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German Pages 192 [190] Year 2014
Jonas Bens, Susanne Kleinfeld, Karoline Noack (Hg.) Fußball. Macht. Politik.
Kultur und soziale Praxis
Jonas Bens, Susanne Kleinfeld, Karoline Noack (Hg.)
Fußball. Macht. Politik. Interdisziplinäre Perspektiven auf Fußball und Gesellschaft
Dieser Band wurde durch Mittel der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen und der Abteilung für Altamerikanistik im Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gefördert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Fußball, Macht und Politik: Eine Einführung. Kritische Blicke auf die Mythen rund um Fußball
Jonas Bens und Susanne Kleinfeld | 9 Keine Nebensache: Sport in vormodernen Kulturen, am Beispiel der Inka
Kerstin Nowack | 21 Erfolgreiche Vermarktungsstrategien im Fußball? Fußball und der Mythos vom Arbeiter und Proletariersport in Deutschland
Oliver Fürtjes | 45 Migration, Sport und Macht. Diskurse um Fußball als Mittel der gesellschaftlichen Integration
Juliane Müller | 71 Fußball ist nicht gleich Fußball. Ein Sport. Zwei Geschlechter Unzählige mediale Berichterstattungsdifferenzen
Simone Schöndorfer | 101 Fankulturen des Männer- und des Frauenfußballs. Qualitative Unterschiede und mögliche historische Ursachen
Philipp Dezort | 119
Fußballmafia DFB: Wie Staat und Fußball in Deutschland gemeinsame Sache machen – Eine recherchierte Polemik
Andreas Rüttenauer | 143 11 Freunde: Treiber oder Getriebene des Kapitalmarktes?
Kerstin Lopatta | 155 Drama von Tod und Auferstehung: Das Ballspiel der Maya
Nikolai Grube | 165 Autorinnen und Autoren | 187
Fußball, Macht und Politik: Eine Einführung Kritische Blicke auf die Mythen rund um Fußball J ONAS B ENS UND S USANNE K LEINFELD
W ARUM
IST F USSBALL WISSENSCHAFTLICH INTERESSANT ? An das Phänomen Sport kann man sehr unterschiedlich herangehen. In der Soziologie wird beim Sport nicht selten dessen Eigenschaft als soziales Subsystem hervorgehoben. Sport erscheint dabei als eine Art sozialer Mikrokosmos. Das Fußballspiel tritt uns dabei als die Gesellschaft gleichsam im 90-minütigen Taschenformat entgegen. Der Sport ist also aus soziologischer Perspektive als Forschungsobjekt interessant, weil er »die Bedingungen, Formen und Prozesse, die das soziale Leben in modernen Gesellschaften prägen, nachgerade klassisch in sich trägt«. Das »gesellschaftliche Werte- und Normensystem« ist mithin »auch im Subsystem Sport vertreten«. Mehr noch, »diese Werte und Verhaltensmuster sind darüber hinaus im Sport auch deutlicher als sonstwo sichtbar und erlebbar« (Weiß 1999: 169). In der Anthropologie wird eher die Nähe des Sports zum Spiel hervorgehoben. Der Bonner Anthropologe Christoph Antweiler etwa spricht vom Sport als einer »Welt in der Welt«. Was sich zunächst wie ein anderer Ausdruck für »soziales Subsystem« anhört, hat aber eine etwas andere Stoßrichtung. Sport ist weniger ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, als gerade die Ausnahme vom Üblichen. Es gehe beim Sport um »die Etablierung von Gegenwelten, abgegrenzt vom restlichen Leben. [...] Die Menschen sind
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mitten im Leben, fühlen sich jedoch dem Alltag enthoben« (Antweiler 2009: 125). Beide Sichten widersprechen sich nicht zwangsläufig, sie bilden vielmehr ein produktives Paradox. Das Fußballspiel ist die Ausnahme vom Alltag, die Regeln sind andere als die sonst im menschlichen Zusammenleben gültigen, und dennoch werden die gleichen Werte, Normen, Konflikte und Machtdifferenzen verhandelt wie überall in der Gesellschaft. Fußball trägt also Gleichlaufendes und Gegenläufiges zur Gesellschaft insgesamt in sich. Das soziale Ereignis der »erlaubten Ausnahme«, die dennoch von ihrer Regel nicht zu trennen, sondern mit ihr unauflöslich verbunden ist, macht die wissenschaftliche Faszination des Sports – wie bei Festen, Spiel oder Ritual als weitere sozial »erlaubte Ausnahmesituationen« – aus (zum Verhältnis von Spiel und Sport siehe auch den Beitrag von Kerstin Nowack in diesem Band). Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass Fußball ein wichtiges Aushandlungsfeld von Gesellschaft, Macht und Politik ist.
K ÖRPERLICHKEIT UND SOZIALE O RDNUNGEN : D ER B EITRAG DES T HEMAS F USSBALL Fragt man im Kontext von Fußball, Macht und Politik nicht nur danach, was am Fußball genau so ist, wie überall in der Gesellschaft (die Frage nach der Gleichläufigkeit mit dem Sozialen), sondern auch nach dem Ausnahmecharakter des Fußballs (also nach der Gegenläufigkeit zum Sozialen), dann wird die scheinbare Bedeutung des Körperlichen gegenüber anderen Bereichen des Sozialen sichtbar. In diesem Zusammenhang ist auf die seit einiger Zeit und zuweilen hitzig geführte Debatte darüber zu verweisen, welche Rolle die »körperlichleibliche Verfasstheit des Handelns für die Generierung sozialer Ordnung« spielt (Böhle & Weihrich 2010: 7). Dabei geht es im Kern um »die These, dass in der Körperlichkeit der Menschen wichtige Mechanismen zur Erzeugung sozialer Ordnungen verankert sind – Mechanismen, die die etablierten Handlungstheorien in ihrem Erklärungsprogrammen immer noch weitgehend ignorieren und so den Eindruck einer eigentümlichen Körperlosigkeit sozialen Handelns transportieren« (Böhle & Weihrich 2010: 8). Die Vertreter_innen dieser Richtung kritisieren die starke Fixierung der Geistes- und Sozialwissenschaften auf das kognitive Element bei der Erzeugung, Stabili-
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sierung und Destabilisierung sozialer Ordnungen. Nach dem linguistic turn der Geistes und Sozialwissenschaften sei die Sprache zum zentralen Referenzpunkt der Sozialtheorie geworden. Der Diskurs als sprachliche Formation sei die zentrale Triebfeder bei der Etablierung symbolischer Normen und Institutionen. Eine soziale Realität jenseits dieser diskursiven Ordnungen werde geleugnet, gerate jedenfalls aber aus dem Blickfeld. Die Materialität menschlicher Ordnungen werde in diesem Zusammenhang zu wenig beachtet. Ein Weg, dem Materiellen der menschlichen Existenz zu seinem Recht zu verhelfen, sei eben die Einbeziehung des Körpers in die sozialtheoretischen Modelle. Diese Debatte ist im vollen Gange und es scheint unumgänglich, sie aus sozialtheoretischer Warte zur Kenntnis zu nehmen. Ob in diesem Zusammenhang gleich von einem »body turn« in den Geistes- und Sozialwissenschaften gesprochen werden muss, ist letztlich eine Frage der Terminologie (vgl. Gugutzer 2006). Ein lohnendes Projekt ist es jedenfalls – mit etwas bescheidenerem Anspruch –, so etwas wie eine »Rehabilitation des Materialen« zuzulassen. Damit ist nämlich keineswegs das Plädoyer verbunden, »die traditionelle Hierarchie von Geist und Körper einfach umzukehren, sondern dafür, das Zusammenspiel von Körper, Leib und Rationalität neu zu denken« (Böhle & Weihrich 2010: 14). Wenn man solche Wege gehen möchte, so ist das Feld Fußball nachgerade ein Schulbeispiel für die Körperlichkeit sozialen Handelns. Pierre Bourdieus Theorie des Habitus etwa, die vielen als Ausgangspunkt für eine Debatte um die Körperlichkeit sozialen Handelns bildet, lässt sich im Bereich des Fußballs an einigen Stellen anwenden (vgl. etwa den Beitrag von Oliver Fürtjes in diesem Band). Das Phänomen Fußball kann dann als Anwendungsfeld dienen, um die Bedeutung der Leiblichkeit für soziales Handeln zu untersuchen. Ein solcher Ansatz ginge freilich darüber hinaus, von Fußball als einem sozialen Subsystem zu sprechen. Vielmehr läge in einer solchen Untersuchung ein echter Beitrag zur Sozialtheorie insgesamt. Welches Potential das Thema Fußball generell für die Sozialwissenschaften hat, ist auch schon an anderer Stelle eindrucksvoll hervorgehoben worden (vgl. Klein 2008). Der Ansatz dieses Bandes ist freilich bescheidener. Den Herausgeber_innen ging es zunächst darum, Beiträge zu versammeln, die auf Mythen rund um das Phänomen Fußball Blicke werfen, die nicht alltäglich sind. Dabei sollten mit der Altamerikanistik, der Kulturanthropologie, Be-
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triebswirtschaftslehre oder der Kommunikationswissenschaft auch Disziplinen zu Wort kommen, die – anders als die Sportsoziologie – sonst nicht als »Fußballexperten« gelten.
W ARUM INTERDISZIPLINÄR ? F USSBALL DER S PORT S TUDIES
ALS
T HEMA
Eine interdisziplinäre Zusammensetzung der Beiträge, wie sie für diesen Band gewählt wurde, geht über die theorieorientierten Sozialwissenschaften im engeren Sinne hinaus. Dabei ging es auch um eine Art Experiment, in unvoreingenommener Weise an einige spezifische Themen heranzugehen. Über disziplinäre Grenzen hinauszugehen, birgt dabei die Chance auf unerwartete Einsichten. Die Sozialtheoretikerin Susan Buck-Morss schreibt hierzu: »Disziplinäre Grenzen befördern eine Haltung, in der Gegenbeweise immer zur Geschichte jemandes anderen gehören. Ein Wissenschaftler kann schließlich nicht in allen Bereichen ein Experte sein, das ist selbstverständlich. Doch solche Argumente sind ein Weg, die unangenehme Wahrheit zu verdrängen, daß bestimmte Tatsachenkonstellationen, sobald sie sich einmal im Bewusstsein der Forscher festgesetzt haben, nicht nur altehrwürdige Narrative, sondern auch die tief verwurzelten akademischen Disziplinen in Frage stellen können, die sie (re)produzieren.« (Buck-Morss 2011: 42)
Es besteht vor diesem Hintergrund die Neigung, Forschungszusammenhänge über etablierte Fachgrenzen hinweg um einen bestimmten Forschungsgegenstand herum zu bilden. Davon ist auch der Forschungsgegenstand Sport nicht unberührt geblieben. Der Begriff Sport Studies ist dabei auch im deutschsprachigen Sprachraum angekommen, wie der Einführungsband von Marschik und anderen in eindrucksvoller Weise zeigt (Marschik et al. 2009). Ziel des Bandes ist es, über die Sportwissenschaft als etablierte Disziplin hinauszugehen und eine sozial- und kulturwissenschaftliche Analyse des Sports auch im deutschsprachigen Raum etablieren. Sport ist dabei der Gegenstand einer kritischen Analyse, in der auch und gerade die Verstrickungen des Sports im sozialen Ordnungsgefüge ins Blickfeld geraten. Macht und Politik mit ihren Wechselwirkungen zum Sport nehmen dabei in
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den Sport Studies breiten Raum ein. »Im Mittelpunkt stehen dabei die Wechselwirkungen zwischen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und sportlichen Prozessen« (Marschik et al. 2009: 15). Gerade um einen solchen Ansatz geht es auch dem vorliegenden Band.
K RITISCHE B LICKE UM DEN F USSBALL
AUF
M YTHEN
RUND
Der vorliegende Band basiert auf einer Tagung, welche die Rosa- Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Abteilung für Altamerikanistik des Instituts für Archäologie und Kulturanthropologie an der Universität Bonn im Oktober 2012 durchgeführt hat. Den Veranstalter_innen ging es darum, Fachvertreter_innen zu versammeln, die über Fußball in ganz unterschiedlichen Disziplinen arbeiten. Nicht selten – das wurde auf der Tagung deutlich – ist Fußball in ihren Disziplinen kein Mainstream. Denn trotz der überragenden Präsenz des Fußballs im Alltag der Menschen nicht nur in Europa ist die wissenschaftliche Betrachtung des Themas noch weit davon entfernt, ganz oben auf der Tagesordnung zu stehen. Die Veranstalter_innen haben dabei vermieden, den roten Faden von vornherein auszurollen. Ziel war es, einmal einen Blick auf Narrative oder Mythen zu werfen, die mit Fußball verbunden werden. Nur die Einklammerung aller Beiträge durch die beiden altamerikanistischen bzw. historischethnografischen Betrachtungen von Kerstin Nowack und Nikolai Grube skizziert einen Rahmen. Darin spiegelt sich gerade durch die räumliche und zeitliche Entfernung zum Thema eine anthropologische Grundfigur der Mythenbildung in Gesellschaften wider, die sich im Bezug auf das Thema Fußball erst durch die Verschränkung der Perspektiven erschließt. Dabei ist der Begriff des Mythos hier nicht nur als märchenhafte Erzählung zu verstehen, sondern auch als »eine Weise des Bedeutens, eine Form« (Barthes 1964: 85), die gesellschaftspolitische Konsequenzen hat. Nähert man sich diesen Narrativen, etwa »Korruption«, »Integration« oder »Proletariersport«, in ungewohnter Weise, kommen auch neue, oft unerwartete Perspektiven zustande. Es wird sehr unterschiedlichen und neuartigen Fragen nachgegangen, wie etwa, warum die Inka keinen Fußball gespielt haben, wie sich börsennotierte Fußballvereine am Kapitalmarkt be-
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währen, oder ob und wie sich angebliche Geschlechtsunterschiede im Fußball spiegeln. Alle in diesem Band versammelten Studien sind empirisch, jedoch immer auf andere Weise. Es wurde ethnografisch, journalistisch, mit Computersimulationen und durch die Auswertung historischer oder zeitgenössischer Quellen gearbeitet, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Vorgegeben war und ist letztlich nur das (Spiel-)Feld: Fußball. Daher ist der Band eine Sammlung von Statements zu bestimmten Fußballphänomenen, oder besser Fußballmythen.
M YTHOS : K EIN F USSBALL
BEI DEN I NKA ?
Die Altamerikanistin und Ethnohistorikerin Kerstin Nowack geht in ihrem Beitrag von der Frage aus, warum die Inka keinen Fußball gespielt haben und widmet sich denjenigen sportlichen Aktivitäten, die sich aus den Quellen zum Inka-Alltag nachweisen lassen. Dabei betont sie die Verknüpfung inkaischer Sportereignisse mit rituellen Handlungen. Sie stellt heraus, dass diejenigen Sportarten, über welche die Quellen berichten, oft zentrale soziale Bedeutung in der Inka-Gesellschaft gehabt haben dürften, »und wenn es auch Spiele waren, so wurden sie ernsthaft betreiben, mit großem Einsatz und offenem Ausgang«. Die von Nowack beschriebenen Sportereignisse hatten wohl sehr wichtige identitätsstiftende Funktion für die Gesellschaft, wobei sie herausstellt, dass das »Wechselspiel zwischen Zuschauern und Teilnehmern« ein »wesentlicher Bestandteil sportlicher Ereignisse« gewesen sein dürfte. Außerdem spürt die Autorin in den Quellen versteckten Hinweisen auf Sportspiele nach, die vielleicht weniger rituell aufgeladen waren, etwa das geheimnisvolle »papa auqui«, das ein Wurf-Ballspiel gewesen sein könnte. Nowack resümiert: »Die Frage, warum die Inka keinen Fußball spielten, eröffnet damit den Blick auf einen bisher wenig beachteten Bereich andiner Kultur und Lebensrealität.« Mythos: Proletariersport Dass Fußball ursprünglich ein Sport unterer Gesellschaftsschichten war, gilt als fußballhistorisches Allgemeingut. Ebenso laut sind die Stimmen, die beklagen, dass diese soziale Zuordnung ins Wanken geraten sei, es sei eine
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Verbürgerlichung des Fußballs eingetreten, die nicht selten mit einer zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs seit den 1990er Jahren in Zusammenhang gebracht wird. Mit diesem vermeintlichen Allgemeingut setzt sich der Sportsoziologe Oliver Fürtjes kritisch auseinander. Er zeigt anschaulich, dass Debatten um die Verbürgerlichung des Fußballs schon wesentlich älter sind. Anhand empirischer Daten sucht Fürtjes nachzuweisen, dass Fußball bereits in den 1920er und 1930er Jahren ein »schichtübergreifendes Massenphänomen« war und dies auch bis heute geblieben ist. Mindestens ebenso alt ist der »Mythos vom Proletariersport«, der bereits sehr früh durch Professionalisierung und Kommerzialisierung als bedroht dargestellt wird. Mythos: Integrationswunder Dem Mythos »Integration durch Fußball« geht die Ethnologin Juliane Müller in ihrem Beitrag nach. Anhand mehrerer Feldstudien in Fußballvereinen lateinamerikanischer Migrant_innen in Spanien hat sie untersucht, welche Mechanismen zur Bildung eines riesigen lateinamerikanischen Netzwerks von Fußballmannschaften in Spanien beigetragen haben. Das Engagement in einem Fußballverein ist für die lateinamerikanischen Migrant_innen laut Müller ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Bildung sozialer und ökonomischer Netzwerke. Ihren Schwerpunkt legt die Autorin dabei auf die Frage, welche Rolle Migrant_innenfußball im Rahmen von Integrationsdiskursen spielt – auch und gerade vor dem Hintergrund, dass die integrationsfördernde Eigenschaft des Sports immer wieder in politischen Statements der Akteure hervorgehoben wird. Dabei entwirft Müller ein kritisches Bild der Diskurse um das Schlagwort »Integration«. Sie meint, »dass der Diskurs um ›Integration-durchFußball‹ so vage und ambivalent ist, dass verschiedene Akteure mit dem lapidaren Hinweis auf dieses Ziel ihre eigenen Wünsche und Ziele verfolgen können.« Mythos: Männersache Fußball als Männersport zu betrachten, wird im Grunde schon bei einem kurzen Blick auf den allgemeinen Sprachgebrauch deutlich. Wenn von Fußball die Rede ist, ist immer Männerfußball gemeint. Spielen Frauen das
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Spiel, muss ein »Frauen-« der Erklärung halber davor gesetzt werden. So gibt die »Fußball-Weltmeisterschaft« und die »Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft«. Diese geschlechtlichen Zuschreibungen spiegeln sich auch in der Medienberichterstattung wider. Die Kommunikationswissenschaftlerin Simone Schöndorfer stellt dabei heraus, wie dort Körper, maskuline Kraft, Performanz und Technik traditionellen Bildern von Weiblichkeit – geprägt von Passivität, Abhängigkeit, sexueller Unterwürfigkeit und physischer Schwäche – einander gegenübergestellt werden. Klassische Sportberichterstattung unterstütze dies, »indem Sportlerinnen entweder kaum thematisiert werden oder indem sie als sexuelle Objekte dargestellt sowie ihre Leistungen banalisiert werden«. Die mediale Sportberichterstattung sei damit gleichsam eine »Demonstration sexueller Unterschiede und geschlechterbezogener Machtverhältnisse«. In ihrer empirisch inhaltsanalytischen Studie untersucht Schöndorfer Zeitungsartikel aus »BILD« und »tageszeitung«, die während der FrauenFußball-Weltmeisterschaft in Deutschland 2011 veröffentlicht wurden. Dabei untersucht sie formale Merkmale, verbale und visuelle Inhalte, sprachliche und stilistische Charakteristika sowie die Thematisierung sportlicher Werte und kommt zu dem Ergebnis, dass während der großen Aufmerksamkeit in Bezug auf Frauen-Fußball während der Weltmeisterschaft die mediale Berichterstattung wesentlich weniger stark geschlechtlich abwertet als »üblich«. Somit kann Schöndorfer feststellen: »Wenngleich das Fortschreiten der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern im medialen Fußball viel eher im Evolutions-, denn im Revolutionstempo geschieht, so zeigen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung doch, dass positive Veränderungen im Sinne einer fortschreitenden Emanzipation sehr wohl bemerkbar sind und dass ein sich wandelndes Bewusstsein existiert«. Mythos: Fan Fragen vom Verhältnis des Frauen- und des Männerfußballs widmet sich auch der Kulturanthropologe Philipp Dezort. Auch er stellt fest, dass die Förderung des Männer- mit der Unterdrückung des Frauenfußballs historisch Hand in Hand ging und sich beide heute auf höchst unterschiedlichen Niveaus der Professionalisierung befinden. Davon ausgehend untersucht Dezort in einer qualitativen Feldforschung bei einem Männer- und einem
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Frauen-Fußball-Fanclub differierende Fankulturen. Neben einer Vielzahl von Gemeinsamkeiten bei der Unterstützung »ihrer« Fußballvereine geht Dezort auch auf unterschiedlich fankulturelle Ausprägungen ein, die er an den Spannungslinien Masse vs. wenige, Ferne vs. Nähe ͒und Tabubrüche vs. Grenzziehung illustriert. Männerfußball-Fankulturen werden in der kulturanthropologischen Literatur mit den Stichworten »Ritual«, »Karnevaleske« oder »Fest« analytisch angegangen. Diese Elemente werden bei Frauenfußball-Fankulturen nicht ebenso deutlich sichtbar. Ein mit Frauenfußball assoziiertes Fehlen der »Wucht des sinnlichen Eindrucks« schreibt Dezort einem niedrigeren Organisationsgrad aufgrund historischer Diskriminierungen und anhaltender geschlechterbezogener Abwertungen zu. Mythos: Korruption Der Journalist und Sportredakteur der »tageszeitung« Andreas Rüttenauer geht in seinem Beitrag auf die politisch-wirtschaftlichen Verwicklungen des deutschen Profifußballs ein. Der Autor kandidierte im Rahmen eines journalistischen Selbstversuchs bei der letzten Wahl als Präsident des Deutschen Fußballbundes, um während dieser Kampagne Korruption und Vetternwirtschaft im Fußball zu thematisieren. Der Autor stellt heraus, wie sich Fußball als ein Geschäft darstellt, dessen wirtschaftlicher und politischer Einfluss äußerst weitreichend ist. Politische und gesellschaftliche Akteure können sich den damit verbundenen Verlockungen kaum entziehen. Welche Verflechtungen und Machtansprüche mit Fußball als politischem und ökonomischem Phänomen verbunden sind, illustriert der Autor am Beispiel des Baus des Dortmunder Fußballmuseums: eine recherchierte Polemik. Mythos: Kapitalmarktakteure Fußballvereine sind selbstverständlich keine dem Wirtschaftsleben entzogenen Freizeitvereinigungen. Gerade große und erfolgreiche Profivereine sind bereits seit längerem in der gesellschaftsrechtlichen Form der Aktiengesellschaft organisiert. Als solche agieren sie auch auf dem Kapitalmarkt. Dabei stellt die Betriebswirtschaftlerin Kerstin Lopatta heraus, dass »Gewinne, die für Investoren am Kapitalmarkt eine ausschlaggebende Größe
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darstellen, keine große Rolle bei der Bewertung« dieser Aktien zu spielen scheinen bzw. »in den Kaufpreis nur geringfügig« eingehen. Mit anderen Worten, die wirtschaftliche Solidität der Fußballvereine steht beim Handel mit Fußballaktien nicht – wie man erwarten könnte – im Vordergrund. Dieser Besonderheit geht die Autorin in ihrer empirischen Kapitalmarktstudie nach. Sie sucht dabei zu belegen, dass die Bewertung der Fußballaktien tatsächlich wesentlich durch die Ergebnisse der Spiele beeinflusst wird. Nach Lopatta ist der Kauf von Fußballaktien dennoch attraktiv. Gründe dafür sind das geringe systematische Risiko und die im Vergleich zu anderen Industrien niedrigen impliziten Eigenkapitalkosten. Mythos: Maya-Ballspiel! Der Altamerikanist Nikolai Grube wendet ich in seinem Beitrag der theatral-rituellen Seite des Ballsports zu. Wesentliche These seiner Ausführungen zum Ballspiel in der Klassischen Maya Zeit ist, dass das Spiel eng in die politische Legitimation der Maya-Könige eingebunden war. Das Ballspiel als Ritual bezeichnet Grube mithin als »Drama um Tod und Auferstehung«, in dem ein wichtiger Teil des Maya-Schöpfungsmythos in einer Mischung als agonaler und theatraler Inszenierung »nachgespielt« wurde. Dabei wurden die Maya-Heldenzwillinge, die anlässlich eines Ballspieles die menschliche Schöpfung in Auseinandersetzung mit den Herren der Unterwelt ermöglicht hatten, im wieder stattfindenden Ballspiel mit den aktuell herrschenden Königen identifiziert. Diese Könige nutzten eine solche Identifizierung für die religiös-ideologische Festigung ihres Herrschaftsanspruches. Eine solche religiös-politische Deutung des Ballspiels beleuchtet dabei Aspekte, die bei der Betrachtung heutiger Sportereignisse eher unter der Oberfläche aufscheinen können. Nichtsdestoweniger können ähnliche solcherart Ansätze auch einer ritualtheoretischen Deutung des heutigen Fußballs Anstöße geben.
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B IBLIOGRAPHIE Antweiler, C. 2009 Heimat Mensch: Was UNS ALLE verbindet. Hamburg: Murmann. Barthes, R. 1964 Mythen des Alltags. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Böhle F. & M. Weihrich 2010. Die Körperlichkeit sozialen Handelns. Soziale Ordnung jenseits von Normen und Institutionen. Bielefeld: transcript. Buck-Morss, S. 2011. Hegel und Haiti. Für eine neue Universalgeschichte. Berlin: Suhrkamp. Gugutzer R. 2006. Body turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports. Bielefeld: transcript. Klein, G. 2008. Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs. Bielefeld: transcript. Marschik, M. et al 2009. Sport Studies. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung. Wien: Facultas. Weiß, O. 1999. Einführung in die Sportsoziologie. Wien: WUV-Univ.-Verl.
Keine Nebensache: Sport in vormodernen Kulturen am Beispiel der Inka K ERSTIN N OWACK
Wieso spielten die Inka keinen Fußball? Auf dieses Thema kam ich, als ich im Sommer 2010 kurzfristig für eine Vorlesung einspringen sollte und die Weltmeisterschaft im Männerfußball allgegenwärtig in Medien und Unterhaltungen war. Aus der Frage nach dem Fußball entwickelte sich die Frage nach sportliche Aktivitäten in den Anden allgemein und daraus das Thema dieses Artikels. Das Fehlen von Fußball bei den Inka erklärt sich dabei von selbst, wenn man an Fußball in seinem modernen Form denkt, so wie er sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat. Es ist ein organisierter Breiten- und kommerzialisierter Unterhaltungssport, der moderne industrialisierte städtische Gesellschaften weltweit verbindet (vgl. Archetti 1998: 91 f.). Solche Gesellschaften lassen sich nicht mit dem Inkareich in den Anden vergleichen. Das Inkareich erstreckte sich Anfang des 16. Jahrhunderts über ein Gebiet vom Südzipfel des heutigen Kolumbien über Ekuador, Peru und Bolivien bis nach Chile und Argentinien. Es ist das größte staatliche Gebilde, das es vor der Ankunft der Europäer in Amerika gegeben hat. In seinem Kern umfasste es eine Region, in der es seit etwa 3000 v.u.Z. komplexe sesshafte Gesellschaften gab. Sie zeichneten sich durch Elitenbildung und Arbeitsteilung aus, verfügten über zentrale Siedlungen mit Monumentalbauten und dokumentierten ihre religiösen Vorstellungen in detaillierten Ikonographien auf Stoff, Ton, Stein oder auch Metall. In den folgenden Jahrtausenden entstanden im zentralen Andengebiet eine Vielzahl regiona-
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ler und überregionaler Kulturen, bis im 15. Jahrhundert die Inka das Gebiet nach einer Zeit starker Aufsplitterung politisch einigten. Die Inka selbst stammten aus der Stadt Cuzco im Süden Perus. Sie bauten ihr Reich durch geschickte Bündnispolitik und militärische Aktionen innerhalb von drei Generationen auf und entwickelten dazu eine Infrastruktur mit Straßensystem, Postläufern, Raststätten, Provinzzentren und Speicheranlagen. Die lokale Bevölkerung wurde in demographischen Statistiken erfasst und leistete ihre Steuern durch Arbeitsdienste für den Staat. Die Inka versuchten, durch reichsweite religiöse Praktiken ihre Untertanen an sich zu binden und ihre Macht durch einen einheitlichen Stil bei Architektur, Textilien und Keramik darzustellen. Gleichzeitig verstärkten sie die vorgefundene kulturelle Diversität, beispielsweise durch Umsiedlungen. Über diese wesentlichen Aspekte der Inka-Herrschaft informieren spanische Berichte, kolonialzeitliche Dokumente und archäologische Hinterlassenschaften. Weit weniger erfährt man zunächst über die Alltagswelt der Menschen in den Anden, und was so gut wie nie erwähnt wird, ist die Ausübung von Sport. An diesem Punkt stellt sich die Frage, was versteht man unter Sport? Hierbei greife ich zunächst auf die Definition des Spiels nach Johan Huizinga zurück. Er beschreibt Spiel als ein besonderes Tun, an einem speziellen Ort, mit speziell bestimmten Personen. Spiel hat einen offenen Ausgang und (häufig) einen Wettbewerbscharakter (Huizinga 1987: 37). Sport ist immer auch Spiel, wie man dem Sportethnologen Kendall Blanchard folgend sagen könnte, aber nicht alle Spiele sind Sport. Sport definiert sich nach Blanchard als a physically exertive activity that is aggressively competitive within constraints imposed by definitions and rules. A compound of culture, it is ritually patterned, gamelike and of varying amounts of play, work, and leisure (1995: 59).
Sportausübung ist eng mit anderen kulturellen Aktivitäten verflochten, hat religiöse, gesellschaftliche, politische Auswirkungen, genauso wie Religion, Gesellschaft und Politik in den Sport hineinwirken.
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So definiert sind verschiedene Formen sportlicher Aktivitäten im indigenen Amerika nachweisbar. Das erste Beispiel für einen weitverbreiteten Sport ist ein Ballspiel mit Stöcken, genannt Lacrosse, das in großen Teilen des östlichen Nordamerika verbreitet war. Die Stöcke hatten an einem Ende ein Netz oder eine netzartige Tasche, mit der der Ball aufgenommen und zum Tor der gegnerischen Mannschaft getragen oder geworfen wurde. Erste Beschreibungen von Lacrosse stammen aus dem 17. Jahrhundert, aber die weite Verbreitung und die Existenz von mindestens drei regionalen Varianten dieses Sports lassen es möglich erscheinen, dass Lacrosse noch älter ist.1 Das Spiel hatte Eingang in mündliche Überlieferungen und Mythologie gefunden und wurde von komplexen Ritualen begleitet, wie James Mooney am Beispiel der Cherokee Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt hat (Mooney 1890). Das zweite bekannte Ballspiel kann in Mexiko und südlich angrenzenden Staaten seit etwa 1500 v.u.Z. nachgewiesen werden. Es zeichnet sich dadurch aus, dass für dieses Spiel eigene Bauwerke, die meist I-förmigen Ballspielplätze, angelegt wurden (Colas/Voß 2000: 189-191, Taladoire 2001: 102, 114). Fast jeder wichtigere Fundort in Mittelamerika verfügt über einen oder mehrere dieser Plätze, die in verschiedenen Varianten auftraten (Taladoire 2001: 98, 103-112). Weiter gibt es zahlreiche Objekte, die mit dem Spiel in Verbindung gebracht werden, wie Darstellungen von Spielern als Tonfiguren oder auf Reliefs (Day 2001: 66, 76; Taladoire 2001: 102). Gespielt wurde offenbar meist in kleinen Mannschaften mit einem Gummiball, den man in der Luft zu halten versuchte, indem man ihn vom Körper und den geraden oder schrägen Wänden des Ballspielplatzes abprallen ließ (Day 2001: 66, 76; Taladoire 2001: 102). Angesichts der weiten Verbreitung und des Alters dieses Sports verwundert es nicht, dass sich im Lauf der Zeit verschiedene Varianten entwickelten. Zur Zeit der europäischen Eroberung hatte sich das Spiel bei den Azteken zu einem fast professionellen Sport entwickelt (Day 2001: 76, 77).
1
Blanchard hält es für möglich, dass Lacrosse von europäischen Stockballspielen beeinflusst wurde (1995: 117-119); eine Ansicht, die Vennum offenbar nicht teilt, da er es durchgehend als Form indigener Sportausübung beschreibt (1996).
