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German Pages 369 [370] Year 2006
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 84
Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung Das Beispiel Bosnien und Herzegowina
Von Alexander M. Rehs
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER M. REHS
Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Kristian Kühl H a n s v. M a n g o l d t , We r n h a r d M ö s c h e l Martin Nettesheim, Dennis Solomon Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m , J o a c h i m Vog e l sämtlich in Tübingen
Band 84
Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung Das Beispiel Bosnien und Herzegowina
Von Alexander M. Rehs
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-12028-0 978-3-428-12028-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die völkerrechtliche Aufarbeitung des in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht komplexen Jugoslawienkonflikts und seiner Nachwehen dauert an. Sie findet statt in den Gremien und Organen der europäischen und internationalen Diplomatie, im völkerrechtlichen Schrifttum sowie vor den Gerichten der Vereinten Nationen in Den Haag – dem Internationalen Gerichtshof sowie dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Die vorliegende Arbeit, die im Sommersemester 2005 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen wurde, möchte hierzu einen Beitrag leisten, indem sie einen Teilbereich dieses Problemfeldes in den Blick nimmt: Die internationale Verwaltungsstruktur in Bosnien und Herzegowina sowie insbesondere die Frage nach ihrer rechtlichen Bindung und gerichtlichen Kontrollierbarkeit. Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland unterstützen diese internationale Verwaltung bis heute in erheblichem Umfang in finanzieller und personeller Hinsicht. Seit Ende Januar 2006 steht nunmehr mit Dr. Christian Schwarz-Schilling im Amte des Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft auch ein Deutscher an der Spitze der internationalen Administration. Überdies befindet sich das international „abgestützte“ Staatswesen von Bosnien und Herzegowina durch die Aufnahme von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU mittlerweile auf dem Wege der Integration in die Europäische Union. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund vermag sich eine rechtliche Betrachtung des eingriffsintensiven nation-building der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina zu rechtfertigen. Die Untersuchung befindet sich auf dem Stand vom 1. März 2006. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum, LL.M. Graf Vitzthum weckte mein Interesse an den Problemen der internationalen Verwaltungsregime und hat das Entstehen der Arbeit mit wertvollen Anregungen und vielfältiger Förderung begleitet. Besonderen Dank schulde ich ebenfalls Frau Prof. Dr. Barbara Remmert, an deren Lehrstuhl ich tätig bin. Durch ihre Ermutigungen und Dialogbereitschaft sowie die großzügige Gewährung von Freiräumen hat sie wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Auch sämtlichen Lehrstuhlmitarbeitern, auf deren Unterstützung ich stets zählen konnte, gilt mein Dank.
6
Vorwort
Dankbar verbunden bin ich überdies Herrn Prof. Dr. Martin Nettesheim für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann für die ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in die „Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht“. Für zahlreiche weiterführende Gespräche und Hintergrundinformationen danke ich Herrn Dr. Ingo Winkelmann vom Auswärtigen Amt, Herrn Rechtsanwalt Christian Steiner, vormals Rechtsberater am Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina/OHR, Herrn Dr. Nedim Ademovich, Mitarbeiter des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina sowie den zahlreichen Angehörigen verschiedener internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die mir während meines Forschungsaufenthalts in Sarajevo wertvolle Einblicke in die Situation Bosnien und Herzegowinas gewährt haben. Die Reinhold-und-Maria-Teufel-Stiftung hat diesen Forschungsaufenthalt finanziell unterstützt. Die Publikation der Arbeit wurde gefördert durch das Auswärtige Amt. Auch hierfür habe ich zu danken. Ohne die Unterstützung und den Rückhalt meiner Eltern hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Ihnen ist sie gewidmet. Tübingen, im März 2006
Alexander M. Rehs
Inhaltsübersicht Einführung
19
A. Die internationale Gemeinschaft auf neuen Wegen zur Konfliktbewältigung?
19
B. Stationen des nation-building in Bosnien und Herzegowina . . . . . . . . . . . . . . . .
27
C. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Kapitel I Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina
41
A. Der Weg nach Dayton – eine historische Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen von Dayton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
C. Eine Verfassung als völkerrechtlicher Vertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
D. Die Verfassung des „Dayton Staats“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
E. Dayton – eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
Kapitel II Das Wesen der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina
82
A. Die Rolle der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
B. Die Funktion der Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
C. Die Verwaltungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
8
Inhaltsübersicht Kapitel III Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung in Bosnien und Herzegowina
119
A. Das Schweigen des Abkommens von Dayton und des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 B. Die kontrollrelevanten Rechtsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 C. Gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung auf der Grundlage des Abkommens von Dayton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 D. Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung nach allgemeinem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 E. Gesamtergebnis: Eine internationale Kontrollinstanz als Ausweg? . . . . . . . . . . 290 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Inhaltsverzeichnis Einführung
19
A. Die internationale Gemeinschaft auf neuen Wegen zur Konfliktbewältigung?
19
B. Stationen des nation-building in Bosnien und Herzegowina . . . . . . . . . . . . . . . .
27
C. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
I.
Rule of Law in Post-Konfliktszenarien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
II. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Kapitel I Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina
41
A. Der Weg nach Dayton – eine historische Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen von Dayton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
I.
Der Aufbau des „Vertragspakets“ von Dayton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
1. Das Allgemeine Rahmenabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
2. Die wesentlichen Regelungen der Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
II. Die Besonderheiten des Vertragsschlussverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
1. Die völkerrechtliche Stellung der beiden Landesteile . . . . . . . . . . . . . . .
49
2. Die Rechtsnatur der Vertragsvereinbarungen der Landesteile . . . . . . . .
50
3. Das Paraphierungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
C. Eine Verfassung als völkerrechtlicher Vertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
I.
Die Rechtsnatur von Annex 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
1. Die Verfassungsqualität von Annex 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2. Die völkervertragsrechtliche Qualität von Annex 4 . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
II. Eine völkerrechtliche Intervention in die Verfassungsgebung . . . . . . . . . . .
54
D. Die Verfassung des „Dayton Staats“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
I.
Die bundesstaatliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
II. Die Verwirklichung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
10
Inhaltsverzeichnis III. Die Internationalisierung der Verfassung – Konfliktlösung durch Rechtsimport? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nachbesserung durch das Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 69
E. Dayton – eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
Kapitel II Das Wesen der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina
82
A. Die Rolle der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
B. Die Funktion der Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
C. Die Verwaltungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Amt des Hohen Repräsentanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Mandat des OHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die organisatorische Gliederung des OHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rechtsnatur des OHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Völkerrechtspersönlichkeit des OHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das OHR als Teil eines anderen Völkerrechtssubjekts? . . . . . . . . . . c) Das OHR als eine „internationale Behörde“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die weiteren Säulen der internationalen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88 89 89 91 102 102 103 109 113 116 117
Kapitel III Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung in Bosnien und Herzegowina
119
A. Das Schweigen des Abkommens von Dayton und des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 B. Die kontrollrelevanten Rechtsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der primäre Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der kompetenzielle Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bereich des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der sekundäre Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 121 121 122 123
C. Gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung auf der Grundlage des Abkommens von Dayton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Die duale Verfassungswirklichkeit von Bosnien und Herzegowina . . . . . . . 125 II. Das BIHVG als Akteur im Spannungsfeld von nationaler und internationaler Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Inhaltsverzeichnis
11
III. Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten durch das BIHVG . . . . . . . . . . 133 1. Die Überprüfung der „Verfassungsmäßigkeit“ des allgemeinen Friedensrahmenabkommens von Dayton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Die Überprüfung der Rechtsakte des Hohen Repräsentanten . . . . . . . . . 136 a) Die Entscheidung U 9/00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Die Theorie der „funktionalen Dualität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Historische Wurzeln der „funktionalen Dualität“? . . . . . . . . . . . 145 (1) Das Beispiel des Rechtsschutzes gegenüber alliierter Hoheitsgewalt durch die deutsche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . 145 (2) Das Beispiel des Rechtsschutzes gegenüber supranationaler Hoheitsgewalt durch die deutsche Gerichtsbarkeit . . . . . 152 (3) Das Beispiel der Mandats- und Treuhandgebiete . . . . . . . . . 155 (4) Das Beispiel der Verwaltung des Saargebiets durch den Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Die Überprüfung der Ermächtigungsgrundlage des HR . . . . . . . . . . 164 c) Die Überprüfung der Legislativakte des HR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Die Bedeutung der legislativen Tätigkeit des HR . . . . . . . . . . . . 166 bb) Die rechtliche Einordnung der Legislativakte des HR . . . . . . . . 166 cc) Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Legislativakte des HR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Die Überprüfung der Exekutivakte des HR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Begriff und Bedeutung exekutiven Handelns des HR . . . . . . . . 176 bb) Anwendbarkeit der U 9/00-Rechtsprechung auf Exekutivakte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 cc) Der Fall U 37/01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 dd) Bewertung dieser Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 ee) Der Fall U 41/01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 ff) Die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Ergebnis: System der partiellen Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten durch das BIHVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Schema der partiellen Rechtskontrolle des HR durch das BIHVG . . 189 b) Bewertung dieser Rechtsprechung des BIHVG: Funktionale Dualität – ein gangbares Funktionsmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Der Zwei-Stufen-Gedanke im Rahmen der Theorie der funktionalen Dualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Die Parallele zum Problem der Rechtskontrolle des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 cc) Nichtüberprüfbarkeit der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
12
Inhaltsverzeichnis dd) Das Problem der Übertragbarkeit der Theorie der funktionalen Dualität auf exekutives Handeln des HR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten durch die Menschenrechtskammer (MRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der internationale Charakter der MRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überprüfbarkeit der Akte des HR durch die MRK? . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die rechtliche Kontrolle der sonstigen internationalen Institutionen . . . . . 1. Die Urteile der Menschenrechtskammer (Annex 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrolle der Urteile der MRK durch das BIHVG? . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsakte im Rahmen der Durchführung von Wahlen (Annex 3) . . . . a) Internationale Verwaltung von Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskontrolle durch das BIHVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtskontrolle durch die MRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsakte der Commission for Real Property Claims (Annex 7) . . . . a) Restitution unter internationaler Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskontrolle durch das BIHVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die These von der Parallelität der Annexe – ein taugliches Modell für die Auslegung des Abkommens von Dayton? . . . . . . . . . . . d) Rechtskontrolle durch die MRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Akte der IPTF (Annex 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Restrukturierung des Polizeiwesens unter internationaler Verwaltung b) Die Dezertifizierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Akte der SFOR (Annex 1A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stabilisierung durch internationale Militärpräsenz . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskontrolle durch die MRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertung der Rechtsprechung der MRK zur Rechtskontrolle internationaler Verwaltungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für die internationale Verwaltung in Bosnien und Herzegowina . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsprechung der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stufe 1: Die Frage der Zuständigkeit ratione personae . . . . . . . bb) Stufe 2: Die Zurechnungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stufe 3: Übertragung von Hoheitsrechten versus Menschenrechtsgewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina: Zwischen System und Fragment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198 202 203 203 204 208 208 208 211 212 212 213 216 217 217 219 220 224 226 226 227 231 231 232 236 236 240 246 246 247 249 253 257
Inhaltsverzeichnis D. Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung nach allgemeinem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ein völkerrechtlicher Rahmen für internationale Verwaltungsmissionen? . . II. Der Treuhandgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das internationale Recht der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bindung internationaler Verwaltungsorgane an völkerrechtliche Menschenrechtsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Situation in Bosnien und Herzegowina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Geltung von Art. 6 (1) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutzumfang von Art. 6 (1) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsweggarantie versus Jurisdiktionsimmunität . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das humanitäre Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 260 260 261 262 262 268 268 269 272 276 278 282 288
E. Gesamtergebnis: Eine internationale Kontrollinstanz als Ausweg? . . . . . . . . . . . 290 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Anhang I: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Anhang II: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, Annex 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Anhang III: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, Annex 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Anhang IV: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, Annex 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. AFDI AJIL AöR Art. ASIL Proc. Aufl. AVR Bd. BiH BIHV BIHVG BVerfG BVerfGE BVerwG BYIL bzw. ca. Calif. West. Int’l L. J. CMLR Colum. J. Transnat’l L. Cornell Int’l L. J. CRPC ders. d. h. dies. Diss. Diss. Op. Doc. DÖV DPA Duke J. of Comp. & Int’l L. EC
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Annuaire Français de Droit International American Journal of International Law Archiv des öffentlichen Rechts Artikel; Article, Articles Proceedings of the American Society of International Law Auflage Archiv des Völkerrechts Band, Bände Bosnien und Herzegowina Verfassung von Bosnien und Herzegowina Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegovina Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Bundesverwaltungsgericht British Yearbook of International Law beziehungsweise circa California Western International Law Journal Common Market Law Review Columbia Journal of Transnational Law Cornell International Law Journal Commission for Real Property Claims derselbe das heißt dieselbe, dieselben Dissertation Dissenting Opinion (abweichende Meinung) Document Die öffentliche Verwaltung Dayton Peace Agreement Duke Journal of Comparative & International Law European Community
Abkürzungsverzeichnis ECHR EECR EG EGV/EG-Vertrag EHRLR EJIL EKMR EMRK EPIL etc. EU EUFOR EuGH EuGMR EuGRZ EUPM EuR EuZW f. F.A.Z. ff. Fn. Fordham Int’l L. J. FS GATT GG GYBIL Harvard Int’l L. J. HLKO h. M. HR HRLJ Hrsg. Hum. Rts. Q. ICG ICJ ICJ Reports ICLQ ICTY IDI
15
European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms Eastern European Constitutional Law Review Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Germeinschaft European Human Rights Law Review European Journal of International Law Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Encyclopedia of Public International Law et cetera Europäische Union European Force Europäischer Gerichtshof Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Grundrechte-Zeitschrift European Police Mission Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote Fordham International Law Journal Festschrift General Agreement on Tariffs and Trade Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland German Yearbook of International Law Harvard International Law Journal Haager Landkriegsordnung herrschende Meinung Hoher Repräsentant, High Representative Human Rights Law Journal Herausgeber, Herausgeberin Human Rights Quarterly International Crisis Group International Court of Justice International Court of Justice, Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders International and Comparative Law Quarterly International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia Institut de Droit International
16 i. d. R. IFOR IGH ILA ILC ILM ILSA J. of Int’l & Comp. L. IMF IPbpR IPTF i. V. m. JöR JTLP JuS JW JZ KFOR KritJ KSZE Leiden J. of Int’l L. LG lit. Max Planck UNYB MDR Mich. J. Int’l L. MRK m. w. N. NATO NGO NILJ NJ NJIL NJW No. NQHR Nr. NVwZ NVwZ-RR NZWehr OHR
Abkürzungsverzeichnis in der Regel Implementation Force Internationaler Gerichtshof International Law Association International Law Commission International Legal Materials International Law Students Association – Journal of International and Comparative Law International Monetary Fund Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte International Police Task Force in Verbindung mit Jahrbuch des öffentlichen Rechts Journal of Transnational Law and Policy Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Kosovo Force Kritische Justiz Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Leiden Journal of International Law Landgericht litera (Buchstabe) Max Planck Yearbook of United Nations Law Monatsschrift für Deutsches Recht Michigan Journal of International Law Menschenrechtskammer mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization Non-governmental Organization Netherlands International Law Journal Neue Justiz Nordic Journal of International Law Neue Juristische Wochenschrift Number Netherlands Quarterly of Human Rights Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Wehrrecht Office of the High Representative
Abkürzungsverzeichnis OIC OLG OSZE OVG Para. PCIJ PEC PIC RdC RFDC RGDIP Rn. RRJ S. Sep. Op. SFOR s. o. SOFA sog. StIGH u. a. UN UNMIBH UNMIK UNPROFOR UNTAET UNTAG UNTEA UNTS usw. v. VBlBW Verf. VGH vgl. VJIL VN Vol. VwGO VwVfG WVK
Organisation der Islamischen Konferenz Oberlandesgericht Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Oberverwaltungsgericht Paragraph Permanent Court of International Justice Provisional Election Commission Peace Implementation Council Receuil des Cours (Academie de Droit International) Revue française de Droit constitutionnel Revue générale de droit international public Randnummer Revue de la recherche juridique – droit prospectif Seite, Seiten Separate Opinion Stabilization Force siehe oben Status of Forces Agreement sogenannte, sogenanter, sogenanntes Ständiger Internationaler Gerichshof unter anderem United Nations United Nations Mission in Bosnia and Herzegowina United Nations Mission in Kosovo United Nations Protection Force United Nations Transitional Administration for East Timor United Nations Transition Assistance Group United Nations Temporary Executive Authority United Nations Treaty Series und so weiter versus Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Verfasser Verwaltungsgerichtshof vergleiche Virginia Journal of International Law Vereinte Nationen Volume Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
17
18 Yale Hum. Rts. & Dev. L. J. YJIL ZaöRV z. B. ZEUS Ziff. zit. ZMR ZöR z. T.
Abkürzungsverzeichnis Yale Human Rights & Development Law Journal Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Ziffer zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für öffentliches Recht zum Teil
Einführung „The purposes of the United Nations are [. . .] to bring about by peaceful means, and in conformity with the principles of justice and international law, adjustment or settlement of [. . .] situations which might lead to a breach of the peace.“1
A. Die internationale Gemeinschaft auf neuen Wegen zur Konfliktbewältigung? Der bewaffnete nicht-internationale Konflikt hat sich als ein langlebiges und in immer neuen Konstellationen auftretendes Erbstück des Kalten Krieges erwiesen. Nicht dass derartige interne Konflikte nicht bereits vorher aufgetreten wären, aber insbesondere der (zumindest einseitige) Wegfall der geostrategischen Ordnungsfaktoren, die die beiden Machtblöcke in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht zu gewährleisten vermochten, ließen den bewaffneten internen Konflikt zu einem besonderen Charakteristikum der Zeit nach 1989/90 werden. Der Begriff des „Ethnischen“ war vielerorts aus jahrzehntelanger Paralyse erwacht, wo sich bislang nationale Regungen unter dem Mantel einer scheinbar höheren ideologischen Vernunft oder schlicht der Repression politischer Einflusssphären verbergen ließen. Nicht nur der Zerfall der Vielvölkerstaaten Sowjetunion und Jugoslawien lieferte eine Vielzahl von Beispielen asymmetrischer und in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht schwer kategorisierbarer Konflikte. Auch die jüngsten Kriegsschauplätze in Afghanistan und im Irak stellen multiethnische Szenarien dar, die eine zentrale Frage aufwerfen: Wie organisiert man ein Gemeinwesen mit verschiedenen Volksgruppen in einer Weise, die ein dauerhaft stabiles und weitgehend konfliktfreies Miteinander gewährleistet? Das zweite Problem, das sich in diesem Zusammenhang stellt, betrifft die Frage nach der Art und Weise, in der sich die internationale Gemeinschaft gegenüber derartigen Konflikten, die sich innerhalb bestehender staatlicher Grenzen abspielen, verhalten soll. Diesbezügliche Erwägungen sind keineswegs nur politischer Natur, sie betreffen vielmehr die Fundamente der Völkerrechtsordnung – es seien nur das Selbstbestimmungsrecht der Völker, der Grundsatz der staatlichen Souveränität und seine Komplementäre, das Gewalt- und Interventionsverbot, erwähnt. Die Lösungsansätze für diese Frage bewegen sich dabei 1
Art. 1 Abs. 1 VN-Charta.
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Einführung
innerhalb eines weiten Spektrums. Dieses reicht von der Forderung nach frühzeitiger – aufgrund humanitären Imperativs gebotener – internationaler Intervention bis hin zu der These, dass derartige Konflikte, sofern sie in überschaubarem Rahmen bleiben, am besten schlicht sich selbst und damit dem freien Spiel der militärischen Kräfte der Kriegsparteien zu überlassen seien: Nur ein ungestörtes „Ausbrennen“ solcher Konflikte könne eine dauerhafte Friedenslösung ermöglichen, da auf diesem Wege entweder ein eindeutiger Sieger ermittelt werde oder aber die Parteien aufgrund ihrer Abnutzung irgendwann selbst zu dem Ergebnis gelangten, dass weitere Kriegsführung sinnlos sei. Internationale „Löschversuche“ würden diesen natürlichen Prozess lediglich behindern und Konflikte somit verlängern.2 Eine solche von darwinistisch anmutender Kriegsökonomik geprägte Sichtweise muss jedoch schwerwiegende tatsächliche3 sowie rechtliche Bedenken aufwerfen. Allein die Tatsache, dass auch und insbesondere Konflikte, die sich zunächst innerhalb (noch) bestehender staatlicher Grenzen abspielen, rasch schwerwiegende Auswirkungen auf die „Außenwelt“ zu zeitigen in der Lage sind, entzieht einer derartigen Herangehensweise bereits weitgehend die Berechtigung. Es sei dabei nur an die gewaltigen Flüchtlingsströme erinnert, die der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien ausgelöst hat und die insbesondere durch die europäischen Nachbarn – nicht zuletzt durch Deutschland – aufgefangen werden mussten.4 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist dazu übergegangen, solche und vergleichbare Situationen von massiven Verstößen gegen humanitäre Standards als Bedrohungen für den Frieden im Sinne von Art. 39 VN-Charta aufzufassen und hat somit seine Kompetenz, ihnen im Wege des Kapitels VII der Charta entgegenzutreten, eröffnet.5 Vor dem Hintergrund der Fortentwicklung des internationalen Rechts der Menschenrechte sowie des humanitären Völkerrechts hat sich ferner in Praxis und Theorie die Idee der sog. humanitären Intervention6 herausgebildet, die ein Eingreifen der internationalen 2
Luttwak, in: Foreign Affairs 78 (1999), S. 36 ff. Bereits in rein faktischer Hinsicht lässt sich eine solche These allenfalls an bestimmten Einzelfällen untermauern. Demgegenüber steht eine Vielzahl von Fällen, in denen der beschriebene Effekt des „heilsamen Ausbrennens“ von Konflikten gerade nicht eintritt. Man denke nur an die Vielzahl von Bürgerkriegen auf dem afrikanischen Kontinent, die z. T. jahrzehntelang auf „kleiner Flamme“ (sog. low intense conflicts) geführt werden, ohne in irgendein Entscheidungsstadium zu treten, aber verheerende Folgen für Zivilbevölkerung und wirtschaftliche Entwicklung des betroffenen Landes nach sich ziehen. Vgl. auch Bildt, in: Foreign Affairs 80 (2001), S. 151, 158. 4 Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt im Völkerrecht: „The Failed State“, in: Thürer/Herdegen/Hohloch (Hrsg.): Der Wegfall effektiver Staatsgewalt: „The Failed State“, 1995, S. 65. 5 Higgins, in: International Affairs 69 (1993), S. 470; Herdegen, Failed State, S. 65, 68. 6 Vgl. z. B. Abiew, The evolution of the doctrine and practice of humanitarian intervention, 1999. 3
A. Neue Wege zur Konfliktbewältigung?
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Gemeinschaft auch außerhalb des Systems der Vereinten Nationen ermöglichen soll. Mögen viele völkerrechtliche Einzelheiten in diesem Zusammenhang noch ungeklärt sein und – an anderer Stelle – weiterer wissenschaftlicher und praktischer Durchdringung bedürfen, so deuten doch bereits diese kurz skizzierten Aspekte an, dass die Völkerrechtsordnung ein relativierteres Verständnis staatlicher Souveränität zu entwickeln begonnen hat. Ein Verständnis, das die internationale Gemeinschaft in stärkerem Maße dazu veranlasst, hinter den Mantel der Souveränität eines Staates zu blicken, die Einhaltung von Verpflichtungen insbesondere gegenüber der Zivilbevölkerung einzufordern und sie gegebenenfalls auch mit Zwang durchzusetzen.7 Man mag das als Einmischung in innere Angelegenheiten werten, sofern man das Völkerrecht als schlichte Koexistenzordnung begreift. Man kann es aber auch als einen Schritt hin zu einer „Weltinnenpolitik“ auffassen, wenn man die Völkerrechtsordnung als eine koordinative und wertebezogene Rechtsordnung begreift, welche die Mittel bereitstellt, ihre fundamentalen normativen Postulate auch durchzusetzen. So fragmentarisch, so unvollkommen und manchmal so zufällig diese Mittel auch erscheinen mögen. Das Ende des Kalten Krieges hat ebenso dafür gesorgt, dass diese letztgenannte Auffassung im Vordringen befindlich ist. Nicht nur die jüngsten Ereignisse im Irak machen deutlich, dass die Einflussnahme der internationalen Gemeinschaft8 bei Staatswerdung und Staatenbildung in Ländern, die soeben eine Konfliktsituation überwunden haben, von immer größer werdender Bedeutung ist. Zunehmend geht dabei die Staatengemeinschaft dazu über, Situationen eines bestehenden staatlichen Machtvakuums oder schlicht staatlicher Instabilität nach Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Einsetzung von internationalen Vertretern – mit entweder direkter oder indirekter Verantwortlichkeit gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – und der Errichtung von internationalen Verwaltungsstrukturen für das betreffende Gebiet zu überbrücken, um damit einen Übergang bzw. eine Rückführung in geordnete staatliche Verhältnisse zu erleichtern oder überhaupt zu ermöglichen.9 Im angloamerikanischen Raum wird hierfür der Begriff der international territorial administration10 verwendet. In der deutschsprachigen Literatur wird diesbezüglich zumeist von internationaler Verwaltung11 gespro-
7 Vgl. Thürer, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt: „The Failed State“, in: Thürer/ Herdegen/Hohloch (Hrsg.): Der Wegfall effektiver Staatsgewalt: „The Failed State“, 1995, S. 16, 37. 8 Zum Begriff: Tomuschat, in: AVR 33 (1995), S. 1–20. 9 Vgl. Thürer, Staatsgewalt, S. 36; kritisch gegenüber derartigem „externen Staatsaufbau“ z. B. Masala, in: Internationale Politik, Februar 2006, S. 110 ff. 10 Zu dieser Begrifflichkeit: Wilde, in: AJIL 95 (2001), S. 585; v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 350.
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Einführung
chen, weshalb dieser Begriff für die beschriebenen Konstellationen auch im Folgenden verwendet wird. Vollkommen neu ist die Unterstellung von Territorien unter internationale Autoritäten indes nicht. Zum Beispiel die internationale Verwaltung des Saargebiets durch den Völkerbund von 1920 bis 193512 sowie die einjährige Verwaltung des Amazonashafens Letitia 1933 bis 193413 und der internationalisierte Status der Freien Stadt Danzig 1920 bis 193814, können hierbei als frühe historische Vorläufer betrachtet werden,15 anhand derer bereits verschiedenste Aspekte und Problemkreise internationaler (Gebiets-)Verwaltung deutlich wurden. Das Mandatssystem des Völkerbunds16 und später das Treuhandsystem der Vereinten Nationen17 dienten als institutionelle Rahmenstrukturen für die treuhänderische Verwaltung von bestimmten Gebieten unter Schirmherrschaft der Staatengemeinschaft. Im Rahmen des Mandatssystems verwalteten Siegermächte des ersten Weltkrieges ehemalige Kolonien des Deutschen und des Osmanischen Reiches unter Aufsicht des Völkerbundes.18 Das Treuhandsystem der Vereinten Nationen diente – wie bereits sein Vorgänger – der Heranführung der verwalteten Gebiete in Richtung Selbstverwaltung und staatlicher Unabhängigkeit,19 wobei die Charta der Vereinten Nationen im Gegensatz zur Völkerbundsatzung die Möglichkeit der Direktverwaltung eines Territoriums durch die Organisation der Vereinten Nationen selbst vorsah20 und somit erstmals den Rah-
11
Z. B. Virailly, Die internationale Verwaltung Deutschlands, 1948; der Begriff der „Verwaltung“ ist allerdings auch in dieser Hinsicht schillernd. So wird unter internationaler Verwaltung teilweise auch die generelle Ausübung von hoheitlichen Befugnissen durch Internationale Organisationen etc. verstanden, vgl. z. B. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001. 12 Vgl. Münch, Saar Territory, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 271, 272; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, 2004, S. 120 ff.; Hufnagel, UN-Friedensoperationen der zweiten Generation: Vom Puffer zur Neuen Treuhand, S. 38–40; ders., zu weiteren Beispielen aus der Völkerbundzeit S. 36–38. 13 Schmalenbach, Haftung, S. 118; zum Hintergrund Woolsey, in: AJIL 27 (1933), S. 317 ff., 525 ff.; ders., in: AJIL 29 (1935), S. 94 ff. 14 Dazu Yedit, Internationalized Territories, 1961, S. 194 ff.; Schweisfurth, Danzig, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL I (2000), S. 938–943; Schmalenbach, Haftung, S. 118. 15 Vgl. die historischen Überblicke mit weiteren Beispielen bei Smyrek, Internationally Administered Territories, 2006, S. 57 ff.; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 121 ff.; Wilde, in: AJIL 95 (2001), S. 586 ff.; Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 122 ff. 16 Vgl. Art. 22 Satzung des Völkerbunds. 17 Vgl. Art. 75–91 VN-Charta. 18 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 280. 19 Art. 76 (b) VN-Charta; Rauschning, United Nations Trusteeship System, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1194; vgl. Sayre, in: AJIL 42 (1948), S. 263 ff. 20 Art. 81 VN-Charta. In der Praxis hat eine solche Direktverwaltung der VN im Rahmen des Treuhandsystems jedoch nicht stattgefunden. Wiederum waren es einzelne Staaten, die als „Verwaltungsmächte“ eingesetzt wurden, die durch die VN über-
A. Neue Wege zur Konfliktbewältigung?
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men für eine genuin internationale Verwaltung bereitete.21 Nachdem das Treuhandsystem mit der Unabhängigkeit des letzten Treuhandgebiets im Jahre 199422 einen vorläufigen Endpunkt erreicht hatte, erschien es für zukünftige Problembewältigung nach dem Ende des Kalten Krieges und der Dekolonialisierungsphase nicht mehr als geeignetes und zeitgemäßes Instrument.23 So wurde der Gedanke an die Schaffung eines Treuhandgebiets in Somalia im Jahre 1993 verworfen, im Falle des ebenso als failed state24 bezeichneten Bosnien-Herzegowina sowie der Gebiete des Kosovo und Ost-Timors gar nicht erst erwogen.25 Das in der VN-Charta nicht ausdrücklich26 vorgesehene Konzept des Peacekeeping27 durch die Vereinten Nationen hatte sich seit den Fünfzigerjahren schrittweise weiterentwickelt.28 Aufgrund seiner begrifflichen Dehnbarkeit und Flexibilität ließen sich auch zunehmend komplexere Missionen darunter subsumieren. War die Rolle der Friedenstruppen der Vereinten Nationen dabei ursprünglich auf die Bildung und Sicherung von Pufferzonen zwischen bewaffneten Konfliktparteien, Überwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen etc. beschränkt,29 so ergab sich – insbesondere bei innerstaatlichen Krisen und bewaffneten Konflikten – zunehmend die Notwendigkeit zu schwerwiegenderen wacht wurden; vgl. Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1195. 21 Dazu Goodrich/Hambro/Simons, Charter of the United Nations: Commentary and Documents, 3. Aufl. 1969, S. 501. 22 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1200; vgl. auch Rauschning, in: JIR 12 (1965), S. 158 ff. 23 Vgl. Gordon, in: Am. U. J. of Int’l L. 12 (1997), S. 926 ff. 24 Gordon, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 309. Die Anwendung des Begriffs des failed state auf das Beispiel Bosnien und Herzegowinas kann allerdings nicht vollständig überzeugen, vgl. Delbrück, „Failed States“ – eine neue Aufgabe für den UNTreuhandrat?, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.): Recht – Staat – Gemeinwohl, FS Rauschning, 2001, S. 430, Fn. 14; zum Begriff Thürer, Staatsgewalt, S. 10 ff.; Geiß, Failed States, Die normative Erfassung gescheiterter Staaten, 2005, S. 25 ff.; Liebach, Die unilaterale humanitäre Intervention im „zerfallenen Staat“ („failed state“), 2004, S. 20 ff. 25 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 120; vorgeschlagen z. B. von Helman/Ratner, in: Foreign Policy 89 (1992–93), S. 3 ff. 26 Bothe, Peace-Keeping, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, A Commentary, 1994, S. 590; Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 60 Rn. 28; zur Frage der rechtlichen Grundlage der Peacekeeping-Operationen: Suy, United Nations Peacekeeping System, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1143, 1144; dazu auch Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 25–30. 27 Eine Zusammenfassung der charakterisierenden Merkmale und somit eine Definition der traditionellen Peacekeeping-Operationen durch die VN versucht Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 25; für eine umfassende Darstellung der verschiedenen Peacekeeping-Missionen vgl. Nations Unies, Les Casques Bleus, 3. Aufl., 1996. 28 Vgl. die Überblicke bei Schmalenbach, Haftung, S. 168 ff.; v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 349 ff.
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Einführung
Maßnahmen: Zur Übernahme von staatlicher Gewalt, wo diese aufgehört hatte zu existieren; zur Ausübung von Polizei- und Ordnungsfunktionen30, wo Chaos regierte, zur nachhaltigen humanitären Unterstützung31, wo Krieg die öffentliche Versorgung zum Erliegen gebracht hatte. Beispielsweise die Missionen der Vereinten Nationen im Kongo (ONUC, 1960–64)32, in West Neuguinea (UNTEA, 1962–63)33, in Kambodscha (UNTAC, 1991–93)34 oder in Somalia (UNOSOM, 1992–95)35 enthielten derartige Ordnungs- und Verwaltungselemente. Unter sogenanntem Peacekeeping der zweiten Generation versteht man schließlich Missionen, die ihre rechtliche Grundlage in den Kapiteln VI und VII der VN-Charta finden und – im Gegensatz zum traditionellen Peacekeeping mitunter ohne Zustimmung der Konfliktparteien36 – Elemente klassischer Blauhelmoperationen mit aktiven Maßnahmen zur Konfliktbewältigung verbinden, zu deren Durchsetzung der Sicherheitsrat auch zur Ausübung militärischer Gewalt autorisiert hat37 und für die bisweilen auch Begriffe wie Peaceenforcement38 oder robustes Peacekeeping39 verwendet werden. Beispiele hierfür sind die Operationen im ehemaligen Jugoslawien (UNPROFOR, 1992–95) sowie in Somalia (UNOSOM II, 1993–95).40 Nach dem weitgehend unglücklichen Ausgang dieser beiden Missionen41 sowie der UNAMIR-Mission in Ruanda, die 29 Bothe, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, S. 587 ff.; Fischer, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 60 Rn. 24; FAZ v. 01.10.2003, S. 5. 30 Bothe, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, S. 589. 31 Bothe, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, S. 589; Fischer, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 60 Rn. 24. 32 Vgl. Abi-Saab, The United Nations Operation in the Congo, 1960–1964, 1978; Miller, in: AJIL 55 (1961), S. 1 ff.; Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 33–35. 33 Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 426 ff. 34 Vgl. Bothe, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, S. 583; Schmalenbach, Haftung, S. 461; ausführlich zu dieser Mission Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 85–155. 35 Dazu Kelly, Restoring and Maintaining Order in Complex Peace Operations, The Search for a Legal Framework, 1999, S. 65 ff.; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 127; Sorel, in: AFDI 1992, S. 61 ff.; dazu auch Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 156– 208. 36 Suy, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1145; dazu auch Garvey, in: AJIL 64 (1970), S. 241 ff.; Schmalenbach, Haftung, S. 498. 37 Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 618. 38 Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 484. 39 Z. B. Oeter, Yugoslavia, Dissolution, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1573 ff. 40 Fischer, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 60 Rn. 27; Bothe, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, S. 584–586; Nations Unies, Casques Bleus, S. 277 ff. 41 Vgl. Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 177; Bothe, in: International Peacekeeping 2 (1995), S. 130 ff.; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 128; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1580.
A. Neue Wege zur Konfliktbewältigung?
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den dortigen Genozid im Jahre 1994 nicht verhindern konnte, nahm die Fortentwicklung des sog. second generation peacekeeping ein vorläufiges Ende.42 Festzuhalten bleibt, dass sich der Gedanke einer temporären treuhänderischen internationalen Verwaltung auch abseits von Entkolonialisierungsprozessen im Rahmen der Peacekeeping-Missionen der Vereinten Nationen nicht nur am Leben erhalten, sondern auch in Richtung einer direkten Einflussnahme durch die Organisation der Vereinten Nationen selbst fortentwickelt hat.43 Stand früher die schrittweise Heranführung an die staatliche Unabhängigkeit im Vordergrund, so ist es nun Ziel treuhänderischer Administratoren, eine Wiederaufrichtung von Staat und Gesellschaft nach Krieg und Instabilität zu ermöglichen und zu beschleunigen bzw. eine Eskalation von Krisensituation zu vermeiden. Helman und Ratner44 haben für internationale Verwaltung durch die Vereinten Nationen im Rahmen von Peacekeeping-Operationen folgende dreistufige Klassifizierung45 vorgeschlagen. Die erste Stufe ist gekennzeichnet durch eine lediglich unterstützende Funktion internationaler Verwalter, wobei die Regierungsgewalt beim betreffenden Staat verbleibt, z. B. wie in den Missionen in Lybien46 (1949–51) und Namibia47 (UNTAG, 1978, 1989/90). In Fällen der zweiten Stufe kommt es zu einer partiellen Übertragung der Ausübung von staatlicher Gewalt auf die Vereinten Nationen (z. B. Kambodscha, UNTAC, 1991–93).48 Die dritte Stufe schließlich bezeichnet Fälle einer zeitweilig vollständigen Übernahme der staatlichen Funktionen durch die Vereinten Nationen bis zur Errichtung einer sich selbst tragenden staatlichen Ordnung.49 Für diese letzte Kategorie hält die Geschichte der VN nur sehr spärliche und kurzfristige Exempel bereit (wie die sechsmonatige Verwaltungsmission in Westneuguinea, UNTEA50, 1962–63; die Übergangsverwaltung in Ostslawonien, UNTAES51, 42 Fischer, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 60 Rn. 27; vgl. den wechselnden Inhalt der „Agenda for Peace“ des VN-Generalsekretärs: UN Doc. A/47/277 para. 50; UN Doc. A/50/60-S/1995 para. 33. 43 Zu Inhalt und Ausformung dieses treuhänderischen Prinzips Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 212 ff.; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 129, 132. 44 Helman/Ratner, in: Foreign Policy 89 (1992–93), S. 13. 45 Darauf aufbauend die ebenfalls dreistufige Klassifizierung von Hufnagel, UNFriedensoperationen, S. 217–219; vgl. auch die Klassifizierung von Smyrek, Internationally Administered Territories, S. 231 ff. 46 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 123. 47 Helman/Ratner, in: Foreign Policy 89 (1992–93), S. 13; Bothe, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, S. 579. 48 Helman/Ratner, in: Foreign Policy 89 (1992–93), S. 14; siehe auch Ratner, in: AJIL 87 (1993), S. 1 ff. 49 Helman/Ratner, in: Foreign Policy 89 (1992–93), S. 16. 50 Siehe das Abkommen zwischen Indonesien und den Niederlanden betreffend Westneuguinea (West Irian), 15. August 1962, 437 UNTS, S. 273; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 124; Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 31–33; Schmalenbach, Haftung, S. 430, 434.
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Einführung
1996–98 oder die zeitweilige VN-Verwaltung im Rahmen der UNOSOM IIMission in Somalia52). Die internationalen Verwaltungsmissionen der jüngsten Zeit in Bosnien und Herzegowina (seit 1996), im Kosovo (UNMIK, seit 1999) oder in Ost-Timor (UNTAET, 1999) stehen vor diesem Hintergrund betrachtet nicht im historisch luftleeren Raum, können allerdings hinsichtlich ihrer inhaltlichen und zeitlichen Intensität als neuartig aufgefasst werden.53 Der beachtliche Widerhall, den diese Einsätze der internationalen Gemeinschaft nicht nur im völkerrechtlichen Schrifttum gefunden haben, mag diese Einschätzung unterstreichen.54 Freilich sind bereits diese drei genannten Anwendungsfälle der jüngeren Vergangenheit aufgrund der Verschiedenheit der Konflikte und der völkerrechtlichen Rahmenbedingungen sowie der darauf angewendeten Lösungsansätze nicht ohne weiteres auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Status und Autorität der Vereinten Nationen variieren dabei. Ist im Falle des Kosovos und Ost-Timors von einer direkten und umfassenden Verwaltung durch die VN zu sprechen – was der dritten Stufe der angesprochenen Kategorisierung entspräche –, so stellt sich eine Einordnung des Einsatzes der Staatengemeinschaft in Bosnien und Herzegowina in diese Stufenfolge schon schwieriger dar. Handelt es sich doch dort um ein besonderes Nebeneinander und Ineinandergreifen von eigenen staatlichen Institutionen und internationalen Verwaltungsstrukturen55 mit einem faktischen Schwergewicht zugunsten der Behörde des Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft, der sich unter einer eher schirmherrschaftlichen Aufsicht des sog. Friedensimplementierungsrats56 – dazu später – sowie der Vereinten Nationen befindet.57
51 Vgl. die Resolution des VN-Sicherheitsrats SR/RES/1037 v. 15. Januar 1996; Schmalenbach, Haftung, S. 461. 52 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 129 m. w. N. 53 Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 613; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 114 ff.; Winkelmann, Bosnien und Herzegowina: Protektorat der Internationalen Gemeinschaft?, 2002, S. 3; Schmalenbach, Haftung, S. 170; Caplan, International Governance of War-Torn Territories, 2005, S. 2. 54 Z. B. Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 613 ff.; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 107 ff.; Wilde, in: AJIL 95 (2001), S. 583 ff.; Matheson, in: AJIL 95 (2001), S. 76– 85; Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 51–98; Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 105–183; Stahn/Zimmermann, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 423–460; Wagner, in: Vereinte Nationen 48 (2000), S. 132–138; Frowein, in: Arndt, u. a. (Hrsg.), Völkerrecht und Deutsches Recht, FS Rudolf, S. 43–54; Garcia, in: RGDIP 104 (2000), S. 61–71; Lagrange, in: AFDI 1999, S. 335 ff.; Stromeyer, in: AJIL 95 (2001), S. 46–63; Chopra, in: Survivial 42 (2000), S. 27 ff.; Bothe/Marauhn, in: International Peacekeeping 6 (2000), S. 152– 156; Wolfrum, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 9 (2005), S. 649 ff. 55 Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 487. 56 Zum Friedensimplementierungsrat siehe Hayden, in: EECR Vol. 7 Nr. 2 (1998), S. 51, Fn. 1.
B. Nation-Building in Bosnien und Herzegowina
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Das dortige Krisenmanagement der internationalen Verwaltung verbindet mithin die völkerrechtliche Legitimationskraft der Vereinten Nationen mit dem praktischen Einsatz regionaler Organisationen wie der NATO, der OSZE und der EU, und das im Wesentlichen abseits der in der VN-Charta vorgesehenen Techniken und Mechanismen.58 Die internationalen Strukturen der Verwaltung in Bosnien und Herzegowina geben somit ein Beispiel dafür, dass sich auch außerhalb des Rahmens der Organisation der Vereinten Nationen Teile der Staatengemeinschaft zur Bewältigung staatlicher Krisen aufgerufen fühlen, sei es in militärischer Hinsicht, sei es in Form von internationalen Zivilverwaltungsmissionen, sei es im Rahmen regionaler Organisationen oder auch im Wege von ad hoc geschaffenen Organisationsformen.59 Was den Balkan-Schauplatz betrifft, sei hierbei nur an die internationale Verwaltung der Stadt Mostar durch die EU erinnert60, oder an die multinationalen, NATO-geführten Truppenverbände IFOR und SFOR61 in Bosnien und Herzegowina sowie KFOR62 im benachbarten Kosovo.
B. Stationen des nation-building in Bosnien und Herzegowina Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton im November 1995, mit dem der Krieg in Bosnien und Herzegowina beendet wurde, verfügte die auf Grundlage dieses Vertrages ins Leben gerufene Behörde des Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft zunächst nur über geringe Kompetenzen. Der Hohe Repräsentant sollte die Rolle eines Vermittlers spielen, um bei der Umsetzung des Friedensabkommens behilflich zu sein. Eine tiefgreifende Funktion als Verwaltungsinstanz war für ihn gar nicht vorgesehen, enthielt doch An57 Vgl. Frowein, Notstandsverwaltung, S. 43, 44; dazu auch Helman/Ratner, in: Foreign Policy 89 (1992–93), S. 15. 58 Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 179; vgl. die Resolution des VN-Sicherheitsrats vom 15.12.1995, UN Doc. S/RES/1031, Ziff. 39, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 251 ff., die auf die besonderen Umstände in Bosnien-Herzegowina hinweist: „. . . unique, extraordinary and complex character of the present situation in Bosnia and Hercegovina, requiring an exceptional response . . .“; vgl. Fischer, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 60 Rn. 46. Für den Versuch eines Organigramms der Friedensmission im Jahre 1996 vgl. Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3 (1998), S. 216. 59 Vgl. Mallaby, in: Foreign Affairs, March/April 2002, S. 5; vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 513 ff. 60 Hierzu Hummer, Mostar – ein Beispiel internationaler Stadtverwaltung durch die Europäische Union, FS Ginther, S. 377 ff.; Pagani, in: AFDI 27 (1996), S. 234 ff. 61 Zur Rechtsnatur von IFOR und SFOR vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 554 f. 62 Hierzu Guillaume, Le cadre juridique de l’action de la KFOR au Kosovo, in: Tomuschat (Hrsg.), Kosovo and the International Community, A Legal Assessment, 2002, S. 243–285.
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Einführung
nex 4 des Vertrags von Dayton eine Verfassung, die für Bosnien und Herzegowina souveräne Staatlichkeit im Rahmen einer föderalen (aus zwei Landesteilen zusammengesetzten) Struktur mit eigenen Institutionen und Organen festlegte, auf deren baldiges Funktionieren man hoffte. Bis 1997 blieb die Sicherheitslage im Land jedoch problematisch. Nationalistische Kräfte versuchten, das Entstehen demokratischer Institutionen zu blockieren. Ferner stieß die ebenfalls im Abkommen von Dayton verankerte Rückkehr der im Zuge der ethnischen Säuberungen Vertriebenen in ihre ursprünglichen Heimatorte auf organisierten Widerstand.63 Im Frühjahr 1997 kam es zu einer Wende. Der Friedensimplementierungsrat, bestehend aus 55 Regierungen und Organisationen, die den Friedensprozess finanziell, materiell und personell unterstützen und lenken, ermächtigte den Hohen Repräsentanten, gegen Gewaltaufrufe nationalistischer Medien vorzugehen. Der Hohe Repräsentant tauschte daraufhin u. a. den Vorstand der Fernsehanstalt der Republika Srpska, der bosnischen Serbenrepublik, aus.64 Der Erfolg dieser Aktion veranlasste den Friedensimplementierungsrat 1997 in Bonn dazu, dem Amt des Hohen Repräsentanten umfangreiche Befugnisse zur Durchsetzung des Daytoner Friedensabkommens einzuräumen. Anfangs wurde von diesen „Bonner Befugnissen“ („Bonn Powers“) nur sporadisch Gebrauch gemacht, weswegen der Hohe Repräsentant zunächst auch als zu zurückhaltend und ineffektiv kritisiert wurde.65 Diese Handhabung hat sich seither jedoch deutlich verändert. Das Spektrum der Maßnahmen, die der Hohe Repräsentant seitdem getroffen hat, reicht von der Verordnung oder Annullierung von Gesetzen, der Änderung der Verfassungen der beiden Teilstaaten (bosnische Serbenrepublik und Föderation von Bosnien-Herzegowina), dem „Einfrieren“ von Bankkonten, dem Ernennen und Suspendieren von Richtern und Beamten bis zur Entfernung von Präsidenten, Ministerpräsidenten, Ministern und Abgeordneten aus Amt und Mandat sowie dem Verbot, öffentliche Ämter oder Parteiämter wahrzunehmen.66 Insbesondere die Praxis der Entfernung von Amts- und Mandatsträgern aufgrund des Vorwurfs des Widerstands gegen das Daytoner Friedensabkommen ist in letzter Zeit zunehmend auf Unverständnis gestoßen;67 schließlich werden da63
Vgl. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 806 f. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 814; vgl. Pech, in: IJCLP Nr. 4 (1999, 2000), S. 1–28. 65 Vgl. Ni Aolain, in: Mich. J. Int’l L. 19 (1998), S. 985; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 815. 66 Die Maßnahmen des Hohen Repräsentanten sind dokumentiert auf seiner Homepage unter www.ohr.int. 67 Z. B. jüngst die Absetzung eines Mitglieds der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina im März 2005: Decision removing Dragan Covic from his position as a member of the presidency of BiH, 29.05.05: www.ohr.int/decisions/removalssdec/ default.asp?content_id=34297; hierzu FAZ v. 30.03.05, S. 1 und S. 3: „Bosnische Machtworte“; vgl. auch FAZ v. 30.08.2003, S. 3: „Die Macht der Gewohnheit“; Euro64
B. Nation-Building in Bosnien und Herzegowina
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bei nach demokratischen Grundsätzen gewählte Personen per Dekret ihrer Ämter enthoben und mit auf unbestimmte Zeit geltenden Verboten versehen, erneut bei Wahlen zu kandidieren oder öffentliche Ämter zu bekleiden. Wiewohl eine derartige Amtsenthebung mit erheblichen persönlichen Anschuldigungen und Konsequenzen einhergeht, ist ein Rechtsmittel für den Betroffenen von Seiten des Amtes des Hohen Repräsentanten nicht vorgesehen. Allein dieses Beispiel illustriert, dass es vor dem skizzierten Hintergrund zu Fallkonstellationen kommt, die Fragen nach Rechtstaatlichkeit geradezu herausfordern. Nicht weniger bemerkenswert ist schließlich, dass das Amt des Hohen Repräsentanten immer mehr Gesetze per Dekret erlässt, die auch wirtschaftsund sozialpolitische Fragen betreffen, also an sich Problemfelder, die zehn Jahre nach Kriegsende eigentlich die demokratisch legitimierten Staatsorgane lösen können sollten, während die ursprüngliche Begründung für das Recht des Hohen Repräsentanten, Dekrete zu erlassen, in dem gezielten Widerstand einheimischer Politiker gegen die gesamtstaatliche Verfassung und gegen die Rückgabe von Eigentum an im Krieg vertriebene Minderheiten lag. Die ursprüngliche Notstandsverwaltung, die der Durchsetzung der Eckpfeiler des Friedensabkommens von Dayton zu dienen bestimmt war, hat also eine gewisse Eigendynamik entwickelt.68 Dies hat mitunter dazu geführt, dass die bosnischen Institutionen bisweilen der Gefahr zu erliegen scheinen, unbequeme Entscheidungen schlicht dem Hohen Repräsentanten zu überlassen und sich einem langwierigen (aber eben demokratischen) Prozess von Meinungsbildung und Konsenssuche gar nicht erst unterziehen.69 So sehr ein entschlossenes und tatkräftiges Eingreifen der Staatengemeinschaft als wahrscheinlich einziges Mittel zur Bewältigung komplexer Konfliktsituationen zu unterstreichen ist und so sehr sich dies (zumindest) bei der Entstehung des Friedensabkommens von Dayton und in den nachfolgenden Stationen einer ersten Konsolidierung von Staat und Bevölkerung bewahrheitet haben mag,70 so darf nicht unterschlagen werden, dass mit zunehmender Dauer und Intensität der internationalen Mission in Bosnien und Herzegowina auch mehr pean Stability Initiative, Discussion paper, 01.11.2001, S. 7, 8: „In search of politics: the evolving international role in Bosnia and Herzegovina“. 68 Auch der Vergleich mit Nachkriegsdeutschland unter Kontrolle der Besatzungsmächte erscheint dabei nicht ohne Berechtigung, vgl. Graf Vitzthum, Ethnischer Föderalismus unter Protektoratsbedingungen. Das Beispiel Bosnien-Herzegowina, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.): Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, 2002, S. 126 Fn. 22; siehe dazu Virailly, Internationale Verwaltung; Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948. 69 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Opinion on the constitutional situation in Bosnia and Herzegovina and the powers of the High Representative, 11.03.05, § 90. 70 European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, §§ 12, 17 f.
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Einführung
und mehr folgendes Postulat zu vernehmen ist: Auch die internationale Gemeinschaft, in welcher Organisationsform sie sich auch zum Tätigwerden aufgerufen fühlt, müsse an rechtsstaatliche Grundsätze sowie an die internationalen Normen gebunden sein, in denen Rechtsstaatselemente verankert sind.71 Diese Forderung und die damit einhergehende Warnung vor dem Einzug neokolonialistischer Züge bei internationalen Verwaltungsmissionen, mündete in jüngster Zeit mitunter in scharfer Kritik an der Behörde des obersten Zivilverwalters in Bosnien und Herzegowina, dem Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft Paddy Ashdown72, bis hin zum Vorwurf der Amtsführung im Stile früherer Kolonialherren, die als wohlwollende Despoten unmündigen Völkern die Segnungen der Zivilisation oktroyieren wollten.73 Manche Kritik mag über ihr Ziel hinausschießen, doch ist festzustellen, dass sich für Verlockungen und Risiken scheinbar unumschränkter (Gestaltungs-) Macht in den Händen internationaler Organe erst nach und nach ein Problembewusstsein entwickeln musste. Berichtet man etwa in Bosnien und Herzegowina vor Ort tätigen internationalen Akteuren von dem Vorhaben, eine Arbeit über die rechtliche Kontrolle der internationalen Verwaltungseinrichtungen zu schreiben, so lauten die ironischen Antworten nicht selten wie folgt: „That’s easy. There is none.“ oder „That will be a short paper.“74
C. Problemstellung I. Rule of Law in Post-Konfliktszenarien? Die gestiegene Aktivität der internationalen Gemeinschaft bei der Bewältigung und Aufarbeitung von vorwiegend internen bewaffneten Konflikten seit 71 Fleischhauer, Die Völkerrechtsordnung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in: Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages, Band II/1, 2000, S. 27; Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.): Bosnien-Herzegowina im Horizont Europas, Demokratische und föderale Elemente der Staatswerdung in Südosteuropa, 2003, S. 232; Bothe/Marauhn, UN Administration of Kosovo and East Timor; Concept, Legality and Limitations of Security Council Mandatet Trusteeship Administration, in: Tomuschat (Hrsg.): Kosovo and the International Community, A legal Assessment, Den Haag, 2002, S. 237. 72 Dessen Nachfolger ist seit Ende Januar 2006 Christian Schwarz-Schilling. 73 Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 62; dies., in FAZ v. 25.07.2003, S. 9: „Wohlwollende Despoten“; vgl. auch FAZ v. 30.08.2003, S. 3: „Die Macht der Gewohnheit“; Oeter, Die internationalen „Protektorate“ in BosnienHerzegowina und im Kosovo – Entwicklung und rechtliche Folgeprobleme der UNFriedensregime, in: Fischer u. a. (Hrsg.): Krisensicherung und Humanitärer Schutz, FS Fleck, S. 427, 449 f., 451; am Beispiel Kosovo v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 346. 74 Vgl. Jenks, International Immunities, 1961, S. 151, der auf das Phänomen der Entwicklung einer „psychology of privilege“ bei Angehörigen Internationaler Organisationen hinweist.
C. Problemstellung
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dem Ende des Kalten Krieges hat eine Vielzahl von Erfahrungswerten zu Tage gefördert, die die Diskussion um Ausgestaltung und Zukunft derartiger Missionen mitbestimmen. Einer davon betrifft das Problem der raschen Rückkehr zu bzw. der erstmaligen Schaffung von rechtsstaatlichen Strukturen, einem Zustand der rule of law innerhalb der Krisenregion. Unter rule of law in einem PostKonfliktszenario wird dabei hauptsächlich die (Wieder-)Errichtung von staatlichen Gerichten, Polizei- und Ordnungsbehörden etc. mit internationaler Hilfe verstanden, die einen Zustand rechtsfreier Räume und die damit einhergehende (organisierte) Kriminalität, Destabilisierung und Verunsicherung unter der Zivilbevölkerung so weit wie möglich verhindern soll. Jüngste Beispiele (Irak) lehren, dass Versäumnisse in diesem Bereich zu erheblichen Verzögerungen und Behinderungen des Wiederaufbauprozesses eines Staates führen können. Dementsprechend fokussieren sich die Diskussionen zum Thema rule of law beispielsweise im Rahmen der Vereinten Nationen auf eben diesen Aspekt.75 Die immer umfangreichere, organisierte Einflussnahme der Staatengemeinschaft, die sich vom VN-Peacekeeping der ersten und zweiten Generation nunmehr bis hin zu (Übergangs-)Verwaltungsmissionen von mitunter hochkomplexer Struktur fortentwickelt hat, hat jedoch auch eine andere Facette des schillernden Begriffs der rule of law zunehmend in das Zentrum des diplomatischen und juristischen Interesses gerückt: Je intensiver die in unterschiedlichen Rahmen organisierte Staatengemeinschaft in einer Konfliktregion unterstützend, beaufsichtigend, aber auch verwaltend und steuernd tätig wird und somit selbst zu einem politischen und rechtlichen Akteur innerhalb eines nationalen Rechtsund Verfassungsumfelds wird, umso mehr ist sie auch selbst Teil der mit ihrer Unterstützung zu schaffenden, neuformierten oder reformierten Rechtsstaatlichkeit. Dann drängt aber auch die Frage heran, inwieweit sich diese internationalen Unterstützer, „Aufseher“ und Verwalter bei ihrer Tätigkeit selbst an rechtstaatlichen Erfordernissen messen lassen müssen. Insbesondere bei lange andauernden und eingriffsintensiven Verwaltungsmissionen wie derjenigen in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo – so unterschiedlich die gewählten Administrationsarchitekturen auch sein mögen – müssen sich die internationalen Akteure vor Ort sowie deren Träger die Frage gefallen lassen, inwieweit ihre Akte exekutiver, legislativer und justizieller Natur einer rechtlichen Überprüfung unterliegen (sollten) bzw. durch welche Instanzen und an welchem normativen Maßstab eine solche Kontrolle stattfindet oder stattfinden sollte. Oder aber, ob die weiten „Notstandsbefugnisse“ der internationalen Verwalter dauerhaft als Freibriefe für gerichtlich unüberprüfbare, von politischen Opportunitätserwägungen geleitete Steuerungsmaßnahmen innerhalb einer – auf diesem Wege zur Rechtsstaatlichkeit zu verhelfenden – nationalen Rechtsordnung gelten sollen. 75 Vgl. die Debatte des VN-Sicherheitsrats zum Thema: Justice and the Rule of Law: the United Nations role, 4835th meeting, 30. September 2003, S/PV. 4835.
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Einführung
Diese Problemstellung ist auf diplomatischer Ebene76 und in der völkerrechtlichen Literatur bislang nur in Ansätzen erkannt und angesprochen worden.77 Zumindest jedoch häufen sich die Forderungen nach einer umfassenderen rechtlichen Kontrolle der internationalen Verwalter.78 Mag manche Kritik an den internationalen Akteuren in dieser Hinsicht die Grenzen des Sachlichen bisweilen überschreiten,79 so bleibt dennoch folgender, berechtigter Kerngesichtspunkt dieser Fragestellung deutlich erkennbar: Die internationale Gemeinschaft läuft Gefahr, durch dauerhaft rechtlich unkontrollierte Ausübung von Hoheitsgewalt in Rahmen komplexer Verwaltungsmissionen ihre Legitimationsbasis und Glaubwürdigkeit zu untergraben, indem sie sich zu ihren eigenen rechtstaatlichen Postulaten in Widerspruch setzt. Diese hier nur kurz umrissenen Gesichtspunkte helfen ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Problemfelder entstehen können, wenn Internationale Organisationen bzw. Vertreter oder Beauftragte derselben nicht nur punktuell auf die Rechtsstellung von Individuen einwirken und somit vereinzelt rechtliches Konfliktpotential verursachen, sondern vielmehr durch die Einsetzung internationaler Verwaltungsapparate eine komplette Staatlichkeit substituieren – wie im Kosovo oder in Ost-Timor – oder zumindest massiv durch die Ausübung von Hoheitsgewalt auf eine bestehende Staatstruktur einwirken – wie in Bosnien und Herzegowina. Derartige Konstellationen beinhalten die Frage nach Gewährung von Individualrechtsschutz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, gehen aber noch darüber hinaus. Wenn – wie insbesondere im Fall Bosnien und Herzegowinas – Vertreter der Staatengemeinschaft z. B. per Dekret Gesetze erlassen, vorhandene Gesetze annullieren oder Verfassungen der Landesteile ändern und somit in die Handlungsrahmen vorhandener demokratisch legitimierter Staatsorgane eingreifen, gewinnt das Kontrollproblem eine kompetenzielle, verfassungs76 Siehe z. B. den Beitrag des deutschen ständigen Vertreters bei den Vereinten Nationen, Pleuger, im Rahmen der Debatte des VN-Sicherheitsrats zum Thema: Justice and the Rule of Law: the United Nations role, 4833th meeting, 24. September 2003, S/PV. 4833: „. . . Fifthly, the rule of law, in our view, begins with the missions themselves. Members of United Nations must observe international rules. Violations of those rules must be investigated. We should consider whether monitoring by the Security Council and existing United Nations control mechanisms is sufficient, or whether we need an independent body of investigation within the Secretariat“. 77 Z. B. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 171; Brand, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 461 ff.; Wilde, in: ILSA J. of Int’l and Comp. L. 7 (2000), S. 455 ff. 78 Graf Vitzthum, in: RRJ 2004-2 II, S. 1256; Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.): Bosnien-Herzegowina, S. 232; Graf Vitzthum, Staatsaufbau in Südosteuropa, BosnienHerzegowina als Paradigma außengestützter Staatsbildung, in: Frowein u. a. (Hrsg.): Verhandeln für den Frieden, Liber Amicorum Tono Eitel, 2003, S. 843; Winkelmann, Protektorat, S. 18; Frowein, Die Völkerrechtsordnung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in: Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages, Band II/1, 2000, S. 12; Korhonen, in: Leiden J. of Int’l Law 14 (2001), S. 526, 527. 79 Vgl. die Darstellung von Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 60–74.
C. Problemstellung
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rechtliche Tragweite. Es ist dann zu klären, welchen Kompetenzgrenzen das Mandat der internationalen Gemeinschaft unterliegt, aus welchem Recht – internationalem oder nationalem Recht – sich diese Grenzen ergeben und schließlich durch wen – internationale oder nationale Instanzen – die Einhaltung oder mögliche Überschreitung dieser Grenzen kontrolliert werden kann. II. Untersuchungsgegenstand Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf das Beispiel der internationalen Verwaltung von Bosnien und Herzegowina, welches für die Frage nach dem Umgang mit hoheitlichem Unrecht internationaler Verwaltungsorgane und dessen gerichtlicher Aufarbeitung eine besondere Fülle von Anschauungsmaterial zu liefern vermag. Zu Vergleichszwecken wird bisweilen auf sonstige historische und aktuelle Anwendungsfälle internationaler Gebietsverwaltungen einzugehen sein, beispielsweise auf die VN-Verwaltung des Kosovo, sofern dies für das Verständnis der Situation in Bosnien und Herzegowina hilfreich erscheint. Was Einzelheiten zu diesen Vergleichsfällen betrifft, so muss auf die jeweils einschlägige Spezialliteratur verwiesen werden. Eine weitere Beschränkung erfährt die Untersuchung in der Hinsicht, dass sie sich auf die gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltungstätigkeit konzentriert. Kern der Darstellung ist also die Frage nach einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Akten internationaler Verwaltungsorgane durch Gerichte bzw. gerichtsähnliche Instanzen. Nicht im Vordergrund steht somit etwa die diplomatisch-politische Kontrolle und Lenkung der internationalen Verwaltungsorgane durch die Staatengemeinschaft bzw. durch die am konkreten Friedensprozess beteiligten Staaten und Internationalen Organisationen. Zu weit gefasst wäre auch der Begriff der Rechtskontrolle, unter den sich auch behördeninterne Rechtmäßigkeitsprüfungen z. B. durch die Rechtsabteilungen der jeweiligen internationalen Organe subsumieren lassen.80 Auch diese Form der Kontrolle internationaler Verwaltungstätigkeit ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Und noch eine weitere Präzisierung des Untersuchungsgegenstands erscheint an dieser Stelle angebracht: Rechtsschutz gegenüber Akten hoheitlicher Gewalt kann auf verschiedenen Ebenen geleistet werden. Geht es um die Kontrolle eines Rechtsaktes auf seine Rechtmäßigkeit hin zum Zwecke der Abwehr einer drohenden Rechtsbeeinträchtigung, kann man von primärem Rechtschutz bzw. primärer Rechtskontrolle sprechen. Ist hingegen eine Rechtsbeeinträchtigung oder ein Rechtsverlust bereits eingetreten und somit nicht mehr abzuwehren, so stellt sich auf der sekundären Ebene die Frage nach einer nachträglichen Wiedergutmachung der erlittenen Rechtsbeeinträchtigung. Kern auch dieser zweiten 80 Vgl. z. B. die Aufgabenbeschreibung des Legal Department innerhalb der Behörde des Hohen Repräsentanten unter www.ohr.int/ohr-dept/legal/.
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Einführung
Ebene, des sekundären Rechtsschutzes, ist regelmäßig die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Hoheitsaktes81, nur das Rechtsschutzziel ist ein anderes.82 Ein nachträglicher Rechtsschutz gegenüber Akten internationaler Akteure in Form der Geltendmachung von Schadenersatz bzw. Entschädigung beispielsweise bei Fällen von Beeinträchtigungen des Eigentums von Bürgern durch das Handeln der internationalen Verwalter stellt im Grundsatz also ebenso eine Form der rechtlichen Kontrolle dar, steht doch auch in solchen Fällen zumeist die Rechtmäßigkeit einer bestimmten Handlung in Frage, welche eine bestimmte Rechtsbeeinträchtigung verursacht hat. Dieser Aspekt steht allerdings bei der vorliegenden Untersuchung der gerichtlichen Kontrolle der internationalen Verwaltung nicht im Vordergrund. Das Problem einer außervertraglichen83, staatshaftungsähnlichen Verantwortlichkeit von Internationalen Organisation oder Verbänden bei internationalen Missionen ist beispielsweise aus dem Bereich der Peacekeeping-Missionen der Vereinten Nationen bekannt, da bereits klassische „Blauhelm“-Aktivitäten ohne Ausübung von Hoheitsbefugnissen regelmäßig zu Interferenzen mit privaten Rechtsgütern von Einheimischen im jeweiligen Einsatzgebiet führten.84 Man denke nur an die für die Praxis derartiger Einsätze typischen Fälle der Verursachung von Verkehrsunfällen, Beschädigung von Eigentum, Inanspruchnahme von Grundstücken, Körperverletzungen durch Schusswaffengebrauch etc. durch Angehörige Internationaler Organisationen, z. B. der Vereinten Nationen. Dass für derartige Situationen nach angemessenen Lösungen einer Schadensbereinigung zu suchen ist, darüber besteht weitgehend Einigkeit. Es stellt sich hierbei weniger die Frage des „ob“, sondern vielmehr des „wie“, also die Frage nach einem geeigneten Forum und Verfahren für die Geltendmachung solcher Ansprüche im Rahmen einer gegebenen Konstellation.85 Universelle (VN) wie re81 Vgl. Herbst, Gerichtlicher Rechtsschutz gegen Hoheitsakte der Alliierten in Berlin (West), 1991, S. 226; Schmalenbach, Haftung, S. 466. 82 Vgl. Doehring, Fordert das allgemeine Völkerrecht innerstaatlichen Gerichtsschutz gegen die Exekutive?, in: Mosler (Hrsg.): Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 235, 238, 239, 240, der insoweit den Begriff des präventiven/repressiven Gerichtsschutzes verwendet im Gegensatz zu einem kompensatorischen Rechtsschutz. Siehe auch Jaenicke, Die Grundsätze über den gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegen die Exekutive im System der Völkerrechtsordnung, in: Mosler (Hrsg.): Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 310. 83 Dazu Bothe, Internationale Organisationen und das Rechtsstaatsprinzip, in: Jekewitz u. a. (Hrsg.): Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, FS Partsch, S. 504 ff. 84 Vgl. Shraga, in: AJIL 94 (2000), S. 409, 410; Schmalenbach, Haftung, S. 26; für das Beispiel Bosnien und Herzegowina Prescott, in: NZWehr 1998, S. 67 ff. 85 Dies ist auch im verwandten Bereich der Besatzungsregime der Fall. Zum Beispiel von Berlin vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 118; vgl. auch Schmalenbach, Haftung, S. 471; beispielhaft zur Regelung derartiger Haftungsfragen im Rahmen von VNPeacekeeping-Operationen vgl. S. 226 ff.
C. Problemstellung
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gionale Internationale Organisationen (z. B. NATO), die sich an PeacekeepingMissionen oder sonstigen friedenserhaltenden oder -schaffenden bzw. humanitären Einsätzen beteiligen, achten regelmäßig bereits aus Gründen der Wahrung der eigenen politischen und letztlich moralischen Autorität86 darauf, derartige Fälle einer (zumeist pragmatischen) Lösung zuzuführen, sei es durch zur Schadensregulierung ad hoc eingerichtete Gremien, durch Globalentschädigungsabkommen mit z. B. den betreffenden Aufenthaltsstaaten oder auch durch ex gratia-Zahlungen etc. Diese Facette der rechtlichen Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen bzw. internationaler Verantwortungsträger stellt ebenfalls ein komplexes Problem im Spannungsfeld von internationalem und nationalem Recht dar, wird jedoch in den überwiegenden Anwendungsfällen einer Regelung zugeführt und ist bereits seit geraumer Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Durchdringung.87 Wenn internationale Organe hingegen dazu übergehen, auf einem bestimmten Territorium staatsähnliche Hoheitsgewalt auszuüben, verwaltend oder gesetzgebend tätig werden und somit eine staatliche Struktur vollständig oder teilweise substituieren, stellt sich bald nicht mehr nur die Frage, inwieweit im Wege eines sekundären Rechtsschutzes die Haftung der internationalen Akteure für schädigendes Verhalten realisiert werden kann. Vielmehr ergibt sich dann das in politischer und diplomatischer Hinsicht weitaus brisantere Problem, inwieweit sich eine solche quasi-staatliche internationale Verwaltung mit ihren exekutiven, legislativen oder justiziellen Maßnahmen in gleicher Art und Weise wie ein Staat etwa durch nationale oder gar internationale Gerichte auf ihre Rechtstreue hin überprüfen lassen muss. Können legislative Maßnahmen der internationalen Verwaltung gerichtlich auf ihre Vereinbarkeit mit der territorialen Rechts- bzw. Verfassungsordnung überprüft werden? Kann ein betroffenes Individuum internationale „Verwaltungsakte“ vor Gericht anfechten? Oder gilt in solchen Situationen lediglich eine Art internationales „Dulde und liquidiere“-Prinzip 88, welches dem Betroffenen bei materiellen oder immateriellen Rechtsbeeinträchtigungen allenfalls einen finanziellen Ausgleich zuerkennt, ohne die Möglichkeit, die eigentliche Maßnahme abzuwehren? Das Problem einer solchen primären Rechtskontrolle von Hoheitsakten internationaler Gebietsverwaltungen kann nur auf einen sehr begrenzten Kreis von historischen und gegenwärtigen Beispielen zurückblicken. Wiewohl besonders die aktuellen Fälle der internationalen Verwaltungen in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo oder in Ost-Timor einen – wie gesagt – beachtlichen Wider86
Vgl. Prescott, in: NZWehr 1998, S. 78. Hierzu umfassend Schmalenbach, Haftung, S. 26 ff. 88 Zu diesem Gedanken vgl. Steinberger, Rechtsvergleich und Gerichtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt: Ein Weg zur Gewinnung von Völkerrecht?, in: Mosler (Hrsg.): Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 283; Doehring, Innerstaatlicher Gerichtsschutz, S. 245, 249; Jaenicke, Grundsätze, S. 310. 87
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hall in der Literatur gefunden haben, ist die Bearbeitung gerade des spezifischen Problems der rechtlichen Kontrolle dieser internationalen Verwaltungsinstanzen im juristischen Schrifttum bislang nur spärlich erfolgt. Es erscheint somit auch aus diesem Grund gerechtfertigt, den Gesichtspunkt einer solchen primären gerichtlichen Kontrolle in das Zentrum der Untersuchung zu stellen. Auf Aspekte sekundären Rechtsschutzes wird im Folgenden bisweilen in ergänzender Form eingegangen. Wie dieser wirft jedoch auch die Frage nach einer primären gerichtlichen Kontrolle internationaler Organe einige typische juristische Problemfelder auf, die auch in der vorliegenden Arbeit an verschiedenen Stellen relevant werden. – Aufgrund des auf völkerrechtlicher Ebene fehlenden Typenzwangs89 für die Schaffung internationaler Gebilde, erweist sich die Bestimmung der Rechtsnatur eines internationalen Organs oft als diffizil. Manchmal wird dies daran liegen, dass bei derartiger Konfliktlösung durch die internationale Staatengemeinschaft Zeit- und Handlungsdruck bei der Reaktion auf eine bestimmte Krise sowie die Rücksichtnahme auf politisch-diplomatische Rahmenbedingungen eine detaillierte juristische Konzeption von ad hoc geschaffenen Institutionen gar nicht zulassen. Man aber wird zumindest auch vermuten dürfen, dass diejenigen Staaten und Internationalen Organisationen, die sich an Peacekeeping, Territorialverwaltungen oder vergleichbaren Missionen zur Konfliktbewältigung beteiligen, Fragen von Rechtspersönlichkeit (auf völkerrechtlicher oder innerstaatlicher Ebene) und der institutionellen Zuordnung von militärischen Truppenverbänden, Verwaltungsorganen etc. bei einem gegebenen Einsatz bisweilen bewusst in der Schwebe lassen,90 um sich selbst im Hinblick auf die regelmäßig schwer vorhersehbaren rechtlichen Risiken derartiger Missionen vorsichtshalber in einer rechtlichen Grauzone zu verbergen. – Aus der schwierigen Klassifizierbarkeit der internationalen Akteure ergibt sich wiederum häufig das Problem, welchem Rechtssubjekt ein bestimmtes Organ bzw. das Handeln eines bestimmten Organs zugerechnet werden kann, welches Rechtssubjekt also letztlich für einen bestimmten Akt völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden kann. – Es stellt sich des Weiteren die Frage nach den Jurisdiktionsimmunitäten, mit denen solche internationalen Organe regelmäßig ausgestattet sind91 sowie deren Umfang. – Einen zusätzlichen Eckpfeiler in diesem Spannungsfeld stellt der Blickwinkel der nationalen Gerichtsbarkeit dar bzw. die Art und Weise wie diese die Aus89 90 91
Brownlie, Principles of Public International Law, 6. Aufl., 2003, S. 648. Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 152. Brownlie, International Law, S. 667.
D. Gang der Untersuchung
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übung von Hoheitsgewalt durch internationale Organe mit Wirkung für den nationalen Rechtsraum behandelt. – Zu fragen ist letztlich auch nach Rolle und Zuständigkeiten von etwa vorhandenen ständigen oder ad hoc eingerichteten internationalen Gerichten oder gerichtsähnlichen Instanzen.
D. Gang der Untersuchung Die oben angedeuteten Gesichtspunkte kann man als einen gedanklichen Rahmen verstehen, innerhalb dessen sich auch die Suche nach einer gerichtlichen Kontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina bewegt. Die nachfolgenden Kapitel werden im Einzelnen folgende Fragestellungen untersuchen: Da die Einsetzung einer internationalen Verwaltung immer eine Reaktion auf eine konkrete Krisensituation darstellt und deswegen nicht losgelöst von den spezifischen Gegebenheiten des Einzelfalls betrachtet werden kann, behandelt Kapitel I das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina und gibt einen Überblick über die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, auf deren Grundlage die internationale Verwaltung zum Entstehen gelangte. Es sind vor allem folgende Fragen zu erörtern: – Wie ist das Friedensabkommen von Dayton aufgebaut und durch welche rechtlichen Besonderheiten ist es gekennzeichnet? – Wie ist die Verfassung beschaffen, die das Daytoner Abkommen für den Staat Bosnien und Herzegowina konstituiert? – Welche spezifischen Probleme ergeben sich aus dieser Verfassungsstruktur Bosnien und Herzegowinas? Kapitel II beschäftigt sich in einem zweiten Schritt mit Entstehung und Wesen der internationalen Zivilverwaltungsbehörde in Bosnien und Herzegowina, dem Office of the High Representative (OHR). Dieses Organ kann als zentrales Organ innerhalb der internationalen Verwaltungstruktur bezeichnet werden und verdient deswegen das Hauptaugenmerk der Untersuchung dieses Abschnitts. Aufbauend auf der Grundlegung in Kapitel I betrachtet Kapitel II die Einsetzung und die Funktionsweise dieser internationalen Verwaltungsbehörde und widmet sich schwerpunktmäßig der Frage ihrer rechtlichen Einordnung. Dabei geht es insbesondere um folgende Fragen: – Welche Umstände führten zur Einsetzung des OHR? – Auf welcher rechtlichen Grundlage und von wem ist diese Verwaltungsbehörde geschaffen und mit welchem Mandat ist sie ausgestattet worden?
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– Wie äußert sich die Tätigkeit dieser Verwaltungsbehörde in der Praxis? – Wie lässt sich die Rechtsnatur dieser Verwaltungsbehörde beschreiben? Kapitel III wendet sich schließlich der konkreten Frage der gerichtlichen Kontrolle der internationalen Verwaltungsorgane zu. Den Kern dieses Abschnitts bildet die wertende Betrachtung derjenigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina sowie der Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina, in welcher das Problem einer gerichtlichen Überprüfung von Akten des OHR, aber auch der weiteren internationalen Organe, zur Sprache kommt. Die Rechtsprechungslinien beider Gerichte werden analysiert und die in ihnen zum Ausdruck kommenden dogmatischen Ansätze und Lösungsmöglichkeiten bewertet. Dies geschieht unter Berücksichtigung relevanter völkerrechtlicher Gesichtspunkte, des nationalen Verfassungsrechts sowie vergleichenden Rückgriffs auf ähnliche Problemfelder aus dem Schnittbereich von nationalem und internationalem Recht. Vor dem Hintergrund der in Kapitel I und II betrachteten Gesichtspunkte versucht dieses Kapitel hierbei Antworten zu folgenden Fragen zu erarbeiten: – Findet eine gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltungsorgane in Bosnien und Herzegowina statt? – Wenn ja, in welchem Umfang, anhand welcher Rechtsnormen und durch wen findet eine solche Kontrolle statt? – Welcher prozessualen Möglichkeiten bedienen sich diejenigen Instanzen, die diese Kontrolle ausüben? – Welche rechtsdogmatischen sowie praktischen Probleme hat die gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina aufgeworfen? – Welche Lösungsansätze sind dabei herausgearbeitet worden? Können diese überzeugen in Bezug auf das nationale Verfassungsrecht und das Völkerrecht sowie im Hinblick auf den Rechtsschutzsuchenden? – Sind die Bedenken gegenüber einer angeblich „schrankenlosen“ Machtausübung der internationalen Verwaltung, besonders des OHR, also berechtigt oder nicht? – Vor dem Hintergrund welcher allgemeiner völkerrechtlicher Normen muss der in Bosnien und Herzegowina diesbezüglich vorgefundene Rechtszustand bewertet werden? Dass die diesbezüglich gefundenen Ergebnisse sich nicht unbesehen auf andere Beispiele internationaler Verwaltungstätigkeit übertragen lassen, darf sich von selbst verstehen.92 Dafür sind – wie eingangs angedeutet – die jeweiligen 92
Vgl. Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 495, 496.
D. Gang der Untersuchung
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Konfliktsituationen und insbesondere die politischen und juristischen Wege zu ihrer Bewältigung zu uneinheitlich. Dass aber auch unter dem Gesichtspunkt von Rechtsbindung und Kontrolle die oft bemühten „Lessons from Bosnia“93 für die Zukunft von Konfliktbewältigung und nation-building durch internationale Verwaltungsstrukuren möglicherweise verwertbare Erkenntnisse und Vergleichswerte liefern können, kann ebenso außer Frage stehen. Dafür sprechen auf der einen Seite allein schon Dauer und Intensität des Einsatzes der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina und auf der anderen Seite die generell gestiegene Bedeutung dieser Art von internationalen Missionen und die damit einhergehende Suche nach aussagekräftigen Präzedenzfällen.94 Die organisierte Staatengemeinschaft, zuvörderst im Rahmen der Vereinten Nationen, aber auch außerhalb, wird auch in Zukunft Fragen staatlicher Stabilisierung oder staatlicher Neuordnung zu beantworten haben. Deren Dringlichkeit hat sich nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 ein weiteres Mal vergrößert, gelten doch Gegenden mit zerbrochener Staatlichkeit als idealer Rückzugsraum für die Drahtzieher des internationalen Terrorismus, aber auch sonstiger international agierender organisierter Kriminalität.95 Die internationale Verwaltung der betreffenden Territorien durch die Staatengemeinschaft ist eine mögliche Antwort96, deren Bedeutung voraussichtlich weit über ein zukünftiges Gelingen oder Scheitern des „bosnischen Projekts“ hinausreichen wird.97 In ein Urteil über Erfolg oder Misserfolg98 einer solchen Verwaltungsmission muss auch eine Wertung darüber einfließen, inwieweit die internationale Ver93 Vgl. Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 60–74; dies., in: FAZ v. 25.07.2003, S. 9: „Wohlwollende Despoten“; „Kosovo: Let’s Learn From Bosnia – Models and methods of international administration“, Report der International Crisis Group, 17.05.1999. Insbesondere die Konfliklösungsstrategien im benachbarten Kosovo stehen unter dem Eindruck der Ergebnisse, die der Präzedenzfall Bosnien und Herzegowina liefert. Vgl. Stahn, Föderalismus im Dienste der Friedenssicherung – Bosnien-Herzegowina unter dem Friedensabkommen von Dayton, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.): Jahrbuch des Föderalismus 2002, S. 389. 94 Vgl. Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 829, 830. 95 Mallaby, Imperialist, S. 2, 3. Der Verfasser nennt in diesem Zusammenhang Afghanistan, Sudan, Sierra Leone, Somalia, Liberia; Caplan, International Governance, S. 256; die „Rückzugsraum“-Problematik betrifft jedoch ebenso Bosnien und Herzegowina, vgl. dazu Graf Vitzthum, Ethnischer Föderalismus, S. 128 Fn. 27. 96 Vgl. Hufnagel, UN-Friedensoperationen, S. 17–20, 21. 97 Jüngst sind z. B. die internationalen Überwachungs- und Verwaltungsstrukturen in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo als mögliche Ideengeber für die Überwachung des Friedensprozesses in Nordirland durch die Independent Monitoring Commission for Northern Ireland (IMC) zur Diskussion gebracht worden, vgl. „Monitoring the Northern Ireland Ceasefires: Lessons from the Balkans“, International Crisis Group, Europe Briefing, 23. Januar 2004. 98 Gedanken zur Frage der Erfolgsbewertung und Effizienzsteigerung bei derartigen Verwaltungsmissionen bei Caplan, International Governance, S. 226 ff., 230 ff.; auf
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waltung einen Ausgleich zwischen entschlossenem und effizientem Krisenmanagement einerseits und einer rechtlichen Ordnung und Kontrolle der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen andererseits gefunden hat. Letzteres ist Kern der Rechtsstaatsidee.
allgemeine Risiken hinweisend Wilde, The Ambivalent Mandates of International Organizations in Bosnia-Hercegovina, Kosovo and East Timor, in: Proceedings of the Joint Meeting of the Australian & New Zealand Society of International Law and the American Society of International Law (2000), S. 319 ff.
Kapitel I
Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina „The peace agreement for Bosnia is the most ambitious document of its kind in modern history, perhaps in history as a whole. A traditional peace treaty aims at ending a war between nations and coalitions of nations, while here it is a question of setting up a state on the basis of little more than the ruins and rivalries of a bitter war.“1
A. Der Weg nach Dayton – eine historische Skizze Die Verfassungsgeschichte, die der Staat Bosnien und Herzegowina als souveränes Völkerrechtssubjekt erlebt hat, ist kurz. Als Teil des Osmanischen Reichs (1463–1878)2, unter der Verwaltung Österreich-Ungarns (1878–1918)3 sowie – mit Unterbrechungen – als Bestandteil Jugoslawiens (1918–1992)4 war das Land innerhalb mehr oder minder ähnlicher geographischer Grenzen über Jahrhunderte unselbständiges Glied einer jeweils größeren Gebietseinheit. Die charakteristische ethnische Aufgliederung in drei wesentliche Volksgruppen stammt aus der Zeit der türkischen Herrschaft, in der sich neben der bereits vorhandenen Bevölkerungsstruktur aus Serben und Kroaten eine weitere, muslimische Volksgruppe herauszubilden begann, teils durch Zuzug, teils durch 1
Bildt, Peace Journey: The Struggle for Peace in Bosnia, 1998, S. 392. Vgl. Lampe, Yugoslavia as History, Twice There was a Country, 2. Aufl., 2000, S. 20; Braude/Lewis (Hrsg.): Christians and Jews in the Ottoman Empire, The Functioning of a Plural Society, Vol. 1: The Central Lands, 1982, S. 141 ff.; Jäger, Bosniaken, Kroaten, Serben: Ein Leitfaden ihrer Geschichte, 2001; Malcolm, Bosnia, A Short History, 1. Aufl., 1994. 3 Dazu Wurmbrand, Die rechtliche Stellung Bosniens und der Herzegowina, 1915; Lamp, in: ArchÖR 27 (1911), S. 288 ff.; Lamp, in: JöR V (1911), S. 136 ff.; Dzˇaja, Bosnien-Herzegowina in der österreich-ungarischen Epoche (1878–1918), 1994. 4 Zur wechselnden Verfassungsrealität des Vielvölkerstaats Jugoslawien siehe z. B. Pitamic, in: ZöR 3 (1922/23), S. 85 ff.; Lubenoff, in: ZaöRV 2 Teil 1 (1931), S. 252 ff.; ders.: Die Verfassung Jugoslawiens vom 3. September 1931, in: ZaöRV 3 Teil 1 (1933), S. 402 ff.; ders., in: ZaöRV 3 Teil 2 (1933), S. 511 ff.; Krbek, in: JöR 13 (1964), S. 244 ff.; Schultz, in: JöR 7 (1958), S. 289 ff.; ders., in: Osteuropa-Recht 10, Heft 1 (1964), S. 10 ff.; Petrovic´, in: Osteuropa-Recht 16 (1970), S. 191 ff.; Reichel, in: Osteuropa-Recht 20, Heft 3, 4 (1974), S. 165 ff. 2
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
Übertritt zum Islam.5 Eine historisch angelegte Spaltung der Gesellschaft des Landes lässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Aufgrund vieler Mischehen sowie aufgrund der Tatsache, dass die Volksgruppen überwiegend über das Land zerstreut siedelten, erschien Bosnien und Herzegowina – anders als andere multiethnische Gesellschaften6 – seit jeher wie ein ethnisches Leopardenfell7. Als Teilrepublik Jugoslawiens stellte Bosnien und Herzegowina wegen seiner ethnischen Diversität eine Art Abbild des gesamten Vielvölkerstaats dar. Das sozialistische Einparteiensystem, diffizile ethnische Proporzregelungen8 innerhalb der Staatsorgane auf Bundes- und Republikebene9, die zunehmend föderaler werdende Verfassungsstruktur10 sowie die Persönlichkeit des Staats- und Parteichefs Tito sorgten bis Anfang der Achtzigerjahre für ein mehr oder minder spannungsfreies Gleichgewicht der unterschiedlichen Volksgruppen in den verschiedenen Teilrepubliken. Die zuletzt bis an die Grenze zum Staatenbund dezentralisierte bundesstaatliche Verfassung hatte die Rechtsstellung der Teilrepubliken mehr und mehr gestärkt.11 Die föderale Staatsstruktur wurde zunehmend verrechtlicht: Es entstand eine Verfassungsgerichtsbarkeit12 auf Ebene des Bundes und der Teilrepubliken, die z. B. durch Normenkontrollverfahren und Entscheidungen von Streitigkeiten zwischen Bund und den Republiken dem Vielvölkerstaat ein bemerkenswertes rechtliches Fundament gab. Der Tod Titos am 4. Mai 1980 leitete dennoch einen Auflösungsprozess ein, der, bedingt 5 Vgl. Donia/Fine, Bosnia and Hercegowina: A Tradition Betrayed, 1994, S. 41; Bartl, Grundzüge der jugoslawischen Geschichte, 1985, S. 39. D. h. aber, dass der Begriff der Volksgruppe mit Vorsicht zu verwenden ist, da in vorliegendem Zusammenhang insbesondere die religiöse Zugehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal fungiert. Religion ist jedoch eben kein unveränderliches Merkmal wie z. B. Sprache oder genetischer Ursprung, die sonst zur Abgrenzung verschiedender Ethnien herangezogen werden. Vgl. dazu Horowitz, Ethnic Groups in Conflict, 1985, S. 41–54; Malcolm, Bosnia, S. 165–166; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 691. 6 Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie – Das Beispiel Bosnien-Herzegowina, in: Classen (Hrsg.), FS Oppermann, 2001, S. 95. 7 Karger, in: Osteuropa 42 (1992), S. 1162 ff.; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 691. 8 Dazu Devetak, The Equality of Nations and Nationalities in Yugoslavia, Successes and Dilemmas, 1988, S. 8 ff. Zum Umfang der Gleichberechtigung der Nationen und Nationalitäten innerhalb der SFR Jugoslawien vgl. Art. 245–247 der Verfassung von 1974; deutscher Text bei Roggemann, Die Verfassung der SFR Jugoslawien, 1980. 9 Vgl. Reichel, in: Osteuropa-Recht 20, Heft 3, 4 (1974), S. 176–190; Kulic ´, in: JöR 25 (1976), S. 218. Dazu auch Dzˇaja, Die politische Realität des Jugoslawismus (1918– 1991), mit besonderer Berücksichtigung Bosnien-Herzegowinas, 2002. 10 Dazu Beckmann-Petey, Der jugoslawische Föderalismus, 1990; Kulic ´, in: JöR 17 (1968), S. 527 ff.; ders., in: JöR 25 (1976), S. 211 ff. 11 Vgl. Petrovic ´, in: Osteuropa-Recht 16 (1970), S. 193, 194; Kristan, in: Die Verwaltung 5 (1972), S. 448 ff.; Prodanovic´, in: Osteuropa-Recht 18, (1972), S. 263 ff. 12 Ausführlich Dimitrijevic ´, in: ZaöRV 28 (1968), S. 171 ff.
A. Der Weg nach Dayton
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durch wirtschaftliche13 und nationale Spannungen, den Bundesstaat Jugoslawien innerhalb einer Dekade zerfallen ließ.14 Auch zahlreiche Vorschläge für eine abermalige Änderung der Verfassung konnten die staatliche Einheit nicht mehr retten. Die letzte Verfassung von 1974 blieb bis zum Ende in Kraft.15 Bemerkenswert ist, dass die jugoslawische Idee der nationalen Einheit innerhalb der kommunistischen Partei in Bosnien und Herzegowina einen besonderen Rückhalt genoss – und zwar bei allen drei großen Volksgruppen16. Es waren ferner auch insbesondere Vertreter Bosnien und Herzegowinas, die noch bis in den Sommer 1991 an Vorschlägen für den Erhalt der jugoslawischen Föderation gearbeitet hatten, in Zeiten, in denen zwischen Serbien und Kroatien bereits über die Aufteilung Bosnien und Herzegowinas verhandelt wurde.17 Am 25. Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihren endgültigen Austritt aus dem Bundesstaat Jugoslawien.18 Am 3. März 1992 wurde schließlich die unabhängige „Republik von Bosnien und Herzegowina“ ausgerufen, nachdem sich in einem Referendum 99,4% der Teilnehmer – unter Boykott der bosnischen Serben – für die staatliche Unabhängigkeit ausgesprochen hatten.19 Noch im selben Jahr folgten die rasche völkerrechtliche Anerkennung20 durch die USA und die EG sowie die Aufnahme in die Vereinten Nationen (22.05.1992). In der Folgezeit kam es zu massiven bewaffneten Auseinandersetzungen21 zwischen serbischen Verbänden bzw. bosnisch-serbischen Freischärlern und 13 Zu den ökonomischen Hintergründen der Krise auf dem Balken vgl. die Darstellung von Chossudovsky, in: Capital & Class 62 (1997), S. 1 ff. 14 Hierzu Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1566 ff.; Silber/Little, Yugoslavia: Death of a Nation, 1996; Woodward, Balkan Tragedy: Chaos and Dissolution after the Cold War, 1995, S. 333–373; Magas, The Deconstruction of Yugoslavia: Tracing the Break-Up, 1980–92, 1993; eine Kurzübersicht bei Waters, in: Harvard J. of Int’l L. 40 (1999), S. 522 ff. 15 Vgl. Beckmann-Petey, Föderalismus, S. 70, 71. 16 Die Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina setzte sich 1991 in etwa wie folgt zusammen: 40% (muslimische) Bosniaken, 31% Serben und 17% Kroaten. 17 Sloan, Bosnia and the New Collective Security, 1998, S. 13; Donia/Fine, Bosnia, S. 194. 18 Zur Frage des völkerrechtlichen Fortbestands oder Untergangs des Staates Jugoslawien siehe Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, S. 203 f. 19 Vgl. Sˇarc ˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 503 Fn. 50; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1567. 20 Zur politisch umstrittenen frühzeitigen völkerrechtlichen Anerkennung Sloweniens, Kroatiens sowie von Bosnien und Herzegowina vgl. Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1568 ff.; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 693. 21 Zum Kriegsverlauf vgl. Petritsch, Bosnien und Herzegowina, Fünf Jahre nach Dayton, Hat der Friede eine Chance?, 2001, S. 21–54; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 790 ff.; Calic, Krieg und Frieden in Bosnien-Herzegowina, 2. Aufl., 1996; Melcic´ (Hrsg.), Der Jugoslawien-Krieg, Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen, 1999; Almond, Europe’s Backyard War: The War in the Balkans, 1994. Der Krieg ist oft pauschal als „Bürgerkrieg“ bezeichnet worden, was begrifflich
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
(muslimisch) bosniakischen Milizen auf der einen Seite, sowie zumindest zeitweise zwischen kroatischen Einheiten und bosniakischen Milizen auf der anderen. Insbesondere die im Wesentlichen von Belgrad gesteuerte serbische Seite verfolgte eine Politik der „ethnischen Säuberung“ (= „wilde“ Vertreibungen und Massaker)22 mit dem Ziel der Schaffung rein serbisch besiedelter Landstriche für einen möglichen späteren Zusammenschluss mit dem serbischen Kernland. Der nationalistischen Versuchung, das eigene Territorium auf diese Art und Weise zu vergrößern, konnte sich auch die kroatische Seite im Westen zeitweise nicht ganz entziehen.23 Allein für die bosniakische Volksgruppe bestand keine Möglichkeit der Angliederung an eine „Mutternation“, weswegen bei ihr der Drang zur Schaffung bzw. Erhaltung eines souveränen Staates in den Grenzen der früheren Teilrepublik Bosnien und Herzegowina am stärksten ausgeprägt war, kamen stattdessen doch nur Aufteilung24 und Assimilierung durch Serbien bzw. Kroatien in Betracht.25 Ein ökonomisch und politisch lebensfähiger selbständiger Staat der bosnischen Muslime war und ist keine realistische Alternative.26 Einer der vielen tragischen Höhepunkte dieser mit bisweilen exzessiver Brutalität geführten Auseinandersetzungen27 war das am 11. Juli 1995 in der VNSchutzzone in Srebrenica von Serben verübte Massaker, welches unter ande-
eine Einschätzung als innere Angelegenheit des Staates Bosnien und Herzegowina impliziert. Dabei wird jedoch das Ausmaß an Einflussnahme insbesondere des von Belgrad gesteuerten Restjugoslawiens auf den Konflikt verkannt, welcher sehr wohl zwischenstaatliche Züge getragen hat. Dazu auch Gray, in: BYIL 67 (1996), S. 155–197; Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 502 Fn. 47, S. 514–516. Siehe die Entscheidung des Internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag im Fall Prosecutor v. Dusko Tadic, ICTY, Appeals Chamber, Urteil v. 15.07.1999, abgedr. in: ILM 38 (1999), S. 1518 ff., Abs. 83 ff. („Die Natur des Konflikts“). 22 Vgl. Petrovic, in: EJIL 5 (1994), S. 342–359; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1576; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 693. 23 Vgl. Graf Vitzthum/Mack, Multiethnischer Föderalismus, S. 85 Fn. 12; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 794. 24 Eine Aufteilung des Landes wurde auch insbesondere in den ersten, besonders schwierigen Jahren nach „Dayton“ als Alternative zur Gesamtstaatlichkeit diskutiert, vgl. Pape, in: Survival 39 (1997–98) 4, S. 25–28; Reiter, Die Balkanpolitik Europas, Schwächen des Konfliktlösungsmodells für Bosnien und Herzegowina, in: Reiter/Jurekovic ´ (Hrsg.): Bosnien und Herzegowina, Europas Balkanpolitik auf dem Prüfstand, 2005, S. 73. 25 Vgl. Graf Vitzthum/Mack, Multiethnischer Föderalismus, S. 104; Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3 (1998), S. 219, 220. 26 In diese Richtung auch Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3 (1998), S. 219, 220. 27 Dazu Rieff, Slaughterhouse: Bosnia and the Failure of the West, 1996, S. 23; der „Report of the Secretary General Pursuant to Security Council Resolution 1026“, UN Doc. S/1995/1031 (1995), abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 237, 240, geht von 1,2 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen innerhalb sowie 900.000 Flüchtlingen außerhalb des Landes aus; vgl. auch Rüb, in: KritJ 1999, S. 163 ff.
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen
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rem28 dazu beitrug, dass sich die internationale Gemeinschaft, insbesondere die US-Regierung29, nach Jahren der Unentschlossenheit mit teilweise unglücklichen Versuchen30 zur Eindämmung des Konflikts nun zu einem nachdrücklichen Eingreifen auf dem Balkan veranlasst sah. Der von den Vereinten Nationen legitimierte NATO-Einsatz „Operation Deliberate Force“31 mit massiven Luftangriffen gegen serbische Verbände führte schließlich zur Aufhebung der Belagerung Sarajevos und zu Waffenstillstandsverhandlungen.32 Nach Abschluss eines 60-tägigen Waffenstillstands für ganz Bosnien und Herzegowina ab 12. Oktober 1995 kam es in Dayton, Ohio (USA) zur Aushandlung eines Friedensabkommens.33
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen von Dayton Das am 21. November 1995 in Dayton paraphierte und am 14. Dezember desselben Jahres in Paris durch Unterzeichnung in Kraft getretene Friedensabkommen („Dayton Peace Agreement“, kurz: DPA)34 verdient nicht nur aufgrund seiner völkerrechtstechnischen Komplexität besondere Aufmerksamkeit, 28 Zu denken ist etwa auch an den Artillerieangriff auf das Stadtzentrum von Sarajevo Frühjahr 1994, bei dem zahlreiche zivile Opfer zu beklagen waren, vgl. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 796; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 695. 29 Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 793 f.; vgl. auch Daalder, Getting to Dayton, The Making of America’s Bosnia Policy, 2000. 30 Vgl. Friedman, Why the West Failed, Foreign Policy 97 (1994–95); zu nennen ist hier z. B. das von den VN verhängte Waffenembargo für die gesamte Konfliktregion, welches Serbien und Kroatien kaum beeinträchtigte, da diese in weitem Umfang auf die Ausstattung der ehemaligen jugoslawischen Volksarmee zurückgreifen konnten. Am stärksten betroffen wurde die Partei der bosnischen Muslime, die zu diesen Ressourcen am wenigsten Zugang hatte. Das Embargo hatte das Ungleichgewicht zwischen den Konfliktparteien mithin noch verstärkt und wurde schließlich wieder aufgehoben. Vgl. die Resolutionen des VN-Sicherheitsrats SR/RES/S/713 (25.09.91), 724 (15.12.1991), 727 (08.10.1992) sowie 1021 und 1022 (22.11.1995); vgl. auch Sadikovic, The Constitutional Situation in Bosnia and Herzegovina after the Dayton Agreement and the Arbitration for the Brc ˇ ko Area, in: Benedek (Hrsg.): Human Rights in Bosnia and Herzegovina after Dayton, From Theory to Practice, 1999, S. 50; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1577. 31 Als Rechtsgrundlagen hierfür fungierten die Resolutionen des VN-Sicherheitsrats SR/RES/S/713; SR/RES/S/757; SR/RES/S/816 und SR/RES/S/103. 32 Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 795 f. 33 Zum Verlauf der Waffenstillstandsbemühungen und der Verhandlungen des Abkommens von Dayton vgl. Holbrooke, Meine Mission – Vom Krieg zum Frieden in Bosnien, 1998; Petritsch, Bosnien und Herzegowina; Giersch, Konfliktregulierung in Jugoslawien 1991–1995, 1998. 34 Abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 75 ff.; für eine deutsche Übersetzung des Allgemeinen Rahmenabkommens s. International Peacekeeping 1/1996, S. 80–93. Das allgemeine Rahmenabkommen sowie die für die vorliegende Untersuchung besonders bedeutsamen Annexe 4, 6 und 10 sind im Anhang dieser Arbeit abgedruckt, siehe unten S. 301 ff.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
sondern auch deswegen, weil es einerseits die Grundlagen für das Staatswesen von Bosnien und Herzegowina enthält, sowie andererseits die rechtliche Basis für die Einflussnahme der internationalen Gemeinschaft in diesem Staat darstellt und somit möglicherweise Modellcharakter für die Lösung vergleichbarer zukünftiger Konstellationen aufweist. Von welcher Dauer und von welchem tatsächlichen Ausmaß die internationale Ingerenz und Überwachung sein würden oder vielmehr noch sein müssen, konnte bei Inkrafttreten des Abkommens nicht vollständig überblickt werden. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage war und ist die eigenständige Funktionsfähigkeit des multiethnischen Staatswesens von Bosnien und Herzegowina. Um ein Verständnis für die Bedeutung und die besondere Situation der internationalen Verwaltungstätigkeit in Bosnien und Herzegowina entwickeln zu können, ist deswegen ebenso die materielle Verfassungslage des „DaytonStaats“35 zu würdigen. Es ist dabei gleichermaßen zu hinterfragen, inwieweit das zu Recht als ehrgeizig bezeichnete „Verfassungsexperiment“ von Dayton eine internationale Eingriffs- und Steuerungstätigkeit geradezu herausfordert, welche ihrerseits wiederum die Frage nach ihrer rechtlichen Kontrolle (vgl. Kap. III) aufwirft. Diesen Aspekten wird im Folgenden nachgegangen. I. Der Aufbau des „Vertragspakets“ von Dayton 1. Das Allgemeine Rahmenabkommen Das DPA setzt sich zusammen aus einem allgemeinen Rahmenabkommen („General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina“), zwölf Anhängen36 mit teilweise wiederum eigenen Appendices, einem eigenständigen Paraphierungsabkommen37, einer Reihe von Begleitschreiben der Beteiligten38 sowie einer Schlusserklärung der Konferenzteilnehmer39. Die Funktion des All35 Vgl. Bose, Bosnia after Dayton, Nationalist Partition and International Intervention, 2002, S. 60. 36 Die Annexe sind die folgenden: Agreement on Military Aspects of the Peace Settlement (Annex 1A), Agreement on Regional Stabilization (Annex 1B), Agreement on Inter-Entity Boundary Line and Related Issues (Annex 2), Agreement on Elections (Annex 3), Constitution (Annex 4), Agreement on Arbitration (Annex 5), Agreement on Human Rights (Annex 6), Agreement on Refugees and Displaced Persons (Annex 7), Agreement on the Commission to Preserve National Monuments (Annex 8), Agreement of Bosnia Herzegovina Public Corporation (Annex 9), Agreement on Civilian Implementation of the Peace Settlement (Annex 10), Agreement on International Police Task Force (Annex 11). 37 „Agreement on Initialling the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina“, Text in: International Peacekeeping 2 (1995), S. 167. 38 „Side Letters“ s. ILM 35 (1996), S. 153–168. 39 „Concluding Statement by the Participants in the Bosnia Proximity Peace Talks“ s. ILM 35 (1996), S. 168.
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen
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gemeinen Rahmenabkommens beläuft sich dabei auf die einer formalen völkerrechtlichen Klammer für das gesamte Vertragspaket.40 Die Anhänge 1A-11 sind dabei trotz ihrer Bezeichnung als Annexe nicht als integrierende Bestandteile des Allgemeinen Rahmenabkommens aufzufassen, sondern stellen selbständige völkerrechtliche Verträge dar, die unterschiedliche Gesichtspunkte der Friedensregelung beinhalten.41 Für diese Eigenständigkeit spricht bereits die Tatsache, dass in diesen Annexen Vereinbarungen geschlossen wurden zwischen verschiedenen Parteien, die mit den Vertragsparteien des Rahmenabkommens zum Teil nicht identisch sind.42 Dieses Vertragsgeflecht besteht somit aus dreiseitigen Vereinbarungen zwischen der Republik Bosnien und Herzegowina, der Föderation Bosnien-Herzegowina und der (bosnischen) Serbischen Republik (Annex 1A, 2, 3, 6, 7, 8 und 11), fünfseitigen Abkommen unter Einbeziehung der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien43 (1B und 10), zweiseitigen Vereinbarungen zwischen der Föderation Bosnien-Herzegowina und der Serbischen Republik (Annex 5 und 9) sowie bilateralen Verträgen der Bundesrepublik Jugoslawien, der Republik Kroatien und der Republik Bosnien-Herzegowina mit der NATO (Appendix B zu Annex 1A). Das Allgemeine Rahmenabkommen, das zwischen der Republik Bosnien und Herzegowina, der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien abgeschlossen wurde, beinhaltet in materieller Hinsicht insbesondere die Anerkennung der staatlichen Einheit und der Souveränität Bosnien und Herzegowinas. Daneben besteht es im Wesentlichen aus Zusagen der Parteien, die in den Anhängen getroffenen Abmachungen zu begrüßen und zu bestätigen, sowie die daraus folgenden Verpflichtungen zu fördern und zu respektieren.44 2. Die wesentlichen Regelungen der Anhänge Zu den zentralen Inhalten des DPA gehört zunächst der Annex 1A, der die militärischen Aspekte der Friedensregelung betrifft.45 Er stellt einen dreiseitigen Vertrag zwischen dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina und seinen beiden „Gebietseinheiten“ dar, welche sich infolge des Krieges auf bosnischem Gebiet gebildet hatten, nämlich die Föderation von Bosnien-Herzegowina und 40
So Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 130. Vgl. Dörr, Die föderale Staatsstruktur als Element der völkerrechtlichen Friedenssicherung, in: Aulehner (Hrsg.), Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 222. 42 Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 130. 43 Heute Serbien und Montenegro. 44 Zu der daraus folgenden völkerrechtlichen (garantieähnlichen) Treuepflicht: Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 141; Gaeta, The Dayton Agreements and International Law, in: EJIL 7 (1996), S. 153 f. 45 Dazu ausführlich Sorel, in: AFDI 1999, S. 73 ff. 41
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
die „Republika Srpska“. Beide Verbände werden im gesamten DPA als „Entitäten“ („entities“) bezeichnet. In Annex 1A werden Materien wie die Einstellung der Kampfhandlungen und der Truppenrückzug geregelt. Darüber hinaus enthält er eine Ermächtigung für die NATO zur Aufstellung einer multinationalen Streitmacht, welche die militärischen Aspekte der Friedensregelung in Bosnien-Herzegowina durchsetzen soll.46 Das Mandat dieser „Implementation Force“ (IFOR),47 welche mittlerweile durch eine „Stabilization Force“ (SFOR)48 und zuletzt durch eine Militärmission der EU (EUFOR) abgelöst wurde, ist zusätzlich zu dieser völkervertragsrechtlichen Grundlage noch durch eine Resolution des VN-Sicherheitsrats sanktioniert,49 die auf Kapitel VII der VN-Charta gestützt ist und mithin die Anwendung militärischer Gewalt gegen Staaten legitimiert.50 In Annex 4 ist die neue Verfassung des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina enthalten. Dieses Dokument ist im Gegensatz zu den anderen Anhängen formal nicht als völkerrechtlicher Vertrag ausgestaltet, sondern vielmehr als Verfassungsurkunde, welcher der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina sowie seine beiden Landesteile in angehängten einseitigen Erklärungen ihre Zustimmung erteilen. Aufgrund der Einbettung von Annex 4 in das gesamte Vertragswerk sowie aufgrund seines Textes51 wird man jedoch auch hierbei von einem Vertrag zwischen Gesamtstaat und den Teilverbänden ausgehen können.52 Annex 6 enthält eine Verpflichtung des Gesamtstaates und seiner beiden Teilverbände zur Achtung fundamentaler Menschenrechte. Zur Überwachung derselben wird eine Menschenrechtskommission eingesetzt, bestehend aus einer Ombudsperson sowie einer gerichtsähnlich ausgestalteten Menschenrechtskammer, deren Entscheidungen für die drei Parteien verbindlich sind.53 Annex 10 ist eine Vereinbarung über die zivile Umsetzung der Friedensregelung, durch welche die Einsetzung des „Hohen Repräsentanten“ vorgesehen wird, der den Umsetzungsprozess überwachen und koordinieren soll.54 Auf diese Behörde 46
Hierzu Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 798 ff. Dazu Fink, Der Einsatz der Implementation Force (IFOR) in Bosnien-Herzegowina, in: Ziemske u. a. (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik, FS Kriele, S. 1461 ff. 48 Resolution 1088 des VN-Sicherheitsrats, 12.12.1996. 49 Resolution 1031 des VN-Sicherheitsrats, 15.12.1995, Text in: ILM 35 (1996). 50 Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 223. 51 Z. B. Annex II, Ziff. 1 (a) bosn. Verf. von „den Parteien“. 52 Vgl. Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 227. 53 Dazu ausführlich Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 169 ff.; Küttler, Die Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegowina, 2003; Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 7– 11; Rauschning, in: EuGRZ 25 (1998), S. 11–13; Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 207 ff.; Szasz, in: AJIL 90 (1996) II, S. 301 ff.; Szasz, in: Calif. West. Int’l. L. J. 25 (1995), S. 237 ff. 54 Dazu Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 135–137. 47
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen
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und deren Bedeutung im institutionellen Gefüge von Bosnien und Herzegowina wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausführlich einzugehen sein. In Annex 11 schließlich wurde von Bosnien und Herzegowina und seinen beiden Teilverbänden die Aufstellung einer internationalen Polizeitruppe (International Police Task Force, IPTF) im Wege einer VN-Sicherheitsratsresolution55 vereinbart, die gegenüber den örtlichen Polizeikräften eine Beobachtungs- und Konsultativrolle spielen sollte.56 II. Die Besonderheiten des Vertragsschlussverfahrens 1. Die völkerrechtliche Stellung der beiden Landesteile Es ist festzustellen, dass die skizzierten völkerrechtlichen Vereinbarungen des DPA von der Absicht geleitet sind, Bosnien und Herzegowina als einheitliches Staatswesen und souveränes Völkerrechtssubjekt zu erhalten.57 Problematisch erscheint dabei jedoch, dass eben dafür die während des Krieges auf bosnischem Staatsgebiet faktisch entstandenen Gebietseinheiten als Vertragsparteien unmittelbar in die Vereinbarungen einbezogen werden mussten. Die materiellen Inhalte sowie die Umstände des Vertragsschlussverfahrens geben den Regelungen des DPA einen durchweg völkerrechtlichen Charakter.58 Die beiden bosnischen Gebietseinheiten mussten dazu zumindest zum Zwecke der Friedensregelung und ihrer Umsetzung als Völkerrechtssubjekte fungieren können und als solche anerkannt werden.59 Da das Friedensabkommen insgesamt von einem Fortbestand Bosnien und Herzegowinas als souveränem Gesamtstaat ausgeht, wird man von einer partiellen Völkerrechtsfähigkeit der beiden Teilverbände auszugehen haben.60 Mit dem Bestreben der Schaffung einer völkerrechtlich gebundenen Friedensordnung entstand somit gleichzeitig das Problem, dass bestimmten Akteuren ein rechtlich bedeutenderer Status zuzugestehen war, als er im Hinblick auf Grundprinzipien des Völkerrechts genau genommen verantwortbar gewesen wäre. So fand sich der durch „ethnische Säuberungen“ und Völkermord entstandene Landesteil der bosnischen Serben, die Republika Srpska, welche überdies von Beginn an auf einen baldigen Zusammenschluss mit (Rest-)Jugoslawien spekuliert 55 Vgl. Resolution 1035 des VN-Sicherheitsrats, 21.12.1995, Text in: ILM 35 (1996), S. 256; VN 1996, S. 83. 56 Dazu Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 138–140. 57 Vgl. die Art. I und X des DPA; dazu Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 223. 58 Vgl. Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 224; zur parallelen Problemstellung im Falle Afghanistans siehe Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 491 ff. 59 Das ist nicht unproblematisch, insbes. bei der Föderation von Bosnien-Herzegowina vgl. Gaeta, in: EJIL 7 (1996), Abschnitt IV. m. w. N. 60 Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 224; vgl. Herdegen, Failed State, S. 74.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
hatte, durch eine zumindest implizite Anerkennung als teilrechtsfähiges Völkerrechtssubjekt durch den völkerrechtlich noch existierenden und am Vertragsschluss beteiligten Gesamtstaat61 als formal gleichberechtigter Vertragspartner am Verhandlungstisch mit den übrigen Vertragsstaaten und der internationalen Gemeinschaft wieder.62 Man wird dies als ein Zugeständnis der internationalen Diplomatie ansehen müssen, da sich die bosnischen Serben auf das Vertragspaket sonst wohl gar nicht eingelassen hätten.63 2. Die Rechtsnatur der Vertragsvereinbarungen der Landesteile Ausgehend von der gängigen Definition des völkerrechtlichen Vertrags als eine zwischen Staaten oder anderen vertragsfähigen Völkerrechtssubjekten abgeschlossene, dem Völkerrecht unterliegende Vereinbarung64, gelangt man zu dem Ergebnis, dass anhand der gesamten Umstände von Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss der Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck kommt, sämtliche in Dayton ausgehandelten Vereinbarungen dem Völkerrecht zu unterstellen.65 Also auch diejenigen Abmachungen, an denen die Föderation Bosnien-Herzegowina und die Republika Srpska beteiligt waren und denen somit nicht primär ein staatsrechtlicher Charakter zukommt. Zu diesen Umständen, die einen solchen Schluss zulassen, zählen neben dem klassisch völkerrechtlichdiplomatischen Prozedere vor allem auch die materiellen Regelungen der verschiedenen Abmachungen, die inhaltlich von der Abrede eines Gewalt- und Interventionsverbots66 zwischen den Landesteilen, über Kooperationspflichten mit völkerrechtlichen Institutionen67 bis hin zu ausdrücklichen Bezugnahmen auf völkerrechtliche Verpflichtungen reichen, sei es aus dem humanitären Völkerrecht, der EMRK, sonstigen internationalen Abkommen zum Schutze der Menschenrechte oder dem Statut des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien etc.68 Darüber hinaus wird die völkerrechtliche Ge61 Vgl. Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 224 m. w. N.; ausführlich ders., in: AVR 35 (1997), S. 167 ff. 62 Zu den Besonderheiten der Vertretung der bosnischen Serben durch den Staatschef der Bundesrepublik Jugoslawien, vgl. Gaeta, in: EJIL 7 (1996), S. 151; Holbrooke, Mission, S. 474; Sˇarcˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 311, 312 Fn. 74; dazu auch Hille, in: ZÖR 51 (1996), S. 219. 63 Vgl. Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 224, 225; Calic, Krieg und Frieden, S. 248. 64 Heintschel v. Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, 2004, § 9 Rn. 1. 65 Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 165; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Amicus Curiae Opinion on the nature of the proceedings before the Human Rights Chamber and the Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina, 15.06.2005, § 11. 66 Vgl. Art. I Abs. 2 (a) Satz 2 Annex 1A. 67 Vgl. Art. IX Abs. 1 (g), Art. X Annex 1A; Art. XIII Abs. 4 Annex 6; Art. IV Annex 9, Art. IV Annex 10, Art. VI Abs. 2 Annex 11.
B. Ein Überblick über die Vereinbarungen
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samtkohärenz der Verträge zusätzlich noch durch die Schaffung von internationalen, der Völkergemeinschaft verantwortlichen Organstrukturen unterstrichen, die den Prozess der Konfliktbereinigung begleiten und überwachen sollen.69 Die internationale Gemeinschaft hat ihrer besonderen Rolle im Rahmen des Friedensprozesses überdies im Wege einer förmlichen „Bezeugung“ der Vertragsunterzeichnung durch die fünf Staaten der sog. Kontaktgruppe (USA, Russland, Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich) sowie des Vorsitzenden des Rats der Europäischen Union Ausdruck verliehen.70 Man wird zwar nicht davon ausgehen können, dass mit dieser „Bezeugung“ die Übernahme einer völkerrechtlichen Garantie der Vertragserfüllung verbunden ist,71 jedoch dokumentierte die Staatengemeinschaft dadurch einmal mehr ihre politische Verantwortung für das Gelingen des unter ihrer Schirmherrschaft initiierten und auf vielfache Weise von ihr gesteuerten Prozesses der Konfliktlösung. 3. Das Paraphierungsabkommen Ungewöhnlich ist auch der Weg, auf dem die Vertragsparteien die völkervertragsrechtliche Bindungswirkung ihrer Vereinbarungen hergestellt haben. Das Rahmenabkommen sowie seine zwölf Anhänge sehen ein Inkrafttreten mit der Unterzeichnung72 vor, d. h. ohne eine Ratifikation durch ein nationales Verfassungsorgan, wie dies sonst bei völkerrechtlichen Verträgen mit bedeutender politischer Tragweite der internationalen Praxis entspricht.73 Die Parteien haben vielmehr in einem gesonderten Paraphierungsabkommen (Agreement on Initialling the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina) die Verhandlungen für beendet erklärt und festgelegt, dass bereits die (am 21.11.1995 erfolgte) Paraphierung der jeweiligen Teilvereinbarungen den Willen der Vertragsparteien zur (endgültigen) völkerrechtlichen Bindung ausdrücken soll.74 Die förmliche Unterzeichnung des Friedensabkommens am 14.12.1996 in Paris markierte insoweit nur noch das Datum des Inkrafttre68
Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 166, 167 m. w. N. Zu denken ist dabei insbesondere an das gem. Annex 10 ins Leben gerufene Amt des Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft. Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 167. 70 Vgl. die Formel „Witnessed by . . .“ bei den Unterschriften unter das allgemeine Rahmenabkommen, ILM 35 (1996), S. 91. 71 Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 145; vgl. auch Gaeta, in: EJIL 7 (1996), S. 154. 72 Vgl. z. B. Art. XI des allgemeinen Rahmenabkommens. 73 Vgl. Heintschel v. Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, 2004, § 10 Rn. 8. 74 „[. . .] the initialling of each signature block of the General Framework Agreement [. . .] and its Annexes today hereby expresses the consent of the Parties, and the Entities that they represent, to be bound by such Agreements“. (Art. II des Paraphierungsabkommens). 69
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
tens des Vertragspakets.75 Aus diesen rechtstechnischen Umständen mag man mit gutem Recht auf die Drucksituation schließen, die sich während der wochenlangen, schwierigen Verhandlungen in Dayton aufgebaut hatte. Die internationale Gemeinschaft, allen voran die amerikanischen Verhandlungsführer, waren bestrebt, ein Ergebnis zu präsentieren, das den Krieg beendet und welches nicht in undurchsichtigen Debatten nationaler Parlamente wieder zum Scheitern gebracht wird. Insbesondere der Gedanke der Eigenstaatlichkeit sollte bzgl. der beiden Landesteile (besonderes im Falle des serbischen Teils) nicht durch eine Einbeziehung quasi-staatlicher Vertretungsorgane noch forciert werden.
