Gesang als schöpferisches Erleben: Ein stimmerzieherischer Weg als Grundlage allgemeiner musikalischer Volksbildung [Reprint 2019 ed.] 9783486750799, 9783486750782


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German Pages 66 [72] Year 1925

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Table of contents :
Vorwort
I. Wesen des Gesanges
II. Schöpferisches Erleben
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Gesang als schöpferisches Erleben: Ein stimmerzieherischer Weg als Grundlage allgemeiner musikalischer Volksbildung [Reprint 2019 ed.]
 9783486750799, 9783486750782

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Gesang als schöpferisches Erleben Ein stimmerzieherischer Weg alsGrundlage allgemeiner musikalischerVolkSbildung

von

Heinrich Frankenberger

.München und Berlin 19 2 5 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Vorwort. (Sitte der wichtigsten volkserjieherischen Aufgaben ist die einer allgemeinen musikalischen Volksbildung. Musik ist Sache des Erlebens. Erleben aber ist Bewegung des inneren Menschen: die schöpferischen Gedanken der Meister wollen und sollen gleichgestimmte Schwingungen im Hörer jum Leben erwecken. Dies setzt Schwiaguvgsfähtgkeit voraus. Sie ist in den breiten Massen -es Volkes nicht in dem Maße vorhanden, daß daS Beste und Tiefste der Meisterwerke empfaugswilltge lebeuumsetzende, ver, arbeitvngsfreudige Aufnahmestationen findet. Deo» nicht aktive musikalische Betätigung darf es tvnächst sein, was die musikalische Volksbildung erstrebt, sondern die innerste Aufgabe muß sein das Wecke» der Sehnsucht nach dem seelisch-geistigen Verständnis der letzten Tiefen der Kunst. — Das Urwesen aller Musik ist der Gesang. Durch ihn muß erst Schwiugvugsfähtgkeit, Freude am Schönen und Tiefe der Auf, fassuag ins Volk gebracht werden, damit es am ureigensten und unmittelbarsten „musikalischen" Instrument den Ton, den Laut, die Melodie, das Lied schöpferisch erlebe. Dieses schöpferische Erleben führt in das innerste Wesen der Kunst, läßt ihren Puls­ schlag spüren, setzt an Stelle trägen Nurgeuießenwolleus tätiges, bewußtes Mttschaffen: Schaffensfteude am Umsetzen getstig-seellscher Empfindungen in körperliche Schwingungen.

Nürnberg, den 18. Mai 1925.

Der Verfasser.

I. Wesen des Gesanges. „Das moderne Bewußtsein lebt dem Sprechen

gegenüber ganz in der Jdeenempfindung, es hat die Laut-und Wortempfindung fast verloren. Aber in der Jdeenempfindung geht auch die sinn­

lich,wahrnehmbare Geistigkeit verloren, die

das Wesen aller Kunst ist." Rudolf Steiner.

Gesang ist Dichtung. Der erste Menschenlaut «ar das erste Gedicht; es entstand durch Verdichtung äußeren Geschehens »«

innerem schöpferischen Erleben, das eben im Laut und seinen Ver­ bindungen zu Worten Vorgänge, Geschehnisse, Handlungen «nd

Zustände in ihren Wesensmerkmalen formte «nd gestaltete und damit jene „sinnlich-wahrnehmbare Geistigkeit" schuf, die das

Dichterisch-Geschaute auch beim Hörer zu unmittelbarem Erleben

werden läßt. Dichter und Sänger war früher eine untteanbare Einheit, früher, wo die Laut- und Wortempfiaduag noch in ihrer klingenden und singenden, webende» «nd lebenden Ursprüng­ lichkeit schöpferische Werte schuf. Zu dieser schöpferisch gestaltenden Einheit müssen wir wieder gelangen, wenn unser Singen wieder — was es einstmals war — Ausfluß inneren Erlebens und Aus­

ströme« tiefinnerster Lebensfreude «erden soll. Sänger sein heißt Dichter sein: nachschaffeuder Wort- und Tondichter. Aus denselben Quellen, aus denen diese schöpften,

muß der Sänger sich Form- «nd Gestaltungskraft holen: Geist, Seele, Körper — denn diese Dreiheit ist es, diese Dreieinigkeit

vermag allein jene „sinnlich-wahrnehmbare Geistigkeit" z« schaffen, welche das wort- «nd tondichterische Kunstwerk in tönendes Leben

umsetzt. Der universal gerichtete, über das Irdische hinaus denkende Geist des echten Dichters holt sich aus dem Kosmos Schwingungen, die sich in ihm ju hohe« erhabenen Gedanken verdichten. Frankenberger, Gesang als schöpferisches Erleben.

2 Die tief im Körperinaern „wallende und wogende Lebens­ kraft", deren organischer Sitz das Zwerchfell ist, antwortet den kosmischen Schwingvngen durch Empfindungen und Urgefühle, welche als Uranlage vom ersten kosmischen Gedanken des Menschen­ geschlechtes an in «ns schlummern. Die Wechselwirkung aber jwischen Kosmos und Körper, zwischen All und Einzelwesen, zwischen Geist und Zwerchfell er­ zeugt jene Schwingungen, die erst das Kemwesen dichterischen Schaffens ausmachen und in ihrer Weite und Größe der Emp­ findung die Seele schufen. Alles dichterische Schaffe», ob in Wort, Ton, Farbe oder Stein, ist Schwingung, Bewegung, Empfindung.

Unser nur triebhaft arbeitendes Sprechen und Singen hat die „flanlich-wahrnehmbare Geistigkeit" verloren, weil wir nicht mehr sprechend und singend „dichten", weil Schwingnng, Be­ wegung und Empfindung erstarben, ersterben mußten, da sie nur durch kosmisch-universales Denken möglich sind. Unserem materialistisch-objektiven Zeitalter gingen die feinen Sinne hiefür verloren. Gesang aber ist. eine rein kosmische Erscheinung, die auch ohne «ns da ist und längst vor uns da «ar als Schwingung des Äthers; ist doch Laut und Ton nichts anderes als schwingender Äther. Wir sind nur — oder vielmehr sollten sein — die Resonatoren dieses allumfließenden Äthergesanges. Nur wenn wir wieder kosmisch denken, wieder Urewiges in uns aufzunehmen fähig werden, die Ätherschwingungen wieder auf uns wirken lassen, kurz wenn wir wieder zu verdichtendem Leben, zur Verinnerlichung und Sammlung kommen, also zu „Dichtern" im Sinne hoher und ewiger Lebensauffassung werden, erst dann «erden wir alle wieder Sänger sein.

Gesang war ursprünglich nur schöpferisches Erleben: Ver­ dichtung universal-kosmisch gerichteter, Ewigkeit atmender Ge­ danken zu körperlich-seelischen Schwingungen. Gesang ist heute triebhafte Nachahmung: geist- und seelen­ loser Drill im Dienste rein musikalischer Belange unter Auswirkung stärkster körperlicher Hemmungen. Wie kann der Gesang wieder zu schöpferischem Erleben werden?

