschen Hochschulen zu verbringen. BR, Acht polnische Dozenten erwartet, in: Die Welt, 22. 5. 1958. Zitiert nach dem Ausriss in PAAA B12/473. 9 Zu Labuda Meyer, Dazu gekommen, S. 25; zu Kulak und Wojciechowski PAAA B 12/473–474; zu Długoborski Pressedienst der Militärmission Polens, Westberlin, Diskussion über die „östlichen“ Institute, 11. 2. 1958, PAAA B12/473; zu Górski, der auf Einladung von Walther Hubatsch nach Bonn reiste, (9. 7. 2007).

6.1 Kontaktanbahnung  

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vor allem politisch linientreuen Forschern zuteil wurde.10 Die neuen Kontakt­ möglichkeiten fügten sich stimmig in einen Kontext, der von offiziösen Referenzerweisen zwischen polnischen und bundesdeutschen Hochschulen und einem regen Studenten­austausch geprägt war.11 Allzu große Hoffnungen erwiesen sich allerdings als verfrüht. Im August 1960 stand der Internationale Historikerkongress in Stockholm erneut unter dem Schatten der Block­konfrontation, und westdeutsche Historiker fanden auf dem Kongress keinerlei Gelegenheit, mit ihren streng überwachten polnischen Kollegen in Kontakt zu treten,12 die sich stattdessen ostentativ mit ihren ostdeutschen Fachgenossen solidarisierten.13 Dass das demonstrative Desinteresse politischen Vorgaben geschuldet war, offenbarte das Tauziehen, das sich im selben Jahr um die geplante Teilnahme von Hans Roos an der Internationalen Pommernkundlichen Konferenz in Posen zwischen den Parteiinstanzen und der Historikerschaft entspann. Nachdem die Konferenzorganisatoren den westdeutschen Wissenschaftler eingeladen hatten, protestierte das Zentralkomitee der PVAP mit der Begründung, dass Roos ein Verfechter der Antemuralis-These sei, wonach Deutsche und Polen die historische Aufgabe hätten, Russland und den Bolschewismus aus Europa zu verbannen. Das Ansinnen, den polenfreundlichen Deutschen wieder auszuladen, lehnte eine Mehrheit der polnischen Historiker indes entrüstet ab und drohte gar damit, den Kongress in diesem Falle zu boykottieren.14 Es

10 Wer Kontakte in die BRD pflegte, ohne gleichzeitig seine Loyalität zu Partei und Vaterland gebührend unter Beweis zu stellen, konnte der jahrelangen Aufmerksamkeit der Staatssicherheitsorgane gewiss sein, wie wir im Falle Jerzy Serczyks gesehen haben. S. o., Kap. 4.3.10. 11 1956–1958 besuchten jährlich über 400 bundesdeutsche und polnische Studenten das jeweils andere Land. Auf offizieller Ebene verdeutlichte der Warschauer Universitätsrektor 1958 mit einer Einladung an seine Amtskollegen aus Hamburg und Göttingen sein Interesse an Kontakten in die BRD. Verband deutscher Studentenschaften, Memorandum über Entwicklung und Stand der Hochschulbeziehungen zwischen der Bundes­republik Deutschland und Polen, 20. 8. 1958, PAAA B12/474; Westdeutsche Professoren in Warschau, in: Deutsch-polnische Hefte, München, Juni 1958. Exemplar aus dem PAAA B 12/473. 12 Meyer, Dazu gekommen, S. 55; Stobiecki, Klio, S. 128–134. 13 Im Vorfeld hatte man in Warschau gar erwogen, ein der polnischen Seite zustehendes Hauptreferat an die Vertreter der DDR abzutreten, denen eine offizielle Repräsentanz im CISH weiterhin verwehrt blieb. Zusätzlich hatte sich die polnische Seite mit anderen sozialistischen Staaten darum bemüht, die Aufnahme der ostdeutschen Historikergesellschaft in das CISH zu betreiben. Schlussprotokoll der 5.  Tagung der deutsch-polnischen Historikerkommission, 18. 2. 1959, BAB SAPMO R-3, ZSTA 4064. 14 B. Dopierała, ZW TRZZ w Szczecinie, Notatka dla Wydziału Propagandy KW PZPR w Szczecinie w sprawie Konferencji Pomorzoznawczej, 9. 3. 1960, APAN-W II-73/367/36/175.

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war Labudas untrüglichem Instinkt für das politisch Machbare zuzuschreiben, dass die Einladung an Roos schließlich doch zurückgezogen wurde.15 So blieben gegenseitige Wissenschaftlerbesuche auf Jahre hinaus schwierig, obgleich es an Förderprogrammen nicht fehlte.16 Vor allem Reisen bundesdeutscher Forscher in die Volks­republik stießen auf zahlreiche Widerstände. Nach den liberalen Anflügen der späten Fünfzigerjahre wurde die Genehmigungspraxis der Warschauer Stellen rasch wieder restriktiver. Insgeheim galt ein Quotensystem nach Herkunftsländern, das die Bundesrepublik nicht nur weit hinter der DDR einreihte (für jeden bundesdeutschen Gast sollten drei ostdeutsche eingeladen werden), sondern bezeichnenderweise auch hinter Ländern wie Frankreich.17 Außerdem genossen naturwissenschaftliche gegenüber geisteswissenschaft­lichen Austauschbeziehungen Vorrang – erhoffte man sich von Ersteren einen Wissenstransfer, so befürchtete man von Letzteren ideologische Kontamination.18 Unter diesen Umständen wurden westdeutsche Gesuche um Forschungsaufenthalte in Polen unter fadenscheinigen Vorwänden oft so lange verzögert, bis der Antragsteller aufgab. Immerhin traten an die Stelle kurzer Sondierungsreisen nun zunehmend längere Forschungsaufenthalte. So erhielt Helmut Wagner 1963 ein einjähriges Stipendium in Polen zugesprochen,19 und Gottfried Schramm konnte für seine Habilitation über die Reformation in Polen zwischen 1959 und 1964 gar drei längere Forschungs­ aufenthalte in der Volksrepublik verbringen und einen Teil seiner Ergebnisse im Przegląd Historyczny veröffentlichen.20 Dabei wachte die polnische Seite freilich argwöhnisch darüber, dass die Besuchskandidaten der polnischen Nation gewogen

15 Protokół z zebrania Prezydium Komisji Naukowo-Programowej Międzynarodowej Konferencji Pomorzo­znawczej odbytego dnia 26 marca 1960 w Szczecinie, 26. 3. 1960, APAN-W II73367/36/175; sowie Protokół z zebrania „Zespołu Współorganizatorów“ Międzynarodowej Konferencji Pomorzo­znawczej w dniu 25 marca 1960 r. w Szczecinie, 25. 3. 1960, ebd. 16 Bereits in den frühen Sechzigerjahren wurde zwischen beiden Staaten ein devisenloses Austauschprogramm für Forscher geschaffen. J. Cywiak, Vizedirektor der Abteilung Presse und Information [im Weiteren: DPI], an Direktion des IZ, in Kopie an Wydział Nauki i Oświaty KC PZPR, Departament IV [im Weiteren: D-IV] MSZ. Współpracy Kulturalnej i Naukowej [im Weiteren: DWKN] MSZ, 29. 10. 1964, AIZ 41/1. Stipendien stellten u. a. der DAAD, die Ford-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die UNESCO bereit. Unger, Ostforschung, S. 284; PAAA B 12/473–474. 17 Ebd. 18 Główne kierunki współpracy naukowej, als Anlage zu W.  Wiórkowicz, PAN, an Direktor T. Kuźmiński, DWKN MSZ, 30. 5. 1972, AMSZ D-IV 46/77/W-13. 19 Der Forschungsaufenthalt basierte auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und wurde im Herbst 1962 zwischen dem DAAD und der PAN in Warschau vereinbart. Tadeusz Manteuffel an Helmut Wagner, 12. 10. 1962, AIH PAN 5/86. 20 Gottfried Schramm, Marburg/Lahn, an Tadeusz Manteuffel, 13. 9. 1963; anliegend: Schramm an den polnischen Bildungsminister [Abschrift], 12. 9. 1963, sowie Manteuffel an Schramm, 7. 10. 1963, alle AIH PAN 5/86, Bl. 40–42.

6.1 Kontaktanbahnung  

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waren und sich der Volksmacht gegenüber zumindest nicht feindselig zeigten.21 Wie taktisch dabei vorgegangen wurde und welche geschichtspolitischen Hintergedanken mitspielten, lässt sich am Beispiel von Imanuel Geiß zeigen, der sich 1964 um einen Forschungsaufenthalt in Polen bewarb. Das Westinstitut befürwortete den Besuch und bat das polnische Außenministerium, die Kosten zu übernehmen – habe Geiß in seinen bisherigen Arbeiten doch eine „redliche, wissenschaftliche Haltung“ zu Polen eingenom­men.22 Die Antwort aus dem Ministerium ließ nicht lange auf sich warten: In Anbetracht dessen, dass dies dem revisionistischen Lager in der DBR und den wissenschaftlichen Kreisen, die mit der revisionistischen Richtung der Bonner Regierung verbunden sind, in hohem Maße ungelegen kommen muss, erachten wir eine Einladung für Dr.  Geiß nach Polen als zweckmäßig und nützlich. Wir werden damit unsere positive Haltung gegenüber jenen Vertretern der westdeutschen Wissenschaft unterstreichen können, die sich für eine realistische und konstruktive Regelung der Beziehungen zu Polen einsetzen.23

Auch politisch genehme Gäste genossen in der Volksrepublik allerdings nur bedingte Forschungsfreiheit. So stieß Martin Broszat, dessen politische und historische Auffassungen im Warschauer Außenministerium als „sehr freundlich“ galten,24 mit seinem Forschungsvorhaben zur deutschen Minderheitenpolitik in der Zwischenkriegszeit bei den Warschauer Behörden zwar grundsätzlich auf Wohlwollen.25 Keine Gnade fand jedoch sein Wunsch, dazu auch Akten des polnischen Außen- und Innenministeriums sowie der Wojewodschafts­verwaltungen aus der Zwischenkriegszeit einzusehen.26 Nicht selten unterstützten polni-

21 So war etwa Wagners propolnische Haltung im Vorfeld sorgfältig abgeklärt und unter anderem von Zdzie­chowski bestätigt worden. Jerzy Zdziechowski, Paris, an Tadeusz Manteuffel, Warschau, 29. 9. 1962, AIH PAN 5/86, Bl. 19 f. 22 Zdzisław Nowak, wissenschaftlicher Sekrektär, Direktion des IZ, an DPI MSZ, 23. 9. 1964, AIZ 41/1. 23 J. Cywiak, Vizedirektor DPI MSZ, an Direktion des IZ, in Kopie an Wyd. Nauki i Oświaty KC PZPR, D-IV MSZ, DWKN MSZ, 29. 10. 1964, AIZ 41/1. 24 Diese Einschätzung bezog sich auf sein Buch 200 Jahre deutsche Polenpolitik und den Umstand, dass er die Bonner Regierung für ihre Haltung zur Oder-Neiße-Linie kritisierte und die Auffassung vertrat, erst die Grenz­rege­lungen nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Voraussetzungen für normale deutsch-polnische Beziehungen geschaffen. Notiz zur Person M. Broszats, undatiert, ohne Verfasserangabe, AIZ 41/1. 25 Martin Broszat an Kaczmarczyk, IZ, 8. 2. 1965, AIZ 44/1. 26 Ebd.; sowie R. Frąckiewicz, Leiter der Presseabteilung Ausland, MSZ, an Markiewicz, Vizedirektor IZ, 9. 9. 1965, AIZ 44/1. Anders als das Ministerium hatte das IZ im Vorfeld geraten, Broszat Zugang zu einem sehr breiten Spektrum von Archiven zu gewähren. Zdzisław Kaczmarczyk, Direktor des IZ, an Direktor J. Cywiak, DPI MSZ, 8. 3. 1965, AIZ 41/1.

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sche Historiker Besuchskandidaten aus der Bundesrepublik mit regelrechten Unbedenklichkeits­erklärungen. So machte sich Czesław Madajczyk 1967 zum Fürsprecher für Helmut Lippelt aus Mainz, den Jerzy Holzer nach Warschau einladen wollte. Lippelt sei „sehr propolnisch“ eingestellt und gehöre zu den „Verfechtern einer Verständigung auf der Grundlage des gegenwärtigen status quo.“27 Solche Gutachten über deutsche Kollegen verlangten die Warschauer Ministerien von den polnischen Historikern noch im Umfeld der deutsch-polnischen Schulbuchkommission in den Siebzigerjahren.28 Im Gegenzug pochten die polnischen Historiker auf häufigere Forschungsreisen nach Westdeutschland.29 Insbesondere die Wissenschaftler des Posener Westinstitut beklagten sich über den Mangel an Gelegenheiten, die Bundesrepublik als ihren hauptsächlichen Forschungsgegenstand selbst in Augenschein zu nehmen,30 fanden mit ihrem Anliegen aber erst gegen Ende der Sechzigerjahre allmählich Gehör.31 Nebst persönlichen Kontakten gewannen zu diesem Zeitpunkt auch thematisch fokussierte Begegnungsplattformen Bedeutung für die Beziehungspflege – darunter fielen die Tagungen des Hansischen Geschichtsvereins in der Bundesrepublik und der Hansischen Arbeitsgemeinschaft in der DDR, die beide auch als Plattformen deutsch-deutscher Begegnung dienten, sowie die mediävistischen Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises, an denen sich insbesondere Benedykt Zientara rege beteiligte.32 In den Siebzigerjahren nahmen die Kontakte im Umfeld der Schulbuchkommission sprunghaft zu, mussten gegenüber den politisch maßgeblichen In-

27 Czesław Madajczyk an das Innenministerium, 8. 6. 1967, AIH PAN 5/86. 28 So etwa 1973 über Herbert Ludats Vergangenheit im Nationalsozialismus. S. u., Kap. 6.3.2. 29 Dafür sprachen nebst wissenschaftlichen bisweilen auch materielle Interessen – boten Aufenthalte in der BRD doch oft Gelegenheit, die knappen polnischen Akademikerlöhne aufzubessern. Helmut Wagner an Zdzisław Grot, 1. 6. 1968, APAN-P III-77/93. Während des Kriegszustands 1981/1982 sandten deutsche Wissenschaftler gar Pakete mit Lebensmitteln und Alltagsgütern an ihre polnischen Kollegen. S. z. B. Zdzisław Grot an Wagner, 21. 1. 1982, APAN-P III-77/93. 30 Michał Sczaniecki an PAN, Wydz. I, 15. 1. 1963, AIZ 35/1. 31 Damals verbrachte u. a. Jerzy Krasuski, der Leiter der historischen Abteilung des IZ, einen halb­jährigen Forschungsaufenthalt im Münchner Institut für Zeitgeschichte. Władysław Markiewicz, Direktor des IZ, an Wydział Zagr. KC PZPR, Tow. Warchoł, 27. 1. 1968, AIZ 41/1. 32 An der 17. Jahrestagung der Hansischen Arbeitsgemeinschaft im Oktober 1972 nahmen Maria Bogucka, Benedykt Zientara, Henryk Samsonowicz, Stanisław Gierszewski, Marian Pelczar, Jerzy Trzoska, Antoni Czacharowski und Janusz Małłek teil. Teilnehmerverzeichnis, APAN-W III329/179, Bl. 1–5. An drei Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises, die 1970/1971 zu Fragen der deutschen Ostsiedlung abgehalten wurden, beteiligten sich vonseiten der polnischen Historiker u. a. Zientara und Stanisław Trawkowski. Konstanzer Arbeitskreis i konferencje na temat roli kolonizacji niemieckiej w Europie środkowej w średniowieczu /1970–1971/, APAN-W III-329/60, Bl. 4–9.

6.1 Kontaktanbahnung  

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stanzen in der Volksrepublik aber weiterhin nicht nur wissenschaftlich, sondern auch ideologisch begründet werden. Zur gängigen Formel entwickelte sich das Argument, man wolle im direkten Kontakt mit den deutschen Wissenschaftlern gegen deren Vorurteile und Stereotypen zur Geschichte Polens, Preußens und der deutsch-polnischen Beziehungen angehen.33 Der Vorteil des Arguments lag darin, dass sich mit seiner Hilfe sogar Kontakte zu den weniger ‚progressiven‘ deutschen Geschichtsforschern rechtfertigen ließen. Wenn sich in den Sechzigerjahren die Akzente des geschichtswissenschaftlichen Austauschs zwischen bundesdeutschen und volkspolischen Historikern immer stärker von der Konfrontation in Richtung Verständigung verschoben, dann war das nicht zuletzt dem allmählichen Wandel der geschichtspolitischen Hintergrundgeräusche geschuldet. In das Säbelrasseln beider Seiten mischten sich in jenen Jahren allmählich die ersten Schalmeienklänge der Völkerverständigung. Angestimmt wurden sie zunächst weniger von staatlichen als von gesellschaftlichen Akteuren, wobei Kirchenvertreter in beiden Ländern eine tonangebende Rolle spielten. Rasch sollte sich zeigen, dass das Versöhnungsargument auch in der Historikerschaft beider Länder Anklang fand. So gehörte der Göttinger Ordinarius Percy Schramm in Deutschland zu den ersten, die einer historisch interessierten Öffentlichkeit 1964 den Weg in Richtung Vergangenheits­bewältigung und Völkerverständigung wiesen. In einer Reihe von öffentlichen Vorträgen plädierte er für einen Geschichtsdialog mit Polen, der geopolitische Hintergedanken endlich aufgeben müsse und darauf verzichten solle, in Verkennung sowohl des Vorgefallenen wie auch der bestehenden Machtverhältnisse Polen aus sowjetischen Fängen reißen zu wollen und an Deutschlands Seite zu ziehen.34 Fest stand für Schramm, dass die Wissenschaft den Weg der Verständigung nicht alleine beschreiten konnte. Vielmehr seien Geschichtsdialog und politische Verständigung wechselseitig voneinander abhängig.35 Damit nahm er die tatsächliche Entwicklung zu Beginn der Siebzigerjahre gedanklich

33 Diesem Muster folgte etwa Benedykt Zientara, um 1976 seine Bitte um Beurlaubung für ein Gastsemester in Gießen zu begründen. Benedykt Zientara an den Rektor der Universität Warschau, 24. 2. 1976, APAN-W III-329/116, Bl. 1. Ebenso rechtfertigte Janusz Tazbir 1984 den Wunsch nach einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen dem Historischen Institut der PAN und der Westberliner Max-Planck-Gesellschaft. Janusz Tazbir an Bazyli Białokozowicz, stv. Sekretär des Wyd. I PAN, 5. 9. 1984, AIH PAN 5/87, Bl. 62–64. 34 Europäischer Nachbar seit 1000 Jahren. Polen, das Land, das sich der 30-Millionen-Einwohner-Grenze nähert. Abschrift eines Artikels aus der deutschen Presse ohne Quellenangabe, datiert auf den 16. 3. 1964, AIH PAN 5/86. 35 Y. F., Zur Geschichte Polens. Prof. Dr. Percy Schramm sprach, in: Hannoversche Presse, 11. 1. 1965, AIH PAN 5/86, Bl. 73. In Polen wurden seine Äußerungen aufmerksam verfolgt, wie der diesbezügliche Pressespiegel in AIH PAN 5/86 belegt.

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bereits vorweg. Ähnliche Stimmen mehrten sich zur selben Zeit in der bundesdeutschen Publizistik. Zu den Befürwortern einer Verständigung mit dem Nachbarland gehörten unter anderen Klaus Otto Skibowski, Karlheinz Koppe, Winfried Lipscher und Hansjakob Stehle. Die zunehmende mediale Präsenz des Themas gipfelte 1967 in einer Sendereihe des Westdeutschen Fernsehens unter dem Titel „Tausend Jahre Nachbarn – zur Geschichte Polens und der deutsch-polnischen Beziehungen“, zu deren Abschlussdiskussion auch zwei polnische Historiker eingeladen wurden.36 Am meisten Beachtung fand jedoch zweifellos die Dialoganbahnung im kirchlichen Rahmen zwischen 1965 und 1968, in deren Verlauf beide Seiten Versöhnung in der Gegenwart von einer Verständigung über die gemeinsame Vergangenheit abhängig machten.37 Den Austausch initiierte im Herbst 1965 eine Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands zu den deutsch-polnischen Beziehungen und zur Vertriebenenfrage;38 im November 1965 folgte ein Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, der in dem berühmt gewordenen Satz gipfelte: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Die Antwort der deutschen Bischöfe fiel zunächst verhalten aus; klare Verständigungsbereitschaft signalisierte erst 1968 das Memorandum des katholischen bundesdeutschen Bensberger Kreises.39 Der Warschauer Regierung kam die kirchliche Verständigungsinitiative höchst ungelegen. Hinter der christlichen Versöhnungs- und Sühnerhetorik sah man eine gefährliche Neuauflage der These von Polen als antemuralis christianitatis empordämmern – ein Werben für den antisowjetischen Schulterschluss des ‚Abendlandes‘. Nach dem Willen der Partei sollte die Völker­ verständigung nicht christlicher Versöhnungsethik entspringen, sondern aus marxistisch-leninistischer Klassensolidarität erwachsen. Freilich rächte es sich nun, dass man die sozialistische Völkerfreundschaft bisher engher-

36 Wolfgang Kohte, Archivdirektor am Bundesarchiv, Immendorf über Koblenz, an Prof. Tadeusz Manteuffel, 7. 2. 1967, AIH PAN 5/86, Bl. 201. 37 Während sich deutsche Protestanten und Katholiken dabei weitgehend auf die letzten Jahrzehnte beschränk­ten, schien es den polnischen Bischöfen in ihrem Schreiben an die deutschen Amtsbrüder unumgänglich, eine deutsch-polnische Versöhnung im Kontext der tausendjährigen deutsch-polnischen Nachbarschaft zu sehen. 38 Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.), Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn. Eine evangelische Denkschrift, Hannover 1965. 39 Zuträglich war diesem Dialog der Umstand, dass die katholische Kirche in der Volksrepublik eine ungebro­chene Autorität verkörperte und daraus erhebliche Handlungsspielräume schöpfte, die säkularen gesellschaft­lichen Kräften nicht zur Verfügung standen. Hierzu Kerski/Kycia/ Żurek, Vergebung.

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel 

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zig auf den kleineren Teilstaat Deutschlands beschränkt hatte, während die Bundesrepublik weiterhin als Feindbild gepflegt wurde. Von diesem Muster konnte sich die Partei nicht über Nacht befreien. So bedachte sie die kirchliche Verständigungsinitiative zunächst mit einer Diffamierungs­kampagne und verlangte von den Intellektuellen des Landes Solidaritätsbekundungen für die Partei und gegen die Kirche, deren Verweigerung scharfe Repressionen nach sich zog. Die breit angelegte Aktion warf ein Schlaglicht auf die gespaltenen Loyalitäten der polnischen Historiker, die sich bisweilen selbst durch eine Parteimitgliedschaft nicht von Verbindungen zum politischen Katholizismus abhalten ließen. Selbst unter den Posener Westforschern, die sich bis dahin gewiss nicht der übermäßigen Germanophilie verdächtig gemacht hatten, stieß die erzwungene Verurteilung der kirchlichen Versöhnungsinitiative auf Wiederstand.40 Im Zuge der Gegenkampagne gegen den Bischofsbrief erreichten auch die antideutschen Tendenzen in den polnischen Schulbüchern, die nur die DDR ausnahmen, einen neuen Höhepunkt.41 Gleichzeitig sondierte die Warschauer Staats- und Parteiführung aber bereits die Möglichkeiten, der kirchlichen Versöhnungsinitative eine zwischenstaatliche Verständigung entgegenzusetzen. Indiz für diesen Kurs war etwa die erstmalige Einladung einer westdeutschen UNESCODelegation nach Polen, die 1965 erging und durch den Einbezug des Internationalen Schulbuchinstituts in Braunschweig erkennen ließ, dass auch die PVAP den Geschichtsdialog zu den Voraussetzungen einer politischen Verständigung zählte.42 Wenige Jahre später eröffnete die Regierungsübernahme der sozialliberalen Koalition von Bundeskanzler Willy Brandt entsprechende Perspektiven.

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel Standen die Historiker zunächst auch eher am Rande der erinnerungspolitischen Altlastenbeseitigung zwischen Deutschland und Polen, so waren es letzlich doch die paradigmatischen Wandlungen in den Geschichtswissenschaften beider

40 Oftmals liefen die Verbindungslinien von den Historikern zur katholischen Kirche über regimekritische Intellektuelle wie Stanisław Stomma und Władysław Bartoszewski. So unterhielten die Parteimitglieder Zbigniew Kulak und Marian Wojciechowski aus dem IZ Kontakt zum politischen Katholizismus der Znak-Gruppe im polnischen Sejm. Widerstand gegen die Diffamierung der kirchlichen Versöhnungsinitiative führte im IZ zu Entlassungen und einem Direktorenwechsel. S.o., Kap. 4.2.11. 41 So Benedykt Zientara in APAN-W III-329, Bl. 48. 42 Dazu Strobel, Schulbuchkommission, S. 259.

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Länder, die im Verlauf eines Vierteljahrhunderts die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg der Schulbuchkommission geschaffen hatten. Diese Entwicklungen sollen daher an dieser Stelle knapp rekapituliert werden. Für die bundesdeutsche Entwicklung war entscheidend, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Mittelosteuropa, nachdem sie sich zunächst an außeruniversitären Ostforschungs-Instituten re-etabliert hatte, im Verlauf der Fünfziger- und Sechzigerjahre auch an den bundesdeutschen Universitäten Fuß fasste43 – wenngleich der Kreis jener Lehrstuhlinhaber, die sich schwergewichtig mit Polen beschäftigten, überschaubar blieb. Zu ihnen zählten Herbert Ludat in Gießen (ab 1956), Gotthold Rhode in Mainz (1957–1984), zeitweise Manfred Hellmann in Münster (ab 1956), Hans Roos in Göttingen (1962–1967) und Bochum (1967–1977), Klaus Zernack in Frankfurt (1966–1978), Gießen (1978–1984) und Berlin (1984–1999) sowie Jörg Hoensch in Saarbrücken (ab 1972).44 Auf dem Weg an die Universitäten wandelte die deutsche Osteuropaforschung ihr Gepräge merklich, blieben doch die germanozentrischen Paradigmen der Zunft dabei weitgehend auf der Strecke. Das lag vor allem daran, dass die osteuropäische Geschichte hier, anders als an den gesonderten Instituten, Anschluss an die inhaltlichen und methodischen Entwicklungen gewann, die das Gesamtfach in jenen Jahren prägten.45 Zernack hat treffend konstatiert, dass sich die Forschungsschwerpunkte im Zuge dessen von nationalstaatlichen auf sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Fragen verlagerten, die nicht das trennende Nationale, sondern die supranationalen, beziehungsgeschichtlichen Phänomene Ostmitteleuropas betonten.46 Als Katalysator dieser Entwicklung diente zweifellos auch die allmählich Fahrt aufnehmende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Nachvollziehen lässt sich diese Entwicklung am Beispiel der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Das Projekt, das nach unsteten Anfängen beim Vertriebenenministerium angesiedelt war, bezweckte die Sammlung von Zeitzeugenberichten über das Leid der Millionen von Deutschen, die beim Zusammenbruch des Dritten Reichs aus ihren angestammten Wohngebiete östlich von Oder und Neiße, im Sudetenland und in Südosteuropa geflohen oder vertrieben und ausgesiedelt worden waren. In dieser Arbeit erblickten die Urheber „eine nationalpolitische Aufgabe“, von deren Bewältigung „in entschei-

43 Mühle, Ostforschung, S. 280, Anm. 17. Ausführlicher zu den einzelnen Instituten: Erwin Oberländer, Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945–1990, Stuttgart 1992. 44 Ebd., S. 198 f.; Albrecht Martiny, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte, in: Osteuropa 30/8–9 (1980), S. 705–724, hier S. 713. 45 Den nachholenden Charakter dieser Entwicklung betont ebd., S. 706. 46 Zernack, Bemerkungen, S. 558; s. auch Unger, Ostforschung, S. 282.

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel 

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dendem Maße das spätere Schicksal dieser deutschen Gebiete einmal abhängen dürfte.“ Dabei ging es nicht zuletzt darum, ein Gegengewicht zu den Documenta Occupationis des Posener Westinstituts zu schaffen.47 Während seiner zehnjährigen Laufzeit (1951–1961) beschäftigte das Großprojekt drei Generationen deutscher Historiker, von denen sich etliche zunächst als Ostforscher positioniert hatten, bevor sie ihr Selbstverständnis in Richtung Zeitgeschichte verschoben. Nestor des Unterfangens war Hans Rothfels; eine Generation jünger waren seine Schüler Werner Conze sowie Theodor Schieder, der zum Leiter des Projekts wurde; zur Enkelgeneration gehörten schließlich Historiker wie Martin Broszat und Hans-Ulrich Wehler. Von Beginn an kam es zu Spannungen zwischen dem Vertriebenenministerium, das eine rasche propagandistische Verwertung der Sammlung in einem Weißbuch wünschte, und den Historikern, die auf wissenschaftlicher Gründlichkeit beharrten, womit ihres Erachtens auch dem politischen Zweck besser gedient war.48 Dabei beschränkte sich der wissenschaftliche Anspruch nicht auf eine sorgfältige Quellenkritik, sondern führte schon früh zum Ruf nach historischer Kontextualisierung. Zu diesem Zweck planten die Herausgeber einen „Voraussetzungsband“,49 in dem die nationalsozialistische Volkstumspolitik einschließlich des Holocaust prominent zur Sprache kommen sollte. Dieses Ansinnen wurde in Bonn jedoch schroff zurückgewiesen – befürchtete man doch, eine Darstellung nicht nur der Opfer-, sondern auch der Täterrolle der Deutschen könne das Projekt zu einem zweischneidigen Schwert machen, das sich im Falle einer Friedenskonferenz auch gegen Deutschland wenden könnte.50 Daraufhin bezeichneten es die Historiker als Conditio sine qua non, dass der Band auch „die der Austreibung vorhergehende Phase nationalsozialistischer Volkstums-, Um- und Aussiedlungspolitik in ihrem vollen Gewicht“ darstelle.51 Die gegensätzlichen Positionen ließen sich nicht zur Deckung bringen, sodass der Schlussband letzlich ausblieb. Es verdient indes Beachtung, dass gerade die anfänglich revisionistische Beschäftigung mit dem deutschen Opferstatus zunehmend auch die Täterrolle der Deutschen ins Blickfeld rückte. Damit öffnete sich allmählich auch der Blick für das Opferschicksal ihrer ostmitteleuropäischen Nachbarn. Bezeichnenderweise legten Conze und Broszat später wichtige Arbeiten zur deutschen Polenpolitik vor,52 und Letzterer

47 Beer, Spannungsfeld, S. 362. Zitiert wird Adolf Diestelkamp, der das Projekt in der Anfangsphase leitete. 48 Ebd., S. 366 f. 49 Ebd., S. 371 f., S. 379. 50 Ebd., S. 373–384. 51 Ebd., S. 384. 52 Conze, Polnische Nation; Martin Broszat, Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik, München 1963; Ders., Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961.

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beteiligte sich zudem in den Siebzigerjahren aktiv an der deutsch-polnischen Schulbuchkommission. Als in den Sechzigerjahren die Fischer-Kontroverse die Frage nach der deutschen Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs neu aufwarf, ließ sich die Frage nach der deutschen Verantwortung für die gewaltsamen Umbrüche in Mittelosteuropa nicht länger auf den Nationalsozialismus beschränken. Sowohl die Weimarer wie auch die frühe bundesdeutsche Historiographie hatten auf die Kriegsschuldfrage apologetische Antworten geliefert,53 denen Fritz Fischer nun entschieden entgegentrat. Insbesondere das sogenannte Septemberprogramm von Reichskanzler Bethmann Hollweg sah er als Beweis dafür, dass die Reichsregierung 1914 ein weit ausgreifendes Imperium Germanicum plante, das sich unter anderem einen polnischen Grenzstreifen einverleiben sowie einen ‚Reststaat Polen‘ unter seinen Einfluss bringen wollte. Im Hinblick darauf habe das Deutsche Reich die Julikrise bewusst forciert.54 Bei der Mehrheit der deutschen Historikerzunft stießen Fischers Schlüsse zunächst auf Widerstand, wobei sie in Teilen zu Recht als überzogen gekennzeichnet wurden;55 dennoch beeinflussten sie die öffentliche Debatte über den Ersten Weltkrieg in Deutschland grundlegend.56 In Polen fanden die Interpretationen des Hamburger Ordinarius ungeteilten Zuspruch. Jerzy Marczewski las aus Fischers Thesen einen tiefgreifenden Mentalitätswandel der deutschen Geschichtswissenschaft ab, die endlich ihre bedingungslose Parteinahme zugunsten der Bismarck’schen Reichsgründung überwunden habe,57 und Józef Kamiński vom Posener Westinstitut frohlockte, dass nun auch die bundesdeutsche Historiographie die imperialistische Kontinuitätslinie der deut-

53 Eine Ausnahme bildete lediglich Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Krefeld 1948. 54 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, 3., verb. Aufl., Düsseldorf 1964 [1. Aufl. 1961], S. 97, 823 f. Zuvor schon: Ders., Deutsche Kriegsziele. Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914–1919, in: HZ 188/2 (1959), S. 249– 310. 55 Wortführer der Kritik war Gerhard Ritter, ihm sekundierten Egmont Zechlin, Karl Dietrich Erdmann und Andreas Hillgruber. Gerhard Ritter, Eine neue Kriegsschuldthese? Zu Fritz Fischers Buch „Griff nach der Weltmacht“, in: HZ 194 (1962), S.  646–668. Als Gegendarstellung zu Fischers Thesen Gerhard Ritter, Die Tragödie der Staatskunst. Bethmann Hollweg als Kriegskanzler (1914–1917), München 1964. 56 Große mediale Beachtung verschaffte Fischers Thesen 1964 der 50. Jahrestag des Kriegsbeginns. 57 Jerzy Marczewski, Dyskusja wokół wybuchu pierwszej wojny światowej, in: RH 33 (1967), S.  213–224, hier S.  215. S. auch ders., Zagadnienie wybuchu I wojny światowej i celów wojennych Niemiec w historiografii, in: Jerzy Krasuski/Gerard Labuda/Antoni Walczak (Hg.), Stosunki polsko-niemieckie w historiografii, 3 Bde., Bd. 2, Poznań 1984, S. 364–464.

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel 

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schen Ostpolitik anerkenne, die mit Hitler weder begonnen habe noch ende.58 Es stand in engem Zusammenhang mit der von Fischer angestoßenen Debatte um den Kontinuitätsbogen expansiver deutscher Außen- und Kriegspolitik von 1914 bis 1945, wenn sich mehrere Forscher Ende der Fünfzigerjahre und zu Beginn der Sechzigerjahre mit der deutschen Polenpolitik im Ersten und Zweiten Weltkrieg befassten. Besonders deutlich war der Zusammenhang zu Fischers Thesen im Falle seines Schülers Immanuel Geiß, der 1960 eine Arbeit zum sogenannten polnischen Grenzstreifen vorlegte.59 In breiterem Kontext behandelte Werner Conze die deutschen Kriegsziele und ihre Auswirkungen auf die polnische Nationalbewegung in den Jahren 1914–1918.60 Unmittelbar auf den Fuß folgten diesen Arbeiten Untersuchungen zur nationalsozialistischen Polenpolitik. Einen Meilenstein in der Behandlung dieses Themas markierte 1959 ein Kapitel von Hans Roos zur deutschen Besatzungspolitik in Polen, in dem der Autor die nationalsozialistischen Verbrechen erstmals in aller Deutlichkeit beim Namen nannte und verurteilte.61 Einflussreiche Stimmen des polnischen Exils in London und Paris zollten der Darstellung, die ausführlich von polnischen Dokumentationen Gebrauch machte, hohe Anerkennung.62 Wenige Jahre später legte Roos eine Gesamtdarstellung zur Geschichte Polens im 20. Jahrhundert vor.63 Noch umfangreicher setzte sich 1961 Martin Broszat mit der deutschen Besatzungsherrschaft auseinander. Aus seiner Untersuchung zog er den Schluss, dass die nationalsozialistische Polenpolitik deutsche Ansprüche auf den Osten dauerhaft „verwirtschaftet“ habe.64 Es wirft ein Schlaglicht auf den stillen Gesinnungswandel jener Jahre, dass Broszats Urteil kaum noch Widerspruch hervorrief, während Elizabeth Wis-

58 Andrzej Józef Kamiński, Polityka imperialistycznych Niemiec w I wojnie światowej. Zagad­ nienia historiografii i polityki współczesnej, in: PZ 23/2 (1967), S. 229–255. 59 Geiß, Grenzstreifen. 60 Conze, Polnische Nation. 61 Hans Roos, Polen in der Besatzungszeit, in: Werner Markert (Hg.), Osteuropa-Handbuch Polen, Köln/Graz 1959, S. 167–193. 62 So Walter Kolarz, Poland and the Germans. BBC London, Weekly Book Summary No 873 vom 13. 8. 1959. Transkription des Beitrags in: Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung. Aus den ersten Urteilen über den Band Polen des Osteuropa-Handbuchs, Tübingen, im September 1959, BAK B106/1162. In den Spalten der Pariser Kultura würdigte Stefan Kozłowski das Handbuch und insbesondere das Kapitel von Roos als „Pionierleistung“. Kultura 11/145 (1959), S. 146–149, zitiert nach der Abschrift in BAK B106/1162. 63 Hans Roos, Geschichte der Polnischen Nation 1916–1961. Von der Staatsgründung im Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Stuttgart 1961. Seiner Darstellung der polnischen Innenpolitik wurde bisweilen – etwa von Richard Breyer – zu große Nachsicht vorgeworfen. Unger, Ostforschung, S. 150. 64 Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik, Zitat S. 192.

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kemann mit ganz ähnlichen Thesen fünf Jahre zuvor noch heftige Empörung ausgelöst hatte.65 Einige Jahre später weitete Broszat seine Perspektive noch aus und untersuchte 200  Jahre deutsche Polenpolitik.66 Dass selbst Forscher aus dem Dunstkreis der Ostforschung die Loslösung aus dem Deutschtumsbezug inzwischen als notwendige Voraussetzung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Ostmitteleuropa akzeptierten, verdeutlicht das Beispiel Gotthold Rhodes. Zwar schreckte Rhode auch zu diesem Zeitpunkt nicht vor revisionistisch motivierten Auftragsarbeiten zurück, wie die 1956 von ihm herausgegebene Quellensammlung zur Oder-Neiße-Grenze belegt.67 Seinen wissenschaftlichen Ruf suchte er aber mit Arbeiten wie seiner Kleinen Geschichte Polens zu festigen, die er 1965 in der erklärten Absicht vorlegte, eine genuin polnische Geschichte zu schreiben.68 Impulse für eine einvernehmlichere Sicht kamen nicht nur aus der Neueren und Neuesten Geschichte – einen gewichtigen Beitrag zur Versachlichung der beziehungsgeschichtlichen Auseinandersetzung leistete auch die Mediävistik, die traditionell einen wichtigen Schauplatz deutsch-polnischer Auseinandersetzungen darstellte. Allerdings verdeutlicht Schlesingers Beispiel, dass auch hier der Verzicht auf nationalistisch-auftrumpfendes Gebaren oftmals erst aus der Bestürzung über die nationalsozialistische Ostpolitik erwuchs.69 Zu den Wegbereitern einer weitgehend unvoreingenommenen Sicht auf das polnische Mittelalter gehörte seit Langem Herbert Ludat.70 Bereits in den Jahren des Zweiten Weltkriegs war er Thesen entgegengetreten, wonach Polen erst durch eine normannische Oberschicht zum Staatswesen geformt worden sei.71 Seine Nachkriegsarbeiten behandelten Polen als ein „durchaus eigenständiges und gleichwertiges Element des christlichen Mittelalters“.72 Zusammen mit Schle-

65 S. o., Kap. 4.3.8. 66 Broszat, Zweihundert Jahre. 67 Rhode/Wagner (Hg.), Quellen. 68 Gotthold Rhode, Kleine Geschichte Polens, Darmstadt 1965. Einen Balanceakt zwischen fachwissenschaftlicher Akribie und geopolitischen Hintergedanken stellte seine Studie zur Geschichte der polnischen Ostgrenze dar, die Polens Rückhalt im Abendland betonte, seine Mission jedoch im Osten – fernab deutscher Territorialinteressen – erblickte. Rhode, Ostgrenze Polens. S. dazu Kap. 4.3.7. 69 Schlesinger, Geschichtliche Stellung, hier S. 517 f., 520, 541 f. Zu Schlesinger s. o., Kap. 4.3.6. 70 Unger überzeichnet seine Wandlung vom Saulus zum Paulus, indem sie seinen frühen, vergleichsweise verhaltenen Anleihen beim Paradigma vom westlich-östlichen Kulturgefälle einen übertriebenen Stellenwert beimisst. Unger, Ostforschung, S. 142–146, insbesondere S. 143. 71 Ludat, Anfänge. Dafür zollten ihm polnische Historiker noch Jahrzehnte später Anerkennung. S. u., Kap. 6.3.2. 72 Herbert Ludat, Die Slaven und das mittelalterliche Europa, in: Ders. (Hg.), Der europäische Osten in abendländischer und sovjetischer Sicht, Köln 1954, S. 9–18, hier S. 18.

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel 

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singers neuen Ansätzen zur deutschen Ostsiedlung ergaben Ludats Untersuchungen ein gewandeltes Bild der mittelalterlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, das weitgehend von revisionistischen Hintergedanken befreit war.73 Überkommenen Mustern folgte dagegen seine Frontstellung gegen das sowjetische Russland, dessen Vormachtstellung in Mittelosteuropa er die Zugehörigkeit Polens zum europäischen Kulturkreis entgegenhielt.74 Eine führende Rolle in der deutschen Polenforschung spielte seit den Sechzigerjahren auch Ludats Schüler Klaus Zernack.75 Als Kenner nicht nur der polnischen, sondern auch der russischen und skandinavischen Geschichte deutete er die historische Entwicklung Polens nicht ausschließlich aus ihren Bezügen nach Westen, sondern ging auch den Beziehungen nach, die Polen im Laufe der Jahrhunderte mit dem Ostseeraum und mit Russland verbunden hatten.76 Im Gegensatz zu Ludat oder Rhode, der Polens Ostgrenze als markante Kulturscheide dargestellt hatte, verstand Zernack diesen Raum als Übergangszone, in dem sich wichtige kulturelle, wirtschaftliche und politische Durchdringungsprozesse abgespielt hatten.77 Es tut den Leistungen der hier erwähnten Historiker keinen Abbruch, wenn festgehalten wird, dass die Polenforschung in der deutschen Geschichtswissenschaft dennoch eine Randerscheinung blieb, die es keinesfalls mit dem Stellenwert der polnischen Deutschland-Historiographie aufnehmen konnte. Erstaunlicherweise flachte sie in der Folge sogar eher noch ab. So sehr Polen in den Siebziger- und Achtzigerjahren – zunächst unter dem Eindruck der Brandt’schen Ostpolitik und später im Zeichen der Solidarność – im Fokus der deutschen Beschäftigung mit Osteuropa stand, blieb doch das genuine Forschungsinteresse an seiner Geschichte und am historischen Verlauf der deutsch-polnischen Bezie-

73 Zumeist handelte es sich um Aufsätze, die später in mehreren Sammelbänden zusammengefasst wurden, u. a. Herbert Ludat, Slaven und Deutsche im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zu Fragen ihrer politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen, Köln/Wien 1982. 74 Herbert Ludat, Polen zwischen Versailles und Moskau. Politik und Geschichtsdenken im modernen Polen, in: GWU 3/12 (1952), S. 705–722; Ders., Der europäische Osten in abendländischer und sovjetischer Sicht, Köln 1954; Ders. (Hg.), Liegt Polen noch in Europa?, Gießen 1960. 75 S. etwa Klaus Zernack/Wolfram Fischer, Preußen – Deutschland – Polen. Aufsätze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, 2. Aufl., Berlin 2001. 76 Die Summe von Zernacks diesbezüglichen Forschungen bildet Klaus Zernack, Nordosteuropa. Skizzen und Beiträge zu einer Geschichte der Ostseeländer, Lüneburg 1993. 77 In seiner Habilitation verglich er die frühen politischen Organisationsformen der West- und Ostslawen. Klaus Zernack, Die burgstädtischen Volksversammlungen bei den Ost- und Westslawen, Wiesbaden 1967. Aus seinen fortgesetzten Studien zu den Beziehungen zwischen Polen und Russland ging später die umfassende Darstellung Klaus Zernack, Polen und Russland. Zwei Wege in der europäischen Geschichte, Berlin 1994, hervor.

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hungen vergleichsweise bescheiden.78 Offenbar wurde der Gegenstand in der breiteren Fachöffentlichkeit eher als geschichtspädagogisches Lehrstück denn als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand behandelt – eine Tendenz, die in der deutsch-polnischen Schulbuchkommission gewissermaßen ihre Erfüllung fand.79 Ähnlich wie die bundesdeutsche Osteuropaforschung wandelte sich auch die volkspolnische Deutschlandkunde mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Krieg. Zwar erwiesen sich deutsche Hoffnungen, die bereits mit der stalinistischen Gleichschaltung der polnischen Historiographie Erwartungen auf eine dauerhafte Ausmerzung hypernationalistischer Sichtweisen verbunden hatte, als ebenso verfrüht wie naiv.80 Vielmehr erlebte die polnische Geschichtswissenschaft in den späten Fünfzigerjahren im Zuge der Entstalinisierung zunächst nochmals eine nationalistische Aufwallung, in deren Zuge die deutsche Frage erneut einer antagonistischen Sichtweise unterworfen wurde.81 Es handelte sich dabei freilich auch um eine überschießende Reaktion auf die schablonenhafte Klassenhistoriographie des Spätstalinismus. Dass sich zu diesem Zeitpunkt auch die PVAP unter der erneuten Herrschaft von Władysław Gomułka eine nationalkommunistische Sicht der polnischen Geschichte zu eigen machte, führte kurzfristig einen patriotischen Konsens zwischen Partei und Geschichtswissenschaft herbei. Auf Dauer wurde jedoch auch dieser historiosophische Rahmen der polnischen Deutschlandforschung zum Prokrustesbett. Vor allem drei Faktoren führten dazu, dass sich die Erkenntnisse und Interpretationen langsam, aber stetig differenzierten: Erstens verflüchtigte sich allmählich die Unmittelbarkeit der Kriegserfahrungen, womit die Überzeugung von der grundsätzlichen Negativität der deutschen Geschichte ihren zwingenden Charakter weitgehend verlor. Zweitens akkumulierte ein verhältnismäßig großer Kreis von Historikern in jahrzehntelanger Quellenarbeit ein umfangreiches Wissen, das immer weniger unter schematische Passepartout-Interpretationen zu subsumieren war, sondern insbesondere im Rahmen von Monographien ein breites Spektrum spezifischer und oftmals divergierender Deutungen öffnete. Drittens sank mit der Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen im Warschauer Vertrag das Bedürfnis des polnischen Staates nach historischer Legitimation seines territorialen Bestandes erheblich, und die Geschichtswissenschaft

78 Martiny, Osteuropäische Geschichte, S. 713; Oberländer, Studium, S. 37. 79 Klaus Zernack, Osteuropa. Eine Einführung in seine Geschichte, München 1977, S. 18. 80 Höhepunkt dieser Entwicklung war die Breslauer Konferenz zu den deutsch-polnischen Beziehungen von 1950, die in der BRD auf reges Interesse stieß. S. Kap. 4.2.5. 81 Deutlich wurden solche Tendenzen auf dem polnischen Historikertag von 1958. S. Kap. 5.1.2.

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel 

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wurde gewissermaßen aus dem Aktivdienst der deutsch-polnischen Auseinandersetzung in die Reserve entlassen. Die daraus resultierende Entwicklung der polnischen Deutschlandhistoriographie lässt sich verallgemeinernd als Professionalisierung, Versachlichung und Entideologisierung beschrei­ ben. Die solchermaßen gekennzeichnete Tendenz verlief jedoch keineswegs geradlinig, sondern blieb den Schwankungen der politischen Konjunktur unterworfen. Auch erfasste sie nicht den gesamten historischen Deutschland-Diskurs. Vielmehr variierte das Mischverhältnis von objektiver und politisierter Forschung in Abhängigkeit vom jeweiligen institutionellen und diskursiven Rahmen. Dabei galt im Allgemeinen: Je fachinterner der Diskurs geführt wurde, umso sachlicher gestaltete er sich, je öffentlichkeitsnäher er stattfand, umso stärker traten politische und propagandistische Elemente in den Vordergrund. Differenzierung griff daher vorwiegend im Rahmen der Akademie und der Universitäten Raum. Dagegen legten nationalistische Sichtweisen an den politiknahen Forschungsinstituten, im Schulunterricht oder im Rahmen patriotischer Feierlichkeiten eine zähe Langlebigkeit an den Tag. Ebenso wichtig blieb eine weitere Unterscheidung: Während die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Deutschland und den deutsch-polnischen Beziehungen zunehmend Raum für Zwischentöne und Nuancierungen bot, blieb die Beschäftigung mit den polnischen Westgebieten hochgradig dogmatisch. Da beide Stränge aufs engste miteinander verbunden waren, kam es hier zu ständigen Interferenzen. Als führende Zentren der universitären Deutschlandhistoriographie in Polen hatten sich bis in die Siebzigerjahre Posen, Warschau, Breslau und Thorn herauskristallisiert.82 An erster Stelle stand Posen; hier befanden sich neben dem Westinstitut die Abteilung für Deutsche Geschichte am Historischen Institut der AdamMickiewicz-Universität und die Abteilung für Geschichte Pommerns der PAN. Hier forschten u. a. Gerard Labuda, Zdzisław Grot, Witold Jakóbczyk, Antoni Czubiński, Jerzy Krasuski, Lech Trzeciakowski, Benon Miśkiewicz, Czesław Łuczak, Janusz Pajewski, Jerzy Kozeński, Jerzy Strzelczyk, Jan Wąsicki und Alfons Klafkowski zu einem breiten Themenspektrum; besondere Schwerpunkte bildeten die Okkupationsforschung sowie, seit den Sechzigerjahren, die Historiographiegeschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. In Warschau beschäftigten sich Forscher wie Benedykt Zientara, Marian Małowist, Jerzy Dowiat, Henryk Samsonowicz, Janusz Tazbir, Marian Henryk Serejski, Bogusław Leśnodorski, Maria Wawrykowa, Jan Kosim, Jerzy Holzer, Marian Wojciechowski, Czesław Madajczyk, Tadeusz Jędruszczak, Francziszek Ryszka, Longin Pastusiak und Władysław Markiewicz

82 T. Kotłowski/R. Wryk, Badania niemcoznawcze w Polsce i ich koordynacja, in: Antoni Czubiński (Hg.), Problemy metodologiczne dziejów Niemiec, Poznań 1978, S. 181–186.