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Eine dritte Variante von Sport in voreuropäischen Kulturen Amerikas sind (rituelle) Wettläufe, wie man sie bei den Gê-sprachigen Ethnien OstBrasiliens und bei den Raramuri (oder Tarahumara) des mexikanischen Bundesstaats Chihuahua findet. Die Gê übten als Bestandteil von Ritualen, besonders im Zusammenhang mit der Initiation, Wettläufe aus, bei denen auf vom Unterholz befreiten Rennstrecken Läufer schwere Baumklötze vom Umland in die Dörfer trugen. Die Läufer wechselten sich dabei wie bei einem Stafettenlauf ab. Die Rennen fanden in bestimmten Jahreszeiten fast täglich statt (Stähle 1969: 60-70).2 Die Einzelheiten sind komplex, aber es scheint so, als dienten die Wettläufe, die zwischen zwei Mannschaften ausgetragen wurden, soziale Untergliederungen wie Dorfhälften und Altersklassen darzustellen und vielleicht auch zu konstituieren (Stähle 1969: 170-210). Ähnliche Funktionen haben die Wettläufe der Raramuri in Nordmexiko. Auch hier wird bei den Rennen weniger die Schnelligkeit als die Ausdauer getestet. Die Raramuri laufen viele Runden auf abgesteckten Kursen, bis das Rennen entschieden war. Dabei geht es überdies um Geschicklichkeit – die Männer treiben einen kleinen Holzball vor sich her, Frauen werfen einen Ring in die Luft, der mit einem Stab aufgefangen wird (Kummels 2001: 79 f., Blanchard 1995: 134-136). Nach einer Interpretation von Ingrid Kummels haben diese Rennen unter anderem die Funktion, soziale Identitäten zu konstruieren und darzustellen (Kummels 2001: 19). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es Gesellschaften auf dem amerikanischen Kontinent gab (und gibt), bei denen Sport keine Nebensache war (ist), sondern vielmehr im Mittelpunkt kultureller Aktivitäten stand. So wurde es von außenstehenden, meist europäischen Beobachtern vom 16. bis 20. Jahrhundert beschrieben, und so belegen es zumindest in Mittelamerika auch die archäologischen Überreste. Doch wie war dies in den Anden? Die Archäologie hat für die meisten Kulturen vor den Inka keine sportlichen Aktivitäten nachweisen können. Sportanlagen sind meines Wissens nicht gefunden worden, was aber auch kaum zu erwarten war, da Lacrosse in Nordamerika oder die Rennen in Nordmexiko und Brasilien
2
Die Angaben zu diesen Wettläufen stammen aus der Zeit vor 1969, als das Thema von Vera Stähle in ihrer Dissertation behandelt wurde. Über die heutigen Praktiken kann ich daher nichts sagen.
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auch keine dauerhaften Bauten benötigten und hinterließen. 3 Objekte, die eindeutig Sport zuzuordnen sind, können in den Anden offenbar ebenfalls nicht identifiziert werden. Bleiben bildliche Darstellungen, beispielsweise auf Gefäßen der Moche-Kultur an der Nordküste Perus. Die Moche-Kultur datiert etwa von Beginn unserer Zeitrechnung bis 600 u.Z. und ist berühmt für ihre plastisch geformten und bemalten Keramiken, die in realistischen Darstellungen Natur, Menschenwelt und das Übernatürliche zeigen. Szenen mit Läufern in Wüstenlandschaften und von Jagden werden als Wiedergabe von rituellen Praktiken angesehen, die ihrerseits wiederum vielleicht mythische Erzählungen nachstellen (Hocquenghem 1987: 100-108). Wieweit diese Praktiken auch als Sport oder Unterhaltung dienten, lässt sich anhand der bildlichen Darstellungen nicht belegen, es ist aber vorstellbar.
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Schriftliche Quellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert geben einen zweiten Zugang zum Sport in den voreuropäischen Anden. Sportliche Aktivitäten werden als Bestandteile von Ritualen beschrieben, wobei sie offenbar den Charakter echter Wettbewerbe annahmen. Drei Arten von Sport werden erwähnt: Wettläufe, Geschicklichkeits- und Zielwettbewerbe mit Waffen sowie Scheinkämpfe. Die vielleicht bekannteste dieser Praktiken sind die Wettläufe bei den Initiationsriten für junge Männer und Frauen des InkaAdels in Cuzco. Capac Raymi, wie dieses Fest genannt wurde, bestand aus einem mehrwöchigen Zyklus von Ritualen zur Sommersonnenwende im Dezember. Dazu gehörten Perioden des Fastens, der Besuch wichtiger Orte um Cuzco, die in den Mythen über die Einwanderung der Inka-Vorfahren eine Rolle spielten, Tänze, Gesänge, Opferungen, rituelle Reinigungen und das Anlegen bestimmter Kleidung. Die jungen Initianten wurden mehrmals von ihren Verwandten ermahnt, sich als Krieger auszuzeichnen und dabei auf
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Für die Kultur der Nazca an der Südküste Perus schlug Georg von Breunig vor, dass die bekannten Bodenzeichnungen der Nazca-Kultur als Bahnen für rituelle Läufe gedient haben könnten (Aveni 2000: 156-158). Dieser Vorschlag muss jedoch eher als Kuriosität betrachtet werden.
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Beine und Arme geschlagen. Zum Abschluss des Rituals folgte das Durchbohren der Ohren, um die goldenen Ohrpflöcke anzulegen, die das Abzeichen der Inka-Adligen waren. Bei allen Aktivitäten standen die jungen Männer im Mittelpunkt, begleitet und unterstützt von jenen jungen Frauen, die seit dem letzten Capac Raymi ihre erste Menstruation gehabt hatten.4 Das Ritual begann nach einigen Tagen der Vorbereitung am 10. Tag nach Neumond mit dem Besuch des Bergs Guanacauri, einer der wichtigsten Huaca (heiligen Wesen und Orte) der Inka. Auf dem Berg befand sich ein Fels, der mit dem Berg identifiziert wurde, und als einer der mythischen Vorfahren der Inka galt, der sich kurz vor dem Erreichen Cuzcos in den Felsen verwandelt hatte.5 Am 14. Tag zogen die Festteilnehmer nach Rauraua weiter, einem unbewohnten Platz südlich Cuzcos, und übernachtete dort in Zelten. 6 Das Rennen fand am folgenden Tag statt.7 Ausgangspunkt war der Berg Anaguarque, zu dem Läufer und Zuschauer für den Start aufstiegen. Nach der lokalen Mythologie war dieser Berg bei einer großen Flut in der Vergangenheit so schnell wie gerannt wie ein Falke fliegt, um dem Wasser zu entkommen. Zur Erinnerung an dieses Ereignis hielt man von dort das Rennen ab (Molina [1574-75] 1989: 104 f.).8
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Zwei wesentliche Darstellungen des Rituals stammen von Juan de Betanzos, der mit einer Frau des Inka-Adels verheiratet war ([1551-57] 2004: Buch 1, Kap. 14, 102-108), und Cristóbal de Molina, der in Cuzco die Inka als Priester betreute ([1574.75] 1989: 98-110).
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Der Vorfahre der Inka, Ayar Uchu, hatte sich mit diesem Fels, einem lokalen heiligen Objekt/Wesen vereint. Der Autor Pedro Sarmiento de Gamboa schildert dies, als wäre Ayar Uchu sozusagen von dem Felsen eingefangen worden ([1572] 1906: Kap. 12, 37). Die Mythe erzählt also davon, wie lokale Huaca in den Kult der Inka integriert wurden.
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Das Ziel des Laufs, der Hügel Rauraua, war der Ort, wo man bei Annäherung aus dem Süden, also von dort, woher die Vorfahren der Inka gekommen waren, Cuzco zuerst sah (Betanzos [1551-57] 2004: Buch 1, Kap. 14, 105). Rauraua war, wie Guanacauri und Anaguarque, einer von etwa 350 heiligen Orten (Huaca), die die Inka in Cuzco und Umgebung verehrten.
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Das müssste der Tag des Vollmonds gewesen sein, wenn der Monatsanfang mit dem Neumond zusammenfiel (siehe Molina [1574-75] 1989: 66).
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Anaguarque war ursprünglich die Huaca zweier Dörfer bei Cuzco, Choco und Cachona. Vermutlich glaubten die Bewohner, ihre Vorfahren seien bei der Flut
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Wenn die Beteiligten den Ausgangspunkt des Rennens erreicht hatten, fand ein Tanz statt, und danach führten zuerst die jungen Frauen ihren Wettlauf aus, der sie zurück nach Rauraua brachte (Molina [1574-75] 1989: 105 f.). Leider fehlt es an weiteren Einzelheiten zu diesem Rennen. Der Wettbewerb der jungen Männer wird genauer beschrieben: Sie stellten sich in einer Reihe auf, jeder begleitet von einem Helfer, der als »Fahnenträger« bezeichnet wird (»avanderados«) und eine Art Hellebarde hielt, die der junge Inka-Adlige bei diesem Ritual mitführte.9 Die Verwandten, die die Teilnehmer begleitet hatten, reihten sich am Rand der Rennstrecke auf, um die Laufenden anzufeuern, wenn sie den Mut verloren. Zum Start stellte sich ein Mann in Festkleidung vor die Reihe der Wettläufer und gab mit einem lauten Ruf das Signal zum Beginn. So schnell sie konnten liefen die Teilnehmer den Berg Richtung Rauraua herunter, dabei halfen die Zuschauer jenen, die stürzten oder nicht mehr konnten. Das Rennen soll nicht ungefährlich gewesen sein, und es heißt, manche brachen sich die Beine, andere stürzten sogar zu Tode. Zwischen den Ausgangs- und Endpunkten des Rennens liegen knapp zwei Kilometer Luftlinie und 200 Höhenmeter (Bauer 1998: 120-124)10. Am Ziel wurden die Läufer von den jungen Frauen erwartet, die ihnen Maisbier reichten; dann folgten Tänze und erneute Ermahnungen der Verwandten, ein ordentliches Leben zu führen, wieder begleitet von rituellen Schlägen (Molina [1574-75] 1989: 104 f.). Der Sieger, so heißt es bei einem weiteren Autor, erhielt als besondere Auszeichnung den Namen »Guaman« (Falke), offenbar zur Erinnerung an die Mythe, die über den Anlass für dieses Rennen erzählt wurde (Betanzos [1551-
auf den Berg geflüchtet und von diesem gerettet worden. Dies ergibt sich aus der Analogie mit anderen Mythen wie beispielsweise der Cañari (einer Ethnie im südliche Hochland Ekuadors), die Molina ebenfalls wiedergibt (S. 55, 56). 9
Die Hellebarde hieß yauri und bestand aus einem Stab, in den ein (halbrundes) Messer eingesetzt war (Molina [1574-75] 1989: 103). Betanzos berichtet, die jungen Männern führten Lauf mit dem yauri in der Hand durch ([1551-57] 2004: Buch 1, Kap. 14, 105). Das Mitführen der Hellebarde yauri bezog auf die Ursprungsmythe von der Einwanderung der Inka, die ein solches Objekt bei sich trugen, einer von vielen Verweisen auf die inkaische Überlieferung, die in dem Capac-Raymi-Ritual aufgegriffen wurden.
10 Siehe besonders auch Karte 8.2.
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57] 2004: Buch 1, Kap. 14, 105.).11 Die Angabe, in Rauraua wurden jene Initianten bestraft, die schlecht gelaufen waren, ist dagegen vermutlich eine Fehlinterpretation der rituellen Schläge, die die jungen Männer erhielten (Cobo [1653] 1981: Buch 13, Kap. 16, 240). Das Wettrennen der jungen Inka-Adligen war mythologisch begründet und fester Bestandteil des wichtigsten Festes in Cuzco. Es wurde ernsthaft ausgeübt und offenbar auch als sportliches Ereignis angesehen. Dazu passt, dass zumindest eine Quelle berichtet, die Teilnehmer hätten vier Monate vor dem Fest trainiert (Relación de las muchas cosas acaescidas en el Perú [1552] 1968: 7 f.). Wettläufe als Bestandteile von Festen kamen auch in anderen Teilen des Inkareichs vor. Ein Priester, der um 1620 heidnische Gebräuche im Erzbistum Lima untersuchte, berichtete von einem Fest zur Reife der Avocados im Dezember. Bei dieser Gelegenheit versammelten sich Männer und Jünglinge auf einem kleinen Platz inmitten der Gärten und unternahmen von dort aus nackt ein Wettlauf über eine größere Strecke zu einem Berg. Wie genau das Rennen ablief, bleibt offen. Das Fest dauerte sechs Tage, wovon fünf offenbar der Vorbereitung durch Fasten und nächtliches Wachbleiben dienten (Arriaga [1621] 1968: Kap. 6, 217).12 Das Ziel des Rennens, ein Berg, war vermutlich wiederum eine Huaca, die man mit dem Gedeihen der Avocados in Verbindung brachte. Dies könnte eine weibliche Gottheit gewesen sein, denn man weiß aus einer anderen Quelle, dass es einer Göttin, Chaupi Ñamca, gefiel, wenn bei Festen die männlichen Gläubigen nur mit einem Lendentuch bekleidet für sie tanzten (Huarochirí-Ms. [1608] 1991: Kap. 10, 78). Chaupi Ñamca kennt man aus dem so genannten Huarochirí-Manuskript, einer anonymen Darstellung von Mythen und Ritualen aus der gleichen Region, in der sich offenbar auch das Avocado-Fest abspielte. Zu Chaupi Ñamcas Ehren fand ebenfalls ein Wettrennen statt, über das man in dieser Quelle aber nur wenig erfährt
11 Tatsächlich wurde der Name »Guaman« von Inka-Adligen gemieden, wie Dokumente aus Kolonialzeit zeigen. 12 Die Beschreibung stammt von Dr. Alonso Osorio, der wie andere Priester heidnische Vorstellungen und Praktiken im Erzbistum Lima aufdeckte (Kap. 1, 200). Von November 1620 bis Januar 1621 war Osorio in der Region von Huarochirí östlich von Lima unterwegs. Arriaga zitiert aus einem Brief Osorios über diesen Aufenthalt (Kap. 18, 259), und es liegt nahe zu vermuten, dass die Angaben zum Avocadofest ebenfalls aus diesem Brief stammen.
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(Huarochirí-Ms. [1608] 1991: Kap. 10, 77)13. Detaillierter wird das Rennen für ihr männliches Pendant, den Gott Pariacaca, beschrieben. Er hatte angeordnet, einmal im Jahr ein Fest für ihn abzuhalten. Dazu begaben sich die Gläubigen zu dem Berg, der Pariacaca repräsentierte. Jeder Teilnehmer machte sich so schnell wie möglich auf den Weg, wobei er einen Lamahengst vor sich hertrieb und die stärksten sogar ein Lama trugen. Wer als erster am Ziel auf dem Berg ankam, konnte sich der Gunst dieses Gottes erfreuen (Huarochirí-Ms. [1608] 1991: Kap. 9, 71 f.).14. Ebenfalls aus dieser Region beschreibt ein Jesuitenmissionar das Ritual »Ynacha«, bei dem rote Federn an Stöcken befestigt und die Stöcke an einer Laufstrecke aufgestellt wurden. Nun fand ein Wettrennen statt, an dessen Ende der Gewinner einen der Stöcke mit Federn erhielt – vielleicht jenen aus dem Ziel – und für seinen Erfolg hoch geehrt wurde (Carta Annua de 1609, 1987: 94).15
R ITUALE UND S PORT IM I NKAREICH : W ETTBEWERBE MIT W AFFEN Aus dem Huarochirí-Manuskript erfährt man etwas über einen weiteren sportlichen Wettbewerb, diesmal im Speerwerfen. Dafür errichteten die Teilnehmer hohe Figuren aus Holzbrettern und Strohtauen, im Umfang so groß, dass sie gerade noch von einer Person umfasst werden konnten. Sie hatten Köpfe, bei denen ein Gras mit roten Wurzeln das Haar bildete. Eine der Figuren stellte einen Mann, die andere eine Frau dar. Die Teilnehmer versammelten sich in bester Kleidung und mit Federkragen geschmückt zu dem Wettwerfen. Jeder Familienverband (Ayllu) trat für sich an und ermit-
13 Manche der anonymen Informanten, die zum Huarochirí-Manuskript beitrugen, bezeichneten sie als Pariacacas Schwester, aber es gab auch abweichende Aussagen zu ihrer Herkunft und Verwandtschaft mit anderen Gottheiten (Kap. 10, 77; Kap. 13, 97). 14 In der Gegend, aus der diese Zeugnisse stammen, endete das Rennen zur Zeit der Niederschrift des Manuskripts an einem nähergelegenen Berg, von dem man Pariacaca aus sehen konnte, damit das Fest der Aufmerksamkeit spanischer Priester entging. 15 Erster Teil des Rituals war eine Jagd auf Guanakos. Das Rennen vergleicht der Verfasser mit dem Palio in Italien.
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telte den Sieger innerhalb des Ayllus. Erst warf man auf die männliche, dann auf die weibliche Figur. Ziel war es, mit dem Speer die Haare oder die so genannten Augen der Figuren zu treffen. War dies gelungen, markierte ein Priester den Treffer mit einem Vogelflügel (zur späteren Auswertung, wie man annehmen kann). Der siegreiche Werfer übergab am Ende ein Lama, das geopfert wurde. Am nächsten Tag übte man das Wettwerfen an einem anderen Ort aus, diesmal repräsentierten die dort aufgestellten Figuren Lamas (Huarochirí-Ms. [1608] 1991: Kap. 24, 121-124)16. Durch den Wettbewerb sollte gesichert werden, dass Menschen und Lamas viele Nachkommen bekamen (Huarochirí-Ms. [1608] 1991: Kap. 31, 138)17. Der Wurfwettbewerb war zentraler Bestandteil dieses Festes, auch wenn über die sportlichen Details nichts weiter berichtet wird, beispielsweise ob sich die Teilnehmer auf den Wettbewerb vorbereiteten und vorher trainierten. Im Gegensatz zu den Rennen ging es bei dem Speerwerfen nicht mehr alleine um Kraft, sondern um Zielsicherheit, also Geschicklichkeit. Das gilt auch für den nächsten Wettbewerb, von dem die Quellen berichten, dem Spiel mit der Bola. Die Bola wird von drei Schnüren aus Tiersehnen oder Tierhaut gebildet, an einem Ende zusammengebunden und am anderen jeweils mit einem Stein oder einer Metallkugel versehen (Albornoz [158484] 1984: 201; Betanzos [1551-57] 2004: Buch 1, Kap. 31, 183 f.). Man setzte sie mit kleineren Kugeln zur Jagd auf Vögel ein und mit größeren zum Einfangen und Töten von Kameliden, Hirschen und anderen Tieren sowie im Krieg. Die Bola war eine bevorzugte Waffe von Lama- und Alpakahirten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das daraus entwickelte Spiel aus dem Gebiet um den Titicacasee stammte, einer Region, wo die Bewohner hauptsächlich von der Zucht dieser Tiere lebten.18 Das Spiel bestand darin, einen
16 Das Ritual hieß Machua, fand einmal im Jahr statt und dies zwei Jahre hintereinander, dann wurde es für zwei Jahre durch ein andere Ritual ersetzt. 17 Viele Details bleiben unklar, beispielsweise, was es mit den ›Augen‹ auf sich hat und wie die Figuren beim zweiten Wettwerfen aussahen. 18 Zumindest erzählt dies Cobo, demzufolge das Spiel aus dem Collao, also der Region am Titicacasee, kam ([1653] 1964: Buch 12, Kap. 15, 86 f.). Eine der wenigen anderen Beschreibungen des Spiels (ohne Bezug zu den im folgenden beschriebenen Praktiken zur Landübetragung bei den Inka) stammt von einem spanischen Priester, der am Titicacasee tätig war, Alonso Ramos Gavilán (siehe
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hochgeworfenen Wollstrick, machacuay (Schlange) genannt, mit der Bola einzufangen. Wem dies gelang (oder am häufigsten gelang), war der Sieger. Es gab auch eine Variante, bei der eine Bola in die Luft geworfen wurde und die Spieler mit einer zweiten nach ihr zielten. Nach einer Quelle wurde das Spiel bei Aussaat und Ernte und bei religiösen Festen gespielt. Eine zweite Quelle erwähnt das »juego de riui« (»Spiel mit der Bola«)19 zusammen mit weiteren Glücksspielen als Beschäftigung von Elite-Angehörigen im April (was wiederum die Zeit der Ernte ist). In einer dritten Quelle wird es als Spiel älterer Kinder beschrieben (Ramos Gavilán [1621] 1976: Buch 1, Kap. 22, 71; Guaman Poma [1615] 1987: 243[245] und auch 766[780]; Bertonio [1612] 1984: Teil 2, 195)20. Einen besonderen Zweck erfüllte dieses Spiel schließlich für die Herrscher des Inkareichs. Sie spielten es, so berichtet eine Quelle, mit den Priestern von Provinzgottheiten, um so in den Besitz der jeweiligen Provinz zu gelangen. Die Priester setzten dabei ihre Provinz als Wetteinsatz ein, und verloren das Spiel absichtlich. Dafür belohnte der Herrscher sie oder genau gesagt, ihre Gottheit mit Land, Tieren und Bediensteten (Albornoz [158384] 1984: 201).21 Land galt als Besitz der Gottheiten, und das Spiel mit der Bola war offenbar eine Möglichkeit, es in legitimer Weise zu übertragen, denn im Ausgang von Wettbewerben manifestierte sich der Wille der Gottheiten.22 Der Inka-Herrscher Tupac Inca soll durch das Spiel bestimmte Ländereien in der Nähe des Titicacasees an den Sohn einer Nebenfrau übertragen
nächste Fußnote). In einem Lexikon der in dieser Region verbreiteten AymaraSprache finden sich ebenfalls Einträge zu diesem Spiel, siehe wiederum nächste Fußnote 19 Die Bola hieß ayllu/ayllo oder auch riui/lliui, siehe Gonçalez Holguín [1608] 1993: 40; Ramos Gavilán [1621] 1976: Buch 1, Kap. 22, 71. 20 Eine Analyse dieses Spiels findet sich bei Ziólkowski 1996: 257-285. 21 Nach einer weiteren sehr knappen Angabe wurden nicht nur Land, sondern auch Bewohner auf diese Weise transferiert, nämlich mitimaes, Gruppen von Umsiedlern zur Sicherung der Provinzen (Falcón [1567] 1946: 139). Pedro de Cieza de León erwähnt, dass der oberste Priester der Sonne und der Inka-Herrscher Spiele miteinander spielten, wahrscheinlich auch ein Hinweis auf dieses Spiel ([154854] 1985: Kap. 30, 109). 22 Siehe auch Gentile L. 1998: 76-79 zur Bedeutung von Würfelspielen.
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haben, um diesen zu versorgen. Nach dem Bericht fand das Spiel während der Initiationsriten für diesen Sohn statt, war also wie das oben beschriebene Wettrennen ein Bestandteil des Capac Raymi. Für dieses spezielle Spiel werden auch Richter erwähnt, die es dann abbrachen, weil sie vermuteten (oder merkten), dass Tupac Inca auf diesem Weg seinen Sohn übermäßig begünstigen wollte (Cobo [1653] 1964: Buch 12, Kap. 15, 86 f.).23 Die Bewohner der so gewonnenen Gegenden hießen »aylloscas«, nach dem Quechua-Wort für Bola, ayllo. Einer der letzten Inka-Herrscher, Huascar, soll ebenfalls über bestimmte Provinzen verfügt haben, die dank dieses Spiels sein persönlicher Besitz waren und deren Bewohner als aylloscas bezeichnet wurden.24 Mit dem folgenden sportlichen Ritual rückt noch einmal das CapacRaymi-Fest in den Mittelpunkt. Nach Abschluss der eigentlichen Initiation Anfang Januar versammelten sich die Initianten und teilten sich nach ihrer Zugehörigkeit zu den Stadthälften Hanan und Hurin (›oben‹ und ›unten‹) auf.25 Zwischen den Stadthälften wurde ein Scheingefecht ausgetragen, bei denen die Teilnehmer Kaktusfrüchte mit Schleudern aufeinander warfen. Dabei kam es manchmal zu Handgemengen und Raufereien, bis der zuschauende Inka-Herrscher einschritt und die Auseinandersetzungen beendete. Solche Scheinkämpfe waren auch anderswo bekannt, obwohl es kaum detaillierte Schilderungen gibt. Ein Jesuitenpfarrer, der ein solches Schein-
23 Das Würfelspiel hieß pichca oder guayro. Interessanterweise gibt Cobo eine Geschichte über den Ursprung der Bezeichung guayro wieder, in der die Mutter des Herrschersohns auftaucht, der danach das Spiel mit Bola und Strick spielt (siehe auch Gentile L. 1998). 24 Als Huascars persönlicher Besitz werden die Ethnien der Yauyo, Caja, Huambo, Chumbivilca, Cana und Sora genannt sowie an anderer Stelle auch die Huanca (Murúa [12616] 1987: Buch 1, Kap. 46, 163; Kap. 61, 217). Die Yauyo lebten im Hinterland von Lima, die Caja und Huambo im nördlichsten Teil der peruanischen Hochlands, die Chumbivilca in einer Provinz südlich von Cuzco, die Cana im südlichsten Hochland von Peru, und die Sora südlich des Titicacasees im Altiplano Boliviens (D’Altroy 2002: fig. 2.4, 42). 25 Bewohner von Hurin Cuzco waren die Abkömmlinge der frühen InkaHerrscher, von Hanan Cuzco die Nachkommen der späteren Regenten. Derartige Aufteilungen waren in den Anden verbreitet und hatten vielfältige soziale, rituelle und auch politische Funktionen (D’Altroy 2002: 54, 88-91, 232).
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gefecht beobachtet hatte, bemerkt beispielsweise, dass es zwar als »puclla« (Spiel) bezeichnet wurde, aber doch recht gefährlich werden konnte (Molina [1574-75] 1989: 111; Betanzos [1551-57] 2004: Buch 1, Kap. 14, 107 sowie Acosta [1590] 1987: Buch 6, Kap. 28, 433).26
B ALLSPIELE Die Inka und die von ihnen unterworfenen Ethnien kannten auch Ballspiele. In den Überlieferungen aus der legendären Frühzeit über den vierten Herrscher, Mayta Capac, taucht ein solches Spiel auf. Von ihm heißt es, seine besondere Stärke und Begabung habe sich bereits als Kind gezeigt. Als einige der Nachbarn der Inka seinen Vater töten wollten, spielte Mayta Capac gerade mit anderen Jungen und zwei Hunden im Hof der Coricancha Ball. Er griff sich eine der Kugeln genannt »cuchu« und verteidigte sich damit gegen die eindringenden Feinde, wobei er zwei von ihnen tötete (Sarmiento [1572] 1906: Kap. 17, 46; Murúa [1616] 1987: Buch 1, Kap. 9, 63; Cabello Valboa [1586] 1951: Buch 3, Kap. 12, 284).27
26 »Puclla« bedeutet so viel wie Spiel oder Spaß, auch auf Kosten anderer (Gonçalez Holguín [1608] 1993: 293). Ein Scheingefecht zwischen Erwachsenen aus Hanan und Hurin Cuzco zu Ehren eines verstorbenen Herrschers beschreibt Betanzos ohne jede Details ([1551-57] 2004: Buch 1, Kap. 31, 184). Diese Scheingefechte werden als Vorläufer der »batallas rituales« angesehen, die aus modernen ethnographischen Beschreibungen bekannt sind (Hocquenghem 1987: 118120). Sie werden als Fortsetzung der historisch beschriebenen Praxis angesehen, wobei eine gewissen Vorsicht angebracht ist, da die Beschreibungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert sehr knapp sind. 27 Im Prinzip erzählen diese drei Autoren dieselbe Geschichte, was sich damit erklärt, dass Sarmiento 1571/1572 in Cuzco schrieb, ebenso wie am selben Ort und zur selben Zeit Cristóbal de Molina. Die beiden Autoren beeinflußten sich, doch Molinas Manuskript ist heute verschwunden und nur indirekt über Kopisten bekannt, zu denen Murúa und Cabello Valbao gehören. Die Coricancha war Wohnsitz dieser frühen Herrscher, später der Sonnentempel der Inka. Der Begriff »cuchu« für eine solche Holzkugel konnte in den weiteren von mir konsultierten Quellen nicht bestätigt werden, siehe folgende Fußnote.
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Dabei könnte es sich um Holzkugeln gehandelt haben, die man über den Boden rollte, um ein Ziel zu berühren oder umzuwerfen. Jedenfalls findet sich 1608 in einem Lexikon des Quechua, einer der meisten verbreiteten Sprachen in den Anden, die Bezeichnung cinco für Holzkugeln zum SpieSpielen. Ein Lexikon des Aymara, der zweiten wichtigen Sprache der Anden, ergänzt, dass diese zum Spiel mit Kegeln (oder Zielmarken) gedacht waren.28 Diese Kegel oder Marken hießen »haque«, was im Aymara so viel wie Mensch bedeutete.29 Wie es scheint, nahm sich der Spieler die Kegel, die getroffen worden waren, und wer am meisten hatte, war der Gewinner.30 Überhaupt zählt das erwähnte Aymara-Lexikon eine lange Liste von Spielen auf, die zum Zeitvertreib ausgeübt wurden und oft auch sportliche Elemente enthielten. Bei einem Spiel wurden Steinchen oder andere kleine Gegenstände in die Handfläche genommen, hochgeworfen und dann musste versucht werden, sie mit dem Handrücken wieder aufzufangen. Erwähnt wird überdies ein Spiel mit einer Holz- oder Steinscheibe, ein Spiel, bei dem man sich drehte, bis man schwindelig war, ein weiteres, bei dem sich Kinder an der Kleidung anfassten und in Schlangenlinien hintereinander herrannen, Spiele, bei denen Nasenstüber oder Kopfstöße verteilt wurden,
28 »Holzkugel. Cinco. Mit Kugeln spielen, die Kugel werfen« (Gonçález Holguín [1608] 1993: 434), »cincu. Kugel. Cincu cincu. Runder massiver Gegenstand. Cincuni. Mit der Kugel spielen oder sie zum Kreiseln bringen.« (82). Schon 1560 notiert das erste Quechua-Lexikon: »Holzkugel. Collo cinguna« (Santo Tomás 1560, f. 21v). Auch im Aymara gab es den Begriff: »Holzkugel zum Spielen mit Kegeln. Sinco« (Bertonio [1612] 1984: Teil 1, 96). 29 »Mit Kegeln spielen, die sie Haque nennen, und die Kinder benutzen anstelle von Kegeln kleine Knochen« (Bertonio [1612] 1984: Teil 2, 318). Ein anderer Eintrag zum Spiel mit Kegeln beschreibt die Kegel (?) als »einige längliche Steinchen, die Cala chunta heißen, oder Hand- und Fußknöchelchen von Lamas, die man Lukana nennt« (Teil 1, 273). Was man sich genau unter diesem ›Kegelspiel‹ vorzustellen hat und wie welche Objekte hießen, bleibt leider unklar. »Haque« wird von Bertonio als ›Mensch‹, in zweiter Bedeutung als ›Spielmarke‹ übersetzt (Teil 2, 120 f). 30 In einem Eintrag (Bertonio [1612] 1984: Teil 1, 96) ist die Rede davon, die Kegel hochzunehmen, sie umzuwerfen, zehn Spielkegel zu haben, zehn Spielkegel mehr als ein anderer Teilnehmer zu haben oder zehn weniger zu haben.
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Wettbewerbe im Hoch- oder Weitspringen und anderes mehr (Bertonio [1612] 1984: Teil 1, 273 f.).31 Für richtige Ballspiele mit einem geworfenen Ball gibt es ebenfalls in den Lexika einen Hinweis: Der Ball zum Spielen hieß auf Quechua »papa auqui«, was so viel wie ›Kartoffelfürst‹ oder ›Kartoffelprinz‹ bedeutet. DieDiese Benennung lässt vermuten, dass vielleicht ein konkretes Spiel und weniger der Ball an sich so genannt wurde; ein Spiel, das möglicherweise weit verbreitet war.32 Im Aymara findet sich die Bezeichnung »peco« oder »papa auqui« für den Ball und erstmals dazu eine Beschreibung seiner BeBeschaffenheit: Der Ball ist aus Wolle, die fest mit vielem Garn umwickelt worden war, und wurde geworfen oder gestoßen.33 Die Bezeichnung »papa auqui« ist im Aymara ein Lehnwort, vielleicht verwendet für ein von ihren quechuasprachigen Nachbarn eingeführtes Spiel – ein Spiel, das so populär war, dass im Quechua die Bezeichnung zur Benennung für den Ball an sich wurde?
S PORTLICHE L EISTUNGEN UND B ERGSTEIGEN
BEI
J AGD , B OTENLAUF
Wie ein spanischer Autor betont, wurden Jagd und Fischfang in den Anden nicht, wie in Europa, als Zeitvertreib und zur Erholung ausgeübt (Cobo [1653] 1964: Buch 14, Kap. 16, 268.). Folgt man den Quellen, diente die Jagd dem Nahrungserwerb und der Beseitigung von Feldschädlingen und
31 Nicht alles in Bertonios langer Liste ist ohne weiteres zu verstehen. 32 »Ball zum Spielen Papa auqui: Ballspielen, mit dem Ball spielen. Papa auquicta pucllachini, o papa auquihuan pucllani« (Gonçález Holguín [1608] 1993: 622). »Ball. Papa auqui« (Santo Tomás 1560 f. 84r). Die Übersetzung von papa auqui nach Rowe 1946: 288 und Sabine Dedenbach-Salazar Saénz (mündliche Mitteilung, 16.12.2012). 33 »Peco, oder papa auqui: Der Ball zum Spiel aus Wolle, die fest mit viel Wolle umwickelt ist« (Bertonio [1612] 1984: Teil 2, 262; Teil 2, 149). »Pecohuaasitha: Viel Ball spielen; auch: mit jemanden spielen und dabei [den Ball] werfen und stoßen« (Bertonio [1612] 1984: Teil 2, 262). Sabine Dedenbach-Salazar Saénz hält »papa auqui« für ein Lehnwort im Aymara (mündliche Mitteilung, 16.12.2012).