C. Eine Verfassung als völkerrechtlicher Vertrag? Das Abkommen von Dayton, dessen Annex 4 die Verfassung für Bosnien und Herzegowina enthält, stellt eine neuartige Form der Konfliktlösung dar, die durch ein besonders hohes Maß des Zusammenwirkens von nationalem Verfassungsrecht und Völkerrecht gekennzeichnet ist.76 Die Art der diplomatischen Anstrengungen, die auf diesem Wege unternommen wurden, ist als „Holzhammermethode“ bezeichnet worden, bei der die beteiligten Konfliktparteien so lange „eingesperrt“ werden, bis sie zu einer (vertraglichen) Einigung gelangen. Diese Methode ist seitdem auch für unterschiedliche andere Krisenregionen der Welt in Erwägung gezogen worden.77 Der vor dem Hintergrund zunehmenden Zeit- wie Erfolgsdrucks an den Tag gelegte Pragmatismus führte dann auch zu Ergebnissen, die sich in einem Spannungsfeld von Staatsrecht und Völkerrecht bewegen. Völkerrechtliche Verträge stellen als zentrale Quelle des Völkerrechts typischerweise ein Instrumentarium zur Regelung zwischenstaatlicher Sachverhalte dar. Dieses traditionelle Regelungsinstrument gewinnt eine weitere Dimension, wenn der völkerrechtliche Vertrag Regelungen über die interne Ordnung eines Staatswesens enthält bis hin zur völkerrechtlichen Vereinbarung einer normativen Grundordnung eines Staates, deren Schaffung normalerweise Aufgabe einer nationalen verfassungsgebenden Versammlung ist.78 Ein Blick auf die in Dayton installierte Rechtskonstruktion rechtfertigt sich in diesem Zusammenhang nicht zuletzt aufgrund der die gesamte Konfliktlösung durchziehenden Frage nach der Verallgemeinerungsfähigkeit der gewählten Maßnahmen. Ebenso ist dieses Vor75
Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 147. Vgl. Pech, in: RFDC 42 (2000), S. 421. 77 Holbrooke, Mission, S. 358; vgl. Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 96 Fn. 26; Sˇarcˇevic´, Die Schlussphase der Verfassungsgebung in Bosnien und Herzegowina, 1996. Dass eine solche Vorgehensweise auch scheitern kann, wird z. B. durch die fehlgeschlagenen Nahostfriedensgespräche von Camp David im Jahre 2000 dokumentiert. 78 Vgl. Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 299. 76
C. Eine Verfassung als völkerrechtlicher Vertrag?
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gehen aber auch als ein Beispiel für die zunehmende Übertragung klassisch staatlicher Funktionen und Kompetenzen auf die internationale Ebene aufzufassen.79 Der in vielen Bereichen fortschreitenden Konstitutionalisierung des Völkerrechts steht schließlich auch eine Tendenz zur Internationalisierung staatlicher konstitutioneller Elemente gegenüber. I. Die Rechtsnatur von Annex 4 1. Die Verfassungsqualität von Annex 4 Annex 4 bezeichnet sich – seiner Ausgestaltung als Verfassungsurkunde entsprechend – selbst als Verfassung. Ferner wird Annex 4 an mehreren Stellen des Allgemeinen Rahmenabkommens sowie der weiteren Annexe als „Verfassung“ bezeichnet.80 Neben diesen schlichten Selbstbezeichnungen deuten auch die Erklärungen der diesbezüglich relevanten Vertragspartner (der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina, sowie der beiden Landesteile Föderation von BosnienHerzegowina und Republika Srpska) am Ende von Annex 4, die die Verfassung ausdrücklich billigen, auf eine Akzeptanz der vereinbarten normativen Ordnung als Verfassung hin. Der entscheidende Gesichtspunkt ist jedoch, dass Annex 4 in inhaltlicher Hinsicht verfassungsrelevante Materien regelt und sich der staatliche Souverän diese Regelungen und das durch sie installierte Institutionengefüge durch die Aufnahme der politischen Praxis und die Betätigung ihrer Funktionsmechanismen nachträglich zu eigen gemacht hat und die Verfassungsqualität81 von Annex 4 mithin insgesamt anerkannt worden ist. Als Beispiele für diesen Prozess können die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts82 sowie die Äußerungen der Verfassungslehre83 von Bosnien und Herzegowina herangezogen werden. Sˇarcˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 325. Vgl. z. B. Art. I Nr. 14 Annex VI; Art. 5 des Allgemeinen Rahmenabkommens; Art. 1 Annex 11. 81 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 306–317, stellt diese Verfassungsqualität aufgrund verfassungstheoretischer Überlegungen in Frage und begründet dies insbesondere mit der mangelnden integrativen Kraft der Verfassung, also der Fähigkeit zur nachhaltigen politischen und sozialen Einbindung des gesamten Volkes. Begründet wird dies u. a. mit der Konstitutionalisierung der ethnischen Volksgruppen, der „Ethnisierung“ des Demokratieprinzips sowie des Aufbaus der Verfassung auf kriegsbedingt entstandene territoriale Strukturen. Diese Faktoren führten zu einer Spaltung der Gesellschaft und könnten keinesfalls Grundlage für eine dauerhafte selbsterhaltende Staatsstruktur sein, weswegen Annex 4 keine Verfassungsqualität zugeschrieben werden könne. Auf diese Kritikpunkte und deren Bewertung wird im Folgenden noch einzugehen sein. 82 Auf die Rechtsprechung wird weiter unten einzugehen sein. 83 Vgl. Savic ´, Die Staatsorganisation von Bosnien-Herzegowina, in: Graf Vitzthum/ Winkelmann (Hrsg.): Bosnien-Herzegowina im Horizont Europas, Demokratische und 79 80
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
2. Die völkervertragsrechtliche Qualität von Annex 4 Entsprechend dem grundsätzlich zur Rechtsnatur der Vereinbarungen von Dayton Gesagten ist für den besonderen, als Verfassungsurkunde ausgestalteten Annex 4 zu ergänzen, dass dieser als integraler Bestandteil des durchweg völkerrechtlich zu klassifizierenden Vertragspakets dessen völkerrechtliche Rechtsnatur teilt.84 Was den Annex 4 anbelangt, ist festzuhalten, dass sein Inkrafttreten nicht etwa die Zustimmung einer verfassungsgebenden Versammlung voraussetzt, sondern gemäß seines Art. XII lediglich die Unterschrift des Allgemeinen Rahmenabkommens.85 Sofern Annex 4 eine andere Rechtsqualität als die des restlichen Vertragspakets zugedacht gewesen wäre, hätte es nahe gelegen, sein Wirksamwerden von anderen, möglicherweise staatsrechtlichen Voraussetzungen abhängig zu machen.86 Dieses Verständnis der Verfassung fand seine Bestätigung auch in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina.87 Hinzukommt, dass der Wille der Vertragsparteien, auch die Verfassungsvereinbarung dem Völkerrecht zu unterstellen, darüber hinaus auch dadurch zum Ausdruck gelangt, dass das Völkerrecht auch in materieller Hinsicht als ein normativer Maßstab88 der Verfassung gedacht war, was sich in der vielfältigen Einbeziehung und Verankerung völkerrechtlicher Normen zeigt. II. Eine völkerrechtliche Intervention in die Verfassungsgebung Der Begriff der Konstitutionalisierung der Völkerrechtsordnung bezeichnet eine grundsätzliche Entwicklungstendenz, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich staatsähnliche Strukturprinzipien zunehmend auf internationaler Ebene wieder finden. Sei es im Rahmen regionaler oder globaler Internationaler Organisationen, bei der Schaffung internationaler Gerichtsbarkeiten und Überwachungsmechanismen oder bei der Ent- und Fortentwicklung materieller völkerrechtlicher Normen. Demgegenüber steht eine weitere prinzipielle Bewegungsrichtung föderale Elemente der Staatswerdung in Südosteuropa, 2003, S. 17 ff.; an gleicher Stelle Begic´, Die Rolle des Verfassungsgerichts Bosnien-Herzegowinas, S. 43 ff. 84 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 320 m. w. N.; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Amicus Curiae Opinion, §§ 10, 11. 85 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 320 Fn. 109. 86 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 322. 87 Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina, Partial Decision, Case No. 5/ 98, Urteil vom 01.07.2000, Rn. 19: „Contrary to the constitutions of many other countries, the Constitution of BiH in Annex 4 of the Dayton Agreement is an integral part of an international agreement.“; Rn. 73: „Indeed, from the functional point of view, the Dayton Constitution is part of a peace agreement as the name ,General Framework Agreement of Peace in Bosnia and Herzegovina‘ clearly indicates.“ 88 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 322.
C. Eine Verfassung als völkerrechtlicher Vertrag?
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des Völkerrechts, nämlich in Richtung eines stärker wertorientierten Völkerrechts, das sich von der systembedingten Gleichgültigkeit gegenüber der internen Ordnung einzelner Staaten mehr und mehr zu lösen beginnt. Das Völkerrecht sowie die internationale Gemeinschaft, die es hervorbringt, scheint zunehmend geneigt, sich nicht nur auf globale Fundamentalwerte (z. B. die Achtung des humanitären Völkerrechts, von fundamentalen Menschenrechten, des Völkermordverbots etc.) zu verständigen, sondern diese auch durchzusetzen, selbst wenn dies zu einer partiellen Relativierung des zentralen Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 VN-Charta), sowie dessen rechtliche Absicherung in Form des Gewalt- und Interventionsverbots (Art. 2 Nr. 4 und Art. 2 Nr. 1 VN-Charta) führt.89 Auch das innerstaatliche Verfassungsgefüge, die Verfassungsgebung wie die Ausgestaltung derselben, denen das Völkerrecht in der Vergangenheit mit nahezu90 vollständiger Indifferenz gegenüberstand, sind in diesem Zuge in das Blickfeld internationalen Interesses gerückt91. Die Rechtsgeschichte kennt bislang Fälle von Zusammenschlüssen von Staaten zu Staatenbünden92 oder Bundesstaaten93 im Wege des völkerrechtlichen Vertrags, d. h. die völkerrechtliche Vereinbarung einer Staatsverfassung erscheint aus rechtssystematischen Gründen nicht etwa als unzulässig.94 Neuartig ist im Kontext von Bosnien und Herzegowina zum einen das Maß an Einfluss, das die Staatengemeinschaft auf die Entstehung der Verfassung genommen hat, also wie sehr die internationale Gemeinschaft den Vertragspartnern bei der Schaffung eines Staatsfundaments und deren materieller Ausgestaltung die Feder, wenn nicht gar die Hand, geführt hat. Zum anderen besteht die folgende Besonderheit: Bei Zusammenschlüssen von Staaten zu Bundesstaaten verliert typischerweise die vertragliche Vereinbarung ihre völkerrechtliche Natur mit der Entstehung des Gesamtstaates und entfaltet ihre Wirksamkeit fortan auf 89 Das militärische Eingreifen der NATO im Kosovo-Konflikt im Jahre 1999 ohne Ermächtigung durch den VN-Sicherheitsrat, kann hierfür als Beispiel gelten. Dazu Thürer, Der Kosovo-Konflikt im Lichte des Völkerrechts: Von drei – echten und scheinbaren – Dilemmata, in: AVR 38 (2000), S. 1 ff. In die gleiche Richtung geht das Beispiel der Schaffung einer subsidiären, aber obligatorischen internationalen Strafgerichtsbarkeit für das gesamte ehemalige Jugoslawien. 90 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 301; Dörr, Föderale Staatsstruktur, S. 209. 91 Maziau, in: RGDIP 106 (2002), S. 549 ff. 92 Zum Beispiel des Norddeutschen Bundes vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band III, 1988, S. 669 ff. 93 Dazu Kunz, Die Staatenverbindungen, 1929, S. 626 ff. 94 Vgl. Würtenberger, Die Idee der paktierten Verfassung in der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert, in: Behrends/Starck (Hrsg.): Gesetz und Vertrag I, 2004, S. 107 ff.; Sˇarcˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 331; zum Beispiel einer innerstaatlich vertraglich vereinbarten Verfassung aus der jüngeren Vergangenheit siehe Starck, Der südafrikanische Verfassungsvertrag von 1993, in: Behrends/Starck (Hrsg.): Gesetz und Vertrag I, 2004, S. 125 ff.; zur Verfassungswerdung im Rahmen der EU vgl. Nolte, Verfassungsvertrag für Europa, in: Behrends/Starck (Hrsg.): Gesetz und Vertrag I, 2004, S. 151 ff.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
staatsrechtlicher Ebene.95 Im vorliegenden Fall besteht ein Gesamtstaat aber bereits. Den völkerrechtlichen Fortbestand des Staates Bosnien und Herzegowina legt das gesamte Abkommen von Dayton zugrunde. Die Verfassungsvereinbarung besteht also aus einem Übereinkommen zwischen Gesamtstaat und Entitäten, das somit eher staatsrechtlich anmutet, aber völkerrechtlichen Charakter aufweist und von dessen völkerrechtlichem Fortbestand offenbar auszugehen ist. So hat das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina die Natur der Verfassung als Teil eines völkerrechtlichen Vertrags betont96 sowie zur Verfassungsauslegung u. a. auf die Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 (WVK) zurückgegriffen und mithin die Verfassung auch in ihrem Fortbestand als völkerrechtlichen Vertrag klassifiziert.97 Da das Gericht sich über die Gründe dieser Annahme ausschweigt, bleibt insoweit Raum für Interpretation. Nahe liegt ein Verständnis, nach dem das Gericht die internationale Bindung des Verfassungslebens in Bosnien und Herzegowina betonen wollte sowie den Interventionscharakter98, der dieser auf internationalen Druck hin vereinbarten Verfassungsordnung anhaftet und der in der andauernden internationalen Präsenz und Überwachung des Friedensprozesses seinen Ausdruck findet, dessen normative Grundlage einer vollständigen Disposition der innerstaatlichen Akteure weiterhin entzogen bleiben soll.99 Man mag aus den angedeuteten Umständen bereits den speziellen Charakter ermessen, der die in Dayton getroffenen Vereinbarungen zu einem ungewöhnlichen, neuartigen Weg der Krisenbewältigung macht. Es erscheint vor diesem Hintergrund freilich legitim zu hinterfragen, ob eine solche buchstäblich aus der Not der andauernden Krise geborene völkervertragsrechtliche Regelung den an einen völkerrechtlichen Vertrag zu stellenden Wirksamkeitsvoraussetzungen überhaupt gerecht wird – nicht zuletzt aufgrund der Frage nach der Verallgemeinerungsfähigkeit dieses Vorgehens. Maßstab hierfür ist die Wiener Vertragsrechtskonvention. Und in der Tat ergeben sich aus den gesamten äußeren und inneren Umständen der Vertragsgenese eine Reihe von Ansatzpunkten, die unter dem Aspekt der Gültigkeitsvoraussetzungen völkerrechtlicher Verträge diskutiert werden können. Darunter sind Gesichtspunkte, die die konkrete Vertragsschlusssituation betreffen, wie etwa die Frage der ordnungsgemäßen Vertretungsbefugnis der jeweiligen Vertragspartner (Art. 46, 47 WVK) oder auch der Aspekt der Erzeugung einer möglicherweise unzulässigen Drucksituation 95 Vgl. die staatsrechtliche Weitergeltung des Einigungsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 31.08.1990, dazu Badura, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, § 189 Rn. 37 ff. 96 Vgl. unter IV. 97 Dazu Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 686. 98 Z. T. wird von einem Verfassungsoktroy gesprochen, vgl. Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 338. 99 In diese Richtung auch Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 686.
C. Eine Verfassung als völkerrechtlicher Vertrag?
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(Art. 52) gegenüber den Parteien durch die internationale Gemeinschaft – man bedenke die Ankündigung weiterer Luftschläge der NATO für den Fall des Scheiterns der Friedenskonferenz.100 Es ist allerdings auch die Gültigkeit des „Verfassungsvertrags“ in materieller Hinsicht in Zweifel gezogen worden, unter Bezugnahme auf Art. 53 WVK, nach dem ein Vertrag nichtig ist, der gegen eine zwingende Norm (ius cogens) des Völkerrechts verstößt. Es ist diesbezüglich z. T. argumentiert worden, dass Annex 4 u. a. aufgrund seiner territorialen Grundlagen ein normatives System der Regelung der „Völkermordergebnisse“ darstelle und schwerwiegende Völkerrechtsverstöße wie Genozid und „ethnische Säuberungen“ nicht sanktioniere, sondern vielmehr auch noch verfassungsrechtlich verfestige. Dies stünde in scharfem Widerspruch zum grundsätzlichen Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft zur Nichtanerkennung gewaltsamer Grenz- und Bevölkerungsverschiebungen und müsste zur Nichtigkeit des Annexes 4 führen.101 Diese Ansicht von der materiellen Nichtigkeit der vereinbarten Verfassung muss sich allerdings den faktischen Umständen beugen, die besagen, dass keine der Vertragsparteien die völkerrechtliche Unwirksamkeit des Abkommens von Dayton oder Teilen davon geltend gemacht hat102, sondern diese vielmehr ausdrücklich oder konkludent von der Rechtsgültigkeit der Vereinbarungen ausgehen. Die dargestellten Überlegungen verbleiben mithin zwar im Theoretischen, sie verdeutlichen aber die besondere Problematik dieser völkerrechtlichen Einflussnahme auf die nationale Verfassungsgebung, die sich des Risikos bewusst sein muss, eine letztendliche völkerrechtliche Widerspruchsfreiheit nicht garantieren zu können. Zu rechtfertigen ist diese Ingerenz der internationalen Gemeinschaft, welche die nationale Souveränität des (bereits existenten) Staates Bosnien und Herzegowina ein Stück weit umgeht und unter dem Gesichtspunkt völkerrechtlicher Wertungen zumindest diskussionswürdig ist, mit der Ausnahmesituation, in der sich das Land im Zeitraum von 1992 bis 1995 befunden hat. Die internationale Gemeinschaft hat mithin in einem Fall der Bedrohung von höchsten Rechtsgütern der Völkerrechtsordnung wie des Völkermordverbots sowie der Achtung des humanitären Völkerrechts auf Mittel des völkerrechtlichen Instrumentariums zurückgegriffen, um ein vom vollständigen Absinken ins Chaos bedrohtes Staatswesen zu stabilisieren. Rechtstechnisch lässt sich hierbei der völkerrechtliche Notstand als denkbarer Rechtfertigungsgrund für etwaige mit diesem Vorgehen einhergehende Völkerrechtsverstöße heranziehen.103 Dazu ausführlich Sˇarcˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 325 ff. Sˇarcˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 329–331. 102 Zum Verfahren zur Geltendmachung der Ungültigkeit eines völkerrechtlichen Vertrages vgl. Art. 65 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (1969, WVK). 103 Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 331–332. 100 101
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
D. Die Verfassung des „Dayton Staats“ Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich wird, stellt die auf der Friedenskonferenz von Dayton (völkerrechtlich104) vereinbarte und in Annex 4 des Friedensabkommens niedergelegte normative Grundordnung für den Staat Bosnien und Herzegowina das Ergebnis einer internationalen Einflussnahme von bislang ungekanntem Ausmaß dar. Die (erfolgreichen wie die missglückten105) diplomatischen Bemühungen106, die rechtliche Konstruktion im Spannungsfeld von Völkerrecht und staatlichem Recht sowie die materielle Verfassungsordnung und deren praktische Funktionsfähigkeit ergeben zusammen die Bilanz von „Dayton“, die eine erhebliche Präzedenzwirkung für die Lösung zukünftiger oder bestehender Konfliktszenarien beanspruchen darf, insbesondere für Staaten bzw. Gegenden mit multiethnischer Prägung.107 Da Diplomatie und völkerrechtliche Konstruktion bereits Erwähnung gefunden haben, ist nunmehr die Verfassungsordnung selbst in den Blick zu nehmen, die sich dem zentralen Kritikpunkt ausgesetzt sieht, die Ergebnisse der ethnischen Säuberungspolitik des Krieges nicht etwa zu revidieren, sondern vielmehr als Grundlage der zukünftigen Friedensordnung zu konstitutionalisieren und damit zu legalisieren.108 Von „Dayton“ gehe somit ein falsches Signal aus an diejenigen, die Vertreibungen und Völkermord nach wie vor für adäquate Methoden zur Durchsetzung nationalistischer Machtpolitik halten.109 Die Verfassung halte mithin zwar an der staatlichen Einheit des Landes fest, lege aber auch durch die konstitutive Dreiteilung der Bevölkerung gleichzeitig den Grundstein 104
Vgl. Roggemann, in: NJ 48 (1994), S. 337 ff. Dazu Ni Aolain, in: Mich. J. Int’l L. 19 (1998), S. 959 Fn. 4. 106 Vor dem Abkommen von Dayton waren bereits eine Reihe von Verfassungsmodellen diskutiert worden, die bald kantonale, bald konföderale Strukturen in unterschiedlicher Ausprägung vorschlugen, z. B. der Cuthilheiro-Plan (Frühjahr 1992), der Vance-Owen-Plan (Frühjahr 1993), der Owen-Stoltenberg-Plan (Sommer 1993) sowie der Plan der Kontaktgruppe (Sommer 1994); vgl. Raffone, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 41 (1996), S. 231 ff.; Calic, Krieg und Frieden, S. 188 ff.; auch Szasz, in: Fordham Int’l L. J. 19 (1995), S. 363 ff.; ders., in: AJIL 90 (1996), S. 301– 303; ders., in: Calif. West. Int’l. L. J. 25 (1995), S. 238 ff. 107 Vgl. Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 96 Fn. 26, der in diesem Zusammenhang Zypern, Sri Lanka, den Sudan, den Libanon, aber auch Südafrika nennt. Zu erwähnen sind an dieser Stelle aber ebenfalls die aktuellen Beispiele des Irak und Afghanistans, die faktisch „Vielvölkerstaaten“ sind. Konkret zum Fall Zyperns siehe Grant, in: JTLP 8 (1998), S. 1–55; für das benachbarte Kosovo vgl. Stahn, in: Leiden J. of Int’l Law 14 (2001) 3, S. 531 ff. 108 So z. B. Ni Aolain, in: Mich. J. Int’l L. 19 (1998), S. 960; Sˇarc ˇevic´, in: AVR 39 (2001), S. 329, 330, der die Verfassung deswegen für nichtig – weil gegen völkerrechtliches „ius cogens“ verstoßend – hält; ders., in: JöR 50 (2002), S. 501. 109 So z. B. Pajic, in: Hum. Rts. Q. 20 (1998), S. 126; Boyle, in: Hum. Rts. Q. 18 (1996), S. 515. 105
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für eine dauerhafte ethnisch programmierte Zerreißprobe dieser Staatlichkeit und sei deswegen höchstens als eine von der internationalen Gemeinschaft mit heißer Nadel gestrickte Übergangslösung akzeptabel.110 Die Verfassung nähre somit auch weiterhin die regionalen Großmachtphantasien Kroatiens und Serbiens, die auf einen Anschluss der jeweiligen Landesteile mit dem „Mutterland“ spekulieren.111 Inwieweit diese Kritik eine Basis findet, ist durch folgenden Überblick über die Eckpunkte der Verfassung von Bosnien und Herzegowina zu illustrieren. I. Die bundesstaatliche Ordnung Die Verfassung konstituiert Bosnien und Herzegowina als einen stark dezentral organisierten Bundesstaat112 mit insgesamt schwachen gesamtstaatlichen Institutionen.113 Dieser Staat besteht aus zwei Landesteilen114 (sog. „Entitäten“, engl. „entities“): Der Republika Srpska, einem fast vollständig serbisch besiedelten, einheitsstaatlich organisierten (in fünf Distrikte und 45 Gemeinden gegliederten) Landesteil, und der nahezu ausschließlich von bosnischen Muslimen 110 Vgl. Ni Aolain, in: Mich. J. Int’l L. 19 (1998), S. 958, 961, 965; Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 473. 111 Sˇarc ˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 503 Fn. 56. 112 Hierzu Trnka/Tadic ´/Dmicˇic´, Zehn Jahre Implementierung von Dayton – Der Weg Bosnien und Herzegowinas in eine europäische Zukunft, Juristische Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, 2005, S. 38 ff.; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, §§ 45 ff.; zum theoretischen Hintergrund sowie zu faktischen Erfordernissen bundesstaatlicher Ordnung vgl. den Beitrag von Miljko, Föderalismuserfahrung und Bosnien-Herzegowina, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.): Bosnien-Herzegowina im Horizont Europas, Demokratische und föderale Elemente der Staatswerdung in Südosteuropa, 2003, S. 31–42; Smyrek, Internationally Administered Territories, S. 163 ff. 113 Novak sprach noch 1999 von einem „. . . de facto kaum existierende[n] Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina“, Nowak, Die Menschenrechtsbestimmungen des Abkommens von Dayton in der Praxis, in: Benedek/König/Promitzer (Hrsg.): Menschenrechte in Bosnien und Herzegowina: Wissenschaft und Praxis, 1999, S. 43; Waters, in: Harvard J. of Int’l L. 40 (1999), S. 535; vgl. auch Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 211 ff. 114 Einen zusätzlichen Sonderfall innerhalb dieses Staatsgefüges bildet der Brc ˇko Distrikt, der als eine Art dritte Entität bezeichnet werden kann. Hierzu ausführlich Schreuer, in: Leiden J. of Int’l L. 11 (1998), S. 71 ff.; Karnavas, in: AJIL 97 (2003), S. 111 ff.; International Crisis Group: Bosnia’s Brc ˇ ko: Getting in, getting on and getting out, ICG Balkans Report No. 144, 02.06.2003. Einen weiteren internationalisierten Mikrokosmos in BiH stellte die von 1994 bis 1996 andauernde internationale Verwaltung der Stadt Mostar durch die EU dar. Siehe hierzu Hummer, Mostar – ein Beispiel internationaler Stadtverwaltung durch die Europäische Union, in: Benedek (Hrsg.): Development and developing international and european law: Essays in honour of K. Ginther, 1999, S. 377 ff.; Pagani, in: AFDI 27 (1996), S. 234 ff. Für das unlängst verabschiedete Statut des multiethnischen Gemeinwesens in Mostar vgl. die Entscheidung des Hohen Repräsentanten, Decision enacting the Statute of the City of Mostar, 28.01.04, unter: http://www.ohr.int/decisions.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
und Kroaten bewohnten Föderation Bosnien-Herzegowina. Diese besteht aus zehn Kantonen (mit 80 Gemeinden) und stellt somit selbst eine Art bundesstaatliches Gefüge innerhalb des Bundesstaates dar. Die Föderation ist wiederum dezentral strukturiert, d. h. die Kompetenzen liegen überwiegend bei den Kantonen, die selbst mit eigenen Verfassungen115 ausgestattet sind. Die Rechtsgrundlage für die Kompetenzen beider Entitäten ist die gesamtstaatliche Verfassung. Somit können sich Probleme der Kompetenzabgrenzung oftmals parallel zwischen dem Gesamtstaat und den Entitäten sowie zwischen der Föderation und ihren Kantonen ergeben. Diese Verfassungskonstruktion könnte man als einen partiell dreistufigen Bundesstaat116 bezeichnen. Diese gleichermaßen bemerkenswerte wie untypische Staatskonstruktion ist Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung.117 Wie eingangs bereits angedeutet, fanden zwischen 1993 und 1994 innerhalb des Gesamtkonflikts auch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den bis dahin verbündeten bosnischen Kroaten und muslimischen Bosniaken statt, die auf Druck der USA mit dem sog. Washington Agreement118 im Jahre 1994 ein Ende fanden. Um einen Interessenausgleich zwischen Kroaten und Bosniaken herbeizuführen, entstand eine Verfassung der bosniakisch-kroatischen Föderation Bosnien-Herzegowina119, die zunächst auch für einen Beitritt der Gebiete der bosnischen Serben offen stehen sollte.120 Anstatt des Beitritts der Serben zur Föderation stand jedoch am Ende der Verhandlungen von Dayton die „Verklammerung“ der Föderation Bosnien-Herzegowina mit den Gebieten der bosnischen Serben, die sich mittlerweile unter dem Namen Republika Srpska121 konstituiert hatten, zum Staat Bosnien und Herzegowina, welcher der Nachfolger der 1992 ins Leben gerufenen Republik Bosnien und Herzegowina ist.122 Die Grenzlinien zwischen den beiden Entitäten sowie zwischen den Kantonen innerhalb der Föderation Bosnien-Her115 Vgl. Teil V, Art. IV der Föderationsverfassung, abgedruckt in: ILM 33 (1994), S. 740 ff. 116 So Graf Vitzthum/Mack, Multiethnischer Föderalismus, S. 119. 117 Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 794, 796. 118 Siehe dazu Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 695 f. 119 Text siehe ILM 33 (1994), S. 740 ff. 120 Vgl. Markert, Der Beitrag der Venedig-Kommission, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.): Bosnien-Herzegowina im Horizont Europas, Demokratische und föderale Elemente der Staatswerdung in Südosteuropa, 2003, S. 88; Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 516. 121 Dazu Nemitz, in: Osteuropa-Recht 43 (1997), S. 89 ff.; die Verfassung dieses Teilstaats ist abgedruckt bei OHR (Hrsg.): Bosnia and Hercegovina, Essential texts, 3. Aufl., 2000, S. 93 ff.; zum völkerrechtlichen Status der Republika Srpska z. B. auch Kadic v. Karadzic, United States Court of Appeals for the Second Circuit, 13.10.1995, ILM 34 (1995), S. 1592, 1607; OVG Münster, NVwZ 15 (1996), Beilage 1/1996, S. 3 sowie BVerwG, NVwZ 17 (1997), 184 (195 ff.); vgl. auch Hille, in: ZÖR 51 (1996), S. 209 (214). 122 Vgl. Markert, Venedig-Kommission, S. 89.
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zegowina entsprechen dabei im Wesentlichen den ehemaligen Frontverläufen zwischen den muslimisch-bosniakischen Streitkräften, den kroatischen und serbischen Einheiten.123 Was den Gesamtstaat zum Bundesstaat macht (im Gegensatz zu einem Staatenbund124), sind, neben der gesamtstaatlichen Verfassung (nachfolgend BiHV abgekürzt), die das Recht der Gliedstaaten bricht (Art. III.3b BiHV), u. a. die Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene (vgl. Art. VI.3a BiHV), die gesamtbosnische Staatsangehörigkeit125 (welche die Einwohner beider Entitäten neben ihrer Entitätsbürgerschaft besitzen, Art. I.7 BiHV), sowie die Tatsache, dass beiden Gliedstaaten kein Recht auf Loslösung aus dem Bundesstaat zusteht, wie dies z. B. noch in der jugoslawischen Verfassung von 1974 – zumindest in formeller Hinsicht – der Fall war.126 Ferner verfügt der Gesamtstaat gem. Art. X BiHV über die sog. Kompetenz-Kompetenz, was ihn von einer bloßen Staatenverbindung abgrenzt. Des Weiteren verfügt er im Gegensatz zu den Entitäten über eine umfassende – nicht nur partielle – Völkerrechtssubjektivität.127 Die Schwäche des Gesamtstaats liegt in den geringen materiellen Kompetenzen begründet, die ihm die Verfassung zuweist. Dementsprechend existieren nur wenige Bundesorgane (Präsidium, Ministerrat, Außenminister, Minister für Außenhandel, Verfassungsgericht). Demgegenüber stellen die beiden Entitäten de facto Ministaaten dar, die ihre „inneren Angelegenheiten“ weitgehend selbständig regeln.128 Zentrale Vorschrift für die Kompetenzverteilung129 ist Art. III BiHV, der dem Gesamtstaat die folgenden Kompetenzen zuweist: die Außensowie Außenhandels- und Zollpolitik, die monetäre Politik, die Zuwanderungssowie Flüchtlings- und Asylpolitik, die Regelung des Verkehrs zwischen den Entitäten sowie des Luftverkehrs, sowie ferner einige Kompetenzen zur Erfüllung und Pflege internationaler Verpflichtungen und Beziehungen. Ferner ist der Gesamtstaat gem. Art. III.5a BiHV für alle diejenigen Angelegenheiten zuständig, die die Annexe 5–8 des Allgemeinen Rahmenabkommens von Dayton vorVgl. Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 502 Fn. 49. Zu den Kategorien Bundesstaat/Staatenbund vgl. auch Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 56; Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 665–667, 681, 683; Savic´, Staatsorganisation, S. 28, die die starken konföderalen Elemente in der Verfassung betont; McGoldrick, in: International Journal on Minority and Group Rights 6 (1998/99), S. 44. 125 Dazu Sˇarc ˇevic´, in: WGO-MfOR 1998, S. 331 ff. 126 Vgl. dazu Beckmann-Petey, Föderalismus; Kulic ´, in: JöR 25 (1976), S. 211 ff. 127 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 667. 128 Vgl. Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1584. 129 Zur Kompetenzverteilung ausführlich Graf Vitzthum/Mack, Multiethnischer Föderalismus, S. 89–101; Ibrahimagic´, Supremacy of Bosnia and Herzegovina over its Entities, 1999, S. 137–143; zur Struktur von Bundes- und Entitätsorganen siehe die Übersicht bei Bose, Dayton, S. 61. 123 124
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sehen, sowie für die Wahrung von Souveränität, territorialer Integrität, politischer Unabhängigkeit und des internationalen Status’ Bosnien und Herzegowinas erforderlich sind. Demgegenüber bestimmt Art. III.3 BiHV, dass alle staatlichen Funktionen, die durch diese Gesamtverfassung nicht ausdrücklich den gesamtstaatlichen Institutionen zugewiesen sind, den beiden Entitäten zustehen. Diesen ist es überdies gem. Art. III.2 BiHV gestattet, gesonderte parallele Beziehungen zu den Nachbarstaaten zu unterhalten sowie mit Zustimmung des Gesamtstaats völkerrechtliche Verträge mit anderen Staaten zu unterzeichnen und Internationalen Organisationen beizutreten. Ebenfalls mit starken konföderalen Zügen versehen waren ursprünglich auch die Finanz- und Militärverfassung, letztere sah zunächst zwei Teilarmeen vor, unter anfangs ungeklärtem zivilem Oberkommando.130 II. Die Verwirklichung des Demokratieprinzips Der in Dayton vereinbarten gesamtstaatlichen Verfassung liegt das Modell einer Art ethnischen Konsensdemokratie131 zugrunde, bei der sich die Notwendigkeit von Ausgleich und Einigung zwischen den drei großen Volksgruppen in Ausgestaltung und Funktionsweise der demokratischen Institutionen niederschlägt. Die Ethnisierung des demokratischen Prinzips führt dazu, dass die Mandatsträger in den Bundesorganen (Zwei-Kammer-Parlament, Staatspräsidium) mehr als ethnisch legitimierte Vertreter ihrer jeweiligen Volksgruppe erscheinen denn als Vertreter des gesamten bosnisch-herzegowinischen Staatsvolks, was die grundsätzliche Gefahr einer gegenseitigen, ethnisch motivierten Blockade bei politischen Entscheidungen nach sich zieht.132 Die Parlamentarische Versammlung (Art. IV BiHV) von Bosnien und Herzegowina besteht aus zwei Kammern: dem Haus der Völker und dem Repräsentantenhaus. Erstere Kammer besteht aus 5 serbischen, 5 kroatischen und 5 bosniakischen Abgeordneten. Dabei werden die serbischen Delegierten ausschließlich von der Parlamentarischen Versammlung der Republika Srpska gewählt und die kroatischen bzw. bosniakischen Vertreter ausschließlich durch die Parlamentarische Versammlung der Föderation Bosnien-Herzegowina133 (Art. IV.1 130 Siehe dazu Graf Vitzthum/Mack, Multiethnischer Föderalismus, S. 91, 92; Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 509–511; zur mittlerweile vorangeschrittenen Verteidigungsreform mit Blick auf die anvisierte Mitgliedschaft in dem NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ siehe Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 23 ff., 55. 131 Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 107. 132 Sˇarc ˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 501–507; Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 459 ff.; Grant, in: JTLP 8 (1998), S. 8–17; Yee, in: EJIL 7 (1996), S. 187, 188. 133 Zu Einzelheiten der Föderationsverfassung vgl. Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 466 f.; Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 106.
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BiHV). Die Delegierten müssen dabei nicht nur die jeweils „richtige“ ethnische Zugehörigkeit haben, sondern auch die (Teil-)Staatsbürgerschaft des „richtigen“ Landesteils besitzen, um als Kandidat in Frage zu kommen.134 Dieses ethnisch und territoriale Schema findet sich – in abgeschwächter Form – auch in der zweiten Kammer, dem Repräsentantenhaus, welches aus 42 Mitgliedern besteht: Zwei Drittel von ihnen werden auf dem Territorium der Föderation Bosnien-Herzegowina, ein Drittel auf dem der Republika Srpska unmittelbar gemäß den von der Parlamentarischen Versammlung zu erlassenen Wahlgesetzen gewählt.135 Es besteht für die Mitgliedschaft in dieser Kammer kein ethnisches Erfordernis, d. h. es wäre grundsätzlich möglich, dass z. B. ein Kroate als Vertreter der Republika Srpska in das Repräsentantenhaus einzieht. Faktisch jedoch kam es insbesondere in der Anfangszeit aufgrund der extremen territorialen Segregation zu der gleichen ethnischen Blockbildung136, wie sie in der anderen Parlamentskammer vorgezeichnet war. Anders gesagt, die Annahme, dass z. B. in dem im Zuge des Krieges nahezu vollständig ethnisch homogenisierten serbischen Landesteil ein Nicht-Serbe ins Parlament gewählt würde, ging zunächst schlicht an der Realität vorbei. Beide Entitäten wirken mithin wie politisch getrennte Gebietseinheiten, in denen unabhängig voneinander die bosniakische und kroatische Volksgruppe auf der einen Seite sowie die serbische Volksgruppe auf der anderen Seite ihr eigenes politisches Interesse artikulieren.137 Gleiches gilt für das auf vier Jahre gewählte dreiköpfige Präsidium138 von Bosnien und Herzegowina. Dieses besteht aus einem Vertreter aus der Republika Srpska sowie jeweils einem bosniakischen und kroatischen Mitglied aus der Föderation, die wiederum in den jeweiligen Entitäten direkt gewählt werden (Art. V BiHV). Bei Entscheidungen gilt zwar grundsätzlich das Mehrheitsprinzip, wobei ein Präsidiumsmitglied jedoch die Möglichkeit hat, eine Entscheidung als Verletzung „vitaler Interessen“ seines Landesteils zu bezeichnen und mithin faktisch eine ethnisch-national programmierte Vetomöglichkeit besitzt (Art. V.2d BiHV).139 Ähnliche ethnische „checks and balances“ bestimmen auch die Entscheidungsfindung auf Parlamentsebene (vgl. Art. IV.3b bis f BiHV).140 Legislativentscheidungen bedürfen 134
Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 464. Vgl. Savic´, Staatsorganisation, S. 21. Bis ein eigenes Wahlgesetz zustande gekommen war, wurden die Wahlen nach OSZE-Regeln durchgeführt (PEC Rules and Regulations for General Elections 2000), vgl. Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 108 Fn. 51. Das neue Wahlgesetz ist im August 2001 verabschiedet worden: www.oscebih.org/elections-implementation/homeelections.asp. 136 Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 464. 137 Vgl. Sˇarc ˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 505. 138 Zu dem ebenfalls fragwürdigen Verteilerschlüssel für die Ministerämter vgl. Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 465. 139 Für Einzelheiten der Beschlußfassung siehe Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 107; Savic´, Staatsorganisation, S. 23 f.; Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 468. 135
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der Mehrheit in beiden Kammern, wobei auch hier die Gefahr ethnischer Blockadepolitik besteht, unter struktureller Begünstigung der serbischen Seite, die eine parlamentarische Entscheidung als einzige der drei konstitutiven Volksgruppen allein blockieren kann.141 Es bedarf weder eines Politikers noch eines Juristen, um sich vorstellen zu können, dass eine derartige Institutionenlandschaft vor dem jüngsten blutigen historischen Hintergrund Entscheidungen von gewisser politischer Tragweite nur unter größten Anstrengungen wird generieren können.142 Diese eher an konföderative Staatsorganisationen143 erinnernde, auf weitestgehende Parität der drei großen Volksgruppen angelegte Ethnisierung des Demokratieprinzips erscheint nicht allein aus Sicht des Mehrheitsdemokratieverständnisses problematisch, sondern wirft insbesondere auch völkerrechtliche Bedenken auf.144 So haben bestimmte Bevölkerungsgruppen gar keine Möglichkeit zu einer angemessenen demokratischen Repräsentation. Es können Bosniaken und Kroaten, die auf dem Territorium der Republika Srpska leben145 auf gesamtstaatlicher Ebene im Haus der Völker nur von Serben repräsentiert werden, da bosniakisch bzw. kroatische Abgeordnete eben nur auf dem Territorium der Föderation Bosnien-Herzegowina gewählt werden können. Das gleiche gilt umgekehrt für Serben, die auf dem Gebiet der Föderation leben146; sie haben z. B. 140 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, §§ 30 ff. 141 Hierzu sowie zur Rolle des Verfassungsgerichts bei der Auflösung solcher Sackgassen in der Entscheidungsfindung Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 467–469, 471; zur Ausübung des Vetos im Haus der Völker vgl. International Crisis Group (Hrsg.): The Wages of Sin: Confronting Bosnia’s Republica Srpska, ICG Balkans Report No. 118, 8. Oktober 2001, S. 43 ff. 142 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 42. 143 Savic ´, Staatsorganisation, S. 21, 22. 144 In Betracht kommen Verstöße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. II Nr. 4 BiHV sowie gegen eine Reihe von völkerrechtlichen Normen wie Art. 2 Abs. 1 und 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (1966, IPbpR), Art. 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950, EMRK) sowie Art. 5 lit. c des Internationalen Abkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierungen (1966). Dazu auch Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 465; ausführlich zu diesem Problem European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, §§ 16, 66 ff.; zu Art. 25 IPbpR vgl. Kingsbury, in: Cornell Int’l L. J. 25 (1992), S. 494–495; zum Problem des Minderheitenschutzes im benachbarten Kosovo vgl. Hofmann, Protecting Minority Rights in Kosovo, in: Dicke, Klaus u. a. (Hrsg.): Weltinnenrecht, 2005, S. 347 ff. 145 Bzgl. der Einwohnerzusammensetzung vgl. die Angaben des Bosnischen Verfassungsgerichts, zitiert bei Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 505 Rn. 60, wonach auf dem Gebiet heutigen der Republika Srpska im Jahre 1999 zwischen 3% und 5% nichtserbischer Bevölkerung lebten; 1991, also vor dem Krieg, waren dies 45,73%. 146 Vgl. Sˇarc ˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 505 Rn. 61; Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 464.
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nicht die Möglichkeit in der Föderation für das Haus der Völker zu kandidieren. Der gleiche Mechanismus gilt gem. Art. V BiHV für die Besetzung des dreiköpfigen Präsidiums. Für einen Flüchtling oder Vertriebenen besteht, zumindest was die politischen Partizipationsrechte anbelangt, kein Anreiz, die im Wege ethnischer Säuberungen bevölkerungsmäßig homogenisierten Territorien durch Rückkehr in die ursprünglichen Heimatgebiete „ethnisch“ wieder aufzulockern.147 In dieser Hinsicht ebenso problematisch ist die Stellung der ca. 8% der Staatsbürger von Bosnien und Herzegowina, die zu keiner der drei staatstragenden Volksgruppen gehören,148 und somit gehindert sind, auf gesamtstaatlicher Ebene unmittelbar eigene Vertreter zu wählen.149 III. Die Internationalisierung der Verfassung – Konfliktlösung durch Rechtsimport? Eine weitere Besonderheit der Verfassungsstruktur von Bosnien und Herzegowina neben der angesprochenen völkerrechtlichen Genese und der ethnisch verformten Verwirklichung des Demokratieprinzips ist die nachdrückliche Internationalisierung der Verfassung in materieller sowie in institutioneller Hinsicht. Internationalisierung in materieller Hinsicht meint die zahlreichen Bezugnahmen und Verweise der Verfassung auf völkerrechtliche Normen oder internationale Institutionen. Eine Internationalisierung in institutioneller Hinsicht zeigt sich bei der Betrachtung der genuin internationalen und international besetzten nationalen Organe, die in der Verfassungslandschaft des Landes eine Rolle spielen. Erschaffen und erzwungen unter dem Eindruck einer humanitären Katastrophe, legt die Verfassung, insbesondere was den internationalen Menschenrechtsschutz betrifft, eine besondere Form der Völkerrechtsfreundlichkeit150 an den Tag, bei denen völkerrechtliche Normen auf drei Arten auf die Verfassung einwirken.151 Eine besondere Stellung beansprucht hierbei die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und de147 Vgl. Slye, in: YJIL 21 (1996), S. 460, 464, 465, 475. Eine rasche und umfassende Rückkehr der Opfer ethnischer Säuberungen in ihre Heimatgebiete ist aber ein zentrales Ziel des Abkommens von Dayton, vgl. dessen Annex 7, Art. 1 ff., abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 137 ff.; Cox, in: ICLQ 47 (1998), S. 610. 148 Es sind dies z. B. Staatsbürger jüdischen Glaubens oder albanischer Abkunft. Zum Problem der nationalen Minderheiten siehe Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 32 ff. 149 Vgl. Sˇarc ˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 505 Fn. 63; Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 108. 150 Zum Begriff z. B. Bleckmann, in: DÖV 32 (1979), S. 309–318; zum Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht in neu entstandenen Verfassungsordnungen vgl. Vereshchetin, in: EJIL 7 (1996), S. 29 ff.; Stein, in: AJIL 88 (1994), S. 427 ff. 151 Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 66.
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ren Zusatzprotokolle, deren Verbürgungen gem. Art. II.2 BiHV unmittelbar in der nationalen Rechtsordnung anwendbar sind und denen Vorrang vor jeglichem entgegenstehenden nationalen Recht zukommt.152 Bemerkenswert ist dabei die Vorschrift des Art. X.2 BiHV, der jedwede Verfassungsänderung verbietet, die eben diese Menschenrechtsgewährungen in irgendeiner Form verkürzt. Die EMRK fungiert mithin als ein unabänderbares internationales „Implantat“153 in der Verfassung des Gesamtstaats154, welches den besonderen international gebundenen Charakter155 der normativen Grundordnung – durch Beschränkung der nationalen verfassungsändernden Gewalt – unterstreicht.156 Ferner werden in Annex 1 der Verfassung fünfzehn völkerrechtliche Abkommen zum Schutze der Menschenrechte für Bosnien und Herzegowina für verbindlich erklärt. Darüber hinaus trifft die Vertragsparteien des Abkommens von Dayton gemäß dessen Annex 6 (Art. I) die Verpflichtung zur Gewährung der Rechte der EMRK und deren Protokolle sowie einer Liste von mehreren internationalen Menschenrechtspakten, die wiederum mit der in Annex 1 der Verfassung genannten Aufzählung identisch ist. Diese Verträge entfalten somit eine Bindungswirkung für den Staat Bosnien und Herzegowina, ohne dass es eines 152 Vgl. Strohmeyer, Menschenrechtsschutz in Bosnien und Herzegovina – Herausforderungen bei der Durchsetzung internationaler Menschenrechtsgarantien, in: Baum/ Riedel/Schaefer (Hrsg.): Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, S. 222; Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 10; Alefsen, Menschenrechtsschutz in Bosnien und Herzegowina: Aus der Sicht der internationalen Gemeinschaft, in: Benedek/König/Promitzer (Hrsg.): Menschenrechte, S. 52; zum Rang der EMRK innerhalb des Verfassungsgefüges Maziau, in: AFDI 1999, S. 190–194; Matscher/Vila Amigo, Report on the conformity of the legal order of Bosnia and Herzegowina with the Council of Europe standards, Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Strasbourg, Doc.AS/Bur/BiH (1999) 1. Rev. of 7 January 1999, abgedruckt in: HRLJ 20 (1999), S. 394 ff.; Sierpinski, in: R.R.J. 1997-3, S. 1066. 153 Vgl. Pajic, Critical Appraisal, S. 36, der davon spricht, die EMRK sei in die Verfassungsordnung von Bosnien und Herzegovina „geschmuggelt“ worden, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung noch kein Mitglied des Europarates gewesen ist. 154 Für einen rechtsvergleichenden Überblick siehe Bleckmann, in: EuGRZ 21 (1994), S. 149 ff. 155 Zur durch den Vertrag von Versailles (Art. 103) „internationalisierten“, durch den Völkerbund garantierten Verfassung der „Freien Stadt Danzig“ vgl. die Gutachten des StIGH Treatment of Polish Nationals and other Persons of Polish Origin or Speech in the Danzig Territory, Advisory Opinion of 4 February 1932, PCIJ Ser. A/B, No. 44, S. 11 ff. sowie Consistency of Certain Danzig Legislative Decrees with the Constitution of the Free City, Advisory Opinion of 4 December 1935, PCIJ Ser. A/B, No. 65, S. 12: „This guarantee implies, [. . .] (1) that the Constitution will have to obtain the approval of the League of Nations; (2) that the Constitution can only be changed with the permission of the League of Nations, and (3) that the constitutional life of the Free City of Danzig must always be in accordance with the terms of this constitution.“ In letzterem Fall hatte der StIGH (!) quasi als Verfassungsgericht für Danzig fungiert und zwei Legislativakte des Danziger Senats für verfassungswidrig erklärt. 156 Vgl. Maziau, in: AFDI 1999, S. 193 Fn. 41; Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 210.
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Ratifikationsaktes bedurft hätte. Die Bindung wird insoweit unmittelbar durch die Unterzeichnung des Abkommens von Dayton bzw. seiner Anhänge herbeigeführt.157 Die betreffenden Verträge sind ohne weitere Akte der Transformation unmittelbar Teil der nationalen Rechtsordnung geworden.158 Schließlich stellt Art. III.3b BiHV fest, dass die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts integrierende Bestandteile des nationalen Rechts darstellen. Diese umfangreiche Einbeziehung und Verankerung völkerrechtlicher Normen, insbesondere den Menschenrechtsschutz betreffend, kann man als ein konstitutionelles Gegengewicht zu dem von ethno-nationalen Kriterien dominierten Staatsgefüge verstehen.159 Das bedeutet, dass der aufgrund der starken Ausprägung des Volksgruppengedankens160 auf Ebene der Staatsorgane mangelnde Individualbezug im Wege eines umfangreichen Menschenrechtsschutzes kompensiert werden soll.161 Diesen materiellen Schutznormen steht ein institutioneller Rahmen gegenüber, der diesen Rechten und Freiheiten zur Durchsetzung verhelfen soll, was sich in der Praxis naturgemäß weit schwieriger darstellt als die bloße Inkorporation derselben in die nationale Rechtsordnung. Annex 6 des Abkommens von Dayton162 sieht dazu die Einrichtung einer Menschenrechtskommission163 bestehend aus einem Ombudsmann164 und einer gerichtsähnlichen Menschenrechtskammer165 vor (Art. II.1), die sich mit der Bearbeitung von Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen befassen und ganz bzw. zum Teil mit internationalem Personal besetzt sind. So wird der Ombudsmann, der kein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina bzw. der Nachbarstaaten sein darf, von der OSZE ernannt (Art. IV.2), das Ministerkomitee des Europarats ernennt acht internationale Mitglieder der Menschenrechtskammer (Art. VII.2). Erweitert 157 Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000); bzgl. der EMRK: Haller, Die Grenzen der Solidarität: Europa und die USA im Umgang mit Staat, Religion und Nation, 2003, S. 11. 158 Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 67. 159 Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 678; Alefsen, Menschenrechtsschutz, S. 56; Pajic, Critical Appraisal, S. 39; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 800. 160 Vgl. Haller, Grenzen, S. 23 ff. 161 Vgl. Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 42. 162 Dazu ausführlich Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 129–180. Zum problematischen Verhältnis der Organe auf Grundlage von Annex 6 zu sonstigen internationalen und nationalen Institutionen, die den Menschenrechtsschutz betreffen, siehe S. 171 ff. ebenda. 163 Dazu Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 7–11; Strohmeyer, Menschenrechtsschutz in Bosnien und Herzegovina, S. 222. 164 Zur Rolle des Ombudsmanns bzw. der Ombudsperson vgl. Simor, in: EHRLR 6 (1997), S. 651, 652; Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 213; sowie die persönlichen Erfahrungen von Haller, Grenzen. 165 Dazu Rauschning, in: EuGRZ 25 (1998), S. 11–13; Küttler, Menschenrechtskammer.
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man den Blick nun auf die speziell mit den Rechtsfragen von Flüchtlingen und Vertriebenen166 befasste gerichtsähnliche Kommission nach Annex 7 (deren internationale Mitglieder werden vom Präsidenten des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ernannt, Art. IX.1) sowie das zur Wahrung der Verfassung und somit ebenfalls zur Überwachung der Menschenrechtsverbürgungen aufgerufene Verfassungsgericht167 (dessen drei internationale Mitglieder werden wiederum vom Präsidenten des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs nach Beratung mit dem Präsidium von BiH ausgewählt, Art. VI.1 (a) BiHV) und bezieht man noch die weiteren internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen mit ein, deren Wirken im gesamten Land vorgesehen ist168 sowie die Unterstützungsfunktion der Militär- und Polizeikräfte von IFOR/SFOR und IPTF169, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass durch einen umfangreichen materiellen und personellen „Import“ von Normen170 und eine Installation von Mechanismen in Bosnien und Herzegowina auf dem Papier wohl eines der komplexesten Menschenrechtsschutzsysteme der Welt zum Entstehen gelangt ist171, als Versuch, eine ethnische Spaltung der Gesellschaft im Wege der Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten nach dem Prinzip von Universalität und Nichtdiskriminierung zu überwinden.172 166 Abgesehen von Annex 7 statuiert bereits Art. II.5 BiHV das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen auf Rückkehr und Rückerstattung von Vermögenswerten bzw. einer Entschädigung. 167 Zum Problem möglicher Zuständigkeitskonflikte mit der Menschenrechtskammer siehe Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 171, 172; auch Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 214, 215. 168 Vgl. Art. II.8 BiHV, dazu Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 218; Pajic, Critical Appraisal, S. 37; Art. XIII Nr. 1 bis 4 von Annex 6: Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die OSZE, der Hohe Kommissar der VN für Menschenrechte sowie sonstige Regierungsorganisationen werden ausdrücklich dazu eingeladen, die Menschenrechtslage im Land zu überwachen; NGOs sollen ferner ungehindert ihre Beobachtungs- und Untersuchungsmissionen durchführen können. Dazu auch Alefsen, Menschenrechtsschutz, S. 55. 169 Zu diesen unterstützenden Kompetenzen von IFOR und IPTF vgl. Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 215, 217. 170 Der umfangreiche „Einbau“ von völkerrechtlichen Normen in das Verfassungsgefüge von Bosnien und Herzegowina zielte zum einen auf eine rasche Verankerung von fundamentalen Rechten und Freiheiten des Einzelnen, die durch ihre internationale Geltungskraft einer einschränkenden Auslegung durch nationale Organe von vornherein entzogen sind, auf der anderen Seite war er aber auch schlicht dem zeitlichen Druck in Dayton geschuldet, der eine ausführliche Verhandlung von rein nationalen Menschenrechtskatalogen gar nicht zugelassen hätte. Vgl. Maziau, in: AFDI 1999, S. 194. 171 Alefsen, Menschenrechtsschutz, S. 55; vgl. auch Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 31, der es „. . . mit Abstand das beste Menschenrechtssystem der Welt . . .“ nennt; zu dem Problem von Kompetenzüberschneidungen und Doppelungen innerhalb des Systems vgl. Venedig-Kommission des Europarats (Hrsg.), Draft Opinion on the constitutional situation in Bosnia and Herzegovina with particular regard to human rights protection mechanisms, 23. Juli 1996, Abschnitt 4.4.2., 4.4.3.
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IV. Nachbesserung durch das Verfassungsgericht Aus dem bisher Dargestellten wird deutlich, dass die umfassende internationalisierte Menschenrechtsarchitektur auf der einen Seite und die von ethnischen Gesichtspunkten dominierte Organlandschaft auf der anderen Seite einen zentralen Widerspruch im Verfassungsleben von Bosnien und Herzegowina darstellen. Während stark dezentral organisierte Föderalstrukturen, wie sie das gesamte Staatsgefüge prägen, noch als ein mögliches Instrument zur gesellschaftlichen Integration verschiedener Volksgruppen, zur Zügelung nationaler Zentrifugalkräfte und nicht zuletzt zur Durchsetzung individueller Grundrechte173 verstanden werden können, so erinnern Formulierungen wie der Begriff der „konstitutiven Völker“ eher an kollektiv-nationale Identitätsmuster, wie sie über Einheitsparteien in der Zeit des Sozialismus transportiert wurden174 und die nach dessen Ende in der Formulierung aggressiver ethno-nationaler Gruppeninteressen weiterwirkten. Diese beiden strukturellen Gegenpole der Verfassung führten und führen zwangsläufig zu Kollisionen. So hat die territoriale und staatsorganisationsrechtliche Aufteilung des Gesamtstaates in zwei Entitäten entlang der ehemaligen Frontlinien sowie die in der Präambel der Verfassung niedergelegte Vorstellung von Bosniaken, Kroaten und Serben als „konstitutive Völker“ von Beginn an eine Prädominanz ethnischen Denkens gefördert, die insbesondere auch im Verfassungsleben der beiden Gliedstaaten zutage getreten ist und teilweise zu scharfen Widersprüchen zu den auf einen Abbau von ethnischer Diskriminierung zielenden, in der Gesamtstaatsverfassung verankerten Menschenrechtsschutz geführt hat. Das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina,175 welches aufgrund seiner internationalen Besetzung176 einer ethnisch motivierten Blockade am wenigsten zugänglich ist und nicht zuletzt deswegen bisweilen als das einzige zur Artikulation des bundstaatlichen Gesamtstaatswillens wirklich fähige Staatsor172 Dazu auch Pajic, Critical Appraisal, S. 40; vgl. Waters, in: Harvard J. of Int. L. 40 (1999), S. 586. 173 Dazu Kälin, Human Rights and Statehood, in: Benedek (Hrsg.): Human Rights, S. 59. 174 Pajic, Critical Appraisal, S. 39; vgl. auch Sarajlia, Die Aufnahme der Menschenrechte in die Studienpläne der Universitäten, in: Benedek/König/Promitzer (Hrsg.): Menschenrechte, S. 113. 175 Vgl. Begic ´, Rolle des Verfassungsgerichts, S. 43 ff.; Winkelmann, Bundesstaat, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), S. 62. 176 Das Verfassungsgericht ist mit drei internationalen neben sechs nationalen Richtern besetzt. Zur ersten Besetzung von 1997–2002 gehörten Louis Favoreau (Frankreich), Hans Danelius (Schweden), Joseph Marko (Österreich); die zweite Besetzung (seit 2002) besteht aus David Feldman (GB), Tudor Pantiru (Moldawien) und Didier Maus (Frankreich). Letzterer ist mittlerweile ausgeschieden. Zu den Biographien der ersten neun Verfassungsrichter vgl. BIHVG (Hrsg.), Constitutional Court of Bosnia and Hercegovina, 1999, S. 26 ff.
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gan bezeichnet wurde177, hat sich in einer Leitentscheidung178 mit diesem zentralen Problem auseinandergesetzt und dabei eine bedeutende Präzisierung und Nachjustierung der in Dayton für den Staat Bosnien und Herzegowina gesetzten Parameter bewirkt.179 Im Einzelnen ging es um die Frage, inwieweit die Verfassungen der beiden Landesteile, der Föderation Bosnien-Herzegowina sowie der Republika Srpska den menschenrechtlichen Garantien der Gesamtstaatsverfassung in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Beide Verfassungen sahen für die jeweils demographisch dominierende Volksgruppe bestimmte Privilegien vor, die im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot180 bedenklich erschienen181 und die einem Prozess des gesellschaftlichen Zusammenwachsens, insbesondere der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen entgegenstanden.182 Das Verfassungsgericht hat, in dem Bestreben, der Wiederherstellung multiethnischer Strukturen in beiden Entitäten einen notwendigen (juristischen) Impuls zu geben, das in der Präambel183 der Gesamtstaatsverfassung niedergelegte „alles überwölbende Verfassungsprinzip“184 der konstitutiven Volksgruppen wie folgt konkretisiert: Vor dem Hintergrund des an zentraler Stelle der Verfassung niedergelegten allgemeinen Diskriminierungsverbots (Art. II.4 BiHV) dürfen keine der drei
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Savic´, Staatsorganisation, S. 25. Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina, Partial Decision III in Case No. U 5/98, Urteil vom 01.07.2000; ausführliche Besprechungen des Urteils bei Winkelmann, Bundesstaat, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), S. 59 ff.; Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 663 ff., das aus vier Teilentscheidungen bestehende Judikat geht auf eine Klage des damaligen Präsidiumsmitglieds von BiH Alija Izetbegovic vom Februar 1998 zurück, weswegen das Urteil oft auch als Izetbegovic-Entscheidung bezeichnet wird. 179 European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 10 f. 180 Neben den entsprechenden Vorschriften der anwendbaren völkerrechtlichen Verträge stellt Art. II.3 BiHV den Grundsatz der Nichtdiskriminierung bzgl. aller durch die Verfassung vorgesehenen Menschen- und Bürgerrechte fest. 181 So fanden sich in der Verfassung der Föderation eine Reihe von staatsorganisationsrechtlichen Normen sowie die Präambel, die eine Ungleichbehandlung der serbischen Minderheit gegenüber der bosniakischen und kroatischen Mehrheitsbevölkerung zum Ausdruck brachten, drastischer noch die Formulierungen in der Verfassung der Republika Srpska, die eine Privilegierung der serbischen Bevölkerung in diesem Landesteil implizieren, vgl. Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 684; Winkelmann, Bundesstaat, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), S. 67 ff. 182 Insbesondere in den ersten Jahren nach Dayton war die Zahl der Rückkehrer sehr gering, insbesondere die Zahl der sog. Minderheitenrückkehrer (minority returns), also Personen, die in eine Gegend zurückkehrten, wo ihre Volksgruppe eine Minderheit darstellte. Vgl. Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 675, 676 m. w. N. 183 Der Text der Präambel lautet: „Bosniacs, Croats and Serbs, as constituent peoples (along with others), and citizens of Bosnia and Herzegovina hereby determine that the Constitution of Bosnia and Herzegovina is as follows: . . .“ 184 So das Gericht, BiH Gesetzblatt Nr. 23/2000, Ziff. 63. 178
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konstitutiven Volksgruppen gegenüber den anderen als Minderheits- oder Mehrheitsgruppe aufgefasst werden, selbst wenn sie faktisch in einem Landesteil eine Minderheit darstellen. Ebenso darf keiner Volksgruppe auf der jeweiligen Gliedstaatsebene eine rechtlich privilegierte Stellung gegenüber den anderen eingeräumt werden.185 Das Gericht hat ferner klargestellt, dass die staatsorganisationsrechtliche und territoriale Aufteilung des Staates in zwei Landesteile keinesfalls als Legitimation für gesellschaftliche oder politische Dominanz einer Volksgruppe, die Ausgrenzung ethnischer Minderheiten oder gar der Beibehaltung der Ergebnisse „ethnischer Säuberung“ zu verstehen ist.186 Die Interpretation des Prinzips der „konstitutiven Volksgruppen“ durch das Gericht geht also in Richtung einer allgemeinen Gleichstellungsregel187, die gleichsam als ein Gegenpol zu segregationsbedingten monoethnischen Strukturen aufgefasst werden soll. Um dieses Ergebnis zu begründen, versuchte das Gericht der herandrängenden Frage nach den Anforderungen an eine multi-ethnische Demokratie Kontur zu verleihen und zog dabei verfassungssystematische Erwägungen, Aspekte des vergleichenden Verfassungsrechts sowie völkerrechtliche Argumente gleichermaßen in Betracht.188 Der Grundsatz der Existenz „konstitutiver Volksgruppen“ sei im Hinblick auf die Verfassungsentscheidung für eine demokratische, pluralistische Staatsform (Art. I.2 BiHV, Präambel) auszulegen. Einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wiederum seien bestimmte Prinzipien inhärent, wie die Achtung der Menschenwürde, der Respekt vor unterschiedlichen Glaubensrichtungen, kulturellen Eigenheiten und Gruppenidentitäten sowie ein (Grund-) Vertrauen in politische und gesellschaftliche Institutionen, welche eine gesellschaftliche Integration von Individuen und Gruppen erhöht189 bzw. überhaupt 185 Ziff. 59 des Urteils: „Even if constituent peoples are, in actual fact, in a majority or minority position in the Entities, the express recognition of Bosniacs, Croats and Serbs as constituent peoples by the Constitution of BiH can only have the meaning that none of them is constitutionally recognized as majority, or in other words, that they enjoy equality as groups. [. . .] Hence, there is not only a clear constitutional obligation not to violate individual rights in a discriminatory manner which obviously follows from Article II.3 and 4 of the Constitution of BiH, but also a constitutional obligation of non-discrimination in terms of a group right if, for instance, one or two of the constituent peoples are given special preferential treatment through the legal system of the Entities.“ 186 Ziff. 60, 61 des Urteils: „In conclusion, the constitutional principle of collective equality of constituent peoples following from the designation of Bosniacs, Croats and Serbs as constituent peoples prohibits any special privilege for one or two of these peoples, any domination in governmental structures of ethnic homogenization through segregation based on territorial separation. [. . .] Hence, despite the territorial delimitation of Bosnia and Herzegovina by the establishment of the two Entities, this territorial delimitation cannot serve as a constitutional legitimation for ethnic domination, national homogenization or a right to uphold the effects of ethnic cleansing.“ 187 Winkelmann, Bundesstaat, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), S. 67. 188 Winkelmann, Bundesstaat, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), S. 67.
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erst ermöglicht. Zur Verwirklichung dieser Grundsätze seien nicht nur effektive Teilhaberechte und Nichtdiskriminierung190 erforderlich, sondern auch schlicht Kompromissbereitschaft.191 Letztere dürfe jedoch nicht zum Ergebnis haben, dass der Prozess der demokratischen Entscheidungsfindung durch unumschränkte Vetorechte einer oder mehrerer Gruppen ad absurdum geführt wird und dauerhaft zu einer Herrschaft von Minderheiten mutiert.192 Dies kann man als ein verstecktes aber eindeutiges Bekenntnis zur Mehrheitsdemokratie verstehen. Die Ausführungen des Gerichts lassen erkennen, welchen Spagat die Errichtung einer multiethnischen Demokratie zu leisten hat. Einerseits sollen staatsorganisationsrechtliche Grenzen zwischen den Landesteilen keine ethnischen Trennlinien darstellen, sondern Ausdruck eines „Innenraums pluralistisch gestalteter Gesellschaftsstrukturen“193 sein, die durch individuelle und kollektive Rechte mit Leben erfüllt werden. Andererseits dürfen die nach der Auffassung des Gerichts mit der Vorstellung von demokratischer Staatlichkeit grundsätzlich zu vereinbarenden, kollektiven Partizipationsrechte einzelner Volksgruppen nicht zu ethnisch motivierter Blockade und mithin zu politischem Stillstand führen. Was den ersten Punkt betrifft, so hat das Verfassungsgericht durch sein Judikat ein Zeichen gesetzt: Eine Reihe von Verfassungsbestimmungen der beiden Landesteile wurden für unvereinbar mit der Gesamtstaatsverfassung erklärt und die Gliedstaaten wurden dazu aufgefordert ihre Verfassungen entsprechend zu ändern.194 Was den zweiten Aspekt anbelangt, so hat das Verfassungsgericht gewichtige Fragen offen gelassen. So bleiben im institutionellen Gefüge der Gesamtstaatsverfassung nämlich auch weiterhin die Diskrepanzen zwischen den soeben dargelegten Polen bestehen.195 Zu diesem auf dieser Ebene bestehenden 189 Vgl. Ziff. 55 des Urteils. Das Gericht zieht an dieser Stelle höchstrichterliche Rechtsprechung aus Kanada zur Argumentation heran, siehe Supreme Court of Canada, re Secession of Québec (20.08.1998), 2 SCR 1998, Vol. 2, 217, § 64. 190 Vgl. Ziff. 55, 57. Für den Grundsatz effektiver Teilhabe und gegen eine Segregation ethnischer Gruppen führt das Gericht eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen ins Feld, die für BiH gelten, so das Rahmenabkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten (1995), das Internationale Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierungen (1966), die Europäische Charta der Regionalund Minderheitssprachen (1992), das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten (1995). 191 Ziff. 56 des Urteils. 192 Ziff. 55 des Urteils. 193 Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 688; vgl. Ziff. 57 des Urteils. 194 Hierzu Trnka/Tadic ´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 16 f. 195 Die Untersuchung einzelner Komponenten der Bundesverfassung auf ihre innere Stimmigkeit zueinander war freilich nicht Streitgegenstand des Verfahrens, in dem eben die Gliedstaatsverfassungen auf ihre Konformität mit der Bundesverfassung zu prüfen waren. Allerdings legten die in diesem Rahmen zu untersuchenden konstitutionellen Parameter entsprechende obiter dicta bzgl. der Problemlage auf Gesamtstaatsebene nahe. Zur Reformbedürftigkeit der gesamtstaatlichen Strukturen und möglichen
D. Verfassung des „Dayton Staats‘‘
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Konfliktpotential zwischen ethnischen Proporzstrukturen und individuellen Menschenrechtsgarantien, wie bereits oben aufgezeigt, hat sich das Verfassungsgericht nur sybillinisch geäußert: Insoweit besondere kollektive Repräsentations- und Teilhaberechte Nichtdiskriminierungsvorschriften verletzen könnten, so sei dies nur durch deren Verfassungsrang zu rechtfertigen. Überdies seien diese Rechte eng auszulegen.196 Insbesondere sei der institutionellen Struktur der Gesamtstaatsverfassung kein Modellcharakter für die Verfassungsgestaltung auf Gliedstaatsebene zuzubilligen.197 Das Gericht hat also an dieser Stelle zwar zaghaft, aber doch vernehmbar geäußert, dass sich die in Dayton vereinbarte gesamtstaatliche Rahmenstruktur inneren Widersprüchen gegenübersieht, die einer Errichtung eines funktionierenden pluriethnischen Gemeinwesens auf Dauer nicht zuträglich sind. Die Tatsache, dass das Urteil nur mit knapper Mehrheit von fünf (drei internationale und zwei bosniakische Richter) zu vier (je zwei serbische und kroatische) Richterstimmen zustande gekommen ist, veranschaulicht, wie fragil die gemeinsame Grundlage gewesen ist, auf der das Verfassungsgericht seine Rolle als Hüter der Verfassung auszuüben hatte.198 Positiv zu vermerken ist der Anstoß zur staatlichen im Gegensatz zur völkerrechtlichen Fortentwicklung des Friedensprozesses, den das Gericht durch dieses Urteil geleistet hat. Auch dieser wäre allerdings ohne die Mitarbeit dreier internationaler Richter so nicht möglich gewesen. Man mag das als symptoma-
Lösungsansätzen vgl. Stahn, Föderalismus im Dienste der Friedenssicherung – Bosnien-Herzegowina unter dem Friedensabkommen von Dayton, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.): Jahrbuch des Föderalismus 2002, S. 402, 403; Venice Commission (Hrsg.), Opinion on the Electoral Law of Bosnia and Hercegovina, 24. Oktober 2001, Rn. 26, 27. 196 Ziff. 68 des Urteils. 197 Ziff. 68 des Urteils: „[. . .] In particular, it cannot be concluded that the BiH Constitution provides for a general institutional model which could be transferred to the Entity level or that similar ethnically defined institutional structures on Entity level need not meet the overall binding non-discrimination standard according to Article II. 4 of the Constitution of BiH or the constitutional principle of collective equality of constituent peoples.“ 198 Bereits dieser Entscheidung ist vorgeworfen worden, das Gericht verlasse damit seine Rolle als Verfassungshüter und geriere sich als Verfassungsgeber, vgl. Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 697. Zu den Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Urteils, die bezeichnenderweise maßgeblich auf Druck des Hohen Repräsentanten vorgenommen wurde, vgl. Solioz, Bosnia and Herzegovina: the Art of the Possible, S. 16 f.; International Crisis Group (Hrsg.), Implementing Equality: The „Constituent Peoples“ Decision in Bosnia and Hercegovina, ICG Balkans Report No. 128, 16.04.2002; Trnka/ Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 17 f.; Stahn, Föderalismus, S. 400–402; Petritsch, The Fate of Bosnia and Herzegovina, in: Solioz/Dizdarevic (Hrsg.): Ownership Process in Bosnia and Herzegovina – Contributions on the International Dimensions of Democratization in the Balkans, 2003, S. 27; als Beispiel für den fortdauernden Prozess der Umsetzung dieser Grundentscheidung des BIHVG siehe z. B. die Entscheidung U 44/01, 27.02.04, mit der das Gericht Städtenamen in der Republika Srpska mit dem Präfix „serbisch“ für verfassungswidrig erklärte.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
tisch für den gesamten Zustand des Landes nach „Dayton“ ansehen. Das grundsätzliche Bestreben des Gerichts, die teilweise lückenhafte oder schlicht widersprüchliche Friedensregelung mit den Mitteln der Verfassungsrechtssprechung funktionsfähig(er) zu machen, sollte auch hinsichtlich der Frage der Rechtskontrolle der internationalen Verwaltungsstruktur zu Tage treten. Darauf wird noch einzugehen sein.
E. Dayton – eine Bilanz Bereits dieser kurze Überblick über die Grundzüge der in Dayton installierten Verfassung macht deutlich, dass die gegenüber dieser normativen Grundordnung vorgebrachten Kritikpunkte eine gewisse Berechtigung haben. Die Tatsache, dass die bundesstaatliche Territorialstruktur in weitem Umfang auf der Grundlage einer „Feilscherei“ um ziemlich willkürliche Frontlinien konstitutionalisiert wurde anstatt nach wirtschaftlich vernünftigen und politisch-historischen Kriterien199, ist genauso wenig von der Hand zu weisen, wie die Tatsache, dass das institutionelle System der demokratischen Ordnung die ethno-nationalistische Konfrontation der Volksgruppen – eine der Hauptwurzeln des gesamten Konflikts – auf Verfassungsebene perpetuiert, kriegsbedingte Segregation und Blockbildung mithin keineswegs aufgelöst hat und demzufolge ethnisch motivierte Blockadepolitik im Rahmen der demokratischen Entscheidungsfindung geradezu herauszufordern scheint.200 Es erscheint somit legitim, kritisch zu hinterfragen, ob eine solche Verfassungsstruktur als ein zentraler staatlicher Stabilitätsfaktor fungieren kann, der eine gesellschaftliche Integration ermöglicht und eine ökonomische und soziale Stabilisierungsfunktion ausübt201, kurz gesagt, ob dieses Modell zukunftsfähig ist.202 Eine konstruktive Kritik darf allerdings die realen politischen, diplomatischen und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume nicht aus den Augen verlieren. Zuzugestehen ist zunächst, dass das Abkommen von Dayton sein Primärziel, nämlich die Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen, der wilden Vertreibungen, der Massenvergewaltigungen und der Massaker an der ZivilbeVgl. Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 502. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 803 f. 201 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1999, S. 6 ff. Zum Fehlen eines den „Verfassungsstaat konstituierenden Gesellschaftskonsenses“ vgl. die Ausführungen von Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 495. 202 Die Tatsache, dass Friedenskonsolidierungsprozesse nur unter günstigen Rahmenbedingungen Erfolg zeitigen können, lässt sich auch empirisch untermauern. Nach Crocker/Hampson, in: Foreign Policy 104 (1996), S. 55 ff. hatten nur ein Drittel aller Friedensschlüsse nach ethnischen Konflikten Bestand. Für eine Betrachtung des Dayton-Modells als bloße Übergangslösung Stahn, Föderalismus, S. 396. 199 200
E. Dayton – eine Bilanz
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völkerung erreicht hat. Vor dem Hintergrund der Vielzahl gescheiterter Friedensbemühungen, ist die Tatsache, dass in Dayton überhaupt eine Übereinkunft zwischen den zentralen Konfliktparteien zustande gekommen ist – die freilich selbst bis zuletzt auf der Kippe gestanden hat – als ein diplomatischer Erfolg zu werten, der auch unter Berücksichtigung des Drucks der USA, die ihr gesamtes politisches Gewicht in die Verhandlungen eingebracht hatten, keineswegs als selbstverständlich hinzunehmen ist.203 Die in Dayton vereinbarte staatliche Ordnung war und ist eine Notstandsordnung204 und als solche muss sie grundsätzlich zunächst verstanden werden. Der Einwand, die internationale Gemeinschaft setze sich mit der impliziten Legalisierung der „ethnischen Säuberungen“ durch die in Dayton vereinbarte Verfassung in Widerspruch zu ihren eigenen Bekenntnissen zum Völkermordverbot und zur Achtung des humanitären Völkerrechts205, mag im Hinblick auf die Landkarte des heutigen Bosnien und Herzegowina eine gewisse Berechtigung finden, er trägt jedoch einer Reihe von faktischen und rechtlichen Umständen nicht ausreichend Rechnung. Von einem Friedensabkommen zu verlangen, dass es die Folgen von jahrelanger, mit äußerster Brutalität geführter kriegerischer Auseinandersetzung mit einigen Federstrichen ungeschehen macht, hieße die Macht der internationalen Diplomatie – sei sie auch von Supermächten wie den USA choreographiert – sowie des (Völker-)Rechts zu überschätzen. Dass Verhandlungspositionen in solchen Friedensverhandlungen durch auf dem Schlachtfeld geschaffene Fakten – in diesem Fall im Wege „ethnischer Säuberungen“ – untermauert werden, ist dabei eine Realität, so unbefriedigend man diese auch empfinden mag.206 Das oben bereits erwähnte „ethnische Leopardenfell“, also das weitgehend konfliktfreie Nebeneinander der verschiedenen Volksgruppen aus der Vorkriegszeit ohne festgelegte Siedlungsräume der Ethnien, wiederherzustellen, ist eine Aufgabe, die kurz- oder mittelfristig überhaupt nicht zu bewältigen ist.207 Kein Vertragsund Verfassungstext der Welt könnte dies leisten. Genauere Betrachtung verdient zudem folgender Umstand: Annex 7 des allgemeinen Rahmenabkommens besteht aus einem Abkommen zwischen dem Gesamtstaat und den beiden Entitäten betreffend das Schicksal von Flüchtlingen und Vertriebenen, in dem allen Betroffenen die freie Rückkehr an ihren ursprünglichen Heimatort zugesichert wird (Art. I.1). Ferner wird den Betreffenden ein Recht auf Rückgabe von Eigentum bzw. ein Recht auf Entschädigung eingeräumt. Die Parteien verpflichten sich dabei, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein rechtliches und faktisches Umfeld zu schaffen, in dem eine 203 204 205 206 207
In diese Richtung auch Pajic, Critical Appraisal, S. 39. Vgl. Stahn, Föderalismus, S. 389, 397. Sˇarcˇevic´, in: JöR 50 (2002), S. 501, 502. Vgl. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 805 f. Vgl. Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 229.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
sichere Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen möglich ist (Art. I.2, 3; Art. II), dies schließt eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingskommissariat der VN (UNHCR), dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) sowie des Entwicklungsprogramms der VN (UNDP) und anderen Hilfsorganisationen ein (Art. I.5, III, IV, V). Die Rückübertragung von Grundstücksvermögen sollte mit Hilfe einer dafür eingesetzten und u. a. international besetzten Kommission208 (Commission for Real Property Claims of Displaced Persons and Refugees, CRPC) effektuiert werden, deren quasi-justizielle Entscheidungen im ganzen Land Geltung haben sollten (Art. VII ff., Art. XII).209 Dass eine solche Restitution in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem direkten Eindruck von ethnischer Konfrontation und Kriegsgräuel zunächst nur schleppend vorangegangen ist, mag dabei kaum verwundern.210 Die im Laufe der letzten Jahre nach und nach erzielte Bilanz der Rückgängigmachung von kriegsbedingten ungerechtfertigten Vermögensverschiebungen bei Grundstücken muss allerdings als ein Erfolg gewertet werden.211 U. a. wurde eine multinationale Reconstruction and Return Task Force (RRTF)212 zur internationalen Koordinierung und Erleichterung des Rückkehrprozesses ins Leben 208 Dazu Saulle, The Commission on Real Property Claims in Bosnia and Herzegovina, in: Mahoney u. a. (Hrsg.): Protecting Human Rights: The European Perspective, 2000, S. 1263–1269; auch Popovic, The Impact of International Human Rights Law on the Property Law of Bosnia and Herzegovina, in: O’Flaherty/Gisvold (Hrsg.): PostWar Protection of Human Rights in Bosnia and Herzegovina, 1998, S. 141 ff. 209 Vgl. Szasz, in: AJIL 90 (1996), S. 312. Zu Problempunkten bzgl. dieser Kommission vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 134; allgemein zur Rückkehrproblematik Waters, in: Harvard J. of. Int’l Law 40 (1999), S. 517 ff. 210 Die Schwierigkeiten, denen dieser Prozess anfangs begegnet ist, analysieren z. B. die Berichte der International Crisis Group, Going Nowhere Fast: Refugees and Internally Displaced Persons in Bosnia and Herzegovina (1997); House Burnings: Obstruction of the Right to Return to Drvar (1997); Minority Return or Mass Relocation (1998); Preventing Minority Return in Bosnia and Herzegovina: The Anatomy of Hate and Fear (1999); vgl. auch Krneta, Die rechtlichen und praktischen Hindernisse bei der Rückkehr der Flüchtlinge und Emigranten, in: Benedek/König/Promitzer (Hrsg.): Menschenrechte, S. 45 ff.; Simor, in: EHRLR 6 (1997), S. 653. 211 Im September 2004 waren von ca. 213 000 Fällen von zur Rückerstattung beanspruchten Grundstücken etwa 197 000 Fälle durch Rückübertragung an die ursprünglichen Besitzer gelöst worden. Dies entspricht einer Quote (Property Law Implementation Rate) von ca. 92% in beiden Landesteilen. Im Dezember 2000 lag diese Quote noch bei 19%, im Oktober 2001 bei 37% sowie im September 2002 bei 62%. Zu den Daten und Statistiken des Property Law Implementation Plan siehe www.ohr.int/pilp, ebenso zu Mechanismen und Vorgehensweisen bei der Rückerstattung, diesbezüglicher Gesetzgebung sowie den betreffenden Maßnahmen des Hohen Repräsentanten. 212 Die RTTF ist eine internationale ad-hoc Gemeinschaft bestehend aus der Behörde des Hohen Repräsentanten (OHR), des VN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR), der EU-Kommission, der Weltbank, der OSZE, der Commission for Real Property Claims (CRPC), der internationalen Organisation für Migration (IOM), der deutschen Bundesregierung, der US-Regierung, der SFOR sowie der Mission der VN in Bosnien und Herzegowina (UNMIBH), vgl. www.hr.int/ohr-dept/rrtf/. Allein der Blick auf die Zusammensetzung dieser Task Force veranschaulicht ein weiteres Mal, in welchen
E. Dayton – eine Bilanz
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gerufen, wobei sich die diesbezüglichen Statistiken ebenfalls nicht unbeachtlich ausnehmen.213 Bei allen Unzulänglichkeiten, die einem solchen Prozess anhaften müssen, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass individuell erlittenes Leid und Unrecht in vielen Fällen kaum oder gar nicht kompensiert werden können, so muss doch festgehalten werden, dass die in Dayton völkervertragsrechtlich vereinbarten214 und vor Ort durch Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen215 mühsam ins Werk gesetzten Rechte und Maßnahmen den größten und politisch einmündigsten Versuch der internationalen Gemeinschaft darstellen, durch Krieg und wilde Vertreibungen bewirkte „ethnische Säuberungen“ und damit einhergehende Vermögensverschiebungen großflächig wieder rückgängig zu machen.216 Eine solche konzertierte Aktion verschiedenster internationaler Akteure ist in der Geschichte Europas – welcher es an Beispielen für Völkermord und Vertreibung217 nicht mangelt – beispiellos218. unterschiedlichen Organisations- und Erscheinungsformen die internationale Gemeinschaft sich in Bosnien und Herzegowina zum nation-buildung aufgerufen fühlt. 213 Seit der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton Ende 1995 bis zu Beginn des Jahres 2005 (Stand 31.01.05) waren 1 005 958 Flüchtlinge und Vertriebene (von geschätzten 1,2 Millionen) in ihre Häuser und Wohnungen zurückgekehrt, davon kehrten 448 880 in Gebiete zurück, in denen sie ethnisch in der Minderheit sind (sog. minority returns). Aktuelle Daten und Statistiken bei www.unhcr.ba. Damit ist der Rückkehrprozess weitgehend abgeschlossen. 214 Das Abkommen von Dayton stellt auch in dieser Hinsicht eine Weiterentwicklung des Völkerrechts dar, indem es das individuelle Recht von Vertriebenen und Flüchtlingen auf Rückkehr in ihre ursprünglichen Siedlungsräume feststellt, also ein Recht postuliert, welches in der bisherigen Völkerrechtsordnung allenfalls eine diffuse Verankerung gefunden hat. Vgl. Stavropoulou, Bosnia and Herzegovina and the Right to Return in International Law, in: O’Flaherty/Gisvold (Hrsg.): Post-War Protection of Human Rights in Bosnia and Herzegovina, 1998, S. 127, 139; Cox, in: ICLQ 47 (1998), S. 603 ff. Zu bemerken ist an dieser Stelle auch, dass vor dem Hintergrund der enormen Fluchtbewegungen – insbesondere in das europäische Umland und dabei nicht zuletzt nach Deutschland, welche die Kriege in Bosnien und Herzegowina sowie später im Kosovo verursacht haben, die Problematik von Flucht und Vertreibungen auch verstärkt unter dem Gesichtspunkt der Staatenverantwortlichkeit diskutiert wird, z. B. von Ziegler, Fluchtverursachung als völkerrechtliches Delikt, 2002; Achermann, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit fluchtverursachender Staaten, 1997. 215 Einen Überblick über die Struktur der in Bosnien und Herzegowina aktiven internationalen Organisationen gibt O’Flaherty, International Human Rights Operations in Bosnia and Herzegovina, in: O’Flaherty/Gisvold (Hrsg.): Post-War Protection of Human Rights in Bosnia and Herzegovina, 1998, S. 1 ff. 216 Als ein historischer Vorläufer eines derartigen Wiederherstellungsprozesses kann das Friedensabkommen zur Beendigung des Konflikts in Kambodscha gelten, das ebenso Verpflichtungen zur umfassenden politischen und ökonomischen Re-Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen enthält, vgl. Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict, 23.10.1991, abgedruckt in: ILM 31 (1992), S. 183 ff. 217 Hierzu Köhler, Das Massenvertreibungsverbot im Völkerrecht, 1999. 218 Vgl. auch Stahn, in: ZaöRV 60 (2002), S. 690.
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Kap. I: Das Abkommen von Dayton als Ausgangspunkt
Was die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts sowie des Völkermordverbots anbelangt, so ist zu vermerken, dass das vom VN-Sicherheitsrat im Jahre 1993 vor dem Hintergrund der anhaltenden Kriegsgräuel auf dem Balkan ins Leben gerufene219 internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) an mehreren Stellen mit den in Dayton getroffenen Vereinbarungen verzahnt ist220 und mithin ein Ineinandergreifen des Friedensprozesses und der individuellen völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung von während des Krieges begangenem Unrecht hergestellt wird. Die Befürchtung, die Aussicht der Verhandlungsführer der Konfliktparteien auf völkerstrafrechtliche Verfolgung durch das Haager Tribunal würde eine Friedensregelung gar nicht erst zustande kommen lassen221, hat sich insoweit nicht bestätigt. Das Tribunal hat vielmehr bereits durch eine Reihe von Entscheidungen nicht nur Einzelpersonen zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen222, sondern auch einen erheblichen Beitrag zur rechtlichen223 und faktischen Aufarbeitung224 des gesamten Konflikts225 sowie zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts226 geleistet. Insbesondere das noch
219 SR/RES/827 v. 25.05.1993, abgedruckt in: ILM 32 (1993), S. 1203; zur Annahme des Statuts des Tribunals vgl. UN Doc. S/25704, abgedruckt in: ILM 32 (1993), S. 1192; für Verfahrensregeln siehe ILM 33 (1994), S. 484. Die Schaffung dieses Tribunals – sowie kurz darauf die Schaffung eines vergleichbaren Tribunals in Ruanda – stellte nicht nur in formaler, sondern auch in materieller Hinsicht einen nachdrücklichen Paradigmenwechsel der Vereinten Nationen dar, die sich inhaltlich bislang in erster Linie dem ius ad bellum oder besser ius contra bellum, also den Legitimitätsfragen internationaler Konflikte und deren Vermeidung gewidmet hatten und Fragen der Beachtung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts (ius in bello) traditionell dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes überlassen hatten. Dazu Condorelli, Le Tribunal pénal international pour l’ex-Yougoslavie et sa jurisprudence, in: Bancaja de Droit International Vol. I, S. 247–274; Zacklin, General Report, in: Les Nations Unies et le droit international humanitaire, 1996, S. 39–53. 220 Art. IX des allgemeinen Rahmenabkommens, Art. X von Annex 1-A, Art. II.8 von Annex 4, Art. XIII.4 von Annex 6, Art. IV von Annex 9, Art. IV von Annex 10 enthalten explizite Verpflichtungen der jeweiligen Vertragsparteien zur Kooperation mit dem Tribunal. Zur Realität der Kooperation in den ersten Jahren nach Dayton vgl. z. B. Matscher/Vila Amigo, in: HRLJ 20 (1999), S. 411. 221 Vgl. z. B. D’Amato, in: AJIL 88 (1994), S. 500; Akhavan, in: Hum. Rts. Q. 18 (1996), S. 259; ders., in: AJIL 95 (2001), S. 8; Jones, in: EJIL 7 (1996), S. 226 ff. 222 Für die Daten hinsichtlich der einzelnen Fälle siehe www.un.org/icty/glance/ index.htm. 223 Vgl. die Ausführungen im Tadic-Fall zur Rechtsnatur des Konflikts, siehe S. 26. 224 Zum Zusammenhang von Friedensprozess und individueller (strafrechtlicher) Verantwortlichkeit vgl. Akhavan, in: AJIL 95 (2001), S. 7 ff.; Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 40, 41; auch Naarden, Nonprosecutorial Sanctions for Grave Violations of International Humanitarian Law: Wartime Conduct of Bosnian Police Officials, in: AJIL 97 (2003), S. 343 ff. 225 Vgl. Petrovic, The Post-Dayton Role of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, in: O’Flaherty/Gisvold (Hrsg.): Post-War Protection of Human Rights in Bosnia and Herzegovina, 1998, S. 210, 214.
E. Dayton – eine Bilanz
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andauernde Verfahren gegen einen der mutmaßlichen Hauptverantwortlichen des gesamten Balkankonflikts Slobodan Milosevic wird hierbei voraussichtlich noch eine beachtliche Signalwirkung entfalten.227 Auch unter dem Gesichtspunkt einer kurz- bzw. mittelfristigen NATO bzw. EU-Beitrittsperspektive stellt die Bedingung der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal ein Mittel für die internationale Gemeinschaft dar, gegenüber Kroatien, (Rest-)Jugoslawien – nunmehr Serbien und Montenegro – sowie Bosnien und Herzegowina die Auslieferung weiterer Täter und damit die individuelle und dadurch auch die politische Auf- und Abarbeitung228 der Kriegsphase zu erzwingen.229 Der Vorwurf der Perpetuierung ethno-nationaler Gegensätze in den Verfassungsorganen und die Schaffung ethnokratischer anstatt demokratischer Gesellschaftsstrukturen, muss zumindest vor dem Hintergrund bewertet werden, dass die Frage der Organisation von Demokratie in Gemeinwesen mit mehreren ethnischen Gruppen230 ein außerordentlich komplexes Problem ist, mit dem sich die westeuropäischen Verfassungsstaaten nach 1945 bislang kaum befassen mussten.231 In Staaten, in denen diese Fragestellung beantwortet zu sein scheint
226 Vgl. Meron, in: AJIL 88 (1994), S. 78; Murphy, in: AJIL 93 (1999), S. 57–97; Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 39. 227 Vgl. Akhavan, in: AJIL 95 (2001), S. 8. Milosevic ist überdies nicht die einzige Führungsfigur, die sich in Den Haag zu verantworten hat. Mit Vojislav Seselj, Momcilo Krasjisnik und Biljana Plavsic befinden sich hochrangige Vertreter der serbischen bzw. bosnisch-serbischen Seite gegenwärtig in Untersuchungshaft bzw. verbüßen bereits eine Haftstrafe. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass es wahrscheinlich auch zu einer Anklage gegen das damalige kroatische Staatsoberhaupt Franjo Tudjman gekommen wäre, welcher allerdings zuvor verstarb (1999). Sogar gegen den im Jahre 2003 verstorbenen, ehemaligen muslimischen Präsidenten der Republik Bosnien-Herzegowina und Mitglied des späteren Präsidiums von Bosnien und Herzegowina, Alija Izetbegovic wurde in Den Haag ermittelt. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso erstaunlicher, dass die Anerkennung der Arbeit des Tribunals im Abkommen von Dayton so nachdrücklich hatte verankert werden können und nicht einer wie auch immer gearteten Amnestievereinbarung weichen musste. Vgl. in diesem Zusammenhang die Debatte um die Schaffung einer sog. „Wahrheitskommission“ in BiH z. B. nach südafrikanischem Vorbild, dazu Gisvold, A Truth Commission for Bosnia and Herzegovina? Anticipating the Debate, in: O’Flaherty/Gisvold (Hrsg.): Post-War Protection of Human Rights in Bosnia and Herzegovina, 1998, S. 241 ff.; für die Situation in Ost-Timor vgl. Stahn, in: AJIL 95 (2001), S. 952 ff.; zu einem vorläufigen Fazit nach zehn Jahren sowie andauernden Problemen bzgl. der Arbeit des Tribunals vgl. Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 22 f.; auch FAZ v. 15.11. 2003, S. 10: „Mächtige Netzwerke – Vor zehn Jahren nahm das Haager Kriegsverbrechertribunal seine Arbeit auf“. Kritisch zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des Tribunals auf den Friedensprozess Naarden, in: AJIL 97 (2003), S. 343. 228 Vgl. Bildt, in: Foreign Affairs 80 (2001), S. 154. 229 Insbesondere die Druckmittel EU- und auch WTO-Beitritt erweisen sich langfristig als wirkungsvoll. Vgl. FAZ v. 17.01.2005, „Bosnische Serbenrepublik liefert erstmals Haag-Angeklagten aus“, S. 6. 230 Dazu Lijphart, Consociatonal Democracy, 1980; Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 56, 57.
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– wie z. B. in der Schweiz232 – beruht der Erfolg, abgesehen von der Ausgestaltung der normativen Grundordnung u. a. auf einem vorkonstitutionellen Gesellschaftskonsens233, einer Art „nicht normierten Unterbau einer Staatsverfassung“234, welcher, sofern er nicht besteht, kurzfristig – zumal von außen – kaum zu generieren ist. Eine Verfassung235 mag eine solche Konsensfindung unterstützen und fördern, verordnen kann sie sie nicht. Eine solche benötigt Zeit und eine einigermaßen prosperierende wirtschaftliche Entwicklung, die das Frontliniendenken verschwinden zu lassen in der Lage ist.236 Dass verschiedene Völker nach Jahren der Zerstörung von der hölzernen Kooperation im Wege des Einstimmigkeitserfordernisses hin zu mehrheitsdemokratischen Organisationsmechanismen finden können, stellt der Prozess der europäischen Integration unter Beweis.237 Eine Kritik der Ergebnisse des Abkommens von Dayton, welche die genannten Aspekte nicht hinreichend in Betracht zieht, ginge an der Realität vorbei. Realität ist aber auch, dass die internationale Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina eine beispiellose238 und aus vielen Komponenten bestehende Struktur zur Konfliktbereinigung ins Leben gerufen hat – mit einer durch völkerrechtlichen Vertrag installierten Verfassung, welche wiederum selbst einen stark internationalisierten Charakter aufweist, einer Vernetzung mit einem internationalen Tribunal zur Implementierung des Völkerstrafrechts, einem Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft (dessen Rolle noch zu beleuchten sein wird), einer Vielzahl von Verfassungs- und Nichtverfassungsorganen, die mit dem Aufbau 231 Freilich gibt es historische Vorläufer von demokratischen und föderalen Organisationsformen in Vielvölkerstaaten wie z. B. in Österreich-Ungarn oder im Osmanischen Reich, vgl. dazu Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 108–112. 232 Zu Besonderheiten der Demokratie in der Schweiz vgl. Graf Vitzthum, Multiethnische Demokratie, S. 111–112. Einen Kurzüberblick über den schweizerischen Föderalismus gibt Malinverni, Remarques sur le fédéralisme suisse, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.): Bosnien-Herzegowina im Horizont Europas, Demokratische und föderale Elemente der Staatswerdung in Südosteuropa, 2003, S. 151–156; vgl. auch Linder, Swiss democracy: possible solutions to conflict in multicultural societies, 1994; Basta/Fleiner (Hrsg.), Federalism and Multiethnic States, The Case of Switzerland, 1996. 233 Vgl. Stahn, Föderalismus, S. 397. 234 Heller, Staatslehre, in: Heller, Gesammelte Schriften, 3. Band, 1971, S. 364. 235 Freilich hat der Prozess der „Verfassungsfindung“ in Bosnien und Herzegowina seinen Endpunkt noch nicht erreicht. Zur Reformdebatte und für einen erwägenswerten Vorschlag zur Reform des bosnischen Föderalismus siehe „Making Federalism Work – A Radical Proposal for Practical Reform“, European Stability Initiative, Report v. 08.01.2004; vgl. auch „Imposing constitutional reform? The case for ownership“, Discussion paper, 20.03.2002, beides abrufbar unter: www.esi.web.org. 236 Vgl. Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 236 f. 237 Marko, Einige Thesen zum „Politischen Wiederaufbau“. Gemeinsame Institutionen, Zivilgesellschaft und die Rolle der Medien, in: Benedek/König/Promitzer (Hrsg.): Menschenrechte, S. 112. 238 Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 30.
E. Dayton – eine Bilanz
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von Rechtsstaat und Demokratie sowie der Durchsetzung von Menschenrechtsgarantien befasst sind239 sowie einer internationalen Militär (SFOR)- und Polizeipräsenz (IPTF) als Sicherungsfunktion. Aus einer solchen Ingerenz erwächst für die internationale Gemeinschaft sozusagen eine Garantenstellung240 dafür, dass die von ihr ins Werk gesetzte Maschinerie funktioniert, also tatsächlich zur schrittweisen Verwirklichung der ehrgeizigen Ziele des „Friedens von Dayton“ beiträgt. Die bisher skizzierten rechtlichen, politischen und faktischen Gegebenheiten bilden insoweit die Rahmenumstände vor deren Hintergrund das Wirken der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina betrachtet und analysiert werden muss. Dieser Überblick stellt mithin ein Fundament dar, das dabei helfen kann, ein Verständnis für die Problematik des Handelns der internationalen Verwalter zu entwickeln sowie für das zentrale Thema der vorliegenden Arbeit – die rechtliche Bindung und Kontrolle dieser Verwaltungstätigkeit.
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Insbesondere dieser Wildwuchs an internationalen, nationalen, regierungs- und nichtregierungs-, sowie Verfassungsakteuren bzw. die Probleme der Koordination, Kompetenzverteilung und Ausstattung derselben stellt für sich allein betrachtet wiederum einen Kritikpunkt dar. Vgl. Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 43; O’Flaherty, Operations, S. 103; Cox, in: ICLQ 47 (1998), S. 631. 240 Zum Gedanken einer Verpflichtung der internationalen Intervenienten zur Nachsorge in der Folgezeit humanitärer Interventionen Zygojannis, Die Staatengemeinschaft und das Kosovo – Humanitäre Intervention und internationale Übergangsverwaltung unter Berücksichtigung einer Verpflichtung des Intervenienten zur Nachsorge, 2003, S. 125; vgl. auch Caplan, International Governance, S. 9.
Kapitel II
Das Wesen der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina „The Security Council . . .recognizes the unique, extraordinary and complex character of the present situation in Bosnia and Herzegovina, requiring an exceptional response.“1
A. Die Rolle der Vereinten Nationen Die Organisation der Vereinten Nationen besitzt ein völkerrechtliches Monopol hinsichtlich der verbindlichen Anordnung von Zwangsmaßnahmen zur Abwendung von Bedrohungen oder Brüchen des Weltfriedens (Kap. VII VNCharta). Dieses Monopol ist allerdings in der Praxis keineswegs unumstritten.2 Die Sicherheitsarchitektur der Vereinten Nationen sieht sich auch nach ihrem Erwachen aus der Paralyse des Kalten Krieges einer ständigen Notwendigkeit nach Rechtfertigung und Verteidigung ihrer Autorität ausgesetzt. Gegenteilige Erwartungen, die sich z. B. aus der Handhabung der Irakkrise von 1990/91 herleiteten3, sind spätestens durch die Irakkrise im Jahre 2003 relativiert worden. Trotz der grundsätzlich gestiegenen Bedeutung und Anzahl der Einsätze und Missionen der Vereinten Nationen nach dem Ende der geopolitischen Blockbildung bleiben Status, Einfluss und Autorität der Organisation in einem gegebenen Einzelfall stark davon abhängig, in welchem Maße die Beschlussfassung im VN-Sicherheitsrat Entscheidungen zu Tage fördert, die auf effektive aber konsensfähige Konfliktlösung zielen und nicht primär durch reines Macht- und Interessenkalkül oder aber Gleichgültigkeit4 und realitätsferne Oberflächlichkeit gekennzeichnet sind. Das eine wie das andere war und ist geeignet, Autorität und Ansehen der Vereinten Nationen zu beschädigen. Im Jahre 1995 hatte dieses Ansehen im Verlauf des Engagements der VN im Bosnien-Konflikt (UNPROFOR5) einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Neben teilweise glücklosen – weil auf Fehleinschätzungen des gesamten Konflikts6 be1
Resolution 1031 des VN-Sicherheitsrats vom 15.12.1995, Ziff. 39. Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 513 f. 3 Vgl. Freedman, in: Foreign Policy 97, 1994–95, S. 54. 4 Vgl. Khan, in: Max Planck UNYB 4 (2000), S. 580; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 697; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 203. 2
A. Die Rolle der Vereinten Nationen
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ruhenden – Versuchen, die Auseinandersetzungen einzudämmen (ein Beispiel mag das zunächst verhängte und später wieder aufgehobene Waffenembargo gegenüber dem gesamten ehemaligen Jugoslawien7 sein), offenbarte das am 11. Juli 1995 in der VN-Schutzzone8 von Srebrenica9 von Serben an bosnischen Muslimen begangene Massaker – nahezu vor den Augen von VN-„Blauhelm“Soldaten10 – ein Bild scheinbarer Ohnmacht der Vereinten Nationen gegenüber den Vorgängen in der Konfliktregion. Die Internationale Gemeinschaft wie die Organisation der Vereinten Nationen mussten erkennen, dass das im Laufe der Neunzigerjahre fortentwickelte Instrument des VN-Peacekeeping fehl am Platze ist in Regionen, in denen kein Frieden bzw. Waffenstillstand herrscht11, der gesichert werden könnte, bzw. in Fällen, in denen sich die Staatengemeinschaft überhaupt nicht einig ist, inwieweit und auf welcher Seite sie in einem Konflikt Stellung beziehen will.12 Die Einrichtung von Schutzzonen für die Zivilbevölkerung, für deren tatsächliche Verteidigung die „Blauhelm“-Kräfte vor Ort formell betrachtet zwar ein Mandat13, aber offensichtlich weder politische Rückendeckung14 noch ausreichende Ausrüstung15 besaßen, hatte schließlich zu einem enormen Vertrauensverlust gegenüber den Vereinten Nationen geführt.16 Die 5 Zu dieser Mission Ashton, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 769 ff. Zum völkerrechtlichen Status von UNPROFOR Frank, Verantwortlichkeit für die Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch internationale Organisationen, 1999, S. 197. 6 Vgl. nur Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 144, 145, 156 m. w. N. 7 Vgl. Weller, ZaöRV 56 (1996), S. 170, 171; Freedman, in: Foreign Policy 97, 1994–95, S. 65; Khan, in: Max Planck UNYB 4 (2000), S. 558; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 697. 8 Zum Konzept der Schutz- bzw. Sicherheitszonen siehe Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 96 ff. 9 Dazu UN Doc. A/54/549, Report of the Secretary-General pursuant to General Assembly resolution 53/35, The fall of Srebrenica; Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 140 ff.; vgl. die Presseerklärung des VN-Generalsekretärs am fünften Jahrestag des Massakers, UN Press Release SG/SM/7489: „. . . The tragedy of Srebrenica will forever haunt the history of the United Nations . . .“; Khan, in: Max Planck UNYB 4 (2000), S. 555 ff. 10 Vgl. Ashton, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 774; Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 144. 11 Higgins, in: International Affairs 69 (1993), S. 469. 12 UN Doc. A/54/549, Report of the Secretary-General pursuant to General Assembly resolution 53/35, The Fall of Srebrenica, S. 107. 13 Zu Umfang und Entwicklung des betreffenden VN-Mandats vgl. Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 147 ff.; vgl. auch Petrovic/Condorelli, in: AFDI 38 (1992), S. 32 ff.; Oeter, „Protektorate“, S. 432. 14 Vgl. Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 174. 15 Vgl. Freedman, in: Foreign Policy 97, 1994–95, S. 63; Schmalenbach, Haftung, S. 453 f.; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1578; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 697. 16 Vgl. Bothe, in: International Peacekeeping 2 (1995), S. 130 f.; Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 175.
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Kap. II: Das Wesen der internationalen Verwaltung
Entsendung einer schnellen Eingreiftruppe (Rapid Reaction Force)17 zum Schutz der mit der Situation im Krisengebiet überforderten UNPROFOR„Blauhelm“-Kontingente18 verdeutlicht die unglückliche Rolle der VN-Kräfte innerhalb des Konfliktes19: Anstatt als ein veritables Schutzschild für die gefährdete Zivilbevölkerung zu fungieren, war die als „robuste“ PeacekeepingMission20 konzipierte UN Protection Force21 selbst schutzbedürftig geworden.22 Anstelle eines entschlossenen Entgegentretens gegenüber ethnischen Säuberungen und völkermordartigen Umtrieben konnte allenfalls eine halbherzige Beschwichtigungspolitik gegenüber den serbischen Verbänden geleistet werden – in steter Sorge, alsbald selbst zur Zielscheibe zu werden.23 Gegen eine substantielle Ausweitung der UNPROFOR-Mission zur effektiveren Durchsetzung ihrer Operationsziele konnte sich der Sicherheitsrat der VN nicht durchringen.24 So versuchte UNPROFOR die drohende humanitäre Katastrophe der Bevölkerung zu lindern, ohne aber den Ursachen dieser Situation zu begegnen: nämlich den Konfliktparteien und deren Gewaltausübung. Um seine humanitären Ziele erreichen zu können, hätte UNPROFOR den Parteien im Stile einer peace enforcement-Mission entschieden entgegentreten müssen, stattdessen verblieb UNPROFOR ein Irrläufer zwischen den Fronten, der sich keinen Respekt verschaffen konnte.25 Auf diplomatischer Ebene war der Widerstand gegen die Handhabung des Konflikts durch die Vereinten Nationen bzw. EU, NATO, OSZE und Europarat nach und nach gewachsen: Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) erklärte, das Waffenembargo, welches insbesondere einen Nachteil für die bosnischen Muslime darstellte26, nicht mehr einhalten zu wollen.27 Andere Staaten äußerten die Absicht, sich außerhalb der VN-Struktur in die Konfliktlösung einzuschalten.28 Die Republik Bosnien und Herzegowina beschwor ihr Recht auf 17 Zusammengestellt von Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, vgl. Resolution des VN-Sicherheitsrats SR/RES/998 (1995); vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 197 f.; Schmalenbach, Haftung, S. 171. 18 Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 153, 174. 19 Vgl. dazu Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 173; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1577 ff. 20 Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1577 ff. 21 Zur Bedeutung des Begriffs Ashton, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 777. 22 Zwischenzeitlich wurden Hunderte von UNPROFOR-„Blauhelmen“ von serbischen Kräften gefangen genommen. Vgl. Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 174; Fink, Implementation Force, S. 1463; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 792. 23 Freedman, Why the West Failed, in: Foreign Policy 97, 1994–95, S. 63; Higgins, in: International Affairs 69 (1993), S. 469. 24 Vgl. Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1579 f. 25 Higgins, in: International Affairs 69 (1993), S. 469, 470; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 686 f. 26 Freedman, in: Foreign Policy 97, 1994–95, S. 65. 27 Vgl. Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 157.
A. Die Rolle der Vereinten Nationen
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Selbstverteidigung gem. Art. 51 VN-Charta, was schließlich auch vor dem Internationalen Gerichtshof wiederum die Frage nach der Rechtmäßigkeit und rechtlichen Überprüfbarkeit von Entscheidungen des VN-Sicherheitsrats aufwarf.29 Ferner verlangte die Republik Bosnien und Herzegowina den Abzug der UNPROFOR-Einheiten, sofern sie ihrem Mandat nicht gerecht werden könnte.30 Erst zu diesem Zeitpunkt, im August des Jahres 1995, konnten sich VN bzw. NATO dazu durchringen, im Wege von schweren Luftangriffen auf Stellungen der bosnischen Serben dem Kriegsgeschehen eine substantielle Wendung zu geben31, welche schließlich im Herbst desselben Jahres zu den Friedensverhandlungen in Dayton führte. Nach dem faktischen Scheitern der UNPROFOR-Mission zeichnete sich alsbald ab, dass eine Überwachung und Implementierung einer Friedensregelung nicht mehr in die Hände von VN-Einheiten gelegt werden, sondern vielmehr einer multinationalen, NATO-geführten Streitmacht (Implementation Force, IFOR) überantwortet werden würde, bei der der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nur noch als legitimierende Instanz32 fungieren und die tatsächliche Durchführung des Mandats ausschließlich durch die NATO erfolgen sollte.33 Zu verzeichnen war also ein weitgehender Rückzug der VN aus der unmittelbaren Konfliktregelung vor Ort und die Übernahme einer eher schirmherrschaftlichen Überwachungs- und völkerrechtlichen Legitimationsfunktion. Dieser Über28 Z. B. Declaration of the Grand National Assembly of Turkey, 22 July 1995, transmitted in Letter from the Chargé d’affaires a. i. of the Permanent Mission of Turkey of the United Nations Adressed to the Secretary-General, S/1995/625, 27 July 1995. 29 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegowina v. Yugoslavia), Judgement of 11 July 1996, ICJ Reports 1996, 659; dazu auch Bekker, Application on the Convention on the Prevention of the Crime of Genocide, in: AJIL 92 (1998), S. 508 ff. 30 Letter from the Chargé d’affaires a. i. for the Permanent Mission of the Republic of Bosnia and Herzegovina to the United Nations Adressed to the Secretary-General, S/1995/638, 1 August 1995; zum Problem der Einwilligung des Aufenthaltsstaats bei Peacekeeping-Einsätzen Gray, in: Duke J. of Comp. & Int. L. 7 (1996), S. 241 ff.; kritisch gegenüber dieser Kritik allerdings Ashton, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 774, 777 f. 31 Zum Ablauf der Geschehnisse ausführlich Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 157 ff. 32 Vgl. die Resolution 1031 des Sicherheitsrats vom 15.12.1995: „The Security Council . . . Authorizes the Member States . . . to establish a multinational implementation force (IFOR) under unified command and control in order to fulfil the role specified in Annex 1-A and Annex 2 of the Peace Agreement.“; Für eine ausführliche völkerrechtliche Einordnung des Einsatzes der IFOR vgl. Fink, Implementation Force, S. 1466 ff. 33 Vgl. Annex 1, Art. 1, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 93; dazu auch Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 165 ff.; Fink, Implementation Force, S. 1473; Figà-Talamanca, The Role of NATO in the Peace Agreement for Bosnia and Herzegowina, in: EJIL 7 (1996), S. 165; Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, in: AVR 33 (1995), S. 122 f.
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Kap. II: Das Wesen der internationalen Verwaltung
gang betraf zunächst die militärische Komponente und zog eine seitdem fortdauernde Debatte über die Reform von Aufgaben und Strategie der VN-Peacekeeping-Missionen nach sich.34 Aber auch der zivile Aspekt der Überwachung der in Dayton vereinbarten Friedensordnung ist nicht etwa einer VN-Mission bzw. einem speziellen VN-Repräsentanten zugeordnet worden, sondern einem – zunächst nicht näher spezifizierten – Hohen Repräsentanten (High Representative), der lediglich seine völkerrechtliche Legitimation vom VN-Sicherheitsrat bezieht.35 Die Rolle der Vereinten Nationen war auf eine weitgehend formale, indirekte Position geschrumpft. Die Staatengemeinschaft in Gestalt einer Reihe von Staaten, die für den Friedensprozess besondere Verantwortung zu übernehmen gewillt waren, bildeten ad hoc36-Strukturen, die in die ausführende Rolle der Friedensgestaltung hineinwuchsen. Die erste der drei jüngsten Anwendungsfälle (neben den späteren Fällen im Kosovo und Ost-Timor) einer neuartigen Form internationaler Territorialverwaltung begann seinen Entwicklungsverlauf also weitgehend außerhalb der Organisation der Vereinten Nationen zu nehmen.37
B. Die Funktion der Staatengemeinschaft Nach dem Abschluss der Friedenskonferenz von Dayton im November 1995 fand am 8./9. Dezember 1995 in London eine Konferenz betreffend die Friedensimplementierung statt mit dem Ziel der Gewinnung politischer und materieller Unterstützung für die Friedensvereinbarung. Das Ergebnis war – als institutionelle Ablösung der internationalen Jugoslawienkonferenz38 – die Einrichtung eines Friedensimplementierungsrats (Peace Implementation Council, PIC) bestehend aus 55 Staaten, internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie sonstigen internationalen Akteuren, die allesamt den Friedensprozess auf die eine oder andere Weise unterstützen, sei es in finanzieller Hinsicht, durch Entsendung von Truppen und Material oder im Wege der Ausführung von eigenen Missionen vor Ort.39 Der PIC ist ferner mit einem 34 Siehe die ausführliche Analyse des Report on the Panel on United Nations Peace Operations, UN Doc. A/55/305-S/2000/809, 21.08.2000: www.un.org/peace/reports/ peace_operations; auch Ashton, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 787 f. 35 Vgl. Annex 10, Art. 1 Nr. 2, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 147, „. . . to be appointed consistent with relevant United Nations Security Council resolutions . . .“ . 36 Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 72. 37 Vgl. Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1581. 38 Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 137. 39 Mitglieder und Teilnehmer des PIC sind die Folgenden: Albanien, Österreich, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kanada, China (bis Mai 2000), Kroatien, Tschechische Republik, Dänemark, Ägypten, Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr Serbien und Montenegro), Finnland, Mazedonien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Japan, Jordanien, Luxemburg, Malaysia, Marokko,
B. Die Funktion der Staatengemeinschaft
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Exekutivorgan ausgestattet worden, dem Lenkungsausschuss (Steering Board), in dem der Hohe Repräsentant den Vorsitz führt und welches von folgenden Akteuren gebildet wird: Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Russland, Großbritannien, USA, Ratspräsident der EU, EU-Kommission sowie der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), vertreten durch die Türkei. Die vielfältige Zusammensetzung dieses Gremiums erscheint dabei nicht unbeachtlich. Es sind im Wesentlichen auch die Mitglieder dieses Steering Board, die die Behörde des Hohen Repräsentanten (Office of the High Representative, OHR) finanzieren.40 Der Hohe Repräsentant wird von eben diesem Lenkungsausschuss ernannt, während der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dieser Nominierung lediglich seine Zustimmung erteilt.41 Der PIC bildet somit die für die generelle Überwachung und Steuerung des Friedensprozesses zuständige internationale Suprastruktur, oberhalb derer sich der VN-Sicherheitsrat quasi als Garant42 bzw. Legitimator befindet, der über die Maßnahmen des PIC sowie des HR unterrichtet wird43 und unterhalb derer sich diejenigen Institutionen und Organisationen befinden, die in Bosnien und Herzegowina ganz bestimmte Missionen und Aufgaben erfüllen. Wird in diesem Zusammenhang also von der internationalen Gemeinschaft oder der Staatengemeinschaft als Verantwortungsträger gesprochen, so ist dies kein oberflächlicher Allgemeinplatz, der dazu dient, eine nähere Festlegung zu vermeiden, sondern eine durchaus sinnvolle Bezeichnung der tatsächlichen (komplexen) Umstände44, die einen bloßen VerNiederlande, Norwegen, Oman, Pakistan, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, Saudi Arabien, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Ukraine, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten von Amerika; der Hohe Repräsentant, Europarat, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, EU-Kommission, Internationales Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), Internationales Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), Internationaler Währungsfonds (IWF), NATO, OSZE, Vereinte Nationen, Hoher Kommissar der VN für Menschenrechte (UNHCHR), Hoher Kommissar der VN für Flüchtlinge (UNHCR), Übergangsverwaltung der VN für Ostslawonien (bis Januar 1999), Weltbank. Dazu kommen überdies eine Reihe von Beobachtern, vgl. die Übersicht unter www.ohr.int/ohr-info/geninfo/#pic. 40 Das Budget des OHR beträgt im Jahr 2005 16,9 Mio. A und wird zu folgenden Anteilen aufgebracht: 53% EU, 22% USA, 10% Japan, Russland 4%, Kanada 3%, OIC 2,5% und sonstige 5,4%; vgl. die Daten unter www.ohr.int/ohr-info/gen-info/ #pic, Stand: 04/2005. 41 Resolution 1031 des VN-Sicherheitsrats vom 15.12.1995: „The Security Council . . . 26. Endorses the establishment of a High Representative, following the request of the parties, who, in accordance with Annex 10 on the civilian implementation of the Peace Agreement, will monitor the implementation of the Peace Agreement and mobilize and, as appropriate, give guidance to, and coordinate the activities of, the civilian organizations and agencies involved, and agrees the designation of Mr. Carl Bildt as High Representative . . .“ 42 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 134, 136. 43 Die Berichte des HR an den Generalsekretär der Vereinten Nationen über den Fortgang der Friedensimplementierung sind abrufbar unter www.ohr.int/other-doc/hrreports/archive.asp?sa=on.
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Kap. II: Das Wesen der internationalen Verwaltung
weis auf die Vereinten Nationen oder sonstige bereits bestehende Internationale Organisationen gar nicht zulassen. Wollte man eine Anleihe bei den Begrifflichkeiten des Wirtschaftslebens nehmen, so könnte man von einer Art „Konsortium der Völkergemeinschaft“ sprechen, das sich für die Bewältigung eines konkreten Falles in einer bestimmten Zusammensetzung gefunden hat, außerhalb bestehender Strukturen, und das sich nach Abschluss des „Projekts“ wieder auflöst.