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 6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland

mit Fragen der deutschen und der deutsch-polnischen Geschichte, wobei diese für die meisten der genannten Forscher jedoch nur einen unter mehreren Forschungsschwerpunkten darstellte. Die Breslauer Universität beherbergte Deutschlandkenner wie Karol Maleczyński, Ewa Maleczyńska, Lech Leciejewicz, Roman Heck, Władysław Czapliński, Adam Galos und Henryk Zieliński. Im Zentrum stand die schlesische Geschichte sowie die neuere und neueste Geschichte Deutschlands, mit der sich an der neugegründeten Universität in Kattowitz seit 1968 auch die zuvor in Breslau ansässigen Forscher Kazimierz Popiołek und Wacław Długoborski befassten. Schließlich widmeten sich Karol Górski und Marian Biskup in Thorn der Geschichte Pommerns, Preußens und des Kreuzritterstaates. Thematisch dominierten in der historischen Deutschlandforschung landesweit unbestritten die Jahre des Zweiten Weltkriegs, auf die über den gesamten Zeitraum 1944–1974 rund zwei Drittel aller Arbeiten entfielen. Es folgte die Zwischenkriegszeit mit einem Anteil von circa einem Achtel, ungefähr halb soviel wurde zur deutschen Nachkriegsgeschichte publiziert. Ähnlich stand es um die Bearbeitung der gesamten Geschichte Deutschlands und der deutsch-polnischen Beziehungen vor 1918, die deutlich unter zehn Prozent ausmachte.83 Augenfälliges Indiz für die Öffnung der polnischen Deutschlandhistoriographie gegenüber der Bundesrepublik war die intensive Beschäftigung mit deren Geschichtsforschung seit den späten Sechzigerjahren. Diesem Interesse entsprach 1967 die Einrichtung des Forschungsprojekts Tausend Jahre deutsch-polnische Beziehungen im Lichte der Historiographie beider Völker unter der Leitung von Władysław Markiewicz, aus dem zwischen 1974 und 1991 in schleppender Folge drei Bände hervorgingen.84 Ungeachtet der wenig überraschenden Parteinahme für die eigenen Deutungen wurden hier erstmals deutsche und polnische Interpretationen zu zentralen Themenfeldern der gemeinsamen Beziehungs­ geschichte systematisch verglichen und dabei nicht nur Gegensätze, sondern auch eine Reihe von Ansatzpunkten zur Verständigung aufgezeigt. Nicht zuletzt war diese historiographiegeschichtliche Bestandsaufnahme auch als Vorbereitung zu einer umfassenden polnischen Geschichte Deutschlands gedacht. Obschon die Geschichte des Nachbarlandes in der polnischen Nachkriegshistoriographie einen anhaltend hohen Stellenwert einnahm, hatten sich volkspolnische Historiker während dreier Jahrzehnte nie an eine Gesamtdarstellung gewagt.85 Erst in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre wurde diese Aufgabe

83 Grabski/Madajczyk, Niemcy w historiografii, S. 54 f. 84 Krasuski (Hg.), Stosunki w historiografii. 85 Eine Ausnahme bildeten allenfalls die zwei Bände Tymieniecki, Dzieje Niemiec, und Pajewski, Niemcy, die aber noch während des Krieges verfasst worden waren und den Anforderungen an eine wissenschaftliche Synthese nicht gerecht wurden. Partielle Abhilfe versprach eine neue,

6.2 Beziehungsgeschichtlicher Paradigmenwandel 

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in Angriff genommen. Eine Konferenz zu den Hauptproblemen der deutschen Geschichte, veranstaltet im September 1977 von der Abteilung für Geschichte Deutschlands an der Universität Posen, sollte den Startschuss für das Projekt bilden und veranschaulichte gleichzeitig, wie stark sich die Befindlichkeit der polnischen Deutschlandhistoriographie seit der Breslauer Konferenz von 1950 gewandelt hatte. In der Zusammenschau lassen sich aus den Konferenzprotokollen folgende Grund­tendenzen herausschälen:86 1. Die Vorstellung von einem grundlegenden und überzeitlichen Antagonismus zwischen Deutschen und Polen war gewichen. Nahezu alle Referenten und Diskutanten stimmten darin überein, dass es neben konfliktreichen Epochen auch Zeiten der friedlichen Koexistenz und des gegenseitigen Austauschs gegeben habe. 2. In gleichem Maße hatte Deutschland auch seinen Feinbild-Charakter verloren. Statt einer umfassenden Negativität der deutschen Geschichte wurde nur noch eine partielle Negativität behauptet, die zeitlich in der Epoche des ‚deutschen Imperialismus‘ von 1871–1945 und räumlich im preußischen Staat verdichtet wurde. Diese Schmutzecke der deutschen Geschichte war der Preis, um den eine differenzierte Bewertung der übrigen deutschen Geschichte möglich wurde. Sie war tendenziell weiter gefasst als in der bundesdeutschen Historiographie, wo sie sich stärker auf die Jahre 1933–1945 beschränkte, aber enger und vor allem weniger gegenwartsrelevant als in der DDR, wo sie einen umfangreichen reaktionären Traditionsstrang der deutschen Geschichte umfasste, der angeblich auch den Charakter des größeren deutschen Teilstaats in der Gegenwart bestimmte. 3. Stark betont wurde die Kontinuität der deutschen Geschichte insbesondere über die Epochengrenzen von 1933 und 1945 hinweg. Damit wollte man dem deutschen Volk nicht die Wandlungsfähigkeit absprechen, wohl aber sah man sich berufen, eine breite gesellschaftliche Verantwortung für den Nationalsozialismus anzumahnen und vor ungebrochenen Traditionslinien zu warnen, die man als gefährlich wahrnahm.

im Erscheinen begriffene Warschauer Synthese, die jedoch nur den Zeitabschnitt vom Westfälischen Frieden bis zur Bismarck’schen Reichsgründung abdeckte: Maria Wawrykowa, Dzieje Niemiec 1648–1789, Warszawa 1976; Dies., Dzieje Niemiec 1789–1871, Warszawa 1980. Für das moderne Deutsche Reich lag seit den späten Sechzigerjahren Jerzy Krasuski, Historia Rzeszy Niemieckiej 1871–1945, Poznań 1969, vor. 86 Die folgenden Thesen ergeben sich aus der Analyse der Beiträge in Antoni Czubiński (Hg.), Problemy metodologiczne dziejów Niemiec. Materiały z sesji naukowej zorganizowanej przez Zakład Historii Niemiec IH UAM w dniach 21–22 IX 1977 r., Poznań 1978. Ausführlicher hierzu demnächst mein Aufsatz in der ZfO.

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 6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland

4. Einhellig war die Parteinahme für die polyzentrischen Züge der deutschen Geschichte. Zwar zeigten sich die polnischen Historiker durchaus bereit, die Einigungsbestrebungen insbesondere des 19. Jahrhunderts als geschichtsbildende, wenngleich problematische Kräfte anzuerkennen, gleichzeitig betonten sie aber auch die zentrifugalen Tendenzen in der deutschen Geschichte – die Sonderentwicklung der Niederlande, der Schweiz und Österreichs sowie die neuzeitliche deutsche Kleinstaaterei. Dem Pluralismus wurden dabei durchwegs positive Konsequenzen zugesprochen. Ausdrücklich erwähnter Fluchtpunkt dieser Überlegungen war die deutsche Zweistaatlichkeit in der damaligen Gegenwart. 5. Unbestritten war der Anspruch auf eine multikausale, methodisch differenzierte Darstellungsweise. Dieser Pluralismus stand in auffallendem – und bewusstem – Kontrast zu den einseitig ökonomischen Deutungsmustern der ostdeutschen Historiographie. Angesichts der ambitiösen Absichten erstaunt es kaum, dass das Projekt in den folgenden Jahren trotz weiterer Fachtagungen – 1979 zum Begriff von „Volk“ und „Nation“ und 1982 zur mittelalterlichen Geschichte Deutschlands – auf Grund lief.87 Beinahe zwangsläufig erscheint sein Scheitern in Anbetracht der Tatsache, dass sich selbst regionalgeschichtliche Synthesen zum historischen deutsch-polnischen Grenz- und Überlappungsraum äußerst langwierig gestalteten. Eine bereits kurz nach Kriegsende ins Auge gefasste Geschichte Schlesiens erschien erst zwischen 1960 und 1985 in drei Bänden.88 Die Vorarbeiten zu einer Geschichte Pommerns fanden 1960 mit einer internationalen pommernkundlichen Konferenz einen ersten Höhepunkt, publiziert wurde das Werk aber erst ab 1969 in mehreren Bänden.89 An einer Geschichte Preußens, von der die geplante Darstellung der Geschichte Deutschlands am unmittelbarsten hätte

87 Begrifflichen Fragen galt eine 1979 abgehaltene Konferenz. Antoni Czubiński (Hg.), Pojęcia „Volk“i „Nation“ w historii Niemiec. Materiały z sesji naukowej zorganizowanej przez Zakład Historii Niemiec Instytutu Historycznego UAM w dniu 15 V 1979 r., Poznań 1980; s. auch ders., Pojęcia „Volk“ i „Nation“ w historii Niemiec, in: PZ 35 (1979), S. 188–190. Das deutsche Mittelalter behandelte eine weitere Zusammenkunft 1982. Jerzy Strzelczyk, Vizedirektor des Historischen Instituts der Universtät Posen, an B. Zientara, APAN-W III-329/179, Bl. 56. Auch ein Versuch, das Projekt nach der Wende von 1989–1991 wiederzubeleben, scheiterte. Jerzy Topolski/Wojciech Wrzosek, Die methodologischen Probleme der deutschen Geschichte, Poznań 1991. 88 Herausgegeben wurde sie unter Federführung des Instytut Historii PAN in 3 Bänden (8 Teilen) als Historia Śląska, Wrocław 1960–1985 durch Karol Maleczyński (Bd. 1), Wacław Długoborski (Bd. 2) und Stanisław Michalkiewicz (Bd. 3). Dazu Zernack/Friedrich, Developments, S. 314. 89 Historia Pomorza, 3 Bde., 1969 ff.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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profitieren können, arbeiteten die Posener Historiker seit 1971, ein erster Band erschien jedoch erst dreißig Jahre später.90 Solange diese landesgeschichtlichen Studien nicht fertiggestellt waren, bewegte sich auch die Synthese zur Geschichte Deutschlands auf brüchigem Eis, denn damit fehlten anerkannte Meistererzählungen, welche die Behandlung Preußens und der historischen deutsch-polnischen Überlappungsräume hätten regeln können. In Ermangelung dieser Wegbereiterarbeiten blieben die wissenschaftlichen und politischen Hemmschwellen für die Beschäftigung mit der deutschen Geschichte offenbar zu hoch.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 6.3.1 Vorgeschichte Bereits in der Zwischenkriegszeit hatten polnische Historiker und Pädagogen den Schul­unterricht in Deutschland als Hort antipolnischer Indoktrination ausgemacht.91 Im Rückblick auf die Kriegsjahre erschien der Hass auf Polen in den hitleristischen Schul­büchern dann vollends als Element der geistigen Mobilmachung.92 Die Forderung nach einer entsprechenden Bereinigung der deutschen Lehrbücher und Lehrpläne stand deshalb nach 1945 weit oben auf der Prioritätenliste polnischer Deutschlandspezialisten.93 Eine planvolle, von den Siegermächten gemeinsam getragene re-education der Deutschen fiel indes rasch der Blockkonfrontation zum Opfer, und mit ihr zerschlug sich fürs Erste die polnische Hoffnung, auf die Gesinnungsbildung der deutschen Schuljugend Einfluss zu nehmen.94 Derweil erfuhr das Anliegen der Schulbuchrevision in Westeuropa eine rasche Wiedergeburt. Aufsehen erregte insbesondere die deutsch-französische Schulbuchverständigung der Jahre 1950–1951, deren Ergebnisse als entscheidender Schritt auf dem Weg zur Aussöhnung zwischen den vormaligen Kriegsgeg-

90 Bogdan Wachowiak (Hg.), Historia Prus. Narodziny – mocarstwo – obumieranie, 4 Bde., Poznań 2001 ff. Erschienen ist bisher der erste Band: Wachowiak/Kamieński, Dzieje Brandenburgii-Prus. 91 S. o., Kap. 2.3.5. 92 Jan Berger, Nienawiść do Polski w hitlerowskich podręcznikach szkolnych, in: PZ 3 (1947), S. 48–52. 93 S. o., Kap. 4.2.2. 94 Dies galt auch für die DDR, mit der Polen erst in den Siebzigerjahren Schulbuchgespräche begann.

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nern gefeiert wurden und die Mach- und Wünschbarkeit ähnlicher Gespräche zwischen Deutschland und weiteren Nachbarstaaten nahelegten.95 In den folgenden Jahren propagierte die UNESCO das Anliegen auf internationaler Ebene,96 doch Gespräche über die Blockgrenze hinweg mussten selbst im Licht der neuen sowjetischen Koexistenzpolitik von 1956 als kühnes Unterfangen erscheinen. Bezeichnenderweise war es kein Fachhistoriker, sondern der Gymnasiallehrer Enno Meyer, der sich anschickte, ähnliche Gespräche auch mit Polen anzustoßen. Antrieb dazu war ihm nach eigenem Bekunden der Umstand, dass deutschen Lehrern auch zehn Jahre nach Kriegs­ende kaum Lehrmittel zur Behandlung des schwierigen Themas zur Verfügung standen. Im Zuge der damaligen, vorwiegend revisionistisch inspirierten Bemühungen, dem europäischen Osten im Rahmen der sogenannten Ostkunde im Unterricht mehr Aufmerk­samkeit zu widmen, schien es Meyer geboten, eine ausgewogene Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen zu entwerfen, die für Polen und Deutsche gleichermaßen annehm­ bar war. Zu diesem Zweck setzte er sich mit polnischen Exilhistorikern in Verbindung, die sich im Schutze der Anonymität bereit fanden, ihn bei der Formulierung seiner Thesen zu unter­stützen.97 Das Ergebnis seiner Arbeit unterbreitete Meyer im Frühjahr 1955 Georg Eckert vom Internationalen Schulbuch­institut in Braunschweig, der die Publikation der Thesen zusicherte und sie einer Gruppe von deutschen Historikern und Polenkennern – unter ihnen Werner Conze und Herbert Ludat – zur Diskussion vorlegte, wo sie ein grundsätzlich wohlwollendes Echo fanden.98 In seinen knappen Lehrsätzen suchte Meyer die Urheimat der Slawen östlich der Weichsel und verneinte eine germanische Siedlungskontinuität im späteren Polen von der Vor­geschichte bis ins Mittel­alter. Als Staat sei Polen mit nur unwesentlicher Verspätung gegenüber Deutschland in Erscheinung getreten, unbelegt bleibe die Behauptung, seine Herrscher­dynastie sei wikin­gischer Abkunft. Die kirchliche Unabhängigkeit vom Reich habe Polen früh erlangt, doch hätten deutsche Herrscher bis ins 14. Jahrhundert die Oberlehnsherrschaft über Polen oder Teile seines Gebiets beansprucht. Der deutsche „Drang nach Osten“ entspreche einem Expansionsstreben, das nahezu alle europäischen Staaten, einschließlich Polens, an den Tag gelegt hätten. Der deutsche Orden sei vom polnischen Herzog

95 Rainer Riemenschneider, Transnationale Konfliktbearbeitung. Die deutsch-französischen und die deutsch-polnischen Schulbuchgespräche im Vergleich, 1935–1997, in: Internationale Schulbuchforschung 20 (1998), S. 71–79. 96 1953 regte sie bilaterale Schulbuch-Konsultationen zwischen den Mitgliedstaaten an. Auszug aus dem Proposed Programme and Budget for 1955 and 1956 der UNESCO, BAK B 336/279. 97 Meyer, Dazu gekommen. 98 Ruchniewicz, Entstehungsprozess, S. 248 f.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Konrad von Masowien ins Land gerufen worden, der Streit um Pommerellen habe Polen und den Orden jedoch dauerhaft entzweit. Im 12. und 14. Jahrhundert seien deutsche Siedler als Kolonisten nach Polen eingeladen worden, das sie keinesfalls als Kulturwüste antrafen, zu dessen wirtschaftlicher und kultureller Hebung sie aber beitrugen, wobei sie sich oft mit den Slawen ihrer Umgebung vermischten. Vom 15. bis 17. Jahrhundert habe Polen als europäische Großmacht und Vormauer des Westens Russen und Türken getrotzt; im 18. Jahrhundert habe es sich als Adelsrepublik jedoch immer weniger gegen seine absolutistischen Nachbarn behaupten können. An der Aufteilung des Landes hätten Preußen und Österreich sich beteiligt, um seine gesamthafte Einverleibung in das russische Reich zu verhindern; dem polnischen Widerstand gegen die Fremdherrschaft hätten im Völker­frühling aber auch deutsche Liberale Anerkennung gezollt. Anders als das liberalere Österreich habe Preußen die demographische und kulturelle Entwicklung der Polen in seinem Teilungsgebiet zu hemmen gesucht. Im Ersten Weltkrieg habe eine unglückliche Politik der Mittelmächte polnische Sympathien verspielt. Die in Versailles geschaffene Nachkriegs­ordnung kennzeichnete Meyer als instabil. Der deutsch-polnische Nichtangriffs­vertrag von 1934 sei ein taktisches Bündnis auf Zeit gewesen, während der Hitler-Stalin-Pakt 1939 den Weg zur erneuten Teilung Polens frei machte. Die national­sozialistischen Verbrechen in Polen schilderte Meyer in deutlichen Worten, betonte aber auch die Schuld der Sowjetunion, die Polen durch eigenen Terror (Katyń) und ihr Abseits­stehen während des Warschauer Aufstands bewusst geschwächt habe, um es nach dem Krieg dem eigenen Herrschaftsbereich einzuverleiben. Für die Westverschiebung Polens und die damit einhergehende Zwangs­aussiedlung der deutschen Bevölkerung machte er die Sowjetunion verantwortlich, verwies jedoch auf die Billigung der Westmächte.99 Ohne dass es Meyer zu Beginn seiner Arbeit 1953 hätte vermuten können, ebneten seine Thesen im Zeichen des Tauwetters den Weg zum deutsch-polnischen Historikerdialog. Ermuntert vom polnischen Außenministerium, das damals auf eine rasche Verbesserung der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik hoffte,100 verfasste Gerard Labuda eine grundsätzlich positive Erwiderung auf Meyers Thesen.101 Darin signalisierte er Gesprächsbereitschaft,

99 Enno Meyer, Über die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichtsunterricht, in: IJfG 5 (1956), S. 1–19. 100 Labuda, Rozmowy podręcznikowe, S. 461. 101 Gerard Labuda, Próba nowego ukazania stosunków polsko-niemieckich w nauczaniu szkolnym in: Ders. (Hg.), Rozmowy polsko-niemieckie o przeszłości, Poznań 1996, S. 403–415 [Erstveröffentlichung im PZ 12/11–12 (1956), S. 346–356]; deutsche Übersetzung: Ders., Ein Versuch, die deutsch-polnischen Beziehungen im Schulunterricht neu darzustellen, in: Internationales

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 6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland

riet aber gleichzeitig dazu, vorerst auf konfliktträchtige Themen aus der Zeitgeschichte zu verzichten.102 Schroff ablehnend reagierten hingegen die Historiker der DDR, in deren Augen ein deutsch-polnischer Geschichtsdialog grund­sätzlich nur auf dem Boden der historisch-materialistischen Geschichts­interpretation möglich war.103 Für die gerade erst gegründete ostdeutsch-polnische Historikerkommission wurde das Thema folglich zur Zerreißprobe.104 In der Frage, ob mit den bundesdeutschen Kollegen eine Verständigung möglich sei, riskierte Labuda eine scharfe Auseinandersetzung mit seinem ostdeutschen Kollegen Gerhard Schilfert, die mit Labudas Ausschluss aus der Kommission endete.105 Erfreut nahmen hingegen die bundesdeutschen Historiker die Reaktionen aus der Volks­republik zur Kenntnis. Enno Meyer gab der weit verbreiteten Erwartung Ausdruck, „dass allmählich der Boden für eine deutsch-polnische Historiker-Konferenz vorbereitet ist“, und diese Erwartung schien zunächst nicht unrealistisch.106 Weshalb die Gespräche damals nicht zustande kamen, lässt sich anhand der eingesehenen Quellen nicht restlos klären; eine Rolle spielte aber mit Sicherheit der Widerstand der DDR gegen eine bundesdeutsch-polnische Annäherung.107 Erschwerend kam die andauernde, aus der Hallstein-Doktrin hervor­gehende Weigerung der Bundesregierung hinzu, mit Polen diplomatische Beziehungen aufzunehmen. 1959 führte die Berlinkrise das Ende der damaligen Verständigungsbemühungen herbei. Damals leitete die Sowjetunion mit polnischer Unterstützung eine publizistische Kampagne gegen die „revisionistischen“ bundesdeutschen Geschichtslehrbücher in die Wege, worauf die polnischen Historiker ihren bundesdeutschen Kollegen die vorläufige Chancenlosigkeit weiterer Gesprächsversuche signalisierten.108 Die Attacken nahm man in der Bundesrepublik durchaus ernst, zumal sie

Schulbuchinstitut Braunschweig (Hg.), Über die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichtsunterricht, Braunschweig 1960, S. 27–40. Rhode wies Eckert darauf hin, dass die deutsche Übersetzung weniger polemisch ausgefallen sei als der Originaltext. G. Rhode an G. Eckert, 2. 6. 1958, BAK N 1445/146. 102 Labuda, Versuch. Labudas Erwiderung folgten weitere wohlwollende Reaktionen von Kazimierz Piwarski, Ewa Maleczyńska und Kazimierz Popiołek, übersetzt bei Enno Meyer, Anmerkungen zu drei polnischen Kritiken der Thesen über die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichtsunterricht, in: IJfG 6 (1957/1958), S. 347–360. 103 Felix-Heinrich Gentzen, [Rezension zu:] E. Meyer, Über die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichtsunterricht, in: ZfG 6 (1957), S. 1309–1319. 104 S. o., Kap. 5.3.1. 105 Labuda, Rozmowy podręcznikowe, S. 462. 106 E. Meyer an G. Eckert, 22. 2. 1957, BAK B 336/279. 107 So G. Eckert an G. Rhode, 13. 1. 1958, BAK N 1445/146. 108 G. Eckert an Platz, 15. 1. 1959, BAK B 336/279. Unter diesen Bedingungen konnte der begon-

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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in Frankreich, Großbritannien und den USA beachtlichen Widerhall fanden. Zur eigenen Bestürzung sah sich der Schulbuch­ausschuss der Deutschen UNESCOKommission nach eingehender Prüfung der deutschen Lehrmittel außer Stande, die erhobenen Vorwürfe zu entkräften – vielmehr böten die einschlägigen deutschen Schulbücher „tatsächlich Anlass zur Kritik“.109 Unter diesen Umständen beeilte sich der Ausschuss, in Gesprächen mit der Kultusministerkonferenz und den einschlägigen Verlagen gegen besonders problematische Lehrbücher vorzugehen.110 Gleichzeitig wollte man bei der polnischen Schwester­kommission erneut für bilaterale Historiker- und Pädagogen­gespräche werben. Ein Besuch der deutschen UNESCO-Delegation in Polen, bei dem das Schulbuch-Thema zur Sprache kam, gelang jedoch erst 1965, und obgleich die polnischen Gesprächs­ partner damals erneut Interesse an einer Verständigung zeigten,111 ließen weitere Schritte im Rahmen der UNESCO bis 1970 auf sich warten. In der Zwischenzeit hatte das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Zwar kamen sich beide Staaten auf dem politischen Parkett bis in die späten Sechzigerjahre nur in kleinen Schritten näher;112 auf gesellschaftlicher Ebene mehrten sich indes die Verständigungssignale, wobei dem kirchlichen Dialog besondere Bedeutung zukam. In diesem Zusammenhang war es naheliegend, dass deutsche Kirchenvertreter die Vergangen­ heitsdiskussion aufgriffen und den Gedanken bilateraler Schulbuchgespräche wiederbelebten. Im November 1969 veranstaltete die Evangelische Akademie in Berlin eine Konferenz zum Thema „Polen im Unterricht“. Damit wollten die Initiatoren nach eigenem Bekunden in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ein günstiges Klima für die neue Ostpolitik der Bundes­regierung schaffen. Eingeladen wurden Pädagogen, Schüler und Studenten; deutsche Fachhistoriker und Polenkenner fanden sich jedoch nicht unter den Teilnehmern. Hingegen war in Gestalt von Gerard Labuda ein führender polnischer Deutschland­historiker angereist, um den polnischen Blickwinkel zu erläutern.113

nene Dialog nur noch auf Umwegen fortgesetzt werden, etwa wenn Wagner 1962 in den Cahiers Pologne-Allemagne einen längeren Beitrag zur Behandlung Polens im bundesdeutschen Schulunterricht veröffentlichte. Jerzy Zdziechowski, Paris, an Tadeusz Manteuffel, Warschau, 29. 9. 1962, AIH PAN 5/86, Bl. 19 f. 109 Deutsche Schulbücher in der Kritik des Auslandes, undatiert [1962], BAK B 336/280. 110 Protokoll der Sitzung des Schulbuchausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission vom 4. Mai 1959, BAK B 336/280. 111 Bereitschaft zur Verständigung, in: Braunschweiger Zeitung, 6. 7. 1965. 112 Dieter Bingen, Die Polenpolitik der Bonner Republik von Adenauer bis Kohl 1949–1991, Baden-Baden 1998, S. 79–111. 113 Meyer, Dazu gekommen, S. 58.

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Beim Blick auf die ungleichen Gesprächspartner scheinen zwei Dinge bezeichnend: Auf bundesdeutscher Seite ist es der Umstand, dass die Initiative weder zu diesem noch zu einem früheren Zeitpunkt von Fachhistorikern ausging, sondern damals von einem Pädagogen (Enno Meyer) und nun von einem Theologen (Günter Berndt) angestoßen wurde. Der Schluss liegt nahe, dass die Fachhistoriker vor den ideologischen Implikationen „angewandter“ Geschichtsschreibung zurückschreckten und simplifizierende Pauschal­darstellungen, wie sie der Schulunterricht verlangte, scheuten. Zweitens fällt auf, dass auf polnischer Seite nicht etwa die Kirche als Gesprächspartner auftrat, was im Hinblick auf den deutschen Gastgeber ja nahegelegen hätte. Vielmehr repräsentierte Labuda als Vertreter des Posener Westinstituts die Positionen der Warschauer Regierung.114 Sein Besuch bei der Evangelischen Akademie machte deutlich, dass die PVAP sich einer deutsch-polnischen Verständigung nicht länger verweigerte, sie aber ausdrücklich als Angelegenheit der Partei verstanden wissen wollte. In Berlin hatte Labuda leichtes Spiel; viel Überzeugungsarbeit verlangten ihm die Tagungs­teilnehmer nicht ab. Als Linksintellektuelle standen sie dem sozialistischen Polen betont freundlich, der Bundes­republik hingegen skeptisch gegenüber, und diese Präferenzen projizierten sie in die Vergangenheit zurück. So unterstellten sie in ihrer Schlussresolution der deutschen Geschichte eine antipolnische Konstante. Demnach habe Preußen und später Deutschland seit dem Mittelalter eine aggressive Ostpolitik verfolgt, welche die polnische Nation in ihrer kulturellen und bisweilen auch physischen Existenz bedroht habe. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Bundesrepublik eine revisionistische Politik betrieben, die sich auch in den Schulbüchern niederschlage.115 Im Anschluss an die Tagung verfassten Günter Berndt und Reinhard Strecker ein Bändchen, das den deutschen Geschichts­unterricht über Polen in polemischer Weise als Schauer­märchen oder Gehirnwäsche für Generationen brand­markte.116 In Polen wollte man die Gunst der Stunde nicht ungenutzt verstreichen lassen. Unverzüglich ließ das Außenministerium beim Posener Westinstitut eine Arbeitsgruppe für deutsch-polnische Schulbuchfragen einrichten,

114 In der Auseinandersetzung um den polnischen Bischofsbrief, der damals auch das IZ spaltete, hatte sich Labuda, ebenso wie Markiewicz, auf die Linie der Partei gestellt und das kirchliche Versöhnungsangebot verurteilt. Zur Vorgeschichte s. o., Kap. 4.2.11, sowie Karol Marian Pospieszalski, Uwagi o przebiegu prac profesora w IZ 1945–66, 10. 10. 1990 [mit nachträglichen Ergänzungen], APAN-P III-112/3/7. 115 Günter Berndt/Reinhard Strecker, Polen, ein Schauermärchen oder Gehirnwäsche für Generationen: Geschichtsschreibung und Schulbücher. Beiträge zum Polenbild der Deutschen, Reinbek bei Hamburg 1971, S. 107 f. 116 Ebd.

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die möglichst rasch eine eingehende Analyse der deutschen Geschichts- und Geographielehrbücher erarbeiten sollte, um so eine „offensive Auseinander­ setzung“ mit deutschen Positionen vorzubereiten.117 Solch routiniert kämpferische Rhetorik sollte indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier erstmals die Bereitschaft anklang, nach vielen Jahren der einseitigen Polemik zu echten Gesprächen überzugehen.118 Zunächst standen die Arbeitsbeziehungen zwischen der Evangelischen Akademie und dem Westinstitut im Vordergrund, die ein Jahr nach der Berliner Konferenz mit dem Gegenbesuch einer deutschen Delegation in Posen vertieft wurden.119 Bei dieser Gelegenheit verdeutlichte Labuda die polnischen Positionen, die er in zehn Thesen zu den „Umstrittene[n] Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen“ kleidete.120 Seine Ausführungen ließen bereits die schwierige Gratwanderung zwischen doktrinärer Prinzipientreue und Kompromiss­bereitschaft erkennen, die die polnische Geschichts­verständigung mit der Bundesrepublik in den folgenden Jahren kennzeichnete. Als Achse der gemeinsamen Beziehungsgeschichte wählte Labuda – reichlich traditionell – den deutschen „Drang nach Osten“, der nach deutscher Lesart in ein machtpolitisches und kulturelles Vakuum vorgedrungen sei, während er in den Augen der Polen eine gewaltsame und aggressive Expansions- und Verdrängungspolitik auf Kosten Polens dargestellt habe. In diesem Zusammenhang verwies Labuda deutsche Kulturträger­ theoreme ins Reich der Mythen und rief stattdessen die Teilungen Polens durch Preußen, Österreich und Russland in Erinnerung. Zugunsten der Polen gewich-

117 T. Kuźmiński, DWKN MSZ, Notatka dla Towarzysza Ministra A. Willmana w sprawie pilnego podjęcia działań na rzecz zmian w informacjach o Polsce zawartych w podręcznikach szkolnych NRF, Juni 1970, AMSZ D-IV 32/82/W-16. 118 Die Evangelische Akademie kam hierzu sehr gelegen, denn weiterhin galt die Bedingung, offizielle Gespräche auf zwischenstaatlicher Ebene erst nach einer bundes­deutschen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aufzunehmen. Ebd. 119 Die Tagung fand im Oktober 1970 mit 13 deutschen Gästen statt, unter denen Fachhistoriker und Polenkenner erneut fehlten; unter den polnischen Experten befanden sich u. a. Władysław Markiewicz und Gerard Labuda. Notatka w sprawie aktualnego stanu weryfikacji wiedzy o Polsce w podręcznikach szkolnych NRF, Dezember 1970, AMSZ D-IV 32/82/W-16. 120 Gerard Labuda, Strittige Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen. Referatsmanuskript, undatiert [1970], BAK N 1445/140. Später abgedruckt in: Ders., Strittige Fragen der deutschpolnischen Beziehungen, in: IJfG 14 (1972), S. 166–177. Dass die Thesen anlässlich der Posener Konferenz 1970 vorgetragen wurden, bestätigt Zbigniew Kulak, Działalność Wspólnej Ko­ misji Podręcznikowej PRL–RFN 1972–1987, in: Antoni Czubiński (Hg.), PRL – RFN. Blaski i cienie procesu normalizacji wzajemnych stosunków (1972–1987), Poznań 1988, S. 187–225, hier S. 195. Inhaltlich griff Labuda mit diesen Thesen auf eine Zusammenstellung der deutsch-polnischen Streitpunkte zurück, die er bereits 1960 verfasst hatte. Labuda, Węzłowe problemy. S. dazu oben, Kap. 4.2.11.

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tete er die demographische Dynamik im 19. und 20.  Jahrhundert: Selbst die Bismarck’sche Siedlungs- und Kulturpolitik habe es nicht vermocht, die Polen zurück­zudrängen, noch habe sie die Abwanderung der deutschen Bevölkerung aus dem Osten aufhalten können. Seinen deutschen Historikerkollegen warf Labuda vor, diese Germanisierungspolitik kaum zu hinterfragen, die Polonisierungsbemühungen des wiedererstandenen polnischen Staates der Zwischenkriegszeit in den Westgebieten hingegen scharf zu verurteilen. Dagegen habe die historische Erfahrung letztlich gezeigt, dass Minderheitenfragen im Zeitalter des Nationalismus nur durch Entflech­tung zu lösen seien, weil sie sonst den Kern unaufhörlicher revisionistischer Umtriebe bildeten. Ohne auf die Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg einzugehen, suggerierte Labuda mit diesen Ausführungen doch, dass Flucht und Zwangs­aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen in den ersten Nachkriegsjahren das Minderheitenproblem auf adäquate Weise gelöst hätten.121 Auf seine intransigenten Grundsatzerklärungen ließ Labuda versöhnlichere Akzente folgen. Im Hinblick auf die Historiographie gestand er ein, dass die deutsche „Volks- und Kultur­bodentheorie“ auch in Polen ihre Nachahmer gefunden habe und ähnlich wie in Deutschland vor allem dazu gedient habe, das Ausgreifen des eigenen Staates gen Osten zu legitimieren. Nach 1945 komme man aber nicht umhin, die geschaf­fenen Grenzen anzuer­kennen und die historische Forschung in Deutschland wie in Polen vom Brandmal des Revisio­nismus und des Nationalismus zu befreien.122 Dies sei umso mehr vonnöten, weil die Historio­ graphie bis in die Gegenwart „einen sehr großen Einfluss auf das Bewusstsein der Völker“ ausübe und eine historische Verstän­digung deshalb zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer politischen Versöhnung zwischen Deutschland und Polen gehöre.123 Nur einen Monat später erreichte die Schulbuchinitiative der Evangelischen Akademie im November 1970 ihren Höhepunkt. Das Institut hatte zu einer Konferenz in Berlin geladen, die sich im Gegensatz zu den vorangegangenen Tagungen diesmal der Darstellung deutscher Geschichte in den polnischen Lehrbüchern widmete. Seine polnischen Partner ließ Berndt wissen, mit diesem Perspektiven-

121 Gerard Labuda, Strittige Fragen […]. Ähnlich erklärte Marian Wojciechowski die Entstehung des neuen Polen nach 1945 nicht nur als Ergebnis einer sozialen, sondern auch einer territorialen Revolution. Letztere erschien ihm – nach Versailles – als zweiter und vollständigerer Versuch, den polnischen Staat wieder­herzustellen, wobei er die „Bevölkerungsverschiebungen“ unumwunden als Hauptfaktor nannte, der diesen Versuch zum Erfolg geführt habe. V. dt.-poln. Schulbuchkonferenz [Ungezeichnete handschriftliche Notiz], 1. 4. 1974, BAK B 336/286. 122 G. Labuda, Strittige Fragen […]. 123 Ebd.

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wechsel wolle er nationalistische Kreise in der Bundes­republik beschwichtigen, die dem Unterfangen ansonsten Einseitigkeit unterstellen könnten.124 Um den Vorwurf der Parteilichkeit weiter zu entkräften, lud Berndt erstmals auch deutsche Polenspezialisten und Fachhistoriker wie Jörg Hoensch und Imanuel Geiß zu den Gesprächen; auch Enno Meyer wurde hinzugebeten.125 Auf polnischer Seite blieb es bei Markiewicz und Labuda – Gotthold Rhodes Vorschlag, nebst den Vertretern des Posener Westinstituts weitere polnische Historiker beizuziehen, scheiterte vermutlich an der Furcht Warschaus vor einem damit einhergehenden Verlust an politischer Kontrolle.126 Aus dem inhaltlichen Perspektivenwechsel und der stärkeren fachwissenschaftlichen Profilierung der deutschen Teilnehmer ergab sich ein merklich differenzierteres Diskussionsklima. Zwar ließ sich die polnische Seite von den deutschen Kollegen schriftlich bestätigen, dass die polnischen Lehr­bücher die Beziehungsgeschichte im Allgemeinen faktengetreu darstellten und sachlich interpretierten.127 In der Diskussion kritisierten Hoensch, Geiß und Meyer das feindbild­gesättigte polnische Beziehungsnarrativ indes mit deutlichen Worten. Der Referent des polnischen Außenministeriums verzeichnete solche Einwände im abwiegelnden Duktus einer der Kritik weitgehend entwöhnten Autorität: Für nicht ganz befriedigend hielten die deutschen Diskutanten die Darstellung des Deutschen Ordens, des preußischen Königs Friedrich  II. und Bismarcks. Auch meldeten sie gewisse Vorbehalte gegen die Interpretation der Grenzstreitigkeiten von 1919–1921, des Plebiszits in Schlesien, der Rolle der deut­schen Minderheit im Polen der Zwischenkriegszeit und der Potsdamer Verträge sowie der Umsiedlun­gen an.128

Deutschen Widerspruch erregte des Weiteren eine von Markiewicz verfasste Darstellung, in welcher der Autor unverhohlen eine „reaktionäre Kontinuitätslinie“ zwischen Bismarck und Hitler konstruierte – nota bene ein Narrativ, das sich die Evangelische Akademie auf ihrer ersten Polentagung ein Jahr zuvor noch bereitwillig zu eigen gemacht hatte. Auch die Schwarzweißmalerei bei der Darstellung der beiden deutschen Staaten stieß auf Ablehnung. Diesen Einwänden gegenüber zeigten sich Markiewicz und Labuda bemerkenswert aufge­schlossen – doch damit nicht genug: In seinem Referat über „Das Bild des Deutschen und die

124 Notkata w sprawie aktualnego stanu […]. 125 Berndt/Strecker, Schauermärchen, S. 109, sowie Notatka w sprawie aktualnego stanu […]. 126 Rhode hatte Czesław Madajczyk, Józef Andrzej Gierowski, Henryk Batowski und Tadeusz Grudziński vorgeschlagen. G. Rhode an Günter Berndt, 10. 10. 1970, BAK N 1445/146. 127 Erklärung zur Tagung der evangelischen Akademie vom 13.–15. 11. 1970, zitiert nach Berndt/ Strecker, Schauermärchen, S. 108 f. 128 Notatka w sprawie aktualnego stanu […].

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deutsch-polnischen Beziehungen in den polnischen Schulbüchern“ übte Labuda gar selbst Kritik an den polnischen Lehrbüchern: Man wendet nicht konsequent die methodologischen Voraussetzungen des geschichtlichen Materia­lismus bei der Einschätzung der klassenmäßigen Wirklichkeit an […] Beispielsweise wird die Polonisierung der deutschen Bevölkerung im mittelalterlichen und neuzeitlichen Polen als normal betrachtet, dagegen die Germanisierung der polnischen Bevölkerung in Deutschland getadelt.129

Eingepasst in vertraute ideologische Schablonen, wich diese Wertung doch auffällig vom nationalistischen Geschichtsdiskurs ab, den die poststalinistische Volksrepublik anderthalb Jahrzehnte lang gepflegt hatte. Aus dem Munde eines polnischen Fachhistorikers konnten solche Einsichten zu Beginn der Siebzigerjahre kaum mehr verblüffen – ausgesprochen von einem offiziösen Repräsentanten polnischer Staats- und Parteiinteressen ließen sie jedoch aufhorchen, stellten sie doch erstmals eine gewisse Beweglichkeit der Warschauer Geschichtspolitik im Hinblick auf zukünftige Historikergespräche in Aussicht.130 Tatsächlich hatten sich Labuda und Markiewicz für ihre Konzessions­bereitschaft zunächst offizieller Rückendeckung versichert. Ihre Ansprechpartner im Bildungs- und Außenministerium hatten sie vor der Berliner Konferenz schonend darauf vorbereitet, dass auch in den polnischen Lehrbüchern „unter methodologischen und inhaltlichen Gesichts­punkten nicht alle Formulierungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen korrekt“ seien. Man war deshalb übereingekommen, einer eigens einzu­ berufenden Kommission beim Bildungsministerium die eingehende Analyse aller einschlägigen Lehrbücher aufzutragen. Die Aufgabe wurde als dringlich erachtet, weil sie sich bereits auf die anstehende Überholung der geltenden Unterrichtsmittel auswirken sollte.131 Zur Vorgeschichte der Schulbuchkommission gehörte auch die bereits kurz gestreifte Kontaktanbahnung zwischen beiden Staaten auf UNESCO-Ebene. 1965 hatte Georg Eckert eine deutsche UNESCO-Delegation nach Polen geführt und von dort den Eindruck zurück­gebracht, „dass die Polen ernsthaft Sorgen vor deutschem Revanchismus haben.“ Dennoch sei die Bereitschaft zur Verständigung immer wieder zum Ausdruck gekommen. Die UNESCO erschien ihm fortan als „glänzender Kanal, kulturelle Kontakte anzubahnen.“132 Aktiviert wurden die damals geknüpften Beziehungen allerdings erst im Angesicht des bevor­stehenden politischen Durchbruchs. Auf der Generalkonferenz der UNESCO im Spät­herbst

129 Zitiert nach Meyer, Dazu gekommen, S. 59. 130 Ebd. 131 Notatka w sprawie aktualnego stanu […]. 132 Bereitschaft zur Verständigung.

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1970, so die einschlägigen Notizen aus dem polnischen Außenministerium, sei die deutsche an die polnische Delegation herangetreten und habe gewünscht, eine bilaterale Schulbuch­revision in die Wege zu leiten. Der Vorschlag erschien polnischerseits interessant, weil er einerseits im inter­nationalen Rahmen erfolgte und andererseits durch die Autorität Eckerts konkrete Ergebnisse erhoffen ließ.133 Umgehend signalisierte Eugenia Krassowska im Namen der polnischen UNESCODelegation deshalb die Bereitschaft, solche Gespräche „sofort nach Unterzeich­ nung des polnisch-deutschen Vertrages“ in die Wege zu leiten. Ihre herausgehobene Stellung als Mitglied des polnischen Staatsrates verlieh dem Versprechen die nötige Verbindlichkeit. Vor diesem Hintergrund gestalteten sich die Aussichten für eine polnisch-deutsche Historikertagung Anfang 1971 „ganz ausgezeichnet“, wie Eckert festhielt.134

6.3.2 Akteure und Motive Wenn Eckert von einer „Historikertagung“ sprach, verdeutlichte er damit den unbestritten historischen Schwerpunkt des Unterfangens. Häufiger war jedoch von „Schulbuch­gesprächen“ die Rede, und darin wurde klar, dass von keiner Seite an Historiker­kolloquien im herkömmlichen Sinne gedacht war. Vielmehr sollten die Gespräche ihre Wirkung im Schnitt­bereich zwischen Wissenschaft, Politik und Pädagogik entfalten.135 Dass die Ergebnisse der geplanten Verständigung in den Schulunter­richt eingehen würden, verlieh ihnen von vornherein eine enorme Tragweite und mithin erhebliche politische Brisanz. Dieser Umstand mag erklären, weshalb die Fachhistoriker den ursprünglich von Kirchenvertretern und Pädagogen angeregten Gesprächen zunächst mit Vorbehalten begegneten. Der Deutsche Historikerverband etwa konnte sich erst im Oktober 1973, also gute anderthalb Jahre nach Beginn der Gespräche, und nur auf Eckerts Drängen dazu durchringen, dem Unterfangen seine förmliche Unterstützung zuzusagen.136 Ungeachtet solcher Startschwierigkeiten sollten die Berufshistoriker auf beiden

133 H. Jaroszek, Dep. Międzynarodowych Organizacji, an Min. Winiewicz, 15. 2. 1971, AMSZ DIV/32/82/W-16. 134 G. Eckert an Hermann W. Forster, Stv. Leiter der Kulturabteilung des AA, Bonn, 14. 12. 1970, PAAA B 93/1552. 135 So konstatierte etwa Markiewicz 1983, die Kommission habe „eine politische, eine pädagogische und eine wissenschaftliche Dimension“. Władysław Markiewicz, Wyniki, stan i perspektywy działalności Współnej Komisji Podręcznikowej PRL–RFN, in: Przegląd Stosunków Międzynarodowych 6/106 (1983), S. 67–76. 136 Werner Conze an G. Eckert, 11. 10. 1973, PAAA B 93/1935 [= Zwischenarchiv 104319]; G. Eckert an Botschafter Hans Hellmuth Ruete, Warschau, 9. 10. 1973, BAK B 336/286.

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Seiten indes rasch zur tragenden Kraft des Unterfangens werden. Nur ihre Mitwirkung konnte den Gesprächen die fachliche Gediegenheit verleihen, die angesichts der zu erwartenden Kritik dringend geboten schien. So standen sich während des Werdens und Wirkens der Kommission stets geschichts­wissenschaftliche und geschichtspolitische Ansprüche gegenüber. Zur deutsch-polnischen Horizontale der Gespräche trat somit von Beginn an in beiden Ländern die fachwissen­schaftlich-politische Vertikale, ja sie ging ihr voraus, indem sie bereits die beiderseitigen Vorbereitungen strukturierte. Gewiss war diese Verzahnung im autoritären und zentralistischen System der Volksrepublik Polen, wo die Strukturen von Partei und Staat weite Bereiche des intellektuellen Lebens durchdrangen und die wissenschaftlichen Eliten – mehr oder weniger erfolgreich – in die Pflicht nahmen, enger als in der Bundesrepublik, wo die demokratischen Werte der Meinungs- und Forschungsfreiheit hochgehalten wurden. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass die Verständigungsinitiative sich in der Bundesrepublik gänzlich losgelöst von politischen Interessen entfaltet hätte. Das Gegenteil war der Fall, denn der Schulbuchausgleich mit Polen wurde, kaum stand er in Aussicht, zum wichtigen Prüfstein für die neue Ostpolitik von Bundeskanzler Brandt. Angesichts lauter Kritik in der Öffent­lichkeit benötigte die SPD-geführte Bundesregierung vorzeigbare Erfolge für ihren neuen Kurs gegenüber den sozialistischen Staaten Osteuropas. Deutsch-polnische Historikergespräche schienen prädestiniert, den Verständigungs­gedanken mit konkretem Inhalt zu füllen. Ganz in diesem Sinne gab Eckert seinen polnischen Partnern nach Beginn der Gespräche zu verstehen, dass „den um die SPD versammelten Kräften sehr an der begon­nenen Aktion gelegen ist und dass sie ein wichtiges Element in der konstruktiven Politik der SPD darstellt, weil sie ein positives und konkretes Beispiel für die Normalisierung der gegen­seitigen Beziehungen zwischen der BRD und der VRP repräsentiert.“137 Vor diesem Hintergrund erachtete das Auswärtige Amt in Bonn die Schulbuchgespräche mit Polen „aus politischen Gründen als vordringlich“.138 Als gewissermaßen natürlicher Angelpunkt der geplanten Gespräche bot sich das Braun­ schweiger Schulbuchinstitut an. Hervorgegangen war es zu Beginn der Fünfzigerjahre aus Eckerts Engagement für die deutsch-französischen Schulbuchgespräche. In den folgenden zwei Jahrzehnten hatte sich der Einmannbetrieb des Geschichtspädagogen zum wissen­schaft­lichen Koordinationszentrum für die internationale Schulbuch­revision gemausert. An seiner

137 Jan Druto, Pilna Notatka o aktualnym stanie prac grup ekspertów Polski i NRF nad weryfikacją treści podręczników szkolnych, 5. 10. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12. 138 Schroeder, AA, Bonn, Vermerk zur Vorsprache von Professor Dr. Eckert am 17.  Dezember 1970 im Referat IV 4, 22. 12. 1970, PAAA B 93/1552.

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Finanzierung beteiligte sich das Auswärtige Amt mit der Begründung, die grenzüber­ schreitenden Schulbuch-Initiativen des Instituts seien „ein echter Teil der auswärtigen Kulturpolitik.“139 Im Gegenzug für seine Unter­stützung verlangte das Amt ein „wesentliches Mitspracherecht“ bei der Berufung des Institutsleiters und der Festlegung der Arbeits­programme.140 Am damaligen Direktor des Instituts gab es freilich wenig auszusetzen: Als SPD-Mitglied, Historiker und Erziehungswissenschaftler sowie Vorsitzender der Deutschen UNESCO-Delegation brachte Eckert alle relevanten Beziehungen und Funktionen mit. Die Schulbuchrevision mit Polen war für Eckert kein Neuland, hatte er sich doch bereits in den späten Fünfzigerjahren an Enno Meyers Initiative zur deutschpolnischen Schulbuch­revision beteiligt.141 War der Vorstoß damals auch aus politischen Gründen ins Leere gelaufen, so erwies er sich für den Neuanfang nun doch als „außerordentlich nützlich“, denn angesichts dieser Vorgeschichte lief die deutsche Gesprächsinitiative nicht Gefahr, als oberflächliches Produkt der politischen Konjunktur zu erscheinen und damit schlechte Erinnerungen an die Schulbuchgespräche von 1937/38 zu wecken. Vielmehr durften die Polen laut Eckert davon ausgehen, dass es die deutsche Seite „grundsätzlich ehrlich“ meinte.142 So stürzte sich Eckert gleich nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Staatsvertrags im Dezember 1970 mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes in die Gesprächs­vorbereitung.143 Binnen Kurzem gelang es ihm, eine prominente, für die bundesrepublika­nische Geschichtswissenschaft durchaus repräsentative Gruppe von Fachvertretern zu gewinnen. Nach Eckerts Vorstellungen sollte die Delegation sowohl wissenschaftliche Kompetenz als auch Verständigungs­bereitschaft und Überparteilichkeit zum Ausdruck bringen.144 Im

139 Langberg-Möllenkamp, Sekretariat der Kultusministerkonferenz der Länder, Kurzbericht über eine Besprechung zum Thema „Internationales Schulbuchinstitut Braunschweig“ in Bonn am 24. Oktober 1969, 7. 11. 1969. Das AA war mit der genannten Begründung erst 1970 als Geldgeber auf Bundesebene an die Stelle des Innenministeriums getreten. Weitere Zuschüsse kamen vom Land Niedersachsen. Ebd. 140 Von Boehmer, AA, Vermerk Betr. Internationales Schulbuchinstitut Braunschweig, 20. 1. 1972, PAAA B 93/1552. 141 S. o., Kap. 6.3.1. 142 G.  Eckert an Erich Frister, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 1. 3. 1972, BAK B 336/285. 143 Ebd., sowie Schroeder, Vermerk zur Vorsprache von Professor Dr. Eckert […]. Als erster Beitrag des AA wurden dem ISBI für das Jahr 1971 Sondermittel in Höhe von 40 000 DM zugesprochen. Anweisung an AA IV 4, 8. 1. 1971, PAAA B 93/1552. 144 Die beiden ersten Bedingungen nannte Eckert ausdrücklich – etwa gegenüber Hupka. Eckert an Hupka, 3. 12. 1973, BAK B 336/286. Die dritte Anforderung erschließt sich aus späteren Aussagen, s. u.

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Gegensatz zur Vorgängerinitiative der Evangelischen Akademie bestand der Kern der Kommission diesmal aus universitär verankerten Berufshistorikern, die eine deutsch-polnische Verständigung auf wissenschaftlicher Basis zu leisten vermochten und deshalb befähigt schienen, die Verhandlungen über unmittelbare politischen Präferenzen von links und rechts hinaus­zuheben. Dabei umfasste die Delegation Experten sowohl der polnischen als auch der deutschen Geschichte und verdeutlichte so, dass das Geschichtsverständnis beider Staaten zur Debatte stand. Exponenten wie Karl Dietrich Bracher, Andreas Hillgruber, Martin Broszat, Fritz Fischer und Helmut Krausnick, die für die kritische Aufarbeitung des National­sozialismus beziehungsweise der deutschen Großmachtpolitik standen, brachten zum Ausdruck, dass die bundesdeutsche Delegation zur historischen Selbstreflexion bereit war.145 Osteuropahistoriker wie Jörg Hoensch, Herbert Ludat, Gotthold Rhode, Klaus Zernack und Manfred Hellmann machten dagegen glaubhaft, dass die deutsche Geschichtswissenschaft ihre frühere Gleichgültigkeit gegenüber dem östlichen Nachbarn überwunden hatte, verdeutlichten aber auch, dass sich die deutsche Dele­gation nicht ohne weiteres mit den geschichtspolitischen Lehrsätzen des offiziellen Polen würde abspeisen lassen.146 Dem Ideal unparteilicher Fachlichkeit fielen einige Interessenten zum Opfer: Übermäßige Kritiklosigkeit gegenüber der kommunistischen Geschichtsideologie disqualifizierte die Vertreter der Evangelischen Akademie in Berlin,147 und auch das einseitige Interesse am deutschen Erbe Polens, das die alternden Ostforscher aus dem Umfeld des Herder-Instituts an den Tag legten, schien Eckert wenig geeignet, die Verständigung zwischen den beiden Völkern zu fördern. Hinzu kamen in vielen Fällen Belastungen aus der Zeit des National­sozialismus, die Eckert als das einzige „harte“ Ausschluss­kriterium der Kommission definierte.148 Die Schlagkraft dieses Kriteriums konnte sich aber auch unverhofft gegen

145 S. etwa G. Eckert an Fritz Fischer, Hans Roos, Martin Broszat, Karl D. Bracher, 26. 6. 1976, BAK B 336/286. 146 S. für die erste Sitzung Liste der deutschen Teilnehmer, [Februar 1972], BAK N 1445/140; sowie allgemein das Verzeichnis aller Teilnehmer in: Deutsche UNESCO-Kommission (Hg.), 17 Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen in den Schulbüchern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland. Bericht über die 2. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Deutschen und Polnischen UNESCO-Kommissionen vom 11.–16. April 1972 in Braunschweig, Köln 1972, S. 26–31. 147 Pastor Berndt sollte deshalb nur noch als Zaungast der Gespräche in Erscheinung treten. Teilnehmerliste der deutschen Delegation [zur Sitzung in Braunschweig 1972], undatiert, BAK N 1445/140. 148 G. Eckert an Hupka, 3. 12. 1973, BAK B 336/286. Mit diesem Argument wies Eckert Josef Joachim Menzels Vorschlag zurück, den Siedlungshistoriker Walter Kuhn als Polenspezialisten und Schlesien­kenner in die SBK aufzunehmen.