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Raubtieren. Bei den Inka gab es darüber hinaus Staatsjagden, chacu genannt. Über mehrere Kilometer verteilten sich im Hochgebirge die Treiber und bewegten sich aufeinander zu, wobei sie alle dort lebenden Tiere in der Mitte zusammentrieben. Sie stimmten dazu bestimmte Gesänge an (ein Hinweis, dass es sich um eine traditionelle Praxis handelt). Jäger mit Bolas fingen die wilden Kameliden Guanakos und Vikuñas, die geschoren wurden; andere Tiere wie Hirsche sowie Raubtiere wurden mit Stöcken und Keulen getötet.34 Diese Jagden zogen sich über mehrere Tage hin. Sie fanden in einer Art Wildreservaten statt, wo im Auftrag der Inka Wächter darauf achteten, dass dort niemand unbefugt jagte (Zárate [1555] 1995: Buch 1, Kap. 8, 44; Cieza [1548-54] 1985: Kap. 16, 68 f.; Pizarro [1571] 1978: Kap. 16, 110 f.; Kap. 34, 243 f.; Garcilaso [1609] 1995: Buch 6, Kap. 6, 339-342; Polo de Ondegardo [1571] 1916-17: 88). Eine solche Jagd veranstaltete der inkaische Marionettenherrscher Manco Inca zu Ehren seiner neuen spanischen Herren, was darauf deutet, dass diese Jagden vielleicht auch der Unterhaltung dienten (Pizarro [1571] 1978: Kap. 34, 243 f.). Wie bei vielen anderen Einrichtungen des Inkareichs waren diese Treibjagden keine Neuerung, sondern griffen eine bereits bekannte Praxis auf. Darauf deutet zumindest eine Angabe im Huarochirí-Manuskript, nach der die Männer einmal im Jahr als Teil eines religiösen Rituals eine Jagd auf Guanakos und Hirsche abhielten. War ein Mann bei diese Jagd erfolgreich, durften die Priester, die zu seinem Ayllu gehörten, einen besonderen Tanz aufführen. Ziel dieses Rituals war es, um das Einsetzen der Regenzeit zu bitten (Huarochirí-Ms. [1608] 1991: Kap. 11, 79-81). Ein Sonderfall bei der Betrachtung sportlicher Aktivitäten bilden die im Inkareich an den Straßen stationierten Botenläufer (chasqui). Sie warteten in kleinen Hütten am Straßenrand, um mündliche Nachrichten und/oder Knotenschnüre mit Botschaften (quipu) zu übermitteln. Dabei wurde die Botschaft von einem zum anderen Läufer übergeben. Auf diese Weise soll es den Inka möglich gewesen sein, Informationen in kurzer Zeit quer durch ihr Reich zu befördern. Die Entfernung zwischen den einzelnen Botenstati-
34 Raubtiere waren in den Anden weniger für die Menschen als für die Herden gefährlich. Gejagt wurden Pumas, Bären, Füchse und Angehörige kleinerer Katzenarten, wie Garcilaso angibt. Er erklärt auch, dass bei den verschiedenen andinen Hirscharten weibliche Tiere geschont und nur die alten und männlichen Tiere getötet wurden ([1609] 1995: Buch 6, Kap. 6, 340).
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onen soll je nach Beschreibung zwischen gut einem und acht Kilometern gelegen haben, wobei zumindest ein Autor darauf hinweist, dass die Abstände von der Geländebeschaffenheit abhingen (Garcilaso [1609] Buch 6, Kap. 7, 342; Polo [1571] 1916-17: 104 f., Hyslop 1984: 307).35 Angaben zur Laufleistung der Botenläufer deuten daraufhin, dass sie Geschwindigkeiten erreichten, die zwischen 8 und 12 Kilometern pro Stunde lagen (Polo [1571] 1916-17: 104 f.; Cobo [1653] 1964: Buch 12, Kap. 32, 130 f.). Dabei ist zu bedenken, dass durch die häufigen Wechsel zwar immer wieder ausgeruhte Läufer antraten, aber auch Zeit verloren ging; dazu kommt die Schwierigkeit des Geländes in den Anden und die Tatsache, dass auch nachts gelaufen wurde. Herkunft und Auswahl der Läufer werden unterschiedlich beschrieben. Die meisten stammten aus der Umgebung der Botenstationen und für sie war Läuferdienst eine Leistung für den Staat in einer bestimmten Lebensphase, nämlich als unverheiratete junge Männer. Doch es ist auch die Rede von Prüfungen, bei denen die Teilnehmer erst auf ebenen Gelände, dann bergab und schließlich bergan laufen mussten, worauf die besten Läufer ausgewählt wurden (Cieza [1548-54] 1985: Kap. 21, 83; Guaman Poma [1615] 1987: 292[204], 203[205]; Murúa [1616] 1987: Buch 2, Kap. 8, 362-365). Diese übten ihre Tätigkeit auf Dauer aus, trainierten täglich, wurden aus den Speichern der Inka und von den Bewohnern der Region versorgt und bildeten ihre Kinder ebenfalls als Läufer aus (Guaman Poma [1615] 1987: 203[205], Murúa [1616] 1987: Buch 2, Kap. 8, 363 f.).36 Bei ihnen handelte es sich offenbar um Spezialisten, die berufsmäßig den Botendienst übernahmen.37 Interessanterweise erwähnen die Quellen Nahrungsvorschriften für die Läufer: Sie sollten nur rohen gerösteten Mais essen, ohne Salz, Chilipfeffer, Honig oder Essig, kein Fleisch und nichts Fettes zu sich nehmen und kein
35 Die Spanier verwendeten eine Maßeinheit (legua, spanische Meile), die sich nicht ohne weiteres in ein modernes Längenmaß umrechnen lässt (dazu ebenfalls Hyslop 1984: 295 f.). 36 Die Autoren kannten sich und nutzten vermutlich eine gemeinsame Quelle, die Geschichte des Inkareichs von Cristóbal de Molina, aus der diese Angaben vermutlich stammen. 37 Siehe die Angaben zum »Hatun Chasqui« Guaman Poma [1615] 1987: 350[352], 351[353].
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Maisbier trinken. Es sind die einzigen Angaben zur Ernährung von sportlich aktiven Personen, ähneln aber sehr den in den Anden üblichen Fastenvorschriften und sollten daher nicht unbedingt als Sportdiät angesehen werden (Guaman Poma [1615] 1987: 203[205], Murúa [1616] 1987: Buch 2, Kap. 8, 363).38 Eine dritte sportliche Leistung zeigten die Inka, zumindest nach heutigen Verständnis, beim Bergsteigen (Reinhardt/Ceruti 2010, D’Altroy 2002: 169-171). Wie erwähnt, wurden viele Berge in den Anden als übernatürliche Wesen betrachtet und verehrt. Die Inka integrierten diese heiligen Orte in einen staatsweiten Kult, bei dem sie Opfergaben hoch auf die Berge bringen ließen. Opferdepots sollen auf etwa 50 Bergen vom südlichen Peru über Bolivien bis nach Chile und Argentinien nachgewiesen worden sein (D’Altroy 2002: 170). Auf dem Aufstiegsweg sowie beim oder auf dem Gipfel wurden darüber hinaus in manchen Fällen Plattformen und kleine Bauten für Rituale errichtet. Besonders bekannt geworden sind jene Opferplätze, an denen man mumifizierte Menschenopfer gefunden hat. Die höchste Fundstätte mit Bauten und drei geopferten Menschen befindet sich auf dem Gipfel des Llullaillaco in Argentinien bei 6.739 Metern (Reinhard/Ceruti 2010). Die bergsteigerische Leistung an sich war kein Bestandteil dieser religiösen Rituale; die Macht und Bedeutung der Inka wurde aber durch das Niederlegen von Opfergaben auf den höchsten Berggipfeln betont und so gesehen könnte es ein Anliegen der Inka gewesen sein, in solche vorher offenbar nicht erreichten Höhen vorzustoßen.
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Sportliche Wettbewerbe in den Anden erscheinen größtenteils als Bestandteil von religiösen Ritualen. Dabei dienten sie als Probe, bei der sich das Wohlwollen übernatürlicher Mächte für den Einzelnen manifestierte. Übernatürlichen Schutz wünschte man sich, um den Alltag gut zu bewältigen, und entsprechend waren es Wettbewerbe in alltäglichen Fähigkeiten wie Laufen, Speer- oder Bolawerfen, in denen die Teilnehmer geprüft wurden. Es fanden keine Wettbewerbe statt, die spezielles Gerät
38 Zu den Fastenvorschriften siehe z.B. Rowe 1946: 301.
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oder spezielle Fähigkeiten erforderten; möglicherweise weil die Teilnahme an Ritualen der Gemeinschaft für die Angehörigen bestimmter AltersgrupAltersgruppen, eines Geschlechts oder einer sozialen Einheit verpflichtend war und für alle möglich sein musste (Turner 2009: 46 f.). Für Victor Turner sind Rituale auch Arbeit, denn sie waren genauso notwendig wie alle übrigen Tätigkeiten, um das Überleben des Einzelnen und der Gemeinschaft zu sichern (Turner 2009: 44-48). Mit anderen Worten, wenn sportliche Wettbewerbe zu Ritualen gehörten, waren sie ebenso wichtig wie die übrigen Aktivitäten, und wenn es auch Spiele waren, so wurden sie ernsthaft betrieben, mit großem Einsatz und offenem Ausgang. Wettbewerbe bei Ritualen hatten in den Anden überdies vermutlich eine identitätsstiftende Funktion. Bei großen Festen trafen sich Menschen aus verschiedenen sozialen Einheiten, wie beispielsweise die Verwandtschaftsverbände beim Capac Raymi in Cuzco und beim Speerwerfen in Huarochirí. Bei Wettbewerben gegeneinander anzutreten, zog deutliche Grenzen zwischen sozialen Gruppen und machte sie nach außen sichtbar. Die große Zahl der Versammelten bei einem wichtigen Fest stellte auch sicher, dass es ein Publikum gab. Ein Sieg, der unbemerkt errungen wurde, war bedeutungslos, denn der Wert eines solchen Erfolgs lag im dadurch gewonnenen höheren Prestige, und dafür benötigten die Teilnehmer Zeugen. Die Zuschauer nahmen außerdem Partei für die eine oder andere Person oder Mannschaft, was wiederum die identitätsstiftenden Eigenschaften des Wettstreits verstärkte. Das Wechselspiel zwischen Zuschauern und Teilnehmern dürfte deshalb ein wesentlicher Bestandteil sportlicher Ereignisse sein. Schließlich erklärt sich die enge Bindung von Sport und Ritualen vielleicht auch damit, dass die Zeit des Festes Geselligkeit bedeutete und die Festbesucher aus dem Alltag herausgehoben waren. Für ausreichend Nahrung und Getränk wurde meist im voraus gesorgt, man war frei von alltäglicher Arbeit und hatte damit Muße, die ein Unterhaltungsbedürfnis entstehen ließ.39 Auf der anderen Seite kann man auch argumentieren, dass Sport sich Rituale schafft. Die Notwendigkeit, einen Raum (die Sportstätte) und die Beteiligten zu definieren sowie einen Anfang und ein Ende festzulegen, machen aus einer Sportveranstaltung ein zumindest säkulares Ritual. Die
39 Blanchard hält »leisure« (Freizeit) für eine fast universelle Kategorie (1995: 38), siehe auch Turner 2009: 47, 52-55.
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Unwägbarkeiten und Zufälligkeiten des sportlichen Wettbewerbs lassen zudem den Wunsch nach übernatürlicher Unterstützung entstehen. Es ist letztlich schwer zu unterscheiden, ob ein sportlicher Wettbewerb religiöse Aspekte aufweist, weil er sich aus einem Ritual entwickelt hat, oder man sich bei dem aus alltäglichen Tätigkeiten entstandenen Sportpraktiken rituell absichern wollte (Blanchard 1995: 51-56). Religion war überhaupt Bestandteil jedes Lebensbereichs40 und wurde daher von den Inka auch offen für politische Zwecke eingesetzt. Das sieht man an dem Geschicklichkeitsspiel mit Bola und Strick. Der Ausgang des Spiels spiegelte den Willen übernatürlicher Wesen. Wenn die InkaHerrscher den Spielausgang erkennbar manipulierten, um sich die Herrschaft über Provinzen anzueignen oder Landbesitz an ihre Nachkommen zu übertragen, hoben sie sich auf eine Ebene wie die Gottheiten, die sonst über das Spiel entschieden. Offenbar waren sie sich der uneingeschränkten Unterstützung mächtiger überweltlicher Wesen sicher und fürchteten nicht, von diesen für solche Manipulationen bestraft zu werden. Das Bola-Spiel verrät also einiges darüber, wie die Inka sich selbst sahen und ihren Untertanen gegenüber präsentierten. Es gibt nur ganz wenige Quellen zu diesem Spiel. Noch weniger weiß man über die Spiele mit dem Ball aus Textilien und mit Holzkugeln. Diese Spiele waren nicht in Rituale eingebunden, sondern wurden offenbar von Erwachsenen und Kindern zum Vergnügen ausgeübt. Beim Holzkugel- und Kegelspiel gab es Varianten für die verschiedenen Altersgruppen, doch genauere Angaben zum Aussehen und zur Größe der Spielobjekte sowie zu den Regeln fehlen bedauerlicherweise. Dasselbe gilt für den Ablauf des Ballspiels, das sich möglicherweise hinter der Bezeichnung »papa auqui« verbarg, oder für die übrigen Aktivitäten, die als Spiele von Kindern und wohl auch Erwachsenen genannt werden. Trotz der schwierigen Quellenlage macht diese Übersicht deutlich, dass Sport in den Anden keine Nebensache war. Sportlicher Wettbewerb und sportliches Spiel waren ein integraler Teil alltäglicher, ritueller und politischer Praktiken, und sollten als solche betrachtet und gewertet werden. Die Frage, warum die Inka keinen Fußball spielten, eröffnet damit den Blick
40 Bezogen auf den Sport stellt Blanchard (1995: 34-36) fest, dass Religion in vormodernen Gesellschaften nur schwer von anderen Lebensbereichen zu trennen ist.
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auf einen bisher wenig beachteten Bereich andiner Kultur und Lebensrealität.
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Erfolgreiche Vermarktungsstrategien im Fußball? Fußball und der Mythos vom Arbeiter- und Proletariersport in Deutschland O LIVER F ÜRTJES
1. E INLEITUNG Zum Fankapital eines jeden Fußballfans gehört das Wissen um die proletarische Vergangenheit des Fußballs in Deutschland. Vermittelt wird dieses Wissen vornehmlich über die Medien, in denen die Thematisierung des traditionellen Fußballs ohne Bezug zur proletarischen Einordnung kaum vorstellbar ist. Nicht weniger bedeutsam in diesem Zusammenhang sind auch die Inszenierungsstrategien der Vereine, die auf eine lange Tradition zurückblicken können und sich als traditionsreicher ehemaliger Arbeiterverein vermarkten. Als Paradebeispiel kann der FC Schalke 04 genannt werden. Aber auch in der Forschungsliteratur zur Sozial- und Kulturgeschichte des Fußballs ist man sich weitestgehend einig darin, dass der Fußballsport in Deutschland einst ein Freizeitvergnügen vornehmlich der unteren proletarischen Schichten war. Dies trifft gegenwärtig freilich nicht mehr zu. Der Fußballsport in Deutschland erfährt eine derart breite gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz, dass er als ein »quer durch alle Schichten gesellschaftsfähig gewordenes Massenphänomen« (Bausenwein 2006: 480) bezeichnet werden kann. Bezogen auf das Publikum in den Stadien der 1. Fußball-Bundesliga,
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die ein Erleben des Fußballs in den für das vermögende Publikum eingerichteten VIP-Logen bis hin zu den kostengünstigen Stehplätzen ermöglichen, konstatiert Bühler (2006: 92), dass man dort »eine höchst heterogene Masse an Menschen [...], vom Kleinkind bis zum Rentner, vom arbeitslosen Bauarbeiter bis zum Konzernchef« vorfindet. Zurückgeführt wird jener als Verbürgerlichung bezeichnete Verlagerungsprozess des sozialen Schwerpunkts von unten in die Mitte bzw. von der proletarischen zur bürgerlichen Zentriertheit in erster Linie auf die zunehmende und sich vor allem in den 1990er Jahren intensivierende Kommerzialisierung des Fußballs. Bezogen auf das Stadionpublikum als primärer Ort der Fußballfanbasis wird dabei entsprechend auf die professionellen Vermarktungsstrategien der Vereine fokussiert, die flankiert von der exponierten Vermarktung des Produkts Fußball auf Verbandsebene und in den Medien jene grundlegende Transformation des Fußballpublikums maßgeblich befördert haben. Diese bewerben nämlich gezielt das Event Fußball für die zahlungskräftigen Schichten. Auch Frauen und Familien gehören zur beworbenen Zielgruppe.
2. D IE V ERBÜRGERLICHUNG DES S TADIONPUBLIKUMS ALS R ESULTAT ERFOLGREICHER V ERMARKTUNGSSTRATEGIEN IM F USSBALL IN DEN 1990 ER J AHREN Die strukturellen Veränderungen in der Fußballwelt seit Beginn der 1990er Jahre waren fundamental (Giulianotti 2002). Der Fußballsport hat sich seither zu einem, wenn nicht sogar zum bedeutsamsten Wirtschaftsmarkt der postmodernen Freizeit-, Unterhaltungs- und Kulturindustrie entwickelt, an dem eine Menge von Marktteilnehmern, allen voran die Vereine, Verbände, Medien und Sponsoren partizipieren (vgl. hierzu und im Folgenden ausführlicher Christa 2006; Hödl 2005). Zahlreiche Verflechtungen und Kapitalströme kennzeichnen den »kapitalistisch entfesselten Fußballsport« (Christa 2006: 85) im Prozess der postmodernen »hyper-commodification« (Giulianotti 2002). Wesentliche Aspekte dieser außerordentlichen »colonisation of football by capital« (Ronstein zit. nach Crabbe/Brown 2004: 30), wie sie sich kulturübergreifend in ähnlicher Dynamik auch in England identifizieren lässt, sind die explosionsartig gestiegenen (trans-)nationalen Ka-
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pitaltransfers aus Übertragungsrechten, Sponsoring und Merchandising, die Generierung immer neuer Einnahmefelder wie zuletzt das Namens- und Titelsponsoring oder die übers Internet realisierten Geldquellen aus Mediasales, Content-Distribution, eCommerce und Multimedia-Dienstleistungen. Damit einher geht ein immenser Professionalisierungsschub auf allen Ebenen des Fußballgeschäfts. Insbesondere auf der Vereinsebene erforderten die außerordentlichen Umsatzsteigerungen und die damit verbundenen zunehmenden Risiken die Einstellung hoch professioneller Clubmanager in den verschiedenen Geschäftsbereichen wie z.B. im strategischen Marketing, im strategischen Controlling, in der Öffentlichkeitsarbeit, im Merchandising oder im Relationship Management. Ferner wandelten sich die Fußballabteilungen in den Vereinen zu formal juristischen Kapitalgesellschaften. Ähnliche Professionalisierungsdynamiken kennzeichnen auch das Liga- und Verbandsmanagement. Die Ausgliederung der als GmbH geführten Deutschen Fußball Liga (DFL) aus dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) sei hierzu beispielhaft erwähnt. Jene Kommodifizierungs-, Kommerzialisierungs- und Professionalisierungsdynamik kann dabei vor allem auf die seit den 1990er Jahren intensivierte Kopplung des Fußballs mit den Massenmedien zurückgeführt werden (Boyle/Haynes 2004; Fürtjes 2009). Fundamental in dieser Hinsicht war die Privatisierung des Rundfunks und die damit einhergehende Einführung des Satellitenfernsehens und des Pay-TVs. Zum einen verschärfte sich dadurch die Konkurrenzsituation um die Vergabe der TV-Rechte mit der Konsequenz exponentiell gestiegener Einnahmeerlöse aus Fernsehgeldern für die Spitzenvereine. Zum anderen ist die Medienpräsenz des Fußballs im deutschen Fernsehen immens gestiegen und damit folgerichtig auch sein Vermarktungswert. Zugleich änderte sich aber auch die Darstellung des Fußballs im Fernsehen. Zusätzlich zur traditionellen Spielberichterstattung finden seither vermehrt auf Show- und Unterhaltungsaspekte setzende Präsentations- und Inszenierungsformen Eingang in die Fußballberichterstattung (Digel/Burk 1999; Großhans 1997; Leder 2004). Nicht weniger trifft dies auch auf die Inszenierung und Präsentation der Fußballspiele als Event in den modernen Arenen zu. Fußballspiele werden seither medial vermarktet, aufwändig inszeniert und mit kommerzialisierter Unterhaltung und Erlebnisprogrammen angereichert (Bleeker-Dohmen et al. 2007). Komfortzonen wie VIP-Lounges, Business-Seats und Familienbereiche prägen zudem das Bild der modernen Fußballarenen. Als Vermarktungskonzept kann das in
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der Sportmanagementlehre beschriebene Erlebnismarketing angeführt werden. Dieses fokussiert auf zusätzliche über die Kernleistung »Zuschauen bei einem Fußballspiel« hinausgehende Unterhaltungs- und Dienstleistungsangebote mit der vermarktungsstrategischen Zielsetzung des Ausschöpfens der Cross-Selling-Potenziale und Gewinnung neuer erlebnisorientierter Besucher (Pfaff 2004). Wesensmerkmal des im Arenakonzept umgesetzten Erlebnismarketings ist dabei die Fokussierung auf die Besucherzielgruppe der Familien und Ledigen aus mittleren bis gehobenen Einkommensschichten (vgl. Tabelle 1). Im Vordergrund steht also die gezielte Bewerbung zahlungskräftiger Publikumsschichten. Unter der Annahme, dass sich das klassische Stadionpublikum aus den unteren sozialen Schichten rekrutierte, plausibilisiert sich durch die erfolgreiche Bewerbung jener zahlungskräftigen Schichten folglich die grundlegende Transformation des Stadionpublikums zum gegenwärtigen schichtenübergreifenden Fußballpublikum. Tabelle 1: Merkmale des Arenakonzepts in Abgrenzung zum Stadion Veranstaltungsort/ Merkmale
Arena
Stadion
Organisationsform
Management
Verwaltung
Träger/Betreiber
privatwirtschaftlich (GmbHs)
Öffentliche Hand (Stadt, Gemeinde)
Bauwerk
ohne Kampfbahn Sitzplätze VIP-Logen
Kampfbahn Stehplätze
Vermarktungskonzept
erlebnisorientiert (Erlebniswelt Arena) Dienstleistungszentrum Ausschöpfen der CrossSelling-Potenziale
hauptsächlich sportliche Vermarktung kein modernes Marketing
Besucherzielgruppen
Familien und Ledige aus mittleren bis gehobenen Einkommensschichten
untere soziale Schichten
Parallel zu bestehenden Einrichtungen
Mulitfunktioneller Veranstaltungsort mit Tendenz zum »Urban Entertainment Center«
kommunale Mehrzwecksportanlage
(Quelle: Pfaff 2004: 214)
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Das Erklärungsmuster, die Publikumstransformation im Fußball von unten in die Mitte bzw. von der proletarischen zur bürgerlichen Zentriertheit auf die erfolgreichen Vermarktungsstrategien im Fußball im Zuge seiner voranschreitenden Kommerzialisierung und Mediatisierung zurückzuführen, ist auch in der Öffentlichkeit und unter Fankreisen (vgl. z.B. Gabler 2010) weitverbreitet. Vor allem aber ist es fester Bestandteil fußballsoziologischer Analysen innerhalb der Forschungsliteratur zur Kultur- und Sozialgeschichte des Fußballs (Aschenbeck 1998; Bausenwein 2006: 315ff.; BleekerDohmen et al. 2007; Großhans 1997; König 2002; Lenhard 2002: 176ff.; Merkel 2012; Schulze-Marmeling, 2000: 201ff.; Tegelbeckers, 2000). Weitestgehend Einigkeit besteht darin, dass der Fußball und speziell der Besuch von Fußballspielen noch in den 1980er Jahren ein vornehmlich proletarisches Freizeitvergnügen in der Arbeiterschicht war. Indiziert wird die proletarischen Fußballkultur in den Fußballstadien, die zugleich auch eine Exklusion weiblicher Fußballfans impliziert, dabei anhand der jugendkulturellen Hooligan-Problematik, die in den 1980er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, der veralteten und renovierungsbedürftigen Stadien und der Zuschauerkrise. Verwiesen wird aber vor allem auf das Proletarierimage des Fußballs noch zu dieser Zeit, das zu einer grundlegenden Ablehnung des Fußballs in den gehobenen Bevölkerungsschichten führte. Als genuines Merkmal des damaligen Fußballpublikums, das sich mutmaßlich weitestgehend exklusiv aus männlichen Arbeitern und Jugendlichen aus unteren Schichten rekrutierte, wird seine Fußballzentriertheit betrachtet. Diese äußert sich in einer starken Identifikation reüssierend aus der lokalen Verbundenheit mit dem örtlichen Fußballverein, in hohem emotionalen Engagement und Fanatismus, der zumeist in subkulturellen Fangemeinschaften ausgelebt wird. In der sozialwissenschaftlichen Sportforschung spricht man auch von den traditionellen local club supporters, die sich fundamental von den soccer interested consumers unterscheiden lassen (Eisenberg 2004: 56f; Horak/Marschik 1995: 147ff.; Vogelpohl 2012: 100f.). Letztere kennzeichnet eine konsumorientierte, distanzierte und weniger authentische Haltung zum Fußball. Im Vordergrund steht daher weniger das eigentliche Fußballspiel, geschweige denn eine starke Identifikation mit einem Fußballverein, sondern vielmehr die gebotene Show und Unterhaltung. Gleichzeitig spiegeln diese divergenten Fankulturen den Klassenwiderspruch zwischen Fußballethos, Gefühl und Tradition, assoziiert mit authentisch-proletarisch, und Kommerzialisierung und Modernisierung, as-
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soziiert mit bürgerlich-kapitalistisch (vgl. Sülzle 2011: 99ff.). Auf ihre strukturelle Lagerung hin betrachtet, handelt es sich bei den soccer interested consumers folglich um jene zahlungskräftigen bürgerlichen Schichten, für die der Besuch von Fußballspielen erst aufgrund der imageverändernden Maßnahmen wie erhöhte Sicherheits- und Komfortstandards und das auf Show und Unterhaltung ausgelegte Erlebnismarketing sozial akzeptabel erscheint und die seitens der Vereinsverantwortlichen erfolgreich beworben werden konnten. Ferner wird angenommen, dass sich unter ihnen aufgrund der familienfreundlichen Stadionatmosphäre vermehrt Familien und Frauen befinden. Vor dem Hintergrund der proletarischen Zentriertheit des Stadionpublikums noch in den 1980er Jahren sowohl in struktureller und habitueller Hinsicht wird deshalb ein grundlegender Publikumswandel hin zum bürgerlich zentrierten zivilisierten Familienpublikum vermutet. Neben der generellen Kommerzialisierungs- und Mediatisierungsdynamik in den 1990er Jahren sind es speziell die auf Profitmaximierung und Zivilisierung der Stadionkultur ausgelegten exponierten Marketingstrategien der Vereine, die dafür gesorgt haben, dass der Fußball mehr und mehr aus seinem proletarischen Zusammenhang gerissen und von einer Domäne der unteren Klassen zu einem Vergnügen der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht wurde (Aschenbeck 1998: 18). Fraglich ist indes, wie erfolgreich die exponierten Marketingstrategien speziell auf der Vereinsebene tatsächlich waren und inwiefern die daraus abgeleitete Publikumstransformation im Sinne eines allumfassenden Verbürgerlichungsprozess, der zusätzlich auf Interferenzen mit umgreifenden Feminisierungs- und Familialisierungstendenzen zurückzuführen ist, nachweislich eingesetzt hat. Es fehlt nämlich an empirischen Belegen speziell was die Ausgangslage vor 1990 anbelangt. Der Grund dafür ist die einseitige Forschungsstrategie in der Zuschauerforschung, die ausschließlich auf gewaltbereite Fußballfans und Hooligans fokussierte (vgl. Stollenwerk 1996)
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3. E RFOLGREICHE V ERMARKTUNGSSTRATEGIEN ? E INE EMPIRISCHE Ü BERPRÜFUNG ZUR V ERBÜRGERLICHUNG , F EMINISIERUNG UND F AMILIALISIERUNG 3.1 Datenquelle Das Defizit fehlender Daten zur sozialen Komposition im Fußball in der Vergangenheit kann durch eine sekundäranalytische Auswertung von ausgewählten Publikumsbefragungen im Fußballstadion behoben werden, die im Rahmen des Langzeitprojekts »Publikumsforschung« am Institut für Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochschule Köln unter der Leitung von Dr. Stollenwerk durchgeführt wurden. Diese zeichnen sich durch ein einheitliches Forschungsdesign aus und können angesichts des jeweils angewendeten kombinierten Verfahrens aus Quoten- und Zufallsauswahl der Vor-Ort-Befragungen Repräsentativität beanspruchen (Stollenwerk 1996: 38ff.). Aus diesem Projekt werden 7 Vergleichserhebungen in der 1. Fußball-Bundesliga im Zeitraum von 1977 bis 1998 in Köln (1977, 1985), Leverkusen (1985, 1997), Mönchengladbach (1997), Duisburg (1998) und Stuttgart (1998) vorgestellt (vgl. Tabelle 2). Dabei handelt es sich allerdings aufgrund der Einmaligkeit der Befragung nur um einzelne aufs Jahr zu beziehende Stichproben, was die Vergleichbarkeit erschwert. So kann eine Vielzahl an Wirkungsfaktoren, wie z.B. das Wetter, die Wettbewerbssituation oder verschiedene veranstaltungsbezogene Besonderheiten, die mögliche Einflüsse auf die Publikumsstrukturen zeitigen, nicht kontrolliert werden. So war z.B. das Besucheraufkommen mit 13.000 Zuschauern bei der Erhebung 1977 äußerst gering, da dieses Spiel am letzten Spieltag stattfand und für den Ausgang der Meisterschaft unbedeutend war. Es handelt sich hierbei also um ein spezifisch fußballzentriertes Stammpublikum, während 1985 das besuchte Fußballspiel gegen Bayern München das Spitzenspiel des 7. Spieltags der Saison war und ca. 42.000 Zuschauer anlockte. Dass sich diese unterschiedlichen Konstellationen auch auf die Publikumsstrukturen auswirken können, ist zwar nicht auszuschließen. Auf die Überprüfung der mutmaßlichen Verbürgerlichung haben sie jedoch insofern keine gravierenden Auswirkungen, da es sich dabei um eine allgemeingültige Trendaussage handelt. Es müsste sich folglich in den Erhebungen vor 1990 ein »beträchtlicher proletarischer Einschlag« im Fußballpublikum zeigen,
52 | O LIVER FÜRTJES
wofür nach Gehrmann (1988: 57) ein Arbeiteranteil von mindestens 70 % spricht. Die beschriebene Transformation des Fußballpublikums im Zuge der intensivierten Vermarktung des Fußballs kann dann bestätigt werden, wenn Ende der 1990er Jahre ein »beträchtlicher bürgerlicher Einschlag« sichtbar wird. Ferner kann eine Feminisierung im Sinne eines deutlichen Anstiegs des Frauenanteils und Familialisierung im Sinne eines deutlichen Anstiegs von Personen mittleren Alters bei gleichzeitigem Rückgang jugendlicher Fans seit den 1990er Jahren vermutet werden. Tabelle 2: Übersicht über die verwendeten Publikumserhebungen im Fußballstadion Jahr
Ort
Liga
Gegner
ZA
RQ
N
1977
Köln
1. Liga
Bremen
13000
48,0%
480
1985
Köln
1. Liga
Bayern München
42000
55,8%
558
1985
Leverkusen
1. Liga
Bremen
20000
17,8%
180
1997
Leverkusen
1. Liga
Bochum
22000
82,4%
742
1997
M’gladbach
1. Liga
Hamburg
21000
69,0%
621
1998
Duisburg
1. Liga
K’lautern
19941
74,3%
743
1998
Stuttgart
1. Liga
Köln
33000
91,0%
910
Erläuterungen: ZA=Zuschaueranzahl; RQ=Rücklaufquote; N=Anzahl Befragte
E RFOLGREICHE V ERMARKTUNGSSTRATEGIEN IM F USSBALL ? | 53
3.2 Ergebnisse Tabelle 3: Sozialprofile der Fußballzuschauerschaft in ausgewählten Fußballstadien von 1977 bis 1998 in %.
