Funktionelle Beschichtungen 9783748602101

Beschichtungen werden auf Oberflächen hauptsächlich zu dekorativen, funktionellen oder Schutzzwecken angewandt, doch in

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Funktionelle Beschichtungen
 9783748602101

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Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld

Funktionelle Beschichtungen

Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld: Funktionelle Beschichtungen © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany

Umschlag: IFAM-Fraunhofer

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld Funktionelle Beschichtungen Hannover: Vincentz Network, 2013 Farbe und Lack Edition ISBN 978-3-7486-0210-1 © 2013 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover Vincentz Network, Plathnerstraße 4c, 30175 Hannover, Germany Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de Satz: Vincentz Network, Hannover

ISBN 978-3-7486-0210-1

Farbe und L ack Edition

Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld

Funktionelle Beschichtungen

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Auf ein Wort In unserem täglichen Leben hat nahezu jeder Gegenstand eine Oberfläche, die während des Herstellungsprozesses behandelt wurde. Wir nehmen diese Oberfläche als erstes wahr, wenn wir den Gegenstand ansehen und berühren; sie bestimmt die dekorativen und haptischen Eigenschaften. Darüber hinaus ist die Oberflächenbehandlung verantwortlich für den Schutz der Oberfläche und somit entscheidend für die Lebensdauer des Produktes. Neue Entwicklungen aus der Forschung haben nun weitere Möglichkeiten für die Integration von Funktionalitäten eröffnet, die über diese herkömmlichen Eigenschaften hinausgehen. Eine der wohl bekanntesten zusätzlichen Oberflächenfunktion ist die der schmutzabweisenden Lotusblätter, die in Gegenwart von Wasser außerordentliche Reinigungseigenschaften zeigen. Weitere ebenso interessante Funktionen bieten beispielsweise strömungsgünstige Oberflächen sowie Antifouling-Beschichtungen. Der Forschungsaufwand, der für die Realisierung dieser Oberflächenfunktionen in Beschichtungskonzepten betrieben wird, ist immens. Interdisziplinäre Arbeitsgruppen in Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen arbeiten daran, die möglichen Potenziale dieser Beschichtungen auszuschöpfen. Den Ergebnissen dieser Arbeit, einer überwältigenden Anzahl an neuen Entwicklungen, wollen wir uns in diesem Buch nähern. Natürlich mussten wir eine Auswahl aus der nahezu unüberschaubaren Vielzahl von Neuentwicklungen und Publikationen vornehmen. Wir haben uns dabei auf Themen fokussiert, die insbesondere für Lackanwender, Lackentwickler sowie Lackhersteller von Bedeutung sind und den Schwerpunkt auf organisch-basierte Beschichtungen sowie organisch-anorganische Hybrid-Systeme gelegt. Beschichtungsverfahren wie z.B. PVD/ CVD-Techniken, galvanische Methoden und andere, nicht Lack-verwandte Themen, haben wir nur am Rande berücksichtigt. Dieses Buch möchte allen Interessierten der Farb- und Lackbranche einen Überblick über die vielversprechendsten Entwicklungen vermitteln. Die Leser sollen einen Eindruck hinsichtlich der zu erwartenden Potenziale erhalten. Dazu wird der gegenwärtige Entwicklungsstand dargestellt und ein Ausblick hinsichtlich der zu erzielenden Ergebnisse gegeben. Bremen, im Dezember 2012 Volkmar Stenzel und Nadine Rehfeld [email protected] [email protected]

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Inhalt

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Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung.............................................................................................13

1.1 Motivation................................................................................................................... 13 2

Toolbox.................................................................................................17

2.1 Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie..................... 17 2.1.1 Beispiele aus der Natur............................................................................................ 17 2.1.2.1 Ideale Oberflächen.................................................................................................... 18 2.1.2.2 Nichtideale Oberflächen.......................................................................................... 20 2.1.3 Herstellen von stochastischen Oberflächentopographien................................ 22 2.1.4 Herstellung von determinierten (regelmäßigen) Oberflächenstrukturen... 24 2.1.5 Literatur...................................................................................................................... 28 2.2 Mikrokapseln............................................................................................................. 29 2.2.1 Allgemeines............................................................................................................... 29 2.2.2 Techniken für die Mikroverkapselung................................................................ 29 2.2.2.1 Polykondensation, Polyaddition oder radikalische Polymerisation an der Phasengrenze................................................................................................ 30 2.2.2.2 Koazervation.............................................................................................................. 33 2.2.2.3 Miniemulsions-Polymerisation.............................................................................. 34 2.2.2.4 Sprühtrocknung........................................................................................................ 35 2.2.3 Freisetzung von Wirkstoffen.................................................................................. 35 2.2.4 Perspektiven für die Nutzung von Mikrokapseln in funktionellen Beschichtungen............................................................................... 37 2.2.5 Literatur...................................................................................................................... 40 Funktionelle Nanopartikel/Nanofüllstoffe......................................................... 41 2.3 Nanotechnologie – Was bedeutet „nano“ wirklich?.......................................... 41 2.3.1 2.3.2 Nanopartikel und Nanokomposite – Beispiele................................................... 41 Faserartige Nanopartikel wie Carbon-Nanotubes ........................................... 41 2.3.2.1 2.3.2.2 Plättchenförmige Nanopartikel wie Nano-Tonerden oder „Layered Double Hydroxides“ (LDH).................................................................... 49 2.3.2.3 Sphärische Nanopartikel wie Nano-Siliciumdioxid (Nanosilika) und andere Nano-Oxide........................................................................................... 55 2.3.2.4 Poröse Nanopartikel als Träger von Wirkstoffen............................................... 56 2.3.3 Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltaspekte................................................ 59 2.3.4 Literatur...................................................................................................................... 60

Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld: Funktionelle Beschichtungen © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Inhalt

2.4 Sol-Gel-Technologie.................................................................................................. 63 2.4.1 Grundlagen des Sol-Gel-Verfahrens..................................................................... 63 2.4.2 Herstellung funktioneller Beschichtungen......................................................... 64 2.4.3 Literatur...................................................................................................................... 65 2.5 Polymerbürsten......................................................................................................... 66 2.5.1 Allgemeines............................................................................................................... 66 2.5.2 Der „Grafting-to“-Prozess....................................................................................... 68 2.5.3 „Grafting-from“-Prozess.......................................................................................... 70 2.5.4 Der Weg zur praktischen Anwendung von Polymerbürsten.......................... 71 2.5.4.1 Reversibles Schalten zwischen super-hydrophilen und super-hydrophoben Eigenschaften....................................................................... 71 2.5.4.2 Oberflächen mit kontrolliertem Verhalten gegenüber biologischen Systemen..................................................................................................................... 72 2.5.4.3 Reversibles Schalten zwischen super-hydrophilen und oleophoben Eigenschaften............................................................................................................ 74 2.5.4.4 Ausblick für die industrielle Anwendung von Polymerbürsten..................... 76 2.5.5 Literatur...................................................................................................................... 77 2.6 Biologisch-funktionalisierte Beschichtungen.................................................... 78 2.6.1 Gewinnung funktionaler Moleküle bzw. synthetischer Analogon................ 78 2.6.2 Chemische Oberflächenanbindung funktionaler Moleküle................................ 79 2.6.2.1 Bereitstellung reaktiver funktioneller Gruppen: Oberflächenaktivierung und Linker-Moleküle................................................................................................ 80 2.6.2.2 Anbindung von bioaktiven Molekülen (Immobilisierung).............................. 82 2.6.2.3 Adhäsionsvermittler nach dem Vorbild der Natur............................................ 83 2.6.2.4 Anwendungsbeispiele.............................................................................................. 84 2.6.3 Partikelanbindung funktioneller Moleküle........................................................ 85 2.6.4 Literatur...................................................................................................................... 87 3

Funktionelle Beschichtungen in der Praxis.......................................89

3.1 Selbstreinigende-/schmutzabweisende Oberflächen..........................................................89 3.1.1 Hydrophobe Oberflächen, super-hydrophobe Oberflächen, Lotus-Effekt................................................................................................................ 89 3.1.2 Photokatalytische Oberflächen.............................................................................. 93 3.1.2.1 Photokatalytischer Effekt........................................................................................ 93 3.1.2.2 Herstellung von photokatalytischen Beschichtungen...................................... 98 3.2 Anti-Eis-Beschichtungen........................................................................................ 104 3.2.1 Eigenschaften des Eises.......................................................................................... 104 3.2.1.1 Physikalische Eigenschaften des Eises................................................................ 106 3.2.1.2 Physikochemische Eigenschaften des Eises....................................................... 107 3.2.2 Anti-Eis- und Enteisungs-Technologien............................................................... 108 3.2.2.1 Aktive Anti-Eis-Beschichtungen........................................................................... 109 3.2.2.2 Passive Anti-Eis-Beschichtungen......................................................................... 111 3.2.3 Anti-Eis-Tests............................................................................................................. 117 3.2.4 Literatur...................................................................................................................... 121 3.3 Selbstheilende Beschichtungen............................................................................. 123 3.3.1 Ausheilung von Kratzern........................................................................................ 123 3.3.2 Strukturelle Selbstheilung..................................................................................... 124 3.3.2.1 Einbau von Mikrokapseln gefüllt mit vernetzbaren Heilungsreagenzien 125

Inhalt

11

3.3.2.2 Selbstheilende Korrosionsschutzbeschichtungen mit aktiven Wirkstoffen... 128 3.3.2.3 Selbstheilende Polymerwerkstoffe durch Einbettung von gefüllten Hohlfasern......................................................................................... 130 3.3.2.4 Selbstreparierende Schichten durch Polymere mit intrinsischer Selbstheilungsfunktion........................................................................................... 130 3.3.3 Industrielle Anwendung und Ausblick................................................................ 134 3.3.4 Literatur...................................................................................................................... 135 3.4 Strömungswiderstand-reduzierende Oberflächen............................................ 136 3.4.1 Laminare und turbulente Strömung.................................................................... 136 3.4.2 Riblet-Oberflächen – künstliche Haifischhautstrukturen ............................. 137 3.4.3 Hydrophobe und super-hydrophobe Oberflächen.............................................. 141 3.4.4 Luft-speichernde Oberflächen................................................................................ 144 3.4.5 Nachgebende („Compliant“) Beschichtung ........................................................ 147 3.4.6 Literatur...................................................................................................................... 148 3.5 Antifouling-Beschichtungen.................................................................................. 149 3.5.1 Allgemeines............................................................................................................... 149 3.5.2 Konzepte für Antifouling-Beschichtungen......................................................... 151 3.5.3 Biozid-basierte Beschichtungen............................................................................ 153 3.5.3.1 Biozide und deren Wirkweise................................................................................ 154 3.5.3.2 Alternative Ansätze.................................................................................................. 157 3.5.4 Biozid-freie Beschichtungen................................................................................... 161 3.5.4.1 Freie Oberflächenenergie........................................................................................ 163 3.5.4.2 Elastizitätsmodul...................................................................................................... 165 3.5.4.3 Oberflächenrauigkeit und Topographie............................................................... 165 3.5.4.4 Weitere Ansätze........................................................................................................ 166 3.5.5 Fazit.............................................................................................................................. 168 3.5.6 Literatur...................................................................................................................... 169 3.6 Biomimetische Oberflächen.................................................................................... 171 3.6.1 Allgemeines............................................................................................................... 171 3.6.2 Struktur-inspirierte Funktionalitäten................................................................. 172 3.6.2.1 Antifouling-Oberflächen......................................................................................... 172 3.6.2.2 Weitere Anwendungsgebiete.................................................................................. 174 3.6.3 (Bio-)chemisch-inspirierte Funktionalitäten...................................................... 175 3.6.3.1 Antifouling-Oberflächen......................................................................................... 176 3.6.3.2 Biomimetische Anti-Eis-Oberflächen................................................................... 182 3.6.3.3 Beschichtungen mit „lebenden Organismen“ ................................................... 184 3.6.3.4 Weitere Anwendungsgebiete ................................................................................. 185 3.6.4 Fazit.............................................................................................................................. 187 3.6.5 Literatur...................................................................................................................... 188 4