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Kommissions­mitglieder wenden, an deren Mitarbeit Eckert sehr gelegen war, wie sich am Beispiel von Herbert Ludat und Gotthold Rhode noch zeigen wird.149 Zweitens erwartete Eckert von allen Delegationsteilnehmern die Bereitschaft, „zur Versöh­nung des polnischen und des deutschen Volkes beizutragen.“150 Hierbei handelte es sich zweifellos um einen moralischen Anspruch, der dem wissenschaftlichen Ideal des freien, nicht durch politische Rücksichten gebundenen Meinungsstreits potentiell zuwiderlief und die historische Wahrheitsfindung zu kanalisieren drohte. Dies galt umso mehr, als der Begriff der Versöhnung in jenen Jahren mehrheitlich unter der Diskurshoheit der politischen Linken stand. Just aus diesem problematischen Zusammenhang ergab sich auch Eckerts drittes Anliegen: Die deutsche Delegation sollte nämlich nach Möglichkeit nicht als akademischer Flügel der SPD in Erscheinung treten, sondern parteiübergreifenden Verständigungswillen glaubhaft machen, der nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern aus historischer Einsicht erwachsen war. Nur so würde die Kommission tagespolitische Aufregungen und wechselnde parlamentarische Mehrheiten überleben können. So fanden unter Eckerts Leitung in der Kommission auch konservative Mitglieder Platz. Deren Galionsfigur wurde Gotthold Rhode, dem Eckert die Aufgabe zudachte, die Kommissionsarbeit am rechten Rand des politischen Feldes zu vertei­digen.151 Rhode betonte als Parteigänger der CDU seinerseits, dass die deutsch-polnische Verständigung eine „gesamt­deutsche Angelegenheit ist, die von allen demokratischen Richtungen getragen werden soll, dass die christlichen Parteien sogar eine besondere Verantwortung haben.“152 Ungeachtet solcher Anstrengungen eilte der Kommission anfänglich der Ruf voraus, politisch links zu stehen.153 Mit der Zeit sollten allerdings selbst konservative Kritiker der Kommission Eckert für seinen prinzipientreuen Verfassungs­ patriotismus, der keinerlei Schwärmerei für staatssozialistische Modelle sowjetischer Prägung erkennen ließ, Respekt zollen.154

149 S. weiter unten im selben Unterkapitel. 150 G. Eckert an Hupka, 3. 12. 1973, BAK B 336/286. 151 Im Gespräch mit Tazbir unterstrich er, dass Rhode Vertrauensmann der Vertriebenen sei und der Kom­mission den Kontakt zu „konservativen Kreisen“ sichere. J. Tazbir, Notatka z rozmowy odbytej z prof. G. Eckertem wieczorem 16 kwietnia 1971, 19. 4. 1972, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 152 G.  Rhode, Vertrauliches Gutachten zu den deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen, 17. 4. 1985. BAK N 1445/153. 153 G. Eckert an Thomas Keller, Braunschweig, 23. 10. 1973, BAK B 336/286. 154 „Professor Georg Eckert“, war 1973 im Bayernkurier zu lesen, „unterschätzt die durch die massiven kommu­nistischen Forderungen unüberbrückbaren Schwierigkeiten […] nicht. Auch wenn verschiedene westdeutsche Delegationsmitglieder zu einem unvertretbaren Entgegenkommen gegenüber der kommunistischen Seite neigen, ist Professor Eckert bereit, eher viele Fragen offenzuhalten, als eine Annäherung um jeden Preis zu erzielen.“ Gert Winter, Fälschungen aus „Freundschaft“, in: Bayernkurier, 6. 1. 1973, S. 4, zitiert nach: BAK B 336/286. In dieses Bild passte,

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Innerhalb der Kommission blieb Eckerts taktierende Personalpolitik im Schnittbereich zwischen Wissenschaft und Politik nicht unumstritten. Insbesondere im konservativen Flügel der Delegation regte sich bisweilen Kritik: So bezeichnete Rhode gegenüber dem Aus­wärtigen Amt den Kreis der deutschen Teilnehmer einmal als „willkürlich“ und machte geltend, es fehlten vor allem Vertreter der ostdeutschen Landesgeschichte.155 Eckert gegenüber empfahl er, „einige weitere wirkliche Fachleute, statt z. B. die Herren Bracher und Fritz Fischer“ in die Kommission zu berufen.156 Hier sprach Rhode als Ostfor­scher, der großen Wert auf die korrekte Darstellung der deutschen Vergangenheit im Osten legte, die Bedeutung einer kritischen Sicht auf die deutsche Geschichte, wie sie Bracher und Fischer pflegten, für die deutsch-polnische Verständigung aber nicht zu würdigen wusste. Von den polnischen Gesprächspartnern wurde der parteiübergreifende Charakter der deut­schen Delegation aufmerksam registriert. Mit einer Mischung aus Überraschung und anfänglichem Misstrauen hielt man in Warschau fest, die Gruppe sei „politisch heterogen“ und vertrete neben der „neuen Ostpolitik“ auch die alte „Ostforschung“. Der Sorge, in ihren Reihen könnten konservative, revisionistische Kräfte die Oberhand gewinnen, stand aller­dings der Eindruck entgegen, dass sich alle Deutschen gesprächsbereit und konziliant zeigten.157 Mit besonderem Misstrauen beäugte man polnischerseits allerdings die Vergangenheit der älteren deut­schen Kommissionsmitglieder; unter zeitweiligen Verdacht gerieten dabei Herbert Ludat und Gotthold Rhode. Einem ungezeichneten Artikel in der westdeutschen Presse war 1972 zu entnehmen, Rhode sei während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der SS gewesen und damit für die Schulbuch­kommission untragbar. Obgleich Rhode die Vorwürfe zurückwies, brachte Eckert die Angelegenheit gegenüber seinem polnischen Kollegen Janusz Tazbir zur Sprache. Daraufhin wurde die Hauptkommission zur Erforschung der Hitlerverbrechen in Polen eingeschaltet, die polenkritische Aussagen aus Rhodes damaligen Schriften zutage förderte und mit der Erkenntnis aufwartete, dass Rhode 1941 für ein SS-Umsiedlungs­kommando in Litauen gedient habe, wo er mit der Evakuierung

dass Eckert sich deutlich von Pastor Berndts kritikloser Haltung gegenüber den Volksdemokratien Mittel- und Osteuropas distanzierte. G. Eckert an Schroeder, AA, 16. 3. 1971, BAK B 336/285. 155 G. Rhode an Hohheimer, Legationsrat I. Klasse im AA, 22. 2. 1973, BAK N 1445/146. 156 G. Rhode an G. Eckert, 7. 12. 1973, BAK N 1445/146. 157 J. Druto an Außenminister Stefan Olszowski, Staatsratsmitglied Franciszek Szlachcic, ZKSekretär und Politbüromitglied Józef Tejchma u. a., Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach drugiego spotkania delegacji ekspertów z ramienia Komitetów d/s UNESCO z NRF i z PRL w sprawie weryfikacji treści podręcz­ników szkolnych, 24. 4. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12.

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von 2000 Volksdeutschen beauftragt worden sei.158 Den Hardlinern auf polnischer Seite erschien die Episode zunächst als willkommener Vor­wand, einen missliebigen Exponenten konservativer Positionen aus den Gesprächen zu verbannen. Angesichts der Tatsache, dass Rhode sich in der Zwischenzeit jedoch als loyales Kommissionsmitglied erwiesen hatte, mehrten sich auch auf polnischer Seite die Zweifel an der Zweckmäßigkeit einer solchen Maßnahme. Allmählich setzte sich bei den Gestaltern der auswärtigen Kulturpolitik Polens die Einsicht durch, dass eine nach­haltige deutsch-polnische Verständigung nicht allein mit „progressiven Kräften“ ausgehandelt werden konnte, sondern Vorbehalte dort ausräumen musste, wo sie bestanden. In diesem Sinne gab das Außen­ministerium auch zu bedenken, es sei kontraproduktiv, die bundesdeutschen Ostinstitute wie bisher vom wissenschaftlichen Austausch mit der Volksrepublik auszu­schließen, denn so versperre sich Polen selbst die Möglich­keit, seine Kritiker im Sinne der eigenen Anschauungen zu beeinflussen.159 Ludats Vergangenheit wurde durchleuchtet, als er 1973 einen längeren Forschungs­ aufenthalt in der Volksrepublik beantragte. In Anbetracht seiner „Nazi-Vergangenheit“ sei der Antrag abzulehnen, wurde der polnischen Militärmission in Berlin aus Warschau beschieden. Auch dieses Urteil stützte sich auf Auskünfte der Hauptkommission: Demnach hatte Ludat an der Reichsuniversität Posen gelehrt und Kontakte zum Institut für deutsche Ostarbeit in Krakau unterhalten.160 In seinen Arbeiten aus den Kriegsjahren habe er Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich gemacht und Zweifel an seinem Anspruch auf Eigenstaatlichkeit geübt.161 Dieser Einschätzung widersprachen die polnischen Historiker energisch. In ihrer Stellungnahme charakterisierten sie den deutschen Kollegen als redlichen Wissenschaftler und mutigen Fürspre-

158 Charakterisierung Gotthold Rhodes, als Anlage zu: Czesław Pilichowski, Direktor der GKBZHP, an Vizeaußenminister J. Czyrek, 17. 5. 1972, AMSZ D-IV/32/82/W-16. Den Tatsachen entspricht, dass Gotthold Rhode im Winter 1940/41 bei der Umsiedlung der Litauendeutschen als dienstverpflichteter „SS-Umsiedlungs­helfer“ mitwirkte, der SS selbst aber niemals angehörte. Eike Eckert, Gotthold Rhode, in: Ingo Haar/Michael Fahlbusch (Hg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München 2008, S. 589–592, hier S. 591. 159 Ohne Verfasserangabe [D-IV MSZ], undatiert [1972?], AMSZ D-IV/46/77/W-13. 160 Zum weitgehend fiktiven Charakter von Ludats Anstellung an der Reichsuniversität s. o., Kap. 3.1.2. 161 Charakterisierung Herbert Ludats, als Anlage zu: Cz. Pilichowski, Direktor der GKBZHP, an Vizeaußenminister J. Czyrek, 17. 5. 1972, AMSZ D-IV/32/82/W-16. Bei den kritisierten Arbeiten handelte es sich um Ludat, Anfänge, sowie Ders., Zwischen Romantik und Wirklichkeit. Die Ideologie der polnischen Parteien am Vorabend des neuen Weltkriegs, in: Die Burg. Vierteljahresschrift des Instituts für Deutsche Ostarbeit 1 (1944), S. 1.

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cher Polens. In seinem – von der Haupt­kommission wohl unbesehen kritisierten – Werk aus dem Jahr 1942 habe er sich gegen die These von der normannischen Abkunft der ersten polnischen Herrscher gewandt und sei dafür von Brackmann scharf gerügt worden. Nach dem Krieg habe er die Diskussion mit polnischen Kollegen gesucht. Seine Schüler – Zernack und Hellmann – zeichneten sich durch objektive Sichtweisen aus. Vor diesem Hintergrund sollten die Kontakte mit Ludat auf jeden Fall weiter gepflegt werden.162 Im Ergebnis widerstreitender dogmatischer, realpolitischer und fachwissen­schaftlicher Beweggründe fanden die Verantwortlichen 1973 zu einem salomonischen Urteil: Rhode und Ludat seien in der Schulbuchkommission zu „tolerieren“, darüber hinausgehende wissen­ schaftliche Kontakte jedoch „nicht zuzulassen“.163 Auf polnischer Seite wurden die Gesprächsvorbereitungen zunächst von politischen Unruhen überschattet. Nur eine Woche nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags am 7.  Dezember 1970 erschütterten heftige Arbeiterproteste die Volksrepublik, unter deren Ein­druck die Parteispitze ihrem langjährigen Anführer Władysław Gomułka die Gefolgschaft aufkündigte. Seine Nachfolge trat Edward Gierek an, ein moskautreuer, aber vergleichsweise pragmatischer und weltoffener Parteifunktionär, der zur Sicherung seiner Macht jedoch anfänglich auf die Unterstützung der deutschlandfeindlichen National­ kommunisten um Mieczysław Moczar angewiesen war. Entsprechend schleppend gestalteten sich die polnischen Gesprächs­vorbereitungen.164 Zunächst beharrte die polnische Seite ungeachtet einer deutschen Einladung nach Braunschweig auf einer ersten Gesprächsrunde in Warschau, dann bat sie darum, das Treffen bis zum Januar 1972 aufzuschieben.165 Gleichzeitig wurde der Vorschlag ins Spiel gebracht, „dass beide Seiten ihre eigenen Schulbücher untersuchen und dass man sich danach zusammensetzt“ – ein Ansinnen, das Eckert als Farce zurück-

162 Marian Biskup/Marian Wojciechowski/Gerard Labuda, Charakterystyka działalności na­ ukowej prof. dr Herberta Ludata, Poznań / Warszawa, 16. 9. 1973, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 163 Andrzej Konopacki, Notatka Informacyjna o przygotowaniach do kolejnego spotkania komisji ekspertów PRL i NRF działającej na rzecz rewizji treści podręczników szkolnych, w oparciu o porozumienie d/s UNESCO obu krajów, 15. 9. 1973, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 164 Zwar drängte das MSZ noch im Dezember 1970 darauf, die Historikergespräche mit Deutschland rasch auf­zunehmen und ihnen verbindliche Form zu verleihen, doch stieß es damit auf zahlreiche Widerstände, die im Folgenden dargestellt werden. Notatka w sprawie aktualnego stanu weryfikacji wiedzy o Polsce w podręcznikach szkolnych NRF, Dezember 1970, AMSZ DIV/32/82/W-16. 165 G.  Eckert an Dr. Lederer, Kulturabteilung des AA, 26. 5. 1971, PAAA B 93/1552; Otto-Ernst Schüddenkopf an Lederer, 20. 9. 1971, PAAA B 93/1552.

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wies. Nur widerwillig ließ sich das polnische Außenministerium die Zusage abgewinnen, die Gespräche nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit zu führen.166 Ein Grund für die wiederholten Aufschübe lag in der Absicht, im Vorfeld der Gespräche Zeit für eine gründliche Analyse der deutschen ebenso wie der eigenen Lehr­mittel zu gewinnen. Bedeutender waren jedoch politische Umstände. Dazu gehörte einerseits, dass die Ratifikation des deutsch-polnischen Vertrags durch den Bundestag weiterhin aus­stand und in der deutschen Öffentlichkeit heftig umkämpft blieb. Hinzu kam, dass die UdSSR den geplanten Gesprächen bedeckt gegenüberstand, während die DDR ihnen mit offener Feindseligkeit begegnete.167Vor allem aber stieß der deutsch-polnische Geschichts­dialog auch innerhalb der Warschauer Partei- und Staatsführung auf beträchtlichen Widerstand. Dieser formierte sich zunächst im national­ kommunistischen Flügel der Partei und konnte sich vor allem bis zu Moczars erzwungenem Rücktritt vom Posten des ZK-Sekretärs Ende 1971 starke Geltung verschaffen, fand aber auch darüber hinaus insbesondere bei älteren, stalinistisch soziali­ sierten Parteikadern Rückhalt.168 Eng damit verbunden war die Ablehnung der Gespräche durch die Armee.169 Diese Kreise betrachteten sowohl die Anbahnung der Gespräche wie auch ihren späteren Verlauf als Ausdruck „zu großer Konzilianz“ gegenüber dem deutschen Erzfeind.170 Die Befürworter der Gespräche scharten sich dagegen um Gierek, der Gomułkas Politik einer vorsichtigen Annäherung an den Westen fortführte. Rückhalt fand diese

166 G. Eckert an Thomas Keller, 21. 9. 1971, BAK B 336/285. 167 G. Eckert an Holzheimer, 28. 8. 1973, PAAA B 93/1935 [= Zwischenarchiv 104319]. Hans Hellmuth Ruete, der Botschafter der BRD in Warschau, mutmaßte 1973, „dass die DDR große Anstrengungen unternehmen wird, die von unserer Seite gewünschte Darstellung der deutschen Geschichte zu verhindern“. Hans Hellmuth Ruete an das AA, 20. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 168 Ihren Einfluss suchten diese Skeptiker unter anderem über das Bildungsministerium und den entsprechenden ZK-Ausschuss sowie über die Sicherheits­dienste geltend zu machen. 169 Hierbei spielte Moczar – selbst General – eine nicht unbedeutende Rolle. Die Armee blieb der SBK dauerhaft feindlich gesonnen und kommentierte sie in der Armeezeitung Żołnierz Wolności in den Folgejahren durch­gehend negativ. S. z. B. Botschaft Warschau an das AA, 7. 3. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. Die vormilitärische Ausbildung verschaffte der Armee erheb­lichen Einfluss auf das polnische Schulwesen, entzog sich jedoch dem Einfluss der SBK. G. Rhode an Min. a. D. Heinrich Windelen, 16. 12. 1974, BAK N 1445/147. 170 So entnahmen es die bundesdeutschen Delegationsmitglieder informellen Gesprächen mit ihren polnischen Kollegen. H. H. Ruete, Botschaft Warschau, an das AA, 20. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318].

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Linie im liberalen Flügel des Partei-Establishments171 und insbesondere bei den außenpolitischen Entscheidungsträgern der Volksrepublik.172 Vergegenwärtigen wir uns die Motive der Gesprächsbefürworter und der Gesprächsgegner. Erstere erachteten eine dauerhafte Annäherung zwischen Polen und der Bundes­republik als grundsätzlich wünschenswert. Im Hinblick auf dieses Ziel schien ein deutsch-polnischer Geschichtsdialog in mehrfacher Hinsicht unverzichtbar: Zunächst ging es um die innen­politische Glaubwürdigkeit der Partei. Denn so willkommen eine Normalisierung der Beziehungen mit Westdeutschland in außen- und wirtschaftspolitischer Hinsicht erschien,173 stand sie doch zur bisherigen Feindbildpflege in eklatantem Widerspruch. Glaubhaft zu vermitteln war die Aussöhnung mit dem Erbfeind von ehedem der polnischen Öffentlichkeit nur dann, wenn die Bonner Revanchisten einen tiefgreifenden Gesinnungswandel erkennen ließen. In diesem Zusammenhang konnten deutsch-polnische Historikergespräche der polnischen Öffentlichkeit im Erfolgsfall demonstrieren, dass die Bundesrepublik mit den verhängnisvollen imperialistisch-militaristischen Traditionen gebrochen hatte, welche die deutsche Geschichte angeblich von Anbeginn begleitet hatten.174 Über dieses taktische Anliegen hinaus wurden die Gespräche aber auch als Selbstzweck verstanden, bot doch der anvisierte Dialog die vielleicht auf lange Sicht einmalige Chance, im polnischen Sinne auf das Geschichtsbild der deutschen Öffentlichkeit einzu­wirken. Noch zu Beginn des Jahres 1972 bezeichnete es die polnische Militärmission als unannehmbar, „dass die Oder-Neiße-Grenze [in der BRD zwar] offiziell anerkannt wird, gleichzeitig aber die Jugend mit einer in historischer Perspektive falschen Argumentation gegen diesen Stand der

171 Im polnischen Staatsrat gehörte insbesondere Eugenia Krassowska, die Leiterin der polnischen UNESCO-Delegation, zu den Befürwortern der Gespräche. 172 Sowohl der entsprechende Ausschuss des ZK als auch die relevanten Abteilungen des MSZ – namentlich die Westabteilung sowie das DWKN – plädierten dafür, rasch auf das deutsche Gesprächs­angebot einzugehen. Wojciech Chabasiński, MSZ, Notatka informacyjna o kierunkach działania w latach 1974–1975 na rzecz rewizji treści podręczników szkolnych i nauczania w NRF, 7. 12. 1973, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 173 Deutscherseits vermutete man wohl zu Recht, dass Polen sich vor allem größere außenpolitische Unab­hängigkeit von Moskau erhoffte. Walter Mertineit an Wilhelm Wöhlke, 5. 11. 1974, BAK B 336/287. 174 Aus dieser Motivation erklärt sich auch der Nachdruck, mit dem die polnischen Delegierten der SBK später forderten, dass in den Thesen zur deutschen Nachkriegsgeschichte unbedingt auch der Themenkreis „Vergangenheitsbewältigung“ berücksichtigt werden müsse. S. u., Kap. 6.3.6.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Dinge indoktriniert wird“.175 Vor diesem Hintergrund erschien die Geschichts­ verständigung geradezu als Conditio sine qua non der politischen Versöhnung, und eine Revision der Schul­bücher in der BRD wurde von der polnischen Seite ausdrücklich zur „Bedingung für die Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen“ erklärt.176 Dass eine Abkehr von chauvinistischen Positionen in der deutschen Geschichts­wissenschaft längst begonnen hatte, war den weniger ideologieverhafteten Vertretern der auswärtigen Kulturpolitik Polens nicht entgangen; nun bot sich die Gelegenheit, dieser Entwicklung in zweiseitigen Gesprächen zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen. Zu dieser Absicht passte, dass die Abteilung für Kulturelle und Wissenschaftliche Zusammen­arbeit mit dem Ausland beim polnischen Außenministerium zu Beginn der Siebzigerjahre eine neue Strategie für die wissenschaftlichen Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland propagierte. Hatte man solche Beziehungen bisher auf die Naturwissenschaften beschränken wollen, während für die Geisteswissenschaften eine defensive Abschottungsparole gegolten hatte, so wurde nun auch auf diesem Feld eine „Ausweitung der Kontakte“ angestrebt. Ziel war die verstärkte „politische und ideologische Einwirkung“ auf die öffentliche Meinung in der Bundes­republik im polnischen Sinne.177 Solche Hoffnungen wollten die Skeptiker im Partei-Establishment indes nicht teilen. Aus ihrer Sicht war das Narrativ von der deutsch-polnischen Erbfeindschaft ein unverzichtbarer Bestandteil der Regimelegitimation. Es begründete die polnisch-sowjetische Zweckfreund­schaft und damit auch die Herrschaft der polnischen Kommunisten. Wenn westdeutsche Überzeugungsarbeit dieses Masternarrativ untergraben sollte, dann mochte der polnischen Öffentlichkeit auch der Beistand Moskaus und seiner Statthalter in Warschau entbehrlich scheinen. Sollte man wirklich den Ast ansägen, auf dem man saß? Wir müssen uns also von der Vorstellung verabschieden, dass der polnische Staats- und Parteiap-

175 W.  Lipska-Chudzik, Polnische Militärmission in Berlin, an DPI MSZ, Notatka dot. obrazu Polaków i Polski w podręcznikach szkolnych obowiązujących na terenie NRF i Berlina zachodniego, 5. 1. 1972, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 176 So wurden die Dinge jedenfalls in einem rückblickenden Bericht des MSZ dargestellt. W. Chabasiński, Notatka informacyjna o kierunkach działania w latach 1974–1975 […]. 177 Główne kierunki współpracy naukowej, als Anlage zu W.  Wiórkowicz, Direktor der PAN, an Direktor T. Kuźmiński, DWKN MSZ, 30. 5. 1972, AMSZ D-IV/46/77/W-13; B. Stanisławski, DWKN MSZ, Wprowadzenie do dyskusji na naradzie w sprawie współpracy naukowej pomiędzy Polską i NRF w okresie poratyfikacyjnym, 6. 7. 1972, ebd. Freilich wollte man weiterhin vorsichtig bleiben und „auf außergewöhnlich pedantische Organisation und Koordination dieses Austauschs“ achten. ebd.

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parat einen monolithischen Block bildete und die Schulbuchgespräche in einer bestimmten Form geschlossen ablehnte oder befürwortete. Vielmehr begleitete die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern der bilateralen Geschichts­verständigung die Kommission über Jahre. Selbst im offiziellen Parteiorgan, der Trybuna Ludu, wechselten sich in den folgenden Jahren befürwortende und kritische Artikel über die Schulbuchkommission ab.178 Schließlich konnten die Skeptiker mit dem Versprechen besänftigt werden, die Auswirkungen der Gespräche auf die polnische Geschichtspolitik so weit als möglich zu begrenzen. Zu diesem Zweck sollte erstens die Zusammenarbeit ausdrücklich auf Schulbuchgespräche beschränkt bleiben.179 Zweitens wollte man sich darum bemühen, nur die west­deutschen Anschauungen zu revidieren, die polnischen aber möglichst unangetastet zu lassen.180 Drittens verständigte man sich, wie im Folgenden deutlich wird, darauf, den Gesprächen zunächst einen verhältnismäßig unverbindlichen Charakter zu verleihen. Im Herbst 1971 begannen auf Geheiß von Vizeaußenminister Adam Willmann die konkreten Gesprächsvorbereitungen. Eine erste Besprechung wurde im Außen­ministerium abgehalten und erfolgte bezeichnenderweise ohne Historiker – ein deutlicher Hinweis auf das Primat der Politik. Erst zur zweiten Sitzung wurden Czesław Madajczyk und Janusz Tazbir beigezogen.181 Die beiden leiteten das Historische Institut der PAN, dem die fachliche Verantwortung für die Schulbuch­gespräche obliegen sollte. Dass diese Aufgabe nicht dem anfangs bevorzugten Westinstitut in Posen zugewiesen wurde, kann als Signal zur Ent­ politisierung der Gespräche gewertet werden. In die gleiche Richtung zielten die Entscheidung, die Verhandlungen zunächst im Rahmen der UNESCO-Kommissionen und nicht auf zwischen­staatlicher Ebene zu führen, und die damit einher­ gehende Überlegung, dass es „nicht zweck­mäßig“ sei, die politisch exponierte Eugenia Krassowska mit der Leitung der polnischen Gruppe zu betrauen.182 Die

178 Ein äußerst negativer Artikel erschien noch 1987: Wacław Piątkowski, Janek musi wiedzieć!, in: Trybuna Ludu, 21. 9. 1987. 179 H. Jaroszek, Dep. Międzynarodowych Organizacji, an Min. Winiewicz, 15. 2. 1971, AMSZ DIV/32/82/W-16. 180 In Parteikreisen wurde die Kommission damals denn auch konsequent als „Kommission zur Revision der bundesdeutschen Schulbücher“ tituliert. Chabasiński, Notatka informacyjna o kierunkach działania […], meine Hervorhebung. Der deutschen Seite wurden freilich Gespräche nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit zugesichert. G. Eckert an Keller, 21. 9. 1971, BAK B 336/285. 181 Beteiligt waren Vertreter des Außen- und des Bildungsministeriums sowie der polnischen UNESCO-Kommission. T. Kuźmiński, DWKN MSZ, Notatka dla Tow. Ministra A[dama] Willmanna, 5. 11. 1971, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 182 Zwar war sie als Vorsitzende der polnischen UNESCO-Kommission ranggleich mit Eckert, doch bekleidete sie als Staatsratsmitglied eine allzu heraus­ gehobene politische Funktion. Chabasiński, Notatka informacyjna o kierunkach działania […].

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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resultierende, für staatssozialistische Verhältnisse relativ unpolitische Delegation ver­sprach einen zweifachen Vorteil: Zum einen war sie geeignet, die Vorbehalte zu mildern, die sich in der Bundesrepublik mit der Erwartung politisch-ideologisch fixierter Gesprächs­partner verbanden. Vor allem aber hatte eine verhältnismäßig unpolitische Delegation weniger ver­bindlichen Charakter. Im Zweifelsfall würden sich allzu weitgehende Konzessionen der polnischen Historiker immer noch als Exempel für den wissenschaftlichen Meinungs­pluralismus in der Volksrepublik Polen abtun lassen, der zwar toleriert, aber nicht notwen­digerweise zur offiziellen Bildungspolitik gemacht würde. Längerfristig war den polnischen Entscheidungsträgern indes durchaus an verpflichtenden Vereinbarungen gelegen, weshalb man bereits zu diesem Zeitpunkt die Absicht formulierte, die Gespräche später auf eine regierungsamtliche Ebene zu überführen.183 Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde eine Historikergruppe eingesetzt, die vorbereitend auf das erste deutsch-polnische Treffen nicht weniger als 38  Lehrbücher begutachten sollte.184 In ihrem Kern war die polnische Delegation straff organisiert: Ihre Leitung oblag Władysław Markiewicz, der von Marian Wojciechowski vertreten wurde. Ohne Zweifel waren sie die politisch maßgebenden Köpfe der Delegation.185 Ihr Amt verdankten beide nicht nur ihrem wissenschaftlichen Leistungsausweis als Deutschlandkenner, sondern ebenso ihren Verbindungen zum Partei-Establishment. Insbesondere Markiewicz besitze „erheblichen politischen Einfluss“, vermerkte Eckert. „Er ist, wenn ich richtig informiert bin, ein persönlicher Bekannter, ja eventuell Freund von Gierek.“186 Marian Wojciechowski kümmerte sich seinerseits als Lehrbeauftragter der Felix-Dzierżyński-Akademie um die politisch-ideologische Ausbildung der Armeekader und schuf so die Verbindung zu den Streitkräften, die den Schulbuchgesprächen bekanntermaßen kritisch gegenüberstanden.187 Für die fachwissenschaftlichen Kompetenzen der Delegation bürgte die sogenannte Experten­gruppe unter Janusz Tazbir vom Historischen Institut der PAN in Warschau. In ihr waren die wichtigsten Zentren der historischen Westkunde und Deutschlandforschung ausgewogen vertreten;188

183 Ebd. Dies erfolgt 1972 tatsächlich, allerdings in Form einer relativ zahnlosen Deklaration, die im AA nichtsdestoweniger für erheblichen Unmut sorgt. S. u. 184 Ebd. 185 Diese Einschätzung bestätigte auch Klaus Zernack im Gespräch mit dem Autor am 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee. 186 G. Eckert an Thomas Keller, 18. 4. 1973, BAK B 336/286. 187 Gemeinsam kontrollierten beide zudem die gesellschaftswissenschaftliche Abteilung der PAN. 188 Aus Warschau nahmen nebst Tazbir Stanisław Trawkowski und Maria Wawrykowa teil; aus Posen Gerard Labuda, Jerzy Krasuski und Jerzy Topolski. Krakau vertrat Józef Gerowski, Breslau

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nach den Worten von Wojciechowski umfasste die Kommission die zwölf besten Deutschlandkenner des Landes.189Anders als im Falle der deutschen Delegation, die keine staatlichen Beamten umfasste, gehör­ten der polnischen Seite stets auch Vertreter der beteiligten Ministerien an.190 Auch ein Spitzel der Sicherheitsdienste durfte nicht fehlen.191 Die polnische Delegation war mithin über vielfältige formelle und persönliche Beziehungen mit der Staatsführung, der Partei, der Armee und den einschlägigen Ministerien verbunden. Das entsprach dem Grundsatz, die wissenschaftliche Zusammen­arbeit mit der BRD generell der „politischen Koordination“ durch die zuständigen Abteilungen des ZK und des Außenministeriums zu unterstellen.192 Die politische Repräsentativität der polnischen Delegation tat ihrer fachlichen Kompetenz indes keinen Abbruch – selbst skeptische deutsche Gesprächs­ teilnehmer bescheinigten der polnischen Abordnung ein „klares Übergewicht ausgewiesener Wissenschaftler“.193 Schließlich dienten die engen Verbindungen zur Macht nicht nur der politischen Lenkung der Kommission. Vielmehr sicherten sie ihr im politischen Gefüge der Volksrepublik auch ein gewisses Eigen­gewicht. Leute wie Markiewicz und Wojciechowski konnten dem Partei-Establishment auf Augenhöhe begegnen und waren durchaus in der Lage, die Auffas­sungen und Anliegen der bilateralen Kommission gegenüber den politischen Entscheidungs­ trägern zu vertreten, wobei sie, wie sich noch zeigen wird, geschickt zwischen

Tadeusz Ładogórski und Danzig Roman Wapiński. Die Geographie repräsentierten Józef Barbag und Jerzy Kondracki. 189 W.  Markiewicz/M.  Wojciechowski, Informacja. Polsko-zachodnioniemieckie rozmowy dotyczące rewizji treści podręczników szkolnych, 3. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 190 Diese traten als Repräsentanten einer „Interministeriellen Kommission für Lehrpläne und Schulbücher“ auf. Ihr wichtigster Vertreter war Włodzimierz Gierłowski vom MSZ, der den Gesprächen freundlich gesinnt war. Gespräch mit Klaus Zernack am 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee. Weitere Ministerienvertreter waren Dr. Bogumil Król (MSZ), Prof. Dr. Maksymilian Maciaszek und Dr. Andrzej Szcześniak (beide vom MOiSW). Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission (Hg.), Empfehlungen für die Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen, Braunschweig 1995 [Neuauflage], S. 39. 191 Dabei handelte es sich um Andrzej Szcześniak, wie Rhode von Markiewicz erfuhr. G. Rhode an Wilhelm Wöhlke, 19. 4. 1975, BAK N 1445/147. Ideologisch zeichnete sich Andrzej Szcześniak durch eine nationalistische Haltung mit antisemitischen und antisowjetischen Zügen aus. Jerzy Robert Nowak, Historyk niepokorny. Wspomnienie o śp. dr Andrzeju Leszku Szcześniaku in: Nasz Dziennik, 21. 3. 2003. 192 J. Stępień, DWKN MSZ, Notatka z narady w Departamencie Współpracy Kulturalnej i Naukowej MSZ w dniu 13 listopada 1972 roku poświęconej problematyce współpracy naukowej pomiędzy Polską i Niemiecką Republiką Federalną (poufne), November 1972, AMSZ D-IV/46/77/W-13. 193 Wilhelm Wöhlke an Rudolph von Thadden, Rektor der Universität Göttingen, 24. 8. 1974, BAK B 336/287.

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deren widerstreitenden Interessengruppen lavierten. Es verdross die polnischen Kommissionsangehörigen vor diesem Hintergrund nicht ganz zu Unrecht, wenn ihre Delegation in der bundesdeutschen Presse bis­weilen als Gruppe willenloser Marionetten dargestellt wurde, die gefügig den Bewegungen der politischen Draht­zieher folgten. Dass die polnischen Wissenschaftler weit mehr seien als indoktrinierte Parteisoldaten, zeige sich schon am „pluralistischen Charakter“ der polnischen Delegation, hielt Markiewicz solchen Unterstellungen entgegen.194 Mochte er die politische Unbefangenheit der polnischen Delegation auch überzeichnen, so bleibt doch festzuhalten, dass hier ein Kommunist mit verletztem Stolz Meinungs­pluralismus in den eigenen Reihen reklamierte. Im Verlauf der Kommissionsarbeit blieb schließlich auch den bundesdeutschen Delegierten nicht verborgen, dass ihre polnischen Kollegen der offiziellen Parteilinie in unterschiedlichem Maße verpflichtet waren. Mit der Zeit lernten sie zu unterscheiden zwischen geradlinigen Partnern vom Schlage eines Markiewicz,195 wohlwollenden, aber wendigen Strategen wie Labuda und Wojciechowski sowie unsicheren Kantonisten wie Antoni Czubiński und Zbigniew Kulak.196 Auch in der Bundesrepublik fand im Dezember 1971 eine Vorbereitungs­ sitzung für die ersten deutsch-polnischen Schulbuchgespräche statt. Das geplante Auftreten der deutschen Dele­gation in Warschau wurde so weit als möglich erörtert, „um bei dieser politisch ohne Frage sehr heiklen Aufgabe ein Optimum an Koordinierung zu erreichen.“197 Zur Vorbereitung der inhaltlichen Diskussion hatte Enno Meyer eine umfangreiche Kritik der Germanica in polnischen Schulbüchern zusammen­gestellt, die einer Mehrheit der Versammelten aber offenbar zu kritisch schien und daher in der Folge keine Verwendung fand.198 Schließlich einigte man sich auf folgende „Leitlinien“:

194 W. Markiewicz, Über die Tätigkeit der gemischten UNESCO-Kommission für Verbes­serung von Schulbüchern in der VR Polen und der Bundesrepublik Deutschland [Vortrag], 29. 11. 1979, BAK N 1445/146. Weitgehend wortgetreu publiziert in: Władysław Markiewicz, Über die Tätigkeit der gemischten UNESCO-Kommission zur Verbesserung von Schulbüchern in der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland, in: APuZ B 22 (1978), S. 18–21, hier S. 20. 195 So betonte Eckert 1973 „das sehr faire und loyale Kooperationsverhalten von Herrn Professor Dr. Markiewicz“. G. Eckert, Bericht über die dritte deutsch-polnische Schulbuchkonferenz in Braunschweig vom 2.–4. April 1973, 19. 4. 1973, BAK B 336/286. 196 Letzteren bezichtigte Zernack gegenüber Rhode 1977 der „Starrköpfigkeit“. Klaus Zernack an G. Rhode, 30. 7. 1977, BAK N 1445/147. 197 G. Eckert an das AA, Sachlicher Bericht, undatiert [1972], PAAA B 93/1552. Die Sitzung fand im ISBI in Braunschweig statt. 198 Enno Meyers Darstellung umfasste an die hundert Seiten. Ihr Inhalt und ihre Verwendung – bzw. ihre Nicht-Verwendung – erschließen sich nur aus den Quellen der polnischen Seite: „Diese Ausarbeitung datiert vom Dezember 1971, die deutsche Delegation besaß sie also schon während

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– In den Gesprächen sollte größte Rücksicht auf nationale Empfindlichkeiten genommen werden. Aus diesem Grunde sollte das Verhältnis Polens zur DDR und zu der UdSSR in den Besprechungen nicht angeschnitten werden. – Die Gespräche sollten von unkomplizierten zu schwierigen Fragen fortschreiten. Für die erste Begegnung werden daher a) das Mittelalter b) die Zeit von 1810–1870 c) die Zeit von 1939–20. 7. 1944 vorgeschlagen.199

Damit war bereits der Grundsatz vorgegeben, die politischen Beschränkungen der Kommis­sion zu akzeptieren und den Konsens zu suchen, wo er erreichbar schien, anstatt die Gespräche auf unüberwindbare Gegensätze zuzuspitzen. Diese pragmatische Linie sollte der deutschen Delegation in der Bundesrepublik über die Jahre immer wieder zum Vorwurf gemacht werden.200 Aufmerksamkeit verdient auch die Auswahl vermeintlich unkontroverser Themen: Dass die Beurteilung der nationalsozialistischen Eroberungs- und Besatzungspolitik im Osten zwischen 1939 und 1944 unstrittig schien, weil Deutsche und Polen in ihrer Verurteilung überein­stimmten, überrascht kaum. Bezeichnend ist allerdings die Wahl des 20. Juli 1944 als Endzäsur: mit dem symbolträchtigen Datum sollte der deutsche Wider­stand gegen Hitler in die gemeinsame Beurteilung der national­ sozialistischen Herrschaft einbezogen werden, die Besetzung Deutschlands sowie die Evakuierung, Flucht und Vertrei­bung der Deutschen über Oder und Neiße hingegen noch ausgeklammert bleiben. Die Zwischenkriegszeit und die Jahre des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes wurden zu Recht als kontrovers erachtet, ebenso wenig mochte man die Verhandlungen mit der Polenpolitik des Kaiserrei-

des Treffens in Warschau – benutzte sie aber nicht; diese Ausarbeitung ist sehr germanozentrisch“. J.  Druto an Außenminister Stefan Olszowski u. a., Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach drugiego spotkania […], 24. 4. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12. 199 Hans-Wolf Rissom, Aktenvermerk über die Vorbereitungssitzung für das erste deutsch-polnische Schulbuchgespräch in Warschau, Köln, 21. 12. 1971, BAK B 336/285. 200 Als einige Zeit später eine deutsch-sowjetische Historikerkommission zustande kam, setzte sich die deutsche Seite unter Möller und Hildebrand klar von dieser „weichen“ Vorgehensweise ab, um grundsätzliche Gegensätze zur Sprache zu bringen. Die bescheidenen Ergebnisse, die auf dieser Grundlage erzielt wurden, dürften den deutschen Teilnehmern der Schulbuchgespräche mit Polen indes Bestätigung ihrer konzilianten Gesprächstaktik gewesen sein. Gespräch des Autors mit Klaus Zernack in Berlin-Wannsee am 14. 8. 2007. Positiver das Urteil eines Beteiligten: Karl Otmar Freiherr von Aretin, Die deutsch-sowjetischen Historikerkolloquien in den Jahren 1972–1981. Ein Erfahrungsbericht, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 3 (2002), S. 185–203.

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ches belasten. Dagegen sollte das frühe neunzehnte Jahrhundert und mit ihm die Jahre der deutschen Polenbegeisterung im Völker­frühling als Aktivposten der Beziehungsgeschichte eingebracht werden, während das Kräftemessen zwischen Preußen und Polen im 16.–18. Jahrhundert und sein unrühmliches Ende in den polnischen Teilungen zunächst heikel schien. Als etwas naiv sollte sich später die Erwartung erweisen, die mittelalterliche Beziehungs­geschichte lasse eine schnelle Verständigung zu. Vielmehr entwickelte sich die gegensätzliche Beurteilung des Deutschen Ordens in den folgenden Jahren zum zweit­wichtigsten pièce de résistance der deutsch-polnischen Historikergespräche. In den Schatten gestellt wurde sie lediglich noch von den Interpretationsdifferenzen zum Kriegsende von 1944/1945.201 Dass dieser Themenkreis zunächst vermieden wurde, war zweifellos auch innenpolitischen Rücksichten geschuldet. Unter den Kritikern der neuen Ostpolitik mehrten sich die Befürchtungen, dass die Schulbuchkommission die deutsche „Verzichtspolitik“ des Warschauer Vertrages aus der völkerrechtlichen in die historische Argumentation übertragen und so einen letzten Trumpf verspielen würde.202 Um dem entgegenzuwirken, wurden Legitimation und Kompetenz der Kommission in Frage gestellt. So erkundigte sich etwa ein christdemokratischer Bundestags­abgeordneter, von wem die deutsche Delegation ihren Verhandlungsauftrag empfangen habe. Eckert antwortete, die deutsche UNESCO-Kommission bedürfe an sich keiner Beauftragung, agiere aber „in engster Fühlungnahme mit dem Auswärtigen Amt“, bei dem sie auch ressortiere.203 Hier wird klar, dass Eckert der Kommission durchaus einen offiziösen Anstrich verleihen wollte, um sie wenigstens ein Stück weit vor Kritik zu schützen.

6.3.3 Schnelle Anfangserfolge – Konsensthemen Als die Schulbuchkommission nach langwierigem politischem Vorspiel Ende Februar 1972 erstmals zusammentrat, war den Experten beider Seiten zweifellos bewusst, dass sie das umstrittene Unterfangen durch rasche Anfangserfolge legitimieren mussten. Konservativen Kreisen in der deutschen Öffentlichkeit war zu

201 Dabei stellte eine dogmatische polnische Lesart einen engen Konnex zwischen beiden Themenkreisen her: Erst nachdem die Deutschen 1945 über Oder und Neiße zurückgedrängt waren, war die illegitime Ostkoloni­sation der Deutschen auf Kosten der Polen rückgängig gemacht und damit eine jahrhundertealte historische Ungerechtigkeit getilgt. 202 Eben darauf hoffte die polnische Seite, wie wir gesehen haben. S. o. 203 G.  Eckert an Hans Edgar Jahn, Bundestagsabgeordneter (CDU/CSU), 20. 12. 1971, BAK B 336/285.

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beweisen, dass Gespräche mit tatsächlichen oder vermeintlichen Kommunisten konstruktiv sein konnten, und umgekehrt wollten die Skeptiker in der polnischen Partei und Armee überzeugt werden, dass mit bundesdeutschen „Revisionisten“ fruchtbar diskutiert werden konnte. Schließlich benötigte die bröckelnde bundesdeutsche Regierungskoalition vorzeigbare Erträge für ihre umstrittene Ostpolitik, deren Bestätigung durch den Bundestag immer noch ausstand, und die vielen Kommissions­mitgliedern sehr am Herzen lag.204 So genehmigte sich die bilaterale Kommission im Frühjahr 1972 lediglich zwei aufeinander folgende Verhandlungsrunden in Warschau und Braunschweig, um sich in großen Zügen über die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte von den Anfängen bis ins zwanzigste Jahrhundert zu verständigen und in einer Reihe von Thesen eine weit­ gehend einvernehmliche Sichtweise darzulegen.205 Entscheidend für die schnellen Anfangs­erfolge war zweifellos, dass politische Irritationen zunächst vermieden wurden: Die Polen verzichteten weitgehend darauf, ihre deutschen Kollegen mit ideologischer Rechthaberei herauszufordern, und umge­kehrt unterließen es die Deutschen, Meinungsstreit in block- und deutschlandpolitischen Fragen zu provozieren, bei denen sie um die politische Gebundenheit ihrer polnischen Partner wussten.206 Belohnt wurden sie mit dem Eindruck, dass die polnische Seite den Gesprächen „einen sehr hohen Rang“207 zumaß und unterschwellig erkennen ließ, dass sie die bundesdeutschen Gäste „als die ‚richtigen‘ Vertreter Deutschlands“ betrachtete.208 Das resultierende Diskussionsklima empfanden beide Seiten als sachlich und einvernehm­lich.209 Dabei verfolgten die zwei Delegationen ganz unterschiedliche Gesprächsstrategien. Bereits bei der ersten Begegnung in Warschau legten die Polen ihre Auffassungen in einer Reihe von grundsätzlichen Wort­

204 Der am 7. 12. 1970 unterzeichnete Warschauer Vertrag wurde nach langem Widerstand von Seiten der CDU/CSU und der Vertriebenenverbände erst am 17. 5. 1972 im Bundestag ratifiziert. Die Christdemokraten enthielten sich dabei der Stimme. 205 Die Empfehlungen, Teilnehmerlisten und Kommuniqués beider Tagungen in Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.), Die Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichts- und Geographieunterricht. Empfehlungen der polnisch-deutschen Historiker- und Geographentagung in Warschau und Braunschweig 1972, Frankfurt a. M. 1972. 206 J.  Druto an Jabłonowski, Olszowski, Czyrek u. a., Pilna Notatka o przebiegu i wynikach polsko-zachodnioniemieckiego spotkania w sprawie weryfikacji podręczników szkolnych, Warschau, 1. 3. 1972, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 207 G.  Eckert an Erich Frister, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 1. 3. 1972, BAK B 336/285. 208 G.  Rhode, Kurzbericht über meine Reise durch Polen im Anschluss an die internationale Schulbuchkonferenz vom 22.–26. Februar 1972, BAK N 1445/140. 209 Ebd., sowie G. Eckert an Alfred Nau, 1. 3. 1972, BAK B 336/285.

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meldungen dar, die vorgängig eine genaue politische Prüfung erfahren hatten.210 Dagegen waren die deutschen Teilnehmer ohne vorbereitete Vorträge angereist, hatten jedoch, wie wir bereits gesehen haben, unter sich eine konsensorientierte Gesprächs­strategie vereinbart, die Dissensthemen zunächst hintan­stellte und Tabuthemen gänzlich vermied.211 Als Türöffner der Verständigung fungierte das Thema Zweiter Welt­krieg. Dass die Deutschen nicht die geringste Neigung zeigten, die Untaten des Dritten Reichs zu verteidigen, erstaunte die polnischen Historiker zwar kaum noch, wohl aber die Geschichtsideologen der Partei, die im Verlauf der Jahre ihrem Feindbild von der militaristisch-revanchistischen deutschen Historiographie aufgesessen waren. So wurde die eindeutige Verurteilung des „Hitler­faschismus“ in einem internen Bericht des polnischen Außenministeriums als bedeutender Durchbruch gefeiert.212 Im Weiteren zeigte sich, dass die Historiker beider Länder weite Strecken der deutsch-polnischen Geschichte inzwischen erstaunlich einvernehmlich beurteilten. Das war freilich weniger der unmittelbaren Arbeit der Kommission zuzuschreiben – vielmehr wurde in den Diskussionen deutlich, wie sehr sich die einst national überspitzten Positionen beider Historiographien im Verlauf zweier Jahrzehnte angenähert hatten. So konnte die Kommission bereits während ihrer ersten Sitzung eine Reihe von Empfehlungen verab­schieden. Darin ließen beide Seiten die Bereitschaft erkennen, ältere nationalistische Meistererzählungen der Beziehungsgeschichte abzumildern: Das deutsche Narrativ von den demogra­ phischen, kulturellen und politischen Aufbauleistungen der Deut­schen im Osten trat ebenso zurück wie sein polnisches Gegenstück vom tausend­jährigen, gewalttätigen deutschen Drang nach Osten. Besonders deutlich wurden die interpretativen Konvergenzen in der einvernehmlichen Beur­teilung der deutschen Ostsied­ lung, die als friedlicher und befruchtender Prozess dargestellt wurde. Dagegen überdauerte die nationale Polarisierung zunächst in den gegensätzlichen Interpretationen des Deutschen Ordens, den die Polen weiterhin als militaristisch neten, während die Deutschen seine zivilisato­ rischen Leistungen kennzeich­ hervorhoben. Zweifellos war es den Polen gelungen, ihrer National­geschichte einige Achtungs­erfolge zu verschaffen – trat aus den Thesen doch ein freiheitsliebendes, aber weltoffenes Polen von politisch-kultureller Strahlkraft hervor.

210 Uwagi na temat pracy Komisji UNESCO d/s weryfikacji treści podręczników szkolnych NRF, ohne Verfasserangabe [MOiW], undatiert [1974], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 211 Eine solche Vorgehensweise hatte Gerard Labuda von polnischer Seite im Übrigen bereits 1957 vorge­schlagen. Labuda, Próba nowego ukazania. Deutsche Übersetzung: Labuda, Versuch. 212 J.  Druto an Jabłonowski, Olszowski, Czyrek u. a., Pilna Notatka […], 1. 3. 1972, AMSZ DIV/32/82/W-16.

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Im Gegensatz zur orthodoxen polnischen Darstellungs­weise kam die positive Konturierung Polens aber weitgehend ohne den Kontrast einer negativen deutschen Geschichte aus. Eine Ausnahme bildete lediglich die Zeit des Nationalsozialismus, in deren Bewertung freilich beide Seiten übereinstimmten – abgesehen von dem Umstand, dass die polnische Seite zunächst wenig Neigung zeigte, den deutschen Wider­stand gegen Hitler zu honorieren.213 Beide Seiten schieden im Bewusstsein eines beachtlichen Anfangserfolgs. Eckert, der es im Interesse der Sache freilich immer verstand, seine Anliegen mit Begeisterung vorzutragen, bezeichnete die Konferenz als „überraschende[n] Erfolg“.214 Auf polnischer Seite hielt man sich öffentlich zwar bedeckt, intern zeigte sich das Außen­ministerium mit den erzielten Ergebnissen indes höchst zufrieden.215 Keine zwei Monate nach dem Warschauer Treffen trat die Schulbuchkommission in Braun­schweig erneut zusammen. Die polnische Delegation erschien in vertrauter Zusammen­setzung; in den Reihen der Deutschen fanden sich diesmal nicht weniger als 18  Profes­soren.216 Die Diskussionen fanden diesmal in drei Untergruppen für Mittelalter und Neuzeit, Neueste Zeit und Geographie statt217 und zeitigten 17  Empfehlungen, welche die 14  Thesen der Vorgängerkonferenz ergänzten.218 Im Vergleich zu den Warschauer Thesen orientierten sich die Braunschweiger Empfehlungen einseitiger an den Interessen Polens. Dies galt insbesondere für die Schilderung der Teilungen Polens im ausgehenden 18. Jahrhundert und die Darstellung der oberschlesischen Abstimmungskämpfe von 1919–1921. In keinem einzigen Referat übten die Deutschen Kritik an den polnischen Lehrbüchern, obwohl Enno Meyer für die deutsche Delegation eine umfangreiche Analyse der Germanica in polnischen Schul­büchern vorbereitet hatte, die jedoch unbenutzt blieb.219

213 Deutsche UNESCO-Kommission (Hg.), 14 Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen in den Schulbüchern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland. Bericht über die 1. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Deutschen und Polnischen UNESCO-Kommissionen vom 22.–26. Februar 1972 in Warschau, Köln 1972. 214 G. Eckert an Alfred Nau, 1. 3. 1972, BAK B 336/285. 215 J.  Druto, Pilna Notatka o przebiegu i wynikach polsko-zachodnioniemieckiego spotkania […]. 216 Unter ihnen die Osteuropahistoriker Zernack, Rhode, Ludat und Hoensch, sowie neu Manfred Hellmann und Adolf Karger. Verzeichnis aller Teilnehmer in: Deutsche UNESCO-Kommission (Hg.), 17 Empfehlungen, S. 26–31. 217 Kommuniqué zur zweiten deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz, abgedruckt in: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.), Behandlung, S. 11. 218 Deutsche UNESCO-Kommission (Hg.), 17 Empfehlungen. 219 S. o., Kap. 6.3.2.