C. Die Verwaltungsstruktur Wie bereits die Vielfalt an staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die im PIC vereint ist, andeutet, hat sich für die konkrete Überwachung und Durchsetzung der Friedensregelung vor Ort eine vielschichtige Gemengelage von (teilweise) neu geschaffenen internationalen Institutionen und bereits bestehenden Internationalen (Regierungs-)Organisationen, die allesamt auf jeweils bestimmten Feldern Aufgaben wahrnehmen, herausgebildet.45 Dazu gesellte sich ein schwer überschaubares Heer von Nichtregierungsorganisationen mit Tätigkeitsfeldern in unterschiedlichsten Bereichen.46 Für die Frage nach der Struktur der internationalen Verwaltung sind freilich aus diesem Geflecht nur einige bestimmte Institutionen von Belang, nämlich diejenigen, die im Staatsgefüge von Bosnien und Herzegowina hoheitliche Gewalt ausüben. Der Begriff der Verwaltung ist im vorliegendem Zusammenhang nicht auf die Ausübung exekutiver Befugnisse zu beschränken, sondern bezieht sich ebenfalls auf die Wahrnehmung legislativer bzw. justizieller Kompetenzen. Auszuscheiden von der folgenden Betrachtung sind folglich die (privaten) internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie diejenigen Regierungsorganisationen, deren Mandate sich in (bloßen) klassischen – zumeist humanitären – Unterstützungs- und Hilfsmissionen erschöpfen und nicht mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zusammenhängen. Zu untersuchen sind mithin diejenigen Instanzen, die innerhalb des wohlgemerkt vollständig bestehenden Staatsapparats von Bosnien und Herzegowina Wirkungskreise und Befugnisse besitzen, die es rechtfertigen können, von einer internationalen Verwaltung oder etwa einer internationalen Co-Administration des 44
Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 136 Fn. 8. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 801. Den Versuch einer graphischen Darstellung der zwischenzeitlichen Struktur der internationalen Friedensmission in Bosnien und Herzegowina unternimmt Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 216. 46 Schätzungen beliefen sich auf zeitweise 600 Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die an der Umsetzung des Friedensprozesses mitwirkten und -wirken, vgl. Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 215, wovon der Anteil der Nichtregierungsorganisationen zwischenzeitlich bei etwa 400 gelegen hat, darunter auch politische Stiftungen wie z. B. die deutschen Heinrich Böll- und Konrad Adenauer-Stiftung, vgl. Winkelmann, Protektorat, S. 12. 45
C. Die Verwaltungsstruktur
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Staates zu sprechen.47 Von besonderem Interesse ist diesbezüglich nicht etwa nur die Überwachung der militärischen Aspekte der Friedensregelung – dies wäre angesichts der Entwicklung des Instituts des Peacekeeping noch als eher klassische Funktion zu betrachten – , sondern insbesondere die zivile Verwaltungs- oder gar Regierungstätigkeit durch die internationale Gemeinschaft. Besonderes Augenmerk verdient dabei die bereits mehrfach erwähnte Behörde des Hohen Repräsentanten. I. Das Amt des Hohen Repräsentanten 1. Rechtsgrundlagen Das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR)48 ist ein internationales Organ, das durch völkerrechtlichen Vertrag ins Leben gerufen worden ist.49 Primäre Rechtsgrundlage50 ist Annex 1051 (Agreement on Civilian Implementation of the Peace Settlement) des Friedensabkommens von Dayton. Die Ernennung eines Amtsinhabers erfolgte jedoch weder durch den Vertrag selbst, noch sieht der Vertrag eindeutig vor, durch wen die Ernennung zu erfolgen hat; die Parteien „erbitten“ diese in Annex 10, Art. I.252 lediglich.53 Die Vorschrift besagt nur, dass die Ernennung im Einklang mit den sachlich einschlägigen Resolutionen des VN-Sicherheitsrats zu erfolgen habe, also nicht notwendigerweise durch den Sicherheitsrat selbst54, auch wenn dies aufgrund seiner völkerrechtlichen Autorität nahe liegen würde. So wurde auf der internationalen Friedensimplementierungskonferenz am 8./9. Dezember 1995 in London der Schwede Carl Bildt zum ersten Amtsinhaber designiert und der VN-Sicherheitsrat zu seiner Zustimmung aufgefordert55, welche dieser durch Resolution 1031 vom 15.12. 47
Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 137. Die Abkürzung HR wird nachfolgend mit Bezug auf die Person des Hohen Repräsentanten verwendet, die Abkürzung OHR dann, wenn auf die Behörde des Hohen Repräsentanten als Institution Bezug genommen wird. 49 Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 137. 50 Vgl. Pech, in: RFDC 42 (2000), S. 433; Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 489. 51 Abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 147 f. 52 „In view of the complexities facing them, the Parties request the designation of a High Representative, to be appointed consistent with relevant United Nations Security Council resolutions, to facilitate the Parties’ own efforts and to mobilize and, as appropriate, coordinate the activities of the organizations and agencies involved in the civilian aspects of the peace settlement by carrying out, as entrusted by a U.N. Security Council resolution, the tasks set out below.“ 53 Vgl. Smyrek, Internationally Administered Territories, S. 152 f. 54 Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 136. 55 Vgl. die „Conclusions“ der Konferenz vom 08.12.95, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 225 ff.: „. . . 18. Following consultation with the Government of Bosnia and Herzegowina, the Conference approved the designation of Mr. Carl Bildt as High Re48
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Kap. II: Das Wesen der internationalen Verwaltung
1995 erteilt hat. In der Praxis hat sich mithin eine Zuständigkeit der Friedensimplementierungskonferenz bzw. des ihr nachfolgenden Friedensimplementierungsrats (PIC) ergeben, die der Zustimmung des VN-Sicherheitsrats bedarf.56 Auch das institutionelle Verhältnis des HR zur Organisation der Vereinten Nationen erschien zunächst ungeklärt. Art. I.2 des Annex 10 sieht vor, dass der HR sein – in Art. II näher umrissenes Mandat – so auszuüben hat, wie er damit durch Resolution des VN-Sicherheitsrats betraut wird („. . . as entrusted by . . .“). Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, dass der HR als ein Unterorgan des VN-Sicherheitsrats zu verstehen ist, mit dessen Tätigkeit sich die Vertragsparteien von Annex 10 des Abkommens von Dayton lediglich einverstanden erklärten.57 Die Praxis hat diese These jedoch nicht unterstützt: Zum einen stellte der Sicherheitsrat durch seine zurückhaltende Wortwahl klar, dass er sich lediglich in einer legitimierenden, zustimmenden Rolle sieht („. . . endorses . . . confirms . . .“) und zum anderen hatte sich die internationale Friedensimplementierungskonferenz mit dem Friedensimplementierungsrat (PIC) und dessen Lenkungsausschuss (Steering Board) bereits eine ad hoc-Struktur gegeben, die die globale Steuerung des Friedensprozesses sowie der durch den HR zu leistenden Zivilverwaltung in finanzieller und politischer Hinsicht vorzunehmen hat. Es ist dabei Aufgabe des Lenkungsausschusses, den HR mit politischen Richtlinien und Vorgaben zu versehen58; es werden anstehende Entscheidungen des OHR mit besonderer Tragweite sowie das politische Tagesgeschehen erörtert, besonders bedeutsame Entscheidungen werden erst nach erfolgter Beratung des Lenkungsausschusses auf der Ebene des PIC verabschiedet.59 Es ist ferner der regelmäßig zusammentretende Lenkungsausschuss, der die im PIC vereinte Staatengemeinschaft über den Fortgang der Friedensimplementierung unterrichtet. Die Organisation der Vereinten Nationen ist mit diesem Steuerungsgremium lediglich „eng assoziert“, im Hinblick auf die Tatsache, dass die Vereinten Nationen im Rahmen des Friedensprozesses auch vor Ort bestimmte Aufgabengebiete
presentative . . . The Conference invites the United Nations Security Council to agree to Mr. Bildt’s designation as High Representative.“ 56 Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 136. 57 Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 137. 58 Vgl. die „Conclusions“ der Konferenz vom 08.12.95, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 225 ff.: „. . . 21. The Conference decides that: . . . a Steering Board of the PIC, . . ., will be established with immediate effect under the chairmanship of the High Representative. It will give him political guidance on peace implementation. The Steering Board, which may establish working groups as necessary, will normally meet monthly and will keep the PIC fully informed of progress . . . In view of their wideranging responsibilities, the United Nations and the OSCE will be associated especially closely and invited to attend when their responsibilities under the Peace Agreement are involved . . .“ 59 Winkelmann, Protektorat, S. 7, 8.
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übernommen haben.60 Die zentrale, führende Rolle ist dies – wie ausgeführt – jedoch nicht.61 2. Das Mandat des OHR Annex 10 des Friedensabkommens von Dayton enthält die Grundlagen für das Mandat des OHR. Zu beachten sind dabei insbesondere Art. II.1 und Art. V: Art. II Mandate and Methods of Coordination and Liason 1. The High Representative shall: (a) Monitor62 the implementation of the peace settlement; (b) Maintain close contact with the Parties to promote their full compliance with all civilian aspects of the peace settlement and a high level of cooperation between them and the organizations and agencies participating in those aspects. (c) Coordinate the activities of the civilian organizations and agencies in Bosnia and Herzegovina to ensure the efficient implementation of the civilian aspects of the peace settlement. The High Representative shall respect their autonomy within their spheres of operation while as necessary giving general guidance to them about the impact of their activities on the implementation of the peace settlement. The civilian organizations and agencies are requested to assist the High Representative in the execution of his or her responsibilities by providing all information relevant to their operations in Bosnia-Herzegovina. (d) Facilitate, as the High Representative judges necessary, the resolution of any difficulties arising in connection with civilian implementation. (e) Participate in meetings of donor organizations, particularly on issues of rehabilitation and reconstruction. (f) Report periodically on progress in implementation of the peace agreement concerning the tasks set forth in this Agreement to the United Nations, European Union, United States, Russian Federation, and other interested governments, parties, and organizations. (g) Provide guidance to, and receive reports from, the Commissioner of the International Police Task Force established in Annex 11 to the General Framework Agreement. ...
60 61 62
Darauf wird in Kap. III zurückzukommen sein. A. A. offenbar Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 487. Hervorhebungen durch den Verfasser.
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Kap. II: Das Wesen der internationalen Verwaltung Art. V Final Authority to Interpret
The High Representative is the final authority in theatre regarding interpretation of this Agreement on the civilian implementation of the peace settlement.
Die in diesen Vorschriften niedergelegten Kompetenzen und Aufgaben erscheinen zunächst weder besonders weitreichend noch ansonsten spektakulär. Art. V des Annexes 10 weist dem HR zwar die letztverbindliche Auslegungshoheit über die zivilen Aspekte des Friedensabkommens zu, das in Art. II.1 umrissene Aufgabenfeld deutete allerdings auf eine Rolle als Schirmherr, Beobachter, Vermittler hin, der die staatliche Konsolidierung von Bosnien und Herzegowina gemäß dem Abkommen von Dayton überwachen und koordinieren soll und dabei Fortschritte erleichtern soll, welche die Parteien selbst zu leisten haben.63 Es handelt sich also um ein Anforderungsprofil, dass nach einem erfahrenen Diplomaten oder elder statesman zu verlangen scheint, der kraft seiner Persönlichkeit und Autorität einen würdigen Repräsentanten der Staatengemeinschaft abzugeben in der Lage ist, ohne jedoch selbst substantielle (zivile) politische Macht auszuüben. Auf die militärische Komponente der internationalen Mission sollte der HR ohnehin keinen Einfluss haben.64 So war es geplant65, denn diese Rolle entsprach auch der Systematik des Vertragspakets von Dayton, das schließlich in seinem Annex 4 – wie bereits dargelegt – den Staat Bosnien und Herzegowina mit einer eigenen, vollständigen (komplexen) Verfassungsstruktur ausgestattet hat, die scheinbar nur noch in Gang gesetzt zu werden brauchte. Eine starke internationale Zivilverwaltung erschien demzufolge nicht notwendig zu sein.66 Bis in das Jahr 1997 hatte diese Konzeption des Amtes des Hohen Repräsentanten bestand. Dann kam es aufgrund der politischen und faktischen Umstände in Bosnien und Herzegowina zu einer Neuausrichtung. Vor dem Hintergrund nahezu allgegenwärtiger Obstruktion67 und des Terrors durch nationalistische Kräfte, einer damit einhergehenden Blockade der demokratischen Institutionen, 63
Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1586. Art. II Nr. 9, Annex 10: „The High Representative shall have no authority over the IFOR and shall not in any way interfere in the conduct of military operations or the IFOR chain of command.“ 65 Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 63; Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 215; Solioz, Bosnia and Herzegovina: the Art of the Possible, in: Solioz/Dizdarevic (Hrsg.): Ownership Process in Bosnia and Herzegovina – Contributions on the International Dimensions of Democratization in the Balkans, 2003, S. 12; Bildt, in: Foreign Affairs 80 (2001), S. 152; vgl. auch Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 802. 66 Bildt, in: Foreign Affairs 80 (2001), S. 152. 67 Zu Stand und Problemen der Friedensimplementierung in den ersten Jahren nach Dayton vgl. Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 215–219, 221; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 213 f. 64
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organisierten Widerstands gegen die Rückführung von Flüchtlingen und Vertriebenen sowie über die Medien des Landes verbreiteter Gewaltaufrufe war ein drastischeres Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in ziviler und militärischer Hinsicht unausweichlich geworden, sollte der Friedensprozess nicht scheitern. Nach einer ersten, vom Friedenimplementierungsrat autorisierten und von SFOR68-Kräften und dem OHR erfolgreich durchgeführten Maßnahme gegen nationalistische Medienanstalten in der Republika Srpska im März 199769 hat der Friedensimplementierungsrat zunächst auf seiner Konferenz in Sintra/ Portugal im Mai 1997 eine „härtere Gangart“ gegenüber den Vertragsparteien verkündet70 und schließlich in Bonn im Dezember 1997 die Befugnisse des HR nachhaltig erweitert. Unter Punkt XI. der Bonn Conclusions des PIC vom 10.12. 199771 heißt es: ... 2. The Council welcomes the High Representative’s intention to use its final authority in theatre regarding interpretation of the Agreement on the Civilian Implementation of the Peace Settlement in order to facilitate the resolution of difficulties by making binding decisions, as he judges necessary, on the following issues: a. timing, location and chairmanship of meetings of the common institutions;
68 Die Stabilization Force (SFOR) ist die Nachfolgemission der unmittelbar nach dem Vertragsschluss von Dayton entsandten NATO-Mission IFOR (Implementation Force), vgl. Resolution 1088 des VN-Sicherheitsrats; zum Inhalt des SFOR-Mandats vgl. Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 225. 69 Siehe Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 64; Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 221. 70 Vgl. die PIC Sintra Declaration vom 30.05.1997, www.ohr.int/pic/default.asp? content_id=5180: „. . . 17. Bosnia and Herzegovina will remain as a united and sovereign country consisting of two multi-ethnic Entities. The international community will not tolerate tendencies, in either of the Entities, to develop patterns of co-operation with neighbouring countries which are inconsistent with the sovereignty and territorial integrity of Bosnia and Herzegovina. . . . 18. The Steering Board underlined that the international community will not tolerate any attempts at partition, de facto or de jure, by anyone. . . . 24. It is imperative that the Presidency, the Council of Ministers and the Parliamentary Assembly meet regularly, that its members put an end to mutual accusations and that they move forward on the key issues of concern to the citizens of their country. . . . 25. Unilateral actions, such as maintaining administrative or other bodies that are unconstitutional, will not be tolerated. . . . 45. Refugees and displaced persons have the right to return to their pre-war homes in a peaceful, orderly and phased manner. Unless and until there is a process under way to enable them to do so, there will be continued instability in Bosnia. Although all the authorities have agreed, as part of the Peace Agreement, to support these returns, none have abided by it in practice. International economic aid is conditional upon compliance with, and implementation of, the Peace Agreement. . . . 55. The Steering Board is deeply concerned with a pattern of discrimination and harassment of ethnic minorities through-out the country . . .; vgl. auch Calic, in: Südosteuropa Mitteilungen 38, Band Nr. 3, (1998), S. 220 ff.; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 814. 71 Abrufbar unter: www.ohr.int.
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b. interim measures to take effect when parties are unable to reach agreement, which will remain in force until the Presidency or the Council of Ministers has adopted a decision consistent with the Peace Agreement on the issue concerned; c. other measures to ensure implementation of the Peace Agreement throughout Bosnia and Herzegovina and its Entities, as well as the smooth running of the common institutions. Such measures may include actions against persons holding public office or officials who are absent from meetings without good cause or who are found by the High Representative to be in violation of legal commitments made under the Peace Agreement or the terms for its implementation.
Die „Kompetenzerweiterung“ stellte sich also im Wesentlichen als eine erweiterte Auslegung72 der Befugnisse des HR aus Art. V, Annex 10 dar, demzufolge dem HR die Auslegungshoheit73 über die zivilen Aspekte des Friedensabkommens zukommt. Im Kern wurde dem HR nunmehr zugestanden, rechtsverbindliche Entscheidungen („binding decisions“) zu treffen, exekutiver sowie legislativer Natur, sofern die verfassungsmäßig vorgesehenen Organe mangels Konsensfindung zu keiner Entscheidung gelangen können.74 Ebenso ist der HR in die Lage versetzt worden, auf die Besetzung der staatlichen Institutionen Einfluss zu nehmen, indem er Amtsträger, die er für ungeeignet hält, dem Friedensprozess in konstruktiver Art und Weise dienlich sein zu können, schlicht aus dem Amt entfernen kann. Aus den unscharfen Formulierungen des Annex 10 des Daytoner Friedensabkommens waren im Wege extensiver Auslegung mithin beachtliche Eingriffsbefugnisse für den Vertreter der Staatengemeinschaft abgeleitet worden, deren Ausschöpfung75 den HR in kurzer Zeit zur zentralen politischen Instanz des Landes machen sollte. Diese Ausdehnung der Befugnisse des HR sowie deren praktische Ausübung sind der Auslöser einer Reihe von komplexen rechtlichen Fragestellungen, die die Ebenen des Völkerrechts sowie des nationalen Rechts bzw. das Verhältnis zwischen beiden Ebenen betreffen. Bereits die Legitimität der Befugniserweiterung des HR erscheint nicht unproblematisch. Die systematische Gesamtkonzeption des Daytoner Friedensabkommens deutet nicht auf eine derart einflussreiche, mit substantiellen Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Rolle des Hohen Repräsentanten hin. Annex 4 enthält ein vollständiges, im Stile einer 72 Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 73; Winkelmann, Protektorat, S. 7; Maziau, in: AFDI 1999, S. 196; Caplan, International Governance, S. 186; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 214; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional Situation, § 85. 73 Völkervertragsrechtlich könnte man mithin davon sprechen, dass insoweit die Vertragsparteien des Friedensabkommens die primär ihnen selbst zukommende Auslegungshoheit auf den HR übertragen haben. Zur Zuständigkeit für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge vgl. Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 11 Rn. 1 ff. 74 Vgl. Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 44; Maziau/Pech, in: Civitas Europa Nr. 4 (2000), S. 74; Pech, in: RFDC 42 (2000), S. 432. 75 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 137; Winkelmann, Protektorat, S. 7.
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Verfassungsurkunde aufbereitetes Verfassungskonzept, welches mit keinem Wort das Amt des Hohen Repräsentanten erwähnt76 oder gar dessen funktionelle und kompetenzielle Rolle im Verfassungsgefüge des Staates Bosnien und Herzegowina näher erläutert. Daneben wird in Annex 10 – wie dargestellt – die Funktion eines Hohen Repräsentanten umrissen, wobei es eingedenk der wenig weitreichend formulierten Zuständigkeiten des HR schlüssig erscheint, dass auch dieser Annex sich über eine etwaige Einordnung des HR in das Verfassungsleben des Landes ausschweigt. Es findet sich lediglich eine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien, mit dem HR sowie mit relevanten Internationalen Organisationen und Behörden umfassend zu kooperieren.77 Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage nahe liegend, ob bei der erweiterten Interpretation des Mandats des HR durch den PIC nicht der Rahmen einer noch zulässigen Vertragsauslegung78 überschritten wurde und es zur Verankerung einer Institution mit derartigem Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung nicht vielmehr einer Vertragsänderung bedurft hätte.79 Genau genommen handelt es sich sogar um eine „doppelte“ Vertragsauslegung, die dem HR schließlich zu dieser außergewöhnlichen Stellung im Verfassungsleben von Bosnien und Herzegowina verholfen hat: Der PIC hat den Annex 10 weit ausgelegt80 und der HR wiederum hat ebendiese Auslegung weit ausgelegt.81 Aus faktischer Sicht kann man insoweit festhalten, dass zumindest die nachfolgende Praxis82 der beteiligten Akteure, insbesondere der Vertragsparteien, aber auch des PIC sowie des VN-Sicherheitsrats, auf eine grundsätzliche Akzeptanz dieser weiten Ausle76 Lediglich in Anhang II (Nr. 1 (c)) der Verfassung findet sich ein Verweis auf die repräsentativen Funktionen des HR. 77 Art. IV, Annex 10: „The Parties shall fully cooperate with the High Representative and his or her staff, as well as with the international organizations and agencies as provided for in Article IX of the General Framework Agreement.“ 78 Vgl. die Vorschriften über die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen der WVK, Art. 31–33. Zum Rahmen der Auslegung völkerrechtlicher Verträge insgesamt Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rn. 4 ff. Zur prinzipiellen Anwendbarkeit der völkervertragsrechtlichen Auslegungsregeln auf Gründungsstatuten Internationaler Organisationen – ob das OHR als eine solche bezeichnet werden kann, ist freilich noch zu klären – sowie dem diesbezüglichen caveat siehe das Gutachten des IGH, Legality of the use by a State of nuclear weapons in armed conflict, Advisory Opinion of 8 July 1996, ICJ Reports 1996, 66, § 19: „From a formal standpoint, the constituent instruments of international organizations are multilateral treaties, to which the well-established rules of treaty interpretation apply [. . .] But the constituent instruments of international organizations are also treaties of a particular type; their object is to create new subjects of law endowed with a certain autonomy, to which the parties entrust the task of realizing common goals. Such treaties can raise specific problems of interpretation owing, inter alia, to their character which is conventional and at the same time institutional; [. . .]“. 79 Vgl. Caplan, International Governance, S. 186; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 214. 80 Vgl. Pech, in: RFDC 42 (2000), S. 433. 81 Vgl. Maziau, in: AFDI 1999, S. 199. 82 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 137.
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gung83 des Vertragstextes schließen lässt.84 So hat der PIC auf seiner Konferenz in Madrid vom Dezember 1998 den HR in seiner neuen Rolle bestärkt85 und seine Kompetenzen in Bezug auf den Umgang mit Politikern, die dem Friedensprozess im Wege stehen, ein weiteres Mal vergrößert. Unter Punkt 4 des Annexes X der PIC Declaration86 vom 16. Dezember 1998 heißt es wie folgt: ... X. International Support for Civilian Implementation 4. . . . The Council acknowledges that leaders whom the High Representative, as well as the Election Appeals Sub-Commission and the Provisional Elections Commission, bar from official office may also be barred from running in elections and from any other elective or appointive public office and from office within political parties until further notice. This should end the practice whereby officials removed are re-assigned to political party positions. Parties which fail to comply with rulings by the High Representative may face consequences including being banned from running in election campaigns. . . .
Beachtlich ist, dass der HR mithin nicht nur in der Lage ist, Personen aus öffentlichen Ämtern zu entfernen, sondern auch auf deren weitere politische Betätigung auf Parteiebene sowie bei der Kandidatur für Wahlen entscheidenden Einfluss zu nehmen. Kurz gesagt: Der HR kann politische Karrieren beenden, sofern der betreffenden Person substantielle Obstruktion gegenüber dem Friedensabkommen von Dayton vorgeworfen werden kann. Dem HR steht damit eine beispiellose Einwirkungsmöglichkeit nicht nur auf die Verfassungsorgane, sondern auch auf die Zusammensetzung der gesamten politischen Landschaft zur Verfügung. Von dieser Möglichkeit, auf die personelle Zusammensetzung der Staatsstruktur Einfluss zu nehmen, hat der HR ausgiebigen Gebrauch gemacht. Im Zeitraum von 1998 bis 2005 wurden in über einhundertfünfzig Fällen87 Personen von Ämtern und Funktionen entfernt oder suspendiert. Das Spektrum der Betroffenen reicht von gewählten Amts- und Mandatsträgern auf Gesamt- und auf Gliedstaatsebene (Mitglieder des Präsidiums von Bosnien und Herzegowina88, Präsident der Republika Srpska89, Parlamentarier 90, Minister, Bürgermeister etc.) bis hin zu Richtern91, Beamten unterschiedlicher Ebenen92 83 Zur Relevanz der nachfolgenden Übung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rn. 14. 84 Frowein, Notstandsverwaltung, S. 46. 85 Siehe z. B. die PIC Madrid Declaration vom 16.12.1998: www.ohr.int/pic/de fault.asp?content_id=5190: „. . . 15. We fully endorse the broad and substantial powers given to the High Representative at the Bonn Peace Implementation Council. Without the use of that authority in the last twelve months, less progress would have been achieved. . . .“ 86 Siehe unter www.ohr.int/pic/default.asp?content_id=5191#X. 87 Eine Liste sämtlicher Entscheidungen des HR in dieser Hinsicht ist abrufbar unter www.ohr.int/decisions/removalssdec/archive.asp.
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sowie Leitern von öffentlichen Unternehmen93. An der grundsätzlichen Schärfe dieses Schwertes in der Hand des HR ändert auch die Tatsache nichts, dass in 88 Z. B. Decision removing Ante Jelavic from his position as the Croat member of the BiH Presidency, 07.03.2001: www.ohr.int/decisions/removalssdec/default.asp? content _id=328: „. . . For the reasons hereinafter set out I hereby issue the following: DECISION To remove Mr. Ante Jelavic from his position as a member of the Presidency of Bosnia and Herzegovina and to bar him from holding any official, elective or appointive public office and from running in elections and from office within political parties, unless or until such time as I may, by further Decision, expressly authorize him to hold or seek the same. This Decision has immediate effect and will not require any further procedural steps. Mr. Jelavic must vacate his office immediately and ceases forthwith to be President of the HDZ BiH. REASONS FOR BAR . . .“ 89 Decision removing Mr. Nikola Poplasen from the Office of the President of Republika Srpska, 05.03.1999, www.ohr.int/decisions/removalssdec/default.asp?content_ id=267. 90 Siehe z. B. Decision removing Mr. Mijat Tuka from his position as a member of the House of Representatives of the Federation of Bosnia and Herzegovina, 28.03. 2003, www.ohr.int/decisions/removalssdec/default.asp?content_id=29580: „. . . the High Representative hereby issues the following: DECISION To remove Mr. Mijat Tuka from his position as a member of the House of Representatives of the Federation of Bosnia and Herzegovina, and to bar him from holding any official, elective or appointed public office and from running in elections and from office within political parties unless or until such time as the High Representative may expressly authorise him so to do or to hold the same. Any entitlement to receive remuneration or any privileges or status arising out of his said position ceases fortwith. This Decision has immediate effect and does not require any further procedural steps to be taken. Mr. Tuka must vacate his position immediately. . . .“; zu diesem Fall vgl. auch FAZ v. 30.08.2003, S. 3: „Die Macht der Gewohnheit“. 91 Vgl. z. B. Decision suspending Jevto Jankovic from his position as a judge of the Basic Court Banja Luka, 23.05.2002: www.ohr.int/decisions/removalssdec/de fault.asp?content_id=8509: „. . . I hereby issue the following: DECISION To suspend Jevto Jankovic from his position as a judge of the Basic Court Banja Luka pending a further determination by the High Judicial and Prosecutorial Council of the Republika Srpska. . . . This Decision has immediate effect and without the necessity for any further procedural steps to be taken. The decision made herein is issued pursuant to the international mandate of the High Representative and shall not be justiciable before any court in Bosnia and Herzegovina. REASONS FOR SUSPENSION . . .“ 92 Siehe z. B. Decision removing Momcilo Ristic from his position as Head of the Housing Office of Teslic, 07.09.2003: www.ohr.int/decisions/removalssdec/default. asp?content_id=310: „. . . Dear Mr. Ristic: For reasons outlined in the attached Decision, we herewith notify you of the following: under the powers vested in the High Representative, you are removed from public office with immediate effect. In addition, in accordance with the Provisional Election Commission Rules and Regulations, this Decision bars you from being a candidate in the upcoming November general elections or from holding appointed public office. It is with great regret that we are forced to acknowledge that during your term in office not only have you failed to show any commitment to the implementation of the General Framework Agreement for Peace, particularly in regards to the implementation of property legislation, but you have also seriously and persistently obstructed its implementation. . . . Sincerely, Wolfgang Petritsch, High Representative . . .“ 93 Siehe z. B. Decision removing Edhem Bicakcic from his position as Director of Elektroprivreda for actions during his term as Prime Minister of the Federation of Bosnia and Herzegovina, 23.02.2001: www.ohr.int/decisions/removalssdec/default.
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einigen Fällen Personen, die bereits offiziell von ihren Aufgaben entbunden wurden, nachfolgend noch längere Zeit auf ihren Posten verblieben waren. Dieser Effekt resultiert aus der Tatsache, dass die Behörde des HR über keine eigenen Zwangsmittel verfügt, da die militärischen – bei der NATO verorteten – Aspekte der Friedensregelung von der zivilen Implementierung, die beim HR angesiedelt ist, abgetrennt sind.94 Der mangelnde Durchsetzungsmechanismus und das alleinige Angewiesensein auf die Kooperation der dazu verpflichteten Parteien95 führten allerdings dazu, dass die Autorität des HR immer wieder herausgefordert wurde.96 Auch abgesehen von der Frage der Amtsenthebungen, nimmt sich die Bandbreite der vom HR auf Grundlage dieser sog. „Bonner Befugnisse“ (Bonn Powers) getroffenen Maßnahmen von 1998 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt eindrucksvoll aus.97 Sie reicht von weiteren Exekutivakten, wie dem „Einfrieren“ von Bankkonten98 oder der Auferlegung von Geldbußen für politische Parteien99 bis hin zu legislativen Maßnahmen, wie der Änderung bzw. der Ergänasp?content_id=323; sowie Decision to remove Mr. Edhem Bicakcic from his present position, and to bar him from any further employment, 14.03.2003: www.ohr.int/deci sions/removalssdec/default.asp?content_id=29469: „. . . the High Representative hereby issues the following: DECISION To remove Mr. Edhem Bicakcic from his present position with, and to bar him from any further employment by involvement in, the business of JP „Elektroprivreda“ (Sarajevo) and any or all of its subsidiaries, whether such involvement be direct or indirect, paid or unpaid. Any entitlement to receive remuneration or any priviledges or status arising out of his present position with JP „Elektroprivreda“ (Sarajevo) ceases forthwith. Mr. Edhem Bicakcic remains fully barred from public office and otherwise as provided for in the Previous Decision of 23 February 2001 referred to herein, and, for the avoidance of doubt, is likewise barred from any employment or advisory position in any public company, whether paid or unpaid, which enables or might enable him to have and to obtain a role in making or influencing management decisions. This Decision has immediate effect and does not require any further procedural steps to be taken. Mr. Ehdem Bicakcic must vacate his position immediately. . . . REASONS FOR REMOVAL . . .“; zu diesem Fall auch Winkelmann, Protektorat, S. 16. 94 Vgl. Art. II Nr. 9, Annex 10. Diesen Zustand bemängelnd Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 815 f. 95 Art. IV, Annex 10. 96 Siehe zur Durchsetzungsproblematik: „Is Dayton Failing?: Bosnia Four Years after the Dayton Peace Agreement“, International Crisis Group, Balkans Report No. 80, 28.10.1999, S. 42; kritisch zu diesen Maßnahmen des HR Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 218. 97 Vgl. Pech, in: RFDC 42 (2000), S. 432; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional Situation, § 92. 98 Siehe z. B. Order of 9 February 2004 Blocking All Bank Accounts of, held by and/or in the name of Mirko Sarovic, abrufbar unter www.ohr.int/decisions/statemat tersdec/default.asp?content_id=31818. 99 Z. B. Directive Reducing Party Funding for the HDZ at the State, Federation and Cantonal Levels, 22.09.2003: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default.asp?con tent_id=30911: „[. . .] Article 1: The budgetary allocation for the fiscal year 2004 for political parties funding in the Parliamentary Assembly of Bosnia and Herzegovina,
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zung der Verfassungen der beiden Landesteile (der Föderation von BosnienHerzegowina100 sowie der Republika Srpska101) sowie der Abänderung102, Annullierung bzw. Verordnung103 von Gesetzen. Inhaltlich erstreckt sich das Spektrum der Dekrete des HR von der Durchsetzung von integrationspolitisch bedeutsamen104 nationalen Symbolen wie der Nationalflagge105 und -hymne106, allgemeinen Autokennzeichen107 und Ausweispapieren108 über Entscheidungen zur Verankerung rechtsstaatlicher Strukturen109, der Aufarbeitung der Flüchtthe Parliament of the Federation, and the Cantonal Assembly of the Central Bosnia Canton with respect to the HDZ Party, shall be reduced by a sum representing five percent (5%) of each of the above-referenced entity’s appropriation to the HDZ. This Directive, insofar as it involves this particular sanction, shall have retroactive legal effect to Friday, 22 August 2003. [. . .].“ 100 Siehe z. B. Decision Amending the Constitution of the Federation of Bosnia and Herzegovina, 07.02.2002: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default.asp?content _id=28092: „In the exercise of the powers vested in me by Article V of Annex 10 to the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina . . . Recalling paragraph XI.2 of the Conclusions of the Peace Implementation Conference held in Bonn on 9 and 10 December 1997, in which the Peace Implementation Council welcomed the High Representative’s intention to use his final authority in theatre regarding interpretation of the Agreement on Civilian implementation of the Peace Settlement in order to facilitate the resolution of any difficulties as aforesaid „by making binding decisions, as he judges necessary“ on certain issues including measures to ensure the Peace Agreement throughout Bosnia and Herzegovina and its Entities; . . . Convinced that there is a need for an urgent harmonization of the provisions of the Federation Constitution necessary for the formation of new Governments following the 5 October 2002 elections in accordance with the four partial Decisions of the Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina in case no. 5/98; . . . Considering the length of time available to the Entitiy Governments prior to the date hereof to implement the four partial Decisions of the Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina in case 5/98; Having considered and borne in mind all the matters aforesaid, I hereby issue the following DECISION Amending the Constitution of the Federation of Bosnia and Herzegovina . . . Such amendments shall have precedence over any inconsistent provisions of Cantonal Constitutions, laws, regulations and acts. No further normative act is required to ensure the legal effect of such amendments in the said Cantons, . . . This Decision and the amendments integral thereto shall enter into force forthwith and shall be published without delay in the Official Gazette of the Federation of Bosnia and Herzegovina. . . . AMENDMENTS TO THE CONSTITUTION OF THE FEDERATION OF BOSNIA AND HERZEGOVINA . . .“ 101 Z. B. Decision on Constitutional Amendments in Republika Srpska, 19.04.2002: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default.asp?content_id=7474. 102 Z. B. Decision amending the BiH Election Law, 28.03.2002: www.ohr.int/deci sions/statemattersdec/default.asp?content_id=7254. 103 Z. B. Decision imposing the Law on the Human Rights Ombudsman of Bosnia and Herzegovina, 14.12.2000: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default.asp?Con tent_id=364. 104 Vgl. Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 831. 105 Decision imposing the Law on the Flag of BiH, 03.02.1998: www.ohr.int/deci sions/statemattersdec/default.asp?content_id=344. 106 Decision imposing the Law on the National Anthem of BiH, 25.06.1999: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default.asp?content_id=354.
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lings- und Vertriebenenfragen110 bis hin zu verschiedensten Maßnahmen zur Restrukturierung des Wirtschaftslebens111 und der Medien112. Bemerkenswert ist dabei, dass das Spektrum der Maßnahmen bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt von politisch und verfassungsrechtlich hochbrisanten Materien113 bis hin zu fast schon banal erscheinenden Sachverhalten reicht.114 Während die Amtszeiten der ersten drei Hohen Repräsentanten Carl Bildt, Carlos Westendorp sowie Wolfgang Petritsch im Wesentlichen davon geprägt waren, durch punktuelle und situationsbezogene Maßnahmen ein Funktionieren der Nachkriegsordnung zu gewährleisten, orientierte sich die Amtserfüllung des von 2002 bis Januar 2006 amtierenden Paddy Ashdown nunmehr an einem detaillierten Mission Implementation Plan115, der eine konkrete Strategie vorsieht, anhand derer sichergestellt werden soll, dass Bosnien und Herzegowina als friedlicher und (selbständig) lebensfähiger Staat eine mittelfristige EU-Beitrittsperspektive erhält („To ensure that Bosnia and Herzegowina is a peaceful, viable state on course to European Integration“). Zur Erreichung dieses Ziels 107 Decision on the deadlines for the implementation of the new uniform license plate system, 20.05.1998: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default.asp?content_ id=347. 108 Decision imposing amendments to the Law on Travel Documents introducing a single national passport, 29.09.2000: www.ohr.int/decisions/statemattersdec/default. asp?content_id= 361. 109 Die in diesem Bereich getroffenen Maßnahmen umfassen den Erlaß von Gesetzen zur Errichtung von Gerichtshöfen, zu Reformen im Justizsektor jeglicher Art, die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten unterschiedlicher Ebenen etc. Für einen vollständigen Überblick über diesen Bereich siehe www.ohr.int/decisions/judicialrdec/ archive.asp; vgl. auch Bergling, Judicial Reform under International Law: Notes from Bosnia and Herzegowina, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 489 ff. 110 Die Entscheidungen betreffen Maßnahmen zur Erleichterung und Unterstützung des Prozesses der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen, die Wiedererlangung von Eigentum bzw. die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen hierfür etc.; vgl. den Überblick unter www.ohr.int/decisions/plipdec/archive.asp. 111 Maßnahmen betreffend die Finanz-, Steuer-, Zoll- und Infrastrukturpolitik, den Bankensektor, den Grundstücksverkehr, die Verwaltung etc.; vgl. www.ohr.int/deci sions/econdec/archive.asp. 112 Vgl. den Überblick unter www.ohr.int/decisions/mediadec/archive.asp; zur besonderen Bedeutung der Medien im Rahmen des Friedensprozesses und den Maßnahmen des HR auf in diesem Sektor siehe auch Pech, in: IJCLP Nr. 4 (1999/2000), S. 1 ff. 113 Vgl. z. B. die seit dem Abkommen von Dayton zu klärende Statusfrage der Stadt Mostar: Decision Enacting the Statute of the City of Mostar, 28.01.2004: www.ohr.int/ decisions/mo-hncantdec/default.asp?content_id=31707. 114 Z. B. Decision Prohibiting City-Municipalities of the City of Mostar from Assigning Names to or Changing Existing Names of Streets, Squares, Bridges and Other Such Public Places, 26.02.2004: www.ohr.int/decisions/mo-hncantdec/default.asp?con tent_id=31911. 115 OHR Mission Implementation Plan, 30.01.03: www.ohr.int/ohr-info/ohr-mip/ default.asp?content_id=29145.
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sieht der Plan sechs Kernbereiche vor, auf welche sich die Arbeit des OHR in besonderem Maße fokussiert: „In order to accomplish that objective, it sets out six core tasks for the organisation, and several programmes under each task: 1. Entrenching the rule of law 2. Ensuring that extreme nationalists, war criminals, and organized criminal networks cannot reverse peace implementation 3. Reforming the economy 4. Strengthening the capacity of BiH’s governing institutions, especially at the State-level 5. Establishing State-level civilian command and control over armed forces, reform the security sector, and pave the way for integration into the Euro-Atlantic framework 6. Promoting the sustainable return of refugees and displaced persons“
Der Mission Implementation Plan versteht sich insoweit auch als eine Rückzugsstrategie (Exit Strategy) der internationalen Verwaltung in Form des HR, für die es freilich keinen festen zeitlichen Rahmen gibt, sondern die sich aus einer ständigen Neubeurteilung der erreichten Fortschritte in den genannten Politikfeldern ergibt.116 Demzufolge sind die Aussagen über einen weiteren zeitlichen Verbleib des HR im Lande bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt vage. Einhelligkeit scheint nur insoweit zu bestehen, dass ein abrupter und ersatzloser Abzug des HR nicht in Betracht kommt, sondern vielmehr eine Ablösung des HR durch eine noch näher zu bestimmende Nachfolgemission mit stark verringerten Befugnissen. Dabei wird es sich wahrscheinlich um eine Mission im Rahmen der EU handeln, die bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt schrittweise damit begonnen hat, Strukturen der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina zu substituieren. Genannt seien die Europäische Polizeimission (EUPM) bzw. die Ersetzung der NATO-Stabilisierungsstreitkräfte SFOR durch eine entsprechende Militärmission der EU (EUFOR, Althea)117. Diese zunehmende „Europäisierung“118 des Post-Conflict Management in Bosnien und 116 „It should be noted that the speed of our progress towards transition – towards a reconfigured IC that has relinquished its executive power – will be determined not by rigid timelines, but by an ongoing assessment of the situation on the ground. Is the dynamic of obstructionism in Bosnia and Hercegovina being replaced by a dynamic of reform? Is peace enduring? Is the BiH state viable? Is the country on course for European integration? Only when we are satisfied that sufficient progress has been made in this respect will we be able to declare our mission implemented. It follows from this that the faster our colleagues in the BiH authorities implement reform, the sooner the OHR can complete its work.“, OHR Mission Implementation Plan, 30.01.03: www.ohr.int/ohr-info/ohr-mip/default.asp?content_id=29145. 117 Details zu dieser Mission unter: www.eubih.org. 118 Vgl. „EU Comprehensive Approach in BiH“, CFSP/SEC/0308/04.
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Herzegowina zeigt sich auch daran, dass der Hohe Repräsentant im Februar 2002 zum EU-Sonderbeauftragten (EU Special Representative, EUSR) für Bosnien und Herzegowina ernannt wurde und nunmehr im Wege einer sog. Doppelhut-Strategie119 auch das zunehmende Engagement der EU bei der Stabilisierung Südosteuropas verkörpert. 3. Die organisatorische Gliederung des OHR An der Spitze der Behörde des Hohen Repräsentanten (OHR) standen seit 1995 der ehemalige schwedische Premierminister Carl Bildt (Dezember 1995– Juni 1997), der ehemalige spanische Außenminister Carlos Westendorp (Juni 1997–Juli 1999), der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch (August 1999–Mai 2002) sowie von 2002 bis Januar 2006 der ehemalige Parteichef der Liberaldemokratischen Partei Großbritanniens Paddy Ashdown. Der Hohe Repräsentant verfügt momentan über zwei Stellvertreter, deren Posten typischerweise von den USA und Deutschland besetzt werden.120 Entsprechend der bereits angedeuteten Vielfältigkeit der Aufgabenbereiche, denen sich das OHR widmet, verfügt die Behörde über eine ganze Reihe von Unterabteilungen (Political Department, Economic Pillar, Rule of Law Pillar, Legal Department, Press Office Department, Resources Department)121, die momentan insgesamt 70 internationale und 264 nationale Mitarbeiter beschäftigen (Stand: Februar 2006)122. Die Behörde ist neben dem Hauptsitz in Sarajevo im ganzen Land mit drei Regionalbüros (Banja Luka, Mostar, Brc ˇ ko) und zwei weiteren sog. field offices vertreten und stellt somit eine veritable Verwaltungsstruktur dar. 4. Die Rechtsnatur des OHR Die vorangehend dargestellte umfangreiche Verwaltungsaktivität, welche das OHR in Bosnien und Herzegowina wahrnimmt, wirft die Frage auf, wie dieser vom Hohen Repräsentanten geleitete Administrationsapparat rechtlich einzuordnen ist. 119 Report to the European Parliament by the OHR and the EU Special Representative for BiH, January-June 2002, 23.06.03: www.ohr.int/archive/rep-eur-parl/default. asp?content_id=30141; für weitere Informationen hierzu siehe die Seiten des EUSR unter www.eusrbih.org. 120 Vgl. Winkelmann, Protektorat, S. 7; die deutschen Amtsträger bisher: Michael Steiner, Hanns Schumacher, Matei Hoffmann, Mathias Sonn, Ember Schroembgens und Werner Wnendt aus den Reihen des Auswärtigen Amts. 121 Für eine graphische Übersicht vgl. OHR Organisational Chart, Stand Februar 2006: www.ohr.int./ohr-info/gen-info. 122 Rechtsgrundlage für die Schaffung einer Behördenstruktur durch den HR ist Art. III Nr. 1, Annex 10: „The High Representative shall appoint staff, as he or she deems necessary, to provide assistance in carrying out the tasks herein.“
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a) Die Völkerrechtspersönlichkeit des OHR Das Amt des Hohen Repräsentanten ist gem. Art. III.3, Annex 10123 mit eigener Rechtsfähigkeit in der Rechtsordnung von Bosnien und Herzegowina ausgestattet.124 Darüber hinaus hat der VN-Sicherheitsrat die Anerkennung der Rechtsfähigkeit des HR auch in allen sonstigen betroffenen Staaten gefordert.125 Weniger unproblematisch zu beantworten ist die nunmehr herandrängende Frage nach der Rechtspersönlichkeit des HR auf völkerrechtlicher Ebene. Anders gesagt: Handelt es sich bei der Behörde des Hohen Repräsentanten möglicherweise um eine eigenständige, mit (partieller) Völkerrechtsfähigkeit ausgestattete Internationale (Regierungs-)Organisation? Oder stellt die Behörde ein rechtlich unselbständiges Glied einer anderen völkerrechtlichen Organisationseinheit dar bzw. eine durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffene Institution sui generis126? Oder aber handelt es sich dabei um eine von der internationalen Gemeinschaft mit Einverständnis der Vertragsparteien des Friedensabkommens eingesetzte Verwaltungsstruktur, die neben den nationalen Verfassungsorganen – gleichsam als deren Schatten – den Prozess der Staatswerdung unterstützen soll als eine Art Quasi- oder Reserve-Verfassungsorgan, das in seinem Wirkungskreis und mithin in seiner Rechtsfähigkeit auf die nationale Ebene beschränkt sein soll? Die Merkmale einer Internationalen Organisation im völkerrechtlichen Sinne (international governmental organization, IGO)127 lassen sich wie folgt skizzieren. Begründet wird eine Internationale Organisation regelmäßig im Wege eines völkerrechtlichen Vertrags128 zwischen Staaten129, der typischerweise zugleich 123 „The High Representative shall enjoy, under the laws of Bosnia and Herzegowina, such legal capacity as may be necessary for the exercise of his or her functions, including the capacity to contract and to acquire and dispose of real and personal property.“ 124 Zur Verleihung von Rechtsfähigkeit an Organisationseinheiten in nationalen Rechtsordnungen vgl. Klabbers, An introduction to international institutional law, 2002, S. 49 ff. 125 Resolution 1031 des VN-Sicherheitsrats vom 15.12.1995: „The Security Council . . . 28. Decides that all States concerned, and in particular those where the High Representative establishes offices, shall ensure that the High Representative enjoys such legal capacity as may be necessary for the exercise of his functions, including the capacity to contract and to acquire and to dispose of real and personal property; . . .“ 126 Z. B. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 139; Wilde, Accountability, S. 165. 127 Vgl. Epping, Völkerrechtssubjekte, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 6 Rn. 1; zu den ansonsten verwendeten begrifflichen Nuancen Frank, Verantwortlichkeit, S. 21 ff. Zur Entstehung des Begriffs Schmalenbach, Haftung, S. 46 ff. 128 Klabbers, Institutional Law, S. 10; eine denkbare Rechtsgrundlage für die Gründung einer Internationalen Organisation wäre allerdings auch z. B. eine Resolution einer internationalen Konferenz, der die betreffenden Staaten eine dahingehende nachfolgende Praxis folgen lassen, vgl. Randelzhofer, Rechtsschutz gegen Maßnahmen von INTERPOL vor deutschen Gerichten?, in: v. Münch (Hrsg.): Staatsrecht-VölkerrechtEuroparecht, FS Schlochauer, S. 542; Klein, Die Internationalen und die Supranationa-
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die Satzung bzw. das Statut der Organisation darstellt130. Dieses Statut trifft Aussagen über den Zweck und die Aufgaben der Organisation131 und bezeichnet die Organe, die für die Organisation zur Erfüllung ihrer Zwecke handeln sollen132 sowie deren Kompetenzen und Funktionsweisen133. Gefordert wird auch, dass zumindest ein Organ dabei zu einer eigenständigen – von den Mitgliedstaaten unabhängigen – Willensbildung befähigt sein muss.134 Dieses Merkmal dient insbesondere zur Begründung der Eigenständigkeit der Internationalen Organisation als von den Mitgliedstaaten separates Völkerrechtssubjekt135, welches mit der selbständigen Wahrnehmung eigener Aufgaben betraut ist136. Wie eine solche Ausgestaltung im Einzelnen auszusehen hat, unterliegt der Vertragsfreiheit der Mitgliedstaaten.137 Internationale Organisationen sind ferner regelmäßig mit partieller138 Völkerrechtspersönlichkeit139 (nicht zu verwechseln mit der Rechtsfähigkeit der Organisation in den jeweiligen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten140) ausgestattet, welche die Mitgliedstaaten der Orlen Organisationen, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, 3. Aufl., 2004, S. 255 Rn. 12. 129 Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., 2004, § 2 Rn. 202; Klabbers, Institutional Law, S. 9; Herdegen, Völkerrecht, 3. Aufl., 2004, § 10 Rn. 3. 130 Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 6 Rn. 4. 131 Doehring, Völkerrecht, § 2 Rn. 203. 132 Bindschedler, International Organizations, General Aspects, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1289. 133 Bernhardt, International Organizations, Internal Law and Rules, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1314. 134 Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 6 Rn. 9; Klabbers, Institutional Law, S. 12; Schmalenbach, Haftung, S. 53. 135 Klabbers, Institutional Law, S. 12, 13; Frank, Verantwortlichkeit, S. 51. 136 Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 6 Rn. 5. 137 Doehring, Völkerrecht, § 2 Rn. 204. 138 Cassese, International Law, 2001, S. 71; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 283 Rn. 95; Epping, Internationale Organisationen, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 31 Rn. 38; Bindschedler, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1299; Schmalenbach, Haftung, S. 61; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl., 2000, Rn. 0321: Die Völkerrechtspersönlichkeit entsteht grundsätzlich auch zunächst nur gegenüber den Mitgliedstaaten, da Drittstaaten keine Verpflichtung trifft, die Völkerrechtssubjektivität der Organisation anzuerkennen. Vgl. auch Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 283 Rn. 96. 139 Zum Begriff siehe Reparations for Injuries Suffered in Service of the UN, Advisory Opinion of 11 April 1949, ICJ Reports 1949, 174 (179); Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0303 ff.; Muller, International Organizations and their Host States, 1995, S. 72 ff.; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, 1993, S. 34 ff. 140 Die Rechtsfähigkeit in einer nationalen Rechtsordnung bewirkt, dass die Internationale Organisation auch als Rechtssubjekt innerhalb eines staatlichen Rechtssystems wirken kann, sei es im Bereich des nationalen Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts. Die Internationale Organisation hat dann in der nationalen Rechtsordnung den Status einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum
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ganisation im Gründungsstatut entweder ausdrücklich141 oder konkludent verleihen.142 Maßgeblich ist insoweit der Wille der Mitgliedstaaten.143 Internationale Organisationen bzw. ihre Mitarbeiter genießen zumeist völkerrechtliche Privilegien und Immunitäten, die denjenigen der Staaten ähnlich sind144 und die sich aus der Gründungssatzung145, nachfolgenden separaten Abkommen146 unter den Mitgliedstaaten bzw. aus besonderen Verträgen mit dem Sitzstaat147 der Internationalen Organisation ergeben148 (Headquarters Agreements149).150 Eine Subsumtion der Merkmale der Behörde des Hohen Repräsentanten unter die genannten Voraussetzungen einer Internationalen Organisation stößt bereits beim ersten zentralen Aspekt auf Schwierigkeiten, nämlich der Begründung im Wege des völkerrechtlichen Vertrags durch die Mitgliedstaaten. Von der völker(Hrsg.): Völkerrecht, S. 291 Rn. 112; Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 31 Rn. 44; Schmalenbach, Haftung, S. 69 ff.; Bindschedler, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1299; Schlüter, Die innerstaatliche Rechtsstellung der internationalen Organisationen, 1972; Wenckstern, Die Immunität Internationaler Organisationen, 1994, S. 29 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 6; Muller, International Organizations, S. 88 ff. 141 Dies ist selten der Fall. Als Beispiel sei Art. 281 EGV genannt. Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 70. 142 Wenckstern, Immunität, S. 25; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 283 Rn. 94; Schmalenbach, Haftung, S. 61. 143 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0310; Schmalenbach, Haftung, S. 62; Bindschedler, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1299; Klabbers, Institutional Law, S. 53; Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 6 Rn. 5; a. A. z. B. Seyersted, Objective International Personality of Intergovernmental Organizations, in: Nordic J. of Int’l L. 33 (1964), S. 3 ff., der die Ansicht vertritt, dass der bloße objektive Akt ihrer organisatorischen Errichtung mit den erwähnten Merkmalen der Organisation eine originäre Völkerrechtssubjektivität verleiht. Auf einen dahingehenden Willen der Gründungsmitglieder käme es für die Frage der Völkerrechtspersönlichkeit mithin nicht an. Diese Ansicht konnte sich bislang nicht durchsetzen, vgl. dazu Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 6 Rn. 6; Klabbers, Institutional Law, S. 54, 55; zu den widerstreitenden Ansichten auch Frank, Verantwortlichkeit, S. 32. 144 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0319, zur dogmatischen Begründung vgl. Rn. 1901; dazu auch Szasz, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1326; sowie ausführlich Reinisch, International Organizations before National Courts, 2000, S. 233 ff. 145 Z. B. Art. 105 VN-Charta. 146 Z. B. Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations (1946); Convention on the Privileges and Immunities of the Specialized Agencies (1947); dazu Szasz, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1327. 147 Szasz, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1327; Wolfrum, International Organizations, Privileges and Immunities, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1309– 1311; Hailbronner, Immunity of International Organizations from German National Jurisdiction, in: AVR 42 (2004), S. 329; Muller, International Organizations, S. 25 ff.; Beispiele bei Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1904. 148 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 288 Rn. 106 ff. 149 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 290 Rn. 110. 150 Zu den Rechtsquellen der Immunitäten Wenckstern, Immunität, S. 31 ff.
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vertragsrechtlichen Qualität des relevanten Annexes 10 zum Allgemeinen Rahmenabkommen von Dayton ist zwar auszugehen151, ein Blick auf die Signatarstaaten dieses Annexes lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob es sich dabei um ein Instrument handelt, mit dem die Unterzeichner (die Republik von Bosnien und Herzegowina, die Republik Kroatien, die Bundesrepublik Jugoslawien sowie die beiden Landesteile Föderation von Bosnien-Herzegowina und Republika Srpska) eine Internationale Organisation (dauerhaft152) ins Leben rufen wollten, deren Mitglieder153 sie mithin wären. Vielmehr haben sich die ehemaligen Kriegsparteien in Annex 10 darauf geeinigt, die Ernennung eines Hohen Repräsentanten zu erbitten.154 Über den Adressaten dieses Ersuchens schweigt sich der Vertragstext aus.155 Die Ernennung des ersten Hohen Repräsentanten erfolgte schließlich durch die internationale Staatengemeinschaft auf der Friedensimplementierungskonferenz im Dezember 1995. Die Parteien haben mithin – wie die Entstehungsgeschichte des Daytoner Vertragsbündels belegt – nicht etwa eine Organstruktur und diesbezügliche Funktionsmechanismen festgelegt, wie dies Gründungsmitglieder in einem Organisationsstatut156 ansonsten zu tun pflegen, sondern haben vertraglich in die Schaffung eines Amtes mit vage umrissenen Mandat eingewilligt, auf dessen Besetzung, organisatorische Ausgestaltung157 und nicht zuletzt auf dessen Wirken sie selbst – etwa durch ein Vertretungsorgan158 – unmittelbar keinen Einfluss haben. Der ohnehin knapp und teilweise kryptisch gehaltene Vertragstext von Annex 10 enthält zwar einige Passagen, die an Gründungsstatuten Internationaler Organisationen erinnern, wie die Vorschriften über die Rechtspersönlichkeit159 des HR in der Rechtsordnung von Bosnien und Herzegowina sowie bezüglich der Gewährung von Privilegien und Immunitäten160. Eine Gesamtbetrachtung von Inhalt und äußeren Umständen des Zustandekommens von Annex 10 führt jedoch zu dem Ergeb151
Vgl. Kap. I, B. I. ff.; Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 130. Zum Erfordernis der Dauerhaftigkeit einer solchen Einigung am Beispiel von Interpol vgl. Randelzhofer, INTERPOL, S. 541. 153 Doehring, Völkerrecht, § 2 Rn. 204. 154 Vgl. Annex 10, Art. I Nr. 2: „In view of the complexities facing them, the Parties request the designation of a High Representative, to be appointed consistent with relevant United Nations Security Council resolutions, to facilitate the Parties’ own efforts and to mobilize and, as appropriate, coordinate the activities of the organizations and agencies involved in the civilian aspects of the peace settlement by carrying out, as entrusted by a U.N. Security Council resolution, the tasks set out below.“ 155 Vgl. Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 136. 156 Doehring, Völkerrecht, § 2 Rn. 204. 157 Annex 10, Art. III Nr. 1: „The High Representative shall appoint staff, as he or she deems necessary, to provide assistance in carrying out the tasks herein.“ 158 Vgl. Doehring, Völkerrecht, § 2 Rn. 205. 159 Art. III Nr. 3 Annex 10, vgl. S. 22; zur Bedeutung der Rechtsfähigkeit in einem nationalen Rechtssystem für eine Internationale Organisation vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 72 f. 152
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nis, dass das Amt des Hohen Repräsentanten ein Vertretungsorgan161 der im Friedensprozess engagierten Staaten darstellt, eine Art Botschafter162 oder Sprecher163 der internationalen Gemeinschaft, dessen Behörde ähnlich einer nationalen Gesandtschaft mit völkerrechtlichen Privilegien und Immunitäten ausgestattet ist164, jedoch keine eigenständige Völkerrechtspersönlichkeit besitzt165. In diese Richtung geht auch die Außendarstellung des OHR: „Under Annex 10, the OHR has the same status like a diplomatic mission to Bosnia and Herzegovina. It is made up of diplomats seconded by the governments of the PIC countries, international experts hired directly, and local staff from Bosnia 160 Art. III Nr. 4 (a)–(c), Annex 10: „4. Privileges and immunities shall be accorded as follows: (a) The Parties shall accord the office of the High Representative and its premises, archives, and other property the same privileges and immunities as are enjoyed by a diplomatic mission and its premises, archives, and other property under the Vienna Convention on Diplomatic Relations. (b) The Parties shall accord the High Representative and professional members of his or her staff and their families the same privileges and immunities as are enjoyed by diplomatic agents and their families under the Vienna Convention on Diplomatic Relations. (c) The Parties shall accord other members of the High Representative staff and their families the same privileges and immunities as are enjoyed by members of the administrative and technical staff and their families under the Vienna Convention on Diplomatic Relations.“ Vgl. dazu Doehring, Völkerrecht, § 2 Rn. 208; zur vergleichbaren Ausstattung der internationalen Verwaltung des Kosovo (UNMIK) vgl. Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 160. 161 Siehe auch Dörr, in: AVR 35 (1997), S. 137, der in diesem Zusammenhang den Begriff des „Staatenorgans“ verwendet; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 136. 162 Oeter, „Protektorate“, S. 440. 163 Vgl. dazu Klabbers, Institutional Law, S. 12. 164 Die Immunitätsregelungen des Art. III.4 von Annex 10 betreffend die Amtsräume, Grundstücke etc. sowie die Person des HR und seine Mitarbeiter verweisen auf die Vorschriften des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (1961, WDK) und nicht auf die VN-Immunitätenkonvention (Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations, 1946). Dieser Umstand deutet einerseits darauf hin, dass das OHR nicht als organisatorische Untergliederung der VN konzipiert war, sonst wäre auf die genannte VN-Immunitätenkonvention zu verweisen gewesen, wie dies bei ad hoc geschaffenen Unterorganen der VN typischerweise passiert. Gegen ein Verständnis des OHR als eigenständiges Völkerrechtssubjekt könnte auch die Tatsache sprechen, dass die Jurisdiktionsimmunität in Annex 10 nur auf den HR und seine Mitarbeiter persönlich bezogen ist (deswegen wohl der Verweis auf die WDK) nicht auf das OHR als Organisation. Zum letztgenannten Aspekt vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 572. Aus der bloßen Gewährung von Immunitäten kann nicht zwingend auf die Völkerrechtsfähigkeit eines internationalen Organs geschlossen werden, vgl. Wenckstern, Immunität, S. 27. 165 A. A. ohne nähere Begründung Wilde, The Accountability of International Organizations and the Concept of ,Functional Duality‘, in: Heere (Hrsg.): From Government to Governance, 2003 Hague Joint Conference on Contemporary Issues of International Law, 2004, S. 167; ders., The complex role of the legal adviser when international organizations administer territory, in: ASIL Proc. 95 (2001), S. 252.
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and Herzegovina, and, to a lesser extent, from the Republic of Croatia and the Federal Republic of Yugoslavia.“166
Letzteres ergibt sich schließlich daraus, dass dem Hohen Repräsentanten weder explizit noch implizit die Fähigkeit zugedacht wurde, selbständig völkerrechtliche Verträge abzuschließen, eigene diplomatische Beziehungen zu unterhalten oder etwa völkerrechtliche Ansprüche geltend zu machen bzw. aus solchen in Anspruch genommen zu werden.167 Aus Annex 10 geht der Hohe Repräsentant vielmehr als Überwacher und Koordinator anderer Völkerrechtssubjekte, der ehemaligen Kriegsparteien und der Internationalen Organisationen, die nunmehr eine bestimmte Rolle bei der Friedensimplementierung spielen sollen168, hervor – und nicht als ein weiterer völkerrechtlich eigenständiger internationaler Akteur.169 166
OHR Press Office Sarajevo, Office of the High Representative, 2000, S. 10. Zu den verschiedenen Komponenten der Völkerrechtssubjektivität z. B. Klabbers, Institutional Law, S. 45 ff.; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0314 ff.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 284 Rn. 97 ff.; Brownlie, International Law, S. 649; Cassese, International Law, S. 73 f. 168 Vgl. Annex 10, Art. II Nr. 1: „. . . (b) Maintain close contact with the Parties to promote their full compliance with all civilian aspects of the peace settlement and a high level of cooperation between them and the organizations and agencies participating in those aspects. (c) Coordinate the activities of the civilian organizations and agencies in Bosnia and Herzegovina . . . (f) Report periodically on progress in implementation of the peace agreement concerning the tasks set forth in this Agreement to the United Nations, European Union, United States, Russian Federation and other interested governments, parties and organizations . . .“; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1586. 169 Über die Rechtsnatur einer Treuhandverwaltungsbehörde im Zusammenhang mit der Abwicklung eines VN-Treuhandregimes hatte der IGH in Case concerning certain phospate lands in Nauru (Nauru v. Australia), Preliminary Objections, Judgement of 16 June 1992, ICJ Reports 1992, 240, zu entscheiden. Nauru wurde von 1920 bis 1968 als Mandats- bzw. VN-Treuhandgebiet von den Treuhändern Großbritannien, Australien und Neuseeland verwaltet. Diese drei Staaten bildeten gemäß des durch die VN-Generalversammlung genehmigten Treuhandabkommens (1947) für Nauru eine „Administering Authority“, welche nach Art. 4 (zit. in § 45 des Urteils) des Abkommens folgendes Mandat erhielt: „The Administering Authority will be responsible for peace, order, good government and defence of the Territory, and for this purpose, in pursuance of an Agreement made by the Governments of Australia, New Zealand and the United Kingdom, the Government of Australia will, on behalf of the Administering Authority and except and until otherwise agreed by the Governments of Australia, New Zealand and the United Kingdom, continue to exercise full powers of legislation, administration and jurisdiction in and over the Territory.“ Der IGH kam zu dem Ergebnis, dass die drei Staaten ihre treuhänderischen Befugnisse gesamthänderisch und nicht etwa durch ein rechtlich verselbständigtes Organ wahrnehmen sowie demzufolge für die Akte der Verwaltungsbehörde auch selbst verantwortlich bleiben, § 47: „In these circumstances, the Court notes that the three Governments mentioned in the Trusteeship Agreement constituted, in the very terms of the Agreement, „the Administering Authority“ for Nauru; that this Authority did not have an international legal personality distinct from those of the States thus designated [. . .]“. Ebenfalls nicht als eigenständiges Völkerrechtssubjekt klassifiziert wurde das durch die Alliierte Kommandantur in Berlin eingerichtete gemeinsame Vollzugsorgan für das Spandauer 167
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b) Das OHR als Teil eines anderen Völkerrechtssubjekts? Mangels eigener Völkerrechtssubjektivität, drängt sich die Frage auf, ob die Behörde des Hohen Repräsentanten möglicherweise als ein unselbständiges Glied eines anderen Völkerrechtssubjekts170 einzuordnen ist. Wie bereits angedeutet, lässt sich diese – im Gegensatz zu den internationalen Zivilverwaltungsbehörden im Kosovo (UNMIK)171 und in Osttimor (UNTAET)172 – nicht als Unterorgan173 des VN-Sicherheitsrats (vgl. Art. 29 VN-Charta) beziehungsweise der Organisation der Vereinten Nationen als solcher einstufen (vgl. Art. 7 Kriegsverbrechergefängnis in der Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission, Hess v. GB, EKMR B 6231/73, 28.05.1978, DR 2, 72 (74), wenn auch die Kommission, die dieses Vier-Mächte-Verhältnis als „joint authority“, bezeichnete, im Gegensatz zum IGH im hier zitierten Fall, nicht die naheliegende Konsequenz einer Verantwortlichkeit der einzelnen Mitglieder einer solchen Behörde zu ziehen bereit war. Zu letzterem Fall vgl. Blumenwitz, Die Hess-Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission, in: EuGRZ 3 (1975), S. 497 f.; Frowein, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., 1996, Art. 1 Rn. 14; Randelzhofer, Untersuchung über die Möglichkeiten des Rechtsschutzes der Einwohner Berlins gegen Akte der Alliierten, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 25; Herbst, Rechtsschutz, S. 56, 63; Freitag, Rechtsschutz der Einwohner Berlins gegen hoheitliche Akte der Besatzungsbehörden gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, 1989, S. 86 ff. 170 Frank, Verantwortlichkeit, S. 171 ff., 202. 171 Die internationale zivile Übergangsverwaltung – mit einem Special Representative of the Secretary-General an der Spitze – für das Gebiet des Kosovo wurde durch die Resolution des VN-Sicherheitsrats SR/RES/1244 (1999) v. 10.06.1999 auf der Grundlage des Kapitels VII der VN-Charta ins Leben gerufen: „The Security Council . . . 10. Authorizes the Secretary-General, with the assistance of relevant international organizations, to establish an international civil presence in Kosovo in order to provide an interim administration for Kosovo under which the people of Kosovo can enjoy substantial autonomy within the Federal Republic of Yugoslavia, and which will provide transitional administration while establishing and overseeing the development of provisional democratic self-governing institutions to ensure conditions for a peaceful and normal life of all inhabitants of Kosovo . . .; siehe dazu Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 146; Frowein, Notstandsverwaltung, S. 45; Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 622, 626; vgl. auch Garcia, in: RGDIP 104 (2000), S. 61 ff.; Lagrange, in: AFDI 1999, S. 335 ff. 172 Durch die Resolution des VN-Sicherheitsrats SR/RES/1272 (1999) v. 25.10. 1999 auf Grundlage von Kapitel VII der VN-Charta wurde die VN-Zivilverwaltung in Ost-Timor eingesetzt: „The Security Council . . . Acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, 1. Decides to establish, in accordance with the report of the Secretary-General, a United Nations Transitional Administration in East Timor (UNTAET), which will be endowed with overall responsibility for the administration of East Timor and will be empowered to exercise all legislative and executive authority, including the administration of justice . . .“; Frowein, Notstandsverwaltung, S. 44; Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 622, 626, zur Kompetenz des Sicherheitsrats zur Errichtung einer VN-Territorialverwaltungsstruktur vgl. S. 620, 621; dazu auch Matheson, in: AJIL 95 (2001), S. 83; Stahn, The United Nations Transitional Administration in Kosovo and East Timor: A first Analysis, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 137–140; zu Ost-Timor vgl. auch Chopra, in: Survivial 42 (2000), S. 27 ff. 173 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 136.
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Abs. 2 VN-Charta). Der VN-Sicherheitsrat fungiert gegenüber dem Amt des Hohen Repräsentanten lediglich als ein Organ, das dessen Existenz und das dessen Wirken kraft seiner völkerrechtlichen Autorität legitimiert und billigt174, ohne aber mit diesem eine direkte institutionelle Verflechtung aufzuweisen175. Es ist vielmehr der aus der Friedensimplementierungskonferenz vom Dezember 1995 hervorgegangene Friedensimplementierungsrat (Peace Implementation Council) sowie dessen Lenkungsausschuss (Steering Board), der die unmittelbare Bezugsgröße für den Hohen Repräsentanten darstellt, ihn finanziert und mit politischen Direktiven176 versieht. Bei diesem Friedensimplementierungsrat handelt es sich um eine organisatorisch ein Stück weit verfestigte internationale Konferenz177 bestehend aus Staaten, internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie Unterorganen der Vereinten Nationen.178 Es ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass sich periodisch wiederkehrende Zusammenkünfte von Staatenvertretern organisatorisch zu Internationalen Organisationen verdichten und verselbständigen.179 Es wird z. T. davon ausgegangen, dass ein solcher Vorgang auch konkludent, d. h. ohne eine explizite völkervertragsrechtliche Grundlage vonstatten gehen kann.180 Im Falle des Friedensim174 Resolution 1031 des VN-Sicherheitsrats vom 15.12.1995: „The Security Council . . . 26. Endorses the establishment of a High Representative, following the request of the parties, who, in accordance with Annex 10 on the civilian implementation of the Peace Agreement, will monitor the implementation of the Peace Agreement and mobilize and, as appropriate, give guidance to, and coordinate the activities of, the civilian organizations and agencies involved, and agrees the designation of Mr. Carl Bildt as High Representative“. 175 In diese Richtung auch Caplan, International Governance, S. 231. Nicht gefolgt werden kann insoweit der Auffassung von Frowein, Notstandsverwaltung, S. 44, der von einem „High Representative der Vereinten Nationen“ spricht. Freilich erstattet der Hohe Repräsentant dem VN-Sicherheitsrat regelmäßig Bericht über den Fortgang des Friedensprozesses, vgl. Resolution 1031 des VN-Sicherheitsrats vom 15.12.1995: „The Security Council . . . 32. Requests the Secretary-General to submit to the Council reports from the High Representartive, in accordance with Annex 10 of the Peace Agreement and the conclusions of the London Conference, on the implementation of the Peace Agreement“; diese Berichte sind abrufbar unter: www.ohr.int/other-doc/hrreports/archive.asp?sa=on. Die Organisation der Vereinten Nationen ist lediglich „eng assoziiert“ mit den Steuerungsgremien des Hohen Repräsentanten. 176 Vgl. die „Conclusions“ der Konferenz vom 08.12.1995, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 225 ff.: „. . . 21. The Conference decides that: . . . a Steering Board of the PIC, . . ., will be established with immediate effect under the chairmanship of the High Representative. It will give him political guidance on peace implementation. The Steering Board, which may establish working groups as necessary, will normally meet monthly and will keep the PIC fully informed of progress . . . In view of their wide-ranging responsibilities, the United Nations and the OSCE will be associated especially closely and invited to attend when their responsibilities under the Peace Agreement are involved . . .“ 177 Vgl. Brownlie, International Law, S. 650. 178 Für die Mitglieder und Teilnehmer des PIC siehe oben unter B. 179 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0402.
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plementierungsrats (PIC) liegt freilich weder ein völkerrechtlicher (Gründungs-) Vertrag181 vor, noch ist ein entsprechender Wille182 der Mitglieder und Teilnehmer zu erkennen, ein selbständiges Völkerrechtssubjekt zu schaffen. Das zeigt allein schon die Zusammensetzung des PIC, dem unter anderem Mitglieder angehören, welche die für die Teilnahme an einem multilateralen Abkommen notwendige Völkerrechtsfähigkeit selbst gar nicht besitzen.183 Auch die der „Gründungskonferenz“ nachfolgenden Konferenzen geben keinen Anlass dazu, von einem Willen zur institutionellen und rechtlichen Verselbständigung184 des 180 So Brownlie, International Law, S. 650; Seidl-Hohenveldern, Internationale Organisationen auf Grund von Soft Law, in: Beyerlin (Hrsg.): Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, FS Bernhardt, S. 230, 231 mit Beispielen; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0402 zum Beispiel der Umwandlung der KSZE zur OSZE; a. A. dazu die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum vgl. Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 34 Rn. 16. 181 Der Friedensimplementierungsrat sowie dessen Steuerungsorgan wurden durch die Schlusserklärung der Friedensimplementierungskonferenz v. 08.12.1995 in London ins Leben gerufen, abgedruckt in: ILM 35 (1996), S. 225 ff.: „. . . 20. The Conference concludes that, with the signature of the Peace Agreement, important objectives of the International Conference on the Former Yugoslavia (ICFY) have been met and a new structure is required to manage peace implementation. 21. The Conference therefore decides that: – a Peace Implementation Council (PIC), composed of all those states, international organisations and agencies attending the Conference, will subsume the ICFY . . . – a Steering Board of the PIC, . . ., will be established with immediate effect under the chairmanship of the High Representative . . .“ 182 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0402. 183 So z. B. das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), der Hohe Kommissar der VN für Menschenrechte (UNHCHR) sowie der Hohe Kommissar der VN für Flüchtlinge (UNHCR). Dass Internationale Organisationen im Rechtssinne wie z. B. die Vereinten Nationen, die NATO, der Europarat etc. selbst Gründungsmitglieder anderer Internationaler Organisationen sein können, ist freilich grundsätzlich möglich, vgl. Klabbers, Institutional Law, S. 9 m. w. N., zu beachten sind dann aber die diesbezüglichen besonderen völkervertragsrechtlichen Umstände, vgl. z. B. Zemanek, International Organizations, Treaty-Making Power, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 1344; Pernice, Völkerrechtliche Verträge internationaler Organisationen, in: ZaöRV 48 (1988), S. 229 ff.; Menon, The Law of Treaties between States and International Organisations or between International Organizations with Special Reference to the Vienna Convention of 1986, in: Revue de Droit International, de Sciences Diplomatiques et Politiques 65 (1987), S. 255 ff.; siehe Vienna Convention on the Law of Treaties between States and International Organizations or between International Organizations, 27.03.1986, UN Doc. A/CONF.129/15, abgedruckt in: ILM 25 (1986), S. 543– 592. 184 Vgl. z. B. den Wortlaut der Schlusserklärung des Ministerial Meeting of the Steering Board and of the Presidency of Bosnia and Herzegovina, Paris, 14.11.1996: www.ohr.int/pic/default.asp?content_id=5173: „. . . 1. The Ministers of Foreign Affairs or Representatives of France, Canada, Germany, Italy, Japan, Russia, the United Kingdom, the United States, the Presidency of the European Union and the Netherlands, the European Commission, the Organisation of the Islamic Conference, the United Nations, the United Nations High Commissioner for Refugees, the Organization for Security and Cooperation in Europe, the North Atlantic Treaty Organization, meeting in Paris within the framework of the Steering Board of the Bosnia and
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PIC auszugehen185, wofür auch die zeitliche – letztlich nur mittelfristige, auf die konkrete Konfliktbewältigung bezogene – Perspektive der Zusammenarbeit der teilnehmenden Akteure spricht. Der PIC erweist sich mithin als ein Forum zur Bündelung der verschiedenen diplomatischen Bemühungen und Strömungen von staatlicher, zwischenstaatlicher sowie supranationaler Seite, die der Friedensimplementierung dienen. Der PIC hat zu diesem Zweck eine gewisse organisatorische Untergliederung erfahren. So finden Konferenzen sozusagen als Vollversammlung statt, der Lenkungsausschuss tagt auf Ministerebene, Direktoren- sowie Botschafterebene.186 Ein Organ, welches zu einer vom Willen der teilnehmenden Akteure unabhängigen, eigenständigen Willensbildung berufen wäre, existiert jedoch nicht. Der PIC ist somit kein Völkerrechtssubjekt, an dessen Völkerrechtspersönlichkeit das Amt des Hohen Repräsentanten – etwa als eine Art Unterorgan – teilhaben187 könnte. Derartige Organisationsformen werden in Anlehnung an den im Völkerrecht gebräuchlichen Begriff des soft law188 bisweilen als sog. soft organizations189 bezeichnet, um deutlich zu machen, dass solche Gebilde grundsätzlich dem diplomatisch-politischen – also nichtrechtlichen – Bereich zuzuordnen sind, faktisch jedoch eine mitunter nicht unerhebliche (völker-)rechtliche Relevanz aufweisen können.190 Vielmehr erscheint die institutionelle Verknüpfung zwischen diesen beiden „internationalen Institutionen“ ebenfalls ausgesprochen vage. Annex 10 des Abkommens von Dayton, der zumindest das Amt des Hohen Repräsentanten völkerrechtlich verankert, schweigt sich über die Existenz einer dem OHR übergeordneten Suprastruktur mit politischer Weisungsbefugnis, wie sie der PIC darHerzegowina Peace Implementation Council under the Chairmanship of the High Representative . . .“ 185 Einen Prozess einer derartigen organisatorischen und möglicherweise rechtlichen Verselbständigung beschreibt Schweisfurth, Die juristische Mutation der KSZE: eine internationale Organisation in statu nascendi, in: Beyerlin (Hrsg.): Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, FS Bernhardt, S. 215 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 10 Rn. 5. 186 Für eine Übersicht des Zusammentretens des PIC in den unterschiedlichen Zusammensetzungen siehe www.ohr.int/pic/archive.asp?sa=on. 187 Auf das Problem einer möglichen Klassifizierung des PIC als Internationale Organisation hinweisend Crawford, First Report on State responsibility, UN Doc. A/ CN.4/490/Add.5, 22.07.1998, § 231, Fn. 125; vgl. Seidl-Hohenveldern, Soft Law, S. 232. 188 Zum Begriff: Heintschel von Heinegg, Die weiteren Quellen des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 20 Rn. 20. 189 Klabbers, Institutional Ambivalence by Design: Soft Organizations in International Law, in: Nordic J. of Int’l L. 70 (2001), S. 405; Beispiele für sonstige diesbezüglich verwendete Begrifflichkeiten gibt Klabbers, Institutional Law, S. 10–12. 190 Als Beispiele können (freilich nicht unumstritten) die OSZE, die EU, das frühe GATT-Regime, das System des Commonwealth, aber eben auch deutlich weniger strukturierte und organisierte Formen, wie z. B. die G 7 – Gruppe dienen. Siehe Klabbers, Institutional Law, S. 10–12 für weitere Beispielsfälle.
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stellt, aus und verweist bzgl. Ernennung und Wirken des HR lediglich sybillinisch auf das herzustellende Einvernehmen mit dem VN-Sicherheitsrat.191 Schon gar kein Anhaltspunkt findet sich in Annex 10 für die Kompetenz des PIC zu einer verbindlichen Auslegung des Mandats des HR und somit des Vertragstextes von Annex 10. Der VN-Sicherheitsrat sowie das Stillschweigen der Vertragsparteien haben diese „Kompetenzübernahme“ durch den PIC erst nachträglich gebilligt.192 Die entsprechende Sicherheitsratsresolution legitimiert somit gewissermaßen das Zusammenwirken dieser beiden ansonsten nur lose miteinander verzahnten Akteure. Festzuhalten ist mithin, dass die Behörde des Hohen Repräsentanten selbst keine Internationale Organisation darstellt und auch nicht an der Völkerrechtspersönlichkeit einer anderen Internationalen Organisation teilhat: Weder an derjenigen der Vereinten Nationen, noch an derjenigen des PIC, welcher diese selbst nicht besitzt. c) Das OHR als eine „internationale Behörde“? Wohlgemerkt muss nicht jede Willenseinigung zwischen Staaten, welche darauf gerichtet ist, zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks ein Gebilde zu schaffen, welches mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet sein soll, zur Gründung einer – mit Völkerrechtspersönlichkeit versehenen – Internationalen Organisation führen.193 So können Staaten beispielsweise zur Erfüllung von nichthoheitlichen, privatwirtschaftlichen Aufgaben194 auf völkervertragsrechtlicher Grundlage Rechtssubjekte schaffen, die mit Rechtspersönlichkeit in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ausgestattet sind.195 Auch zwischenstaatliche Zusammenschlüsse, die der Erfüllung von hoheitlichen Zwecken dienen, müssen nicht zwingend zur Entstehung einer Internationalen Organisation führen. Selbst Zusammenschlüsse zur Erfüllung internationaler Verwaltungsaufgaben müssen nicht notwendigerweise in die Schaffung einer Internationalen Organisation münden.196 Derartige Gebilde werden mitunter als inter191
Vgl. den Wortlaut von Art. 1, Nr. 2, Annex 10; Oeter, „Protektorate“, S. 451. Resolution des VN-Sicherheitsrats S/RES/1144 v. 19.12.1997: „The Security Council, . . . 2. Expresses its support for the conclusions of the Bonn Peace Implementation Conference, and encourages the Secretary-General to pursue implementation of its relevant recommendations, in particular on the restructuring of the IPTF . . .“, www.un.org; dazu auch Frowein, Notstandsverwaltung, S. 46. 193 Klabbers, Institutional Law, S. 9; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0118. 194 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Gemeinsame zwischenstaatliche Unternehmen, in: Baer-Kaupert (Hrsg.): Liber amicorum B.C.H. Aubin, 1979, S. 193 ff. 195 Klabbers, Institutional Law, S. 9; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0118, 0335 ff. 196 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0119. 192
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nationale Behörden, établissements public internationaux197 oder international agencies bezeichnet. Kennzeichen solcher Einrichtungen sind: Die Errichtung einer Organstruktur zur Erfüllung bestimmter Aufgaben aufgrund völkerrechtlicher Grundlage (dies kann mit der Gewährung bestimmter funktionaler Privilegien und Immunitäten einhergehen), die Erbringung von Leistungen – ähnlich einer nationalen Behörde – an Individuen (zu diesem Zweck kann die Einrichtung mit punktuellen Regelungsbefugnissen bestückt sein) sowie eine gewisse Autonomie und Politikferne, die eine spezifische Leistungserbringung bzw. Aufgabenerfüllung abseits direkter politischer Steuerung ermöglicht.198 Das Betätigungsspektrum derartiger Institute ist sehr weit gefächert. Es reicht vom wirtschaftlichen und finanziellen Sektor199 über den wissenschaftlich-technischen Bereich bis zur Bewältigung spezieller logistischer Projekte. Solche autonomen internationalen Behörden können unabhängig oder im Rahmen von bereits bestehenden internationalen200 oder supranationalen201 Organisationsstrukturen in Erscheinung treten. Eigen ist diesen Gebilden, dass sie zu spezifischen, bisweilen sehr punktuellen hoheitlichen Aufgaben berufen sind, sodass es gerechtfertigt erscheint, dass sie als eigenständige Spezialistengremien von politischer Einflussnahme weitgehend freigehalten werden. In dieser Hinsicht kann man den Unterschied zwischen internationalen Behörden und Internationalen Organisationen mit einer gewissen Berechtigung mit dem Unterschied zwischen der öffentlichen Verwaltung und der Regierung im innerstaatlichen Bereich vergleichen.202 In Anleh197 Adam, Les organismes internationaux spécialisés, contribution à la théorie générale des établissements publics internationaux, Vol. V, 1992, S. 3 ff. 198 Vgl. die Definition bei Adam, Organismes internationaux, S. 15 ff. 199 Beispiele hierfür sind die Multilaterale Investitions-Garantie Agentur (MIGA) oder etwa die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Einen Überblick über die gesamte Bandbreite derartiger Institutionen gibt das mehrbändige Werk von Adam, Les organismes internationaux spécialisés, contribution à la théorie générale des établissements publics internationaux, Vol. I–V, 1965–1992. 200 Nicht zu verwechseln mit den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, die wiederum selbst Internationale Organisationen sind, vgl. Epping, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 32 Rn. 84. 201 Zum Sonderbereich der Agenturen der Europäischen Gemeinschaft und deren rechtlicher Einordnung vgl. Remmert, Die Gründung von Einrichtungen der mittelbaren Gemeinschaftsverwaltung, in: EuR (2003), S. 134–145; Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999; Berger, Vertraglich nicht vorgesehene Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1999; Zur Frage der etwaigen Völkerrechtspersönlichkeit solcher Agenturen siehe Nettesheim, in: v. Bogdandy (Hrsg.): Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 470, 471. 202 Adam, Organismes internationaux, S. 4: „On peut dire que la distinction entre l’établissement public international et l’organisation internationale est comparable, à certains égards, à celle entre l’administration public d’une part et le gouvernement de l’autre, à l’intérieur des Etats: celui-ci vise le pouvoir, alors que l’autre est faite de services. Certes, il y a toujours à la tête de l’administration publique, le gouvernement
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nung an die im innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Sprachgebrauch verwendeten Begriffe der mittelbaren Staatsverwaltung203 bzw. der mittelbaren Gemeinschaftsverwaltung204 könnte man zur Beschreibung von hoheitlicher Tätigkeit dieser Art den Begriff der mittelbaren internationalen Verwaltung verwenden. Wagt man diese begriffliche Anleihe, so drängt sich unweigerlich die Frage auf, welchem Hauptverwaltungsträger eine gegebene Behörde denn „mittelbar zuzurechnen“ ist.205 Von welchem Rechtssubjekt die betreffende Behörde also ins Leben gerufen wurde, wem somit eine Überwachungs- und Kontrollfunktion gegenüber dieser zukommt und wer letztlich über das Fortbestehen und die weitere Ausgestaltung der betreffenden Einrichtung entscheidet.206 Dies wäre auf nationaler Ebene der Staat, auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene die EG/EU und auf völkerrechtlicher Ebene wären es diejenigen Staaten, welche die internationale Behörde im Wege eines völkerrechtlichen Vertrags geschaffen haben bzw. diejenigen Internationalen Organisationen, die einen solchen Gründungsakt auf der Basis ihres Organisationsrechts vollzogen haben.207 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Behörde des Hohen Repräsentanten, so ist festzustellen, das auch eine Subsumtion unter die – freilich mit Grauzonen behaftete – skizzierte Figur der internationalen Behörde Schwierigkeiten bereitet. So ist das Amt des Hohen Repräsentanten auf der einen Seite auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrags errichtet, mit bestimmten Aufgaben und Kompetenzen sowie (innerstaatlicher) Rechtspersönlichkeit, Privilegien und Immunitäten versehen worden und zwar von den Parteien des Annex 10 des Friedensabkommens von Dayton. Es waren dies die Republik von Bosnien und Herzegowina, die Republik Kroatien, die damalige Bundesrepublik Jugoslawien sowie die beiden zumindest hierfür mit partieller Völkerrechtsfähigkeit ausgestatteten Landesteile Föderation von Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska. Rechtlich betrachtet haben diese (ehemaligen Konflikt-)Parteien das Organ des Hohen Repräsentanten geschaffen und wären mithin als „Herren des Vertrags“ diejenigen Zurechnungssubjekte, denen beispielsweise die Ausgestalqui l’organise et assure la tutelle sur elle, mais celle-ci, se préoccupe, non pas de la politique, mais des services, des individus ou du service des derniers.“ 203 Statt vieler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl., 2004, § 23 Rn. 1; Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., 2002, S. 818. 204 Vgl. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., 1999, Rn. 458; Uerpmann, Mittelbare Gemeinschaftsverwaltung durch gemeinschaftsgeschaffene juristische Personen des öffentlichen Rechts, in: AöR 125 (2000), S. 551 ff.; Remmert, in: EuR (2003), S. 134– 145. 205 Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Verwaltungsrecht, S. 818. 206 Vgl. Adam, Organismes internationaux, S. 3 ff. 207 Zur Frage der Zurechnung und der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Spannungsfeld Internationaler Organisationen und ihrer Mitgliedstaaten vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 109 ff.
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tung oder Änderung der Kompetenzen ihres „Geschöpfs“, dessen Aufsicht sowie die Entscheidung über seine Zukunft obliegen würde. In der Praxis haben die Parteien derartige Aufgaben vollständig der internationalen Gemeinschaft in Form des Friedensimplementierungsrats (PIC) überlassen, angefangen von der Ernennung der Amtsinhaber bis hin zur nachhaltigen Kompetenzausdehnung sowie politischer Lenkung und Kontrolle. Mit dem Staat Bosnien und Herzegowina, der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien, nunmehr Serbien und Montenegro sowie der Republik Kroatien, sind zwar die wesentlichen Vertragspartner bzw. deren Rechtsnachfolger neben ca. 50 weiteren Akteuren im Friedensimplementierungsrat vertreten, nicht jedoch wohlgemerkt in dessen Exekutivorgan, dem Steering Board, welches im Wesentlichen von Nordamerika und EU-Europa dominiert wird – nicht zuletzt aufgrund der enormen finanziellen und personellen Ressourcen, die diese beiden Akteure bereitstellen – und welches bei regelmäßigen Sitzungen auf unterschiedlichen Ebenen208 die diplomatischen und politischen Leitlinien des Vorgehens der Zivilverwaltung zusammen mit dem HR erörtert und festlegt. Vertreter des Staates Bosnien und Herzegowina sind bei diesen Treffen lediglich bisweilen als Gäste präsent. Das bedeutet, dass die „Trägerschaft“ des OHR formal betrachtet bei den unterzeichnenden Parteien, faktisch jedoch bei der in der benannten Zusammensetzung agierenden internationalen Gemeinschaft anzusiedeln ist. Eine genaue Zuordnung dieser Institution zu einem oder mehreren bestimmten Völkerrechtssubjekten fällt mithin auch unter Heranziehung der Rechtsfigur der internationalen Behörde schwer. Noch weniger geeignet erscheint die Bezeichnung „internationale Behörde“ eingedenk der enormen, im Bereich des Hochpolitischen angesiedelten Kompetenzfülle des Hohen Repräsentanten. Eine „Behörde“, die Präsidenten zu entlassen, Gesetze zu annullieren sowie zu erlassen vermag ist freilich auch auf internationaler Ebene ungewöhnlich – von der staatlichen ganz zu Schweigen. d) Bewertung Die vorangegangenen Betrachtungen zeigen auf, dass die in Literatur und Praxis für die Beschreibung des Organs des Hohen Repräsentanten häufig verwendete Begrifflichkeit der „internationalen Behörde“ allenfalls als untechnische Bezeichnung dienlich sein kann. Bei genauerem Hinsehen ist vielmehr festzustellen, dass die von einem formaljuristischen Unterbau durch völkerrechtlichen Vertrag und einer diplomatisch-politischen Lenkungsstruktur eingerahmte Administration des HR einer Klassifizierung anhand gängiger rechtlicher Organisationsformen nicht zugänglich ist. Die völkervertragsrechtliche Grundlegung ähnelt einer internationalen Behörde im technischen Sinne, die nachdrückliche 208
Vgl. die diesbezügliche Übersicht unter www.ohr.int/pic/archive.asp?sa=on.
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politische Steuerung und Einflussnahme durch die internationale Gemeinschaft erinnert eher an eine Internationale Organisation und die von den Vereinten Nationen sozusagen „abgesegneten“ umfangreichen Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb des Staates Bosnien und Herzegowina lassen die Annahme eines Unterorgans der Vereinten Nationen nahe liegend erscheinen. Die Rechtsnatur der internationalen Zivilverwaltung in Bosnien und Herzegowina stellt sich mithin als internationales Organ eigener Art, als ein Hybrid209 aus verschiedenen Strukturelementen und Merkmalen dar, das keinem Vorbild folgt. Abgesehen von dem dogmatischen Unbehagen, das ein derartiges Gebilde hervorruft, verbleibt der Versuch einer rechtlichen Kategorisierung des OHR aber keineswegs eine bloße völkerrechtsdogmatische Fingerübung von allenfalls theoretischem Nutzen, sondern stellt die trockene juristische Frage, welches Rechtssubjekt für Rechtsakte eines bestimmten Organs rechtlich verantwortlich zeichnet210 und welche gerichtliche Instanz nach welchem Recht letztlich als Kontrollorgan für einen bestimmten Akt in Betracht kommt. Die Beantwortung dieser Frage kann genauso wie im nationalen Privatrecht oder öffentlichen Recht auch auf internationaler Ebene z. B. für ein Rechtsschutz suchendes Individuum für den Erfolg seines Begehrens entscheidend sein. Auf diesen Aspekt wird im weiteren Verlauf der Untersuchung (Kapitel III) noch zurückzukommen sein. II. Die weiteren Säulen der internationalen Verwaltung Wie die bisherigen Ausführungen in den Kapiteln I und II bereits angedeutet haben, besteht die internationale Verwaltung in Bosnien und Herzegowina nicht nur aus der zentralen Zivilverwaltungsbehörde OHR, sondern aus einer Reihe von internationalen Akteuren. Vor dem Hintergrund der Frage der gerichtlichen Kontrolle internationaler Verwaltung, wird die vorliegende Arbeit den Blick auf Institutionen richten, die auf der Grundlage der verschiedenen Annexe des Abkommens von Dayton hoheitliche Gewalt in Bosnien und Herzegowina ausüben. Eine Vorstellung dieser thematisch relevanten Organe sowie eine Skizze ihrer Tätigkeitsbereiche erfolgt nicht in diesem Kapitel, sondern an späterer Stelle im konkreten Zusammenhang mit den spezifischen Fragestellungen der Rechtskontrolle.
209 Zu „hybriden“ internationalen Organisationsformen vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 96 ff. 210 Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 52, 67, 99; Brownlie, International Law, S. 665; Freitag, Rechtsschutz, S. 85; am Beispiel KFOR European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Opinion on Human Rights in Kosovo: Possible Establishment of Review Mechanisms, 11.10.2004, § 79.
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Bei diesen weiteren Akteuren der internationalen Verwaltung stellt sich freilich genauso wie im Falle der Behörde des Hohen Repräsentanten die Frage nach deren Rechtsnatur. Insoweit ist der vorangegangene Versuch einer völkerrechtlichen Klassifizierung des OHR exemplarisch zu verstehen. Die in diesem Zusammenhang gemachten prinzipiellen Überlegungen können grundsätzlich auch für die sonstigen internationalen Organe Gültigkeit beanspruchen. Konkret werden manche der noch näher zu betrachtenden Institutionen wohl als Unterorgane bestimmter Internationaler Organisationen aufzufassen sein (z. B. SFOR (NATO)211, IPTF (VN)), andere wird man eher – wie die Behörde des Hohen Repräsentanten – als internationale Organe eigener Art verstehen müssen (z. B. die Commission for Real Property Claims; die beiden Organe der Menschenrechtskommission; die unter Federführung der OSZE ins Leben gerufenen Instanzen etc.). Festzuhalten bleibt, dass auch in dieser Nische des großen Komplexes der Global Governance212, nämlich der internationalen Territorialverwaltung von Krisengebieten, die Funktions- und Hoheitsträger in rechtlicher Hinsicht mitunter ausgesprochen schwer kategorisierbar sind.213
211 Zur institutionellen Zuordnung der IFOR- bzw. SFOR-Mission vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 554 ff. Auch die Zuordnung derartiger Truppenverbände ist bisweilen nicht unproblematisch; zur EUFOR-Mission in Mazedonien, S. 572. 212 Die Commission on Global Governance gibt folgende Definition: „Governance is the sum of the many ways individuals and institutions, public and private, manage their common affairs. It is a continuing process through which conflicting or diverse interests may be accommodated and co-operative action may be taken. It includes formal institutions and regimes empowered to enforce compliance, as well as informal arrangements that people and institutions either have agreed to or perceive to be in their interest.“ Our Global Neighbourhood – the Report of the Commission on Global Governance, 1995, S. 2. 213 Zu diesbezüglichen Entwicklungslinien generell: Walter, Constitutionalizing (Inter)national Governance – Possibilites for and Limits to the Development of an International Constitutional Law, in: GYIL 44 (2001), S. 170 ff.; Slaughter, in: Foreign Affairs 76 (1997), S. 183 ff.; zur theoretischen Erfassung internationaler Territorialverwaltung vgl. Wilde, in: EJIL 15 (2004), S. 71 ff.
Kapitel III
Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung in Bosnien und Herzegowina Sed quis custodiet ipsos custodes?1
A. Das Schweigen des Abkommens von Dayton und des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Während bei der Ausarbeitung der umfangreichen Friedensregelung von Dayton einerseits auf die Verankerung von umfassenden Menschenrechtsgarantien und deren Durchsetzung durch verschiedene nationale und internationale Instanzen besonderes Augenmerk gelegt sowie andererseits – wie dargestellt – eine starke Internationalisierung des Verfassungsgefüges geschaffen wurde, ist der Frage der rechtlichen Kontrolle der verschiedenen internationalen Instanzen keine Bedeutung beigemessen worden. Die Annexe des Abkommens, welche die internationalen Akteure installieren, schweigen sich über diesen Punkt aus. Die Gründe für die Nichtbeachtung dieser Fragestellung sind wohl vorwiegend darin zu suchen, dass die internationale Gemeinschaft mit der Notwendigkeit einer derart eingriffsintensiven internationalen Verwaltung des Staates Bosnien und Herzegowina zum Zeitpunkt des Abschlusses des Abkommens von Dayton zunächst nicht gerechnet hatte – was insbesondere die zurückhaltende Formulierung des Annex 10 sowie die gesamte Konstruktion des Vertragsbündels nahelegen. Allerdings nahmen auch weder die nachfolgenden Resolutionen des VNSicherheitsrats noch die Erklärungen des PIC, die – geraume Zeit nach Vertragsschluss – die Befugnisse des Hohen Repräsentanten deutlich erweiterten, zu dieser Frage Stellung.2 Der Aspekt einer rechtlichen bzw. gerichtlichen Überprüfung der Handlungen internationaler Verwaltungsinstanzen erschien den Staaten und Organisationen, die den Friedensprozess beaufsichtigen und steu1
Juvenal, Satiren, Sechste Satire. Zu erwähnen ist, dass die Schaffung einer speziellen Kontrollinstanz bezüglich der Ausübung der „Bonn powers“ durch den HR zwischenzeitlich unter Mitwirkung deutscher Diplomaten angedacht worden ist. Dieses Gremium sollte sich aus hochrangigen Vertretern der Staates BiH sowie aus internationalen Experten zusammensetzen und die Praxis der Regierungsakte des HR kontrollieren. Konzeptionell handelte es sich dabei wohl um einen politischen Kontrollmechanismus, zu dessen Installation es – vermutlich aufgrund von Widerständen innerhalb des OHR – nie gekommen ist. 2
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
ern, offensichtlich auch nach bereits fortgeschrittenem Zeitablauf von untergeordneter Bedeutung. Als sich nach den Wirren der ersten beiden Nachkriegsjahre abzeichnete, dass die am grünen Tisch ausgehandelte Staatsstruktur von sich aus nicht ohne weiteres tragfähig sein würde, war das Bedürfnis nach einer raschen Stabilisierung und Entschärfung der angespannten politischen Lage groß. Insbesondere die bislang eher „ruhige Hand“ des Hohen Repräsentanten sollte zu einer „ordnenden Hand“, wenn nicht gar „harten Hand“ werden, um den stockenden Friedensprozess voranzutreiben. Ihm dabei juristische Fesseln anzulegen erschien nicht opportun, galt es doch für die internationale Gemeinschaft primär Autorität und Entschlusskraft zu beweisen und den an vielen Punkten angreifbaren Frieden von Dayton zu retten. Insoweit ist bezüglich einer Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina in den relevanten völkerrechtlichen und diplomatischen Akten und Verlautbarungen eine Regelungslücke festzustellen. Der Vergleich mit den zeitlich nachfolgenden und von Beginn an noch umfassenderen VN-Direktverwaltungen im Kosovo sowie in Ost-Timor zeigt, dass derartige Regelungslücken3 auch in Fällen bestehen, in denen eine internationale Administration zeitweise eine Staatlichkeit vollständig substituiert (hat). Im Falle der VN-Verwaltung im Kosovo ist freilich festzustellen, dass die Problemstellung der Rechtsbindung und Rechtskontrolle internationaler Akteure zumindest in Ansätzen relativ frühzeitig erkannt worden ist. So indiziert die grundlegende Resolution 1244 des VN-Sicherheitsrats eine Bindung der UNMIK an internationale Menschenrechtsgarantien.4 Nachfolgend verkündete die UNMIK-Gesetzgebung die Bindung jeglicher Ausübung von öffentlicher Gewalt an ebendiese Standards.5 Schließlich wurde die Institution einer Ombuds3 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 74; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 150. 4 S/RES/1244, 10.06.1999: „11. Decides that the main responsibilities of the international civil presence will include: [. . .] (j) Protecting and promoting human rights“; zu verweisen ist auch auf die sieben Monate dauernde Verwaltungsmission der VN in West Neuguinea (UNTEA, 1962–1963). Bereits bei dieser frühen VN-Direktverwaltung wurde von seiten der VN ausdrücklich klargestellt, dass die Organisation sowie ihre Nebenorgane wie vor Ort eingesetzte Verwaltungsorgane an die fundamentalen Menschenrechtsverbürgungen gebunden sind. Die VN haben also schon zu dieser Zeit zu erkennen gegeben, dass aus Art. 1 Abs. 3 VN-Charta nicht nur ihre Verpflichtung folgt, auf die Beachtung der Menschenrechte durch die Mitgliedstaaten hinzuwirken, sondern auch die Pflicht, die Menschenrechte selbst zu achten, sofern die Organisation der VN sich in einer staatsähnlichen Rechtsposition befindet. Hierzu Schmalenbach, Haftung, S. 438 f. 5 UNMIK Regulation 1999/24, § 3: „In exercising their functions, all persons undertaking public duties or holding public office in Kosovo shall observe internationally recognized human rights standards, as reflected in particular in: The Universal Declaration of Human Rights of 10 December 1948; The European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms of 4 November 1950 and the Protocols thereto; The International Covenant on Civil and Political Rights of 16
B. Die kontrollrelevanten Rechtsbereiche
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person ins Leben gerufen, die ausdrücklich auch Beschwerden über etwaige Menschenrechtsverletzungen der zivilen Übergangsverwaltung zu untersuchen hat.6 Freilich stellen die Untersuchungen, Ergebnisse und Empfehlungen dieser Instanz keine gerichtliche Kontrolle dar.7 Die Schaffung der Ombudsperson reflektiert allerdings ein erstes Bewusstsein für das Spannungsfeld von Rechten und Verpflichtungen internationaler Treuhandverwaltungsmissionen.8 Dieses Problembewusstsein hatte sich zuvor im Falle Bosnien und Herzegowinas erst langsam entwickeln müssen.
B. Die kontrollrelevanten Rechtsbereiche I. Der primäre Rechtsschutz 1. Der kompetenzielle Bereich Der Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft ist durch das Abkommen von Dayton und die darauf folgenden Erweiterungen seiner Befugnisse zu einer zentralen Instanz im Verfassungsleben, zu einer Art Quasi-Verfassungsorgan von Bosnien und Herzegowina geworden, welches mit einer Vielzahl von Entscheidungen von teilweise schwer zu bestimmender Rechtsnatur9 massiven Einfluss auf das politische Tagesgeschehen nimmt und genommen hat. Um das in der Staatsstruktur angelegte Risiko dauerhafter ethnischer Blockade des demokratischen Willensbildungsprozesses zu umgehen, hat der HR eine Vielzahl von Gesetzen in Kraft gesetzt, modifiziert oder annulliert, u. a. auch die VerfassunDecember 1966 and the Protocols thereto; [. . .]“. UNMIK Regulations sind abrufbar unter www.unmikonline.org/regulations/index.htm. 6 UNMIK Regulation 2000/38, § 3.1: „The Ombudsperson shall have jurisdiction to receive and investigate complaints from any person or entity in Kosovo concerning human rights violations and actions constituting an abuse of authority by the interim civil administration or any emerging central or local institution.“. Hierzu auch Schmalenbach, Haftung, S. 465 ff. Zur Frage der Rechtsbindung der zweiten Säule der internationalen Verwaltung im Kosovo, der NATO-Friedenstruppe KFOR, vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 151 f. 7 Vgl. Brand, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 482; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 165. Weitere Informationen unter www.ombudspersonkosovo.org. 8 Vgl. Brand, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 462, 465. Das Problem einer Rechtskontrolle von internationalen Verwaltungsinstanzen wird aufgrund der ungeklärten Statusfrage im Kosovo allerdings voraussichtlich noch länger als in BiH aktuell sein. Dazu European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms. 9 Die Entscheidungen des HR werden nicht etwa nach legislativen, exekutiven oder gar justiziellen Akten unterschieden, sondern werden schlicht als Decisions bezeichnet. Dieser Umstand ist der typischerweise ebenfalls nicht gewaltenteiligen Kompetenzausübung von Besatzungsmächten nicht unähnlich. Hierauf wird noch an späterer Stelle einzugehen sein.
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gen der beiden Gliedstaaten abgeändert. Diese legislativen Akte werfen insbesondere Fragen nach den Kompetenzen des HR im Bereich der Gesetzgebung auf: Nach dem Verhältnis des HR zu den nationalen Parlamenten, nach seiner Bindung an nationales Verfassungsrecht und die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen10 Rechtskontrolle dieser Akte durch das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina (BIHVG), z. B. im Wege von Normenkontrollverfahren nach nationalem Verfassungsrecht. 2. Der Bereich des Individualrechtsschutzes Der zweite zentrale Aspekt betrifft den Schutz individueller Rechte11 bei Einzelentscheidungen des HR sowie der weiteren internationalen Instanzen. In diesem Bereich haben insbesondere die enorme Anzahl von „Amtsenthebungen“ im weiteren Sinne den Ruf nach Rechtskontrolle von Akten des HR sowie die Kritik an angeblich schrankenloser Machtausübung durch die internationale Zivilverwaltungsbehörde laut werden lassen.12 Diese zahlreichen Entfernungen von teilweise gewählten Amts- und Mandatsträgern aus ihrer Position, bisweilen in Kombination mit zusätzlichen Sanktionen wie dem Verbot der Teilnahme an Wahlen bzw. sonstiger politischer Betätigung, werfen besonders Fragen auf nach etwaigen Verletzungen von rechtstaatlichen – internationalen und nationalen – Verfahrensgarantien (zu denken ist an Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK, sowie Art. II.2, 3 und 6 BIHV), speziellen Menschenrechtsverbürgungen, aber auch von Normen, die demokratische Rechte gewährleisten (z. B. Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK).13 Auf die sonstigen grundrechtsrelevanten Eingriffstätigkeiten ist weiter oben bereits hingewiesen worden.14 Insbesondere aufgrund der nachdrücklichen (materiellen und institutionellen) Internationalisierung des Menschenrechtschutzes durch das Abkommen von Dayton würden signifikante Rechtsschutzdefizite gegenüber der internationalen Verwaltung in diesem Bereich eine besondere Diskrepanz darstellen. Sofern sich die Wirkungen der Eingriffsbefugnisse der internationalen Verwaltung dergestalt vollzie10 Folgende Anleihe aus dem deutschen öffentlichen Recht sei zur Verdeutlichung gestattet: Von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit (§ 40 Abs. 1 VwGO) ist zu sprechen, wenn sich zwei Organe des Verfassungslebens inhaltlich um Verfassungsrecht streiten; im vorliegenden Fall handelt es sich um Konflikte von Verfassungsorganen mit einem „quasi-Verfassungsorgan“. 11 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Alivizatos u. a. (Hrsg.), Essays in honour of G. I. Kassimatis, 2004, S. 289, der den Individualrechtsschutz als Essentiale moderner Rechtsstaatlichkeit bezeichnet. 12 Vgl. FAZ v. 30.08.2003, S. 3: „Die Macht der Gewohnheit“; Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 60 ff. 13 Vgl. Steiner/Ademovich, in: Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), Bosnien-Herzegowina im Horizont Europas, Demokratische und föderale Elemente der Staatswerdung in Südosteuropa, 2003, S. 126. 14 Siehe Kap. II. C. I. 2.
B. Die kontrollrelevanten Rechtsbereiche
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hen, dass die staatlichen Behörden sozusagen auf Geheiß der internationalen Organe deren Entscheidungen umsetzen, ist an Rechtsschutz gegenüber dem Staat zu denken (indirekte Rechtskontrolle internationaler Verwaltung). Wo hingegen Akte der internationalen Verwaltung, insbesondere des HR, unmittelbare Wirkung im nationalen Rechtsraum entfalten und auf Rechtspositionen des Einzelnen einwirken, stellt sich die Frage nach einer direkten Rechtskontrolle dieser Maßnahmen. II. Der sekundäre Rechtsschutz Wie in sonstigen Friedensmissionen der internationalen Gemeinschaft mit militärischen oder zivilen Elementen existieren auch im Beispielsfall Bosnien und Herzegowina Regelungen und Wege, durch die eine außervertragliche, staatshaftungsähnliche Verantwortlichkeit der internationalen Akteure realisiert werden kann. Über die Haftung der typischerweise schadensgeneigten militärischen Komponente des internationalen Engagements, IFOR bzw. SFOR, findet sich eine Regelung in Annex 1-A des Daytoner Abkommens15, die durch zusätzliche technische Vereinbarungen („Technical Agreements“) ausbuchstabiert wurde und zur Einrichtung eines zweiinstanzlichen Schadensregulierungsverfahrens („Claims Commission“; Schiedsgericht) mit rechtsverbindlichen Entscheidungen führte.16 Für die Abwicklung der deliktischen Haftung der Zivilverwaltungsbehörde OHR exisitieren zwar keine ausdrücklichen Regelungen im Abkommen von Dayton. Es sind auch keine speziellen quasi-gerichtlichen Mechanismen zur Streitentscheidung eingerichtet worden. Das OHR verfolgt jedoch eine Politik der großzügigen außergerichtlichen Schadenskompensation über seinen umfassenden Haftpflichtversicherungsschutz.17 Der Blick auf diese beiden zentralen Säulen der internationalen Präsenz in BiH zeigt, dass die Organe der internationalen Gemeinschaft Wert darauf legen, dass ihre Beziehungen zu den Bürgern vor Ort nicht durch ungeklärte Schadenersatzforderungen getrübt werden.18 Insofern ist man von internationaler Seite an einer reibungslosen Abwicklung derartiger Fälle interessiert. Wie in der Ein15 Annex 1-A, Appendix B, Agreement between the Republic of Bosnia and Herzegowina and the North Atlantic Treaty Organization (NATO) Concerning the Status of NATO and its Personnel, Ziff. 15: „Claims for damage or injury to Government personnel or property, or private personnel or property of the Republic of Bosnia and Herzegovina shall be submitted through governmental authorities of the Republic of Bosnia and Herzegovina to the designated NATO Representatives.“ 16 Zu Einzelheiten der Schadensregulierung betreffend IFOR/SFOR siehe die Darstellungen bei Schmalenbach, Haftung, S. 556 ff., 563 f.; Prescott, in: NZWehr 1998, S. 71 ff.; zur Realisierung der Haftung von UNPROFOR vgl. z. B. die Entscheidung des BIHVG U 28/00. 17 Diese Praxis des OHR ist nicht durch öffentlich zugängliche Quellen dokumentiert. Die Handhabung dieser Fälle erfolgt ausschließlich anhand interner Regelungen.
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führung bereits angedeutet, stehen diese Haftungsfragen allerdings nicht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung.
C. Gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung auf der Grundlage des Abkommens von Dayton Weder für die Schaffung von internationalen Organisationsformen im Allgemeinen noch für das Installieren treuhänderischer Verwaltungsmissionen durch die Staatengemeinschaft im Besonderen besteht ein Formenzwang nach internationalem Recht.19 Genauso wie bei klassischen Peacekeeping-Missionen stellt die Einsetzung internationaler Verwaltungsstrukturen stets eine Reaktion auf politische, diplomatische, humanitäre bzw. militärische Erfordernisse und Zwänge der konkreten Krisensituation dar.20 Der politische und zeitliche Druck, dem die jeweils handelnden internationalen Akteure angesichts einer unmittelbaren Notstandslage ausgesetzt sind, kombiniert mit den mitunter erheblich divergierenden Ansichten der Beteiligten über das richtige Vorgehen bei der Krisenbewältigung führen dazu, dass den auf diesem Wege gefundenen Ansätzen zur Konfliktbewältigung eher Lücken und konzeptionelle Schwächen anhaften als z. B. der langfristigen Planung und Errichtung von ständigen Internationalen Organisationen und Behörden. Die Situation in Bosnien und Herzegowina ist ein extremes Beispiel dafür, wie sich verschiedene und verschiedenartige internationale Organe und Institutionen in einem Konfliktszenario wiederfinden, ohne dass deren Kompetenzen, Rechtsnatur und Verhältnis zueinander bzw. zu den staatlichen Stellen im Einzelnen stets ohne weiteres zu identifizieren gewesen wären.21 Angesichts der Einzelfallbezogenheit solcher internationalen Verwaltungsregime ist für eine rechtliche Betrachtung zunächst deren unmittelbare völkerrechtliche Begründung in den Blick zu nehmen, sei dies ein völkerrechtlicher Vertrag (BiH) oder z. B. eine Resolution des VN-Sicherheitsrats (Kosovo). Als lex specialis22 geht ein auf derartiger Grundlage errichtetes Rechtsregime den allgemeinen völkerrechtlichen Normen vor, es sei denn, es verstößt gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens)23. Erweist sich jedoch die konkrete Regelung des Einzelfalls in bestimmter Hinsicht als unzureichend und lückenhaft, wird 18 Vgl. Prescott, in: NZWehr 1998, S. 78. Zur Praxis der Schadensregulierung durch UNMIK/KFOR im Kosovo vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 61. 19 Vgl. Hartwig, Haftung, S. 332 ff. 20 Vgl. v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 349. 21 Vgl. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 815; Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 686. 22 Vgl. Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 379. 23 Für völkerrechtliche Verträge ist dies in Art. 53 WVK geregelt.
C. Kontrolle nach dem Abkommen von Dayton
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die Frage relevant, inwieweit allgemeine Normen des Völkerrechts den fraglichen Problemkreis regeln und für den betreffenden Fall herangezogen werden können.24 Demzufolge findet zunächst eine Betrachtung des Problemfelds der gerichtlichen Kontrolle internationaler Verwaltungsorgane statt, wie es sich auf der rechtlichen Basis der in Dayton getroffenen Abreden darstellt (C.). Nachfolgend werden dieser Analyse des konkreten Anwendungsfalls einige Gedanken gegenübergestellt, die das Problem aus der Perspektive des allgemeinen Völkerrechts beleuchten (D.). Abschließend erfolgt ein Fazit aus der Betrachtung der speziellen und der allgemeinen Perspektive sowie der Versuch, einen möglichen Lösungsansatz für das Problem aufzuzeigen (E.). I. Die duale Verfassungswirklichkeit von Bosnien und Herzegowina Die staatsrechtliche Besonderheit des Staates von Bosnien und Herzegowina nach dem Friedensabkommen von Dayton im Jahre 1995 liegt im Bestehen einer Art Co-Administration durch nationale und internationale Hoheitsträger.25 Im Gegensatz zur VN-Verwaltung im benachbarten Kosovo26, in dem es bislang zu keiner Klärung der Frage der zukünftigen Staatlichkeit, geschweige denn zu einer Verfassung gekommen ist, ist Bosnien und Herzegowina ein souveränes Mitglied der Vereinten Nationen mit einer vollständigen (föderalen) Staats- und Verfassungsstruktur. Die Tatsache, dass die beiden Kernkomponenten des Daytoner Friedensschlusses, nämlich die föderale Verfassung des Staates Bosnien und Herzegowina (Annex 4) einerseits sowie die vielschichtige internationale Kontroll- und Verwaltungsstruktur (insb. Annex 10) andererseits, in einem völkervertraglichen Akt als Annexe zu einer allgemeinen Friedensregelung vereinbart worden sind, legt den Schluss nahe, dass diese beiden Elemente der Verfassungswirklichkeit des Landes rechtlich aufeinander abgestimmt sind. Dies ist jedoch nicht so.27
24 Vgl. Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Weltsicherheitsrats: Die Überprüfung nichtmilitärischer Zwangsmaßnahmen durch den Internationalen Gerichtshof, 1996, S. 62; Hobe/Griebe, Privatisierungsmaßnahmen der UNMIK im Kosovo – Mögliche Rechtmäßigkeitsgrenzen im Resolutionsmandat und im allgemeinen Völkerrecht, in: Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, FS für Georg Ress, 2005, S. 141, 145, 149. 25 Vgl. Smyrek, Internationally Administered Territories, S. 166 ff. 26 Auch die Rechtsordnung des Kosovo unter der UNMIK-Verwaltung setzt sich aus internationalen und nationalen Komponenten zusammen: Dem internationalen Mandat von UNMIK (Resolution des VN-Sicherheitsrats 1244 (1999)), den UNMIK-Verordnungen sowie dem auf dem Gebiet des Kosovo fortgeltenden nationalen Recht, vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 57; Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 613, 623; Schmalenbach, Haftung, S. 462 ff.; Brand, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 470.
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Die in Annex 4 enthaltene Verfassung erwähnt die Behörde des HR mit keinem Wort. Der Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft wird weder ausdrücklich als Staats- oder Verfassungsorgan bezeichnet, noch wird sonst auf seine Stellung im Verfassungsleben des Landes eingegangen.28 Demgegenüber enthält Annex 10, der als genuin völkerrechtliches Dokument aufzufassen ist, also grundsätzlich nicht wie Annex 4 für eine Überführung in den staatsrechtlichen Bereich geeignet ist, keine explizite Regelung der Frage, ob und wie die eben dort verankerten Befugnisse des HR sich in das verfassungsrechtliche Grundgerüst des Staates einzufügen haben. Die Annexe 4 und 10 stehen mithin formal beziehungslos nebeneinander, als würden sie zwei Regelungsbereiche betreffen, die keine Interaktion aufweisen. Es lässt sich keine Aussage darüber auffinden, in welchem Verhältnis das Mandat der internationalen Zivilverwaltung durch die Behörde des HR zur nationalen Verfassungsordnung steht, was im Falle von Kollisionen von beiden Komponenten zu gelten hat, ob beispielsweise eine Art Vorrangverhältnis der Rechtsakte des HR gegenüber den Verfassungsorganen besteht etc.29 Kurz: Die Daytoner Vertragstexte und deren nachfolgende Auslegung konstituierten für Bosnien und Herzegowina eine duale Verfassungswirklichkeit bestehend aus einem nationalen Staatswesen und einer internationalen Verwaltungsstruktur als einer Art verfassungsrechtliches „Paralleluniversum“30. Kollisionen zwischen den Verfassungsorganen de jure und dem Hohen Repräsentanten als de facto Verfassungsorgan waren allerdings insbesondere seit der Aufnahme einer verstärkten Eingriffstätigkeit durch den HR unausweichlich geworden.31 Die Frage stellte sich, ob der HR bei der Wahrnehmung seiner Kompetenzen an nationales Recht, also insbesondere an die in Dayton vereinbarte Verfassung gebunden ist bzw. ob und gegebenenfalls durch wen eine solche Rechtsbindung kontrolliert werden kann. 27 Vgl. Marko, Fünf Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit in Bosnien und Herzegowina: Eine erste Bilanz, in: Funk/Holzinger/Klecatsky u. a. (Hrsg.), FS Adamovich, S. 393. 28 Zu bemerken ist auch, dass die Behörde des HR im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ausbildung im universitären Bereich Bosnien und Herzegowinas fast vollständig ausgeblendet, nahezu totgeschwiegen wird. Für andere Aspekte der internationalisierten Verfassungslandschaft ist dies wohlgemerkt anders, vgl. Sarajlia, Aufnahme, S. 113 ff. 29 Eine Regelung über die Kollision von Besatzungsgewalt und staatlicher Verfassung enthält z. B. Art. 139 GG: „Die zur ,Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ Die Norm besagt, dass Entnazifizierungsvorschriften der Besatzungsmächte ungeachtet ihres etwaigen Widerspruchs zur Verfassung unbeeinträchtigt fortgelten sollen. Eine Überprüfung des BVerfG ist dadurch ausgeschlossen. Vgl. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 139 Rn. 10. 30 Zur Frage von Schein und Sein im Bereich der parlamentarischen Arbeit von Bosnien und Herzegowina vgl. FAZ v. 30.08.2003, S. 3: „Die Macht der Gewohnheit“. 31 Vgl. Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 487, 493.