3 Wen» wir wieder den Weg zu «ns selbst stade», wen« wir durch stärkste Sammlung, Verinnerlichung und Verdichtung wie­ der fähig werden von innen nach außen zu leben und ju wachsen «nd wenn dieses nach avßen wirkende Leben und Wachsen nichts anderes ist als der dichterisch-schöpferische Widerhall all des Schönen, Großen und Ewigkeitsgerichteten was wir und unser Geschlecht in uns ausgenommen und zu Kraftquellen echten Lebens «erden ließen. Das Erschließen dieser seit Urmenschheits­ tagen in uns schlummernden «nd das immerwährende neue Speisen dieser unaufhörlich wirkenwollenden dichterischen Kraftquellen in uns ist das «reigentliche Wesen des Gesanges, ist das schöpferische Erleben des Menschseins selbst. Was in nns schlummert und was wir immer wieder speisen müssen, ist die Empfindnagsfähigkeit für das UniversalKosmische, für das über der unzulänglichen Erscheinungsform lebende und webende Allsein, für den Geist, der in allen uns um­ gebenden Dingen wirkt und schafft; die Empfindungen des DichterSängers entstammen der Geistwelt und nicht der Erscheinnngsform der Dinge, find zeitlos, lassen sich nicht hinabziehen in materielle Gebundenheit und sind nicht abhängig von menschlichen Anschau­ ungen, Richtungen und Einstellungen. Der Weg zu uns selbst? Ja, wir finden und haben uns ja gar nicht mehr in all dem Wirrwarr religiöser, philosophischer, politischer, gesellschaftlicher Strömungen, die auf uns einwirken. Wir leben nicht mehr uns selbst, wir werben gelebt, unser selbst­ schöpferisches Leben, unsere Originalität, unser Nvreinmaldasein, unser „Ich bin" ging verloren, wir leben nur von außen nach innen, nehmen das Wesen anderer auf und verliere« uns selbst, nehmen andere Anschauungen hin ohne sie so zu verarbeiten, daß sie von uns positiv oder negativ erlebt werden können. Grund dieser Erscheinung: Wir sind viel zu sehr diesseitige Zeit- und Raummenschen geworden, die nur vom Nützlichkeits­ staadpunkt ausgehend allein den Verstand sprechen lassen. Das innerste «nd eigentliche vnseres Wesens, unseres Seins, das Gemüt, das Gefühl, wird nicht gefragt, sondern vergewaltigt. Und ist oder sollte sein „das Gehirn doch nur der Diener des Ge-

mütes". Unser „Leben" im Sinne unseres eigenen einzigartigen urpersönlichen Seins steckt nun einmal nicht im Kopfe, nicht i«

Gehimwindungen. Unser Urwesen, das allein schöpferisch er­ leben kann, steckt dort, wo wir Freude und Leid, Begeisterung und Abscheu, Liebe und Haß, Mut und Verzweiflung, Mitleid und Zorn empfinden. Empfindung ist Leben, da sie Dewegnng ist. Das Ursprünglich-Seiende also, das erstmals Lebende und Schaffende ist die Empfindung der Bewegung in uns. „Wir werden bewegt," ein Blümchen des Lenzes „bewegt" unser

Gemüt, ein Sonnenstrahl, eine Freude, ein Schicksal „bewegen" uns. Das ist das eigentliche innerste dichterische Wesen unseres Seins: daß wir bewegt werden, bewegt werden können. Dann erst kommt der Diener „Verstand" zu Wort durch das Denken: der Geist formt, was Körper und Gemüt bewegt. Dieses „Denken" ist also erst eine Frucht der Gemüts­

bewegung, gewissermaßen ein Antworten auf eine Frage des Lebens in uns. Homer nennt das Denken „zu seinem #1710; („thymös“) sprechen" oder „der thymös sagt zu einem". Unter thymös versteht Homer die den Menschen durchwallende, durch­ wogende, durchrauschende Lebenskraft, Lebensempfindung, Lebens­

weisheit, sein organischer Sitz ist das Zwerchfell ( Katheder-Platzhalter könnten von Kant lernen! Religionslehrer ohne Religionsempfindung, Geschichtslehrer ohne innere Schwin-

7gvugen, Naturwissenschaftler ohne Empfindung für die Naturschönheit, Deutschlehrer ohne Dichtergeist, Mufiklehrer ohne Ton­

empfindung und — Gesanglehrer ohne Gesang! Und noch einmal

Kant! Wie sagte der große Denker? Der Denker im Sinne Homers, der seinen Verstand im Wechselaustausch mit seinem innerste«

Menschsein spreche» läßt?

Der Sänger Kant „sang" also: „Ich

-lanbe durch meine Philosophie mit allem im Karen ju sein, — wenn ich aber einen evangelische» Choral höre, so gibt mir das eine» nicht gibt."

Frieden, den

mir meine Philosophie

Dies sagt ein Welttveiser. Wer Ohren hat ju hören, der höre! Der tiefinnerste New unseres Lebens ist -das Streben nach Harmonie, nach Weben in uns und mit Gott. „Harmonie ist das Grundprinzip allen Lebens" sagt Pythagoras. Am Gesang, dem Erschließer der in uns ruhenden Lebenskräfte, können wir diese Harmonie «ns erarbeiten, den» echtes schöpferisch-tönendes

Leben und Erleben ist stets Harmonie. Wir erleben den Gesang schöpferisch, wenn wir schaffend tätig find wie der Wort- und Tondichter: mtt demselben Grad geistiger

Verinnerlichung, mit derselben seelischen Weite und Größe und mit derselbe» körperlichen Vertiefung. Solchermaßen geistig-

seelisch-körperlich eingestellt arbeitet vaser Stimmorganismus ein­ wandfrei künstlerisch als Übertrager wort- und tondichterischer Wette. Da uns aber durch einseitige Derstandesknltur die Laut- und

Wortempfindung und damit die „stnnlich-wahrnehmbare Geistig­ kit" verloren ging und da durch materielle Einstellung unser Ohr verdorben wurde und das Stimmorgan in seiner Schwingungs­

elastizität stark beeinträchtigt ist, gilt es, erst diese Hemmungen zu beseitige«, damit jeder einzelne Laut und Ton wieder eine aus dem kosmischen Äther gewonnene geistige Schwingung und tieferschöpfte körperliche Empfindung, jeder Laut- und Tovansatz und damit jedes Wort und Lied aber eine seelisch gewonnene Dich­ tung sein kann. Hohe erhabene Gedanken in Toneinsatz und Ton­ führung, weites großzügiges Formen des Lautes und tiefstes Heranfholen der Lebensschwingungen für das dynamische Ge­

stalten sind die Grundbedingungen des Gesanges wie ewigkeits-

8 gerichteter Geist, seelische Größe und tiefste Lebensschwinguu-en Voraussetzung echten Lebens sind. — Als Erschließ«»- der in unserem tiefsten Sein, in vnserem

thymös schlummemden Kräfte haben wir das Wesen des Ge­ sanges erkannt. Wer Tiefes jn sagen hat und diese Tiefen stimm­

lich offenbaren will, wer ein devtsches Volkslied erschöpfen, wer als Redner den Hörer in seinem Jaaststea packe», «er die Seelen­ größe und Schwingungstiefe eines Bach, Beechovea oder Brahms, eines Goethe, Schiller oder Mörike vor uns hinstellen will, der

muß durch geistig-seelisch-körperliche Schwingungen in stch schöpfer­ isches Leben entfalten, welches fähig ist, die geistig-seelisch-körperlichen Schwingungen, ans denen die Wort- und Tondichte ihre Werke schufen — Schwingungen, die, in kalten toten Buchstaben und Notenköpfen wie in einem Zauberschlaf gebannt sind und nur des rechten Weckers harren — nachzuempfinden und nachzugestalten, und zwar in demselben hohen Grade wie die Meister. Da­

durch nehme» wir die große Kunst-, Schaffens- und Lebensform der Meister an und erreichen den Zweck aller Kunst, der da ist, daß der Menschen Wesen Form gewinne. Wir

werden dann Geist von ihrem Geist, Seele aus ihrer Seele und Körper ihres Körpers. Ja — auch ihres Körpers, dessen tiefe Zwerchfellschwingungen als Melos, Rhythmus und Dynamik in ihren Werken wallen und wogen. Der Sänger aber gibt in seinem schöpferischen Leben, Erleben und Nacherleben diese Schwingungen an den Hörer weiter und so werden: der Schöpfer allen Lebens

— der lebengestaltende Meister des Wortes oder Tones — der lebeanachschaffende Sänger oder Redner — und der lebenempfangeade Hörer, der durch hochgestimmte Lebensfreude sich als dankbar gegen seinen Schöpfer erweist — in einem lebeadurch-

fluteten Ring geeint. Darum haben stch seit Urtagen alle Reli­

gionen der hymnische» Form, des Gesanges, bedient. Im gotlentsproffenen „logos", in Wort, Laut, Ton, Sprache und Melos ist der Gesang der Vermittler zwischen Gott und Mensch, zwische»