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Es scheint offensichtlich, dass sich die deutsche Delegation bei ihrer Gratwanderung zwischen Entgegenkommen und Auseinandersetzung während der ersten Verhandlungs­runden im Zweifelsfall auf der windstillen Seite der Krete hielt. Die nicht ganz unberechtigte Sorge, einen Eklat auszulösen, verstellte bisweilen wohl den Blick für die Chance, die Gegen­seite durch berechtigte Kritik aus der Reserve zu locken und ihre Beweglichkeit zu testen.220 Wenn man schon den Germanen das ius primae occupationis zwischen Oder und Weichsel absprach, hätte man auch die polnischen Urslawen-Theorien hinterfragen können. Weshalb den polnischen Nationalisten in den oberschlesischen Abstimmungskämpfen mehr Verständnis zuteil wurde als den deutschen, blieb ebenfalls unklar. Überzogen wirkte des Weiteren die Würdigung der marxistischen deutschen Polenfreundschaft. Auffallend ist schließlich das Nachgeben der Deutschen in Fragen, in denen sie auf der ersten Konferenz noch Widerstand gegen polnische Positionen geleistet hatten, etwa wenn sie nun die volle preußische Verantwortung für die Teilungen Polens anerkannten. Konservative Delegations­teilnehmer machten dafür die starken Fluktuationen im Kreis der deutschen Gesprächsteil­nehmer verantwortlich,221 hinter denen sie gar die Absicht Eckerts vermuteten, die Konzessionsbereitschaft der Delegation entsprechend den politischen Bedürfnissen zu modulieren.222 Ein umfang­reicher polnischer Rapport an die Partei- und Staatsführung wertete die Tagung denn auch als umfassenden Triumph der polnischen Positionen, vor denen die Deutschen fast kampflos kapituliert hätten. Zwar habe die polnische Seite den Verhandlungen den Anstrich der Gegenseitigkeit verliehen, „doch drehte sich der grund­legende Inhalt der Gespräche um die Modifizierung der in der BRD erscheinenden Schul­bücher.“ Offenbar habe die deutsche Seite die Gesprächsatmosphäre nicht durch Kritik an den polnischen Schul­büchern trüben wollen223 – „es versteht sich von selbst, dass wir unsererseits nicht auf einer solchen Diskussion bestanden.“ So seien vor allem solche Thesen zustande

220 Als die Verhandlungen später zäher wurden, sollte sich zeigen, dass der polnischen Delegation im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit den deutschen Partnern durchaus eine gewisse Flexibilität zugestanden wurde. S. u., Kap. 6.3.5. 221 G. Rhode an Dr. Karl Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147. 222 W. Wöhlke, Berlin, an Dr. Heinrich Vogel, Osteuropa-Institut München, 11. 5. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 223 Hier spielte sicher auch ein gewisses Desinteresse der Fachhistoriker für die pädagogischen Belange ihrer Diskussionen mit. Gespräch des Autors mit Klaus Zernack am 14. 8. 2007 in BerlinWannsee.

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gekommen, die deutschen Stereotypen über Polens Geschichte und seine Beziehungen zu Deutschland entgegenträten.224 Mochte das Triumphgebaren des Rapports auch sachlich begründet sein, so lassen sich daraus doch auch taktische Hintergedanken ablesen. Zweifellos war der Bericht, dessen Adressatenkreis Angehörige der höchsten Staats- und Partei­chargen umfasste, gezielt auf die Psychologie der Verständigungsskeptiker gemünzt worden.225 Hätte er die deutsch-polnischen Gespräche als Prozess der einvernehmlichen Kompromissfindung dargestellt, so wären wohl in weiten Kreisen des Partei-Establishments Befürchtungen wach geworden, dass unverzichtbare ideologische Positionen zum Ausverkauf stünden. Das Fazit, dass die polnischen Historiker ihre deutschen Kollegen an die Wand gespielt hätten, musste hingegen gerade bei den anfänglichen Gegnern der Gespräche Stolz und Befriedigung wecken. Somit zeigt der Rapport die polnischen Kommissionsmitglieder in einem Zweifrontenspiel: Ebenso, wie sie die polnischen Positionen gegenüber ihren deutschen Kollegen verfechten mussten, sahen sie sich gezwungen, die Einigungsergebnisse der Kommission gegenüber skeptischen Parteistellen zu rechtfertigen. Letzteres wurde ihnen zweifellos durch die konsens­orientierte Gesprächsführung der deutschen Seite erleichtert. Auf die politischen Beobachter der Gespräche in Polen verfehlte die entgegenkommende Verhandlungstaktik der deutschen Delegation ihre Wirkung nicht: Hier gelangte man nach den ersten beiden Gesprächsrunden zur Überzeugung, dass schnelle Erfolge bei geringem politischem Risiko ins Haus standen. Die Folge war, dass Staats- und Parteistellen den politischen Zugriff auf die polnische Delegation bald merklich lockerten.226 Der fachwissen­ schaftlichen

224 Als Durchbruch kennzeichnete Druto insbesondere die Darstellung Polens im 16.–18. Jahrhundert, aus der das Land als Kulturnation hervortrat, welche die Kräfte zur Überwindung ihrer politischen Krise im 18.  Jh. aus dem Inneren mobilisieren konnte und nur unter dem Druck internationaler Gewaltpolitik zerbrach. J. Druto, Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach drugiego spotkania […], 24. 4. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12. 225 Unter anderen Außenminister und Politbüromitglied Stefan Olszowski, ein Weggefährte des Hardliners Moczar, und Józef Tejchma, ebenfalls Politbüromitglied sowie stellvertretender Premierminister, sodann die ZK-Sekretäre Franciszek Szlachcic (ein Repräsentant der Sicherheitsdienste) und Ryszard Frelek, der auch als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses des ZK amtierte. Jan Druto, Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach drugiego spotkania […], 24. 4. 1972. 226 Zwar hatte man die strikte Koordination der polnischen Beiträge im Hinblick auf die zweite Begegnung im April 1972 in Braunschweig nochmals wiederholt, danach ließen die politischen Verantwortlichen jedoch die Zügel lockerer. Ein späterer Bericht des Bildungsministeriums bezeichnete die anschließende Verhandlungs­phase bis zum Beginn der Zeitgeschichtsdiskussion

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Arbeit der Kommission konnte dies nur zugute kommen, denn so wurde es den polnischen Gesprächsteilnehmern möglich, in inhaltlichen Diskussionen unbefangener Stellung zu nehmen; ohne schwerfällige Rücksprachen mit den politischen Entschei­dungsträgern konnten die Gespräche flexibler und unmittelbarer geführt werden. Zu einer Kontrollzunahme kam es erst wieder im Hinblick auf die zeitgeschichtliche Thematik. Aufmerksam verfolgte die polnische Seite die politische Atmosphäre der Gespräche, die kurz vor den vorgezogenen Bundestagswahlen stattfanden. Mit Händen greifbar gewesen sei der Wunsch der deutschen Gesprächspartner, für die Politik der Regierung Brandt noch ein substantielles und über­zeugendes Argument zu gewinnen, und zwar, dass die sog. neue Ostpolitik […] in einer Atmosphäre des sachlichen Meinungsaustauschs und der gegenseitigen Verständigung [verwirklicht werden kann], die neue und konstruktive Elemente in den Beziehungen zwischen beiden Staaten schafft.227

Der polnischen Seite war also durchaus bewusst, dass die Regierung Brandt in gewissem Sinne auf den Erfolg der Gespräche angewiesen war. Gewissermaßen als Vorboten einer möglichen konservativen Wende zogen Rhode und Ludat das besondere Interesse der Polen auf sich, doch konnte der Berichterstatter beruhigt verbuchen, ihre Haltung sei „loyal und versöhnlich“ gewesen und habe keine revisionistischen Akzente erkennen lassen.228

6.3.4 Zwischen wissenschaftlichen Ansprüchen und politischen Forderungen Nachdem sich erste Verständigungserfolge eingestellt hatten, kam freilich erneut die Frage nach dem Sinn und Zweck der Empfehlungen auf. Es zeichnete sich ab, dass die Thesenarbeit nicht alle Erwartungen befriedigen konnte, die mit den Gesprächen verbunden waren. Viel­mehr öffnete sich eine Schere zwischen wissenschaftlichen Wünschen und politisch-pädagogischen Ansprüchen. Die Fachhistoriker empfanden zunehmendes Unbehagen darüber, dass ihnen pauschale Aussagen zu umfassenden Fragekreisen abverlangt wurden, ohne dass ausreichend Zeit zur vertieften Diskussion der in beiden Historiographien vertre-

1974 abwertend als Etappe der „Improvisation“. Ohne Verfasserangabe [MOiW], undatiert [1974], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 227 J. Druto, Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach drugiego spotkania […], 24. 4. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12. 228 Ebd.

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tenen Positionen blieb. Abhilfe versprach die auf der zweiten Konferenz erstmals gefasste Idee, die notwendigerweise recht oberflächliche Arbeit an den Empfehlungen durch vertiefende Themen­konferenzen zu ergänzen.229 Diese Arbeitsweise wurde zunächst nur zögerlich adaptiert,230 nach 1976 sollte sie jedoch zur Regel werden. Dagegen durfte die Arbeit an den Empfehlungen aus volkspädagogischer Sicht nicht zum akademischen Selbstzweck werden. Aus dieser Perspektive hatten die Gespräche der Wissenschaftler nur dann einen Sinn, wenn sie ihren Niederschlag in der Schulpraxis fanden. Am Herzen lag dies vor allem den polnischen Bildungs- und Außenpolitikern, die in der Kommission für Lehrpläne und Schulbücher die Arbeit der binationalen Kommission überwachten. Der imperialistischen Indoktrination der deutschen Schuljugend ein Ende zu bereiten, war aus ihrer Sicht der einzige Zweck der Gespräche. Schon nach den ersten beiden Kommissions­sitzungen wurde deshalb nachdrücklich und hartnäckig die Forderung erhoben, die bundes­deutschen Lehr­bücher und Lehrpläne möglichst unverzüglich im Sinne der Empfehlungen zu überarbeiten. Zum Lackmustest der deutschen Konzessionsbereitschaft erhob man die Frage, ob die bundesdeutsche Seite bereit sei, den 1956 beschlossenen Ostkunde-Erlass aufzuheben, der in Polen als Inbegriff revanchistischer Indoktrination der Schuljugend galt.231 Ein Großteil der deutschen Kommissionsangehörigen – unter ihnen Georg Eckert – stellte sich später hinter dieses Anliegen;232 dagegen argumentierten die Kultusminister der Länder, die Empfehlungen hätten ihre Relevanz für den Unterricht ohnehin längst verloren, ihre „offizielle Zurückziehung“ würde im Umfeld der Auseinandersetzungen um die Ostpolitik jedoch „unnötigen Staub aufwirbel[n].“233

229 G. Rhode an Dr. Karl Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147. In der Folge fasste man einen umfangreichen Themenkatalog ins Auge, s. u., Kap. 6.3.8. Nach Zernacks Erinnerung stieß der Vorschlag bei den polnischen Fachkollegen auf allgemeines Interesse, auf deutscher Seite wurden indes hinter vorgehaltener Hand Zweifel am Nutzen von vertieften Gesprächen mit einer wissenschaftlich nicht frei agieren­den Gegenseite laut. Gespräch des Autors mit Klaus Zernack am 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee. 230 So fand in dieser Form 1973 eine Sitzung zum Deutschen Orden statt. S. u., Kap. 6.3.5. 231 Darauf hinzuwirken, hatte sich die polnische Seite noch vor Beginn der Verhandlungen vorgenommen. J. Raczkowski, D-IV MSZ, an T. Kuźmiński, DWKN MSZ, 8. 7. 1970, AMSZ DIV/32/82/W-16. 232 J.  Tazbir, Notatka z  rozmowy odbytej z  prof. G.  Eckertem wieczorem 16 kwietnia 1971, 16. 4. 1972, AMSZ D-IV/32/82/W-16; Wojciech Chabasiński, Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach V spotkania Komisji Komitetów UNESCO PRL i NRF w sprawie rewizji treści podręczników szkolnych, 23. 4. 1974, AAN KC-PZPR/1354/LVIII/402. 233 Kurt Frei, Generalsekretär der KMK, an Georg Eckert, 6. 7. 1972, BAK B 336/285. Am Rande der 7.  Schulbuchtagung versprach der damalige Vorsitzende der KMK, Grolle, den polnischen

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Für solche Zaghaftigkeit brachten die polnischen Partner jedoch wenig Verständnis auf, und in der Folge wurde der Ostkunde-Erlass zum ceterum censeo all jener Kräfte in der Volksrepublik, die den Gesprächen ohnehin misstrauten. Man könne die Verständigungs­bereitschaft der deutschen Seite schwerlich ernst nehmen, wenn deren Bildungspolitiker einerseits an der polenfeindlichen Ostkunde festhielten, andererseits aber nicht bereit seien, die deutsch-polnischen Schulbuch­empfehlungen offiziell anzuerkennen, lautete das Argument.234 Verärgert notierte Eckert: „Die Existenz dieses Erlasses gibt allen Kräften nicht nur in Polen, die den guten Willen der Bundesrepublik verdächtigen, kräftigen Auftrieb.“235 Freilich war die polnische Sorge um die politische Hygiene des Geschichtsunterrichts ein­seitig auf die Bundesrepublik gerichtet. Weniger erpicht war man in Warschauer Parteikreisen darauf, umgekehrt auch die polnischen Schulbücher einer Überprüfung auf antideutsche Stereotype zu öffnen. Auf Dauer blieb diese Einseitigkeit in Bonn nicht unbemerkt. Besorgt registrierte man im Auswärtigen Amt, die polnische Presseberichterstattung über die Kommissionsarbeit erwecke den Eindruck, dass nur deutsche Lehrbücher besprochen würden, worauf es in der Bundesrepublik zu „Anfragen und Beschwerden der Öffentlichkeit“ gekommen sei.236 Die polnische Seite begegnete derartigen Sorgen ihrer deutschen Partner mit der Behauptung, dass die Warschauer Bildungs- und ErziehungsRessorts „schon seit Langem auf korrekte und objektive Inhalte der Lehrbücher achten“.237 Unterlegt war diese Behauptung mit dem Angebot, ausgewählte Lehrbuchtexte ins Deutsche zu übertragen und sie der Gegenseite zur Begutachtung

Delegierten 1975 eine Beschäftigung der KMK mit den Ostkunde- und Totalitarismus-Erlassen, doch blieben konkrete Schritte aus. J. Feliksiak, D-IV MSZ, an Min. J Czyrek, MSZ, 22. 4. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 234 So etwa Eugeniusz Guz, Warschauer Dialog über Schulbücher, in: Polityka, 22. 3. 1975. Zitiert nach der Arbeitsübersetzung in BAK B 336/287. Zu Recht verwies die polnische Seite darauf, dass sich die KMK 1954 durchaus in der Lage gesehen hatte, den deutsch-französischen Schulbuchempfehlungen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Notatka o stanie prac nad weryfikacją wiedzy o Polsce w zagranicznych podręcznikach szkolnych historii i geografii, ohne Verfasserangabe, undatiert [zwischen April und Juni 1977], AAN KC-PZPR/1354/LVIII/532, Bl. 104–129. 235 Bericht über die dritte deutsch-polnische Schulbuchkonferenz in Braunschweig vom 2.–4. April 1973, als Anlage zu: G. Eckert an T. Keller, Generalsekretär der deutschen UNESCOKommission, 18. 4. 1973, BAK B 336/286. 236 Vortragender Legationsrat [VLR] Finke-Osiander an VLR Arnot, undatiert [Januar 1973?], PAAA B 93/1934 [=Zwischenarchiv 104318]. Kritik hatte u. a. die Berichterstattung in Życie War­ szawy vom 23./26. 12. 1972 hervorgerufen. 237 J. Druto, Pilna Notatka o aktualnym stanie prac grup ekspertów Polski i NRF nad weryfikacją treści podręczników szkolnych, 5. 10. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12.

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zuzuleiten. Das vorgeschlagene Verfahren vermittelt eine Vorstellung davon, welchen taktischen Vorteil die polnische Seite aus dem Umstand ziehen konnte, dass polnische Sprachkenntnisse in der deutschen Delegation nur mangelhaft vertreten waren, denn so ließ sich der Zugang der Gegenseite zur polnischen Schulbuch­literatur weitgehend kanalisieren und dabei auf jene Texte lenken, die die polnischen Lehrinhalte im gewünschten Licht erscheinen ließen. Im Gegensatz zur politischen Elite Polens waren die Historiker hingegen durchaus daran interessiert, auch die eigenen Lehrbücher zur Diskussion zu stellen – schien sich hier doch eine Chance zu bieten, mit westdeutscher Hilfe die rigiden, weit hinter der universitären Forschung zurückbleibenden Dogmen der polnischen Geschichtspädagogik auszuhebeln.238 Wer vor diesem Hintergrund für Zugeständnisse plädierte, musste sein Anliegen allerdings rhetorisch bagatellisieren, wie ein Beispiel aus dem Jahr 1973 zeigt: [U]nser Vorgehen muss bis zu einem gewissen Grade das Prinzip der Gegenseitigkeit berücksichtigen. Obgleich wir uns [hinsichtlich unseres Geschichtsbildes] nichts Gravierendes vorzuwerfen haben, […] müssen wir doch verstärkt darauf achten, die von Zeit zu Zeit [in den polnischen Geschichtsbüchern] auftretenden Vereinfachungen oder floskelhaften Urteile und Bewertungen zu vermeiden, und ebenso Interpretationen, die unter den politischen Verhältnissen der Vergangenheit formuliert wurden und die inzwischen ihre Aktualität verloren haben.239

Noch in Braunschweig waren Deutsche und Polen übereingekommen, die bereits erarbeiteten Thesen möglichst rasch einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nicht ohne Stolz konnte Eckert der polnischen Seite Ende August 1972 mitteilen, die Empfehlungen hätten in der Bundesrepublik mittlerweile in einer Gesamtauflage von über 160  000  Exemplaren Verbreitung gefunden.240 Daraufhin ließ das polnische Bildungsministerium wissen, dass es die Thesen ebenfalls publiziert habe. Über die Auflage schwieg man sich mit guten Gründen aus – laut späteren Berichten wurden lediglich 200 Exemplare gedruckt.241

238 Dass dies im Laufe der Zeit auch gelang, bescheinigte den Historikern zehn Jahre später ein Bericht des Bildungsausschusses des Politbüros. S. u., Kap. 6.3.8. 239 W. Chabasiński, MSZ, Notatka informacyjna o kierunkach działania w latach 1974–1975 na rzecz rewizji treści podręczników szkolnych i nauczania w NRF – w zakresie dotyczącym informacji o Polsce, jej historii, kulturze i współczesnym rozwoju, 7. 12. 1973, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 240 G.  Eckert an Wacław Piątkowski, Chef der Handelsvertretung der VR Polen in der BRD, 22. 8. 1972, BAK B 336/285. 241 W.  Markiewicz/M.  Wojciechowski, Informacja. Polsko-zachodnioniemieckie rozmowy dotyczące rewizji treści podręczników szkolnych, 3. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

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Ungeachtet solcher Ungereimtheiten bei der Umsetzung der Thesen, die in der Bundes­republik auf den Widerstand föderaler Strukturen, in Polen hingegen auf den mangelnden Elan einflussreicher Machtgruppen zurückzuführen waren, stellten sich die Regierungen beider Staaten in Anbetracht der beachtlichen Anfangserfolge grundsätzlich hinter die Schulbuchgespräche. Die Bundesregierung begegnete kritischen Stimmen, die der deutschen Kommissionsdelegation in der Öffentlichkeit einen eigenmächtigen Verhandlungs­stil ohne Rücksicht auf die politischen Interessen der Bundesrepublik vorwarfen,242 noch 1972 mit einem deutlichen Bekenntnis zur bisherigen Arbeit der Kommission. Auf Anfrage eines Kritikers ließ sie im Oktober verlauten: „Die vorliegenden Empfehlungen werden von der Bundesregierung als ein wertvoller Beitrag zur Entspannung und Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen betrachtet.“243 Abseits der Öffentlichkeit erfolgte hingegen eine Einschätzung des polnischen Außen­ministeriums, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: „Die Zusammenarbeit und der wissenschaftliche Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland ist konkreter und nützlicher als jener mit der DDR“, hielt man hier Ende 1972 lapidar fest.244

6.3.5 Zähes Ringen – Dissensthemen Auf die raschen Anfangserfolge der Schulbuchkommission folgte ab 1973 eine Phase der Ernüchterung. Zwei Themenkomplexe stellten ihre Konsens­fähigkeit auf eine harte Probe: Zum einen die Zeitgeschichte, deren mannigfachen Gegenwartsbezüge das Selbstverständnis beider Staaten unmittelbar berührten, zum anderen die Geschichte des Deutschen Ordens, die von beiden Seiten als zentrale Interpretationsachse der deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelalter verstanden, aber weiterhin sehr gegensätzlich interpretiert wurde. Als erstes wandte sich die Kommission dem Ritterorden zu. Welch schwierige Aufgabe damit in Angriff genommen wurde, verdeutlichte Marian Biskup mit seiner Einschätzung, wonach der Orden seit über hundert Jahren einen Hauptstreitpunkt zwischen deutschen und polnischen Historikern bilde. Er habe Zwietracht zwischen die beiden Völker gesät, deren lange Schatten noch auf der

242 Die öffentlichen Diskussionen zur SBK in der BRD dokumentiert Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland, Braunschweig 1979. 243 AA an Hugo Rasmus, 13. 10. 1972, PAAA B 93/1552. 244 J. Stępień, Notatka z narady w Departamencie Współpracy Kulturalnej i Naukowej MSZ w dniu 13 listopada 1972 roku poświęconej problematyce współpracy naukowej pomiędzy Polską i Niemiecką Republiką Federalną, 13. 11. 1972, AMSZ D-IV/46/77/W-13.

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Gegenwart lasteten.245 Richtiger scheint es, die Perspektive umzudrehen und die Schwierigkeiten der Ordens­historiker aus ihren Mühen abzuleiten, die Vergangenheit vom Schatten der Gegenwart zu befreien.246 Aktuelle geschichtspolitische Vorgaben spielten zumindest im polnischen Fall eine eminente Rolle, denn hier galten die Kreuzritter als Begründer einer Ahnenreihe von deutschen Aggressoren, die bis zu Hitler und über ihn hinaus reichte. Ihren deutschen Kollegen wiederum warfen die polnischen Historiker vor, sich nicht entschieden genug von der Glorifizierung des Ordens durch die national gesinnte deutsche Historio­ graphie des 19. und 20. Jahrhunderts zu distanzieren. Angesichts solcher Differenzen hatte die Schulbuchkommission auf ihrer ersten Tagung im Februar 1972 lediglich festgehalten: „In den polnischen Schulbüchern wird vor allem die säkular-staatliche und militärisch expansive Rolle des Ordens hervor­gehoben, in den westdeutschen seine zivilisatorische und missionarische Aufgabe betont.“247 Auch eine längere Diskussion der Ordensthematik auf der vierten Schulbuchkonferenz im September 1973 endete ergebnislos und zeigte, dass der Interpretationsgegensatz nicht nur die Schulbuchautoren, sondern auch die Fachhistoriker entzweite.248 Die Differenzen zu schlichten wurde einer kleinen Gruppe von deutschen und polnischen Ordensspezialisten aufgetragen, die sich ein Jahr später in Thorn zu einer vertieften Dis­kussion trafen,249 jedoch wiederum keine Annäherung der Anschau­ungen erreichten.250

245 Marian Biskup, Rola Zakonu Krzyżackiego w wiekach XIII–XVI, in: Jerzy Krasuski/Gerard Labuda/Antoni Walczak (Hg.), Stosunki Polsko-Niemieckie w Historiografii, 3 Bde., Bd.  1, Poznań 1974, S. 327–361. 246 Diese Blickrichtung machten sich später auch einige Akteure zu eigen. S. etwa Hartmut Boockmann, [Beitrag ohne Titel], in: Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Zum wissenschaftlichen Ertrag der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen der Historiker 1972–1987, Braunschweig 1988, S. 29–34, hier S. 31. 247 So die fünfte der siebzehn Warschauer Empfehlungen von 1972, zitiert nach: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.), Behandlung, S. 5. 248 Der Arbeitsgruppe für mittelalterliche Geschichte gelang es bei dieser Gelegenheit nicht, aus den Thesenpapieren, die Marian Biskup, Hartmut Boockmann und Gotthold Rhode im Vorfeld der Tagung angefertigt hatten, eine für beide Seiten annehmbare Synthese zu ziehen. Veröffentlicht als Deutschland, Polen und der Deutsche Orden [Sonderdruck in Ergänzung zum Internationalen Jahrbuch für Geschichts- und Geographieunterricht 16 (1975)], Braunschweig 1975. 249 Unter den elf deutschen Teilnehmern befanden sich Hartmut Boockmann, Gotthold Rhode, Heide Wunder und Udo Arnold; unter den 16 polnischen Teilnehmern ragten Marian Biskup, Gerard Labuda und Karol Górski heraus. Deutsch-polnische Schulbuchkonferenz in Thorn (Toruń) 20.–23. September 1974, undatiert [Ende September 1974], BAK B 336/287. S. auch Deutsch-polnische Schulbuchkonferenz in Thorn/Toruń zum Deutschen Orden, in: IJfGG 16 (1975), S. 255–314. 250 M. Wojciechowski, PAN, an D-IV MSZ, Warszawa, 22. 9. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Zwar reflektierten beide Seiten durchaus ihre nationale Befangenheit. Der polnische Delegationsleiter Wojciechowski beschrieb das Problem so, „dass anders als bei der jüngsten Geschichte hier gleichsam viele Schichten nationaler Geschichtsschreibung abzutragen sind […] Hier haben zu viele Generationen positive und negative Mythen stilisiert, als dass das jetzt mit ein paar wissenschaftlichen Referaten wegzuwischen wäre.“251 Doch ungeachtet solch dekonstrukti­vistischer Einsichten mochten sich die Historiker beider Seiten nicht von ihren jeweiligen Meistererzählungen verab­ schieden. Stattdessen warfen die Polen ihren deutschen Kollegen eine irrationale Affinität zum Orden vor252 und übersahen dabei, dass ihr Ruf nach einer moralischen Ächtung des Ordens ebenso sehr von außerwissenschaftlichen Affekten geprägt war. Typisch war etwa das Urteil von Biskup, der dem Orden für die polnische Geschichte eine eindeutig negative Rolle zuschrieb. Eine abwei­chende Beurteilung im Kontext der deutschen Geschichte schien Biskup offenzulassen – „oder vielleicht auch nicht“, wie sich Gotthold Rhode ereiferte: „Denn die Begründung dieses negativen Urteils [über den Orden] sind die Feststellung von Vertrags­brüchen und Aggressivität, sodass man, wenn man sich dem negativen Urteil nicht anschließt, als ein Befürworter von Gewaltpolitik dasteht. Und das ist für einen deutschen Historiker dann eine besonders peinliche Situation.“ Er, Rhode, könne über den Orden weder positiv noch negativ urteilen. Konrad von Masowien, Władysław Łokietek und Witold oder Jagiełło hätten ja keine im Prinzip andere Politik betrieben als der Orden. Ohne Orden wären die Prußen, so Rhodes Vermutung, eben von Konrad von Masowien unterworfen worden.253 Karol Górski war dagegen der Ansicht, dass man in der deutschen Literatur die kulturellen Leistungen des Deutschen Ordens in Preußen überzeichne, denn vor allem hätten hier das Bürgertum und die Geistlichkeit Verdienste aufzuweisen. Diese verengte Sichtweise führe zum Kult des Militarismus.254 Derweil verschlossen sich die deutschen Historiker dem polnischen Wunsch, die Expansion des Ordens unter den Begriff der „Kolonisation“ zu stellen – war ihnen doch bewusst, dass die polnische Historiographie mit dem Begriff nicht nur die Vorstellung von Landesausbau und Siedlungstä-

251 Erik-Michael Bader, Uneinigkeit herrscht nur noch über die Ordensritter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. 10. 1974. Gemeint waren im polnischen Falle etwa die historischen Romane von Kra­szewski, Sienkiewicz und Prus. 252 M. Wojciechowski an MSZ, 22. 9. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 253 Bemerkungen von Rhode zum Referat von Marian Biskup, undatiert [September 1974], BAK N 1445/140. 254 Konferenz der Historiker aus der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Geschichte des Deutschen Ordens in Schulbüchern. Bericht, undatiert [Herbst 1974], BAK N 1445/140.

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tigkeit verband, sondern vielmehr einen Anknüpfungspunkt schaffen wollte, um den Orden ins Narrativ vom imperialistischen deutschen Drang nach Osten einzuordnen.255 Auch der deutsche Versuch, den Orden zu „entnationalisieren“ und den Blick auf soziale Fragen zu lenken, schlug fehl. Zwar aner­kannten beide Seiten den „multiethnischen Charakter“ des Ordens, doch änderte das nichts an der Einschätzung, dass der Orden unter deutscher Dominanz gestanden habe.256 Deutlich wurde aus deutscher Sicht nur, „dass die deutsche Beurteilung stärker an einer sozialgeschichtlichen Sicht orientiert ist, während die polnische mehr der nationalstaatlichen Betrachtungsweise verhaftet blieb.“257 Im Hinblick auf die Darstellung des Ordens in den Schulbüchern zeigte sich die deutsche Seite selbstkritisch,258 während die Polen ihren eigenen Lehrmitteln eine angemessene und sachliche Darstellungsweise zusprachen.259 Dagegen warf Gotthold Rhode den polnischen Schulbüchern vor, sie übersteigerten den militärischen Aspekt der Ordensgeschichte und räumten dem polnisch-russischen Sieg über den Orden bei Tannenberg unverhältnismäßig viel Raum ein.260 Das konnte die polnische Seite nicht ganz von der Hand weisen. Schließ­lich fanden beide Seiten in der Einschätzung zusammen, dass die Darstellung des Ordens sowohl in den deutschen als auch in den polnischen Lehrbüchern mit starken Anachronismen behaftet sei.261 Ein Ausblick auf die folgenden anderthalb Jahrzehnte lässt erkennen, dass sich der deutsch-polnische Austausch über den Orden zwar merklich belebte und entkrampfte. Übersetzungen ins Deutsche262 und Vortragsreisen in die Bundesrepublik boten polnischen Ordenshistorikern Gelegenheit, ihre Forschungserträge

255 M. Wojciechowski an MSZ, 22. 9. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 256 Außerdem eröffnete die Frage nach den Nationalitätenverhältnissen im Ordensgebiet eine weitere heikle Frage – jene nach Assimilationstendenzen zwischen Deutschen und Polen. Ebd. 257 Deutsch-polnische Schulbuchkonferenz in Thorn (Toruń) 20.–23. September 1974, undatiert [Ende September 1974], BAK B 336/287. 258 Udo Arnold, Der Deutsche Orden im Schulbuch der Bundesrepublik Deutschland, in: IJfGG 16 (1975), S.  276–291; die zitierte Einschätzung des Referats von polnischer Seite bei M.  Wojciechowski an MSZ, 22. 9. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 259 Stanisław Trawkowski, Der Deutsche Orden in den polnischen Geschichtsbüchern, in: IJfGG 16 (1975), S. 257–264. 260 Konferenz zur Geschichte des Deutschen Ordens […]; M. Wojciechowski an MSZ, 22. 9. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 261 So Labudas Bericht über die Ordenstagung vor dem Plenum der 6.  Schulbuchkonferenz. Protokół VI konferencji mieszanej komisji Polski i NRF do spraw rewizji treści podręczników szkolnych działającej z ramienia UNESCO, undatiert [Oktober 1974], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 262 So z. B. der Band Udo Arnold/Marian Biskup (Hg.), Der Deutschordensstaat Preußen in der polnischen Geschichtsschreibung der Gegenwart, Marburg 1982.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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in Deutschland bekannt zu machen, und die Reichenauer Mediävisten-Treffen sowie die Marburger Tagungen des Herder-Forschungsrates und der Historischen Kommission für die Geschichte Ost- und Westpreußens ermöglichten es, die deutsch-polnische Diskussion auch außerhalb der Schulbuchkommission fortzuführen.263 Inhaltlich kam man sich aber nur in kleinen Schritten näher. So pflichteten sich Gerard Labuda und Hartmut Boockmann in den späten Achtzigerjahren bei, dass es zwar gelungen sei, die Atmosphäre um den Orden zu „entgiften“, grundsätzliche Widersprüche um seine Deutung jedoch weiterbestünden.264 Ungelöst blieb das grundsätzliche Problem, dass der Orden sich letztlich in keiner der beiden Erinnerungskulturen restlos aus dem Zusammenhang übergeordneter Narrative herauslösen ließ. In der Diskussion um seine Bewertung focht die abflauende deutsch-polnische Auseinandersetzung um den destruktiven oder kulturstiftenden Charakter des historischen deutschen Einflusses in Osteuropa gewissermaßen ihr letztes Rückzugsgefecht.265 Welchen Stellenwert die polnischen Parteiideologen der Ordensthematik noch Ende der Achtzigerjahre zumaßen, zeigte sich, als der Posener Historiker Marian Biskup von deutscher Seite eingeladen wurde, eine Nürnberger Ausstellung zum achthundertsten Gründungsjubiläum des Deutschen Ordens mitzugestalten. Die wissenschaftspolitischen Kontrollinstanzen wollten Biskup nicht ziehen lassen, ohne ihn auf eine detaillierte Direktive zu verpflichten, deren Ausarbeitung dem Historischen Institut der PAN aufgetragen wurde. Seinen Unmut darüber verhehlte dessen Direktor nicht: Er wolle die Anweisung, so Janusz Tazbir, als „Sonderfall“ verstanden wissen, denn er glaube nicht, dass es im Allgemeinen zweckmäßig sei, den Wissenschaftlern „inhaltliche Vorgaben zu

263 Boockmann, [Beitrag ohne Titel], S. 33. 264 Gerard Labuda, Das Mittelalter in den Schulbuchdiskussionen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland: Erfahrungen und Aussichten auf Zukunft, in: Ders. (Hg.), Rozmowy polsko-niemieckie o przeszłości, Poznań 1995, S. 452–460, hier S. 460. Optimistischer temperiert war Zernacks Aussage, in der Beurteilung des Ordens sei man sich zwischen 1974 und 1988 wesentlich näher gekommen. Zernack, Völkerbeziehungen, S.  513 f. Seine Einschätzung belegte er mit dem Verweis auf Arnold/Biskup (Hg.), Deutschordensstaat, sowie dem Literaturbericht bei Marian Biskup/Gerard Labuda, Dzieje Zakonu Krzyżackiego w Prusach. Gospodarka – Społeczeństwo – Państwo – Ideologia, Gdańsk 1986, S. 540–553. 265 Wolfgang Wippermann, Deutsche und polnische Ideologien im Widerstreit. Eine Entgegnung auf Marian Biskup, in: JGO 31 (1983), S. 129–135, hier S. 130. Zu Recht wies er darauf hin, dass die polnische Verteuflung des Ordens ihre Vorlage in der glorifizierenden ‚Ordensideologie‘ der älteren deutschen Historiographie fand, die hier lediglich ins Negative gewendet wurde. Die Entwicklungslinien der deutschen ‚Ordensideologie‘ hatte Wippermann zuvor ausführlich nachgezeichnet, wobei er in einem Kapitel auch auf die polnischen Interpretationen des Ordens eingegangen war. Wippermann, Ordensstaat.

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Arbeitsgebieten zu machen, in denen sie, wie Prof. Dr. Biskup, Spezialisten sind und über Kompetenzen verfügen, die im In- und Ausland gleichermaßen anerkannt werden.“266 Schließlich trug man dem Kollegen auf darüber zu wachen, dass die geplante Ausstellung nicht zur „Glorifizierung des Ordens“ gerate und die Erträge der polnischen Wissen­schaft angemessen berücksichtige.267 Es entbehrte nicht der Ironie, dass Biskup zu diesem Zweck auf die Aussagen seiner eigenen Ordensgeschichte verpflichtet wurde – seine wissenschaftliche Autonomie also im wahrsten Sinne des Wortes gewahrt blieb.268 Das Beispiel verdeutlicht den Kontroll- und Lenkungseifer der staatlichen Behörden, lässt aber auch den Widerwillen erkennen, auf die eine solche Gängelung in der polnischen Historikerzunft inzwischen stieß. Die in der mittelalterlichen Geschichte zutage tretende Unfähigkeit der deutschen und polnischen Historiker, unter den gegebenen Bedingungen echte oder vermeintliche Interessen­gegensätze zu überwinden, stimmte für die Zeitgeschichte mit ihren ungleich stärkeren politischen Bezügen wenig optimistisch. Tatsächlich wurde die jüngste Vergangenheit zum veritablen pièce de résistance der Kommission. Über die ersten tausend Jahre der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte hatten sich die Historiker beider Länder innerhalb eines Jahres geeinigt (den Orden ausgenommen); für die letzten dreißig Jahre der Nachkriegsgeschichte sollte sie dagegen über drei Jahre benötigen (1973–1976). Statistisch gesehen, bewältigte man statt einem Jahrtausend jetzt nur noch ein Jahrzehnt pro Jahr. Nach den Ursachen dieser „Entschleunigung“ braucht man nicht lange zu suchen. Bisher hatte man über Epochen gesprochen, die von der Gegenwart durch eine starke Zäsur getrennt waren: das vorsozialistische Polen beziehungsweise das (mit Ausnahme der wenigen Weimarer Jahre) nicht-demokratische Deutschland vor 1945. Jetzt ging es unmittelbar um die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen. Was nun zu diskutieren war, betraf ganz direkt das Selbstverständnis beider Staaten und nicht selten gar die Tagespolitik. So traf es sich beson­ders ungünstig, dass ausgerechnet in jenen

266 J. Tazbir, Instrukcja Dyrekcji IH PAN dla prof. dr Mariana Biskupa w sprawie udziału przy pracach nad scenariuszem wystawy poświęconej 800-leciu powstania Zakonu Niemieckiego, powzięte na posiedzeniu w dniu 25 VI 1987 r., Warschau, 26. 6. 1987, AIH PAN 5/87, Bl. 125. Ansprechpartner war in diesem Fall Witold Hensel, Sekretär der für Auslands­angelegenheiten zuständigen Abteilung I der PAN und damit Mittelsmann zwischen Wissen­schaftlern und Staatsfunktionären. Vergleichend sei angemerkt, dass solche Pflichtenhefte in der DDR gang und gäbe waren und keinen erkennbaren Widerstand der Historiker hervorriefen. 267 J. Tazbir, Instrukcja Dyrekcji […], Bl. 126. 268 Es handelte sich um Biskup/Labuda, Dzieje Zakonu.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Monaten eine merkliche „Abkühlung des Gesamt­klimas“269 der deutsch-polnischen Beziehungen eintrat.270 Es hätte solch zusätzlicher Komplikationen nicht bedurft, um beiden Seiten die Brisanz des Gegenstandes bewusst zu machen. Wohlweislich hatte man sich bereits auf der zweiten Konferenz darauf geeinigt, die Arbeit an den Zeitgeschichtsthesen erst nach der Ratifizierung des Warschauer Vertrags durch den deutschen Bundestag in Angriff zu nehmen, um die Kommission nicht zu tief ins Minenfeld der Tagespolitik zu führen.271 Nach der Ratifikation würden „viele bisher bestehende Hindernisse wegfallen, die […] den Handlungsspielraum der bundesdeutschen Experten einschränken“, und dadurch weitergehende, den polnischen Forderungen besser entsprechende Formulierungen für die Nachkriegsgeschichte möglich werden, hielt das polnische Außenministerium unter mitglieder fest.272 Solche Überlegungen Berufung auf deutsche Delegations­ führen deutlich vor Augen, welch enge Verbindung zwischen Tagespolitik und Zeitgeschichte bestand. Die polnischen Hoffnungen auf rasche deutsche Konzessionen erwiesen sich allerdings als eitel. Das zeigte sich auf der dritten Schulbuchkonferenz im April 1973 – der ersten, die nach der Ratifizierung des Warschauer Vertrags im Mai 1972 stattfand. Erstmals bezog die Kommission bei dieser Gelegenheit auch die Nachkriegszeit in ihre Schulbuchanalysen ein. Dabei übten die Polen harsche Kritik an den bundesdeutschen Geschichtsbüchern. Bemängelt wurde insbesondere die Darstellung des Potsdamer Abkommens und seiner Konsequenzen für die deutsche Bevölkerung sowie die Entstehung und Entwicklung der Volksrepu­ blik Polen. Als Reizworte empfanden die Polen dabei Begriffe wie „Vertreibungen“ und „Satelliten­staat“.273 Angesichts der geballten Kritik erklärte Eckert, dass die deutsche Seite einige der polnischen Bemerkungen „ohne weiteres akzeptieren“

269 G. Rhode an Holzheimer, AA, 13. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318], ebenso Otto von Simson an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Bericht über meinen Aufenthalt in der Volksrepublik Polen, 17. 10. 1973. Kopie als Anlage zu: G.  Eckert an Thomas Keller, 18. 10. 1973, BAK B 336/286. 270 Den neuerlichen Verstimmungen lagen polnische Forderungen nach Entschädigungszahlungen für NS-Opfer zugrunde, die von der Regierung Brandt zurückgewiesen wurden. S. u. 271 Von Simson, Bericht über meinen Aufenthalt […]. 272 Jan Druto an Außenminister Stefan Olszowski, Staatsratsmitglied Franciszek Szlachcic, ZKSekretär und Politbüromitglied Józef Tejchma u. a., Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach drugiego spotkania delegacji ekspertów z ramienia Komitetów d/s UNESCO z NRF i z PRL w sprawie weryfikacji treści podręczników szkolnych, 24. 4. 1972, AMZS D-IV/45/77/W-12. 273 G. Eckert, Bericht über die dritte deutsch-polnische Schulbuchkonferenz in Braunschweig vom 2.–4.  April 1973, 19. 4. 1973, als Anlage zu: G.  Eckert an Thomas Keller, 18. 4. 1973, BAK B 336/286.

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könne, dass andere aber „kaum unsere Zustim­mung finden würden“. Immerhin hatte die polnische Seite erreicht, dass für die Äußerung deutscher Kritik an den polnischen Sichtweisen kaum Zeit blieb. Auf Vorschlag von Markiewicz und Eckert beschränkte sich die Kommission deshalb darauf, einen „Katalog der besonders strittigen Fragen“ aufzustellen, den man auf den folgenden Konferenzen abarbeiten wollte.274 Dieser Katalog sah für die Besprechungen auf der kommenden Warschauer Tagung folgende Punkte vor: Erstens die Entstehung der Volksrepublik Polen, zweitens die Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam und die polnischen Grenzen, drittens die letzten Kriegsmonate, viertens die Bevölkerungsverschiebungen, fünftens die Entwicklung Polens 1945–1956, sechstens die deutsche Frage 1945–1949, siebtens die innere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland unter Adenauer, achtens die Entwicklung Polens 1956–1970, neuntens die Bundesrepublik in den 1960er Jahren sowie zehntens die Verträge von Moskau und Warschau.275 Indem die Schulbuchkommission die Schwelle zur Zeitgeschichte überschritt, trat sie endgültig in einen gemeinsamen Diskursraum mit der Politik ein, und folglich nahm auch die Einmischung staatlicher Akteure sprunghaft zu. In der Bundesrepublik war die Kommission rasch zum Paradepferd der neuen Ostpolitik avanciert. Für die Bundesregierung stellte sie deshalb einen hohen politischen Einsatz dar, und entsprechend groß war ihr Interesse, die Kommission nicht straucheln zu sehen. Damit wuchs die Versuchung, ihr die Zügel zu straffen. Ein gesteigerter Lenkungswille zeigte sich insbesondere im Vorfeld der dritten und vierten Konferenz. Im Februar 1973 ließ die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts Georg Eckert wissen, mit der Behandlung der Zeitgeschichte werde nun ein Thema angeschnitten, das „besonders delikat und kompliziert“ sei: Die Ostpolitik der Bundesregierung […] ermöglicht eine Aktivierung der auswärtigen Kulturpolitik mit den Staaten des Ostblocks, der vom Auswärtigen Amt Bedeutung beigemessen wird. Wie aus dem Verlauf der KSZE in Helsinki zu erkennen ist, stößt ein freier Kulturaustausch, wie wir ihn verstehen, nach wie vor auf erheblichen Widerstand des Ostblocks. Es ist deshalb unerlässlich, dass sich alle Aktivitäten im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik, unter die auch die Bemühungen der internatio­nalen Schulbuchrevision fallen, an den außenpolitischen Zielvorstellungen der Ostpolitik orientieren und vom Auswärtigen Amt koordiniert werden.276

274 Ebd. 275 G. Rhode an Dr. Karl Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147. 276 Hans Arnold, Leiter der Kulturabteilung des AA, an Georg Eckert, Bonn, Februar 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318].

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade die neue Ostpolitik, die doch unter der Devise vom Wandel durch Annäherung angetreten war, um dem Ostblock allmählich die freiheitlichen Gepflogenheiten des Westens näherzubringen, nun angeblich die straffe poli­tische Koordination der wissenschaftlichen Meinungsäußerung erforderlich machte. Nun wurde argumentiert, eine politische Beaufsichtigung der deutschen Schulbuchkommission sei deshalb unerlässlich, weil die Polen gewiss ebenfalls straff koordiniert würden.277 Selbst eine Ausformulierung der juristischen Grundsätze für die beabsichtigte Einmischung des Amts wurde nachgereicht.278 Gegen solche Einmischungen setzte sich Eckert zunächst entschieden zur Wehr: Noch nie, ließ er Bonn wissen, habe er es erlebt, dass das Auswärtige Amt auf Schul­buchgespräche Einfluss genommen habe, „und ich würde dringend davon abraten, dies in Zukunft zu tun, da unsere Tagungen andernfalls einen amtlichen Charakter bekommen könnten.“279 Diesem Argument konnte sich das Amt nicht verschließen, denn offiziell bindenden Charakter wollte man den Gesprächen keinesfalls verleihen.280 Dennoch schwelte der Kleinkrieg um die Weisungs­kompetenzen des Auswärtigen Amts respektive die Frei­heiten der Schul­buchkommission, des Schulbuchinstituts und der UNESCO-Kommission weiter. Im Namen der Letzteren klagte Thomas Keller im Herbst 1974, der Arbeit der Kommission würden „aus politisch kurzsichtigen Gleichschaltungs- und Disziplinierungs­bemühen heraus“ zunehmend die Zügel gekürzt, obwohl sich die Kommission doch als „nützliches Instrument der auswärtigen Kultur­politik“ erwiesen habe.281 Der Ruf nach stärkerer Koordination wurde allerdings auch innerhalb der deutschen Schulbuch-Delegation laut. Um die Jahreswende 1972/1973 verlangten Gotthold Rhode und der Ordensspezialist Dieter Wojtecki, die Delegation solle sich vor jeder Gesprächsrunde wenigstens einmal treffen, um angesichts der pluralis­tischen westdeutschen Geschichtswissenschaft einen gewissen Grundkonsens herzu-

277 Arnold hatte erfahren, dass auf der 3.  deutsch-polnischen Tagung „der Zeitpunkt nach 1945 behandelt werden soll, der politisch besonders delikat und kompliziert ist.“ H. Arnold an G. Eckert, 23. 2. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 278 Aufzeichnung betr. die Beziehungen zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Internationalen Schulbuchinstitut und der Deutschen UNESCO-Kommission im Bereich der internationalen Schulbuchrevision, 14. 2. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 279 G. Eckert an Forster, 5. 3. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 280 Günther Schödel, stv. Leiter der Kulturabteilung des AA, an Walter Steigner, 1. Vizepräsident der deutschen UNESCO-Kommission, 8. 4. 1974, BAK B 336/287. 281 Vertraulicher Vermerk, als Anlage zu T.  Keller an Alfred Kubel, Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, 4. 10. 1947, BAK B 336/280.

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stellen.282 So veranstaltete die Delegation auf Wunsch des Auswärtigen Amtes im Vorfeld des vierten Treffens eine vorbereitende Arbeitstagung in Braunschweig, um die schwierige Materie „sorgfältig vorzubereiten“.283 Gleichzeitig beschlichen Georg Eckert im Herbst 1973 offenbar Zweifel an der eigenen Courage gegenüber dem Auswärtigen Amt. Nachdem er beobachtet hatte, dass die polnische Seite ganz offen­ sichtlich politischen Weisungen folgte, bat er das Auswärtige Amt ausdrücklich, ihm doch nach Möglichkeit „Ausarbeitungen“ zukommen zu lassen, aus denen die offizielle Haltung der deutschen Außenpolitik zu den strittigen zeitgeschichtlichen Fragen hervorginge.284 Gotthold Rhode ließ er wissen, „dass ich mich gegenüber dem Auswärtigen Amt völlig loyal verhalten möchte“.285 Nach Auffassung des polnischen Außenministeriums traten die Gespräche nun in ihre entscheidende Phase. Den polnischen Delegations­teilnehmern wurde deshalb eingeschärft, die Gunst der Stunde zu nutzen, solange Polen noch im Brennpunkt der deutschen Ostpolitik stehe und nicht von der DDR und der UdSSR in den Schatten gestellt werde. Daher müssten möglichst schon auf der vierten Tagung Thesen durchgebracht werden, die das deutsche Bild der Volksrepublik Polen korrigierten.286 Einmal mehr hatten die pragmatischen Kräfte aus Giereks Umfeld ihre Rechnung jedoch ohne die nationalkommunistischen Kreise der Partei gemacht, die diesmal zum Frontalangriff auf die Schulbuchgespräche bliesen. Im Hinblick auf die Zeitgeschichtsthematik war der schwelende Machtkampf zwischen konservativen und liberalen Positionen erneut aufgeflammt. Mit neuer Schärfe wurde in den bildungs- und außenpolitischen Kommissionen des Zentralkomitees und zwischen Außen-, Bildungs- und Verteidigungsministerium um die Frage gefochten, ob die Gespräche der polnischen Staats­räson grundsätzlich dienlich seien oder sie im Gegenteil bedrohten. Während die Optimisten angesichts der Gunst der Stunde auf eine rasche Einigung drängten, suchten

282 Dieter Wojtecki an Eckert, 24. 9. 1972, BAK N 1445/146; G. Rhode an Holzheimer, AA, 22. 2. 1973, BAK N 1445/146. 283 Daran nahmen Martin Broszat, Fritz Fischer, Jörg Hoensch, Enno Meyer, Carl-August Schröder, Otto von Simson, Rudolf von Thadden und Klaus Zernack teil. G. Eckert an von Treskow, Kulturattaché an der Botschaft der BRD in Warschau, 28. 7. 1973, PAAA B 93/1935 [= Zwischenarchiv 104319]. 284 G. Eckert an Holzheimer, AA, 27. 4. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 285 G. Eckert an G. Rhode, 14. 6. 1973, BAK B 336/286. 286 Andrzej Konopacki, Notatka Informacyjna o przygotowaniach do kolejnego spotkania komisji ekspertów PRL i NRF działające na rzecz rewizji treści podręczników szkolnych, w oparciu o porozumienie d/s UNESCO obu krajów, 15. 9. 1973, AMSZ D-IV/32/82/W-16. In der Folge erarbeiteten die polnischen Historiker bereits erste Vorschläge zur Darstellung der Geschichte Polens 1944–1970, die bei den Parteistellen allerdings auf heftige Kritik stießen und der deutschen Seite daher gar nicht erst vorgelegt wurden. S. u.