C. Kontrolle nach dem Abkommen von Dayton
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Klarzustellen ist zunächst Folgendes: Bei Internationalen Organisationen klassischer Art ist es unbestritten, dass diese grundsätzlich an die nationale Rechtsordnung, in der sie operieren, gebunden sind. Etwas anderes wäre auch sinnwidrig, da sie ja gerade zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen und Aufgaben im nationalen Recht regelmäßig Rechtspersönlichkeit zugewiesen bekommen, also insbesondere im Zivilrechtsverkehr aber auch im öffentlich-rechtlichen Bereich handlungsfähig sind. Sie sind demzufolge auch an eben dieses nationale Recht gebunden. Die etwaige Immunität einer Internationalen Organisation ist nur ein Verfahrenshindernis, das an dieser prinzipiellen Rechtsbindung nichts ändert.32 Diese Überlegung gilt grundsätzlich auch für die Behörde des HR.33 Solche prinzipiellen Rechtsbindungen können allerdings Einschränkungen erfahren durch das spezielle Mandat des betreffenden internationalen Organs. Das gilt insbesondere für internationale Notstandsverwaltungen34, denen zur Krisenbewältigung z. B. im Wege eines völkerrechtlichen Vertrags besondere Kompetenzen und Handlungsrahmen zugestanden werden können. Das Problem insbesondere hinsichtlich des HR war also die Frage, wie weit seine Rechtsbindung gehen kann mit Blick auf sein internationales Mandat, dessen Umfang zunächst unklar gewesen war. Auf Seiten der Behörde des HR herrschte aufgrund der mangelnden ausdrücklichen Kompetenzeingrenzung die Auffassung vor, dass die Akte des HR einen grundsätzlichen Vorrang vor der nationalen Rechts- und Verfassungsordnung beanspruchen können und insoweit auch keiner Kontrolle unterliegen.35 Insbesondere der Art. V von Annex 10, der den HR als „final authority in theatre“ bezüglich der Auslegung der zivilen Aspekte der Friedensregelung konstituiert sowie die nachfolgenden erweiternden Auslegungen des Annex 10 deuten jedenfalls nicht auf eine Verfassungsbindung oder gar eine gerichtliche Kontrolle des HR hin. Auf der anderen Seite ist mit dem Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina (BIHVG) ein dem deutschen Bundesverfassungsgericht in mancherlei Hinsicht nicht unähnlicher nationaler Hüter der Verfassung geschaffen worden, der aufgrund seiner teilweise internationalen Besetzung mit namhaften ausländischen Juristen36 ein zusätzliches Gewicht erhalten und der 32
Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1612; Wenckstern, Immunität, S. 143. Vgl. Art. 41 (1) des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (1961), welcher für den HR gem. Art. 3 Nr. 4, Annex 10 DPA einschlägig ist. 34 Vgl. für die Rechtsbindung von UNMIK und KFOR im Kosovo Art. 2 der Joint Declaration v. 17.08.2000: „UNMIK and KFOR personnel shall respect the laws and regulations applicable within Kosovo in accordance with UNMIK regulations 1999/1 and 1999/4 insofar as they do not conflict with the fulfilment of the mandates given to UNMIK and KFOR by the Security Council.“, abrufbar unter www.unmikonline. org; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 21; Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 346, 372. 35 Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 127. In diese Richtung auch Schumacher, Berliner Tagesspiegel v. 29.07.1999, zit. bei Winkelmann, Protektorat, S. 18; vgl. Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 842 Fn. 44. 33
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im konfliktträchtigen, fragilen und diffizilen Verfassungsgefüge des Landes eine besonders heikle Rolle auszufüllen hat.37 Anders als im Falle der internationalen VN-Verwaltung des Kosovo, in dem sich mangels nationaler Verfassung eine Rechtsbindung der Verwalter fast ausschließlich aus Völkerrecht herleiten lässt und für eine Rechtskontrolle infolge des Nichtvorhandenseins adäquater nationaler Instanzen primär internationale Gremien38 in Frage kommen, kommt in Bosnien und Herzegowina als ein möglicher Kontrollmaßstab auch eine nationale Verfassung und als mögliches Kontrollorgan eine nationale Gerichtsbarkeit mit dem BIHVG an deren Spitze in Betracht. Hinter der Frage nach der rechtlichen Einordnung der internationalen Hoheitsgewalt innerhalb der nationalen Verfassungsstaatlichkeit steht letztlich die Frage, inwieweit sich die internationale Gemeinschaft bei ihrem Handeln an denjenigen Maßstäben messen lassen muss, die sie selbst vor Ort verankern will. Diese Problemstellung wird in Bosnien und Herzegowina besonders deutlich, da neben der internationalen Verwaltung der ebenfalls durch die internationale Gemeinschaft installierte Verfassungsstaat existiert und somit etwaige Widersprüche zwischen dem zu erstrebenden Respekt vor einer normativen Grundordnung rechtsstaatlicher und demokratischer Prägung und dem tatsächlichen Handeln der internationalen Treuhänder in besonderem Maße sichtbar werden. Die Gefahr einer offensichtlichen Entwertung der Werte- und Kompetenzordnung der offiziellen Verfassung durch deren etwaige Umgehung oder Verletzung durch die internationalen Verwalter ist in einer derartigen dualen Verfassungswirklichkeit größer als in Fällen einer Direktverwaltung eines Gebietes durch die Staatengemeinschaft wie im Kosovo oder in Ost-Timor. Anders formuliert: Zu klären ist das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel. Der Zweck ist das selbsttätige Funktionieren der Verfassungsstaatlichkeit in Bosnien und Herzegowina, das Mittel, mit dem die internationale Gemeinschaft hierfür die notwendigen Voraussetzungen schaffen will, ist die massive Einflussnahme, insbesondere durch die Behörde des HR. Ist es notwendig und sinnvoll zum Zwecke der Durchsetzung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit gerade diese Werte teilweise massiv zu untergraben durch Eingriffe in die Tätigkeit von gewählten Parlamenten bzw. durch Eingriffe in Grundrechte von Einzelpersonen? Können 36
Zur internationalen Besetzung des Gerichts siehe unter Kap. I. D. IV. Es sei insoweit nur die Nachjustierung des „ethnischen Prinzips“ in der Verfassungslandschaft durch die Rechtsprechung des BIHVG erwähnt; insoweit ist das BIHVG auch als bedeutender Motor der Integration zu verstehen, vgl. Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 834. 38 Zum Amt der sog. Ombudsperson vgl. Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 166 ff.; insgesamt zur Frage der Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung im Kosovo vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms. 37
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diese Ziele nur erreicht werden, wenn eine Zeit lang auf dem Wege von Notverordnungen ein Land „auf Vordermann“ gebracht wird oder aber kann in glaubwürdiger Weise die Verankerung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nur durch das eigene Vorleben dieser Werte durch die Vertreter der internationalen Gemeinschaft verwirklicht werden? Dabei fordert nicht nur der Blickwinkel einer „regulären“ Staatsverfassung die Frage nach einer rechtlichen Einbindung und Kontrolle von Hoheitsträgern heraus, sondern auch das Verständnis der internationalen Verwaltungsorgane als Elemente einer internationalisierten Notstandsverfassung39 als möglicherweise paradigmatischer Weg zur Bewältigung staatlicher Krisen durch die internationale Gemeinschaft. Auch Regelungen eines staatlichen Notstands erfordern schließlich eine grundsätzliche Bindung an die Verfassung, andernfalls höhlen sie die Verfassung aus und tragen somit nichts zur Überwindung einer Verfassungskrise bei, da sie dann den regulären Verfassungsorganen eine Flucht aus der Verantwortung ermöglichen und somit letztlich die verfassungsmäßigen Funktionsmechanismen nicht gestärkt, sondern ausgehölt werden.40 Braucht eine Notstandsverfassung also nicht Regelungen, die klarstellen, wann sie inhaltlich und zeitlich eingreift? Müßte nicht klargestellt werden, welche rechtlichen Bindungen bestehen bleiben und welche Kontrollmöglichkeiten gerichtlicher Natur bestehen? Muss nicht auch eine Notstandsverfassung ihr grundsätzliches Festhalten an der verfassungsmäßigen Ordnung deutlich machen? Diese Fragen sind in Dayton ausgespart worden. Es oblag und obliegt somit der Praxis, diese zu beantworten. Der Konflikt zwischen der nationalen und der internationalen Verfassungskomponente war insoweit unausweichlich. II. Das BIHVG als Akteur im Spannungsfeld von nationaler und internationaler Rechtsordnung Mit Blick auf die komplexe und asymmetrische Föderalstruktur des Staates Bosnien und Herzegowina mit einer starken Stellung der Gliedstaaten und demgegenüber schwachen gesamtstaatlichen Kompetenzen sowie der bis heute nicht vollständig zum Erliegen gekommen Gefahr eines ethnisch begründeten Auseinanderdriftens der Landesteile erscheint die Schaffung eines Verfassungsgerichts41 auf gesamtstaatlicher Ebene als Hüter42 dieser in besonderem Maße 39 In diese Richtung z. B. International Crisis Group, Policing the Police in Bosnia: A Further Reform Agenda, ICG Balkans Report No. 130 (2002), S. 55. 40 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 723 ff.; Böckenförde, in: NJW 31 (1978), S. 1885 f.; Hesse, in: JZ 15 (1960), S. 105 ff. 41 Dazu allgemein Favoreu, La Cour Constitutionelle de la Bosnie-Hercégovine, in: Fraisseix (Hrsg.), Mélanges P. Gélard, 2000, S. 273 ff.; Maziau, in: RFDC 41 (2000), S. 185 ff.; Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 385 ff.; Begic´, Rolle des Verfassungsgerichts, S. 43–49.
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konfliktanfälligen Staatlichkeit folgerichtig. Die Zuständigkeiten des BIHVG sind in Art. VI.3 BIHV enumerativ aufgeführt, es sind die folgenden43: 3. Jurisdiction. The Constitutional Court shall uphold this Constitution. a) The Constitutional Court shall have exclusive jurisdiction to decide any dispute that arises under this Constitution between the Entities or between Bosnia and Herzegovina and an Entity or Entities, or between institutions of Bosnia and Herzegovina, including but not limited to: – Whether an Entity’s decision to establish a special parallel relationship with a neighboring state is consistent with this Constitution, including provisions concerning the sovereignty and territorial integrity of Bosnia and Herzegovina. – Whether any provision of an Entity’s constitution or law is consistent with this Constitution. Disputes may be referred only by a member of the Presidency, by the Chair of the Council of Ministers, by the Chair or a Deputy Chair of either chamber of the Parliamentary Assembly, by one-fourth of the members of either chamber of the Parliamentary Assembly, or by one-fourth of either chamber of a legislature of an Entity. b) The Constitutional Court shall also have appellate jurisdiction over issues under this Constitution arising out of a judgement of any other court in Bosnia and Herzegovina. c) The Constitutional Court shall have jurisdiction over issues referred by any court in Bosnia and Herzegovina concerning whether a law, on whose validity its decision depends, is compatible with this Constitution, with the European Convention for Human Rights and Fundamental Freedoms and its Protocols, or with the laws of Bosnia and Herzegovina; or concerning the existence of or the scope of a general rule of public international law pertinent to the court’s decision. 4. Decisions. Decisions of the Constitutional Court shall be final and binding.
Dem BIHVG sind mithin klassische verfassungsgerichtliche Verfahrensarten zugewiesen, die insbesondere dem deutschen Juristen im Hinblick auf die Zuständigkeiten des BVerfG vertraut erscheinen. So lassen sich Zuständigkeiten ausmachen für Streitigkeiten zwischen den einzelnen Gliedern des Föderalstaates (zwischen den Entitäten und dem Gesamtstaat bzw. zwischen den beiden Entitäten, vgl. Art. VI.3 a) BIHV), Organstreitigkeiten (Art. VI.3 a) BIHV), abstrakte Normenkontrollen (Art. VI.3 a) BIHV, zweiter Spiegelstrich), Verfassungsbeschwerden (Art. VI.3 b) BIHV) sowie konkrete Normenkontrollen (Art. VI.3 c) BIHV).44
42
Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 415. Die bislang einzige authentische Fassung ist diejenige in englischer Sprache; vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 112 Fn. 15; Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 58. 44 Eine Besonderheit des Gerichts besteht in der Mischung aus verfassungsgerichtlichen Kompetenzen und Zuständigkeiten als höchstes Instanzgericht (Appellationsju43
C. Kontrolle nach dem Abkommen von Dayton
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Die Formulierungen der Zuständigkeiten sind teilweise missverständlich oder zumindest vage und gewähren somit beträchtlichen Auslegungsspielraum.45 Bemerkenswert ist auch die Auffangklausel in Art VI.3 a) BIHV („. . . including, but not limited to . . .“), wodurch für noch weitere denkbare verfassungsrechtliche Streitigkeiten eine Zuständigkeit des BIHVG eröffnet wird. Dem Gericht ist mithin ein umfangreiches Instrumentarium zur Entscheidung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten an die Hand gegeben, welches nicht zuletzt aufgrund seiner inhaltlichen Weite und Unbestimmtheit einer Ausfüllung und Konkretisierung durch seine Judikate bedurfte. Diese Zuständigkeitsordnung scheint sich in reinen nationalen Verfassungsfragen zu erschöpfen, über eine etwaige Kompetenz zur Überprüfung von Rechtsakten der internationalen Gemeinschaft wird nichts ausgesagt. Aus der enumerativen Kompetenzaufzählung könnte geschlossen werden, dass eine in den Bereich der internationalen Verwaltung und somit in die anderen Annexe der Friedensregelung übergreifende Prüfungszuständigkeit des Gerichts mangels ausdrücklicher Zuweisung ausgeschlossen ist.46 Die einerseits noch nicht vollständig ausgeloteten Zuständigkeitsregelungen sowie die andererseits in der Praxis herandrängenden Kollisionen von nationalen und internationalen „Komponenten“ der Friedensregelung und somit des Verfassungslebens führten jedoch dazu, dass das Gericht sich mit diesem Spannungsverhältnis auseinanderzusetzen hatte. „The Constitutional Court shall uphold this Constitution47“, so lautet gemäß Art. VI.3 BIHV der zentrale Auftrag des Gerichts. Aber was ist diese Verfassung48? Wer oder was ist Teil dieser Verfassung und somit ihr unterworfen? Das Ergebnis ist eine beachtliche Rechtsprechung, die unterschiedliche Aspekte und Facetten des Verhältnisses von nationaler Verfassungsordnung und dem Interventionshandeln der internationalen Gemeinschaft beleuchtet und dabei Grundfragen des Verhältnisses von nationaler und internationaler Rechtsordnung49 aufgeworfen hat, die über den Anwendungsfall von Bosnien und Herzerisdiktion in Verfassungsfragen, Art. VI.3 b) BIHV), vgl. Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 49, 50. 45 Zur ungeschickten und missverständlichen Formulierung der Zuständigkeit des Gerichts für abstrakte Normenkontrollen, die eine Verknüpfung mit föderalen bzw. Organstreitigkeiten indiziert, sowie zur Frage der Auslegung der Zuständigkeitsregelung für Verfassungsbeschwerden vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 113 f. 46 Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 113. Zur Frage, ob das BIHVG gar als internationales Gericht aufzufassen sei, zu Recht ablehnend European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Amicus Curiae Opinion, §§ 29 ff. 47 Hervorhebung des Verfassers. 48 Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 388, 391, der auch die übrigen Annexe des Friedensabkommens als formelles „Verfassungsrecht“ des Staates Bosnien und Herzegowina bezeichnet.
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
gowina hinaus Beachtung verdienen, insbesondere mit Blick auf zukünftige Verwaltungsmissionen der Weltgemeinschaft, für die konzeptionell – das deuten beispielsweise die Entwicklungen in Afghanistan50 und im Irak an – eher coadministrative Modelle als Vorbild dienen werden als internationale Komplettverwaltungen à la Kosovo oder Ost-Timor, und für die das duale Verfassungsleben von Bosnien und Herzegowina möglicherweise eine paradigmatische Bedeutung entfalten kann. Mit einigen dieser Fragestellungen aus dem Spannungsfeld der Ausübung von nationaler und internationaler Hoheitsgewalt hatte sich auch bereits das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auseinanderzusetzen, sei es anhand der Frage der Rechtskontrolle von Akten alliierter Besatzungsbehörden51, sei es bezüglich der rechtlichen Überprüfung der Akte Internationaler52 bzw. supranationaler53 Organisationen. Auf dessen Rechtsprechung wird an gegebener Stelle zu Vergleichszwecken einzugehen sein. Die Tatsachen, dass das BVerfG mit dem BIHVG in kollegialem Kontakt steht und auch ansonsten auf internationaler Ebene eine erhebliche Autorität54 genießt, mögen solche vergleichenden Blicke zusätzlich rechtfertigen. Die Urteile des BIHVG sind freilich regelmäßig eher kurz, ergebnisorientiert55 sowie bisweilen von nahezu kryptischem Charakter und schwanken inhaltlich zwischen knappen, aus Gesetzeswortlaut und Kompetenzvorschriften abgeleiteten Ausführungen einerseits sowie teilweise richtungsweisenden dogmatischen Überlegungen andererseits. Die noch fragmentarische Judikatur des Gerichts lässt insoweit Raum für eine schrittweise Weiterentwicklung, aber auch für Interpretation sowie für eine systematisierende und wertende Gesamtbetrachtung, wie sie die nachfolgenden Ausführungen zu leisten versuchen.
49 Zum (ähnlichen) Problem des Verhältnisses der deutschen Verfassungsordnung zur supranationalen Rechtsordnung der europäischen Gemeinschaften z. B. Tietje, in: JuS 33 (1994), S. 199, 200. 50 Vgl. Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 503 ff. 51 Z. B. BVerfGE 1, 10; 3, 368. 52 BVerfGE 58, 1. 53 BVerfGE 37, 271; 73, 339; 89, 155. 54 So Frowein, in: ZaöRV 54 (1994), S. 15. 55 Diesbezüglich muss auch auf das technische Zustandekommen der Urteile des BIHVG hingewiesen werden. Die internationalen Richter sind regelmäßig nur punktuell einige Tage vor Ort in Sarajevo. Eingehende Beratungen der dann bereits vorbereiteten Urteilsentwürfe im Plenum unterliegen unter diesen Umständen einem besonders rigiden Diktat der Zeit. Vgl. Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 11.
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III. Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten durch das BIHVG 1. Die Überprüfung der „Verfassungsmäßigkeit“ des allgemeinen Friedensrahmenabkommens von Dayton Das BIHVG hatte bereits im Fall U 7/9756 vom 22.12.1997 zu einer grundlegenden Frage Stellung beziehen müssen, die noch nicht unmittelbar Akte des HR betraf, sondern die Rechtsgrundlage der gesamten internationalen Friedensregelung. Fall U 7/97: In Fall U 7/97 hatte das BIHVG über den Normenkontrollantrag zweier politischer Parteien zu entscheiden, die in ihrem Antrag ohne genauere Begründung u. a. vortrugen, dass das allgemeine Friedensrahmenabkommen von Dayton nicht mit der Verfassung der Republik Bosnien und Herzegowina im Einklang stünde. Hintergrund dieser Frage waren Zweifel an der Legitimität der Ersetzung der bisherigen (seit 1992 bestehenden) Verfassung der Republik Bosnien und Herzegowina durch die in Dayton (1995) vereinbarte – von ersterer substantiell verschiedene – Verfassung des Staates Bosnien und Herzegowina. Diese teilweise auch im Schrifttum57 angedeuteten Zweifel betrafen insbesondere das Problem, inwieweit die Vorschriften über die Abänderung der Republiksverfassung ungerechtfertigt außer Acht gelassen worden sind.
Vom Gericht wurde mithin verlangt, dass es eine völkervertragsrechtliche Friedensregelung, durch dessen Annex 4 es selbst geschaffen wurde, auf seine Vereinbarkeit mit einer zuvor bestehenden nationalen Verfassung überprüft.58 So wenig erfolgversprechend dieses Begehren prima facie erscheinen mag, so sehr verdeutlicht die Tatsache, dass das Gericht damit befasst wurde, dass es einen erheblichen Klärungsbedarf bzgl. einer Reihe von Fragestellungen gegeben hat, welche die Umstände der Verfassungswerdung bzw. Verfassungsgebung in Dayton betreffen. Anders gewendet: Der Antrag unterstreicht das besondere Problem der Grenzen von nationaler und internationaler Rechts- und Verfassungsordnung, die im Falle Bosnien und Herzegowinas fließend erscheinen. Das Gericht hat den Antrag mit folgender Begründung abgewiesen: „Regarding the request to review the constitutionality of the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, the Constitutional Court notes that the Constitution of Bosnia and Herzegovina forms Annex IV of the General Framework Agreement. The Constitutional Court finds that the General Framework Agreement cannot, therefore, possibly contradict the Constitution of Bosnia and Herzegovina. 56 Die im Folgenden zitierten Urteile des BIHVG sind allesamt auf der Homepage des Gerichts unter www.ustavnisud.ba abrufbar. 57 Z. B. Yee, in: EJIL 7 (1996), S. 177 ff. 58 Die Situation erinnert an den Tadic-Fall (admissibility) des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), in dem das Gericht u. a. die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Errichtung zu prüfen hatte.
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
Moreover, the Constitutional Court is not competent to evaluate the constitutionality of the General Framework Agreement as the Constitutional Court has in fact been established under the Constitution of Bosnia and Herzegovina in order to uphold this Constitution.“59
Die zweite dieser beiden knappen Kernaussagen enthält das formale Argument, dass das Gericht unter Annex 4, also der gegenwärtigen Verfassung des Staates Bosnien und Herzegowina, errichtet und mit der Wahrung eben dieser Verfassung betraut wurde.60 Das Gericht hat es an dieser Stelle unterlassen, dieses Argument mit einem Verweis auf Art. XII.1 BIHV61 noch zu untermauern. Diese Vorschrift kann man als Klarstellung der Tatsache verstehen, dass die neue Verfassung in Annex 4 vollständig an die Stelle der Republiksverfassung tritt, im Wege völkervertraglicher Vereinbarung und ohne Anknüpfung an die Vorschriften über Verfassungsänderungen dieser alten Verfassung.62 Der erste Kernsatz, für den konkreten Fall eher als obiter dictum63 aufzufassen, enthält die komplexere Aussage, dass die Verfassung des Staates Bosnien und Herzegowina als Annex des Allgemeinen Rahmenabkommens mit diesem unmöglich in Widerspruch stehen könne. Das Gericht legt dieser Aussage offensichtlich ein Verständnis von der rechtlichen Einheit64 des Rahmenabkommens und der einzelnen Annexe zugrunde. Das heißt, dass das Gericht dem Rahmenabkommen und den Annexen den gleichen Rang zuschreibt.65 Das hätte zur Folge, dass etwaige Konflikte der Verfassung in Annex 4 mit Regelungen aus anderen Annexen der Friedensregelung nicht mit Verweis auf die Höherrangigkeit des einen wie des anderen Annexes gelöst werden könnten, sondern im Wege einer harmonisierenden Auslegung66 nach dem Prinzip der Einheitlichkeit des Vertrags67. Aus dieser Gleichrangigkeit der einzelnen Annexe könne des weiteren gefolgert werden, dass deren Regelungen nicht nur zur systematischen Auslegung der Bestimmungen von Annex 4, sondern auch selbst als Prüfungsmaßstab für das Verfassungsgericht68 angewendet werden können. 59
U 7/97, S. 2. Vgl. Art. IV.3 BIHV: „Jurisdiction. The Constitutional Court shall uphold this Constitution.“ 61 Art. XII.1 BIHV: „This Constitution shall enter into force upon signature of the General Framework Agreement as a constitutional act amending and superseding the Constitution of the Republic of Bosnia and Herzegovina.“ 62 Dazu ausführlich Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 389. 63 Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 390. 64 Nachfolgende Entscheidungen des BIHVG verdeutlichen diesen Standpunkt des Gerichts, vgl. U 7-11/98, U 40/00; vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 116. 65 Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 390, der den Begriff des „Verfassungsrangs“ für die Annexe ins Spiel bringt. 66 Vgl. Karl, Treaties, Conflicts Between, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 939. 67 Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 116. 60
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Das Gericht greift in diesem Urteil das zentrale Problem des Verhältnisses von Annex 4 und den sonstigen Annexen des Abkommens auf, also das Verhältnis von nationaler Verfassung und der internationalen Rahmenstruktur. Wie nachfolgende Urteile belegen, legt das Gericht ein „verfassungsrechtliches“ Verständnis69 der gesamten Friedensregelung zugrunde, demzufolge neben der eigentlichen Verfassungsurkunde in Annex 4 auch die dieser gleichrangigen übrigen Annexe sowie das allgemeine Rahmenabkommen sozusagen zum „Verfassungsrecht“ des Staates im weiteren Sinne zu zählen sind.70 Eine solche Einschätzung ist allerdings nicht zwingend. Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Auffassung, dass es sich bei dem „Abkommen von Dayton“ um ein durch das Rahmenabkommen verklammertes Bündel von eigenständigen völkerrechtlichen Verträgen und nicht etwa um eine vertragliche Einheit handelt71, lässt das Bestehen etwaiger Widersprüche zwischen den einzelnen Annexen, deren Vertragsparteien ja auch variieren72, schon näher liegend erscheinen. Geht man von dieser grundsätzlichen völkervertraglichen Eigenständigkeit der Annexe aus, so wird man dem Urteil unter dem Gesichtspunkt zustimmen, dass ein Organ, das durch einen völkerrechtlichen Vertrag geschaffen wurde, keine Kompetenzen im Anwendungsbereich eines anderen Vertrages besitzt, solange dies nicht ausdrücklich vereinbart worden ist (Konsensualprinzip73). Freilich hätte auch bei der Annahme von mehreren selbständigen Verträgen die Suche nach einer harmonisierenden Auslegung Priorität bei der Auflösung von Konflikten.74 Der Entscheidung des Gerichts ist somit im Ergebnis beizupflichten, wobei die formelle Ablehnung der Zuständigkeit am überzeugendsten erscheint. Die knappen systematischen Erwägungen hingegen werfen zunächst mehr Fragen auf als sie beantworten und lassen Raum für Interpretation. Als Fazit ist festzuhalten, dass das BIHVG in diesem Fall eine erste eigene Positionierung vorgenommen und klargestellt hat, dass es einer rechtlichen Anzweifelung der grundsätzlichen Legitimität des Abkommens von Dayton bzw. seiner Kernbestandteile kein Forum zu geben gewillt ist. Hätte das Gericht hier anders entschieden und die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens des Frie68 Zu Beispielen, in denen das Gericht auf Bestimmungen anderer Annexe zurückgegriffen hat, um einen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu gewinnen, vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 390. 69 Näher dazu Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 390. 70 Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 391. 71 Vgl. Kap. I. B. I. 1. 72 Vgl. Karl, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 936. 73 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 11 Rn. 2; Karl, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 938. 74 Vgl. Karl, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 940; Mus, in: NILR 45 (1998), S. 218, 219, 231; Czaplinski/Danilenko, in: NYIL 21 (1990), S. 13.
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densabkommens in Frage gestellt, so hätte es sich dem Risiko ausgesetzt, seine eigene Stellung von Anfang an zu untergraben, schließlich hätte die internationale Gemeinschaft einem solchen Urteil kaum Beachtung schenken können. Das Gericht hätte sich vielmehr selbst dem Verdacht ausgesetzt, ein juristisches Vehikel der Obstruktion gegen den Frieden von Dayton zu sein anstatt Motor der Integration innerhalb des fragilen Staatsgefüges. Aus dogmatischer Sicht hat das Urteil angedeutet, dass das Gericht von einer grundsätzlichen Parallelität der Verfassung und der übrigen Annexe des Rahmenabkommens ausgeht. Inwieweit diese Sichtweise eine taugliche Ausgangsbasis für ein systematisches Verständnis der Verfassungswirklichkeit von Bosnien und Herzegowina zu geben vermag, ist mit Blick auf die nachfolgende Rechtsprechung des BIHVG zu bewerten. 2. Die Überprüfung der Rechtsakte des Hohen Repräsentanten a) Die Entscheidung U 9/00 aa) Der Sachverhalt In der bislang bedeutendsten und bekanntesten Entscheidung des BIHVG, U 9/00 vom 03.11.2000, die auch im völkerrechtlichen Schrifttum bereits ansatzweise Widerhall75 gefunden hat, hatte das Gericht zu den umfangreichen Eingriffsbefugnissen des HR anhand folgender Fallkonstellation Stellung zu nehmen. Fall U 9/00: Am 13.01.2000 hatte der HR das Staatsgrenzschutzgesetz (Law on State Border Service of Bosnia and Herzegowina76) erlassen, nachdem die Parlamentarische Versammlung es unterlassen hatte, den von der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina vorgeschlagenen diesbezüglichen Gesetzesentwurf zu verabschieden. Mitglieder des Repräsentantenhauses der Parlamentarischen Versammlung strengten daraufhin ein Normenkontrollverfahren gemäß Art. VI.3 (a) BIHV vor dem BIHVG an, u. a. mit der Begründung, der HR verfüge über keine legislativen Befugnisse, also über keine Kompetenz, ein Gesetz zu erlassen bzw. in Kraft zu setzen, ohne dass ein Votum in der Parlamentarischen Versammlung stattgefunden hat, da weder Annex 10 noch die sog. „Bonner Erklärung“ ihm derartige Rechte gewähren würden. Im Übrigen verstoße das Gesetz auch gegen sonstige Bestimmungen der Verfassung von Bosnien und Herzegowina.
Das Gericht hatte anhand dieser Fallkonstellation den Versuch zu unternehmen, die rechtliche Stellung des Hohen Repräsentanten im Verfassungsgefüge von Bosnien und Herzegowina einzuordnen. 75 76
Z. B. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 166 ff.; Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 843. Official Gazette of Bosnia and Herzegovina No. 2/2000.
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bb) Die Theorie der „funktionalen Dualität“ Zu Beginn der Zulässigkeitsprüfung des Normenkontrollantrags versucht das Gericht mit den folgenden Passagen eine theoretische Grundlage für die Einordnung und Bewertung der rechtlichen Stellung des Hohen Repräsentanten im Verfassungsgefüge von Bosnien und Herzegowina zu schaffen. „5. Taking into account the prevailing situation in Bosnia and Herzegovina, the legal role of the High Representative, as agent of the international community, is not unprecedented, but similar functions are known from other countries in special political circumstances. Pertinent examples are the mandates under the League of Nations and, in some respects, Germany and Austria after the Second World War. Though recognised as sovereign, the States concerned were placed under international supervision, and foreign authorities acted in these States, on behalf of the international community, substituting themselves for the domestic authorities. Acts by such international authorities were often passed in the name of the States under supervision. Such a situation amounts to a sort of functional duality77: an authority of one legal system intervenes in another legal system, thus making its functions dual. The same holds true for the High Representative: he has been vested with special powers by the international community and his mandate is of an international character.“78
Unter Heranziehung der Beispiele der Mandatsgebiete aus der Völkerbundszeit sowie der Situation Deutschlands und Österreichs nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt das Gericht ein Modell für ein Ineinandergreifen von internationaler und nationaler Rechtsordnung in Konstellationen internationaler Verwaltung und Überwachung von Staaten. Das Prinzip, welches das Gericht als funktionale Dualität bezeichnet, basiert auf der Überlegung, dass auf völkerrechtlicher Grundlage geschaffene Internationale Organisationen oder Behörden, die im Namen der internationalen Gemeinschaft Überwachungs-, Kontroll- oder Verwaltungsaufgaben in bestimmten Staaten wahrnehmen, die Möglichkeit hätten, aus der völkerrechtlichen Ebene heraus, der diese Organe entstammen, in einer Art Durchgriff auf die nationale Rechtsordnung einzuwirken, genauer gesagt, sich der nationalen Rechtsordnung zu bedienen und in Ersetzung nicht vorhandener oder nicht funktionsfähiger nationaler Instanzen Hoheitsakte zu erlassen, die der nationalen Rechtsordnung zuzurechnen sind. Das Thema erinnert zunächst an die bereits verschiedentlich durchleuchtete Frage, auf welchem Wege Rechtsakte internationaler bzw. supranationaler Hoheitsträger im nationalen Rechtsraum Wirksamkeit erlangen können. Bei diesem Problem geht es allerdings in erster Linie darum, wie solche genuin internationalen Hoheitsakte den nationalen „Souveränitätspanzer“ gleichsam durchbrechen, um innerhalb der nationalen Rechtsordnung wirken zu können.79 Auch 77 78
Hervorhebung des Verfassers. U 9/00, § 5.
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wenn ein solches Eindringen rechtlich möglich und erwünscht ist, verbleibt derartigen Rechtsakten typischerweise der Charakter als internationale Hoheitsakte; ihre Wirkung innerhalb des innerstaatlichen Rechtsraums führt nicht etwa dazu, dass sie nunmehr der nationalen Hoheitsgewalt zugerechnet werden.80 Da der Ursprung und mithin das Wesen dieser Rechtsakte also weiterhin als international bzw. völkerrechtlich81 zu bezeichnen ist, bleibt mithin auch die Frage des Rechtsschutzes gegen Akte internationaler Hoheitsträger heikel82, da Rechtsschutz gegenüber Akten öffentlicher Gewalt – in welcher Ausprägung ihn die jeweilige nationale Rechtsordnung auch immer bereitstellt83 – in prozeduraler Hinsicht regelmäßig nur gegenüber Akten der jeweiligen nationalen öffentlichen Gewalt zulässig sein wird.84 Aus Sicht der deutschen Rechtslage ist hierbei an die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG zu denken.85 Einem Vorgehen gegen Akte Internationaler Organisationen oder Behörden vor nationalen Gerichten wird des Weiteren zumeist das prozessuale Hindernis der völkerrechtlichen Immunität des betreffenden internationalen Akteurs im Wege stehen.86 Derartige Immunitäten werden regelmäßig in den entsprechen79
Z. B. Schilling, in: ZaöRV 46 (1988), S. 637 ff.; Frank, Verantwortlichkeit, S. 26. Vgl. Walter, in: AöR 129 (2004), S. 67. 81 Bei Sekundärakten Internationaler Organisationen wird bisweilen von „abgeleitetem Völkerrecht“ gesprochen, wobei hierbei Details umstritten sind, vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 25 ff. 82 Insgesamt dazu Walter, in: AöR 129 (2004), S. 39–80. Zum Rechtsschutz gegenüber Internationalen Organisationen allgemein Reinisch, International Organizations; Wellens, Remedies against international organizations, 2002. 83 Hierzu umfassend Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht/Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Bände 1–3, 1969– 1971; vgl. auch Brewer-Carias, Judicial review in comparative law, 1989; Auby/Fromont, Les Recours contre les Actes Administratifs dans les pays de la Communauté Economique Européenne, 1971; Schwartz/Wade, Legal Control of Government, Administrative Law in Britain and the United States, 1972; v. Dijk, Judicial Review of Governmental Action and the Requirement of an Interest to Sue, 1980, S. 35–237; Matscher (Hrsg.), Verfahrensgarantien im Bereich des öffentlichen Rechts, 1989. 84 Vgl. Dominicé, in: RdC 187 (1984), IV, S. 184 ff.; Wenckstern, Immunität, S. 51 ff., 326; Krause-Ablass, in: Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (1972), S. 172; Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 15 ff.; auch z. B. Herbst, Rechtsschutz, S. 111 ff., 200, 235. 85 BVerfGE 1, 10 (11); 3, 368 (374); 6, 15 (18); 6, 290 (295); 22, 91 (92); 22, 293 (295); 58, 1 (27); zu dieser Rechtsprechung vgl. Randelzhofer, INTERPOL, S. 534– 536; Dominicé, in: RdC 187 (1984), IV, S. 186; Freitag, Rechtsschutz, S. 13; zu bedenken ist allerdings die Abkehr von dieser Rechtsprechung durch BVerfGE 89, 155 (175) („Maastricht“). 86 Vgl. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 289 Rn. 108; Jenks, Immunities, S. 37 ff.; Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 89, 95 ff.; Bothe, Internationale Organisationen, S. 495; BVerfGE 58, 1 (29); Frank, Verantwortlichkeit, S. 2, 93 f.; Randelzhofer, INTERPOL, S. 533, 551; Hailbronner, in: JZ 53 (1998), S. 285; Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 15; Herbst, Rechtsschutz, S. 110 f., 146 ff.; am Beispiel der VN-Verwaltung des Kosovo Brand, in: Nordic J. of Int’l Law 80
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den Gründungsstatuten der Organisationen oder Behörden vereinbart und werden überwiegend mit dem Argument begründet, sie seien für ein zweckgemäßes Funktionieren des jeweiligen internationalen Organs notwendig (functional necessity).87 Inhaltlich umfassen diese Immunitäten zumeist alle Arten von Handlungen, die zur Zweckerreichung der betreffenden Organisation erforderlich sind.88 Von einem Satz des Völkergewohnheitsrechts, der besagt, dass Internationale Organisationen grundsätzlich staatlicher Gerichtsbarkeit entzogen sind, ist allerdings nicht auszugehen.89 Die Frage des Rechtschutzes gegen Akte, noch dazu Hoheitsakte90, völkerrechtlich begründeter internationaler Instanzen ist mithin – mit Ausnahme des europäischen Gemeinschaftsrechts91 – ein weitgehend vom konkreten Einzelfall abhängiges Problemfeld. In systematischer Hinsicht lässt sich genau genommen nur festhalten, dass ein solcher Rechtschutz vor nationalen Gerichten aus den genannten Gründen regelmäßig nicht bzw. nur ausnahmsweise stattfindet92 und sich deswegen die Frage nach alternativen Foren auf internationaler Ebene stellt, die einen adäquaten Rechtsschutz bereitzustellen in der Lage sind.93 Was 70 (2001), S. 477 ff.; am Beispiel von Stationierungsstreitkräften in Deutschland Ronellenfitsch, in: VerwArch 76 (1985), S. 324 f. 87 Dazu Reinisch, International Organizations, S. 233 ff.; Wenckstern, Immunität, S. 13, 17 ff.; Schmalenbach, Haftung, S. 87 ff.; Amerasinghe, Principles of the Institutional Law of International Organizations, 1996, S. 370; Hailbronner, in: AVR 42 (2004), S. 330 f.; Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1611; Muller, International Organizations, S. 149 ff.; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 63. 88 D. h. es werden zumeist nicht wie in Fällen der Staatenimmunität die Kategorien acta iure imperii und acta iure gestionis unterschieden. Vgl. Bröhmer, Die völkerrechtliche Immunität von der staatlichen Gerichtsbarkeit und die Verfahrensgarantien der EMRK – Einige Anmerkungen zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Waite & Kennedy und Beer & Regan gegen die Bundesrepublik Deutschland, in: Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, 2002, S. 87; Habscheid, Immunität internationaler Organisationen und Art.6 I EMRK (insbesondere zum Rechtsschutz der Bediensteten), in: Schütze (Hrsg.), Einheit und Vielfalt des Rechts, 2002, S. 261 ff.; Muller, International Organizations, S. 182, 271. 89 Vgl. Brownlie, International Law, S. 652; Randelzhofer, INTERPOL, S. 553; Herbst, Rechtsschutz, S. 113 f.; De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 195, 196, 198; Wenckstern, Immunität, S. 326; a. A. z. B. Schmalenbach, Haftung, S. 90, 91. 90 Vgl. Daum, in: JZ 35 (1980), S. 800 f.; Bothe, Internationale Organisationen, S. 500 ff. 91 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 353 Rn. 253; Bothe, Internationale Organisationen, S. 494. 92 Vgl. Krause-Ablass, in: Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (1972), S. 172. 93 Vgl. Dominicé, in: RdC 187 (1984), IV, S. 185; Wenckstern, Immunität, S. 142 ff.; Gaillard/Pingel-Lenuzza, in: ICLQ 51 (2002), S. 10 ff.; Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1612; Bothe, Internationale Organisationen, S. 495; auch Wenckstern, in: NJW 40 (1987), S. 1113, 1114; am Beispiel von Europol: Frowein/Krisch,
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diesbezüglich für adäquat zu halten ist, muss freilich mit Blick auf die jeweiligen regionalen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen94 Traditionen und Rahmenbedingungen geklärt werden. Was Europa angeht, so hat der EuGMR mit seinen Judikaten darauf hingewirkt, dass solche alternativen Rechtsschutzmechanismen grundsätzlich den Erfordernissen der EMRK zu genügen haben95 – aber davon wird noch weiter unten die Rede sein. Bei dieser im Zuge der fortschreitenden Verbreitung Internationaler Organisationen und Behörden verstärkt ins Blickfeld des Interesses gerückten Fragestellung verbleibt es also bei einer prinzipiellen Trennung von internationaler und nationaler Hoheitsgewalt. Charakteristisch ist somit ein Nebeneinander beider Rechtsordnungen mit beschränkter Interaktion. Die internationalen Hoheitsakte wirken zwar in der nationalen Rechtsordnung, beispielsweise gegenüber bestimmten Individuen, die nationalen Gerichte sehen sich jedoch regelmäßig nicht in der Lage, über diese Akte zu judizieren, sie beispielsweise an Maßstäben des nationalen Rechts zu messen. Man geht also davon aus, dass derartige Hoheitsakte von völkerrechtlichem Ursprung und Wesen sind und auch bleiben. Als Produkte einer „fremden Rechtsordnung“ sind sie mit der nationalen Rechtsordnung im Prinzip nicht kompatibel. Ihr internationaler Charakter scheint auch nach internationalen Lösungen zur Bewältigung von Rechtsproblemen zu verlangen.96 Von Dualität kann insoweit keine Rede sein, vielmehr wäre von Parallelität der internationalen und nationalen Rechtskreise zu sprechen. Die Vorstellung einer solchen Parallelität von nationaler und internationaler Rechtsordnung in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht mag im Falle in: JZ 53 (1998), S. 590, 591; Hailbronner, in: JZ 53 (1998), S. 286; Daum, in: JZ 35 (1980), S. 801; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 66; für den Bereich des Rechtsschutzes für Beamte Internationaler Organisationen siehe z. B. Priess, Internationale Verwaltungsgerichte und Beschwerdeausschüsse, 1989. 94 Aus der Sicht des deutschen Grundgesetzes ist hierbei an die Art. 19 Abs. 4 und 23 Abs. 1 S. 1 GG zu denken, vgl. Frowein/Krisch, in: JZ 53 (1998), S. 592; KrauseAblass, in: Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (1972), S. 172; Hailbronner, in: JZ 53 (1998), S. 288. 95 Siehe den Überblick bei Walter, in: AöR 129 (2004), S. 55 ff. 96 Vgl. z. B. die Ausführungen des BVerfG (E 58, 1 (28), Eurocontrol I), das darauf hinweist, dass die Gewährung innerstaatlichen Rechtsschutzes gegen die Anwendung und Wirkung von Akten einer zwischenstaatlichen Einrichtung nicht etwa „logisch“ ausgeschlossen sei. Das Gericht gibt jedoch zu bedenken, dass ein etwaiger ungleichmäßiger Rechtsschutz in den einzelnen Mitgliedstaaten die Funktionsfähigkeit der Einrichtung zu beeinträchtigen drohe. Überdies schließe die Kompetenz zur Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (Art. 24 Abs. 1 GG) die Befugnis ein, besondere Regelungen betreffend den Rechtsschutz gegenüber diesen Einrichtungen zu treffen, also auch etwa hinsichtlich Kontrollmechanismen auf internationaler Ebene; für Rechtsschutz auf internationaler Ebene am Beispiel Interpol Randelzhofer, INTERPOL, S. 555.
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des Verhältnisses von klassischen Internationalen Organisationen, die punktuell bestimmte, ihnen übertragene Kompetenzen in Staaten bzw. gegenüber Individuen ausüben, akzeptabel erscheinen, bleiben doch hierbei die Kollisionsfälle und die etwa auftretenden Rechtsschutzdefizite97 noch überschaubar98. Im Falle der Verwaltung eines souveränen Staateswesens durch die internationale Gemeinschaft, bei der eine internationale Verwaltungsbehörde über Jahre hinweg als faktisch zentrale politische Überwachungs- und Lenkungsinstanz mit Hunderten von Rechtsakten legislativer und exekutiver Natur die politische Landschaft und das Verfassungsgefüge dominiert, vermag der schlichte Verweis auf die komplette rechtliche Unangreifbarkeit eines solchen internationalen Organs vor der nationalen Gerichtsbarkeit weniger zu befriedigen.99 Dies muss umso mehr gelten, als es sich bei einer internationalen Verwaltung wie im Falle Bosnien und Herzegowinas nicht etwa um eine Ingerenz auf besatzungsrechtlicher Grundlage handelt, die sich lediglich an nüchternen Abwägungen der Interessen der Besatzer und der Besetzten zu orientieren hat100, sondern um eine auf völkervertraglicher Grundlage unter ausdrücklicher Zustimmung der Vereinten Nationen errichtete Verwaltung, die eine komplexe Friedensregelung ins Werk zu setzen hat, welche auf eine weitgehende Neugestaltung eines ehemaligen Konfliktraumes unter Förderung und Verankerung zentraler Werte wie Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Achtung fundamentaler Menschenrechte abzielt.101 Als theoretisches Fundament für eine mögliche Lösung stellt das Gericht nun dem skizzierten System der Parallelität den Ansatz einer funktionalen Dualität gegenüber, welcher unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Einbindung und Kontrolle der Handlungen internationaler Verwalter aufgrund folgender Überlegung verlockend erscheint. Indem eine internationale Verwaltungsinstanz die nationalen Organe und Behörden substituiert und mithin in deren Namen bzw. im Namen des Staates hoheitliche Akte vornimmt und man auf diesem Wege zustande gekommene Akte als Handlungen der nationalen öffentlichen Gewalt des betreffenden Staates auffasst bzw. diese Akte den jeweils substituierten na97 Dazu, dass solche Rechtsschutzdefizite gegenüber Internationalen Organisationen grundsätzlich bestehen können, bereits Schlochauer, Der Rechtsschutz gegenüber der Tätigkeit internationaler und übernationaler Behörden, 1952, S. 22. 98 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 353 Rn. 253. 99 Vgl. Muller, International Organizations, S. 184. 100 Hierzu am Beispiel des Nachkriegsirak Wolfrum, Genfer Recht und Bagdader Realität, in: FAZ v. 28.05.04, S. 8. 101 Die Nähe zu Besatzungs- bzw. Kolonialregimen mag in faktischer Hinsicht allerdings mitunter größer sein als dies zunächst erscheint. Vgl. Ross, Humanitäre Hegemonie, in: FAZ v. 27.09.04, S. 1, der die „humanitären Interventionen“ der Staatengemeinschaft u. a. auf dem Balkan als hegemoniale Projekte des Westens bezeichnet, da sie letztlich auf eine drastische Veränderung des betroffenen Landes, wenn nicht auf einen zeit- und kostspieligen „Kulturtransfer“ angelegt sind und dies – wenn sie erfolgreich sein wollen – auch sein müssen. Vgl. auch Marauhn, in: AVR 40 (2002), S. 510.
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tionalen Organen als deren eigene zurechnet, vollzieht sich eine Art Metamorphose. Die von einem völkerrechtlich begründeten Organ vorgenommene Handlung verbleibt nicht etwa Teil einer „fremden“ internationalen Rechtsordnung, sondern wird zum Element des nationalen Rechtsraums. Ist diese Handlung mithin als Akt der nationalen Hoheitsgewalt zu verstehen, so wird der Weg für eine Rechtskontrolle am Maßstab der staatlichen Verfassung durch die staatlichen Gerichte im Rahmen der hierfür vorgesehenen prozessualen Möglichkeiten eröffnet. Ebenso stünde diesem Verständnis zur Folge das prozessuale Hindernis der Immunität internationaler Hoheitsträger102 einem Tätigwerden der nationalen Gerichtsbarkeit nicht mehr im Wege.103 Funktionale Dualität – wie sie das BIHVG in der zitierten Passage skizziert hat – bedeutet mithin, dass ein internationales Verwaltungsorgan wie der Hohe Repräsentant einerseits internationalen, völkerrechtlichen Charakter aufweist, anderseits aber funktional in die Rolle nationaler Organe einzutreten und sich deren Handlungsinstrumentarien zu bedienen in der Lage ist. Das bedeutet konzeptionell eine Stellung des HR als ein subsidiäres Reserveverfassungsorgan: Also ein internationales Organ, das quasi subsidiär, als Notstandsorgan104, auf die nationale Rechtsordnung zugreifen kann. In der Literatur ist bisweilen die Figur der Organleihe105 herangezogen worden, um derartige Konstellationen begrifflich zu illustrieren. Der Begriff erweist sich jedoch bei genauerer Betrachtung nicht als geeignetes Bild, um ein systematisches Verständnis des beschriebenen Modells zu fördern. Von einer Organleihe wäre zu sprechen, wenn ein bestimmtes Organ eines Verwaltungsträgers in gewissem Umfang an einen anderen Verwaltungsträger ausgeliehen wird, um für diesen bestimmte Aufgaben zu erfüllen.106 Das ausgeliehene Organ befindet sich insoweit in einer Doppelstellung, da es einerseits seinem „eigenen“ Verwaltungsträger verpflichtet ist, andererseits – soweit die Leihe reicht – auch den Weisungen des ausleihenden Verwaltungsträgers untersteht und seine Handlungen diesem gegebenenfalls unmittelbar zugerechnet werden können.107 Dieses 102 Zu prüfen wäre dann allenfalls, ob der relevante staatliche Hoheitsträger nach nationalem Recht eine Immunität gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit geltend machen kann. Vgl. Wilde, Accountability, S. 167 f.; ders., International territorial administration and human rights, in: White/Klaasen (Hrsg.): The UN, human rights and post-conflict situations, 2005, S. 167 ff. 103 Vgl. Wilde, Accountability, S. 167; Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1610, zur Frage der Beachtung derartiger Immunitäten ex officio. 104 Zum Gedanken einer internationalisierten Notstandsverfassung siehe oben unter C. I. 105 Für das Beispiel der VN-Direktverwaltungen im Kosovo und Ost-Timor Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 626 m. w. N.; zur Verwendung des Begriffs der „Organleihe“ im Verhältnis von Internationalen Organisationen zu ihren Mitgliedstaaten vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 96, 190; hierzu auch Schmalenbach, Haftung, S. 103 ff.; Strasser, in: ZaöRV 34 (1974), S. 699 ff. 106 Maurer, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54; BVerfGE 63, 1 (31 f.).
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Rechtsinstitut ist zwar in der Tat von einer gewissen institutionellen Dualität bei der Ausübung von Hoheitsgewalt gekennzeichnet, passt aber für die vorliegend interessierende Situation schon deswegen nicht, weil sich eine internationale Verwaltungsbehörde wie diejenige des Hohen Repräsentanten keinem „eigenen“ Verwaltungsträger in diesem Sinne zuordnen lässt.108 Der HR ist – wie gesehen – kein Unterorgan der Vereinten Nationen oder eines sonstigen sekundären (Völker-)Rechtssubjekts, für das er regelmäßig bestimmte Funktionen erfüllen würde.109 Er kann mithin auch nicht an einen anderen Verwaltungsträger, also z. B. einen Staat, ausgeliehen werden. Wollte man eine Anleihe aus dem deutschen öffentlichen Recht nehmen, so vermag die Figur eines (vertikalen) Selbsteintrittsrechts am ehesten zu befriedigen. Darunter versteht man die Befugnis einer übergeordneten Behörde, eine in den Kompetenzbereich einer untergeordneten Behörde fallende Angelegenheit zur Entscheidung an sich zu ziehen.110 Von einem solchen Recht ist – in Abwesenheit einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung – nur bei Gefahr im Verzug auszugehen oder in Fällen, in denen die untergeordnete Behörde eine ihr erteilte Weisung nicht befolgt.111 Eine solche Selbsteintrittsbefugnis stellt also eine Durchbrechung der staatlichen Zuständigkeitsordnung dar, welche nur in bestimmten Ausnahmefällen zulässig sein kann112, es begründet somit eine außerordentliche sachliche Zuständigkeit113 zur Wahrnehmung der Befugnisse bzw. Kompetenzen114 des an sich zuständigen Organs. Diese Figur scheint der angedeuteten Vorstellung des Gerichts vom Verhältnis des Hohen Repräsentanten zur nationalen Verfassungsordnung noch am nächsten zu kommen. Der Hohe Repräsentant wäre dieser Überlegung zur Folge als Teil einer internationalen Überwachungsstruktur aufzufassen, der unter bestimmten Voraussetzungen zum Zwecke der Durchführung seines internationalen Mandats, in die Rolle von blockierten oder nicht „ordnungsgemäß“ funktionierenden staatlichen Organen und Behörden eintritt, um für die Implementierung der Friedensregelung dringend notwendige („Notstandsverwaltung“115) Maßnahmen durchzusetzen. Aufgrund der übergeordneten Stellung des HR gegenüber den nationalen Instanzen drängt sich der Gedanke eines vertikalen Selbsteintritts auf. Geht man hingegen 107
Maurer, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54. Crawford, First Report on State responsibility, UN Doc. A/CN.4/490/Add.5, 22.07.1998, § 231. 109 Vgl. Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 627. 110 Maurer, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 49. 111 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 49; Badura, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Verwaltungsrecht, S. 510; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982, § 12 Rn. 35. 112 Achterberg, Verwaltungsrecht, § 12 Rn. 29. 113 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 2003, § 4 Rn. 233. 114 Zu den Begrifflichkeiten vgl. Ipsen, Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 237. 115 Der Begriff bei Frowein, Notstandsverwaltung, S. 43 ff. 108
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mit dem BIHVG von einer grundsätzlichen Parallelität der einzelnen Annexe des Friedensabkommens aus, also nicht von einer rechtlichen Höherrangigkeit etwa des Annexes 10 gegenüber der Staatsverfassung (Annex 4), so erscheint die Figur eines horizontalen116 Selbsteintrittsrechts näher liegend. Eine solche gedankliche Anleihe aus nationalem öffentlichem Recht kann eine Hilfe darstellen für ein funktionsbezogenes Verständnis des Zusammenwirkens von internationaler Verwaltung und staatlicher Verfassungsordnung. Sie sagt freilich nichts über die damit einhergehende Überschneidung von internationaler und nationaler Rechtsordnung aus und die damit zusammenhängende Frage, ob die im Wege eines solchen Selbsteintritts vorgenommenen Rechtsakte nun weiterhin völkerrechtlicher Natur sind oder aber als nationale Hoheitsakte der staatlichen öffentlichen Gewalt zuzuordnen und mithin der nationalen Gerichtsbarkeit zugänglich sind. Bevor nun in der weiteren Betrachtung des zentralen Urteils U 9/00 auf die konkreten Ergebnisse einzugehen ist, die das Gericht anhand des Modells der funktionalen Dualität für die Frage der Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten gewinnt, erfolgt zunächst ein Blick in die Historie. Das Gericht deutet in der zitierten Passage an, dass es seine Einordnung der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina an zumindest ähnlichen Konstellationen aus der Zeit der Mandatsregime der Völkerbundszeit sowie der Rechtslage Deutschlands und Österreichs nach dem zweiten Weltkrieg orientiert. Es drängt sich mithin die Frage auf, inwieweit diese Beispiele für das vorliegend interessierende Problem der gerichtlichen Kontrolle internationaler Verwaltung tatsächlich systematische Lösungsansätze entwickelt bzw. den Gedanken der funktionalen Dualität des BIHVG vorbereitet haben und somit möglicherweise zur Deutung der Rechtsprechung des Gerichts eine Hilfestellung bieten können. Der vergleichende Blick erstreckt sich nicht nur auf die vom BIHVG genannten historischen Beispiele, sondern bezieht auch einige thematisch nahe liegende Konstellationen mit ein, die zum Verständnis des Problemfeldes beitragen können. Der Überblick dient dazu, ein Verständnis für das Problem in seinen historischen und gegenwärtigen Bezügen zu entwickeln und Gesichtspunkte darzulegen, welche für die Einordnung der Situation in Bosnien und Herzegowina dienlich sein können.
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Vgl. Achterberg, Verwaltungsrecht, § 12 Rn. 33.
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cc) Historische Wurzeln der „funktionalen Dualität“? (1) Das Beispiel des Rechtsschutzes gegenüber alliierter Hoheitsgewalt durch die deutsche Gerichtsbarkeit Was das Beispiel Deutschlands unter alliierter Besatzungsherrschaft anbelangt117, sind folgende Gesichtspunkte festzuhalten. Mit der „Berliner Erklärung“ vom 05.06.1945 übernahmen die vier Alliierten unter Hinweis auf die Abwesenheit handlungsfähiger Staatsgewalt die „Oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen und Behörden der Länder, Städte und Gemeinden“. Gleichermaßen wurde ausdrücklich erklärt, dass die Übernahme dieser Befugnisse nicht die Annektierung Deutschlands bewirkt. Die alliierte Besatzungsherrschaft war mithin dadurch gekennzeichnet, dass trotz der Nicht-Annexion Deutschlands durch die Alliierten zunächst eine grundsätzlich unbegrenzte Machtfülle ausgeübt wurde, die zumindest die bis dahin überkommene Auslegung der Befugnisse einer Besatzungsmacht nach der Haager Landkriegsordnung überschritten hatte.118 Demzufolge entstand bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Diskussion darüber, wie diese Machtbefugnisse rechtlich einzuordnen sind. Es standen sich insoweit zwei grundlegende Erklärungsmodelle gegenüber. Eine Ansicht ging davon aus, dass die Maßnahmen der Besatzungsmächte als Ausübung von völkerrechtlicher Gewalt119 anzusehen seien.120 Die Akte der Besatzer fänden ihre Rechtsgrundlage in den in Art. 43 der Haager Landkriegsordnung niedergelegten Befugnissen.121 Die Alliierten übten in Deutschland mithin nicht etwa deutsche Staatsgewalt, „sondern eine völkerrechtliche Gewalt aus, die ihren Rechtsgrund im Okkupationsverhältnis findet und ihrem Inhalt nach aus diesem zu bestimmen ist. Nicht als Vertreter eines handlungsunfähigen deutschen Reiches werden die Alliierten tätig, sondern als Träger einer eigenen, vom Völkerrecht anerkannten Machtbefugnis.“122 117 Dazu insgesamt Stödter, Deutschlands Rechtslage, 1948; v. Schmoller/Maier/ Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1951; Grewe, Besatzungsstatut; Waibel, Von der wohlwollenden Despotie zur Herrschaft des Rechts, 1996; Cohn, in: MDR 1947, S. 178 ff.; Ipsen, in: Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht 1 (1948), S. 87 ff.; Jennings, in: MDR 1948, S. 3 ff.; Kaufman, Deutschlands Rechtslage unter der Besatzung, 1948; v. Mangoldt, in: ZMR 1952, S. 97 f.; Zinn, in: JZ 2 (1947), S. 4 ff.; zur Einordnung des Beispiels Deutschlands in den historischen Kontext des nation-building vgl. Wilde, in: EJIL 15 (2004), S. 78, 79. 118 Freitag, Rechtsschutz, S. 14 m. w. N. 119 Zum Begriff der völkerrechtlichen Gewalt vgl. Freitag, Rechtsschutz, S. 17 ff. 120 Stödter, Rechtslage, S. 181 ff. 121 Hierzu Gasser, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, Kap. 5, S. 195 ff. 122 Stödter, Rechtslage, S. 198.
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Da nach dieser Ansicht die Akte der Besatzungsmächte nicht als deutsche Staatsgewalt aufzufassen bzw. dieser gleichzusetzen sind, sondern einer anderen, nämlich internationalen Rechtsordnung als zugehörig zu betrachten sind, stellen sich einer Rechtskontrolle der alliierten Besatzungsinstanzen durch die deutsche Gerichtsbarkeit die bereits angedeuteten Hindernisse in den Weg: Mangels des Vorliegens deutscher Staatsgewalt bestünde keine originäre Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit zu einer Überprüfung dieser Maßnahmen.123 Einer gerichtlichen Kontrolle der genuin völkerrechtlich zu klassifizierenden Rechtsakte vor deutschen Gerichten stünde ferner der völkerrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität entgegen.124 Dem humanitären Völkerrecht im Speziellen sei überdies keine vertragsrechtliche oder völkergewohnheitsrechtliche Norm mit dem Inhalt zu entnehmen, dass nationale Gerichte, das Recht haben, Akte von Besatzungsbehörden einer gerichtlichen Prüfung zu unterziehen bzw. dass Besatzungsmächte die völkerrechtliche Verpflichtung hätten, sich derartigen Richtersprüchen zu beugen.125 Die wohl überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist hingegen davon ausgegangen, dass die Alliierten zwar einerseits völkerrechtliche Gewalt auf der Grundlage des einschlägigen humanitären Völkerrechts ausübten, allerdings durch ihre „Berliner Erklärung“ anstelle der nicht existenten deutschen Staatsorgane treuhänderisch die deutsche Staatsgewalt übernommen hätten.126 Die Besatzungsmächte, vertreten durch ihre Kontrollinstanzen übten demnach „[. . .] einerseits die militärische Besatzungshoheit in Deutschland aus, die ihnen nach überliefertem Völkerrecht in den Schranken der HLKO zusteht. [. . .] Daneben besitzen sie andererseits die deutsche Staatshoheit in allen ihren Funktionen, die sie durch die Berliner Erklärung an sich genommen haben.“127
Diese Ansicht ging also von einer Art rechtlichen Doppelstellung128 der alliierten Organe aus, die dem Gedanken der funktionalen Dualität des BIHVG sowie der Vorstellung einer internationalen Treuhandverwaltung129 aus heutiger 123 Für das seit 1949 in Kraft getretene GG wird dies aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleitet, vgl. BVerfGE 1, 10 (11); 3, 368 (374); 6, 15 (18); 6, 290 (295); 22, 91 (92); 22, 293 (295); vgl. auch Freitag, Rechtsschutz, S. 16. 124 Vgl. Freitag, Rechtsschutz, S. 26 ff. m. w. N.; es sei denn, die Besatzungsmacht würde auf die Geltendmachung ihrer Immunität im Einzelfall verzichten, S. 31 ff. 125 Vgl. Stödter, Rechtslage, S. 213 ff., der diese rechtliche Situation auf folgenden Nenner bringt: „Der Richter eines okkupierten Staates, der Gesetze einer Okkupationsmacht glaubt nicht anwenden zu sollen, kann dies ausschließlich in der Weise tun, dass er den Dienst quittiert.“, S. 214; Freitag, Rechtsschutz, S. 29–31 m. w. N.; betreffend den gegenwärtigen Stand der völkerrechtlichen Entwicklung Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 143 m. w. N. 126 Vgl. Freitag, Rechtsschutz, S. 21 m. w. N. 127 Grewe, Besatzungsstatut, S. 82 f. 128 Freitag, Rechtsschutz, S. 21; vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 43 m. w. N.
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Zeit durchaus ähnlich ist. Allerdings sind diese am deutschen Beispiel entstandenen Überlegungen eher für die Frage nach dem Fortbestand (gesamt-)deutscher Staatlichkeit herangezogen worden. So diente die Annahme von der treuhänderischen Ausübung gesamtdeutscher Staatsgewalt durch die alliierten Kontrollorgane der Untermauerung der These von der Fortexistenz eines gesamtdeutschen Souveräns130 – ein Aspekt der in Zeiten sich abzeichnender staatlicher Teilung insbesondere auf westdeutscher Seite von größerer Bedeutung war als die Frage nach theoretischer Begründung gerichtlicher Kontrolle der Machtausübung der Alliierten, deren Präsenz unter den Vorzeichen des Kalten Krieges ohnehin bereits mehr als Schutz denn als Besatzung empfunden wurde. Für den hier interessierenden Aspekt der gerichtlichen Kontrolle internationaler Verwaltungsinstanzen blieb diese herrschende Vorstellung von der treuhänderischen Ausübung der deutschen Hoheitsgewalt durch die alliierten Organe letztlich ohne praktische Konsequenz. Denn auch für die Vertreter dieser Ansicht richtete sich die Frage nach einer Rechtswegeröffnung vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen Akte der Alliierten131 ausschließlich nach den Vorschriften den Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bzw. des Verwaltungsprozessrechts (§ 40 VwGO). Es sei dabei ohne Bedeutung, ob die durch die Besatzungsmächte in Deutschland ausgeübte hoheitliche Gewalt ihrem Wesen nach vollständig oder zumindest auch als deutsche Staatsgewalt anzusehen ist.132 Wenn Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG von „öffentlicher Gewalt“ spricht, bzw. § 40 VwGO von „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten“, sei damit eine Maßnahme der deutschen öffentlichen Gewalt gemeint, also der vom Grundgesetz verfassten Staatsgewalt.133 Da die Organe der Besatzungsmächte, sowie deren Rechtsgrundlagen und Maßnahmen außerhalb des Gefüges der Staatsorganisation der Bundesrepublik Deutschland gemäß des GG ihre Wurzeln haben, könne von diesen auch grundsätzlich keine deutsche öffentliche Gewalt im Sinne des GG ausgehen. Entscheidend für die Einordnung eines Rechtsaktes sei mithin nicht die Form oder der materielle Inhalt des betreffenden Akts, sondern der Urheber, also die Qualifikation des Organs, der den Akt erlassen hat.134 Nur 129 Die Kriegsziele der Alliierten, u. a. Demilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung Deutschlands, vgl. Stödter, Rechtslage, S. 239, erscheinen den Zielen der komplexen internationalen Interventionen zur Krisenbewältigung auf dem Balkan im Ergebnis ebenfalls nicht unähnlich. 130 Freitag, Rechtsschutz, S. 23; Grewe, Besatzungsstatut, S. 91. 131 Vgl. BVerfGE 12, 281 (289); v. Mangoldt, in: ZMR 1952, S. 97 f. 132 Vgl. BVerfGE 3, 368 (375). 133 BVerfGE 58, 1 (27); Herbst, Rechtsschutz, S. 115. 134 In diese Richtung geht auch der Badische Staatsgerichtshof, Urteil v. 15.01. 1949, abgedr. in: AöR 75 (1949), S. 477 (487): „Anstelle der deutschen Regierung, doch nicht als Stellvertreter, sondern kraft unmittelbar aus dem Völkerrecht fließenden eigenen Rechts übte die Besatzungsmacht vorübergehend die volle Staatsgewalt und
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ein in das grundgesetzliche Gefüge eingegliedertes Staatsorgan könne deutsche öffentliche Gewalt wahrnehmen und müsse sich mithin auch am Maßstab des GG bzw. der deutschen Rechtsordnung messen lassen.135 Ein Organ ist dann als außerhalb des grundgesetzlichen Verfassungsgefüges stehend aufzufassen, wenn es „durch einen wirksamen völkerrechtlichen Akt geschaffen wurde und sich bei dem in Streit stehenden Verhalten nicht völlig von seiner völkerrechtlichen Kompetenzgrundlage gelöst hat.“136 Nicht relevant sei dabei, dass die internationale bzw. supranationale Gewalt unter gewisser Mitbeteiligung oder zumindest Duldung der deutschen Staatsgewalt betätigt wird.137 Demzufolge ist vom BVerfG die hoheitliche Gewalt der EWG trotz der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an deren Konstituierung gemäß Art. 24 Abs. 1 GG als nicht-deutsche öffentliche Gewalt qualifiziert worden.138 Bleibt der internationale Charakter eines Organs somit auch in derartigen Fällen erhalten, so müssten erst recht Besatzungsorgane als international gelten, die eben nicht durch Beteiligung deutscher Staatsgewalt entstanden sind.139 Die verbreitete Vorstellung einer treuhänderischen140 Besatzung der Alliierten in Deutschland hat mithin nicht zu der Überlegung geführt, dass die Besatzungsorgane in das Verfassungs- und Rechtsgefüge Deutschlands ganz oder zumindest teilweise eingebunden141 seien und sich bei ihrer (treuhänderischen) Wahrnehmung öffentlicher Gewalt von deutschen Gerichten am Maßstab der
damit auch das Recht der Gesetzgebung aus. [. . .]“, S. 486: „Stellt die Anordnung über den Arbeitseinsatz [. . .] somit ihrer äußeren Form nach badisches Recht, ihrem materiellen Gehalt nach aber Recht der französischen Militärregierung dar, so ist sie einer Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof entzogen. Maßstab für eine solche Nachprüfung könnte nur die Badische Verfassung sein [. . .] Die Badische Verfassung kann aber nicht den Maßstab für die Gültigkeit von Besatzungsrecht abgeben. Dieses letztere bemisst sich allein nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten und auf einer völkerrechtlichen Ebene, die dem Staatsgerichtshof verwehrt ist.“; vgl. auch Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 169. 135 BVerfGE 1, 10 (11); 3, 368 (374); 6, 15 (18); 6, 290 (295); 22, 91 (92); 22, 293 (295); 58, 1 (27). 136 BVerfGE 58, 1 (29). 137 BVerfGE 58, 1 (29). 138 BVerfGE 22, 293 (297). 139 Freitag, Rechtsschutz, S. 26. 140 Kritisch zu diesem Treuhandgedanken v. Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch, § 6, S. 3 f. 141 Freitag, Rechtsschutz, S. 26; in diese Richtung aber VGH Freiburg i. Br., Urteil v. 09.07.51, abgedr. in: ZMR 5 (1952), S. 11: „Nach Art. 125 GG wird das Recht, welches Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, innerhalb seines Geltungsbereichs Bundesrecht, soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt. Als Recht i. S. des Art. 125 GG muss Recht jeder Art ohne Rücksicht auf die Form der Entstehung gelten. Auch das vom Kontrollrat gesetzte Recht muss als Recht anerkannt werden, das zu Bundesrecht werden könnte.“
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deutschen Rechtsordnung messen lassen müssten.142 Auch die im Laufe der Achtzigerjahre geführte Debatte über gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber Hoheitsakten der Alliierten in Westberlin143 hatte diesbezüglich zu keiner (zumindest theoretischen) Neubewertung geführt: Die deutschen Verwaltungsgerichte waren für eine Überprüfung der Akte der Alliierten mangels des Vorliegens deutscher öffentlicher Gewalt nicht zuständig144, Klagen deutscher Bürger vor Gerichten in den Heimatstaaten der Alliierten waren entweder von vornherein unzulässig oder stellten zumindest keinen effektiven Rechtsschutz dar145 und die von den Alliierten für Berlin geschaffenen Gerichte hatten grundsätzlich keine Zuständigkeit zur Überprüfung von alliierten Rechtsakten.146 Als Lösungsmöglichkeit für das Problem des Rechtsschutzes gegenüber Hoheitsakten der Alliierten wurde u. a. eine auf dem Verhandlungswege mit den Alliierten zu 142 So z. B. v. Mangoldt, in: ZMR 1952, S. 98: „[. . .] Ihre Akte sind nicht die Akte dieser Staatsgewalt dieses Gebiets. Denn sie haben ihre Rechtsgrundlage nicht in der demokratischen Ordnung dieses Gebiets, seinem eigenen nationalen Recht, sondern in einem fremden, von außen hereingetragenen Recht. Sie unterliegen daher auch nicht den für das deutsche Recht geltenden Verfahrensregeln. Wie sie wirken, wie sie auszulegen sind, ob Rechtsmittel gegen sie gegeben sind und in welchem Verfahren diese eingelegt werden können, richtet sich jedenfalls nach einem anderen als dem deutschen Recht. Das bestätigt die Praxis, welche sie weder wie deutsches noch wie Akte des Heimatstaats der betreffenden Besatzungsmacht behandelt, nur allzu deutlich. Mögen sich bei der Setzung dieser Akte die Besatzungsmächte auch treuhänderisch für das besetzte Gebiet betätigen, diese Akte selbst sind trotzdem mit den Akten der vom Volk eingesetzten Legislative, Exekutive und rechtsprechenden Gewalt des besetzten Gebietes nicht gleichzusetzen [. . .] Das Besatzungsrecht war und ist also der Dispositionsgewalt deutscher Stellen entzogen.“ Vgl. auch die Ausführungen des BVerfG (E 3, 368 (374, 375)) zur Frage, ob Gesetze des Kontrollrats (KRGs) als subsidiäres deutsches Recht zu gelten hätten: „Das KRG Nr.18 ist unstreitig unmittelbares Besatzungsrecht, d. h., es ist ohne (äußere) Mitwirkung deutscher Stellen allein von den Besatzungsmächten erlassen worden. Es konnte daher auch nur von ihnen geändert werden und behielt seine Rechtswirksamkeit, bis es von ihnen oder mit ihrer Ermächtigung durch deutsche Stellen aufgehoben wurde [. . .] Da das KRG Nr. 18 ohne Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane des Bundes erlassen ist, konnte es nur dann ein „Bundesgesetz“ im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG sein, wenn es nach Art. 124, 125 GG Bundesrecht geworden ist. Das ist jedoch nicht der Fall [. . .] Ohne Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang, ob man die von den Besatzungsmächten in Deutschland ausgeübte hoheitliche Gewalt ihrem Wesen nach ausschließlich oder doch auch als deutsche Staatsgewalt ansieht. Es handelt sich hier um ein völkerrechtliches Problem, aus dessen Lösung für die Beantwortung der Frage, ob das von den Besatzungsmächten gesetzte Recht Bundesrecht im Sinne einer konkreten Bestimmung des Grundgesetzes ist, nichts gewonnen werden kann.“ 143 Dazu Heidelmeyer, Immunität und Rechtsschutz gegen Akte der Besatzungshoheit in Berlin, in: ZaöRV 46 (1986), S. 519 ff.; Geulen, in: NJW 38 (1985), S. 1055 ff.; Schröder, in: Recht und Politik 1985, S. 24 ff.; Herbst, Rechtsschutz; Freitag, Rechtsschutz; Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 9 ff. 144 Vgl. Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 17, 37. 145 Vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 125 ff. 146 Vgl. Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 37; Herbst, Rechtsschutz, S. 94, 97, 101.
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schaffende besondere Streitschlichtungsstelle für Berlin erwogen, die schließlich ins Leben gerufen wurde147 bzw. allgemein an die Selbstbeschränkung der Alliierten appelliert.148 Eine Kontrolle der internationalen alliierten Instanzen fand durch die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht statt. Der Gedanke einer Ausübung von genuin nationaler hoheitlicher Gewalt durch internationale Instanzen gleichsam im Wege einer Ersetzung der nationalen Behörden mit der Folge, dass die betreffenden Akte den jeweils substituierten nationalen Organen oder zumindest dem nationalen Souverän als solchem zugerechnet werden – wie es das BIHVG am bosnischen Beispiel angedeutet hat –, tauchte in der Diskussion um das Verhältnis von alliierter und deutscher Hoheitsgewalt nur ansatzweise und bruchstückhaft auf: So käme eine treuhänderische Wahrnehmung der Befugnisse eines besetzten Staates, die diesem selbst zuzurechnen wäre, nach Ansicht des BVerfG höchstens dann in Betracht, „soweit es sich um die ,normale‘ Ausübung staatlicher Gewalt im ausschließlichen Interesse des vertretenden Staates und für dessen Zwecke handelte.“149 Dieses obiter dictum des BVerfG hat ebenso wenig praktische Auswirkungen bzw. Konkretisierung erfahren wie die zwischenzeitlich vom Foreign Office vertretene These, der britische Stadtkommandant von Berlin sei als ein Organ des deutschen Staates aufzufassen.150 Die Vorstellung einer gewissen Dualität des Handlungsinstrumentariums der Besatzungsorgane als Lösungsansatz des Kontrollproblems ist lediglich vereinzelt wie folgt zum Ausdruck gebracht worden: „Ein dritter Weg könnte sich allerdings ergeben, wenn die Besatzungsbehörden darauf verzichten würden, selbst nach Besatzungsrecht zu entscheiden, und wenn sie stattdessen den allemal für die Ausführung verantwortlichen deutschen Behörden die Entscheidung nach deutschem Recht aufgeben würden. Das würde bedeuten, dass für den Wohnungsbau am Rande des Landschaftsschutzgebietes oder für den Bau des Schießplatzes in Gatow das mit der Bauabwicklung beauftragte deutsche Bauamt der Oberfinanzdirektion Berlin das Vorhaben als eigene Maßnahme plant, zur Genehmigung beantragt und mögliche Rechtstreitigkeiten vor deutschen Gerichten austrägt. Die politische Weisheit der Besatzungsbehörden würde sich dann erweisen, wenn sie nachteilige deutsche Gerichtsentscheidungen akzeptieren und der Versuchung widerstehen, sich nach Besatzungsrecht darüber hinwegzusetzen.“151
147 Vgl. Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 38; Freitag, Rechtsschutz, S. 210; zur Bedeutung der im Jahre 1988 eingerichteten Allierten Beschwerdestelle siehe Forch, in: NJW 41 (1988), S. 1823 ff.; Herbst, Rechtsschutz, S. 102 ff. 148 Vgl. Schröder, in: Recht und Politik 1985, S. 30. 149 BVerfGE 27, 253 (297). 150 Dazu Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 17 Fn. 28 m. w. N. sowie S. 36. 151 Schröder, in: Recht und Politik 1985, S. 30.
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Diese Überlegung tendiert also zu der Annahme, dass die Besatzungsbehörden zwar einerseits auf der Basis ihrer besatzungsrechtlichen und damit völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen zu handeln in der Lage sind, aber zumindest auch im Rahmen der nationalen Rechtsordnung operieren könnten und sei es nur – wie hier angedeutet – indem sie die nationalen Behörden, wenn nicht substituieren, so doch zumindest dirigieren und auf diesem Wege ihrer Rechtsnatur und ihrer formalen Herkunft nach nationale Rechtsakte erzeugen, die demzufolge auch einer rechtlichen Überprüfung durch die deutsche Gerichtsbarkeit zugänglich sind. Dieser Gedanke, welcher der am Beispiel Bosnien und Herzegowinas bislang skizzierten Idee von der funktionalen Dualität internationaler Verwaltungsinstanzen am nächsten kommt, ist zwar in Ansätzen als gangbare Lösungsmöglichkeit bezeichnet worden152, hat jedoch weder in der Literatur noch gar in der Praxis Widerhall gefunden.153 Ein Handeln deutscher Behörden auf Geheiß der Besatzer mit der Folge der Zuständigkeitseröffnung deutscher Verwaltungsgerichte sei grundsätzlich mit dem (internationalen) Status der Alliierten nicht vereinbar.154 Festzuhalten ist, dass die zumindest im Hinblick auf Westberlin zeitlich umfangreiche Besatzungserfahrung in Deutschland zwar die Frage nach Rechtskontrolle der internationalen Besatzer, Treuhänder, Verwalter aufgeworfen, allerdings diesbezüglich „konservative“ Antworten und Lösungsansätze zu Tage gefördert hatte. Es verblieb im Wesentlichen bei der Vorstellung der Parallelität von internationaler und nationaler Ausübung hoheitlicher Gewalt mit der grundsätzlichen Folge der Inkompatibilität nationaler Jurisdiktion und völkerrechtlich abgestützter Setzung von Rechtsakten. Überlegungen in Richtung einer Dualität 152
Vgl. Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 36. Der Gedanke einer Verfahrens- bzw. Prozessstandschaft deutscher Behörden für ausländische Hoheitsträger hat jedoch an einer der hier skizzierten Besatzungsproblematik verwandten Schnittstelle von nationaler und internationaler bzw. ausländischer Hoheitsgewalt Verwirklichung gefunden, nämlich anhand des Problems der Bindung von NATO-Stationierungsstreitkräften an die deutsche Rechtsordnung. Im Kern geht es dabei um das im NATO-Truppenstatut (NTS, 1951) sowie dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (ZANTS, 1959) bzw. dessen Neufassung (1993) ausbuchstabierte Spannungsfeld zwischen der Staatenimmunität ausländischer Stationierungstreitkräfte und der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Hinblick auf die Frage der Geltung und Durchsetzung des deutschen Bau- und Immissionsschutzrechts bei Baumaßnahmen sowie sonstigen Nutzungen von Liegenschaften durch NATO-Stationierungstruppen auf deutschem Boden. Vgl. Berger, Die Verfahrensstandschaft für die Stationierungsstreitkräfte, 1995; Scheidler, NATO-Truppenübungsplätze zwischen Staatenimmunität und Gebietshoheit, 2003; Heitmann, in: NJW 42 (1989), S. 432 ff.; Koch-Sembdner, in: VerwArch 79 (1988), S. 462 ff.; Ronellenfitsch, in: VerwArch 76 (1985), S. 317 ff.; Sennekamp, in: NJW 36 (1983), S. 2731 ff.; Kraatz, DÖV 43 (1990), S. 382 ff.; aus der Rechtsprechung z. B. VGH Kassel, NJW 1984, 2055 f.; 1986, 677 ff.; BVerfG NJW 41 (1988), 1651; OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 174 ff.; VGH Mannheim, VBlBW 1992, 431 ff. 154 Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 36, der das Beispiel erwähnt, dass dann auch deutsche Behörden Manöver alliierter Truppen anordnen müssten. 153
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des rechtlichen Aktionsrahmens der internationalen Instanzen blieben die Ausnahme. Ins Werk gesetzt wurden sie nicht. Eine theoretische oder praktische Grundlegung der vom BIHVG verwendeten Vorstellung von funktionaler Dualität kann somit dem deutschen Beispiel nicht entnommen werden. Ähnliches gilt für den Fall der Besatzung Österreichs nach dem zweiten Weltkrieg (1945– 1955). Auch hier hatten sich die nationalen Gerichte für unzuständig zur rechtlichen Überprüfung von Akten der alliierten Besatzungsbehörden erklärt.155 Von Seiten des österreichischen Justizministeriums ist ebenfalls festgestellt worden, dass die Anordnungen der Besatzungsmächte ihren Geltungsgrund im Besatzungsrecht, d. h. im internationalen Recht, finden und zwingendes Recht darstellen, auch wenn sie nicht der österreichischen Rechtsordnung zuzuordnen sind.156 (2) Das Beispiel des Rechtsschutzes gegenüber supranationaler Hoheitsgewalt durch die deutsche Gerichtsbarkeit Eingeschoben sei an dieser Stelle ein weiterer Gedanke aus diesem Problemkreis, auf den das BIHVG zwar keinen Bezug genommen hat, der allerdings im gegebenen Kontext erwähnenswert erscheint. Das BVerfG hatte in seinem kontrovers diskutierten Maastricht-Urteil157 aus dem Jahre 1993 in Bezug auf die Frage der rechtlichen Kontrollierbarkeit von Hoheitsakten internationaler bzw. supranationaler Provenienz u. a. einen grundsätzlichen Standpunktwechsel vollzogen. Hatte es in seiner Eurocontrol I-Entscheidung158 (1981) noch die („klassische“) Sichtweise vertreten, dass das Grundgesetz (Art. 19 Abs. 4 GG) nur Rechtsschutz gegenüber der verfassungsmäßig gebundenen deutschen öffentlichen Gewalt gewährleiste159, so hat das Gericht in der späteren Entscheidung Folgendes festgestellt: „Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben [. . .] Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine 155 Vgl. Stödter, Rechtslage, S. 214 m. w. N.; LG Wien, Urteil v. 04.04.1947, in: ÖstJZ 2 (1947), S. 171; OLG Wien, Urteil v. 06.12.1946, in: ÖstJZ 2 (1947), S. 79. 156 Vgl. Stödter, Rechtslage, S. 213. 157 BVerfGE 89, 155. 158 Sowie auch in den vorangegangenen, z. T. oben im Zusammenhang mit dem Problem der Rechtskontrolle alliierter Hoheitsgewalt zitierten Entscheidungen. 159 BVerfGE 58, 1 (26). So auch die einhellige Auffassung im Schrifttum, vgl. Tietje, in: JuS 33 (1994), S. 199 m. w. N.; dazu auch Walter, in: AöR 129 (2004), S. 46; bestätigt wurde diese Rechtsprechung in der Eurocontrol II-Entscheidung BVerfGE 59, 63 (85 ff.).
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Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem „Kooperationsverhältnis“ zum Europäischen Gerichtshof aus, [. . .].“160
Seiner bisherigen, am formalen Kriterium der Urheberschaft des jeweiligen Hoheitsakts orientierten Rechtsprechung, hat das BVerfG nunmehr also einen sozusagen „territorialen“161 Ansatz gegenübergestellt. Das Gericht nimmt für sich mithin in Anspruch, Grundrechtsschutz in Deutschland zu gewährleisten, ohne eine Unterscheidung nach der Herkunft des betreffenden Hoheitsakts vorzunehmen162, also nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen. Dieser mitunter heftig kritisierten163 Auffassung scheint ein Verständnis zugrunde zu liegen, nach dem die in den nationalen Verfassungsraum hineinwirkende „europäische“ Hoheitsgewalt in das staatsorganisationsrechtliche Gefüge der deutschen Verfassung integriert wird, also der deutschen Hoheitsgewalt durch die verfassungsrechtliche Weichenstellung des GG in Richtung Integrationsoffenheit quasi gleichgestellt wird.164 Zur „öffentlichen Gewalt“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zählt das Gericht also nunmehr auch die von den europäischen Gemeinschaftsorganen ausgeübte Hoheitsgewalt165 und eröffnet sich damit in dogmatischer Hinsicht166 eine grundsätzliche Kontrollmöglichkeit167, die es freilich für die Praxis sofort wieder einschränkt mit dem Hinweis auf das „Kooperationsverhältnis“168 mit dem EuGH. Es sei darauf hingewiesen, dass abgesehen von diesen Eckpfeilern der deutschen Verfassungsrechtsprechung vereinzelte Stimmen in der Literatur Gedanken äußerten, die in etwa wie folgt in die Richtung der Theorie der funktionalen Dualität deuteten, wohlgemerkt ohne signifikanten Widerhall zu finden: „Wird auf die internationale Organisation nicht Hoheitsgewalt selbst, sondern nur Ausübung von Hoheitsgewalt übertragen, verbleibt das diese Hoheitsgewalt ausübende Handeln grundsätzlich im Bereich der Rechtsprechungszuständigkeit der innerstaatlichen Gerichte. Denn die von der internationalen Organisation nur ausgeübte Hoheitsgewalt bleibt nationale Staatsgewalt des die Ausübung übertragenden 160
BVerfGE 89, 155 (175). Hervorhebungen des Verfassers. Frowein, in: ZaöRV 54 (1994), S. 4; zu den praktischen Folgeproblemen und Zweifeln an diesem „territorialen“ Ansatz in der nachfolgenden Rechtsprechung des BVerfG Walter, in: AöR 129 (2004), S. 47 ff. 162 Walter, in: AöR 129 (2004), S. 46. 163 Z. B. König, in: ZaöRV 54 (1994), S. 23; Frowein, in: ZaöRV 54 (1994), S. 5; Tietje, in: JuS 33 (1994), S. 200; Nicolaysen/Nowak, in: NJW 54 (2001), S. 1234. 164 Tietje, in: JuS 33 (1994), S. 199. 165 Vgl. König, in: ZaöRV 54 (1994), S. 23. 166 Auf die Folgen dieses neuen dogmatischen Ansatzes für das Verständnis der europäischen Integration hinweisend: Frowein, in: ZaöRV 54 (1994), S. 5. 167 Walter, in: AöR 129 (2004), S. 46. 168 Zum Inhalt dieses „Kooperationsverhältnisses“ z. B. Tietje, in: JuS 33 (1994), S. 200 f. 161
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
Staates. Die von einer internationalen Organisation nur ausgeübte Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland ist öffentliche Gewalt im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG. Der Streit um ihre Rechtmäßigkeit ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO.“169
Was das bosnische Beispiel anbelangt, so ist festzuhalten, dass die Behörde des Hohen Repräsentanten ihrem Charakter nach einer Besatzungsbehörde zumindest nicht unähnlich ist.170 Bezüglich der Art und Weise der Ausübung von Hoheitsgewalt weist sie allerdings auch gewisse Ähnlichkeiten zu den supranationalen171 europäischen Gemeinschaften auf: So kann der HR beispielsweise Exekutiv- und Legislativakte mit unmittelbarer Wirkung im innerstaatlichen Rechtsraum von Bosnien und Herzegowina vornehmen. Wie im Falle der europäischen Gemeinschaften172 stellt sich mithin auch im Falle der internationalen Verwaltung in BiH die Frage nach der rechtlichen Einordnung der jeweiligen internationalen „Suprastruktur“ und den sich daraus ergebenden Folgen für das Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht.173 Vor dem Hintergrund des Bestrebens, dieses Verhältnis auszuloten und seinem Auftrag als Hüter der Verfassung gerecht zu werden – auch und insbesondere mit Blick auf die inkorporierten internationalen Individualrechtsverbürgungen, hätte es nicht fern gelegen, wenn auch das BIHVG einen derartigen „territorialen Ansatz“ gewählt hätte, um seine Zuständigkeit zur rechtlichen Kontrolle der Hoheitsakte des HR dogmatisch zu untermauern. Ist das Maastricht-Urteil des BVerfG mitunter gerade deswegen kritisiert worden, weil das Gericht (theoretisch) auf Konfrontationskurs mit dem EuGH geht und dabei dessen fortentwickelten Rechtsschutz auf europäischer Ebene in Frage stellt, so könnte man einen vergleichbaren Vorwurf mutatis mutandis dem BIHVG nicht machen, da zumindest ein ausdrücklich geregelter internationaler Rechtsschutzmechanismus gegenüber der internationalen Administration im Gefüge von Dayton nicht existiert. Ebenso wäre dem BIHVG nicht vorzuwerfen gewesen, dass es durch eine kontrollierende Rechtsprechung die Funktionsfähigkeit174 einer internationalen Einrichtung in anderen Mitgliedstaaten gefährdet: Die Be169 Krause-Ablass, in: Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (1972), S. 173; Zur Kritik an dieser Überlegung Randelzhofer, INTERPOL, S. 537. 170 Vgl. die Ausführungen in Kapitel II. 171 Der Begriff der „Supranationalität“ ist kein Rechtsbegriff. Die Tatsache, dass er deskripitiv regelmäßig im Zusammenhang mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht verwendet wird, bedeutet nicht, dass nicht auch andere internationale Organismen Merkmale aufweisen können, die von „supranationalem“ Charakter zeugen. Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 77, 96. 172 Tietje, in: JuS 33 (1994), S. 199. 173 Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 391. 174 So das BVerfG in seiner Eurocontrol I-Entscheidung (E 58, 1 (28)); hierzu auch Frank, Verantwortlichkeit, S. 95, der darauf hinweist, dass andere europäische Verfassungsgerichte sich zu diesem Problemkreis gar nicht geäußert haben.
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hörde des Hohen Repräsentanten – darin liegt wiederum seine Nähe zur Besatzungsbehörde – „wirkt“ nur auf dem Gebiet, sowie für und im Interesse des Staates Bosnien und Herzegowina. Diese besondere Verklammerung des Staates mit der Treuhandverwaltung der internationalen Gemeinschaft hätte es nahe liegend erscheinen lassen, wenn das BIHVG sich grundsätzlich für die rechtliche Kontrolle von hoheitlichen Akten mit Wirkung in Bosnien und Herzegowina kompetent erklärt hätte. Ebenfalls wäre es nicht verwunderlich, wenn sich das BIHVG hierbei von den Gedanken des BVerfG hätte inspirieren lassen. Aufgrund seiner internationalen Besetzung und Expertise sowie schlicht der kurzen eigenständigen verfassungsstaatlichen Tradition von Bosnien und Herzegowina hat das BIHVG immer wieder auf andere Staaten zu Vergleichszwecken Bezug genommen und die Rechtsprechung von anderen Verfassungsgerichten bei der eigenen Urteilsbildung zu Rate gezogen.175 Das BIHVG hat aber der hier erwähnten Überlegung den Gedanken der funktionalen Dualität vorgezogen, dessen Funktionsweise und Tauglichkeit in der Praxis noch zu erörtern sein werden. (3) Das Beispiel der Mandats- und Treuhandgebiete Auch das vom BIHVG erwähnte Beispiel der Mandatsgebiete in der Völkerbundszeit vermag eine historische Wurzel des Gedankens der funktionalen Dualität von internationaler und nationaler Hoheitsgewalt nicht zu Tage zu fördern. Wenn auch die internationalen Verwaltungsmissionen in Bosnien und Herzegowina sowie im benachbarten Kosovo auf den ersten Blick gewisse Ähnlichkeiten aufweisen zu der Territorialverwaltung gemäß dem Mandatssystem des Völkerbunds sowie dem Treuhandsystem der Vereinten Nationen176, so ist doch auf zentrale Unterschiede hinzuweisen. Das Mandatssystem des Völkerbunds177 diente der Administration von ehemaligen Kolonien und abhängigen Gebieten des Deutschen und des Osmanischen Reiches.178 Genau genommen handelte es sich dabei gar nicht um Beispiele internationaler Verwaltung, da die betreffenden Gebiete weder von einer Internationalen Organisation wie z. B. dem Völker175 Vgl. allein die Verweise auf die Verfassungen der USA, Frankreichs, Kanadas, Belgiens, Großbritanniens, Griechenlands, die Rechtsprechung des Kanadischen Supreme Court sowie der Europäischen Kommission und des Gerichtshofs für Menschenrechte in der Leitentscheidung U 05/98 Partial Decision III, §§ 11, 16, 23, 55, 119, 120, 121 sowie Partial Decision IV, §§ 39, 41, 42. 176 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 116. 177 Vgl. Art. 22 der Völkerbundsatzung, Abs. 1: „. . . peoples not yet able to stand by themselves under the strenuous conditions of the modern world [. . .] the tutelage of such peoples should be entrusted to advanced nations who by reason of their resources, their experience or their geographical position can best undertake this responsibility.“ 178 Köck/Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Aufl., 1997, S. 186.
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bund, eines Unterorgans desselben oder einer ad hoc geschaffenen internationalen Behörde verwaltet wurden, sondern von einzelnen Mandatarstaaten.179 Es handelte sich insoweit um treuhänderisch eingebundene, durch die Staatengemeinschaft in Form des Völkerbunds lose überwachte Verwaltung180 von bestimmten Gebieten, die – insbesondere auf Druck der antikolonial eingestellten USA181 – durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges nicht annektiert wurden, sondern im Zuge eines schrittweise einsetzenden Entkolonialisierungsprozesses zur Erlangung von Selbstbestimmung bzw. staatlicher Unabhängigkeit geführt werden sollten.182 So sehr der Aspekt der Verwaltung unter Aufsicht der Völkergemeinschaft im Interesse des verwalteten Gebiets und dessen Einwohnern den heutigen Vorstellungen internationaler Administration nahe kommen mag, so ist freilich auch festzuhalten, dass die Verwaltung der Mandatsgebiete zum Teil in vergleichbarer Weise wie diejenige der Kolonien der jeweiligen Mandatsmächte durchgeführt wurde.183 Zwar waren die Mandatsgebiete nicht Teil des Staatsgebiets der Mandatsmacht, diese hatte allerdings im Falle von weniger entwickelten Gebieten (sog. B- und C-Mandate) die Möglichkeit, die Anwendung ihrer nationalen Rechtsordnung auf die betreffenden Territorien zu erstrecken.184 Die Kontrolle der Mandatare durch die Organisation des Völkerbunds konnte allenfalls als symbolisch betrachtet werden, sie erschöpfte sich im Wesentlichen in jährlichen Berichtspflichten an die Mandatskommission über Zustand und Fortkommen der verwalteten Gebiete.185 Eine Nachprüfung dieser Berichte bzw. Inspektionen der betreffenden Territorien durch den Völkerbund fanden nicht statt.186 Kollisionen von internationaler und nationaler Hoheitsgewalt und die damit zusammenhängende Frage nach Rechtskontrolle internationaler Verwaltungsinstanzen durch nationale Gerichte wie sie im Rahmen der Besatzungserfahrungen Deutschlands und Österreichs sowie am Bei-
179 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 286; Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 187. 180 Geiger, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, 1994, Art. 87, Rn. 2. 181 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 280; Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, 1994, Art. 75 Rn. 6. 182 Vgl. den Text der Völkerbundsatzung; vgl. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 5 Rn. 35; Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 186. 183 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 285. 184 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 281; ders., in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 75, Rn. 4; Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 188. Zur rechtlichen Situation in den Kolonialgebieten Kämmerer, Spätfolgen des Imperialismus, in: FAZ v. 06.08.2004, S. 6. 185 Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 189; Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 75 Rn. 4; Geiger, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 87 Rn. 2. 186 Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 285; auch Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 117.
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spiel Bosnien und Herzegowinas in den Blickpunkt gerückt sind, standen im Falle der Mandatsverwaltungen schon deswegen nicht im Vordergrund, da die verwalteten B- und C-Mandate187 nicht über ein veritables eigenes Rechtssystem oder gar die Struktur eines zumindest formal souveränen Verfassungsstaats verfügten, bzw. von den Mandataren ohnehin deren eigene Rechtsordnung angewendet wurde. Elemente einer Co-Administration wie sie die Beispiele Deutschlands, Österreichs und Bosnien und Herzegowinas zeigen, sind am ehesten in Fällen von A-Mandaten zu erkennen. Hierbei handelte es sich um arabische Gebiete des Osmanischen Reiches, die aufgrund ihres Entwicklungsstands bereits vorläufig als unabhängige Staaten anerkannt wurden, deren Verwaltung jedoch durch Rat und Unterstützung eines Mandatarstaates übergangsweise geleitet wurde.188 Bemerkenswert am Mandatssystem des Völkerbunds war der treuhänderische Charakter der Gebietsverwaltung und die in Ansätzen entwickelte politische Überwachung derselben durch die Staatengemeinschaft. Dass eine solche Überwachung durch die internationale Gemeinschaft auch in Form von gerichtlicher Kontrolle erfolgen kann, zeigte der Fall des Mandatsgebiets Südwestafrika. Nachdem der Völkerbund als Urheber des Mandatssystems im Jahre 1946 aufgelöst worden war, kam es in der Folgezeit zu jahrzehntelangen politischen und rechtlichen Kontroversen über das weitere Schicksal Südwestafrikas zwischen dem Mandatarstaat Südafrika, der eine Einverleibung des Mandatsgebiets in den eigenen Staat anstrebte189, und den Vereinten Nationen bzw. der Mehrheit ihrer Mitgliedstaaten.190 Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte in diesem Zusammenhang im Wege einer Reihe von Gutachten und Entscheidungen u. a. zu Rechtsfragen Stellung zu beziehen, wie dem Fortbestehen des Mandats und der Verpflichtungen des Mandatarstaats bzw. der Überwachungsbefugnisse der Vereinten Nationen nach der Auflösung des Völkerbunds191, den Einzelheiten betreffend die Überwachung durch die Vereinten Nationen192, dem Problem der 187 Je nach Entwicklungsgrad der betreffenden Gebiete unterschied die Völkerbundsatzung nach A-, B- und C-Mandaten, vgl. Rauschning, Mandates, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 281. 188 Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 188. 189 Vgl. Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 77 Rn. 9. 190 Für einen Überblick über die Ereignisse vgl. Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 334 ff.; Klein, South West Africa/Namibia (Advisory Opinions and Judgements), in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 491 ff.; Bernhardt, in: ZaöRV 33 (1973), S. 12 ff. 191 International Status of South West Africa, Advisory Opinion of 11 July 1950, ICJ Reports 1950, 128. 192 Voting Procedure on Questions relating to Reports and Petitions concerning the Territory of South West Africa, Advisory Opinion of 7 June 1955, ICJ Reports 1955, 67; Admissibility of Hearings of Petitioners by the Committee on South West Africa, Advisory Opinion of 1 June 1956, ICJ Reports 1956, 23.
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Geltendmachung von etwaigen Pflichtverletzungen des Mandatars vor dem IGH durch Drittstaaten193 sowie der Wirksamkeit des Widerrufs des Mandats durch die Vereinten Nationen und somit der Widerrechtlichkeit des Verbleibs südafrikanischer Kräfte in Südwestafrika194 (später Namibia genannt195). Die Judikatur des IGH leistete eine Aufarbeitung wesentlicher völkerrechtlicher Fragen das Mandatsregime betreffend, fungierte jedoch nicht etwa als eine internationale gerichtliche Kontrolle von konkreten Hoheitsakten des Mandatars im Mandatsgebiet.196 Das vom BIHVG nicht erwähnte Treuhandsystem der Vereinten Nationen197 diente als Nachfolger des Mandatssystems ebenso dem Ziel, entweder ehemalige Mandatsgebiete, von Feindstaaten in Folge des Zweiten Weltkrieges abgetrennte Hoheitsgebiete oder freiwillig dem System unterstellte Gebiete198 in die Unabhängigkeit bzw. Selbstverwaltung zu führen.199 Obwohl nach dem Wortlaut der VN-Charta200 auch die Möglichkeit einer Verwaltung direkt durch die Organisation der Vereinten Nationen vorgesehen war201, verblieb es auch im Rahmen des Treuhandsystems bei der völkerrechtlich gebundenen Administration der betreffenden Gebiete durch einzelne Staaten202, wenn auch die Verpflichtungen der Treuhänder sowie die Überwachung derselben durch die Vereinten Nationen nunmehr ausführlicher geregelt bzw. durchgeführt wurden.203 Problematisch war freilich die Bestimmung des Rechtsstatus der so verwalteten 193 South West Africa (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Preliminary Objections – Judgement of 21 December 1962, ICJ Reports 1962, 319; South West Africa (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase – Judgement of 18 July 1996, ICJ Reports 1966, 505. 194 Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion of 21 June 1971, ICJ Reports 1971, 16. 195 Vgl. UN GA Res. 2372 (XXII), 12.06.1968. 196 Für Namibia wurde zwischenzeitlich eine VN-Übergangsverwaltung eingerichtet, die aufgrund der andauernden Truppenpräsenz Südafrikas auf dem Territorium Namibias nie aktiv werden konnte, jedoch einen Legislativakt verabschiedete, vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 460 f. m. w. N. 197 Geregelt in Kap. XII und XIII, Art. 75 ff. VN-Charta. 198 Art. 77 Abs. 1 VN-Charta. 199 Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 332. Für eine Übersicht über die Treuhandgebiete vgl. Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 75 Rn. 16. 200 Vgl. Art. 81 VN-Charta. 201 Vgl. auch Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 118. 202 Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 333; vgl. die Übersicht bei Rauschning, United Nations Trusteeship System, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1195. 203 Vgl. Art. 76 ff., 86, 87 VN-Charta; Rauschning, United Nations Trusteeship System, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1193; ders., in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 76 Rn. 6; Geiger, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 87 Rn. 1 ff.
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Gebiete. Keine souveränen Staaten einerseits, aber auch nicht integrale Bestandteile der Territorien der Treuhänder, wurden die Treuhandgebiete u. a. als partiell völkerrechtsfähig betrachtet.204 Kurzum, auch bei dieser Nachfolgestruktur des Mandatssystems, welches wie dieses ein Mittel eines sukzessiven Dekolonialisierungsprozesses unter Aufsicht der Staatengemeinschaft darstellte205, wurden Rechtsfragen aufgeworfen wie die der Souveränität206, der (politischen) Kontrolle des Treuhänders, der Beziehungen der Einwohner der betreffenden Gebiete zur Treuhandmacht207 etc. (4) Das Beispiel der Verwaltung des Saargebiets durch den Völkerbund Ein weiterer, vom BIHVG nicht angesprochener historischer Vergleichswert, der in diesem Kontext Erwähnung verdient, ist die internationale Verwaltung des Saargebiets durch den Völkerbund von 1920 bis 1935. Das Saarbecken als Teil des Deutschen Reiches wurde nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag der treuhänderischen Verwaltung des Völkerbunds unterstellt, bis nach Ablauf einer Frist von fünfzehn Jahren die Bevölkerung per Volksabstimmung über die endgültige staatsrechtliche Zugehörigkeit des Territoriums zu Deutschland oder Frankreich oder aber zugunsten der Beibehaltung des status quo entscheiden sollte.208 Aus politischer Sicht stellte diese Konstruktion eine Kompromisslösung dar, die es Frankreich ermöglichte, das industriell wertvolle Saargebiet, insbesondere die Kohlevorkommen, wirtschaftlich zu nutzen, ohne jedoch die Territorialhoheit darüber zu erlangen.209 Über den staatsrechtlichen bzw. völkerrechtlichen Status des Saargebiets während dieses Zeitraums herrschte Uneinigkeit.210 Besonders die Frage, ob die Souveränität des Deut204 Dazu Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 75 Rn. 16 m. w. N. 205 Vgl. Rauschning, United Nations Trusteeship System, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1199. 206 Vgl. Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 75 Rn. 15; Chowdhuri, International mandates and trusteeship systems, 1955, S. 230 ff. 207 Chowdhuri, International mandates, S. 233 f. 208 Art. 49 des Versailler Vertrags: „(1) Germany renounces in favour of the League of Nations, in the capacity of trustee, the government of the territory defined above. (2) At the end of fifteen years from coming into force of the present Treaty the inhabitants of the said territory shall be called upon to indicate the sovereignty under which they desire to be placed.“ 209 Münch, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 271; Simons, Die völkerrechtliche Stellung des Saargebiets, in: Grabowsky/Sante (Hrsg.), Die Grundlagen des Saarkampfes, 1934, S. 101; Schramm, Das Saargebiet, 1932, S. 7 ff.; zur Entstehungsgeschichte der Bestimmungen des Versailler Vertrags über das Saargebiet vgl. Weißbuch der deutschen Regierung, Das Saargebiet unter der Herrschaft des Waffenstillstandsabkommens und des Vertrags von Versailles, 1921, S. 1 ff.
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schen Reiches im Saargebiet ganz bzw. teilweise fortbestand, lediglich „suspendiert“ worden oder gar erloschen war, gab Anlass zur Diskussion.211 Nach der Konzeption des dem Versailler Vertrag als Annex angehängten Saarstatuts sollte die Souveränität des Deutschen Reiches über das Saarterritorium fortbestehen, die Regierungsgewalt auf dem Gebiet jedoch vollständig auf eine fünfköpfige, internationale, durch den Völkerbund zu ernennende Regierungskommission übergehen.212 Die territoriale Souveränität und die Gebietshoheit über das Saargebiet fielen somit auseinander. Diese Konstellation kann als eine Form der völkerrechtlichen Verwaltungszession charakterisiert werden.213 Dem Mandatssystem des Völkerbundes wurde das Saargebiet ausdrücklich nicht unterstellt.214 Die Klassifizierung des Rechtsstatus des Saargebiets in diesem Zeitraum stellte sich also ähnlich kompliziert dar, wie dies gegenwärtig für das durch die Vereinten Nationen verwaltete Gebiet des Kosovo der Fall ist.215 Die im Saarstatut (SSt.) als Vertreterin des Völkerbunds (§ 16 SSt.) verankerte Regierungskommission fungierte als zentrale Verwaltungsinstanz des Saargebiets, welche „alle Regierungsbefugnisse, welche bisher dem Deutschen Reiche, Preußen oder Bayern zustanden“ sowie die „volle Freiheit in der Verwaltung und im Betrieb der Eisenbahnen, Kanäle und sonstigen öffentlichen Einrichtungen“ (§ 19 SSt.) innehatte. Neben dieser umfassenden Verwaltungskompetenz stand der Regierungskommission auch die Befugnis zu, nach Anhörung der gewählten Vertreter der Bevölkerung Verordnungen zu erlassen (§ 23 Abs. 2 SSt.), d. h. die weiter in Kraft bleibenden, im Saargebiet bislang geltenden gesetzlichen Regelungen (§ 23 Abs. 1 SSt.) zu ändern oder zu ergänzen.216 Die Rechtsordnung des Saargebiets bestand somit aus dem grundsätzlich fortgeltenden nationalen zivilen und öffentlichen Recht, dem (völkerrechtlichen) Saarstatut des Versailler Vertrags sowie den Legislativakten der Regierungskommission.217
210 Vgl. Simons, Stellung, S. 104 ff.; Schramm, Saargebiet, S. 19 ff.; Schwalb, Die „Staatlichkeit“ des Saargebiets, in: Grabowsky/Sante (Hrsg.), Die Grundlagen des Saarkampfes, 1934, S. 160 ff.; Katsch, Regierung und Volksvertretung im Saargebiet, 1930, S. 20 ff. 211 Vgl. Hamel, Die staatsrechtliche Stellung des Saargebiets, in: Grabowsky/Sante (Hrsg.), Die Grundlagen des Saarkampfes, 1934, S. 130 ff.; Schramm, Saargebiet, S. 33 ff. 212 Vgl. den Wortlaut von Art. 17, 19 und 35 des Saarstatuts, abgedruckt bei Grabowsky/Sante (Hrsg.), Die Grundlagen des Saarkampfes, 1934, S. 363 ff. 213 Schmalenbach, Haftung, S. 125; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 23 Rn. 50 ff. 214 Vgl. Simons, Stellung, S. 110. 215 Vgl. Stahn/Zimmermann, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 423 ff. 216 Hierzu Katsch, Regierung, S. 78; Schramm, Saargebiet, S. 49 ff. 217 Schmalenbach, Haftung, S. 128.
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Die Regierungskommission stellte einerseits ein auf völkervertragsrechtlicher Grundlage geschaffenes, internationales Organ218 dar, welches mit partieller Völkerrechtspersönlichkeit zur Wahrnehmung der Auslandsinteressen der Einwohner des Saargebiets ausgestattet war (§ 21 SSt.).219 Andererseits hatte die Regierungskommission innerhalb der Rechtsordnung des Saargebiets als Zurechnungssubjekt von hoheitlichen Rechten und Pflichten den Rechtsstatus einer juristischen Person des öffentlichen Rechts inne220, die in der Lage war, anstelle vormals zuständiger deutscher Stellen Hoheitsakte mit unmittelbarer Wirkung für das Saarterritorium zu erlassen. Mit Blick auf den vorliegend interessierenden Kontrollgesichtspunkt ist festzuhalten, dass der Völkerbund als völkerrechtlich verantwortlicher Treuhänder darüber wachte, dass die Regierungskommission die prinzipiellen Grenzen ihrer völkervertraglich zugewiesenen Verwaltungsaufgaben einhielt.221 Als Mittel dieser vorwiegend politischen Kontrolle dienten insbesondere die Berichtspflichten der Regierungskommission gegenüber dem Völkerbund sowie dessen Kompetenz zur jährlichen Einsetzung und Abberufung der fünf Kommissionsmitglieder.222 Was die konkrete Regierungstätigkeit der Regierungskommission im Saargebiet betrifft, bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass die Regierungskommission in ihrer Funktion als Substitut entsprechender deutscher Hoheitsträger an die Rechtsordnung des Saargebiets und somit an die fortgeltenden deutschen Gesetze gebunden war.223 Diese Rechtsbindung der Regierungskommission beim Erlass von Hoheitsakten ist durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit224 des Saargebiets auch gerichtlich überprüft worden, sowohl hinsichtlich der Vereinbarkeit von Rechtsakten mit einfachem Recht als auch mit dem Saarstatut des Versailler Vertrags.225 Gerade im Hinblick auf die rechtlichen Grenzen der
218 Hinsichtlich der haftungsrechtlich bedeutsamen Frage, ob die Regierungskommission als Organ des Völkerbunds oder aber als dessen (rechtlich selbständiger) völkerrechtlicher Stellvertreter einzuordnen war, gingen die Meinungen auseinander. Vgl. Groten, Die Kontrolle des Völkerbundes über die Tätigkeit der Regierungskommission des Saargebietes, 1929, S. 10 ff.; Katsch, Regierung, S. 17, 33; Köck/Fischer, Recht der Internationalen Organisationen, S. 156; Schramm, Saargebiet, S. 97; Andres, Grundlagen des Rechtes im Saargebiet, 1926, S. 57; Schmalenbach, Haftung, S. 148 ff., 157 ff.; Tiné, Die Entwicklung der Selbstverwaltung im Saargebiet seit 1918, 1934, S. 17. 219 Das Verständnis als partielles Völkerrechtssubjekt kam auch z. B. dadurch zum Ausdruck, dass die Regierungskommission als Vertreterin des Saargebiets über den Beitritt zu internationalen Abkommen verhandelte, vgl. Simons, Stellung, S. 104 ff. 220 Schmalenbach, Haftung, S. 158. 221 Hierzu ausführlich Groten, Kontrolle, S. 15 ff.; Schmalenbach, Haftung, S. 159, 161; Katsch, Regierung, S. 58 ff. 222 Groten, Kontrolle, S. 21 ff. 223 Andres, Grundlagen, S. 58. 224 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Saargebiet wurde durch die Regierungskommission per Verordnung ins Leben gerufen, vgl. Schramm, Saargebiet, S. 56 m. w. N.
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Legislativkompetenz der Regierungskommission gemäß des Saarstatuts wurde ein Bedürfnis nach verwaltungsgerichtlicher Kontrolle artikuliert226, dem die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Saargebiet auch nachgekommen ist. Die Funktion der Regierungskommission als zentraler Verwaltungsinstanz des Saargebiets war also von einer Dualität gekennzeichnet, die der Beschreibung der Funktion des Hohen Repräsentanten durch das BIHVG sehr nahe kommt. Als ein der internationalen Rechtsordnung entstammendes Organ fungierte die Regierungskommission gleichzeitig als ein Hoheitsträger innerhalb der nationalen Rechtsordnung und war in der Lage, gleichsam in Substitution deutscher Stellen Rechtsakte zu erlassen, welche als Elemente der nationalen Rechtsordnung aufzufassen waren, was sich in einer diesbezüglichen Kontrolltätigkeit der Gerichtsbarkeit des Saargebiets äußerte. Eine gerichtliche Kontrolle einer internationalen Territorialverwaltungsbehörde durch eine nationale Gerichtsbarkeit wurde somit ermöglicht. Die Konstellation im Saargebiet kann also als ein Beispiel für die Idee der funktionalen Dualität in dem durch das BIHVG skizzierten Sinne angesehen werden, wonach ein völkerrechtlich begründetes und mandatiertes internationales Organ zugleich als Hoheitsträger des innerstaatlichen öffentlichen Rechts auftritt und in letzterer Funktion am Maßstab der nationalen Rechts- bzw. Verfassungsordnung gemessen werden kann. (5) Ergebnis Es ist ein typisches Problem an der Schnittstelle von nationalem und internationalem Recht, dass internationale bzw. auf internationaler Ebene begründete Hoheitsträger Rechtsakte erlassen, die in einem nationalen Rechtsraum Gültigkeit beanspruchen sollen. Dass derartigen Rechtsakten, was ihren Rechtscharakter angeht, eine gewisse Doppelfunktion eigen ist, liegt auf der Hand und ist mit Blick auf die betrachteten Beispiele nichts Neues. Derartige Organe bewegen sich eben im Schnittbereich der Völkerrechtsordnung und der nationalen Rechtsordnung und erfüllen in beiden Rechtskreisen eine bestimmte Funktion. Von Interesse für die vorliegende Untersuchung ist, wie staatliche Gerichtsbarkeiten mit den Rechtsakten derartiger Hoheitsträger umgehen. Eine solche Reaktion kann unterschiedlich ausfallen, wie der (nicht abschließende) Überblick über einige Vergleichsfälle darlegt. Denkbar ist, dass sich die nationale (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit unzuständig erklärt zur Überprüfung solcher Rechtsakte mit Verweis auf die eigenen verfassungsmäßigen Kompetenzvor225 Schmalenbach, Haftung, S. 134, 469 m. w. N; OVG des Saargebiets, Urteil v. 27.11.1922, Rs. A 26/22, Entscheidungssammlung 1924, S. 23; zur gerichtlichen Aufarbeitung des haftungsrechtlichen Problems der Rechtsstellung der Saarbeamten durch den Obersten Gerichtshof des Saargebietes vgl. Schücking, in: DJZ 1925, S. 285 ff. 226 Vgl. Giersberg, in: JW 1926, S. 306.
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schriften. Denkbar ist auch der Verweis auf Jurisdiktionsimmunitäten der betreffenden internationalen Organe oder aber ein eher territoriales Verständnis von Rechtsschutz, wie es das BVerfG im Maastricht-Urteil anhand der Frage des Grundrechtsschutzes gegen Akte der EG entwickelt hat. Die genannten Beispiele helfen also dabei, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie eine solche Interaktion zwischen nationaler Gerichtsbarkeit und internationalen Hoheitsträgern aussehen kann. Das BIHVG hat insoweit in eigenständiges Modell beigesteuert. Zusammenfassend lässt sich mithin feststellen, dass die vom BIHVG in der bislang betrachteten Urteilspassage angedeutete, vorsichtige Justierung von völkerrechtlich und verfassungsrechtlich begründeter hoheitlicher Gewalt, die das Gericht mit dem Begriff der funktionalen Dualität umschreibt, historisch nicht vollkommen im luftleeren Raum schwebt. Dieses Gedankenmodell findet eine Art Vorläufer in der rechtlichen Konstruktion der internationalen Verwaltung des Saargebiets. Von den vom Gericht erwähnten Beispielen liefert die Besatzungszeit Deutschlands diesbezüglich zumindest einige gedankliche Ansätze. Der Verweis auf das Mandatssystem aus der Zeit des Völkerbunds ist in diesem Zusammenhang wohl eher als allgemeiner Hinweis auf die historischen Wurzeln von Territorialverwaltung unter der Aufsicht der Staatengemeinschaft zu verstehen. Von Dualität ist diesbezüglich insoweit zu sprechen, als ein Mandatarstaat mit völkerrechtlich begründeten Kompetenzen ausgestattet war, die es ihm ermöglichten, in dem ihm unterstellten Gebiet unmittelbar hoheitlich tätig zu werden. Der Mandatar war also einerseits völkerrechtlich legitimierter und gebundener Hüter des Mandatsgebiets, er konnte jedoch auch die Funktionen der regelmäßig noch nicht vorhandenen eigenen Organstrukturen des Territoriums wahrnehmen. Dem Mandatar wie später dem Treuhänder war somit eine gewisse Doppelfunktion eigen. In dieser Hinsicht hat der Verweis des BIHVG auf diese Frühform internationaler Territorialverwaltung seine Berechtigung. Beispiele für rechtliche Kontrolle völkerrechtlich begründeter internationaler Verwaltung durch nationale Gerichte vermag dieser historische Rückgriff jedoch nicht zu liefern. Der Konflikt zwischen nationaler Rechtsordnung und internationaler Hoheitsgewalt, wie ihn z. B. das BIHVG zu behandeln hatte, kam in diesen Konstellationen deswegen nicht zum Tragen, weil die betreffenden Territorien erst sehr langsam eigenständige (verfassungs-)staatliche Strukturen entwickelten227 und die Treuhandverwaltungen zumeist frühzeitig beendet wurden, bevor es zu diesbezüglichen Kollisionen kommen konnte228. Was das Treuhandregime der Vereinten Nationen anbelangt, so ist als ein Mittel der politischen, 227 Zur politischen Entwicklung der Treuhandgebiete Kamerun und Tanganyika vgl. Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 76 Rn. 8 ff. 228 Zur mitunter fragwürdigen frühzeitigen Beendigung der Treuhandverwaltungen vgl. Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 76 Rn. 17 ff., 21 ff.
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aber auch rechtlichen Kontrolle des Treuhänders auf die Petitionsmöglichkeit gem. Art. 87 VN-Charta zu verweisen, die beispielsweise eine Geltendmachung etwaiger Unvereinbarkeit von Hoheitsakten mit der VN-Charta bzw. dem Treuhandabkommen zum Zwecke der Untersuchung durch den Treuhandrat der VN ermöglichte.229 Eine konkrete Diskussion der Frage nach Rechtskontrolle internationaler Verwaltungsinstanzen durch nationale Gerichte vermochten insoweit nur die Beispiele Deutschlands, Österreichs sowie des Saargebiets zu liefern230, also Fälle von Co-Administrationen internationaler und nationaler Hoheitsträger, bei denen es wie in Bosnien und Herzegowina zu einem Konflikt der nationalen rechtstaatlichen Strukturen mit der Tätigkeit internationaler Verwaltungsträger kommen konnte. Insbesondere die in Deutschland geführte Debatte vermag für die weitere Betrachtung der Rechtsprechung des BIHVG als Vergleichswert dienen. b) Die Überprüfung der Ermächtigungsgrundlage des HR Aufbauend auf die eingangs skizzierte kurze dogmatische Vorüberlegung geht das BIHVG im weiteren Verlauf der Entscheidung U 9/00 dazu über, aus dem Gedanken der funktionalen Dualität konkrete Eckpunkte für eine Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten herauszuarbeiten. In den Blick des Gerichts gerät hierbei zunächst die Frage nach einer Überprüfbarkeit der rechtlichen Grundlage/Ermächtigungsgrundlage für das Handeln des HR. Das Gericht führt hierzu Folgendes aus: „5. [. . .] Such a situation amounts to a sort of functional duality231: an authority of one legal system intervenes in another legal system, thus making its functions dual. The same holds true for the High Representative: he has been vested with special powers by the international community and his mandate is of an international character. In the present case, the High Representative – whose powers under Annex 10 to the General Framework Agreement, the relevant resolutions of the Security Council and the Bonn Declaration as well as232 his exercise of those powers are not subject to review by the Constitutional Court – intervened in the legal order of Bosnia and Herzegovina substituting himself for the national authorities.“233
229
Hierzu Geiger, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 88 Rn. 9 ff. 230 Freilich gibt es noch andere Anwendungsfälle von Besatzungsregimen, bei denen der Aspekt der Rechtskontrolle von Besatzungsbehörden thematisiert wurde. Für das Beispiel Israel vgl. z. B. Gnesa, Die von Israel besetzten Gebiete im Völkerrecht, 1981, S. 149 ff. 231 Hervorhebung des Verfassers. 232 Hervorhebung des Verfassers. 233 U 9/00, § 5.
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Das Gericht hat hier in einem Nebensatz klargestellt, dass die Befugnisse des HR, die diesem aufgrund Annex 10 bzw. dessen sukzessiver Auslegung zustehen, nicht als Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle am Maßstab der nationalen Verfassung in Betracht kommen und zwar weder als solche (1) noch hinsichtlich ihrer Ausübung (2). Der erste Gesichtspunkt erscheint mit Blick auf die Entscheidung U 7/97 stimmig.234 Genauso wenig wie das Gericht sich eine Kompetenz zuspricht, das allgemeine Friedensrahmenabkommen von Dayton einer verfassungsgerichtlichen Prüfung zu unterziehen, geht es davon aus, dass es im Falle von dessen Annex 10 dazu befugt wäre. Dem Gedanken der Parallelität der einzelnen Annexe des Friedensabkommens folgend (vgl. unter C. III. 1.), lehnt es mithin eine Überprüfung von Annex 10 am Maßstab von Annex 4 (Verfassung) ab. Auch die relevanten Resolutionen des VN-Sicherheitsrats sowie die Bonner Erklärung des Peace Implementation Council, die zusammen mit Annex 10 die völkerrechtliche Kompetenzgrundlage des Hohen Repräsentanten darstellen235, erachtet das Gericht mithin für außerhalb seiner Prüfungskompetenz stehend. Diese Zurückhaltung des Gerichts vor dem Judizieren über völkerrechtliche Verträge bzw. sonstige völkerrechtlich begründete Rechtsakte steht nicht nur im Einklang mit seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung, sondern auch mit der ganz überwiegenden völkerrechtlichen Praxis. Der zweite Aspekt, nämlich die Aussage, auch die Ausübung der in den besagten Rechtsquellen verankerten Befugnisse unterliege keiner Kontrolle durch das BIHVG, erscheint dagegen zunächst widersprüchlich.236 Wenn das Gericht damit sagen wollte, dass es sowohl die völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen als auch die auf deren Grundlage ergehenden sekundären Rechtsakte für nicht justiziabel hält, so wären freilich die vorangegangenen Überlegungen über eine Dualität der Funktionen des Hohen Repräsentanten, über Substitution nationaler Organe, über eine Intervention in den nationalen Rechtsraum und das Ansichziehen nationaler Handlungsinstrumente gegenstandslos gewesen. Das Gericht würde damit in etwa den Standpunkt des deutschen BVerfG zur Rechtskontrolle der Hoheitsakte der Alliierten einnehmen, der von der – klassischen – Vorstellung der Unvereinbarkeit von nationaler Gerichtsbarkeit und völkerrechtlich begründeter Hoheitsgewalt ausgeht. Die Aussage kann allerdings auch dahingehend verstanden werden, dass das Gericht von einem gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum237 des HR ausgeht bezüglich der Frage, ob bzw. wann dieser von seinen Befugnissen zur „Notstandsverwaltung“ Gebrauch macht. Unüberprüfbar wäre demnach le234 Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 120; Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 397. 235 Vgl. oben Kapitel II. C. I. 1. 236 Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 397. 237 So Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 123, 124.