Arbeiter
Lever-
M’Glad
Lever-
Duis-
Stutt-
kusen
-bach
kusen
burg
gart
1985
1985
1997
1997
1998
1998
30
40
30
35,5
28
29
29
70
60
70
64,5
72
71
71
12
17
18
13,7
21,5
20,1
23
49
45
36
23,8
24,5
28,4
41,4
35
44
41
63,2
43,7
42,3
33
Köln
Köln
1977
Bürgerliche Berufsgruppen (Angestellte, Beamte, Selbstständige) Frauenanteil »Jugendliche« (bis 20 Jahre) »Familienalter« (21 bis 40 Jahre)
Tabelle 3 verdeutlicht, dass der angenommene Verbürgerlichungsprozess im Zuge der intensivierten Kommerzialisierung des Fußballs in Deutschland und als Resultat exponierter Vermarktungsstrategien auf Vereinsebene nicht eingetreten ist. Dies liegt daran, dass der Besuch eines Fußballspiels auch in der Zeit vor 1990 keineswegs ein exklusives Freizeitvergnügen in der Arbeiterschaft war. Im Gegenteil: Die Erhebungen 1977 in Köln und 1985 in Leverkusen signalisieren bei einem Anteil von 70 % vielmehr einen »beträchtlichen bürgerlichen Einschlag« im Fußballpublikum. Bemerkenswert ist, dass der Arbeiter-Anteil 1985 in Köln mit 40 % sogar höher ist als 1977, was angesichts der dargestellten besonderen Konstellation konträr zur Verbürgerlichungsannahme verläuft. Jedenfalls kann angesichts der Spitzenbegegnung und des attraktiven Gegners vermutet werden, dass im Vergleich zur Erhebung 1977, die das fußballzentrierte Publikum der local club supporters abbildet, viel mehr der sogenannten soccer interested consumers im Stadion zugegen waren, weshalb ein deutlich statushöheres Publikum zu erwarten war. Interessant ist auch, dass selbst in Duisburg 1998
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der Arbeiteranteil nur 29 % betrug. Immerhin gilt das Ruhrgebiet als klassische Region des Arbeiterfußballs und nach Schulze-Marmeling (1992: 156) symbolisiert speziell der Duisburger Fußball und das damalige sanierungsbedürftige altehrwürdige Wedau-Stadion auch noch in den 1990er Jahren den traditionellen Arbeiterfußball im Ruhrgebiet und das proletarische Flair vergangener Zeiten. Abschließend verdeutlichen auch die Vergleichserhebungen in Leverkusen 1985 und 1997, dass sich das Berufsprofil der Stadionbesucher in den 1990er Jahren nicht verändert hat. Ein fundamentaler Trend zur Feminisierung kann ebenfalls nicht abgelesen werden. Dagegen spricht die Erhebung in Mönchengladbach 1997, bei der der Frauenanteil mit 13,7 % sogar niedriger ist als 1985. Die Erhebungen aus den 1980er Jahren signalisieren zudem, dass vom Fußball als exklusives Männerphänomen bei einem Frauenanteil von etwa 18 % nicht gesprochen werden kann. Dennoch kann bei Betrachtung der anderen Erhebungen aus den 1990er Jahren ein leichter Anstieg des Frauenanteils festgestellt werden. Streng genommen gilt dies tendenziell aber auch für die 1980er Jahren bei Betrachtung des Frauenanteils von 12 % im Jahr 1977. Dies spricht freilich nicht dafür, ein gestiegenes Interesse von Frauen am Stadionbesuch auf die Vermarktungsstrategien zum Familienevent der 1990er Jahre zurückzuführen. Wie überhaupt die Daten nicht dafür sprechen, dass vermehrt Familien seit den 1990er Jahren im Stadion auffindbar sind. Der Anteil der aus Vergleichszwecken definierten familienbezogenen Altersgruppe der 21 bis 40 Jährigen1 am Stadionpublikum bewegt sich unsystematisch zwischen 33 % 1998 in Stuttgart und 63,2 % 1997 in Mönchengladbach. Ein trendbezogener zunehmender Ausschluss jugendlicher Fußballfans zeigt sich ebenso wenig. Auffällig ist hier ebenfalls eine enorme Spannbreite der Prozentzahlen zwischen 23,8 % 1997 in Mönchengladbach und 49 % 1977 in Köln. Selbst Ende der 1990er Jahre zeigt sich eine enorme Differenz von 17,6 Prozentpunkten beim Vergleich der Erhebungen in Mönchengladbach und Stuttgart.
1
Für die Erhebungen vor 1997 kann nur auf Aggregatdaten zurückgegriffen werden, die in Stollenwerk (1996) publiziert sind. Die dort vorgenommene Altersgruppen-Einteilung in »unter 20 Jahre«, »21 bis 40 Jahre« und »über 40 Jahre« musste daher zur Abbildung möglicher Familialisierungstendenzen übernommen werden. Differenzierte Angaben zur Überprüfung der Familialisierung sind nicht erhoben worden.
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Die exponierten Vermarktungsstrategien in den 1990er Jahren waren offensichtlich nicht sehr erfolgreich. Die empirischen Daten sprechen weder für eine fundamentale Feminisierung noch für eine deutliche Familialisierung. Vor allem aber können keine Verbürgerlichungseffekte festgestellt werden. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass das Publikum in den 1980er Jahren gar nicht proletarisch war. Eine Studie aus England (Malcom et al. 2000) kommt zu denselben Schlussfolgerungen. Eine Erklärung dafür liefern Taylor (1971a, 1971b), Critcher (1979) und Lindner/Breuer (1978). Ihren theoretischen Ansätzen zufolge hat der Verbürgerlichungsprozess nämlich schon in den 1960er und 1970er Jahren stattgefunden.
4. D IE V ERBÜRGERLICHUNG DES S TADIONPUBLIKUMS ALS R ESULTAT ERFOLGREICHER V ERMARKTUNGSSTRATEGIEN IM F USSBALL IN DEN 1960 ER UND 1970 ER J AHREN Die 1960er und 1970er Jahre können als Zeitphase der großen Umstrukturierung der Finanzierungsbasis im Fußball betrachtet werden (Eisenberg 1997). Umgreifende Kommerzialisierungs- und Professionalisierungsschübe lassen sich auch schon damals identifizieren. Giulianotti (2002: 27) kennzeichnet diese Zeitphase als »starting point for [...] football’s commodification«. In Deutschland war dafür die Einführung der 1. Fußball-Bundesliga im Jahre 1963 fundamental. Erstmals waren offiziell Gehaltszahlungen an die Spieler erlaubt. Zur Professionalisierung der Spieler in der Hinsicht, dass die Spieler das Fußballspielen als Hauptberuf ausüben konnten, kam es aber erst 1972. Der Grund dafür war die Aufhebung aller Gehaltsschranken infolge des Bundesliga-Skandals. Einschneidend für den deutschen Fußball war indes die Konzentration der Spitzenvereine in einer nationalen Liga und die seitens des DFB vorangetriebene Vermarktung der neu geschaffenen 1. Fußball-Bundesliga. Die damit einhergehenden gestiegenen Werbeund Sponsoreneinnahmen und erstmals auch Fernseheinnahmen trugen maßgeblich zur finanziellen Konsolidierung der Spitzenvereine in Deutschland bei (Eisenberg 1997). Diese waren zwar weiterhin juristische Idealvereine im Vereinsregister, konnten aber dank der Gemeinnützigkeitsregelung gewinnorientiert wirtschaften (Gehrmann 1992). Zudem erfolgten umfas-
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sende Modernisierungsmaßnahmen in den Stadien und zahlreiche StadionNeubauten seinerzeit, die in den ausgewählten Städten für die Weltmeisterschaft 1974 durch Mittel der öffentlichen Hand subventioniert wurden. Auch die Starspieler waren in dieser Zeit bereits gefeierte Medienstars. Man denke etwa an die medialen Auftritte von Günter Netzer oder Franz Beckenbauer in den 1970er Jahren (vgl. Leder 2004). Ferner war die Verzahnung des Fußballs mit Show- und Unterhaltungsaspekte bereits damals fester Bestandteil im Fernsehen. Maßgebend war hierbei vor allem Das Aktuelle Sportstudio, das bereits 1963 auf Sendung ging (ebd.). Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in England zu dieser Zeit beobachten (vgl. z.B. Taylor 2008). Bemerkenswert ist aber vor allem, dass die Verbürgerlichungsdebatte, wie sie für die 1990er Jahre oben diskutiert wurde, in ähnlicher Vehemenz auch für die Umstrukturierungsphase der 1960er bzw. 1970er Jahre stattfand. Das Argumentationsmuster unterscheidet sich dabei nicht. In den Fokus zur Erklärung der kulturellen Anpassung des Fußballs als Element proletarischer Kultur an die bürgerliche Gesellschaft gelangten auch schon in den frühen theoretischen Ansätzen zur Verbürgerlichung der Fußballkultur die auf Show- und Unterhaltung setzende Vereins- und Verbandspolitik. Argumentiert wird, dass der Showfußball einen Imagewandel weg vom Proletariersport bewirkt und dadurch zur sozialen Akzeptanz in höheren Schichten geführt hat, ihn damit aber auch seiner traditionellen Wurzeln beraubt hat. So wie die lokalen Helden der Arbeiterklasse zu gefeierten und von den Medien geformten Stars geworden sind, sind auch die Vereine der lokalen Arbeiterkultur entrückt und zum Bestandteil der Unterhaltungsbranche geworden (Critcher 1979; Linder/Breuer 1978; Taylor 1971a, 1971b). Grundlage jener früheren Ansätze ist wieder die vorauszusetzende proletarische Exklusivität in der Vergangenheit. In weiten Teilen der Forschungsliteratur zur Kultur- und Sozialgeschichte des Fußballs gelten die 1920er bis 1950er Jahre als Blütephase des klassischen Arbeiter- und Proletariersports (vgl. z.B. Bausenwein 2006; Gehrmann 1988; Hering 2002; Schulze-Marmeling 1992, 2000). Fraglich ist aber, inwiefern die Kennzeichnung des Fußballs als Arbeiter- und Proletariersport zutreffend ist. Als sozialhistorisch und kultursoziologisch gesichert gilt nämlich, dass der moderne, nach den Regeln der Football Association (FA) gespielte Fußballsport alles andere als proletarischen Ursprungs ist. Entstanden an den englischen Public Schools und
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Universitäten etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich das Fußballspiel moderner Prägung zuerst in den elitären Kreisen (vgl. z.B. Mason 1980; Taylor 2008). Das Fußballspielen diente wie der Sport generell zu dieser Zeit als Demonstration des sozialen Status der »leisure class« (Veblen 2007). Auch in Deutschland war der Fußballsport, als er sich zum Ende des 19. Jahrhunderts allmählich zu verbreiten begann, anfangs ein Reservat und Privileg gehobener bürgerlicher Schichten. Zum Einen verbreitete sich das Fußballspiel in Konformität zu England zunächst an den Höheren Schulen und Gymnasien und zum Anderen in den Kreisen, in denen enge Beziehungen zu englischen Gentlemen, Freiberuflern, Unternehmern, kaufmännischen Angestellten, Technikern und Studenten bestanden, die der bürgerlichen Elite entstammten und quasi als Kulturexporteure das Fußballspiel in Deutschland bekannt machten (vgl. z.B. Eisenberg 1999: 178ff.; Hopf 1998: 54ff.; Pyta 2004: 7ff.). Aus soziologischer Perspektive trifft die Kennzeichnung des Fußballs als klassischer Arbeiter- und Proletariersport deshalb nur dann zu, wenn neben der Präferenzannahme jener unteren Arbeiterschichten für den Fußball zugleich auch die Distinktionsannahme der ursprünglichen gehobenen bürgerlichen Trägerschichten im Fußball erfüllt ist.
5. F USSBALL ALS KLASSISCHER ARBEITER - UND P ROLETARIERSPORT IN DEN 1950 ER J AHREN ? Voraussetzung dafür, dass der Fußball in besonderer Weise den Geschmack der unteren Schichten getroffen hat, sich entsprechend weit in den proletarischen Kreisen verbreiten konnte und zu einem festen Bestandteil ihres kulturellen Lebens wurde, waren zunächst verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen. Als wichtigste kann diesbezüglich die sich entwickelnde Freizeitkultur im Industriezeitalter genannt werden, die in Deutschland während der Weimarer Zeit in den 1920er Jahren entstand. Maßgeblich dafür waren die wachsenden Freizeitressourcen aufgrund gesetzlicher Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung und verbesserter Lebensbedingungen für die arbeitende Bevölkerung einerseits und die infrastrukturelle Versorgung mit Freizeitanlagen und die Schaffung entsprechender umfassender privatwirtschaftlicher und öffentlicher Freizeitangebote andererseits (vgl. z.B. Eisenberg 1997; Luh 2006). Kulturübergreifend werden für die besondere
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Präferenz des Fußballs für die Arbeiterschaft zumeist die Flucht vor dem entfremdeten harten Arbeitsalltag der Fabrikarbeiter und die Passung spielcharakteristischer und berufsalltäglicher Anforderungen in sowohl physischer, psychischer als auch sozialer Hinsicht angeführt. So verlangt das Fußballspiel das aus dem industriellen Arbeitsalltag vertraute Maß an körperlicher Kraft, Härte, Robustheit, Gewandtheit, physischen Mut und sozialer Angewiesenheit (Gehrmann 1988: 41ff.; Lenhard 2002: 46f.). Diese Aspekte verweisen auf die klassenspezifische »somatische Kultur« (Boltanski 1976) unterer Klassen, wonach Sportarten mit Körperkontakt, instrumentellem Körperbezug und kollektiver Leistungskomponente sowie Sportarten, in denen Kraft und Schmerzunempfindlichkeit demonstriert werden können, präferiert werden. Verwiesen wird ferner auf die Affinität unterer Klassen zum Wettkampf und auf die Vielzahl an Fußballvereinsgründungen in den industriellen Ballungsgebieten. Das ausgeprägte lokale und soziale Bewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl der Arbeiter auf der einen Seite und die gemeinsam geteilte Fußballleidenschaft auf der anderen Seite evozierten demnach eine starke Identifikation mit dem örtlichen Fußballverein. Dieser galt als Repräsentant des eigenen Viertels und damit auch der eigenen wahrgenommenen Arbeiterkultur und wurde zumeist in subkulturellen Fangemeinschaften intensiv, vor allem aber lautstark und verrohend unterstützt. Sozialgeschichtlich werden hierin die Wurzeln der Fußballfankultur gesehen (Pilz 2006). Während die besondere Präferenz des Fußballs innerhalb der unteren proletarischen Schichten mit Beginn der Weimarer Zeit nicht angezweifelt werden kann (vgl. ausführlich Luh 2006), trifft dies weit weniger auf die Distinktionsannahme bürgerlicher Schichten zu. Für die Kennzeichnung des Fußballs als sozial exklusives Freizeitvergnügen im Proletariat ist diese aber zwingend vorauszusetzen. Kultursoziologisch betrachtet können zwei Aspekte genannt werden, die jene zur Kennzeichnung des Proletariersports maßgebliche Distinktion des Bürgertums und damit auch der ursprünglichen gehobenen Trägerschichten vom Fußballsport plausibilisieren: Zum Einen die grundlegende Logik der Distinktion, wonach die Popularisierung einer Praxis im Zuge ihrer Diffundierung in niedrigere Schichten mit der »Flucht« der je höheren Schichten in andere Praktiken verbunden ist (Bourdieu 1982: 343); zum Anderen der klassenspezifische proleta-
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rische Habitus, der in der Zeit, als die Arbeitermassen in die Stadien strömten, die Verhaltensweisen der damals entstandenen Fußballfankultur kennzeichnete. So entsprachen weder die robuste und gewaltsame Spielweise auf dem Feld noch die von Schmährufen bis zu Wurfgeschossen reichenden demonstrativen Verhaltensweisen der proletarischen Fankultur auf den Rängen, die nicht selten in Ausschreitungen und Schlägereien endeten, dem Geschmack bürgerlicher und gehobener Schichten. Der Fußball galt vielmehr fortan als »Proletensport« und wurde folglich gemieden (z.B. Eggers 2001: 48ff.; Hering 2002: 114f.). Zieht man wiederum die soziale Ungleichheitsforschung im Sport heran, kann geschlussfolgert werden, dass die veränderte Fußballkultur nicht mehr der somatischen Kultur gehobener Schichten entsprach. Allerding lassen sich Indizien anführen, die jene soziale Exklusivität in der Arbeiterschaft bzw. im Proletariat grundlegend in Frage stellen. Vielbeachtet wurde besonders die Gegenthese Eisenbergs (1990) von der Kontinuität einer bürgerlich bestimmten Fußballbasis. Entgegen der Darstellung des traditionellen Arbeiterfußballs liefert sie Hinweise, dass auch in seiner Blütephase in den 1920er bis 1950er Jahren die bürgerlichen Schichten und insbesondere die Angestellten die wichtigste Trägerschicht darstellte, wohingegen die Arbeiterschichten im Verhältnis zur Gesellschaftsstruktur stets unterrepräsentiert waren. So waren es in den 1920er Jahren weiterhin die »traditionellen bürgerlichen Hüte, die das Publikum (in den Fußballstadien) als kompakte schwarze Masse [...] erscheinen ließen« (Eisenberg 1990: 24f.). Als weiteres Indiz führt sie eine vom Norddeutschen Fußballbund durchgeführte Mitgliederbefragung aus dem Jahre 1922 an, die einen wenn auch begrenzten Einblick in das Berufsprofil der Verbandsmitglieder vermittelt. Danach arbeiteten 9,7% der Mitglieder in der Landwirtschaft, 72,1% in »Handwerk, Handel, Industrie« und 18,2% als »Beamte usw.« (Zahlen entnommen aus Heinrich 2000: 242). Mit Verweis auf den hohen Beamtenanteil sprechen diese Zahlen für eine »nach wie vor von bürgerlichen Mittelschichten geprägte Mitgliedschaft« (Eisenberg 1990: 26). Ferner indizieren die bürgerlichen Berufsprofile der Verbandsfunktionäre im DFB, dass »sich die zahlreichen Fußballpioniere, die es zu Unternehmern, leitenden Angestellten oder höheren Beamten gebracht hatten, ihren Sport nach wie vor verbunden fühlten« (ebd.: 31). Ihre These vom fortwährenden bürgerlichen sozialen Schwerpunkt im Fußball plausibilisiert und fundiert Eisenberg indes hauptsächlich
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auf der Basis des Berufsprofils von Spitzenfußballern, das sie in einem methodisch aufwändigen Verfahren mittels der Auszählung von Fußballspieler-Sammelbildern über die deutschen Nationalmannschaften in den Jahren 1908 bis 1939 und Oberliga-Mannschaften in den Saisons 1949/50 und 1950/51 ermittelt. Dort zeigt sich, dass die Angestellten »in allen Phasen seine wichtigste Trägerschicht darstellte« (ebd.: 42). Eisenberg spricht deshalb auch vom Angestelltenfußball. Daraus jedoch die Kontinuität einer bürgerlich bestimmten Fußballbasis abzuleiten ist angesichts der dargestellten Präferenz des Fußballs in den unteren Schichten gewagt und wurde auch vielfach kritisiert. Nach Luh (2006) gehörte beispielsweise das Tragen bürgerlicher Hüte auch zur proletarischen Wochenendkultur deutscher Arbeiter. Eggers (2001: 69) verweist darauf, dass viele aus dem Arbeitermilieu stammende Spitzenspieler »erst durch ihre fußballerischen Fähigkeiten in den Genuss von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich kamen« oder die Angestelltentätigkeit als Schutzschild nutzten, »um sich gegen Vorwürfe zu wehren, sie seien Profis«. Gleichwohl ist es Eisenbergs Verdienst, eine reflektierte Sichtweise in die Diskussion um die proletarische Vergangenheit des Fußballs eingebracht zu haben. Die von ihr gelieferten Hinweise lassen jedenfalls den Schluss zu, dass der Fußball in Deutschland seit der Weimarer Zeit ein fortdauerndes schichtenübergreifendes Massenphänomen geblieben ist, mithin sich die bürgerlichen Schichten nicht in dem Ausmaß vom Massenphänomen Fußball distinguierten wie es für die Kennzeichnung des Fußballs als Arbeiter- und Proletariersport notwendigerweise vorauszusetzen ist. Diese Sichtweise findet sich bei näherer Betrachtung auch bei Eisenberg, wenn sie anmerkt, dass seit den 1920er Jahren auch »Arbeiter großes Interesse für das Fußballspiel entwickelten« (Eisenberg 1990: 25) und es daher zur Durchmischung der Fußballanhängerschaft gekommen sei (ebd.: 25, 26). Einen profunden Nachweis dafür, dass sich die bürgerlichen Schichten nicht vom Fußballsport distanzierten, der Fußball folglich zu keiner Zeit ein sozial exklusives Freizeitvergnügen in den unteren proletarischen Schichten war, liefert die sekundäranalytische empirische Auswertung der regelmäßigen Leser von Fußballfachmagazinen im Frühjahr 1954 (Fürtjes 2012). Als Datenquelle fungiert die von der Arbeitsgemeinschaft Leseranalyse zur quantitativen Erfassung der Lesegewohnheiten durchgeführte repräsentati-
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ve Bevölkerungsbefragung im April bzw. Mai 1954, in der die Befragten u.a. angaben, ob sie die Fußballzeitschriften Sportmagazin und Kicker regelmäßig lesen. Es handelt sich dabei um die einzige auffindbare Quelle, die empirisch abgesicherte, repräsentative Daten zur sozialen Zusammensetzung des Fußballs in der Zeit liefert, als der Fußball im industriell geprägten Deutschland noch lokal segmentiert war und die in den 1960er Jahren einsetzende Entwicklung des Fußballs zur Showbranche noch nicht eingesetzt hatte. Da sich die beiden Zeitschriften in der Berichterstattung zum Fußball sowohl im Umfang (ca. 90%) als auch in der Präsentationsweise nicht unterscheiden2, kann hinsichtlich der Eignung des hier gewählten Analysegegenstandes als Indikator für die Fußballanhängerschaft auf die vertiefende Analyse der Kicker-Kernleserschaft bei Fürtjes (2009: 11ff.) und Fürtjes/Hagenah (2011: 282ff.) verwiesen werden. Grundsätzlich ist dann zu konstatieren, dass sowohl der regelmäßige Kicker-Leser als auch der regelmäßige Sportmagazin-Leser aufgrund seiner erworbenen Sachkenntnis, Urteilsfähigkeit und Objektivität in einer Fantypologie als hochgradig am Fußballgeschehen beteiligt und besonders fußballinteressiert angesehen werden kann. Folglich kann die Kernleserschaft der beiden Fußball-Zeitschriften als Teilmenge der Fußballanhängerschaft betrachtet werden. Diese umfasst annähernd 1,13 Millionen Fußballinteressierte3 und ermöglicht die Betrachtung eines bundesdeutschen repräsentativen Querschnitts, so dass stichhaltige Schlussfolgerungen auf die soziale Zusammensetzung der Fußballanhängerschaft insgesamt erlaubt sind. Gleichwohl gilt es zu bedenken, dass der Untersuchungsgegenstand proletarischer einzuschätzen ist als die damalige Fußballanhängerschaft. Dafür spricht erstens die historische Bedeutung der (Sport-)Presse für die Beförderung der Proletarisierung des Fußballs. Zweitens gilt speziell der Leser von Fußballfachmagazinen als Inbegriff des proletarischen Fußballfans (Bausenwein 2006: 509; Schulze-Marmeling 1992: 164f.). Und drittens deutet die Feststellung Herrmanns (1977: 90f.), wonach mit steigendem Fußballinteresse der soziale Status sinkt, darauf hin.
2
Dies verwundert auch nicht, da beide Zeitschriften später zum Kicker-Sportmagazin fusionierten (Koßmann 2004).
3
Dies ergab die Berechnung der Reichweite auf Basis des vorliegenden Datensatzes der Leseranalyse 1954.
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Tabelle 4: Sozialprofile der Kernleserschaft von Fußballfachmagazinen (Sportmagazin & Kicker) und der bundesdeutschen Bevölkerung 1954 in % Kernleserschaft
Gesellschaftsstruktur
von Fußballzeit-
der bundesdeutschen
schriften
Bevölkerung
Geschäftsleute/Unternehmer
11,2
11,0
mittlere und kleine Geschäftsleute
10,1
10,1
leitende Angestellte
3,7
3,3
übrige Angestellte
18,3
15,2
leitende Beamte
1,6
1,5
übrige Beamte
9,0
7,1
2,9
11,1
2,4
3,5
47,5
43,4
freie Berufe
2,1
2,6
Studenten
1,1
0,4
k.A.
0,3
0,9
Frauen
18,6
43,0
Männer
81,4
57,0
unter 24 Jahre
24,1
13,7
25-35 Jahre
30,0
20,8
35-44 Jahre
20,7
18,7
45-59 Jahre
20,7
29,1
60 Jahre und älter
4,5
17,7
Berufsprofil
Inhaber forstwirtschaftlicher Betriebe landwirtschaftliche Arbeiter Arbeiter und nicht-selbständige Handwerker
Geschlecht
Alter
n= 13.258 (Quelle: Leseranalyse 1954).
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Betrachtet man das Berufsprofil4 der fußballinteressierten Kernleser von Fußballfachmagazinen in Tabelle 4, kann festgehalten werden, dass die Arbeiter und die nicht-selbständigen Handwerker mit 47,5 % den größten Anteil am Sozialprofil der fußballinteressierten Leser ausmachten und damit die wichtigste Trägerschicht des Fußballs in der damaligen Zeit darstellten. Allerdings nicht derart, dass es gerechtfertigt ist, vom Arbeiter- und Proletariersport zu sprechen. Von einem »beträchtlichen proletarischen Einschlag« kann jedenfalls nicht die Rede sein. Berücksichtigt man zusätzlich die damalige Erwerbsstruktur, dann zeigt sich vielmehr, dass der Arbeiteranteil unter den Fußballinteressierten in etwa dem der Gesamtgesellschaft (43,4 %) entspricht. Vor allem aber wird deutlich, dass auch die anderen bürgerlichen Berufsgruppen ein ausgeprägtes Fußballinteresse zeigten. Ein der damaligen Erwerbsstruktur entsprechendes, teilweise sogar überrepräsentativ großes Fußballinteresse zeigen nämlich auch die Geschäftsleute, Freiberufler, Beamte, Angestellte und Studenten. Ferner kann gezeigt werden, dass es sich beim Fußballsport auch in der damaligen Zeit nicht um ein exklusives Männerphänomen handelte. Immerhin 18,4 % der Frauen haben angegeben, Fußballfachmagazine regelmäßig zu lesen. Ein Wert, der sich auch bei Betrachtung der Stadionzusammensetzung in den 1980er Jahren in Deutschland ergab. Ebenfalls bestätigt sich der im Verhältnis zur Gesellschaftsstruktur hohe Anteil Jugendlicher unter den Fußballinteressierten. Insgesamt verdeutlicht die Analyse der Kernleserschaft von Fußballfachmagazinen abschließend, dass der Fußball im Frühjahr 1954 weder ein exklusives Männer- noch Arbeiterphänomen war. Bedenkt man zusätzlich, dass sich bei der Analyse der Kernleserschaft von Fußballfachmagazinen »insbesondere hier der Proletariersport hätte zeigen müssen« (Fürtjes/Hagenah 2011: 296), dann ist die Grundvoraussetzung für die Verbürgerlichungsthese der 1960er und 1970er Jahre, nämlich die Annahme vom Fußball als klassischen Arbeiter- und Proletariersport, nicht erfüllt. Vielmehr zeigt sich, dass der Fußballsport in Deutschland in den 1950er Jahren in allen Schichten sehr beliebt war und daher als ein schichtenübergreifendes Massenphänomen verstanden werden sollte. Die Kennzeichnung des
4
Das Berufsprofil erfasst nahezu alle Befragte, da bei nicht Vollberufstätigen der Beruf des Haushaltsvorstandes und bei Rentnern die ehemalige Berufsstellung eingetragen wurde.
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Fußballs als Arbeiter- und Proletariersport ist demnach einer undifferenzierten Wahrnehmung der damaligen Gesellschaftsstruktur geschuldet. Diese war bekanntlich durch proletarische Verhältnisse gekennzeichnet, so dass folgerichtig auch das massenhafte Fußballpublikum proletarische Züge annahm. Die von Taylor, Critcher sowie Lindner/Breuer beobachtete Verbürgerlichung des Fußballpublikums ist deshalb einzig auf den sozialstrukturellen Wandel zurückzuführen. Bezogen auf das Berufsprofil ist es in erster Linie der Prozess der Tertiärisierung, der die Veränderung der Produktionsstruktur von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft beschreibt und in Deutschland bereits in den 1970er Jahren zu einer bürgerlich dominierten Berufsstruktur führte (Geißler, 2002). Insofern verwundert es nicht, wenn – wie oben nachgewiesen – in den Stadionerhebungen seit 1977 ein »beträchtlicher bürgerlicher Einschlag« im Fußballpublikum festgestellt werden konnte. Die Verbürgerlichung der Fußballanhängerschaft auf den sozialstrukturellen Wandel zurückzuführen, konnten Fürtjes/Hagenah (2011) auf der Grundlage der Kernleser des Kicker-Sportmagazins auch statistischempirisch nachweisen. Als erklärungskräftig für die Statushebung der fußballinteressierten Leserschaft erwiesen sich die Prozesse der Tertiärisierung, Bildungsexpansion und Wohlstandssteigerung in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Dort zeigte sich im Übrigen, dass der Frauenanteil unter den Lesern stetig zurückging.
6. F AZIT Die empirischen Befunde zum Sozialprofil der Besucher von Fußballspielen der 1. Fußball Bundesliga im Zeitraum von 1977 bis 1998 sowie zum Sozialprofil der Kernleser von Fußballfachmagazinen im Frühjahr 1954 belegen, dass der Fußballsport in Deutschland als »kontinuierliches schichtenübergreifendes Massenphänomen« (Fürtjes 2012: 65) gekennzeichnet werden sollte. Verbürgerlichungstendenzen lassen sich deshalb nicht auf die intensivierte Kommerzialisierung und Mediatisierung der Fußballbranche im Allgemeinen und bezogen auf das Stadionpublikum auf die exponierten Vermarktungsstrategien der Vereins- und Verbandspolitik im Speziellen zurückführen. Verbürgerlichungstendenzen resultieren stattdessen aus der intra- und intergenerationellen sozialen Aufstiegsmobilität in
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Deutschland im Zuge des grundlegenden sozialstrukturellen Wandels von der Industrie- zur hochprofessionellen Dienstleistungsgesellschaft. Und zwar derart, dass viele Fans aus den höheren Schichten, die nicht zuletzt in den hochprofessionellen Dienstleistungsbranchen der postmodernen Freizeit-, Medien- und Kulturindustrie beschäftigt sind, in großen Teilen noch in statusniedrigen Arbeiterhaushalten zum Fußball sozialisiert wurden. In Kombination mit den in Mittel- und Oberschichten sozialisierten Fußballfans erklärt sich dadurch das Mehr an bürgerlichen und gleichzeitig das Weniger an proletarischen Fußballinteressierten. Dass dennoch die Annahme vom Fußball als klassischer Arbeiter- und Proletariersport in der Öffentlichkeit, unter Fußballfans und Akademikern vorherrschend ist, erklärt sich zum einen durch die undifferenzierte Wahrnehmung früherer Gesellschaftsstrukturen. Diese waren bekanntlich durch proletarische Verhältnisse gekennzeichnet, so dass folgerichtig auch das massenhafte Fußballpublikum proletarische Züge annahm. Und zum anderen sind regionale Besonderheiten nicht zu leugnen. So entstammten viele Vereine im Ruhrgebiet einer Arbeitertradition und hatten auch eine entsprechende Mitgliederbasis (Gehrmann 1988). Gleichwohl stellt sich auch hier die Frage, inwiefern der hohe Arbeiteranteil in den Fußballvereinen nicht allein strukturbedingt erklärbar wird. Schaut man sich die Erhebungsfelder bei Gehrmann (1988) näher an, dann wird deutlich, dass es sich dabei um Ruhrgebietsstädte handelte, deren Erwerbsstruktur teilweise zu 73% aus Arbeitern bestand. Dass sich dementsprechend auch hauptsächlich Arbeiter unter den Mitgliedern in den Vereinen befanden, verwundert daher nicht. An Orten mit überwiegend bürgerlicher Einwohnerstruktur, an denen der Fußball sich ähnlich großer Beliebtheit erfreute, ist dagegen von einem bürgerlichen Einschlag im Publikum auszugehen. Untersuchungen hierzu sucht man zwar vergebens, indizieren lässt sich dies aber anhand des immer wieder bemühten Klassenkampfes zwischen Arbeitervereinen und Vereinen der bürgerlichen Mittelklasse (vgl. dazu z.B. Schulze-Marmeling 1992: 22ff.). Zusammenfassend entlarvt die um empirisch gesicherte Befunde fundierte dargestellte soziologische Perspektive die Kennzeichnung des traditionellen Fußballs als klassischer Arbeiter- und Proletariersport als Mythos. Die Verbürgerlichung des Stadionpublikums als Resultat erfolgreicher Vermarktungsstrategien im Fußball zu betrachten, kann deshalb zurückgewiesen werden. Ohnehin stellt sich die Frage, wie es denn überhaupt zu der
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intensiven Kommerzialisierung und Professionalisierung des Fußballsports kommen konnte, wenn er zuvor ausschließlich in den wenig zahlungskräftigen Bevölkerungsschichten verankert gewesen sein soll.