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die Pessimisten die ihres Erachtens gefährlichen Gespräche zu blockieren.287 So wurde die vierte Tagung im September 1973 in Warschau und Krakau zur Zerreißprobe für die Kommission. Gearbeitet wurde in zwei Unter­kommissionen. Während die Arbeit in der Ordensgruppe in gewohnt sachlicher Atmosphäre verlief, kam es in der Sektion für Zeit­geschichte zum Eklat. Nachdem Franciszek Ryszka und Hanna Jędruszczak die polnischen Desiderate, wie Eckert meinte, in durchaus „konstruktiver“ Form vorgetragen hatten, sorgte der Beitrag von Antoni Czubiński für Aufruhr. Czubiński, ein National­kommunist, der den Sitzungen der Schulbuchkommission bisher nicht beigewohnt hatte, unterzog die gesamte bisherige Kommissionsarbeit einer vernichtenden Fundamentalkritik, indem er sie an den Maßstäben eines orthodoxen historischen Materialismus maß und für ungenügend befand. Jörg Hoensch konterte scharf, der Erfolg der gesamten Konferenz schien auf Messers Schneide zu stehen. Nur mit Mühe verstand es Walter Mertineit, die Wogen zu glätten.288 Wenn Czubińskis Aufgabe darin bestanden hatte, die Kommission zum Sturz zu bringen, dann war sie gescheitert. Auch bot sich der deutschen Delegation erstmals Gelegenheit zur Einsicht, dass die polnische Delegation durchaus keinen geschlossenen Interessenblock bildete. Mit Genugtuung verzeichnete Mertineit, dass Czubińskis Referat „nicht nur bei uns, sondern auch bei den polnischen Kollegen auf Widerstand [stieß]“.289 So wurde Czubińskis Auftritt für die Kommission gewissermaßen zum Lackmustest, der die verständigungsbereite Haltung der übrigen polnischen Gesprächspartner deutlicher hervortreten ließ als bisher.290 Dennoch gab Czubińskis Vorpreschen Anlass zu Befürchtungen. Es durfte als sicher ange­nommen werden, dass er nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hatte, sondern seine Attacke im Auftrag nationalkommunistischer Parteikreise vorgetragen hatte. Brachte man diese Beobach­tung in Zusammenhang mit der Abkühlung des zwischen­staatlichen Verhältnisses, so schien durchaus ungewiss, welche Richtung sich in der pol­nischen Delegation auf Dauer durchsetzen würde. Beunruhigt schrieb Rhode an Eckert: „Ich hoffe nur, dass die polnischen Kollegen, die sich so intensiv um die Zusammenarbeit bemühen, nun nicht von den anderen vom Typ eines Kokot oder Czubiński in den Hinter­grund gedrängt werden. Ganz unbegründet ist diese Befürchtung nach einigen Gesprächen unter vier Augen sicher-

287 S. o., sowie folgender Absatz. 288 Gespräch des Autors mit Klaus Zernack am 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee, ebenso Simson, Bericht über meinen Aufenthalt […], 17. 10. 1973, BAK B 336/286. 289 G. Eckert an Holzheimer, 25. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 290 O. von Simson, Bericht über meinen Aufenthalt […].

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lich nicht.“291 Tatsächlich sollte Czubiński in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen: Von 1978 bis 1990 leitete er das Posener Westinstitut, und als Wojciech Jaruzelski in Polen zu Beginn der Achtzigerjahre das Kriegsrecht ausrufen ließ, löste Czubiński den nun zu liberalen Markiewicz als Leiter der polnischen Delegation der Schulbuchkommission ab. Er blieb dabei stets Nationalkommunist, verhielt sich aber, wie Zernack beobachtete, in diesen späteren Jahren kooperativer, sodass eine konstruktive Zusammen­arbeit möglich wurde.292 Rhodes Befürchtungen wollte der Zweckoptimist Eckert nicht teilen. Er verwies auf den Um­stand, dass sich ungeachtet aller Störmanöver der Hardliner auch weiterhin verständigungs­bereite Kreise der Partei zu erkennen gaben und ihr fortdauerndes Interesse an den Gesprächen zum Ausdruck brachten. Während der Warschauer Konferenz wurde Eckert sowohl von Vizeminister Wołycka als auch von Jarema Maciszewski empfangen, wobei Letzterer nicht nur Historiker, sondern auch Vorsitzender der Bildungskommission des ZK war.293 Angesichts solcher Signale wollte Eckert „keinerlei Anzeichen einer Trübung“ erkennen.294 Verhaltener zeigte sich der deutsche Botschafter in Warschau, der die Gespräche stets mit großem Interesse verfolgte und nun eine „gewisse Versteifung der polnischen Seite“ konstatierte, die er auf den „Vorwurf zu großer Konzilianz, den gewisse Parteikreise und die Armee der polnischen Delegation gemacht hätten“, zurückführte.295 Die Angehörigen der polnischen Delegation versuchten derweil, dem neuerdings kühleren Klima gerecht zu werden, ohne die Arbeit der Kommission grundsätzlich zu gefährden. Abgeklärt vermutete Rhode im Dezember 1973: Als militanter Antiimperialist und wie die schönen Schlagworte sonst heißen mögen, wird sich keiner unserer polnischen Kollegen profilieren wollen, aber so ein bisschen nationaler Anstrich kann gerade in der jetzigen Ära zur Verbesserung des Ansehens wohl nicht schaden, wie manche meinen, und das kann unsere Arbeit leider nicht erleichtern. Nur werden wir eben zwischen derartigen deutlich motivierten Unschönheiten und der eigentlichen Meinung unterscheiden müssen […]296

Auf inhaltlicher Ebene konturierte die vierte Schulbuchkonferenz die Gegensätze, die auf der dritten Konferenz zutage getreten waren, noch schärfer. „Es wird ganz

291 G. Rhode an G. Eckert, 26. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 292 Gespräch des Autors mit Klaus Zernack am 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee. 293 H. H. Ruete, Botschaft Warschau, an das AA, Warschau, 20. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 294 G. Eckert an Holzheimer, AA, 25. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 295 H. H. Ruete an das AA, 20. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 296 G. Rhode an Eckert, 7. 12. 1973, BAK N 1445/146.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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deutlich“, schrieb Rhode im April 1974 an das Bundesministerium für Vertriebene, „dass die Vertreibungen, die Umgestaltung des polnischen Staates und das Verhältnis zwischen den Polen und der DDR so viele Fragen aufwerfen, dass an echte Empfehlungen zunächst gar nicht gedacht werden kann.“297 Und Eckert ergänzte: „Besonders strittig ist die Behandlung der ehemaligen deutschen Ostgebiete, die in den Schulbüchern traditionell bei Deutschland behandelt werden und die die Polen jetzt als einen Teil ihres nationalen Territoriums behandelt wissen wollen. Gerade diese Frage weckt in beiden Staaten Emotionen, die schwer zu kanalisieren sind.“298 Auch mit der sachlichen Bewertung des Potsdamer Abkommens und der Adenauer-Ära habe die polnische Seite „Schwierigkeiten“.299 Dass die polnischen Positionen in diesen Fragen weitgehend mit jenen Moskaus zusammenfielen, war weniger einer prinzipiellen Block­solidarität geschuldet, sondern lag im nationalen Eigeninteresse Polens. In anderen Fragen waren die polnischen Bemühungen sehr wohl darauf gerichtet, sich aus der Rolle eines will­fährigen Blockstaats zu befreien. Die Vehemenz, mit der sich die polnischen Historiker gegen die Darstellung ihres Landes als sowjetisierter Satellitenstaat verwehrten, ließen manch deutschen Kollegen folgern, die nationale Selbstbehauptung gehe den Polen über alles und bilde auch die Haupttriebkraft hinter dem Wunsch, die Verbindungen nach Mittel- und Westeuropa zu beleben.300 Nach Czubińskis Auftritt lag es nahe, dass die deutschen Historiker die Unbeweglichkeit der polnischen Seite weniger ihren Fachkollegen zuschrieben, sondern die Probleme vielmehr daraus erklärten, dass diese „naturgemäß an die Weisungen von Partei und Regierung gebunden“ seien.301 Ganz ähnlich setzte sich im weiteren Verlauf der Gespräche auch auf polnischer Seite die Auf­fassung durch, den westdeutschen Kollegen seien in zeitgeschicht­lichen Fragen oftmals durch politische Vorgaben „die Hände gebunden“, und hinter ihrer Unbeweglichkeit verberge sich „zweifellos“ das Auswärtige Amt.302 Dass beide Seiten die Gründe für Verständigungs­schwierigkeiten außerhalb der Kommission suchten, darf unabhängig vom Wahrheitsgehalt solcher Vermutungen als Hinweis auf das vertrauensvolle Klima verstanden werden, das sich in der Kommission zwischen polnischen und deutschen Historikern herausgebildet hatte. In Wirklich-

297 G. Rhode an Karl Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147. 298 Bemerkungen und Vorschläge zum Stand der deutsch-polnischen Schulbuchrevision, als Anlage zu Eckert an Holzheimer, 9. 10. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 299 G. Eckert an Holzheimer, AA, 25. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 300 O. von Simson, Bericht über meinen Aufenthalt in der Volksrepublik Polen, 17. 10. 1973, BAK B 336/286. 301 Ebd. 302 J. Feliksiak, Dep. IV MSZ, an Min. J. Czyrek, MSZ, 22. 4. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

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keit bestand derweil auch unter den deutschen Wissenschaftlern nur mäßige Konzessions­bereitschaft. Schon vor der Tagung hatte Rhode vor nichtssagenden Formelkompromissen gewarnt, „die dann von beiden Seiten in ihrer Weise ausgelegt werden können.“303 Angesichts der vorderhand unüberwindbaren Gegensätze schien offensichtlich, dass sich die Thesen zur Zeitgeschichte nicht mehr nach dem bisherigen gemein­schaftlichen Verfahren erarbeiten ließen. So kamen beide Seiten überein, zunächst getrennt voneinander sogenannte „Selbstdarstellungen“ zu erarbei­ten,304 die ihrer Meinung nach eine befriedigende Vorstellung der eigenen Geschichte ver­mittelten. Erst wenn diese Abstimmung im nationalen Rahmen erfolgreich abgeschlossen wäre, sollten die beiden Versionen wieder bilateral diskutiert und aneinander angeglichen werden, um schließlich in Schulbuchempfehlungen umgemünzt zu werden.305 Wenn die Politisierung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte einer Veranschau­lichung bedurfte, so hatte die vierte Schulbuchkonferenz sie geliefert. Es war unter diesen Umständen nicht verwunderlich, dass die politischen sierung die Gespräche weiterhin aufTräger der deutsch-polnischen Normali­ merksam verfolgten und bisweilen auch beein­flussten. Gewissermaßen offiziell war die politische Einflussnahme auf polnischer Seite, wo das Bildungs- und das Außenministerium stets mit eigenen Repräsentanten in der Kommission vertreten waren und insbesondere der Vertreter des Außen­ministeriums bei Bedarf nicht davor zurückschreckte, die polnischen Positionen zur Zeit­geschichte geradezu „brutal“ deutlich zu machen.306 Veränderlich war jedoch der Grad der politischen Kontrolle und Koordination. Weiter oben wurde bereits geschildert, wie die konzessions­bereite Haltung der deutschen Delegation die anfängliche Wachsamkeit der Warschauer Ministerien und Parteistellen allmählich eingelullt hatte. 1974, als sich die Zeit­geschichts­diskussion zuspitzte, ließ das Erziehungsministerium dagegen verlauten, mit dem bisherigen Schlendrian müsse jetzt Schluss sein – die polnische Historikerdelegation dürfe nicht weiter eigenmächtig verhandeln, sondern müsse endlich wieder einer straffen politischen Kontrolle

303 G. Rhode an Holzheimer, AA, 13. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 304 G. Rhode an Karl Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147. 305 In der Zwischenzeit hoffte Eckert, die Stimmung durch die Beschäftigung mit erbaulicheren Epochen zu heben. Zu diesem Zweck empfahl er, „die positiven Beziehungen beider Völker etwa zwischen 1815 bis 1948 durch geeignete Veröffentlichungen […] stärker herauszustellen als dies in der Vergangenheit geschehen ist“. Bemerkungen und Vorschläge zum Stand der deutschpolnischen Schulbuchrevision, 9. 10. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. 306 So der Eindruck Thomas Kellers. W. Gierłowski, Notatka z rozmowy z dyr. Thomasem Kellerem – sekretarzem generalnym Komitetu ds UNESCO R. F. N., 14. 2. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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unterworfen werden.307 Das Außen­ministerium nahm sich der Aufgabe an, indem es die „laufende Instruktion und Information“ der Historiker sicherstellte.308 Im Hinblick auf die zeitgeschichtlichen Fragen machten es sich die zuständigen Staats- und Parteistellen in der Folge zur Gewohnheit, alle wichtigen Arbeitspapiere der polnischen Delegation gegen­zuprüfen, worauf den Historikern nicht selten grundsätzliche Modifikationen aufgezwungen wurden.309 Auf deutscher Seite hatte sich bereits Georg Eckert allmählich den Wünschen des Auswär­tigen Amtes geöffnet; noch weitergehende Kooperations­bereitschaft zeigte sein Nachfolger Walter Mertineit, in dessen Augen die Gespräche auf die finanzielle und inhaltliche Unterstützung der politischen Instanzen bei Bund und Ländern angewiesen waren.310 Wie weit die Einflussnahme des Auswärtigen Amtes tatsächlich ging, ist indes schwer zu klären. Einerseits ließen einzelne deutsche Gesprächs­teilnehmer ihre polnischen Kollegen bisweilen wissen, dass sie „strikte Anweisungen von den politischen Akteuren in Bonn erhalten“ hätten.311 Andererseits bestreitet Klaus Zernack als führendes Mitglied der deutschen Delegation, jemals irgendwelche politischen Richtlinien erhalten zu haben.312 Erkennbar ist aber zumindest, dass die Leiter der deutschen Delegation sich wiederholt um die Zustimmung des Auswärtigen Amtes zu den zeitgeschichtlichen Ausarbeitungen der deutschen Kommissionsdelegation bemühten.313 Solche Abstimmung sollte die deutsche Delegation nicht nur gegen öffentliche politische Kritik schützen, sondern zugleich auch die Bundes­regierung auf die Verständigungsarbeit der Kommission verpflichten.314 Ähnliche Ermahnungen

307 Ohne Verfasserangabe [MOiW], undatiert [1974], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 308 W. Czabasiński, DIWK MSZ, an Min. Jan Bisztyga, 9. 3. 1974, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 309 S. u., Kap. 6.3.6. 310 Mertineit bezeichnete es als „gravierenden Fehler“ Eckerts, „die Schulbuchverhandlungen ohne ausrei­chende Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und der KMK begonnen zu haben“. W. Mertineit an W. Wöhlke, 5. 11. 1974, BAK B 336/287. 311 Józef Czyrek, MSZ, Notatka informacyjna o stanie dotychczasowych prac Komisji UNESCO PRL i RFN d/s rewizji treści podręczników szkolnych oraz wnioski, 4. 9. 1975, AMSZ DIV/32/82/W-16. 312 Gespräch des Autors mit Klaus Zernack am 14. 8. 2007 in Berlin-Wannsee. 313 So übersandte Schüddenkopf der Kulturabteilung des AA im Vorfeld der 5. Schulbuchkonferenz die deutschen Positionspapiere zu den Zeitgeschichtsverhandlungen und wünschte, dazu „die Auffassung Ihres Hauses [zu] erfahren.“ Otto-Ernst Schüddenkopf an Holzheimer, Kulturabteilung AA, 13. 2. 1974, PAAA B 93/1935 [= Zwischenarchiv 104319]. 314 Georg Eckert ließ dieses Desiderat immer wieder anklingen, etwa wenn er im Oktober 1973 wünschte, dass der Bundesaußenminister „das Interesse der Bundesregierung an dem Erfolg der Arbeit bekunden würde“. Bemerkungen und Vorschläge zum Stand der deutsch-polnischen Schulbuchrevision, als Anlage zu: G.  Eckert an Holzheimer, 9. 10. 1973, PAAA B 93/1934 [=Zwischenarchiv 104318].

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richteten die polnischen Historiker an die Warschauer Regierung: „Es ist vonnöten, dass unsere politische Führung von Zeit zu Zeit Interesse an den Ergebnissen der Kommission […] zeigt.“315 Während also die politischen Entscheidungsträger beider Staaten ihre Interessen nun stärker tangiert sahen als zuvor und mit entsprechender Einmischung reagierten, zeigte sich bei den Wissenschaftlern auf beiden Seiten ein seltsames Phänomen: Hatte das Gros der deutschen Historiker der eigenen Vergangenheit in früheren Sitzungen eher kritisch gegenübergestanden, so nahm die nationale Selbstidentifikation merklich zu, sobald die Bundesrepublik zur Debatte stand. Verblüfft registrierten die polnischen Historiker den Gesinnungswandel, den ihre deutschen Kollegen beim Überschreiten der Schwelle von 1945 vollzogen: Während ihnen für die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Zugeständnisse an die Polen leicht gefallen seien, würden sie den Empfehlungen zur Zeitgeschichte offenbar allergrößtes Gewicht zumessen.316 Eine solch partielle Identifikation lediglich mit dem letzten Abschnitt einer als „gebrochen“ verstandenen Nationalgeschichte war den Polen weitgehend fremd und wurde von ihnen daher als überraschend empfunden. Auf polnischer Seite gestalteten sich die Präferenzen für die ältere und die jüngste Vergangenheit des eigenen Landes umgekehrt. Hier sank die Identifikation zwar nicht mit dem eigenen Land, wohl aber mit dem Staat, der es repräsentierte, deutlich ab, sobald die Rede auf die Nachkriegsgeschichte kam. (Nur wenige besonders linientreue Historiker zeigten umgekehrte Tendenzen.) Sehr greifbar wurde dieses Identifikationsdefizit, als die polnischen Historiker sich daran machten, ihre sogenannte Selbstdarstellung der polnischen Nach­ kriegsgeschichte zu verfassen. Eine Vorstudie dazu war bereits für die vierte Konferenz im September 1973 entstanden. „Diese Vorschläge erstaunen durch ihre kärgliche Darstellung der polnischen Problematik“, urteilte ein namentlich nicht bekannter, aber zweifellos gewichtiger Rezensent aus der Partei- oder Ministerialbürokratie. Auch ein neuer Entwurf für die bevorstehende fünfte Konferenz weckte „erhebliche Vorbehalte“:

315 W. Chabasiński, MSZ, Notatka informacyjna o kierunkach działania w latach 1974–1975 na rzecz rewizji treści podręczników szkolnych i nauczania w NRF – w zakresie dotyczącym informacji o Polsce, jej historii, kulturze i współczesnym rozwoju, 7. 12. 1973, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 316 „Die westdeutsche Seite misst den Empfehlungen gerade zu diesem Zeitabschnitt allergrößte Bedeutung bei, während sie der polnischen Seite den Zeitabschnitt bis 1945 gewissermaßen kampflos überlässt.“ W.  Markiewicz/M.  Wojciechowski, Informacja. Polsko-zachodnioniemieckie rozmowy dotyczące rewizji treści podręczników szkolnych, 3. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Er geht nicht auf die Essenz des sozialistischen Wandels ein. Er ist ideologisch nicht hinlänglich offensiv. Er zeigt nicht klar genug den großen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen, gesell­schaftlichen und kulturellen Entwicklungssprung des zeitgenössischen Polens. […] Keinesfalls ist es politisch angezeigt, die Umsiedlung der deutschen Bevölke­ rung mit der „neuen territorialen Gestalt“ Polens nach dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung zu bringen, auch nicht mit der neuen polnisch-sowjetischen Grenze (Curzon Line). […] Auf keinen Fall sollen die jüdischen Opfer der Hitlerverbrechen neben der Gesamtzahl der Opfer unter der polnischen Bevölkerung gesondert aufgeführt werden.

Wenn die deutsche Seite nachdrücklich darauf bestehe, solle die offizielle Zahl von 2,5 Millionen (und nicht wie im Entwurf: drei Mio.) genannt werden. Weiter dürfe nicht gesagt werden, dass Gomułka im Stalinismus als „Rechtsabweichler“ verurteilt wurde, weil dies in der BRD mit ihrem faschistischen Erbe falsch verstanden würde. Auch sollte die Entstalini­sierung von 1956 zur wirtschaftlichen Kurskorrektur bagatellisiert werden. Abwegig schien dem Parteigut­achter auch der Vergleich der Studentenunruhen in den kapitalis­tischen Ländern mit den polnischen Studentenunruhen im März 1968. Stärker hervorgehoben werden sollten schließlich die Entspannungsinitiativen der polnischen Außenpolitik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, wie sie im Rapacki- und GomułkaPlan zum Ausdruck gekommen seien.317 Wenn man ideologische Kompromisse vermeide, so die Meinung der offiziellen Stellen, könne die polnische „Selbst­ darstellung“ zum Lautsprecher der polnischen Ausland­propaganda werden, da der Text in der Bundesrepublik gewiss weite Verbreitung finden werde.318 Dieser Linie mussten sich die polnischen Historiker natürlich weitgehend fügen, wenn­ gleich die darin formulierten Vorgaben in einzelnen Punkten wie der Frage der jüdischen Opfer­zahlen gewisse Spielräume andeuteten. Gewappnet mit den offiziellen Vorgaben, tagte die polnische Delegation vor ihrer Abreise in die Bundesrepublik sowohl im Plenum als auch in verschiedenen thematischen Arbeits­ gruppen, um sich, wie es hieß, „gründlich auf die Diskussion mit den Partnern aus der BRD vorzubereiten.“319 Es darf angenommen werden, dass diese Sitzungen nach den Erfahrungen der vierten Konferenz als eine Art Testlauf gedacht waren und zum Zweck hatten, Unstim­migkeiten innerhalb der eigenen Delega-

317 Uwagi na temat pracy Komisji UNESCO d/s weryfikacji treści podręczników szkolnych NRF, undatiert [1974 oder 1975], ohne Verfasserangabe [aber vermutlich dem Bildungsministerium zuzuordnen], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 318 W. Chabasiński, Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach V spotkania Komisji Komitetów UNESCO PRL i NRF w sprawie rewizji treści podręczników szkolnych, 23. 4. 1974, AAN KCPZPR/1354/LVIII/402, ebenso in AMSZ D-IV/32/82/W-16. 319 Ebd.

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tion, wie sie auf der Warschauer Zusammenkunft zutage getreten waren, diesmal bereits im Vorfeld auszuräumen. Die fünfte Konferenz der deutsch-polnischen Schulbuchkommission trat Anfang April 1974 in Braunschweig zusammen. Im Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen konstatierten die polnischen Teilnehmer bei ihren deutschen Gesprächspartnern eine gewisse „Anspannung“,320 obgleich das jähe Ende der Ära Brandt im Zusammenhang mit der Guillaume-Affäre damals noch nicht absehbar war.321 Erstmals stellten Polen und Deutsche ihre getrennt erarbeiteten Selbstdarstellungen zur gegenseitigen Diskussion. Am deutschen Entwurf störte die Polen insbesondere, dass er ein Bekenntnis zur Oder-NeißeGrenze vermied und das Thema Gesamt­ deutschland wieder einbrachte.322 Auch die deutsche Seite hielt mit ihrer Kritik am polnischen Entwurf nicht hinter dem Berg. Insbesondere stieß man sich an der geglätteten Darstellung der polnischen Nachkriegs­geschichte, in der alle nicht­kommunis­tischen Faktoren übergangen würden und die Entwicklung der Volksrepublik als geradliniger Siegeszug des Sozialismus erscheine. Am detailliertesten formulierte Gotthold Rhode die deutschen Einwände. Er bemängelte, dass Polen in der Darstellung als sozialis­tischer Industriestaat hervortrat, während die ländliche und insbesondere die katholische Prägung des Landes übergangen wurde. Der Widerstand gegen die deutschen Besatzer während des Warschauer Aufstands werde gänzlich der kommunistischen Armia Ludowa zugeschrieben, während die bürgerliche Armia Krajowa als treibende Kraft des Widerstands unerwähnt bleibe. Hinsichtlich der von Deutschland übernommenen Westgebiete werde verschwiegen, dass Polen die Gebiete bereits vor der Potsdamer Konferenz und damit ohne Rechtsgrundlage in Besitz genommen habe. Der Stalinismus werde fast völlig unterschlagen, stattdessen würden nur in unbestimmter Form „gewisse […] Einschränkung der sozialistischen Demokratie“ konzediert. Auch fehlten Hinweise auf die blockpolitische Einbindung Polens.323 Rhodes aus bürger­licher Warte vorgetragene Einwände fanden ihre Ergänzung in weiteren

320 Ebd. 321 Dass Brandts enger Vertrauter Günter Guillaume jahrelang ein ranghoher DDR-Spion gewesen war, erfuhr die deutsche Öffentlichkeit erst im Zuge seiner Verhaftung am 25. 4. 1974. Daraufhin erklärte Brandt am 7. 5. 1974 seinen Rücktritt. 322 W. Chabasiński, Notatka informacyjna o przebiegu i wynikach V spotkania […], sowie D-IV MSZ an die Min. S. Olszowski, J. Czyrek, E. Kułaga, J. Feliksiak, T. Wujek, 14. 10. 1975, AMSZ DIV/32/82/W-16. 323 G.  Rhode, Bemerkungen zu den Vorschlägen zur Selbstdarstellung zur Geschichte der Volks­republik Polen in den Jahren 1944–1974, wie sie am 1. April in Braunschweig von der polnischen Delegation vorgelegt wurden, 30. 4. 1974, BAK N 1445/140.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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deutschen Stimmen, welche die polnische Darstellung von marxistischen Positionen aus als nationalistisch kritisierten.324 Bei der Sichtung der deutschen Kritikpunkte wird klar, dass sich die Einwände in vielen Fällen auf eben jene Passagen der polnischen Darstellung bezogen, die der politischen Zensur und Schönung anheim gefallen waren. Insofern lagen die kritischen Bemerkungen der deutschen Kollegen über weite Strecken durchaus im Interesse wenn nicht aller, so doch der meisten polnischen Historiker – verschafften sie ihnen doch Unterstützung im Kampf gegen die Zumutungen der offiziellen Geschichtspolitik.325 In Anbetracht der zutage getretenen Differenzen musste eine Einigung erneut vertagt werden, und die Selbstdarstellungen beider Seiten gingen in eine weitere Überarbeitungs­runde. Neuerlich revidierte Entwürfe wurden im Juni in Warschau ausgetauscht. Einige ungewöhnlich positive Berichte über die Kommissionsarbeit in der polnischen Presse ließen zu diesem Zeitpunkt neue Hoffnungen keimen.326 In diesem Klima bekräftigten die Historiker beider Seiten den Willen, gemeinsam „substantielle Aus­sagen“ zu erarbeiten und dabei auch die „heißen Eisen“ „des Pots­damer Abkommens, der Bevölkerungs­verschiebungen, der Staatsgründungs­vorgänge, der Blockbildung und -bindung, der Phase des ‚Kalten Krieges‘ usw.“ in Angriff zu nehmen.327 Wenig später wurde mit der bereits geschilderten Konferenz zum Deutschen Orden in Thorn auch endlich die Idee angegangen, besonders wichtige und schwierige Themen auf vertiefenden Themen­konferenzen zu behandeln.328 Gotthold Rhode zeigte sich zuversichtlich, „dass diese Spezialtagungen zu ganz konkreten Fragen wesentlich fruchtbarer ausfallen als die großen Konferenzen, bei denen politische Rücksichten eine Aus-

324 Uwagi na Temat pracy Komisji UNESCO d/s weryfikacji treści podręczników szkolnych NRF, undatiert [1974 oder 1975], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 325 Dass die polnischen Historiker ihre deutschen Kollegen weniger als Gegenspieler denn als heimliche Verbündete betrachteten, dämmerte einige Jahre später auch der Partei. Als im Zuge der Solidarność zu Beginn der Achtzigerjahre neue Lehrpläne vereinbart wurden, schrieb die Partei deren angeblich antisozialistische, kosmopolitische und universalistische Prägung korrumpierenden Einflüssen aus Westdeutschland zu. S. dazu unten, Kap. 6.3.8. 326 Sehr positiv berichteten über die Arbeit der SBK u. a. Markiewicz in Życie Literackie vom 26. 5. 1974 und Marian Wojciechowski in einem Interview für den Kurier Polski vom 10. 7. 1974. W. Mertineit, Kurzer Bericht über meine Reise in die VR Polen vom 9.-15. Juli 1974, undatiert, BAK B 336/287. 327 Ebd. 328 Ebd., sowie Fünfte deutsch-polnische Schulbuchkonferenz, Braunschweig, 1.  bis 3.  April 1974, undatiert [April 1974], BAK B 336/286. Eine weitere Spezialtagung sollte 1975 unter dem Thema „Eure Freiheit – Unsere Freiheit“ die deutsche Polen­begeisterung im 19. Jahrhundert behandeln. Ebd.

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arbeitung weiterer echter Empfehlungen sehr erschweren“ – musste sich aber durch die Ordenskonferenz vorderhand eines Besseren belehren lassen.329 Immer deutlicher ließen die polnischen Historiker zu diesem Zeitpunkt erkennen, dass die deutsch-polnische Schulbuchrevision in einen „weiter­führenden wissen­schaftlichen Gedankenaustausch“ münden solle, für den sie sich „nicht zu viel Publizität“ wünschten. Wöhlke vermutete „hier im Hintergrund außen­ politische Rücksichten“,330 wir dürfen darüber hinaus aber annehmen, dass es den polnischen Historikern generell darum ging, die Zumutungen der Politik – auch der Inneren – auf Distanz zu halten und ein Podium für möglichst ungestörte wissenschaftliche Gespräche zu schaf­fen. Dies sollte jedoch erst nach 1976 gelingen.331 Immerhin zeigte sich die deutsche Seite bemüht, ihre Reihen um weitere Experten zu ergänzen,332 um mit der fachlichen Qualifikation der polnischen Kollegen gleichzuziehen.333 Vorderhand blieben die politischen Bezüge dominant, die Mertineit treffend auf folgende Formel brachte: Für Polen […] bedeutet UNESCO die Chance, die ideologischen Bindungen an den sozialistischen Block im nationalen Interesse etwas lockern zu können. Für uns bedeutet UNESCO die Chance, die deutsch-polnischen […] Gespräche vorbildlich zu machen für andere evtl. später anstehende Verhandlungen mit sozialistischen Staaten, die heute noch munter Feindbilder gegen uns produzieren.334

6.3.6 Der lange Endspurt Auf der sechsten Konferenz Anfang Oktober in Warschau gaben sich beide Seiten gleich zu Beginn entschlossen, die Zeitgeschichtsempfehlungen möglichst komplett fertigzustellen; sollte das nicht möglich sein, wollte man wenigstens deren unkontroverse Bestandteile verabschieden. Diese Abmachung lässt den

329 G. Rhode an Karl Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147. 330 W. Wöhlke an Rudolph von Thadden, 24. 8. 1974, BAK B 336/287. 331 S. u., Kap. 6.3.8. 332 Der Expertengruppe sollten fortan Broszat, Hoensch, Ludat, Meyer, Miller, Rhode, von Thadden, Wöhlke und Zernack angehören. Ausgeschieden waren Bracher, Fischer und Roos. Revidierte Liste der ständigen Expertenkommission gemäß Protokoll des Schulbuchausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission, 8. 7. 1974, BAK B 336/281. 333 Auf „östlicher Seite“, so Wöhlke, habe es bisher ein klares Übergewicht ausgewiesener Wissenschaftler gegeben – auch auf der deutschen Seite müsse man den Gelehrten daher ein ausreichendes Gewicht geben. W. Wöhlke an R. von Thadden, 24. 8. 1974, BAK B 336/287. 334 W. Mertineit an Prof. W. Wöhlke, 5. 11. 1974, BAK B 336/287.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Erfolgsdruck erkennen, der nach mehreren ergebnislosen Tagungen auf der Kommission lastete. Meinungsverschiedenheiten bestanden zunächst darüber, in welchem Kontext die deutsch-polnischen Beziehungen der Nachkriegs­zeit diskutiert werden sollten. Die Wortführer der deutschen Seite – Hoensch, Zernack und Hillgruber – plädierten dafür, die Block­konfron­tation nicht außer Acht zu lassen. Dagegen betonte Labuda im Namen der polnischen Delegation, die Empfehlungen müssten auf die bilateralen Bezie­hun­gen beschränkt werden. Darin spiegelte sich die Furcht der polnischen Historiker vor blockpolitischen Verwicklungen. Twardowski mahnte darüber hinaus zur Beschränkung auf Potsdam, die Bevöl­kerungstransfers, die Grenzen und die politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung beider Staaten. Dahinter war unschwer die Absicht zu erkennen, die Schulbuchthesen zur Legitimierung der territorialen, demographischen und politisch-gesellschaftlichen Gestalt Polens in Dienst zu nehmen.335 Es folgte die Diskussion der beiden Selbst­darstellungen. Im überarbeiteten polnischen Entwurf sahen die Deutschen einen Teil ihrer früheren Einwände berücksichtigt, mahnten aber weiter­ gehende Ergänzungen an. Enno Meyer wünschte sich ein Wort zur Aussiedlung der deutschen Bevölkerung in den ersten Nachkriegsmonaten. Jörg Hoensch führte die Gruppe jener Stimmen an, die den polnischen Staatssozialismus weiterhin allzu souverän dargestellt fanden und verlangten, dass auch alternative und mit der jeweiligen Parteilinie konkurrierende Kräfte differenzierter geschildert werden sollten. Martin Broszat und Eberhard Kolb waren der Auffassung, die polnische Selbstdarstellung vernachlässige die Unregel­mäßigkeiten der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Polens. Dagegen machten Wojciechowski und Labuda deutlich, dass man keine weiteren Konzessionen gegenüber den deutschen Wünschen beabsichtige. Am zweiten Verhandlungstag folgte die Diskussion der deutschen Selbstdarstellung. Einleitend bemängelten Wojciechowski und Ryszka, der Abriss sei zu professoral geraten, was Zernack damit verteidigte, dass die vorgelegte Darstellung durchaus zum Gegenstand akademischer Diskussionen werden könne. Hier begegnet uns ein weiterer Hinweis auf die unbefriedigende Zwitterstellung der Kommission zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht. Inhaltlich konzentrierte sich die polnische Kritik auf die Themen Zwangsumsiedlungen, Revisionismus, Vergangenheitsbewältigung, innere Entwicklung der Bundesrepublik sowie die Darstellung der DDR und der UdSSR. Deutliche Kritik

335 Protokół VI konferencji mieszanej komisji Polski i NRF do spraw rewizji treści podręczników szkolnych działającej z ramienia UNESCO, undatiert [Oktober 1974], AMSZ D-IV/32/82/W-16. Dieser sehr ausführlichen Quelle folgt auch die anschließende Darstellung der Diskussion.

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erregte der Umstand, dass die bundes­deutsche Vergangenheitsbewältigung in der Selbstdarstellung keinen Niederschlag fand.336 Dies müsse ergänzt werden, und zwar nicht in akademischer Abstrak­tion, sondern in Worten, die der kleine Mann auf der Straße nachvollziehen könne. Der diesbezügliche „Gesinnungs­ wandel in der Gesellschaft der Bundesrepublik“ müsse absolut klar werden; insbeson­dere die Frage der Entnazifizierung dürfe nicht übergangen werden. Einmal mehr tritt hier sehr deutlich hervor, dass die polnische Annäherung an den ehemaligen Erbfeind Bundes­republik nur dann zu legitimieren war, wenn sich dessen Abkehr vom „imperialistischen Erbe“ hieb- und stichfest nachweisen ließ.337 Im selben Zusammenhang wollten Labuda und Stanisław Trawkowski auch den bundesdeutschen Revisionismus und Militarismus behandelt sehen, mit dem sich immer noch polnische Ängste verbänden. Befriedigung weckte in der polnischen Delegation hingegen die Beobachtung, dass der Leiter der bundesdeutschen Abordnung für die Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus dem polnischen Nachkriegsstaat den Begriff „Umsiedlung“ und nicht „Vertreibung“ verwandte. Letzterer sei konsequent aus der Selbstdarstellung zu entfernen. Auch müsse der berechtigte Hinweis auf das oftmals gewiss schwere Los der Vertriebenen dahingehend relativiert werden, dass die Umsiedler sich schnell in die westdeutsche Gesell­schaft integriert hätten und ihr revisionistisches Potential nur dank tatkräftiger Förderung der Bundes­ regierung so lange als politische Kraft überlebt habe. Leider offenbare die deutsche Selbstdarstellung einmal mehr, dass es der deutschen Seite weiterhin an Einsicht in die Endgültigkeit der Potsdamer Beschlüsse mangle. Sehr bemüht zeigte sich die polnische Seite, Kritik von der DDR und der UdSSR abzuwenden. Szcześniak unterstellte den deutschen Kollegen ein falsches Verständnis der Blockkonfrontation: Die Verantwortung für die Teilung Deutschlands müsse den West­mächten zugeschrieben werden (Bi- und Trizonenbildung); dem gelte es die gesamtdeutsche Politik der Sowjetunion gegenüberzustellen. Resümierend formulierte Mertineit den Eindruck, die Nachkriegsthematik erfordere noch einige Sitzungen, und Markiewicz wies darauf hin, dass die bis-

336 Darauf machten gleich drei Repräsentanten der polnischen Seite aufmerksam: Labuda, Szcześniak und Ryszka. 337 Dieser Forderung wurde Rechnung getragen. In den endgültigen Empfehlungen wurde als Punkt 24 die „Bewältigung der Vergangenheit“ aufgenommen. Darin wurde festgehalten, dass eine „grundsätzliche geistige und moralische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in größerem Umfange“ erst in den späten Fünfzigerjahren eingesetzt habe, und eingestanden, dass „Inkonsequenzen“ bei der Entnazifizierung das deutsch-polnische Verhältnis „in vieler Hinsicht belastet“ hätten. Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission (Hg.), Empfehlungen 1995, S. 30.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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herige Diskussion Meinungs­verschiedenheiten auch innerhalb der beiden Delegationen zutage gefördert habe. Daher zogen sich beide National­delegationen zu gesonderten Beratungen zurück. In der Klausur der polnischen Delegation verbreitete Markiewicz Siegesgewissheit. Es sei gelungen, die eigene Selbstdarstellung in allen wesentlichen Punkten zu verteidigen, man dürfe sie wohl als angenommen betrachten. Sollte die deutsche Seite wider Erwarten dennoch auf Ände­rungen drängen, so „könnten wir in unserer Selbstdarstellungen den polnischen Besonder­heiten noch mehr Raum geben, der Rolle der katholischen Kirche, dem inter­natio­nalen Kontext, in dem Volkspolen entstand, den geopolitischen Veränderungen, dem Rat der Nationalen Einheit und seiner Entstehung, der Entstehung des polnischen Oktober [1956].“ Damit befürwortete Markiewicz bei Bedarf erstaunlich weitgehende Konzessionen an die Gegenseite, wahrte aber im Ton gleichzeitig den Anschein einer kompromisslosen Hal­tung, wie sie von den politischen Aufpassern und parteinahen Hardlinern in der Kommission erwartet wurde. Zur Beratung der deutschen Delegation fehlt eine entsprechende Quelle, sodass uns Einblicke in deren Klausur verwehrt bleiben. Anschließend wurden zur Thesenformulierung zwei national gemischte Gruppen gebildet – eine für den Themenkreis der Grenz- und Umsiedlungsfragen, eine zweite für die frühe Nach­kriegszeit der Jahre 1945–1949/1956. Zur Überraschung aller Beteiligten fand die erste Gruppe nach kontroversen, aber nicht ausschließlich unter nationalen Vorzeichen geführten Diskussionen zu einem Minimalkonsens, der allen Konferenz­teilnehmern annehmbar schien.338 Bedingung dafür war die Rücksicht auf etwaige Empfindlichkeiten der UdSSR und der DDR. So konnten schließlich „zwei Schulbuch­empfehlungen zum Grenz- und Vertriebenen­problem“ verabschiedet werden.339 Scharf umstritten blieb dagegen weiterhin die Darstellung der frühen Nachkriegszeit.340 Der hierzu festgehaltene kleinste gemeinsame Nenner schien beiden Seiten nicht tragfähig genug, um als Grundlage für eine akzeptable These zu dienen, und sollte deshalb als Arbeitsgrund­lage für weitere Verhandlungen betrachtet werden. Von allen Thesen, die die gemeinsame deutsch-polnische Schulbuchkommission bis 1975 verabschiedete, zogen die hier ausgehandelten Formulierungen zur Zwangsaussiedlung der Deutschen in der Bundesrepublik mit Abstand am meisten Kritik auf sich. Nicht nur Vertriebenenverbände warfen der Darstellung

338 ISBI, Kommuniqué, Oktober 1974, AMSZ D-IV 32/82/W-16. 339 Botschaft Warschau an das AA, Referat 620, 11. 10. 1974, PAAA B 93/1936 [= Zwischenarchiv 104320]. 340 So konnten sich die zwei Delegationen nicht auf gemeinsame Formulierungen zum Spätstalinismus und zu seinen Auswirkungen auf die Blockstaaten einigen.

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eine Verharmlosung des Schicksals deutscher Flüchtlinge und Zwangsaussiedler vor.341 Dieser Kritik hielt Hans-Adolf Jacobsen den Hinweis entgegen, die beschlossene These nehme eine notwendige Unterscheidung zwischen den Prozessen „der Evakuierung, der Flucht, der Zwangsumsiedlung und der Ausweisung“ vor. Dieses Maß an Differenzierung verlange polnischen Schulbuchautoren in Zukunft eine sehr viel sachlichere Darstellung ab als bisher üblich. Dieser Hinweis war berechtigt, erschienen die Zwangs­ aussiedlungen in polnischen Lehrbüchern doch gemeinhin als „gesetzmäßiger“ makrohistorischer Prozess, der denselben Notwendigkeiten folgte wie eine seit zwei Jahrhunderten im Gang befindliche deutsche „Ostflucht“, der man in dieser Lesart nach Kriegsende nur etwas nachgeholfen hatte.342 Dass die in der These vereinbarte Differenzierung auch der bisher landläufigen deutschen Darstellung ein größeres Maß an Unterscheidung aufzwang, indem sie die bisher gebräuchliche, fragwürdige Subsummation von Flüchtlingen und Evakuierten unter eine pauschale VertriebenenZiffer in Frage stellte, verschwieg Jacobsen wohl aus taktischen Gründen. Kurzfristig war es für die Kommission nach einer längeren Durststrecke ohne Durchbrüche zweifellos ein Erfolg, dass wenigstens einer der beiden Themenkomplexe verabschiedet werden konnte. Langfristig schuf dieses etappenweise Vorgehen aber zusätzliche Probleme, denn mit der Trennung der zwei Thesenkreise gab die deutsche Seite die Möglichkeit eines Junktims aus der Hand. Die polnische Seite hatte ihr Hauptziel – die Anerkennung des territorialen und demographischen Status quo post 1945 – erreicht und war im Lauf der weiteren Verhandlungen dementsprechend kaum noch zu Konzessionen bei den übrigen ungelösten Fragen der Nachkriegsgeschichte bereit. So signalisierte das Warschauer Bildungsministerium den polnischen Historikern im Frühjahr 1975, dass der Wirkungsschwerpunkt der Kommission nun von der inhaltlichen Erarbeitung der Thesen auf deren Durchsetzung im Schulunterricht zu verlagern sein.343 Um die deutsche Seite dabei besser in die Pflicht zu nehmen, müsse das gemeinsame Gremium in eine offizielle zwischenstaatliche Kommission umgewandelt werden.344 Eine entschlossene Linie sei unverzicht-

341 Die entsprechenden Auseinandersetzungen protokolliert Jacobmeyer (Hg.), Diskussion. 342 Jacobsen, Bilanz. Zur Darstellung der Grenzänderung und der Zwangsaussiedlungen in polnischen und deutschen Schulbüchern s. Ewa Nasalska, Polsko-niemieckie dyskursy edukacyjne: lata 1949–1999, Warszawa 2004, S. 208–274. 343 Als Repräsentant des Bildungsministeriums referierte Jerzy Mąkosa. W. Markiewicz/M. Woj­ ciechowski, Notatka, 28. 3. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 344 Diesen Vorschlag präsentierten die Vertreter der polnischen Delegation während der siebten Schulbuch­konferenz in Braunschweig dem Vorsitzenden der KMK, Grolle (SPD), der nach polnischer Einschätzung Interesse daran zeigte. J. Feliksiak, D-IV MSZ, an Min. J. Czyrek, MSZ, 22. 4. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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bar geworden, nachdem sich die Politik der Bundesrepublik gegenüber Polen in verschiedenen Bereichen, darunter auch in der Schulbuchfrage, „versteift“ habe. Diese Einschätzung bezog sich auf das kurz zuvor entbrannte Tauziehen um polnische Entschädigungs­forderungen für NS-Opfer, auf die die Bundesrepublik nicht eingehen wollte, und deutsche Vorstöße zugunsten einer er­leichterten Ausreise von Deutschstämmigen aus der Volksrepublik Polen, die in Warschau nur sehr zögerlich Gehör fanden.345 Offenbar brachte man diese tages­politischen Verstimmungen in Warschau direkt mit der harten Linie der bundesdeutschen Schulbuch­delegation in Zeitgeschichtsfragen in Verbindung und gedachte entsprechend zu antworten. Dieser Logik folgte auch die im Zentralkomitee der PVAP diskutierte Idee, die polnische Delegation in der gemeinsamen Kommission zu verkleinern, um dadurch die Verhärtung der polnischen Haltung anzuzeigen. Dagegen verwandten sich jedoch die polnischen Kommissions­mitglieder, welche die deutsch-polnische Schulbucharbeit aus politischen Plänkeleien heraushalten wollten: „Eine solcher Schritt“, gaben sie zu bedenken, „wäre ein Signal an die falsche Adresse, nämlich an die bundesdeutsche UNESCO-Kommission, deren Mitglieder in der gemeinsamen Arbeit viel guten Willen gezeigt haben und in der Bundes­republik von rechts unter Beschuss stehen.“ Eine demonstrative Verklei­ nerung der polnischen Delegation könnten bundesdeutsche Regierungskreise gar zum Vorwand nehmen, die Schulbuch­gespräche kurz vor Fertigstellung der Empfehlungen abzubrechen. Dabei sei doch vor allem der polnischen Seite daran gelegen, dass die Empfehlungen verabschiedet würden.346 Als die Schulbuchkommission im April in Braunschweig zu ihrer siebten Konferenz zusam­mentrat, harrten vor allem zwei schwierige Themenkomplexe noch der endgültigen Thesen­formulierung: Erstens der Komplex der polnischen Deutschlandpolitik zwischen 1945 und 1949 und zweitens das Thema der bilateralen Beziehungen zwischen Polen und der BRD nach 1949 – wobei die beiden Delegationen uneins waren, ob in diesem Kontext auch die Bedeutung der deutschen Frage auf europäischer Ebene zu erläutern sei.347 Nach zwei Verhandlungstagen schien eine Einigung in greifbarer Nähe zu liegen. Eine kleine, paritätisch von deutschen und polnischen Experten besetzte Kommission hatte sich auf ein Kompromiss­papier verständigt, das unter Berücksichtigung aller Vorbehalte beiden Seiten annehmbar schien.348 Umso größer war die Überraschung beider Delegationen, als dieser

345 S. dazu Bingen, Polenpolitik, S. 155–173. 346 W. Markiewicz/M. Wojciechowski, Notatka, 28. 3. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 347 W.  Markiewicz/M.  Wojciechowski, Informacja. Polsko-zachodnioniemieckie rozmowy dotyczące rewizji treści podręczników szkolnych, 3. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 348 Gotthold Rhode, Konferenz ohne Konsequenzen? Zu den deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen in Warschau und Braunschweig. Für den Bayr. Rundfunk, Sendung vom 7.6.75, undatiert, BAK N 1445/102.