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diglich die Entscheidung über die Betätigung der Kompetenzen (das „Ob“), für die konkret vorgenommenen Rechtsakte (das „Wie“) könnte hingegen etwas anderes gelten. Dass ein dahingehendes Verständnis der Aussage nahe liegt, unterstreichen die nachfolgend betrachteten Passagen des Urteils. c) Die Überprüfung der Legislativakte des HR aa) Die Bedeutung der legislativen Tätigkeit des HR Eine zentrale Steuerungstätigkeit des HR besteht darin, dass er Gesetzesvorhaben in Kraft setzt238, die im „normalen“ Entscheidungsprozess der parlamentarischen Gremien nicht zustande kommen, sei es aufgrund ethnisch begründeter Blockadepolitik, blanker Obstruktion oder Verzögerungen in Folge von Ineffizienz und sonstiger Fußangeln der ethnischen Proporzdemokratie von Bosnien und Herzegowina.239 Entweder sind derartige Gesetzesentwürfe inhaltlich schon ausgearbeitet und entscheidungsfertig und bleiben schlicht im parlamentarischen Beschlussverfahren „stecken“240 oder die vom HR für notwendig erachteten Gesetzesvorlagen werden von ihm selbst (mit-)erarbeitet 241. Diese legislative Tätigkeit war und ist somit ein wesentliches Handlungsinstrument des HR bei der Implementierung des Friedensabkommens bzw. für die Beschleunigung des politischen und ökonomischen Reformprozesses.242 Der HR fungiert also als ein Ersatzgesetzgeber, der anstelle der regelmäßig funktionsunfähigen parlamentarischen Körperschaften zentrale Gesetzgebungsvorhaben verwirklicht.243 bb) Die rechtliche Einordnung der Legislativakte des HR Anhand des im Verfahren U 9/00 in Rede stehenden, vom HR „erzeugten“ Staatsgrenzschutzgesetzes hat das BIHVG in den folgenden Passagen ausgeführt, welche konkreten rechtlichen Konsequenzen es aus seinen Vorüberlegungen zur funktionalen Dualität zu ziehen bereit ist. 238 Wie ein solches Inkraftsetzen aussieht, was Inhalt und Formulierung anbelangt, vgl. Kap. II. C. I. 2. 239 Vgl. Kap. I. D. 2. 240 Vgl. z. B. die Ausführungen in der Entscheidung U 26/01, § 12; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 215. 241 Vgl. Bergling, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 494; Oeter, „Protektorate“, S. 441. 242 Für das Beispiel der UNMIK-Gesetzgebung im Kosovo vgl. v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 374 ff. 243 Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 44, 46, zu diesbezüglichen Statistiken siehe S. 56; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Opinion on the constitutional situation in Bosnia and Herzegovina and the powers of the High Representative, 11.03.05, § 87.
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„5. [. . .] In the present case, the High Representative – whose powers under Annex 10 to the General Framework Agreement, the relevant resolutions of the Security Council and the Bonn Declaration as well as his exercise of those powers are not subject to review by the Constitutional Court – intervened in the legal order of Bosnia and Herzegovina substituting himself for the national authorities. In this respect, he therefore acted as an authority of Bosnia and Herzegovina and the law which he enacted is in the nature of a national law and must be regarded as a law of Bosnia and Herzegovina. 6. Thus, irrespective of the nature of the powers vested in the High Representative by Annex 10 of the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, the fact that the Law on State Border Service was enacted by the High Representative and not by the Parliamentary Assembly does not change its legal status, either in form – since the Law was published as such in the Official Gazette of Bosnia and Herzegovina on 26 January 2000 (O.G. No. 2/2000) – or in substance, since, whether or not it is in conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina, it relates to the field falling within the legislative competence of the Parliamentary Assembly according to Article IV.4 (a) of the Constitution of Bosnia and Herzegovina. The Parliamentary Assembly is free to modify in the future the whole text or part of the text of the Law, provided that the appropriate procedure is followed. 7. The competence given to the Constitutional Court to „uphold the Constitution“ according to the first paragraph of Article VI.3 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina, as further specified by subparagraphs (a), (b) and (c) and as read in conjunction with Article I.2 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina, which provides that „Bosnia and Herzegovina shall be a democratic state, which shall operate under the rule of law and with free and democratic elections“, confers on the Constitutional Court the control of the conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina of all acts, regardless of the author, as long as this control is based on one of the competences enumerated in Article VI.3 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina. [. . .] 9. The competence of the Constitutional Court to examine the conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina of the Law on State Border Service enacted by the High Representative, acting as an institution of Bosnia and Herzegovina, is thus based on Article VI.3 (a) of the Constitution of Bosnia and Herzegovina. Consequently, the request is admissible.“244
Bemerkenswert ist zunächst, dass das Gericht die eigentliche Frage der Antragsteller, nämlich ob dem HR eine legislative Kompetenz zusteht, eher implizit beantwortet, indem es auf die völkerrechtlichen (Ermächtigungs-)Grundlagen des HR verweist, für deren rechtliche Überprüfung es sich für nicht zuständig erkennt. Auf eine Diskussion, wie weit diese Befugnisse inhaltlich reichen oder wie diese im Einzelnen auszulegen sind, lässt sich das Gericht demzufolge nicht ein. Dass die Kompetenz zur Initiierung, Durch- und Inkraftsetzung von legislativen Maßnahmen (also das ob) zum völkerrechtlich begründeten Handlungs244
U 9/00, §§ 5–7, 9; Hervorhebungen des Verfassers.
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spektrum des HR gehört, unterstellt das Gericht somit ohne Weiteres. Das BIHVG geht vielmehr direkt dazu über, die Schnittstelle zwischen internationalem und nationalem Rechtsraum zu betrachten, um somit klären zu können, wie der betreffende Akt rechtlich im nationalen Verfassungsgefüge zu behandeln ist. Das Gericht stellt daraufhin klar, dass es den Gedanken der Substitution nationaler Organe durch eine internationale Verwaltungsinstanz nicht nur als vages politisch-theoretisches Hintergrundverständnis245 eines komplexen Verfassungsgefüges versteht, sondern als einen konkreten rechtlichen Funktionsmechanismus. Demnach habe der HR beim Erlass dieses Gesetzes die nationalen Gesetzgebungsorgane ersetzt, an deren Stelle und somit als ein Organ des Staates Bosnien und Herzegowina gehandelt. Das auf diesem Wege in Kraft getretene Gesetz sei mithin als nationales Gesetz des Staates Bosnien und Herzegowina aufzufassen (§ 5). Im darauf folgenden Abschnitt (§ 6) erläutert das Gericht dieses Ergebnis näher und stellt fest, dass unabhängig von der (völkerrechtlichen) Rechtsnatur der Kompetenzgrundlagen des HR, die Tatsache, dass das Inkrafttreten des Gesetzes auf ein internationales Organ zurückzuführen ist, nichts an dessen Rechtscharakter als Gesetz, das der nationalen Rechtsordnung angehört, ändere. Das Gesetz sei schließlich in formaler Hinsicht wie ein „normales“ Gesetz im Gesetzblatt von Bosnien und Herzegowina veröffentlicht worden. Die Beschlussfassung obliege ferner gemäß Art. IV.4 (a) BIHV246 der Parlamentarischen Versammlung, die wiederum im Rahmen des dafür vorgesehenen Verfahrens jederzeit die Möglichkeit habe, den Gesetzestext oder Teile davon wieder abzuändern. Das bedeutet im Ergebnis – und das ist die Besonderheit der Entscheidung –, dass das Gericht die Rechtsnatur des zu prüfenden Rechtsakts nicht nach seinem unmittelbaren Urheber beurteilt, sondern nach Form und Inhalt. Anders als z. B. das BVerfG geht das Gericht somit davon aus, dass auch völkerrechtlich begründete, außerhalb des Kreises der verfassten Staatsorgane stehende Instanzen in der Lage sind, nationale öffentliche Gewalt auszuüben. Der HR hat nach dieser Vorstellung die Möglichkeit, gleichsam im Wege eines Selbsteintrittsrechts punktuell in Funktion und Kompetenzen eines nationalen Verfassungsorgans – hier der Parlamentarischen Versammlung – einzutreten und einen Rechtsakt zu schaffen, der unter normalen Umständen durch das ersetzte Organ selbst zu verabschieden gewesen wäre.247
245
Wie z. B. beim Beispiel Deutschlands, vgl. C. III. 2. a). cc). (1). Art. IV.4 (a) BIHV: „The Parliamentary Assembly shall have responsibility for: (a) Enacting legislation as necessary to implement decisions of the Presidency or to carry out the responsibilities of the Assembly under this Constitution.“ 247 Zum ansatzweise ähnlichen Problem bei der Gesetzgebung von UNMIK bzw. der provisorischen Selbstverwaltung im Kosovo vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 138. 246
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Ist die Frage des Rechtscharakters des Gesetzes somit in diese Richtung entschieden, so stehen einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes durch das BIHVG am Maßstab der nationalen Verfassung keine wesentlichen Hindernisse mehr im Wege. So stellt das Gericht klar, dass es zur Überprüfung jeglicher Rechtsakte – unabhängig von deren Urheber – berufen ist, soweit sich dem enumerativen Zuständigkeitskatalog des Art. VI.3 BIHV eine Zuweisung an das BIHVG entnehmen lässt (§ 7). Da gemäß Art. VI.3 (a) BIHV dem BIHVG die Kontrolle von Gesetzen (des Staates Bosnien und Herzegowina) am Maßstab der Verfassung zugewiesen ist und der betreffende Rechtsakt dem Gericht zu Folge als ein solches Gesetz zu klassifizieren ist, hat das Gericht das Normenkontrollverfahren für zulässig erklärt (§ 9). cc) Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Legislativakte des HR Das Gericht hat mit dieser Begründung den Weg für eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der Gesetze, die der HR per Dekret im Wege der Ersetzung des nationalen Gesetzgebers erlässt, eröffnet und in der vorliegenden Entscheidung das Staatsgrenzschutzgesetz auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüft, allerdings keinen Verfassungsverstoß festgestellt. Diese Rechtsprechung hat das BIHVG in nachfolgenden Entscheidungen, die Normenkontrollanträge gegen vom HR verfügte Gesetze zum Gegenstand hatten, bestätigt: Fall U 16/00: Im Sachverhalt zu der Entscheidung U 16/00 vom 02.02.2001 hatte der HR ein bereits vom Parlament der Föderation von Bosnien und Herzegowina im Jahre 1997 verabschiedetes Gesetz248 nachträglich durch Einfügen von Zusatzvorschriften abgeändert. Im Jahre 2000 beantragten einige Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung von Bosnien und Herzegowina gemäß Art. VI.3 (a) BIHV eine Normenkontrolle des Gesetzes vor dem Hintergrund der vom HR eingefügten Vorschriften. Mit einem kurzen Verweis auf die Entscheidung U 9/00 hat das Gericht hierbei seine Zuständigkeit zur verfassungsrechtlichen Kontrolle des betreffenden Gesetzes bejaht: „It remains to be considered whether the Constitutional Court is competent to examine the issue of the conformity of Article 8a of the Apartment Law with the Constitution, despite the fact that the Article was promulgated by the High Representative. A similar question arose in Case No. 9/00 in which the Constitutional Court examined whether the Law on State Border Service, which had also been issued by the High Representative, was in conformity with the Constitution. In its decision in that case, the Constitutional Court found itself competent to examine the conformity of the Law on State Border Service with the Constitution. The Constitutional Court finds no reason to reach a different conclusion on this point in the present case.“249 248 Law on the Sale of Apartments with Occupancy Rights, Official Gazette of Bosnia and Herzegovina, No. 27/97, 11/98, 22/99, 07/00. 249 U 16/00, Admissibility.
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Fall U 25/00: Im Fall U 25/00, entschieden am 13.03.2001, ging es wiederum um eine Änderung eines Gesetzes250 des Staates Bosnien und Herzegowina durch eine Entscheidung des HR. Abgeordnete der Nationalversammlung der Republika Srpska beantragten daraufhin beim BIHVG diese Gesetzesänderung einem Normenkontrollverfahren gemäß Art. VI.3 (a) BIHV zu unterziehen. Das Gericht hat daraufhin erneut unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens mit dem betreffenden Antragsgegenstand festgestellt: „[. . .] 22. Regarding the competence of the High Representative to adopt laws and the competence of the Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina to decide on the conformity of such laws with the Constitution of Bosnia and Herzegovina, the Constitutional Court already expressed in its decision No. U 9/00, [. . .] its position that the High Representative’s powers follow from Annex 10 of the General Framework Agreement, the relevant resolutions of the Security Council of the United Nations and the Bonn Declaration and that these powers, and the exercise of these powers, are not subject to review by the Constitutional Court. However, insofar as the High Representative intervenes in the legal system of Bosnia and Herzegovina, substituting the domestic authorities, he acts as an authority of Bosnia and Herzegovina, and the laws enacted by him have the character of domestic laws and are to be considered the laws of Bosnia and Herzegovina.“251 Den Aspekt der Ersetzung von nationalen Organen bekräftigt das Gericht des Weiteren wie folgt: „[. . .] 29. The question whether it was necessary to adopt the Decision despite the fact that the Law on Travel Documents already existed is a question of legislative policy and not a constitutional question. In this respect, the High Representative substituted domestic authorities in taking the view that amendments to the existing law were required.“252 Fall U 26/01: Der Entscheidung U 26/01 vom 28.09.2001 lag der Fall zugrunde, dass der HR ein Gesetz253 über die Schaffung des Staatsgerichtshofs von Bosnien und Herzegowina erlassen hatte, woraufhin Mitglieder der Nationalversammlung der Republika Srpska ein Normenkontrollverfahren gemäß Art. VI.3 (a) BIHV beim BIHVG angestrengt hatten mit der Begründung, für die Errichtung eines weiteren Gerichts auf Gesamtstaatsebene (neben dem Verfassungsgericht) habe der Staat Bosnien und Herzegowina keine Kompetenz.254 Das BIHVG hat die Zulässigkeit des Antrags auch hier unter Hinweis auf die bisherige Judikaturlinie bejaht: „[. . .] 13. However, insofar as the High Representative intervenes in the legal system of Bosnia and Herzegovina, substituting the do250 Law on Travel Documents of Bosnia and Herzegovina, Official Gazette of Bosnia and Herzegovina, No. 4/97, 1/99, 9/99. 251 U 25/00, § 22; Hervorhebungen des Verfassers. 252 U 25/00, § 29; Hervorhebungen des Verfassers. 253 Law on the Court of Bosnia and Herzegovina, Official Gazette of Bosnia and Herzegovina, No. 29/00; Decision imposing the Law on the State Court of Bosnia and Herzegowina, 12.11.2000, www.ohr.int. Zu diesem auf Vorschlag der Venedig-Kommission des Europarats eingerichteten Staatsgerichtshofs vgl. International Crisis Group: Courting Disaster: The Misrule of Law in Bosnia&Herzegowina, ICG Balkans Report No. 127 (2002), S. 25 f., 33 f. 254 Vgl. die Kompetenzaufteilung zwischen dem Gesamtstaat und den Entitäten in Art. III, Nr. 1, 3 (a) BIHV.
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mestic authorities, he acts as an authority of Bosnia and Herzegovina, and the laws enacted by him are, by their nature, domestic laws of Bosnia and Herzegovina, whose conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina can be examined by the Constitutional Court. 14. There is no doubt that the High Representative, when issuing the Law on the Court of Bosnia and Herzegovina, substituted the Parliamentary Assembly of Bosnia and Herzegovina. Consequently, the present request falls within the scope of Article VI.3 (a) of the Constitution of Bosnia and Herzegovina.“255
Das Gericht hat also mit den genannten Entscheidungen eine Rechtsprechungslinie begründet, die eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Handelns des HR im Bereich der Gesetzgebung vorsieht. Die Ratio dieser Judikate lautet mithin: Wenn der HR von seiner Möglichkeit, die nationalen Gesetzgebungsorgane (die des Gesamtstaates oder diejenigen der Gliedstaaten) zu ersetzen, Gebrauch macht, dann muss er sich an die Verfassung halten.256 Seine Entscheidungen müssen dann also die gleichen (verfassungs-)rechtlichen Grenzen wahren, welche auch für diejenigen Organe gelten, an deren Stelle er sich setzt. Diese Grenzen können sich aus dem materiellen Verfassungsrecht ergeben oder auch aus formellen verfassungsrechtlichen Erfordernissen wie der Kompetenzabgrenzung zwischen Gesamtstaat und Entitäten. Das heißt, dass der HR – wenn er nationale Gesetzgebungsorgane substituiert – sich auch der für die betreffende Materie der Verfassung nach zuständigen legislativen Instanzen bedienen muss (Staatsebene oder Entitätsebene, vgl. U 26/01). In den angesprochenen Entscheidungen hat das Gericht jeweils im Ergebnis keinen Verstoß der betreffenden Gesetze gegen Verfassungsnormen festgestellt. Die geäußerte These, dass die vom Verfassungsgericht auf diesem Wege ins Werk gesetzte Rechtskontrolle des HR auf der unausgesprochenen Grundlage beruhe, dass das Gericht entsprechende Anträge zwar für zulässig erkläre, materiell jedoch die Legislativakte des HR nicht beanstande257, ist einerseits nicht unberechtigt, schließlich erschien es für das Gericht vernünftig und nachvollziehbar, die entwickelten Ansätze zu einer Rechtskontrolle nicht sofort in einem offenen Konflikt mit dem HR wieder zu verspielen.258 Das (noch junge) Gericht hätte dadurch eine erhebliche Beschädigung seines Status’ im noch fragilen Verfassungsgefüge des Landes riskiert, hätte es beispielsweise von Beginn an auch materiellrechtlich die Konfrontation mit dem HR gesucht und damit möglicherweise eine Nichtanerkennung seiner Judikate durch den HR provoziert. Das Gericht hat somit bei seinen Entscheidungen mit dem HR durch Einbeziehung von dessen Stellungnahmen bei der Urteilsfindung kooperiert259 und durch die Aufrechterhaltung eines Dialogs das Bewusstsein einer notwendigen 255 256 257 258 259
U 26/01, § 13, 14; Hervorhebungen des Verfassers. Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 124, 125. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 398. Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 143. Z. B. U 26/01, § 4 ff.
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Selbstbeschränkung bei den internationalen Administratoren verstärkt.260 Andererseits hat das BIHVG im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung aber auch bald erkennen lassen, dass es die verfassungsrechtliche Bindung des HR auch nötigenfalls durch die konkrete Feststellung von Verfassungsverstößen der betreffenden Gesetzgebungsakte durchzusetzen gewillt ist: Fall U 13/02: In der Entscheidung U 13/02 (Ante Jelavic) vom 06.04.2002 kam es zu einer inzidenten Überprüfung eines Aktes des HR anhand des folgenden Sachverhalts. Gegen Ante Jelavic wurde vor dem Kantonsgericht in Sarajevo wegen des Verdachts des Verstoßes gegen zwei staatsschützende Straftatbestände des Strafgesetzbuchs der Föderation von Bosnien und Herzegowina ein Strafverfahren durchgeführt. Jelavic machte die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts in Sarajevo geltend und legte am 15. Oktober 2001 gegen den betreffenden Beschluss des Gerichts gemäß Art. VI.3 (b) BIHVG Verfassungsbeschwerde beim BIHVG ein, u. a. mit der Begründung, dass sein Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 (1) EMRK (Art. II.2 BIHV) bzw. Art. II.3 (e) BIHV verletzt sei, da sein Strafverfahren von einem örtlich unzuständigen Gericht durchgeführt werde. Der internationale Hintergrund dieser an sich „rein nationalen“ Konstellation bestand darin, dass die Zuständigkeitsentscheidung des Kantonsgerichts Sarajevo auf einer Entscheidung des HR beruhte, in welcher die Zuständigkeit dieses Gerichts für Strafverfahren im Zusammenhang mit ganz bestimmten Ereignissen eines bestimmten Zeitraums ausdrücklich vorgesehen wurde.261 Letztlich kam es somit auf die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung des HR an.
Das BIHVG hatte somit darüber zu befinden, ob die Tatsache, dass der Beschluss des Kantonsgerichts auf einer Entscheidung des HR beruht, die Überprüfbarkeit des Gerichtsbeschlusses ausschließt, da dies zu einer mittelbaren (inzidenten) Rechtskontrolle eines Aktes des HR führen würde.262 Das BIHVG hat daraufhin die Entscheidung des HR zur Abänderung der Zuständigkeitsvorschriften als abstrakt-generelle Regelung und mithin als Gesetz der Föderation von Bosnien und Herzegowina klassifiziert263, welches entsprechend der U 9/ 00-Rechtsprechung in Substitution der Legislative der Föderation ergangen ist. Demnach war die Rechtsgrundlage der Zuständigkeitsentscheidung des Kantonsgerichts als nationales Gesetz zu betrachten und einer verfassungsrechtlichen Überprüfung dieser Entscheidung stand nichts mehr im Wege. In materiel260
Zum Aspekt der Selbstbeschränkung vgl. Schröder, in: Recht und Politik 1985,
S. 30. 261 Decision allocating jurisdiction for the investigation, prosecution and trials of incidents of violence and intimidation in the Federation during the past month to the Cantonal Prosecutor and the Cantonal Court of Sarajevo, 27.04.2001: www.ohr.int/ decisions/judicialrdec/default.asp?content_id=71: „[. . .] DECISION (1) The competent court for conducting investigations into, and first instance trials of, perpetrators of all criminal acts arising from the following events: [. . .] shall be the Cantonal Court of Sarajevo [. . .]“. 262 Vgl. U 13/02, § 31. 263 Vgl. U 13/02, § 34.
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ler Hinsicht hat das BIHVG die Abänderung der Zuständigkeiten durch den HR als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren gewertet und die Verfassungswidrigkeit des darauf basierenden Gerichtsbeschlusses festgestellt: „[. . .] 41. However, the High Representative, interfering with the legal system of Bosnia and Herzegovina on the basis of „functional duality“, is obliged to respect the Constitution and constitutional principles of Bosnia and Herzegovina. The acts passed by the High Representative have to have a positive reflection on the principle of democracy, democratic state and guarantees to a fair trial. In the present case, the High Representative’s Decision is without a reasoning which would justify the general interest of restriction of the rights provided for in the Law on Criminal Proceedings. [. . .] 42. Consequently, the Constitutional Court concludes that the Cantonal Court of Sarajevo, [. . .] wrongly found itself territorially competent, and therefore, it violated Article 6 of the European Convention.“264 Das BIHVG hat in diesem Fall somit erstmals einen als legislative Maßnahme qualifizierten Akt des HR – im Wege einer inzidenten Normenkontrolle – für verfassungswidrig befunden. Der HR, der seine Autorität durch das Urteil erheblich unterminiert sah, betrieb daraufhin – letztlich ohne Erfolg – die Wiederaufnahme des Verfahrens.265 Problematisch an diesem Urteil des BIHVG erscheint der Versuch, die anhand von Akten der Gesetzgebung entwickelte Rechtsprechung zur Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten auf die betreffende Entscheidung des HR zu übertragen im Wege einer durchaus nicht zwingenden Einordnung derselben als Gesetz. Durch die in Rede stehende Entscheidung des HR sollte erreicht werden, dass bestimmte kriminelle Umtriebe in einem bestimmten Zeitraum (April 264
U 13/02, §§ 41, 42. Vgl. Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 834, Rn. 26. Zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kam es letztlich nicht. Das Urteil ist den Parteien zugestellt worden. Das OHR hat sich schließlich nach anfänglichem Drängen mit dem Urteil abgefunden. Die Entscheidung, dass das Verfahren nicht wiederaufzunehmen ist, war eine interne Beschlusssache des BIHVG und ist nicht veröffentlicht worden. Das OHR hatte zwischenzeitlich mit durchaus guten Gründen dargelegt, dass es sich bei der vorliegenden Maßnahme nicht um eine „Substitutionsentscheidung“ nach dem Gedanken der funktionalen Dualität handelt, sondern um eine unmittelbar auf das internationale Mandat des HR gestützte Maßnahme, die demzufolge (U 9/00!) auch nicht überprüfbar sei. Dafür spreche bereits die Tatsache, dass es gar kein nationales Verfassungsorgan gebe, welches die Kompetenz hätte, gleichzeitig in beiden Gliedstaaten Entitätsgesetze zu erlassen. Im Übrigen verletze die Entscheidung die EMRK nicht, sondern verhelfe dieser zur Durchsetzung. Abgesehen davon sei die Beschwerde verfrüht, da die Frage, ob ein faires Verfahren stattgefunden hat, nach der Rechtsprechung des EuGMR regelmäßig erst nach dem betreffenden Prozess beurteilt werden könne, vgl. auch das Sondervotum des Richters Danelius, der ebenfalls auf diesen Aspekt hinweist. Dieses Ringen um eine rechtliche Kontrollmöglichkeit illustriert am Beispiel des VN-Sicherheitsrats der Satz: „Judicial review is an evolutionary process, emerging from a dialogue among all international actors.“, Alvarez, in: AJIL 90 (1996), S. 39. 265
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2001) vor einem bestimmten Gericht verhandelt und geahndet werden. Die betreffenden Verbrechen sind teilweise zeitlich und räumlich genau konkretisiert bzw. durch den Zusammenhang mit bestimmten politischen Umständen bezeichnet. Die von der Entscheidung betroffenen Personen, also die mutmaßlichen Kriminellen, sind nicht näher spezifiziert, es handelt sich mithin um eine noch unbestimmte Anzahl. Wollte man sich einer solchen Konstellation nach deutschem Rechtsverständnis nähern und unter die Merkmale einer abstrakt-generellen Regelung subsumieren, so würde man das Vorliegen des sachverhaltsbezogenen Merkmals der Abstraktheit aufgrund des zeitlich, räumlich bzw. sachlich auf bestimmte Ereignisse bezogenen Anwendungsbereichs der Entscheidung wohl verneinen müssen. Die Regelung scheint demnach vielmehr konkreten Charakter zu haben, also Einzelfallcharakter. Die Tatsache, dass der Kreis der betroffenen Personen unbestimmt ist und man somit möglicherweise das Merkmal der generellen Regelung bejahen möchte, ändert nichts daran, dass – nach den Wertungen des deutschen öffentlichen Rechts – eine Einordnung als Einzelfallregelung (sei sie konkret-individuell oder konkret-generell 266) und nicht als Rechtsnorm näher liegt. Die Argumentation des BIHVG ist diesbezüglich zumindest fragwürdig, da das Gericht die Unbestimmtheit des Adressatenkreises als das entscheidende Merkmal einer Rechtsnorm ansieht und aus der offensichtlichen Einzelfallnatur des Aktes hingegen keine Schlüsse zieht.267 Auch die Hinweise des BIHVG auf die Tatsache, dass der betreffende Akt wie ein Gesetz im Gesetzblatt der Föderation veröffentlicht wurde und dass sich die Entscheidung inhaltlich auf Gesetzgebungsmaterien in der Zuständigkeit der Föderation beziehe, vermögen die Zweifel an der Klassifizierung des Aktes kaum auszuräumen.268 266
Vgl. § 35 S. 1, 2 VwVfG. Im Verwaltungsprozessrecht der Republika Srpska, Law on Administrative Disputes, Official Gazette of Republika Srpska, 12/94, Art. 6, wird der Verwaltungsakt wie folgt definiert: „[. . .] The administrative act, in terms of this law, is an act by which the state institution, enterprise or another organization, institution or community, on the occasion of performing the public responsibilities, makes a decison on a particular right or commitment of a concrete individual or organization in any administrative matter.“; Hervorhebungen des Verfassers. 268 Vgl. die Begründung des Gerichts, U 13/02, § 34: „The Constitutional Court concludes that the Decision of the High Representative has the character of a general act since it is to be published in the Official Gazette of the Federation. On the other hand, the Decision of the High Representative, without considering its conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina, is a matter subject to the legal competencies under Article IV. A. 20 (d) of the Constitution of the Federation of Bosnia and Herzegovina. The Decision of the High Representative regulates the subject-matter and territorial competence for conducting investigations about criminal acts arising from certain events specified in item 1 of that Decision, as well as first instance trials against perpetrators of such criminal acts. The present case concerns determination of the competence for an event. However, despite the fact that this Decision concerns certain persons, it has an abstract character since it does not specify the persons. Therefore, despite the fact that the Decision is concrete insofar as the event is concerned, it 267
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Aus dem Fall U 13/02, dessen verfahrensmäßiges Nachspiel noch eine ganze Weile andauerte, sind mithin drei Aspekte festzuhalten. Erstens, das Bestreben des BIHVG unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdige Entscheidungen des HR auch materiell als verfassungswidrig zu beurteilen, diese somit unangewendet und mithin den systematischen (zulässigkeitsbezogenen) Erwägungen der U 9/00-Rechtsprechung auch meritorisch Taten folgen zu lassen. Zweitens illustriert die Zuordnungsproblematik dieses Falles die Schwierigkeit einer dogmatischen „Fassbarkeit“ der Ausübung von Hoheitsgewalt durch Verwaltungsbehörden der internationalen Gemeinschaft, die wie der Hohe Repräsentant unter der Bezeichnung Decisions gleichsam das ganze Spektrum an hoheitlicher Gewalt, das der gewaltengeteilte Verfassungsstaat kennt, aus einer Hand „anbieten“269 (legislative und exekutive Akte, sowie Maßnahmen, die – davon wird noch die Rede sein – Judikaten ähnlich sind). Es ist ein Verdienst des BIHVG, dass es bestrebt ist, diese Dekrete den klassischen Erscheinungsformen staatlicher Gewaltausübung zuzuordnen, ist dies doch eine notwendige Voraussetzung für eine Einordnung dieser Akte in die Mechanismen der Rechtskontrolle, welche die nationale Rechts- und Verfassungsordnung bereithält. Also: Kategorisierbarkeit als Vorstufe der Kontrollierbarkeit anhand nationaler Maßstäbe. Drittens ist anzumerken, dass der – wie gesehen – zweifelhaften Einstufung der betreffenden HR-Entscheidung als Gesetz eine gewisse Zwanghaftigkeit bzw. Ergebnisorientiertheit anhaftet, die dem Bestreben deutscher Verwaltungsgerichte, Akte der öffentlichen Hand als Verwaltungsakte zu klassifizieren, um somit Rechtsschutz zu ermöglichen in Zeiten einer fehlenden Generalzuweisung im Stile von § 40 VwGO, nicht unähnlich ist. War es im deutschen Recht vormals der Verwaltungsakt, der Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnete, so ist es beim Beispiel Bosniens nach der bislang betrachteten Rechtsprechung des BIHVG die Klassifizierung als (Parlaments-)Gesetz, die eine Rechtskontrolle am Maßstab der Verfassung ermöglicht. Warum das BIHVG sich veranlasst sah, im Ergebnis eine solche Einstufung vorzunehmen, wird durch die im Folgenden zu betrachtende Frage nach gerichtlicher Kontrolle der Exekutivakte des HR verdeutlicht werden.
should be concretized as regards the persons concerned. This element is crucial in determination of the nature of the Decision of the High Representative. The Constitutional Court therefore concludes that the Decision of the High Representative has the character of a general legal act, i. e. a law.“ 269 Zur Situation der Verwaltungen im Kosovo und in Ost-Timor vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 154 ff.
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d) Die Überprüfung der Exekutivakte des HR aa) Begriff und Bedeutung exekutiven Handelns des HR Wie gesehen stellt sich die Einordnung der Akte des HR in die vertrauten Kategorien staatlicher Hoheitsgewalt mitunter keineswegs einfach dar. Entscheidungen, die sich auf die Änderung, Aufhebung oder Inkraftsetzung von Gesetzen beziehen, lassen sich – der Rechtsprechung des BIHVG zufolge – zumeist als legislative Tätigkeit verstehen, während der übrige Teil der weiterhin stetig anwachsenden Masse von Akten des HR regelmäßig den Charakter von Einzelfallregelungen270 trägt, also von Akten, die im nationalen Bereich typischerweise der Exekutive zuzuordnen wären. Es sind hierbei Akte zu verzeichnen, die eher an gubernatives Handeln, also (politische) Regierungstätigkeit erinnern, andere wiederum ähneln mehr administrativen Maßnahmen wie Verwaltungsakten. Aus der Natur der speziellen Bündelung von Befugnissen beim HR ergibt sich, dass auch insoweit eine eindeutige Zuordnung schwerfällt.271 Die Hoheitsgewalt des HR tritt eben (fast) nur in Form von „Entscheidungen“ (Decisions) zutage. Der Begriff des Exekutivakts wird im Folgenden als Überbegriff für diese Vielzahl von Maßnahmen verwendet und soll zur Abgrenzung der vorangehend dargestellten Behandlung der legislativen Tätigkeit des HR durch das BIHVG dienen. Ein Bereich im Rahmen dieses exekutiven Handlungsspektrums des HR ist von herausgehobener praktischer Bedeutung272 und in rechtlicher Hinsicht besonders umstritten: die Entfernung von Personen aus ihren Ämtern und Funktionen per Dekret des Hohen Repräsentanten.273 Insbesondere aufgrund dieser Entscheidungen, denen regelmäßig mit sofortiger Wirkung und unter Ausschluss weiterer Verfahrensschritte Folge zu leisten ist274 bzw. deren Justiziabi270 Allerdings treten auch in diesem Bereich Entscheidungen auf, die den Charakter von untergesetzlichen Rechtsnormen tragen, also Rechtsverordnungen bzw. Verwaltungsvorschriften ähnlich sind, vgl. z. B. Directive Reducing Party Funding or Funding of Political Parties for their Failure to Bring Their Legislation on Primary and Secondary Education in Line with Framework Law on Primary and Secondary Education in BiH, 07.06.04; Directive Reducing Party Funding for the HDZ, 27.04.04; Directive Extending the Suspension of All Disembursements of Budgetary Itemisations for Party Funding to the HDZ, 31.05.04; allesamt abrufbar unter www.ohr.int/decisions/mohn cantdec/archive.asp. 271 Vgl. Caplan, International Governance, S. 196; zum vergleichbaren Einordnungsproblem bei Besatzungsregimen vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 30, 70 m. w. N. 272 Vgl. die jüngste „Säuberungsaktion“ des HR im Juni/Juli 2004, bei der über 50 Personen aus ihren Positionen in Ministerien, Verwaltung, Parteien etc. entfernt wurden, aufgrund des Verdachts der Verstrickung in Kriegsverbrechen, vgl. Decisions relating to individuals indicted for war crimes in the former Yugoslavia: www.ohr.int/ decisions/war-crimes-decs/archive.asp. 273 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 92; Caplan, International Governance, S. 188 f.
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lität vor Gerichten in Bosnien und Herzegowina teilweise ausdrücklich ausgeschlossen wurde275, entstand in der Bevölkerung, zuvörderst bei den Betroffenen, ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber der Macht des Hohen Repräsentanten. Die Frustration über derartige Zustände brachte das ehemalige Staatsoberhaupt Bosnien und Herzegowinas Alija Izetbegovic mit den Worten zum Ausdruck: „[. . .] They remove a man, label him dishonest, do not present any proof of this, and then talk to us about human rights [. . .]“.276 Besonders gerügt wurde hierbei die Nichtbeachtung von rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien (zu denken ist insbesondere an Art. 6 (1), 13 EMRK277 i. V. m. Art. II.2 BIHV) einerseits und – soweit gewählte Mandatsträger betroffen waren – auch die Missachtung demokratischer Rechte278 (vgl. z. B. Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK) andererseits. Fraglich war mithin, ob das internationalisierte Rechtsund Verfassungssystem Bosnien und Herzegowinas, welches die Gewährung von individuellen Menschenrechten als Kernelement der gesamten Friedensregelung betrachtet, nicht auch für die Konfrontation des Bürgers mit internationaler Hoheitsgewalt eine adäquate Rechtsschutzmöglichkeit bereithält.279 274 Siehe die Standardformulierung: „[. . .] This Decision has immediate effect and does not require any further procedural steps to be taken. Mr. XY must vacate his position immediately.“; vgl. die Beispiele unter Kap. II. C. I. 2. 275 Siehe die Formulierung: „[. . .] The decision made herein is issued pursuant to the international mandate of the High Representative and shall not be justiciable in any court in Bosnia and Herzegovina [. . .]“. 276 Alija Izetbegovic, zitiert bei: Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 66; diese Maßnahmen werden allerdings teilweise auch nur funktional, ohne Einbeziehung der rechtlichen Problematik kommentiert, vgl. Solioz, Bosnien und Herzegowina zwischen Abhängigkeit und Selbstverantwortung, in: Südosteuropa Mitteilungen 2002, S. 39, 40. 277 Zum Verhältnis von Art. 6 (1) und 13 EMRK Meyer-Ladewig, EMRK, Handkommentar, 2003, Art. 13 Rn. 2; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, 1999, S. 23 ff.; in Staaten, in denen die materiell-rechtlichen Garantien der EMRK Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung sind, wie dies in BiH aufrund von Art. II.2 BIHV der Fall ist, kann man die Bedeutung von Art. 13 EMRK durch Art. 6 (1) EMRK als konsumiert betrachten. In einer derartigen Konstellation stellen die Rechte aus der EMRK von der staatlichen Verfassungsordnung garantierte subjektive Rechte dar, also civil rights i. S. v. Art. 6 (1) EMRK, vgl. Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 269, 270; Jaenicke, Grundsätze, S. 322. 278 Vgl. Wilde, in: EJIL 15 (2004), S. 88. Zu dieser Norm im Kontext von BiH auch European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 88. 279 Dieses gezielte Vorgehen gegen Einzelpersonen als Mittel der Krisenbewältigung durch den HR ähnelt dem Problemfeld der sog. targeted sanctions, der zielgerichtet gegen Individuen eingesetzten Sanktionen des VN-Sicherheitsrats etwa im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, z. B. durch das „Einfrieren“ von Konten verdächtiger Personen etc. Auch hier stellt sich – bislang ungeklärt – die Frage nach einer Rechtsschutzmöglichkeit der Betroffenen gegenüber diesen Maßnahmen, die mit erheblichen Menschenrechtsbeschränkungen verbunden sein können. Für einen
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bb) Anwendbarkeit der U 9/00-Rechtsprechung auf Exekutivakte? Es stellt sich die Frage, ob die anhand der legislativen Maßnahmen der Behörde des Hohen Repräsentanten entwickelte Rechtsprechung des BIHVG zur Rechtskontrolle desselben auch auf Exekutivakte Anwendung finden kann. Der Wortlaut der Entscheidung U 9/00 scheint dafür zu sprechen280: „7. The competence given to the Constitutional Court to ,uphold the Constitution‘ [. . .], confers on the Constitutional Court the control of the conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina of all acts, regardless of the author, as long as this control is based on one of the competences enumerated in Article VI.3 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina. [. . .]“281
Diese Formulierung deutet in Richtung einer umfassenden Kontrolle jeglicher hoheitlicher Akte jedweder Urheber hin, solange sich für das BIHVG gemäß des Zuständigkeitskatalogs der Verfassung eine Prüfungskompetenz ergibt. Diese Textpassage legt also ein Verständnis nahe, nach dem das BIHVG eine verfassungsrechtliche Kontrolle von internationalen Hoheitsakten jeglicher Art – im Rahmen der Theorie der funktionalen Dualität – vorzunehmen gewillt ist. Im nachfolgend zu betrachtenden Fall hatte das Gericht dazu Stellung zu beziehen, ob das in U 9/00 angedeutete System der Rechtskontrolle auch anhand des heiklen Bereichs der „Amtsenthebungen“ des HR Anwendung finden oder gar eine Weiterentwicklung erfahren sollte. cc) Der Fall U 37/01 Fall U 37/01: Per Entscheidung vom 23.02.01282 hatte der HR Edhem Bicakcic von seinem Posten als Generaldirektor des öffentlichen Energieversorgungsunternehmens Elektroprivreda BiH enthoben und ihm verboten, zukünftig jedwedes öffentliche Amt oder Mandat zu bekleiden, solange der HR dieses Verbot nicht ausdrücklich widerruft. Begründet wurde diese Maßnahme mit Verfehlungen283, die sich Bicakcic während seiner Amtszeit als Premierminister (1997–2001) der Föderation von Bosnien und Herzegowina habe zu Schulden kommen lassen. Am 27.03.01 erhoben 37 Mitglieder des RepräsenÜberblick über das Problemfeld siehe Klein, An Introductory Lecture Delivered at the Workshop on Terrorism and Targeted Sanctions: Shortcomings and Possible Remedies for Individuals and Entities, New York, 24.09.2003; Biehler, in: AVR 41 (2003), S. 169 ff.; Bartelt/Zeitler, in: EuZW 14 (2003), S. 712 ff.; Bröhmer, in: EuZW 13 (2002), S. 353; Wagner, in: ZaöRV 63 (2003), S. 904 ff. 280 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 170. 281 U 9/00, § 7; Hervorhebung des Verfassers. 282 Decision removing Edhem Bicakcic from his position as Director of Elektroprivreda for actions during his term as a Prime Minister of the Federation of Bosnia and Herzegovina, 23.02.01: www.ohr.int/decisions/removalssdec/default.asp?content_id= 323. 283 Inhaltlich ging es um Fälle von Amtsmissbrauch und sonstigen rechtswidrigen Aktivitäten, vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 122.
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tantenhauses des Parlaments der Föderation sowie der Betroffene selbst Verfassungsbeschwerde beim BIHVG gegen die Entscheidung des HR mit der Begründung, der Akt verstoße gegen eine ganze Reihe von Menschenrechtsvorschriften284 und überdies habe der HR keine Kompetenz, eine derartige Entscheidung zu erlassen285, die einen Sanktionscharakter aufweise und somit der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbehalten bleiben müsse.286
Das BIHVG hat beide Anträge in knappen Worten und unter Verweis auf die Zuständigkeitsvorschriften des Gerichts gemäß Art. VI.3 BIHV für unzulässig erklärt. Die Entscheidung des HR sei jedenfalls kein Urteil eines Gerichts von Bosnien und Herzegowina im Sinne von Art. VI.3 (b) BIHV, sodass eine Zuständigkeit zur Überprüfung aus dieser Vorschrift bereits nicht in Betracht komme.287 Was den Antrag der Parlamentarier betreffe, so fehle es für einen Antrag nach Art. VI.3 (b) BIHV an einer Antragsbefugnis, da diese eine mögliche Rechtsverletzung eines Dritten (Bicakcic) beklagten, was das Gericht als unzulässige Popularklage einstufte.288 Da auch aus Art. VI.3 (a) BIHV keine Zuständigkeit des Gerichts für die Anträge der Parlamentarier bzw. des Betroffenen herauszulesen sei, müssten diese auch diesbezüglich unzulässig bleiben.289 Mehr hat das BIHVG zu diesem Fall nicht ausgeführt und damit mehr Fragen offen gelassen als es beantwortet hat.
284 Behauptet werden Verstöße gegen Art. II. 2, II. 3 (e), II. 4, II. 6 und der Präambel der BIHV sowie Art. 1, 3, 6 (1), 13, 14 EMRK; Art. 3 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK; vgl. U 37/01, I. Facts of the Case; vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 123, die auf ihr persönliches Archiv der diesbezüglichen Beschwerdeschriften verweisen. 285 Neben der materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung zweifeln die Antragssteller wiederum auch massiv die Kompetenzgrundlage des HR für ein derartiges Tätigwerden an: „[. . .] Article 5 of Annex 10 to the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina provides that the High Representative is the final authority in the theatre regarding the interpretation of the Agreement on the Civilian Implementation of the Peace Settlement. In view of this fact, the appellants deem that the adoption of the challenged decision cannot be regarded as interpretation, but rather as exercise of legislative, executive and judicial powers in Bosnia and Herzegovina. In paragraph XI.2 of the Conclusions of the Peace Implementation Conference held in Bonn, the Peace Implementation Council welcomed the High Representative’s intention to use his final authority regarding the interpretation of the Agreement on the Civilian Implementation of the Peace Settlement in order to facilitate the resolution of any difficulties by making binding decisions. However, the appellants point out that the High Representative does not have the right to exercise judicial power or to violate human rights and freedoms by his decisions, and that the Bonn Conference did not overstep, and could not have overstepped, the mandate of the High Representative as established in Annex 10 to the General Framework Agreement for Peace. [. . .].“ 286 Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 123. 287 U 37/01, III. Admissibility, § 2; IV. Conclusion, § 1. 288 U 37/01, III. Admissibility, § 2; IV. Conclusion, § 2. 289 U 37/01, III. Admissibility, § 3; IV. Conclusion, § 3.
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dd) Bewertung dieser Entscheidung Die sehr kurzen Ausführungen, mit denen das BIHVG die Beschwerden verworfen hat, vermögen wenig zu befriedigen, da das Gericht mit keinem Wort auf seine bisherige Rechtsprechung zur Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten (U 9/00 u. a.) Bezug nimmt und den Leser somit zunächst im Unklaren darüber lässt, ob es das vorliegende Urteil nun als konsequente Fortführung, als Modifikation oder gar als Abkehr von eben dieser Rechtsprechung verstanden wissen will. Einerseits hat das Gericht bereits in U 9/00 klargestellt, dass auch die verfassungsrechtliche Kontrolle des Hohen Repräsentanten nach dem Gedanken der funktionalen Dualität nur im Rahmen des enumerativen Zuständigkeitskatalogs des Art. VI.3 BIHV stattfinden kann („[. . .] as long as this control is based on one of the competences enumerated in Article VI.3 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina. [. . .]“290). Insofern erscheint es nicht fernliegend, dass das Gericht in einer gegebenen Fallkonstellation zu dem Schluss gelangt, dass seine Zuständigkeit nicht eröffnet ist – es gibt eben keine Generalklausel bezüglich der Anrufung des BIHVG.291 So betrachtet, fügt sich das Urteil freilich in die bislang betrachtete Rechtsprechungslinie ein. Andererseits erweist sich die rein formale Argumentation des Gerichts bei genauerer Betrachtung möglicherweise als nicht zwingend. Steiner und Ademovich292 weisen diesbezüglich darauf hin, dass die Feststellung, die Entscheidung des HR sei kein Gerichtsurteil im Sinne des Art. VI.3 (b) BIHV, zwar zutreffe, das BIHVG diese Norm jedoch in der Vergangenheit weit ausgelegt habe. So sind bereits Verfassungsbeschwerden gegen ein Nichttätigwerden der Justiz vom BIHVG angenommen worden.293 Eingedenk der Rechtsschutzgarantien aus Art. 6 und 13 EMRK, II.2 und II.3 (e) BIHV wäre es in diesem Zusammenhang nicht fernliegend gewesen, eine Beschwerde gegen einen Rechtsakt zuzulassen, mit dem sich die sonstigen nationalen Gerichte aufgrund seines internationalen Charakters mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht beschäftigt hätten. Wäre das BIHVG hingegen davon ausgegangen, dass die niederrangigeren Gerichte diesen Akt des HR zu prüfen gehabt hätten, so hätte es wiederum die Beschwerde wegen der Nichterschöpfung des Rechtswegs verwerfen können. Der 290
Siehe U 9/00, § 7; unter C. III. 2. c). bb). Vgl. eine frühe Entscheidung des BVerfG (E 3, 368 (376)) zu einem vergleichbaren Problem: „Für die Prüfung deutschen Rechts auf seine Vereinbarkeit mit Besatzungsrecht ist dem Bundesverfassungsgericht keine besondere Zuständigkeit zugewiesen. Das Bundesverfassungsrecht und das im Rahmen des Grundgesetzes geltende Bundesrecht sind für das Bundesverfassungsgericht einziger Prüfungsmaßstab. Seine Zuständigkeit kann nicht aus rechtspolitischen Erwägungen über die positive Zuständigkeitsregelung hinaus erweitert werden.“ 292 Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 124. 293 Siehe die Fälle U 15/00; U 14/99; U 19/00. 291
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bloße Hinweis, dass die Entscheidung mangels Urteilsqualität kein geeigneter Verfahrensgegenstand für das BIHVG ist, stellt mithin vor dem Hintergrund der bisherigen Auslegung des Art. VI.3 (b) BIHV durch das Gericht zumindest keine zwingende Schlussfolgerung dar. Auch der als Auffangregelung ausgestalteten Norm des Art. VI.3 (a) BIHV294 ist keine strenge Begrenzung des Prüfungsgegenstandes zu entnehmen, wenngleich die Auslegung dieser Norm noch am ehesten einen Ausschluss von Exekutivmaßnahmen des HR aus ihrem Anwendungsbereich rechtfertigt, da bei dieser aus systematischer, teleologischer und rechtsvergleichender Sicht eine Beschränkung auf föderale Rechtsstreitigkeiten sowie abstrakte Normenkontrollverfahren anzunehmen sei.295 Das BIHVG geht also mit dieser rein formalen Ablehnung seiner Zuständigkeit zumindest keinen weiteren Schritt in Richtung einer Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung. Da das Gericht es in dem Urteil vermeidet, seine eigenen Gedanken zur Substitution bzw. zur funktionalen Dualität aus der Entscheidung U 9/00 explizit aufzugreifen, bleibt unklar, ob es davon ausgeht, dass der HR mit seiner Entscheidung über die besagte „Amtsenthebung“ die innerstaatlich für derartige Maßnahmen zuständigen Organe substituiert, sich somit der innerstaatlichen Rechtsordnung bedient und mithin einen Akt der nationalen Rechtsordnung erlassen hat, der – entsprechend dem Gedanken von U 9/00 – prinzipiell einer Rechtskontrolle durch die nationale Gerichtsbarkeit zugänglich wäre. Oder, ob es die Annahme zugrunde legt, dass eine derartige „Amtsenthebung“ ausschließlich und direkt auf das völkerrechtliche Mandat des HR zu stützen ist und mithin am Maßstab nationalen Rechts und von nationalen Gerichten nicht zu überprüfen ist. Das BIHVG hat sich mit der bloßen Feststellung seiner formalen Unzuständigkeit nur scheinbar elegant der Beantwortung dieser Frage entwunden. Denkbar sind zunächst beide Alternativen. So wäre es vorstellbar, dass der HR auch bei solchen Einzelmaßnahmen auf Ermächtigungsgrundlagen des nationalen Rechts zurückgreift und diese in Ersetzung der grundsätzlich zuständigen Organe betätigt. Im Falle des öffentlichen Unternehmens „Elektroprivreda“ sind das Elektrowirtschaftsgesetz296 sowie das Statut des Unternehmens297 zu betrachten, wonach der Unternehmensrat den Direktor mit Zustimmung der Regierung seines (öffentlichen) Amtes entheben kann. Als gerichtliche Kontroll294 „The Constitutional Court shall have exclusive jurisdiction to decide any dispute that arises under this Constitution between the Entities or between the Bosnia and Herzegovina and an Entity or Entities, or between institutions of Bosnia and Herzegovina, including but not limited to: [. . .]“, Hervorhebungen des Verfassers. 295 So Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 124. 296 „Zakon o elektroprivredi“, Gesetzblatt der Republik Bosnien und Herzegowina Nr. 1/93, 13/94. 297 „Statut JP Elektroprivreda“ ebd. Nr. 5/94 und Gesetzblatt der Föderation von Bosnien und Herzegowina Nr. 35/99 und 10/01.
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instanz für derartige Vorgänge ist der Oberste Gerichtshof der Föderation (OGH) vorgesehen. Denkbar wäre also, dass der HR den Unternehmensrat als Verwaltungsorgan substituiert hat. Dann hätte das BIHVG die Verfassungsbeschwerde allerdings aufgrund der Nichterschöpfung des Rechtsweges abweisen müssen, da der Betroffene gegen die (substituierte) Entscheidung des Unternehmensrats zunächst den OGH hätte anrufen müssen. Würde man dagegen annehmen, der HR hätte sowohl den Unternehmensrat als auch die Kontrollentscheidung des OGH ersetzt, so müsste eine Zuständigkeit des BIHVG nach Art. VI.3 (b) BIHV eigentlich bejaht werden, denn Beschwerdegegenstand wäre mithin das (substituierte) Urteil des OGH.298 Die Tatsache, dass das BIHVG in seinem Urteil keinem dieser skizzierten Entscheidungsszenarien gefolgt ist, legt den Schluss nahe, dass das Gericht in derartigen Fallkonstellationen das Modell der funktionalen Dualität und den darin enthaltenen Gedanken der Ersetzung nationaler Organe nicht anwendet. Eine genauere Betrachtung dieser für BiH schon als klassisch zu bezeichnenden „Amtsenthebungen“ verdeutlicht, dass das Gericht mit seinem knappen Judikat einer Behandlung von gravierenden Rechtsproblemen der Zivilverwaltung durch den HR aus dem Weg gegangen ist. Folgte man nämlich dem Substitutionsgedanken der U 9/00-Rechtsprechung, so könnte man anhand der bloßen Absetzung des Betroffenen aus seinem Amt die Idee einer Betätigung von nationalen Ermächtigungsgrundlagen noch durchaus zur Anwendung bringen. Betrachtet man jedoch das mit einer solchen Absetzung verbundene Verbot, auf unbestimmte Zeit öffentliche Ämter bzw. Mandate (d. h. Verlust des passiven Wahlrechts) wahrzunehmen, so fällt eine Einordnung in dieses System deutlich schwerer. Ein solches Verbot trägt den Charakter einer strafrechtlichen Sanktion, die in den Rechtsordnungen mancher Staaten bei der Verwirklichung von bestimmten Straftatbeständen ausgesprochen werden kann299, wohlgemerkt bei schwerwiegenden Straftaten sowie nach Ablauf eines rechtstaatlichen Strafverfahrens.300 Im nationalen Recht von Bosnien und Herzegowina findet sich allerdings weder eine öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage für eine Behörde zur Verhängung einer solchen Maßnahme noch eine strafrechtliche Vorschrift, die eine solche Sanktion vorsieht. Das bedeutet, dass die Überlegung der Substitution von nationalen Organen durch den HR spätestens an dieser 298 Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 398; Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 126. 299 Vgl. den Grundsatz im deutschen Strafrecht gem. § 45 Abs. 1 StGB: „Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen.“; bzw. bei bestimmten Straftaten betreffend Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit (§ 101 StGB), Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen (§ 108c StGB), Straftaten gegen die Landesverteidigung (§ 109i StGB). 300 Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 126.
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Stelle versagen würde, da der HR dann nämlich Maßnahmen ergreift, die im nationalen Recht gar nicht vorgesehen sind. Die Rechtsprechung des BIHVG lässt sich also dahingehend interpretieren, dass es einerseits Bereiche gibt, in denen der HR sich der nationalen Organe und deren Ermächtigungsgrundlagen bedient und bei einer solchen Substitution nationale Rechtsakte erzeugt, die sich wiederum im Einklang mit der nationalen Verfassungsordnung befinden müssen. Andererseits hat der HR jedoch auch die Möglichkeit, Akte zu erlassen, die sich nur auf sein internationales (völkerrechtliches) Mandat zurückführen lassen, bei ihrem Eindringen in den nationalen Rechtsraum ihren völkerrechtlichen Charakter beibehalten und somit als Akte einer fremden bzw. internationalen Hoheitsgewalt der Kontrolle der nationalen Gerichtsbarkeit grundsätzlich entzogen sind.301 Das hieße, dass sich das Handlungsspektrum des HR im Prinzip nach zwei verschiedenen Funktionsmustern konkretisieren kann, einerseits nach dem Modell der funktionalen Dualität (so für Legislativakte entschieden), andererseits nach der eher klassischen Vorstellung der hier sog. Parallelität302 von internationaler und nationaler Hoheitsgewalt. Die Entscheidung des BIHVG im Fall U 37/01 setzt sich freilich zwischen beide Stühle. Einerseits wird die Einordnung der „Amtsenthebung“ in das Modell der funktionalen Dualität implizit – wie oben dargelegt – abgelehnt, andererseits wird auch keine klare Stellung dazu bezogen, wie dieser Akt ansonsten einzuordnen ist. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass die besagte Entscheidung ein durch die nationale Gerichtsbarkeit nicht kontrollierbarer Hoheitsakt internationalen Ursprungs ist, dann bedarf es streng genommen auch keiner rein formalen – überdies nicht zwingenden – Auslegung einer Kompetenzvorschrift, um die Zuständigkeit des Gerichts abzulehnen. Vielmehr läge es dann näher, die Zuständigkeit mit einem allgemeinen Verweis auf den rein völkerrechtlichen Charakter des Akts abzulehnen303 oder gegebenenfalls mit dem etwaig vom Urheber des Aktes geltend gemachten Verfahrenshindernis der Immunität304. Das Gericht erweckt mit seiner Entscheidung aber den Eindruck, die komplexe Frage nach Rechtskontrolle internationaler Hoheitsgewalt durch nationale Gerichte sei durch bloße Lektüre des Verfassungswortlauts zu beantworten. Dass dem gerade nicht so ist, hat das Gericht selbst in seinen Überlegungen der U 9/ 00-Rechtsprechung deutlich gemacht.
301 Zum Beispiel von Akten von VN-Peacekeeping-Einheiten vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 233. 302 Zu diesem Begriff vgl. oben C. III. 2. a). bb). 303 Vgl. die Entscheidungen des deutschen BVerfG zum Rechtsschutz gegenüber Akten der alliierten Besatzungsmächte, oben C. III. 2. a). cc). (1). 304 Siehe oben C. III. 2. a). bb).
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Die Urteilsbegründung ist wohlgemerkt nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung eines dogmatischen Systems für die Rechtskontrolle einer internationalen Verwaltungsstruktur unbefriedigend, sondern insbesondere auch unter dem Aspekt des Individualrechtsschutzes. Der Fall Bicakcic, der exemplarisch für eine Vielzahl von vergleichbaren Fällen steht, vermag für sich genommen einmal mehr in sehr deutlicher Art und Weise zu illustrieren, warum eine Beschäftigung mit der Frage nach gerichtlicher Kontrolle internationaler Verwaltungsinstanzen überhaupt gerechtfertigt ist. Wird doch mit der Absetzungsentscheidung nicht nur eine „politische“ Personalentscheidung305 getroffen, sondern der Betroffene auch – wie gesehen – mit einer (auf unbestimmte Zeit verhängten) Art Strafsanktion belegt, die einen erheblichen Eingriff in seine Grundrechte darstellt (Berufsfreiheit, passives Wahlrecht306), insbesondere in die Verfahrensrechte aus Art. 6 (1) EMRK, da die Entscheidung dem Betroffenen ausdrücklich keinerlei Rechtsbehelfe zugesteht307. Das BIHVG hat mit seinem Urteil diesen heftig kritisierten308 und unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten bedenklichen Umständen nicht abgeholfen und ist somit im Prozess einer behutsamen Entwicklung einer Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung in der Tat nicht vorangeschritten309. ee) Der Fall U 41/01 In dem Fall U 41/01 hat das BIHVG wiederum die Gelegenheit gehabt, zur Frage einer rechtlichen Überprüfbarkeit von Einzelakten des HR Stellung zu beziehen und hat hierbei die in der Entscheidung U 37/01 im Ergebnis (umständlich) angedeutete Vorstellung einer „Zweigleisigkeit“ des Handlungsrahmens des HR bestätigt.
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Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 126. Vgl. etwa Art. 25 IPbpR (passives Wahlrecht), Art. 1 (Schutz des Arbeitnehmers) Europäische Sozialcharta (1961); § 6 (1) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966, IPwirtR). Vgl. Jayawickrama, The Judicial Application of Human Rights Law, 2002, S. 852 ff. 307 Vgl. den Wortlaut der Entscheidung: „DECISION To remove Mr. Edhem Bicakcic from his position of a General Manager of the company „Elektroprivreda“, and to bar him from holding any official, elective or appointive public office unless or until such time as I may, by further Decision, expressly authorise him to hold the same. This Decision has immediate effect and will not require any further procedural steps. Mr. Bicakcic must vacate his office immediately.“ Bei Entscheidungen über (vorläufige) Suspendierungen von Richtern und Staatsanwälten ist der Wortlaut des Entscheidungstenors bisweilen noch deutlicher: „The decision made herein is issued pursuant to the international mandate of the High Representative and shall not be justiciable before any court in Bosnia and Herzegovina.“ 308 Vgl. Einführung, B. 309 Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 398. 306
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Fall U 41/01: Hintergrund des Falles war die Notwendigkeit einer Neujustierung der sog. InterEntitätsgrenze zwischen der Föderation von Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska, welche gemäß dem im Abkommen von Dayton zugrunde gelegten Kartenmaterial 310 in den beiden Vororten von Sarajevo Dobrinja I und Dobrinja IV quer durch Häuserblocks, Wohngebäude bzw. einzelne Wohnungen hindurch führte. Über die geplante Änderung des Grenzverlaufs entstand Uneinigkeit zwischen beiden Entitäten, woraufhin der HR per Entscheidung vom 05.02.2001311 ein Schiedsgericht einsetzte, welches eine verbindliche Entscheidung über einen neuen Grenzverlauf fällen sollte und dies auch mit Schiedsspruch vom 17.04.2001 tat312. Ein Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina beantragte im Juni 2001 beim BIHVG eine Überprüfung der betreffenden Entscheidung des HR sowie des Schiedsspruches auf deren Verfassungsmäßigkeit. Schließlich läge, so die Begründung, gemäß Art. I.1 (3), V.5 (a) und VI.3 (a) BIHV die ausschließliche Zuständigkeit zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten zwischen den Entitäten beim BIHVG. Eine solche Streitigkeit könne somit weder durch den HR noch durch ein Schiedsgericht entschieden werden. Beide Entscheidungen seien mithin verfassungswidrig.
Bezüglich seiner eigenen Kompetenz zur rechtlichen Überprüfung der betreffenden HR-Entscheidung sowie des Schiedsurteils hat das Gericht in Abgrenzung zu seiner U 9/00-Rechtsprechung Folgendes ausgeführt: „19. In the present case, the Constitutional Court noted there was no interference with the legislative prerogatives assigned to the domestic legislation of Bosnia and Herzegovina by the Constitution in the Decision of the High Representative and the Arbitration Decision. As the dispute arises under the framework of Annex 2 General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, the challenged decisions were adopted according to the specific powers of the High Representative regarding the interpretation of the Agreement on the Civilian Implementation of the Peace Agreement. 20. The High Representative used the powers vested in him by the Articles II.1 (d) and V of Annex 10 (Agreement on the Civilian Implementation of the Peace Agreement) invoking the position XI/2 of the Conclusions of the Peace Implementation Conference that were adopted in Bonn on 9 and 10 December 1997. The Constitutional Court holds that the High Representative, in the exercise of his powers regarding the civilian implementation of the Peace Agreement in the present case, did not act as a substitute of the state of Bosnia and Herzegovina or its Entities, nor did the challenged decisions have the features of a law. The Arbitration Decision was based on a Decision of the High Representative in which the High Representative specified the arbitration terms. These terms, as it is a custom in inter310 Vgl. den Appendix zu Annex 2 des Allgemeinen Friedensrahmenabkommens von Dayton. 311 Decision which ties both the Republika Srpska and the Federation of BiH into final and binding arbitration on the Inter Entity Boundary Line in the Sarajevo suburbs of Dobrinja I und IV, 05.02.2001: www.ohr.int/decisions/plipdec/default.asp? content_id =123. 312 Der Schiedsspruch des alleinigen Schiedsrichters Diarmuid P. Sheridan ist veröffentlicht in Official Gazette of Bosnia and Herzegovina, No. 11/01.
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national arbitrations, did not anticipate review of the decisions by another court or a judicial authority. [. . .] Under given circumstances, the examination of the challenged decisions and the review of their conformity with the Constitution of Bosnia and Herzegovina are beyond the competence of the Constitutional Court. Therefore, the request is inadmissible.“313
Das BIHVG hat somit, im Gegensatz zur Entscheidung U 37/01 nunmehr in deutlicherer Art und Weise zu verstehen gegeben, dass es die im Wege des Substitutionsgedankens zu bewerkstelligende Rechtskontrolle der Akte des HR offenbar nur im Bereich der legislativen Maßnahmen für durchführbar hält, während es bei den – in die Kategorien des nationalen Rechts – bisweilen schwerer einzuordnenden Exekutivakten (Amtsenthebungen etc.) offenbar von einer unmittelbaren Abstützung auf die völkerrechtlichen Grundlagen des HR ausgeht. Mangels Eintritts in den Handlungsrahmen eines nationalen Organs werden diese Akte nicht Teil der nationalen Rechtsordnung, sondern verbleiben internationaler Natur und somit dem Zugriff der nationalen (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit verwehrt. Festzuhalten bleibt also, dass eine gerichtliche Kontrolle der Exekutivmaßnahmen des HR bislang nicht stattgefunden hat, da das BIHVG sein Modell zur Einordnung von internationalen Hoheitsakten in den nationalen Rechtsraum bislang nur anhand von Legislativakten zum Einsatz gebracht hat, sei es aus politischer Zurückhaltung314 in einem Staat, in dem die internationale Administration bis heute die zentrale tragende Säule einer fragilen Friedensordnung darstellt, sei es aus Unbehagen gegenüber den dogmatischen und praktischen Problemen, die es bei einer umfassenden Anwendung des Modells der funktionalen Dualität auf die Handlungen des Hohen Repräsentanten zu lösen gälte. Von eben diesen wird im Folgenden noch die Rede sein. Verständlich erscheint vor diesem Hintergrund die im Fall U 13/02 erfolgte – zweifelhafte – Klassifizierung des BIHVG einer Entscheidung des HR als Legislativakt im erkennbaren Bestreben, denselben einer rechtlichen Überprüfung zuführen zu können.315 Es bleibt also zunächst die Erkenntnis, dass Akte der Legislative in Bosnien und Herzegowina Rechtsschutz gegen die internationale Verwaltung eröffnen, während Maßnahmen der Exekutive – sofern sie durch den Hohen Repräsentanten erfolgen – zu einem gerichtlich unkontrollierten Arkanbereich desselben zu gehören scheinen.
313 314 315
U 41/00, §§ 19, 20; Hervorhebungen des Verfassers. Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 146. Siehe C. III. 2. c). cc).
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ff) Die weitere Entwicklung Freilich hat das Gericht einer Rechtskontrolle der zahlreichen Einzelmaßnahmen des HR keine kategorische Absage erteilt. Der Möglichkeit, in einem zukünftigen Fall einen Exekutivakt nach der Vorstellung der funktionalen Dualität oder auch mit einer anderen dogmatischen Begründung einer Rechtskontrolle zu unterwerfen, hat sich das BIHVG nicht begeben. So haben Gerüchte, wonach das Gericht bei passender Gelegenheit einen solchen weiteren Schritt zu gehen beabsichtige, jüngst eine Konkretisierung erfahren. Nachdem Betroffene erneuter Amtsenthebungen des HR vom Frühjahr 2004316 im Wege der Verfassungsbeschwerde vor das BIHVG gezogen waren, wies das Gericht die Beschwerden wegen fehlender Ausschöpfung des Rechtswegs zurück und erklärte die Beschwerden nicht wie bisher mit Verweis auf seine Unzuständigkeit für unzulässig.317 Das BIHVG weist damit die Kontrolle der betreffenden Einzelakte des HR den Untergerichten zu und impliziert damit – in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung – seine eigene Zuständigkeit nach Erschöpfung des Rechtswegs. Ob das BIHVG mit dieser Entscheidung die Tür zu einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle der Hoheitsakte des HR geöffnet hat, kann mit Blick auf seine bisherigen Entscheidungen noch nicht abschließend bewertet werden. Abzuwarten bleibt insoweit die Behandlung der Fälle durch die Gerichtsbarkeit bzw. durch das BIHVG in letzter Instanz. Ein denkbares Szenario wäre, dass sich die Verwaltungsgerichte unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des BIHVG für unzuständig erklären und die Beschwerden rasch wieder dem BIHVG vorliegen.318 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass der von 2002 bis Anfang 2006 amtierende Paddy Ashdown als erster der Hohen Repräsentanten in verschiedenen offiziellen Stellungnahmen erklärt hat, dass er eine Befugnis des BIHVG zur gerichtlichen Kontrolle seiner Entscheidungen (also auch von Einzelmaßnahmen) anerkennt und sich entsprechenden Urteilen des BIHVG auch zu beugen bereit ist.319 Diese offiziellen Bekenntnisse zu 316 Es handelte sich um die Entfernung von bosnischen Serben aus Positionen in den Streit- und Polizeikräften sowie der Serbisch Demokratischen Partei im Zusammenhang mit Vorwürfen der Obstruktion bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern. Siehe die Entscheidungen unter www.ohr.int/decisions/removalsdec/archive.asp. 317 Vgl. die Zulässigkeitsentscheidungen des BIHVG AP 777/04 – AP 784/04, AP 766/04, AP 759/04 vom 29.09.04. Die Entscheidungen liegen noch nicht in englischer Übersetzung vor. 318 European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 93. 319 Z. B. Remarks by the High Representative, Paddy Ashdown, at the Press Conference on Constitutional Court, Sarajevo, 11.02.05: www.ohr.int/ohr-dept/presso/ pressb/default.asp?content_id=34040: „[. . .] I also believe and it is a matter which is been really very little remarked on, but I also believe that the Constitutional Court is an asset that should be used by the High Representative. Since the beginning of my
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einer gerichtlichen Kontrollierbarkeit der Hoheitsakte des HR stehen allerdings in Widerspruch zu den inoffiziellen Stellungnahmen von zuständigen Mitarbeitern des OHR. Letzteren zufolge handelt es sich bei Amtsenthebungen, dem Einfrieren von Bankkonten, dem Einziehen von Grundeigentum etc. um nichtjustiziable governmental acts des HR. Diese ergingen auf Grundlage des internationalen Mandats des HR aus dem Abkommen von Dayton in Verbindung mit der Billigung des PIC sowie des VN-Sicherheitsrats. Diese sozusagen kollektive Legitimation sowie die in BiH bis heute herrschenden außergewöhnlichen Umstände seien Rechtfertigung für die Tatsache, dass derartige Akte keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen.320 Verwiesen wird auf OHR-interne Mechanismen, die sicherstellen sollen, dass solche Akte nicht leichtfertig, sondern unter sinnvoller Abwägung der relevanten Umstände getroffen werden. Wie diese Entscheidungsfindung und deren interne sachliche oder rechtliche Kontrolle aussieht, wird aus politischen Gründen („for policy reasons“) nicht enthüllt. Die von den Einzelmaßnahmen des HR Betroffenen hätten lediglich die Möglichkeit, im Wege einer Art formlosen Widerspruchsverfahrens schriftlich beim OHR um eine Neubegutachtung bzw. Erläuterung ihres Falles nachzusuchen. Solche Eingaben würden durch das OHR dann einer Nachprüfung unterzogen. Jüngst hat der HR überdies angekündigt, von sich aus einen Prozess einer schrittweisen internen Neubegutachtung der Amtsenthebungsfälle einzuleiten.321 mandate I have recognized the Constitutional Court’s right to review my Decisions. That’s not always been welcome to some of my international partners who believe this is an infringement of the absolute power of the Bonn powers. But, I have said that I would have submit my Decisions where they were constitutionally contentious to the Court, and if the Court decided that the action I had taken was unconstitutional I would withdraw that procedure. It’s never happened yet, but I am prepared that it should and I’ve already informed the Court that I would respect their decision. I am the first High Representative to have done this. [. . .]“. Vgl. auch Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 56. 320 Diese Auffassung ist von seiten des OHR noch während des Jahres 2003 im Zusammenhang mit dem Fall U 13/02 nachdrücklich im Schriftwechsel mit dem BIHVG vertreten worden. Das OHR hatte u. a. mit dieser Argumentation versucht, eine Abänderung der Entscheidung U 13/02 zu erreichen. 321 Remarks by the High Representative, Paddy Ashdown, at the Press Conference on the status of individuals removed from public functions in BiH, 04.03.05: www.ohr.int/ohr-dept/presso/pressb/default.asp?content_id=34139: „[. . .] I will initiate a process which begins today, which has four phases. Phase One: Taking all of those who were removed in the period from the beginning of 1998 till the end of 2003 – about 100 individuals – we will identify cases where the ban on participation in public life could reasonably be raised without a threat to the stability of the country, to the application of the DPA or the health of your democracy. Phase Two: This is the investigation phase. Background checks will be run on individuals who may be candidates, so as to ensure that, should the ban on participation in public life be lifted, there will be no negative effect on the peace process which would follow as a result, and then to recommend any conditions that might be applied on lifting the ban. Stage Three: will be a review within OHR of the investigator’s recommendations, and I will
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Festzuhalten ist, dass der Dialog zwischen OHR und BIHVG sich fortsetzt und mit ihm das Ringen um eine Einordnung der Akte des OHR in den verfassungsgerichtlichen Kontrollrahmen des BIHVG. Die angesprochenen jüngsten Entwicklungen lassen es möglich erscheinen, dass sich beide Instanzen mittelfristig auf eine gerichtliche Kontrolle auch der Exekutivmaßnahmen des HR „verständigen“. Darüber kann gegenwärtig allerdings nur spekuliert werden. Unklar ist insbesondere, welche Instanz nach einem Abzug des HR in seiner jetzigen Form über die Fortgeltung seiner Maßnahmen zu entscheiden hätte. 3. Ergebnis: System der partiellen Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten durch das BIHVG a) Schema der partiellen Rechtskontrolle des HR durch das BIHVG Die Analyse der bisherigen Rechtsprechung des BIHVG ergibt, dass ein Aspekt der Dualität nicht allein in dem gedanklichen Modell der funktionalen Dualität enthalten ist, sondern dass auch die Gesamtschau der zur Rechtskontrolle des HR ergangenen Judikate des Gerichts eine gewisse Doppelspurigkeit aufweist. Wollte man den bisherigen aquis dieser Rechtsprechung schematisch darstellen, so könnte man dies wie folgt tun:
be presented with those. Stage Four: A decision by me as to whether or not the ban on a given individual should be lifted. Let me say to you that there are varieties of outcomes to that which we can discuss perhaps later when in due course I make any further announcements, that if it were a case that I decide that an individual could return to public life, I will require them to give a written commitment to uphold the Dayton agreement and the Constitution of BiH. This process is an indication of the development status of BiH – we are now in a position where we can do this, the country’s democracy is secure now, its institutions strong enough and I believe that this process marks a change in the status of BiH and offers all of us a way forward.“
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Völkerrechtliche Grundlagen/Kompetenzgrundlagen des HR/sog. „Bonn Powers“ (Annex 10 „Dayton“/Auslegung durch PIC (Bonn))
Entscheidung über den Rückgriff auf diese völkerrechtlichen Befugnisse (Annex 10 und „Bonn Powers“)
keine Kontrolle des BIHVG
keine Kontrolle des BIHVG
Rechtsakte, die der HR in Substitution nationaler Organe vornimmt; nach Theorie der „funktionalen Dualität“ Selbsteintritt in den Handlungsrahmen nationaler Organe Für Legislativakte gem. U 9/00 Rechtskontrolle des BIHVG am Maßstab der Verfassung
Rechtsakt, den der HR soz. unmittelbar auf Grundlage der Befugnisse aus Annex 10/Bonn Powers erlässt
➪ Rechtsakt wird nicht Teil der nationalen Rechtsakt trägt Charakter eines nationalen Rechtsakts (Legislativakt/Gesetz)
Rechtsordnung
➪ keine Rechtskontrolle durch BIHVG/sonstige Gerichte
➪ Rechtskontrolle durch BIHVG Legislativakte (U 9/00)
Exekutivakte (U 37/01)
Problem: Zuordnung der HR-Entscheidungen
Kontrolle des Hohen Repräsentanten durch das BIHVG – Schematische Darstellung
b) Bewertung dieser Rechtsprechung des BIHVG: Funktionale Dualität – ein gangbares Funktionsmodell? Die Rechtskontrolle der Handlungen der internationalen Zivilverwaltung, die das BIHVG case by case entwickelt hat, gleicht bislang einem Torso. Einerseits ist ein dogmatischer „Rumpf“ erkennbar, andererseits endet die praktische Fortsetzung desselben an manchen Stellen abrupt, sodass die Rechtskontrolle des HR insgesamt nur als partiell oder bruchstückhaft zu bezeichnen ist. Eine Be-
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wertung dieses Rechtszustands darf sich jedoch nicht in einem Aufzeigen und Beklagen der unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdigen Lücken des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die internationale öffentliche Hand erschöpfen, sondern muss ebenfalls versuchen, vor dem Hintergrund des spezifischen Problems der Rechtskontrolle von internationalen Hoheitsakten das durch das BIHVG bislang Erreichte zu würdigen, es auf seine dogmatische und praktische Stimmigkeit zu überprüfen sowie etwaige Alternativen zur gegenwärtigen Situation aufzuzeigen. Die Entscheidung U 9/00 des BIHVG ist als eine Art bosnische Version der Marbury v. Madison322-Entscheidung des US Supreme Court bezeichnet worden323, als ein mutiges und progressives Judikat.324 In dem amerikanischen Urteil hatte der Supreme Court der Vereinigten Staaten erstmals seine Befugnis festgestellt, die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen zu überprüfen und somit die Idee einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle des parlamentarischen Gesetzgebers begründet, die sich nachfolgend auch teilweise im Verfassungsund Demokratieverständnis der europäischen Staaten durchgesetzt hat.325 Hier wie dort ging es um die Überprüfbarkeit von Legislativakten. Hier wie dort lag es an einem obersten Gericht, seine Rolle als Hüter der Verfassung durch Auslegung bzw. durch Fortbildung von schweigendem Verfassungstext gegenüber anderen Akteuren des Verfassungslebens offensiv zu definieren und auszufüllen. Der bosnische Fall erschöpft sich freilich nicht in der Auslegung der nationalen Verfassung, sondern legt mit dem Gedanken der funktionalen Dualität den Grundstein für eine verfassungsrechtliche Kontrolle eines außerhalb des nationalen Verfassungsraums stehenden, aber in diesen hineinwirkenden internationalen Verwaltungsorgans, welches mit umfangreichen, kaum definierten Machtbefugnissen ausgestattet ist. Für den Anwendungsbereich der Krisenbewältigung und Staatsbildung mit dem Kennzeichen einer durch eine komplexe internationale Überwachungs- und Verwaltungsstruktur treuhänderisch überwölbten nationalen Verfassungsstruktur, für den das Beispiel Bosnien und Herzegowina als Paradigma angesehen werden kann326 und der angesichts der zunehmenden Zahl der failed state – Situationen seine Bedeutung für die Zukunft möglicherweise bisher nur angedeutet 322 Supreme Court of the United States, Marbury v. Madison (5 US [1 Cranch] 137 [1803]); dazu Hoffmann-Riehm, in: JZ (2003), S. 269 ff. 323 Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 167. 324 Vgl. Winkelmann, Protektorat, S. 21; Graf Vitzthum/Winkelmann (Hrsg.), Bosnien-Herzegowina, S. 232; Caplan, International Governance, S. 248; Oellers-Frahm, Restructuring Bosnia-Herzegovina: A Model with Pit-Falls, in: Max Planck UNYB 9 (2005), S. 210 ff. 325 So z. B. in Deutschland, im Gegensatz zum Verständnis der Parlamentssouveränität angelsächsischer Prägung. 326 Vgl. Graf Vitzthum, Staatsaufbau, S. 824.
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hat, hat das Gericht mit der Theorie der funktionalen Dualität einen Ansatz entwickelt für die Frage der Interaktion zwischen nationaler und internationaler Rechtsordnung, der in dieser Form bislang von keinem Gericht in einer vergleichbaren Situation dargestellt worden ist. Das Urteil U 9/00 ist somit nicht etwa eine Fortsetzung bereits bestehender Entwicklungslinien oder Rechtsprechungstendenzen, sondern stellt einen neuen dogmatischen Ansatzpunkt dar, so fragmentarisch und teilweise kryptisch er auch formuliert sein mag. aa) Der Zwei-Stufen-Gedanke im Rahmen der Theorie der funktionalen Dualität Der vom BIHVG entwickelte Ansatz der funktionalen Dualität kann grundsätzlich als ein beachtlicher Schritt327 auf dem Wege zu einer theoretischen Grundlage für die Interaktion zwischen einem staatlichen Verfassungsgefüge und einer diese überwölbenden internationalen Verwaltungsstruktur im Rahmen einer Art „dualen Verfassungsordnung“ angesehen werden. Das Prinzip der funktionalen Dualität erscheint abstrakt betrachtet als eine sinnvolle und auch verhältnismäßige Austarierung der Notstandsbefugnisse der internationalen Administration auf der einen Seite sowie des Schutzes der Verfassung bzw. der in dieser Verfassung inkorporierten, von der internationalen Gemeinschaft als besonders bedeutsam empfundenen Verfassungswerte (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Schutz von Menschen- und Grundrechten) andererseits. Mehr noch als bei ihren unterschiedlichen historischen Vorläufern steht doch bei dieser besonderen, neuartigen Ausprägung internationaler Verwaltung die Wertebezogenheit im Vordergrund und die damit einhergehende Frage, inwieweit die Vertreter der Staatengemeinschaft sich bei der Förderung und Verbreitung dieser elementaren Werte diesen selbst unterwerfen müssen bzw. dies praktisch überhaupt können. Sinnvoll erscheint das besagte Modell deswegen, weil es gerade dasjenige Problem zu lösen scheint, das sich in der multiethnischen Gesellschaft von BiH bis zum heutigen Tage als ein besonders zentrales Übel darstellte und darstellt: Die Blockade in der Entscheidungsfindung der politischen Organe, insbesondere auf der Gesamtstaats- aber auch auf der Entitätsebene. Hinsichtlich des wichtigen Bereichs der Legislative war und ist es schon fast eine Art Standardkonstellation, dass Gesetzesvorhaben umfassend vorbereitet werden, oft mit massiver Unterstützung internationaler Experten328, und diese schlicht in den parlamentarischen Entscheidungsgremien stecken bleiben, da sich die nationalen politischen Akteure auf keinen Konsens verständigen können bzw. ein solcher aus 327 Vgl. auch Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 170, 172, der vom Präzedenzcharakter der Entscheidung spricht. 328 Für einen Überblick über die diesbezüglich tätigen Akteure am Beispiel des Rechtsstaatsreformprozesses siehe International Crisis Group, Courting Disaster, S. 4 ff.
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verschiedensten Motiven behindert wird. Manche Kommentatoren sprechen in diesem Zusammenhang von der „Erfindung der Langsamkeit“ im politischen Leben von Bosnien und Herzegowina. Eben dieses zentrale Problem kann der Selbsteintritt des HR in den Kompetenzrahmen der parlamentarischen Organe überwinden, indem er anstelle derselben Gesetzeswerke in Kraft setzt und somit den Reform- und Friedensprozess in BiH vorantreibt. Die Gesamtschau der Friedensregelung sowie der „internationalisierten“ nationalen Verfassung329 lässt es juristisch stimmig erscheinen, dass sich der HR als Hüter dieser gesamten Friedensordnung dann auch an die Verfassung halten muss. An diese wären schließlich auch die nationalen Parlamente beim Gesetzgebungsprozess gebunden. Der HR kann vor diesem Hintergrund nicht weniger, aber auch nicht mehr leisten wollen, als die eigentlich zuständigen nationalen Parlamente (idealerweise selbständig) leisten sollten. Zu dieser Überlegung passt auch die Annahme, dass der HR bei der Entscheidung darüber, ob er seine Eingriffsbefugnisse wahrnehmen, d. h. ob er von diesem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen soll, einen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum hat. Dafür lassen sich unterschiedliche Gründe anführen. Eine gerichtliche Kontrolle einer derartigen Entschließung des HR erscheint bereits inhaltlich wenig nahe liegend, da es sich dabei um kaum justiziable, in hohem Maße politische Beurteilungen handelt. Ob es eine bestimmte Situation erfordert, dass zur Förderung und Durchsetzung des Friedensprozesses z. B. ein bedeutendes Gesetzeswerk sofort in Kraft treten muss, oder ob man noch Monate oder Jahre darauf warten könnte oder sollte bis die nationalen Parlamente es selbst verabschieden, ohne dass die politischen und ökonomischen Reformen Schaden nehmen – für eine solche Entscheidung ist ein hohes Maß an Verständnis für die politische Situation des Landes erforderlich, an juristischen Maßstäben ist diese allerdings kaum zu messen.330 Die internationalen Eingriffsgrundlagen sind begrifflich weit und nicht im Sinne einer Ermächtigungsgrundlage, wie man sie aus nationalem öffentlichen Recht kennt, tatbestandlich subsumierbar.331 Aus systematischer Sicht spricht gegen eine Rechtskontrolle auf dieser „Entschließungsebene“ die Tatsache, dass der Gesamtstaat sowie die beiden Glied329
Siehe Kap. I. C. III. Diesen Umstand nicht berücksichtigend European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Constitutional situation, § 89. Man mag insoweit eine gedankliche Anleihe bei der angloamerikanischen „Politicial Question Doctrine“ nehmen. 331 Das mag man freilich für sich betrachtet bereits als rechtlich problematisch ansehen. Der im deutschen öffentlichen Recht so zentrale Grundsatz, dass nicht von der Aufgabe auf die Befugnis geschlossen werden darf, würde hierbei verletzt; vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 125. 330
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staaten durch die Unterzeichnung des Annex 10 und mithin der formalen Gründung der internationalen Behörde des Hohen Repräsentanten einer damit verbundenen Einschränkung ihrer Souveränität gerade ausdrücklich zugestimmt haben.332 Wollte man diese Stufe gerichtlich kontrollieren, könnte man in praktischer Konsequenz die Behörde des Hohen Repräsentanten auch gleich abschaffen. Eine Notstandsverwaltung ohne Notstandsbefugnisse, d. h. ohne einen gewissen eigenen Entscheidungsspielraum darüber, in welchen Fällen Maßnahmen zur Überwindung von Notlagen oder politischen Dringlichkeitssituationen zu treffen sind, könnte in der Praxis seiner Aufgabe kaum gerecht werden. Schließlich würden die mit den Entscheidungen des HR unzufriedenen betroffenen Einzelpersonen oder Organe diesen regelmäßig auch noch darüber in Rechtsstreitigkeiten verwickeln, ob die Voraussetzungen für die Betätigung seiner internationalen Befugnisse überhaupt vorgelegen haben. Die Folge wäre, dass das Handeln und somit das Vorantreiben des Friedens- und Reformprozesses durch den HR faktisch zum Erliegen käme. bb) Die Parallele zum Problem der Rechtskontrolle des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Dieser Zwei-Stufen-Gedanke, der in der Rechtsprechung des BIHVG zum Modell der funktionalen Dualität zum Ausdruck kommt, findet sich in ähnlicher Weise in der Debatte um die Rechtskontrolle des VN-Sicherheitsrats durch den Internationalen Gerichtshof333 wieder. Wohlgemerkt geht es bei jener Frage um die Entwicklung von checks and balances sowie von rechtstaatlichen Elementen innerhalb der Internationalen Organisation der Vereinten Nationen und nicht wie in Bosnien und Herzegowina um eine rechtsstaatliche Einbindung internationaler Hoheitsträger im nationalen Verfassungsraum.334 Ähnlich sind sich 332 Mag man die Ausgestaltung und die Auslegung des Mandats teilweise als unscharf bezeichnen; das ist aber an dieser Stelle nicht die Frage. 333 Z. B. Martenczuk, in: EJIL 10 (1999), S. 517 ff.; Alvarez, in: AJIL 90 (1996), S. 1 ff.; ausführliche Darstellungen bei: Herbst, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates, 1999, sowie Martenczuk, in: AJIL 86 (1992), S. 519 ff.; Gowlland-Debbas, in: AJIL 88 (1994), S. 643 ff.; Fassbender, in: EJIL 11 (2000), S. 219 ff.; Graefrath, in: EJIL 4 (1993), S. 184 ff. 334 Allerdings hat sich am Problem der (Wirtschafts-)Sanktionen, die durch den VN-Sicherheitsrat verhängt werden, auch diese Debatte zunehmend auf die Frage verlagert, welche Möglichkeiten für nationale Gerichte bestehen, Entscheidungen des Sicherheitsrats rechtlich zu überprüfen, vgl. De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 185: „Most fundamentally, the position that member states of the United Nations retain, under certain conditions the right to review Security Council resolutions is based on the maxim that any restricted delegation of power must have some system of control for ensuring that the institution to whom the power is delegated functions the way it was designed to. Given that the Security Council itself has not provided for a
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diese beiden Problemfelder aber insoweit, als es sich auch im Falle der Befugnisse des VN-Sicherheitsrats gemäß Kapitel VII der VN-Charta um Notstandsstrukturen handelt, welche im Falle ihrer Betätigung den völkerrechtlichen Rechtsverkehr zu überlagern bestimmt sind, und deren Grenzen sowie deren etwaige rechtliche Kontrollierbarkeit durch das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, dem IGH, dem bloßen Vertragstext der VN-Charta nicht zu entnehmen sind. Die juristische Debatte darüber liefert in etwa folgendes Bild: Der VN-Sicherheitsrat entscheidet nach Art. 39 VN-Charta darüber, ob eine Bedrohung, ein Bruch des Friedens oder gar eine Angriffshandlung vorliegt und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Eröffnung des Handlungsspektrums des Sicherheitsrats (bindende Zwangsmaßnahmen) gemäß Kapitel VII der VN-Charta gegeben sind. Diesbezüglich gehen auch Verfechter einer grundsätzlichen rechtlichen Kontrolle des VN-Sicherheitsrats davon aus, dass die Subsumtion unter die weit gefassten Tatbestandsmerkmale des Art. 39 VNCharta, insbesondere das zuletzt an Bedeutung gewonnene Merkmal der „Bedrohung des Friedens“, auf komplexen Wertungen und Abwägungen der globalen und regionalen politischen Lage beruht und dem Sicherheitsrat dabei eine Einschätzungsprärogative zukommt, die gerichtlich nicht überprüfbar ist. Genauso obliege es dem nichtjustiziablen Beurteilungsspielraum des Sicherheitsrats, mit welchen der Maßnahmen gemäß Art. 40 ff. VN-Charta er einer solchen Lage zu begegnen gedenkt.335 Demgegenüber nimmt die wohl überwiegende Meinung im völkerrechtlichen Schrifttum an, dass sich die Maßnahmen des Sicherheitsrats, wenn sie schließlich aufgrund der besagten Rechtsgrundlage ergriffen wurden, dann aber an das ius cogens336 sowie fundamentale Menschenrechtsgarantien337 halten müssen. Diesbezüglich wird eine Rechtskontrolle durch den IGH, sei es inzident im system of control, review by member states is the last option to provide the necessary control over the exercise of power by the Security Council.“; dieselben, a. a. O., S. 202: „[. . .] The potential risk that such unilateral review poses to the erosion of the international peace and security system should be balanced against the positive contribution that national review may provide. The possibility of review on the national level could serve as an incentive for the Security Council to draft its resolutions in accordance with human rights standards. This would, in turn, make it even more difficult for states to claim the illegality of Security Council resolutions for pretextual reasons. A cautious review of binding Security Council decisions under such circumstances would therefore protect the efficiency of the organization in the long run, rather than undermine it.“; Alvarez, in: AJIL 90 (1996), S. 12; vgl. auch Reinisch, Developing Human Rights and Humanitarian Law Accountability of the Security Council for the Imposition of Economic Sanctions, in: AJIL 95 (2001), S. 866 ff. 335 Z. B. Akande, in: ICLQ 46 (1997), S. 315. 336 De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 181 ff.; Akande, in: ICLQ 46 (1997), S. 322. Zum Verhältnis der Konzepte von ius cogens und erga omnes-Normen vgl. Mann, The Doctrine of Jus Cogens in International Law, in: Ehmke u. a. (Hrsg.), FS für Ulrich Scheuner, 1973, S. 411; Klein, Menschenrechte und Ius cogens, in: Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, FS für G.
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Wege eines streitigen Verfahrens338 oder anhand eines Rechtsgutachtens339 für möglich erachtet.340 Die Nichtüberprüfbarkeit der ersten Stufe, also die Feststellung der Gefährdungslage, lässt sich auch hier zwar nicht dem Vertragstext, so doch aber der gesamten Konzeption des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen entnehmen. Die Völkergemeinschaft hat sich durch die Unterzeichnung der VN-Charta eben diese Sicherheitsarchitektur gegeben und ihre Souveränität insoweit eingeschränkt, als einem Gremium – dem Sicherheitsrat – beim Auftreten von Krisensituationen verbindliche Entscheidungen ermöglicht werden, um einen Kollaps in den internationalen Beziehungen zu vermeiden.341 Die Entscheidung über ein solches Tätigwerden kann letztlich nur eine politische sein. Dass sich der Sicherheitsrat bei seinem Tätigwerden nach Kapitel VII der Charta über das „einfache Völkerrecht“ (Verträge etc.) hinwegsetzen kann, lässt sich aus den Artikeln 25 und 103 VN-Charta ableiten.342 Dass er dabei jedoch an die fundamentalen Prinzipien der Völkerrechtsordnung (ius cogens, Menschenrechte) gebunden ist, ordnet die Charta ausdrücklich an, indem sie verkündet, dass der Sicherheitsrat bei der Erfüllung seiner Pflichten im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen handelt.343 Der Gedanke, der Sicherheitsrat könne sich auch über diese zentralen Völkerrechtsnormen hinwegsetzen, zu deren Überwachung er gerade geschaffen wurde, stünde mit diesem Postulat in scharfem Gegensatz und wird demzufolge überwiegend abgelehnt.
Ress, 2005, S. 159, 162; Frowein, Jus Cogens, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL Vol. III (1997), S. 67. 337 Vgl. Klein, Menschenrechte und Ius cogens, S. 160; hierzu sowie zur Frage, welche Menschenrechtsnormen als fundamental anzusehen sind vgl. Akande, in: ICLQ 46 (1997), S. 323 ff. 338 Zu den Zuständigkeiten vgl. Art. 36 ff. IGH-Statut. 339 Zur gutachterlichen Funktion des IGH vgl. Art. 65 ff. IGH-Statut. 340 Akande, in: ICLQ 46 (1997), S. 327 ff. 341 Vgl. Art. 24 VN-Charta: „(1) Um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten, übertragen ihre Mitglieder dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und erkennen an, dass der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt.“ 342 Siehe Bernhardt, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, 1994, § 103; Delbrück, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, 1994, § 25. 343 Art. 24 (2) VN-Charta; vgl. De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 187; Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamajiriya v. United States of America), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, ICJ Reports 1992, 14 (Dissenting Opinion of Judge Weearamantry S. 71); Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: Gowlland-Debbas (Hrsg.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, S. 5.
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cc) Nichtüberprüfbarkeit der ersten Stufe Die Kritik an den Befugnissen des Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina ist unter anderem wie folgt artikuliert worden: „Soll er, oder soll er nicht? Auf diesen Kern ließe sich die Frage reduzieren, vor der Paddy Ashdown steht, wenn es um die Anwendung seiner Macht geht.“344
Mit diesem Satz, auf den ein Vergleich mit dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko folgt, soll offenbar der Verdacht einer scheinbar ungebundenen, alleinherrscherartigen345 und unkontrollierten Machtfülle des HR geäußert werden. Eine Anmahnung von rechtlicher Kontrolle eines (internationalen) Hoheitsträgers muss allerdings auch vergegenwärtigen, welche Arten von Handlungen und Entscheidungen sinnvollerweise rechtlich überprüft werden können. So ist bei der Frage, ob der HR in einer gegebenen Situation von seinen besonderen Befugnissen Gebrauch machen soll oder nicht (also der „ersten Stufe“), worauf sich die zitierte Kritik bezieht, dem HR aufgrund der genannten Erwägungen in der Tat ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen, der einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich ist. Eine Kritik betreffend mangelnder rechtlicher Kontrolle geht diesbezüglich bei genauer Betrachtung fehl. Was diese Ebene anbelangt, so ist es die politische Kontrolle durch das Peace Implementation Council (PIC)346, der sich der HR gegenübersieht. Die im PIC versammelte Staatengemeinschaft, der auch Bosnien und Herzegowina selbst angehört, sowie dessen Lenkungsausschuss (Steering Board) dienen dazu, den gesamten Friedensprozess zu steuern und somit Politik und Strategie des HR zu überwachen, zu beeinflussen und zu kontrollieren. Naturgemäß ist dies weder eine Rechtskontrolle durch ein Gericht oder gerichtsähnliches Organ, noch eine parlamentarische Kontrolle durch ein demokratisch gewähltes Gremium, sondern eine politisch-diplomatische Aufsicht, die ihre Legitimation durch die Staatengemeinschaft bzw. den VN-Sicherheitsrat bezieht.347 Letztlich sind die Entscheidungen über Ausdehnung oder Zurücknehmen der internationalen Steuerungsintensität (global) durch das PIC und (konkret) durch den HR Akte eines internationalen Regierungshandelns, für das zumindest de lege lata eine rechtliche Überprüfbarkeit inhaltlich und systematisch keinen Sinn ergibt. Natürlich erscheint es berechtigt, die gegenwärtige vage rechtliche Konstruktion der Behörde des Hohen Repräsentanten und dessen „Aufsichtsbehörde“ PIC zu kritisieren sowie das ebenso verschwommene Zustandekommen und die Auslegung der völkerrechtlichen Ermächtigungsgrundlage des HR.348 Bei der zu344 345 346 347 348
FAZ v. 23.06.2003, S. 10: „Der Mächtige“. Vgl. auch Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 60 ff. Zur Struktur und Funktionsweise des PIC siehe oben Kap. II. B. Siehe unter Kap. II. C. I. 1. Siehe unter Kap. II. C. I. 1.
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künftigen Gestaltung von Eingriffsmandaten internationaler Verwaltungsinstanzen muss insoweit besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, ob nicht anstatt bloßer Aufgabenbeschreibungen auch verstärkt konkrete, tatbestandlich subsumierbare Ermächtigungsgrundlagen im Stile nationalen öffentlichen Rechts formuliert werden sollten, um von vornherein eine größere Eingrenzbarkeit und Transparenz von internationalem Verwaltungshandeln zu schaffen. Wie bei der Debatte um die Rechtskontrolle des VN-Sicherheitsrats349, darf man jedoch nicht der Illusion erliegen, als könne man außergewöhnlichen Krisen- und Notsituationen durch Organe begegnen, die schon a priori an enge juristische Ketten gelegt sind. Erfolgreiches Krisenmanagement erfordert schnelles Handeln und einen Entscheidungsspielraum, der ein solches ermöglicht. Es ist diese banale Erkenntnis, die mit den Erfordernissen der rule of law und des internationalen Schutzes von Menschen- und Grundrechten abzuwägen ist. dd) Das Problem der Übertragbarkeit der Theorie der funktionalen Dualität auf exekutives Handeln des HR Die am Beispiel der Legislativakte des HR entwickelte Theorie der funktionalen Dualität und den darin enthaltenen Substitutionsgedanken hat das BIHVG auf die exekutiven Maßnahmen des HR bislang nicht angewendet. Abgesehen von der nahe liegenden Erklärung eines politisch motivierten judicial selfrestraint, dem sich das Gericht hierbei möglicherweise verpflichtet fühlt, stellt sich die Frage, ob dieses Modell auf die vielfältigen Einzelmaßnahmen des HR theoretisch überhaupt übertragbar wäre bzw. welche dogmatischen und praktischen Folgen sich daraus ergeben würden. Vorstellbar wäre der Gedanke der Substitution auch im Bereich von staatlichen Verwaltungsbehörden. Es wäre im Prinzip denkbar, dass der HR ein Selbsteintrittsrecht bezüglich sämtlicher Ermächtigungsgrundlagen der nationalen Staats- und Verwaltungsorgane besäße. Er wäre mithin befugt, auf sämtliche Zuständigkeiten der nationalen Behörden zurückzugreifen und anstelle dieser Rechtsakte zu erlassen, die ihrem Charakter nach der nationalen Rechtsordnung zuzuordnen und somit auch anhand dieser rechtlich zu messen und zu überprüfen sind. Nach Sinn und Zweck der Befugnisse des HR, die auf ein Fördern und Vorantreiben des Friedensprozesses sowie auf die Durchsetzung der Postulate der Staatengemeinschaft gerichtet sind, erscheint dieser Substitutionsgedanke durchaus vielversprechend, könnte der HR doch auf diesem Wege durch punktuelle Eingriffe verzögertes, ineffizientes Verwaltungshandeln bzw. bloße Obstruktion überspielen und notwendige Maßnahmen verabschieden. Dass auf diesem Wege zustande gekommene (nationale) Rechtsakte die Rechts- und Ver349
Vgl. Herbst, Rechtskontrolle, S. 412.
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fassungsordnung, insbesondere die internationalisierten Grund- und Menschenrechtsverbürgungen einzuhalten haben, wäre nur folgerichtig. Daran müssten sich schließlich auch die nationalen Stellen halten und mehr als eine funktionierende nationale Verwaltung liegt nicht im Interesse des HR. Während sich jedoch bei der Ersetzung der Legislative durch den HR aufgrund der Überschaubarkeit der dabei in Betracht kommenden Organe (die Parlamente auf Gesamtstaats-, Entitäts- sowie Kantonsebene350) und Rechtsformen (Parlamentsgesetze des Gesamtsstaats bzw. der Entitäten und Kantone) sowie der möglichen Kontrollinstanzen (Verfassungsgerichtsbarkeit) der Ansatz der funktionalen Dualität noch vergleichsweise unproblematisch denken und – wie das BIHVG – auch praktizieren lässt, stellt sich die Übertragung dieser Idee auf den Regierungs- und Verwaltungsapparat praktisch und theoretisch schon deutlich schwieriger dar: Im Bereich der Exekutive existieren eine Vielzahl von Organen und Behörden der verschiedenen föderalen Ebenen, die auf verschiedensten rechtlichen Grundlagen Akte von unterschiedlichem Rechtscharakter (Verwaltungsakte, Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften etc.) erlassen und deren rechtliche Kontrolle nicht allein und nicht primär von der Verfassungsgerichtsbarkeit zu bewerkstelligen ist, sondern im Wesentlichen von den Verwaltungsgerichten gemäß den entsprechenden Zuständigkeitsordnungen.351 350 Was den in Kantone aufgeteilten Gliedstaat Föderation von Bosnien und Herzegowina anbelangt, so setzt der HR auch bisweilen Gesetze in Ersetzung der kantonalen Parlamente in Kraft, vgl. z. B. Decision enacting the Law on Secondary Education, 08.07.2004: www.ohr.int/decisions/mohncantdec/default.asp?content_id=32921. 351 Für einen Überblick über die aufgeblähte und ineffiziente Justizstruktur von BiH und deren Probleme in der Praxis vgl. International Crisis Group: Courting Disaster, S. 12 ff. Dazu auch International Crisis Group: Rule over Law – Obstacles to the Development of an Independent Judiciary in BiH, ICG Report No. 72, Bosnia Legal Project Report No. 1 (1999), S. 2 ff. Das Gerichtswesen in BiH ist aufgeteilt in die Gerichtsbarkeit auf Gesamtstaatsebene (das BIHVG sowie der zusätzliche geschaffene Staatsgerichtshof [State Court of BIH] von BiH) sowie die jeweils eigenständigen Justizsysteme der beiden Entitäten sowie des Distrikts von Brc ˇ ko. So besteht in der Föderation von Bosnien und Herzegowina neben einem eigenen Verfassungsgericht eine (reguläre) Gerichtsbarkeit mit 10 cantonal courts, 49 municipal courts, 74 minor offense courts. Die Republika Srpska verfügt neben einem Verfassungsgericht über einen Supreme Court, 5 district courts, 26 basic courts und 42 minor offense courts. Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit im Sinne eines eigenständigen Gerichtszweiges gibt es in BiH wohlgemerkt nicht. Allerdings verfügen bestimmte Gerichte über Zuständigkeiten zur rechtlichen Kontrolle von Verwaltungshandeln, vgl. z. B. Law on administrative disputes, Official Gazette of Republika Srpska, 12/94, Art. 18, wonach der Supreme Court und die high courts der RS für Verwaltungsprozesse zuständig sind: „The Supreme Court decides on complaints against administrative acts of republic administrative bodies. The High Courts decide on complaints against administrative acts of bodies and organizations that carry out the public authorizations, when regulated so by law [. . .].“ Auf Gesamtstaatsebene ist der State Court of BiH hierfür zuständig, vgl. Law on the Court of Bosnia and Herzegovina, www.ohr.int/ohr-dept/legal/laws-ofbih/default.asp?content_id=31549, Art. 14 (1): „The Court is competent to decide ac-
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Das hieße, dass sich zunächst das Problem einer exakten Zuordnung eines Aktes des HR zu einer bestimmten innerstaatlichen Behörde, Ermächtigungsgrundlage sowie zu dem einschlägigen Typus von Rechtsakt stellt. Der Aspekt der Rechtskontrolle würde des Weiteren in die Hände der „einfachen“ Gerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeit352) fallen, ist doch die Verfassungsgerichtsbarkeit nur für ganz bestimmte Verfassungsrechtsstreitigkeiten zuständig353. Was den Zuordnungsaspekt anbelangt, so zeigen die Fälle der „Amtsenthebungen“ beispielhaft, dass eine solche materielle Verortung eines Aktes des HR bei einer bestimmten Behörde und einer betreffenden Rechtsgrundlage teilweise möglich und denkbar ist354, teilweise aber auch nicht. In der Praxis nimmt der HR jedenfalls bei derartigen Maßnahmen regelmäßig keinen Bezug auf etwaige staatliche Behörden, die er zu ersetzen gedenkt355 und trifft Maßnahmen, für die im nationalen Recht gar keine Ermächtigungsgrundlagen existieren (vgl. den Fall Bicakcic356). Dementsprechend gestaltet sich bereits die Identifizierung des Rechtscharakters seiner Decisions als schwierig (abstrakt-generelle Regelung oder Einzelakt etc., vgl. den Fall Jelavic357). Was den Kontrollgesichtspunkt anbetrifft, so begegnet aus rechtspolitischer Sicht die Überlegung Bedenken, die gerichtliche Kontrolle der Handlungen des HR in weitem Umfang der eben erst errichteten bzw. noch im Aufbau befindlichen358 „einfachen“ Getions taken against final administrative acts or silence of administration of the institutions of Bosnia and Herzegowina and its bodies, Public Agencies, Public Corporations, institutions of the Brc ˇ ko District and any other organisation as provided by State Law, acting in the exercise of a public function [. . .].“ Einen Überblick über den Gerichtsaufbau in Bosnien und Herzegowina geben Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 19 f.; Bergling, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 496 ff.; zur Notwendigkeit der Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Gesamtstaatsebene vgl. Markert, Venedig-Kommission, S. 104, 105. Zu den Problemen des Justizwesens im benachbarten Kosovo vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Review Mechanisms, § 46 ff. 352 Art. 1, Law on administrative disputes, Official Gazette of Republika Srpska, 12/94, beschreibt allgemein die Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit: „With the aim of providing judicial protection to the citizens rights, enterprises and other organizations and communities, as well as with the aim of ensuring legitimacy, the courts in the administrative disputes shall decide the legitimacy of the acts that the state institutions, enterprises or other organizations, communities or institutions use in the performing of public responsibilities and in making decisions concerning the rights and obligations in the particular administrative matter.“ 353 Zu den Zuständigkeiten des BIHVG siehe oben C. II. 354 Dazu am Beispiel des Falles U 37/01: Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 126; Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 398. 355 Auch in Fällen nicht, bei denen sich ein solcher Rückgriff auf die nationalen Behördenstrukturen anbieten würde, vgl. der Fall Tuka, FAZ v. 30.08.2003, S. 3: „Die Macht der Gewohnheit“. 356 Fall U 37/01 (Bicakcic), vgl. oben C. III. 2. d). cc). 358 Dazu Bergling, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 489 ff.; zum Problem der Verankerung der Rechtsstaatlichkeit vgl. Neussl, in: HRLJ 20 (1999), S. 290–302; für
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richtsbarkeit zu überlassen und die internationalisierte Verfassungsgerichtsbarkeit erst als Appellationsinstanz359 bei spezifischen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zum Zuge kommen zu lassen. Es hieße die politische Autorität des HR und der internationalen Gemeinschaft als Ganzes zu riskieren, wollte man das internationale Verwaltungshandeln zum Spielball einer unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten noch kaum gefestigten nationalen Gerichtsbarkeit360 und der nach wie vor in diese hineinwirkende, von ethnischen Aspekten dominierten politischen Landschaft361 machen.362 Anders gewendet bedürfte es theoretisch eines voll funktionsfähigen Rechtsstaats363, um im Falle eines solchen Ineinandergreifens von internationaler und nationaler Verwaltung eine an Gesetz und Recht orientierte juristische Kontrolle der internationalen Administration zu gewährleisten.364 Das Vorhandensein eines solchen Rechtsstaats kann verwandte Beispiele siehe Stromeyer, in: AJIL 95 (2001), S. 46 ff.; Brand, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 480 f. 359 Vgl. Art. VI.3 (b) BIHV. 360 Zum Zustand des Justizwesens in Bosnien und Herzegowina umfassend International Crisis Group: Courting Disaster; International Crisis Group: Rule over Law – Obstacles to the Development of an Independent Judiciary in BiH, ICG Report No. 72, Bosnia Legal Project Report No. 1 (1999). Hierzu auch Bergling, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 490; Naarden, in: AJIL 97 (2003), S. 343, 344. 361 Bergling, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 491, 492, 510, der u. a. Folgendes feststellt: „[. . .] As a last resort, the local judiciary rarely hesitate to blame the international community for imposing upon them reforms that are too ambitious, conceptually alien, or otherwise allegedly difficult to implement.“; zur Lage in den ersten Jahren nach Dayton vgl. Strohmeyer, Menschenrechtsschutz in Bosnien und Herzegovina, S. 224 ff. 362 European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 97; welche Bedenken diesbezüglich noch bestehen, illustriert beispielsweise der Sachverhalt des Falles Jelavic. Den anhaltenden Reformbedarf im Rechts- und Gerichtswesen dokumentieren die zahlreichen Entscheidungen des HR betreffend die Absetzung und Ernennung von Richtern und Staatsanwälten sowie Verabschiedung von Reformgesetzgebung, vgl. www.ohr.int/decisions/judicialrdec/archive. asp?m=&yr=2003 sowie www.ohr.int/decisions/removalssdec/archive.asp. Zum Problem der Professionalisierung des Justizpersonals siehe International Crisis Group: Courting Disaster, S. 36 ff. Der Gedanke des Misstrauens gegenüber lokaler Gerichtsbarkeit ist auch der VN-Verwaltungsmission UNMIK nicht fremd, vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 468 m. w. N. 363 Wie oben erwähnt, war am Beispiel Westberlins ein solcher Substitutionsgedanke im Bereich der Verwaltung mit Folge der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zumindest angedacht worden, wohlgemerkt vor dem Hintergrund eines funktionierenden Rechtsstaats, stabiler gesellschaftlicher Verhältnisse und Eingriffen der alliierten Besatzungsmächte, die eher als funktionell zu bezeichnen sind (z. B. Bau eines Schießplatzes in Gatow, Baumaßnahmen in Düppel). 364 Am Beispiel einer möglichen Rechtskontrolle von Entscheidungen des VN-Sicherheitsrats durch nationale Gerichte beschreiben De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 199 die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen den Erfordernissen der völkerrechtlich begründeten Notstandsmaßnahmen und dem Gedanken der rule of law wie folgt: „[. . .] These safeguards may go some way towards striking a balance between the importance of the effective maintenance of international peace and se-
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aber nicht Voraussetzung, sondern allenfalls Ziel einer internationalen Verwaltungsmission der Staatengemeinschaft sein. Eine Kontrolle einer komplexen internationalen Verwaltungsstruktur durch eine fragmentarische, noch im Aufbau befindliche und rechtstaatlichen Erfordernissen noch nicht umfassend genügende365 (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit würde den Zielen des Friedensabkommens weder im Sinne rascher und tatkräftiger Implementierung von Reformen, noch im Sinne einer nachdrücklichen Verankerung von Grund- und Menschenrechtsgarantien auch gegenüber internationaler Hoheitsgewalt wirklich dienen können. In Bosnien und Herzegowina erscheint, was die staatliche Gerichtsbarkeit anbelangt, vor diesem Hintergrund das mit internationalen Richtern besetzte Verfassungsgericht auf Gesamtstaatsebene (BIHVG) am ehesten geeignet366, die – wie gesehen – heikle Aufgabe einer gerichtlichen Kontrolle der internationalen Zivilverwaltung ins Werk zu setzen. ee) Ergebnis Die skizzierten Überlegungen deuten bereits an, dass die Anwendung des Substitutionsmodells auf die Exekutivhandlungen des HR eine Abstimmung auf das nationale öffentliche Recht und die damit befasste nationale Gerichtsbarkeit erfordern würde, wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben ist. Im Gegensatz zur einfacher strukturierten Legislative ist der Bereich der staatlichen Exekutive mit den Rechtsakten des HR nicht ohne weiteres zur Deckung zu bringen. Die Zurückhaltung des BIHVG betreffend einer möglichen Weiterentwicklung und Ausdehnung des Modells der funktionalen Dualität auf die Exekutive erscheint somit im Ergebnis nachvollziehbar – wohlgemerkt nicht nur bezüglich politischer Motive, sondern auch aufgrund der praktischen und dogmatischen Konsequenzen, die damit einhergehen würden. Festzustellen ist somit, dass der problematische Bereich der Exekutivmaßnahmen des HR bislang keiner Kontrolle durch das BIHVG oder sonstiger nationaler Gerichte von Bosnien und Herzegowina unterliegt und dass eine Rechtskontrolle nach dem Modell der funktionalen Dualität in diesem Tätigkeitsfeld des HR auch nicht ohne weiteres funktionieren kann. Es bleibt die Frage, ob eine diesbezügliche Kontrolle der Handlungen des HR möglicherweise durch andere, nationale oder internationale Instanzen „außerhalb“ des gedanklichen Modells curity and the need for any legal system to attach consequences to unlawful acts. In striking this balance, much will depend on the standards of impartiality, knowledge of public international law and more generally judicial skills of national courts.“ 365 Bergling, in: Nordic J. of Int’l Law 70 (2001), S. 492, 495, 500, 507, 509; die Unterfinanzierung der Gerichte ist teilweise so dramatisch, dass noch nicht einmal die offiziellen Gesetzblätter des Gesamtstaats und der Entitäten angeschafft werden können. 366 Vgl. Bose, Dayton, S. 65 f.
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der funktionalen Dualität möglich ist. Dem in der U 9/00-Rechtsprechung entwickelten Funktionsmodell ist für die Situation Bosnien und Herzegowinas somit lediglich eingeschränkte Tauglichkeit zu attestieren. IV. Rechtskontrolle des Hohen Repräsentanten durch die Menschenrechtskammer (MRK) 1. Der internationale Charakter der MRK Mit Blick auf die Masse von gravierenden Menschenrechtsverletzungen während der Konfliktjahre 1992–1995 ist in Annex 6 des Friedensabkommens von Dayton eine Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes vorgenommen worden.367 Gegründet wurde eine Menschenrechtskommission368, bestehend aus einem Ombudsmann369 und einem Gerichtsorgan370, der Menschenrechtskammer (Human Rights Chamber)371, deren Aufgabe in der Überwachung und Durchsetzung der Gewährleistungen der EMRK, aber auch der sonstigen im Appendix zu Annex 6 aufgeführten internationalen Abkommen zum Schutze der Menschenrechte372 bestand (Art. I Annex 6).373 Diese beiden Organe waren teilweise der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nachgebildet374, hinsichtlich des Verfahrens bestanden allerdings wesentliche Unterschiede.375 Auf der Grundlage einer Vereinbarung der Vertragsparteien gemäß Art. XIV Annex 6 ist die Menschenrechtskammer 367 Vgl. Nowak, Menschenrechtsschutz als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Bosnien und Herzegowina (BiH), in: Ginther/Benedek/Isak u. a. (Hrsg.), Völker- und Europarecht, 25. Österreichischer Völkerrechtstag, 2001, S. 89–100; dazu auch O’Flaherty/Gisvold (Hrsg.), Protection; Benedek (Hrsg.), Human Rights; Benedek/König/Promitzer (Hrsg.), Menschenrechte. Siehe auch Chandler, Bosnia: Faking Democracy after Dayton, 1999, S. 90 ff. 368 Dazu Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 7–11; Gemalmaz, Constitution, Ombudsperson and Human Rights Chamber in ,Bosnia and Herzegovina‘, in: NQHR 17 (1999), S. 277 ff. 369 Zum Amt der Ombudsperson vgl. Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 9; Simor, in: EHRLR 6 (1997), S. 644 ff.; Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 213; zur Praxis der Ombudsleute vgl. International Crisis Group, Courting Disaster, S. 23 ff. 370 Die Kammer wird allerdings nicht ausdrücklich als Gericht bezeichnet, dazu Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 10. 371 Art. II.1, IV, VII, Annex 6; allgemein Küttler, Menschenrechtskammer; Rauschning, in: EuGRZ 25 (1998), S. 11 ff.; Aybay, in: NQHR 15 (1997), S. 529 ff.; Sloan, in: EJIL 7 (1996), S. 214; zur Praxis der MRK vgl. International Crisis Group, Courting Disaster, S. 21 ff. 372 Vgl. Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 29–44. 373 Vgl. Krieger, Der Beitrag der Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina zum innerstaatlichen Friedensprozess, in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg.), Menschenrechte, Bilanz und Perspektiven, 2002, S. 488–510. 374 Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 12; Strohmeyer, Menschenrechtsschutz in Bosnien und Herzegovina, S. 222.
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schließlich zum 01.01.2004 durch eine Menschenrechtskommission innerhalb des BIHVG ersetzt worden.376 Symptomatisch für die Verfassungslage in Bosnien und Herzegowina war das Problem der rechtlichen Einordnung der Menschenrechtskammer, welche personell teilweise internationalisiert war377, aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags gegründet (Annex 6) und somit außerhalb der Verfassung (Annex 4) installiert wurde und trotzdem bisweilen als eine Institution des Staates Bosnien und Herzegowina378 bezeichnet wurde. Richtigerweise handelte es sich um ein internationales Organ, dessen Funktionen allerdings von vornherein auf eine mittelfristige Überführung in den Kompetenzrahmen der nationalen Verfassungsorgane angelegt waren.379 2. Überprüfbarkeit der Akte des HR durch die MRK? Es mag wenig verwundern, dass die unter dem Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes besonders bedenklichen „Amtsenthebungen“ Verfahrensgegenstand auch vor der Menschenrechtskammer geworden sind. Im Ergebnis allerdings ohne Erfolg für die Betroffenen. Die Kammer hat die Ablehnung einer Überprüfung dabei unterschiedlich begründet. In einer frühen Entscheidung den Rechtsschutz gegen Akte der OSZE betreffend bemerkte die Kammer wie folgt: „39. It is beyond doubt that the actions of neither the High Representative nor the IPTF are subject to any review in relation to the carrying out of their functions under the General Framework Agreement. For this to be the case, the General Framework Agreement would have to provide specifically for any such review.“380 „41. In concluding the General Framework Agreement, the Parties, with the assistance of the international community, have created a number of offices and institutions, either directly (such as the Chamber) or through existing international bodies (such as the OSCE), to assist them in achieving the objectives set out therein. The Parties are required to comply with the decisions of such offices and institutions, as provided for in the General Framework Agreement.“381 375 Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 9; Rauschning, in: EuGRZ 25 (1998), S. 11 ff.; Küttler, Menschenrechtskammer, S. 68 ff.; Rauschning, Umfang und Grenzen des Menschenrechtsschutzes durch die Human Rights Chamber für Bosnien-Herzegowina, in: Dicke, Klaus u. a. (Hrsg.): Weltinnenrecht, 2005, S. 561. 376 Hierzu Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 13, 14; für weitere Informationen siehe www.hrc.ba. 377 Vgl. Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 8. 378 Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 8; Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 131 m. w. N. 379 Vgl. Art. XIV, Annex 6; Trnka/Tadic ´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 14; auch Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 10 Fn. 9; zu diesem Streitpunkt auch Küttler, Menschenrechtskammer, S. 236 m. w. N.; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Amicus Curiae Opinion, §§ 12 ff. 380 CH/98/230; CH/98/231, § 39. 381 CH/98/230; CH/98/231, § 41.