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Migration, Sport und Macht Diskurse um Fußball als Mittel der gesellschaftlichen Integration J ULIANE M ÜLLER
E INLEITUNG Sport wird in zunehmendem Maße als Mittel der gesellschaftlichen Integration von Migranten und Minderheiten gesehen, eingesetzt und untersucht. Eine EU-finanzierte Studie über Sport und Migration kam 2004 zu dem Ergebnis, dass vier Fünftel aller Mitgliedstaaten Projekte fördern, die multikulturelle Anliegen und Integration über den Sport angehen (PMP Consulting 2004; vgl. Walseth 2006). Bereits seit 1989 finanziert das deutsche Innenministerium Sportprogramme für Migranten, seit 2002 läuft es unter dem Namen »Integration durch Sport« beim Deutschen Olympischen Sportbund. Insbesondere Fußball wird als universelles Medium der Verständigung jenseits sprachlicher Differenzen und nationaler Grenzen interpretiert. Zahlreiche europäische Fußballverbände sind in sportpädagogische Initiativen im In- und Ausland involviert1. Auch im Bereich von Migration
1
Neben Migration und Integration erfährt das Thema Konfliktprävention besondere Aufmerksamkeit: In sogenannten Open Fun Football Schools bringen skandinavische Fußballverbände und NROs im ehemaligen Jugoslawien und Mittleren Osten Kinder und Jugendliche unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft zusammen; in Sierra Leone, Liberia und anderen zentralafrikanischen Ländern wird Fußball als Instrument der Re-Sozialisierung von bürger-
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und Integration erlebt Fußball eine große Popularität. Allerdings liegen kaum Studien vor, die die tatsächliche Effektivität der Sportprojekte evaluieren (Walseth 2006; Heinemann 2002). Am Beispiel der Arbeitswanderungen nach Spanien, eigenorganisierten Fußball-Ligen südamerikanischer Migrantinnen und Migranten sowie multikulturellen Turnieren, sogenannten Mundialitos (Kleine Weltmeisterschaften), sollen in diesem Artikel Diskurse um »Integration-durchFußball« unterschiedlicher sozialer Akteure analysiert und gegenübergestellt werden. Ziel ist, die Diskurse miteinander zu vergleichen und in Beziehung zu setzen zu alltäglich Fußballpraktiken südamerikanischer Migranten und den Funktionslogiken der Mundialitos. Nach einem theoretischen Teil und einer kurzen Darstellung der südamerikanischen Einwanderung nach Spanien analysiere ich den Entstehungszusammenhang, die Organisation und Dynamik der eigenorganisierten Ligen sowie die Diskurse der Migranten, bevor ich auf Praktiken und Narrative um die vorwiegend von spanischen Institutionen organisierten Kleinen Weltmeisterschaften eingehe.
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In Spanien ist »Integration« als Analysekategorie in Untersuchungen über Migration und Sport omnipräsent. Mehrheitlich ist in diesen Studien aus den Sportwissenschaften, der Soziologie und vereinzelt auch Sozialanthropologie die Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen des Migrantensports, nach »Integration«, »Inklusion« oder »Exklusion«, untersuchungsleitend2. In anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Deutschland,
kriegstraumatisierten Jugendlichen eingesetzt (Giulianotti und Robertson 2009: 147ff.). 2
Beispiele hierfür sind: Bantulá und Sánchez (2008); Domínguez (2009); Domínguez, Jiménez und Durán (2010); Llopis und Moncusí (2004); Medina (2003, 2002); Puig und Fullana (2002); Sánchez (2003); Heinemann (2002). Die Studien unterscheiden sich im Zugang: Heinemann und Domínguez beispielsweise differenzieren zwischen verschiedenen Ebenen von Integration und benennen, auf welchen Sport greifen kann; Medina unterscheidet einen dynamischen sozialwissenschaftlichen Ansatz vom Allerweltsverständnis von Integrati-
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ist es nicht anders. Ob nun die Ursachen für die vermeintliche »ethnische Segregation« in Sportvereinen und der Praxis eher bei den Migranten selbst oder in der Aufnahmegesellschaft verortet werden, es geht um ein binäres Schema der In- oder Exklusion (Klein und Kothy 2001; Seiberth und Thiel 2007; Blecking 2008). Ohne die Qualität der Studien und Intentionen der Autoren im Einzelnen in Frage zu stellen, meine ich doch – wie Bernd Bröskamp 1994 feststellte und meines Erachtens bis heute sowohl in Deutschland als auch Spanien gilt -, dass dieser von außen, durch die gesellschaftliche Problematisierung der Einwanderung (Santamaría 2002), herangetragene Blickwinkel ein Erkenntnishindernis darstellt, da zu viele Phänomene unberücksichtigt bleiben (vgl. Müller, van Zoonen und de Roode 2008): »Es ist die Kategorie der Integration, die sich – sei es als politisch-normatives oder soziologisch-analytisches Konzept – [...] wie ein Filter vor die Optik schiebt und alles ordnet, was bisher zum Sport im Zusammenhang mit der Entstehung ausländischer Minderheiten in Deutschland gesagt und geschrieben worden ist. Sie strukturiert vorab, was am Sportengagement der jugendlichen und erwachsenen Migranten wahrgenommen wird und was nicht, was am Sport als interkulturelles Begegnungsfeld für untersuchungswürdig erachtet wird und was aus der Betrachtung ausgeschlossen wird« (Bröskamp 1994: 5).
Die Verbindung von Sport und Integration macht nur dann Sinn, wenn man sich mit Teilausschnitten des Phänomens begnügt. Irrelevant für den freizeitkulturellen Bereich des Sports ist ein politisch-rechtliches Integrationsverständnis, wie es die Europäische Kommission in ihren Resolutionen immer wieder vertreten hat; irrelevant ist auch ein arbeitsmarktorientiertes Verständnis von gesellschaftlicher Inklusion. Einem umfassenden Verständnis von Integration als multidimensionaler Prozess der gesellschaftlichen Teilhabe und Teilnahme aller Individuen und Gruppen an Staat und Gesellschaft (vgl. Entzinger 2000, Bauböck 1994) kann im Sport nicht Genüge getan werden. Allein die Face-to-Face-Dimension des direkten Kon-
on; Llopis und Moncusí sprechen von einer Re-Ethnisierung und Segregation südamerikanischer Migranten durch die Fußball-Ligen. Gemein ist allen Autoren, dass sie die Frage nach »Integration« in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellen.
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taktes, daraus resultierendes soziales Kapital (wobei gerade der soziologisch besonders interessante Aspekt des »brückebildenden Sozialkapitals« durch Vereinsmitgliedschaften in vielen Initiativen unberücksichtigt bleibt, vgl. Walseth 2006) sowie Identifizierungsprozesse mit der Aufnahmegesellschaft – der Stadt, der Region oder Nation – sind im Sport relevant (Llopis und Moncusí 2008; Bantulá und Sánchez 2008; Walseth 2008). Diese geselligkeitsfokussierte Vorstellung von Integration korrespondiert mit dem Konzept der Interkulturalität als einem freiwilligen Kommunikationsakt zwischen Individuen unterschiedlicher Lokalitäten. Es wird die Schaffung einer »gemeinsamen Alltäglichkeit« und die »Öffnung sozialer Räume zur ständigen Verhandlung von Begriffen und Bedeutungen« angestrebt (Medina 2003: 231). Multikulturelle Fußballturniere folgen – wenn auch oft implizit – einem solchen Integrationsverständnis (Müller, van Zoonen und de Roode 2008; Walseth 2006). Problematisch ist eine solche idealistische Vorstellung von Sportbegegnungen, weil Gesellschaft sowie die direkte Begegnung zwischen Personen hier grundsätzlich als konfliktfrei konzipiert werden und jegliche dann doch auftretenden oder beobachteten Alltagskonflikte als »desintegrativ« gewertet werden. Außerdem werden Stereotypenkommunikation und das symbolische Ringen um gesellschaftliche Anerkennung im sozial verdichteten Zusammenhang des Sports unterschätzt (Neckel und Sutterlüty 2008; Soeffner und Zifonun 2004). In diesem Text interessiere ich mich explizit nicht für vermeintliche integrations- oder exklusionshemmende Faktoren migrantischen Fußballs und der südamerikanischen Ligen, sondern für die – nicht auf solche Fragen zu reduzierenden – Alltagspraktiken in den Ligen sowie für Diskurse um »Integration-durch-Fußball«. Ich mache theoretische Anleihen bei poststrukturalistischen Ansätzen aus der angelsächsischen Migrations- und DiasporaForschung und bei dem Modell der »structure of discursive opportunities« (Koopmans und Statham 2000; vgl. Gil Araújo 2008). Dieser Ansatz fragt nach den nationalen Diskursformationen und institutionellen Bedingungen, die die Teilnahme bestimmter Personen und Gruppen am politischen Prozess und öffentlichen Leben einschränkt, ohne die grundsätzliche agency auch subalterner Gruppierungen im historisch-politischen Prozess zu negieren (Guigni, McAdam und Tilly 1999). In diesem Sinne müssen sich Migranten, wenn sie als soziale Akteure in der Öffentlichkeit gehört werden wollen, im Rahmen des Sagbaren, Verständlichen und Tolerierten bewegen. »Integration« konstituiert in Spanien und Europa in diesem Sinne ei-
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nen dominanten Diskursrahmen des öffentlichen Sprechens über Sportaktivitäten und Vereinsmitgliedschaften von Migranten. In Großbritannien wurden Fragen und Konzepte von populärer Kultur, transnationalen Verflechtungen und Diaspora früh auch auf das Phänomen des Sports angewendet (Werbner 1996; Cronin y Mayall 1998; Burdsey 2006). Pnina Werbner (1996) untersuchte die Kricket-Fankultur junger Pakistaner in Großbritannien als eigene diasporische Teilöffentlichkeit jenseits von Religion und Familie und als symbolisches und soziales Kapital gegen Diskriminierung. Jüngst hat das Forschungsprojekt Diasbola an der Universität Lissabon (Tiesler 2012; Tiesler/Bergano 2012) Fußballpraxis und -konsum als soziale und wirtschaftliche Ressource sowie wichtige Freizeitaktivität für Kinder und Enkel von portugiesischen Migranten weltweit untersucht. Sportpraktiken und Fankulturen ermöglichen es Mitgliedern von Minderheiten, multiple Identitäten zu leben und gleichzeitig ihr Recht auf Teilnahme an den europäischen Gesellschaften auszudrücken (Valiotis 2009; Burdsey 2006)3. Obwohl sich diese Studien auf Fußball und andere populäre Mannschaftssportarten als Zuschauersport konzentrieren, sind sie doch besonders wichtig, weil sie zeigen, wie eine Bandbreite an sozialen, politischen und kulturellen Phänomenen in post-migratorischen Zusammenhängen mit Sport in Verbindung gebracht werden kann und welche Exklusions- und Diskriminierungsprozesse institutioneller und symbolischer Natur auch hier greifen. In der Tradition der poststrukturalistischen Ansätze interessiere ich mich für »Integration« als dominante Repräsentation und für den Gebrauch dieser Repräsentation durch unterschiedlich positionierte soziale Akteure. Meine Analyse stützt sich auf eine Feldforschung von 18 Monaten im Milieu der südamerikanischen Migrantenligen in Sevilla, der Teilnahme als Spielerin in zwei bolivianischen Mannschaften sowie punktuellen empirischen Untersuchungen bei Turnieren und Ligen in Madrid (März 2008), Malaga (April bis Juni 2008) und Granada (Juni 2008). Neben teilnehmender Beobachtung bei Fußballereignissen, Trainings und Versammlungen
3
Vgl. auch die Spezialausgabe «Sport in Society« (2007, Jg. 10, Nr. 3) über die Rolle des Sports in der irischen Diaspora. In Deutschland folgen Studien zu lokalen Interaktionen, inter-ethnischen Beziehungen und sozialen Klassifikationen in der Tradition der Wissenssoziologie und Kritischen Theorie einem ähnlichen machtkritischen Ansatz (u.a. Neckel und Soeffner 2008).
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sowie Interviews mit migrantischen und spanischen Organisatoren, südamerikanischen Spielern/innen, Sport- und Integrationsfunktionären wurden auch Medienberichte qualitativ analysiert.
S ÜDAMERIKANISCHE E INWANDERUNG
NACH
S PANIEN
Die meisten der rund 1,5 Millionen Südamerikaner/innen, die sich aktuell in Spanien aufhalten, sind in den späten 1990er und 2000er Jahren eingereist (INE 1996, 2008). Spanien hatte in diesem Zeitraum mit das stärkste Bevölkerungswachstum durch Migration weltweit zu verzeichnen4; 40% der spanischen Neuzugänge zwischen 2000 und 2007 kamen aus Südamerika (López de Lera 2007:4). Die Einwanderung verlief in Zyklen hohen Wachstums mit anschließender Konsolidierung: Zwischen 2001 und 2005 stieg die Zahl der Argentinier, Kolumbianer und vor allem Ecuadorianer um Hunderttausende pro Jahr; die Migrationszahlen aus diesen Ländern erreichten 2005 einen Höhepunkt und haben sich seitdem abgeschwächt. Ab 2005 nahm der bolivianische Migrationszyklus5 signifikante Dimensionen an: Die Zahlen steigen bis 2008, erst 2009 findet hier eine Umkehr statt (OPAM 2009). 2006 beginnt die Einwanderung aus Paraguay. Zum Zeitpunkt meiner Untersuchung im Jahr 2008 lebten schätzungsweise 240.000 Personen aus Bolivien, 425.000 aus Ecuador und 290.000 Personen aus Kolumbien in Spanien (INE 2008). Während die afrikanische und asiatische Immigration (außer Philippinen) von männlichen Arbeitssuchenden geprägt wird, sind die südamerikanischen (und osteuropäischen) Arbeitswanderungen nach Spanien typische Beispiele der internationalen Feminisierung der Migration (Han 2003). Die
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Im Zeitraum von 1990 bis 2005 verzeichneten die USA (15 Millionen), Deutschland und Spanien (jeweils über vier Millionen Neuzugänge) das numerisch stärkste Bevölkerungswachstum durch Migration weltweit (UN General Assembly 2006:39ff.). Der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der spanischen Gesamtbevölkerung stieg von 1,25% im Jahr 1995 auf 11,4% im Jahr 2008; lebten 1995 noch etwa 500.000 Ausländer in Spanien, so waren es dreizehn Jahre später bereits 5,22 Millionen (INE 2008).
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Zum Konzept von Migrationszyklus und -system, siehe Izquierdo 1996; Hoerder 2002: 16f.
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Arbeit der Frauen im privaten Haushaltsdienst ist informell, die Stellenvergabe geschieht vornehmlich netzwerkbasiert an bereits im Land lebende Frauen (Colectivo IOE 2001; Aparicio und Roig 2006; Müller 2013). Generell verfügte nur etwa ein Viertel aller bolivianischen Migranten in Spanien 2008 über einen regulären Aufenthaltstitel; die Zahlen für Ecuadorianer und Kolumbianer sahen nicht viel anders aus (Fouassier 2007:5ff.; Secretario de Estado de Inmigración y Emigración 2007; INE 2008).
D IE
EIGENORGANISIERTEN F USSBALL -L IGEN ANDIN - SÜDAMERIKANISCHER M IGRANTINNEN UND M IGRANTEN Der beschriebene Anstieg der Arbeitswanderungen nach Spanien insbesondere aus den Südamerika bzw. den Andenländern6 Ecuador, Bolivien und Kolumbien hat das Gesicht der spanischen Gesellschaft in wenigen Jahren verändert. Migranten prägen den öffentlichen Raum spanischer Städte; Fußball hat die Sichtbarkeit der andin-südamerikanischen Migranten erhöht. Ihre selbstorganisierten Fußball- und Futsala7-Ligen unterhalten ganzjährige Spielbetriebe mit großem Bedarf an kommunalen Sportplätzen. Die Ligen und Mannschaften bilden den Kern des Vereinslebens andinsüdamerikanischer Migranten. Es sind die ersten Zusammenschlüsse, sie haben sich aus familiär-freundschaftlichen Parkaufenthalten entwickelt (siehe unten) und involvieren Männer und Frauen, Eltern und Kinder aktiv. Es sind demnach gemischtgeschlechtliche Veranstaltungen und es steht keine offizielle Institution hinter dem südamerikanischen Fußball wie beispielsweise bei türkischen Migranten in Deutschland. Die ersten türkischen
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»Andenländer« und »andin« benutze ich rein deskriptiv zur Präzisierung der Untersuchungsgruppe.
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Futsala (auch Futsal oder Futbito) entstand in den 1930er und 40er Jahren in Uruguay. Ein Anlass für die Erfindung des Sports war die mangelhafte Sportinfrastruktur; so scheint Futsala aus pragmatischen Erwägungen heraus entstanden zu sein (www.futsala.com, besucht am 18.03.2010). Bis heute gilt für Futsala in noch stärkerem Maße als für Fußball, dass es praktisch überall gespielt werden kann.
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Fußballclubs Ende der 1960er Jahre bildeten sich zunächst unter der Schirmherrschaft deutscher Wohlfahrtsvereine (Blecking 2008: 962f.). Wie aber funktionieren die Ligen der Migranten in den spanischen Städten, wer nimmt teil, warum werden sie so regelmäßig veranstaltet? Von allen Städten hat Madrid das größte lokale Feld südamerikanischen Migrantenfußballs. Im Untersuchungszeitraum existierten dort 21 südamerikanische Fußball-Ligen mit eigenem Spielsystem für Männer und Frauen (Interview mit R.R., Journalist, 25.3.08)8. In Madrid sind Prozesse, die auch in anderen Städten zu beobachten sind, am weitesten fortgeschritten: Wachstum, Institutionalisierung, Diversifizierung und steigender Wettbewerb. Die Ligen haben Regelwerke ausgearbeitet und Vorstände mit den Ämtern des Präsidenten, Vizepräsidenten, Sekretärs, Schatzmeisters und Protokollanten gebildet sowie Disziplinarausschüsse einberufen. An den ältesten Ligen der Vereine APEM (Asociación de Pueblos del Ecuador en Madrid) und AMISTAD nahmen im Untersuchungszeitraum jeweils 140 Herren- und 110 Damenmannschaften teil; an der Liga Deportiva Boliviana (LIDEBOL) partizipieren 52 männliche und 22 weibliche Clubs (Interviews mit R.R., Journalist, 25.3.08 und R.A., Präsident von LIDEBOL, 30.3.08). Die meisten Madrider Ligen haben Senioren- und verschiedene Kinderund Jugendsektionen sowie in den Herren- und Damenwettbewerben eine erste und zweite Division eingeführt. Es gibt demnach sechs oder mehr Ligen in jedem nominal als »Liga« bezeichneten Wettbewerbszusammenhang. Die Konkurrenz ist innerhalb der Ligen (hinsichtlich Auf- und Abstieg) und zwischen ihnen kontinuierlich gestiegen. Als Höhepunkt jeder Saison wurde eine Champions League Latino ins Leben gerufen, in der die ersten beiden Teams aller Madrider Ligen einmal im Jahr gegeneinander
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2011 existierten ca. 40 Ligen südamerikanischer Migranten in Madrid. Organisatoren betonen, dass gegen alle Erwartungen kaum eine Mannschaft ihre Teilnahme zurückzieht, obwohl jedes Team von Arbeitslosigkeit betroffene Spieler in seinen Reihen hat. Der Fußball verleihe dem Migrantenleben Sinn und Hoffnung, solidarisch würden die Ausgaben von den Bessergestellten übernommen (»Crisis económica y fútbol barrial«, www.golazolatino.com, besucht am 17.05.2011). Zu beachten ist sicherlich, dass ein Verlust von Spielern und Mannschaften durch Rückwanderungen auftreten kann; zwischen 2008 und 2011 verließen nach offiziellen Angaben rund 30.000 Bolivianer/innen das Land (INE 2011).
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antreten. Organisiert wird dieser Pokal der »Ligenmeister« vom »Dachverband der Lateinamerikanischen Vereine und Sportligen« Madrids (Federación de Asociaciones y Ligas Deportivas Latinoamericanas, Federalita). Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die spezialisierte Presse, ein monatlich erscheinendes Magazin berichtete bis zu seiner Einstellung wegen Werbeeinbußen ausschließlich über die südamerikanischen Ligen in Madrid. Die Berichterstattung wird seitdem als Blog vom Journalisten Rody Rivas Zambrano weitergeführt (www.golazolatino.com). Informationen über Spielergebnisse und zukünftige Veranstaltungen wechseln sich ab mit Porträts einzelner Spieler und Reportagen über Mannschaften und Ligen. Die Entwicklungen in Madrid zeigen die Heterogenität der Ligen, die Existent von großen und kleinen, eher familiär-freundschaftlichen und leistungs- und wettkampforientierten. Manche haben einen eher geschlossenen Charakter, andere sind groß und explizit nationenübergreifend. Die größten Ligen konnten sich formal als Sportvereine registrieren lassen, anderen fehlt der offizielle Status, z.B. LIDEBOL trotz seines fünfjährigen Bestehens. Die Namen der Ligen weisen auf eine besondere Sprache hin, mit der die südamerikanischen Migrantencommunities ihren Fußball beschreiben: Liga Confraternidad Ecuatoriana, Liga Alianza Ecuatoriana, Liga Colombiana, Liga Deportiva Boliviana, Liga Hispano Ecuatoriana, Liga Unida por el Deporte, Liga Amistad Pan Bendito, Liga Integración Latinoamericana (http://www.golazolatino.com, besucht am 15.03.11). In Sevilla gab es in der Untersuchungsperiode zwei von südamerikanischen Migranten organisierte Ligen: eine Fußball-Liga und eine FutsalaLiga mit jeweils einer Herren- und einer Damensektion. Während der Beobachtungsphase nahmen an den Ligen 20 (Fußball) bzw. 18 (Futsala) Herrenmannschaften, sowie zehn bzw. acht Damenmannschaften teil. Viele Mannschaften und Spieler partizipierten an beiden Turnieren. Die ersten Wettbewerbe hatten 2002 begonnen, die Frauen integrierten sich mit einem Abstand von zwei Jahren. Sowohl die Futsala- als auch die Fußball-Liga der Südamerikaner in Sevilla spielte im Schnitt zwei Turniere pro Jahr, jedes mit Vorrunde (apertura) und Rückrunde (clausura) nach südamerikanisch-professionellem Vorbild, im Einzelnen allerdings eine Mischung verschiedener nationaler Arrangements. Anders als in den Profiligen Boliviens und Ecuadors (aber wie in Peru, Uruguay und Venezuela) wird der Sieger erst nach beiden Runden bestimmt.
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Zusammenfassend sind die gemeinsamen Charakteristiken der südamerikanischen Ligen in Spanien folgende: Sie entstehen aus familiären und freundschaftlichen Parkaufenthalten insbesondere zwischen Migranten aus Ecuador. Bei den Männern spielen in erster Linie Ecuadorianer, Bolivianer, Peruaner und Kolumbianer, vereinzelt auch Spanier und Einwanderer aus Paraguay, Argentinien, Brasilien, Marokko und westafrikanischen Ländern. Der Spielbetrieb für Frauen hat sich mit einiger Verzögerung gegründet; er wird fast ausschließlich von ecuadorianischen und bolivianischen Spielerinnen getragen. Die Ligen befinden sich in einer ambivalenten Position zwischen privat und öffentlich, zwischen familiär-freundschaftlichem Ursprung auf der einen und konstantem Wachstum, Institutionalisierung und Leistungswettbewerb auf der anderen Seite. Allerdings haben viele Ligen es bisher nicht geschafft, sich trotz des jahrelangen Spielbetriebs offiziell als Sportvereine einschreiben zu lassen. Daher werden fast alle Ausgaben und Preisgelder von den Teilnehmern selbst generiert, ergänzt durch sporadisches Sponsoring durch Firmen (Sachleistungen), kaum durch öffentliche Institutionen. In allen Städten sind die Ligen gezwungen, für die Benutzung der Sportanlagen zu bezahlen. Mehrheitlich mieten sie Plätze bei Lokalvereinen, die auch nicht die Besitzer der Anlagen sind, sondern ihrerseits Pächter oder Mieter städtischen Terrains. Die größten Probleme der Ligen sind Spielfeldknappheit und -kosten sowie die mangelnde offizielle Anerkennung und Sichtbarkeit. Gemeinsames Merkmal ist außerdem, dass es um die Sportfelder herum Stände mit Getränken, Gerichten und Snacks gibt. Dieser informelle Verkauf ist eine überwiegend von Frauen ausgeübte mikrokommerzielle Tätigkeit, die in den Strategien der Überlebenssicherung von Land-Stadt-Migrantinnen in den Andenländern verankert ist. In Spanien wird er als unlizenzierter Straßenhandel (venta ambulante) eingestuft und dient als Argument, den Migranten ihr Recht auf die Nutzung kommunaler Sportanlagen zu entziehen (Müller 2003: Kap II). Schließlich fällt auf, dass auch die migrantischen Fußballorganisatoren den Wunsch hegen, den Fußball als Mittel der Begegnung und Verständigung einzusetzen. Dabei weicht ihr Diskurs im Sprachgebraucht und den Absichten jedoch von dem der spanischen Sportverantwortlichen ab.
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In Interviews und Gesprächen mit den Präsidenten der bolivianischen Gruppierungen und Ligen sowohl in Sevilla als auch in Málaga und Madrid überraschte mich immer wieder die große Bedeutung, die darauf gelegt wurde, mit anderen Bolivianern und Südamerikanern zusammenzukommen (convivir) und sich zu verbrüdern (confraternizar). Hinter beiden Begriffen steht eine Erwartungshaltung des Austauschs und der Solidarität. Convivencias, das sind zuallererst die sonntäglichen, gesellig-sportlichen Parkaufenthalte mit der Fußballmannschaft und mit Freunden, darüber hinaus bezieht sich der Begriff aber auch auf die Ligaspiele selbst, wo »Traditionen geteilt« und »Fußballstile vermischt« werden. Im Unterschied zu diesen Treffen mit Bekannten bezieht sich der alltagspraktische Gebrauch von »Verbrüderung« auf Begegnungen zwischen Unbekannten, die bei individuellen Face-to-Face-Kontakten beginnen, um auf höheren Abstraktionsebenen einen Austausch zwischen lokalen, regionalen und schließlich nationalen Gruppen zu benennen. Die Bedeutung von »Verbrüderung« bei bolivianischen Migranten wird verständlich, wenn man die inner-bolivianischen politischen Auseinandersetzungen berücksichtigt, die sich negativ auf die Verständigung in der Migration auswirken. Historisch verankerte Machtkämpfe zwischen regionalen Eliten um Befugnisse und Einkünfte aus Rohstoffexporten, die weiterhin rund 50% der gesamten Exporterlöse Boliviens ausmachen (Klein 2003: 152, 250ff.), hat sich seit Beginn der 2000er Jahre und nach der Wahl von Evo Morales zum Staatspräsidenten zugespitzt. Die angespannte politische Situation kulminierte im Untersuchungszeitraum in gewalttätigen Konfrontationen zwischen Anhängern der Regierungspartei Morales und den Anhängern der Präfekten des Tieflandes (Stefanoni und Do Alto 2006)9. Vor allem letztere nutzten einen binären identitätspolitischen Dis-
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Zwei entgegengesetzte Agenden für eine »Neugründung« Boliviens standen sich gegenüber: Das politische Projekt der Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo), unterstützt von den Präfekten der Hochlanddepartements, von kleinbäuerlich-indigenen, gewerkschaftlichen und akademischen Gruppierungen, das auf die Verstaatlichung der Erdgasgewinnung und anderer primärer Schlüsselindustrien setzte und eine verfassunggebende Versammlung für einen
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kurs, der ein andin-indigenes Bolivien gegen ein amazonisch-mestizisches setzte (Assies 2006). Von den ethnisierenden Diskursen auf beiden Seiten blieben auch die Beziehungen zwischen bolivianischen Migranten/innen in Spanien nicht unberührt10. Negative Klassifizierungen der jeweils »anderen« regionalen Herkunftsgruppe zeigten sich in Sevilla auf alltäglicher Ebene in der Aufspaltung von Ankunftsnetzwerken. Weiter befördert durch die Konkurrenz um den Zugang zum informellen Arbeitsmarkt kam es zu Schließungsprozessen sozialer Netzwerke um Arbeit und Wohnen (Müller 2013: Kap. II; Pedone 2003). In diesem Zusammenhang nutzten die im Fußball engagierten bolivianischen Migranten die Idee der Verbrüderung, um ihrem Wunsch nach Frieden und Verständnis zwischen den Menschen eines gespaltenen Landes Ausdruck zu verleihen. Sie hegten die Hoffnung, dass der Sport zur Einheit der Bolivianer/innen beitragen würde: »Mira, estamos divididos, pero de nuestro país, para eso también sirve el fútbol. Hemos tenido muchos problemas de enfrentamientos, pero ahora menos, casi ya no.
pluri-nationalen Staat einberufen hatte; dagegen positionierten sich die Regierungen der Tieflanddepartements und dortige Unternehmensverbände mit ihren Forderungen nach Volksbefragungen zur regionalen Autonomie und einer liberalen Wirtschaftspolitik (Stefanoni und do Alto 2006; Beiträge in Ernst und Schmalz 2009). Zwischen Ende 2007 und Anfang 2009 herrschte aufgrund einer gelähmten Judikative eine Pattsituation zwischen maximalen und einander entgegengesetzten Forderungen beider Seiten. Bis zum Verfassungsreferendum im Januar 2009 wurden einige Punkte mit der Opposition neu verhandelt und die angespannte Lage hat sich nach der Annahme des neuen Verfassungsentwurfs im Referendum mit 61,4% der abgegebenen Stimmen beruhigt (Jost 2009; Lehoucq 2008; Beiträge in Crabtree/Whitehead 2008). 10 Bolivianischen Migranten in Sevilla und anderen spanischen Städten kommen mehrheitlich aus zwei Departements, der Tieflandregion Santa Cruz sowie aus Cochabamba in einem Tal der östlichen Andenkordillere. Die Herkunftsdepartements werden dem binären Schema unterstellt, obwohl Cochabamba geographisch und historisch gesehen nicht zum Andenhochland gehört.
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Se juegan y se enfrenta, pero luego se toman una cerveza juntos« (R.A.,Präsident von LIDEBOL, 30.03.2008)11.
Dieser Optimismus in die harmonisierende Wirkung der Fußballgeselligkeit zeigt sich auch in den Versuchen, gemischtbolivianische Mannschaften mit Leuten aus dem Hoch- und dem Tiefland, d.h. mit collas und cambas12, zu formen: »El segundo año intenté de mezclar, de unir, que no halla ese miramiento que son[...]., sino que todos somos bolivianos. Hasta inclusive diría yo que todos somos sudamericanos, que no haya discriminación alguna, que sea equitativa, que todos somos iguales. Que no haya diferencia porque has nacido un poco más allá o aquí, no te hace mejor o inferior. [...] hablando de los otros, a veces me dicen pero tú estás con los cambas, otros me dicen con los collas, muy mal lo que tienen en la mente de actuar así« (R.M.,Gründer der Liga por la Integración, 26.04.2008).13
11 »Schau, wir sind geteilt, aber von unserem Land her; aber der Fußball geht das an, auch dafür taugt er. Wir hatten viele problematische Auseinandersetzungen, aber sie werden immer weniger. Sie spielen und streiten sich, aber dann gehen sie zusammen ein Bier trinken.« 12 Die Begriffe colla und camba haben eine lange Geschichte. Camba, wahrscheinlich aus dem Guaraní, ist negativ besetzt gewesen, da er mit der indigenen Bevölkerung des Tieflandes assoziiert wurde, bis die Autonomiebewegung ihn mit dem identitätspolitischen Schlagwort der Nación Camba aufwertete (Assies 2006). Der Begriff colla kommt historisch-etymologisch von Kollasuyo, eine der vier Regionen des Inkareichs, die von Aymara-Fürstentümern bevölkert waren (Klein 2003). Ein neues Kollasuyo wird vom radikalen Sektor von AymaraAktivisten vertreten. 13 »Im zweiten Jahr versuchte ich zu mischen, zu vereinen, damit es nicht diese misstrauischen Blicke gibt. Wir sind alle Bolivianer, ich würde sogar sagen, dass wir alle Südamerikaner sind und es keinerlei Diskriminierung geben darf, alles muss gerecht sein, denn wir sind alle gleich. Nur weil der eine ein bisschen weiter hier oder dort geboren ist, ist er weder besser noch schlechter. Wenn ich mit Leuten rede, sagen sie mir manchmal, »aber du bist mit den cambas«, andere sagen »du bist mit den collas« – sehr schlecht, was sie im Kopf haben, dass sie so reden.«
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R.M. hat als Leiter mehrerer Fußballmannschaften die politisch geschürten Ressentiments zwischen Migranten aus dem westlichen Hochland und östlichen Tiefland am eigenen Leib gespürt und schlägt das gemeinsame Fußballspiel als Mittel zum Abbau von vorurteilsbeladenen Meinungen vor. Auch er spricht von Verbrüderung im Sinne eines sich gegenseitig Vorstellens und vertraut Werdens: »te vas comentando lo que eres, de donde eres, te vas socializando, te vas confraternizando«14. Neben Verbrüderung wurden noch einige weitere Begriffe von den Migranten benutzt, wenn sie über die sozialen Funktionen des Fußballs sprachen, z.B. Schaffung von unión (Einheit) und amistad (Freundschaft), was sich auch in den Namen der Madrider Ligen zeigt (siehe oben). Es fällt auf, dass »Integration« oder auch »Interkulturalität« – in den spanischen Medien allgegenwärtig – relativ selten fielen. Das folgende Zitat zeigt, wie der Integrationsbegriff, wenn er denn verwendet wird, als Synonym für convivencia steht und ein Miteinander von Migranten verschiedenster Herkunft im Fußball meint. Integration bezieht sich demnach auf die Stärkung des südamerikanischen Zusammenhalts, außerdem soll den Forderungen nach kommunaler Unterstützung durch den Sprachgebrauch Nachdruck verliehen werden: »Detrás de eso hay un gran esfuerzo de la directiva misma, es transmitir costumbre, compartir tradiciones. Se van mezclando estilos del deporte, hacer del fútbol de convivencia, de integración si se quiere decir. Yo creo que llegarán, llegará un momento que las autoridades de la comunidad de Madrid, de los ayuntamientos se van a dar cuenta del fútbol para los sudamericanos, van a dar más apoyo« (Rody Rivas, 25.03.2008)15.