Ausblick................................................................................................191 Abkürzungen.......................................................................................194 Autoren................................................................................................. 196 Danksagung.........................................................................................197 Index..................................................................................................... 199

12

Motivation

13

1 Einleitung Der Begriff „Funktionelle Beschichtung“ gehört ähnlich wie „Smart Coatings“, „Nano-...“ oder „Bio-...“ zu den Trendwörtern in der Lackbranche, die in den letzten Jahren häufig verwendet wurden. Dementsprechend sind eine Vielzahl von Publikationen hierzu erschienen. Aber welche Bedeutung hat eigentlich der Begriff „Funktionelle Beschichtung“? Es gibt keine allgemein gültige Definition hierfür. Eine Beschichtung an sich ist nach DIN EN ISO 4618:2006 eine „...durchgehende Schicht, die durch ein- oder mehrmaliges Auftragen von Beschichtungsstoff auf ein Substrat entsteht“. Des Weiteren ist ein Beschichtungsstoff definiert als ein „…flüssiges oder pastenförmiges oder pulverförmiges Produkt, das, auf ein Substrat aufgetragen, eine Beschichtung mit schützenden, dekorativen und/ oder anderen spezifischen Eigenschaften ergibt“. Funktionelle Beschichtungen besitzen nun spezifische Eigenschaften und geben der Oberfläche damit eine zusätzliche, neuartige Funktion. Diese Begriffserklärung spiegelt auch den Inhalt dieses Buches wider. Den Schwerpunkt dieses Buches haben wir auf organische Beschichtungen (sowie organisch–anorganische Hybrid-Beschichtungen) gelegt, da diese die wesentlichen Produkte für Lackanwender, Lackentwickler und Lackhersteller entwickelt werden. Dem Leser soll ein Eindruck davon vermittelt werden, welche Oberflächenfunktionen derzeit in der Entwicklung sind und welche Potenziale daraus in naher Zukunft zu erwarten sind. Der derzeitige Stand der Entwicklungsarbeit wird dazu vorgestellt und ein Ausblick über die zu erwartenden Ergebnisse gegeben.

1.1 Motivation Oberflächen- und Beschichtungstechniken sind Querschnittstechnologien, die für alle produzierenden Branchen relevant sind. Die zu erzielende Wertschöpfung wird dabei mit ca. 3 bis 7 % beziffert. Gewöhnlich liegt der Schwerpunkt auf Funktionen wie dem Korrosionsschutz, der Dekoration, Design und Oberflächenschutz. Neue Oberflächenfunktionen können nun einen zusätzlichen Wert der industriellen Ware kreieren; doch welche Funktionalitäten sind die wichtigsten und interessantesten? Um diese Fragen zu beantworten, hat die Deutsche Gesellschaft für Oberflächenbehandlung e.V. eine Untersuchung durchgeführt. Hierbei wurde der Bedarf nach Entwicklungen auf dem Gebiet der Oberflächentechnologien in der deutschen Industrie ermittelt („Forschungsagenda Oberfläche“, DFO Service GmbH, Neuss, 2007). Mehr als 300 technische Experten aus ca. 100 Unternehmen, 30 Instituten, sowie Hochschulen und Industrieverbänden wurden befragt. Die Ergebnisse stellten so ein repräsentatives Bild hinsichtlich des Entwicklungsbedarfes dar, der nach Einschätzung der Autoren nicht nur für Deutschland, sondern auch für die meisten Ökonomien der westlichen Industriestaaten Gültigkeit hat. Aus den mehr als 100 technischen Themen und Ideen wurden drei Leitthemen definiert: • wissensbasierte Qualitätsverbesserung • effiziente Prozesse • multifunktionelle Oberflächen Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld: Funktionelle Beschichtungen © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany 3

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Einleitung

Aus diesen Leitthemen wurden wiederum neun sogenannte „Leuchtturm-Themen” erarbeitet, die die Themen mit den höchsten zu erwartenden Auswirkungen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der güterproduzierenden Industrie repräsentieren. Für die Definition der „Leuchtturm-Themen“ wurden insbesondere die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit berücksichtigt. Die „Leuchtturm-Themen“ sind: • aktive Schichten (z.B. Photovoltaik-Technologie, katalytische Oberflächen etc.) • s chaltbare Oberflächen (z.B. hydrophob/hydrophil, Farbwechsel, elektrisch leitend/ nicht-leitend) • s chmutzabweisende Oberflächen (Lotus-Effekt, photokatalytische Selbstreinigung, nicht-toxisches, marines Antifouling) • S  elbstheilung (Langzeit-Oberflächenschutz z.B. für Windturbinen, schwerer Korrosionsschutz) • präzise Fertigung durch modellbasierte Steuerung und Regelung • digitale Fabrik • hybride Materialien mit komplexer Morphologie (z.B. Anti-Reflex Glasbeschichtungen) • schnelle Degradations- und Korrosionsprüfungen • Markenschutz Die fettgedruckten Begriffe stehen für Themen, die mit der Entwicklung funktioneller Oberflächen verknüpft sind. Weitere wichtige Ergebnisse dieser Studie waren: • D  ie Wertschöpfung der Oberflächentechnik und Beschichtungsindustrie beträgt in Deutschland ca. 20 Mrd. €/a • Ein höherer Wertschöpfungsbeitrag der Oberflächenbehandlung durch neue Funktionen kann die Wettbewerbsfähigkeit erheblich steigern. Annahmen gehen davon aus, dass eine Steigerung von 5 % der Wertschöpfung durch innovative Oberflächentechnik einen 20 % Kostenvorteil bei ausländischen, billigeren Produktionsstandorten kompensieren kann. Beide Punkte sind Motivation genug, um sich auf dem Gebiet der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von funktionellen Oberflächen zu engagieren.

1.2 Inhalt und Ziel dieses Buches Dieses Buch beinhaltet die neuesten Entwicklungen im Bereich der funktionellen Beschichtungen mit dem Fokus auf organisch-basierte Materialien. Dazu werden im ersten Teil Methoden aus der sogenannten „Toolbox“ beschrieben, die den Entwicklern derzeitig zur Verfügung stehen. Diese umfassen eine Vielzahl von Techniken: von der Herstellung spezifischer Topographien im Mikro- sowie im Nano-Bereich über die Verwendung von Mikrokapseln und (Nano-)Partikeln bis hin zur gerichteten Oberflächenimmobilisierung von Molekülen. Die damit zu erzielenden Funktionalitäten sind dann Schwerpunkt des zweiten Teils dieses Buches. Diese können Struktur-basiert (wie strömungsgünstige Oberflächen), chemisch-basiert (z.B. selbstheilende Beschichtungen), oder auch als eine Kombination aus beiden realisiert werden (z.B. Antifouling oder Anti-Eis). Wichtig ist zu betonen, dass die hier beschriebenen Beispiele größtenteils nicht die technische Reife besitzen, um sich bereits in breiter Anwendung zu befinden. Die in den Kapiteln beschriebenen Funktionalitäten sind vielmehr auf ganz unterschiedlichen Entwicklungsniveaus: von ersten vielversprechenden Laborversuchen (z.B. die Oberflächenanbindung von Anti-Freeze-Proteinen) über die Erstellung von Fertigungskonzepten (z.B. zur Lackstruk-

Inhalt und Ziel dieses Buches

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turierung für strömungsgünstige Oberflächen) bis hin zu bereits im Einsatz befindlichen Beschichtungen (z.B. photokatalytische Selbstreinigung). Die folgenden Kapitel sollen einen Einblick vermitteln, auf welchem Entwicklungsstand die jeweiligen Technologien im Bereich organisch-basierter Beschichtungen sind und welche Potenziale aus diesen Entwicklungen zukünftig zu erwarten sind.

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Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie

17

2 Toolbox 2.1 Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie Die Topographie einer Oberfläche ist für deren Eigenschaften in verschiedener Hinsicht von großer Bedeutung. Neben offensichtlichen Eigenschaften wie Glanz-, bzw. Mattigkeit, werden auch Eigenschaften wie z.B. Benetzbarkeit, Strömungswiderstand, Haftung und Lichtreflexion von der Oberflächentopographie entscheidend beeinflusst. Diese Phänomene kann man sich zunutze machen, um funktionelle Lackoberflächen zu erzeugen. Die Natur nutzt dieses schon seit Jahrmillionen, wie die Beispiele in dem folgenden Kapitel zeigen.

2.1.1

Beispiele aus der Natur

Die Natur zeigt eine Fülle verschiedener Oberflächentopographien bei Pflanzen und Tieren, die dazu führen, dass Oberflächen bestimmte Funktionen erhalten (siehe auch Kapitel 3.6). Die Tatsache, dass durch Mikro- und Nanostrukturen an natürlichen Oberflächen verschiedenste Funktionen erzeugt werden können, zeigt auch technische Oberflächen mit Hilfe von Strukturierung mit ähnlichen Funktionen ausgestattet werden können. Beispiele für natürliche funktionelle Oberflächen auf Basis von Mikro- und Nanostrukturen sind das Lotusblatt und die Haut von Haien. Lotusblatt Der selbstreinigende Effekt des Lotusblatts [1] ist sicherlich das bekannteste Beispiel für eine natürliche, funktionelle Oberfläche. Der gleiche Effekt tritt auch bei anderen Pflanzen auf, wie z.B. dem Frauenmantel oder auch dem Kohlrabi (allerdings würde das Wort „Kohlrabieffekt“ weit weniger attraktiv klingen als „Lotus-Effekt“). Die Wirkweise beruht auf einer Kombination von chemischer Hydrophobierung durch ausgeschiedene Wachse mit einer Mikro- und Nanostruktur (Abbildung 2.1, Wirkweise siehe Kapitel 3.1.1). Haut von schnell schwimmenden Haien Bereits vor Jahrzehnten wurde beobachtet, dass die Schuppen von schnell schwimmenden Haiarten parallele Rillen in Richtung der Umströmung des Körpers aufweisen, Abbildung 2.2. Mittlerweile ist

Volkmar Stenzel, Nadine Rehfeld: Funktionelle Beschichtungen © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany

Abbildung 2.1: Oberfläche eines Lotusblatts (Computeranimation) Quelle: S. Sepeur [2]

18

Toolbox

Abbildung 2.2: Oberflächenstrukturen von schnell schwimmenden Haien [3]

Quelle: Wolfram Hage, DLR

bekannt, dass diese Mikrostruktur den Wasserwiderstand um einige Prozentpunkte senken kann und so dem Hai hilft, Energie für die Fortbewegung zu sparen (siehe Kapitel 3.4).