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Diese Argumentation nimmt ihren Ausgangspunkt mithin an einer strikten Betrachtung der positiv verankerten Regelungen des Daytoner Friedensabkommens, indem sie darauf verweist, dass die Parteien, also im Wesentlichen der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina und die beiden Gliedstaaten, ihre Souveränität durch völkervertragsrechtliche Vereinbarung eingeschränkt haben, indem sie internationale Behörden und Institutionen ins Leben gerufen und mit der Wahrnehmung bestimmter Kompetenzen im Staate Bosnien und Herzegowina betraut haben. Die Vertragsparteien hätten sich den Entscheidungen und Maßnahmen dieser Instanzen zu fügen. Als Herren der Verträge hätten die Parteien die Möglichkeit einer Rechtskontrolle vertraglich vereinbaren können. Das Abkommen von Dayton sowie die sonstigen relevanten Instrumente schweigen sich darüber jedoch aus.382 In einem wenig später ergangenen Urteil hat die Kammer diese Argumentation aufgegriffen (§ 18), allerdings auch durch weitere Überlegungen (§ 19) ergänzt: „18. Article II (2) of the Agreement gives the Chamber competence to consider, inter alia, alleged or apparent violations of human rights for which it is alleged or apparent that the Parties are responsible. It does not provide for the possibility of the Chamber considering applications directed against the High Representative. As the Chamber has previously stated, it is beyond doubt that the actions of neither the High Representative nor the IPTF are subject to any review in relation to the carrying out of their functions under the General Framework Agreement. For this to be the case, the General Framework Agreement would have to provide specifically for any such review.“383 „19. The actions complained of were carried out by the High Representative in the performance of his functions under the General Framework Agreement, as interpreted by the Bonn Peace Implementation Conference. There is no provision for any intervention by the respondent Party (or by any of the other Parties to the General Framework Agreement) in those actions. In addition, the High Representative cannot be said to be acting as, or on behalf of, the State or the Entities when acting in pursuance of his powers. As a result, the actions giving rise to the present application cannot be considered to be within the scope of responsibility of the respondent Party.“384
Unter Hinweis darauf, dass die Kammer gemäß ihrer Zuständigkeitsordnung (Art. II.2, Annex 6) nur für die Beurteilung von Menschenrechtsverletzungen der Vertragsparteien von Annex 6 (Gesamtstaat und Gliedstaaten) kompetent ist, hat das Gericht die Beschwerde des Antragstellers für unzulässig erklärt. Der HR handle weder als ein Staatsorgan noch anstelle eines Staatsorgans von Bosnien und Herzegowina oder der Entitäten. Die Kammer erteilte mit dieser 382
Siehe unter A. CH/98/1266, § 18. 384 CH/98/1266, § 19; Hervorhebungen des Verfassers; Küttler, Menschenrechtskammer, S. 100. 383
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
Feststellung dem Gedanken einer Substitution von nationalen Organen durch den HR eine deutliche Absage, noch bevor die Theorie der funktionalen Dualität durch das BIHVG entwickelt worden war. Weniger deutlich, aber im Ergebnis identisch, hat die Kammer dies auch in ihrer nachfolgenden Rechtsprechung deutlich gemacht: „9. The Chamber notes that it can only receive applications from alleged victims of a violation of the Agreement committed by one of the Parties. The High Representative is not a party to the Agreement and the Chamber cannot find that any of the acts complained of by the applicant falls within the responsibility of the possible respondent Parties.“385
Offenbar ermutigt durch die zwischenzeitlich durch das BIHVG entwickelten gedanklichen Ansätze einer Rechtskontrolle des HR ist allerdings auch weiterhin versucht worden, die Kammer zu einer Beurteilung der „Amtsenthebungen“ des HR am Maßstab der EMRK zu bewegen, beispielsweise mit folgender Begründung: „5. The applicant submits that the powers vested in the High Representative under Annex 10 of the Dayton Peace Agreement, i. e., that he is ,the final authority in theatre regarding interpretation of this Agreement on civilian implementation of the peace settlement,‘ signify an intention by the Parties to the Agreement that the High Representative is to be considered as an integral part of the legal system of Bosnia and Herzegovina and of the Federation of Bosnia and Herzegovina. This is confirmed by the fact that the High Representative a) issues decisions and publishes them in the Official Gazette; b) such decisions are binding on governmental institutions; and c) besides laws and regulations, also issues decisions concerning human rights and fundamental freedoms of all citizens of Bosnia and Herzegovina. Accordingly, the Office of the High Representative must be considered an institution of Bosnia and Herzegovina that was founded and empowered by the Parties and Co-Parties to the Agreement on Civilian Implementation of the Peace Settlement. Moreover, acting as the final authority in theatre, the High Representative is obliged to respect the European Convention on Human Rights (the ,Convention‘) and its Protocols thereto and the other international agreements listed in the Appendix to Annex 6 of the Dayton Agreement.“386 „6. The applicant submits that under Article 17 ,nothing may destroy or limit an individual’s human rights and fundamental freedoms to a greater extent than is provided for under the Convention.‘ In this respect, the applicant submits that ,the High Representative cannot interpret or establish the rights and obligations of an individual in a way that is contrary to international conventions.‘ Accordingly, the applicant submits that if there is no recourse to the actions of the High Representative for violations of human rights and fundamental freedoms, then the protection of fundamental human tenets, on which a free democratic society is built, is meaningless.“387 385
CH/00/4027; CH/00/4074, § 9. CH/02/12466, III. Complaints and Submissions, § 5; Hervorhebungen des Verfassers. 386
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Der Kläger argumentiert mithin, basierend auf dem Gedanken der Einheitlichkeit der gesamten Friedensregelung von Dayton (des Rahmenabkommens und seiner Annexe), dass der HR als ein integraler Bestandteil, ja als eine Institution der Verfassungsordnung von Bosnien und Herzegowina aufzufassen sei, die somit an die Vorschriften der EMRK gebunden sein müsse (§ 5). Vor dem Hintergrund eines solchen Ineinandergreifens von nationalen und internationalen „Verfassungskomponenten“ und unter Bezugnahme auf Art. 17 EMRK388 artikuliert der Kläger die zentrale Frage nach dem Schutz von Individualrechten, in dem er schlussfolgert, dass der HR (Annex 10) nicht befugt sein könne, individuelle Rechte und Pflichten in einer Weise auszulegen, die den internationalen (in der staatlichen Rechtsordnung verankerten) Verbürgungen zu Schutze der Menschenrechte (Annex 4) zuwiderlaufen. Ein Fehlen einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen diesbezügliche Verletzungen des HR lasse den Menschenrechtsschutz bedeutungslos erscheinen. Der Kläger greift mit dieser Argumentation eine Vorstellung von einer harmonisierenden Auslegung der einzelnen Annexe des Abkommens von Dayton auf, welche das BIHVG in der frühen Entscheidung U 7/97 angedeutet389, in dem vom Kläger dargelegten Sinne jedoch nicht weiterentwickelt hat. Die Kammer hat sich jedoch auch anhand dieses Falles nicht auf dogmatische Überlegungen hinsichtlich des Verhältnisses von internationaler Hoheitsgewalt und nationaler Verfassungsordnung eingelassen, sondern unter schlichtem Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung den Antrag als unzulässig abgewiesen.390 Alles in allem bleibt festzuhalten, dass die MRK, die – trotz ihres internationalen Charakters – wohlgemerkt ebenso wenig wie das BIHVG für eine rechtliche Kontrolle internationaler Hoheitsträger konzipiert wurde, sich in diesem Problemfeld sozusagen „konservativ“ positioniert und nicht wie das BIHVG versucht hat, neue theoretische Wege zu beschreiten, um ihre Zuständigkeit391 zu begründen. Inhaltlich ist an dieser Rechtsprechung auf den ersten Blick (!) wenig auszusetzen, da sie sich vorwiegend am positiven Wortlaut der Vertragstexte (Annexe) orientiert und sich mit ihrer Ablehnung einer rechtlichen Über387 CH/02/12466, III. Complaints and Submissions, § 6; Hervorhebungen des Verfassers. 388 Art. 17 EMRK: „Missbrauch der Rechte. Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für eine Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist.“ 389 Siehe unter C. III. 1. 390 CH/02/12466, §§ 12, 13. 391 Auch hier würde sich wiederum die Frage der Erschöpfung des nationalen Rechtswegs stellen, was einer Annahme des Substitutionsgedankens dieselben theoretischen und praktischen Hürden in den Weg legen würde, wie im Falle einer etwaigen Rechtskontrolle durch das BIHVG.
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prüfung der „Amtsenthebungen“ des HR zumindest nicht in Widerspruch zum BIHVG gesetzt hat, welches sich bezüglich dieser Maßnahmen, wie gesehen, ebenfalls zurückhält. Nichtsdestoweniger bleibt festzustellen, dass die MRK sich in ihrer Rechtsprechung dem Problem der Rechtskontrolle internationaler Verwaltungsinstanzen nur oberflächlich genähert hat und zur Lösung des offensichtlichen Problems einer bestehenden Rechtsschutzlücke und dem damit verbundenen Vertrauensverlust gegenüber internationaler „werteverankernder“ Verwaltung durch den HR keinen signifikanten Beitrag leisten konnte.392 Dieses Zwischenergebnis wird weiter unten noch zu erörtern sein. V. Die rechtliche Kontrolle der sonstigen internationalen Institutionen 1. Die Urteile der Menschenrechtskammer (Annex 6) a) Kontrolle der Urteile der MRK durch das BIHVG? Die MRK als ein völkerrechtlich begründetes Organ war ein Bestandteil der internationalen Notstands- und Nachkriegsadministration für Bosnien und Herzegowina. Es erschien zumindest denkbar, dass diese internationale Gerichtsinstanz durch ihre Rechtsprechung gegebenenfalls gegen die nationale Verfassung verstößt. Mithin drängte die Frage heran, ob das BIHVG als prinzipaler Hüter der Verfassung – und mithin der identischen Menschenrechtsgewährleistungen393 – diese durch die Entgegennahme von Verfassungsbeschwerden gegen Urteile der MRK zu verteidigen habe. Das BIHVG hatte sich im Jahre 1998 dieser Frage anhand eines Bündels von Verfassungsbeschwerden394 zu stellen und somit sein rechtliches Verhältnis zu einem weiteren Arm der internationalen Administration zu klären. 392 Im Bezug auf den HR ist festzuhalten, dass die MRK sich mangels eines eigenen Durchsetzungsmechanismus oft auf die Hilfe des HR verlassen musste, um ihre Entscheidungen umsetzen zu können. Vgl. International Crisis Group: Courting Disaster, S. 21 f., Rn. 105. In der Praxis waren also beide internationalen Akteure aufeinander angewiesen. Hätte die Menschenrechtskammer durch ihre Rechtsprechung auf eine Eingrenzung der Befugnisse des HR hingewirkt oder dessen Stellung in Zweifel gezogen, hätte die Kammer letztlich einen wichtigen Gehilfen bei der Erfüllung ihrer eigenen Mission unterminiert. Auch dieser Gesichtspunkt macht deutlich, wie sehr sich das Verhältnis der internationalen Organe in BiH erst nach und nach anhand tatsächlicher Gegebenheiten hat entwickeln müssen, anstatt anhand einer Planung im Vorhinein durch das Abkommen von Dayton. 393 Zu diesem Problem der Zuständigkeitsüberschneidung beim Schutz der Menschenrechte vgl. Küttler, Menschenrechtskammer, S. 55 f.; Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 129; siehe auch die Ausführungen hierzu in der Entscheidung U 7/98. 394 Siehe die Entscheidungen U 7/98, U 8/98, U 9/98, U 10/98, U 11/98.
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Fälle U 7/98–U 11/98: In den zeitgleich entschiedenen Fällen U 7/98–U 11/98 ging es um Konstellationen, in denen die Staatsanwaltschaft395 der Föderation von Bosnien und Herzegowina sich gegen Verurteilungen der Föderation durch die MRK, z. B. zur Zahlung von Entschädigungen wegen der Verletzung verschiedener Grundrechte, gewandt hatte (U 7/98– U 9/98, U 11/98) mit der Begründung, die Entscheidungen der MRK stünden aufgrund unterschiedlicher Erwägungen im Widerspruch zur Verfassung von Bosnien und Herzegowina. Im Fall U 10/98 war es ein Mitglied des Ministerrats von Bosnien und Herzegowina, welches eine Entscheidung der MRK aus diesem Grund angegriffen hatte.
Das BIHVG hat die Anträge mit nahezu identischer Begründung als unzulässig zurückgewiesen. „[. . .] However, Art. II.1 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina also provides that, in order to ensure the highest level of internationally protected human rights and fundamental freedoms, there shall be a Human Rights Commission for Bosnia and Herzegovina as provided for in Annex 6 [. . .] Since the Constitution of Bosnia and Herzegovina specifically refers to that Commission and to the provisions contained in the Agreement on Human Rights, which is Annex 6 of the General Framework Agreement, the provisions of the Agreement on Human Rights must be considered as recognized by the Constitution [. . .] itself as being part of the whole system of protection of human rights and fundamental freedoms in Bosnia and Herzegovina. [. . .] The provisions of these two Annexes should therefore be considered to supplement each other, and in view of the link between these two Annexes, it can be concluded with certainty that the rules contained in the Agreement on Human Rights cannot be contrary to the Constitution of Bosnia and Herzegovina. [. . .] It is thus clear that human rights issues fall under the jurisdiction of both the Constitutional Court and the Human Rights Chamber. There is no mention in the Constitution of Bosnia and Herzegovina or in any other law of a specific hierarchy or other relationship between the Constitutional Court and the Human Rights Chamber. The question therefore arises whether, despite the absence of any express rules, such a hierarchy of other relationship should be considered to exist and, in particular, whether one of these institutions should be considered competent to review the decisions of the other concerning human rights issues.“396
Das Gericht weist zunächst daraufhin, dass die Verfassung (Annex 4) auf den Annex 6 ausdrücklich Bezug nimmt – im Gegensatz zu Annex 10 (HR)397, der in der Verfassung mit keinem Wort erwähnt wird. An hervorgehobener Stelle in der Verfassung (Art. II.1) wird die Bedeutung des Menschenrechtsschutzes sowie die Funktion der Menschenrechtskommission hierbei unterstrichen. Das 395 Die Staatsanwaltschaften (Public Attorneys) der Föderation und der RS haben die Funktion, den Staat in allen Rechtstreitigkeiten außer in Strafsachen zu vertreten. Vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 130 Fn. 64. 396 U 7/98, Hervorhebungen des Verfassers. 397 Vgl. unter C. I.
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BIHVG schließt daraus sowie aus der gleichzeitigen Vereinbarung von Annex 4 und 6, dass sowohl das BIHVG als auch die MRK Bestandteile des umfassenden Systems des Menschenrechtsschutzes für Bosnien und Herzegovina darstellen, und somit grundsätzlich nicht in Widerspruch zueinander stehen können. Weiter formuliert das Gericht die Frage, inwieweit in Abwesenheit einer ausdrücklichen Regelung auf das Bestehen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses398 zwischen dem BIHVG und der MRK geschlossen werden könne, was Voraussetzung einer Rechtskontrolle durch das BIHVG wäre. Obwohl das Gericht mit seinen obigen Ausführungen und der implizit geäußerten Vorstellung der Parallelität der Annexe diese Frage an sich bereits beantwortet hat, verlegt es sich zur abschließenden Begründung seiner Unzuständigkeit wieder einmal399 auf eine rein formale Argumentation: „[. . .] The appellate jurisdiction of the Constitutional Court is based on Art. VI.3 (b) of the Constitution of Bosnia and Herzegovina, which provides for such jurisdiction in regard to ,a judgment of any other court in Bosnia and Herzegovina‘. [. . .] Although the Human Rights Chamber exercises its judicial functions with respect to alleged violations of human rights in Bosnia and Herzegovina, the Human Rights Chamber is an institution of a special nature [. . .] In the legal terminology of the Agreement on Human Rights, the Human Rights Chamber is neither a court nor an institution of Bosnia and Herzegovina. Indeed, Art. XIV of the Agreement specifically refers to the transfer of responsibility to ,the institutions of Bosnia and Herzegovina‘.“ 400
Da sich die Zuständigkeit des BIHVG zur Entgegennahme von Urteilsverfassungsbeschwerden gemäß der Verfassung auf solche beschränke, die auf einer Entscheidung eines Gerichts in Bosnien und Herzegowina beruhten, und die MRK weder ein Gericht noch eine Institution dieses Staates sei, könne das BIHVG auch nicht zuständig sein. Dieses Argument ist für sich betrachtet angreifbar. Die Feststellung, dass die MRK aufgrund ihres internationalen Charakters nicht als Staatsorgan von Bosnien und Herzegowina zu bezeichnen ist401, verdient Zustimmung. Die MRK, die einen eindeutig justiziellen Charakter aufweist, nicht als „Gericht“ zu bezeichnen, kann hingegen wenig überzeugen.402 Darüber hinaus indiziert der Wortlaut der Zuständigkeitsvorschrift Art. VI.3 (b) („. . . any other court in Bosnia and Herzegovina“, nicht „of Bosnia and Herzegovina“) den Ausschluss der Kompetenz des BIHVG keineswegs so eindeutig, wie das Gericht dies darstellt. Auch an dieser Stelle erweist sich der Versuch
398 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung bei Küttler, Menschenrechtskammer, S. 56–60. 399 Vgl. nur die Argumentation in U 37/01, C. III. 2. d). cc). 400 U 7/98, Hervorhebungen des Verfassers. 401 Auch dies war freilich umstritten, vgl. C. IV. 1. 402 Vgl. Nowak, in: EuGRZ 25 (1998), S. 10; Oeter, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL IV (2000), S. 1585.
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des Gerichts, Kollisionslagen von internationaler und nationaler Hoheitsgewalt durch die bloße Lektüre seiner Zuständigkeitsnormen aufzulösen, nur auf den ersten Blick als elegant. Noch eher überzeugend erscheint mithin der Verweis auf den Umstand, dass die Entscheidungen beider Gerichte als endgültig und ohne weiteren Überprüfungsmechanismus konzipiert wurden, was den Schluss auf eine Parallelität beider Instanzen rechtfertigt, mag dies auch gegebenenfalls zu einer Mehrspurigkeit der Rechtsschutzmöglichkeiten für den Betroffenen führen: „[. . .] According to Art. VI.4 of the Constitution of Bosnia and Herzegovina, the decisions of the Constitutional Court shall be final and binding. Similarly, Art. XI.3 of the Agreement on Human Rights does not provide for any reviews of the decisions of the Human Rights Chamber, except in some cases by the Human Rights Chamber itself; they are thus final and binding. As these two provisions were adopted at the same time, the correct interpretation must be that the authors did not intend to give either one of these institutions the competence to review the decisions of the other, but rather considered that, in regard to human rights issues, the Constitutional Court and the Human Rights Chamber should function as parallel institutions, neither of them being competent to interfere in the work of the other and it being left in some cases to the discretion of applicants to make a choice between these alternative remedies.“403
b) Bewertung Im Hinblick auf die Frage nach einer Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina stellt das Problem des Verhältnisses des BIHVG zur MRK404 nur einen Seitenaspekt dar. Handelte es sich dabei doch primär um die Suche nach einer schlüssigen Verortung zweier Gerichtsinstanzen innerhalb eines komplexen Systems des Individualrechtsschutzes. Mit seiner Entscheidung, die Urteile der MRK keiner Prüfung zu unterziehen, hat das BIHVG eine solche Positionierung vorgenommen, nicht aber etwa eine möglicherweise bedenkliche Rechtsschutzlücke geschaffen. Die Erwähnung dieser Rechtsprechung des BIHVG im Kontext der Rechtskontrolle erscheint jedoch aus zwei Gesichtspunkten gerechtfertigt. Erstens verdeutlicht das Zuordnungsproblem dieses Falles einmal mehr die Schwierigkeit der Grenzziehung von nationalen und internationalen Komponenten in Rahmen der dualen Verfassungswirklichkeit von Bosnien und Herzegowina. Eine solche Einordnung erlaubt es freilich erst, sich dem Problem der Rechtskontrolle mit den geeigneten normativen Maßstäben zu nähern. Zweitens wird abermals illustriert, dass das BIHVG vor der diffizilen Aufgabe stand, überhaupt erst herauszufinden, woraus 403
U 7/98, Hervorhebungen des Verfassers. Für die Details dieser Fragestellung sei auf die ausführlichen Darstellungen bei Küttler, Menschenrechtskammer, S. 55–60; Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 393– 395 sowie Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 129, 132 verwiesen. 404
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denn die Verfassung405 besteht, deren Hüter es sein soll. Die Unklarheiten, die der „internationale Verfassungsgeber“ bei der Schaffung des „Notfriedens“ von Dayton diesbezüglich hinterlassen hat, lassen insoweit manche inhaltlichen Schwächen bzw. auch manche Zurückhaltung in der Rechtsprechung des BIHVG in einem milderen Licht erscheinen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die MRK bis zum formellen Beitritt des Landes zum Europarat als eine Art Substitut des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte konzipiert war406, ist es konsequent, wenn dieser institutionelle „Ableger“ Straßburgs eben nicht durch das nationale Verfassungsgericht kontrolliert wird. Das Rechtsschutzsystem des EuGMR dient schließlich auch der Überwachung der nationalen Rechtssysteme und nicht umgekehrt. 2. Rechtsakte im Rahmen der Durchführung von Wahlen (Annex 3) a) Internationale Verwaltung von Wahlen Auf der Grundlage von Annex 3 ist die OSZE damit beauftragt worden, in der unmittelbaren Nachkriegszeit die ersten demokratischen Wahlen407 auf den unterschiedlichen Ebenen vorzubereiten. Das Instrument hierfür war die vorläufige Wahlkommission (Provisional Election Commission), welche damit beauftragt war, eine normative Grundlage (Rules and Regulations408) für die Wahlen zu erarbeiten und durchzusetzen409, an welche sich die Vertragsparteien (Gesamtstaat und Entitäten) ungeachtet nationaler Gesetzgebung zu halten hatten.410 Mittlerweile sind diese Kompetenzen wie vorgesehen411 durch die Verabschiedung eines Wahlgesetzes für Bosnien und Herzegowina412 auf eine permanente nationale Wahlkommission413 übergegangen. In der Zwischenzeit oblag es jedoch der vorläufigen Wahlkommission als internationalem Organ im Zusammenhang mit der Durchführung von nationalen Wahlen hoheitliche Gewalt auszuüben. Als Hilfsorgan der vorläufigen Wahlkommission fungierte da405
Dazu Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 388. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 394. 407 Vgl. z. B. Jurcic, in: Südosteuropa 49 (2000), 11–12, S. 565 ff.; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 810 ff.; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 220 ff.; Chandler, Bosnia: Faking Democracy, S. 114 ff. Zum Bereich der Medienkontrolle durch die OSZE siehe ders., S. 117 ff.; Caplan, International Governance, S. 181 f. 408 Official Gazette of Bosnia and Herzegovina, Nr. 18/00, 20/00, 21/00, 27/00. 409 Art. III.2, Annex 3. 410 Art. III.1, Annex 3. 411 Art. V, Annex 3. 412 Election Law of Bosnia and Herzegovina, Official Gazette of Bosnia and Herzegovina Nr. 23/01, 19.09.2000, www.ohr.int/ohr-dept/legal/laws-ofbih/default.asp? content_id=31549; hierzu Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 37. 413 Art. 2.1 ff., Election Law of Bosnia and Herzegovina. 406
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bei eine Unterkommission (Election Appeals Sub-Commission), die als ein justizielles Organ mit der Überwachung der Einhaltung der Wahlregeln, der Entscheidung über Beschwerden im Wahlverfahren sowie der Ahndung von Verstößen gegen die Wahlregeln betraut war.414 Als Ahndungsmöglichkeiten waren insoweit die Verhängung von Geldbußen, die Streichung von bestimmten Kandidaten von den Wahllisten sowie der Ausschluss von Parteien von der Teilnahme an Wahlen vorgesehen. Fraglich war mithin, ob dieses auf Annex 3 des Abkommens von Dayton gestützte internationale Organhandeln einer rechtlichen Kontrolle durch das BIHVG zugänglich war. b) Rechtskontrolle durch das BIHVG? Fall U 40/00: Der Entscheidung U 40/00 vom 03.02.2001 lag folgender Fall zugrunde: Im Dezember 2000 versuchte das damalige kroatische Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina, Ante Jelavic´, im Wege eines Normenkontrollantrags gegen zwei Vorschriften der Wahlregeln der Vorläufigen Wahlkommission vorzugehen. In dem Artikel 606, der vorsah, dass die Entscheidungen der Unterkommission endgültig, also ohne weitere Rechtsschutzmöglichkeit verbleiben, erblickte der Antragsteller u. a. Verstöße gegen die Rechtsschutzgarantien aus Art. II.2 BIHV i. V. m. Art. 13 und 6 (1) EMRK sowie Annex I BIHV i. V. m. Art. 2 (3) a)–c), 14 (1) und 25 IPbpR. Bzgl. des abgeänderten Artikels 1212, der Regelungen über die Mandatsverteilung auf Kantonsebene in der Föderation Bosnien und Herzegowina enthielt, rügte der Antragsteller, der Interessen der kroatischen Bevölkerungsgruppe gefährdet sah, Verstöße gegen die nationalen Proporzprinzipien aus Art. IV.1 (a) BIHV sowie Art. 6–10 des Abschnitts IV. A der Verfassung der Föderation Bosnien und Herzegowina.415
Das BIHVG hat sich in diesem Fall einmal mehr für unzuständig erklärt. In seiner Begründung lässt das Gericht seine eigene bisherige Rechtsprechung zur Kontrolle der internationalen Instanzen Revue passieren und verweist wiederum auf seine Vorstellung einer Parallelität der einzelnen Annexe des Daytoner Abkommens, die für die Nachkriegs- und Übergangsphase ein Nebeneinander von nationalen und internationalen Institutionen konstituierten, welche gemeinsam operieren und funktionieren sollen, ohne in einem hierarchischen Verhältnis zueinander zu stehen.416 Die außerhalb der Verfassung (Annex 4) ins Leben gerufenen Organe seien nicht Teil der nationalen Organlandschaft, sondern gehörten zu einer internationalen Parallelstruktur, welche die nationalen Instanzen ergänzt.417 Das Gericht erinnert diesbezüglich an seine Erwägungen in den Urteilen U 7/97418 (keine Kontrolle des Rahmenabkommens) sowie U 7/98–U 9/ 414 Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 134 m. w. N.; Chandler, Bosnia: Faking Democracy, S. 115. 415 Constitution of the Federation of Bosnia and Herzegowina, abrufbar unter: www.ohr.int/ohr-dept/legal/const. 416 U 40/00, §§ 10, 11.
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98419 (keine Kontrolle der Menschenrechtskammer), ist allerdings dann auch gezwungen, das Verhältnis zu seiner Rechtsprechung im Fall U 9/00420 (Kontrolle des Hohen Repräsentanten) zu klären, in dem es zu dem Schluss gelangt war, dass die internationale Behörde des Hohen Repräsentanten gerade in der Lage sei, die parallelen Bahnen der nationalen und internationalen Institutionen zu verlassen und nach dem Gedanken der funktionalen Dualität im Wege einer Art Selbsteintrittsrecht nationale Legislativorgane zu substituieren, was wiederum die Möglichkeit einer Rechtskontrolle durch die nationale Gerichtsbarkeit eröffnet. Im Fall U 40/00, in dem es sich ebenfalls um legislative Tätigkeit eines internationalen Organs handelt, geht das BIHVG jedoch nicht davon aus, dass die Vorläufige Wahlkommission durch Erlass bzw. Abänderung der Wahlregeln in die legislativen Kompetenzen der nationalen Gesetzgebungsorgane eingegriffen hat. Die in Rede stehenden Rules and Regulations seien vielmehr unmittelbar basierend auf der spezifischen Ermächtigungsgrundlage des Annexes 3421 verabschiedet worden: „16. Unlike the aforementioned case, there has not been, in the present case, any interference with the legislative prerogatives conferred by the Constitution of Bosnia and Herzegovina to the national legislature, but the PEC Rules and Regulations were enacted according to a specific original authorization given to the PEC in Annex 3 to the GFAP [. . .].“422
Das BIHVG bestätigt mit dieser Aussage den durch seine Rechtsprechung zur Rechtskontrolle des Legislativ- und Exekutivhandelns des HR erweckten Eindruck, dass das Gericht von einer Zweigleisigkeit des Handelns und der Rechtskontrolle der internationalen Administratoren ausgeht. In manchen Fällen substituieren diese die nationalen Organe, in anderen handeln sie sozusagen „unmittelbar“ auf Grundlage ihres internationalen Mandats. Allerdings stellt das Gericht auch an dieser Stelle keinerlei Kriterien dafür auf, nach denen zu beurteilen wäre, wann welcher Fall gegeben sein soll. Im Falle der Vorläufigen Wahlkommission ist zuzugeben, dass diese über ein – im Gegensatz zum HR – eindeutig formuliertes internationales Mandat zur Schaffung bestimmter Normen verfügt. Allerdings geht aus Annex 3 ebenfalls eindeutig hervor, dass eben diese Kompetenz alsbald, wie mittlerweile geschehen, auf die nationalen Gesetzgebungsorgane übergehen sollte. Die OSZE-Organe sollten also vorübergehend eine genuine Aufgabe des nationalen Parlaments, nämlich die Verabschie417 U 40/00, § 11; erinnert sei dabei an den Gedanken eines „Kooperationsverhältnisses“ zwischen EuGH und BVerfG, vgl. „Maastricht“-Urteil, oben C. III. 2. a) (3) b). 418 Siehe C. III. 1. 419 Siehe C. IV. 1. a). 420 Siehe oben C. III. 2. a). 421 Art. III Nr. 1, Annex 3: „Rules and Regulations. The Commission shall adopt electoral rules and regulations regarding: [. . .]“. 422 U 40/00, § 16.
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dung eines Wahlgesetzes, ausüben und nicht etwa spezielle „Notstandskompetenzen“, die in der nationalen Verfassungsordnung überhaupt kein Äquivalent finden würden. Genau diesen Umstand stellt das Gericht auch fest: „19. The Constitutional Court points out that the legal situation regarding its competence will be different once the Parliamentry Assembly of Bosnia and Herzegovina adopts an Election Law foreseen in Article IV.2 (a) of the Constitution of Bosnia and Herzegovina. The Constitutional Court will then be competent to review, under the procedures provided for in Article VI of the Constitution, whether that Law is in conformity with the Constitution. The Constitutional Court finds it important, in order to strengthen the system of democracy and legal protection in Bosnia and Herzegovina, to extend as soon as possible the constitutional protection to the important area of democratic elections and therefore urges the Parliamentary Assembly to adopt an Electoral Law without delay.“423
Das aber sind gerade diejenigen Umstände, die es nahe liegend erscheinen lassen, den vom BIHVG selbst entwickelten Ansatz der funktionalen Dualität anzuwenden und die Vorläufige Wahlkommission als ein (vorübergehendes) Substitut des nationalen Gesetzgebers aufzufassen. Auch das Argument, Annex 3 lege eine Höherrangigkeit der von der Kommmission erlassenen Wahlregeln gegenüber dem gesamten innerstaatlichen Recht fest, vermag nicht vollständig zu überzeugen: „[. . .] In Article III of this Annex, it is furthermore explicitly stated that the electoral rules and regulations adopted by the PEC shall be complied with, ,any internal laws and regulations notwithstanding‘.“ 424
Eine Auslegung der Passage „any internal laws and regulations notwithstanding“ nach dem Wortlaut legt es eher nahe, von einer Höherrangigkeit gegenüber „einfachen“ nationalen Gesetzen und sonstigen Normen auszugehen, als gegenüber der in Annex 4 niedergelegten Verfassung.425 Welchen Sinn sollte es auch haben, dass Wahlregelungen, die die Grundlagen für die Zusammensetzung der politischen Landschaft legen sollen, von der Bindung an die Verfassung freigezeichnet werden, in deren Kompetenzrahmen sie ohnehin bald überführt werden sollen? Das Gericht orientiert sich somit wiederum deutlich – allerdings in angreifbarer Weise – am Vertragstext, ohne jedoch das systematische Verständnis einer Rechtskontrolle der internationalen Institutionen, welches es selbst teilweise entworfen hat, weiterzuentwickeln. Der Gedanke der Parallelität von internationalen und nationalen Institutionen sowie die Vorstellung der funktionalen Dualität sind durch das Gericht zwar angesprochen, aber nicht in Bezug zueinander gesetzt worden.
423 424 425
U 40/00, § 19. U 40/00, § 16. So Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 138.
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Fall U 41/00: Im Verfahren U 41/00 versuchte die Serbisch Radikale Partei der Republika Srpska (SRS) gegen ihren Ausschluss von den Kommunalwahlen vom April 2000 und den Allgemeinen Wahlen vom November 2000 durch die Vorläufige Wahlkommission vor dem BIHVG vorzugehen und die allgemeinen Wahlen für verfassungswidrig erklären zu lassen. Die Unterkommission (EASC) hatte diesen Ausschluss im November 1999 bestätigt.426 Die SRS beklagte in ihrer Verfassungsbeschwerde Verletzungen von Art. II.4, II.3 (i) BIHV sowie einer Reihe im Anhang zu Annex 3 verbürgter demokratischer Rechte.427 Die Beschwerdeführerin hatte ihr Begehren vorher allerdings bereits bei der MRK anhängig gemacht. Nach der Rechtsprechungspraxis des BIHVG ist dann die Geltendmachung desselben Anliegens beim BIHVG nicht zulässig, sodass dem Gericht eine weitergehende Beschäftigung mit dem Fall erspart geblieben ist.428
c) Rechtskontrolle durch die MRK? Auch Entscheidungen der Unterkommission (EASC) sind Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen geworden. Die Menschenrechtskammer wurde hierfür ebenfalls zu einem Forum. Fälle CH/98/230, 231: Den Fällen CH/98/230 und CH/98/231 lag die Situation zugrunde, dass die Stimmen einiger zwischenzeitlich im Ausland ansässiger Wahlberechtigter für die Wahlen im Jahre 1997 aufgrund verspäteten Eingangs von der Vorläufigen Wahlkommission (PEC) nicht als gültig gewertet wurden. Die für die diesbezüglichen Beschwerden der Betroffenen zuständige Unterkommission (EASC) hatte diese Entscheidung im Dezember 1997 bestätigt, worauf sich die Antragssteller im März 1998 an die MRK wandten mit der Begründung, in ihren Rechten aus Art. 3, Prot. Nr. 1 zur EMRK verletzt zu sein.
Die Kammer bedachte (auch) dieses Vorbringen mit einer kurzen Feststellung seiner Unzuständigkeit anhand einer engen Anlehnung an den Wortlaut der Vertragstexte von Dayton, die eben nur diejenigen Rechtsschutzmöglichkeiten eröffneten, die ausdrücklich vorgesehen seien und die ansonsten die Vertragsparteien verpflichteten, die Entscheidungen der internationalen Akteure zu akzeptieren. So heißt es wörtlich: „40. The Rules and Regulations of the PEC derive their authority from powers and responsibilities delegated to the OSCE under Annex 3 to the General Framework Agreement. Accordingly, the EASC’s jurisdiction also derives from the General 426 Zu Einzelheiten des Falles siehe Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 137 m. w. N. 427 Als „Attachment to Annex 3 on Elections“ sind an Annex 3 die Paragraphen 7 und 8 des „Document of the Second Meeting of the Conference on the Human Dimension of the Conference on Security and Cooperation in Europe, Copenhagen, 1990“ angehängt, welche eine Reihe von Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie ausbuchstabieren. 428 Hierzu Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 139.
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Framework Agreement. It is the sole review mechanism of a judicial nature provided for under Annex 3. 41. In concluding the General Framework Agreement, the Parties, with the assistance of the international community, have created a number of offices and institutions, either directly (such as the Chamber) or through existing international bodies (such as the OSCE), to assist them in achieving the objectives set out therein. The Parties are required to comply with the decisions of such offices and institutions, as provided for in the General Framework Agreement. Thus, the nature of the functions carried out by the OSCE under Annex 3, which in substance is the management of elections in Bosnia and Herzegovina, is not such as to be subject to review, except as specifically provided for in Annex 3.“429
Die Kammer verkennt dabei nicht die Möglichkeit einer Rechtsverletzung der Antragsteller, entscheidend aber sei die Tatsache, dass die gerügten Entscheidungen nicht den Vertragsparteien des Annex 6 zugerechnet werden können, denn nur eine Rechtsverletzung eben dieser könne eine Zuständigkeit der Kammer begründen.430 Wenn eine Rechtsverletzung stattgefunden habe, dann höchstens durch die auf Grundlage von Annex 3 errichteten internationalen Organe: „43. In conclusion, while it is possible that a breach of the rights of the applicants as guaranteed by Article 3 of Protocol No. 1 to the European Convention on Human Rights may have occurred, the impugned acts do not come within the responsibility of the respondent Parties and are therefore outside the competence of the Chamber under Article II and VIII(I) of Annex 6 to the General Framework Agreement.“431
Die Kammer vertrat in dieser Konstellation mithin die gleiche (restriktive) Position, die sie später auch hinsichtlich der Rechtskontrolle des HR einnehmen sollte,432 so dass im Ergebnis weder durch das BIHVG noch durch die MRK gegen das Handeln der betreffenden Organe Rechtsbehelfe für zulässig erachtet wurden. 3. Rechtsakte der Commission for Real Property Claims (Annex 7) a) Restitution unter internationaler Verwaltung Vehikel des gewaltigen Vorhabens433 der Staatengemeinschaft, eine umfassende Rückgängigmachung der „ethnischen Säuberungen“434 in Bosnien und 429
CH/98/230; CH/98/231; §§ 40, 41. Zur Frage der Zuständigkeit ratione personae in diesem Fall auch: Dörre, Der Beschwerdegegenstand im Verfahren der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 2004, S. 121 f. 431 CH/98/230; CH/98/231, § 43. 432 Vgl. Küttler, Menschenrechtskammer, S. 100. 433 Zum Stand der Umsetzung siehe die Statistiken unter www.ohr.int/plip/; zu den Problemen während der Anfangsphase dieses Prozesses im Hinblick auf das in den 430
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Herzegowina durchzusetzen, ist die wiederum teilweise international besetzte435 und auf Grundlage des Annex 7 installierte Commission for Real Property Claims (CRPC),436 also ein weiteres internationales Organ437 im Gefüge von Dayton. Kern dieser Rückgängigmachung ist die Restitution von Immobiliarvermögen.438 Im Stile eines internationalen Schiedsgerichts439 fällte die CRPC Entscheidungen über Restitutions- bzw. Entschädigungsbegehren betreffend Eigentum an Grundstücken sowie bzgl. Wohnrechten440, die seit dem 1. April 1992 unfreiwillig eingebüßt worden sind.441 Rechtstechnisch mussten die zur Entscheidung eines derartigen Anspruchs relevanten Umstände lediglich glaubhaft gemacht werden (z. B. durch Grundbucheinträge oder sonstige Urkunden). Entscheidungen über etwaige materiell-rechtliche Streitigkeiten über betreffende Rechte blieben den nationalen Gerichten bzw. Behörden überlassen. Im Falle einer positiven Entscheidung wurde von der CRPC ein vollstreckbarer Titel ausgestellt, dem durch die nationale Verwaltung zur Durchsetzung verholfen werden musste. Rechtsschutz gegen die Vollstreckung war aufgrund des nationalen Gesetzes zur Ausführung von CRPC-Entscheidungen im Wege zweier Verfahrensmöglichkeiten entweder durch die CRPC selbst (reconsideration) oder durch die nationale Gerichtsbarkeit gewährleistet.442 beiden Landesteilen geltende Immobiliarrecht Waters, in: Harvard J. of Int. L. 40 (1999), S. 536 ff.; die Schwierigkeiten während der unmittelbaren Nachkriegszeit beschreiben z. B. Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 812 f.; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 226 ff. Zu verschiedenen Strategien des Rückkehrprozesses Cox, a. a. O., S. 231 ff. 434 Dazu Stavropoulou, Right to Return, S. 123 ff.; Cox, in: ICLQ 47 (1998), S. 599 ff.; auch Köhler, Das Massenvertreibungsverbot im Völkerrecht, 1999. 435 Drei der neun Mitglieder der Kommission werden durch den Präsidenten des EuGMR ernannt, vgl. Art. IX Nr. 1, Annex 7. 436 Siehe Saulle, Commission, S. 1263 ff.; Van Houtte, The Property Claims Commission in Bosnia and Herzegovina – A new path to restore real estate rights in postwar societies?, in: Wellens (Hrsg.), International Law: Theory and Practice, Essays in Honour of Eric Suy, 1998, S. 549 ff.; Van Houtte, Mass Property Claim Resolution in a Post-War Society: The Commission for Real Property Claims in Bosnia and Herzegovina, in: ICLQ 48 (1999), S. 625 ff. 437 Saulle, Commission, S. 1263 f. 438 Eine Gesamtbewertung bzw. einen Ausblick hinsichtlich dieses Prozesses vgl. Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 14 ff.; zu den Anfangsproblemen Strohmeyer, Menschenrechtsschutz in Bosnien und Herzegovina, S. 232 ff. 439 Saulle, Commission, S. 1266. Zur Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs der CRPC gegenüber der MRK vgl. CH/98/756; CH/97/78; hierzu Dörre, Beschwerdegegenstand, S. 167 ff. 440 Vgl. Waters, in: Harvard J. of Int. L. 40 (1999), S. 536 f. 441 Art. XI, Annex 7; vgl. zur Aufgabenbeschreibung unter www.crpc.org.ba. 442 Law on Implementation of the Decisions of the Commission for Real Property Claims of Displaced Persons and Refugees for the Federation of BiH, v. 27.10.1999, Official Gazette of the Federation of Bosnia and Herzegovina, No. 43/99, 51/00, Art. 10–12: www.ohr.int/decisions/plipdec/default.asp?content_id=252; in Kraft gesetzt durch den HR per „Decision on the Law on Implementation of the Decisions of
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b) Rechtskontrolle durch das BIHVG? Fälle U 21/01 und U 32/01: Hintergrund der Fälle U 21/01 und U 32/01 waren Konstellationen, in denen sich Betroffene gegen „Neubegutachtungs“-Entscheidungen (reconsiderations)443 der CRPC vor dem BIHVG zur Wehr setzen wollten gemäß Art. VI.3 (b) BIHV.
Das Gericht hat hierbei mit Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung seine grundsätzliche Unzuständigkeit444 einmal mehr mit dem Gedanken der Parallelität, der Gleichrangigkeit der Annexe des Daytoner Abkommens begründet, welche kein Über- und Unterordnungsverhältnis des einen gegenüber dem anderen nach sich ziehe und mithin auch keine Kontrollmöglichkeit des BIHVG, des Hüters des Annex 4, gegenüber den Instituten des Annex 7. Ebenfalls wiederholt das Gericht das formale, am Wortlaut von Art. VI.3 (b) BIHV verortete Argument, dass die CRPC kein Gericht innerhalb des regulären Instanzenzugs des Staates ist, was für eine Überprüfung seiner Entscheidungen aber erforderlich wäre: „18. The Constitution of Bosnia and Herzegovina is itself an Annex to the General Framework Agreement and should therefore be read and interpreted together with other provisions which are also part of the Annexes to the General Framework Agreement. [. . .] Therefore, it follows from the structure itself of the General Framework Agreement that the Annexes have the same character and that the intention of the authors of the Annexes was not the creation of a conflict of incompatibility between the Annexes or the institutions established in accordance with the Annexes. Therefore it can be concluded that they supplement each other and should co-exist side by side.“445 „19. [. . .] In accordance of such jurisprudence, the Constitutional Court holds that the Commission is an institution outside the ordinary judicial structure.“446
Das Gericht erläutert darüber hinaus auch das Verhältnis der Interaktion der internationalen Aufarbeitung der Eigentumsfragen mit der nationalen Gerichtsbarkeit, die unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Befassung des BIHVG447 führen kann:
the Commission for Real Property Claims of Displaced Persons and Refugees“ a. a. O.; zum Ablauf dieser Verfahren vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 141, 142. 443 Vgl. Art. 10, Law on Implementation of the Decisions of the Commission for Real Property Claims of Displaced Persons and Refugees for the Federation of BiH, a. a. O. 444 Ein Verwerfen der Beschwerden aufgrund schlichter Nichterschöpfung des Rechtswegs wäre allerdings wohl ebenso möglich gewesen, vgl. Steiner/Ademovich, Kompetenzstreitigkeiten, S. 141, 142. 445 U 21/01, § 18. 446 U 21/01, § 19. 447 Vgl. Marko, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 396.
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„19. [. . .] The Constitutional Court adds, however, that the Law on the Implementation of CRPC Decisions (Articles 10 to 12) makes it possible for interested persons to initiate judicial proceedings on some issues covered by that law. If the case concerns the right holder status of 1 April 1992, the interested person may submit a request for reconsideration to the Commission. Before that, the person may be referred to the ordinary courts in order to solve the legal issues that the Commission did not consider and in order to gather necessary evidence to be submitted for reconsideration. [. . .] Upon ordinary court proceedings, these persons may, through appellate jurisdiction of the Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina under Article VI.3 (b) of the Constitution of Bosnia and Herzegovina, request the protection of their rights provided for in the Constitution of Bosnia and Herzegovina and the European Convention.“448
Im Wesentlichen jedoch blieb es bei der Zurückhaltung des BIHVG gegenüber einer Rechtskontrolle der CRPC. c) Die These von der Parallelität der Annexe – ein taugliches Modell für die Auslegung des Abkommens von Dayton? Die bislang betrachtete Rechtsprechung des BIHVG449 (auch z. T. der MRK450), welche die Frage der Rechtskontrolle der internationalen Verwaltungsorgane betraf, hat immer wieder die Vorstellung des Gerichts von einer Parallelität der einzelnen Annexe des Friedensrahmenabkommens von Dayton kundgetan. Darin ist ein Modell für eine systematische Auslegung451 des Abkommens von Dayton und seiner einzelnen Bestandteile zu erkennen. Das Gericht legt hierbei die Vorstellung von der völkervertraglichen Einheit des „Vertragspakets“ von Dayton zugrunde.452 Diese Vorstellung ist vertretbar, es sprechen freilich auch Gründe gegen diese Auffassung.453 Das BIHVG zieht – wie weiter oben454 bereits angedeutet – aus dieser Grundüberlegung den Schluss, dass die einzelnen Annexe des Abkommens sowie die auf deren Grundlage installierten Organe zueinander nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis stehen, sondern gleichrangig nebeneinander existieren. Als Teilbereiche einer 448
U 21/01, § 19. Vgl. insbesondere die Urteile U 21/01; U 32/01; U 40/00; U 7/97; U 7/98– U 11/98. 450 Vgl. (implizit) die Urteile CH/98/230; CH/98/231. 451 Siehe Art. 31 Nr. 1, 2 WVK, wonach zur systematischen Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags auch Präambel und Anlagen des Vertrags heranzuziehen sind; vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 11 ff. 452 Vgl. die Entscheidung U 7/97. 453 Vgl. Kap. I. B. I. 1. 454 Siehe C. III. 1. 449
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Gesamtregelung seien die Annexe so zu verstehen, dass sie einander ergänzen und nicht etwa in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Absicht der Autoren des Abkommens könne nicht die Schaffung von inkompatiblen und konfligierenden nationalen und internationalen Organen gewesen sein455, sondern eine in sich stimmige Nachkriegs- bzw. Übergangsordnung. Etwaige Kollisionslagen seien demzufolge im Wege einer harmonisierenden Auslegung456 der scheinbar widerstreitenden Vertragsbestimmungen aufzulösen. Das scheint das Gericht andeuten zu wollen, wenn es regelmäßig davon spricht, dass Widersprüche zwischen den einzelnen Annexen nach dieser Sichtweise gar nicht bestehen könnten.457 Es kann den Gedanken des Gerichts zufolge somit wohl nur darauf ankommen, die einzelnen Komponenten des Abkommens im Konfliktfalle richtig, d. h. ausgleichend zu interpretieren. Mit diesen systematischen und teleologischen458 Erwägungen, also der Vorstellung der Parallelität der Annexe, versucht das BIHVG auch bisweilen seine Enthaltung gegenüber einer gerichtlichen Kontrolle von internationalen Verwaltungsorganen zu begründen, schließlich sei bereits aus der mangelnden Höherrangigkeit459 des Annexes 4 und seines Hüters, des BIHVG, gegenüber den anderen Annexen keine Zuständigkeit zur Überprüfung dieser internationalen Institutionen herzuleiten. Kurz: Das BIHVG hat mit der These der Parallelität der Annexe neben der Theorie der funktionalen Dualität ein weiteres Element entwickelt, welches es seiner Rechtsprechung für die Erklärung der Interaktion von internationalen und nationalen Komponenten im dualen Verfassungsleben von Bosnien und Herzegowina zugrunde legt. Handelt es sich bei dem Ansatz der funktionalen Dualität um eine eher allgemeine Vorstellung des Einwirkens von internationalen Hoheitsträgern in den nationalen Rechtsraum, so stellt die Überlegung der Parallelität der Annexe ein konkretes Auslegungsmodell desjenigen völkerrechtlichen Instrumentariums dar, welches die Übergangsordnung für Bosnien und Herzegowina unmittelbar konstituiert. Fraglich ist jedoch, ob diese Auslegung bzw. die daraus gezogenen Schlüsse in der Rechtsprechung des BIHVG, insbesondere auch im Zusammenwirken mit dem Gedanken der funktionalen Dualität, einer kritischen Betrachtung standzuhalten vermögen. Die teleologischen und systematischen Überlegungen460, die das Gericht zu dem Schluss führen, dass das Vertragswerk von Dayton als einheitliche, in sich schlüssige Gesamtregelung zu verstehen und zu interpretieren ist, sowie etwaige 455
U 21/01, § 18; vgl. Czaplinski/Danilenko, in: NYIL 21 (1990), S. 13. Der Gedanke der Erzielung einer praktischen Konkordanz zwischen zwei kollidierenden Gewährleistungen, wie sie aus der bundesdeutschen Grundrechtsdogmatik vertraut ist, sei hier angemerkt. 457 Vgl. U 7/97, vgl. C. III. 1.; U 7/98–U 11/98, vgl. C. IV. 1. a). 458 Art. 31 Nr. 1 WVK; dazu Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 11 ff. 459 Z. B. U 7/98. 456
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Ungereimtheiten, Vertragslücken und Widersprüche vor diesem Hintergrund im Wege der Auslegung zu bereinigen sind, erscheinen grundsätzlich sinnvoll bzw. zumindest vertretbar. Es hat allerdings den Anschein, dass das Gericht diesen Auslegungsansatz in seiner Rechtsprechung selbst gar nicht konsequent angewendet hat. Insbesondere erscheint diese Auffassung mit Blick auf die Rechtsprechung des BIHVG zur Rechtskontrolle der Exekutivmaßnahmen des HR461 wenig überzeugend, sondern vielmehr inkonsequent. Wenn es gelten solle, etwaige Widersprüche zwischen den einzelnen Komponenten des Friedensabkommens im Wege der harmonisierenden Interpretation nach dem Prinzip der Einheit des Vertrages aufzulösen, so erscheint es unklar, warum im Bereich der „Amtsenthebungen“ der HR (Annex 10) von jeglicher Bindung an die in die nationale Verfassung (Annex 4) integrierten Menschen- und Grundrechtsverbürgungen durch das BIHVG „freigezeichnet“ wird. Eine harmonisierende Auslegung müsste dann doch vielmehr in die Richtung gehen, dass der HR seine Befugnisse aus Annex 10 eben dergestalt zu interpretieren hat, dass er bei deren Ausübung die zentralen Säulen der anderen Annexe der Friedensregelung, wie den Menschenrechtsschutz, nicht massiv untergräbt.462 Das Gericht lässt diesen Widerspruch aber gerade zu, indem es eine rechtliche Kontrolle dieser Maßnahmen des HR ablehnt. Das BIHVG scheint hierbei eine Parallelität der Annexe lediglich in institutioneller Hinsicht anzunehmen, also in dem Sinne, dass die verschiedenen Organe im Gefüge von Dayton sich gegenseitig nicht rangmäßig übertreffen sowie kontrollieren und überwachen könnten. Ein solches Verständnis stünde aber wiederum im Gegensatz zu der Aussage des Gerichts – wohlgemerkt anhand einer materiell-rechtlichen Fragestellung463 –, dass zwischen Annex 4 und dem „übrigen“ Abkommen kein Widerspruch bestehen könne.464 Ein schärferer Widerspruch als ein internationales Organ, welches den internationalisierten Individualrechtsschutz der Verfassungsordnung, zu deren Förderung es selbst berufen ist, nach Belieben unkontrolliert umgehen kann, ist allerdings schwer vorstellbar. Dies wäre nur dann zu erklären, wenn man das Abkommen von Dayton, verkürzt gesprochen, dahingehend auslegte, dass die internationalen Administrationsorgane, allen voran der HR, eine höherrangige, von der nationalen Verfassung ungebundene – weil außerhalb konstituierte – Übergangsstruktur bilden, deren gerichtliche Kontrolle bereits an ihrem andersartigen – weil völkerrechtlichen – Rechtscharakter scheitert.465 460 Zum Zusammenwirken von systematischer und teleologischer Auslegungsmethode Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 13 ff. 461 Hierzu C. III. 2. d). 462 In diese Richtung geht auch die Argumentation einiger Antragsteller vor der MRK, siehe C. IV. 2. 463 Siehe U 7/97, vgl. C. III. 1. 464 Siehe U 7/97, vgl. C. III. 1.
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Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Gedanke einer internationalisierten Notstandsverfassung466: Dieser Gedanke impliziert ebenfalls, dass eine solche Notstandsverfassung bestimmte Notstandsbefugnisse vorsieht, die dann für einen bestimmten Zeitraum „über“ der regulären Verfassung stehen, sich also zeitweise von bestimmten Bindungen der Verfassung loslösen können.467 Eine solche Notstandsverfassung besteht dann jedoch keineswegs parallel bzw. gleichrangig neben der regulären Verfassung, sondern ist zumindest zeitweise höherrangig. Wenn man also z. B. Annex 10 als Teil einer internationalen Notstandsverfassung auffasst, wofür die Gesamtschau des Friedensabkommens sowie die tatsächliche Einwirkung des HR auf die Verfassung sprechen, dann ergibt auch unter diesem Gesichtspunkt die Vorstellung einer Parallelität der Annexe als Erklärungsmodell keinen Sinn. Eine solche Auslegung hat das BIHVG allerdings nicht gewählt. Mit dem Gedanken einer Parallelität der Annexe, letztlich also mit einem sozusagen erweiterten Verfassungsverständnis und der Theorie der funktionalen Dualität hat sich das Gericht in der unter dem Gesichtspunkt von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung begrüßenswerten Absicht einer rechtlichen Einbindung der internationalen Verwaltungsorgane mithin zweier Deutungselemente bedient, deren Anwendung es jedoch nicht konsequent durchhält. In sich schlüssig ist die Verwendung dieser beiden Elemente nur in der U 9/00Rechtsprechung zur Kontrolle der legislativen Tätigkeit des HR: Harmonisierend, eine Art praktische Konkordanz zwischen den Kompetenzen des HR (Annex 10) und der Verfassung (Annex 4) herstellend, legt das Gericht das Verhältnis beider Vertragskomponenten dahingehend aus, dass der HR über völkerrechtlich begründete und hinsichtlich der Entscheidung über ihre Anwendung gerichtlich unkontrollierbare Befugnisse verfügt. Wenn der HR aufgrund dieser Kompetenzen jedoch (ersatz-)gesetzgebend tätig wird, muss er sich an die staatliche Verfassung halten, darf also den parallelen Annex 4 nicht verletzen. Rechtstechnisches Vehikel für die Kontrolle dieser Verfassungsbindung ist der Substitutionsgedanke, der es dem BIHVG ermöglicht, die Legislativakte des HR wie nationale Gesetze einer Verfassungsrechtskontrolle zu unterziehen. Für diesen Teilbereich ist dem BIHVG mithin ein stimmiges Erklärungsmodell für die Interaktion von internationaler Verwaltung und nationaler Verfassungsstruktur gelungen, welches in rechtlicher wie politischer Hinsicht den Interessenlagen der Beteiligten Rechnung trägt und beiden Annexen ihre größtmögliche Wirkungskraft belässt, ohne einen davon ad absurdum zu führen. Doch wie gesehen lässt das Gericht in seiner Rechtsprechung zu den problematischen Einzelmaßnahmen des HR den Gedanken der funktionalen Dualität 465 466 467
Vgl. C. III. 2. a) cc) (1). für das Beispiel der Besatzungszeit in Deutschland. Siehe unter C. I. Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 724.
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sowie im Ergebnis auch den der Parallelität der Annexe wieder fallen und entzieht sich der Frage einer etwaigen weiteren rechtlichen Eingrenzung des Zivilverwalters mit einem wenig überzeugenden468 Verweis auf seine Zuständigkeitsordnung. Das Verständnismodell für die Systematik des Abkommens von Dayton, welches das Gericht als Parallelität der Annexe beschreibt, gelangt in seiner Rechtsprechung – wie die Vorstellung der funktionalen Dualität – somit nur bruchstückhaft zur Umsetzung. Trotz seines erkennbaren Bemühens um die Entwicklung eines systematischen Verständnisses des Ineinandergreifens von internationalen und nationalen Organen in der Übergangsordnung von Dayton, ist es dem Gericht (bislang) nicht gelungen, seine Überlegungen in einer in sich widerspruchsfreien Gesamtkonzeption zu vereinen. Auch der Gedanke der Parallelität der Annexe bleibt mithin ein (weiteres) Erklärungsfragment. d) Rechtskontrolle durch die MRK? Anders als bei den meisten Exekutivakten des HR ist die Tätigkeit der CRPC von einem Ineinandergreifen von internationaler Verwaltung und nationalem Behördenapparat gekennzeichnet. Die politisch brisante Rückabwicklung der Zuordnung von Eigentum und Wohnraum übernahm das internationale Organ (CRPC). Die Vollstreckung im technischen Sinne sowie die Klärung von faktischen und materiell-rechtlichen Fragen oblag dem Staatsapparat. Diese Arbeitsteilung im Rahmen des Restitutionsprozesses führte zu der Frage, ob auch der „internationale Teil“ dieses Verfahrens, also die Entscheidungen der CRPC, dem Staat bzw. den Gliedstaaten zugerechnet werden kann. Wäre dies der Fall, wäre eine Beschwerde vor der MRK betreffend etwaiger Verletzungen von Verfahrensgarantien oder sonstigen Rechten der EMRK im Zuge der CRPC-Entscheidungen zulässig. Auf diesem Wege wäre, in Abwesenheit einer Kontrolle durch die Appellationsgerichtsbarkeit des BIHVG zumindest eine spezifische „Grund- und Menschenrechtskontrolle“ durch die MRK gewährleistet. Im Gegensatz zu den Fällen des Handelns des HR469, stellte sich die Zurechnungsproblematik im Falle der CRPC aufgrund der besonderen Verflechtung von internationalen und nationalen Akteuren als (noch) diffiziler dar. Seiner zurückhaltenden Rechtsprechung in Sachen Rechtskontrolle internationaler Verwaltung folgend hat die Kammer eine Zurechnung verneint. Begründet wurde dies – unter Verweis auf die Urteile in den Parallelkonstellationen bezüglich HR470, OSZE471 und SFOR472 – mit der Feststellung, bei der CRPC handele es sich
468 469 470 471 472
Siehe C. III. 2. d) cc). CH/98/1266, §§ 18, 19; siehe unter C. IV. 2. CH/98/1266, a. a. O. CH/98/230/231; siehe unter C. IV. 2. CH/00/3771; CH/00/4194; siehe C. V. 5. b).
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um eine eigenständige, auf völkervertraglicher Grundlage geschaffene internationale Institution. Umständlich bringt die Kammer zum Ausdruck, dass sich aus der bloßen Urheberschaft der Vertragsparteien (von Annex 1 A, 3, 10 etc.) für diese noch keine Zurechnung der Akte der geschaffenen Institutionen ableiten lasse. Ferner handele die CRPC auf Grundlage ihrer selbstständig geschaffenen Regularien, welche keine Rechtskontrolle durch staatliche Gerichte vorsehen würden, da dies darüber hinaus von Annex 7 ausgeschlossen sei. So heißt es: „114. [. . .] the respondent Parties cannot be held responsible under the Annex 6 Agreement for having agreed, by putting their signature under other Annexes of the DPA, to the mandate of certain international bodies (SFOR, OSCE, OHR) and for granting those bodies the powers necessary to carry out their mandate.“473 „122. To sum up, the Chamber finds that the Parties to Annex 7, among them the Federation, agreed that CRPC would, independently, promulgate its own procedures and that there would be no review of the CRPC decisions by the Federation authorities. Therefore, the Chamber finds that the respondent Party cannot be held responsible under the Agreement for the procedures by which CRPC decisions are issued.“
Die MRK geht also davon aus, dass die Rechtsakte der CRPC dem Staat, hier der Föderation von Bosnien und Herzegovina, nicht zugerechnet werden können, auch und obwohl die Föderation selbst ein Gesetz474 erlassen hat, welches die Durchsetzung der Entscheidungen der CRPC regelt: „121. [. . .] Article XII (7) of Annex 7 prescribes that ,Commission decisions shall be final, and any title . . . awarded by the Commission shall be recognised as lawful throughout Bosnia and Herzegovina.‘ Accordingly it is in execution of its obligations under Annex 7 that the Federation enacted legislation that provides for the implementation of CRPC decisions and that does not allow any review of those decisions by the authorities of the Federation.“475
Problematisch erscheint der Umstand, dass die Kammer offenbar nicht nur die unmittelbaren Entscheidungen der CRPC der Föderation von Bosnien und Herzegowina für nicht zurechenbar hält, sondern auch das zur Durchsetzung dieser Entscheidungen dienende nationale Gesetz476, welches keine Rechtskontrolle der CRPC-Entscheidungen durch staatliche Gerichte vorsieht. Dies sei durch Annex 7 verbindlich vorgegeben, so dass der nationale Gesetzgeber für eine diesbezügliche Rechtsschutzlücke nicht verantwortlich zu machen sei: „122. Also, the respondent Party cannot be held responsible under the Agreement for failing to provide review of CRPC decisions by an independent and impartial tribunal, as such review is excluded by Annex 7. [. . .].“477 473 474 475 476
CH/01/7728, § 114. Siehe unter C. V. 3. a). CH/01/7728, § 121, Hervorhebung des Verfassers. Siehe unter C. V. 3. a).
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Auf die in diesem Zusammenhang sich aufdrängenden Fragen nach der Zurechnung von Hoheitsakten wird weiter unten einzugehen sein. 4. Akte der IPTF (Annex 11) a) Restrukturierung des Polizeiwesens unter internationaler Verwaltung Die auf der Basis von Annex 11 begründete Polizeimission der Vereinten Nationen in Bosnien und Herzegowina (UNMIBH) International Police Task Force (IPTF)478 war dafür vorgesehen, nach dem Friedensschluss von Dayton den Aufbau von Polizeikräften nach rechtstaatlichem Vorbild zu begleiten, zu fördern und zu überwachen.479 Eine bedeutende und schwierige Aufgabe in diesem Zusammenhang stellt es bis heute dar, aus einer Masse von ehemaligen Armeeangehörigen und Sicherheitskräften mit z. T. fragwürdiger Kriegsvergangenheit480 geeignete Personen für den Polizeidienst in der fragilen Nachkriegsordnung auszuwählen und dadurch die Grundlage für einen rechtstaatlichen Polizeiapparat zu legen481. Die IPTF wirkte bei dieser Auswahl durch sog. Zertifizierungsverfahren (certifications, authorizations) mit, durch welche ein Bewerber auf seine Eignung als Polizeibeamter in einem demokratischen Staatswesen überprüft wurde.482 Die Eignung für den Polizeidienst konnte einer Per477
CH/01/7728, § 122. Für einen Überblick über Entstehung und Mandat von UNMIBH/IPTF siehe International Crisis Group: Policing the Police, S. 4 ff.; Smyrek, Internationally Administered Territories, S. 154 ff. Die IPTF-Mission ist zum 01.01.2003 durch die European Police Mission (EUPM) ersetzt worden. Diese bildet die erste zivile Operation der EU im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Siehe www.eupm.org, sowie www.eusrbih.org. 479 Art. I, II, III, Annex 11. Den gegenwärtigen Stand der Reform des Polizeiwesens dokumentiert Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 27 ff. Zu derartigen Problemen im benachbarten Kosovo vgl. Naarden/Locke, Peacekeeping and Prosecutorial Policy: Lessons from Kosovo, in: AJIL 98 (2004), S. 731 ff. 480 Zum Problem der flächendeckenden Erfassung und Sanktion von Kriegsverbrechen in der Nachkriegszeit und der Gefahr der Weiterbeschäftigung mutmaßlicher Kriegsverbrecher in öffentlichen Funktionen vgl. Naarden, in: AJIL 97 (2003), S. 342 ff.; International Crisis Group: War Criminals in Bosnia’s Republika Srpska: Who are the people in your neighbourhood?, ICG Balkans Report No.103 (2000). 481 Umfassend zu diesem Problemfeld International Crisis Group: Policing the Police. 482 Siehe Resolution des VN-Sicherheitsrats S/RES/1088 v. 12.12.1996, § 28; Madrid Peace Implementation Council Declaration, 16.12.1998, Peace Implementation Agenda, § 16.7: „[The Council] welcomes the determination of the UN IPTF Commissioner to apply strictly the IPTF’s non-compliance reporting and certification procedures, to make robust use of his powers to decertify police officers who violate provisions of the General Framework Agreement and related documents. [. . .] The Council makes clear that decertified officers may be deprived of the right to serve in any public function in BiH. [. . .]“; IPTF Policy no. P11-2002 „Certification of Law Enforcement Agencies Personnel“: „[. . .] 5. With regard to personal integrity, UNMIBH will 478
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son allerdings auch wieder aberkannt werden (de-certification, de-authorization), woraufhin die zuständige Polizeibehörde den betreffenden Amtsträger unverzüglich aus dem Dienst zu entlassen hatte.483 Es verwundert nicht, dass derartige, für den Betroffenen einschneidende Maßnahmen Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen geworden sind, u. a. vor der Menschenrechtskammer.484
b) Die Dezertifizierungsverfahren Fälle CH/02/10476 u. a.: Hintergrund der „Dezertifizierungsverfahren“ vor der MRK485 waren Konstellationen, in denen Polizeibeamten unter dem Vorwurf verschiedenartigen Fehlverhaltens per Entscheidung der IPTF die Erlaubnis entzogen wurde, im Polizeidienst tätig zu sein (de-certification). Die zuständigen (nationalen) Polizeibehörden entließen daraufhin die Betreffenden aus dem Polizeidienst unter Hinweis auf ihre Verpflichtung zur Kooperation mit IPTF aus Annex 11.486 Da Beschwerden der Betroffenen gegenüber IPTF sowie den relevanten Polizeibehörden fruchtlos blieben, stellte sich die Frage nach etwaigem gerichtlichen Rechtsschutz. Das Verhalten der unteren nationalen Gerichte bot hierbei ein uneinheitliches Bild. Manche Gerichte verweigerten eine Überprüfung des auf der Entscheidung der IPTF basierenden Handelns der nationalen Behörden mit der Begründung, sie seien für rechtliche Kontrolle der Maßnahmen der IPTF nicht zuständig. In anderen Fällen entschieden die Gerichte, dass Entlassungen von Polizisten rechtswidrig zustande gekommen seien und verurteilten die betreffenden nationalen Behörden zur Wiedereinstellung der Beamten. Bisweilen wurden diese Verurteilungen bereits durch die Instanzgerichte bestätigt und sind mithin „final and binding“. Begründet wurden diese Urteile u. a. damit, dass die Polizeibehörden es versäumt hätten, das Fehlverhalten des Betroffenen im Wege eines ordnungsgemäßen Disziplinarverfahrens festzustellen.487 Darüber hinaus sei im nationalen Recht eine IPTFconduct a review of the personal background of each officer using such indicators such as non-compliance reports, performance reports, pending and past criminal convictions, disciplinary records. [. . .]“. Zum Ablauf solcher Verfahren und zur Vorgehensweise von IPTF vgl. Naarden, in: AJIL 97 (2003), S. 346 ff.; International Crisis Group: Policing the Police, S. 51 ff. 483 IPTF Policy no. P10-2002 „Removal of Provisional Authorisation and Disqualification of Law Enforcement Agency Personnel in BiH“: „3. The IPTF Commissioner officially notifies the relevant authorities of the law enforcement agency that an officer’s provisional authorisation has been removed. This notification is accompanied by a formal letter of notification of the removal of provisional authorisation that must be delivered/served expeditiously by the relevant authorities through the proper chain of command to the officer concerned. [. . .] 5. Within seven days of the receipt of notification of the removal of provisional, the head of the relevant law enforcement agency must initiate measures to terminate the officer’s employment under appropriate disciplinary or legal provisions.“ 484 Vgl. International Crisis Group: Policing the Police, S. 54 f. 485 Z. B. CH/02/10476; Case No. CH/03/12932. 486 Siehe Art. IV und V, Annex 11, sowie die darauf basierenden Ausformungen, vgl. unter 4. a). 487 Vgl. den Überblick in CH/03/12932, §§ 46–48 m. w. N.
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Entscheidung nicht als Entlassungsgrund für einen Polizisten vorgesehen. In den Fällen, die in Beschwerden vor der MRK mündeten, wurden demzufolge hauptsächlich Verstöße gegen die Garantie des Rechts auf ein faires Verfahren, Art. 6 (1) EMRK, gerügt.488
Die juristische Aufarbeitung der Dezertifizierungsentscheidungen der IPTF lenkt den Blick nunmehr auf eine weitere Art und Weise des Einwirkens der internationalen Verwaltung auf die nationale Rechtsordnung in Bosnien und Herzegowina. Bislang wurden Möglichkeiten der internationalen Administratoren betrachtet, Rechtsakte auf völkerrechtlicher Basis zu erlassen, die unmittelbar in den nationalen Rechtsraum einwirken, ohne jedoch Teil der nationalen Rechtsordnung zu werden. Daneben wurde festgestellt, dass internationale Instanzen in bestimmten Fällen in der Lage sind, nationale Verfassungsorgane zu substituieren und somit an deren Stelle Rechtsakte vorzunehmen, die der nationalen Rechtsordnung zugerechnet werden, obwohl ihr eigentlicher Urheber der Völkerrechtsordnung entstammt (funktionale Dualiät). Die Betrachtung der Maßnahmen der IPTF lässt nun eine dritte Variante erscheinen. Die Entscheidungen der IPTF über die Dezertifizierung eines Polizeibeamten hat keine unmittelbare Auswirkung auf den rechtlichen Status des Betroffenen – im Gegensatz zu den Amtsenthebungen des HR –, sondern richtet sich an die zuständige Polizeibehörde, welche die Verpflichtung trifft, die Entscheidung der IPTF im Wege eines eigenen Rechtsakts umzusetzen.489 Die eigentliche Entlassung des Betroffenen erfolgt somit formal betrachtet allein durch Rechtsakt der nationalen Behörde.490 Die auf Annex 11 fußende und durch die IPTF ausbuchstabierte Kooperationsverpflichtung besagt, dass der betreffende Behördenleiter unverzüglich nach Bekanntgabe der Dezertifizierung Maßnahmen zu ergreifen hat, um das Beschäftigungsverhältnis des fraglichen Polizisten gemäß geeigneter Disziplinar- oder Rechtsvorschriften zu beenden („. . . under appropriate disciplinary or legal provisions . . .“491). In systematischer Hinsicht erinnert dieses zweistufige Modell an die Funktionsweise von Richtlinien im europäischen Gemeinschaftsrecht, bei denen der internationale Hoheitsträger eine verbindliche Zielvorgabe an die Mitgliedstaaten richtet, die Erreichung des Ziels jedoch in deren eigener Verantwortung nach nationalem Recht zu effektuieren ist, was nicht zuletzt eine „Schonung“ der staatlichen Souveränität der Mitgliedstaaten bewirken soll. Eine etwaige rechtliche Kontrolle eines derartigen Umsetzungsaktes ist dabei von den nationalen Gerichten nach dem jeweiligen Recht des Mitgliedstaats zu leisten, da solche Umsetzungshandlungen grundsätzlich nur diesem zuzurechnen sind und nicht der jeweiligen Internationalen Organisation/
488 489 490 491
CH/02/10476, § 15; CH/03/12932, § 49. Vgl. unter 4. a). CH/03/12932, § 79. Siehe unter 4. a).
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Behörde.492 Die Dezertifizierungsentscheidungen der IPTF könnten in diesem Sinne sozusagen als non-self-executing493 bezeichnet werden. Im Falle Bosnien und Herzegowinas werden in der vorliegenden Konstellation die staatlichen Instanzen also nicht substituiert, auch wird nicht unmittelbar in den nationalen Rechtsraum „hinein regiert“, vielmehr werden die staatlichen Behörden durch verbindliche Weisungen dirigiert.494 Die Menschenrechtskammer hatte nun zu klären, was dieser Umstand von sozusagen „indirekten internationalen Eingriffsakten“ für die Frage einer Rechtskontrolle durch die staatlichen Gerichte zu bedeuten hat bzw. für ihre eigene Zuständigkeit als internationales Justizorgan. Zur Erinnerung: Die MRK hatte in ihrer bisherigen Rechtsprechung eine Überprüfung von Akten internationaler „Herkunft“ konsequent abgelehnt und auch den vom BIHVG entwickelten Substitutionsgedanken bislang von sich gewiesen. Da sich die Zuständigkeit der Kammer ratione personae nur bei einem Konventionsverstoß der Vertragsparteien von Annex 6 (Gesamtstaat oder Entitäten) eröffnen kann, prüfte die Kammer, ob die auf den Entscheidungen der IPTF basierenden Entlassungsmaßnahmen der Behörden dem Staat Bosnien und Herzegowina bzw. der betreffenden Entität überhaupt zugerechnet werden können. Zur Beantwortung der Zurechnungsfrage orientiert sich die Kammer daran, ob die Entlassungsentscheidung einzig und allein auf die Dezertifizierung durch IPTF zurückzuführen ist, oder ob den betroffenen Polizeibehörden trotz der Einschätzung der IPTF ein Spielraum verbleibt für eine eigenständige Tatsachenfeststellung sowie für eine selbstständige Festsetzung der Rechtsfolgen. Letzterenfalls könne die Entscheidung der Behörde dem entsprechenden staatlichen Rechtsträger zugerechnet und dieser für etwaige EMRK-Verstöße verantwortlich gemacht werden, also z. B. für das Fehlen von adäquaten Rechtsschutzmechanismen im Hinblick auf Art. 6 (1) EMRK.495 Die Kammer hat anhand dieser Überlegung im Fall CH/03/12932 die Situation wie folgt beurteilt: Wiewohl Annex 11 sowie die diesen konkretisierenden nachfolgenden Dokumente die Vertragsparteien zur vollständigen Kooperation mit IPTF verpflichteten, so fände sich darin keine ausdrückliche Regelung, dass die IPTF-Entscheidungen von abschließendem und bindendem („final and binding“) Charakter sind und keinesfalls Gegenstand der Überprüfung durch staatliche Stellen werden dür492
Frank, Verantwortlichkeit, S. 183. Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 173. 494 Dieses Erklärungsmodell für die Interaktion von internationaler Treuhandadministration und nationaler Organstruktur ist im Ansatz auch für die Frage der Rechtskontrolle der Rechtsakte der Alliierten durch deutsche Gerichte diskutiert worden, siehe oben unter C. III. 2. a) cc) (1). Für vergleichbare Konstellationen im Rahmen von Besatzungsregimen wurde der Begriff des sog. verdeckten oder auch mittelbaren/indirekten Besatzungsakts verwendet, z. B. Herbst, Rechtsschutz, S. 14, 19. 495 CH/03/12932, § 76. 493
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fen496, wie dies von den Vereinten Nationen sowie dem OHR nachdrücklich gefordert wurde.497 Schließlich seien den IPTF-Regularien zufolge Entlassungen unter Anwendung von „appropriate disciplinary or legal provisions“ vorzunehmen, was darauf schließen lasse, dass die staatlichen Behörden keineswegs nur zu schlichten Vollstreckung einer „Fremdentscheidung“ aufgerufen, sondern als selbstständige Glieder in einen mehrstufigen Prozess eingebunden sind, bei dem sie ihre Kompetenzen auf Grundlage des nationalen Rechts auszuüben und eine darauf basierende Entscheidung zu treffen haben498, welche allerdings nach entsprechender faktischer und juristischer Prüfung auch mit dem Ergebnis enden könne, dass die geforderte Entlassung nicht vorgenommen wird499. Mithin seien die Entlassungsentscheidungen der Polizeibehörden dem Staat Bosnien und Herzegowina bzw. den Entitäten als eigene zuzurechnen sowie auch etwaige damit einhergehende Verstöße gegen Verfahrensgarantien.500 Anders als bei der Funktionsweise von EU-Richtlinien bestünde nach der Auffassung der Kammer für die Behörden also letzten Endes die Möglichkeit, eine gegebene „Direktive“ der IPTF nicht umzusetzen, falls diese im konkreten Falle gegen nationales Recht verstoßen würde. Die MRK hat die Beschwerde 496
CH/03/12932, §§ 82, 83. Vgl. die Korrespondenz des VN-Unter-Generalsekretärs für Peacekeeping-Operationen mit dem HR, der in seinem Schreiben vom 28.05.2003 betont: „[. . .] I should also stress that decisions by the Commissioner of the IPTF, in relation to police certification, remain final and binding. [. . .] I am certain that you would also agree that an attempt to reverse this process would amount to wilfully undermining a central component of the efforts of the international community to bring peace and prosperity to the people of Bosnia and Herzegovina. [. . .]“; siehe den daraufhin ergangenen Brief des Senior Deputy High Representative vom 06.06.2003 an die Premierminister der Entitäten sowie die Innen- und Justizministerien der Entitäten und Kantone: „He expects all relevant authorities in Bosnia and Herzegovina to implement the police certifications completed by UNMIBH. As the United Nations has made clear, this obliges them to uphold fully and completely the decisions reached in that process. Any other course of action would inflict grave damage on the integrity of the foundations that have been laid for democratic law enforcement in this country. [. . .]“; nachzulesen unter CH/03/ 12932, §§ 30, 31. 498 CH/03/12932, §§ 79, 83, 84. 499 Vgl. Naarden, in: AJIL 97 (2003), S. 348. 500 Wohlgemerkt war diese Einschätzung innerhalb der Kammer keineswegs unumstritten. So hielten die Kammermitglieder Picard, Rauschning und Aybay den Staat Bosnien und Herzegovina für nicht verantwortlich für die Entfernung von Polizeibeamten aus dem Staatsdienst. Begründet wurde dies mit den dahingehenden Auslegungen des Annexes 11 durch das OHR sowie die VN, welche die staatlichen Behörden diesbezüglich als lediglich ausführende Organe betrachteten, vgl. CH/03/12932, Annex §§ 3, 4. Dieser Aufassung ist auch die Venedig-Kommission des Europarats, siehe European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Opinion on a possible solution to the issue of decertification of police officers in Bosnia and Herzegovina, 24.10.2005, §§ 34, 35. Die Venedig-Komission empfiehlt nunmehr eine außergerichtliche Regelung des Dezertifizierungsproblems im Wege der Einsetzung eines Kontrollgremiums durch die VN, in dem unabhängige Experten sämtliche Dezertifizierungsverfahren der IPTF einer Überprüfung unterziehen sollen, a. a. O. §§ 53 ff. 497
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des Antragstellers daraufhin ratione personae für zulässig erachtet und an die neu gebildete Menschenrechtskommission des BIHVG zur Begründetheitsprüfung verwiesen, bei der das Verfahren seitdem anhängig ist. Im Ergebnis hat die MRK damit den Weg eröffnet für eine Überprüfung von derartigen (indirekten) Akten der internationalen Verwaltung, gegen die – zumindest wenn sie in vorliegender Art und Weise in Erscheinung treten – der nationale Rechtsweg offen steht (nunmehr bis zur MRK des BIHVG). 5. Akte der SFOR (Annex 1A) a) Stabilisierung durch internationale Militärpräsenz Mit der Resolution 1031 vom 15.12.1995501 mandatierte der VN-Sicherheitsrat die NATO mit der Aufstellung einer multinationalen Implementation Force (IFOR)502, deren Aufgabe in der Durchsetzung der militärischen Aspekte der Friedensregelung nach Annex 1A bestand (Trennung der Streitkräfte der Konfliktparteien, Überwachung des Rückzugs und der Aufbewahrung schwerer Waffen, Kontrolle der Inter-Entitäten-Grenze sowie der Verkehrswege etc.).503 Nach dem Ablauf des einjährigen – weitgehend erfolgreich ausgeführten – Mandats der IFOR, wurde von der NATO am 20.12.1996 eine Nachfolgemission zur weiteren Stabilisierung (Stabilization Force, SFOR) des Landes installiert, die durch den VN-Sicherheitsrat504 als Rechtsnachfolger von IFOR zur weiteren Ausführung von Aufgaben basierend auf Annex 1A und 2 bestellt wurde, insbesondere zur Schaffung eines sicheren Umfelds für die (Aufbau-) Tätigkeit der nationalen Behörden und der internationalen Akteure.505 Die mittlerweile durch EUFOR506 ersetzte SFOR-Mission verfügte zuletzt über eine Truppenstärke von ca. 7.000507 (ursprünglich ca. 32.000) und setzt sich aus Kontingenten von NATO-Mitgliedstaaten sowie Nicht-Mitgliedstaaten unter dem einheitlichen Kommando der NATO zusammen. Neben der Unterstützung der vor Ort tätigen internationalen Organe, wie des HR, der IPTF bzw. EUPM, der OSZE, VN etc. betätigte sich SFOR seit 1997 auch bei der Verhaftung von
501
Resolution des VN-Sicherheitsrats S/RES/1031, 15.12.1995, §§ 14 ff. Hierzu Fink, Implementation Force, S. 1466 ff.; Figà-Talamanca, in: EJIL 7 (1996), S. 164 ff.; Smyrek, Internationally Administered Territories, S. 158 ff.; zum historischen Hintergrund vgl. Weller, in: ZaöRV 56 (1996), S. 70 ff.; Schmalenbach, Haftung, S. 554 ff.; Cousens, in: Cornell Int’l L. J. 30 (1997), S. 799 f., 808. 503 Zur Bewertung Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 54 ff. 504 Resolution des VN-Sicherheitsrats S/RES/1088, 12.12.1996, §§ 18 ff. 505 Vgl. Art. I, Annex 1A; für eine Missionsbeschreibung siehe www.nato.int/sfor/ organisation/mission.htm. 506 Details unter www.euforbih.org/. 507 Datenmaterial unter www.nato.int/sfor/organisation/sfororg.htm. 502
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mutmaßlichen Kriegsverbrechern in Zusammenarbeit mit dem VN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)508. b) Rechtskontrolle durch die MRK? Die beiden nachfolgenden Fälle, bei denen es sich inhaltlich um Rechtsbeeinträchtigungen durch Realakte der SFOR-Truppen handelte, offenbaren wiederum die bereits bekannten Begründungsmuster für die Abweisung von Beschwerden gegenüber Akten internationaler Organe durch die MRK: Mangelnde Zuständigkeit ratione personae im ersteren Fall, in dem SFOR explizit als Verfahrensgegner benannt wurde; keine Zurechnung und mithin keine Verantwortlichkeit für die Akte von SFOR beim zweiten Antrag, der gegen die Föderation Bosnien und Herzegowina, also einen „passenden“ Verfahrensgegner gerichtet wurde (vgl. die zitierten Entscheidungspassagen509). Fall CH/00/4194: Ein Kettenfahrzeug des britischen SFOR-Kontingents hatte bei einer Fahrt auf einer Landstraße den Beschwerdeführer verletzt. Dieser forderte von SFOR erfolglos Schadensersatz in Höhe von 19.000 DM. Der Betroffene beklagte vor der MRK eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 (1) EMRK. „7. The Chamber notes that it can only receive applications directed against the Parties to the Agreement. The British SFOR is not a party to the Agreement and the Chamber cannot find that any of the acts underlying the instant application falls within the responsibility of the possible respondent Parties.“510 Fall CH/00/3771: Im Fall CH/00/3771 forderten die Beschwerdeführer eine Entschädigung für die Verwüstung ihres Grundbesitzes durch militärischen Übungsbetrieb der SFOR. Nach erfolglosen Entschädigungsgesuchen gegenüber den örtlichen SFOR-Stellen, rügten die Betroffenen eine Verletzung ihres Rechts auf eine friedliche Nutzung ihres Grundbesitzes gegenüber der MRK. „19. [. . .] The Chamber notes that the actions complained of by the applicants, the use of their property as a military training range, where carried out exclusively by SFOR. There is no intervention or participation by the respondent Party (or by any of the other Parties to the General Framework Agreement) in those actions. In addition, SFOR, when using the applicant’s property as its training range, cannot be said to be acting as, or on behalf of, the State or the Entities. As a result, the actions giving rise to the present application cannot be considered to be within the scope of responsibility of the respondent Party.“511
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Kritisch hierzu Kleffner, in: International Peacekeeping 5 (1999), S. 80 ff. Bei diesen Fällen geht es um sekundären Rechtsschutz, also um Haftungsfälle, die hier nur zur Veranschaulichung verwendet werden. Zum Haftungsregime von SFOR vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 556 ff. 510 CH/00/4194, § 7. 509
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Demgegenüber spielten sich die beiden nachfolgenden Fälle bereits vor dem Hintergrund des nach dem 11. September 2001 schlagartig auf die internationale Agenda zurückgekehrten Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ab: So gilt Bosnien und Herzegowina seit den kriegerischen Auseinandersetzungen Mitte der Neunzigerjahre u. a. als Sammelbecken und Rückzugsraum für islamistische Fundamentalisten. Fall CH/02/12499: Im Oktober 2002 war der Beschwerdeführer von SFOR-Kräften verhaftet und in Gewahrsam genommen worden. Der Betroffene – im Besitz eines Raketenwerfers – wurde von SFOR verdächtigt, mit dem Terror-Netzwerk Al-Kaida in Verbindung zu stehen sowie terroristische Aktivitäten wie das Ausspähen von SFOR-Einrichtungen durchgeführt zu haben. U. a. aus Furcht vor Auslieferung oder anderweitiger Verbringung ins Ausland (Art. 5 EMRK, Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person) rief der Antragsteller die MRK an, welche im Wege der einstweiligen Anordnung512 die Föderation Bosnien und Herzegowina sowie den Staat Bosnien und Herzegowina verbindlich dazu aufgefordert hat, gegenüber SFOR formell die unverzügliche Überstellung des Antragstellers an die nationalen Behörden zu verlangen. Dazu kam es im Januar 2003. Nach einigen Monaten im Gewahrsam der SFOR unter eingeschränktem Kontakt mit seinem Rechtsbeistand wurde der Betroffene im Februar 2003 schließlich den Behörden der Föderation Bosnien und Herzegowina übergeben. Aus fortdauernder Besorgnis über eine mögliche Ausbürgerung und Auslieferung an das Ausland durch die staatlichen Behörden rügte der Antragsteller vor der MRK u. a. Verstöße gegen Art. 5, 6, 7, 8 EMRK und mahnte die Beachtung der Vorschriften von Art. 3 Prot. Nr. 4 zur EMRK (Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger) sowie Art. 1 Prot. Nr. 7 zur EMRK (Verfahrensrechtliche Schutzvorschriften in Bezug auf die Ausweisung ausländischer Personen) an.
Während sich die Kammer zu den etwaigen aus dem mehrmonatigen SFORGewahrsam resultierenden EMRK-Verstößen mangels Zurechenbarkeit zum bosnischen Staat überhaupt nicht äußert, gesteht sie jedoch zu, dass die beiden Beschwerdegegner grundsätzlich die Pflicht aus Art. 1, Annex 6 trifft, für alle in ihrem Hoheitsbereich befindlichen Personen die Wahrung der EMRK-Gewährleistungen sicherzustellen513. Daraus könne sich auch eine Verpflichtung ergeben, aktiv darauf hinzuwirken, dass EMRK-widrigen Zuständen abgeholfen wird, auch wenn diese durch Organe der internationalen Übergangsverwaltung, wie hier durch SFOR, verursacht worden sind:
511
CH/00/3771, § 19. Zur Möglichkeit der Verhängung vorläufiger Maßnahmen durch die MRK, vgl. Küttler, Menschenrechtskammer, S. 70 f. 513 Art. I, Annex 6: „The Parties shall secure to all persons within their jurisdiction the highest level of internationally human rights and fundamental freedoms, including the rights and freedoms provided in the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and its Protocols and the other international agreements listed in the Appendix to this Annex.“ 512
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„35. The Chamber considers that in this respect the application raises the question as to whether the positive obligation of the respondent Parties to secure the protection of the rights of all persons within their jurisdiction, as enshrined in Article I of the Agreement, required them to take action to protect the applicant’s rights while in the SFOR detention, and, if so, whether they have met that obligation in the applicant’s case.“514
Die Kammer hat sich also nicht näher damit auseinandergesetzt, ob die Vielzahl der vom Beschwerdeführer gerügten Rechtsverletzungen im Einzelnen tatsächlich stattgefunden haben, sondern sie hat sich darauf beschränkt festzustellen, dass beide Beschwerdegegner ihrer per einstweiliger Anordnung der Kammer konkretisierten Verpflichtung zur Sicherstellung von Menschenrechtsgewährleistungen nachgekommen sind, indem sie auf formellem Wege erfolgreich die Überstellung des Antragstellers von SFOR in den Gewahrsam der staatlichen Behörden verlangt haben515, so dass für die Kammer keine Rechtsverletzung durch die Beschwerdegegner zu erkennen war. Die MRK betont mit dieser Vorstellung einer Art indirekten Rechtskontrolle von internationalen Organen implizit die Souveränität des Staates Bosnien und Herzegowina, der sich in Annex 6 zur umfassenden Gewährleistung von Individualrechten verpflichtet hat und somit auch berechtigt und verpflichtet ist, deren Einhaltung von internationalen Verwaltungsorganen einzufordern, wodurch wiederum implizit davon ausgegangen wird, dass die internationalen Organe nicht berechtigt sind, sich über diese Normen hinwegzusetzen, auch wenn eine direkte prozedurale Möglichkeit zur Geltendmachung dieser Rechte gegenüber z. B. SFOR nicht bestehen mag. Die Kammer hat somit zum ersten Mal, wenn auch nur indirekt, angedeutet, dass für die internationalen Akteure eine Rechtsbindung hinsichtlich der in Bosnien und Herzegowina verankerten Grund- und Menschenrechtsgarantien besteht. Und dass der Staat Bosnien und Herzegowina, der die Tätigkeit dieser Organe völkervertraglich erbeten bzw. gewährt hat, im Hinblick auf deren Handlungen nicht etwa vollständig von seiner umfassenden Pflicht zur Sicherstellung dieser Individualrechte entbunden ist, wenn sich die Kammer auch offensichtlich darauf beschränkt, zu überprüfen, ob die staatlichen Stellen sich ausreichend – etwa auf diplomatischem Wege – darum bemüht haben, etwaige Rechtsverletzungen durch internationale Organe abzustellen. Die MRK ist also in diesem Fall von ihrer strengen „Unzuständigkeitsdoktrin“ insoweit ein Stück abgerückt, als dass sie den Versuch unternommen hat, ihre eigene Zuständigkeit im Wege einer Art „Unterlassenskonstruktion“ zu begründen in Konstellationen, in denen eine direkte Überprüfung eines Aktes mangels Zurechnung nicht in Betracht kommt. 514 515
CH/02/12499, § 35. Vgl. CH/02/12499, §§ 10, 35.
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Vor einem ähnlichen Hintergrund spielte sich nachfolgender Fall ab, der schließlich zu einer Verurteilung von Bosnien und Herzegowina sowie der Föderation Bosnien und Herzegowina durch die MRK geführt hat. Fall CH/02/8679: Die Antragsteller sind algerischer Herkunft und lebten seit Mitte der Neunzigerjahre mit ihren Familien in Bosnien und Herzegowina. Im Oktober 2001 wurden sie unter dem Verdacht, einen Terroranschlag auf die Botschaften der USA und Großbritanniens in Sarajevo geplant zu haben, von den staatlichen Behörden verhaftet und in Gewahrsam genommen. Im November 2001 wurden den Antragstellern ihre Staatsbürgerschaft bzw. Aufenthaltsgenehmigung aberkannt. Mitte Januar 2002 beantragten die Betroffenen bei der MRK eine einstweilige Anordnung zur Verhinderung ihrer Abschiebung, Auslieferung oder sonstiger Verbringung ins Ausland. Dem Antrag hat die Kammer am 17. Januar 2002 stattgegeben. Am gleichen Tag sollten die Betroffenen aus der Untersuchungshaft entlassen und auf freien Fuß gesetzt werden. Stattdessen wurden sie Vertretern des US-amerikanischen SFOR-Kontingents übergeben und daraufhin in die Militärgefängnisanlagen auf Guantanamo Bay, Kuba, verbracht. In ihren Hauptsachebeschwerden rügten die Antragsteller Verstöße gegen Art. 5 (1), 6 EMRK und Art. 3 Prot. Nr. 4 zur EMRK (Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger) bzw. Art. 1 Prot. Nr. 7 zur EMRK (Verfahrensrechtliche Schutzvorschriften in Bezug auf die Ausweisung ausländischer Personen) sowie bzgl. der Gefahr der Verhängung der Todesstrafe, Art. 1 Prot. Nr. 6 zur EMRK.
Die MRK erkannte in dem Vorgehen der Beschwerdegegner Verletzungen von Art. 5 (1) EMRK, 6 (2) EMRK, Art. 1 Prot. Nr. 7 zur EMRK, Art. 1 Prot. Nr. 6 zur EMRK und verurteilte den Staat Bosnien und Herzegowina sowie die Föderation Bosnien und Herzegowina unter anderem wie folgt: „333. For these reasons, the Chamber decides, [. . .] 15. [. . .] to order Bosnia and Herzegovina to use diplomatic channels in order to protect the basic rights of the applicants, taking all possible steps to establish contacts with the applicants and to provide them with consular support; 16. [. . .] to order Bosnia and Herzegovina to take all possible steps to prevent the death penalty from being pronounced against and executed on the applicants, [. . .] 17. [. . .] to order both respondent Parties, Bosnia and Herzegovina and the Federation of Bosnia and Herzegovina, to retain lawyers authorised and admitted to practice in the relevant jurisdictions [. . .] in order to take all necessary action to protect the applicants’ rights while in US custody [. . .].“
Anders als im vorangegangenen Fall liegt bei dieser Konstellation wohlgemerkt der Schwerpunkt des problematischen hoheitlichen Handelns auf den Akten des Staates, der die Betroffenen unter Missachtung der einstweiligen Anordnung der MRK an SFOR-Einheiten übergeben und somit aus dem Schutzbereich der heimischen Verfassungsordnung entfernt hat, offensichtlich in einvernehmlichem Zusammenwirken mit SFOR. So betrachtet handelt es sich nicht wirklich um einen Fall der Rechtskontrolle eines internationalen Organs. Der Fall zeigt jedoch, dass Eingriffsbefugnisse solcher eng mit einem Staat ver-
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zahnten Verwaltungsorgane bisweilen nicht nur rechtlich bzw. offiziell verortbar sind, sondern auch faktisch wirken, politisch-diplomatische Abhängigkeiten schaffen und dabei im Einzelfall zu fragwürdigen Rechtsbeschränkungen führen können. Die Verurteilung der Beschwerdegegner durch die MRK stellt mithin gleichermaßen eine Anmahnung der aktiven staatlichen Schutzpflichten dar wie auch einen Akt indirekter Rechtskontrolle eines internationalen Akteurs. Insoweit verdeutlicht auch dieser Fall die Problematik der Interaktion eines Staates mit internationalen Organen, die sich auf rechtlich amorpher Grundlage bewegen und eben diesen Zustand auch bisweilen zu nutzen verstehen, sei es im Stile „wohlwollender Despotie“, sei es aber auch mitunter zur Durchsetzung anderer Ziele.516 6. Bewertung der Rechtsprechung der MRK zur Rechtskontrolle internationaler Verwaltungsorgane a) Das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und Zurechnung517 Ähnlich wie im Falle des EuGMR hängt auch bei der Menschenrechtskammer für BiH die Frage der Zulässigkeit einer Beschwerde entscheidend vom Vorliegen der Zuständigkeit ratione personae ab. Hinsichtlich des EuGMR sind es die EMRK-Vertragsstaaten, denen eine unter ihrer Hoheitsgewalt518 ergangene Konventionsverletzung vorgeworfen werden muss. Für die Zulässigkeit einer Beschwerde vor der MRK muss die Rechtsverletzung in den Verantwortungsbereich einer der drei Parteien von Annex 6 fallen (Gesamtstaat oder Entitäten).519 Die Prüfung der Passivlegitimation eines möglichen Beschwerdegegners kann also mitunter die Frage aufwerfen, ob ein bestimmter Hoheitsakt einem Staat (oder einem Gliedstaat im Falle von BiH) zuzurechnen ist. Dieses Problem stellte sich für den EuGMR520 auf europäischer Ebene, auf der neben 516
Zu diesem Fall International Crisis Group, Courting Disaster, S. 22 f. Völkerrechtlich verantwortlich ist ein Völkerrechtssubjekt, wenn es eine völkerrechtliche Pflicht verletzt hat und ihm diese Pflichtverletzung auch zugerechnet werden kann. Der Aspekt der Zurechnung ist also eine der beiden Komponenten, die eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründen, vgl. Art. 2 ILC Draft Articles on State Responsibility, abgedruckt bei Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, 2002, S. 81. 518 Vgl. Art. 1 EMRK. 519 Art. VIII Nr. 1, Annex 6; dazu Küttler, Menschenrechtskammer, S. 98 ff. 520 Auch für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für Verletzungen der EMRK haben die allgemeinen Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit zu gelten. Vgl. Dörre, Beschwerdegegenstand, S. 116; Frank, Verantwortlichkeit, S. 120, 127 ff.; Zwart, The Admissibility of Human Rights Petitions, The Case Law of the European Commission of Human Rights and the Human Rights Committe, 1994, S. 87 ff.; auch Frowein/ Peukert, EMRK, Art. 5 Rn. 49; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, § 13 II Rn. 42. 517
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den Staaten auch vermehrt Internationale Organisationen Hoheitsrechte ausüben und damit auf die Rechtspositionen von Individuen einwirken. Und sie stellt sich mutatis mutandis für die MRK im Mikrokosmos Bosnien und Herzegowina und seiner besonderen Verflechtung von nationalen und internationalen Hoheitsträgern. Kann somit eine Rechtsverletzung nicht einer der drei Gebietskörperschaften von BiH zugerechnet werden, so greift der von der MRK zu leistende Individualrechtsschutz mangels Zuständigkeit ratione personae nicht ein. Die unterschiedlichen Arten der Einwirkung und der Interaktion von nationalen und internationalen Instanzen sowie die teilweise fließenden Grenzen zwischen der staatlichen Verfassungsordnung und der völkerrechtlich begründeten Verwaltungsstruktur erschweren bisweilen eine Zurechnung von Hoheitsausübung521, was naturgemäß nicht zur Rechtsklarheit beiträgt, insbesondere nicht für das Rechtsschutz suchende Individuum. Die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter Akt den staatlichen Organen von Bosnien und Herzegowina zugerechnet werden kann oder nicht, ist in Ermangelung sonstiger Rechtsschutzmöglichkeiten regelmäßig gleichbedeutend mit der Entscheidung, ob für den Betroffenen überhaupt eine gerichtliche Geltendmachung seiner Rechte in Betracht kommt. Umso größeres Augenmerk verdient mithin die Frage, anhand welcher Kriterien die Rechtsprechung der MRK diese Abgrenzung von nationaler und internationaler Hoheitsgewalt vornimmt. Aus völkerrechtlicher Sicht sind zur Orientierung in dieser Frage etwa folgende Eckpunkte heranzuziehen: Grundsätzlich kann einer Internationalen Organisation ein hoheitliches Handeln nur dann als ein „eigenes“ Handeln zugerechnet werden, sofern diese über eine eigene völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit522 verfügt, also selbst Trägerin von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten ist und mithin als Internationale Organisation im technischen Sinne bezeichnet werden kann. Fehlt einer internationalen Instanz eine eigene Völkerrechtspersönlichkeit, so handelt es sich nicht um ein separates Völkerrechtssubjekt, sondern um ein – möglicherweise institutionell verfestigtes – Organ oder Instrument, dessen sich die Gründungsoder Mitgliedstaaten sozusagen gesamthänderisch523 zur Erfüllung von bestimmten Aufgaben bedienen. Für das Handeln eines solchen Organs bleiben die betreffenden Staaten verantwortlich.524 Zu einer Verlagerung der Verant521 Zu diesem Problem am Beispiel des Kosovo European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Review Mechanisms, § 79 ff. 522 Zum Begriff Frank, Verantwortlichkeit, S. 29 m. w. N. 523 Bleckmann, in: ZaöRV 37 (1977), S. 117. 524 Higgins, The legal consequences for member states of the non-fulfilment by international organizations of their obligations toward third parties, Report and Draft Resolution, I.D.I. Annuaire 66 (1995-I), S. 252: „We may simply say that, if an international organization has no distinct legal personality, it cannot itself be legally liable for obligations even if incurred in its name; and it is likely that the liability will rather
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wortlichkeit auf das internationale Organ kommt es mangels Völkerrechtspersönlichkeit nicht.525 Handelt eine Internationale Organisation mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit, so sind ihre Handlungen auch ihr selbst zuzurechnen, seien es Legislativ-, Exekutiv- oder Realakte mit unmittelbarer Geltung im innerstaatlichen Rechtsraum (self-executing) oder aber Rechtsakte, welche die betreffenden Staaten zu einer Umsetzung in nationales Recht verpflichten (non self-executing).526 Denkbar ist auch, dass Akte von Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen (auch) der Internationalen Organisation zugerechnet werden können, beispielsweise in Fällen, in denen der betreffende Staat einen „internationalen“ Akt in innerstaatliches Recht z. B. gesetzgeberisch umzusetzen bzw. verwaltungstechnisch auszuführen hat: Also wenn zwei Völkerrechtssubjekte im Rahmen eines bestimmten Entscheidungs- oder Handlungsprozesses zusammenwirken und der Staat hierbei möglicherweise lediglich als verlängerter Arm der Internationalen Organisation fungiert. Als ein zentrales Kriterium für eine Zurechnung kann hierbei der Aspekt der Kontrolle527 gelten. Es ist also gegebenenfalls zu klären, ob der Staat oder aber die Internationale Organisation letztlich die effektive Kontrolle über einen bestimmten hoheitlichen Akt inne hatte. Der formale Gesichtspunkt, dass das unmittelbar im innerstaatlichen Rechtsraum handelnde Organ dem Staatsapparat angehört, kann hierbei unter Umständen zweitrangig sein.528 So wird vertreten, dass in Fällen einer nationalen Umsetzung oder Durchführung eines Akts einer Internationalen Organisation, auch der Umsetzungs- oder Durchführungsakt des Staates der Organisation zuzurechnen ist, sofern der Staat hierbei ohne eigenen Ermessensspielraum529 gehandelt hat und die Maßnahme mithin vollständig von der internationalen Ebene determiniert wird.530 Handelt der Staat bei solchen Umsetzungs- oder Ausführungs-
be that of the member states.“; Busch, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für den Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, 2003, S. 88 f., 93, 101, 110; Sarooshi, in: BYIL 74 (2003), S. 310; vgl. z. B. Senator Lines GmbH v. Austria et al., EuGMR, A 56672/00, 10.03.2004, S. 6. 525 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 30, 38, 102, 106, 205, 245 m. w. N. 526 Vgl. Draft Articles on the Legal Consequences for Member States of the Nonfulfilment by International Organizations of their Obligations toward Third Parties, AIDI 1996, S. 445 ff., Art. 3; Frank, Verantwortlichkeit, S. 173, 174 m. w. N. 527 Vgl. Crawford, Articles, § 8, S. 110 ff.; Eagleton, International Organization and the Law of Responsibility, RdC 76 (1950-I), S. 385 f.; Amerasinghe, Institutional Law, S. 241; Hirsch, The Responsibility of International Organizations toward Third Parties, 1995, S. 62 ff.; Hartwig, Haftung, S. 270 ff.; zum Kontrollbegriff bei Militäreinsätzen im Rahmen Internationaler Organisationen Schmalenbach, Haftung, S. 107, 204, 249 f. m. w. N., 368, 585; Busch, Bedeutung, S. 97 ff. 528 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 184, 186, 199 m. w. N. 529 Vgl. Hirsch, Responsibility, S. 83; Quoc Dinh/Dailler/Pellet, Droit International Public, 6. Aufl., 1999, S. 745.
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akten hingegen im Rahmen eines eigenen Ermessensspielraums hinsichtlich Rechtsform, inhaltlicher Ausgestaltung etc. (Beispiel EU-Richtlinie), so kann eine solche Maßnahme nur dem Staat selbst, nicht aber der Organisation zugerechnet werden.531 Schließlich steht noch die Frage im Raum, ob bzw. in welchem Umfang die Mitgliedstaaten einer Internationalen Organisation für die Akte derselben völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden können532. So ist es beispielsweise denkbar, dass eine Internationale Organisation im Wege einer Art „Organleihe533“ einem Staat zum Zwecke der Erfüllung bestimmter Aufgaben (auch hoheitlicher Aufgaben534) ein Organ zur Verfügung stellt. Es kann sich dann die Frage stellen, ob das entliehene Organ bei einer bestimmten Tätigkeit noch als Organ der Organisation gehandelt hat oder aber als Organ des entleihenden Staates aufzufassen ist, mit der Folge, dass ein völkerrechtswidriges Verhalten des Organs nur dem Staat zuzurechnen wäre. Als Entscheidungskriterium in die eine oder die andere Richtung kann einerseits die Frage gelten, ob ein solches Organ bei funktioneller Betrachtung Aufgaben der Internationalen Organisation oder aber Funktionen des betreffenden Staates wahrnimmt. Überdies wäre zu prüfen, ob letztlich der Organisation oder dem Staat die effektive Kontrolle über die Handlungen des Organs zukommt.535 Darüber hinaus wird diskutiert, ob Mitgliedstaaten Internationaler Organisationen für völkerrechtswidrige Akte derselben neben der Organisation parallel („gesamtschuldnerisch“) oder subsidiär verantwortlich536 sein sollen – auch wenn ihnen ein betreffender Akt formal gar nicht zuzurechnen ist –, möglicherweise bereits allein aufgrund der Tatsache, dass sie die Organisation ins Leben 530 Vgl. Krohn v. Kommission, EuGH, Rs. 175/84, Urteil v. 26.02.1986, Slg. 1986, 753 (768); Frank, Verantwortlichkeit, S. 187, zum Beispiel der mitgliedstaatlichen Vollziehung von europäischem Gemeinschaftsrecht vgl. S. 272 m. w. N. Vgl. hierzu aber United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, EuGMR, 133/1996/752/ 951, 30.01.1998, § 29; Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim S¸irketi (Bosphorus Airways) v. Ireland, EuGMR, A 45036/98, 30.06.2005, §§ 152 ff. 531 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 188, zum Beispiel der EU-Richtlinie vgl. S. 275 m. w. N. d. Rspr.; Hirsch, Responsibility, S. 85; Busch, Bedeutung, S. 45. 532 Hierzu umfassend Frank, Verantwortlichkeit, S. 204 ff. 533 Zum Begriff der Organleihe am Beispiel der VN-Zivilverwaltung im Kosovo (UNMIK) vgl. Ruffert, in: ICLQ 50, Part 3 (2001), S. 626 m. w. N.; auch Schmalenbach, Haftung, S. 103 ff. Zu den Voraussetzungen eines Stellvertretungsverhältnisses zwischen Staaten und Internationalen Organisationen siehe Sarooshi, in: BYIL 74 (2003), S. 308 ff. 534 Crawford, First Report on State responsibility, UN Doc. A/CN.4/490/Add.5, 22.07.1998, § 231: „There is no doubt that an organ of an international organization may perform governmental functions for or in relation to States, pursuant to ,delegated‘ powers or even on the authority of the organization itself. But this does not necessarily mean that it is ,loaned‘ to the States concerned, or that those States are responsible for its conduct.“ 535 Frank, Verantwortlichkeit, S. 229, 236.
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gerufen haben. Wenn sich diesbezüglich auch noch keine völkergewohnheitsrechtliche Norm herausgebildet hat537 und im Detail noch vieles umstritten und ungeklärt ist, so ist zumindest festzustellen, dass in Literatur und Praxis mehr und mehr das Bewusstsein zu Tage tritt, dass mit einer Übertragung von Kompetenzen auf Internationale Organisationen die Gefahr entsteht, dass sich die primären Völkerrechtssubjekte, die Staaten, ihrer Verantwortlichkeit entziehen, sei es bei wirtschaftlichen Tätigkeiten oder betreffend der Ausübung von Hoheitsgewalt. b) Das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für die internationale Verwaltung in Bosnien und Herzegowina Wie die kurze Skizze ihrer Rechtsprechung andeutet, hat sich die MRK der Frage der Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung von einem anderen Ausgangspunkt und unter einem anderen Blickwinkel genähert bzw. nähern müssen als das BIHVG. Der hier angesprochenen Judikatur des BIHVG liegt, insbesondere im Hinblick auf die Überlegungen zur funktionalen Dualität, ein vorwiegend staatsrechtlicher Ansatz zugrunde. Das BIHVG stellte sich im Stile eines nationalen Verfassungsgerichts, wie es z. B. auch bisweilen das deutsche BVerfG getan hat, die Frage, ob bestimmte ausgeübte Hoheitsgewalt in der staatlich verfassten Rechtsordnung zu verorten und somit einer verfassungsrechtlichen Kontrolle zugänglich ist oder nicht. Da das Gericht feststellen musste, dass sich z. B. der HR außerhalb der nationalen Verfassungsordnung bewegt, suchte es nach einer dogmatischen Grundlage, um die Trennung von nationalem und internationalem Rechtsraum zu überwinden, arbeitete hierbei die Theorie der funktionalen Dualität heraus und entwickelte somit einen theoretischen Ansatz für eine Rechtskontrolle der internationalen Administration anhand der nationalen Verfassung. Die Menschenrechtskammer, als ein nicht-staatliches Justizorgan mit besonderer Zuständigkeitsregelung ratione personae und ratione materiae ähnlich dem EuGMR, verfolgte demgegenüber einen völkerrechtlichen Ansatz.538 Da 536 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 259 ff. m. w. N.; Busch, Bedeutung, S. 100 ff. Zum Problem der Haftungsverhältnisse zwischen Internationalen Organisationen und ihren Mitgliedstaaten vgl. die Analyse bei Hartwig, Haftung, S. 146 ff., 296 f. 537 Vgl. Amerasinghe, Institutional Law, S. 281. 538 Vgl. Walter, in: AöR 129 (2004), S. 71, der auf die Notwendigkeit hinweist, sowohl den Blickwinkel des Verfassungsrechts als auch den des Völkerrechts bei der Beurteilung derartiger Konfliktlagen zu berücksichtigen: „Der Grundrechtsschutz gegenüber einer international governance, die sich in zunehmendem Maße nicht-staatlich verfasster Hoheitsgewalt bedient, kann allein mit dem traditionellen völkerrechtlichen Instrumentarium nicht bewältigt werden, sondern muss Anleihen im Verfassungsrecht nehmen. Umgekehrt kann allein mit den Mitteln des Verfassungsrechts gleichfalls keine angemessene Lösung erreicht werden, sondern dieses bedarf der Mo-
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ihre Kompetenz nur bei Vorliegen einer EMRK-Verletzung durch eine der drei staatlichen Gebietskörperschaften eröffnet wird, stellte sich für die Kammer bei der Behandlung von Fällen mit Bezug zu internationalen Verwaltungsorganen die Frage nach der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für einen bestimmten Hoheitsakt. Dieser Aspekt mag auf den ersten Blick unspektakulär erscheinen. Man könnte meinen, dass es hierbei wie beim staatsrechtlichen Blickwinkel des BIHVG darum geht, festzustellen, ob ein nationales oder ein internationales Organ gehandelt hat und man danach entscheidet, ob dem Staat eine Handlung zugerechnet werden kann oder nicht. Darin erschöpft sich die völkerrechtliche Dimension dieses Problems allerdings nicht. Wie die obige Skizze bereits angedeutet hat, steckt hinter der Zurechnungsproblematik die Frage, inwieweit sich Staaten als originäre Völkerrechtssubjekte ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für von ihnen geschaffene internationale Organismen entledigen können. Inwieweit also die Rechtskontrolle eines internationalen Organs vor einem internationalen Gericht wie der MRK oder dem EuGMR letztlich bei denjenigen Staaten selbst ansetzen muss, welche das betreffende Organ geschaffen haben und möglicherweise als einzige völkerrechtlich „zurechnungsfähige“ Rechtssubjekte in Betracht kommen. Kurz: Bedeutet Rechtskontrolle internationaler Verwaltungsorgane gegebenenfalls ein Zur-Rechenschaft-Ziehen der dahinter stehenden Staaten?539 Und gibt es auf der anderen Seite möglicherweise Situationen, in denen Staaten ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für Akte ihrer eigenen Organe entgehen können, weil diese durch internationale Hoheitsträger „gesteuert“ werden? Die Kammer hat sich in ihrer Rechtsprechung dieser Facette des Problemfeldes der Rechtskontrolle internationaler Verwaltung wenigstens ansatzweise genähert. So hat die Kammer im oben betrachteten „Dezertifizierungsfall“540 anhand völkerrechtlich vertretbarer Kriterien („Kontrollkriterium“ 541) entschieden, dass die von IPTF veranlasste, aber durch eine nationale Behörde vorgenommene
difikation durch völkerrechtliche Grundsätze.“; ders., a. a. O., S. 77: „Gleichzeitig zeigen aber die Rechtsschutzprobleme gegenüber internationalen Organisationen, dass das Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht nicht als eine Einbahnstraße gedeutet werden kann, bei der nur das Völkerrecht in das nationale Recht hineinwirkt. Vielmehr wächst im Mehrebenensystem umgekehrt auch den verfassungsrechtlich begründeten (mitglied-)staatlichen Rechtsschutzformen eine völkerrechtliche Dimension im Hinblick auf den Grundrechtsschutz in und gegenüber internationalen Organisationen zu.“ 539 Vgl. Walter, in: AöR 129 (2004), S. 54; Frank, Verantwortlichkeit, S. 2; am Beispiel der Rechtskontrolle von Hoheitsakten der Alliierten in West-Berlin in diese Richtung: Herbst, Rechtsschutz, S. 87 ff.; Freitag, Rechtsschutz, S. 38 ff.; Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 17 ff. 540 Siehe V. 4. b). 541 Siehe V. 6. a).
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Entlassungsentscheidung dem Staat zuzurechnen ist, der demzufolge auch für etwaige Rechtsverletzungen dem Betroffenen gegenüber verantwortlich ist542 und sich somit einer Realisierung dieser Verantwortlichkeit vor einem Rechtsschutzsystem wie dem der MRK ausgesetzt sieht. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die konkrete Entlassung träfe demnach nicht die Organisation der Vereinten Nationen als Völkerrechtssubjekt, als dessen Unterorgan man die IPTF-Mission auffassen kann. Problematischer erscheint die Rechtsprechung der MRK bezüglich einer etwaigen Rechtskontrolle der Akte der CRPC543. Eine Urteilspassage sei hier in Erinnerung gerufen: „114. [. . .] the respondent Parties cannot be held responsible under the Annex 6 Agreement for having agreed, by putting their signature under other Annexes of the DPA, to the mandate of certain international bodies (SFOR, OSCE, OHR) and for granting those bodies the powers necessary to carry out their mandate.“544
Lapidar stellt die Kammer fest, der Gesamtstaat und die Entitäten könnten für die Akte von – mit dem Abkommen von Dayton geschaffenen – internationalen Organen nicht bereits deswegen verantwortlich sein, weil sie als Vertragsparteien die entsprechenden Annexe des Rahmenabkommens unterzeichnet haben. Genau das ist aber das Problem.545 Wie die vorangegangenen Ausführungen angedeutet haben, stellt sich aus völkerrechtlicher Sicht prinzipiell die Frage, ob bzw. wann mit der Schaffung von internationalen Organen sowie einer Übertragung von bestimmten hoheitlichen Kompetenzen und Aufgaben auf diese eine Verlagerung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von den Staaten weg, hin zu den internationalen Instanzen selbst einhergeht. Wie gesehen, kommt es für die Frage der Verantwortlichkeitsverlagerung darauf an, ob mit dem betreffenden internationalen Organ ein eigenständiges völkerrechtliches Rechtssubjekt entstanden ist oder nicht. Ist dies nicht der Fall, so bleiben als Zurechnungssubjekte nur die (Gründungs-)Staaten übrig. Die zitierte Urteilspassage der Kammer ist mithin mit Vorsicht zu genießen. Wenn Staaten auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags eine Internationale Organisation im technischen Sinne, also ein selbständiges Völkerrechtssubjekt erschaffen, so ist es grundsätzlich vertretbar, dass die Gründungsstaaten zumindest nicht automatisch für Akte der Organisation verantwortlich gemacht werden können, nur 542 In diese Richtung Gestra v. Italien, EKMR, B 21072/92, 16.01.1995, DR 80-A, 89 (144): „This does not mean, however, that by granting executory power to a judgment of the European Court of Justice the competent German authorities acted quasi as Community organs and are to that extent beyond the scope of control exercised by the Convention organs.“; vgl. auch Gestra v. Italien, EKMR, B 21072/92, 16.01.1995, DR 80-A, 89 (93). 543 Siehe V. 3. b). 544 CH/01/7728, § 114. 545 Vgl. demgegenüber die Urteilspassage aus dem Fall Matthews, unten V. 6. c) cc).
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weil sie diese durch Unterzeichnung des Gründungsabkommens völkerrechtlich ins Leben gerufen haben.546 Insoweit erscheint die Aussage der Kammer plausibel. Die im vorangegangenen Kapitel gemachten Ausführungen zur Rechtsnatur der Behörde des Hohen Repräsentanten haben exemplarisch allerdings aufgezeigt, dass eine völkerrechtliche Klassifizierung der einzelnen Komponenten der „Verwaltungsarchitektur von Dayton“ mitunter erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Für die Frage der Zurechnung bzw. Verantwortlichkeit müssen die in Bosnien und Herzegowina tätigen internationalen Organe gesondert betrachtet werden. Diese unterschiedlichen Instanzen über einen Kamm zu scheren, wie es die Rechtsprechung der Kammer tut („. . . certain international bodies (SFOR, OSCE, OHR) . . .“), erscheint problematisch, weil deren rechtlicher Charakter deutlich differieren kann. So kann man SFOR als ad hoc547 gebildete organisatorische Untergliederung der NATO auffassen. Primäres völkerrechtlich verantwortliches Völkerrechtssubjekt ist mithin die Internationale Organisation der NATO.548 Hinsichtlich der SFOR, in deren Tätigkeit die drei staatlichen Gebietskörperschaften lediglich eingewilligt haben, erscheint es somit vertretbar, wenn die MRK feststellt, dass der Staat Bosnien und Herzegowina für die Akte der SFOR grundsätzlich nicht verantwortlich ist.549 Weniger deutlich ist dies bereits mit Blick auf die OSZE, deren Rechtsnatur selbst schon umstritten ist. Die OSZE wurde vom Gesamtstaat und den Entitäten in Annex 3 damit beauftragt550, demokratische Wahlen vorzubereiten und ein Organ ins Leben zu rufen (Provisonal Election Commission, PEC), welche in diesem Zusammenhang exekutive und legislative Hoheitsgewalt ausüben 546 Selbst hierüber gehen die Meinungen bereits teilweise auseinander, vgl. die Darstellung bei Frank, Verantwortlichkeit, S. 257, der von einer Art „Risikohaftung“ der Mitgliedstaaten spricht, welche nicht an den eigentlichen Akt der Völkerrechtsverletzung der Internationalen Organisation anknüpft, sondern an den Akt der Gründung derselben durch die betreffenden Staaten als zurechenbare Ausübung hoheitlicher Staatsgewalt. 547 Vgl. das Beispiel der VN-“Blauhelmtruppen“: McCoubrey/White, The Blue Helmets: Legal Regulation of United Nations Military Operations, 1996, S. 137; zur Rechtsnatur von SFOR vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 554 f. 548 Daneben ist auch an eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der NATO-Mitgliedstaaten zu denken, die durch Entsendung nationaler Kontingente die SFORTruppe gebildet haben. Zu diesem Problem am Beispiel der VN-Blauhelmtruppen Frank, Verantwortlichkeit, S. 193 ff. m. w. N., zum Beispiel von UNPROFOR vgl. S. 196 f. sowie zum Beispiel der Rapid Reaction Force (RRF) S. 197. Ebenfalls in Betracht zu ziehen ist die Möglichkeit einer Verantwortlichkeit sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Organisation selbst („joint liability“), vgl. Amerasinghe, Institutional Law, S. 258. 549 Vgl. V. 5. b). 550 Art. II Nr. 3, Art. III, Annex 3; Küttler, Menschenrechtskammer, S. 99.