Auch immer wieder gefallene Bemerkungen über die repräsentativen Funktionen der Saison-Eröffnungs- und Abschlusszeremonien der Ligen zeigen
14 »Du stellst dich vor, wer du bist, woher du kommst, du tauschst dich aus, du verbrüderst dich.« 15 »Dahinter verbirgt sich eine große Anstrengung der Turnierorganisation, um Bräuche zu vermitteln, Traditionen miteinander zu teilen, Fußballstile zu vermischen, aus dem Fußball ein Miteinander zu machen – Integration, wenn man so will. Ich glaube, dass die Madrider Autoritäten eines Tages das Potenzial des Fußballs für die Südamerikaner erkennen und uns stärker unterstützen werden«.
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die Bemühungen um öffentliche Anerkennung und Unterstützung. Sie sollen durch festliches Arrangement und möglichst prominente Gäste16 zu einem lokalen Ereignis werden, um auf sich aufmerksam zu machen, die mangelnde Infrastruktur und Kapitalausstattung der Ligen zu verbessern sowie durch ein Bild von Geschlossenheit (»unidad de los compatriotas«) Druck auf die diplomatischen Vertretungen der Herkunftsländer auszuüben: »Contratamos audio, tenemos un maestro de ceremonia que es un periodista, un señor que trabaja en la radio, por micrófono que coordina el campo uno con el campo dos: equipo tal, sale, se queda en el pasillo, le anunciamos, hace una vuelta, el público está ahí, hasta los cincuenta equipos están en fila, está toda la prensa. ¿Por qué se hace estas cosas formales? Es una necesidad para poder crear recursos también. Cuando venga una institución que está más o menos organizada, le interesa a las empresas, claro, para una colaboración con la liga y hacer también su [...]. Sí hay himno, generalmente vienen de la embajada, del consulado, siempre están con nosotros« (R. A., 30.03.2008)17.
Während »Integration« im Umfeld der Ligen demnach als Alternative zu emischen Bezeichnungen fällt und sporadisch als strategischer Begriff ein-
16 In Madrid werden zu den apertura- und clausura-Zeremonien der größten Ligen Konsulatsmitarbeiter, Journalisten und lokale Politiker eingeladen, beispielsweise bei APEM, zu dessen Abschlussfest mit Preisverleihung Gesandte der Madrider Regionalregierung und des ecuadorianischen Konsulats anwesend waren (www.latinoaméricaexterior.com, besucht 18.11.2008). Wenn möglich appellieren die Ligen an Politiker und Beamte beider Länder. 17 »Wir haben eine Anlage und einen Zeremonienmeister bestellt, einen Herren, der im Radio arbeitet. Per Mikrofon koordiniert er das erste mit dem zweiten Sportfeld. Jede Mannschaft tritt ein, wartet, wir kündigen sie an und sie dreht eine Runde auf dem Feld. Das gesamte Publikum und Presse sind da, wenn die bis zu 50 Mannschaften aufgestellt sind. Warum machen wir so was Formales? Das ist auch eine Notwendigkeit, um Ressourcen zu generieren. Wenn eine Institution mehr oder weniger organisiert ist, dann interessiert das die Firmen, klar, bezüglich einer Kooperation mit der Liga. Wenn es eine Hymne gibt, kommen normalerweise die Botschaft und das Konsulat, die halten zu uns«.
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gesetzt wird (beispielsweise auch in der Namensgebung18), ist er in der spanischen Öffentlichkeit seit Jahr 2000 stark thematisiert worden. Diskussionen, Parlamentsdebatten und Konsultationsprozesse mit zivilgesellschaftlichen Organisationen über Einwanderung, die zur Verabschiedung eines ersten Integrationsgesetzes führten, markieren einen Wandel der kollektiven Wahrnehmungsstrukturen des Phänomens. Noch zu Beginn von 2000 schrieb der Soziologie und Migrationsexperte Joaquín Arango (2000:2), dass das Thema Immigration in Wissenschaft und Öffentlichkeit noch keine prominente Stellung eingenommen habe. Das sollte sich grundlegend ändern. Der Diskurs oszilliert nunmehr zwischen einem Verständnis von Integration als Teilnahme und Teilhabe an der spanischen Gesellschaft und der Stärkung bürgerlicher, sozio-kultureller und politischer Rechte der Arbeitsmigranten auf der einen und assilimatorischen Tönen auf der anderen Seite, z.B. während des Wahlkampfs 2008, als der Oppositionskandidat der konservativen Partido Popular (PP), Manuel Rajoy, einen »Integrationsvertrag« zwischen Migranten und Gesellschaft forderte – nicht etwa zur Erlangung der Staatsbürgerschaft -, sondern für ein Aufenthaltspapier. Dieser Vertrag sollte einen Test über spanische »Sitten und Gebräuche« beinhalten. Der Vorschlag provozierte zivilgesellschaftliche Proteste und wurde der Lächerlichkeit preisgegeben; er erschütterte dennoch das Vertrauen der befragten Migrantenvereine in die Ernsthaftigkeit der politisch-rechtlichen Integrationsbemühungen Spaniens. »Integration« vermittelt in diesem Zusammenhang das Bild einer bei Ankunft der Migranten »integrierten« Gesellschaft, in die sich die Einwanderer wie in »ein festes Bauwerk« einfügen müssen (Interview mit D.N. vom Kultur- und Sportclub América Mestiza, 02.12.2007; vgl. Cottino 2005). Assimilatorische Integrationsdiskurse der christdemokratischen PP folgen einem historisch überlieferten Muster kastilisch-christlicher Identitäts-
18 Die Namen von Madrider Ligen (Liga Confraternidad Ecuatoriana, Liga Unida por el Deporte, Liga Amistad Pan Bendito, Liga Integración Latinoamericana) zeigen, dass die Eigenbezeichnungen häufiger verwendet werden; allerdings hat sich auch eine «Integrationsliga« gegründet. In Sevilla formierte sich im Frühjahr 2009 bezeichnenderweise die »Liga por la Integración«, die auch im Frühjahr 2013 noch bestand und die »Liga Independiente de Ecuador« abgelöst hat, was eine Transformation des Sprachgebrauchs veranschaulicht.
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politik nach innen und außen19. In Spanien begannen die Konsolidierung des Staatsterritoriums und der Prozess des Nation-Building bereits Ende des 15. Jahrhunderts – nach der Eroberung des letzten islamischen Königreiches, der Nazariden-Dynastie in Granada, und parallel zur Eroberung Amerikas. Die Ethnologin Christiane Staellart (1998) hat detailliert analysiert, wie die Ethnogenese dieses frühen spanischen Staatsgebildes sich gegen die jüdische und muslimische Bevölkerung um den Kern einer kastilisch-christlichen Identität formierte. Lateinamerikanische Einwanderung wird deswegen als weniger problematisch gesehen als Zuzüge aus Afrika, Asien und Osteuropa, weil die Vorstellung eines durch Sprache, Geschichte und Religion integrierten iberoamerikanischen Kulturraums vorherrscht und historisch weit zurückreicht (Juliano 1994)20. Bis heute herrscht statt ethnischer und religiöser Abgrenzung, wie beispielsweise gegenüber Marokko (Dietz 2004), das Bild von kultureller Nähe und somit eines »höhere[n] Grad[es] der Anpassung an das spanische Leben« vor, wie es im ersten Ausländergesetz der Nach-Franco-Ära von 1985 bezüglich »Iberoamerikanern« heißt (Staellart 1998: 130f.). Schon die Verwendung des Begriffs Iberoamerika veranschaulicht die Gleichsetzung Lateinamerikas mit dem Iberischen Spanien, was die Prägekraft jahrhundertelanger, eigenständiger Entwicklungspfade sowie amerindischer und afrohispanischer Einflüsse
19 Für Spanien gibt es nur wenige Studien über die Konstruktion nationaler Identitätsvorstellungen vor dem Hintergrund kontinentaler Wanderungen und politischer Interessenskonflikte im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Epochen und Prozesse, die für das Selbstverständnis vieler europäischer Länder prägend gewesen sind (Brubaker 1992). Trotzdem möchte ich versuchen, den Umgang Spaniens mit Alterität vor dem Hintergrund nationalstaatlicher Entwicklungen und der Bedeutung Lateinamerikas zumindest zu umreißen. 20 Nationale Identitätsvorstellungen in Spanien sind interessanterweise gerade seit dem Verlust der letzten amerikanischen Kolonie (Kuba 1898) an Lateinamerika gebunden. Unter der Wortführerschaft der konservativ-romantischen Intellektuellen der Generación 98 sowie patriotischer Politiker wurde der kompensatorische Mythos eines kulturell und geistesgeschichtlich weiterhin zu Spanien gehörenden Amerika errichtet. Die Idee eines hispanischen Amerikas mündete über die falangistischen Denker in die franquistische Ideologie der »Las Españas«. Die Negation kultureller und politischer Eigenständigkeit im Innern wurde durch den imperialen Anspruch in Übersee ergänzt.
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negiert. Die andin-südamerikanischen Migranten verkörpern das andere, indigene Amerika, das in den auf Homogenität beruhenden »imaginären Hispanitäten« kleinen Platz findet.
»K LEINE W ELTMEISTERSCHAFTEN « FÜR M IGRANTENKOLLEKTIVE Mundialito-Turniere werden punktuell und hauptsächlich von spanischen Veranstaltern für Migranten organisiert. Sie weisen Charakteristiken auf, die sie von den selbstorganisierten südamerikanischen Ligen unterscheiden: Sie werden mehrheitlich von den Verbänden und Clubs des spanischen Profibetriebs durchgeführt und richten sich ausschließlich an männliche Sportler, hegemoniale Geschlechterrollen und Körperbilder werden somit reproduziert. Außerdem nutzen sie die Anlagen des spanischen Fußballbundes oder sogar von Proficlubs, die in deutlich besserem Zustand als die kommunalen Sportanlagen der Migrantenligen sind. Die Teilnahmebedingungen sind deutlich besser als bei den Ligen, Einschreibung, Partien, Licht, Jury und manchmal sogar die Nutzung von Trainingsplätzen sind kostenlos; darüber hinaus werden alle Spiele von professionellen Schieds- und Linienrichtern gepfiffen. Im Folgenden werde ich zwei Mundialitos vergleichen, die ich über Wochen hinweg untersucht habe: das Torneo Sevilla Solidaria in der andalusischen Hauptstadt, das dem oben beschriebenen Muster folgt, und das Mundialito Sin Fronteras in Málaga, welches etwas anders strukturiert ist. Sevilla Solidaria wurde vom Zentrum für Forschung und Entwicklung des Andalusischen Fußballbundes (CEDIFA) durchgeführt und vom kommunalen Sportreferat (IMD) unterstützt. Es fand zwischen März und Mai 2008 auf den Anlagen von CEDIFA in Sevilla statt. Der Spielmodus spiegelt eine direkte Anlehnung des Turniers an die FIFA-Weltmeisterschaften wider; so durfte jede »Nationalmannschaft« maximal fünf »Ausländer« enthalten. Demnach nahmen (nach nationaler Herkunft geordnet) folgende Migrantenmannschaften teil: Armenien, Rumänien, Marokko, Nigeria, Brasilien, Kolumbien sowie je zwei Teams aus Ecuador, Bolivien und Paraguay. Eine »spanische« Mannschaft war nicht dabei. Die Begegnungen fanden samstagnachmittags und sonntags statt. Niemand sonst nutzte die Anlage zu diesen Zeiten. Die Spiele begannen in den frühen Nachmittagsstunden, wenn
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es in Sevilla auch im Mai schon sehr heiß ist. Ein einziger kleiner Kiosk im Eingangsbereich bot Erfrischungen und süße Snacks an. In Málaga war die Situation eine andere. Das Mundialito sin Fronteras, zwischen März und Juni 2008 ausgetragen, wurde von der Coordinadora de Inmigrantes, einem Zusammenschluss von Migrantenvereinigungen, organisiert und ebenfalls von der Stadt sowie von der Regionalregierung und der Bankenstiftung La Caixa gesponsert. Der erste entscheidende Unterschied war, dass die Organisatoren selbst teilnahmen und auch spanische Vereine dabei waren. Der Verein Casa Argentina, der sich politisch für soziale Rechte und die Normalisierung von irregulären Migranten einsetzt, spielte eine zentrale Rolle, und ihr Vorstand, ein Mann aus Buenos Aires, hatte vor der Migration nach Spanien ähnliche Turniere zwischen Migranten des Großraums Buenos Aires organisiert. Dank des Netzwerks an Kontakten, die Casa Argentina im Kampf gegen Abschiebungen aufgebaut hatte, nahm ein breites Spektrum an Organisationen und Vereinen am Mundialito teil, die nicht strikt einem »nationalen« Team entsprechen mussten: die Flüchtlingshilfeorganisation CEAR, das spanische Rote Kreuz und Nachbarschaftsvereine. Im Unterschied zu Sevilla und den aus der Presse bekannten Mundialitos (siehe unten) nahmen auch Frauenmannschaften teil. Die Sportanlagen wurden gleichzeitig von lokalen Clubmitgliedern besucht. Außerdem gab es in Málaga wöchentliche Treffen der Mannschaftsführer, die an die Ligaversammlungen erinnerten. Gegenseitige Austauch- und Lernprozesse sowie die Identifikation der Teams und Spieler mit dem Turnier wurden dadurch befördert. Während das Mundialito in Málaga durch die Mannschaftstreffen und gemeinsame Organisation partizipative Prinzipien der südamerikanischen Migrantenligen aufnimmt, was Diskussionsprozesse und strategische Allianzen zwischen Personen unterschiedlicher Herkunft anregt und zu Kooperation und Kompromiss nötigt, fehlte diese regelmäßige Kontaktebene in Sevilla. Da die teilnehmenden Mannschaften nichts mit der Organisation des Turniers zu tun hatten, traten sie sich ausschließlich als Gegner auf dem Spielfeld gegenüber. Die Rivalität insbesondere zwischen Migranten aus geographisch benachbarten Ländern mit langer Fußballtradition (z.B. Brasilien – Argentinien; Argentinien – Paraguay), wurden von den Turnierorganisatoren der CEDIFA als so hoch und nicht tolerierbar empfunden, dass für die Halbfinalspiele und das Endspiel ein privater Sicherheitsdienst bestellt wurde.
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Aus Beobachtersicht fand beim Mundialito Sevilla Solidaria deswegen kein Ausgleich von Geselligkeit, Kooperation und Wettbewerb statt, weil das Ambiente nicht zum Verweilen anregte. Es bildeten sich nach Herkunft und Club getrennte Fangruppen auf der Tribüne, die über Stunden auf ihren Plätzen blieben; es gab keine anderen Sitzgelegenheiten oder geschützte, schattige Orte. Mangelnde Geselligkeit erklärt auch, warum die Siegerehrung von Sevilla Solidaria so spärlich besucht wurde, so dass es zu keiner Abschlusszeremonie mit allen beteiligten Mannschaften kam. Der Wettbewerb um Sieg und Niederlage war das einzige Mittel der Begegnung zwischen den nationalen Gruppierungen, so kamen spielinhärente Charakteristiken voll zutage: Die symbolische Inszenierung von Rivalität zwischen Teams und Fangruppen sowie die exaltierten, in dieser Form sonst nicht erlaubten Emotionen, die zur Unberechenbarkeit des Sports beitragen (Müller 2009: 196f.; Giulanotti/Armstrong 1997: 12). Auch rief die prestigeträchtige Einladung durch den Andalusischen Fußballverband bei den ecuadorianischen und bolivianischen Migranten eine andere Art der Wahrnehmung und Anteilnahme hervor als der migrantische Ligabetrieb. Die Vorstellung, an einem wichtigen, »internationalen« Turnier teilzunehmen, erhöhte die Erwartungen an Leistung und Erfolg der eigenen Mannschaften. Aber warum beurteilten die Mundialito-Organisatoren die Initiative im Nachhinein als gescheitert? Warum löste die symbolische Konfrontation zwischen nationalen Migrantengruppen einen solchen Alarm aus, wo sie doch weltweit im Fußball und insbesondere bei der Fußballweltmeisterschaft üblich sind? Welche Erwartungen an ihr Turnier hatten die Organisatoren von Sevilla Solidaria?
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Die Organisatoren des Mundialitos in Sevilla zeigten sich in Interviews und schriftlichen Stellungnahmen durchdrungen von der Idee einer positiven Rolle des Fußballs für das gesellschaftliche Miteinander: »Das Hauptziel sind die Teilnahme der Immigranten und der Kampf gegen Rassismus und Xenophobie« (J.R. CEDIFA, 14.02.2008). Der auf Sevilla Solidaria als nationale Endrunde folgende Champions Cup in Madrid sollte »einen Ort des freien Ausdrucks in der universellen Sprache des Fußballs« schaffen; er sei
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»ein effektives Werkzeug, um die soziale Integration zu fördern, einen interkulturellen Dialog zu entwickeln und den Kampf gegen Diskriminierung [...] aufzunehmen« (www.cedifa.es/integracion, besucht am 20.03.2008)21. Auch liest man in Artikeln und Werbebotschaften über die Ligen in Madrid immer wieder idealistische Berichte. Toumaï brachte ihre Sportberichterstattung des Jahres 2006 mit dem Satz auf den Punkt, der Fußball (balón) sei der Star gewesen, der »immer wieder gezeigt habe, dass es zur Freude am Spiel nicht nötig sei, dieselbe Sprache zu sprechen« (Jg. IV, Nr. 43, Dez. 2006; siehe Anhang 2). Mundialitos erlebten zwischen 2006 und 2009 in Spanien eine enorme Popularität22. Es ist diese positive Erwartungshaltung gegenüber multikulturellen Sportbegegnungen, die die Reaktionen der Turnierorganisatoren von Sevilla Solidaria erklären. Die idealistische Sicht sieht »Integration« als gleichbedeutend mit der Schaffung sozialer Bindungen und Identifikationen über primäre Sozialbeziehungen und ethnische und subkulturelle Gruppengrenzen hinweg. Dahinter steckt ein Vertrauen – auch bei den Organisatoren des Mundialitos Sin Frontera und bei migrantischen Vertretern zu beobachten – in die »performative Bildung von Gemeinschaften« (Wulf/Zirfas 2001). Während jedoch in den Ligen und bei dem Turnier in Málaga ein Ausgleich
21 Ein ähnliches multikulturelles Migrantenturnier in Amsterdam, der Amsterdam World Cup, wirbt mit einem ebensolchen Idealismus für seine Veranstaltung (Müller/van Zoonen/de Roode 2008; Burdsey 2006). 22 Beispielsweise wurde das Futsala-Herren-Pokalturnier des Telekommunikationsriesen Movistar (II Copa Movistar de las Culturas) über Monate hinweg in verschiedenen spanischen Städten ausgetragen. Nach der Homepage des veranstaltenden Unternehmens zu urteilen (www.movistar.es/copa-movistar, besucht am 03.07.2009), nahmen 194 Mannschaften vom amerikanischen Kontinent, 73 europäische Teams, 68 afrikanische Mannschaften und eine asiatische teil. Die spanische Liga Nacional de Fútbol-Sala unterstützt das Turnier finanziell. Immer neue Mundialitos wurden ins Leben gerufen, im September 2008 das Torneo Nostra Catalunya, organisiert von RCD Espanyol und gesponsert von der Bankenstiftung La Caixa, der Versicherungsagentur Mapfre und einem privaten Fernsehkanal (Latinoamérica Exterior 15.09.2008: 9, besucht am 03.07.2009). Kleine Weltmeisterschaften für Immigranten wurden sogar in Städten abseits der großen Einwanderungsströme durchgeführt, so in Santander und Burgos während der Sommermonate 2007 (ebd.).
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zwischen den verschiedenen Elementen sportspielerischer Wettkämpfe – Kooperation, Wettbewerb, Geselligkeit – stattfand, standen sich die Beteiligten bei Sevilla Solidaria ausschließlich als Gegner fiktiver Nationalmannschaften auf dem Spielfeld gegenüber. Zwar wohnt dem Fußball wie anderen Formen ritualisierten Handelns mit dramatischen Qualitäten eine Form des Probehandelns inne, allerdings haben strukturelle Rahmenbedingungen und symbolische Ordnungen Einfluss auf das Sportgeschehen. Im sportlichen Wettkampf reflektieren sich gesellschaftliche (Ungleich-) Verhältnisse und das allgemeine Klima der Verständigung (vgl. Beiträge in Arnaud/Riordan 1998; Neckel und Sutterlüty 2008). Für die mehrheitlich irregulären Migranten in Spanien wird der gesellschaftliche Kontext außerhalb des Fußballfeldes von rechtlich-politischer Diskriminierung und ethnischen Segregierungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt, einem Wettbewerb untereinander um den Zugang zu Rechten, Chancen und Gütern der Aufnahmegesellschaft sowie durch wertbeladene mediale Diskurse über Integration bestimmt.
S CHLUSSBETRACHTUNGEN : D ISKURSE UM F USSBALL ALS M OTOR GESELLSCHAFTLICHER I NTEGRATION Der enorme Anstieg andin-südamerikanischer Einwanderung nach Spanien seit Mitte der 1990er Jahre bedingte die Gründung, das Wachstum und die Visibilisierung eigenorganisierter Fußball- und Futsala-Ligen. Es ist ein Feld des Migrantenfußballs entstanden, zu dem auch Kleine Weltmeisterschaften für alle Migrantenkollektive zählen, das von diversen Praktiken, Turnierformen und Narrativen über »Integration« geprägt ist. Diese Diskurse stehen in Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Problematisierung der außer-europäischen Einwanderung in Spanien seit 2000 sowie internationalen Aktionsprogrammen zu Sport und Sporterziehung für Migranten und ihre Familien. In Bezug auf die Organisation des Spielbetriebs können die eigenorganisierten Ligen von den üblichen Mundialitos wie Sevilla Solidaria klar unterschieden werden. Erstere sind in wöchentlichen Liga-Versammlungen organisiert, alle Mannschaften haben eine Stimme, am Regelwerk samt Normen und Sanktionen wird kontinuierlich gearbeitet, es kooperieren Migranten unterschiedlicher nationaler und regionaler Herkunft. Die regelmä-
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ßigen organisatorischen Treffen fördern die Konstitution von strategischen Allianzen, die über den Sportkontext in andere Bereiche mitgenommen werden; außerdem finden ökonomische und festliche Aktivitäten parallel zum sportlichen Wettkampf statt. Mundialitos hingegen werden hauptsächlich von spanischen Sportverbänden, Clubs und Firmenstiftungen organisiert. Die teilnehmenden Mannschaften werden nicht in die Planung einbezogen; sie begegnen sich ausschließlich auf dem Spielfeld und symbolisch aufgeladen als Vertreter ihrer jeweiligen »Nation«. Das übersetzt sich in eine erhöhte Kompetitivität. Mit Ausnahmen wie dem Mundialito sin Fronteras in Malaga, das dem Format der Ligen folgt indem es lokale Teams und Frauen aktiv miteinbezieht, ist das ein Fußball ausschließlich für Migranten, während die eigenorganisierten Ligen einen Fußball von und für Migranten, von und für Männer und Frauen spielen. Über die Diskurse um »Integration-durch-Fußball« lässt sich abschließend feststellen, dass gängige Organisationsformen des Mundialito, hier exemplarisch dargestellt an Sevilla Solidaria, Resultate erzeugen, die den Zielen der Organisatoren entgegenstehen. Rivalitäten zwischen Mannschaften und Spielern sowie symbolische Abgrenzungen der migrantischen Fangruppen stehen den idealistischen Auffassungen von Fußball als Ort der Verständigung über Werte und Erfahrungen sowie des Abbaus von Stereotypen entgegen. Auffallend ist, dass auch migrantische Fußballverantwortliche die idealistische Ansicht der Grenzen- und Vorurteile überwindenden Funktion von Fußballbegegnungen teilen. Allerdings wird der Sport zu diesem frühen Zeitpunkt des andin-südamerikanischen Migrationsprozesses nach Spanien in erster Linie als Ort der »Verbrüderung« zwischen Personen unterschiedlicher südamerikanischer Länder verstanden. Für Bolivianer/innen im Besonderen ist eine Verständigung zwischen Leuten aus beiden Landesteilen wichtig, deren Beziehungen durch politisch-ideologische Konfrontationen im Herkunftsland als gestört empfunden werden. Für bolivianischen Migranten ist das Zusammenstellen einer »Nationalmannschaft« (u.a. zur Teilnahme bei Sevilla Solidaria) demnach »Verbrüderung« durch convivencia, die Schaffung von »Einheit« und eine »Integrationsleistung«, auch wenn der Begriff bisher nur selten gefallen ist. In diesem Sinne kommt auch meine Studie zu dem Schluss, dass der Diskurs um »Integration-durch-Fußball« so vage und ambivalent ist, dass verschiedene Akteure mit dem lapidaren Hinweis auf dieses Ziel ihre eigenen Wünsche und Interessen verfolgen können (vgl. Müller, Van Zoonen und De Roode 2008). Es
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ist zu erwarten, dass die migrantischen Fußballveranstalter in Zukunft noch stärker das vorherrschende Vokabular aufgreifen, um ihre Vorhaben zu vermitteln, öffentliche Unterstützung zu bekommen und sich als legitime Nutzer von kommunalen Sportanlagen zu behaupten. Das erscheint deshalb als besonders wichtig, weil Fußball und Futsala die Sichtbarkeit der andinsüdamerikanischen Community im öffentlichen Raum zwar potenziert hat, die Nutzung desselben jedoch nicht selbstverständlich ist. Bisher werden die eigenorganisierten Ligen kaum von kommunalen Institutionen unterstützt, obwohl ihr partizipatives Element und die aktive Teilnahme der Frauen einer dynamischen, akteursorientierten und gelebten Integrationspraxis sehr viel näher kommen als die von spanischer Seite organisierten Kleinen Weltmeisterschaften.
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Fußball ist nicht gleich Fußball Ein Sport. Zwei Geschlechter. Unzählige mediale Berichterstattungsdifferenzen S IMONE S CHÖNDORFER
1. E INLEITUNG »Frauen-›Fußball‹ ist das, was Männer machen – nur in Zeitlupe und mit mehr Fehlpässen als Zuschauern im Stadion. Die Attraktivität liegt also nicht im Spiel, sondern im Aussehen einiger Mädels. Zumindest da sind ein paar scharfe Schüsse dabei [...]. Dennoch ist der weibliche Körper nicht so gut für den Fußball geschaffen.« (Bild-Zeitung) Derartige Aussagen – die beleidigend sind, die offensichtlich nicht nach einer Begründung oder Erklärung verlangen und die eindeutig traditionellen medialen Darstellungsarten von Fußballerinnen entsprechen – kamen in für diese Untersuchung relevanten Medienbeiträgen selten vor. Sie machen aber dennoch ersichtlich, dass Frauenfußball in den Medien nach wie vor kontrovers betrachtet wird und dass diese traditionellen medialen Darstellungsarten von Fußballerinnen hartnäckig sind. Durch die weithin vertretene Ansicht, Fußball liege nicht in der weiblichen Natur, werden Frauen im wahrsten Sinn des Wortes vom Platz verwiesen. Fußball bietet Raum für Männlichkeitskonstruktionen, Frauen haben auf dieses Männermonopol keinen Anspruch (vgl. Kreisky 2006: 21). Dieser Beitrag setzt an folgender Alltagsbeobachtung bzw. Problemstellung an: Frauenfußball wird medial entweder gar nicht erst thematisiert oder vielfach belächelt.
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Ziel des Beitrags ist es, mediale Darstellungsarten der an der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 teilnehmenden Fußballerinnen zu analysieren, mittels einer empirischen Untersuchung ausgewählter, deutscher Tageszeitungen, nämlich Bild und taz, veröffentlicht zur Zeit des Fußballereignisses. Die (kommunikations-)wissenschaftliche Relevanz der Thematik wird begründet anhand des fortwährenden (Re-)Konstruierens von Geschlechterbildern in und durch Medien. Wie Sportler und Sportlerinnen medial inszeniert und dargestellt werden, ist nichts natürlich Gegebenes, sondern lässt sich auf diesen Prozess der ständigen medialen (Re-)Konstruktion zurückführen. Seine Bestandteile in Hinblick auf den ausgewählten Untersuchungsgegenstand zu erfassen, quantifizieren und interpretieren entspricht dem Ziel dieses Beitrags. Die gesellschaftliche Relevanz ergibt sich erstens aus Tendenzen westlicher Gesellschaften, Sporttreibende in Medien darzustellen und zu heroisieren, bzw. Frauen bislang vor allem zu sexualisieren; Und zweitens durch einen bemerkbaren Trend der steigenden medialen Aufmerksamkeit, die Frauenfußball zumindest zeitweise erfährt, und die im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll.
2. AKTUELLER F ORSCHUNGSSTAND Um bekannt zu werden und Anerkennung zu erlangen, bedürfen Sportereignisse und sportliche Leistungen medialer Vermittlung (vgl. Settekorn 2007b: 16). Durch die mediale Sportberichterstattung wird – samt damit einhergehender Vernachlässigung von Breitensport und Randsport – nationaler und internationaler Spitzensport fokussiert. Die mediale Vielfalt des Spitzensports wird in Europa zudem weitgehend auf Männerfußball reduziert (vgl. Dimitriou/Sattlecker 2011: 53). Während über Männerfußball der oberen Ligen ausführlich berichtet wird, nimmt die Berichterstattung über niedrigere Ligen rapide ab. Über Jugendfußball oder Frauenfußball erfährt man in den klassischen Medien schließlich kaum etwas (vgl. Settekorn 2007a: 9). Wenngleich in jüngster Zeit eine leicht steigende Tendenz der Beliebtheit von Frauenfußball zu bemerken ist, ist es ihm trotzdem nicht möglich, nur einen Bruchteil der gesellschaftlichen und/oder medialen
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Aufmerksamkeit zu erlangen, die Männerfußball zukommt (vgl. Diketmüller 2006: 356). Sport wird in Medien nach wie vor als Spektakel von Maskulinität (re-) präsentiert (vgl. Meân 2010: 67). Mediale Bilder von Sportlern manifestieren sich häufig als heldenhaft. Sie glorifizieren Körper, maskuline Kraft, Performanz und Technik (vgl. Dimitriou 2011: 30). Traditionelle Bilder von Weiblichkeit sind hingegen geprägt von Passivität, Abhängigkeit, sexueller Unterwürfigkeit und physischer Schwäche. Durch die Sportberichterstattung wird dies unterstützt, indem Sportlerinnen entweder kaum thematisiert werden oder indem sie als sexuelle Objekte dargestellt sowie ihre Leistungen banalisiert werden (vgl. Sabo/Messner 1993: 16ff.). »It is more common to find a story about a male who lost than a female who won.« (Hardin/Dodd 2007: 110) In der medialen Berichterstattung über Sport nehmen Frauen eine Randposition ein. Inhaltsanalysen von Medienbeiträgen zahlreicher Länder zeigen, dass große Differenzen zwischen Männersport und Frauensport in der Häufigkeit der Berichterstattung bestehen: Frauensport ist neben Männersport quasi nicht existent (vgl. Thompson 2002: 117). Studien aus Europa und den USA verdeutlichen, dass über Sportler in Rundfunkmedien und Printmedien zu 75% bis 90% berichtet wird, über Sportlerinnen folglich zu 25% bis 10% (vgl. Diketmüller 2009: 88). Sofern Sportlerinnen medial thematisiert werden, finden sie sich oftmals in Special-Interest-Rubriken wieder: »[...] many newspaper and magazine articles about sportsmen are longer and have more prominent placement within the sports sections.« (Bissell 2007: 172) Das impliziert, dass Männersport allgemein interessiert und dass Frauensport, als von der Norm abweichendes Interesse, separat zu bedienen ist (vgl. Hardin/Dodd 2007: 110). »These representations, or lack thereof, lead to what gender studies scholars have referred to as the Symbolic Annihilation of women.« (Cooky 2007: 99) Neben dieser quantitativen Benachteilgung fallen diverse Formen qualitativer Benachteiligungen auf: »From early on, feminist sociologists of sport were alerted to how negatively the mass media represented women athletes, and how these forms of representation un-
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dermined the promotion of women’s sporting events or sportswomen as legitimate athletes.« (Thompson 2002: 117)
Werden Sportlerinnen also nicht medial ignoriert, werden sie vielfach verunglimpft, infantilisiert oder sexualisiert (vgl. Thompson 2002: 117). »When women are represented in the media, these images often trivialize, objectify and/or marginalize women in sport and physical activity.« (Cooky 2007: 98) Die mediale Sportberichterstattung kann als Demonstration sexueller Unterschiede und geschlechterbezogener Machtverhältnisse betrachtet werden. Dies bedingt unterschiedliche Inszenierungen von Sportlern und Sportlerinnen in Medien (vgl. Thompson 2002: 117). Sportler werden in Medienbeiträgen vor allem in Sportarten dargestellt, in denen physische Stärke und Technik zentral sind. Sportlerinnen werden vermehrt in ästhetischkompositorischen Disziplinen und Individualsportarten gezeigt. Die medial vermittelten Anteile stimmen jedoch nicht mit den von Männern und Frauen real ausgeübten Sportarten überein. Es werden demnach vor allem jene Sportarten in Medien berücksichtigt, die bestehende, akzeptierte Bilder von Männern und Frauen unterstützen: mediale Sportlerkörper sind stark, mediale Sportlerinnenkörper stehen im Kontext zur weiblichen Sexualität (vgl. Diketmüller 2009: 88f.). »If we look back historically at the coverage of female athletes, the preoccupation with sexuality and the heterosexy imperative is nothing new. [...] When women athletes were covered the media focused on the heterosexiness of the athletes more so than their performances.« (Cooky 2007: 98) Im Frauenfußball kann jedoch traditionellerweise nicht von heterosexuellen Darstellungen gesprochen werden. Der Mythos der lesbischen Fußballerin und damit einhergehende Vorstellungen von Frauenfußball halten sich nämlich besonders hartnäckig. Fußballerinnen werden medial häufig mit Verdächtigungen der Homosexualität konfrontiert, während Männerfußball selbstverständlich von einem heterosexuellen Bild geprägt ist (vgl. Diketmüller 2006: 359). Denn Frauen, die Männersport ausüben, verfügen augenscheinlich über vermeintlich männliche Qualitäten. Um also nicht als Mannweib oder lesbisch zu gelten, demonstrieren viele Fußballerinnen ihre Femininität: Sie haben langes Haar, und/oder tragen für den Sport Make-up auf (vgl. Hardin/Whiteside 2010: 19f.).