2.1.2 Einfluss der Oberflächentopographie auf die Benetzbarkeit

Die Benetzbarkeit einer Oberfläche ist für viele mögliche Oberflächenfunktionen von hoher Bedeutung. So hängen z.B. Schmutzaufnahme, Easy-to-Clean-Eigenschaften, Eisbildung und -haftung, Überlackierfähigkeit und Strömungswiderstand (im Wasser) in entscheidender Weise von der Benetzbarkeit ab. Die Oberflächentopographie im Mikro- und Nanomaßstab hat wiederum einen großen Einfluss auf die Benetzbarkeit. Deshalb lohnt es sich, an dieser Stelle etwas tiefer gehend auf den Zusammenhang zwischen Topographie und Benetzbarkeit einzugehen. 2.1.2.1

Ideale Oberflächen

Die Benetzbarkeit einer Flüssigkeit auf einer glatten Oberfläche kann z.B. mit Hilfe der Kontaktwinkelmessung ermittelt werden. Zu diesem Zweck wird ein Tropfen der Flüssigkeit auf die Oberfläche gebracht und anschließend mit einem speziell dafür ausgerüsteten Mikroskop der Kontaktwinkel an der Phasengrenze Festkörper, Flüssigkeit, Luft (bzw. Dampf) gemessen (siehe Abbildung 2.3). Der Kontaktwinkel einer Flüssigkeit, der sich auf einer Oberfläche einstellt, hängt ab vom Verhältnis der Oberflächenenergien (= Oberflächenspannungen) der beteiligten Phasen an der Tropfengrenze (fest, flüssig, gasförmig). Der Zusammenhang ist für eine ideal glatte und homogene Oberfläche in der Young-Gleichung[4] beschrieben: Gleichung 2.1 cos θ =

Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie

19

Abbildung 2.3: Definition des Kontaktwinkels θ

Abbildung 2.4: Unterschiedliche (Wasser-)Benetzbarkeit von Oberflächen

Hierbei sind gs die freie Oberflächenenergie des Festkörpers, gl die Oberflächenspannungder Flüssigkeit und gsl die Grenzflächenenergie zwischen Festkörper und Flüssigkeit. Ist der Kontaktwinkel θ sehr klein (140° als superhydrophob, also extrem wasserabweisend (Abbildung 2.4). Bei derartigen Oberflächen ist also die Oberflächenenergie des Festkörpers sehr viel kleiner als die Oberflächenspannung des Wassers. Das Wasser benetzt die Oberfläche fast nicht mehr. Oft wird bei Wasser-Benetzungswinkeln ab 160° auch vom „Lotus“-Effekt gesprochen. Derartige Oberflächen bezeichnet man häufig auch als „Easy-to-Clean“-Oberflächen, da sie ein sehr gutes Ablaufverhalten gegenüber Wasser zeigen und oft eine verringerte Schmutzaufnahme aufweisen. Details und Beispiele zu dieser Art von Oberflächen finden sich im Buch „Nanotechnologie“ von Stefan Sepeur, welches ebenfalls in dieser Reihe erschienen ist [2].

20

Toolbox

2.1.2.2 Nichtideale Oberflächen

Abbildung 2.5: Fortschreitender (θadv) und rückschreitender (θrec) Kontaktwinkel, Kontaktwinkelhysterese

Abbildung 2.6: Tropfen auf einer geneigten Oberfläche, links: kleine Kontaktwinkelhysterese, rechts: hohe Kontaktwinkelhysterese

Die oben beschriebenen einfachen Zusammenhänge sind in dieser Form nur gültig für ideale, also ideal glatte und chemisch homogene, Oberflächen gültig. Unter realen Bedingungen entsprechen die Oberflächen in der Regel nicht diesen Anforderungen. Dieses wird deutlich, wenn man den Kontaktwinkel nicht statisch, sondern dynamisch misst. Zu diesem Zweck wird der Kontaktwinkel bei fortschreitendem Tropfendurchmesser (also Zugabe von Flüssigkeit) und bei sinkendem Tropfendurchmesser (Absaugen von Flüssigkeit) gemessen (siehe Abbildung 2.5).

Der Kontaktwinkel bei fortschreitendem Tropfen (mit zunehmendem Volumen) ist in der Regel höher als rückschreitendem Tropfen (abnehmendes Volumen). Dieser Unterschied wird Kontaktwinkelhysterese genannt und beträgt üblicherweise zwischen 5 und 20°, kann aber auch deutlich höher sein[5]. Die Kontaktwinkelhysterese kommt besonders beim Ablaufen von Tropfen auf einer schrägen Oberfläche zum Ausdruck, wo an der einen Seite ein fortschreitender und an der anderen Seite ein rückschreitender Winkel auftritt (Abbildung 2.6) Gründe für die Unterschiede im Kontaktwinkel bei fortschreitendem und rückschreitendem Kontaktwinkel sind unter anderem[6]:

• D  ie topographische Oberflächenrauigkeit. Wenn der Tropfen eine Erhebung trifft springt er in eine Position in der derselbe Kontaktwinkel wie vorher erreicht wird. An dieser Stelle wird der Tropfen an der Ausbreitung gehindert bis er groß genug ist, die Erhebung zu überwinden. Bei der Verkleinerung des Tropfens sorgt dafür der gleiche Effekt. Das Resultat ist die beschriebene Hysterese. • Die chemische Inhomogenität der Oberfläche: Wenn sich der Tropfen auf einer solchen Oberfläche ausbreitet, wird die Dreiphasengrenzlinie durch relativ flüssigkeitsabweisende (lyophobe) Regionen festgehalten („pinning“), bei rückschreitendem Tropfen wird die Grenzlinie durch eher flüssigkeitsaffine (lyophile) Regionen festgehalten. Das Resultat ist wiederum die Hysterese. • Auf weichen Oberflächen (wie z.B. Polymeren) können die Kräfte, die an der Dreiphasenlinie auftreten, so groß sein, dass sich die Oberfläche verformt, was auch zur Kontaktwinkelhysterese führen kann. In der Realität treten diese Effekte oftmals in Kombination auf, was zu einer erheblichen Verstärkung des Effekts führen kann. Einen besonders großen Einfluss auf die Kontaktwinkelhysterese hat die Rauigkeit, weshalb diese im Folgenden ausführlich betrachtet wird.

Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie

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Abbildung 2.7: Schematische Darstellung der beiden unterschiedlichen Fälle der Benetzung auf rauen Oberflächen: Das Wenzel-Regime (a) und das Cassie-Baxter-Regime (b)  Quelle: Ulrike Mock [6]

Für die Benetzung von rauen Oberflächen wurden in der Vergangenheit zwei wesentliche empirische Gesetze zur Beschreibung des Benetzungsverhaltens auf rauen Oberflächen entwickelt, die gleichzeitig auch die beiden Fälle repräsentieren, die in der Natur auftreten [7] (siehe Abbildung 2.7). Wenzel-Regime Wenzel führte einen mittleren Kontaktwinkel auf einer rauen, chemisch homogenen Oberfläche ein [8]. Er definierte den Kontaktwinkel auf rauen Oberflächen θ* als Funktion des Young-Kontaktwinkels θ (siehe oben): Gleichung 2.2

cosθ * = r ' cosθ = r '

Von Wenzel eingeführt wurde der Rauhigkeitskoeffizient r’, der das Verhältnis zwischen der tatsächlichen Oberfläche und der geometrisch projizierten Oberfläche angibt. Der Rauigkeitskoeffizient r’ ist immer größer als 1, daher wird bei diesem Benetzungsregime durch die Rauigkeit bei Wasser als benetzender Flüssigkeit sowohl die Hydrophilie, als auch die Hydrophobie verstärkt. Der andere Fall ist das Cassie-Baxter-Regime (siehe Abbildung 2.7), welches für glatte, chemisch inhomogene Oberflächen beschrieben worden ist[9], aber ebenso für raue Oberflächen gilt, bei denen in den Vertiefungen Luft unterhalb der benetzenden Flüssigkeit eingeschlossen ist. Für diese Art der Oberfläche (gebildet aus Festkörper und Luft) ergibt sich der Kontaktwinkel θ* als Mittelwert der Kontaktwinkel des Tropfens auf Luft (der zu 180° angenommen wird) und auf dem (ideal glatten) Festkörper (θ). Wenn eine Fläche den benetzten Anteil φs aufweist (das ist der Anteil der Fläche, bei dem die Flüssigkeit im direkten Kontakt mit dem Festkörper steht) gilt folgende Gleichung: Gleichung 2.3

cos θ * = Φ s cos θ + (1 − Φ s ) cos180° = Φ s (cosθ + 1) − 1

Die beiden Benetzungsregime zeigen stark unterschiedliches Verhalten, insbesondere in Bezug auf die Kontaktwinkelhysterese. Wenn ein Wenzel-Regime vorliegt, werden die Tropfen eine vergleichsweise große Kontaktwinkelhysterese und einen größeren Ablaufwinkel (der Winkel gegenüber der Horizontale, ab dem der Tropfen abläuft) aufweisen. Im Gegensatz dazu werden bei Vorliegen eines Cassie-Baxter-Regimes die Hysterese und auch der Ablaufwinkel klein sein. Welches der beiden Regime vorliegt, hängt im Wesentlichen von der Oberflächenchemie und der Rauigkeit ab. Ein typisches Verhalten für eine gegebene Oberfläche mit niedriger

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Oberflächenenergie sieht so aus: Zunächst verhält sich die Benetzung mit Wasser entsprechend dem Wenzel-Regime. Mit steigender Rauigkeit (bzw. Rauigkeitsfaktor) nehmen der Kontaktwinkel und die Hysterese zu. Wird ein bestimmter Rauigkeitswert überschritten, so steigt der Kontaktwinkel weiter an, die Hysterese jedoch nimmt deutlich ab. Bei der Rauigkeit, ab der die Hysterese sinkt, geht das System vom Wenzel-Regime in das Cassie-Baxter-Regime über, d.h. der Anteil an Luft in der Grenzfläche nimmt deutlich zu. Im Bereich moderater Hydrophobie (Young-Kontaktwinkel bis 120°) ist das Cassie-Baxter-Regime metastabil. Ein äußerer Druck (im einfachsten Fall eine Berührung des Wassertropfens) kann dazu führen, dass das System irreversibel in das Wenzel-Regime übergeht. Das bedeutet, dass die Flüssigkeit nun der Oberflächenkontur folgt und keine Luft mehr zwischen Wasser und Oberfläche vorliegt. Die Kontaktwinkel beider Regime sind in diesem Bereich vergleichbar, jedoch ist die Hysterese beim Wenzel-Regime zehnbis zwanzigmal höher. Im Bereich des Wenzel-Regimes haften die Tropfen daher wesentlich stärker am Untergrund. Aufgrund dieses Verhaltens ist es für die Charakterisierung des Benetzungsverhaltens einer Oberfläche oft sinnvoller, den Ablaufwinkel zu messen als den Kontaktwinkel. Insbesondere bei Oberflächen, deren Funktion auf dem Benetzungsverhalten beruht (z.B. Easy-to-Clean-Schichten oder spezielle Anti-Eis-Schichten), ist es unabdingbar, sowohl Kontakt- als auch Ablaufwinkel zu betrachten, um die Oberflächeneigenschaften zu charakterisieren. Die Eigenschaft der Verstärkung von Hydrophobie und Hydrophilie einer gegebenen Oberflächenchemie durch eine speziell eingestellte Mikro-, bzw. Nanostruktur ist unabdingbar, um bestimmte funktionelle Oberflächen herzustellen. Der höchste Wasserkontaktwinkel eines glatten Materials liegt bei 120°[10]. Hierbei handelt es sich um eine hexagonal dichte Packung von CF3-Gruppen. Will man höhere Kontaktwinkel erreichen, muss eine solche Oberfläche mit einer entsprechenden Topographie kombiniert werden. Nach diesem Prinzip (Kombination von hydrophober Oberflächenchemie mit geeigneter Mikro-, bzw. Nanotopographie – „Lotus“-Prinzip) werden superhydrophobe Oberflächen mit Kontaktwinkeln >150° hergestellt. Hier werden häufig Strukturen genutzt, bei denen Mikrostrukturen noch zusätzlich mit Strukturen im Nanometermaßstab kombiniert werden, so wie das auch beim natürlichen Lotusblatt der Fall ist. Die Eigenschaft, dass eine geeignete Topographie sowohl hydrophile Oberflächen hydrophiler als auch hydrophobe Oberflächen hydrophober machen kann, wird auch für schaltbare Oberflächen genutzt. So konnte beispielsweise die Schaltamplitude des Wasserkontaktwinkels einer Polymerbürsten-modifizierten Oberfläche (siehe Kapitel 2.5) von 20° auf einer glatten Oberfläche auf 150° erhöht werden, indem die Oberfläche in geeigneter Weise mikro- und nanostrukturiert wurde[11]. Mikro- oder Nanostrukturen können entweder stochastisch (also zufällig und ohne erkennbares gleichmäßiges Muster) oder determiniert sein. Determiniert bedeutet hier, dass die Oberfläche ein ganz spezielles, gleichförmiges Muster bekommt, welches für die spezifische Oberflächenfunktion verantwortlich ist.