Mensch «nd Gott, zwischen Ewigkeit und Zeitlichem, zwischen höhere» Welten «nd dem Diesseit. So soll nun jedes Menschenkind in diesen Lebens,

ring eingeschlossen werden, soll Jeder in Lebensschwingnn,

9 gen versetzt vad ju einer Kraftquelle sich answachsea, die von einem

Menschen jnm andern wirkt nad so «eckt wie eia ewiger, lachender

Lenz das Tote, das Schlafende, das Selbstisch-Starre zum Leben,

zum Blühen, zvm Gedeihen... Wenn Beethoven sagt, daß es mit der Musik eine sehr ernste Sache sei, die eine höhere Offenbarung darstelle als alle Weisheit

und Philosophie, so gilt dies am allerersten für die Quelle aller Musik, für den Gesang, jener Musik göttlichster Art, bei der Geist,

Seele und Körper sich in höchstgesteigerten Lebensschwingnngen

zum Preise allen Lebens, jvm Lobinstrument der Gottheit aufs innigste vermählen. —

Ja — Gesang ist eine sehr ernste Sache! Gebe Gott, daß sie

ernst genommen wird! Daß man an die Frage der Zukunft des Gesanges nicht mit dem Verstände, sondern mit dem Geist heran­

tritt, der seine Quelle in den gottentsproffenen Tiefen des Mensch­

seins hat.

IL Schöpferisches Erleben. Im Anfang war die Empfindung.

Die Empfindung wurde jum Laut. Der Laut erhob fich zum Gesang.

Gesang ist die Urquelle aller Musik. Dies der Weg einererfolgsicheren musikalischen Volkserziehung: Von der Empfindung zum Laut, vom Laut zum Gesang, vom

Gesang zur Musik. „Empfinde und töne!" ist ein von Uranbeginn in uns gelegtes

schöpferisches Gesetz, gegen das wir nicht ungestraft sündigen. Unsere Empfindungen tragen die Bestimmung in sich, daß sie in schöpferischem Gestalten fich selbst erleben, daß sie schöpferischer Aus­

druck werden, daß sie zu schöpferischer Form gelangen, zu einer schöpferischen Betätigung, die selbst Wesen und Gestalt ist. „Lassen Sie uns als Helles Naturgesetz" sagt Herder, „annehmen: Hier ist ein empfindsames Wesen, das keine seiner lebhaften Emp­

findungen in sich einschließen kann, das im erste» Überraschenden Augenblick, selbst ohne Willkür und Absicht, jede Empfindung laut äußern muß. Das war gleichsam der letzte mütterliche Druck der bildenden Hand der Natur, daß sie allen das Gesetz auf die Welt

mitgab: empfinde nicht für dich allein, sondern dein Gefühl töne! Diese Natuttöae tiefster Empfindung, diese Säfte, welche die

Wurzeln unserer Sprache beleben, sind «ns abhanden gekommen;

die Stimme der Natur, die wehende Luft, der Odem Gottes sind tote gemalte willkürliche Zeichen geworden, Buchstabe», Leich­

name." Herder zeigt uns den Weg zur musikalischen Volkskultur, indem

er die verschüttete Urquelle allen Gesanges und damit alles Musikali­ schen wieder erschließt: die Sprache, den Laut, die tönende Emp­ findung, die nach ihm zu „Leichnamen", zu toten starren Zeichen geworden sind, statt daß sie in geistig-schaffender, Wesen und Ge-

11 halt der Empfindung bergender Form jum tönenden schöpferischen Ettebnis «erden. Hier liegt allein das Grundübel unseres ver­ elendeten Dolksgesangs, unserer Unfähigkeit zn einer mvflkalischen Dolksertiehuag ju gelangen, nnseres Mangels einer wirklich vertieften DolksbUdung überhaupt. Da der Laut nichts anderes ist, nichts anderes sein will und sein soll als „laut" gewordene Empfindung, der Gesang nicht- anderes als auf den verschiedensten Empfinduagsstufen gebrachte Laute, die Musik aber nichts anderes als Gesang der Seele ist, die als höchste und vornehmste Aufgabe von der Musik die gesangliche Wirkung alles Instrumentalen ver­ langt, so sind wir berechtigt zu sagen: die Empfindung steht am Anfang ; sie ist nicht nur Ursprung, sondem auch Sein und Wesen alles Musikalischen, ja tragende Einheit alles tönenden Schaffens, wie überhaupt aller Kunst und allen echten schöpferischen Lebens. Musik ist tougewordene Empfindung; ihre Formen sind nicht verstandesmäßig, sondem aus Gesetzen rhythmischen, ästhetische» und dynamischen Empfindens entstanden. Darum kann der Mensch nur so «eit Musiker, d.i. musikalisch empfindevd sein, so weit seine Empfindungen jvr Musik, d. i. ;u rhythmisch-Ssthetisch-dynamischem Erleben geworben sind. Der Deutsche besitzt ein überreiches Gefühlsleben. Aber «erden diese Gefühle ju Werten umgeseht ? Gefühle „haben"—darauf kommt es nicht an. Gefühle verwetten, schöpferisch gestalten, in Form bttngen, erleben und das Erlebte weitergeben—das braucht keiu Volk mehr wie das deutsche, wenn es am Überschwang unverdauter Empfindungen nicht seelisch jvgmnd gehen soll. Sorgen wir dafür, daß das Empfindungsleben unseres Volkes nicht in chaotischer Trieb­ haftigkeit sich austobt oder in Verdrossenheit und seelischer Ver­ schlossenheit verkümmert und dahinsiecht, sondern daß es durch vemünftige Schulung ju schöpferischem Gestalten, ju wirklichem inneren Leben gelangt. Die Laute sind tongewordene Empfindung. Die Ursänger und Erfinder dieser Empfindungen waren Dichter. Aus dichterischem Geiste sind unsere Laute entstanden. Gesang an sich ist nachschaffeades Dichten und alle unsere Freude an Lied und Gesang, an Reim und Gleichklang ist Freude an der Kunst, Freude am Schaffen, Freude am Erleben, Freude an dichterischem Rachschaffen. Dichtet unser Volk nicht in seinen Schelmen- und

12 Trutzliedern, in seinen Spottversen und Zählreimen? Die Ur­ freude unseres Volkes am tönenden (nicht gedruckten!) Laut müssen wir wieder einfangen und einer musikalischen Volkskultur nutzbar machen. Wir müssen dort einsetzen, wo einstmals Wort­ dichter, Tondichter und Sänger in einer Person vereinigt waren, dort, wo die Musik sich vom Gesang als selbständige Kunst trennte, dort, wo es noch keine Vokalmusik im heutigen Sinne gab, dort, wo das wirkliche Volk noch wirklich selbst sang, dort, wo man noch etwas im Volk wußte vym „singen und sagen". Die geistigseelisch-körperliche Kraft des Gesanges als schöpferisches Erleben, als dichterisch-schaffende Tat ging unserem Volke verloren. Diese Kraft dem Volke wiederzu­ gewinnen ist die vornehmste grundlegende Aufgabe für eine musikalische Volkserziehung. Rudolf Steiner ruft unserer Zeit sehr richtig zu: „Es gilt zur Entwicklung der geistig­ seelischen Kräfte unseres Volkes zu gelangen, indem die in früheren Zeitaltern unbewußt wirkenden Seelenfähigkeiten, die mit dem immer bewußter auf die Außenwelt zielenden Streben einschliefen, nunmehr wieder durch Erkraftung des Wollens und Denkens auf neuer Basis zurückgewonnen werden." Welches ist nun für unsere stimmliche Aufgabe die „Seelen­ fähigkeit, die einschlief" durch unser materiell gerichtetes, ver­ äußerlichtes und oberflächliches Leben und die durch starkes Wollen der Verinnerlichung und durch klares Denken wieder zurückge­ wonnen werden muß? Es ist die Seelenfähigkeit tiefster Innen­ empfindung des geistig-seelisch-körperlichen Vorganges der stimm­ lichen Betätigung am Laut, am Ton, am Lied, in der Rede, in der Deklamation, im Kunstgesang. Durch den Verlust der früher unbewußt in die Tiefen des Menschseins wirkenden Seelenfähigkeit des dichterisch entstandenen Lautes wurde unser Sprachgebrauch, unser Sprechen und Singen zur oberflächlichen gewohnheitsmäßigen und darum gewöhnlichen Formel, die mit der einstigen dichterisch­ tieferfaßten, Wesen und Gehalt des Lautes in sich gestaltende» geistig-seelisch-körperlichen Form nichts mehr zu tun hat. Wenn wir aber bedenken, daß die Entdeckung der menschlichen Stimme und die Erfindung der Laute, dieser Urdichtung und Urverinnerlichung der Menschheit, wohl die ursprünglichste künstler-