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Entwurf vor dem Plenum der Konferenz scheiterte und die Gespräche in einen totalen Misserfolg mündeten.349 Die polnische Seite erklärte die Bruchlandung damit, dass in der Plenumsdiskussion „diametral entgegengesetzte Einschätzungen hinsichtlich der inter­nationalen Situation sowie dem Wesen und den Ursachen der Schwierigkeiten zwischen der VRP und der BRD in den Jahren vor der Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Staaten“ hervortraten.350 Aus deutscher Sicht war hingegen ein „über­raschende[s] Veto“ der polnischen Seite für das Scheitern verantwortlich.351 Darin hatte sich laut Gotthold Rhode Frust über den Umstand niedergeschlagen, dass die weiterhin „sehr schönfärberischen“ Formulierungen zur inneren Entwicklung Polens nach 1947 von den deutschen Teilnehmern erneut zurückgewiesen wurden.352 Der deutschen Öffentlich­keit wurde in der Tages­presse der Eindruck vermittelt, eine politische Direktive habe die polnische Delegation geschlossen auf einen harten Kurs gebracht.353 Tatsächlich lagen die Dinge etwas komplizierter: Während der Tagung zeigte sich, dass sich in den Reihen der polnischen Delegation eine weite Schere zwischen Befürwortern und Gegnern der vor­liegenden Empfehlungs­entwürfe öffnete. Offenbar schien dieser Umstand auch den polnischen Delegationsangehörigen erklärungsbedürftig. Abwiegelnd machten sie gegenüber den deut­ schen Kollegen geltend, die polnische Gruppe sei inhaltlich schlecht vorbereitet gewesen und habe auf die Schnelle keinen Konsens erreichen können.354 Jörg Hoensch war geneigt, diesen Erklärungen Glauben zu schenken, während Kolb und Jacobsen nicht recht daran glauben mochten, dass allein wissenschaftliche Meinungs­verschiedenheiten innerhalb der polnischen Delegation die Gespräche zu Fall gebracht hatten. Plausibler schien ihnen, dass das politische Warschau die Gespräche blockiert hatte, um auf diesem Wege sein Missfallen über die jüngsten politischen Spannungen zwischen Bonn und Warschau kundzutun.355 Auch Rücksichten auf die DDR mochten eine Rolle gespielt haben.356

349 Ebd., sowie J. Czyrek, MSZ, Notatka informacyjna o stanie dotychczasowych prac Komisji UNESCO PRL i RFN d/s rewizji treści podręczników szkolnych oraz wnioski, Warszawa, 4. 9. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 350 D-IV MSZ an die Min. S. Olszowski, J. Czyrek, E. Kułaga, J. Feliksiak, T. Wujek, 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 351 G. Rhode an W. Wöhlke, 19. 4. 1975, BAK N 1445/147. 352 Rhode, Konferenz ohne Konsequenzen. 353 Süddeutsche und Zeit sprachen von einem Warschauer Eingriff. Ebd. 354 ISBI, Protokoll der Sitzung zur Vorbereitung der VIII. Deutsch-Polnischen Schulbuchkonferenz, 23. 6. 1975, BAK B 336/288. 355 Ebd., sowie Jacobsen, Bilanz. 356 Jörg K. Hoensch, Das mühsame Geschäft der Schulbuch-Revision. Über die VII. deutschpolnische Schulbuch-Konferenz in Braunschweig, in: Kulturpolitische Korrespondenz, 10. 5. 1975, S. 9–11.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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Eine intimere Sichtweise gewann Gotthold Rhode, der fließend Polnisch sprach, im vertrau­ lichen Gespräch mit dem polnischen Delegationsleiter. Demnach hatte Markiewicz den Miss­erfolg als „Niederlage“ für seinen verständigungsbereiten Kurs empfunden und die Schuld dafür dem Staatssicherheitsdienst – und den hinter ihm stehenden Nationalkommunisten – angelastet.357 Jörg Hoensch mutmaßte: „[G]edeckt von den harten polnischen Presse­kommentaren glaubt wohl eine kleine Gruppe, der bisher gelegentlich recht selbstherrlich agierenden Delegationsleitung einen Dämpfer verpassen zu müssen – nur so ist zu erklären, dass sich die Verhandlungs­führung nicht zur Einhaltung ihrer zuvor gegebenen Zusicherung, die Empfehlungen zu verabschieden, in der Lage sah.“358 Damit allein lässt sich das Scheitern der Sitzung allerdings nicht erklären.359 Zweifellos spielte auch die unnachgiebige Gesprächsführung der deutschen Seite eine Rolle, die man auf polnischer Seite als präzedenzlos empfand.360 Für diesen unerwartet starken Gegendruck war das prekäre Gebäude der polnischen Verhandlungs­konstruktion, das Verständigungs­befürworter und Skeptiker aus widersprüchlichen Elementen mühsam zusammengezimmert hatten, offenbar nicht ausgelegt, und so brach es in sich zusammen. Gedeutet wurde die Verhandlungsführung der Deutschen folgendermaßen: Die westdeutsche Delegation bemühte sich mit verschiedensten Mitteln, ihre eigenen Thesen zur Dar­stellung der Beziehungen zwischen der BRD und der VRP durchzusetzen. […] In der Diskussion vertrat sie einen unbeweglichen Standpunkt, hinter dem sich zweifellos das Auswärtige Amt verbarg. […] Eine nähere Analyse der bundesdeutschen Empfehlungsentwürfe […] und seiner Varianten lässt bestimmte Schwellen erkennen, welche die bundesdeutsche Delegation nicht unterschreiten durfte und die von politischen Akteuren definiert worden waren.361

Wir haben bereits gesehen, wie die deutsche Delegation auf der sechsten Konferenz mit ihrer Zustimmung zur Grenz- und Umsiedlungsthese einen wichtigen Trumpf aus der Hand gab, mit dem man polnische Zugeständnisse in anderen Fragen hätte erkaufen können. Dieses verlorene Druckmittel versuchte sie nun

357 Markiewicz habe ihm anvertraut, „dass der so harmlos aussehende Herr Szcześniak der Vertreter der UB ist. Seiner Wut über ihn gab er sehr drastisch Ausdruck.“ G. Rhode an W. Wöhlke, 19. 4. 1975, BAK N 1445/147. 358 Hoensch, Geschäft. 359 J. Czyrek, MSZ, Notatka informacyjna o stanie dotychczasowych prac Komisji UNESCO PRL i RFN d/s rewizji treści podręczników szkolnych oraz wnioski, Warszawa, 4. 9. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 360 W. Markiewicz/M. Wojciechowski, Informacja […], 3. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 361 J. Feliksiak, D-IV MSZ, an Min. J.  Czyrek, MSZ, 22. 4. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. Ähnlich nochmals bei J. Czyrek, Notatka […], 4. 9. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

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dadurch wettzumachen, dass sie die Verbreitung aller bereits vereinbarten Thesen zu verhindern androhte.362 Eine Vertagung der Thesen­verabschiedung war unter diesen Umständen nicht zu vermeiden. Bei aller Frustration über den Misserfolg konnten die Historiker der weiteren Verzögerung zumindest einen positiven Aspekt abgewinnen, den Markiewicz trefflich auf den Punkt brachte: Diese Konferenzen seien ja eine „‚Goldader‘, die wir für Reisen und Gespräche nur intensiv ausbeuten sollten“, vertraute er Gotthold Rhode an. Das gehe freilich nur, „wenn wir noch lange nicht zu einem Abschluss kommen.“363 Es sei erwähnt, dass diese Strategie auch den Beobachtern der Gespräche in den Warschauer Ministerien nicht gänzlich verborgen blieb. Dort monierten Gesprächskritiker: „Man hat den Eindruck, dass die Gespräche bewusst in die Länge gezogen werden, um die Auslandsreisen zu verlängern.“364 In Anbetracht des Debakels von Braunschweig entwickelte das Warschauer Außen­ministerium für die weiteren Verhandlungen eine durchaus konstruktive Strategie. Dabei wurde eine Abstufung der polnischen Verhandlungsposition „in drei Varianten zwischen einer Maximal- und einer Minimalversion“ ins Auge gefasst – offenbar hatte sich in Warschau die Einsicht durchgesetzt, dass ein Kompromiss mit der deutschen Seite ohne Zugeständnisse nicht zu erlangen war. Unter diesen Umständen ging es darum, keine unkontrollierten Konzessionen einzugehen, sondern eine im Vorherein geplante und von allen polnischen Akteuren gebilligte Konzessionsstrategie bereitzuhalten. Um die polnische Verhandlungs­ position zu stärken, sollten für die achte Konferenz zusätz­liche Zeitgeschichtsexperten in die polnische Delegation eingeladen werden. Vorgängig zur Konferenz wollte man zudem die Berichterstattung über die Schulbuchkommission in den Massen­medien und der Fachpresse intensivieren, um das anhaltende polnische Interesse an den Gesprächen zu verdeutlichen.365 Eine aufschlussreiche Standortbestimmung nahmen Markiewicz und Wojciechowski Anfang Juni 1975 vor. Darin charakterisierten sie die bisher erreichten Einigungserfolge und ihren Widerhall in der bundesdeutschen Öffentlichkeit als höchst beachtlich. Aufhorchen lässt das Urteil, das die beiden Historiker über die Umsetzung der Thesen in der Bundesrepublik fällten. Während die polnische Seite in und außerhalb der Kommission seit 1972 gebets­mühlenhaft wiederhole,

362 D-IV MSZ an die Min. S. Olszowski, J. Czyrek, E. Kułaga, J. Feliksiak, T. Wujek, 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 363 G. Rhode an W. Wöhlke, 19. 4. 1975, BAK N 1445/147. 364 Uwagi na temat pracy Komisji UNESCO d/s weryfikacji treści podręczników szkolnych NRF, undatiert [1974 oder 1975], ohne Verfasserangabe [aber vermutlich dem Bildungsministerium zuzuordnen], AMSZ D-IV/32/82/W-16. 365 J. Feliksiak, D-IV MSZ, an Min. J. Czyrek, MSZ, 22. 4. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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die Implementierung der Empfehlungen im deutschen Schulunterricht lasse zu wünschen übrig, zogen Markiewicz und Wojciechowski unter Ausschluss der Öffentlichkeit hier eine sehr viel positivere Bilanz: Was die Umsetzung der bereits erarbeiteten Thesen angeht, so lassen wir aus taktischen Gründen vor der öffentlichen Meinung nicht erkennen, dass die in den Schulbüchern der BRD durchgeführten Veränderungen weiter gehen, als zu erwarten war. Zweifellos hat das Polenbild dieser Lehrbücher eine Objektivierung erfahren. So wurde etwa (außer in Bayern) die These von der normannischen Genese des polnischen Staates aufgegeben, ebenso die These vom missionarischen Charakter der deutschen Kolonisation in den polnischen Ländern im Mittelalter und die These, dass die Teilungen Polens in erster Linie durch seine innere Verfasstheit bedingt gewesen seien, usw.366

Scharfe Kritik übten die beiden Leiter der polnischen Delegation hingegen an den Umsetzungsbemühungen auf polnischer Seite. Hier sei für die Revision das Institut für Lehrpläne beim Bildungsministerium zuständig, das deren Umsetzung aber verschleppe und bisher auch die Zeitgeschichtsempfehlungen nicht publiziert habe. Das konnte in der BRD nicht unbemerkt bleiben, umso mehr, weil das Institut für Lehrpläne [auch] die gemeinsam verabschiedeten Empfehlungen zum Potsdamer Vertrag (darunter die polnische Interpretation der Umsiedlungen der Deutschen und die Verdammung des Wortes Vertreibung [deutsch im Original] […]) nicht publiziert hat. In Anbetracht dessen hat [auch] die deutsche Seite diese für uns so wichtigen Empfehlungen nicht veröffentlicht und daher fand dieser grundlegende Verhand­lungserfolg der polnischen Seite in der BRD keine Umsetzung. Es ist dies ein evidenter Fall politischer Dummheit.367

Aus diesen Zeilen geht deutlich hervor, dass Markiewicz und Wojciechowski in Warschau nicht als willfährige Untertanen auftraten, sondern sich als Angehörige der Machtelite verstanden, die ihre Meinung selbstbewusst vorbringen durften – auch wenn einschränkend anzufügen ist, dass das Bildungsministerium in Polen traditionell als schwaches Ministerium galt. Des Weiteren waren Markiewicz und Wojciechowski sichtlich bemüht, tagespolitische Einflussnahmen zu begrenzen. Nach dem Desaster des polnischen Vetos auf der siebten Konferenz warnten sie im Zusammenhang mit außenpolitischen Verstimmungen zwischen Polen und der BRD im Juni 1975 sehr nachdrücklich: Die Arbeit der Schulbuchkommission darf nicht den Erfordernissen der Tagespolitik auf der Achse Warschau–Bonn untergeordnet werden, d. h. [sie darf] kein Werkzeug zur Realisie-

366 W. Markiewicz/M. Wojciechowski, Informacja […], 3. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 367 Ebd.

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rung unserer unmittelbaren politischen Ziele gegenüber der BRD sein. Es handelt sich hier um ein weiterreichendes Unterfangen – es geht in erster Linie darum, eine Bresche ins bisherige Polenbild zu schlagen, welches das historische Bewusstsein der jungen Generation der Bundesdeutschen immer noch prägt.368

Das waren – im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten – durchaus mutige Worte, die sich Markiewicz und Wojciechowski nur dank ihrer guten Verbindungen zur Macht erlauben konnten. Nach dem Misserfolg von Braunschweig war einmal mehr vereinbart worden, eine gemischte Kerngruppe mit der Kompromissfindung zu betrauen. Im Zuge dessen präsentierten Markiewicz, Wojciechowski und der Geograph Józef Barbag ihren deutschen Kollegen Mertineit, Zernack und Wöhlke Mitte Juni 1975 in Warschau weitgehende Änderungsvorschläge zum Text, den die westdeutsche Seite auf der siebten Konferenz in Braunschweig vorgelegt hatte. Insbesondere schlugen sie vor, die gesamte Einleitung zu streichen, die eine „ideengeschichtlich-ideologische Interpretation der Nachkriegszeit“ enthielt. Die deutschen Abgesandten zeigten sich darüber „erkennbar erstaunt und etwas erbittert.“ Schließlich gingen sie auf den polnischen Vorschlag ein, ließen aber festhalten, „dass keine volle Verständigung über den internationalen Kontext der Beziehungen zwischen BRD und VRP gelungen sei“ und bestimmte Schlüsselaspekte dieser Beziehungen auf gesonderten wissenschaftlichen Konferenzen behandelt werden müssten. Auf dieser beschnittenen thematischen Grundlage gelang es, zwei Thesen­entwürfe zu den Nachkriegsbeziehungen zwischen der VRP und der BRD fertigzustellen.369 Befriedigt registrierte das polnische Außenministerium „einen Kompromiss […], der unseren Forderungen […] entsprach“.370 Den Historikern war indes bewusst, dass die polnische Seite mit einer unnachgiebigen Haltung auf der nächsten Konferenz wenig Aussicht auf Erfolg hatte: „Es muss betont werden“, erinnerten sie das Außenministerium, „dass die westdeutschen Experten uns in Privatgesprächen warnten, wir sollten das Bild der Beziehungen zwischen der VRP und der BRD nicht ‚beschönigen‘ und unsere Sichtweise nicht allzu einseitig durchsetzen, denn das könnte die Wirksamkeit der gesamten Schulbuchrevision in der Bundesrepublik in Frage stellen.“371 Hier zeigt sich, dass die deutsche Delegation in dieser Gesprächsphase immer

368 Ebd. 369 W. Markiewicz/M. Wojciechowski an MSZ, Wyd. Zagr. KC, Wyd. Nauki KC, MoiW, J. Kaczmarek, Notatka, 18. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 370 D-IV MSZ an Min. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 371 W. Markiewicz/M. Wojciechowski an MSZ u. a., Notatka, 18. 6. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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stärker auf eine Taktik aus Zugeständnissen einerseits und Drohungen andererseits setzte – also gewissermaßen mit Zuckerbrot und Peitsche hantierte. Diese Strategie hatte sich bereits auf der siebten Konferenz abgezeichnet, wo die deutsche Seite ihre Weigerung verkündet hatte, die bereits vereinbarten Thesen zur Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts bis 1945 zu veröffent­lichen, bevor die Empfehlungen zur Zeitgeschichte verabschiedet würden.372 Schon wenige Tage später, am 23. Juni 1975, beriet die deutsche Seite über den Warschauer Kompromissentwurf. Dabei stellte Mertineit auch die beiden auf der sechsten Konferenz verabschiedeten Empfehlungen zum Grenz- und Vertriebenenproblem nochmals zur Disposi­tion, doch stellten sich alle Delegationsmitglieder hinter die damals vereinbarten Formulie­rungen. Weniger Einigkeit bestand über die neu ausgehandelten Kompromissvorschläge. Bachmann, Hoensch, Rhode, von Thadden – also diejenigen Anwesenden, die an der Rumpfkommissionssitzung nicht teilgenommen hatten – hielten Ergänzungen für notwendig. Unter anderem sollte die Rechtsnachfolge der BRD für das Deutsche Reich betont und herausgestellt werden, dass auch Deutschland Kriegsverluste erlitten habe, weiterhin sollte verdeutlicht werden, dass auch die bundesdeutsche Außenpolitik sich seit den Fünfziger­jahren um Entspannung mit Polen bemüht habe.373 Um diesen Einwänden gerecht zu werden, wurde der vorliegende Kompromissentwurf der deutsch-polnischen Rumpfkommission „substantiell abgeändert.“374 In Warschau lösten die deutschen Änderungswünsche Entsetzen aus. „In gewisser Hinsicht ist der neueste Kölner Ent­wurf aus unserer Sicht schlechter als jener Thesenentwurf, der in Braun­schweig erarbeitet, aber nicht angenommen worden war“, urteilte Marian Wojciechowski. Das betreffe insbesondere die neuerdings wieder herausgestellte Frage „Gesamtdeutschlands“, die Tilgung der Worte über die „Anerkennung“ der Oder-Neiße-Grenze und die neu hinzugefügte Erwähnung des „Briefwechsels“ zwischen polnischen und westdeutschen Bischöfen. Der Kölner Entwurf sei daher für die polnische Seite „unannehm­ bar.“375 Gemeinsam mit Władysław Markiewicz erarbeitete Wojciechowski daraufhin einen polnischen Gegenvorschlag, der darauf abzielte, das „Deutschlandproblem“ wieder aus dem Entwurf zu verbannen und die „Anerkennung“ der Oder-Neiße-Grenze zurückzuholen. Anschließend bemühte sich eine Zusam-

372 MSZ, Dep. IV, an Min. S. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 373 G. Rhode, Zur VIII. Deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz vom 29.9. bis 4. 10. 1975. 7.10.75 an Nasarski, BAK N 1445/102. 374 D-IV MSZ an Min. S. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 375 M.  Wojciechowski an D-IV MSZ und in Kopie an Wyd. Zagraniczny und Wyd. Nauki i Ośwaty KC PZPR sowie alle Angehörigen der polnischen Delegation der SBK, 14. 7. 1975 AMSZ DIV/32/82/W-16.

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menkunft der polnischen Delegation im Bildungs­ministerium, „die Grenzen zu definieren, bis zu denen die polnische Seite bereit wäre, bei der Redaktion der einzelnen Formulierungen Zugeständnisse einzu­gehen.“376 Offenbar verfolgte man also weiterhin eine Strategie gestufter Konzessionen. Leider entziehen sich die Ergebnisse der Besprechung unserer Kenntnis. Aufschlussreich sind indes die Randnotizen, die der Empfänger im Außenministerium auf den Thesen­entwürfen von Wojciechowski und Markiewicz anbrachte. Jeden der vierzehn Thesenentwürfe kommentierte er handschriftlich mit „ja“ oder „nein“. Die Haltung der polnischen Zeitgeschichtsempfehlungen musste hier also Wort für Wort mit dem MSZ abgestimmt werden.377 Kurz vor der achten Tagung trat am 7. und 8. September in Köln nochmals eine Sitzung der gemischten Kerngruppe zusammen.378 Über die Inhalte der Diskussion ist nichts bekannt, das kurzfristig anberaumte Treffen kann aber mit Sicherheit als Hinweis darauf verstanden werden, dass beide Seiten die fortbestehenden Auffassungsdifferenzen als gravierend erachteten. Immerhin versprach die politische Großwetterlage, den bevorstehenden Gesprächen nach einer längeren Eintrübung endlich wieder Rückenwind zu verleihen,379 hatten Helmut Schmidt und Edward Gierek doch mittlerweile die Auseinander­setzung um deutsche Entschädigungszahlungen an die Volksrepublik und polnische Ausreise­ genehmigungen für deutschstämmige Staatsbürger beilegen können.380 Symbolisch noch bedeutsamer war das Umfeld, in dem diese Einigung erzielt wurde: Einen Tag zuvor war in Helsinki die KSZE-Schlussakte unterzeichnet worden, und bekanntlich erachteten sowohl die polnische als auch die deutsche Seite die gemeinsamen Schulbuchgespräche als wichtigen Bestandteil ihrer bilateralen Bemühungen zur Umsetzung der KSZE-Politik.381 In diesem Sinne konnte keiner

376 M. Wojciechowski an D-IV MSZ und in Kopie an Instytut Programów Szkolnych MoiW, Prof. Tazbir, Trzeciakowski, Zieliński, Barbag, Doz. Maria Wawrykowa, Tadeusz Kusiński, Mgr. Kulak, 11. 8. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 377 Ebd. 378 W. Mertineit, Warschau, 8. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz [Mertineits Eröffnungsrede], 25. 9. 1975, BAK B 336/288. Das Treffen war von der polnischen Seite verlangt worden, nachdem diese die Kölner Ergänzungen der deutschen Delegation als inakzeptabel eingestuft hatte. M. Wojciechowski an D-IV MSZ, 14. 7. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 379 Jacobsen, Bilanz. 380 Bingen, Polenpolitik, S. 165–173. Zum Gespräch von Gierek und Schmidt in Helsinki s. Michael Kieninger/Mechthild Lindemann/Daniela Taschler (Hg.), Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1975, 2 Bde., München 2006, Dok. Nr. 244, S. 1144–1152. 381 Bereits im Herbst 1973 wollten beide Seiten die Schulbuchgespräche auf der KSZE-Tagung in Genf als wichtigen Bestandteil ihrer Entspannungsstrategie präsentieren. G. Eckert an Holzheimer, 27. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318]. Vor diesem Hintergrund musste

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der beiden Seiten daran gelegen sein, auf der achten Schulbuchkonferenz zu demonstrieren, dass der Geist von Helsinki in den Niederungen der Zeitgeschichts­ diskussion wirkungslos verpuffte. Als die Schulbuchkonferenz Ende September 1975 in Warschau zum achten Mal zusammentrat, waren die Interpretationsdifferenzen beider Seiten dennoch kaum gemildert. Unübersehbar war der eminent politische Charakter der diversen caveat auf beiden Seiten, den Mertineit in seiner Eröffnungsrede denn auch ohne Umschweife ansprach: „Wir arbeiten, vor allem in der Zeitgeschichte, in einem Grenzgebiet, wo Wissenschaft und Politik sich überschneiden. Wir sind uns dieser Problematik sehr bewusst. Jede Seite stößt an ihre Grenzen, die sie im Interesse der Wirkung unserer gemeinsamen Arbeit nicht verletzen darf.“382 Auf deutscher Seite bezogen sich diese Grenzen, wie im Verlauf der Tagung deutlich wurde, insbesondere auf die nationalsozialistische Vergangenheit und die staatspolitische Zukunft Deutschlands. Zum einen verfocht die deutsche Delegation eine Sichtweise, wonach Deutsch­land nicht nur als Hort, sondern auch als Opfer des Nationalsozialismus zu betrachten war. Die polnische Seite erblickte in dieser Interpretation eine unannehmbare Gleich­setzung polnischer Leiden während des Zweiten Weltkriegs mit den „Konsequenzen des vom Dritten Reich verlorenen Kriegs für das deutsche Volk“.383 Des Weiteren schien es den deutschen Delegierten unerlässlich, die Polenpolitik der Bundesrepublik im Zusammenhang ihrer Deutschland­politik zu verorten.384 Aus polnischer Sicht legte diese Darstellungsweise den Schluss nahe, die Polenpolitik der Bundesrepublik sei ihrer Deutschlandpolitik hierarchisch untergeordnet und stehe in einem instrumentalen Verhältnis zu ihr. Das konnte nicht im polnischen Interesse sein, denn in Warschau wünschte man sich eine dauerhafte Klärung der deutsch-polnischen Beziehungen ohne Rücksicht auf deutschlandpolitische Vorbehalte, und man pochte darauf, den Warschauer Vertrag zwischen beiden Staaten und die KSZE-Schlussakte in ebendiesem Sinne als endgültig zu deuten. Vor diesem Hintergrund reagierte man allergisch auf alles, was die eben erfolgte Festschreibung des Status quo in Frage zu stellen schien, und gerade in dieser

es von beiden Seiten als Misserfolg gewertet werden, wenn die Gespräche nicht im zeitlichen Umfeld der Schlussakte von Helsinki zu einem Erfolg gelangen sollten. Wie wichtig dieser Erfolg war, lässt Jacobsens Äußerung nach Verabschiedung der Schulbuchempfehlungen im Oktober 1975 erkennen: „Die Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuch­kommission von 1972 bis 1975 sind bereits heute ein beachtenswerter Pluspunkt für die KSZE-Bilanz von 1977 in Belgrad.“ Jacobsen, Bilanz, S. 17. 382 W. Mertineit, Eröffnungsrede, 25.9.1975, BAK B 336/288. 383 D-IV MSZ an Min. S. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 384 G. Rhode, Nach harten Verhandlungen.

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Hinsicht gaben die deutschen Ergänzungswünsche zu den Zeitgeschichts­thesen Anlass zur Sorge: Insbesondere beharrte die bundesdeutsche Seite darauf, die deutsche Wieder­vereinigung als verfassungsrechtlich vorgegebene Ultima Ratio der bundesdeutschen Außen­ politik zu erläutern. Im Zusammenhang damit wolle sie auch die Bonner Rechts­vorbehalte gegen die europäische Nachkriegsordnung erwähnt sehen und insbesondere den bundes­deutschen Anspruch auf Rechtsnachfolge für das Deutsche Reich betonen, worin zum großen Missfallen der Polen unvermeidlich die Erinnerung an die Grenzen von 1937 mitschwang. Zusammen­genommen ergab sich daraus die Folgerung, dass erst ein wieder­ vereinigtes Deutschland definitive Grenzregelungen treffen könne und dass dabei die Grenzen von 1937 als Bezugspunkt dienen müssten. Aus polnischer Sicht kam dies einer Neuauflage überwunden geglaubter, konservativ-revisionistischer Vorbehalte gegen Brandts Ostpolitik gleich und wurde mit entsprechender Enttäuschung aufgenommen.385 Stärker noch als Polen war freilich die DDR von den deutschlandpolitischen Vorbehalten der Bundesrepublik betroffen, tangierten diese doch unmittelbar ihr Selbstverständnis als souve­räner Staat. Es war Solidaritätspflicht aller sozialistischen Staaten, den gesamt­deutschen Ansprüchen der Bundesrepublik entgegenzutreten, und davon waren die polnischen Historiker in der Schulbuchkommission keinesfalls ausgenommen. Ostdeutsche Historiker hatten ihre polnischen Kollegen in der gemeinsamen DPHK gar ausdrücklich gebeten, die Interessen der DDR in den Schulbuchgesprächen zu verteidigen, und viele Hinweise lassen erkennen, dass solche Ermahnungen auch direkt auf oberster Parteiebene ausgetauscht wurden.386 Umgekehrt erregten weiterhin auch die Wünsche der polnischen Seite deutsche Kritik. Immer noch schien das Bild, das von der Volksrepublik gemalt wurde, gar zu heroisch.387 Insbeson­dere stieß sich die deutsche Seite aber daran, dass die Polen die Schulbuch­diskussion mit den damaligen Auseinandersetzungen um die Entschädi­gung polnischer NS-Opfer belasteten.388 In der Folge zogen sich die Nationaldelegationen zu getrennten Beratungen zurück, zwischen denen Botengänger vermittelten. Um das Feilschen übersichtlicher zu gestalten, wurden die vier strittigen Thesen in 19 Unterabschnitte aufgeteilt und, wo die Gegensätze ausgeräumt werden konnten, portionenweise verab-

385 D-IV MSZ an Min. S. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 386 S. o., Kap. 5.3.2. 387 Rhode, Nach harten Verhandlungen. 388 Zu diesem Zweck wollten sie einen provisorisch vereinbarten Hinweis auf den polnischen Reparations­verzicht von 1954 um die Einschränkung ergänzen, dass damit nicht auf „polnische zivilrechtliche Ansprüche“ verzichtet worden sei. Ebd.

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schiedet.389 So gelang am nächsten Tag die Annahme von 14 Empfehlungen390 zu den Themenkreisen „Aufbauprobleme nach 1945“ und „Bewäl­tigung der Vergangenheit“. Äußerst schwierig gestaltete sich hingegen die Konsens­findung im Hinblick auf die deutschlandpolitischen Rechtsauffassungen der Bundes­republik. Auch der polnische Wunsch nach einer Vorbehaltsklausel zur Entschädigung polnischer NS-Opfer wurde „erst nach nachdrücklichen Hinweisen, dass ja die zivilrecht­lichen Ansprüche der deutschen Vertriebenen in dem Text auch nicht erschienen und dass man unmöglich gerade aktuelle Probleme zwanzig Jahre zurückdatieren könne“ wieder aufgegeben.391 Schließlich konnte im Ergebnis langer Diskussionen und stundenlanger Couloir-Gespräche in letzter Minute eine Einigung erzielt werden,392 „wobei in einigen Fällen Weglassungen den Ausweg öffneten, während bei der kontroversen Frage der deutschlandpolitischen Rechts­auffassung in der Bundesrepublik schließlich doch der deutsche Vorschlag Zustimmung fand, freilich ohne die ursprünglich vorgesehene Aufzählung einiger dieser Prinzipien in Klammern“.393 Angesichts der gestuften Konzessionsstrategie, welche die polnische Seite im Vorfeld der Konferenz ausgearbeitet hatte, scheint die Annahme plausibel, dass hier in einer Art Zermürbungstaktik bis zum letzten Augenblick versucht wurde, der deutschen Seite ein weiteres Entgegenkommen abzuringen. Dafür spricht auch, dass die letzte Verhandlungs­phase im Beisein eines polnischen Diplomaten verlief.394 Konfrontiert mit einem möglichen Misserfolg, entschloss sich das Warschauer Außenministerium dann offenbar, die nötigen Konzessionen einzugehen. Der polnischen Staats- und Parteielite wurde das Verhandlungs­ergebnis nach geschlagener Schlacht in gewohnter Manier als umfassender Sieg der polnischen Interessen verkauft.395

6.3.7 Vielsagendes Schweigen – Tabuthemen So gelang am 1.  Oktober 1975 schließlich die Verabschiedung der Thesen. Die erzielte Einigung hinterließ indes einen schalen Nachgeschmack. Das erarbeitete Dokument war ein Kompromiss, der vieles wegließ und auch für einige der Betei-

389 Ebd. 390 Jacobsen, Bilanz. 391 Rhode, Nach harten Verhandlungen. 392 D-IV MSZ an Min. S. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16. 393 Rhode, Nach harten Verhandlungen. 394 Ebd. 395 D-IV MSZ an Min. S. Olszowski u. a., 14. 10. 1975, AMSZ D-IV/32/82/W-16.

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ligten – unter ihnen Zernack und Rhode – die Frage aufwarf, ob die Sache den betriebenen Aufwand gelohnt habe. „Man wird an diesem Text vieles aussetzen können“, notierte etwa Gotthold Rhode: Sprachliche Ungeschicklichkeiten, die Nichtbehandlung vieler wesentlicher Fragen, eine gewisse Blut­leere und Faktenarmut, weil wenige Daten und gar keine Namen genannt werden. […] Man kann sich auch gewiss Fragen, ob ein Text von knapp 150  Zeilen, der manches ausklammert, anderes sehr allge­mein zum Ausdruck bringt […] die Arbeit vieler Tage und zahlreicher intensiver Besprechungen überhaupt wert ist, ob nicht gerade ein Historiker lieber Bücher und Aufsätze schreiben und eine solche, oft un­dankbare Aufgabe Politikern und Pädagogen überlassen sollte.

Sein abschließendes Urteil, dass das Unterfangen dennoch „der Mühe wert“ gewesen sei, begründete er schließlich nicht mit wissenschaftlichen Argumenten, sondern mit dem Motiv der Völker­verständigung.396 Derweil erinnerte HansAdolf Jacobsen nochmals daran, dass „[d]erartige Empfehlungen, zumal wenn sie hochaktuelle politische Probleme berühren, […] natürlich nicht ohne Berücksichtigung der Besonderheiten in der Internationalen Politik und der Innenpolitik beider Staaten konzipiert werden“ können. Der Wissenschaftler möge dies bedauern, räumte er ein, um dann mit dem bereits zu Beginn des Kapitels zitierten Merksatz zu schließen: „Aber hier handelt es sich eben auch um ein Stück historischer Diplomatie oder diplo­matischer Historie. Wie man es nimmt.“397 Auch die polnischen Historiker zeigten sich mit den Ergebnissen der Gespräche nicht restlos zufrieden und betonten deren thesenartigen und lückenhaften Charakter. „Der Text [der Empfehlungen] ist bisweilen inkonsequent und spricht zum Leser nicht nur mit dem, was er enthält, sondern auch mit vielem, was er verschweigt“, gab Tadeusz Jędruszczak zu bedenken.398 Derweil ließ Benedykt Zientara durchblicken, dass er als Fachwissenschaftler Vorbehalte gegen den selbstgewissen Duktus der Thesen hegte: „Die Empfehlungen der Schulbuchkommission haben nur eine Reihe Diskussionsfragen gestellt, die in der Zukunft quellenmäßig geklärt werden sollen.“399 Die Vorbehalte gegen die verabschiedeten Empfehlungen waren indes nicht nur fachwissen­schaftlicher Natur. Auch in der politischen Öffentlichkeit insbe-

396 Rhode, Nach harten Verhandlungen. 397 Jacobsen, Bilanz. 398 So zitiert von Kultusminister Hans Krollmann, Präsident der KMK der Länder, 29. 11. 1977, BAK N 1445/146. 399 Benedykt Zientara, Notizen zu einer Vorlesung über polnische Geschichte während eines Gastsemesters an der Universität Gießen, undatiert [1976], APAN W III-329/116, Bl. 3–7. Hervorhebungen im Original.

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sondere der Bundesrepublik schlug den Zeitgeschichtsthesen flammende Kritik entgegen. Bemängelt wurden die zahlreichen Tabus, die zu Recht dem Bemühen der Kommission zugeschrieben wurden, die UdSSR von jeder Kritik auszunehmen.400 Im Hinblick auf die Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich die Kommission gar dem Vorwurf ausgesetzt, die geschichtliche Wahrheit verfälscht zu haben. Selbst im Bonner Regierungslager wurden die Empfehlungen zunächst mit Skepsis aufgenommen. Während einer Ansprache auf dem Historikerkongress in Hamburg ließ sich der damalige Bundes­kanzler Helmut Schmidt zur Bemerkung hinreißen, die Wissenschaftler der BRD hätten sich bei der Redaktion der Empfehlungen von ihren polnischen Partnern „beschummeln“ lassen.401 Vor dem Hintergrund dieser anhaltenden Kritik sah sich Władysław Markiewicz im Namen der polnischen Delegation 1978 zu einer Erwiderung genötigt: Den letzten sechs Empfehlungen wird direkt vorgeworfen, die geschichtliche Wahrheit bewusst zu fälschen, weil die deutschen Experten dem „Diktat polnischer Marxisten“ nachgegeben hätten. […] Es handelt sich in erster Linie um den Ribbentrop-Molotov-Pakt und die sogenannte vierte Teilung Polens. Wir haben wiederholt erklärt, dass eines der Grundprinzipien unserer gemeinsamen Arbeit die Beachtung des Prinzips der Bilateralität ist. Der Ribbentrop-Molotov-Pakt war eine deutsch-sowjetische Angelegenheit, und ihre Einschätzung für den Schulbuchgebrauch sollte von Experten aus der UdSSR und der BRD vorgenommen werden.402

Hier äußerte Markiewicz ein berechtigtes Argument: Anstatt den polnischen Historikern das halsbrecherische Husarenstück abzuverlangen, in der deutsch-polnischen Schulbuch­kommission den Hitler-Stalin-Pakt zu kritisieren, durfte man doch wohl mit besserem Recht von den politisch freien bundesdeutschen Historikern erwarten, das Thema in der deutsch-sowjetischen Kommission zur Diskussion zu stellen. Im Gegensatz zu ihren polnischen Kollegen hatten sie dafür keinerlei politische Repressionen zu erwarten und riskierten schlimmstenfalls den Abbruch der westdeutsch-sowjetischen Historikergespräche.403

400 Jacobmeyer (Hg.), Diskussion. 401 Markiewicz, Wyniki. Später steuerte Schmidt indes gegen und markierte persönliches Interesse für die weitere Arbeit der SBK. 402 W. Markiewicz, Über die Tätigkeit der gemischten UNESCO-Kommission für Verbes­serung von Schulbüchern in der VR Polen und der Bundesrepublik Deutschland [Vortrag], 29. 11. 1979, BAK N 1445/146. 403 Deutsch-sowjetische Historikertreffen hatten 1973 in Mainz, 1975 in Leningrad und 1977 in München statt­gefunden. Martiny, Osteuropäische Geschichte, S. 708.

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Bilanzierend dürfen wir vermuten, dass die Polen es ihren deutschen Gesprächspartnern zwar insgeheim dankten, dass diese sie nicht mit politischen Tabuthemen aufs Glatteis führten. Andererseits dürfte sich in den Reihen der polnischen Historiker auch eine gewisse Enttäu­schung darüber eingestellt haben, dass die westdeutschen Kollegen gewisse Deutungen, die auch in der polnischen Geschichts­wissenschaft Rückhalt fanden, jedoch nicht dem offiziellen historischen Masternarrativ der Volksrepublik entsprachen, nicht offensiver forciert hatten.

6.3.8 Fortgesetzter Dialog mit langfristigen Nachwirkungen Die unterschwellige Enttäuschung über die wissenschaftlichen Erträge der gemeinsamen Arbeit, welche die Historiker nach der Verabschiedung der Thesen ergriff, erwies sich indes als verfrüht, denn mit dem bescheidenen unmittelbaren Ertrag der Thesenarbeit kontrastierte die langfristige Wirkung der Kommission. In den Jahren nach 1976 bildete sie einen trag­fähigen Aufhängepunkt für eine stete Vertiefung der fachwissenschaftlichen Diskussionen zwischen deutschen und polnischen Historikern und gab zu zahlreichen Folgeinitiativen Anlass. Dass eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt möglich wurde, war keines­wegs selbstverständlich, denn im offiziellen Warschau hatte zunächst die Absicht bestanden, die Kommission nach getaner Schulbucharbeit in ein zwischenstaatliches Kontrollorgan umzuwandeln, das die Einhaltung der vereinbarten Deutungen und Sprach­regelungen sicherstellen sollte.404 Diese Absicht scheiterte daran, dass die Empfehlungen in der Bundesrepublik keinen bindenden Charakter zugesprochen erhielten. Umso beachtlicher scheint es, dass der entgegengesetzte Wunsch der Historiker in Erfüllung ging und die Kommission nach 1976 wenn schon nicht dem Namen nach, so doch in der Sache zu einer „echten“ Historiker­kommission wurde. Die polnischen Historiker hatten dies gegenüber ihren politischen Ansprechpartnern immer wieder gefordert; zur Hilfe kam ihnen schließlich die deutsche Seite, die ihre Zustimmung zu den Zeitgeschichtsthesen auf der achten Konferenz von der Bedingung abhängig machte, unzulänglich bearbeitete Einzelfragen in vertiefenden Folge­konferenzen weiter zu diskutieren.405 Dieser Forderung wurde in der Folge mit jährlichen Themenkonferenzen Rechnung getragen. Solche Spezial­tagungen hatten sich die Historiker bereits

404 W. Markiewicz/M. Wojciechowski, Notatka, Warszawa, 28. 3. 1975, AMSZ 32/82/W-16. 405 S. o., Kap. 6.3.5. und 6.3.6.

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kurz nach dem Beginn der gemeinsamen Arbeit gewünscht;406 damals war sogar bereits eine Liste von Schwerpunkt-Themen ausgearbeitet worden.407 Nach 1976 behandelten die Themenkonferenzen ein breites Spektrum an Fragestellungen, unter anderem die Geschichte der deutsch-polnischen Überlappungsräume Schlesien und Pommern vom Mittel­alter bis in die Neuzeit und die kulturellen Beziehungen zwischen Polen und dem deutsch­sprachigen Raum von der Renaissance über Reformation und Aufklärung bis hin zum Vormärz. Weiter wurden die wirtschafts- und sozial­geschichtlichen Folgen der Industriali­sierung in Deutschland und Polen verglichen und die deutsch-polnischen Beziehungen in der Zwischen­kriegszeit und während des Nationalsozialismus diskutiert. Mehrfach war der Zweite Weltkrieg Gegenstand der Gespräche, auch die deutsche und die polnische Wider­stands­bewegung fanden dabei Beachtung. Mehrere Tagungen galten der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in der Nachkriegszeit. Auf einer Meta­ebene wurde 1982 über die Nationalgeschichte als Problem der Historiographie nachgedacht und 1987 nach dem wissenschaftlichen Ertrag der Kommission gefragt.408 Zu fast allen dieser Themenkonferenzen erschienen Ergebnisbändchen, welche die Inhalte der Beiträge und den Gang der Diskussionen resümierten. Während diese Schriften in der Bundes­ republik meist umgehend publiziert wurden, verschleppte das Posener Westinstitut die Publikation der meisten Bände indes bis in die zweite Hälfte der Acht­zigerjahre, um sie dann in rascher Folge herauszugeben.409 Der Publikationszeitpunkt im Umfeld der Gorbatschow’schen Perestrojka lässt vermuten, dass zuvor politische Vorbehalte bestanden hatten. Dies kann als weiteres Indiz dafür gelesen werden, dass die Schulbuchkommission weiterhin politisch unter Beobachtung stand und vor ideologischer Einflussnahme aus Warschau auch nach 1976 nicht gefeit war. Besonders deutlich wurde dies in Zeiten politischer Spannungen, insbesondere während des polnischen Kriegszustands zu Beginn der Achtzigerjahre. Doch auch in der Bundesrepublik konnte sich die Kommission politischen Bezügen nicht entziehen, galt ihr hier doch weiterhin ein reges Öffentlichkeitsinteresse, das zwar der Popularisierung ihrer Erträge dienlich war, eine wissenschaftliche Diskussion aber in vielerlei Hinsicht erschwerte. Unter diesen Umständen sannen die Historiker beider Seiten

406 G. Rhode an K. Mocker, Staatssekretär im BMV, 3. 4. 1974, BAK N 1445/147; Fünfte deutschpolnische Schulbuchkonferenz, Braunschweig, 1. bis 3. 4. 1974, BAK B336/286. 407 G. Rhode an K. Mocker, 3. 4. 1974. Zustande gekommen war vor 1976 aber nur eine einzige Themenkonferenz zum Deutschen Orden. Ebd. 408 Eine Aufstellung aller bis 1990 behandelten Themen findet sich im Anhang. 409 Instytut Zachodni (Hg.), Katalog.

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darauf, der Schulbuch­kommission ein neues, streng wissenschaftliches und möglichst unpolitisches Gefäß für weitere gemeinsame Gespräche zur Seite zu stellen. Bereits 1975 dachten Zientara, Zernack und Wolfgang Fritze über die Bildung einer solchen „deutsch-polnischen Historiker­kommission“ nach.410 Die deutschpolnischen Verständigungserfolge im Umfeld der KSZE-Schluss­konferenz und die Verabschiedung der Schulbuch­empfehlungen brachten schließlich die notwendige „Klima-Verbesserung“ mit sich, die ab 1978 regelmäßige deutsch-polnische Historikerkonferenzen ermöglichte, die im Dreijahresrhythmus stattfanden – 1978 in Freiburg im Breisgau, 1981 in Thorn und 1984 in Mainz. Für den wissen­ schaftlichen Charakter der Veranstaltungen bürgte die Beteiligung des deutschen und des polnischen Historikerverbandes, behandelt wurden gesellschaftsgeschichtliche Fragen der Neuzeit in deutsch-polnisch vergleichender Perspektive. Aus zwei der drei genannten Veranstaltungen gingen gewichtige Sammelbände hervor, die breite wissenschaftliche Resonanz fanden.411 In diesem Rahmen waren Diskussionen in fachlicher Atmosphäre, ohne geschichtspolitische und pädagogische Rücksichten möglich. Gleichzeitig entfalteten die Schulbuchempfehlungen auch in den Lehrbüchern allmählich ihre Wirkung. Wir haben bereits gesehen, dass die diesbezüglichen Veränderungen im bundes­deutschen Unterricht bereits 1975 auch von polnischer Seite positiv beurteilt wurden.412 Dagegen bestand im Warschauer Bildungsministerium lange Zeit ein deutlicher Widerwille gegen entsprechende Anpassungen. Eine tiefgreifende, wenngleich kurzfristige Wende brachten hier die Liberalisierungs­maßnahmen, welche die Solidarność-Bewegung dem kommunistischen Regime zu Beginn der Achtzigerjahre abrang. Unter den damaligen Bedin­gungen wirkte der Kontakt mit den westdeutschen Historikern auch auf die polnische Geschichtspädagogik zurück – davon jedenfalls zeigten sich die ParteiHardliner rück­blickend überzeugt, nachdem sie der gesellschaftlichen Liberalisierung ein jähes Ende bereitet hatten: Fast alle Lehrpläne für Geschichte, die seit 1981 im Ergebnis der Verhandlungen mit der „Solidarność“ herausgegeben worden seien, enthielten „fehlgeleitete Parolen mit antisowjetischem Charakter“, klagte der Bildungsausschuss des ZK der PVAP 1984. Die Geschichte Volks­polens werde „als endlose Reihe von Fehlern und Verderbnissen dargestellt“. „Was gut

410 B. Zientara an K. Zernack, 30. 4. 1975, APAN-W III-329, Bl. 137. 411 Werner Conze/Gottfried Schramm/Klaus Zernack (Hg.), Modernisierung und nationale Gesellschaft im ausgehenden 18. und 19.  Jahrhundert: Referate einer deutsch-polnischen Historikerkonferenz, Berlin (West) 1979; Marian Biskup/Klaus Zernack (Hg.), Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Parallelen, Verknüpfungen, Vergleiche, Wiesbaden 1983. 412 S. Kap. 6.3.6.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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war für Polen, kam [angeblich] aus dem Westen“. „Am schlimmsten“ sei der neuste, 1984 im Bildungsministerium verabschiedete Lehrplan: Viele Stichwörter dieses Programms wurden aus der Perspektive des sogenannten Universalismus for­muliert, der sich seinem Wesen nach gegen die polnische Staatsräson und die staatsbürgerlich-patriotische Erziehung richtet. […] Bevor es veröffentlicht wird, muss dieses Programm von Stichwörtern gesäubert werden, die uns ideologisch und politisch fremd sind – von kosmopolitischen Parolen, die unter dem Einfluss einer prowestlichen, insbesondere der BRD und den polnischen Oppositionellen im Ausland zuneigenden Historiographie verfasst wurden.413

Hieraus darf gefolgert werden, dass die Empfehlungen der Schulbuchkommission mit einiger Verzögerung schließlich auch die polnische Geschichtspädagogik erreichten und dass die neuen politischen Kräfte, die sich damals unter dem Dach der Solidarność Gehör ver­schafften, ungeachtet des mehrheitlich nationalkonservativen Profils der Bewegung eine weniger nationalistische Sicht auf die Geschichte Polens und der deutsch-polnischen Bezie­hungen pflegten als das Partei-Establishment der PVAP. Freilich suchten die restaurativen Kräfte nach der Machtübernahme Jaruzelskis nicht nur die „pathologischen“ Tendenzen im polnischen Geschichtsdenken auszumerzen,414 sondern auch die tatsächlichen oder vermeintlichen Einfallstore dieser Einflüsse zu verschließen. Ein nahe­ liegendes Ziel dieser Bemühungen war nach der zitierten Befundaufnahme die deutsch-polnische Schulbuchkommission. „In den Jahren 1982/83 […] startete der ‚Parteibeton‘ der kommunistischen Machthaber Polens einen wahren Sturmlauf auf die Gemeinsame Schul­buchkommission“, erinnert sich Markiewicz, der selbst zum ersten Opfer dieser repressiven Politik wurde.415 Zuvor langjähriger Vorsitzender der polnischen Delegation, galt er unter den gegebenen Umständen als zu liberal und musste Antoni Czubiński weichen – ausgerechnet jenem National­ kommunisten, der die Schulbuchkommission auf der vierten Sitzung 1973 an den

413 Uwagi do programów nauczania historii w szkołach podstawowych i ponadpodstawowych (Poufne), Oktober 1984, AAN KC-PZPR/1354/LIX/83. 414 Die Krankheitsmetapher war im offiziellen politischen Diskurs jener Jahre weit verbreitet. So legte die gesellschaftswissenschaftliche Abteilung der PAN zu den damaligen Entwicklungen im polnischen Geistesleben eine Dokumentation u. d. T. „Pathologische gesellschaftliche Erscheinungen 1981–1985“ an. APAN II-73/667/21. 415 Władysław Markiewicz, Der Einfluss der bundesdeutschen „Ostpolitik“ auf die Haltung und die Vereinbarungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission, in: Rocznik Polsko-Niemiec­ ki/Deutsch-Polnisches Jahrbuch 13 (2005), S. 193–202, hier S. 199.

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Rand des Scheiterns geführt hatte.416 Die damit verbundenen Befürch­tungen der deutschen Seite blieben aber weitgehend unbegründet, denn Czubiński bemühte sich in seiner neuen Funktion um einen gemäßigten Kurs. „[W]eder gelang es, die Arbeit der Kommission zu torpedieren, noch ihre Autorität und Glaubwürdigkeit zu untergraben“, urteilte der abgesetzte Markiewicz rückblickend nicht ohne Genugtuung.417 Zwar blieb die Kommission auch in den folgenden Jahren den Schwankungen der politischen Konjunktur unterworfen418, konnte ihre Arbeit aber dennoch ununter­brochen fortsetzen. Deutlich traten die Früchte der deutsch-polnischen Historikerverständigung schließlich auch auf internationaler Ebene hervor. Hatten die Historikerkongresse des CISH in früheren Dekaden meist den Schauplatz verhaltener, aber grundsätz­ licher Auseinandersetzungen zwischen den beiden Delegationen gebildet, so wurde die weltweite Wissenschaftlergemeinde nun Zeugin eines neuen Einverständnisses zwischen den früheren Streithähnen. Auf dem Bukarester Kongress von 1980 kam es nicht nur zu fruchtbaren deutsch-polnischen Diskussionen,419 sondern gar zu offenen Solidaritätsbekundungen zwischen beiden Seiten – etwa, als Marian Biskup Klaus Zernacks Ausführungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelalter gegen die Kritik sowjetischer Wissenschaftler verteidigte und darauf hinwies, dass es sich bei den dargestellten Zusammenhängen um die gemeinschaftlich erarbei­teten Deutungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission handle.420 In ähnlicher Weise betonte Jerzy Topolski im Anschluss an den Stuttgarter Kongress von 1985 gegenüber der Partei das Fehlen revisionistischer Akzente in den Beiträgen der deutschen Teilnehmer und die weitgehende deutsch-polnische Übereinstimmung in den Grundfragen der gemein­ samen Beziehungs­geschichte, die er der Schulbuchkommission zugute schrieb.421

416 S. o., Kap. 6.3.5. 417 Markiewicz, Einfluss, S. 199. 418 Davon zeugten bis in die späten Achtzigerjahre immer wieder vereinzelte engstirnige Beiträge – etwa wenn Tomala 1987 seinen Auftritt nutzte, um in dogmatischen Worten die völkerrechtlichen Ansprüche Polens auf die Grenze an Oder und Neiße zu betonen. Mieczysław Tomala, Die Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland in der polnischen Historiographie 1949–1975, in: Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Zum wissenschaftlichen Ertrag der deutschpolnischen Schulbuchkonferenzen 1972–1987, Braunschweig 1987, S. 131–142. 419 Olszewski, Deutsche Historiographie aus polnischer Sicht, S. 289. 420 Klaus Zernack, Zu den deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelalter, in: Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Zum wissenschaftlichen Ertrag der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen der Historiker 1972–1987, Braunschweig 1988, S. 19–27, hier S. 24. 421 Jerzy Topolski, Sprawozdanie z udziału polskich uczestników w XVI Międzynarodowym Kongresie Nauk Historycznych w Stuttgarcie 2 sierpnia–1 września 1985, AAN KC-PZPR/1354/ LVIII/517, S. 5–12.