2.1.3

Herstellen von stochastischen Oberflächentopographien

Die Herstellung von Oberflächen mit rauen Topographien kann z.B. mit einer klassischen Technik wie bei Mattlacken erfolgen. Im einfachsten Fall wird der Lack mit festen, partiku-

Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie

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Abbildung 2.8 links: Nasser Lackfilm, frisch aufgetragen, rechts: Lackfilm nach Trocknung

lären Mattierungsmitteln ausgerüstet, die nach dem Trocknungsvorgang als „MikroPickel“ aus dem Lackfilm herausstehen. Abbildung 2.8 zeigt das Prinzip: Während der Trocknung des Nasslackfilms erfolgt eine Volumenreduzierung aufgrund des Lösemittelverlustes und dem Härtungsschrumpf des Bindemittels. Die Größe der Partikel bestimmt die Dimension der Oberflächentopographie. Je nach Partikelgröße können so Oberflächenstrukturen im Mikro- oder Nanomaßstab hergestellt werden. Abbildung 2.9 zeigt eine auf diese Weise hergestellte Oberfläche.

Abbildung 2.9: Stochastische Oberflächentopographie, Hergestellt durch Mikropartikel (Mattierer) Quelle: Fraunhofer IFAM

Nach dem gleichen Prinzip ist es auch möglich, hierarchische Oberflächentopographien mit kombinierter Mikro- und Nanostruktur zu erzeugen. Zu diesem Zweck werden im Lackfilm die entsprechenden Partikelgrößen kombiniert (Abbildung 2.10). Durch die geeignete Auswahl der Partikel, der Lackmatrix und der Pigment-Volumenkonzentration können auf diese Weise Lackoberflächen mit einem Wasser-Benetzungswinkel von >140° erhalten werden. Sogenannte Lotus-Effektlacke oder -farben basieren auf diesem Prinzip. Die Einstellung einer bestimmten Topographie mit Hilfe von Mikro- oder Nanofüllstoffen gelingt in der Regel bei Lacksystemen, die während der Trocknung einen signifikanten Volumenschrumpf aufweisen. Für Lacke bei denen das nicht der Fall ist, stehen weitere Methoden zur Verfügung.

Abbildung 2.10: links: Nasser Lackfilm, frisch aufgetragen, rechts: Lackfilm nach Trocknung

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Abbildung 2.11: Oberflächentopographie erzeugt mittels zweistufiger UV-TrocknungQuelle: Fraunhofer IFAM

UV-Lacke zeigen während der Härtung in der Regel keinen Volumenschrumpf durch Lösemittelverlust, sondern lediglich einen Härtungsschrumpf durch die Vernetzungsreaktion, der bis zu 10 % betragen kann. Um bei derartigen Lacken eine steuerbare Oberflächenstrukturierung zu erzielen, kann die Härtung zweistufig mit unterschiedlichen Wellenlängen vorgenommen werden. Die erste Härtungsstufe, durchgeführt bei kleinen Wellenlängen mit geringer Eindringtiefe, führt zur Vernetzung der obersten Mikrometer der Lackschicht. Durch den Härtungsschrumpf der obersten Schicht, die praktisch auf dem ungehärteten, flüssigen Lack schwimmt, bilden sich kleine Falten, die die gewünschte Oberflächentopographie darstellen. Die anschließende Härtung bei höherer Wellenlänge führt schließlich zur kompletten Durchhärtung der Lackschicht. Durch die Variation der Verfahrensparameter (Schichtdicke, Wellenlängen, Härtungszeiten) lässt sich die Topographie in weiten Grenzen einstellen. Abbildung 2.11 zeigt eine nach diesem Prinzip hergestellte Oberfläche. Dieses Verfahren wird besonders in der graphischen Industrie zur Erzeugung von matten Drucklacken eingesetzt.

2.1.4 Herstellung von determinierten (regelmäßigen) Oberflächenstrukturen Die vorher beschriebenen Methoden sind sehr gut geeignet, um stochastische, also zufällige Oberflächenstrukturen zu erzeugen. Zur Einstellung bestimmter Rauigkeiten, z.B. zur gezielten Beeinflussung der Benetzbarkeit, sind diese Methoden sehr gut geeignet. Wenn zur Einstellung von bestimmten Oberflächenfunktionen jedoch definierte, regelmäßige Strukturen benötigt werden, muss auf andere Mittel zurückgegriffen werden. Im einfachsten Fall kann man sich vorstellen, dass der Lackfilm während des Trocknungsvorgangs mit einem geeigneten Werkzeug geprägt wird. Dieses setzt voraus, dass der Lackfilm im Laufe der Trocknung ein Zeitfenster aufweist, in dem der Lack frei von Lösemitteln ist, jedoch noch nicht so ausgehärtet ist, so dass er nicht mehr geprägt werden kann. Gleichzeitig setzt es voraus, dass der Lack so weit ausgehärtet ist, dass er nach Entfernung des Werkzeugs die Struktur behält und nicht mehr klebrig ist und am Werkzeug festklebt. Ein solches, für den praktischen Einsatz nutzbares Zeitfenster ist bei den üblichen Lacken in aller Regel nicht vorhanden. Aus diesem Grund bietet sich an, die Härtung und Prägung der Oberfläche in einem Schritt vorzunehmen, so dass der Lack durch die Härtung seine

Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie

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Abbildung 2.12 links: Prinzip der gleichzeitigen Prägung und Härtung, rechts: Mikrostruktur in UV-härtendem Lack Quelle: Fraunhofer IFAM

Abbildung 2.13: Prinzip eines Rollenwerkzeugs zum Lackauftrag bei gleichzeitiger Härtung und Strukturierung [12]

Klebrigkeit verliert und nach Entfernung des Werkzeugs keinen Verlauf der Strukturen mehr zeigt. Dieses lässt sich insbesondere mit strahlenhärtenden Lacken bewerkstelligen, die lösemittelfrei (mit Ausnahme von Reaktivverdünnern) formuliert werden können. Das Werkzeug besteht hier sinnvollerweise aus einem Material, welches transparent für die Strahlung ist mit der gehärtet werden soll und welches eine möglichst geringe Haftung zum gehärteten Lackfilm aufweist. Das Prinzip ist in Abbildung 2.12 erläutert. Eine Stempelmethode wie sie vorab beschrieben ist, kann natürlich nur für kleine Flächen eingesetzt werden, die handwerklich oder maschinell „gestempelt“ werden können. Für größere Flächen, wie z.B. Fassadenelemente, Flugzeugteile oder Bootsrümpfe, muss ein kontinuierliches Verfahren eingesetzt werden. Abbildung 2.13 zeigt das Arbeitsprinzip eines kontinuierlichen Lackauftragungs- und Härtungsverfahrens, welches aktuell für den industriellen Einsatz entwickelt wird. Ein Lackfilm aus einem (mindestens teilweise) UV-härtendem Polymersystem wird mit der Breitschlitzdüse (4) auf einem umlaufenden, UV-transparenten Band (1), welches die gewünschte Struktur als Negativ trägt, aufgebracht. Wird das Gerät über eine zu beschichtende Oberfläche gerollt, so gerät der Lackfilm unter eine Andruckrolle (3) und wird auf

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die Oberfläche übertragen. Wenn der Lack dann ins Strahlungsfeld der UV-Lampe (2) kommt, wird der mindestens so weit vernetzt, dass der Lackfilm keinen Verlauf mehr zeigt und staubtrocken ist. Entscheidend ist, dass der Lack seine Klebrigkeit verliert und nicht an Folie klebt. Das Gerät hinterlässt also einen mikro- oder nanostrukturierten Lackfilm auf einer beliebigen Oberfläche. Das Beschichtungsgerät kann, z.B. mit einem Roboter, über die Oberfläche geführt werden (siehe Abbildung 2.14).

Abbildung 2.14: Applikation eines mikro- oder nanostrukturierten Lackfilms mit einem Roboter  Quelle: Fraunhofer IFAM

Ein Vorteil dieser Technik im Vergleich zur Applikation von Folien besteht darin, dass auch einfach oder mehrfach gekrümmte Flächen damit beschichtet werden können, da sowohl die Prägefolie, als auch die Andrückrollen, sehr flexibel eingestellt werden können (siehe Abbildung 2.15).

Mit Hilfe dieser Applikationstechnik können nahezu beliebige Nano- und Mikrotopographien auf großen Oberflächen repliziert werden. Bei richtiger Auswahl des Materials für das Prägewerkzeug können sogar Hinterschneidungen bis zu einem gewissen Grad reproduziert werden. Abbildung 2.16 zeigt zwei Beispiele für Lackoberflächen, die mit einem strahlenhärtenden Lacksystem nach dem oben dargestellten Prinzip hergestellt worden sind. Weitere Beispiele für nach dem oben dargestellten Verfahren hergestellte Lackoberflächen zeigt Abbildung 2.17. Die hier beschriebene Technik kann selbstverständlich nur zur Reproduktion von Mikround Nanostrukturen eingesetzt werden. Die Herstellung der jeweiligen Urformen muss mit anderen, teils sehr aufwändigen Verfahren vorgenommen werden. Zu diesem Zweck kann z.B. auf Mikrozerspanung[13], lithographische Verfahren[14] oder Lasertechnologien[15] zurückgegriffen werden.

Abbildung 2.15: Applikation eines strukturierten Lackfilms auf einer doppelt-gekrümmten Oberfläche   Quelle: Fraunhofer IFAM

Lackoberflächen mit definierter Mikro- und Nanotopographie

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Abbildung 2.16: Zwei Beispiele von Mikrostrukturen. Links: Originalstruktur, hergestellt vom Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung m.b.H. (BESSY), rechts: Reproduktion in der Lackoberfläche (Fraunhofer IFAM)

Abbildung 2.17 links: Hologramm in einem Klarlack (Urform: topac GmbH), rechts oben: Riblet-Struktur zur Widerstandsreduzierung (siehe Kapitel 3.4), rechts unten: anti-reflektive Nanostruktur (Urform: Holotools GmbH)

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2.1.5 Literatur [1] Barthlott, W.: Scanning electron microscopy of the epidermal surface in plants, Systematics Association‘s Special, 41, 1990, S. 69–94 [2] Sepeur, S., Nanotechnologie, Vincentz Network, Farbe und Lack Edition, 2008 [3] Hage, W., Zur Widerstandsverminderung von dreidimensionalen Riblet-Strukturen und anderen Oberflächen Dissertation Berlin 2004 [4] Young, T., Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 95, 1805, 65–87 [5] Butt, H.-J., Graf, K.; Kappl, M., Physics and Chemistry of Interfaces, Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim, 2003 [6] Mock, U., Dissertation „Über das Benetzungsverhalten polymermodifizierter Grenzflächen“, Freiburg, 2004 [7] McHale, G., Cassie and Wenzel: Were they really so wrong?, Langmuir, 23, 2007, 8200–8205 [8] Wenzel, R. N., Journal of Physical and Colloid Chemistry, 53, 1949, 1466–1467 [9] Cassie, A.B.D., Baxter, S., Transactions of the Faraday Society ,40, 1944, 546–551 [10] Nishino, T.; Meguro, M.; Nakamae, K.; Matsushita, M.; Ueda, Y.; The lowest surface free energy based on -CF3 alignment, Langmuir, 15, 1999, 2551–2558 [11] Uhlmann, P.; Houbenov, N.; Ionov, L.; Motornov, M.; Minko, S.; Stamm, M., Oberflächen passen sich an – bürstenartige Polymermoleküle an Oberflächen mit schaltbaren Eigenschaften, Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden, 56, 2007, 47–52 [12] Patents DE_10346124_B4 and DE_102006004644_B4 [13] Brinksmeier, E.; Gläbe, R.; Riemer, O.; Twardy, S., Potentials of precision machining processes for the manufacture of micro forming molds, Mikrosystem Technologies, 14 (12), 2008, 1983–1987 [14] www.holotools.de [15] Römer, G.R.B.E.; Huis in’t Veld, A.J., Meijer, J.; Groenendijk, M.N.W., On the formation of laser induced self-organizing nanostructures, Manufacturing Technology, 58, 2009, 201–204