13 ische Regung, das erste Horchen nach innen, gewissermaßen die Entdeckung der Seele des Menschen in «ns gewesen sein muß, so wird es klar, daß mit der Deroberflächlichung und Veräußerlichung unseres Stimmvorgangs und Sprachgebrauches auch eine Der­ oberflächlichung und Veräußerlichung des seelischen Lebens im Volke Hand in Hand gehen mußte. Die aus den Tiefen des Mensch­ seins quellende Urmustk, jener Urgefang der Seele, der nichts anderes

ist als Harmonie in sich «nd mit der umgebenden endlichen und unendlichen Welt, ging dem Volke mehr und mehr verloren. Da aber nach Pythagoras Harmonie das Grundprinzip alle« Lebens ist, so ging uns mit dem Verlust tiefster Jnnenempfindung unserer Urmusik des Lautes und der Sprache auch das „Leben", d. i. das tiefste Jnnenempfinden unseres Seins, das originelle, nur einmal da seiende „Ich bin!" verloren. Wir verloren mehr und mehr unsere zentrale, in uns ruhende Stellung zur Außenwelt, wir «erden gelebt von den Dingen außer uns, wir leben nicht mehr in uns. Es gilt deshalb, dem Volke die Seelenfähigkeit der inneren tiefsten Lebensempfindung wiederzvgewinnen. Das kann nur am Laut, an der Sprache, am Gesang geschehen. Laut, Sprache, Gesang sind aus dichterisch-schöpferischem Erleben des Menschen in uns entstanden. Diese Fähigkeit, sich selbst zu erleben, sich selbst zu finde«, sich innen zu finden, also zu empfinden, dieser Weg zu uns selbst muß wieder gefunden werden, wenn unser Volksleben «nd jedes Einzelnen Leben wieder zum „tiefempfundenen" Gesänge werden soll. Denn was ist letzten Endes Gesang anderes als tiefste Harmonie zwischen der Welt außer uns und der Welt in uns? Die Außenwelt in uns ver­ arbeiten zu seelischem Gleichgewicht, zur lebensbejahenden Har­ monie: das ist das innerste Wesen des Gesanges. Schwingungen der Außenwelt — Licht, Sonne, Tag, Blume, Wald, Geliebte, Freund, Kind, Weltall, Gott — zu tiefen seelischen Empfindungen werden und reifen lassen und diese in Lam, Ton, Sprache und Lied vermittelst der Schwingungen unseres körperlichen Stimm­ organs umsetzea: das ist Gesang, wie wir jedes Umsetzen seelischer Empfindungen in körperliche Schwingungen Gesang nennen können, so daß Musik, Tanz, Sport, Turnen, Wandern, Mimik,

14 ja jede treue harmonische Arbeit zum Gesänge werden: tiefes inneres Leben ringt nach Ausdruck, nach Betätigung, »ach — Bewegung. Unser wirkliches inneres Leben, jenes Unbewußt-Tiefe

unseres Seins, jener gesunde Gegensatz also zu unserem äußeren

„bewußten", d.i. berechnenden Scheinleben beruht auf seelisch­ körperlichen Schwingungen. Denn was ist die Empfindung anderes als Bewegung. Der Anblick des Schönen in Natur und Leben

„bewegt" uns: wir empfinden das Schöne. Der Gedanke an Hohes und Edles „erhebt" nnsr wir empfinden das Erhabene.

Die Erkenntnis der tiefen Wahrheiten des Menschseins „erschüttert"

uns: wir empfinden die Tragik des Menschlichen. Die Empfindung aber will als echte Bewegung fich als Bewegung fortpfianzen: sie will „laut" werden, sie will tönen im Laut. Darum spricht die echte

Empfindung mit „gehobener" Sprache, mit „bewegter" Stimme. Der Laut selbst aber möchte in der einmal angefangenen Bewegung verharren, er möchte fich fortpfianzen. Da er selbst nichts anderes ist als tönende Empfindung, möchte er bis in die höchsten Stufen

der Empfindnngsgrade steigen: er wird zum Gesang, der sich eigens wieder als Bewegung fortpflanzt zum Ohr des Hörers und damit

zur Seele des Mitmenschen und diese „bewegt" zur Freude, zum Erleben, zum Frohfinn, zur Verinnerlichung. Hier im Gesang

wird uns die tiefe Wahrheit zum Bewußtsein, daß im echten Mensch­ sein Form und Gehalt ein und dasselbe sind, Lebenseinheit, Schwin­

gung, da der Laut zugleich Form und Wesen der Empfindung -arstellt, da er selbst Empfindung ist. Jsts nicht in der ganzen

Mufik so? Sind nicht alle musikalischen Formen, alle Tonfolgen und Melodien aus der Urdynamik der seelischen Empfindung entstanden?

Ist da nicht Form und Gehalt eine ursprüngliche

untrennbare Einheit? Hat Schubert in seinem „Atlas" Töne und

Tonfolgen

erfinden,

seine

kompositionstechuische

Gewandtheit

zeigen wollen oder stellt sein Atlas nicht vielmehr eine jener ge­ waltigen dynamischen Linien vor, die wir in jeder echten Kunst als

Ton oder Stein, Farbe oder Gliederung, Formenfinn oder Gehalts­ tiefe bewundern?

Empfindung

ist

Form

und

Wesen

allen

Seins,

wenn die Empfindung zum schöpferischen Erleben wird. Emp­ findung ist Bewegung. Bewegung setzt aber Ruhe voraus.

15 Dieser Urgegensatz ist das Urmotiv aller Kunst, allen Lebens. Da die Kunst ein erhabenes Abbild des Lebens ist, so muß fle dieses Urmotiv als grundlegend ansehen. Und in der Tat: „Ruhe — Bewegung — Ruhe" ist das große Grundgesetz allen Schaffens, aller Kunst, allen Lebens. Sind nicht alle musikalischen Formen Folgerungen dieses Grundgesetzes? Und im Gesang? Der Gesang ist dieses Grundgesetz selbst, seine einfachste und darum erhabenste Verkörperung: die zuerst in Ruhe befindliche Seele wird durch den Anblick des Schönen, durch erhabene Gedanken, durch Freude oder Leid in mehr oder weniger mächtige Bewegung versetzt: fie empfindet, bas bedeutet, daß fle in flch selbst das Schöne, das Erhabene, die Freude, das Leid findet als kräftigen Schwinguagswiderhall. Die Beweguag dauert eine Zeitlang an, das „Neugefundene", Neuempfundene an Schönheit, Erhabenheit, Freude oder Leib setzt flch nach «nd nach wie ein befruchtender Niederschlag im tiefsten inneren Menschsein. Die Ruhe kehrt zurück. Und nun das Wunder­ bare: dieser seelische Niederschlag kann jederzeit durch die Er­ innerung gehoben werden; die Empfindung wird wieder wach nnd drängt zur Bewegung, der Laut verdichtet die innere Bewegung zur stimmlichen Form, die Stimme erhebt fich zum Gesang: ein einmaliges tiefstes Erlebnis kann willkürlich ost wieder empfunden, wieder erlebt, wieder gestaltet werden. Aber nicht nur unsere eigenen Empfindungen könne« wir wieder erleben. In Wort- und Tondichtung festgehalten, können wir jederzeit die dort niedergelegten Empfindungen der Meister wieder er­ wecken, wenn wir die Fähigkeit schöpferischen Erlebens des Lautes, der Sprache, des Melos besttzen. Worin besteht nun dieses schöpferische Erleben? Darin, daß wir einerseits unsere eigenen Empfindungen in Wort und Ton umzusetzen vermögen und daß wir anderseits die gleiche Emp­ findungsfähigkeit aufzubringen vermögen, die den Wort- und Ton­ dichter beseelte als er sein Werk schuf. Wie geht aber dieses schöpferische Erleben vor flch? Durch bewußt-wollendes Gestalten einer in uns ruhenden Empfindung. Ein Beispiel möge dies veranschaulichen: Wir stehen auf hohem Berge; rings um uns Nebel. Ein Sonnenstrahl zerreißt mit einem Male den hüllenden Schleier. Mit einem ungewollt-unbewußten Ah!