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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In Anbetracht ihrer langjährigen Leistungsbilanz erstaunt es nicht, dass die Gemeinsame Schulbuchkommission auch den Niedergang der Volksrepublik Polen überdauerte und die Historiker des wiedervereinigten Deutschland und der dritten polnischen Republik bis heute verbindet. Über 400 Historiker, Geographen, Pädagogen und Journalisten haben im Laufe dreier Jahrzehnte an ihren Sitzungen teilgenommen.422

6.3.9 Bilanzierende Thesen Was für die Gesamtheit der deutsch-polnischen Beziehungshistoriographie gilt, trifft auf die Schulbuch­kommission in besonderem Maße zu: Sie operierte im Wirkungsbereich nationaler Meister­erzählungen, die Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verwoben und dabei die Historie ebenso politisierten, wie sie die Politik historisierten. Mehr als in jedem anderen Rahmen verdichtete sich in der Schulbuch­kommission, die von Anfang an als Bestandteil der gegenseitigen Beziehungspolitik konzipiert war und auf volks­pädagogische Breitenwirkung zielte, dieses komplizierte Geflecht von kritischer Geschichts­wissenschaft und affirmativer Geschichtspolitik. Aus akademischer Warte zog der Zwang zur unterrichts­gerechten Aufbereitung zweifellos eine gewisse Verflachung und Vergröberung der wissenschaftlichen Diskussion nach sich. In umgekehrter Blickrichtung gab die Schulbuchkommission hingegen den Anstoß, holzschnittartig von nationalen Gegensätzen geprägte Sichtweisen auf den Prüfstand zu stellen, die sich in den Fachhistoriographien beider Länder zwar weitgehend überlebt hatten, die Geschichtspädagogik aber immer noch prägten. Als politisches Unterfangen war die Kommission das Kind einer durch Koexistenzpolitik gemil­derten Blockkonfrontation. Als solches wurde sie zum Schauplatz eines austarierten Spiels grundsätzlicher Auseinandersetzungen und pragmatischer Verständigungsbemühungen, und als solches waren ihren Fragestellungen und Deutungen klare Grenzen und bisweilen auch erkennbare geschichtspolitische Funktionen zugewiesen. Als wissenschaftliches Unterfangen bildete die Kommission Ergebnis und Fortsetzung einer jahrzehntelangen Fachdiskussion im nationalen, bilateralen und internationalen Rahmen. Auf dieser Ebene konnte sie von Entwicklungen profitieren, die seit den späten Fünfziger­jahren beide Historiographien tiefgreifend verändert hatten, insbesondere einem zügigen Ausbau der Forschungsressourcen, der die wissenschaftlich gesicherte Faktenbasis erheblich erweitert und dadurch das Vetorecht der

422 Markiewicz, Einfluss, hier S. 199 f.

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 6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland

Quellen gegen willkürliche Interpretationen gestärkt hatte, sowie einer gewissen – keineswegs vollständigen! – Relativierung nationaler Sichtweisen zugunsten gesamteuropäisch vergleichender sozial-, verfassungs- und kulturgeschicht­licher Fragestellungen. Zustatten kam der Verständigung auch die beachtliche, von ideologischen Befangenheiten kaum getrübte methodische Flexibilität der polnischen Historiker, die sich wohltuend vom Rigorismus anderer im staatssozialistischen Kontext operierender Historiographien – insbesondere der ostdeutschen – abhob und oftmals eine wesentlich differenziertere Sicht auf die historischen Zusammenhänge gestattete. Ungeachtet ihrer pädagogischen Zweckbestimmung dominierten in der Schulbuch­kommission von Anfang an die Historiker, denen vor allem der fachwissen­schaftliche Dialog am Herzen lag. Aus ihrer Sicht stellten die gemeinsam erarbeiteten Thesen nur ein interpretatorisches Raster dar, in dem die Konver­genzen und Divergenzen zwischen deutschen und polnischen Auffassungen eingeordnet und systematisiert werden konnten. Darüber hinaus drängten die Fachwissenschaftler schon früh auf vertiefende Diskussionen. Diesem Wunsch wurde nach 1976 mit regelmäßigen Themenkonferenzen Genüge getan, ab 1978 auch mit größeren deutsch-polnischen Konferenzen im Rahmen der Historikerverbände beider Länder. Aus fachlicher Perspektive mag man die Verquickung politischer und wissenschaftlicher Motive, welche die Kommissionsarbeit prägten, bedauern – unter den gegebenen Bedingun­gen war sie jedoch alternativlos: In Anbetracht der traumatischen Kriegs­vergangenheit, die zu Beginn der Siebzigerjahre immer noch weitgehend unbereinigt auf den deutsch-polnischen Beziehungen lastete, und im Kontext des Blockgegensatzes, der alle Bereiche des politischen und geistigen Lebens durchdrang und miteinander verwob, war eine historiographische Verstän­digung über die deutsch-polnische Vergangenheit ohne eine begleitende Bereinigung der politischen Beziehungen zwischen beiden Staaten schlicht unmöglich. Gleichzeitig konnte eine politische Verständigung in der Gegenwart nur dann glaubwürdig sein, wenn sie sich auch um Klärung der konfliktreichen Vergangenheit bemühte. In diesem Zusammenhang sollten die politischen Kräfte, die in der Kommission am Werk waren, auch nicht ausschließ­lich als exogene Einflüsse verstanden werden – vielmehr hatten die Historiker beider Seiten zahlreiche politische Urteile verinnerlicht, was sich im patriotischen Bekenntnis der deutschen Historiker zur Bundesrepublik ebenso offenbarte wie in der affektiven Beurteilung des deutschen Ordens insbesondere durch die polnischen Historiker. Vor allem aber war das Verständigungsanliegen selbst, das der Kommissionsarbeit zugrunde lag, ein im Kern politisches. Zwar scheinen die Klagen konservativer Kreise in der Bundesrepublik, wonach die Schulbuch­kommission eine politisch erwünschte Verständigung zum Schaden der histo­ rischen Wahrheit herbeigeführt habe,

6.3 Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission 

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übertrieben. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich zahlreiche Mitglieder der deutschen Kommissionsdelegation ganz unmittelbar mit der Brandt’schen Ostpolitik identifizierten. Die Möglichkeiten und Grenzen der deutsch-polnischen Vergangenheitsdiskussion lassen sich durch die Unterscheidung von Konsens-, Dissens- und Tabu-Themen veranschaulichen. Die Gruppe der Ersteren führte zweifellos der Nationalsozialismus an. Die Einhelligkeit der deutschen und der polnischen Urteile zu diesem Themenkomplex funktionierte als wichtiger Türöffner der historiographischen Verständigung zwischen beiden Seiten. Ermöglicht wurde sie einerseits durch die langsam gereifte Bereitschaft der deutschen Historiker, den Gegen­stand weitgehend ohne falsche patriotische Hemmungen anzugehen, andererseits durch die Abkehr der polnischen Historiographie von einer Sichtweise, die den ‚Hitlerismus‘ als quintessentiellen Kulminationspunkt deutscher Geschichte betrachtet hatte. Dissensthemen bildeten zum einen der Deutsche Orden, der zum Erstaunen aller Beteiligten derart mit nationalen Mythen überkrustet war, dass sich auch die Fachhistoriker schwer taten, historisch gesicherte Erkenntnisse von affektiven Urteilen zu trennen; zum anderen die Zeit­geschichte, die durch tagesaktuelle Bezüge vielfach politisch aufgeladen war und nur unter größten Mühen zu einem Formelkompromiss geführt werden konnte. Den Kreis der Tabu-Themen definierten schließlich die politischen Empfindlich­keiten der Volksrepublik Polen und – wichtiger noch – der Sowjetunion. Paradebeispiel dieser Kategorie war der Hitler-Stalin-Pakt und sein geheimes Zusatzprotokoll, welches die vierte Teilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion geregelt hatte. Schließlich ist das kurzfristige Ergebnis der 1976 verabschiedeten Schulbuch­ empfehlungen von den langfristigen Konsequenzen der Kommissionsarbeit zu unterscheiden. In dieser Hinsicht lässt sich die Arbeit der Schulbuch­kommission von 1972 bis 1976 rückblickend vielleicht am besten als KSZE der Historiker deuten, zumal sie mit dem Helsinki-Prozess zeitlich weitgehend zusammenfiel. Die unmittel­baren Ergebnisse dieser beiden blocküber­greifenden Gesprächsinitiativen suggerierten zunächst einen Punktesieg der sozialistischen Staaten: In Helsinki war es den Repräsentanten des Warschauer Pakts gelungen, sich mit scheinbar wenig bedeutsamen Lippenbekennt­nissen zu demokratischen Grundprinzipien die faktische Anerkennung der europäischen Nachkriegsordnung und ihrer territorialen und politischen Implikationen zu erkaufen, und während die deutsch-polnische Schulbuch­kommission den Warschauer Autoritäten zwar die grundsätzliche Bereitschaft zum historio­graphischen Diskurs mit der Bundesrepublik abverlangt hatte, integrierte die erzielte Einigung letztlich zahlreiche Desiderate des offiziellen Warschau, ohne die national­kommunistische Meistererzählung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte irreparabel zu demon-

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 6 Verspätete Verständigung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland

tieren. In ihren lang­fristigen Konsequenzen schwächten aber beide Foren die autoritären Systeme des Ostblocks:423 Im Falle der KSZE-Schlussakte geschah dies umfassend in Bezug auf die Frei­heitsrechte der Gesamtgesellschaft, die von einer anschwellenden Oppositions- und Bürger­rechts­bewegung unter Berufung auf die Vereinbarungen von Helsinki mit zunehmendem Selbstbewusstsein eingefordert wurden. Im Falle der Schulbuchkommission erfolgte es spezifisch im Hinblick auf die Diskursspielräume der Historiker und den Gültigkeitsanspruch der nationalkommunistischen historischen Meistererzählung – hatte doch bereits die grund­sätzliche Bereitschaft zum Geschichtsdialog mit der bundesdeutschen Seite die Unhinter­fragbarkeit des offiziellen volkspolnischen Geschichtsnarrativs außer Kraft gesetzt und den Weg zu seiner Revision geöffnet, den polnische und deutsche Historiker in den folgenden Jahren vorsichtig, aber zielstrebig gemeinsam beschritten.

423 In diesem Zusammenhang war es langfristig betrachtet nicht ohne Ironie, dass sich die polnische Staats­führung die SBK bei den KSZE-Gesprächen ausdrücklich als „Haben“ zugute hielt: Bereits im September 1973 teilte Gierłowski vom MSZ zur Unterrichtung des AA mit, dass Polen die SBK auf der bevorstehenden KSZE-Konferenz lobend erwähnen wolle und ähnliche Bekundungen der BRD erhoffe. G. Eckert an Holzheimer, 27. 9. 1973, PAAA B 93/1934 [= Zwischenarchiv 104318].

Schlussbetrachtungen Die „wissenschaftlich gemeinten Interpretationen des Geschichtsprozesses“ hätten sich in Mittelosteuropa „oft genug nur als Reflexe der eigenen Gegenwart oder als Zerrbilder im Dienst einer politischen Zukunft“ erwiesen, hielt ein konsternierter Herbert Ludat 1954 fest.1 Seine Feststellung kann auch über sechzig Jahre später noch den Ausgangspunkt dieser Schlussfolgerungen bilden. Getätigt auf der Talsohle der deutsch-polnischen Historikerbeziehungen, hat sie sowohl für die vorangehenden Jahre der Entfremdung wie auch für die folgende Epoche der Wiederannäherung ihre Relevanz. Dabei lässt sich das Diktum zunächst als Allgemeinplatz begreifen, der mehr oder minder ausgeprägt auf jede Historiographie zutrifft – kann sich die Interpretation der Vergangenheit doch niemals den Interessen der Gegenwart entziehen und ist somit auch immer darauf gerichtet, Voraussetzungen für die Gestaltung der Zukunft zu klären. Gleichzeitig trifft Ludats Bemerkung auf den deutschpolnischen Fall, auf den sie auch gemünzt ist, jedoch in besonderer Weise zu. Kaum irgendwo standen Historiker im 20. Jahrhundert unmittelbarer unter dem Eindruck zwischenstaatlicher Umwälzungen von weltpolitischer Tragweite. Unter diesen Umständen offenbarte sich die Beschäftigung mit der bilateralen Beziehungsgeschichte, auch in ihrer wissenschaftlichen Ausprägung, besonders deutlich als gegenwartsbestimmt. Greifbar wurde dies im innerstaatlichen Wechselspiel zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik ebenso im grenzüberschreitenden Verhältnis zwischen deutscher und polnischer Historiographie. Die vorliegende Untersuchung ist beiden Dimensionen nachgegangen und hat dabei ein Geflecht von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen zutage gefördert: Wissenschaft und Politik verbanden bisweilen gemeinsame Ziele, sie funktionierten aber nach unterschiedlichen Zweckrationalitäten. Derweil teilten deutsche und polnische Historiker einen gemeinsamen Gegenstand und bisweilen auch gemeinsame Paradigmen, zogen daraus aber oftmals gegensätzliche Schlüsse und Wertungen. Die folgenden Ausführungen resümieren, wie dieses Spiel von Ähnlichkeiten, Komplementaritäten und Inkompatibilitäten in beiden Dimensionen funktionierte, und nehmen zu diesem Zweck die in der Einleitung erläuterten Schlüsselbegriffe nochmals auf. Dass sich der Blick dabei jeweils zunächst auf den nationalen Rahmen richtet, um anschließend auf das bilaterale Verhältnis zu fokussieren, kann als Rangfolge der beiden Aspekte verstanden werden und bringt die Erkenntnis zum Ausdruck, dass der nationale Rahmen in vielerlei Hin-

1 Ludat, Osten, S. 7.

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 Schlussbetrachtungen

sicht die Voraussetzung für die bilateralen Historikerbeziehungen bildete und letztlich den wichtigeren, da meist zugänglicheren und oft auch zudringlicheren Bezugsrahmen und Resonanzboden der Beziehungshistoriker darstellte. Diese Einsicht in die starke nationale Gebundenheit der Geschichtswissenschaften kann als erstes Ergebnis der vorliegenden Studie gelten. Einleitend wurde das Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik idealtypisch mit dem Gegensatz zwischen Objektivität und Parteilichkeit identifiziert. Im Verlauf der Untersuchung ist deutlich geworden, dass die so definierten Spielarten der Geschichte keinesfalls mit den Berufsfeldern der Historiker und der Politiker gleichgesetzt werden dürfen. Vielmehr stellte sich auch die akademisch verfasste Historiographie über weite Strecken in den Dienst parteiischer – zumeist nationaler – Sinnstiftung. Diese politisch engagierte Geschichtsschreibung kulminierte in der deutschen Ostforschung und der polnischen Westforschung, deren Hoch-Zeit auf die Dreißiger- bis Fünfzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts fiel. Beide Richtungen ergriffen dezidiert für nationale Interessen Partei und pflegten im Dienste territorialer Ansprüche Sichtweisen, die auf die Leistungen und Ansprüche des eigenen Volkes in der Vergangenheit fokussierten und die Gegenseite lediglich als negativen Einflussfaktor der eigenen Nationalgeschichte wahrnahmen. Daraus resultierte eine bewusste Einseitigkeit der Forschung, die nicht nur Deutungsmuster und Werturteile bestimmte, sondern ganz maßgeblich auch bereits die Themenwahl präjudizierte. Parteilichkeit kam demnach weniger durch Geschichtsfälschung im Sinne bewusster Fehldeutungen zustande – der Verzicht darauf kann als Zugeständnis an Minimalstandards wissenschaftlicher Objektivität verstanden werden –, sondern vielmehr durch einseitige Auswahl, Hierarchisierung und narrative Verknüpfung historischen „Faktenmaterials“.2 Ihre ideologische Verengung suchten deutsche Ost- wie polnische Westforscher durch methodische Breite wettzumachen. Dazu wurden Anleihen bei den Nachbarwissenschaften – Geographie, Soziologie, Anthropologie etc. – getätigt, wobei eine weit verstandene Geschichtswissenschaft in aller Regel Leitdisziplin blieb. In dieser Breite manifestierte sich nicht zuletzt der Versuch, den unerbittlichen und oft nur in mühevoller Kleinarbeit zu befriedigenden Anforderungen etablierter Fachstandards durch die Flucht in den fachlichen Eklektizismus zu entkommen. Im Ergebnis entstanden Patchwork-Argumentationen, in denen

2 Bezeichnend für diese Praxis der Teilwahrheit sind Fälle, in denen Ostforscher und Westforscher Arbeiten aus ihren eigenen Reihen ablehnten, nicht weil sie wissenschaftlich falsifizierbare, sondern weil sie politisch inopportune Aussagen enthielten. Umgekehrt stießen jedoch auch politisch noch so erwünschte Aussagen in der Regel auf Ablehnung, wenn sie sich als wissenschaftlich unhaltbar erwiesen.

 Schlussbetrachtungen 

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Erkenntnisdefizite – oder besser: das Fehlen erwünschter Aussagen – durch passende Ergebnisse aus benachbarten Fächern wettgemacht wurden. Nebeneffekt war ein methodisches Verwirrspiel, das die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der erbrachten Forschungsergebnisse erschwerte. Dominierte bis 1945 auf beiden Seiten die nationalistische Parteilichkeit, so gesellte sich in der Folge im sowjetischen Einflussbereich eine zweite Form hinzu: die sozialistische beziehungsweise marxistisch-leninistische. In der Volksrepublik Polen und insbesondere in der DDR wurde Parteilichkeit zugunsten der progressiven Klassen und gegen die reaktionären Geschichtskräfte von den politischen Machthabern offen deklariert und den Historikern nachdrücklich abgefordert. Dem Internationalismus zeigte sich dieser Sozialismus indes nur dort verpflichtet, wo es blockpolitisch geboten war – namentlich im Bezug auf die ostdeutsch-polnischen Beziehungen. Daneben pflegten die Machthaber in Ostberlin und Warschau eine durchaus nationalbewusste Selbstdarstellung, wobei sie bestrebt waren, die sozialistische Parteilichkeit so weit als möglich mit der nationalistischen zu versöhnen. Dazu wurde nachdrücklich und oft erstaunlich grobschlächtig auf die progressiven Traditionen der eigenen Nation verwiesen und eine weitgehende Deckungsgleichheit sozialer und nationaler Aspirationen behauptet. In der ostdeutsch-polnischen Historikerkommission zeigte sich, dass dieses Gemisch von nationalistischer und sozialistischer Parteilichkeit einer Verständigung wenig bekömmlich war. Vielmehr führte es zu einer unbefriedigenden Doppelbödigkeit, die auf der Ebene offiziöser Verlautbarungen die Parolen der Klassensolidarität feilbot, während jede in die Tiefe zielende geschichtswissenschaftliche Verständigung zwischen Deutschen und Polen an den nationalen Befangenheiten beider Seiten scheiterte.3 Den Objektivitätsanspruch der Geschichtswissenschaft angesichts solch offensichtlicher Parteilichkeiten als reine Fiktion zu verwerfen, scheint naheliegend, erweist sich angesichts des weiteren Verlaufs der Untersuchung aber als voreilig. Denn wo es deutschen und polnischen Historikern in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gelang, aus dem unmittelbaren Bannkreis politischer Anliegen hinauszutreten, ist eine merkliche Zügelung der Parteilichkeit zu verzeichnen. Angetrieben wurde dieser Prozess vom wissenschaftlichen Meinungsstreit, also vom innerfachlichen Kräftemessen konkurrierender Deutungsansätze. In geringerem Maße ließ sich dieser Wettstreit bereits in der Zwischenkriegszeit beob-

3 Jenseits dieser Beobachtung darf freilich bezweifelt werden, dass eine konsequent sozialistische Parteilichkeit der deutsch-polnischen Verständigung bessere Dienste geleistet hätte – wäre die nationalistische Sichtweise letztlich doch nur durch einen Klassenstandpunkt ersetzt worden und die bestehende Parteilichkeit mithin nicht überwunden, sondern lediglich gegen eine andere eingetauscht worden.

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 Schlussbetrachtungen

achten, wenn deutsche Ostforscher und polnische Westforscher ihre Auffassungen und Erkenntnisse über den Kreis der Gleichgesinnten hinaus zu verbreiten suchten – sei es vor dem Plenum der internationalen scientific community wie auf dem internationalen Historikertag in Warschau 1933, sei es im bilateralen Rahmen der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche von 1937/1938. Solange dieser Meinungsstreit funktionierte, barg er das Potential, ungenügend begründete Annahmen auszusondern und einseitige Sichtweisen zu ergänzen, wodurch zugleich auch ein Bestand an historischen Sachverhalten angesammelt wurde, die der Überprüfung aus unterschiedlichen Blickwinkeln standhielten. Darin lag durchaus ein gewisses Verständigungspotential, das ansatzweise bereits in den 1930er Jahren zutage trat. Allerdings erfasste dieser Objektivierungsprozess naheliegenderweise zunächst Aussagen über kleinteilige historische Sachverhalte; erwies sich doch eine umfassende Verifizierung oder Falsifizierung größerer Deutungszusammenhänge als ausgesprochen arbeitsund zeitintensiv. Hinzu kam, dass die siedlungsgeschichtlichen und kulturmorphologischen Ansätze der Ost- und Westforschung in den Dreißigerjahren neuartige Hypothesen formulierten, deren forschende Bestätigung oder Widerlegung damals noch ganz am Anfang stand. Als entscheidende Bremse für den Prozess der wissenschaftlichen Objektivierung erwies sich aber vor allem der Umstand, dass sich die wissenschaftliche Deutungskonkurrenz zu Fragen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte von den Dreißiger- bis in die Fünfzigerjahre als weitestgehend dysfunktional erwies: Auf nationaler Ebene hatten sich die deutschen Ostforscher in Dahlem und später in Marburg sowie ihre polnischen Kollegen in Posen und Thorn mit politischer Rückendeckung die Deutungshoheit über das Feld der Beziehungsgeschichte gesichert und hielten es in der Folge fast unangefochten besetzt. Gleichzeitig waren die Kommunikationskanäle des deutsch-polnischen Historikerdialogs in den Kriegs- und frühen Nachkriegsjahren von einem hohen Pegel ideologischer Störgeräusche erfüllt, der es nahezu unmöglich machte, wissenschaftliche Argumente herauszufiltern. Unter diesen Umständen sahen Ostund Westforscher ihr Deutungsmonopol nur selten herausgefordert, und damit hielten sich auch die Ansprüche an die wissenschaftliche Güte der vorgebrachten Argumente in Grenzen. Dies änderte sich im Zeichen einer belebten wissenschaftlichen Deutungskonkurrenz seit den späten Fünfzigerjahren. Dazu trug erstens der Umstand bei, dass das Volumen der einschlägigen wissenschaftlichen Produktion in Westdeutschland, in Polen und auf internationaler Ebene merklich zunahm.4 Zwei-

4 Außerhalb Polens und der beiden deutschen Staaten intensivierte sich die Forschung insbesondere in den angelsächsischen Ländern und in Frankreich, wofür einerseits exilpolnische

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tens wurden die Kanäle der bilateralen und internationalen Fachkommunikation nach dem Ende des Stalinismus und im Zuge der abklingenden Blockkonfrontation wieder einigermaßen funktionstauglich. Daraus resultierte zunächst ein neubelebter Widerstreit nationaler Positionen, in dessen Zuge sich beide Seiten jedoch in erhöhtem Maße genötigt sahen, ihre Auffassungen nachvollziehbar herzuleiten. In die Sprache der Theorie übersetzt, stiegen die Anforderungen an Begründungs- und Konstruktionsobjektivität. Gleichzeitig waren erste Bemühungen um Konsensobjektivität zu verzeichnen, die 1956 bezeichnenderweise noch von außen, in Gestalt der Schulbuchthesen von Enno Meyer, an das Fach herangetragen wurden. Wesentlich zustatten kam diesem Objektivierungsprozess der Umstand, dass die Beziehungshistoriographie sich allmählich aus der selbstgewählten intellektuellen Isolierung in politiknahen Forschungseinrichtungen befreite und breitere Einbettung in die universitäre Forschung fand. Damit löste sie sich nach und nach aus dem engführenden Deutschtums- bzw. Polonitätsbezug und fand Anschluss an die paradigmatischen Entwicklungen der historischen Gesamtdisziplin, die sich in jenen Jahren zunehmend von nationalgeschichtlichen Sichtweisen abwandte und Fragestellungen in Angriff nahm, die übernational vergleichende Perspektiven eröffneten. Die in diesem Prozess wirksamen wissenschaftlichen Operationen lassen sich erstens als Prozess der Verifizierung und Falsifizierung, zweitens der Kontextualisierung beschreiben. Anwendung fanden sie in Polen vor allem im Zuge umfangreicher regionalgeschichtlicher, insbesondere mediävistischer Forschungen zu den neuen Westgebieten; hinzu kamen zeitgeschichtliche Untersuchungen zur Besatzungszeit. In der Bundesrepublik ergaben sich neue Erkenntnisse zu deutsch-polnischen Fragen nicht zuletzt als Beiprodukt der Forschung zur deutschen Geschichte. Wichtige Impulse gingen dabei insbesondere von der mittelalterlichen und von der Zeitgeschichte aus. Im Ergebnis dieser Forschungen mussten zahlreiche einseitige Deutungsmuster verworfen oder angepasst werden: Von der Prähistorie bis in die mittelalterliche Geschichte entpuppten sich die diversen Thesen von der Uransässigkeit, der ungebrochenen Siedlungskontinuität oder der ‚Wiederbesiedlung‘ alten ‚Volksbodens‘ durch die jeweils eigene Nationalität als schillernde, dem Nationalbewusstseins des 19.  Jahrhunderts entsprungene Chimären, und was früheren Historikern als deutsch-polnisches ‚Kulturgefälle‘ erschienen war, erwies sich als Teil größerer, gesamteuropäischer Zivilisationsprozesse, deren Urheberschaft sich in den seltensten Fällen für Deutschland beanspruchen ließ. Umgekehrt erschien freilich auch der deutsche ‚Drang nach Osten‘ vom Deutschen Orden bis zu den polnischen Teilungen als

Wissenschaftler, andererseits das gesteigerte Interesse an Osteuropa im Zeichen des Kalten Krieges verantwortlich waren.

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 Schlussbetrachtungen

Ausdruck europäischer Machtpolitik, der besser aus den politikgeschichtlichen Zusammenhängen der jeweiligen Epoche zu erklären war als aus völkerpsychologischen Annahmen über den besonders räuberischen Charakter der Deutschen. Noch grundsätzlichere Relativierungen und Kontextualisierungen ergaben sich in der Zeitgeschichte: Richtete sich das Interesse der bundesdeutschen Forschung zunächst einseitig auf das Opferschicksal des deutschen Volkes, das nicht nur unter Hitler gelitten habe, sondern im Zuge der Vertreibungen bei Kriegsende auch zum Opfer seiner östlichen Nachbarvölker geworden sei, so ebnete bereits die Dokumentation der Vertreibungen einem Perspektivwechsel hin zur Täterrolle breiter Kreise der deutschen Bevölkerung den Weg, der sich seit den Sechzigerjahren umfassend Bahn brach.5 Gleichzeitig wandte sich die polnische Geschichtswissenschaft von der Annahme einer grundsätzlichen Negativität der deutschen Geschichte ab und ging dazu über, den Nationalsozialismus als Phänomen der Moderne im gesamteuropäischen Kontext zu deuten. Unter diesen Umständen büßten die Paradigmen der Ost- und Westforscher ihren Führungsanspruch zusehends ein. Es kam zu einer überfälligen Horizont­ erweiterung, deren offensichtlichster Beleg darin zu erblicken ist, dass in den Sech­­ ziger- und Siebziger­jahren beidseits der Grenze erstmals Versuche unternommen wurden, die Geschichte des Nachbarlandes synthetisch darzustellen und mithin nach ihrer Eigengesetzlichkeit zu fragen.6 Seine Fortsetzung fand dieser Prozess in Fragestellungen mit gesamteuropäisch-vergleichender Perspektive. Kaum beobachten lassen sich entsprechende Objektivierungstendenzen hingegen in der DDR. Das lag nicht nur am besonders doktrinären Charakter der ostdeut­ schen Geschichtspolitik, sondern auch daran, dass wiederholte personelle und institutionelle Eingriffe die Osteuropaforschung hier immer wieder in ihrer Entwicklung hinderten, ja gar zurückwarfen. Aus dieser vergleichenden Sicht ergibt sich der Schluss, dass ein Prozess der Objektivierung nur unter den Bedingungen einer kumulativen Forschung möglich wurde. Unabdingbare Voraussetzung hierfür war eine kontinuierliche Fachentwicklung, die sich mindestens in Teilbereichen den Einflüssen und Ansprüchen der außerwissenschaftlichen Sphäre entziehen und einer inneren Fachlogik folgen

5 Problematisch blieb, dass Polen in diesen Studien weiterhin vorwiegend passives Objekt historischer Prozesse blieb und aus deutscher Warte kaum als deren handelndes Subjekt wahrgenommen wurde. 6 Dass diese Aufgabe in beiden Ländern ganz unterschiedlich angegangen wurde – in der Bundesrepublik auf Initiative Einzelner, woraus einige kompakte Darstellungen hervorgingen, in der Volksrepublik Polen als großangelegtes Kollektivprojekt, das jedoch keinen Abschluss fand – verweist auf den gänzlich unterschiedlichen Stellenwert des jeweiligen Nachbarn für das nationale historische Bewusstsein.

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konnte. Ebenso wichtig wie diese Abgrenzung von der politisch-gesellschaftlichen Sphäre war als zweite Bedingung die Vernetzung mit der breiteren Fachöffentlichkeit im In- und Ausland, aus der sich erst ein Pluralismus der Deutungen und damit eine funktionierende Meinungskonkurrenz ergeben konnte. Die Abkehr von der Parteilichkeit war freilich nur in dem Maße möglich, wie sie auch die jeweilige nationale Geschichtspolitik zuließ. In Polen waren die diesbezüglichen Spielräume fraglos geringer als in der Bundesrepublik – nicht nur, weil dort ein autoritäres System gebot, sondern auch, weil die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte in Polen in weitaus höherem Maße zur nationalen Identitätsstiftung beitrug als in der Bundesrepublik. Wenn sich die polnischen Historiker allmählich dennoch gewisse Spielräume verschaffen konnten, so lag dies zum einen daran, dass sich die Staats- und Parteimacht als erstaunlich polyzentrisch erwies, was den Historikern ein taktisches Lavieren zwischen widersprüchlichen, bald stärker nationalistischen, bald stärker internationalistisch geprägten Parteilichkeiten ermöglichte. Zum anderen setzte sich die polnische Geschichtspolitik, wo sie nicht nur der Selbstvergewisserung nach innen, sondern auch der Überzeugungsarbeit nach außen diente, ganz ähnlich wie die Geschichtswissenschaft dem Wettstreit konkurrierender Deutungen aus. Den Historikern gab dieser Umstand die Möglichkeit an die Hand, Forderungen politischer Akteure nach parteilichen Darstellungen mit der Begründung abzulehnen, dass darunter auch die politische Verwertbarkeit der Argumente leide. Folglich wurde zunächst im Hinblick auf die Schulbuchkommission argumentiert, das hohe Ziel der Völkerverständigung dürfe nicht durch nationale Borniertheit gefährdet werden, sodann bald auch im Hinblick auf die gesamte Geschichtswissenschaft geltend gemacht, diese könne sich nicht auf eine orthodoxe nationalkommunistische Sichtweise beschränken, wenn sie im Deutungswettbewerb mit der exilpolnischen, angelsächsischen und bundesdeutschen Forschung ihre Glaubwürdigkeit im In- und Ausland wahren wolle. Grundsätzlich größere Freiheiten als ihre polnische Schwester genoss die bundesdeutsche Forschung. Unter den Bedingungen des demokratischen Verfassungsstaats konnten staatliche Akteure geschichtspolitisches Engagement bestenfalls von politiknahen Forschungsreinrichtungen einfordern – die sich dann bisweilen ebenfalls in das Glaubwürdigkeitsargument flüchten mussten, um politische Einmischungen abzuwenden. Dies galt zunächst für das HerderInstitut, das den Wunsch der Bonner Ministerien nach Mitspracherechten in Forschungsfragen mit dem Hinweis parierte, dass ein solcher Schritt das wissenschaftliche Renommee des Hauses und damit auch die revisionspolitische Verwertbarkeit seiner Schriften aufs Spiel setzen würde. In den Siebzigerjahren widersetzte sich dann auch die deutsche Delegation der Schulbuchkommission den Beeinflussungsversuchen aus dem Auswärtigen Amt mit dem Argument,

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 Schlussbetrachtungen

dass eine Weisungsgebundenheit der deutschen Historiker die Gespräche aus der wissenschaftlichen in die politische Sphäre verlagern und damit genau jene grundsätzliche Verständigung über die gemeinsame Vergangenheit untergraben würde, auf deren Nährboden die politische Normalisierung der bilateralen Beziehungen doch erst gedeihen sollte. Überzogen wäre bei alledem die These, dass lediglich politische Einmischungen für die zähen Rückzugsgefechte der parteilichen Historiographie verantwortlich zu machen seien. Vielmehr konnten sich auch die schlachterprobten Beziehungshistoriker selbst nur allmählich daran gewöhnen, objektivitätsverbürgenden Forschungspraktiken uneingeschränkte Priorität einzuräumen. Das vertrackte Verhältnis von Objektivität und Parteilichkeit veranschaulicht ein Zitat Gerard Labudas, der 1975 an Enno Meyers Schulbuchthesen aus dem Jahr 1956 erinnerte und dazu bemerkte: „Schon damals waren nicht die Fakten strittig, sondern die Interpretationen – was übrigens charakteristisch ist für politische und ideologische Probleme.“7 Labudas Äußerung beleuchtet als Momentaufnahme einen Zeitpunkt, an dem deutsche und polnische Historiker auf der Ebene kleinteiliger Sachverhalte einen wachsenden Fundus konsensfähiger, beidseits gegengeprüfter Fakten wahrnahmen, auf der übergeordneten Ebene größerer Deutungszusammenhänge aber weiterhin der Eindruck unversöhnlicher Gegensätze dominierte. So gesehen standen einer raschen Verständigung zwischen westdeutschen und polnischen Historikern an der Wende von den Fünfziger- zu den Sechzigerjahren nicht nur blockpolitische Hindernisse im Wege. Vielmehr darf die Behauptung gewagt werden, dass auch das Konsenspotential der Wissenschaftler damals noch nicht für eine umfassende Verständigung ausgereicht hätte, da national verengte Sichtweisen zu diesem Zeitpunkt noch zu prominent waren. Erst die allmähliche Differenzierung und Horizonterweiterung der Deutungsansätze in beiden Nationalhistoriographien im Verlauf der Sechzigerjahre näherte auch die größeren Deutungszusammenhänge einander an. Zu Beginn der Siebzigerjahre konnte die Schulbuchkommission die Früchte dieser Annäherung ernten. Politische Zwänge machten es allerdings auch da noch unmöglich, das schaftliche Konsenspotential voll auszuschöpfen. Das resultierende wissen­ defizit wurde durch eine politisch motivierte KonsensobjekVerständigungs­ tivität wettgemacht, die sich bisweilen eher am politisch Wünschbaren als am wissenschaftlich Vertretbaren orientierte. Dabei beschlich nicht nur die Kritiker der Kommission, sondern auch deren Angehörige bisweilen das Gefühl, dass die

7 Forum: Schulbücher in der Bundesrepublik Deutschland und in Polen. Auslüften der Vorurteile und Klischees, aus: Polityka vom 25. 10. 1975 [Arbeitsübersetzung], BAK B 336/288.

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Kommission unter dem Motto der Völkerverständigung die Konsensobjektivität zu weit trieb und im Zweifelsfall nach dem Prinzip des do ut des gemeinsame Thesen formulierte, die der wissenschaftlichen Verifizierung – oder Falsifizierung – erst noch bedurften. Trotz der zuletzt genannten Einschränkung ergibt sich aus den bisherigen Beobachtungen ein Zwischenfazit, das im Hinblick auf die Ehrenrettung der Geschichte als Wissenschaft optimistisch stimmt: Unter den Bedingungen einer kontinuierlichen, kumulativen Wissenschaftsentwicklung und einem Mindestmaß an fachlicher Autonomie gegenüber politischer Vereinnahmung entfaltete sich langfristig die objektivierende Wirkung des wissenschaftlichen Meinungsstreits, gültige Fachstandards verschafften sich Nachachtung. Pessimistischere Antworten auf die Frage nach der wissenschaftlichen Ethik treten zutage, wenn man Störungen des kumulativen Wissenschaftsprozesses nicht ausschließlich als exogene Faktoren versteht, sondern sie mit der Frage nach den Selbstlegitimierungsstrategien der Forscher in Zusammenhang bringt. Fachstandards entfalteten ihre Wirkung naheliegenderweise nur dann, wenn die Historiker ihre Aussagen in erster Linie vor der scientific community zu rechtfertigen trachteten, also auf eine wissenschaftliche Selbstlegitimation setzten, die auf Herstellung von Objektivität abzielte. Als alternative Legitimationsstrategie bot sich freilich die politische Selbstlegitimation an, in deren Zuge sich Wissenschaftler in den Dienst politischer Ziele stellten und eine bestimmte Parteilichkeit beförderten, die von einflussreichen Kräften befürwortet wurde. Letztere versprach den Wissenschaftlern über die bestehenden universitären Pfründe hinaus nicht nur zusätzliche Ressourcen (etwa durch die Einrichtung gesonderter politisch-wissenschaftlicher Institute), sondern erschien führenden Fachvertretern bisweilen als nachgerade existenziell für ihr Fach. Dies galt etwa in Deutschland 1933 und in Polen 1945. Die langfristige Anlage der vorliegenden Untersuchung, die mehrere einschneidende politische Umbrüche überspannt, erlaubt den Schluss, dass sich die Entscheidung der Historiker zwischen wissenschaftlicher und politischer Legitimation auf die Frage zuspitzen lässt, auf welchem Feld die Zunft sich zum jeweiligen Zeitpunkt stärker herausgefordert sah. Dann fällt auf, dass im Umfeld politischer Umwälzungen die politische Legitimation in den Vordergrund trat: So intensivierte die polnische Forschung ihr nationales Engagement im Hinblick auf die Versailler Konferenz, deren Ergebnisse wiederum die deutschen Historiker unter dem Eindruck zurückließen, ihre nationale Verantwortung vernachlässigt zu haben – ein Versäumnis, das sie in der Folge mit revisionistischem Aktivismus wettzumachen suchten. Ganz grundsätzlich sahen sich die katholisch-konservativen Westforscher in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg durch das neue kommunistische Regime herausgefordert – eine Herausforderung, der sie mit einer offensiven Vorwärtsstrategie begegneten,

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 Schlussbetrachtungen

indem sie den neuen Machthabern aktiv ihre Dienste antrugen.8 In dem Maße, wie politische Anliegen an Bedeutung verloren oder sich die Wahrnehmung durchsetzte, dass sie mit historischen Argumenten nicht zu beeinflussen waren, trat hingegen die wissenschaftliche Legitimation in den Vordergrund. Aus dieser Beobachtung ergibt sich ein pessimistisches Zwischenfazit, das den Opportunismus der Wissenschaftler – beziehungsweise die Heteronomie des Fachs – in den Vordergrund rückt. Die im Rahmen dieser Studie untersuchten Anschauungsbeispiele lassen den Schluss zu, dass das relative Prestige von Geschichtswissenschaft und Staatsmacht in den untersuchten Gesellschaften sich entscheidend auf das Maß an Diskursführerschaft auswirkte, das diesen beiden Akteuren auf dem Feld der öffentlichen Geschichtswahrnehmung zukam. Besonders deutlich wird dies im polnischen Fall: Hier verfügte die Historikerzunft, legitimiert durch ihren Beitrag zum Nationalbewusstsein der Polen in Teilungszeiten, traditionell über hohes Ansehen. Dagegen galt der Führungsanspruch der kommunistischen Machthaber in Volkspolen breiten Teilen der polnischen Bevölkerung als sowjetisch oktroyierte Zumutung, und entsprechend sahen sich die geschichtspolitischen Bemühungen der Partei mit einem Glaubwürdigkeitsdefizit konfrontiert. Diese Konstellation gestattete es den polnischen Historikern, im Umgang mit den staatlichen Machthabern den eigenen Rückhalt im nationalen Geschichtsbewusstsein geltend zu machen. Sie agierten gewissermaßen als Deputierte der gesellschaftlichen Meinung in historischen Fragen, mit denen die Partei eine akzeptable historische Meistererzählung aushandeln musste. In dieser Vermittlerrolle erwarben sie gewichtige Teilhabe an der geschichtspolitischen Diskursführerschaft. Eine ähnliche, wenngleich auf die Repräsentanz einer teilgesellschaftlichen Gruppe beschränkte Mittlerrolle hatten die polnischen Westforscher bereits in der Zwischenkriegszeit innegehabt, als sie sich als Wortführer nationaldemokratischgroßpolnischer Anliegen gegenüber der Warschauer Piłsudski-Regierung positionierten. Ebenfalls erkennbar wird diese Strategie bei den deutschen Ostforschern der Nachkriegszeit, die sich als Sprachrohr der Vertriebenen-Interessen Gewicht und Teilhabe am politischen Diskurs zu verschaffen wussten. Anders als in Polen gelangte die Geschichtswissenschaft in Deutschland allerdings nie über die Repräsentanz teilgesellschaftlicher Interessen hinaus. Das war nicht zuletzt

8 Ähnlich scharf nahm sich im besiegten Deutschland der Gegensatz zwischen den in vielen Fällen NS-affinen Ostforschern und den alliierten Besatzungsbehörden respektive den Staatsorganen aus, doch trat dieser Gegensatz in der Bundesrepublik rasch hinter den blockpolitisch bedingten Burgfrieden aller politischen Kräfte zurück.

 Schlussbetrachtungen 

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eine Folge dessen, dass sie es als traditionell staatstragende Wissenschaft9 vor 1945 weitgehend versäumt hatte, sich von den Machthabern zu emanzipieren, und daher schwerlich zur Wortführerin eines alternativen Nationalbewusstseins taugte. Diese mangelnde Eigenständigkeit kam vor allem in der DDR zum Tragen und dürfte die Gefügigmachung der dortigen Historikerzunft erleichtert haben. Eine allmähliche Emanzipation der deutschen Historiker vom Staat lässt sich in der Bundesrepublik beobachten – sie fiel dort aber in eine Zeit, in der das Fach­ prestige der Geschichtswissenschaft bereits merklich erodiert war. Wie stark der Historikerschaft ihre Deutungsmacht in geschichtlichen Fragen streitig gemacht wurde, hing freilich nicht nur von ihrer eigenen Autorität ab, sondern mindestens ebenso sehr vom Durchsetzungswillen der politischen Seite. Dieser wiederum variierte oft erheblich in Abhängigkeit von den jeweils in Frage stehenden Diskursräumen. Am deutlichsten lässt sich dies erneut am Beispiel der Volksrepublik Polen veranschaulichen: Während die Partei im Schulunterricht und im Rahmen offizieller Gedenktage und Jubiläen ihren Anspruch auf Diskursführerschaft so weit als möglich durchsetzte und wann immer möglich der nationalkommunistischen Meistererzählung Geltung verschaffte, besaßen die Historiker in den inneren Kreisen des historischen Diskurses – an den Universitäten und im Rahmen der Akademie – über weite Strecken ein Refugium, das von einer verhältnismäßig weitgehenden wissenschaftlichen Autonomie geprägt war. Wie wirksam diese Autonomie des inneren Kreises war, hat sich beim Blick auf den Objektivierungsprozess der polnischen Deutschlandhistoriographie seit den späten Sechzigerjahren gezeigt. Wie schnell sie in den äußeren Kreisen auch wieder abnahm, ließ sich hingegen an den eingeschränkten Spielräumen der polnischen Historiker in den Schulbuchgesprächen mit ihren bundesdeutschen Kollegen beobachten. Weniger ausgeprägt verschoben sich die Gewichte zwischen wissenschaftlicher und politischer Meinungsführerschaft auf den unterschiedlichen Ebenen in den beiden deutschen Staaten: In der DDR trug die Partei ihren Führungsanspruch bis ins Innerste der Fachwissenschaft vor, in der Bundesrepublik erhoben staatliche Akteure dagegen nur sporadisch und punktuell Anspruch auf Meinungsführerschaft in historischen Belangen. Zu erinnern ist daran, dass nicht nur die Politik in den inneren Bereich der Wissenschaft vorstieß, sondern umgekehrt auch die Wissenschaft immer wieder in den geschichtspolitischen Diskursraum vordrang. Am wenigsten Hemmungen kannten diesbezüglich die deutschen Ost- und die polnischen Westforscher. Entgegen anderslautenden Lippenbekenntnissen war den betroffenen Historikern wohl

9 Dies eine Rolle, die ihrer polnischen Schwester vor 1918 gar nicht offengestanden hatte und ihr nach 1945 weithin unattraktiv erschien.

466 

 Schlussbetrachtungen

bewusst, dass sie damit der politischen Indienstnahme ihres Faches Vorschub leisteten. Nicht wenige unter ihnen nutzten diese Konstellation gezielt als Ressource zur Steigerung des eigenen Einflusses – verschafften sie sich als Fürsprecher einer politisierten Geschichtsschreibung doch den Rückhalt staatlicher Akteure und damit, unter den Bedingungen autoritärer Systeme, erhöhten Einfluss auf den innerwissenschaftlichen Diskurs. Sie agierten mithin gleichzeitig als Wegbereiter und Trittbrettfahrer der politischen Diskursführerschaft in der Wissenschaft. Die hier zusammenfassend geschilderten Auseinandersetzungen um historiographische Diskursführerschaft waren stets auch eng mit dem Kampf um universitäre Settings und Milieus verknüpft. In Polen blies die Partei vor allem in den Jahren des Stalinismus zum Sturm auf wissenschaftliche Bastionen und Refugien, deren Verteidiger im Rahmen der 1952 neubegründeten Akademie zum akademischen Hofadel degradiert werden sollten. In Bezug auf die Deutschlandforschung ließ sich dies anschaulich in den Plänen zur Auflösung des Westinstituts beobachten, dessen Konkursmasse anschließend in der PAN aufgehen sollte. Letztlich zeitigten diese Maßnahmen aber nur beschränkten Erfolg, weil die Historiker zumeist in robusten Settings Rückhalt gegen diese Vereinnahmungsversuche fanden. Dazu trug das Standesbewusstsein der polnischen Historikerzunft ebenso bei wie das starke Kollektivgefühl der Westforscher und die über weite Strecken tragfähigen Kontakte zur internationalen scientific community. Im scharfen Kontrast dazu sorgte in der DDR die ständige Umgliederung der Osteuropaforschung, die bestehende Strukturen bisweilen regelrecht zerschlug, effektiv dafür, dass die Historiker wenig Eigensinn ausbilden konnten. In der Bundesrepublik darf das unerschütterliche Gruppenbewusstsein der Ostforscher, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg trotzig als „Schar der Ungebrochenen“ verstanden, für die erstaunliche Kontinuität deutscher Sichtweisen auf Polen bis weit in die Fünfzigerjahre verantwortlich gemacht werden. Damit ist bereits gesagt, dass Milieus und Settings auch im innerwissenschaftlichen Meinungskampf eine entscheidende Rolle spielten. Ostforschung und Westforschung konnten ihre führende Stellung so lange behaupten, wie sie ihren Zusammenhalt als personelle Netzwerke mit einer gemeinsamen, in Deutschland konservativ-revisionistischen, in Polen katholisch-nationalen Gesinnung zu wahren wussten. Mit der Ausbreitung der deutschen Osteuropahistoriographie und der polnischen Deutschlandforschung an die Universitäten ging dieser Zusammenhalt verloren, und die Beziehungsgeschichte nahm in ihren neuen, stärker meinungspluralistisch strukturierten Settings eine differenziertere Entwicklung. Untrennbar mit dem Begriff der Diskursführerschaft verknüpft ist die Frage nach den vorherrschenden Paradigmen und Meistererzählungen. Bringt man die Abfolge dominierender Deutungsansätze auf Begriffe, könnte man staats-

 Schlussbetrachtungen 

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zentrierte Nationalgeschichte, Volksgeschichte, historisch-materialistische Geschichtsinterpretation im sozialistischen Einflussbereich und Sozial- und Kulturgeschichte in Westdeutschland und Polen aufeinander folgen lassen. Eine solche schlagwortartige Kennzeichnung der historiographischen Entwicklung suggeriert einschneidende Paradigmenwechsel; in Wirklichkeit ließ sich im Verlauf der Untersuchung hingegen eine erstaunliche Persistenz und zeitliche Überlappung der vorherrschenden Deutungsansätze beobachten: So überdauerte die klassische Politikgeschichte den Aufstieg der Volks­geschichte und blieb parallel zu dieser eine gültige Option für die deutsch-polnische Beziehungshistoriographie. Volksgeschichtliche Ansätze wiederum genossen im sowjetisierten Polen nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Begriff der Slawenkunde zeitweilig ähnlich hohen Stellenwert wie in der Zwischenkriegszeit. Schließlich waren sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen kein originäres Produkt der Sechzigerjahre, sondern gehen, wie die bundesdeutsche Historiographiegeschichte in den letzten Jahren nicht ohne Erstaunen rekonstruiert hat, wesentlich auf die Volksgeschichte der Zwischenkriegszeit zurück. Die Vorstellung von einschneidenden Paradigmenwechseln wird durch diese Beobachtung nicht gänzlich ad absurdum geführt: Zweifellos setzten die Anstöße des Brackmann-Kreises im Deutschland der Dreißigerjahre oder die historischmaterialistischen Impulse der Breslauer Konferenz in Polen 1950 Zäsuren, die die Beschäftigung mit der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte in neue Bahnen lenkten und eine kumulative Wissenschaftsentwicklung teilweise unterbanden. Dennoch muss der disruptive Charakter solcher Umbrüche relativiert werden, kehrte die Geschichtswissenschaft in ruhigeren Entwicklungsphasen doch in aller Regel zu einem kumulativen Arbeitsprozess zurück, der die Ergebnisse früherer Forschungsepochen wieder aufgriff und mit neueren Erkenntnissen zusammenführte. Die zahlreichen Meistererzählungen größerer und kleinerer Reichweite, in denen diese Leitvorstellungen auf den konkreten Gegenstand bezogen wurden, können hier schon aus Platz­gründen nicht erschöpfend rekapituliert werden. Festgehalten seien jedoch drei verallgemeinernde Beobachtungen. Erstens erwiesen sich die verschiedenen Meistererzählungen als erstaunlich simpel. Vom Narrativ slawischer oder germanischer Siedlungskontinuität aus der Vorgeschichte bis in die Gegenwart über deutsche Kultur- und Volksbodentheoreme und polnische Geschichtsmythen von einer Rückkehr der Volksrepublik auf das Territorium des Piastenstaates bis hin zur Begründung der deutsch-polnischen Völker­freundschaft aus dem Geist der Klassensolidarität ließen sich all diese Leitvorstellungen in wenigen Sätzen resümieren. Ihre Aufschlüsselung bedurfte keiner besonderen Feinsinnigkeit; schon eher musste ihre glaubwürdige Anwendung auf das historische Faktenmaterial als Herausforderung gelten.

468 

 Schlussbetrachtungen

Zweitens lässt sich in der Abfolge unterschiedlicher Meistererzählungen ein grundsätzlicher Wendepunkt feststellen: der Übergang von nationalistischen zu übernational-vergleichenden Narrativen, der zwischen den Fünfziger- und den Siebzigerjahren erfolgte. Den Anfang machte der Perspektivwechsel zu einer klassenbezogenen Sichtweise im sowjetischen Einzugsbereich, der allerdings recht grobschlächtig geriet; überzeugender gelang eine übernationale Perspektive in differenzierteren sozial- und kulturgeschichtlichen Sichtweisen, welche die bundesdeutsche und die polnische Historiographie seit den Sechzigerjahren adaptierten. Drittens erweist sich Hayden Whites Anregung, historische Metaerzählungen mit den tradierten Formen literarischen Erzählens in Verbindung zu bringen, für den deutsch-polnischen Fall als durchaus gewinnbringend.10 Es lässt sich postulieren, dass die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte von deutscher Seite zumindest nach 1945 vorwiegend als Romanze dargestellt wurde, die ein weithin harmonisches, von deutscher Generosität geprägtes Verhältnis zwischen den beiden Völkern behauptete. Dies galt insbesondere für die DDR, in abgeschwächter Weise aber auch für die bundesdeutsche Ostforschung. (Die Jahre 1939–1945 erschien in dieser Perspektive als historische Ausnahmeerscheinung.) Dagegen verlieh die polnische Seite ihren Deutungen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte die Form einer Tragödie, die sich im Wechselspiel zwischen deutscher Eroberungssucht und polnischem nationalem Überlebenskampf entfaltete. Seit den Sechzigerjahren war auch hier eine Annäherung zu beobachten: Im Zuge der Beschäftigung mit dem Nationalsozia­lismus drängten sich auch in der deutschen Geschichtswissenschaft die moral narratives über den einzigartig verbrecherischen Charakter der deutschen Eroberungs- und Vernichtungspolitik im Osten in den Vordergrund. Gleichzeitig zeigte sich die polnische Geschichtswissenschaft mit zunehmendem zeitlichem Abstand vom Krieg bereit, nicht nur die destruktive, sondern auch die befruchtende Komponente deutscher Geschichte im Osten wahrzunehmen. Abschließend seien einige vorsichtige Schlüsse im Hinblick auf die Gegenwart des historio­graphischen Diskurses zwischen Deutschen und Polen gewagt. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass der beziehungsgeschichtliche Diskurs unter den Bedingungen einer steten, von politischen Einflüssen hinlänglich abgekoppelten Fachentwicklung ein beachtliches Objektivierungspotential an den Tag gelegt hat. Damit besitzt die historische Forschung zweifellos das Vermögen, klärende Einsichten in die Vergangenheit der deutsch-polni-

10 White, Metahistory.

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schen Nachbarschaft zu vermitteln und im Zuge dessen nationalistische Mythen zu demontieren. Deutsch-polnische Gemeinschaftsinitiativen wie die weiterhin aktive Gemeinsame Schulbuchkommission, das seit den Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts tätige Deutsche Historische Institut in Warschau und sein Gegenstück, das Zentrum für Historische Forschungen der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, können dieser Entwicklung nützliche Impulse verleihen. Diese Untersuchung hat allerdings auch vor Augen geführt, dass die Fachwissenschaft ihr Versachlichungspotential zwar ausschöpfen kann, aber beileibe nicht muss. Es ist gezeigt worden, dass die Historiker beider Seiten in der Regel opportunistisch zwischen den Strategien wissenschaftlicher oder politischer Selbstlegitimation wechselten. Dabei drängten sich insbesondere in Zeiten forcierter politischer Umbrüche politische Anliegen in den Vordergrund. In den letzten Jahren hat der Streit um ein deutsches Zentrum gegen Vertreibungen in Ansätzen gezeigt, dass politische Positionsbezüge, wo sie öffentlichen Zuspruch versprechen, vielen Historikern weiterhin attraktiv erscheinen. Das führt vor Augen, dass Wissenschaftler sich den vorherrschenden Zeitstimmungen jener Gesellschaften, denen sie angehören, nur sehr begrenzt entziehen können und dass diese Gesellschaften auch heute noch vorwiegend durch den nationalen Bezugsrahmen bestimmt sind. Als schnelle Einsatztruppe zur Versachlichung akuter (geschichts-)politischer Auseinandersetzungen zwischen den Nachbarländern wird man die Geschichtswissenschaft deshalb nur sehr begrenzt verstehen dürfen. Ihr Objektivierungspotential entfaltet sich langfristiger, und bis die daraus hervorgehenden Einsichten Eingang ins öffentliche Bewusstsein finden, verstreicht gemeinhin noch mehr Zeit. Gefährdet scheint dieser Prozess heute weniger durch schwerwiegende politische Verwerfungen als durch beidseitiges Desinteresse an der gemeinsamen Vergangenheit. In Polen schwindet die intellektuelle Anziehungskraft einer schlecht alimentierten Geschichtswissenschaft seit Jahren, und in Deutschland fristet die Beschäftigung mit Polen innerhalb der osteuropäischen Geschichte ein Mauerblümchendasein. Solche Entwicklungen mögen der Auffassung geschuldet sein, ein wiedervereinigtes Europa habe seine schwierige Vergangenheit politisch bewältigt und könne sich in Zukunft darauf beschränken, die Lehren der Vergangenheit sporadisch in erinnerungspolitischen Ritualen zu evozieren. Die vorliegende Arbeit sollte aber gezeigt haben, dass ein solcher Umgang mit der Beziehungs­geschichte in der Vergangenheit wenig ertragreich war – einerlei, ob er unter nationalistischen oder harmonisierenden Vorzeichen erfolgte –, und dass eine gründliche, forschende Aufarbeitung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte, wie sie seit den Sechzigerjahren betrieben worden ist, langfristig bessere Ergebnisse verspricht. Ad acta legen lässt sich der Gegenstand gewiss nicht.

Deutsch-Polnische Historikerkommissionen Themen der Historikerkommission DDR–VR Polen 1956–1989 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

16. 17.

18. 19.

20.

1956, 7.–11.5. 1956, 14.–17.11. 1957, 2.–4.12.