Mikrokapseln

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2.2 Mikrokapseln 2.2.1 Allgemeines Die industrielle Nutzung von Mikrokapseln ist in den letzten 30 Jahren sehr stark gewachsen. Eine der ersten industrielen Anwendungen für Mikrokapseln war chemisches („kohlefreies“) Durchschlagpapier. Im Jahr 1974 wurden ca. 500.000 Tonnen dieses Papiers produziert, was etwa 50.000 Tonnen an farbstoffgefüllten Mikrokapseln bedeutet [1]. Die Nutzung von Mikrokapseln für industrielle Massenprodukte ist also alles andere als neu. Mikrokapseln werden in der Nahrungsmittelindustrie (z.B. Mikrokapseln mit Aromen in Kaugummi), in der Waschmittelindustrie (z.B. mikroverkapselte Duftstoffe in Weichspülern, die Wochen nach dem Waschvorgang freigesetzt werden, wenn die Wäsche angefasst oder getragen wird), und besonders in der pharmazeutischen- und der Pflanzenschutzmittel-Industrie eingesetzt. Die Gründe, warum Mikrokapseln in diesen Feldern eingesetzt werden, sind folgende: • S  chutz von empfindlichen Materialien gegenüber Umwelteinflüssen, Verlängerung der Haltbarkeit • gesteuerte, kontrollierte oder verzögerte Freisetzung von Wirkstoffen • Maskierung von Geruch oder Geschmack • verbesserte Verarbeitbarkeit (Fließeigenschaften, Handhabung giftiger Materialien, Handhabung von (verkapselten) Flüssigkeiten als Feststoffe) In den vorher angeführten Industriezweigen sind Mikrokapseln sehr verbreitete Rohstoffe. Natürlich dürfen Mikrokapseln den Preis der Produkte für den Verbraucher nicht zu sehr erhöhen. Zum Beispiel in der Nahrungsmittelindustrie dürfen die maximalen Kosten für die Mikroverkapselung von Aromen oder Ähnlichem, grob geschätzt, bei 0,1 €/kg liegen [2] . Diese Zahl zeigt, dass mikroverkapselte Rohstoffe für die mögliche Herstellung von funktionellen Lacken durchaus in einem akzeptablen Preisrahmen liegen können.

2.2.2 Techniken für die Mikroverkapselung Die Technologie der Mikroverkapselung zielt darauf ab, Flüssigkeiten in fein verteilter Form zu ummanteln (in speziellen Fällen auch Gase oder Flüssigkeiten). Der Partikeldurchmesser kann zwischen 1 und 5000 µm liegen. Typische Kapseldurchmesser sind [3]: • 1 bis 10 µm für kohlefreies Durchschlagpapier; • 30 bis 50 µm für Pestizide; • 10 bis 50 µm für Duftstoffe. Die Dicke der Kapselwand reicht typischerweise von 50 nm bis zu mehreren µm. Die Hülle kann aus synthetischen Polymeren aber auch aus biologischen Materialien aufgebaut sein. Die äußere Form der Kapseln ist meistens kugelförmig. In speziellen Fällen treten auch traubenförmige Cluster oder unregelmäßige Formen auf. Die Natur der Wandmaterialien und die Dicke der Kapselwand bestimmen die Fähigkeit der Mikrokapseln, den Inhalt zu schützen oder freizusetzten. Die Kapselhülle trennt den Inhalt von der Umgebung. Um den Inhalt freizusetzen, muss die Hülle entweder geöffnet werden oder für die Inhaltsstoffe permeabel sein. Das Öffnen kann durch mechanische Einwirkung von außen passieren (Scherung, Aufschneiden, Zerquetschen) oder durch Effekte aus dem Inneren der Kapsel (Aufheizen über den Siede-

30

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Abbildung 2.18: Grundsätzliches Prinzip der Mikroverkapselung durch Reaktion an der Phasengrenze

punkt des Inhalts, Schmelzen oder Explosion). Im Schluss dieses Kapitels werden einige Beispiele gegeben. Für die Mikroverkapselung von Wirkstoffen ist eine Vielzahl von Technologien verfügbar. Bei den Technologien zur Mikroverkapselung kann man grundsätzlich zwischen chemischen und physikalischen Methoden unterscheiden. Die Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über aktuelle Verfahren, die im Labormaßstab und in der industriellen Herstellung von Mikrokapseln weit verbreitet sind [4]. Für die Anwendung von Mikrokapseln in Lacken und Farben sollte die Partikelgröße ca. 50 µm nicht überschreiten. Für viele Anwendungen (Primer, Korrosionsschutzgrundierungen, Spritzlacke etc.) sollte die Kapselgröße zwischen 1 und 20 µm sein. Einige Anwendungen verlangen sogar noch kleinere Kapseln. In den folgenden Kapiteln werden verschiedene Beispiele von Verkapselungstechniken, die in der Lage sind, Kapseln mit relevantem Größenspektrum für Lackanwendungen zu produzieren, erläutert. 2.2.2.1 Polykondensation, Polyaddition oder radikalische Polymerisation an der Phasengrenze Eine sehr vielseitige Methode für die Verkapselung von Wirkstoffen, die in Wasser eine separate Phase bilden, ist die Polykondensation oder Polyaddition an der Phasengrenzfläche. Die Basis für den Prozess der Mikroverkapselung ist eine Emulsion vom Öl-in-Wasser (o/w)-Typ. Während des Mikroverkapselungsprozesses bildet sich eine Hülle um die Tröpfchen der Ölphase, indem geeignete Monomere an der Grenzfläche polymerisieren und vernetzen. Der Prozess ist in Abbildung 2.18 skizziert. Table 2.1: Überblick über Technologien für die Mikroverkapselung Chemische Prozesse

Physiko-chemische Prozesse

Physiko-mechanische Prozesse

Grenzschicht-Polykondensation Emulsions-Polymerisation

Koazervation Layer-by-Layer-Verfahren Sol-Gel-Verfahren Mikroverkapselung in überkritischem CO2

Sprühtrocknung Tauch- bzw. Zentrifugiertechniken Co-Extrusion Fließbettverfahren

Mikrokapseln

31

Der Prozess der Mikroverkapselung umfasst die folgenden Schritte: Auswahl der organischen (dispergierten) Phase Die organische Phase enthält den Wirkstoff für die Funktion, die durch die Mikrokapseln dem Lackfilm verliehen werden soll. Beispiele für entsprechende Wirkstoffe werden in Kapitel 2.2.4 gegeben. Die organische Phase muss eine sehr geringe Löslichkeit in Wasser haben und sollte eine Viskosität aufweisen, die die Herstellung einer Emulsion in Wasser bei einer geeigneten Temperatur ( Muscheln > Makrophyten [4]. Die Kupferionen können die Zellmembran passieren und bei hohen Konzentrationen die Enzymfunktionen in der Zelle stören [11]. Kupferhaltige Pigment werden heute in einer Vielzahl von Antifouling-Lacken für den marinen Bereich in Verbindung mit weiteren, so genannten „Booster“-Bioziden eingesetzt. Booster-Biozide Die Booster-Biozide sind meistens nicht-metallische, organische Verbindungen und erhöhen die Effektivität der Antifouling-Beschichtung deutlich. So wurden und werden beispielsweise „Irgarol“ 1051 (2-Methylthio-4-tert-Butylamino-6-Cyclopropylamino-s-Triazin) und

Abbildung 3.63: Einige Biozidvertreter: a) TBT, b) Diuron, c) „Irgarol“ 1051, d) Zn-Pyrithion

Antifouling-Beschichtungen

157

„Diuron“ (3-(3,4-di-Chlorophenyl)-1,1-Dimethylurea) (Abbildung 3.63b und c) eingesetzt. Da jedoch auch für diese Biozide ein negatives Umweltverhalten nachgewiesen worden ist, unterliegen sie mittlerweile ebenfalls Nutzungseinschränkungen und -Verboten [12]. Diese wenigen Beispiele zeigen bereits die Problematik, die vom Einsatz sowohl herkömmlicher als auch neu entwickelter biozider Beschichtungen ausgeht. Die damit verbundenen Unsicherheiten hinsichtlich der Auswirkungen auf die Natur lassen die langfristige Nutzung dieses Beschichtungstyps als eher unwahrscheinlich erscheinen. Evans et al. (2000) fasste in diesem Zusammenhang folgende Unsicherheitsfaktoren zusammen [13]: • Umweltprofile zum Verhalten der Biozide, • akute und chronische Toxizitäten, • Validation der analytischen Methoden für Biozide, die das Monitoring bezüglich Verbleib und Toxizität in der Umwelt bewerten, • synergetische Wechselbeziehungen zwischen Umweltschadstoffen, • Akkumulation in der Umwelt, • Evaluation der Eigenschaften von alternativen Antifouling-Wirkstoffen. Der große wirtschaftliche Nutzen, der von effektiven Antifouling-Lacksystemen ausgeht, führt trotz der benannten Widrigkeiten zu immer neuen Entwicklungen und wissenschaftlichen Anstrengungen, wie sie im folgenden Kapitel beschrieben werden. Anti-mikrobielle Beschichtungen für Medizinanwendungen Neben dem Einsatz Biozid-haltiger Beschichtungen in mariner Umgebung kommen diese auch für medizinische Anwendungen in Betracht. Die Anforderungen sind grundsätzlich verschieden und auch die verwendeten Begriffe anti-mikrobiell bzw. anti-bakteriell beziehen sich eher auf spezielle Organismengruppen. Anwendung finden diese Beschichtungen z.B. auf medizinischem Gerät, Implantaten, Katheteroberflächen, Wundverbänden und auch auf Textilien, Lebensmittelverpackungen und sogar Zahnbürsten. Als Biozide für medizinische Anwendungen kommen häufig Antibiotika zum Einsatz, bei denen jedoch immer häufiger die Problematik von Resistenzbildungen auftritt. Alternative Wirkstoffe, die in Beschichtungsstoffe eingearbeitet werden können, sind beispielsweise Silberionen. Diese hemmen Mikroorganismen bereits bei niedrigen Konzentrationen, in dem sie innerhalb der Zellen mit DNA-Strukturen reagieren und so die Zellteilung unterbinden. Außerdem reagieren sie mit Strukturen der Zellmembran und blockieren wichtige Enzymfunktionen, so dass der Stoffwechsel zum Erliegen kommt [14]. Die anti-mikrobielle Wirkung von Silber ist seit Langem bekannt. In den vergangenen Jahren wurden viele Anstrengungen unternommen, Silberbeschichtungen effizienter zu machen und die Wirkdauer zu erhöhen. In diesem Zusammenhang stehen auch die Entwicklungen von Beschichtungen mit Silber-Nanopartikeln. Auch hierzu gibt das folgende Kapitel nähere Auskunft. 3.5.3.2

Alternative Ansätze

In der Literatur sind viele Studien zur Identifikation biozider Ersatzstoffe ohne schädigende Wirkung auf die Umwelt zu finden. Ziel ist es, Beschichtungen mit mindestens gleicher Antifouling-Wirkung – jedoch ohne die nachteiligen Effekte auf die Umwelt – zu entwickeln. Um einen Eindruck bezüglich des zukünftigen Potentials Biozid-wirkender Antifouling-Beschichtungen zu vermitteln, werden im Folgenden einige neue Ansätze erläutert. Natürlich können an dieser Stelle nicht alle Ansätze dargestellt werden, vielmehr beziehen wir uns auf einige Beispiele, die aus heutiger Sicht durchaus interessant für zukünftige Anwendungen sein können.