16 begrüßen wir den Anblick der herrlichen Gebirgswelt. — Unser tiefinnerster Mensch hat, veranlaßt durch die seelische Empfindung der Schönheit, diesen Laut jauchzend hervorgestoßen. Noch heute hat die gesamte Kulturmenschheit bei Überraschungen, beim An­

blick eines Sonnenaufgangs, eines Brillantfeuerwerks usw. den­ selben Laut, wenn sie ihrer. Empfindung Ausdruck verleiht. Es ist der Urdichter, der Ursänger, der Urmensch, der mit diesem un­ bewußten Ah! aus uns spricht, dichtet, fingt, jauchzt. Welch ge­ waltige Entdeckung und dichterische Erfindung mag es in der Urzeit gewesen sein, als jener erste Urdichter zum ersten Male die Schönheit der Natur mit dieser Lautdichtung begrüßte! Dieses Ah (a) ruht wie alle anderen Laute seit Urmenschheitstagen als tiefste Empfindung in uns. Sobald wir nun fähig find, diesen Laut mit derselben tiefen Empfindung (wie die des Urdichters und Ursängers war) bewußt-wollend zu gestalten, ist unser Laut zum schöpferischen Erlebnis geworden. Wir schaffen dann den Laut neu in und aus uns: wir find reproduzierend produktiv: das Ziel aller Gestaltungs- und Vortragskunst! Wie beim einzelnen Laut so beim Wort, beim Satz, beim Gedicht, beim Lied, bei der Arie. Immer ist es unsere Aufgabe, die ursprüngliche Empfindung des Wort- und Tondichters schöpferisch zu erleben. Dann ist Form und Wesen des Gesanges, des Liedes, der Arie zur untrennbaren Einheit geworden: das Wesen, der Gehalt, die Empfindung drängt zur gestaltenden Form, die Form drängt, fich mit Inhalt zu füllen. Alles Erleben in der Muflk muß hier seinen Anfang nehmen, alle musikalische Volkserziehung beginnt mit dem schöpferischen Er­ leben des Lautes. Damit erreichen wir aber auch, daß Wortdichter, Tondichter und Sänger wieder zu einer Person werden, wie es in der Urzeit tatsächlich war: unser Singen entsteht aus „gehobener Stimmung", aus Erleben, aus Schaffensfreude in einer gewissen naiven, un­ willkürlichen, improvisierenden Weise; das Volk dichtet und singt das Lied aus sich selbst heraus, es wird zum Gemeingut, zum Volks­ lied auch dann, wenn es als Kunstlied entstanden ist. Nur Echtes wird dann bleiben, nur aus echten Empfindungen Hervorgegangenes wird vom Volk schöpferisch erlebt, wort- und tondichterisch nach­ geschaffen werden.

17 Welches ist nun unsere Aufgabe? Das Volk jum wort- und

tondichterisch

nach­

schaffenden Säuger ju erjiehen. Dichter und Sänger waren von jeher eine Einheit; ste müssen im reprodujierenden Nachschaffen wieder jur Einheit werden. Wer fingen will muß als Dichter schaffe«, denn der Gesang ist dichte­

rischen und niemals mufikalischea Ursprungs. Die Mustk ist erst die Tochter des Gesanges. Mer auch die Mustk ist nichts anderes als Dichtung, wie überhaupt alle Kunst in ihrem seelischen Schaffen

Dichtung ist. Darum: Was Walter Crave für die Malerei sagt, gilt in

erhöhtem Maße für den Gesang: „Wir müssen unser technisches Wissen «ad Können bis auf äußerste ausbilden, aber wir dürfen unsere Phantasie, unsern Schönheitssinn, unser Gefühl nicht vernachlässtgen; denn ohne das habe« wir nichts ausznsprechen."

Also drei Doraussetzangen hat die Kunst: Phantasie, Schönheitsstnn, Gefühl.

Auch der nachschaffende Dichter-Sänger ist

ohne diese Doravssetzungen nicht denkbar, denn ste sind die Merk­ male schöpferischen Älebeus, die geisttg-seelisch-körperlichev Grund­

pfeiler alles dichterisch-gesanglichen Schaffens. Wir lernten früher in der Schule, im Seminar, im Gymnasium

„fingen", d. h. „Töne treffen" — aber wir erlemten das Singen nicht, jenes uachschaffenbe schöpferische Erleben des Lautes, des Tones, der dynamisch-rhythmisch-ästhetischeu Wesensform des Melos. Durch einen geistlos-nachahmeuden, seelisch formlosen und körperhaft falsch-empfundenen stilwidrigen Vorgang der stimm­ lichen Betätigung verloren wir obendrein noch unsere meist jugend­

schöne« Stimmen. Gerade die guten Treffsänger waren es von jeher, denen eines Tages die böse Enttäuschung wurde, daß der auf die Zukunft ausgestellte Wechsel nicht eingelöst «erden konnte: Phantafle, Schönheitssinn und Gefühl waren verloren. „Wir hatten nichts mehr ausznsprechen als — Noten und Buchstaben, „Leich­ name", womit wir anderen und uns wenig Freude, aber desto

mehr körperliches und seelisches Unbehagen bereiteten".

Phantafie? Schönheitsfinn? Gefühl? Sind ste „erlernbar?" Gewiß, sie schlummern wie alle anderen Begabungen in jedem Menschen und bedürfen nur der Weckung und Pflege. yrankenberger, Gesang als schöpferisches Erleben.

18 Gesang ist die Kunst, in geistig-bewußtem Wollen seelische Empfindungen in körperlich-regelmäßige Lonschwingungen um­

setzen zu können. Das geistig-bewußte Wollen sucht vermöge der wie beim Dichter in

erhabenen,

dem Körperhaft-Schweren

entrückten Gedanken

arbeitenden Phantasie die höchsten Resonanzschwingungen des

Lautes und Tones als

höchsten Anschlagspunkt,

die seelische Empfindung formt vermöge des durch das Ohr kon­ trollierten Schönheitssinnes den Bau des Stimminstrumentes durch großzügiges, weites und offenes Formgefühl zum weitesten

Ansatzrohr und die körperhaft-regelmäßigen Tonschwingungen sind das Ergebnis tiefster körperlicher Empfindungsfähig­

keit im Lebenszentrum, dessen organischer Sitz das Zwerchfell ist. — Also: hohe Gedanken, weites Formempfinden und tiefstes

Körpergefühl schaffen im echten Dichter-Sänger die große Kunst­

form der menschlichen Stimme. Diese aber muß das Fundament aller musikalischen Volks­ erziehung, vielleicht aller menschlichen Bildung überhaupt sein.

Denn Gesang und Harmonie ist jedes schöne Menschenleben.