Warschau Berlin Leipzig

Schulbuchvergleich* Oder-Neiße-Grenze, Schulbuchvergleich Stand und Entwicklung der beiden Geschichtswissenschaften 1958, 9.–11.5. Krakau Westdeutsche Ostforschung 1959, 16.–18.2. Erfurt „Die deutsche Sozialdemokratie und die polnische Frage“ 1960, 15.–17.2. Breslau „Deutschland und Polen vor und während des Zweiten Weltkrieges“ 1961, 1.–4.2. Dresden „Die Entwicklung des volksdemokratischen Staates in Polen und in der DDR“ 1961, 25.–28.9. Danzig „Die Bedeutung und die Auswirkungen des Versailler Vertrages für die deutsch-polnischen Beziehungen“ 1962, 21.–23.5. Rostock „Die Darstellung der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen in westdeutschen Geschichtswerken“ 1963, 7.–9.5. Posen „Entwurf einer polnisch-deutschen Gemeinschaftsarbeit zur Geschichte des deutschen Ostmarkenvereins“ 1964, 25.–28.5. Wernigerode „Vertrag von Locarno 1925“ 1965, 24.–28.5. Wisła „Fragen der deutschen und polnischen Minderheit zwischen den beiden Weltkriegen“ 1966, 23.–27.5. Eisenach „Die Nationalisierung der Industrie in der 1. Etappe der volksdemokratischen Revolution“ 1967, 17.–19.5. Augustów „Die Genesis des 2. Weltkrieges“ 1968, 22.–24.10. Berlin „Die Stellung der politischen Parteien und Strömungen Deutschlands zu Polen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts“ 1969, 27.–30.5. Myszkowce „Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland und ihre Bedeutung für die deutsch-polnischen Beziehungen“ 1970, 2.–5.6. Görlitz „Die Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen – ein Ausdruck des sozialistischen Internationalismus“ anlässlich des 20. Jahrestages der Unterzeichnung des Görlitzer Abkommens zwischen Polen und der DDR 1971, 25.–28.5. Stettin „Die sozialistische Umgestaltung und die wissenschaftlich-technische Revolution in unseren beiden Ländern“ 1972, 23.–26.5. Stralsund „Die deutsch-polnischen kulturellen Verbindungen, insbesondere die kulturellen Beziehungen zwischen der DDR und der VR Polen“ 1973, Berlin/Opole „Die gemeinsamen revolutionären Traditionen des 16–17.5./24–28.9. Kampfes der deutschen und der polnischen Arbeiterbewegung in der Zeit von 1917/18 bis 1945“

472 

 Deutsch-Polnische Historikerkommissionen

Themen der Historikerkommission DDR–VR Polen 1956–1989 21. 1974, 27.5.–1.6.

22. 1975, 26.–30.5.

23. 1976, 31.5.–5.6.

24. 1977, 15.–19.5. 25. 1978, 22.–27.5. 26. 1979, 24.–28.6. 27. 1980, 26.–30.5.

28. 1981, 3.–6.6.

29. 1982, 24.–29.5. 30. 1983, 12.–16.9.

31. 1984, 16.–19.10.

32. 1985, 16.–21.9.

33. 1986, 19.–24.5. 34. 1987, 12.–17.10.

35. 1988, 30.5.–4.6. 36. 1989, 29.5.–3.6.

Erfurt

„Die Prozesse der Urbanisierung in Europa bei besonderer Berücksichtigung Polens und Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert“ Lublin „Forschungsergebnisse der Historiker der DDR zum 25. Jahrestag der DDR und der Historiker der VR Polen zum 30. Jahrestag der Volksrepublik Polen“ Magdeburg „Grundzüge der Kulturgeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Methoden ihrer Erforschung“ Olsztyn „Die Aufklärung in Deutschland und Polen. Wechselbeziehungen – Einwirkungen – Kontakte“ Berlin „Die historischen Voraussetzungen der Gründung der KPD und der KPP“ Zielona Góra „Der 30. Jahrestag der DDR und der 35. Jahrestag der VR Polen“ Leipzig „Die revolutionären Traditionen der deutsch-polnischen Beziehungen in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts“ Słupsk „Die fortschrittlichen Traditionen der Freiheitsbewegungen in Deutschland und Polen vor 1848. Zusammenwirken und Vergleich“ Wittenberg „Die Reformation in Deutschland und Polen – ihre Zusammenhänge und Wechselbeziehungen“ Thorn „Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert. Literatur – Historiographie – Kulturpolitik“ Frankfurt a. O. 1. „Eine neue Etappe in der Entwicklung der deutschpolnischen Beziehungen – zum 35. Jahrestag der Entstehung der DDR und zum 40. Jahrestag der Entstehung der VR Polen“; 2. „Die sozialpolitischen und kulturellen Wandlungen in Mitteleuropa im 17. Jahrhundert“ Breslau „Die sozialen und kulturellen Umwälzungen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und in der Volksrepublik 1944/45 bis 1949“ Potsdam „Die Rolle Brandenburg-Preußens in der Geschichte Deutschlands und Polens“ Warschau „Die Bedeutung Rosa Luxemburgs, Julian Marchlewskis und anderer Revolutionäre für die deutsche und polnische Arbeiterbewegung“ Leipzig „Revolutionäre Demokraten in Deutschland und Polen im Vormärz und während der Revolution von 1848/49“ Rostock „September 1939 – die Entfesselung des 2. Weltkrieges durch den Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen“

* Zur Zusammenstellung der Themen s. S. 320, Anmerkung 52.

 Deutsch-Polnische Historikerkommissionen 

 473

Themen der Schulbuchkommission BRD-VR Polen 1972–1990 1. 2. 2a. 2b.

1972, 22.–26.2. 1972, 10.–17.4. 1972, 28.–30.9. 1972, 15.–17.10.

Warschau Braunschweig Warschau Braunschweig

3.

1973, 1.–5.4.

Braunschweig

4.

1973, 16.–22.9.

5. 1974, 1.–3.4. 5a. 1974, 19.–23.9. 6. 1974, 3.–8.10.

Warschau/ Krakau Braunschweig Thorn Warschau

7.

1975, 13.–15.4.

Braunschweig

8.

1975, 25.9.–1.10. Warschau

9.

1976, 5.–7.4.

Braunschweig

9a. 1977, 28.–30.11.

Bonn

10. 1977, 2.–5.6.

Łańcut

11. 1978, 16.–21.5.

Deidesheim

12. 1979, 5.–10.6.

Olsztyn

13. 1980, 27.5.–1.6.

Münster

14. 1981, 9.–14.6.

Zamość

15. 1982, 16.–20.11.

Braunschweig

16. 1983, 25.–29.5.

Warschau

17. 1984, 11.–17.6.

Augsburg

Arbeit an den Schulbuch-Thesen.* Thesenarbeit für die Zeit bis 1945 Treffen der Kernkommission Treffen der Kernkommission. Unterzeichnung einer förmlichen Vereinbarung zur Schulbuchrevision zwischen der deutschen und der polnischen UNESCODelegation. Schulbuch-Diskussion, erstmals unter Einbezug der Zeitgeschichte Thesenarbeit, Schwerpunkte Deutscher Orden/ Zeitgeschichte Thesenarbeit, Zeitgeschichte 1944–1974 Sonderkonferenz zum Deutschen Orden Thesenarbeit, Zeitgeschichte 1944–1974. Besprechung und teilweise Verabschiedung zweier Thesen zur Nachkriegszeit: Oder-Neiße-Linie, Zwangs­ umsiedlungen Thesenarbeit, polnisches Veto gegen polnische Zeitgeschichts­thesen Thesenarbeit, Verabschiedung der restlichen Zeitgeschichtshesen Thesenarbeit, redaktionelle Überarbeitung der bisherigen Empfehlungen Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung und des PISM zum Thema „Die Schulbuchempfehlungen im Normalisierungsprozess zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen“ Widerstandsbewegungen in Deutschland und Polen während des Zweiten Weltkriegs Die deutsch-polnischen Beziehungen 1831–1848, Vormärz und Völkerfrühling Die Rolle Schlesiens und Pommerns in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelalter Polen und Deutschland im Zeitalter der Aufklärung. Reformen im Bereich des politischen Lebens, der Verfassung und der Bildung Schlesien und Pommern in den deutsch-polnischen Beziehungen vom 16. bis 18. Jahrhundert Nationalgeschichte als Problem der deutschen und polnischen Geschichtsschreibung Industrialisierung, sozialer Wandel und Arbeiterbewegung in Deutschland und Polen bis 1914 Die deutsch-polnischen Beziehungen 1919–1932

474 

 Deutsch-Polnische Historikerkommissionen

Themen der Schulbuchkommission BRD-VR Polen 1972–1990 18. 1985, 28.5.–2.6.

19. 1986, 20.–25.5.

20. 1987, 1.–6.6.

21. 1988, 24.–29.5.

22. 1989, 16.–21.5.

23. 1990, 5.–10.6.

Nowogard

Deutschland und Polen von der nationalsozialistischen Machtergreifung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Saarbrücken Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen bis zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki 1975) Posen Zum wissenschaftlichen Ertrag der deutschpolnischen Schulbuchkonferenzen der Historiker 1972–1987 Oldenburg i. O. Zum pädagogischen Ertrag der der deutschpolnischen Schulbuchkonferenzen der Historiker 1972–1987 Piwniczna Polen und Deutschland im europäischen Staatensystem vom späten Mittelalter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Eutin (wie 22. Konferenz)

* Angaben zu den ersten zehn Treffen (mit Ausnahme des 3.) gemäß Gemeinsame DeutschPolnische Schulbuchkommission (Hg.), Empfehlungen 1995.

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis AA  Auswärtiges Amt AAN Archiwum Akt Nowych – Archiv Neuer Akten, Warschau ABBAW Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin AHR American Historical Review AHUB Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin AIH PAN Archiwum Instytutu Historii Polskiej Akademii Nauk – Archiv des Historischen Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau Archiwum Instytutu Zachodniego – Archiv des Westinstituts, Posen AIZ AMSZ Archiwum Ministerstwa Spraw Zagranicznych – Archiv des Außenministeriums, Warschau APAN Archiwum Polskiej Akademii Nauk – Archiv der Polnischen Akademie der Wissenschaften (-K = Krakau, -P = Posen, -W = Warschau) Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitschrift „Das Parlament“ APuZ ARPB Ambasada Rzeczpospolity Polskiej w Berlinie – Botschaft der Republik Polen in Berlin AUAM Archiwum Uniwersytetu Adama Mickiewicza – Archiv der Adam-MickiewiczUniversität, Posen Bundesarchiv Berlin BAB Bundesarchiv Koblenz BAK Bund Deutscher Osten BDO Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte BMV Biuro Prac Kongresowych – Büro für Kongressarbeiten BPK Bundesrepublik Deutschland BRD Centralny Biuro Kontroli Prasy – Zentrales Büro für Pressekontrolle CBKP Comité International des Sciences Historiques CISH Centralna Komisja Wydawnicza – Zentrale Publikationskommission CKW Deutscher Akademischer Austauschdienst DAAD DBR Deutsche Bundesrepublik (gebräuchliche Bezeichnung für die BRD in den sozialistischen Staaten) Deutsche Demokratische Republik DDR DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DGO Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas DGSO DIWK Departament Informacji i Współpracy Kulturalnej – Abteilung für Information und kulturelle Zusammenarbeit beim MSZ DPHK Deutsch-Polnische Historikerkommission Departament Prasy i Informacji – Abteilung für Presse und Information beim MSZ DPI DSHI Dokumentensammlung des Herder-Instituts, Marburg DSHK Deutsch-Sowjetische Historikerkommission DWKN Departament Współpracy Kulturalnej i Naukowej – Abteilung für kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit beim MSZ Geschichte und Gesellschaft GG GKBZH Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich – Hauptkommission zur Erforschung der Hitlerverbrechen (bis 1949 GKBZN)

476 

 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis

GKBZN Główna Komisja Badania Zbrodni Niemieckich – Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen (1949 in GKBZH umbenannt) GUKP Główny Urząd Kontroli Prasy – Hauptamt für Pressekontrolle GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HFR (Johann-Gottfried-)Herder-Forschungsrat, Marburg HI Herder-Institut, Marburg HZ Historische Zeitschrift IB Instytut Bałtycki – Ostsee-Institut, Thorn IDO Institut für deutsche Ostarbeit, Krakau IfA Institut für Archivwissenschaft und geschichtliche Weiterbildung, Berlin-Dahlem IJfG(G) Internationales Jahrbuch für Geschichts- (und Geographie-) Unterricht IŚ Instytut Śląski – Schlesisches Institut, Kattowitz ISBI Internationales Schulbuchinstitut, Braunschweig IZ Instytut Zachodni – Westinstitut, Posen JDG Jahresberichte für deutsche Geschichte JGO Jahrbücher für Geschichte Osteuropas KC Komitet Centralny – Zentralkomitee KH Kwartalnyk Historyczny KKBN Komitet Koordynacyjny Badań Niemcoznawczych – Koordinationskomitee für deutschlandkundliche Forschungen KMK Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD, kurz Kultusministerkonferenz KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa MadV Mitteilungen an den Vorstand des Herder-Instituts MIiP Ministerstwo Informacji i Propagandy – Ministerium für Information und Propaganda, Warschau MOiW Ministerstwo Oświaty i Wychowania – Ministerium für Bildung und Erziehung, Warschau MSZ Ministerstwo Spraw Zagranicznych – Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Warschau MZO Ministerstwo Ziem Odzyskanych – Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete, Warschau NOFG Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft PAAA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin PAN Polska Akademia Nauk – Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau PAU Polska Akademia Umiejętności – Polnische Akademie der Wissenschaften, Krakau PH Przegląd Historyczny PISM Polski Instytut Spraw Międzynarodowych – Polnisches Institut für Internationale Angelegenheiten, Warschau PPR Polska Partia Robotnicza – Polnische Arbeiterpartei PPS Polska Partia Socjalistyczna – Polnische Sozialistische Partei PTH Polskie Towarzystwo Historyczne – Polnischer Historikerverband PuSte Publikationsstelle im Preußischen Geheimen Staatsarchiv, Berlin-Dahlem PVAP Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (s. PZPR) PZ Przegląd Zachodni PZPR Polska Zjednoczona Partija Robotnicza (s. PVAP) PZZ Polski Związek Zachodni – Polnischer Westverband

 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 

 477

RH Roczniki Historyczne RMdI Reichsministerium des Innern, Berlin RMWEV Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin SBK Schulbuchkommission SBZ Sowjetische Besatzungszone TRZZ Towarzystwo Rozwoju Ziem Zachodnich – Gesellschaft zur Entwicklung der Westgebiete UB Urząd Bezpieczeństwa – Sicherheitsamt UZZ Uniwersytet Ziem Zachodnich – Universität der Westgebiete VDA Verein [ab 1933: Volksbund] für das Deutschtum im Ausland VDH Verband Deutscher Historiker VdHFR Vorstandssitzungen des Herder-Forschungsrates VfZG Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VRP Volksrepublik Polen ZAP Zachodnia Agencja Prasowa – Presseagentur West ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZfO Zeitschrift für Ostforschung (1952–1994) / Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung (ab 1995) ZK Zentralkomitee ZOKZ Związek Obrony Kresów Zachodnich – Verband zur Verteidigung der Polnischen Westgebiete

Bibliographie Ungedruckte Quellen Archiwum Akt Nowych, Warszawa Ministerstwo Spraw Zagranicznych 1918–1939 Ambasada RP w Berlinie 1920–1939 Ministerstwo Wyznań Religijnych i Oświecenia Publicznego 1918–1939 Delegatura Rządu na Kraj Sygn. 2002 Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – Komitet Centralny w Warszawie Zesp. 237 (ca. 1945–1970er Jahre) XVI. Wydział Nauki [KC PZPR] XVII. Wydział Oświaty XXI. Zakład Historii Partii XXXVIII. Komisja ideologiczna KC PZPR Zesp. 1354 (1970er–1980er Jahre) LVIII. Wydział Oświaty i Nauki LIX. Wydział Nauki, Oświaty i Postępu Naukowo-Technicznego LXXIV Wydział Zagraniczny Archiwum Instytutu Historii PAN, Warszawa 5/86 Niemiecka Republika Federalna. Kontakty naukowe, korespondencja, 1956, 1961–1970 5/87 Współpraca z zagranicą – Republika Federalna Niemiec, 1980–1988 5/115 Komisja Historyczna Polsko–Niemiecka. Protokoły z posiedzeń, tematy referatów, korespondencja, 1956–1960 5/116 Komisja Historyczna Polsko–Niemiecka. Protokoły z sesji, sprawozdania, korespondencja, 1961–1968 5/107 Komisja Historyczna Polsko–Niemiecka. Protokoły z sesji, korespondencja, 1969–1974, 1977–1981 5/116 Komisja Historyczna Polsko–Niemiecka. Protokoły posiedzeń, sprawozdania, korespondencja 5/117 Komisje Historyczne. Notatki, korespondencja, protokoły, sprawozdania. Węgry, Albania, Bułgaria, Rumunia, RFN, 1971–1972, 1987 5/208 Komisja Polsko–Austriacka 1980–1988, Komisja Polsko–Czechosłowacka 1987, Komisja Polsko–Niemiecka, 1982–1990 5/210/2 Współpraca z zagranicą (USA, Kanada, NRD, Francja), 1988–1990 27/7 Współpraca naukowa z zagranicą. Komisja Polsko–Niemiecka, 1980–1985 Archiwum Instytutu Zachodniego, Poznań Plany pracy Sprawozdania okresowe Informacje ogólne IZ Kursy i sesje naukowe z udziałem IZ Korespondencja ogólna Instytutu Kontakty Instytutu z zagranicą

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Jednostki organizacyjne wewnętrzne Instytucje koordynujące i nadrzędne wobec Instytutu Partie polityczne i organizacje społeczne działające w Instytucie Archiwum Ministerstwa Spraw Zagranicznych, Warszawa Departament IV 1949–1960 (Zespół 10) Departament IV 1961–1969 (Zespół 17) Departament IV 1972–1976 45/77, (46/77), (47/77), (48/77), (19/79), (20/79), (16/81), (17/81), (31/82), 32/82, 46/77, 48/77, 16/81 Departament Prasy i Informacji Archiwum Polskiej Akademii Nauk w Poznaniu (Vorläufige Signaturen) III-8 Nachlass Zygmunt Wojciechowski III-35 Nachlass Kazimierz Kaczmarczyk III-59 Nachlass Maria Wojciechowska III-68 Nachlass Zdzisław Kaczmarczyk III-76 Nachlass Kazimierz Kolańczyk III-77 Nachlass Zdzisław Grot III-112 Nachlass Marian Karol Pospieszalski Archiwum PAN/PAU w Krakowie Spuszczyzna Materiały PTH III-11 Stanisław Kutrzeba III-56 Władysław Semkowicz Archiwum Polskiej Akademii Nauk w Warszawie I-3 Polskie Towarzystwo Historyczne, Zarząd główny I-4 Wystawa Ziem Odzyskanych we Wrocławiu 1948r I-10 I Kongres Nauki Polskiej 1951 II-73 Wydział I (Nauk Społecznych) PAN III-10 Marceli Handelsman III-81 Andrzej Grodek III-192 Tadeusz Manteuffel III-268 Tadeusz Cieślak III-308 Jan Kosim III-329 Benedykt Zientara Archiwum Uniwersytetu Adama Mickiewicza, Poznań 78, 143 Bestand Reichsuniversität Posen Plan Rozwoju Instytutu Historii UAM na lata 1975–1980 (ohne Signatur) Plan Rozwoju Instytutu Historii UAM na lata 1971–1975 (ohne Signatur) Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Bestand Akademieleitung Bestand Klassen, Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften

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Bestand Arbeitsgemeinschaft der Gesellschaftswissenschaftlichen Institute und Einrichtungen Bestand Zentralinstitut für Geschichte Bestand Historiker-Gesellschaft der DDR Bestand Nationalkomitee der Historiker Archiv der Humboldt-Universität Berlin Universitäts-Kurator 1819–1945 Rektor und Senat 1835–1945 Philosophische Fakultät 1810–1945 Rektorat nach 1945 Philosophische Fakultät nach 1945 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 153 Publikationsstelle Dahlem DDR DR 3 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen [der DDR] SAPMO-DY 30 SED Bundesarchiv Koblenz B 106 Bundesministerium des Innern B 336 Deutsche UNESCO-Kommission N 1445 Nachlass Gotthold Rhode Dokumentensammlung des Herder-Instituts, Marburg DSHI 100 Nachlässe Nachlass Richard Breyer DSHI 200 Akten des Herder-Forschungsrates Vorstandssitzungen Mitteilungen an den Vorstand Verkehr mit Bonner Ministerien Tätigkeitsberichte 1950–1958 Mitgliederversammlungen des Herder-Forschungsrates Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin B 12 Ostabteilung B 28 Fragen der allgemeinen Ost-West-Beziehungen B 40 Ost-West-Beziehungen B 91 Kulturabteilung, u. a. UNESCO B 93 Kulturabteilung – Schulwesen B 94 Kulturabteilung – Wissenschaft, Hochschulen Zwischenarchiv

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Personenregister A Abusch, Alexander (1902–1982) 237 Adenauer, Konrad (1876–1967) 227 f., 243, 249, 255, 279, 416, 421 Altman, Henryk (1897–1974) 193, 289 Antoniewicz, Włodzimierz (1893–1973) 133, 154 Arciszewski, Tomasz (1877–1955) 142 Arnold, Stanisław (1895–1973) 185, 218, 221 Aubin, Hermann (1885–1969) 20 f., 33, 35, 75 f., 81–83, 89, 105 f., 118, 122–124, 130, 133 f., 187, 227 f., 239, 244–249, 251–255, 261–263, 270 f., 275 f., 282, 294–296, 300, 325 B Barbag, Józef (1903–1982) 438 Bardach, Juliusz (1914–2010) 210, 215 f. Beck, Józef (1894–1944) 49, 93 Berman, Jakub (1901–1984) 220 Berndt, Günter 378, 380 f. Berr, Henri (1863–1954) 205 Bethmann Hollweg, Theobald von (1856–1921) 364 Bidlo, Jarosław (1868–1937) 56 f. Bierut, Bolesław (1892–1956) 165, 173, 182 Birke, Ernst (1908–1980) 105, 295 f. Biskup, Marian (1922–2012) 329, 339, 370, 409, 411, 413 f., 450 Bismarck, Otto von (1815–1898) 35, 41, 94, 108, 301, 317, 330, 364, 380 f. Bleiber, Helmut (1928–2007) 312 Bolesław Chrobry (965–1025) 39, 174, 181 Boockmann, Hartmut (1934–1998) 413 Borowik, Józef (1891–1968) 63–65, 67, 69 Bourgeois, Emile (1857–1934) 42 Bracher, Karl Dietrich (*1922) 386, 388 Brackmann, Albert (1871–1952) 19, 33, 35, 43, 51 f., 59 f., 72, 75–82, 84–90, 92, 96, 100, 103, 121 f., 133 f., 173, 226–228, 242, 245, 250, 263, 284, 390, 467

Brandi, Karl (1868–1946) 45 f., 51, 55, 58–60, 90, 112 Brandt, Willy (1913–1992) 1, 149, 248, 300, 361, 367, 384, 405, 415, 426, 442, 453 Breyer, Richard (1917–1999) 287 f., 301 Broszat, Martin (1926–1989) 357, 363, 365 f., 386, 429 Bujak, Franciszek (1875–1953) 41 C Chruščev, Nikita S. (1894–1971) 191, 207, 313 Churchill, Winston (1874–1965) 154, 280 Coblitz, Wilhelm (1906–?) 128 Conze, Werner (1910–1986) 19 f., 33, 84, 86, 126–128, 232, 265, 363, 365, 374 Cosack, Harald (1880–1960) 84 Cyrankiewicz, Józef (1911–1989) 162, 168, 206 Czajkowski, Władysław 161 Czapliński, Władysław (1905–1981) 185, 370 Czubiński, Antoni (1928–2003) 329, 332, 369, 397, 419–421, 449 f. D Dąbrowski, Jan (1890–1965) 58, 94, 104 Dębowska, Janina 136 Dehio, Ludwig (1888–1963) 232, 364 Dembiński, Bronisław (1958–1939) 99 f. Długoborski, Wacław (*1926) 287, 354, 370 Dmowski, Roman (1864–1939) 36 f. Dopsch, Alfons (1868–1953) 47 Dowiat, Jerzy (1920–1982) 369 E Eckert, Georg (1912–1974) 374, 382–388, 390, 395, 399, 402 f., 406–408, 415–421, 423 Eggers, Hans Jürgen (1906–1975) 289 Eildermann, Wilhelm (1897–1988) 337 Essen, Werner (1901–1989) 246, 249–251, 261 f.

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 Personenregister

F Feldman, Jósef (1899–1946) 67, 94, 172, 204 Fischer, Fritz (1908–1999) 232, 235, 364 f., 386, 388 Fitzek, Rudolf (1891–1945) 104 f., 111 Frank, Hans (1900–1946) 128 f., 135, 193 f. Frank, Walter (1905–1945) 84, 112 Freytag, Gustav (1816–1895) 1 Frick, Wilhelm (1877–1946) 120 Friedberg, Marian (1902–1969) 171 f. Friedrich II der Große (1712–1786) 172, 329 f., 381 Fritze, Wolfgang (1916–1991) 448 G Galos, Adam (1924–2013) 370 Gandhi, Mahatma (1869–1948) 181 Geiß, Imanuel (1931–2012) 357, 365, 381 Gentzen, Felix-Heinrich (1914–1969) 310 f., 318 f., 323, 331, 376 George, Pierre (1909–2006) 205 Gerlach, Hellmut von (1866–1935) 102 Gierek, Edward (1913–2001) 390 f., 395, 418, 440 Glaser, Kurt 284 Goguel, Rudolf (1908–1976) 16, 280, 323, 325 Gomułka, Władysław (1905–1982) 160, 166, 169, 182, 187, 209, 223 f., 316, 368, 390 f., 425 Göring, Hermann (1893–1946) 96 Górka, Olgierd (1887–1955) 100 Górski, Karol (1903–1988) 58, 71, 88, 138, 186, 287, 339, 354, 370, 411 Grażyński, Michał (1890–1965) 44 f., 73 Groehler, Olaf (1935–1995) 346 f. Grot, Zdzisław (1903–1984) 369 Grudziński, Tadeusz (*1924) 339 Grundmann, Günter (1892–1976) 300 Gumkowski, Janusz 192 H Halecki, Oskar (1891–1973) 56, 91, 93 f., 96 f., 99 f. Hallstein, Walter (1901–1982) 252 f.

Handelsman, Marceli (1882–1945) 27, 41, 44–46, 48 f., 56 f., 93–95, 98, 104, 112 f., 136 Hartmann, Karl 263 Hartung, Fritz (1883–1967) 232 Hassinger, Hugo (1877–1952) 82 Hauptmann, Jerzy 285 Haushofer, Karl (1869–1946) 82 Hein, Max (1885–1949) 89 Hellmann, Manfred (1912–1992) 22, 126, 283, 362, 386, 390 Hensel, Witold (1917–2008) 289 Heß, Rudolf (1894–1987) 82 Hillgruber, Andreas (1925–1989) 386, 429 Himmler, Heinrich (1900–1945) 135 Hitler, Adolf (1889–1945) 52, 59, 82 f., 90, 96, 100–103, 112, 120, 128, 135, 140, 172 f., 175, 183, 196, 237, 243, 276, 335 f., 365, 381, 398, 402, 410, 460 Hlond, August Kardinal (1881–1948) 168 Hoensch, Jörg (1935–2001) 362, 381, 386, 419, 429, 434 f., 439 Hoetzsch, Otto (1976–1946) 16, 32 f., 79, 82, 84, 89, 92, 97, 100, 119 Hoff, Erwin 130 Holtzmann, Robert (1873–1946) 55, 58, 84, 92 Holzer, Jerzy (1930–2015) 358, 369 Hubatsch, Walther (1915–1984) 240 f., 245, 261 J Jablonowski, Horst (1914–1970) 278 Jabłoński, Henryk (1909–2003) 218 Jacobsen, Hans-Adolf (*1925) 353, 432, 434, 444 Jakóbczyk, Witold (1909–1986) 369 Jankuhn, Herbert (1905–1990) 267, 278 Jaruzelski, Wojciech (1923–2014) 420, 449 Jedlicki, Marian Zygmunt (1899–1954) 37 Jędruszczak, Tadeusz (1924–1993) 333, 343, 347, 369, 419, 444 Jegorov, Dmitrij N. (1878–1931) 80 Jeske, Reinhold 326 Johansen, Paul (1901–1965) 283

 Personenregister  K Kaczmarczyk, Kazimierz (1878–1966) 131, 138, 144 f. Kaczmarczyk, Zdzisław (1911–1980) 145, 157, 160, 171, 184, 188, 215–218, 221, 233 f. Kaiser, Jakob (1888–1961) 251 Kalisch, Johannes (1928–2002) 341 Kamiński, Andrzej Józef (1921–1985) 160, 222, 229–231, 364 Karl der Große (847–814) 205, 275 Karwasińska, Jadwiga (1900–1986) 113 Kauder, Viktor 86, 242 Kawerau, Siegfried (1886–1936) 102 Keller, Thomas 417 Kętrzyński, Stanisław (1876–1950) 46, 93 Keyser, Erich (1893–1968) 33–35, 41, 82, 89, 228, 245–247, 249, 254, 259–261, 283, 295 f. Klafkowski, Alfons (1912–1992) 223, 369 Klimaszewski, Mieczysław (1908–1995) 287 Koch, Hans (1894–1959) 325 Koczy, Leon (1900–1981) 68, 88 Koebner, Richard (1885–1958) 55 Kohte, Wolfgang (1907–1984) 58, 84 Kokot, Józef 236, 288, 419 Konopczyński, Władysław (1880–1952) 38, 58, 172 Konrad I. (1187–1247) 375, 411 Kopernikus, Nikolaus (1473–1543) 51, 107, 130, 181, 260, 322 Koppe, Karlheinz (1929–2014) 360 Korfanty, Wojciech (1873–1939) 318 Kosim, Jan 369 Kossmann, Eugen Oskar (1904–1998) 84, 248 f., 251, 258, 281 Kostrzewski, Józef (1885–1969) 37 f., 41, 54, 67, 88, 138, 200, 260 Kot, Stanisław (1885–1975) 38, 58, 60, 91–93, 112 Kötzschke, Rudolf (1896–1949) 33–35, 82 Krahmer-Möllenberg, Erich (1882–1942) 89 Krassowska, Eugenia (1910–1986) 383, 394 Krasuski, Jerzy (1930–2009) 235 f., 369 Krausnick, Helmut (1905–1990) 232, 386 Kuhn, Walter (1903–1983) 33, 82, 129, 259 f., 265, 271 Kukiel, Marian (1885–1973) 39, 93

 517

Kulak, Zbigniew 233, 354, 397 Kutrzeba, Stanisław (1876–1946) 44 f., 58 f., 73, 83, 93 f. L La Baume, Wolfgang (1885–1971) 34, 41, 54, 259 f., 267 Labuda, Gerard (1916–2010) 171 f., 215–219, 221–225, 231–234, 271, 274, 312, 340 f., 354, 356, 369, 375–382, 397, 413, 429 f., 462 Lattermann, Alfred (1904–1945) 33, 54 Laubert, Manfred (1877–1960) 34, 82, 100, 126, 130, 288 Lehr-Spławiński, Tadeusz (1891–1965) 171, 200, 205, 212, 219–221 Leland, Waldo G. (1879–1966) 49 Lemberg, Eugen (1903–1976) 256, 285, 296–298, 300, 325 Leśnodorski, Bogusław (1914–1985) 169, 217 f., 316, 369 Leszczycki, Stanisław 287 Lhéritier, Michel 57 Lippelt, Helmut (1932*) 358 Lipscher, Winfried (*1938) 360 Lipski, Józef (1894–1958) 96, 100 f., 104 Loessner, Anton (1885–1946) 84 Łowmiański, Henryk (1898–1984) 68 Lück, Kurt (1900–1942) 33, 86, 126, 129 f., 242 Łuczak, Czesław (1922–2002) 369 Ludat, Herbert (1910–1993) 85, 100, 126–130, 186, 263, 266, 268, 278, 283, 354, 362, 366 f., 374, 386–390, 405, 455 Lüdtke, Franz (1882–1945) 103 Lüpke, Helmut 103 Luther, Martin (1483–1546) 112, 237, 328 Lutman, Roman (1897–1973) 41, 63–65, 67 f., 74 Luxemburg, Rosa (1871–1919) 321, 327 M Maciszewski, Jarema (1930–2006) 348, 420 Madajczyk, Czesław (1921–2008) 191, 335, 343 f., 358, 369, 394 Małecki, Mieczysław (1903–1946) 143

518 

 Personenregister

Maleczyńska, Ewa (1900–1972) 185, 310, 370 Maleczyński, Karol (1897–1968) 113, 185, 262 f., 370 Małowist, Marian (1909–1988) 369 Manteuffel, Tadeusz (1902–1970) 27, 140, 144, 214, 316 Marchlewski, Julian (1866–1925) 321, 327 Marczewski, Jerzy 364 Markert, Werner (1905–1965) 97, 100, 240 f., 245, 251, 314 Markiewicz, Władysław (*1920) 234–236, 369 f., 381 f., 395 f., 416, 420, 430 f., 435–440, 445, 449 f. Maschke, Erich (1900–1982) 33, 35, 58 f., 72, 82 f., 89, 115, 129 Materna, Ingo (*1932) 330 Matuszewksi, Stefan (1905–1985) 177 Męclewski, Edmund (1913–1992) 154 Mehnert, Klaus (1906–1984) 251 Meinecke, Friedrich (1862–1954) 84, 89, 227, 237 f. Mende, Gerhard von (1904–1963) 251 Mertineit, Walter (1926–1987) 419, 423, 428, 430, 438 f., 441 Meyer, Arnold Oskar (1877–1944) 89 Meyer, Enno (1913–1996) 232, 314, 374–376, 378, 381, 385, 397, 402, 429, 459, 462 Mickiewicz, Adam (1798–1855) 176 Miśkiewicz, Benon (1930–2008) 369 Mitkowski, Józef (1911–1980) 166, 220 f. Mocarski, Zygmunt (1894–1941) 45 Morré, Franz 71, 84, 103 Mortensen, Hans (1894–1964) 85, 263 Moszyński, Jan 141 Müller-Mertens, Eckhard (1923–2015) 338 N Näf, Werner (1984–1959) 54, 58 Niekisch, Ernst (1889–1967) 269 Nikisch, Jan Jacek (1910–1996) 142, 211 O Oberländer, Theodor (1905–1998) 82 f., 129, 251, 255, 325 Ochab, Edward (1906–1989) 210, 228 Olszewski, Henryk (*1932) 17, 157, 183, 308

Oncken, Hermann (1869–1945) 89 Osmańczyk, Edmund Jan (1913–1989) 164, 192, 231 Osóbka-Morawski, Edward (1909–1997) 154 Otto I (912–973) 85 P Pagès, Georges (1867–1939) 42 Pajewski, Janusz (1907–2003) 163–165, 173, 215, 369 Papritz, Johannes (1898–1992) 79, 82–84, 86, 117, 119, 132, 244–246, 253, 284, 289, 296 Paprocki, Józef 99 f. Pawłowski, Stanisław (1882–1940) 38, 138 Penck, Albrecht (1858–1945) 34 Petry, Ludwig (1908–1991) 260 f. Pfitzner, Josef (1901–1945) 53 f., 56, 58, 96 Pilichowski, Czesław (1914–1984) 173 Piłsudski, Józef (1867–1935) 39, 43 f., 50, 63, 83, 94, 97, 139, 464 Piotrowicz, Ludwik (1886–1957) 54 Piwarski, Kazimierz (1903–1968) 138, 185, 191, 216, 221 f. Pleyer, Kleo (1898–1942) 36 Płoski, Stanisław (1899–1966) 191, 193 f. Popiołek, Kazimierz (1903–1986) 169, 213, 370 Popławski, Jan Ludwik (1854–1908) 36 Pospieszalski, Karol Marian (1909–2007) 142, 173, 188 f., 191, 193, 195, 211, 234 f. Prawda, Marek (*1956) 353 R Radig, Werner (1903–1985) 129 Rauch, Georg von (1904–1991) 126, 278, 283 Recke, Walter (1887–1962) 33, 35, 78, 89, 261, 295 Reinfuss, Roman (1910–1998) 179 Rhode, Gotthold (1916–1990) 20, 28, 86, 121, 186, 228, 248, 251, 259–261, 265, 277 f., 281, 283, 285, 287, 290, 292, 294, 301, 354, 362, 366 f., 381, 386–390, 405, 411 f., 417–422, 426 f., 434–436, 439, 444

 Personenregister  Ritter, Gerhard (1888–1967) 89, 112, 230, 232, 237, 364 Rogalski, Alexander (1912–1996) 164, 185 Rohde, Georg (1899–1960) 295 Rola-Żymierski, Michał (1890–1989) 168 Roosevelt, Franklin D. (1882–1945) 154 Roos, Hans (1919–1984) 255, 355 f., 362, 365 Rosenberg, Alfred (1892–1946) 96, 132 f. Rothfels, Hans (1891–1976) 20, 33, 35, 42, 52, 58 f., 77, 81, 84, 89 f., 230, 232, 242, 294, 363 Rudnicki, Mikołaj (1881–1978) 38, 41, 138, 267 Rutkowski, Jan (1886–1949) 41 Ryszka, Francziszek (1924–1998) 369, 419, 429 S Samsonowicz, Henryk (*1930) 369 Sappok, Gerhard 84 f., 129 Schaeder, Hildegard (1902–1984) 84 f. Schäfer, Dietrich (1845–1929) 77 Schaff, Adam (1913–2006) 214 Scheel, Heinrich (1915–1996) 322, 326, 329, 332 f., 341, 345 f. Scheel, Otto (1876–1954) 112 Schieder, Theodor (1908–1984) 18 f., 33, 81, 117 f., 123, 240 f., 246, 255, 259, 261, 263, 281 f., 292, 294, 297, 363 Schier, Bruno (1902–1984) 267, 270 f., 300 Schilfert, Gerhard (1917–2001) 311, 341, 376 Schiller, Otto (1901–1970) 251 Schlenger, Herbert (1904–1968) 228, 258, 261 Schlesinger, Walter (1908–1984) 33, 200, 232, 237, 270–274, 296, 298–300, 366 Schmidt, Carlo (1896–1979) 248 Schmidt, Helmut (*1918) 440, 445 Schmidt, Walter (*1930) 331 Schramm, Gottfried (*1929) 356 Schramm, Percy (1894–1970) 359 Schweitzer, Albert (1875–1965) 243 Schwidetzky, Ilse (1907–1997) 278 Sczaniecki, Michał (1910–1977) 197, 205, 234 Semkowicz, Władysław (1878–1949) 58, 94, 143

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Seraphim, Peter-Heinz (1902–1979) 252, 257 f., 261, 295, 325 Serczyk, Jerzy (1927–2006) 287 Serejski, Marian Henryk (1897–1975) 369 Serwański, Edward (1915–2002) 211, 288 Sienkiewicz, Henryk (1846–1916) 1 Skibowski, Klaus Otto (1925–2013) 360 Smogorzewski, Kazimierz (1896–1992) 98 f. Sobieski, Wacław (1872–1935) 38–42, 44, 107 Sosnowski, Kirył (1910–1966) 211 Spuler, Bertold (1911–1990) 278 Srocki, Bolesław (1893–1954) 164 Srokowski, Stanisław (1872–1950) 63 Stählin, Karl (1865–1939) 84, 89, 92 Stalin, Josef (1878–1953) 101, 154, 165, 206 f., 211–214, 218, 228, 270, 280, 335 f. Starke, Gotthold (1896–1968) 255 Stasiewski, Bernhard (1905–1995) 100, 254, 278 Stehle, Hansjakob (1927–2015) 360 Steinacher, Hans (1892–1971) 82 Steinbach, Franz (1895–1964) 82 Steller, Walther (1895–1971) 268, 295 Stengel, Edmund (1879–1968) 227 Stern, Leo (1901–1982) 324 Stöckl, Günther (1916–1998) 278 Stojanowski, Karol (1895–1947) 38 Strecker, Reinhard (*1930) 378 Stresemann, Gustav (1878–1929) 39 Strzelczyk, Jerzy (*1941) 369 Suchocki, Mieczysław 217, 229 Suchodolski, Bogdan (1903–1992) 173 Szcześniak, Andrzej (1932–2003) 430 Szembek, Jan (1881–1945) 104 T Taylor, Alan J. P. (1906–1990) 237 Tazbir, Janusz (*1927) 343, 359, 369, 388, 394 f., 413 Thedieck, Franz (1900–1995) 252 Topolski, Jerzy (1928–1998) 450 Trautmann, Reinhold (1883–1951) 33, 267 Trawkowski, Stanisław (1920–2008) 430 Trzeciakowski, Lech (*1931) 369

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 Personenregister

Tyc, Teodor (1896–1927) 37, 63, 73 Tymieniecki, Kazimierz (1887–1968) 37, 41, 55, 88, 93 f., 138, 165, 222, 324 U Uebersberger, Hans (1877–1962) 97, 100 Unverzagt, Wilhelm (1892–1971) 54, 85, 133, 227, 289, 326 V Vasmer, Max (1886–1962) 34, 79, 82 Vogel, Walther (1880–1938) 82 Volz, Wilhelm (1870–1958) 34 von Arnim, Achim 96, 100 von Moltke, Hans-Adolf (1884–1943) 60 von Thadden, Rudolf (*1932) 439 W Wagner, Helmut (*1929) 356 Wagner, Wolfgang 261 f., 279 f. Wąsicki, Jan 369 Wawrykowa, Maria (1925–2006) 369 Wehler, Hans-Ulrich (1931–2014) 255 f., 363 Widajewicz, Józef (1889–1954) 68, 138 Willmann, Adam (1908–1995) 394 Windelband, Wolfgang (1886–1945) 84, 92 Winter, Eduard (1896–1982) 326 Wiskemann, Elizabeth (1899–1971) 243, 279 f., 365 f. Wittram, Reinhard (1902–1973) 125–127, 254 Wöhlke, Wilhelm (1925–2000) 286, 428, 438 Wojciechowska, Maria (1902–1990) 205, 215, 220 Wojciechowski, Marian (1927–2006) 143, 233, 235, 337 f., 354, 369, 380, 395–397, 411, 429, 436–440 Wojciechowski, Zygmunt (1900–1955) 24, 37, 68, 71, 88, 137–143, 151, 153–155, 157, 159–162, 164, 166–168, 171 f., 174, 176–178, 183–186, 189, 199, 201–203, 205–213, 215–219, 221 f., 224, 227–231, 237, 307 Wysłouch, Seweryn (1900–1968) 169, 213, 220, 222

Z Zahn, Friedrich von (1902–1993) 281 Zakrzewski, Stanisław (1873–1936) 48, 91, 93 Żarnowski, Janusz (*1932) 334 Zernack, Klaus (*1931) 17, 187, 362, 367, 386, 390, 420, 423, 429, 438, 444, 448, 450 Zieliński, Henryk (1920–1981) 323, 370 Zientara, Benedykt (1928–1983) 358, 369, 444, 448 Zierhoffer, August (1893–1969) 205 Zipfel, Ernst (1891–1966) 121, 131 Znaniecki, Florian (1882–1958) 38

Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuel und Lutz Raphael Die Reihe Ordnungssysteme nimmt Impulse auf, die sich seit zwei Jahrzehnten aus der Revision politik- und sozialgeschichtlicher Forschungsansätze entwickelt haben. Als Forum einer methodisch erneuerten Ideengeschichte trägt sie der Wirksamkeit politisch-kultureller Traditionen Europas seit dem Zeitalter der Aufklärung Rechnung. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dem konkreten Wechselspiel ideeller, politischer und sozialer Prozesse. Die Reihe Ordnungssysteme hat insbesondere das Ziel: – vergleichende Studien zu den nationalen Eigenarten und unterschiedlichen Traditionen in der europäischen Ideengeschichte zu fördern, – gemeineuropäische Dimensionen seit der Aufklärung zu untersuchen, – den Weg von neuen Ideen zu ihrer breitenwirksamen Durchsetzung zu erforschen. Die Reihe Ordnungssysteme verfolgt einige Themen mit besonderem Interesse: – den Ideenverkehr zwischen Europa und Nordamerika, – die Beziehungen zwischen politischen und religiösen Weltbildern, – die Umformung der politischen Leitideen von Liberalismus, Nationalismus und Sozialismus im 20. Jahrhundert, – die Herausbildung traditionsstiftender, regionenbezogener Gegensatzpaare in der europäischen Ideenwelt, wie zum Beispiel den Ost-West-Gegensatz. Die Reihe Ordnungssysteme bemüht sich um eine methodische Erneuerung der Ideengeschichte: – Sie verknüpft die Analyse von Werken und Ideen mit ihren sozialen, kulturellen und politischen Kontexten. – Sie untersucht die Bedeutung von Wissenssystemen in der Entwicklung der europäischen Gesellschaften. – Sie ersetzt die traditionelle Ideengeschichte der großen Werke und großen Autoren durch eine Ideengeschichte, die Soziabilität und Kommunikation als tragende Gestaltungskräfte kultureller Produktion besonders beachtet. – Sie bezieht Institutionen und Medien der Kulturproduktion systematisch in die Untersuchung ein.

Band 1: Michael Hochgeschwender Freiheit in der Oensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen 1998. 677 S. ISBN 978-3-486-56341-2

Band 2: Thomas Sauer Westorientierung im deutschen Protestantis­ mus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises 1999. VII, 326 S. ISBN 978-3-486-56342-9

Band 3: Gudrun Kruip Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen 1999. 311 S. ISBN 978-3-486-56343-6 Band 4: Axel Schildt Zwischen Abendland und Amerika Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre 1999. VIII, 242 S. ISBN 978-3-486-56344-3 Band 5: Rainer Lindner Historiker und Herrschaft Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert 1999. 536 S. ISBN 978-3-486-56455-6 Band 6: Jin-Sung Chun Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit Die westdeutsche „Strukturgeschichte“ im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948–1962 2000. 277 S. ISBN 978-3-486-56484-6 Band 7: Frank Becker Bilder von Krieg und Nation Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öf­fentlichkeit Deutschlands 1864–1913 2001. 601 S. und 32 S. Bildteil ISBN 978-3-486-56545-4 Band 8: Martin Sabrow Das Diktat des Konsenses Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969 2001. 488 S. ISBN 978-3-486-56559-1

Band 9: Thomas Etzemüller Sozialgeschichte als politische Geschichte Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 2001. VIII, 445 S. ISBN 978-3-486-56581-2 Band 10: Martina Winkler Karel Kramář (1860–1937) Selbstbild, Fremdwahrnehmungen und Mo­dernisierungsverständnis eines tschechischen Politikers 2002. 414 S. ISBN 978-3-486-56620-8 Band 11: Susanne Schattenberg Stalins Ingenieure Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren 2002. 457 S. ISBN 978-3-486-56678-9 Band 12: Torsten Rüting Pavlov und der Neue Mensch Diskurse über Disziplinierung in Sowjetrussland 2002. 337 S. ISBN 978-3-486-56679-6 Band 13: Julia Angster Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie Die Westernisierung von SPD und DGB 2003. 538 S. ISBN 978-3-486-56676-5 Band 14: Christoph Weischer Das Unternehmen ‚Empirische Sozialforschung‘ Strukturen, Praktiken und Leitbilder der Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland 2004. X, 508 S. ISBN 978-3-486-56814-1

Band 15: Frieder Günther Denken vom Staat her Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwi­­schen Dezision und Integration 1949–1970 2004. 364 S. ISBN 978-3-486-56818-9 Band 16: Ewald Grothe Zwischen Geschichte und Recht Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970 2005. 486 S. ISBN 978-3-486-57784-6 Band 17: Anuschka Albertz Exemplarisches Heldentum Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart 2006. 424 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-57985-7

Band 21: Thomas Großbölting „Im Reich der Arbeit“ Die Repräsentation gesellschaftlicher Ord­nung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914 2007. 518 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-58128-7 Band 22: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.) Ordnungen in der Krise Zur politischen Kulturgeschichte Deutsch­ lands 1900–1933 2007. 566 S. ISBN 978-3-486-58177-5 Band 23: Marcus M. Payk Der Geist der Demokratie Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuil­leton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn 2008. 415 S. ISBN 978-3-486-58580-3

Band 18: Volker Depkat Lebenswenden und Zeitenwenden Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts 2007. 573 S. ISBN 978-3-486-57970-3

Band 24: Rüdiger Graf Die Zukunft der Weimarer Republik Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutsch­land 1918–1933 2008. 460 S. ISBN 978-3-486-58583-4

Band 19: Lorenz Erren „Selbstkritik“ und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin (1917–1953) 2008. 405 S. ISBN 978-3-486-57971-1

Band 25: Jörn Leonhard Bellizismus und Nation Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750–1914 2008. XIX, 1019 S. ISBN 978-3-486-58516-2

Band 20: Lutz Raphael, Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.) Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte 2006. 536 S. ISBN 978-3-486-57786-0

Band 26: Ruth Rosenberger Experten für Humankapital Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland 2008. 482 S. ISBN 978-3-486-58620-6

Band 27: Désirée Schauz Strafen als moralische Besserung Eine Geschichte der Straälligenfürsorge 1777–1933 2008. 432 S. ISBN 978-3-486-58704-3

Band 33: Silke Mende „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ Eine Geschichte der Gründungsgrünen 2011. XII, 541 S., 6 Abb. ISBN 978-3-486-59811-7

Band 28: Morten Reitmayer Elite Sozialgeschichte einer politisch-gesell­schaft­ li­chen Idee in der frühen Bundesrepublik 2009. 628 S. ISBN 978-3-486-58828-6

Band 34: Wiebke Wiede Rasse im Buch Antisemitische und rassistische Publikatio­nen in Verlagsprogrammen der Weimarer Republik 2011. VIII, 328 S., 7 Abb. ISBN 978-3-486-59828-5

Band 29: Sandra Dahlke Individiuum und Herrschaft im Stalinismus Emel’jan Jaroslavskij (1878–1943) 2010. 484 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-58955-9 Band 30: Klaus Gestwa Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte, 1948–1967 2010. 660 S., 18 Abb. ISBN 978-3-486-58963-4

Band 35: Rüdiger Bergien Die bellizistische Republik Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918–1933 2011. 448 S. ISBN 978-3-486-59181-1 Band 36: Claudia Kemper Das „Gewissen“ 1919–1925 Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen 2011. 517 S. ISBN 978-3-486-70496-9

Band 31: Susanne Stein Von der Konsumenten- zur Produktionsstadt Aufbauvisionen und Städtebau im Neuen China, 1949–1957 2010. VIII, 425 S., 107 Abb. ISBN 978-3-486-59809-4

Band 37: Daniela Saxer Die Schärfung des Quellenblicks Forschungspraktiken in der Geschichtswissenschaft 1840–1914 2014. 459 S., 1 Abb. ISBN 978-3-486-70485-3

Band 32: Fernando Esposito Mythische Moderne Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien 2011. 476 S., 17 Abb. ISBN 978-3-486-59810-0

Band 38: Johannes Grützmacher Die Baikal-Amur-Magistrale Vom stalinistischen Lager zum Mobilisierungsprojekt unter Brežnev 2012. IX, 503 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-70494-5

Band 39: Stephanie Kleiner Staatsaktion im Wunderland Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930) 2013. 588 S., 38 Abb. ISBN 978-3-486-70648-2

Band 43: Malte Rolf Imperiale Herrschaft im Weichselland Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915) 2015. 537 S., 31 Abb. ISBN 978-3-486-78142-7

Band 40: Patricia Hertel Der erinnerte Halbmond Islam und Nationalismus auf der Iberischen Halbinsel im 19. und 20. Jahrhundert 2012. 256 S., 22 Abb. ISBN 978-3-486-71661-0

Band 44: Sabine Witt Nationalistische Intellektuelle in der Slowa­kei 1918–1945 Kulturelle Praxis zwischen Sakralisierung und Säkularisierung 2015. 412 S. ISBN 978-3-11-035930-5

Band 41: Till Kössler Kinder der Demokratie Religiöse Erziehung und urbane Moderne in Spanien, 1890–1936 2013. 544 S., 19 Abb. ISBN 978-3-486-71891-1 Band 42: Daniel Menning Standesgemäße Ordnung in der Moderne Adlige Familienstrategien und Gesellschaftsentwürfe in Deutschland 1840–1945 2014. 470 S., 8 Abb. ISBN 978-3-486-78143-4

Band 45: Stefan Guth Geschichte als Politik Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert 2015. VII, 520 S. ISBN 978-3-11-034611-4