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Funktionelle Beschichtungen in der Praxis

Strategien aus der Bionik Großer wissenschaftlicher Aufwand wird in die Erarbeitung von Antifouling-Beschichtungen betrieben, die Biozid-wirkende Substanzen nach dem Vorbild der Natur enthalten. Viele marine Organismen haben Strategien entwickelt, um sich vor Fouling zu schützen. Neben physikalischen und mechanischen Strategien gehören dazu auch die Freisetzung von bioziden Verbindungen oder gar die Beherbergung von Bakterien mit AntifoulingEigenschaften. So beherbergen u.a. Seegräser Bakterien auf ihrer Oberfläche, die wiederum Antifouling-Wirkstoffe freisetzen und so die weitere Besiedelung verhindern [15]. Für die Entwicklung alternativer Antifouling-Beschichtungen mit bioziden Komponenten müssen folgende Schritte erfolgen [4]: • Identifikation des Wirkstoffes • Einbringen der bioaktiven Substanz(en) in die Lackmatrix ohne Effektivitätsverlust des Wirkstoffs (Wirkprinzip über Leaching-Effekte oder durch kovalente Anbindung der aktiven Substanzen) • Erfüllung der Anforderungen an die Lackschicht hinsichtlich mechanischer Eigenschaften, Stabilität bzw. Freisetzungscharakteristika • Kommerzielle Wettbewerbsfähigkeit (Kosten und Effizienz) Außerdem müssen die umfangreichen Genehmigungsverfahren, die mit dem Einsatz von neuen Bioziden verbunden sind, durchlaufen werden [16]. Wie dem auch sei, der große wirtschaftliche Nutzen, der mit effektiven Antifouling-Beschichtungen verbunden ist, lässt einige Forschergruppen diese Herausforderungen annehmen. Zu den biomimetischen Ansätzen zählen die Verwendung von Sekundärmetaboliten und Enzymen, sowie die Einbringung von lebenden Bakterien in Lacksysteme. Diese Ansätze werden im Folgenden anhand einiger Beispiele erläutert. Sekundärmetabolite Sekundärmetabolite sind von Organismen synthetisierte Substanzen, die nicht für die Sicherung des Überlebens, für das Wachstum oder die Vermehrung verantwortlich sind. Vielmehr übernehmen diese Stoffe häufig spezialisierte Aufgaben, wie z.B. auch die Abwehr von Konkurrenten. Eine Vielzahl von Stoffklassen kommen als AntifoulingWirkstoffe in Frage, wie z.B. Terpenoide, Alkaloide, und Fettsäuren [5]. Wissenschaftliche Untersuchungen hinsichtlich der Antifouling-Effekte wurden u.a. von aus Organismen extrahierten Metaboliten sowie synthetisch hergestellten Analogon durchgeführt. So wurden Antifouling-Effekte von Bakterien, die von Seegrasoberflächen isoliert wurden, untersucht. Extrakte dieser Bakterien wurden in wasserbasierte Lacksysteme eingearbeitet und zeigten in Laborversuchen Antifouling-Effektivität, wobei deutlich wurde, dass sich das Einbringen in ein Lacksystem negativ auf die Aktivität auswirken kann [17]. Zur Identifikation von Sekundärmetaboliten werden in Kapitel 3.6 Studien bezüglich polymerer 3-Alkylpyridiniumsalze (poly-APS) sowie Furanone vorgestellt. Enzyme als biozide Komponente Auch die Einsatzmöglichkeiten von Enzymen für Antifouling-Beschichtungen werden untersucht. Enzyme sind Proteine, die chemische Reaktionen katalysieren, also beschleunigen. Sie können direkt als biozide Komponente wirken oder indirekt, in dem sie zur Bildung des Antifouling-Wirkstoffes beitragen. Dazu gibt es interessante Ansätze wie z.B. die Freisetzung von Wasserstoffperoxid aus Enzym-basierten Beschichtungen [18]. Der

Antifouling-Beschichtungen

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zugrunde liegende Mechanismus ist dabei wie folgt: Zunächst wird die in die Beschichtung integrierte Stärke mittels Glucoamylase (GA) in Glucose umgewandelt (Gleichung 3.2), die wiederum unter Mithilfe von Hexoseoxidase (HOx) direkt in Wasserstoffperoxid und Gluconolactone umgesetzt wird (Gleichung 3.3). Wasserstoffperoxid wirkt als starkes Oxidationsmittel anti-bakteriell und wird daher häufig als Desinfektionsmittel eingesetzt. Nach seiner Bildung zerfällt Wasserstoffperoxid sehr schnell in Wasser und Sauerstoff (Gleichung 3.4) [12]. Gleichung 3.2 (C6H10O5)n(s) + H2O(l) → (GA) → C6H12O6(aq) + (C6H10O5)n-1(s) Gleichung 3.3 C6H12O6(aq) + O2(aq) → (HOx) → C6H10O6(aq) + H2O2(aq) Gleichung 3.4 2H2O2(aq) → 2H2O(l) + O2(aq) Enzyme könnten umweltfreundliche Alternativen zu herkömmlichen Antifouling-Wirkstoffen darstellen, da sie biologisch leicht abbaubar sind. Dies schränkt jedoch auch deren Einsatzbereich ein, da die Stabilität der Moleküle häufig nicht für den Anwendungsfall ausreicht. Die Machbarkeit hinsichtlich der Verwendung von Enzymen in Antifouling-Beschichtungen wird bereits seit einigen Jahrzehnten untersucht. Derzeit ist den Autoren ein Unternehmen bekannt, welches ein Enzymprodukt als Additiv für Antifouling-Beschichtungen anbietet (www.coatzyme.dk). Die Lackentwicklung ist jedoch äußerst komplex, da viele Faktoren wie z.B. die Stabilisierung der Enzyme und die entsprechenden Freisetzungsmechanismen erarbeitet werden müssen [19]. Kapitel 3.6 greift das Thema enzymbasierter Antifouling-Beschichtungen erneut auf. Außerdem gibt Olsen et al. (2007) eine umfassende Auflistung der Patente, die in diesem Zusammenhang angemeldet wurden [10]. Lebende Organismen als Biozid-Produzenten Der dritte biomimetische Ansatz, der hier kurz vorgestellt werden soll, ist das Einbringen von lebenden Mikroorganismen in die Lackmatrix. Verschiedene Vorteile gehen mit diesem Ansatz einher, wie z.B. die fortlaufende Bildung biozider Verbindungen durch die eingebrachten Mikroorganismen oder die Konkurrenz um Nährstoffe mit den unerwünschten Besiedlern [10]. Verschiedene Arbeiten und Patente liegen zu diesem biomimetischen Ansatz vor, die in Kapitel 3.6 vorgestellt werden. Verkapselung biozider Wirkstoffe Eine weitere Möglichkeit, sowohl die Umweltverträglichkeit als auch die Effektivität von Antifouling-Beschichtungen zu steigern, ist die kovalente Anbindung der bioziden Wirkstoffe. Damit würde sich das eingesetzte Biozid nicht verbrauchen und könnte zudem nicht in die Umwelt gelangen. Schwierigkeit besteht hier darin, die Aktivität der Moleküle trotz der Immobilisierung aufrechtzuerhalten. Hierzu gibt Kapitel 2.6 detailliert Auskunft. Auch die Verkapselung biozider Wirkstoffe kann eine Möglichkeit bieten, AntifoulingBeschichtungen effizienter zu gestalten. Diese Technologie wurde bereits in Kapitel 2.2 eingehend beschrieben. Durch die Mikroverkapselung kann der Leaching-Prozess kontrolliert werden und somit die Lebensdauer von Beschichtungen verlängert werden. Außerdem können so inkompatible Wirkstoffe in Lackformulierungen eingebracht werden. Untersuchungen zur Verkapselung von Chlorhexidin (einem Antiseptikum) in biokompatiblen, biologisch abbaubaren Polylactiden zeigten vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich biologisch abbaubarer Antifouling-Lacke, die auf nicht toxischen Molekülen und bioaktiven Oberflächen basieren [20].

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Funktionelle Beschichtungen in der Praxis

Abbildung 3.64: Schematische Darstellung des Schichtaufbaus einer antibakteriellen PlasmapolymerBeschichtung mit entsprechender TEM-Aufnahme  Quelle: Fraunhofer IFAM und Bio-Gate AG

Für die Anwendung in marinen Antifouling-Beschichtungen wurden diverse Methodiken zur Herstellung von Mikrokapseln mit Größen von 5 bis 40 µm patentiert. Dabei kann die Permeabilität der Kapseln über die Auswahl des Wandmaterials bestimmt werden. Beschrieben ist u.a. die Verkapselung von Isothiazolonen [21]. Weitere Freisetzungsmechanismen Weitere Freisetzungsalternativen von Bioziden sind in der Literatur zu finden, wie z.B. über elektrochemisch generierte Biozide (z.B. [22]). Darüber hinaus ist die Kombination von Bioziden mit den im nachfolgenden Kapitel beschriebenen Biozid-freien Konzepten erfolgversprechend. Diese sogenannten Hybrid-Beschichtungen sollen die Effizienz der Antifouling-Beschichtungen erhöhen und dabei den Einsatz umweltgefährdender Substanzen minimieren. Hierzu liegen z.B. Untersuchungsergebnisse für an Polysiloxan-Matrix gebundene quartäre Ammoniumsalze vor, die eine optimierte Wirkung des Biozids sowie eine verlängerte Lebensdauer der Beschichtung bescheinigen [23]. Biozid-freie Beschichtungskonzepte werden im nachfolgenden Kapitel eingehend beschrieben. Silber als biozider Wirkstoff Die bisherigen Beispiele stellen überwiegend marine und industrielle AntifoulingAnwendungen dar. Für den Medizin- und Hygienesektor werden häufiger die Begriffe anti-mikrobiell bzw. anti-bakteriell verwendet. Eine umfassende Übersicht hinsichtlich verwendeter Beschichtungen im medizinischen Bereich gibt z.B. Monteiro et al. (2009) [24]. Hier wird neben dem Einsatz diverser Antibiotika auch die Verwendung von Silber beschrieben. Die anti-mikrobiellen Eigenschaften von Silber sind seit der Antike bekannt. Eingebracht in Beschichtungsmaterialien kann die Problematik auftreten, das anfangs eine hohe Freisetzungsrate (initial burst) zu unerwünschten toxischen Reaktionen führt – bei Wundverbänden oder Implantaten z.B. zu Gewebereizungen und allergischen Reaktionen. Außerdem kann der Vorrat an Silber schnell erschöpft sein, so dass dann kein ausreichender Schutz vor Infektionen mehr gegeben ist [25]. Um diesen negativen Auswirkungen entgegenzuwirken, wurden verschiedene Konzepte entwickelt. So wurden Beschichtungssysteme entwickelt, die eine zweite, die Freisetzung kontrollierende Schicht beinhalten [26]. Diese Transportkontrollschicht kann über die Dicke sowie Porosität so eingestellt werden, dass der biozide Wirkstoff in einer antimikrobiellen und nicht zytotoxischen Menge abgegeben wird (Abbildung 3.64). Zum Schichtauftrag kommen dabei sogenannte Vakuum-gestützte Dünnschichtverfahren, insbesondere Sputtern und Plasmapolymerisation in Frage [26].