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Der Sprachgebrauch der Sportberichterstattung wird als weiterer Aspekt qualitativer Benachteiligung betrachtet. Geschlechterstereotypisierende, positiv konnotierte Attribute, beispielsweise der Stärke und Macht, beziehen sich überwiegend auf Sportler. Anerkennungen sportlicher Leistungen von Frauen werden hingegen geschmälert, indem oftmals mehr über außersportliche Themen berichtet wird, anstatt eben über sportliche Leistungen (vgl. Diketmüller 2009: 89). »Language is used to reinforce male values in sport, and to subject females (and female values) to derision. Condescending descriptions and imagery, compensatory rhetoric, emphasis on familial roles of female athletes, and the framing of female athletes of adolescents instead of adults [...] present women and their sporting values as less than norm in sport.« (Hardin/Dodd 2007: 110)
Neben verbaler Sportberichterstattung machen letztlich auch bildliche Darstellungen in der Sportberichterstattung Geschlechterdifferenzen offensichtlich. Während Männer häufiger in sportlicher Aktion gezeigt werden, werden Frauen eher in passiven Situationen dargestellt. In zirka 20% der visuellen Darstellungen von Sportlerinnen in Tageszeitungen werden diese zudem in einem erotischen Kontext präsentiert, wie eine europaweite Studie zeigt (vgl. Diketmüller 2009: 89). Bilder, die Sportler zeigen, stellen überwiegend körperliche Leistung dar. Bilder, auf denen Sportlerinnen abgebildet sind, neigen zu einer ästhetischen Stilisierung (vgl. Dimitriou 2011: 36). Medien tragen mit derartiger Sportberichterstattung zur Herstellung hierarchisierender Differenzen zwischen Männern/Sportlern sowie Frauen/Sportlerinnen bei. Mediale Darstellungen von Männersport und Frauensport unterstützen vielfach traditionelle Geschlechterbilder und Geschlechterverhältnisse, die in anderen Gesellschaftsbereichen bereits als überholt gelten (vgl. Diketmüller 2009: 89). Alldem gegenüber muss schließlich festgehalten werden, dass Sportlerinnen sich in vielen Fällen nicht gegen sexualisierende Darstellungsarten in Medien wehren. So posierten beispielsweise fünf Fußballerinnen des deutschen Frauenfußball-Nationalteams anlässlich der FrauenfußballWeltmeisterschaft 2011 nackt für die Juli-Ausgabe des Männermagazins Playboy.
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»It is not that women are completely ignored by the media; however, the publicity that women athletes receive is often marked by controversy. Many women wonder if their publicity, particularly cover-girl like photos, propels women’s sports forward or continues to contribute to its lack of credibility. Are women presenting themselves wisely? Female athletes need to realize they have some control over how their personas are presented to the public.« (Burris 2007: 92)
3. F ORSCHUNGSFRAGE In den Gender Studies wird von einer Wandelbarkeit der Geschlechterverhältnisse ausgegangen. Es werden sowohl Persistenz, als auch Veränderung erforscht. Die Geschlechterordnung entspricht keinem starren Gebilde. Vor allem in jüngerer Zeit gerieten Vorstellungen von typisch Männlichem und typisch Weiblichem in Bewegung. Grenzen zwischen den Geschlechtern verlieren an Eindeutigkeit, sie werden flexibler. (Vgl. Meusner 2009: o.S. und Schnegg 2009: o.S.) Dieser Beitrag zielt darauf ab, aktuelle Aussagen treffen zu können, über Persistenz oder Veränderung in den Darstellungsarten von Fußballerinnen in ausgewählten, deutschen Tageszeitungen, erschienen zur Zeit der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011. Dabei ist von Interesse, ob bzw. inwiefern traditionelle oder neuartige Darstellungsarten von Fußballerinnen vorhanden sind. Entsprechend dem Ziel dieses Beitrags lautet die zentrale Forschungsfrage: Wie werden Fußballerinnen, die an der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 teilnehmen, in ausgewählten, deutschen Tageszeitungen, im Zeitraum dieses Sportereignisses dargestellt? Zu ihrer Beantwortung erscheint es sinnvoll, zuvor angeführte theoretische Aspekte anhand der folgenden fünf Themenkomplexe zu verdichten: Themenkomplex I Themenkomplex II Themenkomplex III Themenkomplex IV Themenkomplex V
Formale Merkmale Verbale Inhalte Visuelle Inhalte Sprachliche und stilistische Charakteristika Sportliche Werte
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Die Beantwortung der Forschungsfrage basiert auf der Überprüfung der Aktualität zuvor angeführter Aussagen zu medialen Darstellungen von Sportlerinnen, die eben diesen fünf Themenkomplexen zugeordnet werden.
4. E MPIRISCHE U NTERSUCHUNG Um die Forschungsfrage zu beantworten bzw. das Forschungsziel zu erreichen, bedarf es einer empirischen Untersuchung, deren Rahmen wie folgt abgesteckt wird: Das Ziel, inhaltliche und visuelle Darstellungsarten von Fußballerinnen in relevanten Medienbeiträgen zu analysieren, wird mittels der Methode der Inhaltsanalyse verfolgt. »Inhaltsanalytische Verfahren sind aus der empirischen Sozialforschung nicht mehr wegzudenken, ihre Bedeutung stieg in den letzten Jahren an. [...] Mittels Inhaltsanalysen lassen sich Kommunikationsinhalte wie Texte, Bilder und Filme untersuchen [...].« (Atteslander 2008: 181) Die Inhaltsanalyse entspricht einer Methode der Datenerhebung zur Aufdeckung sozialer Sachverhalte (vgl. Atteslander 2008: 189). Sie ist eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen (vgl. Früh 2007: 27). Als wesentlicher Vorteil der Inhaltsanalyse wird die Vielfältigkeit des mit ihr zu analysierenden Materials erachtet (vgl. Schnell/Hill/Esser 2011: 398). Dabei eignet sich für diese empirische Untersuchung grundsätzlich sowohl ein quantitatives, als auch ein qualitatives Vorgehen: Aus dem Sammeln relevanter Medienbeiträge resultieren unerwartet viele Analyseeinheiten (N = 478). Um sie alle berücksichtigen zu können, bietet sich das quantitative Vorgehen an, mit dem eine Vielzahl an Daten analysiert und übersichtlich dargestellt werden kann. Um Aussagen über die Gültigkeit von derzeit bestehenden theoretischen Aspekten für relevante Medienbeiträge dieser empirischen Untersuchung treffen zu können, ist ein quantitatives Vorgehen zudem besser geeignet. Damit kann zumindest ein wesentlicher Aspekt des Forschungsziels erreichet werden: Traditionelle Darstellungsarten von Fußballerinnen lassen sich eher durch die quantitative Inhaltsanalyse erkennen.
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Der zweite Teil des Forschungsziels, die Feststellung, ob bzw. inwiefern neue Darstellungsarten von Fußballerinnen existieren, wäre wiederum eher mit einem qualitativen Vorgehen zu verwirklichen. Denn der thematisierte, bemerkbare Trend der steigenden medialen Aufmerksamkeit, die Frauenfußball zukommt, wird als weitgehend neuartig betrachtet, er sollte deshalb explorativ und damit idealerweise qualitativ erforscht werden. Um auch diesem Aspekt nachzukommen, werden in Abschnitt Sechs qualitative Beobachtungen festgehalten, zu neuartigen Darstellungsarten von Fußballerinnen, die während des Kodierens gemacht werden und die anhand der quantitativen Untersuchung nur schwer erfasst werden können. Inhaltsanalysen zielen zumeist darauf ab, mehrere Aspekte zu erfassen und zu analysieren, die in relevanten Inhalten vorkommen. Mit der Entwicklung eines Kategoriensystems werden alle für eine empirische Untersuchung relevanten Inhalte, die Kategorien genannt werden, festgelegt, gesammelt und definiert. Kategorien einer quantitativen Inhaltsanalyse basieren auf zuvor erarbeiteten, theoretischen Aussagen und sie werden vor der Datenerhebung entwickelt, weshalb es sich im Kontext von quantitativen Inhaltsanalysen generell um geschlossene Kategoriensysteme handelt, die während der Datenerhebung nicht mehr verändert werden. Zunächst entsprechen Kategorien Oberbegriffen, die entweder mit zuvor erarbeiteten, theoretischen Aspekten identisch sind und/oder die zuvor erarbeitete, theoretische Aspekte in Sinneinheiten zusammenfassen. Diesen Oberbegriffen werden weiters Unterbegriffe, die Ausprägungen genannt werden, zugeteilt. Ausprägungen verdeutlichen, welche Erscheinungsformen ihre übergeordneten Kategorien annehmen können. (Vgl. Schnell/Hill/Esser 2011: 400) Für die empirische Untersuchung dieses Beitrags wird das Erhebungsinstrument des geschlossenen Kategoriensystems verwendet, in welchem sich die in Abschnitt Zwei angeführten theoretischen Aussagen in Kategorien und Ausprägungen der Kategorien wiederfinden. Eine Inhaltsanalyse von Tageszeitungen durchzuführen hat den Vorteil, dass (in Abgrenzung zu Hörfunkmedien) Text und Bild untersucht werden können und dass (in Abgrenzung zu audio-visuellen Medien) Daten einfach erhoben und ausgewertet werden können. Tageszeitungen werden des Weiteren für die empirische Untersuchung ausgewählt, da durch sie eine Vielzahl an Daten (in Abgrenzung zu wöchentlich oder monatlich erscheinenden Printmedien) zur Verfügung stehen.
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Für die Auswahl der angeführten, national erscheinenden Tageszeitungen sprechen folgende Gründe: Erstens spielen ihre Blattlinien (Boulevardzeitung versus Qualitätszeitung) eine wesentliche Rolle. Eine Boulevardzeitung (Bild- Zeitung) und eine Qualitätszeitung (taz) in die empirische Untersuchung zu integrieren, hat den Vorteil, dass eine potentiell größere Vielfalt an medialen Darstellungsarten von Fußballerinnen berücksichtigt werden kann. Zweitens werden ihre Reichweiten und die damit einhergehende Relevanz ihrer Medienbeiträge, die von einer Vielzahl an Lesern und Leserinnen rezipiert werden, berücksichtigt. Wenngleich die Reichweiten der zwei Tageszeitungen in keinem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Drittens beinhalten diese zwei Tageszeitungen, im Vergleich zu anderen, verhältnismäßig viele relevante Medienbeiträge und sind deshalb für die empirische Untersuchung besonders geeignet. Der Untersuchungsgegenstand ergibt sich also aus allen Medienbeiträgen mit Thematisierung des Sportereignisses in den Tageszeitungen Bild und taz, die zwischen 26. Juni 2011 und 17. Juli 2011, dem Zeitraum der Frauenfußball-Weltmeisterschaft, erscheinen. Dabei werden alle relevanten Medienbeiträge analysiert, es wird also eine Vollerhebung durchgeführt. Dies bietet den Vorteil, dass aufgrund der Berücksichtigung aller Objekte keine zentralen Informationen verloren gehen. Innerhalb der Grundgesamtheit von 478 Untersuchungseinheiten werden einzelne Wörter als kleinste berücksichtigte Zähleinheiten definiert. Die konkrete Datenerhebung, Datenerfassung und Datenauswertung erfolgt mithilfe des Statistikcomputerprogramms SPSS Version 18.
5. U NTERSUCHUNGSERGEBNISSE Ergebnisse der empirischen Untersuchung von 478 Medienbeiträgen zeigen, dass – für den relevanten Untersuchungsgegenstand und den besagten Untersuchungszeitraum – entgegen theoretischer Vorannahmen keine traditionellen medialen Darstellungsarten von Fußballerinnen dominieren, sondern, dass überwiegend neuartige Darstellungsarten vorkommen. Diese Aussage lässt sich auf die zusammengefassten Einzelergebnisse zu den benannten fünf Themenkomplexen zurückführen:
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Themenkomplex I: Formale Merkmale In Hinblick auf formale Merkmale der analysierten Medienberichterstattung sei erstens festgehalten, dass die Bild-Zeitung (mit 204 Fällen) sowie die taz (mit 274 Fällen) ein relativ ausgeglichenes Medienberichterstattungsinteresse an der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 zeigen. Diese rege Berichterstattung erscheint relativ ungewöhnlich; Wenngleich für exakte Aussagen zur Quantität in Relation zum Männerfußball eben ein äquivalentes Männerfußball-Ereignis als Vergleichsdimension fehlt. Die ebenfalls ausgewogene Verteilung der Analyseeinheiten auf die Wochentage verdeutlicht weiters, dass der relevante mediale Output im zeitlichen Verlauf weitgehend konstant ist. Die am häufigsten vorkommenden journalistischen Gestaltungsformen, der Bericht (mit 106 Fällen), die Nachricht (mit 69 Fällen), das Portrait (mit 53 Fällen) sowie die Meldung und der Kommentar (mit jeweils 52 Fällen) entsprechen mehrheitlich, und natürlich nur im Idealfall, objektiven Textgattungen. Daraus lässt sich ableiten, dass die FrauenfußballWeltmeisterschaft 2011 überwiegend im Rahmen einer Fakten-orientierten Medienberichterstattung thematisiert wird. Bezüglich der Zusammensetzung der Analyseeinheiten aus Textelementen und Bildelementen wird weiters deutlich, dass die Mehrheit der Analyseeinheiten (298 Fälle) beide Elemente vereint. Daraus wird erschlossen, dass dem medialen Interesse an der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 unter anderem mit der Aufmerksamkeit erregenden Kombination aus Text und Bild Ausdruck verliehen wird. Dass Fußballerinnen, Frauenfußball und/oder die FrauenfußballWeltmeisterschaft 2011 in relevanten Medienbeiträgen überwiegend (in 68,6% der Fälle) hauptsächlich thematisiert wurden, verdeutlicht zudem, dass das mediale Interesse am benannten Untersuchungsgegenstand über bloße Erwähnungen des besagten Sportereignisses hinausgeht. Schließlich sind innerhalb der relevanten Medienbeiträge mehr positiv (76 Fälle) und neutral (327 Fälle) formulierte Headlines erkennbar, als negativ formulierte (71 Fälle). Ähnlich verhält es sich bezüglich der Bildunterschriften, bei denen ebenfalls positive Formulierungen (42 Fälle) und neutrale Formulierungen (182 Fälle) negative Formulierungen (14 Fälle) überragen. Die relevante Medienberichterstattung basiert demnach überwiegend auf einem positiven bzw. neutralen medialen Sprachgebrauch.
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Auf Ebene formaler Merkmale wird die analysierte Medienberichterstattung zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 als positiv im Sinn einer fortschreitenden Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnet. Themenkomplex II: Verbale Inhalte Thematisierte Fußballerinnen scheinen als Sportlerinnen medial durchaus ernst genommen zu werden, da in der relevanten Medienberichterstattung auf eine abwertende mediale Sprache, auf Erotik und Sexualität bezogene Themen, auf eine verkindlichende mediale Sprache und auf das Vorurteil der Vermännlichung mehrheitlich verzichtet wird. Dass der Begriff Fußball automatisch Männerfußball bedeutet und dass Frauenfußball verbal stets eigens als solcher ausgewiesen werden muss, trifft auf die relevante Medienberichterstattung außerdem nicht zu. Weiters wird ersichtlich, dass Frauenfußball in der relevanten Medienberichterstattung überwiegend nicht (nämlich in 284 Fällen) als von der Norm – also vom Männerfußball – abweichend dargestellt wird. Dies bedeutet, dass Frauenfußball in den meisten Fällen als normal gehandelt wurde, dass es eben zumeist keiner Abgrenzung zur eigentlichen Norm bedurfte und dass dementsprechend die mediale Akzeptanz des Frauenfußballs überwiegend nicht in Frage gestellt werden kann. Thematisierungen von Fußballern (in 88 Fällen) verdeutlichen hingegen, dass Frauenfußball trotzdem nicht als Norm missinterpretiert werden darf. Diese Thematisierungen von Sportlern, die im Grunde keine Relevanz im Rahmen der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 aufwiesen, erscheinen in umgekehrter Form, der zufolge Fußballerinnen in Medienbeiträgen zu Männerfußball-Weltmeisterschaften als Referenzgrößen angeführt werden, undenkbar. Dies zeigt, dass in der relevanten Medienberichterstattung Bezüge zum allgemein und bedingungslos akzeptierten (Männer-)Fußball doch immer wieder hergestellt werden. Auch die Tatsache, dass in 108 Fällen der relevanten Medienberichterstattung Frauenfußball mit Männerfußball direkt verglichen wird, deutet darauf hin, dass Frauenfußball medial (noch) nicht für sich alleine existiert. Zu diesen Vergleichen zwischen Männerfußball und Frauenfußball sei festgehalten, dass positive Bewertungstendenzen (mit 41 Fällen) und neutrale Bewertungstendenzen (mit 50 Fällen) negative Bewertungstendenzen (mit 17 Fällen) übertreffen. Wenngleich Frauenfußball also (noch) keine absolu-
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te mediale Eigenständigkeit zugesprochen werden kann, so wurde er in der relevanten Medienberichterstattung doch überwiegend nicht negativ im Vergleich zu Männerfußball dargestellt. Auf Ebene verbaler Inhalte wird die analysierte Medienberichterstattung zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 als (teilweise nur bedingt) fortschrittlich bezeichnet. Themenkomplex III: Visuelle Inhalte Für die relevante Medienberichterstattung kann entgegen theoretischer Erkenntnisse festgestellt werden, dass Fußballerinnen auf Medienbildern öfter in Aktivität und/oder Bewegung gezeigt werden, als vice versa. Diese Darstellungstendenz äußert sich weiters darin, dass Fußballerinnen auf Medienbildern, ebenfalls entgegen theoretischer Erkenntnisse, kaum passiv und/oder in statischen Posen dargestellt werden. Zudem werden sie eher in Ausnahmefällen, als in der Regel erotisch bzw. in Bezug zur weiblichen Sexualität visualisiert. Diese Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass in der relevanten Medienberichterstattung durchwegs neuartige optische Darstellungsarten von Fußballerinnen dominieren. Dennoch werden Fußballerinnen, entsprechend theoretischer Erkenntnisse, auf Medienbildern nach wie vor nur selten im Kontext körperlicher Leistung und/oder physischer Stärke abgebildet. Das Vorhandensein einiger Medienbilder, auf denen Fußballer abgebildet werden, verdeutlicht erneut, dass der mediale Frauenfußball immer wieder Bezüge zum Männerfußball aufweist. Auf Ebene optischer Darstellungsweisen wird die analysierte Medienberichterstattung zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 als ähnlich einer Männer-fokussierenden Sportberichterstattung bezeichnet. Es ist auf visueller Ebene eine Entwicklung hin zur typischen Männerfußballberichterstattung erkennbar, die jedoch nicht ausnahmslos vorkommt. Themenkomplex IV: Sprachliche und stilistische Charakteristika Fußballerinnen werden in der relevanten Medienberichterstattung unerwartet selten im Kontext außersportlicher Themen stilisiert, wie beispielsweise in familiären Rollenkontexten. Sie werden weiters auch kaum mit vernied-
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lichenden Etikettierungen versehen und nur in wenigen Ausnahmefällen ins Lächerliche gezogen. Die Untersuchungsergebnisse machen ersichtlich, dass Medienberichterstattungscharakteristika, die traditionellerweise Fußballerinnen betreffen, durchaus auch in Bezug auf Fußballer vorkommen: So werden auch sie in außersportlichen Kontexten (in 19,3% der Fälle), bzw. in familiären Rollenkontexten (in 3,4% der Fälle) thematisiert. Verniedlichende Etikettierungen (in 20,5% der Analyseeinheiten) sowie ein lächerlicher Sprachgebrauch (in 14,8% der Analyseeinheiten) in Bezug auf Fußballer lassen sich zudem ausmachen. Demnach werden Fußballerinnen in der relevanten Medienberichterstattung zwar häufiger in außersportlichen Kontexten (in 35,6% der relevanten Medienbeiträge) sowie in familiären Rollenkontexten (in 12,6% der relevanten Medienbeiträge) angeführt, sie werden jedoch seltener verniedlicht als Fußballer (in 14,6% der relevanten Medienbeiträge) bzw. lächerlich gemacht (in 13,2% der relevanten Medienbeiträge). Auf Ebene sprachlicher und stilistischer Charakteristika wird die analysierte Medienberichterstattung zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 als weitgehend Medien-untypisch bezeichnet. Themenkomplex V: Sportliche Werte Fußballerinnen werden schließlich (erwarteterweise) weder signifikant oft im Kontext männlich konnotierter sportlicher Werte wie Kraft oder Ausdauer thematisiert, noch, (und zwar unerwarteterweise) im Kontext der weiblich konnotierten sportlichen Werte der Grazie, Anmut und/oder Eleganz. Außerdem kommt das Geschlechterstereotyp der angeblichen Vermännlichung von Fußballerinnen in der relevanten Medienberichterstattung kaum vor. In relevanten Medienbeiträgen ist demnach ein Trend bemerkbar, der wegführt vom Anführen typisch weiblicher sportlicher Werte und der zugleich aber nicht hinführt zum Anführen typisch männlicher sportlicher Werte. Dies mag ein Anzeichen dafür sein, dass sich für Fußballerinnen zunehmend mehr neuartige und gleichermaßen nicht von der Norm Männersport geprägte mediale Darstellungsarten ergeben.
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Auf der Ebene sportlicher Werte wird die analysierte Medienberichterstattung zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 als wegweisend für eine neuartige und unabhängige Medienberichterstattung über Fußballerinnen bzw. über Frauenfußball bezeichnet. Diese Aussage lässt sich damit begründen, dass Fußballerinnen in der relevanten Medienberichterstattung weder im Kontext männlich konnotierter, sportlicher Werte, noch im Kontext weiblich konnotierter, sportlicher Werte angeführt werden. Das lässt wiederum hoffen, dass künftig eine von Männerfußball unabhängige und zugleich den Frauenfußball würdigende Form der Medienberichterstattung normal sein wird.
6. B EOBACHTUNGEN
IM
R AHMEN
DES
K ODIERENS
Neben dem eingangs angeführten, repräsentativen Zitat für traditionelle mediale Darstellungsarten von Fußballerinnen in der relevanten Medienberichterstattung fallen in einigen Analyseeinheiten Biologismen auf, die auf Basis anatomischer Differenzen zwischen Männern und Frauen angeblich erklären, aus welchen Gründen Fußball eben nicht gleich Fußball sein kann. Biologismen werden in der empirischen Untersuchung nicht mittels eigener Kategorie berücksichtigt, aus diesem Grund sei hier festgehalten, dass das Begründen und Rechtfertigen von medialen Geschlechterdifferenzen auf Basis biologischer Geschlechterdifferenzen in der relevanten Medienberichterstattung vorkommt. Die Aussage: »Frauenfußball ist eine eigene Sportart.« (Bild-Zeitung) entspricht also nach wie vor der Meinung einiger Journalisten und auch Journalistinnen. Ein anderer wiederum findet: »Frauenfußball ist ja schließlich kein Mädchentennis!« (taz) und hilft mit diesem Statement auch in keiner Weise der Entwicklung des medialen Frauensports. Ein paar Forderungen ausgedienter Fußballer, wie beispielsweise Lothar Matthäus, die Medienberichterstattung zur FrauenfußballWeltmeisterschaft 2011 solle doch endlich in Sonderausgaben verlagert werden und nicht mehr die Männersportteile der Zeitungen blockieren (vgl. Bild-Zeitung), unterstreichen des Weiteren, dass sich Frauenfußball noch in einer Entwicklungsphase der Akzeptanz befindet. Ein ARD-Journalist wusste seine Abneigung besser zu kaschieren als Lothar Matthäus und teilte mit: »Frauenfußball ist, wenn man trotzdem Spaß hat.« (taz)
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Als Gipfel unmöglicher medialer Aussagen kann jedoch die wohl satirisch zu verstehende Kolumne Trikottausch des taz-Kolumnisten Deniz Yücsel angeführt werden, der sich einen Spaß daraus macht, Fußballerinnen als Schnitten, Schlampen, Häschen oder Schnallen zu bezeichnen. Mit seinen frauenfeindlichen, Frauenfußball-feindlichen und vor allem wortschwachen Witzen verärgert er neben taz-Lesern und taz-Leserinnen auch den Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner, der sich prompt in der taz als Gastkommentator zu Wort meldet und somit die Diskussionslawine zu dem Thema: »Deutsche Frauen sind keine Schlampen!« forciert. Der tazKolumnist Deniz Yücsel darf sich beispielsweise mit folgenden Zitaten rühmen: »Pfui ihr Schlampen!«, »Die schärfste WM aller Zeiten« oder »Lirja, die Kosovo-Schnalle«. Der alten (Fußball-)Schule sei an dieser Stelle auch FIFA-Präsident Joseph Blatter zugeordnet, der in einer – der auffallend wenigen – FIFAPressekonferenzen zum Sportereignis folgendermaßen rechtfertigt, aus welchem Grund der Weltfußballverband den Frauenfußball finanziell nicht großzügiger unterstützt: »Ab einer gewissen Altersgrenze hat der Frauenfußball ja keine Möglichkeiten mehr sich weiterzuentwickeln, weil die Frauen dann ja eine andere Aufgabe haben.« (Bild-Zeitung) Ähnlich unpassende Äußerungen darf sich der thailändische FIFA-Funktionär und Frauenfußballchef Worawi Makudi zuschreiben, der vor allem ob der Ahnungslosigkeit bezüglich seiner Funktion (so feuerte er ein FrauenfußballNationalteam an, das an der Weltmeisterschaft 2011 nicht teilnahm) und den Versuchen möglichst unentdeckt zu bleiben (aufgrund eines laufenden Korruptionsskandals, in den er verwickelt war bzw. noch ist), auffällt. So, Schluss mit diesen altbekannten Unangemessenheiten gegenüber Fußballerinnen und Frauenfußball, denn: »Während sich die Kickerinnen weiterentwickelt haben, scheint das Machotum noch in den 1990er Jahren hängen geblieben zu sein.« (taz) In vielen relevanten Medienbeiträgen werden – ergänzend zur Sportberichterstattung und nicht als Ersatz eben dafür – geschlechterpolitische Themen aufgegriffen, die über den Frauenfußball hinausgehen. So finden sich Medienbeiträge, in denen Frauenbilder unterschiedlicher Nationen aufgegriffen werden, in denen thematisiert wird, welche Stellenwerte und Benachteiligungen Frauen im Erwerbsleben haben, in denen aber eben auch Vorreiterinnen des Frauenfußballs portraitiert werden, in denen Integrati-
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onspotentiale des Frauenfußballs für muslimische Frauen erörtert werden oder, in denen die Gender Studies an sich Thema sind. Neben der medialen Aufmerksamkeit, die Fußballerinnen im Zuge der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 zukommt, werden auch Trainerinnen, Schiedsrichterinnen, Funktionärinnen oder Sportjournalistinnen und einige ihrer teils außergewöhnlichen Lebensgeschichten medial dargestellt, was zumeist mit dem Appell endet, dass viel mehr Mädchen und Frauen für diesen Sport begeistert werden müssen. Zudem werden einige Medienbeiträge über Männersportereignisse in extra ausgewiesenen Special-Interest-Rubriken innerhalb von Frauenfußball-WM-Beilagen platziert, was traditionellerweise in umgekehrter Anordnung passiert. In vier relevanten Medienbeiträgen wird erkannt, dass FrauenfußballTeams nicht als Mannschaft sondern als Frauschaft zu bezeichnen sind. Auch der Begriff Spielerinnenmänner – die auf Tribünen sitzen und ihre Partnerinnen am Spielfeld anfeuern – wird des Öfteren verwendet. Ebenso verdeutlicht die Verwendung des Begriffs Männerfußball, dass das Wort Fußball grundsätzlich geschlechtsneutral ist. In einem relevanten Medienbeitrag wird Frauenfußball sogar ehrfurchtsvoll als »neuer Weltfußball« (Bild-Zeitung) gewürdigt. All die positiven Stimmen von Journalisten und Journalistinnen, die letztlich die eingangs angeführten schwarzen Schafe überwiegen, können mit folgendem Zitat zusammengefasst werden: »Die Wertschätzung gegenüber dem Frauenfußball stößt in neue Dimensionen vor!« (taz) Wenngleich das Fortschreiten der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern im medialen Fußball viel eher im Evolutions-, denn im Revolutionstempo geschieht, so zeigen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung doch, dass positive Veränderungen im Sinne einer fortschreitenden Emanzipation sehr wohl bemerkbar sind und dass ein sich wandelndes Bewusstsein existiert. Selbst der Sport und der Fußball – zwei der rückständigsten medialen Bereiche im Sinne einer Geschlechterdemokratie – machen also nicht Halt vor dieser notwendigen sozialen Umgestaltung.
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Fankulturen des Männer- und des Frauenfußballs Qualitative Unterschiede und mögliche historische Ursachen P HILIPP D EZORT
Wohl keiner anderen Sportart wird weltweit größere Aufmerksamkeit zu Teil als dem Fußball (vgl. Schmidt-Lauber 2008: 13). In Deutschland strömen Jahr für Jahr Millionen Menschen in die Stadien (vgl. Prosser 1999: 435f.) und die Vereine setzen zum Teil astronomische Summen um.1 Das Interesse, das dem Vereinsfußball entgegen schlägt, wird durch eine Fußballweltmeisterschaft noch übertroffen, gehört diese doch zu den meistbeachteten Ereignissen der Gegenwart überhaupt (vgl. Bromberger 1998: 285/ Dzialecki 2011). Auch wenn die Frauenfußballweltmeisterschaft 2011 in Deutschland fast durchweg als Erfolg gewertet wurde und zumindest im Austragungsland große Aufmerksamkeit erntete (vgl. Ahrens 2011), beziehen sich die vorangegangenen Sätze natürlich hauptsächlich auf den »Männerfußball«. Der Frauenfußball fristet im Vergleich dazu nach wie vor eher ein Schattendasein. Die Spielerinnen können im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen meist nicht von den Fußballeinnahmen allein leben (vgl.
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So setzte zum Beispiel allein die erste Bundesliga der Männer nach Angaben der Deutschen Fußballliga (DFL) in der Saison 2010/11 einen Betrag von 1,942 Milliarden Euro um (vgl. Kintzinger 2011).
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Meinert 2006: 23) und ein gewöhnliches Bundesligaspiel lockt selten mehr als 2.000 Zuschauer ins Stadion (ebd. 24). Aus diesen quantitativen Faktoren ergeben sich zwangsläufig Auswirkungen auf die Fankulturen des Fußballs in der Bundesliga der Männer einerseits und in der Bundesliga der Frauen andererseits. Mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in den Zugängen zur Fankultur, dem Erlebnis des Stadionbesuchs und der Selbstwahrnehmung als Fan zwischen Personen dieser beiden Gruppen befasste sich meine Masterarbeit. Anhand von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen konnte ich Einblicke in das Spieltagserlebnis von Fangruppen des FCR 2001 Duisburg bei den Frauen sowie Hannover 96 bei den Männern gewinnen. Dass der aktuelle Entwicklungsstand der Sportart wie auch der Fankulturen auf der Seite des Männerwie des Frauenfußballs historisch bedingt ist, zeigt ein kurzer geschichtlicher Überblick. Über Jahrzehnte ging die Förderung des Männerfußballs mit der Unterdrückung des Frauenfußballs Hand in Hand, was sich wiederum unmittelbar auf die Anhängerschaft auswirkt.