Die Kunstform der menschlichen Stimme ist gegeben, wenn wir als Sänger so eingestellt sind wie der Wort- und Tondichter: be­ wußtes Wollen, feinstes Formengefühl und tiefste Empfindungs­

fähigkeit. Damit ist der Gesang zum schöpferischen Erlebnis, zur

Kunst geworden, deren höchste Aufgabe es ist, daß „der Menschen Wesen Form gewinne." All unser heutiges Sprechen und Singen im Volke ist triebhaft-nachahmend statt geisiig-nachschaffend. Alles Triebhafte aber haßt die Form; es zerstört mehr und mehr, was einst der Geist erschuf. Daß wir in Laut und Ton formen

können, was unser Innenleben bewegt, daß wir das Triebhafte bändigen und nur aus geistig-seelisch-körperlicher Sammlung und Verinnerlichung heraus unsere Stimme „erheben", das ist der Kernpunkt musikalischer Volkskultur.

Wir suchen deshalb zunächst die feinsten Resonanztonschwingun­

gen und Klangempfindungen an sich zu gewinnen, erbeuten dann die denkbar weiteste Formenempfindung für alle Vokale bei fest-

19 gehaltenem Tonansatz auf den Lippen und gießen endlich in die gewonnene Ton-Lautform unser seelisch-dynamisches Empfinden durch Gestaltung tiefster Körperschwingungen. Wir suchen also den höchsten, gewissermaßen körperlosen, durch phantastevolle, aus dem Ewigen, aus der Welt des Idealen geholte Vorstellungen dichterisch erlauschten Anschlagspunkt des Tones, bereiten für ihn durch großzügige seelische Einstellung das weiteste Ansatz­ rohr und setzen endlich die dadurch gewonnenen geistig-seelischen Schwingungen, geboren aus den Empfindungen des Lautes, Tones, des Liedes, der Arie, in tiefste körperliche Empfin­ dungsfähigkeit um. Auf diese Weise bauen Geist und Seele den Stimmkörper.

I. Der höchste Anschlagspunkt des Tones. Während der Tonansatz — wie wir später erfahren — sich an der Unterlippe vollzieht, können wir den höchsten Anschlags­ punkt auch den Toneinsatz nennen, in Wirklichkeit die Art des Vorgangs wie sich die Stimmlippen einander näher», wie sie schließen. Nähern sie sich muskulös, d. i. mit ihren ver­ dickten, durch Horizontaldruck starren Fleischteilen, so ergibt sich der häßliche stimmordende Glottisschlag, der obertonlos jede Resonanzschwingung ausschließt. Nähern sie sich aber membranös, d. i. bei zurücktretendem Fleisch nur mit den häutigen dünnen Rändern, so entwickeln sich in den Höhlungen, Gehirnwindungen, Nähten und Wölbungen des Schädels die tragfähigen feinen Partialklänge oder Obertöve, welche in hohen und höchsten Schwin­ gungen das Wesen des Kunsitones ausmachen, welcher sich sofort ergibt, wenn wir zu dieser feinen membranösen Annäherung ge­ schickt find. Hier gilt es zunächst unsere stärkste Hemmung, unsere durch materielle Verstandeseinstellung und dadurch bedingtes körperliches Zugreifen hervorgerufene Ungeschicklichkeit zu beseitigen. Dies geschieht, indem wir den materiell arbeitenden Verstand durch universalkosmische Geistestätigkeit ersetzen und so jene horizontal­ körperschwere, plumpe Ungeschicklichkeit durch eine aus dem Kosmos vertikal wirkende Geistlinie ablösen, welche die zartesten Rand2*

20 Schwingungen der Stimmlippen vermöge des reingeistigen Vorgangs der Übertragung einer vertikal wirkenden Kraft auf eine hori­ zontale Bewegung ermöglicht. (Lilli Lehmann deutet diesen Vor­

gang in ihrer Schrift „Meine Gesangskunst" in den Begriffen „Gegenspanner" und „Magnetische Nadel" an; Verfasser dieses

verweist auf die „Gaumenbogenspannung" in seiner „Deutschen Stimmbildung".) Wie nicht leicht in einem anderen Falle gilt hier das Wort: „Der Geist baut den Körper." Der forschende Geist sucht durch höchste Gedankenschwingungen die feinsten Äther­

schwingungen dem starren Körper einzuhauchen, um diesen immer geschickter zu machen; der ähnliche Vorgang findet bei allen Körper­

tätigkeiten statt: der gute Anschlag des Pianisten ist Geist gewordene Muskelkraft, ebenso beim Geiger^ Tänzer.

Der Vergleich läßt

sich in unsere „einfachsten" Tätigkeiten verfolgen: wir können materiell-plump gehen und geistig-geschickt, je nachdem wir mehr oder weniger Fußmuskeln hiezu verwenden, mit dem Ballen oder Der vielgelästerte Parade­ marsch war ein geistig bewußtes Gehen; die „Geistigkeit" des Vor­ mit federndem Vorderfuße schreiten.

gangs war es, die ungeheure Marschleistungen ermöglichte.

Unser Toneinsatz geschieht also dichterisch-geistig. Durch stärkste Sammlung, Verinnerlichung, „Verdichtung" unseres nach Äther­

schwingungen forschenden Geistes suchen wir hoch über uns und außer uns den tonischen Anschlagspunkt. Der gefundene Ton wird sofort durch die Seele (Ohr!) gewogen, ob nicht zu schwer, ob den seelischen Schwingungen entsprechend. So kontrollieren, prüfen und regen sich gegenseitig Geist und Seele, Verdichtung und Ohr an. Je größer die Dichtungs-Phantasie, je lebendiger und großzügiger das kosmische Vorsiellungsvermögen (Äther, All, Sternenhimmel), desto höher der tonische Sitz, desto membranöser der Stimmver­

schluß, desto geistiger der Ton, desto größer die seelische Befriedi­ gung durch das Ohr. Aber nicht allein dieses: die immer stärkere seelische Befriedigung wirkt auf das Körperinnere als dem ganzen mitklingenden und mitschwingenden Instrument (wie bei beim Ge­ häuse der Geige, des Klaviers, der Orgel!) geistig. Alles Körper-

haft-Schwere und Plumpe wird aufgezehrt, alles Kleinliche, Häßliche, Enge, Verschlossene verschwindet, alles Seichte, Oberflächliche stirbt

ab. Die feinen Schwingungen, die geistige Elastizität des Tones

21 wirkt öffnend und weitend auf das Ansatzrohr, beseelend auf die

Gesichtszüge, da die innere Weitung eine freudige Hebung der Gesichtsmuskulatur zur Folge hat; je höher der dichterisch-ge-

schaute und seelisch gehörte Anschlagspunkt des Tones, desto stärker die Antwort aus den Tiefen des Seins, aus dem thymös, desto

wogender die Schwingungen des

Zwerchfells, desto

elastischer

die gestaltende Dynamik. So durchflutet den Körper und das ganze Wesen des Sängers der ewig schaffende Geist, dessen sichtbarer und fühlbarer Ausdruck höchste „Stimmung", Freude, Lebens­ freude ist. Und in dieser hochgestimmten Daseinsform wird ihm

nun Welt, Natur, Mensch, Gott, Ewigkeit zum Anlaß, seiner Freude „Ausdruck" zu verleihen.

Entweder selbst oder an der

Hand der Wort- und Tonmeister gibt er nun im jauchzenden Auf­ schrei, im Juchzer und Jodler, im Volks- und Kunstlied dieser

Freude die „sinnlich-wahrnehmbare Geistigkeit", die äußere Form.

Jeder Einzellaut ist vor Jahrmillionen auf diese Weise entstanden. Beobachten wir uns doch: ein Ergehen im Lenz, unser ganzes

Sinnen ist kosmisch gerichtet, blühendes All, ewige Wiederkehr der Dinge, neues Leben aus Todesstarre, hochgestimmte Daseins­

form, Freude über das Kleinste — da sehen wir das erste Veilchen,

hören die erste Lerche singen: ah! ah! Der erste Lenzgesang, das

erste Lenzgedicht, ist da! Weit isss uns „ums Herz", denn das Zwerchfell schwingt aus Urewigkeitsftrnen herauf, wo auch schon

das große Drama Winter-Lenz „empfunden" wurde, beseelt sind unsere Gesichtszüge von der inneren Weite und Tiefe und nun

ein kleines Weilchen und da und dort und zuletzt im Chor hebt es an: „So sei gegrüßt viel tausendmal, holder, holder Frühling!"