Antifouling-Beschichtungen

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Die Verwendung von Nanopartikeln In Zusammenhang mit der Verwendung von Silber als anti-mikrobielle Substanz werden auch häufig Nanopartikel verwendet. Nanopartikel sind per Definition des BSI (British Standards Institution) Partikel, die in mindestens einer Dimension nanoskalig, also 100 nm oder kleiner, sind [27]. Diese Partikel besitzen ein größeres Oberflächen/VolumenVerhältnis im Vergleich zu mikroskaligen Partikeln, so dass für die Interaktion mit den Zielorganismen bei gleichem Volumen eine größere Fläche zur Verfügung steht. Daraus resultiert die gesteigerte Effektivität, so dass die Gesamtkonzentration an biozidem Wirkstoff gesenkt werden kann. Die Wirkweise von z.B. Silber-Nanopartikeln ist jedoch noch nicht ausreichend aufgeklärt. In der Literatur diskutierte Wirkmechanismen gehen zum einen von einer weitgehend ähnlichen Wirkung im Vergleich zu mikroskaligen Partikeln aus (z.B. [18]), zum anderen aber auch von einer Schädigung durch das direkte Eindringen in die Zellen sowie durch Radikalbildung aus [28]. Die Eigenschaften von Nanopartikeln wurden im Kapitel 2.3 erläutert. Silbernano-Beschichtungen sind heute bereits in einer breiten Anwendung, wozu auch Alltagsgegenstände wie Oberflächen von Computertastaturen oder sogar Socken gehören. Dieser breite Einsatz von Nanopartikeln ohne das Wissen möglicher gesundheitlicher Risiken steht jedoch in der Kritik. Abschließend kann festgehalten werden, dass jede der hier beschriebenen Biozid-freisetzenden Beschichtungen den gesetzlichen Regulierungen unterliegt und somit die steigenden Anforderungen hinsichtlich der Minimierung von schädigenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt erfüllen muss. Dies muss bei der individuellen Bewertung potentieller Neuentwicklungen immer berücksichtigt werden.

3.5.4 Biozid-freie Beschichtungen Bei den im Folgenden beschriebenen Biozid-freien Konzepten soll durch die Einstellung geeigneter physikalischer, chemischer und physiko-chemischer Oberflächeneigenschaften ein biologischer Bewuchs verhindert bzw. das Entfernen niedergelassener Organismen erleichtert werden. Letzteres wird als Foul-Release-Konzept bezeichnet, bei dem die Adhäsionskraft zwischen Besiedlern und Oberfläche soweit verringert wird, dass eine Ablösung der Organismen aufgrund von z.B. Strömungsbelastungen erfolgen kann. Untersuchungen an mit Foul-Release-Beschichtungen ausgestatteten Schiffsrümpfen haben beispielsweise gezeigt, dass Makroorganismen bei Schiffstypischen Geschwindigkeiten (zwischen 7 und 22 Knoten) durchaus entfernt werden können. Für das Entfernen des Mikroorganismendominierten Schleimfilms hingegen reichten selbst Geschwindigkeiten von bis zu 30 Knoten nicht für dessen Beseitigung aus [4]. Die effektive Besiedlungsvermeidung durch Biozid-freie Beschichtungen stellt eine wesentlich größere Herausforderung an die Entwickler von Antifouling-Beschichtungen dar. Diese werden bisher nur von wenigen Autoren, hauptsächlich in Bezug auf bestimmte Makroorganismen wie z.B. Seepocken, beschrieben [29, 30]. Foul-Release-Beschichtungen wurden bereits parallel zu den TBT-haltigen self-polishing Beschichtungen entwickelt, setzten sich allerdings in der Folge aufgrund der geringeren Effektivität nicht durch. Erst durch die Nutzungsbeschränkungen Biozid-haltiger Beschichtungen haben die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen auf diesem Gebiet wieder zugenommen. Der entscheidende Vorteil von Foul-Release-Beschichtungen ist der Verzicht auf den Einsatz von Bioziden, so dass keine Gefährdung von Mensch und Umwelt durch giftige Substanzen zu erwarten ist.

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Funktionelle Beschichtungen in der Praxis

Abbildung 3.65: Beispiel für den Verlauf von Biofouling in mariner Umgebung

Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst die Adhäsionskraft zwischen Substrat und FoulingOrganismen (nach [31, 32]): • c hemische und physiko-chemische Eigenschaften sowohl der Oberflächen als auch der Organismen: Oberflächenenergie, Oberflächenladung, Hydrophobizität, Oberflächenchemie • physikalische Eigenschaften der Oberfläche: Rauigkeit und Topographie • biologische Eigenschaften: Organismen-Arten und Stämme, physiologischer Status der Organismen, spezifische Haftungs-Mechanismen wie Pili, Exo-Polysaccharide • Umgebungsbedingungen: z.B. Ionen-Konzentration, pH, Nährstoffangebot Die Komplexität der Oberflächeneigenschaften sowie die Vielzahl der Haftungsmechanismen von Fouling-Organismen führen dazu, dass keine allgemeine Theorie zur Bioadhäsion entwickelt werden kann. Somit gibt es auch die eine Foul-Release-Beschichtung nach derzeitigem Kenntnisstand nicht; vielmehr wird die Entwicklung von Oberflächen für spezifische Anwendungsfälle und gegen bestimmte Organismengruppen angestrebt. Bei der Betrachtung der Substrateigenschaften muss außerdem berücksichtigt werden, dass diese für die anfängliche Biofilmbildung und dessen Adhäsion zwar wichtig sind, jedoch nach erfolgter Biofilmbildung nur noch geringen Einfluss auf die weitere BiofilmEntwicklung haben [6]. Wird eine sterile Oberfläche mit Wasser benetzt, erfolgt innerhalb weniger Minuten die Bildung eines sogenannten Konditionierungsfilms, bestehend aus organischen Molekülen sowie anorganischem Material. Hierdurch erfolgt bereits die erste Veränderung der Substratoberfläche. Dieser Film ist wiederum Grundlage für die sich im Anschluss bildende mikrobielle Gemeinschaft, die sich stetig verändert und von weiteren Organismen wie Makrofoulern besiedelt werden kann [31]. Die Oberflächeneigenschaften verändern sich dabei stetig weiter (Abbildung 3.65). Die bisher aussichtsreichsten Kandidaten für Foul-Release-Beschichtungen basieren auf Fluorpolymeren, Silikonen sowie Fluor-funktionalisierte Silikonen. Fluorpolymere haben aufgrund ihrer sehr geringen Oberflächenenergie sehr gute Antihaft-Eigenschaften. Nachteil dieser Beschichtungen ist die durch das Fluor hervorgerufene Formsteifigkeit des Materials, so dass die Entfernung von angehefteten Organismen erschwert sein kann. Hier bieten Silikone aufgrund des geringen E-Moduls einen entscheidenden Vorteil gegenüber Fluorpolymeren. Darüber hinaus weisen Silikon-Beschichtungen in der Regel eine deutlich glattere Oberfläche auf, was sich ebenfalls positiv auf das Antifouling-Verhalten auswirkt [4] . Silikon-basierte Foul-Release-Beschichtungen für die Anwendung im marinen Bereich werden derzeit von diversen Lackherstellern angeboten.

Antifouling-Beschichtungen

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Weitere Verbesserungen von Foul-Release-Beschichtungen können durch die Kombination der elastischen und glatten Eigenschaften der Silikonbeschichtungen mit der sehr geringen Oberflächenenergie der Fluorpolymere erreicht werden. Auch die Einbringung von Silikonölen in die Lackmatrix führt zu einer verbesserten Antifouling-Wirkung, die auf den entstehenden Gleitfilm an der Oberfläche zurückzuführen ist. Auf diesen Oberflächen wurde zudem ein verminderter biologischer Oberflächenbewuchs beobachtet [4]. In den folgenden Kapiteln werden die relevanten Oberflächeneigenschaften näher erläutert und deren Auswirkungen auf das Biofouling anhand von Studienergebnissen diskutiert. Es sei hier bereits erwähnt, dass eine scharfe Abtrennung der Oberflächenparameter oft nicht möglich ist, da beispielsweise sowohl die Oberflächenchemie als auch die Oberflächenrauigkeit Einfluss auf die Oberflächenenergie nehmen. Dies wird in den folgenden Kapiteln berücksichtigt. 3.5.4.1

Freie Oberflächenenergie

Die heute vorherrschende Meinung ist, dass die Oberflächenenergie die einflussreichste Substrateigenschaft bezüglich des biologischen Bewuchses und der Adhäsionskraft der Organismen ist. Die Oberflächenenergie ist dabei ein Maß für die an der Oberfläche zur Verfügung stehenden freien, chemischen Gruppen, Moleküle und Atome, die mit sich nähernden chemischen Strukturen interagieren können. Diese Interaktionen umfassen u.a. van der Waals-Kräfte, polare und elektrostatische Interaktionen und Wasserstoffbrückenbindungen. Bei niedriger Oberflächenenergie ist die Anzahl möglicher Interaktionen gering und somit auch die Haftung zwischen Substratoberfläche und Fouling-Organismus oder Biofilm [31]. Die Oberflächenenergie eines Festkörpers wird indirekt über Kontaktwinkelmessungen mit verschiedenen Flüssigkeiten bekannter Oberflächenspannung bestimmt (weitere Informationen in Kapitel 2.1.2.1). Neben der Oberflächenenergie werden Oberflächen häufig auch nach ihrer Hydrophobie (geringe Wasserbenetzbarkeit, Wasser-abweisend) bzw. Hydrophilie (sehr gute Wasserbenetzbarkeit, Wasser-liebend) charakterisiert (Abbildung 2.4 in Kapitel 2.1). Generell gilt, dass hydrophobe Oberflächen auch geringe Oberflächenenergien aufweisen. Beschichtungen mit geringer Oberflächenenergie Viele Studien haben gezeigt, dass eine geringe Oberflächenenergie meistens mit einer schwachen Bioadhäsion einhergeht. Die geringsten Adhäsionskräfte wurden dabei für Oberflächenenergien zwischen 20 und 30 mN/m ermittelt [32–35]. Aus diesen Ergebnissen ergibt sich der Verlauf der sogenannte Baier-Kurve (Abbildung 3.66), die aussagt, dass die geringsten Adhäsionskräfte zwischen Oberfläche und Fouling-Organismus bei 22 bis 24 mN/m auftritt. Sowohl niedrigere als auch höhere Oberflächenspannungen bewirken eine Zunahme der Haftkräfte [27, 33, 34]. Als Gründe für diese Beobachtung werden zum einen der Einfluss des Konditionierungsfilms; zum anderen die sich überschneidenden Effekte von E-Modul, Rauigkeit und Schichtdicke der Beschichtung genannt. Darüber hinaus haben auch die Oberflächenenergie der Organismen selbst sowie die Oberflächenspannung des umgebenden Mediums einen Einfluss [34-36]. Die Oberflächenenergie wird durch mehrere Parameter bestimmt. So sind die an der Oberfläche befindlichen chemischen Gruppen entscheidend für die möglichen Interaktionen mit den Molekülen bzw. Organismen der Umgebung. Für Oberflächen mit nur wenigen Interaktionsmöglichkeiten kommen Methylgruppen sowie fluorierte Kohlenstoffe in Frage. Die Oberflächenenergie nimmt dabei wie folgt ab:

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Funktionelle Beschichtungen in der Praxis

Abbildung 3.66: Baier-Kurve [28] 

Quelle: C. Anderson, International Coatings

-CH2- > -CH3 > -CF2- > -CF2H > -CF3 [36]. Darüber hinaus wird die Oberflächenenergie von der Oberflächenrauigkeit beeinflusst, wie es bereits in Kapitel 2.1.2 detailliert erläutert wurde. Während für glatte Oberflächen maximale Wasserkontaktwinkel von ~130° erreicht werden können, sind durch die geeignete Einstellung der Oberflächenrauigkeit Werte von bis zu 170° zu erreichen (super-hydrophobe OF) [30]. Der Einfluss der Oberflächenrauigkeit und -Topographie auf Antifouling-Eigenschaften wird in Kapitel 3.5.4.3 erneut aufgegriffen. Silikon-basierte Beschichtungen Hydrophobe Beschichtungen basieren häufig auf Silikon- bzw. fluorierten Polymerbeschichtungen. In der Mehrzahl der Untersuchungen sind Silikon-basierte Materialien die effektivsten Foul-Release-Beschichtungen, die sich durch geringe Fouling-Wachstumsraten und verminderte Bioadhäsion auszeichnen (z.B. [31]). Makrofouling-Organismen wie Seepocken, Röhrenwürmer, Muscheln und Makroalgen weisen auf Silikon-basierten Foul-Release-Beschichtungen deutlich verminderte Haftkräfte auf [37]. Die Untersuchung der Bioadhäsion von Makroorganismen auf 12 verschiedenen Beschichtungen ergab jedoch auch, dass keine der getesteten Beschichtungen für alle Testorganismen die jeweilige Minimaladhäsion erzielte; Beschichtungen mit guten Ergebnissen bei z.B. Röhrenwürmern waren weniger effektiv bei Seepocken [38]. Darüber hinaus bevorzugen sogar einige Organismen Oberflächen mit niedriger Oberflächenenergie und reagieren mit einer vergrößerten Zell-Substrat Kontaktfläche [31]. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass die Entwicklung von Foul-Release-Beschichtungen aufgrund der Diversität der Fouling-Organismen keine einfach zu lösende Aufgabe ist. Das besonders Silikon-Beschichtungen in den Untersuchungen hervortraten, ist nicht allein auf die Oberflächenenergie zurückzuführen, sondern auf das komplexe Zusammenspiel mit weiteren Faktoren wie der Elastizität und der Rauigkeit der Oberfläche. Darauf wird in den folgenden Kapiteln näher eingegangen.