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sollte. Geht man – der wohl überwiegenden Ansicht im Schrifttum folgend – davon aus, dass der OSZE keine Völkerrechtspersönlichkeit zukommt551, an welcher die PEC als Unterorgan Teil haben könnte und nimmt man weiter an, dass die PEC auch nicht mit eigenständiger Völkerrechtspersönlichkeit ausgestattet ist (was der Vertragstext von Annex 3 auch nicht nahe legt), dann stellt sich die Frage, welchem Rechtsträger die Akte dieses Organs zuzurechnen sind, bereits deutlich schwieriger dar. In Betracht kommen dann allenfalls die Mitgliedstaaten der OSZE einerseits sowie die drei Vertragsparteien von Annex 3, welche der OSZE die betreffenden Hoheitsrechte vorübergehend übertragen hatten. Im Falle der oben bereits ausführlicher beleuchteten Behörde des Hohen Repräsentanten552 ist zu vermerken, dass es sich dabei um ein internationales Organ sui generis ohne eigene Völkerrechtspersönlichkeit handelt, welches auch in institutioneller Hinsicht nicht an einen bereits bestehenden sekundären Völkerrechtsträger etwa als dessen Unterorgan „angehängt“ ist. Auch hier sind demzufolge die Vertragsparteien, die dem HR seine Kompetenzen völkervertraglich zugestanden haben,553 als mögliche Zurechnungssubjekte für dessen Handlungen in Betracht zu ziehen. Wohlgemerkt soll an dieser Stelle nicht der Eindruck erweckt werden, das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und Zurechnung sei dogmatisch einfach zu überschauen oder beschränke sich gar auf einen lediglich „richtig“ vorzunehmenden Subsumtionsakt. Die im vorangegangenen Unterpunkt skizzierten abstrakten Eckpunkte können freilich nur eine Sensibilisierung für den gesamten Problemkreis leisten. Festzuhalten ist jedoch, dass die Feststellung der MRK, die durch die genannte Urteilspassage sowie durch die angesprochenen Urteile zum Ausdruck kommt, vor diesem Hintergrund nicht befriedigen kann. Die wiederholte, knappe Aussage, dass die Zuständigkeit der Kammer nur bei Rechtsverletzungen der Parteien von Annex 6 eröffnet sei, die internationalen Organe im Gefüge von Dayton aber eben keine Parteien dieses Abkommens seien, kann nur prima facie überzeugen. Dieser formale Standpunkt der Kammer unterschlägt, dass die Parteien von Annex 6 an der Installation bzw. Schaffung dieser Organe mitunter maßgeblich beteiligt waren und diesen internationalen Instanzen zum Teil erhebliche hoheitliche Befugnisse übertragen haben. Kurz: Die internationale Verwaltungsarchitektur und die drei staatlichen Gebietskörperschaften von Bosnien und Herzegowina stehen sich nicht bezugslos gegenüber. Es wäre vielmehr im Einzelfall mit Blick auf die Rechtsnatur eines internationalen Organs und den Vertragstext des betreffenden Annexes zu prüfen gewesen, inwieweit 551 552 553
Siehe Kap. II. C. I. 4. b). Vgl. Kap. II. C. I. 4. Vgl. Küttler, Menschenrechtskammer, S. 100.
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die Parteien von Annex 6 sich die Akte bestimmter internationaler Organe zurechnen lassen müssen und mithin rechtlich dafür einzustehen haben.554 Dieser Frage ist die Rechtsprechung der MRK nahezu vollständig ausgewichen. Erst die jüngsten Entscheidungen zu den sog. Dezertifizierungsverfahren sowie betreffend die CRPC enthielten ansatzweise Überlegungen zur Frage der Zurechnung, mit teils nachvollziehbaren555 und teils fragwürdigen556 Wertungen. Insbesondere hinsichtlich der Behörde des Hohen Repräsentanten, die sich einerseits betreffend ihrer Rechtsnatur und andererseits bezüglich ihrer ausgesprochen intensiven Ausübung von hoheitlicher Gewalt unter juristischem Blickwinkel als besonders problematisch erweist, verbleibt die Behandlung durch die Rechtsprechung der MRK sehr dürftig. Der bloße Verweis auf die Tatsache, dass das Abkommen von Dayton keine Vorschriften enthalte, die besagten, dass der Staat (Gesamtstaat und Entitäten) in die Handlungen des HR „intervenieren“557, sie also steuern oder kontrollieren dürfte, mag für sich betrachtet ein mögliches (Wortlaut-)Argument gegen eine Verantwortlichkeit des Staates für die Akte des HR sein („Kontrollgesichtspunkt“558). Diesen Aspekt als alleinige Begründung zu verwenden, verkürzt allerdings das hier skizzierte Problem: Das gesamte Abkommen von Dayton enthält keine ausdrückliche Regelung über eine rechtliche Kontrolle der internationalen Verwaltungsorgane. Offensichtlich hat aber die Frage einer solchen Rechtskontrolle in der Praxis einen erheblichen Klärungsbedarf ausgelöst, was die bislang analysierte Rechtsprechung belegt. Es wäre mithin von der MRK als einem internationalen Gerichtsorgan, welches der Überwachung und dem Schutz von Menschen- und Grundrechten anhand der EMRK während einer Übergangsphase in Bosnien und Herzegowina zu dienen bestimmt war, durchaus zu erwarten gewesen, dass sie in ihrer Rechtsprechung ausdrücklich zu der Frage Stellung bezieht, ob es zulässig sein kann, dass durch die staatliche Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Administrationsinstanzen der Staat letztlich – sei es nur vorübergehend – seiner Verpflichtung zur Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte entkommen kann und der Schutz von Individualrechten verkürzt 554 Dieser Gedanke wurde, wenn auch untechnisch und unpräzise, ebenfalls von einigen Antragstellern vor der MRK angedeutet: „Accordingly, the Office of the High Representative must be considered an institution of Bosnia and Herzegovina that was founded and empowered by the Parties and Co-Parties to the Agreement on Civilian Implementation of the Peace Settlement. Moreover, acting as the final authority in theatre, the High Representative is obliged to respect the European Convention on Human Rights (the „Convention“) and its Protocols thereto and the other international agreements listed in the Appendix to Annex 6 of the Dayton Agreement.“, CH/02/ 12466, III. Complaints and Submissions, § 5. 555 Siehe oben V. 4. b) bzgl. der „Dezertifizierungsfälle“. 556 Vgl. V. 3. d). 557 CH/98/1266, § 19; siehe unter IV. 2. 558 Vgl. unter V. 6. a).
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wird bzw. vollständig ausfällt.559 Anders gewendet, ob die Nachkriegs- und Restrukturierungsphase unter der Leitung einer juristisch amorphen internationalen Administration unter weitgehendem Ausschluss von Individualrechtsschutz gegen Akte derselben – im Stile einer Art „Flucht in faktisch verselbständigte internationale Entscheidungsträger“560 – stattfinden kann. Und ob es nicht Aufgabe der Kammer gewesen wäre, sich nach Prüfung der genannten völkerrechtlichen Erwägungen in gegebenen Fällen für zuständig zu erklären und mithin etwaig auftretende Rechtsschutzlücken zu schließen. c) Die Rechtsprechung der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Dass sich die MRK – zumindest soweit sich dies dem Text ihrer Urteile entnehmen lässt – mit diesen Kernfragen des Rechtsschutzes gegenüber internationaler Hoheitsgewalt höchstens am Rande beschäftigt hat, verwundert umso mehr, da der EuGMR (zuvor die EKMR), als dessen vorübergehender institutioneller „Ableger“ die MRK fungieren sollte und an dessen Rechtsprechung sie sich ansonsten ganz wesentlich orientiert hat561, für diese Problematik ein deutliches Bewusstsein entwickelt hat. Die EKMR sowie der EuGMR haben sich dieser Fragestellung auf verschiedenen Stufen genähert. aa) Stufe 1: Die Frage der Zuständigkeit ratione personae Ausgangspunkt des Problems ist die grundsätzliche Unzuständigkeit der Organe der EMRK zur Überprüfung der Akte Internationaler Organisationen, da diese im Gegensatz zu Staaten bislang nicht Mitglieder der EMRK werden können. Vor diesem Hintergrund hat die EKMR in Beschwerdefällen, die sich gegen Akte Internationaler Organisationen richteten, regelmäßig deren Passivlegitimation und mithin ihre eigene Zuständigkeit ratione personae verneint.562 „La Commission relève que les Communautés européennes ne sont pas Partie Contractante à la Convention européenne des droits de l’homme (article 66 de la Convention). Dans cette mesure, l’examen des griefs de l’organisation requérante échappe à la compétence ratione personae de la Convention.“563 559 Vgl. Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 4 II Rn. 5; Frank, Verantwortlichkeit, S. 90; Walter, in: AöR 129 (2004), S. 54; Walter, in: GYIL 44 (2001), S. 196 ff.; Reinisch, International Organizations, S. 281 ff. 560 Walter, in: AöR 129 (2004), S. 63; vgl. auch Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 90; Den Rechtsgedanken des Verbots einer Verantwortlichkeitsverlagerung von Staaten bei der Ausübung von Hoheitsgewalt spiegelt z. B. auch Art. 5 ILC Draft Articles on State Responsibility (2001) wieder. 561 Küttler, Menschenrechtskammer, S. 236 sowie der gesamte Rechtsprechungsüberblick dort auf S. 177 ff. 562 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 170, 267; Busch, Bedeutung, S. 43.
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Dies entspricht mutatis mutandis der Rechtsprechung der Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina, die sich bei Beschwerden gegenüber Akten internationaler Verwaltungsinstanzen regelmäßig in diesem Stile für unzuständig erklärt hat. bb) Stufe 2: Die Zurechnungsfrage Die EKMR hat jedoch auch festgestellt, dass sich die Frage einer Rechtskontrolle der Akte Internationaler Organisationen anhand der EMRK nicht in jedem Falle in der Feststellung der Unzuständigkeit ratione personae erschöpfen muss: „Pour autant que la requête est dirigée contre chacun des Etats membres des Communautés européennes qui sont en même temps Parties Contractantes à la Convention, il pourrait se poser la question de savoir si l’acte mis en cause, accompli par un organe des Communautés européennes, est susceptible d’engager la responsabilité des neuf Etats membres des Communautés européennes sur le terrain de la Convention [. . .]“564
Ist also eine Beschwerde gegen die Mitgliedstaaten einer Internationalen Organisation gerichtet, welche gleichzeitig EMRK-Vertragsstaaten sind, so ist die Zuständigkeit ratione personae gegeben.565 Es kann sich dann die Frage stellen, ob die Mitgliedstaaten möglicherweise für einen Akt einer Internationalen Organisation verantwortlich gemacht werden können566, was im Einzelfall zu prüfen wäre. Die EKMR erweiterte damit also den Gesichtskreis ihrer Betrachtungen auf den Aspekt der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und dessen wesentlichen Bestandteil, die Frage der Zurechnung eines Aktes zu einem betreffenden Völkerrechtssubjekt. Die im vorliegenden Kontext interessierenden Eckwerte der Frage der völkerrechtlichen Zurechnung sind oben kurz skizziert worden.567 Die EKMR hat sich somit in verschiedenen Konstellationen mit der im Einzelfall mitunter komplexen Frage nach einer Zurechnung der Akte internationaler Organisationen/Organe an betreffende Mitgliedstaaten beschäftigt.568 Oft563 Conféderation Française Démocratique du Travail (CFDT) c. Communautés européennes et leurs Etats membres (collectivement et individuellement), EKMR, B 8030/77, 10.07.1978, DR 13, 231 (235); Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 1 Rn. 15; Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 1 Rn. 8. 564 Conféderation Française Démocratique du Travail (CFDT) c. Communautés européennes et leurs Etats membres (collectivement et individuellement), EKMR, B 8030/77, 10.07.1978, DR 13, 231 (236); vgl. auch Fastenrath, Passivlegitimation der EG und ihrer Mitgliedstaaten in Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte, in: EuGRZ 6 (1979), S. 534 ff. 565 Zur Möglichkeit einer Beschwerde in Straßburg gegen das Kollektiv der EUMitgliedstaaten vgl. Busch, Bedeutung, S. 87. 566 Vgl. Walter, in: AöR 129 (2004), S. 61; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 13 Rn. 42; § 4 Rn. 4 ff. 567 Siehe unter a).
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mals hat die Kommission eine Zurechenbarkeit verneint, schließlich stand regelmäßig die eigenständige Völkerrechtspersönlichkeit der fraglichen Organisation der Zurechnung an einen Staat im Wege. Bei der Frage, inwieweit Mitgliedstaaten für die innerstaatliche Durchsetzung von auf internationaler Ebene „vordeterminierten“ Akten (z. B. EU-Richtlinien) selbst verantwortlich sind, ist die EKMR allerdings über die allgemeinen völkerrechtlichen Lösungsansätze („Kontrollkriterium“569) noch hinausgegangen: „Under Article 1 of the Convention the Member States are responsible for all acts and omissions of their domestic organs allegedly violating the Convention regardless whether the act or omission in question is a consequence of domestic law or regulations or of the necessity to comply with international obligations.“570
Die Kommission ging hierbei von einer grundsätzlichen Zurechenbarkeit und somit Verantwortlichkeit eines Staates für die Akte seiner Staatsorgane aus, gleichgültig ob diese durch ihr Handeln lediglich internationale Verpflichtungen (z. B. zur Umsetzung einer Richtlinie) erfüllen und ungeachtet dessen, ob sie dabei einen Ermessensspielraum besitzen oder nicht.571 Im Hinblick auf die Gefahr, dass sich der Individualrechtsschutz auf Grundlage der EMRK wegen der zunehmenden Verlagerung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf internationale Hoheitsträger schlichtweg „verliert“, erhält die Kommission mithin den Staat als Zurechnungssubjekt so weit es geht, wenn dies auch im Einzelfall den eher klassisch völkerrechtlichen Überlegungen von Zurechnung und Kontrolle zuwiderläuft.572 Wohlgemerkt haben sich die EKMR bzw. nachfolgend der EuGMR durch die nähere Beleuchtung der Frage der Zurechnung nicht etwa flächendeckend an ihrer eigenen Zuständigkeitsordnung vorbeigewunden. Die diesbezügliche Rechtsprechung hat diese Zuständigkeitsordnung vielmehr präzisiert und verdeutlicht, dass die Frage einer Rechtskontrolle des Handelns von Internationalen Organisationen anhand eines Rechtsschutzsystems wie desjenigen der EMRK mitunter einer profunden Analyse der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der in Rede stehenden primären und sekundären Völkerrechtssubjekte bedarf.
568 Vgl. Heinz v. Contracting States also Parties to the European Convention, EKMR, B 21090/92, 10.01.1994, DR 76-A, 125 (127); X c. Schweden, BRD u. a. Staaten, EKMR, B 2095/63, 15.07.1965, YB 8 (1965), 272 (280), zu letzterem Dörre, Beschwerdegegenstand, S. 119. 569 Vgl. unter a). 570 M. & Co. v. BRD, EKMR, B 13258/87, 09.02.1990, DR 64, 138 (145) („Melchers“). 571 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 277; Busch, Bedeutung, S. 112; auch Procola v. Luxemburg, EKMR, B 14570/89, 01.07.1993, DR 75, 5 (12). 572 Vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 200, 272, 281.
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cc) Stufe 3: Übertragung von Hoheitsrechten versus Menschenrechtsgewährleistungen Abgesehen von der im Einzelfall nicht immer einfach zu beantwortenden Frage, wem im Spannungsfeld von Internationaler Organisation und Mitgliedstaaten ein bestimmter Hoheitsakt zugerechnet werden kann, hat die EKMR die Frage der Verantwortlichkeit der EMRK-Mitgliedstaaten für Akte Internationaler Organisationen noch unter einem weiteren Blickwinkel beleuchtet. Nämlich unter dem Gesichtspunkt, inwieweit sich durch den staatlichen Akt der Übertragung von konventionsrelevanten Hoheitsrechten auf Internationale Organisationen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der EMRK auf Ebene der Internationalen Organisation gleichsam perpetuiert.573 Die Kommission hat dabei zunächst festgestellt, dass die EMRK eine Übertragung von Hoheitsrechten auf Internationale Organisationen grundsätzlich nicht verbietet.574 Allerdings hat die Kommission auf das völkervertragsrechtliche Problem hingewiesen, dass ein Staat seinen Verpflichtungen aus einem zeitlich früheren Vertrag (z. B. EMRK) nicht einfach durch Abschluss eines zeitlich nachfolgenden Vertrags (z. B. Gründungssatzung einer Internationalen Organisation) entgehen kann (pacta sunt servanda, vgl. Art. 26, 30 WVK), ohne den ersteren zu verletzen575: „Whereas it is clear that, if a State contracts treaty obligations and subsequently concludes another international agreement which disables it from performing its obligations under the first treaty, it will be answerable for any resulting breach of its obligations under the earlier treaty.“576
Daraus hat die Kommission den Schluss gezogen, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten auf Internationale Organisationen nur dann mit der EMRK vereinbar ist, wenn auf Ebene der Organisation ein der EMRK äquivalenter Individualrechtsschutz besteht. Dafür, dass ein solcher geschaffen wird, tragen die EMRK-Mitgliedstaaten die Verantwortung. „The Commission considers that a transfer of powers does not necessarily exclude a State’s responsiblity under the Convention with regard to the exercise of the 573
Vgl. Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2004, Rn. 446. M. & Co. v. BRD, EKMR, B 13258/87, 09.02.1990, DR 64, 138 (145): „It has next to be observed that the Convention does not prohibit a member State from transferring powers to international organizations.“ 575 Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 4 Rn. 4; § 17 Rn. 9. Hierzu auch Blumenwitz, in: EuGRZ 3 (1975), S. 497 f.; zu diesem Problem des Völkervertragsrechts am Beispiel EG/EMRK siehe Ress, in: ZeuS 2 (1999), S. 474 ff.; Busch, Bedeutung, S. 41 f., 105; Schermers, in: CMLR 27 (1990), S. 251 f. 576 X v. BRD, EKMR, B 235/56, 10.06.1958, YB 2 (1958–1959), 256 (300); vgl. Ress, in: ZeuS 2 (1999), S. 476; zu den Kritikpunkten dieser Entscheidung Busch, Bedeutung, S. 50 f.; siehe auch Lindsay and others v. United Kingdom, EKMR, B 8364/78, 08.03.1979, YB 22 (1979), 344; EKMR, App. No. 11123/84, Tête v. France, EKMR, B 11123/84, 09.12.1987, DR 54, 52. 574
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transferred powers. Otherwise the guarantees of the Convention could wantonly be limited or excluded and thus be deprived of their peremptory character [. . .] Therefore the transfer of powers to an international organisation is not incompatible with the Convention provided that within that organization fundamental rights will receive an equivalent protection.“577
Als problematisch erwies sich nun die Frage, ob bzw. wie diese Verpflichtung der Staaten zum „Grundrechtsexport“578 auf die internationale Ebene konventionsrechtlich zu überprüfen ist. Für eine direkte Rechtskontrolle von Akten Internationaler Organisationen (z. B. sekundären Gemeinschaftsrechts) hielt sich die Kommission ratione personae ja nicht für kompetent, da Internationale Organisationen keine Vertragsparteien der EMRK sind bzw. sein können. Andererseits sind die Akte Internationaler Organisationen den Mitgliedstaaten regelmäßig nicht zurechenbar. Die Kommission hat dieses Problem dahingehend gehandhabt, dass sie in betreffenden Fällen nicht etwa eine einzelfallbezogene Prüfung der Vereinbarkeit eines bestimmten Organisationsakts mit der EMRK vorgenommen, sondern versucht hat, im Wege einer abstrakten Prüfung579 festzustellen, ob das Rechtsregime der Internationalen Organisation einen der EMRK äquivalenten Grundrechtsschutz in einem betreffenden Bereich zu leisten in der Lage ist580, d. h. ob die vom Beschwerdeführer geltend gemachten EMRK-Rechte durch die Internationale Organisation im Allgemeinen garantiert und beachtet werden581. Stellte die Kommission eine solche „equivalent protection“ auf Ebene der Organisation fest, erklärte sie die Beschwerde für unzulässig. Der betreffende Mitgliedstaat war dann aus seiner Verantwortung vor der EMRK sozusagen „entlassen“.582 577 M. & Co. v. BRD, EKMR, B 13258/87, 09.02.1990, DR 64, 138 (145). Hierzu Busch, Bedeutung, S. 48 ff.; Ress, in: ZeuS 2 (1999), S. 482; diese Prämisse wurde bestätigt in EKMR, B 21090/92, Heinz v. Contracting States also Parties to the European Convention, 10.01.1994, DR 76, 125 (128). Eine Prüfung des Vorhandenseins einer „equivalent protection“ auf der Ebene einer Internationalen Organisation fand z. B. statt in den Fällen Beer und Regan v. Germany, EuGMR, B 28934/95, §§ 63 ff.; Waite und Kennedy v. Germany, EuGMR, B 26083/94, 18.02.1999, EuGRZ 26 (1999), 207; Lenzing AG v. United Kingdom, EKMR, B 38817/97, 09.09.1998, Lenzing AG v. Germany, EKMR, B 39025/97, 09.09.1998; Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim S¸irketi (Bosphorus Airways) v. Ireland, EuGMR, A 45036/98, 30.06.2005, §§ 152 ff. 578 Walter, in: AöR 129 (2004), S. 78. 579 Hierzu Frank, Verantwortlichkeit, S. 298 f.; Frowein/Peukert, EMRK, Einführung, Rn. 15. 580 M. & Co. v. BRD, EKMR, B 13258/87, 09.02.1990, DR 64, 138 (145); Heinz v. Contracting States also Parties to the European Convention, EKMR, B 21090/92, 10.01.1994, DR 76-A, 125 (128); Beer und Regan v. Germany, EuGMR, B 28934/95, § 77 ff.; vgl. auch Busch, Bedeutung, S. 108. 581 Frank, Verantwortlichkeit, S. 301. 582 Zu den Anforderungen an ein solches Äquivalent Frank, Verantwortlichkeit, S. 308.
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Ob im Einzelfall ein Organisationsakt nun als EMRK-konform oder -widrig zu betrachten war, ließ die Kommission hierbei ungeprüft. Diese Vorgehensweise der EKMR sah sich der Kritik ausgesetzt, dass bei der Feststellung eines grundsätzlich adäquaten Rechtsschutzes auf Organisationsebene eine etwaige EMRK-Verletzung im Einzelfall ungerügt bleibt und die Gewährleistungen der EMRK im Einzelfall eben doch leer laufen können.583 Nichtsdestoweniger ist dieser Rechtsprechung jedoch das deutliche Bemühen anzuerkennen, mit den vorhandenen prozessualen Mitteln konventionsfreien Räumen auf internationaler Ebene entgegenzuwirken. Die Rechtsprechung des EuGMR ist im Fall Matthews584 einen Schritt weiter gegangen. Zugrunde gelegt hat das Gericht ebenfalls die Prämisse, dass die EMRK-Mitgliedstaaten verpflichtet und dafür verantwortlich sind, durch staatliche Akte, auch durch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge und die Übertragung von Hoheitsrechten auf Internationale Organisationen, keine konventionswidrigen Zustände zu schaffen585: „31. The Court must nevertheless consider whether, notwithstanding the nature of the elections to the European Parliament as an organ of the EC, the United Kingdom can be held responsible under Article 1 of the Convention for the absence of elections to the European Parliament in Gibraltar, that is, whether the United Kingdom is required to ,secure‘ elections to the European Parliament notwithstanding the Community character of those elections. 32. The Court observes that acts of the EC as such cannot be challenged before the Court because the EC is not a Contracting Party. The Convention does not exclude the transfer of competences to international organizations provided that Convention rights continue to be ,secured‘. Member States’ responsibility therefore continues even after such a transfer.“586
Der Fall betraf den Ausschluss einer britischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Gibraltar von den Wahlen zum Parlament der Europäischen Union587 unter Verletzung von Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK. Diese Konven583 Zu den verschiedenen Kritikpunkten dieser Rechtsprechung vgl. Frank, Verantwortlichkeit, S. 298 ff. 584 Ausführlich hierzu Busch, Bedeutung, S. 54 ff.; Rudolf, Denise Matthews v. The United Kingdom, Application No. 24833/94, in: AJIL 93 (1999), S. 682 ff. 585 Vgl. Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 4 Rn. 4, § 17 Rn. 9; Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S. 33; Bartelt/Zeitler, in: EuZW 14 (2003), S. 714; Bröhmer, in: EuZW 13 (2002), S. 353; Bröhmer, Völkerrechtliche Immunität, S. 91; Ress, Das Europarecht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, in: Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht (Hrsg.), Die europäische Verfassung im globalen Kontext, 2004, S. 13, 28. 586 Matthews v. The United Kingdom, EuGMR, A 24833/94, 18.02.1999, abgedr. in EuGRZ 26 (1999), 200, §§ 31, 32. 587 Vgl. Peters, Menschenrechtskonvention, S. 89; Ress, in: ZeuS 2 (1999), S. 477; Ress, Das Europarecht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in
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tionsverletzung wurde verursacht durch den Direktwahlakt von 1976 sowie durch die Ausweitung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments durch den Vertrag von Maastricht588, also durch zwei völkerrechtliche Übereinkommen, welche Großbritannien (neben anderen EU-Mitgliedern) abgeschlossen hatte. Die Verantwortlichkeit Großbritanniens als EMRK-Mitgliedstaat besteht aber auch nach etwaiger Übertragung von Kompetenzen auf die EU/EG fort.589 Mithin hat das Gericht Großbritannien für verantwortlich für den Konventionsverstoß erkannt und verurteilt: „34. [. . .] In particular, the suggestion that the United Kingdom may not have effective control over the state of affairs complained of cannot affect the position, as the United Kingdom’s responsibility derives from its having entered into treaty commitments subsequent to the applicability of Article 3 of Protocol No. 1 to Gibraltar, namely the Maastricht Treaty taken together with its obligations under the Council Decision and the 1976 Act [. . .]. 35. It follows that the United Kingdom is responsible under Article 1 of the Convention for securing the rights guaranteed by the Article 3 of Protocol No. 1 in Gibraltar regardless of whether the elections were purely domestic or European.“590
Der EuGMR hat mithin festgestellt, dass die Mitgliedstaaten der EMRK für Konventionsverletzungen verantwortlich bleiben, wenn sie Kompetenzen auf eine Internationale Organisation übertragen, welche es dieser erlauben, in konventionsgeschützte Rechte des Einzelnen einzugreifen und auf Ebene der Organisation kein adäquater Rechtsschutz vorhanden ist.591 Dies stellte sich in dieStrassburg, in: Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht (Hrsg.), Die europäische Verfassung im globalen Kontext, 2004, S. 19 f. 588 Matthews v. The United Kingdom, EuGMR, A 24833/94, 18.02.1999, abgedr. in EuGRZ 26 (1999), 200, § 33. 589 Vgl. Peters, Menschenrechtskonvention, S. 33; Walter, in: ZaöRV 59 (1999), S. 978 f. 590 Matthews v. The United Kingdom, EuGMR, A 24833/94, 18.02.1999, abgedr. in EuGRZ 26 (1999), 200, §§ 34, 35. Vgl. demgegenüber die Urteilspassage der MRK im Fall CH/01/7728, § 114, oben V. 3. d). 591 Vgl. auch Waite und Kennedy v. Germany, EuGMR, B 26083/94, 18.02.1999, EuGRZ 26 (1999), 207, § 67: „The Court is of the opinion that where States establish international organisations in order to pursue or strengthen their cooperation in certain fields of activities, and where they attribute to these organisations certain competences and accord them immunities, there may be implications as to the protection of fundamental rights. It would be incompatible with the purpose and object of the Convention, however, if the Contracting States where thereby absolved from their responsibility under the Convention in relation to the field of activity covered by such attribution. It should be recalled that the Convention is intended to guarantee not theoretical or illusory rights, but rights that are practical and effective.“; vgl. Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 4 Rn. 5; De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 189; Wellens, Remedies, S. 214 f.; Ress, in: ZeuS 2 (1999), S. 484 f.; Ress, Europarecht, S. 16; in diesem Kontext auch Senator Lines GmbH v. Austria et al., EuGMR, A 56672/00, 10.03.2004; hierzu ausführlich Busch, Bedeutung, S. 73 ff.; Société Guérin Automobiles c. 15 Etats de l’Union Européenne, EuGMR A 51717/99, 04.07.2000.
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sem Fall so dar, da weder der Direktwahlakt von 1976 noch der Vertrag von Maastricht als Akte des europäischen Primärrechts vor dem EuGH angreifbar waren.592 Der EuGMR hat mithin die von der EKMR entwickelte Doktrin der „equivalent protection“ angewendet und ist dabei konsequenterweise zur Feststellung der Verantwortlichkeit eines Mitgliedstaats gelangt, mangels adäquater Rechtsschutzmöglichkeiten für eine bestimmte EMRK-Gewährleistung auf der EU/EG-Ebene. Diese dogmatische Konstruktion führt also nicht etwa dazu, dass Akte Internationaler Organisationen unmittelbar Prüfungsgegenstand eines Verfahrens werden, schließlich mangelt es Internationalen Organisationen an der Passivlegitimation vor dem EuGMR. Angeknüpft wird vielmehr an ein Unterlassen der Mitgliedstaaten, also an deren etwaiges Versäumnis, bei der Errichtung eines internationalen Rechtsregimes einen EMRK-äquivalenten Individualrechtsschutz installiert zu haben, wobei der Akt der Organisation mittelbar Verfahrensgegenstand wird und dem EuGMR ermöglicht wird, den Staat dazu zu verurteilen, auf eine Beseitigung der Konventionsverletzung hinzuwirken.593 d) Fazit Auch ein vergleichender Blick auf die Rechtsprechung der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lassen die Handhabung der Frage einer Rechtskontrolle internationaler Hoheitsgewalt durch die Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina zumindest oberflächlich erscheinen. Nun soll an dieser Stelle nicht der Eindruck erweckt werden, man könne die Rechtsprechung der EMRK-Organe im gleichen Maßstab auf die Situation in Bosnien und Herzegowina übertragen, zumal die MRK an die Rechtsprechung des EuGMR nicht gebunden war. Der bosnische Mikrokosmos mit seinen nationalen und internationalen Elementen weist neben seinen zahlreichen Besonderheiten allerdings auch sehr ähnliche Konfliktlagen im Spannungsfeld von staatlicher und „überstaatlicher“ hoheitlicher Gewalt auf, die einen solchen Vergleich rechtfertigen, wenn nicht zwingend erfordern. Kurz gefasst: In Annex 4 verankert der vollständig souveräne (!) Staat Bosnien und Herzegowina die Gewährleistungen der EMRK als unmittelbar in seiner Verfassungsordnung geltendes Recht. In Annex 6 überantwortet dieser Staat die Überwachung dieser Rechte (bis zur vollständigen Eingliederung in das Rechtsschutzsystem der EMRK) internationalen Kontrollinstanzen. Und in Annex 10 „überträgt“ der Staat Befugnisse auf eine interna592 Matthews v. The United Kingdom, EuGMR, A 24833/94, 18.02.1999, abgedr. in EuGRZ 26 (1999), 200, § 33; vgl. auch Frank, Verantwortlichkeit, 1999, S. 312. 593 Walter, in: AöR 129 (2004), S. 62, 63, 78; vgl. Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 447.
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tionale Verwaltungsbehörde (bzw. stimmt nachfolgenden Kompetenzausweitungen zu), deren eigene Rechtsbindung und -kontrolle ungeregelt sind. Festzustellen ist, dass sich die Rechtsprechung der MRK im Kontext der Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung fast ausschließlich auf der oben als „Stufe 1“ bezeichneten Ebene aufhielt. Dabei wurden Beschwerden gegenüber internationalen Verwaltungsinstanzen regelmäßig wegen Unzuständigkeit ratione personae abgewiesen, da die internationalen Instanzen gemäß Annex 6 keine Beschwerdegegner in Verfahren vor der MRK sein können, sondern nur Gesamtstaat und Entitäten. Nun ist es aber so, dass die den nationalen Verfassungsraum von Bosnien und Herzegowina quasi überwölbende Verwaltungsstruktur gar nicht aus eigenständigen Völkerrechtssubjekten besteht. Es handelt sich vielmehr um eine Reihe von völkerrechtlich unselbständigen internationalen Organen, die entweder als Unterorgane bestimmter Internationaler Organisationen einzuordnen sind oder eben nicht. Besteht wie im letzteren Falle keine Anbindung an ein sekundäres Völkerrechtssubjekt, so kann sich das betreffende Organ in Ermangelung eigener Rechtspersönlichkeit nur als ein Instrument von primären Völkerrechtssubjekten, also Staaten, darstellen. Für die Handlungen dieser rechtlich unselbständigen Organe können dann nur diejenigen Staaten verantwortlich sein, die diesen Organen bestimmte Kompetenzen übertragen haben. Die Staaten als originäre Träger von Hoheitsgewalt sind dann die (einzigen) Zurechnungssubjekte, wenn derartige Organe staatliche Hoheitsgewalt anstelle der Staaten ausüben. Schließlich kann es nach Völkergewohnheitsrecht nicht sein, dass für einen völkerrechtswidrigen Akt, und sei es eine Verletzung von Menschenrechtsgarantien, überhaupt kein verantwortliches Rechtssubjekt existiert.594 Genau das wäre aber de facto die Konsequenz der Rechtsprechung der MRK. Denn wollte man den Kontrollgesichtspunkt, den die MRK in ihrer Rechtsprechung erwähnt595, als alleiniges Zurechnungskriterium in den Vordergrund stellen, so wäre an eine Verantwortlichkeit des PIC, welches über betreffende Gremien die Tätigkeit des HR in politischer Hinsicht global steuert, für die Handlungen des HR zu denken. Das würde bedeuten, die Verantwortlichkeit für ein nicht völkerrechtsfähiges Organ an seinen direkten völkervertraglichen Urhebern vorbei auf einen vielköpfigen ad hoc-Zusammenschluss der Staatengemeinschaft abzuwälzen. Die Konsequenz wäre eine auf juristischem Wege faktisch nicht zu realisierende, atomisierte gesamthänderische Verantwortlichkeit der im PIC versammelten Staaten und Internationalen Organisationen.
594 Vgl. Case concerning the Factory of Chorzów (Germany v. Poland), Judgement of 13 September 1928, PCIJ Series A, No. 17, 4 (29); Frank, Verantwortlichkeit, S. 304. 595 Vgl. unter V. 3. d).
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Wie die historischen und zeitgenössischen Beispiele aus dem Bereich der Besatzungsbehörden596, des Mandats- bzw. Treuhandregimes597 oder der VN-Direktverwaltungen im Kosovo598 oder in Ost-Timor599 belegen, so üben derartige internationale Territorialverwaltungsbehörden regelmäßig abgeleitete Hoheitsgewalt aus, ohne selber völkerrechtsfähig zu sein. Gleiches gilt für die Zivilverwaltungsbehörde des Hohen Repräsentanten. Lediglich die Frage, wessen Hoheitsgewalt durch den HR „abgeleitet“ ausgeübt wird, ist aufgrund seiner diffizilen rechtlichen Konstruktion schwieriger zu beantworten. Auf den ersten Blick könnte man sich mithin der Auffassung von Crawford anschließen: „Despite the rather reserved way in which the mandate of the High Representative is defined in article II of annex 10, there is no doubt that the High Representative is exercising governmental authority in Bosnia and Herzegovina. Which entity is ultimately responsible for his activity is, however, unclear.“600
Bei genauerer Betrachtung liegt jedoch folgende Überlegung nahe: Im Gegensatz zu den Konstruktionen von Besatzungs-, Mandats- oder VN-Treuhandverwaltungsregimen wurde bei der Installation der Verwaltungsstruktur von Dayton von der grundsätzlich vollständigen Souveränität des Staates Bosnien und Herzegowina ausgegangen. Die Erhaltung von Bosnien und Herzegowina als einheitliches und voll souveränes Mitglied der Vereinten Nationen war die zentrale Prämisse der gesamten Friedensregelung von Dayton. Wenn nun der HR in Annex 10 des Friedensabkommens bestimmte Kompetenzen zur Ausübung von Hoheitsgewalt übertragen bekommen hat, dann kann er diese nur von den Trägern dieser Hoheitsgewalt erhalten haben, und das waren der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina sowie die beiden Gliedstaaten desselben.601 Der HR leitet seine Befugnisse somit nicht von der im selbst nicht rechtsfähigen602 Peace Implementation Council versammelten Staatengemeinschaft ab, da diese bzw. deren einzelne Mitglieder nicht Träger der Hoheitsgewalt auf dem Staatsgebiet von Bosnien und Herzegowina waren. Es wurde schließlich weder eine Art „wohlwollende“ Besatzungszone603 der Staatenge596
Vgl. Hess v. GB, EKMR B 6231/73, 28.05.1978, DR 2, 72 (74). Vgl. Case concerning certain phospate lands in Nauru (Nauru v. Australia), Preliminary Objections, Judgement of 16 June 1992, ICJ Reports 1992, 240. 598 Siehe Kap. II. C. I. 4. b). 599 Siehe Kap. II. C. I. 4. b). 600 Crawford, First Report on State responsibility, UN Doc. A/CN.4/490/Add. 5, 22.07.1998, § 231; vgl. auch ders., The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, 2002, § 57, Fn. 877. 601 Politische Prämisse des Friedensschlusses war es auch, dass die drei Volksgruppen frei über ihre staatliche Zukunft zu entscheiden haben, vgl. Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 692. 602 Vgl. Kap. II. C. I. 4. b). 603 Zur Frage der Trägerschaft von Hoheitsgewalt während der Besatzungszeit in Deutschland, vgl. C. III. 2. a) cc) (1). 597
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meinschaft errichtet, noch wurden einzelne Staaten durch die Vereinten Nationen mandatiert, den bosnischen Staat zu verwalten im Sinne des mittlerweile ausrangierten VN-Treuhandsystems. Ebenso wenig haben die Vereinten Nationen durch Einsetzung einer VN-Verwaltungsbehörde wie im Kosovo und in OstTimor eine Souveränitätseinschränkung eines Staates im Wege einer Resolution auf Grundlage von Kapitel VII der VN-Charta durchgesetzt. Vielmehr hat sich der – wenn auch junge – Staat Bosnien und Herzegowina auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrags mit den weiteren Parteien des Konfliktes (Kroatien und „Rest“-Jugoslawien) darauf geeinigt, seine Souveränität teilweise und vorübergehend zugunsten einer international besetzten und gesteuerten Instanz einzuschränken.604 Die Vertragsparteien von Annex 10 bedienen sich mithin – zum Zwecke der unvoreingenommenen Steuerung und Durchsetzung der vereinbarten Friedensordnung – des selbst bestellten Treuhänders zur „gesamten Hand“.605 Verantwortlich für die Handlungen dieses Organs ist somit der Staat Bosnien und Herzegowina. Die Rechtsprechung der MRK ist einer Analyse der Rechtsnatur der internationalen Verwaltungsinstanzen, allen voran des HR, nahezu vollständig aus dem Weg gegangen, wiewohl der Rechtscharakter eines internationalen Organs für die Frage ihrer eigenen Zuständigkeit zur Kontrolle eines bestimmten Aktes von zentraler Bedeutung gewesen wäre.606 Nach den hier dargelegten Überlegungen wären die Rechtsakte des HR den Parteien des Annexes 6 zuzurechnen gewesen, was die Eröffnung der Kompetenz der MRK ratione personae zur Folge gehabt hätte. Eine entsprechende Beschwerde hätte sich insoweit lediglich formal gegen einen nach Annex 6 passivlegitimierten Verfahrensgegner richten müssen. Anhand der hierfür als Kriterien identifizierten Gesichtspunkte wäre auch für die sonstigen internationalen Institutionen im Gefüge von Dayton zu einem Ergebnis zu kommen gewesen (sprich: Rechtspersönlichkeit ja oder nein bzw. Zurechnung und somit Verantwortlichkeit ja oder nein). Lediglich anhand der Dezertifizierungsproblematik bzw. im Zusammenhang mit der CRPC hat die Kammer sich mit ihrer Rechtsprechung auf die oben als „Stufe 2“ bezeichnete Ebene begeben und sich mit der Frage auseinandergesetzt, welchem Rechtsträger in einer Gemengelage von internationalen und nationalen Organen ein Rechtsakt zuzurechen ist. 604 Zur Bedeutung der rechtlichen Grundlage einer Kompetenzübertragung auf internationale Verwaltungsinstanzen am Beispiel der VN-Verwaltungsmissionen UNTAES sowie UNTAC vgl. Sarooshi, in: BYIL 74 (2003), S. 306 ff. 605 Der Hohe Repräsentant fungiert aber nicht als ein Stellvertreter der betreffenden Staaten im Rechtssinne. Eine Stellvertretung im völkerrechtlichen Sinne setzt voraus, dass Stellvertreter und Vertretener zwei eigenständige Rechtssubjekte sind. Das OHR ist aber, wie festgestellt, kein selbständiges Völkerrechtssubjekt. Vgl. Sarooshi, in: BYIL 74 (2003), S. 309 f., 320 ff. 606 Vgl. z. B. Busch, Bedeutung, S. 77, 81.
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Selbst wenn die Kammer nach entsprechender Prüfung zu dem Schluss gelangt wäre, dass es sich bei der Behörde des Hohen Repräsentanten um ein eigenständiges Völkerrechtssubjekt handelt – was nach der hier zugrundegelegten Ansicht schwer zu vertreten wäre –, so hätte die Kammer zumindest die Möglichkeit gehabt, sich unter Rückgriff auf die Gedanken der Rechtsprechung der EKMR sowie des EuGMR (vgl. oben „Stufe 3“) einer Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina zu nähern, was sie im Hinblick auf SFOR ansatzweise getan hat. Zu konstatieren ist mithin, dass die MRK ihre grundsätzlich vorhandenen prozeduralen Möglichkeiten einer rechtlichen Kontrolle der von internationalen Organen ausgeübten Hoheitsgewalt nicht ausgeschöpft hat. Ungeachtet ihrer Bedeutung und Verdienste bei der Durchsetzung von Menschenrechtsgewährleistungen607 während der Nachwehen des Balkankonfliktes, ist es dieser Gerichtsinstanz nicht gelungen, den in der juristischen Architektur von Dayton angelegten Widerspruch zwischen institutionalisiertem und internationalisiertem Menschenrechtsschutz auf der einen Seite und der mitunter rigiden Verwaltung durch „internationale öffentliche Hände“ auf der anderen Seite zugunsten des Individualrechtsschutzes aufzulösen. Insoweit muss man von einer vertanen Chance sprechen. VI. Gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung in Bosnien und Herzegowina: Zwischen System und Fragment Im Falle auf internationaler Ebene geschaffener und mit bestimmten Kompetenzen zur Ausübung hoheitlicher Gewalt ausgestatteter Rechtsregime besteht die grundsätzliche Gefahr, dass diese insbesondere im Hinblick auf den Individualrechtsschutz regelmäßig weder den hierfür vorgesehenen nationalen verfassungsrechtlichen Normen noch den einschlägigen völkerrechtlichen Standards608 genügen können. Bereits die Frage, an welche Normen des nationalen oder internationalen Rechts ein bestimmtes internationales Organ denn gebunden ist, bereitet mitunter größte Schwierigkeiten. Auch im Falle des Mikrokosmos der internationalen Verwaltung von Bosnien und Herzegowina mit seinen besonderen Merkmalen lag es im Wesentlichen an zwei Gerichten, dem nationalen Verfassungsgericht (BIHVG) sowie der internationalen Menschenrechtskammer (MRK), den durch die Praxis aufgeworfenen und von den Schöpfern der internationalen Hoheitsträger ungeregelten Problem-
607 Vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht bei Küttler, Menschenrechtskammer, S. 117 ff. 608 Anschaulich am Beispiel von Europol Frowein/Krisch, in: JZ 53 (1998), S. 592– 596.
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stellungen case by case beizukommen. Die diesbezügliche Bilanz ist durchwachsen. Dem BIHVG, welches sich ausgehend von seiner Rolle des Hüters der nationalen Verfassung, gleichsam „von unten“, also vom nationalen Rechtsraum aus, dem Problem genähert hat, ist zugute zu halten, dass es das Problem der rechtlichen Eingrenzung der gleichermaßen undeutlich formulierten wie umfassenden Eingriffsbefugnisse des Hohen Repräsentanten in seiner Rechtsprechung klar identifiziert und den Versuch unternommen hat, das bis dato ungeregelte rechtliche Verhältnis dieser zentralen Zivilverwaltungsbehörde zur nationalen Verfassung einer Klärung zuzuführen – im Wege der Auslegung seiner eigenen Zuständigkeitsordnung, des gesamten Abkommens von Dayton sowie auch unter Rückgriff auf theoretische Überlegungen zur Frage der Interaktion von völkerrechtlich begründeten Hoheitsträgern und nationaler Verfassungsordnung. Unter vergleichender Bezugnahme auf ähnliche historische Konstellationen hat das Gericht die Theorie von der funktionalen Dualität entwickelt und damit zumindest ein dogmatisches Fundament für eine Rechtskontrolle der Legislativakte des HR am Maßstab der Verfassung gelegt. Zu bemängeln ist allerdings, dass das Gericht diesen neuen gedanklichen Ansatz bereits im Bereich der rechtlich besonders problematischen und andernorts heftig kritisierten Einzelmaßnahmen des HR fallen zu lassen scheint, sei es aus politisch motivierter Zurückhaltung oder aufgrund der Tatsache, dass das Modell der funktionalen Dualität außerhalb des Bereichs der Legislative schnell an seine dogmatischen und praktischen Grenzen stößt. Das Gericht hat mithin die unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdigen Lücken beim Schutz der Rechte des Individuums mit seiner Rechtsprechung nicht schließen können. Ebenso wenig hat das BIHVG den zweiten theoretischen Eckpfeiler seines Erklärungsmodells für das duale Verfassungsgefüge von Bosnien und Herzegowina, die Vorstellung einer Parallelität der Annexe (des Rahmenabkommens von Dayton), konsequent durchgehalten. Insgesamt konnte das BIHVG mit seinen Erklärungsmodellen letztlich nur systematische Inseln bilden, ohne jedoch ein in sich geschlossenes und den ganz offensichtlich beachtlichen rechtlichen Fragestellungen der Praxis gerecht werdendes Verständnis für das Ineinandergreifen nationaler und internationaler Elemente im post-Dayton Gefüge entwickeln zu können. Was die Menschenrechtskammer betrifft, die man als eine Art internationales Übergangssubstitut des EuGMR in Bosnien und Herzegowina bezeichnen kann, so muss die Betrachtung ihrer Rechtsprechung unter den hier interessierenden Aspekten noch größere Kritik hervorrufen. So hat die dem Individualrechtsschutz anhand internationaler Menschenrechtsverbürgungen verpflichtete Kammer das Problem der Rechtsbeeinträchtigung durch internationale Organe in ihren Judikaten nahezu nicht diskutiert. Ausnahmen sind einige Entscheidungen aus der Endphase ihrer Tätigkeit (Fälle zu IPTF und SFOR), die ein Verständnis für die Problematik auch in ihrer völkerrechtlichen Dimension (völkerrecht-
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liche Verantwortlichkeit, Zurechnung) zumindest andeuten. Die Kammer hat es ferner unterlassen, zu verdeutlichen, dass der Frage, ob einem bestimmten internationalen Organ eine eigenständige völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit zukommt oder nicht, entscheidende Bedeutung für die Problematik der Rechtskontrolle der Handlungen dieses Organs zukommen kann. Freilich wäre es unredlich, die genauso wie das BIHVG u. a. mit renommierten internationalen Juristen besetzte MRK für die Lücken der in Dayton verabschiedeten Friedensregelung verantwortlich zu machen oder aber die Kammer dafür zu schelten, dass sie sich eng am Wortlaut ihres Mandats auf ihre primäre Aufgabe der Sicherung der Menschenrechte gegenüber den staatlichen Instanzen konzentriert hat und möglicherweise – darüber kann nur spekuliert werden – nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen ist, im Spannungsfeld Staat/internationale Verwaltung nur äußerst zurückhaltend Stellung zu beziehen, um die umfangreiche Eingriffstätigkeit insbesondere des HR nicht zu einem noch größeren Politikum zu machen, als sie dies bereits war. Legitim ist aber die Feststellung, dass die MRK bei der Behandlung des Problems in ihrer Rechtsprechung hätte weiter gehen können, als sie es getan hat und dass die Ausführungen in ihren Urteilen aus völkerrechtlicher Sicht teilweise nicht überzeugen können. Abzuwarten bleibt insoweit, ob bzw. wie sich gegebenenfalls der EuGMR zu entsprechenden Individualbeschwerden gegenüber internationalen Verwaltungsinstanzen äußern wird. Nach dem formellen Beitritt Bosnien und Herzegowinas zum Europarat sowie der Eingliederung der Tätigkeit der MRK in das Verfassungsgericht (BIHVG) ist der Rechtsweg zum EuGMR nunmehr gegeben.609 Es darf mithin festgehalten werden, dass die Behandlung des Problems der Rechtskontrolle der internationalen Verwaltung durch die beiden zentralen Gerichtsinstanzen – insoweit sie stattfindet – nicht nur aus dogmatischem Blickwinkel Mängel aufweist, sondern auch zum Teil beträchtliche Rechtsschutzdefizite im Bereich des Individualrechtsschutzes bestehen lässt. Verantwortlich für diesen Zustand sind die Urheber des Vertragspakets von Dayton, die dieses Problem offen gelassen haben, aber auch die beiden hier betrachteten Gerichte, die keine ausreichenden juristischen Mittel gefunden haben, diese Lücken zu schließen.
609 Den Angaben des Europarats zufolge sind bis dato über 200 Beschwerden gegen den Staat Bosnien und Herzegowina beim EuGMR eingegangen, vgl. die Daten unter www.coe.int. Nach den Ankündigungen mancher Betroffener ist damit zu rechnen, dass eine Reihe der Beschwerden sich inhaltlich gegen Akte des Hohen Repräsentanten richten werden. Es ist anzunehmen, dass die Behandlung dieser Beschwerden durch den EuGMR eine Reihe der in der vorliegenden Arbeit angesprochenen Rechtsfragen aufgreifen wird, vgl. bereits European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Amicus Curiae Opinion, §§ 1 ff.
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D. Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung nach allgemeinem Völkerrecht I. Ein völkerrechtlicher Rahmen für internationale Verwaltungsmissionen? Das Abkommen von Dayton als normative Grundlage der internationalen Verwaltung in BiH hat das Problem einer gerichtlichen Kontrolle der Hoheitsakte der internationalen Verwaltungsinstanzen, zuvörderst des HR, keiner ausdrücklichen Regelung zugeführt. Die Auslegung der verschiedenen Komponenten dieses Abkommens durch die Rechtsprechung des BIHVG sowie der MRK hat – wie gesehen – die Frage nach einer gerichtlichen Kontrolle der internationalen Verwaltung allenfalls fragmentarisch beantworten können. Insbesondere im Bereich des Individualrechtsschutzes verbleiben nach dieser Rechtsprechung Lücken. Fraglich ist somit, ob durch diesen Zustand anwendbare völkerrechtliche Normen verletzt werden und wenn ja, durch wen. Eine diesbezügliche Antwort ermöglicht erst eine Einordnung der gegenüber diesen Rechtsschutzmängeln geäußerten Kritik. Können Forderungen nach einer stärkeren Eingrenzung und Kontrolle der internationalen Verwaltungsorgane in BiH sich darauf stützen, dass sich die im Moment geübte Praxis im Widerspruch zu völkerrechtlichen Normen befindet? Oder handelt es sich bei derartiger Kritik um einen bloßen Verweis auf Umstände, die aus rechtspolitischer Sicht als inopportun und unbefriedigend empfunden werden und deshalb zu ändern sind?610 Kurz: Handelt es sich hierbei um eine Debatte de lege lata oder de lege ferenda? Existiert also ein allgemeiner völkerrechtlicher Rahmen für die Ausübung von Hoheitsgewalt durch derartige internationale Verwaltungsmissionen? Gibt es völkerrechtliche Normen, die eine Aussage darüber treffen, welche materiellen Grenzen eine solche Mission bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse einzuhalten hat bzw. ob und durch wen sie dabei in prozessualer Hinsicht kontrolliert werden kann oder muss? Und sind diese Normen gegebenenfalls für das Beispiel BiH anwendbar?
610 Lediglich rechtspolitisch argumentiert z. B. das Gutachten der Venedig-Kommission des Europarats, die per Resolution 1384 (23.06.2004) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ersucht worden war, zur Vereinbarkeit der Befugnisse des HR mit den Standards des Europarats Stellung zu nehmen. Unter Vermeidung einer normativen Betrachtung kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Einzelmaßnahmen des HR nicht akzeptabel seien. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Constitutional situation, §§ 96, 100. Ähnlich am Beispiel des Kosovo European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Review Mechanisms, § 91. Vgl. auch Verdirame, UN accountability for human rights violations in post-conflict situations, in: White/Klaasen (Hrsg.): The UN, human rights and post-conflict situations, 2005, S. 92 ff.
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Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass kein ausdrückliches völkerrechtliches Regelwerk für die rechtliche Verantwortlichkeit und Kontrolle von Verwaltungsmissionen der Staatengemeinschaft existiert, etwa im Wege von multilateralen völkerrechtlichen Konventionen oder in Form von Soft Law (Resolutionen der VN, Regelungsentwürfe der ILC etc.).611 Ein etwaiger rechtlicher Rahmen für eine hoheitliche Verwaltungstätigkeit durch die Staatengemeinschaft muss somit unter Rückgriff auf verwandte völkerrechtliche Regelungsbereiche erschlossen werden, die eine Aussage über die rechtlichen Grenzen der Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber Individuen bzw. gegenüber bestimmten Territorien als solchen zulassen. Zu denken ist hierbei an die VN-Charta, besonders aber an das internationale Recht der Menschenrechte sowie an das Besatzungsrecht. Auch könnten allgemeine Rechtsgrundsätze einschlägig sein. II. Der Treuhandgedanke Die Charta der Vereinten Nationen enthält in Kapitel XII (Art. 75 ff.) eine Regelung des mittlerweile nicht mehr angewendeten612 internationalen Treuhandsystems. Art. 76 der Charta enthält eine Normierung der grundsätzlichen Zwecke der internationalen Treuhandverwaltung, die wie folgt zusammengefasst werden können: Festigung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit; Förderung des politischen, ökonomischen und sonstigen Fortschritts der Treuhandgebiete sowie der Entwicklung hin zu Autonomie bzw. staatlicher Unabhängigkeit; Förderung der Achtung der Menschenrechte; Gleichbehandlung aller Mitglieder der Vereinten Nationen in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Es wird niemand der Feststellung widersprechen, dass diese allgemeinen Grundsätze einer uneigennützigen, treuhänderischen Gebietsverwaltung auch außerhalb des Treuhandsystems zumindest bei direkt durch die VN durchgeführten oder durch sie mandatierten internationalen Verwaltungsmissionen entsprechende Geltung beanspruchen können613, nicht zuletzt im Hinblick auf die korrespondierenden allgemeinen Ziele der VN (Art. 1 VN-Charta). Art. 76 VN-Charta mag man also zu Recht einen prinzipiellen, internationale Verwaltungsmissionen überwölbenden Treuhandgedanken entnehmen. Genauere Betrachtung verdient Art. 76 c) VN-Charta, der das Ziel formuliert, die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten in den betreffenden Territorien zu fördern. Diese Passage ist nicht allein so zu verstehen, dass in der Bevölkerung ein Klima des Verständnisses und der Achtung der Menschen611
Vgl. Brownlie, International Law, S. 665. Vgl. hierzu sowie zum historischen Hintergrund des Treuhandsystems oben S. 134 ff.; zur möglichen Reaktivierung des Treuhandsystems für die Krisenbewältigung durch die Vereinten Nationen siehe Delbrück, „Failed States“, S. 427 ff. 613 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 138; v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 362 f., 365. 612
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rechte geschaffen werden soll, sondern auch, dass während der Phase der Treuhandverwaltung die Menschenrechte der Einwohner sicherzustellen sind614 – eine Verpflichtung, die sich nicht zuletzt an die Treuhandverwaltung selbst und ihre etwaigen Organe richtete. Allerdings kann auch diese Facette des Treuhandgedankens allenfalls als eine globale Zielvorgabe aufgefasst werden, denn als ein subsumierbarer Rechtssatz. III. Das internationale Recht der Menschenrechte 1. Die Bindung internationaler Verwaltungsorgane an völkerrechtliche Menschenrechtsgarantien Internationale globale sowie regionale Menschenrechtskonventionen bezwecken eine Eingrenzung der Ausübung von Hoheitsgewalt von Staaten gegenüber ihren Staatsangehörigen. Demzufolge können bislang regelmäßig nur Staaten Mitglieder dieser multilateralen Verträge sein, nicht jedoch Internationale Organisationen615 oder internationale Organe/Behörden sonstiger Art, denen bereits eine eigenständige Völkerrechtsfähigkeit fehlt. Kennzeichen von internationalen Verwaltungsmissionen ist jedoch, dass Internationale Organisationen bzw. Unterorgane derselben oder aber ad hoc geschaffene internationale Organe sui generis im Stile von staatlichen Instanzen Hoheitsgewalt gegenüber den Bewohnern eines bestimmten Territoriums bzw. Staates ausüben. Fraglich ist also, ob diese grundsätzlich staatenbezogenen Menschenrechtsgarantien in Abwesenheit von speziellen Vereinbarungen oder Selbstverpflichtungen auch derartigen internationalen Verwaltungsinstanzen entgegengehalten werden können. Ausdrücklich festzuhalten ist aber, dass die Beantwortung dieser Frage sich einer Verallgemeinerung entzieht. Eine diesbezügliche Analyse muss stets anhand des Einzelfalls erfolgen.616 Zur Herleitung einer Verbindlichkeit von völkerrechtlichen Menschenrechtsnormen für internationale Verwaltungsorgane kommen unterschiedliche Argumentationslinien in Betracht: – Handelt es sich um eine Verwaltungstätigkeit einer universellen oder regionalen Internationalen Organisation bzw. eines Unterorgans derselben, so ist eine Bindung an Menschenrechtsnormen insoweit denkbar, als diese universelles oder regionales Völkergewohnheitsrecht darstellen.617 Internationale 614 Rauschning, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, A Commentary, Art. 76, Rn. 32. 615 Hierzu am Beispiel des der VN-Verwaltung im Kosovo European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 84 ff. 616 Für das Beispiel Kosovo z. B. Hobe/Griebel, Privatisierungsmaßnahmen der UNMIK im Kosovo, S. 145 ff.
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Organisationen als eigenständige Völkerrechtsubjekte sind schließlich an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gebunden.618 Anzumerken ist jedoch, dass durch Praxis und opinio iuris von Staaten geschaffene gewohnheitsrechtliche Normen nur entsprechend auf Internationale Organisationen anzuwenden sind, soweit sie nicht inhaltlich ausschließlich auf Staaten zugeschnitten sind. Im Falle einer quasi-staatlichen Ausübung von Hoheitsgewalt durch Internationale Organisationen erscheint eine entsprechende Anwendung von gewohnheitsrechtlich verankerten Menschenrechtsverbürgungen auf einen nichtstaatlichen Hoheitsträger prinzipiell gerechtfertigt.619 Im Einzelfall wäre also zu überprüfen, ob eine bestimmte Menschenrechtsgarantie völkergewohnheitsrechtlichen Status erlangt hat und ob sie inhaltlich auf die Ausübung von Hoheitsgewalt durch Internationale Organisationen übertragbar ist. Als Anhaltspunkt für erstere Frage können die Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) gelten, die zumindest in weiten Teilen als Verkörperung von Völkergewohnheitsrecht aufgefasst werden können.620 Was die Organisation der Vereinten Nationen betrifft, so kann man – abgesehen von diesen allgemeinen Überlegungen – die VN-Charta aufgrund ihres deutlichen Menschenrechtsbezugs621 dahingehend auslegen, dass auch die VN selbst bei eigenem quasi-staatlichen Handeln durch ihre Organe an völkergewohnheitsrechtliche Menschenrechtsstandards gebunden sind.622 – Zu erwähnen ist ferner die Vorstellung einer territorialen Anwendbarkeit von internationalen Menschenrechtspakten, die auch gegenüber Trägern internationaler Hoheitsgewalt anwendbar bleiben, da die betreffenden normativen Garantien dieser Abkommen dem Schutz der Menschen im betreffenden Ter617 Busch, Bedeutung, S. 32; Schmalenbach, Haftung, S. 476; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 139; vgl. auch Herbst, Rechtsschutz, S. 51, 55. 618 Vgl. Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 between the WHO and Egypt, Advisory Opinion of 20 December 1980, ICJ Reports 1980, 73 ff.; Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 370; Bothe/Marauhn, UN Administration, S. 237 m. w. N.; Bleckmann, in: ZaöRV 37 (1977), S. 110 ff.; Wenckstern, Immunität, S. 24, 142; Busch, Bedeutung, S. 32; Schermers, in: CMLR 27 (1990), S. 249 f. 619 Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 139; Bleckmann, in: ZaöRV 37 (1977), S. 119. Vgl. auch European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 68. 620 Vgl. Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 369; Kamminga, in: EJIL 7 (1996), S. 483. 621 Vgl. die mehrfache Bezugnahme der Charta auf die Durchsetzung und Förderung von Menschenrechten, Art. 1 (3), 55 (c), etc., bzw. die Entwicklung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), welche als verbindliche Interpretation der Charta aufgefasst werden kann, vgl. Brownlie, International Law, S. 535, 663 sowie die Ausarbeitung der universellen Menschenrechtspakte unter der Schirmherrschaft der VN. 622 Wilde, in: Yale Hum. Rts. & Dev. L. J. 1 (1998), S. 107 ff.; Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 369; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 139; vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 476.
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ritorium zu dienen bestimmt sind, ungeachtet der Quelle der Hoheitsgewalt, die gegenüber den Bürgern ausgeübt wird.623 Wenn internationale Verwaltungsorgane somit anstelle staatlicher Instanzen Hoheitsgewalt auf einem Territorium ausüben, würden sie demnach auch eine funktionale Nachfolge624 in menschenrechtliche Schutzverpflichtungen des suspendierten Staatswesens antreten bzw. zumindest in dessen völkergewohnheitsrechtliche Bindungen625. – Bedient sich die Staatengemeinschaft beim Krisenmanagement ad hoc geschaffener internationaler Organe, die keine eigene Völkerrechtspersönlichkeit aufweisen und sozusagen Werkzeuge „zur gesamten Hand“ bestimmter Staaten darstellen, gilt Folgendes: Das Handeln solcher Organe ist denjenigen Staaten zuzurechnen, welche diese Organe ins Leben gerufen haben, gegebenenfalls zur gesamten Hand. Für die Staaten gelten dann grundsätzlich auch ihre eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen fort, wenn sie sich solcher Instanzen zur Erfüllung bestimmter Aufgaben bedienen.626 Die Tatsache, dass derartige Verwaltungsorgane, militärischer oder ziviler Natur, außerhalb des Territoriums ihrer menschenrechtlich gebundenen Schöpfer Hoheitsgewalt gegenüber Staatsangehörigen eines anderen Staates ausüben, steht dem nicht entgegen.627 Kurz: Staaten können sich ihren völkerrechtlichen Ver623 Dazu General Comment No. 26 of the Human Rights Committee, CCPR General Comment No. 26 („Issues Relating to the Continuity of Obligations to the International Covenant on Civil and Political Rights“) 08.12.1997, UN Doc. A/53/40, annex VII: „[. . .] once the people are accorded the protection of the rights under the Covenant, such protection devolves with territory and continues to belong to them, notwithstanding change in government of the State party, including dismemberment in more than one State or State succession of any subsequent action of the State party designed to divest them of the rights guaranteed by the Covenant.“; der Gedanke einer territorialen Radizierung humanitärer Standards findet sich auch in Art. 47 der IV. Genfer Konvention wieder: „Geschützten Personen, die sich in besetztem Gebiet befinden, werden in keinem Falle und auf keine Weise die Vorteile des vorliegenden Abkommens entzogen, weder wegen irgendeiner Veränderung, die sich aus der Tatsache der Besetzung bei den Einrichtungen oder der Regierung des in Frage stehenden Gebietes ergibt, noch auf Grund einer zwischen den Behörden des besetzten Gebietes und der Besatzungsmacht abgeschlossenen Vereinbarung, noch auf Grund der Einverleibung des ganzen besetzten Gebietes oder eines Teiles davon durch die Besatzungsmacht.“; Kamminga, in: EJIL 7 (1996), S. 472 ff., 482; Busch, Bedeutung, S. 35; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 139; Stahn, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 163; Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 371–373; Cerone, in: EJIL 12 (2001), S. 469, 474; Frank, Verantwortlichkeit, S. 141 f.; Bothe/Marauhn, UN Administration, S. 237. 624 Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 372 m. w. N.; zum Beispiel EU/EMRK vgl. Busch, Bedeutung, S. 36 ff. Ablehnend gegenüber einem solchen Sukzessionsgedanken European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 78. 625 Kamminga, in: EJIL 7 (1996), S. 483. 626 Vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 50 f., 55 f. Zur Frage der Bindung der Alliierten Besatzungsorgane an die EMRK siehe Freitag, Rechtsschutz, S. 138 ff.
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pflichtungen zum Schutze der Menschenrechte nicht dadurch entziehen, dass sie bei der Ausübung von Hoheitsgewalt internationale Organe zwischenschalten. Gestalten sich die völkervertraglichen Bindungen der jeweiligen Staaten bei Errichtung eines derartigen Organs uneinheitlich bzw. sind nicht vorhanden, so wäre zumindest an eine Bindung an völkergewohnheitsrechtliche Menschenrechtsgarantien zu denken.628 – Die Vorstellung einer durch die Gründerstaaten vermittelten Bindung von internationalen Instanzen an internationale Menschenrechtsnormen geht auch aus der Rechtsprechung des EuGMR hervor.629 Das Gericht warnt vor einer „Flucht in die Internationale Organisation“630 der EMRK-Mitgliedstaaten zur Umgehung ihrer individualrechtsschützenden Konventionsverpflichtungen und stellt die Pflicht der Staaten fest, bei Verlagerung von hoheitlichen Befugnissen auf Internationale Organisationen auch einen entsprechenden „Grundrechtsexport“ in diese neu geschaffenen Rechtsregime vorzunehmen, um die dieser internationalen Hoheitsgewalt ausgesetzten Individuen nicht rechtsschutzlos zu stellen.631 Der EuGMR hat ferner festgestellt, dass die Mitgliedstaaten der EMRK für Konventionsverletzungen verantwortlich blei627 Vgl. Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 17 Rn. 11; die extraterritoriale Anwendbarkeit von internationalen Menschenrechtsverpflichtungen ist verschiedentlich bestätigt worden. Für die EMRK vgl. Loizidou v. Turkey (Preliminary Objections), EuGMR, Ser. A, Vol. 310 (1995), 23.02.1995, § 62: „Bearing in mind the object and purpose of the Convention, the responsibility of a contracting party may also arise when as a consequence of military action – whether lawful or unlawful – it exercises effective control of an area outside its national territory. [. . .] the obligation to secure in such an area, the rights and freedoms set out in the Convention derives from the fact of such control [. . .] whether exercised directly, through [a state party’s] armed forces, or through a subordinate local administration.“ Für den IPbpR vgl. Human Rights Committee, Comments on United States of America, UN Doc. CCPR/C/79/ Add 50 (1995), § 19: „The Committee does not share the view expressed by the Government that the Covenant lacks extraterritorial reach under all circumstances. Such a view is contrary to the consistent interpretation of the Committee on this subject, that, in special circumstances, persons may fall under the subject matter jurisdiction of a state party even when outside that state’s territory.“; für das Beispiel der „American Declaration of the Rights and Duties of Man“, OAS Res. XXX (1948), vgl. Inter-American Commission on Human Rights, Coard et al. v. United States, Case 10.951 Report No. 109/99, 29.09.1999, § 37: „[. . .] in principle, inquiry turns not to the presumed victim’s nationality or presence witin a particular geographic area, but on whether, under the specific circumstances, the State observed the rights of a person subject to its authority and control.“ Vgl. auch Cerone, in: EJIL 12 (2001), S. 478; Meron, in: AJIL 89 (1995), S. 81: „Narrow territorial interpretation of human rights treaties is anathema to the basic idea of human rights, which is to ensure that a state should respect human rights of persons over whom it exercises jurisdiction.“ 628 Herbst, Rechtsschutz, S. 66; Bleckmann, in: ZaöRV 37 (1977), S. 107 ff., 109, 113 ff. 629 Vgl. V. 6. c) (3). 630 Vgl. auch Cerone, in: EJIL 12 (2001), S. 487; Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 372 m. w. N.; Hailbronner, in: AVR 42 (2004), S. 336 f.
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ben, wenn sie Kompetenzen auf eine Internationale Organisation übertragen, welche es dieser erlauben, in konventionsgeschützte Rechte des Einzelnen einzugreifen und auf Ebene der Organisation kein adäquater Individualrechtsschutz gewährleistet ist.632 Festzustellen ist also, dass man auf unterschiedlichen Wegen eine Bindung von internationalen Verwaltungsorganen an internationale Menschenrechtsgarantien begründen kann, sei es eine unmittelbare Bindung der betreffenden Instanz oder eine durch die dahinterstehenden Staaten vermittelte Verbindlichkeit. An welche Normen ein bestimmtes Verwaltungsorgan konkret gebunden ist, ist dabei stets für den Einzelfall unter Berücksichtigung der Rechtsnatur des Organs zu prüfen. Allgemein kann festgehalten werden, dass Organe, die von der Staatengemeinschaft für Verwaltungsmissionen in bestimmten Territorien eingesetzt werden, zumindest an diejenigen menschenrechtlichen Gewährleistungen gebunden sind, die Völkergewohnheitsrecht darstellen. Für die vorliegend interessierende Frage nach gerichtlicher Kontrolle internationaler Administratoren rücken die in den verschiedenen universellen633 und regionalen634 Menschenrechtsinstrumenten niedergelegten Rechtsweg- bzw. Ver631 Vgl. Walter, in: AöR 129 (2004), S. 39 ff., 78; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 17 Rn. 9; vgl. V. 6. c) (3). 632 Vgl. Waite und Kennedy v. Germany, EuGMR, B 26083/94, 18.02.1999, EuGRZ 26 (1999), 207, § 67: „The Court is of the opinion that where States establish international organisations in order to pursue or strengthen their cooperation in certain fields of activities, and where they attribute to these organisations certain competences and accord them immunities, there may be implications as to the protection of fundamental rights. It would be incompatible with the purpose and object of the Convention, however, if the Contracting States where thereby absolved from their responsibility under the Convention in relation to the field of activity covered by such attribution. It should be recalled that the Convention is intended to guarantee not theoretical or illusory rights, but rights that are practical and effective.“ 633 Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948): „Everyone is entitled in full equality to a fair and public hearing by an independent and impartial tribunal, in the determination of his rights and obligations and of any criminal charge against him.“; Art. 14 (1) des IPbpR: „All persons shall be equal before the courts and tribunals. In the determination of any criminal charge against him, or of his rights and obligations in a suit at law, everyone shall be entitled to a fair and public hearing by a competent, independent and impartial tribunal established by law.[. . .].“ 634 Vgl. Art. 6 (1) EMRK: „In the determination of his civil rights and obligations or of any criminal charge against him, everyone is entitled to a fair and public hearing within a reasonable time by an independent and impartial tribunal established by law. [. . .]“; Art. 8 (1) der American Convention on Human Rights (1969): „Every person has the right to a hearing, with due guarantees and within an reasonable time, by a competent, independent and impartial tribunal, previously established by law, in the substantiation of any accusation of a criminal nature made against him or for the determination of his rights and obligations of a civil, labour, fiscal or any other nature.“; Art. 7 (1) der African Charter on Human and Peoples’ Rights (1986): „Every individual shall have the right to have his cause heard. This comprises: [. . .] d) the right to be tried within a reasonable time by an impartial court or tribunal.“
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fahrensgarantien635 in den Blick.636 Bestehen für internationale Verwaltungsorgane also völkerrechtliche Verpflichtungen, Rechtsschutzmechanismen gegen ihre eigenen Hoheitsakte bereitzustellen? Erfordern internationale Menschenrechtsgarantien gerichtlichen Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten gegen Hoheitsakte internationaler Administrativorgane? Auch diese Fragen nach einer konkreten prozessualen Verpflichtung sind vor dem Hintergrund verschiedener Konstellationen zu betrachten. Bezugspunkt können je nach Lage des Einzelfalls insoweit die internationalen Instanzen selbst, deren Gründerstaaten bzw. der Aufenthaltsstaat sein.637 Erfolgt die Verwaltung durch einen selbständigen Völkerrechtsträger, so kann sich die Frage stellen, inwieweit eine Norm des Völkergewohnheitsrechts existiert, die einerseits besagt, dass Hoheitsakte eines Staates einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen sind und die andererseits für einen quasi-staatlichen Hoheitsträger entsprechend angewendet werden kann.638 Wird die internationale Administration durch eine nicht selbst völkerrechtsfähige internationale Behörde durchgeführt, so ist zu fragen, inwieweit für diejenigen Staaten, welche die Behörde ins Leben gerufen haben und somit für deren Akte verantwortlich zeichnen, eine vertragliche oder gewohnheitsrechtliche Verpflichtung besteht, gerichtlichen Rechtsschutz gegen Hoheitsakte dieser Behörde vor ihren eigenen staatlichen Gerichten zuzulassen oder durch spezielle ad hoc-Mechanismen im Rahmen der internationalen Verwaltungsstruktur zu gewährleisten. Dieser Gedanke eines Zugriffs auf die hinter einem internationalen Organ stehenden Staaten wird, wie angedeutet, am Beispiel der EMRK durch den EuGMR auch in Fällen von völkerrechtlich selbständigen Internationalen Organisationen angewendet. Stimmt ein Staat der Errichtung einer internationalen Verwaltungsstruktur sowie der Ausübung von Hoheitsgewalt durch internationale Instanzen – welcher Rechtsnatur auch immer – auf seinem Staatsgebiet zu, indem er z. B. durch völkerrechtlichen Vertrag Souveränitätsrechte in einem gewissen Umfang auf ein internationales Organ überträgt, so rücken seine eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen in den Vordergrund.639 Es stellt sich dann die Frage, ob der Staat, der die Tätigkeit des internationalen Organs auf seinem Territorium zugelassen hat, aus völkerrechtlichen Verfahrensgarantien verpflichtet ist, Individuen Rechtsschutz vor seinen eigenen staatlichen Gerichten zu gewähren640, sofern nicht ein den menschenrechtlichen Verpflichtungen genügender Individual635
Hierzu ein Überblick bei Jayawickrama, Judicial Application, S. 478 ff. De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 188. 637 Zu den verschiedenen Perspektiven in diesem Problemfeld siehe Reinisch, International Organizations, S. 288 f.; Wellens, Remedies, S. 214. 638 Vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 475 ff., 478. 639 Wenckstern, Immunität, S. 59; Schmalenbach, Haftung, S. 473, 477. 636
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rechtsschutz im Rahmen der internationalen Verwaltung zur Verfügung steht.641 Gegebenenfalls wäre auch zu klären, inwieweit derartige völkerrechtliche Verfahrensgarantien mit etwaigen Jurisdiktionsimmunitäten internationaler Organe konfligieren.642 Im Folgenden werden diese juristischen Spannungsfelder unter Berücksichtigung der Situation des Staates Bosnien und Herzegowina beleuchtet. Die Darstellungen sind wiederum exemplarisch zu verstehen. Es ginge über den Rahmen dieser Arbeit hinaus, wollte man jede der hier genannten Argumentationslinien anhand jedes einzelnen internationalen Organs überprüfen. 2. Die Situation in Bosnien und Herzegowina a) Die Geltung von Art. 6 (1) EMRK Für die Beantwortung der Frage, ob ein Fehlen von gerichtlichem Rechtsschutz gegen Akte von internationalen Verwaltungsorganen als völkerrechtswidrig qualifiziert werden kann, rückt für das Beispiel Bosnien und Herzegowina besonders Art. 6 (1) EMRK als möglicher normativer Maßstab ins Blickfeld des Interesses. Die EMRK stellt für Bosnien und Herzegowina das zentrale internationale Menschenrechtsabkommen dar. Die materiellen Gewährleistungen der EMRK sowie deren Protokolle entfalten gemäß Art. II.2 der in Dayton völkervertraglich vereinbarten Verfassung unmittelbare Geltung in Bosnien und Herzegowina, und zwar im Rang eines unabänderlichen Teils der Verfassung.643 Im Jahre 2002 ist Bosnien und Herzegowina Mitglied des Europarats geworden und hat die EMRK als völkerrechtliche Konvention formell unterzeichnet und ratifiziert. Damit gilt nach der Eingliederung der Zuständigkeiten der Menschenrechtskammer in den Kompetenzbereich des BIHVG zum 01.01.2004 nunmehr auch der Individualrechtsschutzmechanismus des EuGMR für die Bürger von Bosnien und Herzegowina. Man kann also festhalten, dass Art. 6 (1) EMRK aufgrund von zwei verschiedenen Geltungsgründen in BiH Wirksamkeit entfaltet: Einmal im Wege eines völkerrechtlich vereinbarten „Implantats“ in die nationale Verfassung und das andere Mal durch die Ratifizierung der EMRK als völkerrechtliches Abkommen. Fraglich ist, welche Konsequenzen diese Bindung des Staates BiH für die Frage des Rechtsschutzes gegegenüber internationalen Verwaltungsorganen hat.
640 Reinisch, International Organizations, S. 289; Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 89. 641 Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 17 Rn. 9. 642 Zu diesem Spannungsfeld Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 53– 165; Wellens, Remedies, S. 214. 643 Vgl. Nowak, Menschenrechtsbestimmungen, S. 31, der von einem „Über-Verfassungsrang“ mit einer Ewigkeitsklausel (vgl. Art. X Nr. 2 BIHV) spricht.
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b) Der Schutzumfang von Art. 6 (1) EMRK Fraglich ist zunächst, ob Art. 6 (1) EMRK eine Rechtsweggarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt enthält, ähnlich Art. 19 Abs. 4 GG.644 Der EuGMR hat frühzeitig festgestellt, dass Art. 6 (1) EMRK nicht nur Verfahrensmodalitäten garantiert, sondern auch ein Recht auf Zugang zu Gericht gewährt (Recht auf gerichtliches Gehör).645 Problematisch ist allerdings, für welche Arten von Rechtsstreitigkeiten die Vertragsparteien einen Zugang zu Gericht vorzusehen haben. Der Wortlaut der Norm („In the determination of his civil rights and obligations . . .“), insbesondere in seiner nicht verbindlichen deutschen Übersetzung der englischen und französischen Originalfassung, deutet zunächst darauf hin, dass ein Anspruch auf rechtliches Gehör nur im Hinblick auf zivilrechtliche Ansprüche sowie strafrechtliche Anklagen gewährleistet wird.646 Sowohl der englische Begriff „civil rights“ als auch die französische Formulierung „droit de caractère civil“ sind aber inhaltlich keineswegs auf den Bereich des Zivilrechts begrenzbar.647 Ohne sich bislang auf eine abstrakte Definition festzulegen648, legt der EuGMR den Begriff „civil rights“ unabhängig von der Terminologie innerstaatlicher Rechtssysteme649 weit aus, mit der Folge, dass eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten unter Art. 6 (1) EMRK subsumiert worden sind, die nach deutschem Rechtsverständnis als öffentlich-rechtlich zu klassifizieren wären.650 644 Zu diesem Gedanken Golsong, Vertragsbestimmungen, S. 259, 262; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Neue Entwicklungen zu Art. 6 EMRK und ihr Einfluß auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, in: Horn (Hrsg.), Recht im Pluralismus, FS für W. Schmitt Glaeser, 2003, S. 322; ders., Gerichtsschutz gegen die Exekutive, S. 293 ff. 645 Peters, Menschenrechtskonvention, S. 103; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 360; Golder Case, EuGMR, Ser. A, Vol. 18 (1975), 21.02.1975, 52. 646 Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 6 Rn. 4; Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 254 f. 647 Vgl. Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 5; Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 255 f. 648 Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 15; Peters, Menschenrechtskonvention, S. 103. 649 Leigh, The Right to a Fair Trial and the European Convention on Human Rights, in: Weissbrodt/Wolfrum (Hrsg.), The Right to a Fair Trial, 1997, S. 647; Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 264 m. w. N. 650 Vgl. Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 354; Schmidt-Aßmann, Neue Entwicklungen zu Art. 6 EMRK, S. 328 ff.; Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 6 Rn. 4; Peters, Menschenrechtskonvention, S. 103; Kley-Struller, Art. 6 EMRK als Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, 1996, S. 49, 53 f.; Übersichten über die
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Für eine weite Auslegung der Norm kann also der Originalwortlaut des Vertragstextes angeführt werden.651 Auch kann mit Sinn und Zweck der Menschenrechtskonvention argumentiert werden, schließlich stellt deren Primärziel die Sicherung von Freiheitsrechten gegenüber der staatlichen Gewalt dar. Eine prozessuale Absicherung dieses Ziels in Form einer Rechtsweggarantie gegen Hoheitsakte scheint somit nahezuliegen.652 Auch ein systematischer Vergleich mit anderen universellen und regionalen Menschenrechtsinstrumenten scheint eine Beschränkung der Rechtsweggarantie auf zivil- und strafrechtliche Verfahren nicht nahezulegen.653 Schließlich scheinen auch die historischen Umstände des Zustandekommens der Norm zumindest nicht gegen eine weite Auslegung zu sprechen.654 Allerdings ist ein solches umfassendes Verständnis von Art. 6 (1) EMRK höchst umstritten. Es sei nur an folgendes Gegenargument erinnert: Rechtsvergleichende Betrachtungen ergeben, dass die Bereitstellung von umfassendem gerichtlichen Rechtsschutz gegen Akte der Exekutive weltweit, aber auch in Europa, bis heute keineswegs die Regel darstellt.655 Es erscheint deswegen unwahrscheinlich, dass die Vertragsparteien zumindest im Zeitpunkt des Abschlusses der EMRK dem Art. 6 (1) den Sinn einer umfassenden Rechtsweggarantie beigeben wollten.656 Dies hätte schließlich zur Folge gehabt, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten eine internationale Verpflichtung eingegangen wären, die über die in ihren eigenen Rechtssystemen gewährleisteten Rechtsschutzgarantien mitunter erheblich hinausgeht.657 Die betreffenden Staaten hätten sich somit letztlich zu beträchtlichen Modifikationen ihrer eigenen Rechtsordnungen verpflichtet. Bei der Annahme, es handele sich bei Art. 6 (1) EMRK um eine Art internationales Pendant zu Art. 19 Abs. 4 GG, ist also Vorsicht geboten.658 Tragfähiges Rechtsprechung bei Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 17 ff.; v. Dijk/ v. Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 3. Aufl., 1998, S. 398 ff. 651 Zur nicht eindeutigen Wortlautauslegung vgl. Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 36 ff.; Nowak, CCPR-Kommentar, 1989, Art. 14 Rn. 10 Fn. 35. 652 Vgl. Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 258. 653 Vergleichende Normen: Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 267. 654 Hierzu Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 38 ff.; Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 260, 261. 655 Vgl. unter D. V. 656 Vgl. Jaenicke, Grundsätze, S. 314 f. 657 Vgl. Jaenicke, Grundsätze, S. 315.
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Fundament einer Betrachtung von Art. 6 (1) EMRK kann insoweit nur die Rechtsprechung des EuGMR sein. Demnach fallen zumindest bestimmte Typen von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten unter den Anspruch auf rechtliches Gehör.659 Es ergibt sich in etwa folgendes Bild: Zur Eröffnung des Anwendungsbereichs von Art. 6 (1) EMRK ist eine Streitigkeit zwischen Privatpersonen oder zwischen Privatperson und Behörde erforderlich. Gegenstand des Verfahrens muss ein Anspruch sein, d. h. ein innerstaatlich gewährtes subjektives Recht. Dieser Anspruch müsste ferner den Charakter eines „civil right“ iSv Art. 6 (1) EMRK aufweisen.660 Ein solches „civil right“ kann sich aus innerstaatlichem Privatrecht ergeben, aber auch aus solchen Rechtspositionen, die als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden können. Streitigkeiten, die durch den EuGMR als „zivilrechtlich“ iSv Art. 6 (1) EMRK eingeordnet wurden, betrafen z. B. das Recht auf private Berufstätigkeit, das Eigentumsrecht, Schadensersatzforderungen gegenüber dem Staat, sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, beamtenrechtliche Rechtsverhältnisse etc.661 Nicht unter die Norm subsumiert wurden durch den EuGMR solche Streitigkeiten, die sozusagen dem Kernbereich des öffentlichen Rechts662 zuzuordnen sind. So beispielsweise Steuer-, Asyl-, ausländerrechtliche Verfahren, Streitigkeiten betreffend das aktive und passive Wahlrecht, Wehrdienstverweigerung, Auflösungen von Versammlungen, Verleihung der Staatsbürgerschaft etc.663 Der Rechtsprechung des EuGMR zufolge ist also ein beträchtlicher Bereich von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht von Art. 6 (1) EMRK erfasst. Eine umfassendere Auslegung der Norm im Hinblick auf eine größere Transparenz des Straßburger case law ist zwar bisweilen gefordert worden.664 Diese Ansicht konnte sich bislang jedoch nicht 658 Vgl. Schmidt-Aßmann, Verfahrensgarantien im Bereich des öffentlichen Rechts: Darstellung der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland mit vergleichenden Hinweisen auf die Bundesverwaltungsrechtspflege in der Schweiz im Blick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, in: Matscher (Hrsg.), Verfahrensgarantien, S. 91, 98. 659 Kley-Struller, Art. 6 EMRK, S. 49. 660 Peters, Menschenrechtskonvention, S. 104. 661 Übersichten über die Rechtsprechung bei Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 17 ff.; Peters, Menschenrechtskonvention, S. 104 ff.; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 354; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 41 ff.; Kley-Struller, Art. 6 EMRK, S. 38 ff. 662 Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 7. 663 Siehe die Übersichten bei Grabenwarter, Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 7; Peters, Menschenrechtskonvention, S. 105, jeweils m. w. N. d. Rspr. 664 Benthem Case, EuGMR, Ser. A, Vol. 97 (1986), 22.05.1984, Dissenting Opinion, 34 (37); v. Dijk/v. Hoof, Theory, S. 406; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 33 m. w. N.; v. Dijk, The interpretation of „civil rights and obligations“ by the European Court of Human Rights – one more step to take, in: Matscher/Petzold, Studies in honour of Gérard J. Wiarda, 1988, S. 143; Golsong, Völkerrechtliche Vertragsbestimmungen über den innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 259 m. w. N.; vgl. die Diskussion bei Matscher (Hrsg.),
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durchsetzen. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass Art. 6 (1) EMRK nach der Straßburger Rechtsprechung665 keinen umfassenden Anspruch gegen den Staat auf eine primäre gerichtliche Kontrolle hoheitlicher Gewalt enthält.666 c) Rechtsweggarantie versus Jurisdiktionsimmunität Abgesehen von der Frage des prinzipiellen Umfangs des Anspruchs auf rechtliches Gehör, ergibt sich bei der Suche nach einem rechtlichen Rahmen für die Kontrolle internationaler Hoheitsgewalt ein weiteres Problem. Das Recht auf Zugang zu Gericht wird von Art. 6 (1) EMRK nicht uneingeschränkt garantiert. Den Vertragsstaaten verbleibt grundsätzlich ein Spielraum bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Klagen und Rechtsmitteln.667 Auch gewisse Beschränkungen des Zugangs zu Gericht werden von Art. 6 (1) EMRK nicht ausgeschlossen668, solange sie den Wesensgehalt der Norm nicht verletzen, ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sind.669 Als implizite Beschränkungen von Art. 6 (1) EMRK werden die Prinzipien der parlamentarischen670 und diplomatischen Immunität verstanden671 sowie auch die international übliche Praxis, internationalen Organisationen und Organen in Verfahrensgarantien, S. 146 ff.; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 57 ff.; KleyStruller, Art. 6 EMRK, S. 48 f., 55 ff. 665 Auch das BIHVG orientiert sich ausdrücklich an dieser Rechtsprechung, vgl. z. B. U 28/00, § 26 f. 666 Bisweilen wird in diesem Zusammenhang als Argument für ein umfassenderes Verständnis von Art. 6 (1) EMRK folgendes obiter dictum des EuGMR zitiert, Case of Klass and Others, EuGMR, Ser. A, Vol. 28 (1979), 06.09.1978, 25: „[. . .] the rule of law implies, inter alia, that an interference by the executive authorities with an individual’s right should be subject to an effective control which should normally be assured by the judiciary, at least in the last resort, judicial control offering the best guarantee of independence, impartiality and a proper procedure.“ Diese Passage sagt jedoch nichts über das Erfordernis einer primären gerichtlichen Kontrolle aus. Eine Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern durch die Exekutive kann auch im Wege von sekundärem Rechtsschutz iSv Schadensersatzansprüchen gegen den Staat abgegolten werden. Dieses Prinzip des „dulde und liquidiere“ ist ja gerade in vielen staatlichen Rechtsordnungen als eigentlicher Kern des Rechtsschutzes gegenüber dem Staat anerkannt (vgl. Jaenicke, Grundsätze, S. 314). Eben dieser Aspekt ist jedoch von der Rechtsprechung des EuGMR unter den Anwendungsbereich des Art. 6 (1) EMRK subsumiert worden. Weder auf der nationalen noch auf der vorliegend interessierenden internationalen Ebene ist aber die Frage eines sekundären Rechtsschutzes gegenüber hoheitlicher Gewalt das eigentliche Problem. Problematisch ist vielmehr, ob bzw. inwieweit gem. Art. 6 (1) EMRK hoheitliche Akte exekutiver Natur von dem Betroffenen im Wege einer primären Rechtskontrolle abgewehrt werden können müssen. Gerade diesbezüglich ist die Rechtsprechung des EuGMR aber sehr zurückhaltend. 667 Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 361. 668 Reinisch, International Organizations, S. 284. 669 Hierzu Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 361; Tams, in: AVR 40 (2002), S. 338; Gaillard/Pingel-Lenuzza, in: ICLQ 51 (2002), S. 6; Pingel-Lenuzza, Autonomie juridictionnelle et employeur privilégié, in: RGDIP 104 (2000), S. 456.
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bestimmtem Umfang Immunität gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit zu gewähren.672 Die zunehmenden Aktivitäten und Kompetenzen von internationalen Organisationen und Organen jedweder Art haben jedoch den grundsätzlichen Widerstreit zwischen den in multilateralen Menschenrechtsabkommen vereinbarten Rechtsweggarantien und internationalen Institutionen gewährten Jurisdiktionsimmunitäten immer deutlicher zutage treten lassen.673 Eine Auflösung dieser Konfliktlage ist bislang allenfalls in Ansätzen zu erkennen. So hatte der EuGMR in zwei Fällen zu untersuchen, ob die Immunität der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) vor der deutschen Gerichtsbarkeit mit dem Recht aus Art. 6 (1) EMRK zu vereinbaren ist.674 Das Gericht hat anhand dieses Beispiels einmal mehr auf das Risiko eines Leerlaufens von Konventionsrechten durch Übertragung von Kompetenzen auf internationale Institutionen hingewiesen.675 670 Vgl. Agee v. United Kingdom, EKMR, A 7729/76, 17.12.1976, DR 7, 164 (175): „Article 6 (1) must be interpreted with due regard to parliamentary immunity as traditionally recognised in the States parties to the Convention. The principle of immunity in respect of such statements is generally recognised as a consequence of an effective political democracy within the meaning of the preamble to the Convention.“; Wenckstern, Immunität, S. 59; Golder Case, EuGMR, Ser. A, Vol. 18 (1975), 21.02. 1975, 52. 671 Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 62. 672 Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 6 Rn. 26 m. w. N.; vgl. Ary Spaans v. The Netherlands, EKMR, A 12516/86, 12.12.1988, DR 58, 119 (122): „The Commission notes that it is in accordance with international law that States confer immunities and privileges to international bodies like the Iran-United States Claims Tribunal which are situated in their territory. The Commission does not consider that such a restriction of national sovereignty in order to facilitate the working of an international body gives rise to an issue under the Convention.“; vgl. auch Bartelt/Zeitler, in: EuZW 14 (2003), S. 716. 673 Hierzu Reinisch, International Organizations, S. 282 ff.; Wellens, Remedies, S. 214 f.; Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 88 ff.; Gaillard/Pingel-Lenuzza, in: ICLQ 51 (2002), S. 15; Wenckstern, Immunität, S. 58 ff.; Bröhmer, Völkerrechtliche Immunität, S. 87 f.; Habscheid, Immunität, S. 255 ff.; Schmalenbach, Haftung, S. 328 f. 674 Ausführlich zu diesen Fällen Reinisch, Waite and Kennedy v. Germany, Application No. 26083/94; Beer and Regan v. Germany, Application No. 28934/95, in: AJIL 93 (1999), S. 933 ff.; Busch, Bedeutung, S. 64 ff.; Bröhmer, Völkerrechtliche Immunität, S. 88 ff.; vgl. auch Walter, in: AöR 129 (2004), S. 55; Gaillard/Pingel-Lenuzza, in: ICLQ 51 (2002), S. 5 ff.; Pingel-Lenuzza, in: RGDIP 104 (2000), S. 455 ff.; Walter, in: ZaöRV 59 (1999), S. 979 f.; Ress, in: ZeuS 2 (1999), S. 484 f.; Habscheid, Immunität, S. 266 ff. 675 EuGMR, A 26093/94, Waite and Kennedy v. Germany, 18.02.99, § 67: „The Court is of the opinion that where States establish international organisations in order to strengthen their cooperation in certain fields of activities, and where they attribute to these organisations certain competences and accord them immunities, there may be implications as to the protection of fundamental rights. It would be incompatible with the purpose and object of the Convention, however, if the Contracting States were thereby absolved from their responsibility under the Convention in relation to the field of activity covered by such attribution.“ Siehe dazu auch De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 188 f.
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Als zentrales Kriterium für die Frage der Vereinbarkeit von Jurisdiktionsimmunitäten und Art. 6 (1) EMRK nannte das Gericht den Gesichtspunkt, ob dem Individuum effektive alternative Rechtsschutzmöglichkeiten im Rahmen der betreffenden Internationalen Organisation zur Verfügung stehen.676 Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Praxis der staatlichen Immunitätsgewährung gegenüber internationalen Institutionen677, stellte das Gericht klar, dass es derartige Immunitäten im Hinblick auf Art. 6 (1) EMRK im Einzelfall darauf untersuchen wird, ob diese legitime Zwecke verfolgen und mit Blick auf den verfügbaren Rechtsschutz des Individuums noch als verhältnismäßig angesehen werden können.678 Das heißt, dass der EuGMR gegebenenfalls die Nichtgewährung staatlichen Rechtsschutzes gegenüber internationalen Institutionen als Verstoß des betreffenden Staates gegen Art. 6 (1) EMRK ansehen würde.679 Mit Blick auf den vorliegend interessierenden Aspekt der gerichtlichen Kontrolle internationaler Hoheitsgewalt ist jedoch festzustellen, dass diese vorsichtige Positionierung des EuGMR im Spannungsfeld von Jurisdiktionsimmunität 676 Waite und Kennedy v. Germany, EuGMR, B 26083/94, 18.02.1999, EuGRZ 26 (1999), 207, § 68: „For the Court, a material factor in determining whether granting ESA immunity from jurisdiction is permissible under the Convention is whether the applicants had available to them reasonable alternative means to protect effectively their rights under the Convention.“; vgl. Gaillard/Pingel-Lenuzza, in: ICLQ 51 (2002), S. 7; Hailbronner, in: AVR 42 (2004), S. 338 ff.; zum Ansatz alternativer Rechtsschutzmöglichkeiten Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 146 f., 163; für die Situation in BiH vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Opinion on a possible solution to the issue of decertification of police officers in Bosnia and Herzegovina, 24.10.2005, §§ 39 ff. 677 Waite und Kennedy v. Germany, EuGMR, B 26083/94, 18.02.1999, EuGRZ 26 (1999), 207, § 63: „Like the Commission, the Court points out that the attribution of privileges and immunities to international organisations is an essential means of ensuring the proper functioning of such organisations free from unilateral interference by individual governments.“ 678 In beiden Fällen gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Immunitätsgewährung gegenüber ESA keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 6 (1) EMRK darstellt. Waite und Kennedy v. Germany, EuGMR, B 26083/94, 18.02.1999, EuGRZ 26 (1999), 207, § 73: „In view of all these circumstances, the Court finds that, in giving effect to the immunity from jurisdiction of ESA on the basis of section 20 (2) of the Courts Act, the German courts did not exceed their margin of appreciation. Taking into account in particular the alternative means of legal process available to the applicants, it cannot be said that the limitation on their access to the German courts with regard to ESA impaired the essence of their ,right to a court‘ or was disproportionate for the purposes of Art. 6 § 1 of the Convention.“ Kritisch zu diesem Ergebnis Pingel-Lenuzza, in: RGDIP 104 (2000), S. 458 ff.; Bröhmer, Die völkerrechtliche Immunität von der staatlichen Gerichtsbarkeit und die Verfahrensgarantien der EMRK – Einige Anmerkungen zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Waite & Kennedy und Beer & Regan gegen die Bundesrepublik Deutschland, in: Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, 2002, S. 90; Ress, Europarecht, S. 24. 679 Zur vergleichbaren Situation bzgl. der Staatenimmunität siehe Tams, in: AVR 40 (2002), S. 331 ff.; Ress, Europarecht, S. 11 f.
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und Rechtsweggarantie anhand einer arbeitsrechtlichen und somit zivilrechtlichen Streitigkeit erfolgt ist, also anhand eines Verfahrens, welches sich inhaltlich ohne weiteres unter den Anwendungsbereich des Art. 6 (1) EMRK subsumieren lässt.680 Selbst wenn man Art. 6 (1) EMRK als eine umfassende Rechtsweggarantie – auch gegenüber Akten hoheitlicher Gewalt – interpretieren würde, so müsste doch die vom EuGMR im skizzierten Kontext vorgenommene Abwägung zwischen Immunität und Individualrechtsschutz vor dem Hintergrund der Ausübung von Hoheitsgewalt durch Organe einer internationalen Notstandsverwaltung möglicherweise ganz anders ausfallen. Zur Beantwortung der Frage, ob in einem solchen Fall Immunitäten internationaler Verwaltungsorgane einem legitimen Ziel dienen oder im Hinblick auf etwaige Verkürzungen des Rechtsschutzes von Individuen als verhältnismäßig anzusehen sind, müssten die besonderen Umstände einer solchen Übergangsverwaltung gewürdigt werden. Besondere Berücksichtigung finden müssten in einer solchen Wertung die Gesichtspunkte des staatlichen Notstands681 (der Rechtsgedanke der Derogation von menschenrechtlichen Verpflichtungen in bestimmten Situationen682), der temporäre Charakter der internationalen Verwaltung, die Finalität dieser internationalen Ingerenz („Werteverankerung“, staatliche und internationale Integration683). Dabei mag eine solche Abwägung bei lange andauernden Verwaltungsmissionen wie derjenigen in Bosnien und Herzegowina etwa in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter Umständen einen anderen Ausschlag finden als nach mehreren Jahren der Stabilisierung.684
680 Vgl. Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 92 ff., 164, der bzgl. des Konflikts von Jurisdiktionsimmunität und den Verpflichtungen des IPbpR ebenfalls zivilrechtliche Streitigkeiten Internationaler Organisationen anführt; Habscheid, Immunität, S. 256 f. 681 Vgl. v. Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 387; Schmalenbach, Haftung, S. 471. 682 Vgl. Art. 15 (1) EMRK: „Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen.“; die Voraussetzungen der Norm werden durch den EuGMR eng ausgelegt. Art. 15 (3) EMRK sieht ferner eine Erklärungspflicht des betreffenden Staates gegenüber dem Europarat vor. Dem Staat steht dennoch ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über das Vorliegen einer Notstandssituation zu. Hierzu Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 15 Rn. 3, 5; Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 15 Rn. 3. Der Staat Bosnien und Herzegowina hat nicht etwa eine solche Notstandserklärung gegenüber dem Europarat abgegeben. Dies wäre auch erst mit dem formellen Beitritt zum Europarat im Jahre 2002 möglich gewesen. Es kann im vorliegenden Zusammenhang insofern nur auf den Rechtsgedanken einer solchen Derogation verwiesen werden. Zum Thema Derogation in universellen und regionalen Menschenrechtspakten siehe auch Jayawickrama, Judicial Application, S. 202 ff. Zum Beispiel des parallelen Problems im Kosovo Schmalenbach, Haftung, S. 471 f.; Nowicki, Ombudsperson Institution in Kosovo, Special Report No. 1, 26.04.01, § 34. 683 Vgl. Hobe/Griebel, Privatisierungsmaßnahmen der UNMIK im Kosovo, S. 150.
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Festzuhalten ist jedenfalls, dass der Konflikt von menschenrechtlich begründeten Rechtsweggarantien und Jurisdiktionsimmunitäten internationaler Institutionen ein Spannungsfeld darstellt, welches durch Literatur und Rechtsprechung bislang keineswegs aufgelöst werden konnte685, und welches im Falle von internationalen Verwaltungsorganen mit quasi-staatlichen Kompetenzen noch an zusätzlicher Komplexität gewinnt. Der EuGMR hat mit seiner Rechtsprechung eine Orientierungshilfe gegeben.686 Man kann daraus jedoch nicht den pauschalen Schluss ziehen, dass ein implizites oder explizites Ausnehmen von internationalen Verwaltungsorganen von der nationalen Gerichtsbarkeit, noch dazu im Bereich hoheitlicher Tätigkeit, einen Verstoß gegen Art. 6 (1) EMRK darstellt, auch wenn dadurch der Rechtsschutz für den Einzelnen stark eingeschränkt wird bzw. ausfällt. Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung des Menschenrechtsschutzes auch und inbesondere für den Bereich der Krisenbewältigung durch die internationale Gemeinschaft, mag es rechtspolitische Argumente dafür geben, das Freizeichnen internationaler Verwaltungsinstanzen von der Verantwortlichkeit vor nationaler Gerichtsbarkeit (so vorhanden) in Zukunft restriktiver zu handhaben.687 Gerade in Fällen von Notstandsverwaltung durch die Staatengemeinschaft sind allerdings – wie erwähnt – auch Gegenargumente denkbar. d) Ergebnis Die vorangegangene Problemskizze verdeutlicht, dass Zurückhaltung geboten ist mit der vorschnellen Annahme, das Nichtvorhandensein gerichtlicher Kontrollmöglichkeiten gegenüber quasi-staatlich tätigen internationalen Verwaltungsorganen verstoße gegen völkerrechtliche Rechtsweggarantien. Die anhand von Art. 6 (1) EMRK angestellten Überlegungen können insoweit entsprechende Gültigkeit für vergleichbare Normen aus anderen Menschenrechtspakten beanspruchen, z. B. Art. 14 (1) IPbpR.688 In jedem Fall wäre der Schutzumfang 684 In diese Richtung wohl Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 149; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 97; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 95. 685 Darauf hinweisend Reinisch, International Organizations, S. 282; Caplan, International Governance, S. 209 f.; zurückhaltend auch Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 164 f. 686 Vgl. Biehler, in: AVR 41 (2003), S. 178; Schmalenbach, Haftung, S. 473 f. 687 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 150; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, § 69; allgemein für Internationale Organisationen Reinisch, International Organizations, S. 288. 688 Auch diese Norm entfaltet für den Staat Bosnien und Herzegowina Gültigkeit. Es kommen wiederum mehrere Geltungsgründe in Betracht. Die Republik Bosnien und Herzegowina hatte bereits im Jahre 1992 gegenüber dem VN-Generalsekretär erklärt, dass sie sich als ein Rechtsnachfolger der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien
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einer solchen Norm zu prüfen sowie dessen implizite Beschränkung (Immunitäten) im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer bestimmten internationalen Institution. Was z. B. die Behörde des HR betrifft, ist festzustellen, dass – entsprechend der Komplexität seiner rechtlichen Konstruktion – auch die Regelung über seine Jurisdiktionsimmunität ungewöhnlich erscheint. Aufgrund seiner ursprünglichen Konzeption als eine Art Botschafter der Staatengemeinschaft in BiH ist der HR mit den Immunitäten einer diplomatischen Mission ausgestattet689, was angesichts der hoheitlichen Befugnisse, die er letztlich als eine veritable Behörde im Staatsgefüge von BiH ausgeübt hat, nicht ganz stimmig erscheint.690 Jedenfalls versteht die Behörde des HR die Immunitätsregelung (Art. 3/Annex 10) in Verbindung mit dem internationalen Mandat des HR (insbes. Art. V/Annex 10) als eine grundsätzlich umfassende Befreiung des HR von der staatlichen Gerichtsbarkeit auch und insbesondere bezüglich seiner hoheitlichen Maßnahmen.691 Den Umstand, dass der HR die U 9/00-Rechtsprechung des BIHVG zur Überprüfbarkeit seiner Legislativakte akzeptiert hat, könnte man als einen (politisch motivierten) impliziten Verzicht692 auf diese Immunität interpretieren, der im Bereich der Exekutivmaßnahmen bislang nicht stattgefunden hat. Die Tatsache, dass das BIHVG in seiner Rechtsprechung den Immunitätsgesichtspunkt gar nicht aufgegriffen hat, sondern seine Zuständigkeit bzw. Unzuständigkeit gegenüber Akten des HR jeweils auf anderem Wege begründet hat, kann man – besonders mit Blick auf den Gedanken der funktionalen Dualität – dahingehend verstehen, dass das Gericht die besondere Stellung des HR als ein internationalisiertes Notstandsverfassungsorgan betonen wollte, welches sich durch eine bean deren menschenrechtliche Vertragsverpflichtungen, darunter den IPbpR, gebunden betrachtet. Vgl. Kamminga, in: EJIL 7 (1996), S. 476; im Abkommen von Dayton sieht Annex I zu Annex 4 vor, dass der IPbpR für Bosnien und Herzegowina verbindlich ist. Für einen vergleichenden Überblick über völkerrechtliche Rechtsweggarantien siehe Jayawickrama, Judicial Application, S. 478 ff. Zum Beispiel des IPbpR in diesem Zusammenhang siehe Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 92. Zu menschenrechtlichen Ansprüchen auf Justizgewährung am Beispiel des benachbarten Kosovo Schmalenbach, Haftung, S. 471. 689 Siehe Kap. II. C. I. 4. a). 690 Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (Art. 31 ff.) sieht grundsätzlich personenbezogene, nicht aber organisationsbezogene Immunitäten vor, wie z. B. die VN-Immunitätenkonvention, die den VN als Organisation die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Immunitäten zuerkennt, vgl. Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations, UNTS 1946/47, Vol. 1, S. 16–32. Zum Immunitätsgesichtspunkt am Beispiel UNEF I vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 222 ff. 691 In diese Richtung auch Wilde, Accountability, S. 167; ders., in: ASIL Proc. 95 (2001), S. 254. 692 Zu Voraussetzungen und Umständen eines Immunitätsverzichts vgl. Muller, International Organizations, S. 163 f.; Reinisch, International Organizations, S. 214 ff.; zum Problem eines impliziten Immunitätsverzichts ders., a. a. O., S. 222 ff.
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sondere Nähe zur nationalen Verfassungsordnung auszeichnet, welche für klassische internationale Organe/Organisationen untypisch ist. Festzuhalten ist im Ergebnis, dass das Fehlen von gerichtlichen oder quasigerichtlichen primären Rechtsschutzmechanismen gegenüber internationalen Verwaltungsorganen der Staatengemeinschaft aus der Perspektive internationaler Menschenrechtsgarantien nicht ohne weiteres als völkerrechtswidrig eingestuft werden kann. Das aus rechtspolitischer Sicht möglicherweise Wünschenswerte darf in der Debatte um eine stärkere rechtliche Einbindung internationaler Verwaltungsinstanzen nicht den nüchternen Blick darauf versperren, dass sich die Herleitung der Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Rechtsweggarantie auf eine bestimmte Konstellation ratione personae, ratione materiae sowie auch ratione temporis693 erheblichen Hürden gegenübersieht, sofern neben der speziellen völkerrechtlichen Grundlegung eines internationalen Verwaltungsregimes ein Rückgriff auf allgemeinere Verpflichtungen überhaupt offen steht. IV. Das humanitäre Völkerrecht Möglicherweise sind dem humanitären Völkerrecht, genauer gesagt dem internationalen Recht der Besatzung, vertragliche oder gewohnheitsrechtliche Regelungen über die gerichtliche Kontrolle einer Besatzungsmacht zu entnehmen, welche auf Verwaltungsmissionen der internationalen Gemeinschaft direkte oder zumindest analoge Anwendung finden könnten. Die kriegerische Besetzung (occupatio bellica) stellt eine Form der Fremdherrschaft dar, bei der eine Besatzungsmacht die durch bewaffneten Konflikt erlangte Herrschaft über ein fremdes staatliches Territorium sowie dessen Bevölkerung ausübt. Das Recht der kriegerischen Besetzung, wie es aus den Art. 42–56 HLKO694, Art. 27–34, 47–78 GA IV695, Art. 14, 54, 57, 63, 69 GA ZP I von 1977696 sowie Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen hervorgeht, regelt die Beziehungen der Besatzungsmacht zu dem besetzten Gebiet und bezweckt insbesondere eine Eingrenzung der Befugnisse der Besatzer.697 Im Gegensatz zum internationalen Recht der Menschenrechte verleiht 693 D. h. es ist grundsätzlich zu prüfen, ab welchem Zeitpunkt eine bestimmte menschenrechtliche völkervertragliche Verpflichtung für z. B. den Staat in Kraft getreten ist und zu welchem Zeitpunkt die spezielle völkerrechtliche Begründung der internationalen Verwaltungsstruktur erfolgt ist. Vgl. De Wet/Nollkaemper, in: GYIL 45 (2002), S. 189. 694 Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung, 1907, HLKO). 695 IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (1949, GA IV). 696 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (1977, GA ZP I).
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das Besatzungsrecht nicht dem einzelnen Individuum auf dem besetzten Territorium subjektive Rechte, sondern setzt der Allmacht der Besatzungsmacht objektive Schranken. Die Besatzungsmacht nimmt bis zur endgültigen Entscheidung über das Schicksal des betreffenden Gebiets die Stellung eines provisorischen Verwalters ein698, dem somit auch eine, wenn auch begrenzte treuhänderische699 Funktion zukommt. Das Besatzungrecht stellt jedoch lediglich einen Minimumstandard dar, der durch die Besatzungsmacht nicht zu unterschreiten ist, der dieser aber einen nicht unerheblichen Spielraum bei der Verwaltung des besetzten Gebiets belässt. Grundsätzlich ähnlich sind sich Besatzungsregime und internationale Verwaltungsmissionen insoweit, als es darum geht, dass militärische Truppenverbände bzw. Zivilverwaltungsorgane in einem fremden Staat auf völkerrechtlicher Grundlage hoheitliche Gewalt ausüben. Die bedeutenden Unterschiede700 zwischen den beiden Bereichen lassen jedoch eine Anwendung von besatzungsrechtlichen Regelungen zweifelhaft erscheinen. Problematisch ist bereits die Frage, ob das Recht der sog. kriegerischen Besetzung auch in Fällen von nichtkriegerischen Besetzungen (occupatio pacifica701) Anwendung finden kann, also beispielsweise in Fällen, in denen ein Staat z. B. durch völkerrechtlichen Vertrag der Präsenz von fremden militärischen Kräften bzw. Fremdverwaltung in bestimmtem Umfang zustimmt. Es ist den relevanten völkervertraglichen Grundlagen des Besatzungsrechts nicht ausdrücklich zu entnehmen, ob diese Normen auch in derartigen Fällen gelten sollen.702 Nach Sinn und Zweck des Besatzungsrechts dient dieses der Regelung von faktisch, also durch die Anwendung militärischer Gewalt, entstandenen Situationen von Truppenpräsenz auf fremdem Territorium. Besteht für den Aufenthalt fremder Kräfte eine vertragliche Regelung, geht diese als lex specialis703 den allgemeinen Besatzungsregeln vor. Ratio des Besatzungsrechts ist jedoch auch die Gewährleistung eines Minimalstandards gegenüber einem besetzten Gebiet und seinen Bewohnern, der selbst in Zeiten militärischer Konfrontation nicht unterschritten werden 697 Gasser, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, Kap. 5, S. 194; Bothe, Occupation, Belligerent, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III (1997), S. 763 f. 698 Vgl. Gasser, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch, Kap. 5, S. 194; Mössner, Military Government, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III (1997), S. 392. 699 Der Treuhandgedanke der Besatzung ist z. B. betont worden im Kontext der alliierten Besatzung Deutschlands; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 140; vgl. Bothe, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III (1997), S. 765. 700 Vgl. Caplan, International Governance, S. 3 f. 701 Vgl. Bothe, Occupation, Pacific, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III (1997), S. 766 ff. 702 Siehe Art. 42 HLKO, Art. 2 GA IV; ausführlich hierzu Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 380 ff. 703 Vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 47; für den Bereich des sekundären Rechtsschutzes Schmalenbach, Haftung, S. 343.
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darf.704 Es erscheint somit vertretbar, die Normen des Besatzungsrechts dahingehend auszulegen, dass sie auch bzw. erst recht in Fällen friedlicher Besetzung anwendbar sind705, zumindest in ergänzender Form, soweit eine vorrangige vertragliche Vereinbarung lückenhaft oder nicht abschließend ist. Geht man somit von der materiellen Anwendbarkeit des Besatzungsrechts auf die occupatio pacifica aus, rechtfertigt sich auch eine zumindest analoge Anwendung besatzungsrechtlicher Vorschriften auf internationale Treuhandverwaltungsmissionen706, stets unter dem Vorbehalt des prinzipiellen Vorrangs der speziellen rechtlichen Grundlage einer solchen Verwaltung, sei es aus völkerrechtlichem Vertrag707 oder etwa aus einer Resolution des VN-Sicherheitsrats708. Das Besatzungsrecht enthält eine Reihe von Vorschriften, welche die Verwaltung des betroffenen Territoriums sowie das Verhältnis der Besatzungsmacht zur lokalen Rechtsordnung regeln. So kann beispielsweise die Besatzungsmacht unter der Voraussetzung militärischer Notwendigkeit eigene Verwaltungsstellen einsetzen, eigene Rechtsvorschriften oder Einzelmaßnahmen erlassen und auch in engen Grenzen geltende Gesetze außer Kraft setzen. Die nationale Rechtsordnung sowie die Gerichtsbarkeit des besetzten Gebiets bestehen jedoch grund704
Nachweise bei Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 382. Vgl. Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 385; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 140; für eine analoge Anwendung McNair/Watts, The Legal Effects of War, 1966, S. 418, 420, 423; zum Rechtsgedanken eines unabdingbaren besatzungsrechtlichen Minimalstandards vgl. Art. 47 GA IV: „Geschützten Personen, die sich in besetztem Gebiet befinden, werden in keinem Falle und auf keine Weise die Vorteile des vorliegenden Abkommens entzogen, weder wegen irgendeiner Veränderung, die sich aus der Tatsache der Besetzung bei den Einrichtungen oder der Regierung des in Frage stehenden Gebietes ergibt, noch auf Grund einer zwischen den Behörden des besetzten Gebietes und der Besatzungsmacht abgeschlossenen Vereinbarung, noch auf Grund der Einverleibung des ganzen besetzten Gebietes oder eines Teiles davon durch die Besatzungsmacht.“ Hervorhebung des Verf., Art. 8 GA IV: „Die geschützten Personen können in keinem Falle, weder teilweise noch vollständig, auf die Rechte verzichten, die ihnen das vorliegende Abkommen und gegebenenfalls die im vorstehenden Artikel genannten Sondervereinbarungen verleihen.“ Zu diesen Normen Gasser, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch, Kap. 5, S. 203 Rn. 541, 542. 706 Für das Beispiel Kosovo Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 384, 387; Cerone, in: EJIL 12 (2001), S. 481 ff.; vgl. auch ders., Reasonable measures in unreasonable circumstances: a legal responsibility framework for human rights violations in post-conflict territories under UN administration, in: White/Klaasen (Hrsg.): The UN, human rights and post-conflict situations, 2005, S. 68 f.; zurückhaltend Carlowitz, in: AVR 41 (2003), S. 363 ff., 372 ff. 707 Was Peacekeeping-Verbände der VN oder regionaler Organisationen angeht, sei an die typischerweise mit dem Aufenthaltsstaat abgeschlossenen sog. Status of Forces Agreements, SOFAs, erinnert. Vgl. Model Status of Forces Agreement for Peacekeeping Operations, Report of the Secretary-General of 9 October 1990, UN Doc. A/45/ 594. Für das Beispiel Bosnien und Herzegowina ist das vielschichtige Abkommen von Dayton relevant. 708 Bothe, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL III (1997), S. 768; für das Beispiel des Kosovo vgl. die VN-Sicherheitsratsresolution 1244 (1999). 705
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sätzlich fort. Sofern die Besatzungsmächte besondere Besatzungsgerichte einrichten, haben diese nach rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen vorzugehen. Die besatzungrechtlichen Vorschriften enthalten hingegen keine Aussage darüber, ob nationale Gerichte oder Gerichte der Besatzungsmacht dazu berechtigt oder verpflichtet sind, die Besatzungsmacht auf Verstöße gegen Besatzungsrecht bzw. nationales Recht gerichtlich zu überprüfen.709 Dennoch erscheint der Gedanke nicht fern liegend, schließlich ist die Besatzungsmacht nicht etwa Rechtsnachfolger der vorübergehend verdrängten Staatsgewalt. Eine Übertragung ihrer eigenen Rechts- bzw. Verfassungsordnung in das besetzte Territorium ist ihr untersagt.710 Der Besatzungsmacht fallen ausschließlich diejenigen Rechte zu, die das völkerrechtliche Besatzungsregime enthält.711 Da die Historie eine Reihe von Beispielsfällen aus dem Spannungsfeld Besatzungsmacht versus nationale Gerichtsbarkeit bereithält, wäre an die Herausbildung eines völkergewohnheitsrechtlichen Rechtssatzes zu denken, wonach die Besatzungsmacht ihre Akte durch die Gerichte des besetzten Territoriums überprüfen lassen muss.712 Wiewohl in einer Vielzahl von Konstellationen durch nationale Gerichte Akte von Besatzungsbehörden direkt oder indirekt zum Gegenstand rechtlicher Überprüfung gemacht worden sind, lässt sich eine zum Nachweis von Völkergewohnheitsrecht erforderliche einheitliche Staatenpraxis nicht feststellen. Manche Gerichte sahen sich für eine derartige gerichtliche Kontrolle für zuständig an, andere wiederum lehnten eine solche Kontrolle ab.713 Darüber hinaus ist auch nicht nachzuweisen, dass sich Besatzungsmächte für verpflichtet gehalten haben, solche gerichtlichen Kontrollen zuzulassen bzw. sich deren Ergebnissen zu fügen. Es fehlt somit auch an der opinio iuris auf Seiten der Besatzer.714 Ebensowenig ist eine gewohnheitsrechtliche Norm auszumachen, wonach Besatzungsmächte verpflichtet wären, im Wege von selbst geschaffenen Besatzungsgerichten715 Rechtsschutzmöglichkeiten gegen ihre eigenen Rechtsakte bereitzustellen716, was in einzelnen Fällen vorgekommen ist717. 709 Vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 142; Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 30 f.; Herbst, Rechtsschutz, S. 74 f.; Freitag, Rechtsschutz, S. 30 f. 710 Hierzu Irmscher, in: GYIL 44 (2001), S. 390 ff. 711 Gasser, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch, Kap. 5, S. 197 Rn. 529, 530. 712 Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 31. 713 Einen Überblick über die internationale Gerichtspraxis geben Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 32 f. m. w. N.; Herbst, Rechtsschutz, S. 76 f. m. w. N.; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 142 f.; für das Beispiel Deutschlands siehe auch oben C. III. 2. a). (3). a. Auch die Ansichten im rechtswissenschaftlichen Schrifttum gehen hierüber auseinander, vgl. Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 142 m. w. N. 714 Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 33; Stahn, in: ZaöRV 61 (2001), S. 143. 715 Die von Besatzungsmächten mitunter eingerichteten Militärgerichte haben typischerweise die Aufgabe, Verstöße gegen besatzungsrechtliche Strafbestimmungen bzw. gegen die besatzungsrechtliche Ordnung als solche zu ahnden. Derartige Strafverfahren haben bestimmten rechtstaatlichen Mindestanforderungen zu genügen, vgl. Gasser,
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Trotz der prinzipiellen Möglichkeit, vertragliche und gewohnheitsrechtliche Normen des Besatzungsrechts ergänzend für eine rechtliche Beurteilung einer internationalen Verwaltungsmission heranzuziehen und trotz der Tatsache, dass das internationale Besatzungsrecht Elemente der rule of law718 bzw. des fair trial-Prinzips völkerrechtlich verankert719, ist somit dennoch festzustellen, dass die Betrachtung dieser Normen keinen Aufschluss darüber zu liefern vermag, ob und durch wen sich solche internationalen Verwaltungsorgane bei der Ausübung ihrer Funktionen einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen haben. V. Allgemeine Rechtsgrundsätze Die Begrenzung und rechtliche Überprüfbarkeit der Ausübung von Hoheitsgewalt ist ein Kernelement der Rechtsstaatsidee. Es verhindert Willkür und Machtmissbrauch und fördert Transparenz sowie Rechtssicherheit und schafft dadurch Akzeptanz unter denjenigen, die der Hoheitsgewalt unterliegen. Es verdeutlicht mithin, dass der Staat nicht um seiner selbst willen existiert, sondern innerhalb eines Ordnungsrahmens das Wohl der Bürger zu verfolgen hat. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit oder der rule of law ist freilich kein einer festen Definition unterliegendes System, es ist vielmehr in unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung getreten, je nach dem, aus welchem Verfassungsumfeld heraus sich es entwickelt hat. So lieferten die Verfassungstraditionen der Staaten unterschiedliche Antworten auf Kollisionen von verschiedenen rechtstaatlichen Strukturelementen720, wie beispielsweise dem Grundsatz der Gewaltenteilung einerseits und dem Bedürfnis nach Rechtschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt andererseits, sowie auf Konflikte zwischen dem Prinzip des Rechtsstaats und seines Komplementärs in freiheitlichen Gesellschaften, der Demokratie. Insoweit sei beispielhaft nur an die unterschiedlichen Ansichten über die Frage der Verfassungsbindung und der gerichtlichen Kontrolle von demokratisch legitimierten Volksvertretungen erinnert. Wurde diese in Nordamerika bereits früh positiv beantwortet721, so lehnt die Doktrin der angelsächsischen Parlamentsin: Fleck (Hrsg.), Handbuch, Kap. 5, S. 221 Rn. 577. Derartige Gerichte dienen regelmäßig nicht zur Rechtskontrolle der Akte der Besatzungsmächte. 716 Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 33; Herbst, Rechtsschutz, S. 78. 717 Vgl. Herbst, Rechtsschutz, S. 78. 718 Zum Aspekt einer sekundären deliktischen Verantwortlichkeit von Kriegsparteien nach den Regeln des bewaffneten Konflikts gem. Art. 3 HLKO vgl. Schmalenbach, Haftung, S. 341 ff. 719 Vgl. auch CCPR General Comment No. 29, States of Emergency (Article 4), UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.11, 31.08.2001, § 16. 720 Vgl. Schmidt-Aßmann, Gerichtsschutz gegen die Exekutive, S. 290. 721 Im Fall Marbury v. Madison (5 US [1 Cranch] 137 [1803]), hatte der Supreme Court der Vereinigten Staaten erstmals seine Befugnis festgestellt, die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen zu überprüfen.