Lieber Leser! Du meinst: so ist es? Nein — so war es! Aber

das ist lange her. Das gehört noch einer Zeit an, wo die Menschen noch zur Natur sich rechneten, wo der Mensch noch einen Stolz darein setzte zuerst Mensch zu sein und Gottes Ebenbild. Das war

in einer Zeit, in der nicht nur der Mensch, sondern das Leben sang und die Arbeit als göttliche Ordnung der tiefste Gesang war, wo

man noch nichts von Radio und Antennen wußte, aber mit dem All in besserer Fühlung war als heute. Zwar weiß ich, daß auch heute

der Lenz besungen wird, aber wie —? Wunder» muß man sich,

22 daß sich der Lenz bei dem Gesänge des heutigen Geschlechts nicht

schleunigst aus dem „Staube" macht... Und die tieferen Naturen schweigen, weil sie wissen, daß sie es nicht in Töne bringen können,

das große tiefe Lenzempfinden, weil der Hemmungen zu viele

find, die den Kontakt zwischen Geistwelt und Körper zerbrochen

haben. „Früher konnte ich ganz schön fingen" hört man dann. Ja, früher: „der Lenz, der sang für sie!" wo »och die Jugend den

kosmischen Kontakt herstellte. Mer: „kam Sommer, Herbst und Winterzeit... denen^s dann noch möcht gelingen ein schönes Lied zu singen, seht! Meister nennt man die!" ... Ja die Hemmungen, die materiell-ungeistigen, triebhaften

Hemmungen im „Leben" und im Stimmorgan, sie haben uns statt zu Meistern zu traurigen Beckmessern gemacht und es ist belustigend zu hören, wie unsere materialistisch-verstandesmäßige Anstellung sich gerade am Stimmorgan gerächt Hat, indem dieses nur noch fähig

ist klein, eng häßlich, verschlossen zu arbeiten, weil sich bei der Un­ geistigkeit des stimmlichen Vorgangs wie er seit einem Jahrhundert geschieht, die „materiellen"

Vorgänge

des Kauens,

Beißens,

Schluckens, Schlingens und Würgens auf das Ansatzrohr über­ tragen haben und well infolgedessen das Zwerchfell ohne geistige Anregung blieb, unsere Stimmen schwingungslos wurden und

unser ureigenster innerster Lebenskern erstarb. Unser „thymös“, unsere Lebensquelle ist versiegt, unsere Lebensschwingungen sind verebbt, das Zwerchfell erschlafft...

Durch universal-kosmische Geisteseinstellung könnenwir dies alles zurückgewinnev. Der Geist ists, der lebendig macht. Die geistigen All­ schwingungen wecken die tiefvergrabenen körperlichen und seelische« Schwingungen. Wir machen deshab zunächst Beobachtungsü-ungen.

Wir bemühen uns, unser körperlich-seelisches Verhalten festzustellen

bei großer plötzlicher Freude, bei starkem Erschrecke», bei Begeisterung und Anteilnahme, bei Zorn und Furcht. Stelle Dir vor: Übung A. Du findest längst Gesuchtes; vertiefe dich phantasie-

voll-geistig in diese Vorstellung. Beobachte deine Hände! Wie schnell — schneller als du denken konntest — griffen sie zu, wie leicht be­ wegten sie sich, wie formgewandt zum sicheren Ergreifen war ihre

Haltung, wie ruhig war dein übriger Körper! quellende Freude schuf diese Hände.

Die von innen

23 Übung B. Ein laug vermißter Freund, stelle dir das geistig vor, begrüßt dich. Beobachte deinen ersten Schritt t« ihm, deine empfang­ bereiten Arme! Alles Körperschwere ist verschwvnden. Deine Be­

wegungen stad großzügig, monumental, stad Gesang der Glieder. Übnag C. Du stehst — dichte diesen Vorgang und dann forme ihn — auf einsamer Berghöhe and breitest jauchzend deine Arme der Sonne entgegen. Beobachte den Flug deines Körpers ins All, die gehobenen Fersen, das ganze Emporströmen des Körpers. Dein Körper fingt. Übung D. Nach langen Regentagen ein Sonnenstrahl! Begrüße ihn! Beobachte die innere Weite und Helle deines Körpers und die zum Lächeln gehobenen Gestchtsmuskeln! Fühle geistig das Leuchten deiner Augen! Einen hehren Sonnensang fingt

dein Wesen. Übung E.

Die erste Lerche im Frühling!

Höre ste!

Be­

obachte dein inneres seelisches Lauschen, deine gehobene Stimmung,

dein freudig bewegtes Antlitz. Dein Körper fingt mit die ewige Leazuvd LiebeSweise. Übung F. Das erste Veilchen! Sieh es! Beobachte deine Körperhaltung, die schwingende Zuneignng, den vorgestreckten Arm, die tastende Hand, dein Gesicht, deine Angen — alles strahlt

in Lebensschwiagvngen von innen heraus.

Du hast gesungen,

denn du hast das Dellchen erlebt, es dem Schöpfer nachempfunden. Übung 0. Du stehst urplötzlich ein eben avsbrecheades Feuer.

Stelle dir's geistig vor in seiner elementaren Furchtbarkeit und beobachte die durch de» Schreck avsgelösten Schwingungen deines Zwerchfells; beobachte wie sich dein Stimmorgan zum Ruf „Feuer"

einstellt, wie deine vorgestreckten Hände nach der Stelle des Feuers zeigen. Übung H.

Stelle dir vor, man wirft dir eine schwere Be­

leidigung entgegen.

Beobachte wie diese Enttüstung mit Er­

schütterungen des Zwerchfells beginnt und wie stch die Gegen­ äußerung auf deine Lippen dränge» will. Übung J. Du wirst als einsamer Wanderer plötzlich ange­ fallen — verdichte dich in diese Lage! — Beobachte wie stch deine Verteidigung im Zwerchfell durch einen fühlbaren Ruck vorbereitet,

der dich sofort eine feste Stellung einnehme« läßt. Diese drei letzten

24 Übungen lassen uns erkennen, wie die seit Urmenschheitstagen

im „thymos“ (dessen organischer Sitz das Zwerchfell ist) schlum­ mernden Lebensschwingungen schneller und lebendiger schwingen

als der Verstand.

Die „Geistes"-Gegenwart liegt also nicht im

Gehirn, sondern dort, wo unser Leben und Sein schwingt. Übung K. Setze dich auf einen Stuhl! Stehe auf und beobachte wie die Kraft zum Aufstehen sich im Unterleib bemerkbar

macht durch einen zusammenziehenden Ruck; wie dem Willen

zum Erheben sofort eine Schwingung des Zwerchfells folgt, welche

den Körper zuerst in eine federnde Leichtigkeit versetzt. Versuche einmal auf diese Zwerchfellmithilfe zu verzichten, den Schwerpunkt

des Körpers gleich in die Füße zu legen und — also schwingungs­ los — aufzustehen.

Beobachte die ungeheure Ermüdbarkeit. —

Wie hier körperlich, so geht auch seelisch alle „gehobene" Stimmung, alles „Erheben" der Stimme und unseres Fühlens, jedes „er­ habene" Empfinden, alle Begeisterung von Zwerchfellschwingungen

aus. Übung L.

Versuche tief zu lachen! Beobachte Unterleib und

Zwerchfell! Alle Freude hat hier ihren Sitz.