Antifouling-Beschichtungen

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Als Randnotiz sei hier das sogenannte „Slippage“ erwähnt, das sich hinsichtlich der Antifouling-Effektivität sowie der Verringerung der Bioadhäsion als interessanten Ansatz herausgestellt hat. So wurde festgestellt, dass durch das Einbringen von nicht-funktionalisierten Silikonölen in das Beschichtungsmaterial die Oberflächenenergie nicht verändert wird, die Bioadhäsion jedoch gesenkt werden kann [39]. Somit ist auch das Slippage eine relevante Einflussgröße für die Bioadhäsion. Hierzu werden derzeitig verschiedene Ansätze verfolgt, um diese Charakteristik dauerhaft auf Oberflächen zu realisieren. 3.5.4.2 Elastizitätsmodul Neben der Oberflächenenergie ist auch die Elastizität einer Beschichtung für die Adhäsion von Fouling-Organismen von Bedeutung. Im Allgemeinen beschreibt das E-Modul den Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung bei der Verformung eines Materials und ist ein Maß für dessen Widerstand gegen die Deformation. Je mehr Widerstand ein Material seiner Verformung entgegenbringt, desto größer ist das Elastizitätsmodul. In Bezug auf Antifouling-Eigenschaften von Beschichtungen konnte festgestellt werden, dass ein möglichst geringes E-Modul (also eine gute reversible Verformbarkeit) zu einer verringerten Bioadhäsion führt [37]. Dies hängt damit zusammen, dass durch Krafteinwirkungen z.B. elastomere Silikonbeschichtungen deformiert werden und dadurch die Verbindung zwischen Beschichtung und Fouling-Organismus gelöst wird. Dieser Prozess ist relativ langsam im Vergleich zu Ablösungsprozessen bei Fluorpolymeren, bedarf jedoch einer deutlich geringeren Energie [4]. Ein weiterer Effekt, der an Beschichtungen mit niedrigem E-Modul beobachtet werden konnte, ist die verringerte Besiedelung durch Makrofouler. Natasha et al. (2002) postulierte dazu, dass durch das niedrige E-Modul eine mechanische Deformation der Sensormembranen erfolgt, die von den Larven verschiedenster Makrofouler für die Untersuchung der zu besiedelnden Oberflächen benutzt werden. Daraus resultiert die Vermeidung dieser Oberflächen [30]. Hinsichtlich möglicher Beschichtungstypen stehen Silikonelastomere im Vordergrund, da sie aufgrund ihres chemischen Aufbaus mit der -Si-O-Si-Grundstruktur sehr flexibel im Vergleich zu anderen Polymeren sind. Über den Vernetzungsgrad kann die gewünschte Elastizität eingestellt werden, wobei die optimale Balance zwischen Elastizität und Stabilität der Beschichtung eingestellt werden muss. Darüber hinaus werden auch Beschichtungen beispielsweise für die marine Anwendung angeboten, die als extrem harte Beschichtung eine sehr lange Lebensdauer aufweisen. Diese Beschichtungen sind vor Fouling entweder durch Biozide geschützt oder bedürfen einer regelmäßigen mechanischen Reinigung, die auch unter Wasser durchgeführt werden kann [40]. Eine weitere Einflussgröße, die hier kurz Erwähnung finden soll, ist die Schichtdicke der Beschichtung. Es wurde festgestellt, dass Schichtdicken über 100 µm aufgetragen werden sollten, damit Makroorganismen wie Seepocken nicht durch die Beschichtung hindurch schneiden und sich am festeren Untergrund anheften können [34]. Zudem können durch erhöhte Schichtdicken die Brucheigenschaften zwischen Beschichtung und Fouling-Organismus verbessert werden [4]. 3.5.4.3 Oberflächenrauigkeit und Topographie Die Rauigkeit kann ebenfalls das Fouling-Verhalten einer Beschichtung mitbestimmen. So beeinflusst sie beispielsweise das Benetzungsverhalten der von den Biofouling-Organismen abgeschiedenen Klebstoffe. Können diese Klebstoffe aufgrund ihrer Viskosität nicht

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Funktionelle Beschichtungen in der Praxis

in kleinere Oberflächenvertiefungen eindringen, ist die Adhäsionskraft minimiert. Ist die Kontaktoberfläche hingegen aufgrund geeigneter Rauigkeit vergrößert, treten stärkere Adhäsionskräfte auf [37]. Für den Bewuchs durch Mikroorganismen wird der Einfluss von Rauigkeit und Topographie als eher geringfügig eingestuft. Begründet wird dies mit den vorherrschenden Größenverhältnissen: die Oberflächenmerkmale sind in der Regel wesentlich größer als die meisten Bakterienzellen, so dass diese nur eine untergeordnete Rolle spielen können [6, 37]. Hinsichtlich der Makrofouler wie Seepocken oder Röhrenwürmer konnte hingegen ein Einfluss der Oberflächentopographie nachgewiesen werden. Dies umfasst sowohl die Bioadhäsion als auch in gewissem Maße die Besiedlungsvermeidung. So konnten beispielsweise Antifouling-Effekte auf mikro-strukturierten Silikonbeschichtungen nachgewiesen werden. Die homogenen Oberflächenstrukturen wurden durch die Abformung einer Siebstruktur (im Bereich von 50 bis 100 µm) hergestellt. Im Feldversuch zeigte sich dann eine signifikante Reduzierung des Seepocken-Befalls im Vergleich zu glatten Silikonbeschichtungen. Als Ursachen für den beobachteten Antifouling-Effekt wurden neben der Adhäsionsreduktion durch das schlechte Benetzungsverhalten des Klebstoffes weitere Gründe diskutiert. Hierzu zählte u.a., dass die Größe der Antennenorgane, mit denen Seepocken-Larven nach geeigneten Untergründen suchen, ähnlich der Größe der Oberflächenstruktur ist, so dass diese Flächen gemieden werden [29]. In die gleiche Richtung zielte eine systematische Studie zum Einfluss verschieden großer Mikrostrukturen auf den Bewuchs durch Fouling-Organismen. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass insbesondere Makrofouling-Larven eine geringere Affinität zu Oberflächen haben, deren Mikrostruktur geringfügig kleiner ist als die Größe des Organismus bzw. der Anheftungsorgane („attachment point theory“). Dieser Zusammenhang gilt hingegen nur eingeschränkt bzw. gar nicht für Mikrofouler sowie sesshafte Organismen [41]. Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die Herstellung von Oberflächenstrukturen eine Möglichkeit bietet, gezielt spezifische Makrofouler zu unterdrücken. Eine gegen viele Organismengruppen wirkende Antifouling-Beschichtung ist mit der Herstellung künstlicher, homogener Strukturen jedoch nicht zu erreichen. Hier könnten der Natur entnommene Oberflächentopographien weitere Möglichkeiten eröffnen. Studien zum Einfluss dieser biomimetischen Oberflächen werden in Kapitel 3.6 näher erläutert. Die Umsetzung der Oberflächenstrukturierung erfordert einen relativ hohen technischen Aufwand (siehe Kapitel 2.1) und verursacht damit vergleichsweise hohe Kosten. Ob diese den zusätzlichen Nutzen rechtfertigen, muss für jeden Anwendungsfall geprüft werden. Darüber hinaus müssen offene Fragen hinsichtlich der Lebensdauer aufgrund von Abrasions- und Erosionsbelastungen beantwortet werden. Auch der fehlende Einfluss auf das Mikrofouling macht deutlich, dass die Oberflächenstrukturierungen als alleinige Antifouling-Strategie aus heutiger Sicht eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt. 3.5.4.4

Weitere Ansätze

In Bezug auf Foul-Release-Beschichtungen gibt es diverse Versuche, durch neue Ansätze die Effektivität zu verbessern. Eine bereits erwähnte Strategie ist die Verwendung von super-hydrophoben Oberflächen insbesondere für Anwendungen, bei denen Oberflächen nur zeitweise dem Wasser ausgesetzt sind. Die schnelle Wasserentfernung soll hier zum einen das Risiko der Infizierung verringern, zum anderen durch die Abwesenheit des Wassers ein Wachstum von Mikroorganismen verhindern. Im Allgemeinen können superhydrophobe Oberflächen erzeugt werden mittels [36]:

Antifouling-Beschichtungen

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Abbildung 3.67: Beispiele für Block-Copolymere, die bei der PEG-ylierung von Oberflächen verwendet werden

• Reduzieren der Kontaktfläche zwischen Substrat und Flüssigkeit (Rauigkeit), • Einbringen von Fluor. Hierzu sind in der Literatur diverse technologische Ansätze zu finden [36]. Einer dieser Ansätze soll hier noch Erwähnung finden: die Verwendung von an der Oberfläche vertikal angeordneten CNTs (carbon nanotubes), die darüber hinaus fluoriert sind und Wasserkontaktwinkel >170° aufweisen [42]. Auch jüngere umfangreiche Untersuchungen beschäftigen sich mit der Verwendung von CNTs in Antifouling-Beschichtungen für die marine Anwendung; z.B. in Polysiloxanbasierten Beschichtungen. Die Foul-Release-Eigenschaften reichten jedoch in den durchgeführten Auslagerungstests nicht an kommerzielle Standard-Beschichtungen heran. Darüber hinaus müssen hinsichtlich der Umweltauswirkungen der CNTs Risikoabschätzungen durchgeführt werden [43]. In völlig entgegengesetzte Richtung geht hingegen die Schaffung super-hydrophiler Oberflächen. Diese weisen Wasserkontaktwinkel von unter 5° auf und haben eine große Affinität zu Wassermolekülen, die so stark ist, dass fremde Substanzen von der Oberfläche ferngehalten werden. Untersuchungen wurden hier an mit Polyethylenglykol-Ketten (PEG) modifizierten Oberflächen durchgeführt, die in Tests eine Vermeidung der Proteinadsorption zeigten und damit auch die Bildung des Konditionierungsfilms hemmen, der eine wichtige Voraussetzung für das Biofouling darstellt [37]. Da die ständige Anwesenheit von Wasser jedoch auch eine wichtige Voraussetzung für das Biofouling darstellt, müssen weitere Faktoren für Antifouling-Effekte vorhanden sein. Zur Oberflächenanbindung von PEG-Ketten können z.B. mono-funktionelle PEG-Acrylate in Verbindung mit UV-Polymerisation verwendet werden, um „bürstenartige“ Oberflä-

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Funktionelle Beschichtungen in der Praxis

chenbeschichtungen herzustellen (siehe dazu Kapitel 2.5). Diese Oberflächen zeigten Wasserkontaktwinkel