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souveränität eine solche Kontrolle weitgehend ab722. Die Ausgestaltung von Rechtskontrolle und Rechtsschutz gegenüber hoheitlicher Gewalt unterliegt also im nationalen Bereich – auch und gerade in den sog. demokratischen Staaten westlicher Prägung – teilweise erheblichen Unterschieden. Ebenfalls innerhalb der EU-Mitgliedstaaten lässt sich diesbezüglich ein einheitlicher Standard nicht feststellen. Die Mitgliedschaft im Europarat, dessen Kernanliegen unter anderem die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit ist723, lässt insoweit nur auf gemeinsame Grundüberzeugungen schließen, deren praktische Verwirklichung mitunter deutlichen Schwankungen unterliegt. Ist die Frage wie Rechtsschutz gegen Hoheitsakte und Rechtskontrolle öffentlicher Gewalt bereits im nationalen Bereich ein schwieriges und von der Abwägung verschiedener Grundelemente der jeweiligen Verfassung bestimmtes Problemfeld, so gewinnt dieser Aspekt an zusätzlicher Komplexität, wenn er auf die internationale Ebene transponiert wird. Die im Zuge ökonomischer und politischer Globalisierungsprozesse andauernde Proliferation von internationalen Institutionen jedweder Rechtsnatur724, die mit der Kompetenz zur Ausübung von abgeleiteter hoheitlicher Gewalt ausgestattet sind, lassen das Bestreben nach Kontrolle und Rechtsschutz vor eine neue Herausforderung treten. Lassen sich im innerstaatlichen Bereich Hoheitsträger regelmäßig in einen bestehenden Verfassungsrahmen einordnen, lassen sich Hierarchie, Zuständigkeiten, Rechtsnatur und Zuordnungssubjekte mehr oder weniger eindeutig bestimmen, so ist dies für die Vielzahl der hoheitlich tätigen Instanzen auf der internationalen Bühne weitaus komplizierter. Hierarchische Strukturen lassen sich in der von Gleichordnung geprägten Völkerrechtsordnung auch unter sekundären Völkerrechtssubjekten nur selten feststellen. Zuständigkeiten Internationaler Organisationen, Behörden und Organe überlappen und konfligieren725 mangels eines globalen Ordnungsrahmens und selbst die Bestimmung der Rechtsnatur und die genaue Identifizierung der Träger einer internationalen Institution können bisweilen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Der weiter oben unternommene Versuch einer rechtlichen Einordnung der Behörde des Hohen Repräsentanten (OHR) für Bosnien und Herzegowina mag hierfür als Beispiel gelten. Teilweise 722 Allerdings eingeschränkt durch die Kompetenzen des EuGH sowie des EuGMR, vgl. De Wet, Judicial Review as an Emerging General Principle of Law and its Implications for the International Court of Justice, in: NILR 47 (2000), S. 202. 723 Siehe Art. 3 der Satzung des Europarats. 724 Für das Beispiel der Internationalen Organisationen greifen diesen Topos auf Blokker/Schermers, Proliferation of International Organizations, 2001; die Verbreitung von internationalen Behörden unterschiedlicher Natur dokumentiert Adam, Les organismes internationaux spécialisés, contribution à la théorie générale des établissements publics internationaux, Vol. I–V, 1965–1992; zu verschiedenen theoretischen Begründungen internationaler Verflechtungstendenzen vgl. Slaughter, in: Foreign Affairs 76 (1997), S. 183 ff. 725 Vgl. Ruffert, in: AVR 38 (2000), S. 129 ff.
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
wird für internationale Instanzen, seien es Organisationen, Gerichte oder sonstige Behörden, die sich einer Verortung in vorhandenen Organ- und Kompetenzstrukturen zu entziehen scheinen, der Begriff des self-contained regime726 verwendet, um zu verdeutlichen, dass es sich bei derartigen Organismen – einmal erschaffen – um in sich selbst abgeschlossene (Rechts-)Systeme handelt, die sich mit Ausnahme ihrer höchst eigenen Regularien scheinbar an keinem anderen nationalen oder internationalen Rechtsrahmen messen lassen. Auf der anderen Seite sind auf regionaler, insbesondere europäischer, aber auch globaler Ebene Konstitutionalisierungsprozesse zu beobachten.727 Das bedeutet, dass sich innerhalb der Völkerrechtsordnung – wenn auch partiell und fragmentarisch – Ordnungsrahmen herausbilden, die staatlichen Verfassungsstrukturen ähnlich sind. Eine derartige sektorale Verfassungswerdung zieht unter anderem eine Herausbildung von Elementen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene nach sich, wie Mechanismen zur Schaffung von Transparenz, Verantwortlichkeit sowie rechtlicher Kontrolle der Ausübung internationaler hoheitlicher Gewalt. Die europäische Integration, die Entwicklung des internationalen Systems zu Schutze der Menschenrechte auf Grundlage der EMRK, aber auch die Diskussion um Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sind Beispiele für diese allgemein festzustellende Tendenz zu einer institutionellen Verdichtung internationaler Hoheitsträger. Diese langsamen, zunächst lückenhaften und mitunter sehr kontroversen Prozesse sind den Vorgängen der schrittweisen Verfassungswerdung der Staaten selbst nicht unähnlich.728 Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass die Völkerrechtsordnung nicht mehr als reine Koordinationsordnung aufzufassen ist, die sich den nationalen Zivilrechtsordnungen als Hauptinspirationsquellen bedient, sondern vielmehr normative Strukturen herausbildet, in denen Elemente des staatlichen öffentlichen Rechts verstärkt Einzug halten.729 Es sind dies beispielsweise Fragen nach der Legitimation von Machtausübung, Aspekte
726 Zum Beispiel internationaler Gerichte Condorelli, in: Bancaja de Droit International Vol. I, S. 263 f. 727 Dazu z. B. Fassbender, in: Colum. J. Transnat’l Law 36 (1998), S. 529, 567, 568; Alkema, The European Convention as a constitution and its Court as a constitutional court, in: Mahoney u. a. (Hrsg.), Protecting Human Rights: The European Perspective, 2000, S. 41 ff.; Walter, in: ZaöRV 59 (1999), S. 961 ff.; Allot, Intergovernmental societies and the idea of constitutionalism, in: Coicaud/Heiskanen (Hrsg.), The Legitimacy of International Organizations, 2003, S. 69 ff.; Alvarez, Constitutional Interpretation in international organizations, in: Coicaud/Heiskanen (Hrsg.), Legitimacy, S. 104 ff.; Oeter, in: ZaöRV 59 (1999), S. 901 ff. 728 Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Dicke u. a. (Hrsg.), Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, 2000, S. 428. 729 Vgl. Martenczuk, Rechtsbindung, S. 63.
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von Gewaltenteilung und Rechtsbindung Internationaler Organisationen, von Rechtsschutz gegen Hoheitsakte internationaler Organe etc. Geht man mithin davon aus, dass auch das nationale öffentliche Recht grundsätzlich als Quelle der Rechtsgewinnung auf völkerrechtlicher Ebene offensteht, so liegt es auf den ersten Blick nahe, auf die Frage nach der notwendigen und erstrebenswerten rechtsstaatlichen Einbindung internationaler Hoheitsgewalt mit entsprechenden Anleihen aus dem öffentlichen Recht der Staaten zu antworten.730 Es fragt sich dabei jedoch stets, ob derartige Analogien völkerrechtsdogmatisch korrekt hergeleitet werden können, um tatsächlich als normative Erkenntnisquelle für das internationale öffentliche Recht gelten zu dürfen. Nach Art. 38 I lit. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs stellen die „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“ eine der Quellen des Völkerrechts dar.731 Nicht zu verwechseln mit den dem Völkergewohnheitsrecht zuzuordnenden allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts732, handelt es sich bei den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ ihrem Ursprung nach um völkerrechtsfremde Normen, die nicht einem völkerrechtlichen Verfahren der Rechtserzeugung entsprungen sind, sondern vielmehr um Rechtsgrundsätze, die in allen oder zumindest in den meisten nationalen Rechtsordnungen von grundlegender Bedeutung sind, also als Ausdruck einer allgemein als richtig empfundenen Gerechtigkeitsvorstellung733 gelten können und aufgrund ihres strukturell vergleichbaren Regelungsbereichs734 auf die Völkerrechtsordnung übertragbar erscheinen.735 Wohlgemerkt geht es bei dieser Methode der „Völkerrechtsgewinnung“ um die Ableitung von Grundsätzen und Leitprinzipien, nicht etwa um den Import von konkreten Normen oder gar kompletten Regelungssystemen vom nationalen in den internationalen Rechtsraum.736 Als Beispiele für auf diesem Wege aufgefundene Rechtsprinzipien können unter anderem die Grundsätze der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, Haftung, Schadenswiedergutmachung, 730
Vgl. Zemanek, in: ZaöRV 24 (1964), S. 453 ff. Weiss, in: AVR 39 (2001), S. 395; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 17 Rn. 1 ff. 732 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 17 Rn. 1. 733 Weiss, in: AVR 39 (2001), S. 398. 734 De Wet, in: NILR 47 (2000), S. 184. 735 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 17 Rn. 3; Steinberger, Rechtsvergleich, S. 276. 736 Vgl. Sondervotum des Richters McNair zum Gutachten des IGH im Südwestafrika-Fall (International Status of South West Africa, Advisory Opinion of 11 July 1950, ICJ Reports 1950, 128), S. 148: „The way in which international law borrows from this source is not by means of importing private law institutions ,lock, stock and barrel‘, ready-made and fully equipped with a set of rules. It would be difficult to reconcile such a process with the application of the ,general principles of law‘.“ Dazu auch Mosler, in: ZaöRV 36 (1976), S. 43; Hailbronner, in: ZaöRV 36 (1976), S. 190 ff.; Brownlie, International Law, S. 16; Herbst, Rechtsschutz, S. 68; De Wet, in: NILR 47 (2000), S. 188. 731
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
der ungerechtfertigten Bereicherung etc. gelten737, aber auch Prinzipen aus dem Bereich des öffentlichen Rechts, also aus Subordinationsrechtsordnungen738, wie z. B. allgemeine Prinzipen des Verwaltungsrechts, die vermehrt im internen Recht Internationaler Organisationen eine gesteigerte Bedeutung erfahren739, nicht zuletzt im europäischen Gemeinschaftsrecht740, welches allerdings auch in dieser Hinsicht eine Sonderstellung behaupten kann. Der Gedanke, dass ein auf diesem Wege durch Rechtsvergleichung zu gewinnender „allgemeiner Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit“ auf völkerrechtlicher Ebene gleichsam als Maßstab für die Ausübung von und den Rechtsschutz gegenüber Hoheitsgewalt internationaler Organe nutzbar gemacht werden kann, erscheint mithin verlockend741, allerdings nur sehr bedingt erfolgversprechend.742 Das liegt zum einen an der eingangs erwähnten Schwierigkeit einer Feststellung von einigermaßen einheitlichen Standards von gerichtlicher Kontrolldichte hoheitlicher Gewalt auf nationaler (europäischer und globaler) Ebene.743 Wiewohl rechtsvergleichende Untersuchungen in diesem Bereich z. T. Konvergenzen feststellen können, wird man zumeist nicht von einem Erstarken eines konkreten Rechtsprinzips zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz sprechen können.744 Als „allgemein“ im Sinne von Art. 38 I lit. c des IGH-Statuts könnte ein bestimmter Rechtsgrundsatz nämlich nur dann gelten, wenn er sich im ganz überwiegenden Teil der nationalen Rechtsordnungen unter Einschluss der wesentlichen Rechtssysteme der verschiedenen Erdteile bzw. einer bestimmten Region widerspiegelt.745 Es sei hier nur an die bereits nicht unerheblichen Unterschiede des Rechtschutzes des Einzelnen gegenüber exekutiver Staatsgewalt in den Rechtsordnungen Großbritanniens746, Frankreichs747, Deutschlands und den USA748 erinnert. Zu ergänzen ist, dass aufgrund der regelmäßig nicht gewaltengeteilten Ausübung von Hoheitsgewalt internationaler Verwaltungsinstanzen 737
Beipiele bei Steinberger, Rechtsvergleich, S. 275. Vgl. Steinberger, Rechtsvergleich, S. 276 ff. 739 Vgl. die Übersicht bei Mosler, General Principles of Law, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 519. 740 Vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 482 ff. 741 Vgl. Doehring, Innerstaatlicher Gerichtsschutz, S. 228; De Wet, in: NILR 47 (2000), S. 181 ff. 742 Vgl. Wenckstern, Immunität, S. 326; Jaenicke, Grundsätze, S. 310. 743 Vgl. Doehring, Innerstaatlicher Gerichtsschutz, S. 239, 243. 744 Doehring, Innerstaatlicher Gerichtsschutz, S. 246, 250; Bullinger, Der Gerichtsschutz gegenüber der vollziehenden Gewalt in rechtsvergleichender Sicht, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 3, 1971, S. 202; vgl. auch Matscher (Hrsg.), Verfahrensgarantien. 745 Vgl. Mosler, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL II (1995), S. 511 ff.; zu den dabei auftretenden Wertungsproblemen Steinberger, Rechtsvergleich, 1971, S. 275, 278 f., 281. 746 Bradley, Judicial Protection of the Individual against the Executive in Great Britain, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 1, 1969, S. 327 ff.; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 64 ff. 738
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letztlich Anleihen aus der Bereich der verwaltungsrechlichen Kontrolle von Exekutivakten, aber auch hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Kontrolle von Legislativakten zu nehmen wären.749 Wie am Beispiel des HR in BiH deutlich wird, ist es bisweilen bereits problematisch, die Akte derartiger Verwaltungsorgane überhaupt einer dieser beiden Kategorien zuzuordnen. Das nächste Problem bezüglich der Übertragbarkeit ist der Notstandsgesichtspunkt.750 An einer Vergleichbarkeit und mithin an der Übertragbarkeit fehlt es, wenn Rechtsprinzipien aus funktonierenden, gefestigten Rechtsstaaten, die unter normalen Umständen funktionieren, auf internationale Notstandsverwaltungen übertragen werden sollen, also auf Organe, die schwerwiegende staatliche und gesellschaftliche Krisensituationen zu bewältigen haben, in denen ein staatlicher Zusammenhalt nur sehr schwach ist bzw. die staatliche Zukunft überhaupt nicht geklärt ist. Zu denken wäre allenfalls an eine Übertragung von Eckwerten aus dem Notstandsverfassungsrecht der Staaten, welches z. B. durch Einschränkungen der verfassungs- oder verwaltungsrechtlichen Kontrolle hoheitlicher Maßnahmen gekennzeichnet sein kann.751 Hier übereinstimmende Strukturen in verschiedenen nationalen Notstandsregelungen zu finden, ist allerdings noch problematischer. Viele staatliche Verfassungen verfügen gar nicht über ausdrückliche Regelungen eines Ausnahmezustands. Aus verfassungstheoretischer Sicht kann man bereits darüber streiten, ob es überhaupt möglich bzw. erforderlich ist, Notstandssituationen im Voraus einer verfassungsrechtlichen Regelung zuzuführen.752 Als ein mögliches Ergebnis eines diesbezüglichen Rechtsvergleichs 747 Fromont, La protection juridictionelle du particulier contre le pouvoir exécutif en France, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 1, 1969, S. 221 ff. 748 v. Alstyne, Judicial Protection of the Individual against the Executive in the United States of America, in: Mosler (Hrsg.), Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Band 2, 1970, S. 1123 ff.; rechtsvergleichende Überblicke z. B. bei Schwartz/Wade, Legal Control; Herbst, Rechtsschutz, S. 125 ff.; Auby/Fromont, Recours; v. Dijk, Judicial Review; Randelzhofer, in: Die Verwaltung 19 (1986), S. 18 ff.; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 109 ff. 749 Hierzu De Wet, in: NILR 47 (2000), S. 199 ff. m. w. N.; zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Legislative aus rechtsvergleichender Sicht siehe Mosler (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart, Länderberichte und Rechtsvergleichung, 1962; Bernhardt, Normenkontrolle, in: Mosler (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart, Länderberichte und Rechtsvergleichung, 1962, S. 727 ff.; Favoreu/Jolowicz (Hrsg.), Le contrôle juridictionnel des lois, 1986; Weber, Generalbericht: Verfassungsgerichtsbarkeit in Westeuropa, in: Starck/Weber (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in Westeuropa, Teilband I: Berichte, 1986, S. 64 ff.; Brewer-Carias, Judicial review. 750 In diese Richtung De Wet, in: NILR 47 (2000), S. 206, 207. 751 Zur Notstandsverfassung des deutschen GG vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 719 ff. 752 Vgl. Böckenförde, in: NJW 31 (1978), S. 1881 ff.; Hesse, in: JZ 15 (1960), S. 105 ff.
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
käme allenfalls folgende Erkenntnis in Betracht: Auch Notstandslagen können mit Maßnahmen bekämpft werden, die zumindest einem Maß, wenn auch einem reduzierten Maß an rechtsstaatlicher Kontrolle unterliegen. Also auch in einem staatlichen Notstand müssen Individualrechte nicht ungeschützt bleiben, auch wenn sie möglicherweise inhaltlich bzw. bezüglich ihrer prozessualen Durchsetzung reduziert werden. Aber auch dies wäre eher ein Grundgedanke, denn eine Rechtsmaxime, die man als allgemeinen Rechtsgrundsatz für die Beurteilung internationaler Verwaltungsmissionen heranziehen könnte. Allgemeine Rechtsgrundsätze erscheinen mithin nicht als eine geeignete Rechtsquelle des Völkerrechts zur Auffindung einer normativen Richtschnur für die Frage einer gerichtlichen Kontrolle internationaler Verwaltung. D. h. es fällt schwer, aus der staatlichen Praxis des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber exekutiver und legislativer Gewalt eine so allgemeine Übereinstimmung herzuleiten, die übertragen auf völkerrechtlich begründete Hoheitsträger den Schluss zuließe, dass staatsähnlich handelnde internationale Verwaltungsorgane ihre Rechtsakte einer gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen primären Rechtskontrolle zu unterwerfen haben. Zuzugestehen ist, dass eine abschließende Aussage über das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes an dieser Stelle nicht getroffen werden kann. Dies setzte ein Maß an Rechtsvergleichung voraus, welches von der vorliegenden Arbeit nicht zu leisten ist. Festgestellt werden kann aber, dass bisherige rechtsvergleichende Untersuchungen es gebieten, von einer vorschnellen Annahme des Bestehens eines solchen völkerrechtlichen Rechtsgrundsatzes753 Abstand zu nehmen. Noch schwieriger zu erkennen ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz aus dem Recht der Internationalen Organisationen, der etwa einen allgemeinen Standard des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Akten Internationaler Organisationen enthält.754 VI. Ergebnis Die vorangegangene völkerrechtliche Skizze muss zu dem Schluss gelangen, dass das Problem einer gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsorganen der Staatengemeinschaft in Krisengebieten durch den Rückgriff auf allgemeine Normen des Völkerrechts nicht ohne weiteres zu lösen ist. Die hier betrachteten Rechtsbereiche enthalten nicht etwa eine Norm, die besagt, dass derartige staatsähnlich handelnden Verwaltungsinstanzen sich 753 Martenczuk, Rechtsbindung, S. 65; vgl. z. B. De Wet, in: NILR 47 (2000), S. 181 ff. 754 Martenczuk, Rechtsbindung, S. 62; Martenczuk, in: EJIL 10 (1999), S. 534; Singer, in: Virginia J. of Int’l L. 36 (1996), S. 163.
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einer primären gerichtlichen Kontrolle ihrer Hoheitsakte durch staatliche Gerichte zu unterwerfen oder aber einen derartigen Rechtsschutzmechanismus selbst zu Verfügung zu stellen haben. Die völkerrechtliche lex lata kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt allenfalls Anhaltspunkte geben, die dabei helfen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, in welchen rechtlichen Spannungsfeldern sich solche Missionen der Staatengemeinschaft bewegen. Am aussagekräftigsten erweist sich dabei das internationale Recht der Menschenrechte. Insbesondere die auf Grundlage der EMRK ergangene Rechtsprechung des EuGMR hat die rechtlichen Konfliktlagen herausgearbeitet, die auftreten, wenn durch völkerrechtliche Menschenrechtspakte gebundene Staaten Kompetenzen auf Internationale Organisationen übertragen und diese überdies mit Jurisdiktionsimmunitäten ausstatten. Das Gericht hat in seiner Rechtsprechung Leitlinien dafür aufgestellt, wie es dieser Gefahr einer „Flucht in internationale Organisationsformen“ zulasten des Individualrechtsschutzes zu begegnen gedenkt. Letztendlich lösen konnte weder der EuGMR noch irgendein anderes internationales Gericht das Problem der rechtlichen Einbindung von Internationalen Organisationen und Organen. Das Spannungsverhältnis von Internationalisierung von Hoheitsgewalt einerseits und Individualrechtsschutz andererseits wird voraussichtlich noch längere Zeit der Ausformung und des Ausgleichs durch internationale und nationale Gerichte sowie durch die Staatenpraxis bedürfen. Da sich aufgrund der auf der Heterogenität sowohl der internationalen Organismen als auch der nationalen Verfassungsordnungen beruhenden Komplexität des Problems bislang keine allgemeine Geltung beanspruchenden Lösungsmöglichkeiten bzw. Normen herausgebildet haben755, stellt die gerichtliche Kontrolle der Ausübung von internationaler Hoheitsgewalt bis heute im Allgemeinen ein von juristischen Kunstgriffen nationaler sowie internationaler Gerichte geprägtes Problemfeld dar. Einen Sonderfall in diesem Problemkreis bilden von der Staatengemeinschaft interimsmäßig installierte internationale Verwaltungsorgane, die im Gegensatz zu dauerhaft gegründeten Internationalen Organisationen zur Überwindung einer besonderen staatlichen Krisensituation mit besonderen staatsähnlichen Handlungsbefugnissen ausgestattet werden und sich bei ihrer Tätigkeit in einem besonderen Grenzbereich von internationaler und nationaler Rechtsordnung bewegen.756 Dieses Merkmal rückt diese Instanzen strukturell in die Nähe von Besatzungsregimen, was den vergleichenden Blick auf die einschlägigen Normen des humanitären Völkerrechts rechtfertigt. Die Ähnlichkeit zu Staatsorganen wiederum verleitet dazu, nach völkerrechtlich verwertbaren Anleihen aus 755 Wiewohl das Problem seit langem diskutiert wird, vgl. z. B. Wengler, in: AIDI 44/I (1952), S. 224 ff. 756 Für das Beispiel BiH hat sich das BIHVG mit der oben dargestellten Rechtsprechung an der Auslotung dieses Grenzbereichs versucht.
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
dem staatlichen öffentlichen Recht zur gerichtlichen Kontrolle der Exekutive bzw. der Legislative Ausschau zu halten. Letztlich vermag jedoch keine dieser drei Perspektiven für die Kontrollfrage eine klare Antwort zu geben. Das liegt zum einen daran, dass diese hier umrissenen völkerrechtlichen Blickwinkel selbst nur fragmentarischen Charakter aufweisen. Zum anderen erschweren die strukturellen, kompetenziellen und auch politisch-diplomatischen Eigenheiten der internationalen Verwaltungsinstanzen die Übertragung von Lösungsansätzen aus anderen Bereichen.
E. Gesamtergebnis: Eine internationale Kontrollinstanz als Ausweg? Als Fazit des vorliegenden Kapitels lassen sich drei zentrale Eckwerte zusammenfassen: – Die Frage einer primären gerichtlichen Kontrolle der Hoheitsakte internationaler Verwaltungsorgane ist im Abkommen von Dayton keiner ausdrücklichen Regelung zugeführt worden. – Die betrachtete Rechtsprechung des BIHVG sowie der MRK verdeutlicht, dass die zwischenzeitlich erhebliche Eingriffsintensität der internationalen Verwaltung in der Praxis in verschiedenen Konstellationen zu einem beträchtlichen Klärungsbedarf geführt hat bezüglich der Frage einer Gerichtskontrolle der legislativen und exekutiven Tätigkeit dieser Verwaltung. – Dem allgemeinen Völkerrecht lässt sich gegenwärtig keine normative Maßgabe entnehmen, die besagt, ob eine solche gerichtliche Kontrolle erforderlich ist bzw. wie diese auszusehen hat. Fraglich ist, welche Konsequenzen sich daraus für zukünftige Verwaltungsmissionen der Staatengemeinschaft und für die allgemeine Debatte um rule of law in Post-Konfliktszenarien ableiten lassen. Die Rechtsprechung des BIHVG ist couragiert und zeigt Probleme auf, das Gericht ist aber selbst nicht der bestmögliche Problemlöser. Eine vorübergehende Internationalisierung von obersten Gerichten bzw. des Verfassungsgerichts kann insbesondere in einem blockadegefährdeten multiethnischen Konfliktszenario grundsätzlich ein sinnvoller Weg sein, um den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen zu fördern und eine noch ungefestigte nationale Gerichtsbarkeit zu stabilisieren sowie, wie im Falle U 5/98 gesehen, Entscheidungen von gewisser Tragweite überhaupt erst möglich zu machen. Das gilt sinngemäß auch für oberste Staatsbehörden, die in BiH auch teilweise internationalisiert sind bzw. es zwischenzeitlich waren. Die Internationalisierung wirkt also wie eine unmittelbar in die nationale Institutionenlandschaft eingearbeitete, personelle Stütze der Verfassung. Dieses Konzept einer teilweise personellen Interna-
E. Gesamtergebnis
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tionalisierung des Staates ist für sich betrachtet bemerkenswert und kann in BiH auf Erfolge verweisen. Eine solche personelle Internationalisierung staatlicher Institutionen ist als schonenderer Eingriff in die Souveränität eines Staates gegenüber einer internationalen „Fremdverwaltung“ möglicherweise ein zukunftsfähiges Instrument bei der Stabilisierung von Krisenregionen. Die Frage der Rechtskontrolle wäre dabei beantwortet, da internationales Personal genauso wie nationale Amtsträger in den nationalen Verfassungsrahmen eingebunden wäre. Das Beispiel BiH ist jedoch auch durch eine Vielzahl von außerhalb des Verfassungsrahmens stehenden internationalen Organen gekennzeichnet. Für die Frage einer gerichtlichen Kontrolle internationaler Notstandsverwaltung kann der gegebene Zustand der Gerichtsbarkeit in BiH nicht als zureichend empfunden werden. Zwar ist das BIHVG mit teilweise namhaften internationalen Juristen bestückt worden und vermochte es somit, durch seine Besetzung internationale Expertise mit dem Verständnis für die nationale Rechtstradition zu verbinden, was sich auch in seiner Rechtsprechung zeigte. Als problematisch hat sich aber erwiesen, dass das BIHVG aufgrund seiner Konzeption als nationales Verfassungsgericht über keine Zuständigkeitsregelung757 für die Überprüfung von internationaler Hoheitsgewalt verfügt und somit bei der Herleitung und Begründung einer solchen Zuständigkeit dogmatische und praktische Schwierigkeiten auftreten. So sehr der U 9/00-Rechtsprechung des BIHVG ein Bemühen anzuerkennen ist, das Problem der rechtlichen Kontrolle und Eingrenzung der Befugnisse des HR anzugehen und überhaupt dafür ein Problembewusstsein zu schaffen, so wenig kann das Modell der funktionalen Dualität jedoch als Erklärungsmodell für das gesamte Ineinandergreifen von internationaler und nationaler Hoheitsgewalt in dogmatischer und tatsächlicher Hinsicht herhalten.758 Durch Unsicherheiten bei der Auslegung der lückenhaften Friedensregelung sowie des eigenen verfassungsgerichtlichen Kompetenzkatalogs wurde die gerichtliche Kontrolle der internationalen Verwaltung somit letztlich zum Politikum. Die angedeuteten Schwierigkeiten, welche die Übertragung des Modells der funktionalen Dualität auf Exekutivakte der internationalen Verwaltung nach sich ziehen würde, bestätigen überdies, warum internationale Akteure sich klas757
Abhilfe hätte allenfalls eine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung in Annex 4 oder in einem anderen Annex des Friedensabkommens schaffen können, die dem BIHVG etwa zeitweilig eine Kompetenz zur Kontrolle der Rechtsakte der gleichzeitig mit der Verfassung geschaffenen internationalen Organe zugewiesen hätte. Eine solche Regelung hätte dann ebenfalls klären müssen, dass eine solche Kontrollmöglichkeit ausschließlich beim BIHVG anzusiedeln wäre, da ansonsten wiederum das Problem bestünde, dass untere Instanzgerichte über Exekutivakte der internationalen Verwaltung entscheiden, was die Gefahr der Rechtszersplitterung nach sich zieht, vgl. C. III. 3. b). dd). 758 Siehe unter C. III. 3.
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
sischerweise mit Jurisdiktionsimmunitäten ausstatten, nämlich um den Unwegsamkeiten der nationalen Gerichtsbarkeit zum Zwecke der reibungslosen Aufgabenerfüllung eben nicht ausgeliefert zu sein. Was insoweit für „normale“ Internationale Organisationen gilt, muss noch in höherem Maße für Notstandsverwaltungsorgane der Staatengemeinschaft Geltung beanspruchen, die unter besonderen politischen, militärischen, diplomatischen Spannungssituationen aktiv zu werden haben. Es bleibt festzuhalten, dass eine völkerrechtlich eindeutige und rechtspolitisch befriedigende Lösung der Kontrollfrage sich nur durch eine ausdrückliche Regelung für den Einzelfall erreichen lässt. Als Ausweg wäre an eine Rechtskontrolle der Hoheitsakte internationaler Verwaltungsinstanzen außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit zu denken. Konzeptionell erscheint im Hinblick auf zukünftige co-administrative internationale Übergangsverwaltungen ähnlich der Situation in BiH eine speziell im Hinblick auf die Hoheitsausübung internationalen Verwaltungsorgane eingerichtete gerichtliche bzw. gerichtsähnliche Kontrollinstanz als sinnvolle Lösung. Ein solches völkervertraglich vereinbartes internationales Kontrollorgan mit einer eindeutigen Kompetenzbeschreibung könnte sich durch folgende Vorteile auszeichnen: Die Kontrolle internationaler Verwaltungsinstanzen wäre der nationalen Gerichtsbarkeit entzogen, wodurch dieser die problematische Beschäftigung mit der Einwirkung internationaler Hoheitsgewalt in den nationalen Rechtsraum erspart bliebe. Im Gegenzug wären die internationalen Instanzen von Interferenzen mit staatlichen Gerichten in höherem Maße frei als sie es durch etwaige Immunitäten bereits sind. Ferner könnte im Vorhinein genau festgelegt werden, durch welche Verfahren und anhand welcher Rechtsnormen Akte der internationalen Verwaltung überprüft werden können, seien dies internationale Menschenrechtsgarantien im Hinblick auf den Individualrechtsschutz, oder sei dies eine nationale Verfassungsordnung hinsichtlich einer etwaigen legislativen Tätigkeit der internationalen Verwaltung. Was die personelle Besetzung eines solchen internationalen, temporären Gerichtsorgans betrifft, erscheint eine Zusammensetzung aus nationalen und internationalen Juristen, ähnlich wie diejenige des BIHVG oder der MRK vorteilhaft.759 Eine internationale Kontrollinstanz würde auch dem Gedanken der Schaffung einer Konvergenz von sekundärem und primärem Rechtsschutz bei internationalen Verwaltungsmissionen Rechnung tragen. Bei Fragen des sekundären Rechtsschutzes entspricht es bereits seit Jahrzehnten der Praxis, dass die internationalen Akteure mittels bestimmter sog. Claims Review Boards bzw. sonstiger inter-
759 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Constitutional situation, § 98, 99; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Opinion on Human Rights in Kosovo: Possible Establishment of Review Mechanisms, 11.10.2004, § 155.
E. Gesamtergebnis
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nationaler Kontrollinstanzen, die ad hoc in SOFAs oder ähnlichen Abkommen verabredet werden, Rechtsschutzmöglichkeiten in Schadensfällen bereitstellen. Die Bedeutung derartiger zumeist zügig und relativ unbürokratisch arbeitender Instanzen für das Gelingen und die Akzeptanz internationaler Missionen zur Krisenbewältigung ist von den betreffenden Akteuren immer wieder betont worden. Denkbar wäre, dass solche Kontrollinstanzen nunmehr auch für den hier als primären Rechtsschutz bezeichneten Bereich konzipiert bzw. beide Arten des Rechtsschutzes durch eine Instanz gewährleistet werden. Eine solche im Voraus völkervertraglich verabredete Kontrollinstanz würde zur Rechtsklarheit für das Individuum, aber auch für den Prozess des nationbuilding als solchem führen. Schließlich wäre die internationale Gemeinschaft dadurch gezwungen, die Kompetenzen und rechtlichen Grenzen von internationalen Verwaltungsorganen von vornherein genauer festzulegen. Wie die Genese und die Fortentwicklung des Daytoner Abkommens zeigen, ist der Entwurf einer solchen Gesamtkonzeption für eine Staatskrise kein einfaches Unterfangen. Der Vorteil eines solchen Vorausplanens wäre jedoch ebenfalls nicht zu übersehen. Die federführende Staatengemeinschaft hielte es in der eigenen Hand, das Konfliktfeld von Notstandsbewältigung und Rechtstaatlichkeit einem Ausgleich zuzuführen, der aus Rechtsschutzgesichtspunkten vertretbar ist, aber gleichzeitig der Zielverwirklichung der betreffenden Mission nicht im Wege steht. Versäumt es die internationale Gemeinschaft, diese Weichenstellung selbst vorzunehmen, kann es dazu kommen, dass die Kontrollfrage sich – wie in BiH zu beobachten gewesen ist – über einen längeren Zeitraum hinweg zu einem ungeklärten und unübersichtlichen Problem entwickelt, welches durch staatliche Gerichte oder sonstige nicht explizit zuständige Instanzen bearbeitet, allerdings nicht zufriedenstellend gelöst werden kann. In Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung sahen sich das BIHVG sowie die MRK einer Reihe von komplexen verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Fragestellungen gegenüber, deren reibungslose und in sich schlüssige Aufarbeitung letztlich nicht gelingen konnte. Ein solcher Zustand hat zur Folge, dass durch fehlende bzw. ungeklärte Rechtsschutzmöglichkeiten die Legitimität der internationalen Ingerenz in politischer und rechtlicher Hinsicht in Zweifel gezogen werden kann und Reibungsverluste durch politische und juristische Auseinandersetzungen entstehen können, die letztlich der Missionserfüllung der internationalen Instanzen vor Ort nicht zuträglich sind. Insbesondere bei lang andauernden Verwaltungsmissionen läge es somit auch im eigenen Interesse der Staatengemeinschaft, derartige Angriffsflächen gar nicht erst zu eröffnen. Unglücklich an der Situation in BiH erscheint der Umstand, dass mit der MRK eine ebensolche internationale und international besetzte Instanz geschaffen wurde, die auf eine temporäre Überwachung der Gewährleistung von Individualrechtsschutz anhand internationaler Menschenrechte ausgelegt war.760 Die-
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Kap. III: Gerichtliche Kontrolle internationaler Verwaltung
ser Instanz fehlte allerdings wiederum die ausdrückliche Zuständigkeit zur Überprüfung internationaler Instanzen. Die Rechtsprechung dieses Organs war zu zurückhaltend, um etwa wie das BIHVG seine Zuständigkeit in etwaigen Fällen herzuleiten. Selbst eine aus dieser Konstellation mögliche „Arbeitsteilung“ von BIHVG (Kontrolle der „internationalen Legislative“) und MRK (Kontrolle der „internationalen Exekutive“) kam so nicht zustande. Die Frage, wie eine solche Kontrollinstanz im Detail ausgestaltet sein kann, muss anhand des konkreten Anwendungsfalls beantwortet werden. Die MRK gemäß Annex 6 des Daytoner Abkommens kann als ein Beispiel für ein derartiges internationales Justizorgan gelten, unter dem Vorbehalt entsprechender Modifikation bzw. Ausweitung ihrer Zuständigkeiten. Zu beantworten wäre z. B. auch die Frage, ob jedes vor Ort tätige internationale Verwaltungsorgan mit einem eigenen Kontrollmechanismus zu versehen ist, oder ob die Schaffung einer zentralen Kontrollinstitution für ein gesamtes Krisenszenario nicht vorteilhafter wäre.761 Nicht als Beispiel eines hier vorgeschlagenen justiziellen Kontrollorgans aufzufassen wäre die Institution einer Ombudsperson, wie sie z. B. im Kosovo als Beschwerdemöglichkeit gegenüber Akten der internationalen Verwaltung fungiert, ohne jedoch jedwede rechtliche Feststellungs- oder Gestaltungshoheit zu besitzen.762 Bei derartigen Instanzen handelt es sich um vorwiegend politische Kontrollmechanismen763, wie sie in der einen oder anderen Form auch in BiH existieren. Zu denken ist etwa an die politische Lenkungsund Kontrollfunktion des PIC gegenüber dem OHR764 oder an die OHR-internen Kontrollverfahren765. Ohne eine solche politische und verfahrensmäßige Selbstkontrolle wird keine internationale Mission zur Krisenbewältigung auskommen. Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es jedoch, darauf hinzuweisen, dass bei der jahrelangen staatsähnlichen Ausübung von Hoheitsgewalt durch internationale Verwaltungsorgane eben auch ein Bedürfnis nach staatlicher bzw. staatsähnlicher justizförmiger Kontrolle unter Beachtung rechtsstaatlicher Ver-
760 Die Schaffung einer vergleichbaren Gerichtsinstanz wird für das Kosovo angedacht, vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, §§ 101 ff. 761 Vgl. nunmehr auch die Vorschläge für die Konzeption derartiger Kontrollmechanismen für das Beispiel der Rechtskontrolle von UNMIK/KFOR im Kosovo bei European Commission for Democracy through Law (Venice Commission): Review Mechanisms, §§ 113 ff., 154 ff., bzw. für die Dezertifizierungsmaßnahmen der VN/IPTF in BiH, European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Opinion on a possible solution to the issue of decertification of police officers in Bosnia and Herzegovina, 24.10.2005, §§ 53 ff. 762 Schmalenbach, Haftung, S. 467 f.; Caplan, International Governance, S. 201 ff. 763 Hierzu Wellens, Remedies, 2002, S. 177 ff.; auch Caplan, International Governance, S. 199 ff. 764 Siehe C. III. 3. b) cc). 765 Siehe C. III. 2. d) ff).
E. Gesamtergebnis
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fahrensgrundsätze766 entsteht, dem durch bloße Selbst- oder Globalkontrolle der internationalen Verwaltung nicht Genüge getan werden kann. Die Diskussion um die rule of law in Post-Konfliktszenarien kann durch diese „lessons from Bosnia“ bereichert werden. Die organisierte Staatengemeinschaft sollte sie im eigenen Interesse beherzigen.
766 Siehe hierzu den rechtsvergleichenden Überblick bei Weissbrodt/Wolfrum (Hrsg.), Fair Trial.
Schlussbemerkung „Every legal system as it develops must grapple with the problem of placing an effective restraint upon power and insuring responsibility; this is the essence of the whole concept of due process of law“1
Das nation-building durch die internationale Gemeinschaft sieht sich drei Grundfragen gegenüber: – Wie soll der Staat aussehen, der geschaffen werden soll? – Wie soll die internationale Einflussnahme aussehen und organisiert werden? Welche rechtliche und politische Struktur soll diese Einflussnahme haben? – Wie soll diese internationale Einflussnahme kontrolliert werden? Die vorangegangenen drei Kapitel gingen am Beispiel Bosnien und Herzegowinas auf diese Fragstellungen ein, stellten aber den letztgenannten Aspekt in den Vordergrund, der insgesamt bislang als der am wenigsten beachtete gelten kann und auch deswegen die besondere Aufmerksamkeit dieser Arbeit verdiente. Deutlich wurde, dass diese drei Aspekte nicht etwa bezugslos nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig beeinflussen: Die Konzeption der staatlichen Struktur kann den Grad der internationalen Einflussnahme mitbestimmen. Konzeptionelle Schwächen beim Entwurf einer Nachkriegsordnung können über Jahre hinweg Folgeprobleme generieren, die durch die Ingerenz internationaler Organe mühsam auszugleichen sind. Je intensiver eine solche Einflussnahme sich darstellt, umso mehr stellt sich die Frage, welchem rechtlichen Regime ein solches „Hineinregieren“ der internationalen Gemeinschaft unterliegt. Welchen Grenzen solcher Hoheitsgewalt gezogen werden müssen, um nicht in Widerspruch zu ihren eigenen Bestrebungen zur Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit zu geraten. Das Beispiel Bosnien und Herzegowina verdeutlicht in besonderem Maße den Zusammenhang dieser drei Gesichtspunkte. Diese Zusammenhänge bergen letztlich die Gefahr eines Teufelskreises: Aufgrund politischer, diplomatischer Drucksituationen werden Lösungen vereinbart, die wesentliche Problempunkte nicht vorhersehen können und deren unausgegorene Ergebnisse von internationalen Strukturen am Leben erhalten werden müssen mit der Folge eines zeitlich und inhaltlich ausufernden Engagements der Staatengemeinschaft („mission creep“). Allgemein wird man feststellen müssen, dass 1 Jenks, Multinational Entities in the Law of Nations, in: Friedmann/Henkin/Lissitzyn (Hrsg.): Transnational Law in a Changing Society, Essays in Honour of Philip C. Jessup, 1972, S. 71.
Schlussbemerkung
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nation building regelmäßig ein ausgesprochen zeitaufwändiges Unterfangen darstellt, geht es doch zumeist um die Schaffung von Staatlichkeiten, die in der anvisierten Art und Weise noch nie bestanden haben, denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit westlicher Prägung fremd sind und deren Gesellschaften die Konfrontation verschiedener ethnischer Gruppen zu verkraften haben: Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, Irak sind hierfür die auffälligsten Beispiele. Der Grund, warum die staatliche Stabilisierung im Falle Bosnien und Herzegowinas trotz aller Schwierigkeiten voraussichtlich nicht scheitern wird, ist in einem Wort zu benennen: Europa. Die exit strategy2 der internationalen Gemeinschaft, wie sie nach dem Daytoner Abkommen bislang vor Ort tätig war bzw. noch ist, entwickelt sich immer deutlicher in Richtung einer Art transition3 strategy oder auch entry strategy4 hinsichtlich der Heranführung des Landes an die EU.5 Umstrukturierungen und Neuorganisationsprozesse der internationalen Akteure vor Ort laufen bereits kontinuierlich ab.6 Insbesondere wird deutlich, dass die EU schrittweise in Schlüsselpositionen der internationalen Verwaltung vor Ort einrückt und damit mehr und mehr zum zentralen Akteur des nation-building in BiH wird. Als Beispiele seien die Ersetzung von IPTF durch EUPM, von SFOR durch EUFOR sowie die Funktion des HR als EU Special Representative (EUSR) for Bosnia and Herzegovina genannt.7 Man kann also von einer „Europäisierung“ der internationalen Einflussnahme sprechen, vor dem Hintergrund eines klaren Bekenntnisses der EU, den Staat BiH mittelfristig in die EU zu integrieren.8 Die Richtung, in die sich die internationale Einflussnahme bewegt, ist mithin trotz des Fehlens eines exakten Zeitplans 2
Zum Begriff Caplan, International Governance, S. 212 ff. Vgl. Petritsch, The Fate of Bosnia and Herzegovina, S. 28. 4 Vgl. Petritsch, The Fate of Bosnia and Herzegovina, S. 37. 5 Zur Möglichkeit dieses Anreizmechanismus’ frühzeitig Szasz, in: Cornell Int’l L. J. 28 (1995), S. 698; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 241; vgl. auch Caplan, International Governance, S. 185. 6 Vgl. International Crisis Group: Bosnia: Reshaping the International Machinery, ICG Balkans Report No. 121 (2001). 7 Für einen Gesamtüberblick über die politischen Aktivitäten der EU in BiH vgl. www.eusrbih.org sowie www.europa.eu.int/comm/external_relations/see/bosnie_ herze/index.htm. 8 Vgl. European Security Strategy – Bosnia and Herzegovina/Comprehensive Policy, European Council, 17./18. June 2004, www.eusrbih.org/policy-docs/?cid=1,1,1; für eine ausführliche Analyse der Beziehungen der EU zu BiH siehe European Commission, External Relations Directorate General: Bosnia and Herzegovina/Country Strategy Paper 2002–2006, www.europa.eu.int/comm/external_relations/see/bosnie_ herze/csp/index.htm. Zum Fortschreiten des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses vgl. die Berichte der EU Kommission unter www.europa.eu.int/comm/external_ relations/see/sap/rep3/cr_bih.htm; zurückhaltend gegenüber dieser Beitrittsperspektive Altmann, EU und Westlicher Balkan, Von Dayton nach Brüssel: ein allzu langer Weg?, SWP-Studie, 2005, S. 5 ff.; zur EU-Politik gegenüber Bosnien und Herzegowina aus verschiedenen Perspektiven vgl. Reiter/Jurekovic´ (Hrsg.), Bosnien und Herzegowina, Europas Balkanpolitik auf dem Prüfstand, 2005. 3
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Schlussbemerkung
erkennbar: Durchsetzung noch ausstehender Reformvorhaben9, deutliche Verschlankung der Präsenz und Zurücknahme der Eingriffsintensität10 sowie Substitution durch Missionen der EU. Dass überhaupt einem selbständig noch nicht voll funktionsfähigen Staatswesen bereits eine konkrete EU-Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt wird, kann dabei nur als ein politischer Anreizmechanismus verstanden werden: Einerseits zur Integration innerhalb Bosniens, also zu einem verstärkten Zusammenwachsen der beiden Landesteile. Andererseits soll dadurch den Nachbarstaaten verdeutlicht werden, dass eine staatliche Zukunft Bosniens nur in den Grenzen dieses Staates stattfinden soll. Insbesondere etwaigen Spekulationen über eine Abspaltung der Republika Srpska und Eingliederung in den Staat Serbien und Montenegro wird dadurch eine Absage erteilt. Mittelfristiges Ziel der Politik in BiH wird es deswegen sein, durch punktuelle Verfassungsänderungen eine schrittweise Stärkung des bislang schwachen Gesamtstaats zu erreichen (Schaffung von zusätzlichen Ministerien, Institutionen, Kompetenzen etc.), im Hinblick auf die fortschreitende Anbindung an die EU.11 Um als ein Beweis für die fortgeschrittene Eigenständigkeit des Staates gelten zu können, müssten diese angedachten Reformschritte allerdings durch die parlamentarischen Gremien des Landes selbständig verwirklicht und nicht einmal mehr durch den HR per Dekret verabschiedet werden. Denn dass diesem Versuch des nation-building der Staatengemeinschaft eine gewisse Paradoxie12 anhaftet, ist nicht von der Hand zu weisen: Insbesondere der Hohe Repräsentant versuchte jahrelang demokratische und rechtsstaatliche Werte zu verankern, ohne sie dabei selbst immer beachten zu können. Einem Land werden Wertesysteme verordnet, deren Verwirklichung man dessen demo9 Siehe den Mission Implementation Plan for 2005 des OHR, 07.03.2005: www. ohr.int/ohr-info/ohr-mip/default.asp?content_id=34144. 10 Vgl. Remarks by the High Representative for BiH, Paddy Ashdown, to the UN Security Council, 23.03.2005: www.ohr.int/ohr-dept/presso/presssp/default.asp?con tent_ id=34 368: „[. . .] The era of stabilization under Dayton is drawing to a close. The next phase – integration and Brussels – is beginning. [. . .] If this happens, it should open the way very soon, I suggest, for a different kind of international engagement on the ground, less intrusive, more like the support structures in other transitional democracies.“ Diese schrittweise Reduzierung der Regierungstätigkeit insbesondere des HR lässt sich auch statistisch belegen, vgl. Zahlen bei Trnka/Tadic´/Dmicˇic´, Implementierung, S. 56. Siehe auch die Übersicht über die Entscheidungen des HR unter www. ohr.int/decisions/archive.asp; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Constitutional situation, §§ 17, 91. 11 Zu den diesbezüglich diskutierten Vorschlägen z. B. Trnka/Tadic ´ /Dmicˇic´, Implementierung, S. 56 ff.; FAZ v. 15.03.2005, S. 8: „Wir müssen die Verfassung ändern“; European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Constitutional situation, §§ 21 ff., 102. 12 Vgl. „Bosnia’s Nationalist Governments: Paddy Ashdown and the Paradoxes of State-Building“, International Crisis Group, Balkans Report No. 146, 22. Juli 2003; Knaus/Martin, in: Journal of Democracy 14, Vol. 3 (2003), S. 61; Solioz, Bosnia and Herzegovina: the Art of the Possible, S. 17 f.; Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 215 f.
Schlussbemerkung
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kratisch gewählten Vertretern noch nicht zutraut – trotzdem werden die oktroyierten Errungenschaften dem Land selbst zugerechnet13, um ihm den Weg in das international verfasste Europa zu ermöglichen, in der Hoffnung, dass diese institutionelle Verankerung (so z. B. der Beitritt zum Europarat) die bisher erreichten Fortschritte irreversibel macht sowie die noch ausstehenden Schritte erleichtern wird. Maßgeblich für das Gelingen der Staatswerdung Bosnien und Herzegowinas wird es sein, ob der begonnene ownership process14 erfolgreich fortgeführt werden kann. Was unter dem Begriff des ownership zu verstehen ist, lässt sich am Beispiel Bosniens unter zwei Gesichtspunkten beschreiben. Zunächst bedeutet der Begriff ein Maß an Identifikation der Bürger mit dem Staat, das sich ausdrückt in Teilnahme und Verantwortungsübernahme im politischen Leben der verschiedenen staatlichen Ebenen, aber auch durch bürgerschaftliches Engagement abseits staatlicher Strukturen, sei es in organisierter Form (z. B. Vereine, Verbände auf kulturellem, akademischem, religiösem, wirtschaftlichem Sektor etc.15) oder in sonstiger Weise. Insoweit deckt sich der Begriff des ownership teilweise mit dem geläufigen Begriff der Zivilgesellschaft.16 Um zu erreichen, dass der Bürger das Staatswesen, in dem er lebt, als seinen eigenes erachtet, sich also im positiven und nicht zuletzt im emotionalen Sinne als „Eigentümer“ (engl. owner) versteht, kurz: als jemand, der diesen Staat will, ist in Bosnien und Herzegowina u. a. eine Abkehr von ethno-nationalen Identifikationsmustern erforderlich, die bis heute in Teilen der Bevölkerung einer Hinwendung zum Staat Bosnien und Herzegowina als Identifikationsobjekt im Wege stehen. Auch ist das Vertrauen der Bürger in die eigene politische Klasse bislang gering. Die Heranbildung einer im Wortsinne staatstragenden politischen Führungsschicht, die sich verantwortungsbewußt im Umgang mit demokratischen Organen und rechtstaatlichen Verfahrensformen erweist, bleibt ein zentrales Problemfeld, was bereits die Vielzahl der durch den HR vorgenommenen Amtsenthebungen angedeutet hat. Umfragen, nach denen der HR als Ausländer von der Bevölkerung als der populärste bzw. vertrauenserweckendste Politiker im Land wahrgenommen wird, sprechen insoweit ebenfalls eine deutliche Sprache. Eine schrittweise Verwirklichung dieser bürgerbezogenen Facette des ownership-Gedankens ist Voraussetzung für die Durchführung von dessen zweiten Ge13 Vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Constitutional situation, § 88; Alefsen, Menschenrechtsschutz, S. 52. 14 Hierzu aus unterschiedlichen Blickwinkeln Solioz/Dizdarevic (Hrsg.), Ownership Process in Bosnia and Herzegovina, 2003; ebenda insbes. Petritsch, The Fate of Bosnia and Herzegovina, S. 29 ff. 15 Hierzu Caplan, International Governance, S. 193 f.; Papic, Ownership versus Democracy, in: Solioz/Dizdarevic (Hrsg.), Ownership Process in Bosnia and Herzegovina, S. 77 f. 16 Vgl. Cox, in: BYIL 69 (1998), S. 225 m. w. N.; Chandler, Bosnia: Faking Democracy, S. 135 ff.
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Schlussbemerkung
sichtspunkt, nämlich der nach und nach erfolgenden (Rück-)Übertragung von Kompetenzen von internationalen Instanzen auf die staatlichen Organe.17 Dieser Prozess vollzieht sich im Gegensatz zum vorgenannten also nicht sozusagen „von unten“, sondern „von oben“ her. Das Zurücknehmen der Eingriffsintensität der internationalen Gemeinschaft in organisatorischer, personeller und inhaltlicher Hinsicht sollte idealerweise Hand in Hand gehen mit einem wachsenden Eigenverantwortungsbewußtsein der staatlichen Organe und ihrer Amtswalter. Abhängigkeitsmentalitäten 18 wie die für lokale Verantwortungsträger bequeme Attitude, problematische Entscheidungen dem HR zu überlassen, um sich vor der eigenen (Wähler-)Klientel keine Blöße zu geben, gilt es abzubauen. Dieser zweispurige, durch die Anziehungskraft der Europäischen Union19 genährte Stabilisierungsprozess schreitet langsam, aber kontinuierlich voran, lässt allerdings noch viele Frage offen. Können die notwendigen Reformschritte in ökonomischer20, rechtsstaatlicher und auch gesellschaftlicher Hinsicht auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft auch ohne das straffe internationale Korsett verwirklicht werden, welches das Land momentan noch auf Kurs hält? Wer entscheidet über die Fortgeltung der durch den HR angeordneten Maßnahmen (z. B. Amtsenthebungen)? Kann ein durch die EU eingesetzter Nachfolger des HR mit stark reduzierten Befugnissen seinen Aufgaben gerecht werden? Muss möglicherweise die EU den Staat BiH im Wege einer Art EU-Protektorat an die Mitgliedschaft heranführen? Oder aber wird BiH ein EU-Mitglied mit eingeschränkter Souveränität unter der Kontrolle Brüssels? Bei Abschluss des Daytoner Abkommens wären derartige Gedanken noch abwegig erschienen. Heute, zehn Jahre später, sind sie es nicht mehr.21 17 Vgl. Caplan, International Governance, S. 190 ff.; Sonn, Ownership in Institution Building, in: Solioz/Dizdarevic (Hrsg.), Ownership Process in Bosnia and Herzegovina, 2003, S. 49 ff. 18 Vgl. Papic, Ownership versus Democracy, S. 76 f. 19 Vgl. Petritsch, The Fate of Bosnia and Herzegovina, S. 32 f. 20 Zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes vgl. die Berichte des Economic Department des OHR unter www.ohr.int/ohr-dept/econ/monthly-reports/archive.asp. Für einen wertenden Zwischenbericht siehe z. B. Stojanov, Bosnia and Herzegovina: Economy in the Process of Transition, in: Solioz/Dizdarevic (Hrsg.), Ownership Process in Bosnia and Herzegovina, 2003, S. 86 ff. 21 Zum Gedanken einer juristischen Einbindung von Verwaltungsorganen eines internationalen quasi-Protektoriats in das institutionalisierte Europa vgl. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Review Mechanisms, §§ 80 ff. Diskutiert wird dort am Beispiel des Kosovo die Überlegung einer Einbindung von UNMIK/KFOR in das Rechtsschutzsystem des EuGMR. Für einen Ausblick vgl. auch Rehs, Von Dayton nach Brüssel – Bosnien und Herzegowina auf dem Wege staatlicher und europäischer Integration, in: Europäisches Zentrum für FöderalismusForschung Tübingen (Hrsg.): Jahrbuch des Föderalismus, 2006, S. 430 ff.; Wendt, Die zukünftige Rolle der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, in: Reiter/Jurekovic ´ (Hrsg.): Bosnien und Herzegowina, Europas Balkanpolitik auf dem Prüfstand, 2005, S. 75 ff.
Anhang Anhang I: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina The Republic of Bosnia and Herzegovina, the Republic of Croatia and the Federal Republic of Yugoslavia (the “Parties”), Recognizing the need for a comprehensive settlement to bring an end to the tragic conflict in the region, Desiring to contribute toward that end and to promote an enduring peace and stability, Affirming their commitment to the Agreed Basic Principles issued on September 8, 1995, the Further Agreed Basic Principles issued on September 26, 1995, and the cease-fire agreements of September 14 and October 5, 1995, Noting the agreement of August 29, 1995, which authorized the delegation of the Federal Republic of Yugoslavia to sign, on behalf of the Republika Srpska, the parts of the peace plan concerning it, with the obligation to implement the agreement that is reached strictly and consequently, Have agreed as follows: Article I The Parties shall conduct their relations in accordance with the principles set forth in the United Nations Charter, as well as the Helsinki Final Act and other documents of the Organization for Security and Cooperation in Europe. In particular, the Parties shall fully respect the sovereign equality of one another, shall settle disputes by peaceful means, and shall refrain from any action, by threat or use of force or otherwise, against the territorial integrity or political independence of Bosnia and Herzegovina or any other State. Article II The Parties welcome and endorse the arrangements that have been made concerning the military aspects of the peace settlement and aspects of regional stabilization, as set forth in the Agreements at Annex 1-A and Annex 1-B. The Parties shall fully respect and promote fulfillment of the commitments made in Annex 1-A, and shall comply fully with their commitments as set forth in Annex 1-B.
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Anhang Article III
The Parties welcome and endorse the arrangements that have been made concerning the boundary demarcation between the two Entities, the Federation of Bosnia and Herzegovina and Republika Srpska, as set forth in the Agreement at Annex 2. The Parties shall fully respect and promote fulfillment of the commitments made therein. Article IV The Parties welcome and endorse the elections program for Bosnia and Herzegovina as set forth in Annex 3. The Parties shall fully respect and promote fulfillment of that program. Article V The Parties welcome and endorse the arrangements that have been made concerning the Constitution of Bosnia and Herzegovina, as set forth in Annex 4. The Parties shall fully respect and promote fulfillment of the commitments made therein. Article VI The Parties welcome and endorse the arrangements that have been made concerning the establishment of an arbitration tribunal, a Commission on Human Rights, a Commission on Refugees and Displaced Persons, a Commission to Preserve National Monuments, and Bosnia and Herzegovina Public Corporations, as set forth in the Agreements at Annexes 5–9. The Parties shall fully respect and promote fulfillment of the commitments made therein. Article VII Recognizing that the observance of human rights and the protection of refugees and displaced persons are of vital importance in achieving a lasting peace, the Parties agree to and shall comply fully with the provisions concerning human rights set forth in Chapter One of the Agreement at Annex 6, as well as the provisions concerning refugees and displaced persons set forth in Chapter One of the Agreement at Annex 7. Article VIII The Parties welcome and endorse the arrangements that have been made concerning the implementation of this peace settlement, including in particular those pertaining to the civilian (non-military) implementation, as set forth in the Agreement at Annex 10, and the international police task force, as set forth in the Agreement at Annex 11. The Parties shall fully respect and promote fulfillment of the commitments made therein.
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Article IX The Parties shall cooperate fully with all entities involved in implementation of this peace settlement, as described in the Annexes to this Agreement, or which are otherwise authorized by the United Nations Security Council, pursuant to the obligation of all Parties to cooperate in the investigation and prosecution of war crimes and other violations of international humanitarian law. Article X The Federal Republic of Yugoslavia and the Republic of Bosnia and Herzegovina recognize each other as sovereign independent States within their international borders. Further aspects of their mutual recognition will be subject to subsequent discussions. Article XI This Agreement shall enter into force upon signature. DONE at Paris, this 14 day of December, 1995, in the Bosnian, Croatian, English and Serbian languages, each text being equally authentic. For the Republic of Bosnia and Herzegovina For the Republic of Croatia For the Federal Republic of Yugoslavia Witnessed by: European Union Special Negotiator For the French Republic For the Federal Republic of Germany For the Russian Federation For the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland For the United States of America
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Anhang II: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, Annex 4 Constitution of Bosnia and Herzegovina Preamble Based on respect for human dignity, liberty, and equality, Dedicated to peace, justice, tolerance, and reconciliation, Convinced that democratic governmental institutions and fair procedures best produce peaceful relations within a pluralist society, Desiring to promote the general welfare and economic growth through the protection of private property and the promotion of a market economy, Guided by the Purposes and Principles of the Charter of the United Nations, Committed to the sovereignty, territorial integrity, and political independence of Bosnia and Herzegovina in accordance with international law, Determined to ensure full respect for international humanitarian law, Inspired by the Universal Declaration of Human Rights, the International Covenants on Civil and Political Rights and on Economic, Social and Cultural Rights, and the Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, as well as other human rights instruments, Recalling the Basic Principles agreed in Geneva on September 8, 1995, and in New York on September 26, 1995, Bosniacs, Croats, and Serbs, as constituent peoples (along with Others), and citizens of Bosnia and Herzegovina hereby determine that the Constitution of Bosnia and Herzegovina is as follows:
Article I: Bosnia and Herzegovina 1. Continuation. The Republic of Bosnia and Herzegovina, the official name of which shall henceforth be “Bosnia and Herzegovina,” shall continue its legal existence under international law as a state, with its internal structure modified as provided herein and with its present internationally recognized borders. It shall remain a Member State of the United Nations and may as Bosnia and Herzegovina maintain or apply for membership in organizations within the United Nations system and other international organizations. 2. Democratic Principles. Bosnia and Herzegovina shall be a democratic state, which shall operate under the rule of law and with free and democratic elections. 3. Composition. Bosnia and Herzegovina shall consist of the two Entities, the Federation of Bosnia and Herzegovina and the Republika Srpska (hereinafter „the Entities“).
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4. Movement of Goods. Services. Capital. and Persons. There shall be freedom of movement throughout Bosnia and Herzegovina. Bosnia and Herzegovina and the Entities shall not impede full freedom of movement of persons, goods, services, and capital throughout Bosnia and Herzegovina. Neither Entity shall establish controls at the boundary between the Entities. 5. Capital. The capital of Bosnia and Herzegovina shall be Sarajevo. 6. Symbols. Bosnia and Herzegovina shall have such symbols as are decided by its Parliamentary Assembly and approved by the Presidency. 7. Citizenship. There shall be a citizenship of Bosnia and Herzegovina, to be regulated by the Parliamentary Assembly, and a citizenship of each Entity, to be regulated by each Entity, provided that: a. All citizens of either Entity are thereby citizens of Bosnia and Herzegovina. b. No person shall be deprived of Bosnia and Herzegovina or Entity citizenship arbitrarily or so as to leave him or her stateless. No person shall be deprived of Bosnia and Herzegovina or Entity citizenship on any ground such as sex, race, color, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status. c. All persons who were citizens of the Republic of Bosnia and Herzegovina immediately prior to the entry into force of this Constitution are citizens of Bosnia and Herzegovina. The citizenship of persons who were naturalized after April 6, 1992 and before the entry into force of this Constitution will be regulated by the Parliamentary Assembly. d. Citizens of Bosnia and Herzegovina may hold the citizenship of another state, provided that there is a bilateral agreement, approved by the Parliamentary Assembly in accordance with Article IV(4)(d), between Bosnia and Herzegovina and that state governing this matter. Persons with dual citizenship may vote in Bosnia and Herzegovina and the Entities only if Bosnia and Herzegovina is their country of residence. e. A citizen of Bosnia and Herzegovina abroad shall enjoy the protection of Bosnia and Herzegovina. Each Entity may issue passports of Bosnia and Herzegovina to its citizens as regulated by the Parliamentary Assembly. Bosnia and Herzegovina may issue passports to citizens not issued a passport by an Entity. There shall be a central register of all passports issued by the Entities and by Bosnia and Herzegovina.
Article II: Human Rights and Fundamental Freedoms 1. Human Rights. Bosnia and Herzegovina and both Entities shall ensure the highest level of internationally recognized human rights and fundamental freedoms. To that end, there shall be a Human Rights Commission for Bosnia and Herzegovina as provided for in Annex 6 to the General Framework Agreement. 2. International Standards. The rights and freedoms set forth in the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and its
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Protocols shall apply directly in Bosnia and Herzegovina. These shall have priority over all other law. 3. Enumeration of Rights. All persons within the territory of Bosnia and Herzegovina shall enjoy the human rights and fundamental freedoms referred to in paragraph 2 above; these include: a. The right to life. b. The right not to be subjected to torture or to inhuman or degrading treatment or punishment. c. The right not to be held in slavery or servitude or to perform forced or compulsory labor. d. The rights to liberty and security of person. e. The right to a fair hearing in civil and criminal matters, and other rights relating to criminal proceedings. f. The right to private and family life, home, and correspondence. g. Freedom of thought, conscience, and religion. h. Freedom of expression. i. Freedom of peaceful assembly and freedom of association with others. j. The right to marry and to found a family. k. The right to property. l. The right to education. m. The right to liberty of movement and residence. 4. Non-Discrimination. The enjoyment of the rights and freedoms provided for in this Article or in the international agreements listed in Annex I to this Constitution shall be secured to all persons in Bosnia and Herzegovina without discrimination on any ground such as sex, race, color, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status. 5. Refugees and Displaced Persons. All refugees and displaced persons have the right freely to return to their homes of origin. They have the right, in accordance with Annex 7 to the General Framework Agreement, to have restored to them property of which they were deprived in the course of hostilities since 1991 and to be compensated for any such property that cannot be restored to them. Any commitments or statements relating to such property made under duress are null and void. 6. Implementation. Bosnia and Herzegovina, and all courts, agencies, governmental organs, and instrumentalities operated by or within the Entities, shall apply and conform to the human rights and fundamental freedoms referred to in paragraph 2 above. 7. International Agreements. Bosnia and Herzegovina shall remain or become party to the international agreements listed in Annex I to this Constitution. 8. Cooperation. All competent authorities in Bosnia and Herzegovina shall cooperate with and provide unrestricted access to: any international human rights monitoring mechanisms established for Bosnia and Herzegovina; the supervisory bodies estab-
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lished by any of the international agreements listed in Annex I to this Constitution; the International Tribunal for the Former Yugoslavia (and in particular shall comply with orders issued pursuant to Article 29 of the Statute of the Tribunal); and any other organization authorized by the United Nations Security Council with a mandate concerning human rights or humanitarian law.
Article III: Responsibilities of and Relations Between the Institutions of Bosnia and Herzegovina and the Entities 1. Responsibilities of the Institutions of Bosnia and Herzegovina. The following matters are the responsibility of the institutions of Bosnia and Herzegovina: a. Foreign policy. b. Foreign trade policy. c. Customs policy. d. Monetary policy as provided in Article VII. e. Finances of the institutions and for the international obligations of Bosnia and Herzegovina. f. Immigration, refugee, and asylum policy and regulation. g. International and inter-Entity criminal law enforcement, including relations with Interpol. h. Establishment and operation of common and international communications facilities. i. Regulation of inter-Entity transportation. j. Air traffic control. 2. Responsibilities of the Entities. a. The Entities shall have the right to establish special parallel relationships with neighboring states consistent with the sovereignty and territorial integrity of Bosnia and Herzegovina. b. Each Entity shall provide all necessary assistance to the government of Bosnia and Herzegovina in order to enable it to honor the international obligations of Bosnia and Herzegovina, provided that financial obligations incurred by one Entity without the consent of the other prior to the election of the Parliamentary Assembly and Presidency of Bosnia and Herzegovina shall be the responsibility of that Entity, except insofar as the obligation is necessary for continuing the membership of Bosnia and Herzegovina in an international organization. c. The Entities shall provide a safe and secure environment for all persons in their respective jurisdictions, by maintaining civilian law enforcement agencies operating in accordance with internationally recognized standards and with respect for the internationally recognized human rights and fundamental freedoms referred to in Article II above, and by taking such other measures as appropriate.
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d. Each Entity may also enter into agreements with states and international organizations with the consent of the Parliamentary Assembly. The Parliamentary Assembly may provide by law that certain types of agreements do not require such consent. 3. Law and Responsibilities of the Entities and the Institutions. a. All governmental functions and powers not expressly assigned in this Constitution to the institutions of Bosnia and Herzegovina shall be those of the Entities. b. The Entities and any subdivisions thereof shall comply fully with this Constitution, which supersedes inconsistent provisions of the law of Bosnia and Herzegovina and of the constitutions and law of the Entities, and with the decisions of the institutions of Bosnia and Herzegovina. The general principles of international law shall be an integral part of the law of Bosnia and Herzegovina and the Entities. 4. Coordination. The Presidency may decide to facilitate inter-Entity coordination on matters not within the responsibilities of Bosnia and Herzegovina as provided in this Constitution, unless an Entity objects in any particular case. 5. Additional Responsibilities. a. Bosnia and Herzegovina shall assume responsibility for such other matters as are agreed by the Entities; are provided for in Annexes 5 through 8 to the General Framework Agreement; or are necessary to preserve the sovereignty, territorial integrity, political independence, and international personality of Bosnia and Herzegovina, in accordance with the division of responsibilities between the institutions of Bosnia and Herzegovina. Additional institutions may be established as necessary to carry out such responsibilities. b. Within six months of the entry into force of this Constitution, the Entities shall begin negotiations with a view to including in the responsibilities of the institutions of Bosnia and Herzegovina other matters, including utilization of energy resources and cooperative economic projects.
Article IV: Parliamentary Assembly The Parliamentary Assembly shall have two chambers: the House of Peoples and the House of Representatives. 1. House of Peoples. The House of Peoples shall comprise 15 Delegates, two-thirds from the Federation (including five Croats and five Bosniacs) and one-third from the Republika Srpska (five Serbs). a. The designated Croat and Bosniac Delegates from the Federation shall be selected, respectively, by the Croat and Bosniac Delegates to the House of Peoples of the Federation. Delegates from the Republika Srpska shall be selected by the National Assembly of the Republika Srpska. b. Nine members of the House of Peoples shall comprise a quorum, provided that at least three Bosniac, three Croat, and three Serb Delegates are present.
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2. House of Representatives. The House of Representatives shall comprise 42 Members, two-thirds elected from the territory of the Federation, one-third from the territory of the Republika Srpska. a. Members of the House of Representatives shall be directly elected from their Entity in accordance with an election law to be adopted by the Parliamentary Assembly. The first election, however, shall take place in accordance with Annex 3 to the General Framework Agreement. b. A majority of all members elected to the House of Representatives shall comprise a quorum. 3. Procedures. a. Each chamber shall be convened in Sarajevo not more than 30 days after its selection or election. b. Each chamber shall by majority vote adopt its internal rules and select from its members one Serb, one Bosniac, and one Croat to serve as its Chair and Deputy Chairs, with the position of Chair rotating among the three persons selected. c. All legislation shall require the approval of both chambers. d. All decisions in both chambers shall be by majority of those present and voting. The Delegates and Members shall make their best efforts to see that the majority includes at least one-third of the votes of Delegates or Members from the territory of each Entity. If a majority vote does not include one-third of the votes of Delegates or Members from the territory of each Entity, the Chair and Deputy Chairs shall meet as a commission and attempt to obtain approval within three days of the vote. If those efforts fail, decisions shall be taken by a majority of those present and voting, provided that the dissenting votes do not include two-thirds or more of the Delegates or Members elected from either Entity. e. A proposed decision of the Parliamentary Assembly may be declared to be destructive of a vital interest of the Bosniac, Croat, or Serb people by a majority of, as appropriate, the Bosniac, Croat, or Serb Delegates selected in accordance with paragraph l(a) above. Such a proposed decision shall require for approval in the House of Peoples a majority of the Bosniac, of the Croat, and of the Serb Delegates present and voting. f. When a majority of the Bosniac, of the Croat, or of the Serb Delegates objects to the invocation of paragraph (e), the Chair of the House of Peoples shall immediately convene a Joint Commission comprising three Delegates, one each selected by the Bosniac, by the Croat, and by the Serb Delegates, to resolve the issue. If the Commission fails to do so within five days, the matter will be referred to the Constitutional Court, which shall in an expedited process review it for procedural regularity. g. The House of Peoples may be dissolved by the Presidency or by the House itself, provided that the House’s decision to dissolve is approved by a majority that includes the majority of Delegates from at least two of the Bosniac, Croat, or Serb peoples. The House of Peoples elected in the first elections after the entry into force of this Constitution may not, however, be dissolved.
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h. Decisions of the Parliamentary Assembly shall not take effect before publication. i. Both chambers shall publish a complete record of their deliberations and shall, save in exceptional circumstances in accordance with their rules, deliberate publicly. j. Delegates and Members shall not be held criminally or civilly liable for any acts carried out within the scope of their duties in the Parliamentary Assembly. 4. Powers. The Parliamentary Assembly shall have responsibility for: a. Enacting legislation as necessary to implement decisions of the Presidency or to carry out the responsibilities of the Assembly under this Constitution. b. Deciding upon the sources and amounts of revenues for the operations of the institutions of Bosnia and Herzegovina and international obligations of Bosnia and Herzegovina. c. Approving a budget for the institutions of Bosnia and Herzegovina. d. Deciding whether to consent to the ratification of treaties. e. Such other matters as are necessary to carry out its duties or as are assigned to it by mutual agreement of the Entities. Article V: Presidency The Presidency of Bosnia and Herzegovina shall consist of three Members: one Bosniac and one Croat, each directly elected from the territory of the Federation, and one Serb directly elected from the territory of the Republika Srpska. 1. Election and Term. a. Members of the Presidency shall be directly elected in each Entity (with each voter voting to fill one seat on the Presidency) in accordance with an election law adopted by the Parliamentary Assembly. The first election, however, shall take place in accordance with Annex 3 to the General Framework Agreement. Any vacancy in the Presidency shall be filled from the relevant Entity in accordance with a law to be adopted by the Parliamentary Assembly. b. The term of the Members of the Presidency elected in the first election shall be two years; the term of Members subsequently elected shall be four years. Members shall be eligible to succeed themselves once and shall thereafter be ineligible for four years. 2. Procedures. a. The Presidency shall determine its own rules of procedure, which shall provide for adequate notice of all meetings of the Presidency. b. The Members of the Presidency shall appoint from their Members a Chair. For the first term of the Presidency, the Chair shall be the Member who received the highest number of votes. Thereafter, the method of selecting the Chair, by rotation or otherwise, shall be determined by the Parliamentary Assembly, subject to Article IV(3).
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c. The Presidency shall endeavor to adopt all Presidency Decisions (i. e., those concerning matters arising under Article V(3)(a)–(e)) by consensus. Such decisions may, subject to paragraph (d) below, nevertheless be adopted by two Members when all efforts to reach consensus have failed. d. A dissenting Member of the Presidency may declare a Presidency Decision to be destructive of a vital interest of the Entity from the territory from which he was elected, provided that he does so within three days of its adoption. Such a Decision shall be referred immediately to the National Assembly of the Republika Srpska, if the declaration was made by the Member from that territory; to the Bosniac Delegates of the House of Peoples of the Federation, if the declaration was made by the Bosniac Member; or to the Croat Delegates of that body, if the declaration was made by the Croat Member. If the declaration is confirmed by a two-thirds vote of those persons within ten days of the referral, the challenged Presidency Decision shall not take effect. 3. Powers. The Presidency shall have responsibility for: a. Conducting the foreign policy of Bosnia and Herzegovina. b. Appointing ambassadors and other international representatives of Bosnia and Herzegovina, no more than two-thirds of whom may be selected from the territory of the Federation. c. Representing Bosnia and Herzegovina in international and European organizations and institutions and seeking membership in such organizations and institutions of which Bosnia and Herzegovina is not a member. d. Negotiating, denouncing, and, with the consent of the Parliamentary Assembly, ratifying treaties of Bosnia and Herzegovina. e. Executing decisions of the Parliamentary Assembly. f. Proposing, upon the recommendation of the Council of Ministers, an annual budget to the Parliamentary Assembly. g. Reporting as requested, but not less than annually, to the Parliamentary Assembly on expenditures by the Presidency. h. Coordinating as necessary with international and nongovernmental organizations in Bosnia and Herzegovina. i. Performing such other functions as may be necessary to carry out its duties, as may be assigned to it by the Parliamentary Assembly, or as may be agreed by the Entities. 4. Council of Ministers. The Presidency shall nominate the Chair of the Council of Ministers, who shall take office upon the approval of the House of Representatives. The Chair shall nominate a Foreign Minister, a Minister for Foreign Trade, and other Ministers as may be appropriate, who shall take office upon the approval of the House of Representatives. a. Together the Chair and the Ministers shall constitute the Council of Ministers, with responsibility for carrying out the policies and decisions of Bosnia and Herzegovina in the fields referred to in Article III(1), (4), and (5) and reporting
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Anhang to the Parliamentary Assembly (including, at least annually, on expenditures by Bosnia and Herzegovina).
b. No more than two-thirds of all Ministers may be appointed from the territory of the Federation. The Chair shall also nominate Deputy Ministers (who shall not be of the same constituent people as their Ministers), who shall take office upon the approval of the House of Representatives. c. The Council of Ministers shall resign if at any time there is a vote of no-confidence by the Parliamentary Assembly. 5. Standing Committee. a. Each member of the Presidency shall, by virtue of the office, have civilian command authority over armed forces. Neither Entity shall threaten or use force against the other Entity, and under no circumstances shall any armed forces of either Entity enter into or stay within the territory of the other Entity without the consent of the government of the latter and of the Presidency of Bosnia and Herzegovina. All armed forces in Bosnia and Herzegovina shall operate consistently with the sovereignty and territorial integrity of Bosnia and Herzegovina. b. The members of the Presidency shall select a Standing Committee on Military Matters to coordinate the activities of armed forces in Bosnia and Herzegovina. The Members of the Presidency shall be members of the Standing Committee.
Article VI: Constitutional Court 1. Composition. The Constitutional Court of Bosnia and Herzegovina shall have nine members. a. Four members shall be selected by the House of Representatives of the Federation, and two members by the Assembly of the Republika Srpska. The remaining three members shall be selected by the President of the European Court of Human Rights after consultation with the Presidency. b. Judges shall be distinguished jurists of high moral standing. Any eligible voter so qualified may serve as a judge of the Constitutional Court. The judges selected by the President of the European Court of Human Rights shall not be citizens of Bosnia and Herzegovina or of any neighboring state. c. The term of judges initially appointed shall be five years, unless they resign or are removed for cause by consensus of the other judges. Judges initially appointed shall not be eligible for reappointment. Judges subsequently appointed shall serve until age 70, unless they resign or are removed for cause by consensus of the other judges. d. For appointments made more than five years after the initial appointment of judges, the Parliamentary Assembly may provide by law for a different method of selection of the three judges selected by the President of the European Court of Human Rights.
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2. Procedures. a. A majority of all members of the Court shall constitute a quorum. b. The Court shall adopt its own rules of court by a majority of all members. It shall hold public proceedings and shall issue reasons for its decisions, which shall be published. 3. Jurisdiction. The Constitutional Court shall uphold this Constitution. a. The Constitutional Court shall have exclusive jurisdiction to decide any dispute that arises under this Constitution between the Entities or between Bosnia and Herzegovina and an Entity or Entities, or between institutions of Bosnia and Herzegovina, including but not limited to: § Whether an Entity’s decision to establish a special parallel relationship with a neighboring state is consistent with this Constitution, including provisions concerning the sovereignty and territorial integrity of Bosnia and Herzegovina. § Whether any provision of an Entity’s constitution or law is consistent with this Constitution. Disputes may be referred only by a member of the Presidency, by the Chair of the Council of Ministers, by the Chair or a Deputy Chair of either chamber of the Parliamentary Assembly, by one-fourth of the members of either chamber of the Parliamentary Assembly, or by one-fourth of either chamber of a legislature of an Entity. b. The Constitutional Court shall also have appellate jurisdiction over issues under this Constitution arising out of a judgment of any other court in Bosnia and Herzegovina. c. The Constitutional Court shall have jurisdiction over issues referred by any court in Bosnia and Herzegovina concerning whether a law, on whose validity its decision depends, is compatible with this Constitution, with the European Convention for Human Rights and Fundamental Freedoms and its Protocols, or with the laws of Bosnia and Herzegovina; or concerning the existence of or the scope of a general rule of public international law pertinent to the court’s decision. 4. Decisions. Decisions of the Constitutional Court shall be final and binding.
Article VII: Central Bank There shall be a Central Bank of Bosnia and Herzegovina, which shall be the sole authority for issuing currency and for monetary policy throughout Bosnia and Herzegovina. 1. The Central Bank’s responsibilities will be determined by the Parliamentary Assembly. For the first six years after the entry into force of this Constitution, however, it may not extend credit by creating money, operating in this respect as a currency board; thereafter, the Parliamentary Assembly may give it that authority.
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2. The first Governing Board of the Central Bank shall consist of a Governor appointed by the International Monetary Fund, after consultation with the Presidency, and three members appointed by the Presidency, two from the Federation (one Bosniac, one Croat, who shall share one vote) and one from the Republika Srpska, all of whom shall serve a six-year term. The Governor, who shall not be a citizen of Bosnia and Herzegovina or any neighboring state, may cast tie-breaking votes on the Governing Board. 3. Thereafter, the Governing Board of the Central Bank of Bosnia and Herzegovina shall consist of five persons appointed by the Presidency for a term of six years. The Board shall appoint, from among its members, a Governor for a term of six years. Article VIII: Finances 1. The Parliamentary Assembly shall each year, on the proposal of the Presidency, adopt a budget covering the expenditures required to carry out the responsibilities of institutions of Bosnia and Herzegovina and the international obligations of Bosnia and Herzegovina. 2. If no such budget is adopted in due time, the budget for the previous year shall be used on a provisional basis. 3. The Federation shall provide two-thirds, and the Republika Srpska one-third, of the revenues required by the budget, except insofar as revenues are raised as specified by the Parliamentary Assembly. Article IX: General Provisions 1. No person who is serving a sentence imposed by the International Tribunal for the Former Yugoslavia, and no person who is under indictment by the Tribunal and who has failed to comply with an order to appear before the Tribunal, may stand as a candidate or hold any appointive, elective, or other public office in the territory of Bosnia and Herzegovina. 2. Compensation for persons holding office in the institutions of Bosnia and Herzegovina may not be diminished during an officeholder’s tenure. 3. Officials appointed to positions in the institutions of Bosnia and Herzegovina shall be generally representative of the peoples of Bosnia and Herzegovina. Article X: Amendment 1. Amendment Procedure. This Constitution may be amended by a decision of the Parliamentary Assembly, including a two-thirds majority of those present and voting in the House of Representatives. 2. Human Rights and Fundamental Freedoms. No amendment to this Constitution may eliminate or diminish any of the rights and freedoms referred to in Article II of this Constitution or alter the present paragraph.
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Article XI: Transitional Arrangements Transitional arrangements concerning public offices, law, and other matters are set forth in Annex II to this Constitution.
Article XII: Entry into Force 1. This Constitution shall enter into force upon signature of the General Framework Agreement as a constitutional act amending and superseding the Constitution of the Republic of Bosnia and Herzegovina. 2. Within three months from the entry into force of this Constitution, the Entities shall amend their respective constitutions to ensure their conformity with this Constitution in accordance with Article III(3)(b).
Annex I: Additional Human Rights Agreements To Be Applied In Bosnia And Herzegovina 1. 1948 Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide 2. 1949 Geneva Conventions I–IV on the Protection of the Victims of War, and the 1977 Geneva Protocols I–II thereto 3. 1951 Convention relating to the Status of Refugees and the 1966 Protocol thereto 4. 1957 Convention on the Nationality of Married Women 5. 1961 Convention on the Reduction of Statelessness 6. 1965 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination 7. 1966 International Covenant on Civil and Political Rights and the 1966 and 1989 Optional Protocols thereto 8. 1966 Covenant on Economic, Social and Cultural Rights 9. 1979 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women 10. 1984 Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment 11. 1987 European Convention on the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment 12. 1989 Convention on the Rights of the Child 13. 1990 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families 14. 1992 European Charter for Regional or Minority Languages 15. 1994 Framework Convention for the Protection of National Minorities
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Anhang Annex II: Transitional Arrangements
1. Joint Interim Commission. a. The Parties hereby establish a Joint Interim Commission with a mandate to discuss practical questions related to the implementation of the Constitution of Bosnia and Herzegovina and of the General Framework Agreement and its Annexes, and to make recommendations and proposals. b. The Joint Interim Commission shall be composed of four persons from the Federation, three persons from the Republika Srpska, and one representative of Bosnia and Herzegovina. c. Meetings of the Commission shall be chaired by the High Representative or his or designee. 2. Continuation of Laws. All laws, regulations, and judicial rules of procedure in effect within the territory of Bosnia and Herzegovina when the Constitution enters into force shall remain in effect to the extent not inconsistent with the Constitution, until otherwise determined by a competent governmental body of Bosnia and Herzegovina. 3. Judicial and Administrative Proceedings. All proceedings in courts or administrative agencies functioning within the territory of Bosnia and Herzegovina when the Constitution enters into force shall continue in or be transferred to other courts or agencies in Bosnia and Herzegovina in accordance with any legislation governing the competence of such courts or agencies. 4. Offices. Until superseded by applicable agreement or law, governmental offices, institutions, and other bodies of Bosnia and Herzegovina will operate in accordance with applicable law. 5. Treaties. Any treaty ratified by the Republic of Bosnia and Herzegovina between January 1, 1992 and the entry into force of this Constitution shall be disclosed to Members of the Presidency within 15 days of their assuming office; any such treaty not disclosed shall be denounced. Within six months after the Parliamentary Assembly is first convened, at the request of any member of the Presidency, the Parliamentary Assembly shall consider whether to denounce any other such treaty.
Declaration On Behalf Of The Republic Of Bosnia And Herzegovina The Republic of Bosnia and Herzegovina approves the Constitution of Bosnia and Herzegovina at Annex 4 to the General Framework Agreement. For the Republic of Bosnia and Herzegovina
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Declaration On Behalf Of The Federation Of Bosnia And Herzegovina The Federation of Bosnia and Herzegovina, on behalf of its constituent peoples and citizens, approves the Constitution of Bosnia and Herzegovina at Annex 4 to the General Framework Agreement. For the Federation of Bosnia and Herzegovina Declaration On Behalf Of The Republika Srpska The Republika Srpska approves the Constitution of Bosnia and Herzegovina at Annex 4 to the General Framework Agreement. For the Republika Srpska
Anhang III: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, Annex 6 Agreement on Human Rights The Republic of Bosnia and Herzegovina, the Federation of Bosnia and Herzegovina and the Republika Srpska (the “Parties”) have agreed as follows: Chapter One: Respect for Human Rights Article I: Fundamental Rights and Freedoms The Parties shall secure to all persons within their jurisdiction the highest level of internationally recognized human rights and fundamental freedoms, including the rights and freedoms provided in the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and its Protocols and the other international agreements listed in the Appendix to this Annex. These include: 1. The right to life. 2. The right not to be subjected to torture or to inhuman or degrading treatment or punishment. 3. The right not to be held in slavery or servitude or to perform forced or compulsory labor. 4. The rights to liberty and security of person. 5. The right to a fair hearing in civil and criminal matters, and other rights relating to criminal proceedings. 6. The right to private and family life, home, and correspondence. 7. Freedom of thought, conscience and religion. 8. Freedom of expression. 9. Freedom of peaceful assembly and freedom of association with others.
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10. The right to marry and to found a family. 11. The right to property. 12. The right to education. 13. The right to liberty of movement and residence. 14. The enjoyment of the rights and freedoms provided for in this Article or in the international agreements listed in the Annex to this Constitution secured without discrimination on any ground such as sex, race, color, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status. Chapter Two: The Commission on Human Rights Part A: General Article II: Establishment of the Commission 1. To assist in honoring their obligations under this Agreement, the Parties hereby establish a Commission on Human Rights (the “Commission”). The Commission shall consist of two parts: the Office of the Ombudsman and the Human Rights Chamber. 2. The Office of the Ombudsman and the Human Rights Chamber shall consider, as subsequently described: a. alleged or apparent violations of human rights as provided in the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and the Protocols thereto, or b. alleged or apparent discrimination on any ground such as sex, race, color, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status arising in the enjoyment of any of the rights and freedoms provided for in the international agreements listed in the Appendix to this Annex, where such violation is alleged or appears to have been committed by the Parties, including by any official or organ of the Parties, Cantons, Municipalities, or any individual acting under the authority of such official or organ. 3. The Parties recognize the right of all persons to submit to the Commission and to other human rights bodies applications concerning alleged violations of human rights, in accordance with the procedures of this Annex and such bodies. The Parties shall not undertake any punitive action directed against persons who intend to submit, or have submitted, such allegations. Article III: Facilities, Staff and Expenses 1. The Commission shall have appropriate facilities and a professionally competent staff. There shall be an Executive Officer, appointed jointly by the Ombudsman and the President of the Chamber, who shall be responsible for all necessary admin-
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istrative arrangements with respect to facilities and staff. The Executive Officer shall be subject to the direction of the Ombudsman and the President of the Chamber insofar as concerns their respective administrative and professional office staff. 2. The salaries and expenses of the Commission and its staff shall be determined jointly by the Parties and shall be borne by Bosnia and Herzegovina. The salaries and expenses shall be fully adequate to implement the Commission’s mandate. 3. The Commission shall have its headquarters in Sarajevo, including both the headquarters Office of the Ombudsman and the facilities for the Chamber. The Ombudsman shall have at least one additional office in the territory of the Federation and the Republika Srpska and at other locations as it deems appropriate. The Chamber may meet in other locations where it determines that the needs of a particular case so require, and may meet at any place it deems appropriate for the inspection of property, documents or other items. 4. The Ombudsman and all members of the Chamber shall not be held criminally or civilly liable for any acts carried out within the scope of their duties. When the Ombudsman and members of the Chamber are not citizens of Bosnia and Herzegovina, they and their families shall be accorded the same privileges and immunities as are enjoyed by diplomatic agents and their families under the Vienna Convention on Diplomatic Relations. 5. With full regard for the need to maintain impartiality, the Commission may receive assistance as it deems appropriate from any governmental, international, or nongovernmental organization. Part B: Human Rights Ombudsman Article IV: Human Rights Ombudsman 1. The Parties hereby establish the Office of the Human Rights Ombudsman (the “Ombudsman”). 2. The Ombudsman shall be appointed for a non-renewable term of five years by the Chairman-in-Office of the Organization for Security and Cooperation in Europe (OSCE), after consultation with the Parties. He or she shall be independently responsible for choosing his or her own staff. Until the transfer described in Article XIV below, the Ombudsman may not be a citizen of Bosnia and Herzegovina or of any neighboring state. The Ombudsman appointed after that transfer shall be appointed by the Presidency of Bosnia and Herzegovina. 3. Members of the Office of the Ombudsman must be of recognized high moral standing and have competence in the field of international human rights. 4. The Office of the Ombudsman shall be an independent agency. In carrying out its mandate, no person or organ of the Parties may interfere with its functions.
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Anhang Article V: Jurisdiction of the Ombudsman
1. Allegations of violations of human rights received by the Commission shall generally be directed to the Office of the Ombudsman, except where an applicant specifies the Chamber. 2. The Ombudsman may investigate, either on his or her own initiative or in response to an allegation by any Party or person, non-governmental organization, or group of individuals claiming to be the victim of a violation by any Party or acting on behalf of alleged victims who are deceased or missing, alleged or apparent violations of human rights within the scope of paragraph 2 of Article II. The Parties undertake not to hinder in any way the effective exercise of this right. 3. The Ombudsman shall determine which allegations warrant investigation and in what priority, giving particular priority to allegations of especially severe or systematic violations and those founded on alleged discrimination on prohibited grounds. 4. The Ombudsman shall issue findings and conclusions promptly after concluding an investigation. A Party identified as violating human rights shall, within a specified period, explain in writing how it will comply with the conclusions. 5. Where an allegation is received which is within the jurisdiction of the Human Rights Chamber, the Ombudsman may refer the allegation to the Chamber at any stage. 6. The Ombudsman may also present special reports at any time to any competent government organ or official. Those receiving such reports shall reply within a time limit specified by the Ombudsman, including specific responses to any conclusions offered by the Ombudsman. 7. The Ombudsman shall publish a report, which, in the event that a person or entity does not comply with his or her conclusions and recommendations, will be forwarded to the High Representative described in Annex 10 to the General Framework Agreement while such office exists, as well as referred for further action to the Presidency of the appropriate Party. The Ombudsman may also initiate proceedings before the Human Rights Chamber based on such Report. The Ombudsman may also intervene in any proceedings before the Chamber.
Article VI: Powers 1. The Ombudsman shall have access to and may examine all official documents, including classified ones, as well as judicial and administrative files, and can require any person, including a government official, to cooperate by providing relevant information, documents and files. The Ombudsman may attend administrative hearings and meetings of other organs and may enter and inspect any place where persons deprived of their liberty are confined or work. 2. The Ombudsman and staff are required to maintain the confidentiality of all confidential information obtained, except where required by order of the Chamber, and shall treat all documents and files in accordance with applicable rules.
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Part C: Human Rights Chamber Article VII: Human Rights Chamber 1. The Human Rights Chamber shall be composed of fourteen members. 2. Within 90 days after this Agreement enters into force, the Federation of Bosnia and Herzegovina shall appoint four members and the Republika Srpska shall appoint two members. The Committee of Ministers of the Council of Europe, pursuant to its resolution (93)6, after consultation with the Parties, shall appoint the remaining members, who shall not be citizens of Bosnia and Herzegovina or any neighboring state, and shall designate one such member as the President of the Chamber. 3. All members of the Chamber shall possess the qualifications required for appointment to high judicial office or be jurists of recognized competence. The members of the Chamber shall be appointed for a term of five years and may be reappointed. 4. Members appointed after the transfer described in Article XIV below shall be appointed by the Presidency of Bosnia and Herzegovina.
Article VIII: Jurisdiction of the Chamber 1. The Chamber shall receive by referral from the Ombudsman on behalf of an applicant, or directly from any Party or person, non-governmental organization, or group of individuals claiming to be the victim of a violation by any Party or acting on behalf of alleged victims who are deceased or missing, for resolution or decision applications concerning alleged or apparent violations of human rights within the scope of paragraph 2 of Article II. 2. The Chamber shall decide which applications to accept and in what priority to address them. In so doing, the Chamber shall take into account the following criteria: a. Whether effective remedies exist, and the applicant has demonstrated that they have been exhausted and that the application has been filed with the Commission within six months from such date on which the final decision was taken. b. The Chamber shall not address any application which is substantially the same as a matter which has already been examined by the Chamber or has already been submitted to another procedure or international investigation or settlement. c. The Chamber shall also dismiss any application which it considers incompatible with this Agreement, manifestly ill-founded, or an abuse of the right of petition. d. The Chamber may reject or defer further consideration if the application concerns a matter currently pending before any other international human rights body responsible for the adjudication of applications or the decision of cases, or any other Commission established by the Annexes to the General Framework Agreement. e. In principle, the Chamber shall endeavor to accept and to give particular priority to allegations of especially severe or systematic violations and those founded on alleged discrimination on prohibited grounds.
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f. Applications which entail requests for provisional measures shall be reviewed as a matter of priority in order to determine (1) whether they should be accepted and, if so (2) whether high priority for the scheduling of proceedings on the provisional measures request is warranted. 3. The Chamber may decide at any point in its proceedings to suspend consideration of, reject or strike out, an application on the ground that (a) the applicant does not intend to pursue his application; (b) the matter has been resolved; or (c) for any other reason established by the Chamber, it is no longer justified to continue the examination of the application; provided that such result is consistent with the objective of respect for human rights. Article IX: Friendly Settlement 1. At the outset of a case or at any stage during the proceedings, the Chamber may attempt to facilitate an amicable resolution of the matter on the basis of respect for the rights and freedoms referred to in this Agreement. 2. If the Chamber succeeds in effecting such a resolution it shall publish a Report and forward it to the High Representative described in Annex 10 to the General Framework Agreement while such office exists, the OSCE and the Secretary General of the Council of Europe. Such a Report shall include a brief statement of the facts and the resolution reached. The report of a resolution in a given case may, however, be confidential in whole or in part where necessary for the protection of human rights or with the agreement of the Chamber and the parties concerned. Article X: Proceedings before the Chamber 1. The Chamber shall develop fair and effective procedures for the adjudication of applications. Such procedures shall provide for appropriate written pleadings and, on the decision of the Chamber, a hearing for oral argument or the presentation of evidence. The Chamber shall have the power to order provisional measures, to appoint experts, and to compel the production of witnesses and evidence. 2. The Chamber shall normally sit in panels of seven, composed of two members from the Federation, one from the Republika Srpska, and four who are not citizens of Bosnia and Herzegovina or any neighboring state. When an application is decided by a panel, the full Chamber may decide, upon motion of a party to the case or the Ombudsman, to review the decision; such review may include the taking of additional evidence where the Chamber so decides. References in this Annex to the Chamber shall include, as appropriate, the Panel, except that the power to develop general rules, regulations and procedures is vested in the Chamber as a whole. 3. Except in exceptional circumstances in accordance with rules, hearings of the Chamber shall be held in public. 4. Applicants may be represented in proceedings by attorneys or other representatives of their choice, but shall also be personally present unless excused by the Chamber on account of hardship, impossibility, or other good cause. 5. The Parties undertake to provide all relevant information to, and to cooperate fully with, the Chamber.
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Article XI: Decisions 1. Following the conclusion of the proceedings, the chamber shall promptly issue a decision, which shall address: a. whether the facts found indicate a breach by the Party concerned of its obligations under this Agreement; and if so b. what steps shall be taken by the Party to remedy such breach, including orders to cease and desist, monetary relief (including pecuniary and non-pecuniary injuries), and provisional measures. 2. The Chamber shall make its decision by a majority of members. In the event a decision by the full Chamber results in a tie, the President of the Chamber shall cast the deciding vote. 3. Subject to review as provided in paragraph 2 of Article X, the decisions of the Chamber shall be final and binding. 4. Any member shall be entitled to issue a separate opinion on any case. 5. The Chamber shall issue reasons for its decisions. Its decisions shall be published and forwarded to the parties concerned, the High Representative described in Annex 10 to the General Framework Agreement while such office exists, the Secretary General of the Council of Europe and the OSCE. 6. The Parties shall implement fully decisions of the Chamber. Article XII: Rules and Regulations The Chamber shall promulgate such rules and regulations, consistent with this Agreement, as may be necessary to carry out its functions, including provisions for preliminary hearings, expedited decisions on provisional measures, decisions by panels of the Chamber, and review of decisions made by any such panels. Chapter Three: General Provisions Article XIII: Organizations Concerned with Human Rights 1. The Parties shall promote and encourage the activities of non-governmental and international organizations for the protection and promotion of human rights. 2. The Parties join in inviting the United Nations Commission on Human Rights, the OSCE, the United Nations High Commissioner for Human Rights, and other intergovernmental or regional human rights missions or organizations to monitor closely the human rights situation in Bosnia and Herzegovina, including through the establishment of local offices and the assignment of observers, rapporteurs, or other relevant persons on a permanent or mission-by-mission basis and to provide them with full and effective facilitation, assistance and access. 3. The Parties shall allow full and effective access to non-governmental organizations for purposes of investigating and monitoring human rights conditions in Bosnia
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and Herzegovina and shall refrain from hindering or impeding them in the exercise of these functions. 4. All competent authorities in Bosnia and Herzegovina shall cooperate with and provide unrestricted access to the organizations established in this Agreement; any international human rights monitoring mechanisms established for Bosnia and Herzegovina; the supervisory bodies established by any of the international agreements listed in the Appendix to this Annex; the International Tribunal for the Former Yugoslavia; and any other organization authorized by the U.N. Security Council with a mandate concerning human rights or humanitarian law. Article XIV: Transfer Five years after this Agreement enters into force, the responsibility for the continued operation of the Commission shall transfer from the Parties to the institutions of Bosnia and Herzegovina, unless the Parties otherwise agree. In the latter case, the Commission shall continue to operate as provided above. Article XV: Notice The Parties shall give effective notice of the terms of this Agreement throughout Bosnia and Herzegovina. Article XVI: Entry into Force This Agreement shall enter into force upon signature. For the Republic of Bosnia and Herzegovina For the Federation of Bosnia and Herzegovina For the Republika Srpska Appendix: Human Rights Agreements 1. 1948 Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide 2. 1949 Geneva Conventions I–IV on the Protection of the Victims of War, and the 1977 Geneva Protocols I–II thereto 3. 1950 European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, and the Protocols thereto 4. 1951 Convention relating to the Status of Refugees and the 1966 Protocol thereto 5. 1957 Convention on the Nationality of Married Women 6. 1961 Convention on the Reduction of Statelessness 7. 1965 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination 8. 1966 International Covenant on Civil and Political Rights and the 1966 and 1989 Optional Protocols thereto
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9. 1966 Covenant on Economic, Social and Cultural Rights 10. 1979 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women 11. 1984 Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment 12. 1987 European Convention on the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment 13. 1989 Convention on the Rights of the Child 14. 1990 Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families 15. 1992 European Charter for Regional or Minority Languages 16. 1994 Framework Convention for the Protection of National Minorities
Anhang IV: The General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, Annex 10 Agreement on Civilian Implementation The Republic of Bosnia and Herzegovina, the Republic of Croatia, the Federal Republic of Yugoslavia, the Federation of Bosnia and Herzegovina, and the Republika Srpska (the “Parties”) have agreed as follows: Article I: High Representative 1. The Parties agree that the implementation of the civilian aspects of the peace settlement will entail a wide range of activities including continuation of the humanitarian aid effort for as long as necessary; rehabilitation of infrastructure and economic reconstruction; the establishment of political and constitutional institutions in Bosnia and Herzegovina; promotion of respect for human rights and the return of displaced persons and refugees; and the holding of free and fair elections according to the timetable in Annex 3 to the General Framework Agreement. A considerable number of international organizations and agencies will be called upon to assist. 2. In view of the complexities facing them, the Parties request the designation of a High Representative, to be appointed consistent with relevant United Nations Security Council resolutions, to facilitate the Parties’ own efforts and to mobilize and, as appropriate, coordinate the activities of the organizations and agencies involved in the civilian aspects of the peace settlement by carrying out, as entrusted by a U.N. Security Council resolution, the tasks set out below.
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Anhang Article II: Mandate and Methods of Coordination and Liaison
1. The High Representative shall: a. Monitor the implementation of the peace settlement. b. Maintain close contact with the Parties to promote their full compliance with all civilian aspects of the peace settlement and a high level of cooperation between them and the organizations and agencies participating in those aspects. c. Coordinate the activities of the civilian organizations and agencies in Bosnia and Herzegovina to ensure the efficient implementation of the civilian aspects of the peace settlement. The High Representative shall respect their autonomy within their spheres of operation while as necessary giving general guidance to them about the impact of their activities on the implementation of the peace settlement. The civilian organizations and agencies are requested to assist the High Representative in the execution of his or her responsibilities by providing all information relevant to their operations in Bosnia- Herzegovina. d. Facilitate, as the High Representative judges necessary, the resolution of any difficulties arising in connection with civilian implementation. e. Participate in meetings of donor organizations, particularly on issues of rehabilitation and reconstruction. f. Report periodically on progress in implementation of the peace agreement concerning the tasks set forth in this Agreement to the United Nations, European Union, United States, Russian Federation, and other interested governments, parties, and organizations. g. Provide guidance to, and receive reports from, the Commissioner of the International Police Task Force established in Annex 11 to the General Framework Agreement. 2. In pursuit of his or her mandate, the High Representative shall convene and chair a commission (the “Joint Civilian Commission”) in Bosnia and Herzegovina. It will comprise senior political representatives of the Parties, the IFOR Commander or his representative, and representatives of those civilian organizations and agencies the High Representative deems necessary. 3. The High Representative shall, as necessary, establish subordinate Joint Civilian Commissions at local levels in Bosnia and Herzegovina. 4. A Joint Consultative Committee will meet from time to time or as agreed between the High Representative and the IFOR Commander. 5. The High Representative or his designated representative shall remain in close contact with the IFOR Commander or his designated representatives and establish appropriate liaison arrangements with the IFOR Commander to facilitate the discharge of their respective responsibilities. 6. The High Representative shall exchange information and maintain liaison on a regular basis with IFOR, as agreed with the IFOR Commander, and through the commissions described in this Article.
Anhang
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7. The High Representative shall attend or be represented at meetings of the Joint Military Commission and offer advice particularly on matters of a political-military nature. Representatives of the High Representative will also attend subordinate commissions of the Joint Military Commission as set out in Article VIII(8) of Annex 1A to the General Framework Agreement. 8. The High Representative may also establish other civilian commissions within or outside Bosnia and Herzegovina to facilitate the execution of his or her mandate. 9. The High Representative shall have no authority over the IFOR and shall not in any way interfere in the conduct of military operations or the IFOR chain of command.
Article III: Staffing 1. The High Representative shall appoint staff, as he or she deems necessary, to provide assistance in carrying out the tasks herein. 2. The Parties shall facilitate the operations of the High Representative in Bosnia and Herzegovina, including by the provision of appropriate assistance as requested with regard to transportation, subsistence, accommodations, communications, and other facilities at rates equivalent to those provided for the IFOR under applicable agreements. 3. The High Representative shall enjoy, under the laws of Bosnia and Herzegovina, such legal capacity as may be necessary for the exercise of his or her functions, including the capacity to contract and to acquire and dispose of real and personal property. 4. Privileges and immunities shall be accorded as follows: a. The Parties shall accord the office of the High Representative and its premises, archives, and other property the same privileges and immunities as are enjoyed by a diplomatic mission and its premises, archives, and other property under the Vienna Convention on Diplomatic Relations. b. The Parties shall accord the High Representative and professional members of his or her staff and their families the same privileges and immunities as are enjoyed by diplomatic agents and their families under the Vienna Convention on Diplomatic Relations. c. The Parties shall accord other members of the High Representative staff and their families the same privileges and immunities as are enjoyed by members of the administrative and technical staff and their families under the Vienna Convention on Diplomatic Relations.
Article IV: Cooperation The Parties shall fully cooperate with the High Representative and his or her staff, as well as with the international organizations and agencies as provided for in Article IX of the General Framework Agreement.
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Anhang Article V: Final Authority to Interpret
The High Representative is the final authority in theater regarding interpretation of this Agreement on the civilian implementation of the peace settlement. Article VI: Entry into Force This Agreement shall enter into force upon signature. For For For For For
the the the the the
Republic of Bosnia and Herzegovina Republic of Croatia Federal Republic of Yugoslavia Federation of Bosnia and Herzegovina Republika Srpska
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IX. Sonstige nationale und internationale Gerichte Marbury v. Madison, Supreme Court of the United States, (5 US [1 Cranch] 137 [1803]). OVG des Saargebiets, Urteil v. 27. 11. 1922, Rs. A 26/22, Entscheidungssammlung 1924, 23. OLG Wien, Urteil v. 06.12.1946, in: ÖstJZ 2 (1947), 79. LG Wien, Urteil v. 04.04. 1947, in: ÖstJZ 2 (1947), 171. Badischer Staatsgerichtshof, Urteil v. 15.01.1949, abgedr. in: AöR 75 (1949), 477. VGH Freiburg i. Br., Urteil v. 09.07.51, abgedr. in: ZMR 5 (1952), 11. VGH Kassel, Beschluss v. 26.01.1984 – 9 TG 198/83 – NJW 37 (1984), 2055. VGH Kassel, Beschluss v. 28.08.1985 – 9 TG 2605/84 – NJW 39 (1986), 677. OVG Münster, Beschluss v. 02.03.1989 – 21 B 1861/88 – NVwZ-RR 1990, 174. VGH Mannheim, Beschluss v. 02.06.1992 – 10 S 2239/91 – VBlBW 1992, 431. BVerwG, Urteil v. 17.02.1995 – 2 WD 20/95 – NVwZ 16 (1997), 184. OVG Münster, Urteil v. 26.05.1995 – 25 A 2751/93 A – NVwZ 15 (1996), Beilage 1/ 1996, 3. Kadic v. Karadzic, United States Court of Appeals for the Second Circuit, 13.10.1995, abgedr. in: ILM 34 (1995), 1592. re Secession of Québec, Supreme Court of Canada, (20.08.1998), 2 SCR 1998, Vol. 2, 217 – abrufbar unter: www.lexum.umontreal.ca. Prosecutor v. Tusko Tadic, ICTY, Appeals Chamber, Urteil v. 15.07.1999, abgedr. in ILM 38 (1999), 1518. Coard et al. v. United States, Inter-American Commission on Human Rights, Case 10.951, Report No. 109/99, 29.09.1999.
Sachverzeichnis Afghanistan 19, 39, 58, 132, 297 Amtsenthebungen 98, 122, 182, 186, 187, 188, 200, 204, 206, 208, 222, 228, 299, 300 Ashdown, Paddy 30, 100, 187, 188, 197, 298 Besatzung 29, 121, 127, 132, 141, 145, 154, 155, 156, 163, 255, 261, 264, 278, 289 BIHVG 73, 122, 123, 127, 128, 129, 133, 136, 146, 150, 152, 155, 159, 163, 164, 166, 169, 176, 178, 179, 180, 184, 187, 189, 190, 191, 192, 194, 202, 206, 208, 211, 213, 217, 219, 220, 224, 240, 257, 260, 268, 290 Bildt, Carl 87, 89, 100, 102 Bonner Befugnisse („Bonn Powers“) 28, 98, 119, 188, 190 Bosnien und Herzegowina 27, 41, 82, 119, 125, 240, 257, 268 Brcˇko 59, 102 Bundesstaat 42, 55, 59, 60, 61, 74 Bundesverfassungsgericht 127, 132, 152, 180 BVerfG 126, 130, 132, 138, 150, 152, 153, 154, 155, 163, 165, 168, 183, 240 Comission for Real Property Claims 76, 118, 217, 218 Danzig 22, 66 Dayton 27, 28, 29, 37, 41, 45, 46, 52, 58, 74, 85, 86, 89, 90, 91, 92, 96, 117, 119, 121, 124, 133, 190, 220, 226, 242, 243, 255, 260 Dekolonialisierung 23, 159
Dezertifizierung 227, 228, 229, 230, 241, 245, 256 dulde und liquidiere 35, 272 EMRK 50, 64, 65, 66, 122, 140, 172, 177, 180, 184, 203, 206, 207, 224, 229, 233, 236, 241, 245, 247, 248, 249, 250, 253, 265, 267, 268, 269, 272, 275 ethnische Säuberung 44, 71 EUFOR 48, 101, 231, 297 EuGH 153, 154, 253, 283 EuGMR 140, 173, 212, 218, 236, 240, 241, 246, 248, 252, 253, 257, 258, 259, 265, 267, 268, 269, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 289 EUPM 101, 226, 231, 297 Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) 246, 247, 248, 249, 251, 253, 257 Europäische Union 5, 51, 300 Europarat 66, 67, 72, 84, 87, 111, 170, 212, 259, 260, 268, 275, 283, 299 European Union Special Representative (EUSR) 102, 297 Exekutivakt 98, 175, 176, 178, 186, 187, 190, 224, 287, 291 failed state 23, 191 funktionale Dualität 137, 141, 142, 145, 146, 151, 152, 153, 155, 163, 164, 166, 173, 178, 180, 182, 183, 186, 187, 189, 190, 192, 198, 199, 202, 203, 206, 215, 221, 223, 224, 228, 240, 264, 277, 291 global governance 118
144, 162, 181, 191, 214, 258,
Sachverzeichnis IFOR 27, 48, 68, 85, 123, 231 Immunität 37, 105, 106, 107, 114, 115, 138, 139, 146, 163, 183, 268, 272, 274, 277, 289, 292 International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) 78, 133, 232 international territorial administration 21 internationale Gemeinschaft 19, 21, 30, 32, 45, 51, 52, 55, 75, 80, 81, 83, 89, 117, 119, 128, 129, 136, 293, 294 Internationale Organisation 32, 35, 88, 103, 104, 113, 117, 139, 237, 238, 239, 240, 243, 249, 250, 262, 263, 265, 289, 292 internationale Verwaltung 5, 22, 23, 25, 27, 35, 37, 39, 82, 117, 118, 141, 159, 187, 212, 240, 259, 260, 261, 262, 264 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) 64, 184, 213, 265, 266, 275, 276, 277 IPTF 49, 68, 81, 118, 204, 226, 231, 258, 297 Irak 19, 21, 31, 58, 82, 132, 297 ius cogens 57, 124, 195, 96 Izetbegovic, Alija 70, 79, 177
Maastricht-Entscheidung 138, 152, 163, 252, 253 Mandatsgebiet 137, 155, 156, 157, 163 Menschenrechtskammer 38, 48, 67, 204, 208, 214, 216, 227, 229, 240, 247, 253, 257, 258, 268 Milosˇevic, Slobodan 79 mission creep 296 Mostar 27, 59, 102
367 154, 158, 203, 236,
Namibia 25, 158 nation-building 5, 27, 39, 296, 297, 298 NATO 27, 35, 45, 47, 48, 57, 79, 85, 98, 101, 118, 231, 243 Notstandsverfassung 129, 223, 277, 287
Jugoslawien 5, 19, 20, 24, 41, 42, 43, 47, 49, 50, 78, 79, 83, 86, 106, 115, 116, 232, 256
OHR 37, 38, 76, 87, 89, 90, 91, 93, 95, 101, 102, 107, 109, 112, 113, 116, 117, 118, 123, 173, 188, 189, 256, 283 Ombudsperson 48, 121, 294 ONUC 24 Osmanisches Reich 22, 41, 80, 155 Österreich-Ungarn 41 Ost-Timor 23, 26, 32, 35, 86, 119, 120, 128, 132, 255, 256 OSZE 27, 67, 84, 118, 204, 212, 214, 224, 231, 243, 244 ownership 299
KFOR 27 Kolonien 22, 155, 156 Kontaktgruppe 51, 58 Kosovo 23, 26, 27, 32, 33, 86, 109, 120, 125, 128, 155, 255, 256, 294, 297 Kroatien 43, 44, 45, 47, 59, 79, 106, 115, 116, 256
Peace Implementation Council (PIC) 86, 87, 88, 90, 95, 111, 116, 119, 188, 190, 197, 254, 294 peacekeeping 23, 24, 25, 31, 34, 36, 83, 84, 86, 89, 124 Petritsch, Wolfgang 100, 102 Protektorat 300
Legislativakt 154, 160, 166, 169, 171, 183, 186, 190, 191, 198, 223, 258, 277, 287 Leopardenfell 42, 75 Letitia 22
Rechtsweggarantie 269, 270, 272, 273, 275, 276, 277, 278 Republika Srpska 28, 48, 49, 50, 53, 59, 60, 62, 63, 64, 70, 93, 96, 99, 106, 115, 170, 199, 298
368
Sachverzeichnis
rule of law 30, 31, 32, 101, 102, 198, 272, 282, 290, 295 Saargebiet 22, 159, 164 Sarajevo 45, 102, 172, 185, 235 Schwarz-Schilling, Christian 5, 30 Serbien 43, 44, 45, 59, 79, 86, 116, 298 SFOR 27, 48, 68, 81, 93, 101, 118, 123, 224, 225, 231, 244, 257, 297 SOFA 280, 293 Srebrenica 44, 83 Staatengemeinschaft 5, 21, 22, 26, 27, 30, 36, 39, 55, 80, 83, 86, 87, 90, 106, 124, 156, 159, 192, 197, 217, 255, 261, 264, 266, 276, 288, 290, 295 Substitution 162, 165, 168, 172, 173, 181, 182, 183, 186, 190, 198, 201, 202, 206, 223, 229, 298 Tadic-Entscheidung 44, 78, 133 Tito, Josip Broz 44 Treuhandgebiet 23, 108, 155, 159, 261 UNHCR 76, 87, 111 UNMIBH 76, 226, 230
UNMIK 26, 109, 120, 122, 124, 125, 201 UNOSOM 24, 26 UNPROFOR 24, 83, 84, 85 UNTAC 24, 25 UNTAET 26, 109 UNTAG 25 UNTEA 24, 25, 120 Vereinte Nationen (VN) 20, 22, 23, 24, 25, 16, 17, 31, 33, 34, 44, 48, 55, 76, 78, 82, 89, 90, 103, 109, 113, 119, 124, 125, 128, 158, 164, 165, 194, 196, 231, 255 völkerrechtliche Verantwortlichkeit 35, 236, 240, 241, 242, 244, 248, 285 Völkerrechtssubjekt 41, 49, 50, 61, 104, 108, 111, 112, 116, 143, 237, 238, 240, 242, 243, 247, 248, 254, 257, 283 Westendorp, Carlos 100, 102 Zurechnung 116, 161, 224, 225, 229, 232, 234, 236, 237, 238, 241, 242, 243, 244, 245, 247, 254, 256, 259
SUMMARY Since the end of the Cold War the administration of conflict areas by the international community increasingly gained importance. Two examples of this ‘‘modern type” international territorial administration can be found at the gates of the European Union: Bosnia and Herzegovina and Kosovo. When International Organizations or international organs administer territory, they exercise state-like governmental authority. Especially when administrative missions last for a longer period of time, the question arises, whether the ‘‘international emergency administrators” are subject to legal restraints. How broad are their competences when exercising legislative or executive authority? Is this international governmental authority subject to judicial review and if so by whom? Or is the allegation justified that these international administrative organs exercise unlimited powers? Considering the example of Bosnia and Herzegovina the author examines the legal framework of a territorial administration by the international community in a post-conflict scenario. Starting-point is the analysis of the Dayton Peace Agreement (DPA) of 1995, where the foundations of the international administration have been laid. Against this background the author examines the legal nature of the international administrative organs, in particular the Office of the High Representative (OHR). It follows an examination of the question in which cases, to what extent, according to which legal norms and by which authority judicial review of acts by the international administration has been effected. The author illustrates with a variety of examples the dogmatic, procedural and practical issues that accompany the problem of judicially controlling the international administrative organs in Bosnia and Herzegovina. Finally, the situation in Bosnia and Herzegovina is evaluated considering relevant general norms of international law, especially human rights law. Possible remedies for future scenarios of international territorial administrations are outlined as well.
RÉSUMÉ L’administration des régions instables par la communauté internationale a de plus en plus gagné en importance après la fin de la guerre froide. Deux exemples de cette administration territoriale internationale d’empreinte moderne se trouvent juste devant les portes de la Communauté Européenne: la Bosnie et Herzégovine ainsi que le Kosovo. Lorsque des Organisations Internationales ou des organes internationaux administrent une région, ils exercent, tel un état, un pouvoir de souveraineté. Surtout quand une telle mission administrative s’étend sur une periode prolongée, se pose la question de savoir où les limites juridiques de ces «administrateurs d’urgence internationaux» se trouvent. Quel est le cadre de leurs compétences lors de l’exercice du pouvoir législatif et exécutif? Ce pouvoir international de souveraineté est-il soumis à un contrôle judiciaire? En cas de réponse positive: par qui? Ou alors de telles instances administratives doivent-elles se faire reprocher d’exercer un pouvoir illimité? A l’aide de l’exemple de la Bosnie et Herzégovine, l’auteur examine le cadre juridique d’une mission administrative de la communauté internationale dans un scénario post-conflictuel. Le point de départ est l’instauration de l’organisation administrative internationale pour la Bosnie et Herzégovine, dans l’accord de paix de Dayton en 1995. Au vu de cela, la question de la nature juridique des organes administratifs internationaux, surtout du Bureau du Haut Représentant de la communauté internationale, est discutée. Fondée sur cela, suit une analyse de la question de savoir dans quels cas, dans quelle mesure, à l’aide de quelles normes juridiques et par quelles instances un contrôle judiciaire des organes administratifs internationaux a eu lieu en Bosnie et Herzégovine. Puis sont etudiés les problèmes relevant de la procédure et de la doctrine juridique concernant le droit en vigueur, ainsi que les problèmes pratiques, qui ont été soulevés. Pour conclure, l’auteur entreprend d’évaluer la situation juridique en Bosnie et Herzégovine au vu des normes relevant du droit international public et relatives au sujet. De même sont esquissées de possibles solutions à de futurs scénarios.