Es gibt keine Tätigkeit, keine echte treue Arbeit ohne Zwerchfell­

schwingungen. Nur das seichte, oberflächliche, zerfahrene und un­ persönliche Hantieren, der Dilettantismus in jeder Form kann auf diese Lebensschwingungen verzichten ebenso wie der teilnahms­ lose, im gewohnheitsmäßigen Trott des Alltags seine „Pflicht"

erfüllende Verstandesmensch. Übung M. Steh gerade, den rechten Fuß etwas nach vorne; Kopf gerade, so daß der letzte Nackenwirbel fich nicht nach vorne

neigt.

keine

Körper in größtmöglichster Passivität; ruhige Atmung; Anspannung

irgendwelcher

Muskeln,

alles

Körperliche

verneinen. Stelle dir nun eine schöne Landschaft, den Lenz, einen blühenden Baum oder die Geliebte, kurz — das Schönste vor, das

du dir denken kannst. Beobachte nun (du schließest am besten die

Augen) wie es nach einigen Sekunden wirklicher Verdichtung und

Vertiefung in deinem innersten Wesen zu schwingen beginnt: das

Zwerchfell regt sich, das Herz klopft, die Stimmlippen nähern sich, deutlich fühlbar durch leichte Zusammenziehung in der Kehle: dein Wesen schwingt, die Schwingungen wollen Gesang werden.

15 Übung N. Dieselbe Haltung! Schlaffe Körpermuskulatur! Beobachte bei geschloffenen Ange« das AbwättSziehende, gewisser, maßen Vergehende des Körperlichen: Beine zittem, Hände und Arme «erden immer schwerer, die Rippen legen sich an den Brust­ korb, die Schnltem lasten, die Halsmnskela entspannen sich. Nun denke, du würdest in einem dreimaligen ah — ah — ah! deiner Bewunderung stimmlichen Ausdruck verleihen, deiner tiefen Emp­ findung Form geben. Rvr denken! Rich tönend! Nun beobachte, wie dein Leib zuckt durch die Schwingung des Zwerchfells, wie sich leicht Brust und Kehle hebt, wie der Unterkiefer entspannt fallen möchte, wie es deinen Weichgaumen nach oben zieht, wie deine Stimmlippen in tönenwollender Absicht aufeinander zu­ fahren, wie das Ansatzrohr sich weitet! Übung 0. Dieselbe Haltung! Eine Hand auf die Brust! Die andere auf den Leib! Dieselbe Einstellung durch denken an Schönes, Erhabenes. Nnn das dreimalige ah ans irgendeinem bequemen Ton singen, aber so: du erblickst das Schöne, im gleichen Augenblick schwingt dein Zwerchfell (Unterleib!), hebt sich leicht Brvst und Kehle vnd erklingt dein Ton (den du hoch über dir avgesetzt denkst!) bei weitestem Ansatzrohr vnd gehobener Gesichts, Muskulatur. Einziehen des Unterleibs, Heben der Brust uud Kehle darf niemals aktiv,bewußt, also niemals absichtlich geschehen, sondern darf nur Folge der durch Verdichtung des Gedankens entstandenen Zwerchfell, schwingung sei«. Handauflegen ist nur Kontrolle. Hauptsache ist, daß der Ton gleichzeitig mit der Zwerchfellschwingung und der sich hebenden Brust erklingt, seine dynamische Kraft also gleich, zeitig mit seinem Erklingen von innen herauskommt. Also ja nicht vorher Brust Heben durch Einatmen und dann die Brust mit dem Ton sinken lassen. Vorher Ruhe — vnd dann Bewegnng: Zwerchfell, Brust, Ton! Richt umgekehrt: Brustheben und Ein­ fällen mit dem Ton. Niemals vorher einatmen! Auch später nicht! Jeder Ton und jede erste Phrase eines Liedes kann mit der stets in «»seren Lungen ruhenden Restluft gebracht werden. Nicht die Luft ist das Wichtige, sondern die Zwerchfellschwingung, welche die Tonluft in Bewegung setzt. Immer die Bewegung (Empfindung!) ist das Entscheidende. Je früher wir fähig sind, ohne vorheriges

26 bewußtes Einatmen zu singen, desto eher kommen wir zum Kunstkon. Hier steckt das Grundübel unseres falschen Singens: wir nehmen zu viel Luft auf, die wir nicht verarbeite» können;

geringste Luftmengen genügen, wenn sie geistig in To» umgesetzt werden.

Aber gerade hier fehlte. Wir denken uns diese Schwin­

gungen viel zu körperlich statt geistig-seelisch und brauchen daher viel zu viel den körperlichen Stoff, viel zu sehr die Substanz der Luft als das Geistige der Luft, die Schwingung, das Atherische der

Luft, aus dem der „logos“, der Laut, das Wort, der To» seit Ur­ beginn der Sprache gewonnen sind. Übung P. Vertiefe dich in alles eigene und fremde Ge­ schehen und Handeln, in das Wesen der Religion und Geschichte

und forsche nach, wie alles geistig-große Tun auf Schwingungen beruht und alles Verstandesmäßige schwingungslos ist und tot. Suche zu erkennen, daß Schwingung der Grundton allen Lebens

ist und daß „geistig" nicht heißt gescheit und weltklug, sondern vertieft, verdichtet, verinnerlicht, versenkt, schwingend aus dem Lebenskern, aus dem thymos, so daß der einfache Arbeiter geistiger

sein kann als der Allerweltswisser. Übung Q. Vertiefe dich stumm in die Meisterwerke unserer

Dichter in Wort, Ton, Farbe und Stein! Sieh überall die aus tiefsten Lebensschwmgungen geborenen Gesänge, sieh wie alles Melodie, Rhythmus und Dynamik ist, geboren aus den dynami­

schen Kräften des Zwerchfells. Erkenne wie eine Melodie ebenso wie die Linienführung eines Domes, der Farbenrhythmus eines Gemäldes ebenso wie der Aufbau eines Dramas aus der Dynamik des „thymos“ hervorgegangen sind. Übung R. Deklamiere Gedichte und Monologe! Beobachte

wie dein Zwerchfell mitschwingt und wie sich'die Glieder, angeregt

durch die aus den Worten fiutenden Lebensschwmgungen,

zur

gestaltenden Mitarbeit in Geste, Mimik und Pose drängen.

Alle diese Übungen, die man auch später öfters wiederholen

möge, habe» den Zweck Körperhaft-Schweres in Geistig-Schwingendes zu versetzen, universal-kosmisches Denken und tiefes Er­

leben aus dem Lebenszentrum zu ermitteln, um so ein von Grund

aus Andersemstellen zur stimmlichen Tätigkeit anzubahnev.

27 Mit tiefer geistigen Vertiefung gehen nun praktische Toabildvagsübvngen zur Vertiefung der Auffassung des physikalischen Vorgangs der Sümme Hand in Hand. Zuvörderst find es jwei „Töne", die durch unser vngeistiges körperhaftes Zvgreifen „tonlos" geworden find:

2'

bei Männer-,



bei Frauen- vnd Kinderstimmen. Diese gilt es erst durch geistige Gnstellung auszuheilen. Wir denken unsere Bertikalspanvung aus dem Kosmos durch unsem Körper mittels hoher Gedanken und lassen das Zwerchfell mit dyna­ mischer Schwingung antworten, sehen aber darauf, daß die Schwingung aus dem thymös, die sich leicht hebende Brust und Kehle, der gelähmt fallende Kiefer, der hochspringende Weichgaumen und der erklingende Ton eine strenge Einheit bilden. Also in den Vor­ gang vorher geistig vettiefen! Ton so kurz und prägnant als möglich.

ho hu hö hü ha he hi hä

ho hu hö hü ha he hi hä

ho hu hö hü ha he hi hä

ho hu hö hü ha he hi hä

ho hu hö hü ha he hi hä

hö hu hö hü ha he hi hä

lNg 11a. A

....

A

A

A

A

A

28 Alles weil und offen halten!

Nie zufaffen im Hals!

Übung Illa.

auszuhaltenden

Den

nichtt

Schlnßton

im

Hals festhalten, sondern nvr ans Zwerchfellschwingungen bafliereen!

*

*

A

A

ho

ho

ho

ho

A

A

ho

ho

ho

/Ts

ebenso auf allen andere» Vokalen! b) fX

A

A

A

A

A

A

ho

ho

ho

ho

ho

"

ho

ho

ebenso auf allen anderen Vokalen!

Verbindung von vier

Übung IV.

Zwerchfellschwingungen

zum Dolltakt.

"T?--------------- '