E NTSTEHUNG DES F USSBALLS SEINER F ANKULTUR
– E NTSTEHUNG
Zwar wurde der Fußball in England noch Mitte des 19. Jahrhunderts nach unterschiedlichen Regeln gespielt, nichtsdestotrotz muss in dieser Zeit der Entstehungszeitpunkt der Fankultur gesucht werden, der sich spätestens aus der Begrenzung der Spielteilnehmer ergibt, die dazu führt, dass nicht mehr jeder Anwesende auch die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am Spiel hat und so eine eher passive Rolle als Zuschauer einnimmt. Der Beginn einer kulturanthropologischen Auseinandersetzung mit den Fußballzuschauern geht folglich mit der Institutionalisierung – also der Gründung von Vereinen und Verbänden, sowie der Entstehung verbindlicher Regeln – in England einher, während sich Kontinuität zu früheren Beschreibungen und Vorläufern des Spiels unter volkskundlichen Gesichtspunkten nicht ohne weiteres herstellen lässt. Existente Beschreibungen früher Wettkämpfe als Vorläufer des Fußballs erscheinen umso abstrakter, wenn man sich vor Augen führt, dass 1846 das erste Regelwerk »The Law of Football as Played in Rugby School« (vgl. Brändle/Koller 2002: 26) festgelegt wurde. Denn dieses bildete zusammen mit den 1848 folgenden Regeln von Cambridge
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bzw. denen aus Eton von 1849 den Beginn der Ausdifferenzierung zwischen den Sportarten Rugby und Fußball (vgl. ebd.). Selbst zu diesem Zeitpunkt hatte das Spiel also noch recht wenig mit dem heute bekannten Fußball zu tun, wodurch Rückgriffe auf noch frühere Vorformen und vor allem von diesen ausgehende Erklärungsansätze umso angreifbarer erscheinen. Der deutlichste Regelunterschied liegt zu diesem Zeitpunkt darin, dass die Regeln von Cambridge und Eton im Gegensatz zu denen aus Rugby das Spielen des Balls mit der Hand eingrenzen. Auch die Entwicklung zum Zuschauersport folgte erst später, da der Fußball seinen Platz zu dieser Zeit fast ausschließlich in den »Public Schools« hatte (vgl. ebd.: 23) und überregionale Wettkämpfe durch die weiterhin bestehenden Regelunterschiede erschwert wurden. Bei der folgenden Gründung von Fußballvereinen, für die der Sheffield FC im Jahr 1857 den Startschuss gab, ist zwar ein Schritt aus den Schulen getan, als »Spiel der Eliten« (vgl. ebd. 21, 28f.) bleibt der Fußball der Masse aber zunächst verschlossen. Um dem vergleichenden Blick dieses Aufsatzes gerecht zu werden, ist anzumerken, dass dies umso deutlicher für Frauen und Mädchen gilt, da erwähnte »Public Schools« ausschließlich von Jungen besucht wurden und auch die ersten Vereine von Absolventen dieser Schulen gegründet wurden (vgl. ebd. 28). Offiziell ist der Fußball in seiner Ursprungszeit also Männer-, bzw. Jungensport. Mit der Gründung der Football Association 1863, die sich als Verband Londoner Vereine 1877 mit dem Sheffielder Verband zusammenschloss und durch Beitritte weiterer Verbände zum nationalen Dachverband wurde, ist schließlich die Trennung zum Rugbysport und der Rugby Football Union vollzogen und mit dem 1871/72 erstmals ausgespielten F.A. Cup der erste publikumswirksame Wettbewerb entstanden (vgl. ebd. 29). Dass die Anhängerschaft des Fußballs darauf explosionsartig wächst, hat unmittelbar mit kulturellen Rahmenbedingungen zu tun. Michael Lenhard spricht hier von einer »Re-Proletarisierung« (Lenhard 2002: 46) des Sports. Durch die immer klarer werdende Trennung von Arbeit und Freizeit – zum Beispiel dem seit 1850 freien Samstag – und Löhne, die mehr als nur die lebensnotwendige Grundversorgung sichern, ist es der zum Großteil aus Arbeitern bestehenden englischen Gesellschaft überhaupt erst möglich, Fußballspiele zu verfolgen (vgl. ebd.). Die rasante Zunahme an Fußballinteressierten veranschaulicht Lenhard folgendermaßen:
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»Das Aufgreifen des Fussballs durch die Arbeiterschaft und die damit verbundene Ablösung der ›besseren Kreise‹ sind elementare Voraussetzungen für die Entwicklung zum Zuschauersport, was sich anhand der Besucherzahlen eindrucksvoll dokumentieren lässt. Während die FA-Cup-Finals 1872 und 1885 mit 2.000 bzw. 8.000 Zuschauern noch einen relativ spärlichen Besucherandrang verzeichnen, strömen 1893 bereits 45.000 und 1901 111.000 Menschen ins Stadion. Zwei Jahre darauf sind es sogar 130.000, während in Deutschland alle 1.500 zahlenden Besucher des ersten Meisterschaftsendspiels 1903 den Schiedsrichter noch persönlich kennen lernen, da dieser die Eintrittskarten verkauft[...]« (ebd.: 47)
Deutschland hinkt der Entwicklung in England, dem Mutterland des Fußballs, logischerweise um einige Jahre hinterher, nicht zuletzt auch auf Grund einer nationalistisch motivierten Ablehnung gegenüber dem britischen Sport im Gegensatz zum deutschen Turnen (vgl. Brändle/Koller 2002: 40). Nichtsdestotrotz lassen sich auch hier die Industrialisierung und die damit einhergehende Veränderung der Gesellschaft als Rahmenbedingungen, die für den Fußball einen fruchtbaren Boden (vgl. Ebert/Schneider 1993) bildeten, verstehen (vgl. Becher 1990: 182). Auch hier ermöglicht die Freizeit (vgl. Thien 2002), nach anfänglicher Gegenwehr gegen den Fußball, dem Spiel den Aufstieg zum Zuschauersport. Die Entwicklung vom Spiel der Eliten zum Spiel des Volkes erfolgt im weitesten Rahmen während der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (vgl. Brändle/Koller 2002: 47). Zum Frauenfußball (vgl. Diketmüller 2005) in dieser Zeit existieren vor allem Berichte über vereinzelte Spiele. Eine wie im Männerfußball rapide voranschreitende Institutionalisierung lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht feststellen. Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza listen einige Berichte über Begegnungen zwischen Frauenteams auf, wobei der Charakter der Partien zweifelhaft bleibt: »1881 wird in Schottland erstmals über ein Frauenfußballspiel berichtet. [...] Rund 1000 Zuschauer sind Zeuge dieser Begegnung, doch mehr als die Hälfte soll bereits vor dem Abpfiff das Stadion verlassen haben. Knapp eine Woche später findet in Glasgow ein weiteres Spiel statt. Es kommt zu Eskalation: Das Publikum zeigt sich von seiner unflätigen Seite und stürmt nach 55 Minuten den Platz. Die Spielerinnen fühlen sich bedroht und werden unter Polizeischutz zu ihrem Bus begleitet.« (Hoffmann/Nendza 2011: 11)
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Obwohl noch 1895 vor 10.000 Zuschauern das erste Frauenfußballspiel nach den Regeln der F.A. stattfindet, beginnt schon 19022 – mit dem von der F.A. an die Mitgliedsvereine ausgesprochenem Verbot, gegen Frauenmannschaften zu spielen – die lange Kette der institutionellen Unterdrückung des Frauenfußballs (vgl. Hoffmann/Nendza 2011: 11).
F ÖRDERUNG DES M ÄNNERFUSSBALLS – B EHINDERUNG DES F RAUENFUSSBALLS Zensuren bilden der Erste Weltkrieg in England sowie die Weimarer Republik in Deutschland. Während beispielsweise 1920 die 1917 gegründeten »Dick Kerr’s Ladies‹ in Everton vor 53.000 Zuschauern gegen das Team der St. Helens Ladies« (ebd.: 13) spielen, dringen auch in Deutschland Frauen in unterschiedlichste Sportarten vor, so dass 1932 »rund 1,2 Millionen Sportlerinnen in den Sportverbänden der Weimarer Republik organisiert« (ebd. 23) sind. Dabei sind die genannten Zahlen schwer zu beurteilen. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass der Frauenfußball in England nicht als ernsthafter Sport begriffen, sondern vielmehr als von Spott und Häme begleitete »Jahrmarkt-Attraktion« (Gerulat 2006: 102) wahrgenommen wird. Unzweifelhaft wird aber deutlich, in welchem Spannungsfeld der Sport steht. Gesellschaftliche Entwicklungen haben unmittelbaren Einfluss auf Rollenmuster und führen so unter anderem zu neuen Möglichkeiten für diejenigen, die Sport ausüben. Stark vereinfacht zusammengefasst heißt das: »Der Erste Weltkrieg führt in England zeitweise zur Auflösung klassischer Rollenverhältnisse. Frauen übernehmen Feld- und Fabrikarbeiten für ihre wehrpflichtigen Männer und partizipieren an traditionell männlichen Freizeitaktivitäten.« (Hoffmann/Nendza 2011: 13)
Gleichzeitig kann aber auch der Sport Mittel zur Emanzipation (ebd.: 25) sein und gesellschaftliche Konventionen in Frage stellen. Auch ohne all diese Wechselwirkungen zu überblicken, wird unzweifelhaft deutlich, dass
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Oliver Gerulat datiert das Verbot – wohl fälschlicherweise – auf 1892 (vgl. Gerulat 2006: 102).
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Veränderungen der gesellschaftlichen Geschlechterkonstruktion oft auf Widerstand stoßen, der sich im konkreten Fall des Frauenfußballs immer wieder in Verboten manifestiert. So wird zum Beispiel 1921 das für die Mitgliedsvereine der F.A. geltende Verbot, gegen Frauenmannschaften zu spielen, um ein Verbot erweitert, das nun zusätzlich untersagt, weiblichen Teams den vereinseigenen Fußballplatz zur Verfügung zu stellen (ebd. 13). Unmissverständlich gibt die F.A. bei dieser Gelegenheit ihre Position zu verstehen, »dass der Fußballsport ›gänzlich unpassend für Frauen ist und nicht gefördert werden sollte.‹« (ebd.) Ebenso wird spätestens im Nationalsozialismus3 auch in Deutschland den bis dahin letztendlich doch nur vereinzelt dokumentierten Vorstößen des Frauenfußballs ein Riegel vorgeschoben: »Zum Thema ›Frau und Fussballsport‹ heißt es in einer Mitteilung des FußballPressedienstes vom 5. März 1936: ›Es gibt Sportarten, in denen wir die Frau nicht als Sportausübende treffen, weil ihre Eigenarten nicht dem Wesen der Frau entsprechen. Zu diesen Sportarten gehört auch der Fussball, und er befindet sich dabei mit Skispringen, Boxen, Bobfahren, Radrennen, Ringen [,] Langstreckenlaufen usw. in bester Gesellschaft. Zu hart, bei allem fairen Einsatz der Kräfte wird in diesen Sportarten um den leistungskrönenden Sieg gerungen, oder zu gross sind die Anstrengungen, die in diesen Sportkämpfen an den Körper gestellt werden müssen, als dass die Frau sie als Durchschnittsleistung je erreichen könnte. Oft aber widerspricht der männliche Kampfcharakter der einzelnen Sportart dem Wesen der Frau, die wir
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Auf die Zeit des Nationalsozialismus wird hier nicht ausführlicher eingegangen. Sicher bietet auch die NS-Ideologie mit ihrem speziellen Rollenverständnis eine Menge Interpretationsansätze. Von der historisch fortgesetzten Förderung des Männerfußballs und der Unterdrückung des Frauenfußballs weicht sie allenfalls durch ihre noch extremere Ausrichtung ab: »Im Dritten Reich wurden die sportlichen Emanzipationsideen dann vollends unterdrückt. Der Sport wurde von den Nationalsozialisten ganz in den Dienst der Wehrtüchtigkeit gestellt; In der SA betrieb man etwa vor allem den Kampf- und Geländespiele umfassenden ›Wehrsport‹. Frauensport wurde dagegen auf die Erhaltung der Gebärfreudigkeit reduziert. ›Männersportarten‹ wie auch der Fussball waren für Frauen verboten. Die geschlechtsspezifische Polarisierung des Sports erreichte damit ihren Höhepunkt.« (Brändle/Koller 2002: 223)
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von Sportarten bewusst ausgeschaltet sehen wollen, die ihr die Würde des Weibes im Wettkampf nehmen müsste.‹« (Hoffmann/Nendza 2011: 33)
Eine Gewichtung zwischen gesellschaftlichen Vorurteilen und deren institutioneller Umsetzung muss nicht vorgenommen werden, um festzustellen, dass der Frauenfußball von der ersten Stunde an nicht über die Strahlkraft des Männerfußballs verfügt. Diese wiederum zeigt sich relativ bald nach den ersten Vereinsgründungen und das Stichwort, um den Bogen von der Entwicklung des Fußballsports zum Publikum zu schlagen, lautet Identifikation. Durch die deutlich größere gesellschaftliche Akzeptanz und die unter anderem durch die fortschreitende Industrialisierung gegebenen, optimalen Rahmenbedingungen entwickelt sich der Männerfußball um die Jahrhundertwende rapide zum Identifikationsmerkmal ganzer Stadtteile und Regionen. Dies schlägt sich nicht nur in den steigenden Zuschauerzahlen nieder, sondern auch im parteiergreifenden Verhalten des Publikums. Die ersten regelmäßig ausgetragenen Spiele sind in der Regel Derbys (vgl. Brändle/Koller 2002: 61), also Duelle von Mannschaften aus derselben Stadt oder Region. Gerade in Großbritannien entwickelt sich schnell ein Zuschauertyp, der durch den regelmäßigen Stadionbesuch und das Mitfiebern mit einer bestimmten Mannschaft schon früh die allgemeine Definition eines Fans erfüllt: »In grösseren Städten war es auf den Stehplätzen und auf den Tribünen der neuen Stadien möglich, mit unbekannten, gleichgesinnten Menschen Kontakt aufzunehmen und eine neuartige ›community‹, jenseits von Pub und Strasse, zu begründen. Das gemeinsame Singen von Liedern, eine alte Wirtshaustradition, das Läuten von kleinen Glocken sowie Schals, bemalte Regenschirme und Fahnen in den Clubfarben kamen dem offensichtlichen Bedürfnis nach Gruppenbildung zeichenhaft entgegen. Die meisten Fans der ersten Stunde, so Ian Crump in einer mikrohistorischen Studie über Leicester, waren bereits äusserst treue Supporter ihres Teams, die sich immer wieder trafen, miteinander litten, bangten und jubelten.« (Ebd.)
Begünstigt wird diese Entwicklung mit zeitlichen Unterschieden fast europaweit durch den fruchtbaren Nährboden, auf den der Männerfußball trifft. Durch die fortschreitende Institutionalisierung, die für einen geregelten Wettbewerb und Ligabetrieb sorgt, entwickelt sich die oft generationsüber-
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greifende Tradition, auf die eine Vielzahl von Vereinen heute zurückblicken kann. In den 1920er Jahren erfolgt auch in Deutschland der »Durchbruch des Fußballsports zu einem Massenphänomen« (Pilz 2006: 50), wobei häufig noch bis in die 1950er Jahre direkte Interaktion zwischen Zuschauern bzw. Fans und Spielern die Regel sind, beispielsweise nach dem Spiel an der Theke im Vereinsheim (vgl. ebd.). Der Frauenfußball hingegen wird an allen Ecken und Enden behindert. Zwar gibt es immer wieder Vorstöße, wie die erste Gründung eines Frauenfußballvereins, die in Deutschland 1930 mit dem 1. Damenfußballclub Frankfurt erfolgt (vgl. Hoffmann/Nendza 2011: 28) und 1951 mit einem öffentlichen »Damenballspiel« (ebd.: 39) von Blau-Weiß Oberhausen fortgesetzt wird, doch der DFB und seine Mitgliedsvereine wissen die Versuche im Keim zu ersticken, wie sich noch 1955 zeigt: »Als aus Essen und Mönchengladbach Damenfußballspiele mit ›erstaunlich hohen Zuschauerziffern‹ (3.000 bzw. 10.000 Zuschauer) vermeldet werden, gibt der Vorstand des Fußballverbandes Niederrhein (FVN) folgende ›amtliche Mitteilung‹ heraus: ›Bevor nicht der Frage des Damen-Fußballs auf der DFB-Ebene endgültig geklärt und entschieden ist, ist es allen Vereinen untersagt, Damen-Fußballabteilungen zu bilden, ihre Plätze für solche Spiele herzugeben und irgendwelchen Personen zur Verfügung zu stellen.‹« (Ebd.: 46) »Am 30. Juli 1955 folgt der DFB auf seinem Bundestag in Berlin dem Beispiel des Fußballverbandes Niederrhein und verbietet den Damenfußball bundesweit in seinen Reihen. Die Fußball-Herren argumentieren: ›Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.‹ Einstimmig beschließt der DFB ›aus ästhetischen Gründen und grundsätzlichen Erwägungen‹ und unter Androhung von Strafe bei Zuwiderhandlung ›unseren Vereinen nicht zugestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen, unseren Vereinen zu verbieten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, unseren Schiedsund Linienrichtern zu untersagen, Damenfußballspiele zu leiten.‹« (ebd.: 47)
Während dieses in aller Deutlichkeit von einem der einflussreichsten Sportverbände formulierte Verbot andauert, macht der Männerfußball 1963 (vgl. Brändle/Koller 2002: 94) mit der Gründung der Bundesliga in
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Deutschland einen weiteren entscheidenden Schritt, der in der Folgezeit auch die finanziellen Möglichkeiten des Fußballs durch das Vorantreiben seiner Kommerzialisierung voll auslotet. Während Vereine und Verband längst etabliert sind, erfolgt durch die Einführung der Bundesliga der Einstieg in die offizielle Professionalisierung des Spiels. Als der DFB 1970 schließlich das Verbot des Frauenfußballs aufhebt, geschieht auch dies nicht ganz freiwillig. Die Frauenfußballvereine und -abteilungen sind inzwischen so zahlreich, dass die Gründung eines eigenen Verbands möglich erscheint. Gleichzeitig beweisen einige Sonderregeln, wie die verkürzte Spielzeit, ein leichterer Ball und eine halbjährige Winterpause, dass der Frauenfußball immer noch weit von einem gleichberechtigten Standpunkt entfernt ist (vgl. Hoffmann/Nendza 2011: 95). Die eingleisige Frauenbundesliga startet erst 1997 (ebd. 165). Seit 1996 ist der Frauenfußball bei den Olympischen Spielen vertreten, die erste WM wurde 1991, die erste EM 1984 ausgerichtet (vgl. Assmann 2008: 24).
Z USCHAUER , F ANS , K UTTEN , H OOLIGANS , U LTRAS ... Exemplarisch für den ernsthafteren Stellenwert des Männerfußballs stehen die vielen Subkulturen,4 die sich über die Jahre in den europäischen Fußballstadien entwickelt haben. Für die Bereitschaft, aus persönlichem Antrieb einen Verein zum Beispiel auch bei weit entfernten Auswärtsspielen zu unterstützen, scheint es notwendig, dass eine emotionale Bindung des Fans zum Club existiert. Dafür wiederum scheint es unabdingbar, dass dem Geschehen auf dem Rasen vom Individuum wie auch weiteren Teilen der Gesellschaft eine gewisse Ernsthaftigkeit zugeschrieben wird. Ohne diese würden das Mitfiebern, Mitleiden und Unterstützen keinen Sinn ergeben bzw. lächerlich wirken. Während im Männerfußball oft vom Zumessen einer übersteigerten Bedeutung bzw. Überhöhung gesprochen wird (vgl. Prosser 2002: 269), hat die Geschichte des Frauenfußballs gezeigt, dass unter Vorurteilen und der Verhinderung eines geregelten Wettbewerbs auch die Identifikationsmöglichkeiten (vgl. Rolshoven 2008: 49) eines Einzelnen
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Hans Ulrich Herrmann sieht bereits die Fans als Subgruppe unter den Zuschauern, was schon allein durch den Zeitpunkt seiner Arbeit begründet sein dürfte, als der Begriff noch verhältnismäßig neu war (vgl. Herrmann 1977: 27).
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oder einer Gruppe mit einem Frauenfußballverein leiden. Durch die Verhinderung einer kontinuierlichen Entwicklung wurde den Frauenfußballvereinen lange Zeit zusätzlich die Möglichkeit genommen, über Jahrzehnte hin zu wachsen und somit Tradition zu entwickeln, auf die sich auch eine Anhängerschaft beziehen kann. Wie erwähnt, kann im Gegensatz dazu im Männerfußball schon früh von Fans unter den Zuschauern gesprochen werden, die Partei ergreifen und ihre Mannschaft unterstützen (vgl. Brändle/Koller 2002: 61f.). In der Folgezeit gibt es unter den Fans in Deutschland vor allem drei Subkulturen unter den Anhängern des Männerfußballs, die von sich reden machen und zeitweise zum Teil das Geschehen im Stadion dominieren: Die Kutten,5 die Hooligans und die Ultras. Gunter A. Pilz sieht einen Grund für die Entwicklungen der ersten Subkulturen unter den Fußballzuschauern in der Professionalisierung und Kommerzialisierung des Sports. Während in der Anfangszeit des Fußballs oft noch enge, meist regionale Verbindungen zwischen Spielern, Verein und Zuschauern existierten, gehen diese durch die üblicher werdenden Vereinswechsel der Spieler spätestens ab den 1950er Jahren immer mehr verloren. Unmittelbar in dieser Entwicklung sieht Pilz die Aufteilung der Anhängerschaft begründet: »Der Showcharakter des Profifußballs bringt einerseits einen Zuschauertyp hervor, der mehr und mehr zum wählerischen Konsumenten wird, worauf die Vereine ja zum Teil bei besonders brisanten Spielen mit so genannten Topp-Zuschlägen reagieren, bzw. dessen Aufkommen sie durch solche Aktionen zusätzlich fördern. Andererseits bringt er aber auch die fußballzentrierten (Kutten-)Fans hervor, für die der Verein ihr Leben, der Erfolg des Vereins alles ist.« (Pilz 2006: 52)
Trotzdem kann man allgemein eine übergeordnete Entwicklung feststellen, die als eine Entfernung des Publikums vom Verein in zwei unterschiedliche Richtungen gesehen werden kann: Während die Gruppe der Zuschauer sich emotional vom Verein entfernt und für das bezahlte Eintrittsgeld anspre-
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Als Kutten bezeichnet man diejenigen Fans, die sich vor allem durch das gleichnamige Kleidungsstück, einer in der Regel mit einer Vielzahl an Aufnähern versehenen Jeansweste, auszeichnen. Die Aufnäher wiederum lassen eindeutig die Vereinszugehörigkeit erkennen, enthalten zum Teil aber auch Beleidigungen gegenüber anderen Vereinen und deren Fans.
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chende sportliche Leistung bzw. Unterhaltung erwartet, schreiben sich die (Kutten-)Fans unter anderem ergebnisunabhängige, absolute Vereinstreue auf ihre Weste, doch neben dem eigentlichen sportlichen Wettkampf gewinnen zusätzliche Bereiche an Bedeutung. Zum Beispiel entsteht eine Konkurrenz zu den gegnerischen Fans, die man nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf den Rängen – beispielsweise durch die lauteren Gesänge oder auch körperliche Auseinandersetzungen – zu Gunsten seines Vereins und dessen Anhängerschaft entscheiden will (vgl. ebd. 53). Die mit der »zunehmenden sportlichen, sozialen und wirtschaftlichen Distanz zwischen Spielern und Zuschauern« (ebd. 54) einhergehenden Entwicklungen fasst Pilz mit Bezug auf Nutt folgendermaßen weiter zusammen: »Die mit der wachsenden Professionalisierung des Sports einsetzende, immer klarere Trennung zwischen Zuschauern und Sportlern, die wachsende Distanz zwischen beiden, führt dazu, dass die Zuschauer eine immer größer werdende Sensibilität für ihre eigene Anwesenheit entwickeln.« (ebd.)
Das Voranschreiten dieses Prozesses bildet die Grundlage für die Entstehung der beiden weiteren Subkulturen unter dem Fußballpublikum, die hier kurz angeschnitten werden sollen. Während man sich bei der vorangegangenen Betrachtung der Kutten zeitlich vor allem rund um die 1970er Jahre bewegt, lässt sich das Auftauchen der Hooligans in etwa auf die Mitte der 1980er Jahre datieren (vgl. ebd.). Während der Begriff »Hooligan« in Deutschland inzwischen als Synonym für jedwede Form negativ auffallender Fußballzuschauer Verwendung findet und teilweise schon das Zünden pyrotechnischer Artikel im Fanblock mit Hooliganismus und somit mit Gewalt gleichgesetzt wird, muss der Rahmen des Begriffs als Name einer Subkultur in diesem Aufsatz enger gefasst werden.6 So betrachtet lässt sich die Hooliganszene gleich unter mehreren Gesichtspunkten ohne Probleme in das fortschreitende Auseinanderdriften von Fußballspiel und Fußballpublikum einordnen:
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So gesellen sich zum gewaltsuchenden Verhalten weitere Facetten einer Subkultur, wie beispielsweise ein bestimmter Kleidungsstil oder szenespezifische Musikgruppen und -richtungen.
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»1. Abspaltung einer ›gewaltbereiten‹ Hooligan-Szene aus der Masse der ›friedlichen Fans‹, 2. Verzicht der Hooligans auf offen getragene Vereinsfarben und tendenzielle Auflösung der Vereinsbindungen, 3. vermehrter Einsatz von ›Distanzwaffen‹ (Steine, Leuchtkugeln etc.).« (Gehrmann 1993: 438)
Gehrmann beschreibt hier die auf das Vorgehen der Polizei folgenden Entwicklungen Mitte der achtziger Jahre. Während sein dritter Punkt eher zu vernachlässigen ist, lässt sich vor allem aus heutiger Sicht mit den sogenannten Drittortauseinandersetzungen7 noch ein weiterer Punkt ergänzen, der geographisch gesehen den Höhepunkt des Prozesses darstellt, indem sich Hooligans unabhängig von Terminierung und Ort eines Fußballspiels zu verabredeten Schlägereien treffen. Als verschwindend kleine Subkultur unter der in Deutschland in die Millionen gehenden Zahl an Fußballinteressierten stehen die Hooligans dabei – abgesehen von der zunehmenden Distanz zwischen Anhänger und Verein – keineswegs repräsentativ für die Entwicklung der Fankultur. Vielmehr stehen sie für den Extremfall, der sich als nahezu vollständiger Bruch zwischen Fan und Verein darstellt und sich in Kleidung, Orten und Prioritäten widerspiegelt. Auch wenn es so scheint, dass der Fußball hier lediglich den Anlass bildet, um gewaltbereite Personen in zwei sich gegenüberstehende Gruppen zu gliedern, lassen sich emotionale Bindungen der Beteiligten an den jeweiligen Verein und somit auch Überschneidungen zu Fangruppen nicht eindeutig ausschließen. Auch wenn die Geschichte der Fankultur sicherlich nicht ganz so eindeutig als so homogen, chronologisch und kontinuierlich ablaufender Prozess zu verstehen ist, wie das hier durch die knappe Zusammenfassung entstandene Bild vermitteln könnte, passt sich mit den Ultras auch die jüngste der thematisierten Subkulturen im weitesten Sinne in das Bild der Evolution des Fußballfans ein. Die »Ultras als Bewahrer der atmosphärischen Seele des Fußballs« (Pilz 2006: 60) präsentieren sich dahingehend als widersprüchlich, dass sie einerseits gegen den von Vereinen und Verbänden als Event vermarkteten Fußball (Lindner/Breuer 1979: 167) sind, durch ihren Anspruch »der (Wieder-)Herstellung der traditionellen Stimmung und Atmosphäre im Stadion durch Inszenierung, Choreografien, ›Schlacht‹- und
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Der Begriff stammt sehr wahrscheinlich aus dem Polizeideutsch und steht, wie auch im Text angemerkt, für zeitlich und örtlich oft vom Fußball unabhängig verabredete Schlägereien zwischen Hooligangruppen.
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Stimmungsgesänge« (Pilz 2006: 60) jedoch oft selbst vom Spielgeschehen entkoppelt wirken. Bisweilen präsentiert sich für sie »das Stadion als Ort des Auslebens von Bedürfnissen nach Abenteuer, Spannung und dem Erleben von Affekten und Emotionen« (ebd. 62). Gemein ist diesen drei Untergruppen also, dass für sie nicht ausschließlich das Spiel an sich von Bedeutung ist, sondern weitere Faktoren an Gewicht gewinnen, wie beispielsweise die Opposition zu gegnerischen Fangruppen, das feiern der eigenen Gruppe oder das Spiel als Anlass für alle möglichen, nicht alltäglichen Verhaltensweisen. Somit scheint teilweise eine Entfernung vom Geschehen auf dem Platz stattzufinden, bzw. erfolgt eine Erweiterung des Rahmens eines Fußballspiels, das im Extremfall nur noch den Anlass für im Grunde spielunabhängiges Verhalten bietet. Dieses wiederum steht nicht zwangsläufig der Identifikation des Individuums mit dem Verein im Weg, sorgt aber dafür, dass der Stadionbesuch in den oberen Ligen in Deutschland wesentlich mehr Unterhaltungspotenzial bietet und bieten kann, als das bloße Verfolgen eines Fußballspiels aus sportlichem Interesse. Die hier schon fast stereotyp wirkenden Bilder von Zuschauern, Fans, Kutten, Hooligans und Ultras dienen vor allem dazu, grundsätzliche Strömungen in der sich seit über einem Jahrhundert entwickelnden Männerfußballfankultur zu veranschaulichen. Für die Betrachtung des Einzelfalls sind sie auf Grund der großen Heterogenität unter den Stadionbesuchern eher ungeeignet. Um einmal mehr den vergleichenden Bogen zum Frauenfußball zu spannen, muss darauf verwiesen werden, dass dort mit der lange Zeit stattfindenden Be- oder sogar Verhinderung des Sports auch das Wachsen einer Fankultur weitestgehend verhindert wurde. Zwar scheint es zu jeder Zeit frauenfußballinteressierte Menschen gegeben zu haben, doch war die Möglichkeit bis vor einigen Jahren nicht vorhanden, einen Verein über Jahrzehnte zu begleiten. Aktuell verspricht die 1997 (vgl. DFB 1997) eingeführte eingleisige Bundesliga Kontinuität, die sich nicht nur auf den Spielbetrieb, sondern auch auf das Publikum auswirkt. Eine ohnehin grenzwertige Einteilung in Untergruppen ergibt hier zunächst schon auf Grund der deutlich geringeren Anzahl der Stadionbesucher keinen Sinn.
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S TATUS Q UO Während die Entwicklung des Männerfußballs – trotz einiger auch in der Öffentlichkeit negativ bewerteter Begleiterscheinungen und Rückschläge8 – gegenwärtig, gemessen vor allem am Zuschauerzuspruch und öffentlichen Interesse, wohl tatsächlich als Triumphzug einer Sportart zu charakterisieren ist, hat der Frauenfußball immer noch mit den offiziell bis 1971 dauernden Unterdrückungsversuchen, Vorurteilen und Schikanen zu kämpfen, die nicht zuletzt auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen sind. Während sich die Entwicklung der Männerfußballfans dadurch auszeichnet, dass durch die Masse und Heterogenität seines Stadionpublikums eine facettenreiche Fankultur entstand, fristen die Frauenfußballfans nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur ein Schattendasein. Bevor nun die Ergebnisse eines ersten qualitativen Blicks auf die jeweilige Anhängerschaft präsentiert werden sollen, lassen sich noch einmal die gravierendsten Differenzen, die sich aus den unterschiedlichen historischen Entwicklungen ableiten, zusammenfassen: Beim Männerfußball lässt sich – bedingt durch die Professionalisierung – eine fortschreitende Entfernung des Fanverhaltens vom eigentlichen Spiel beobachten, die nicht zwangsläufig im Widerspruch zur Identifikationsmöglichkeit mit den Vereinen steht. Frauenfußballvereine konnten sich schon allein auf Grund institutioneller Unterdrückung lange nicht zum Identifikationsobjekt entwickeln, wodurch auch das Publikum in erster Linie ein spielbezogenes Interesse hat. Beim Männerfußball entwickelt sich hingegen auch eine Opposition zwischen den unterschiedlichen Fangruppen, die sich auf vielfältige Weise, zum Beispiel in der Kleidung, in der Atmosphäre oder in Gewalttätigkeiten niederschlägt. Für den bestehenden Zustand lässt sich daraus schließen, dass der Stadionbesuch beim Männerfußball eine Art Gesamterlebnis (vgl. Fatheuer 1985: 76ff.) ist, der für unterschiedlichste Absichten Anlass bieten und schon allein durch das Geschehen auf den Tribünen zu einem eindrucksvollen Ereignis werden kann. Der Frauenfußball hat erst seit ca. 15 Jahren die Mög-
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Neben den immer wieder auftauchenden Gewaltproblemen bilden in der Geschichte der europäischen Fankultur sicherlich die Katastrophen von Bradford und Heysel 1985 sowie Hillsborough 1989 mit 57, 39 bzw. 96 Todesopfern die größten negativen Einschnitte. Vgl. Brändle / Koller: Goal (2002), S. 97.
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lichkeit, den Entwicklungsvorsprung aufzuholen. Wenn er aggressiv als Event vermarktet wird,9 wie bei der Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 geschehen, kann auch hier auf gut gefüllte Stadien und hohe TVEinschaltquoten gebaut werden. Qualitativ sind aber Unterschiede zwischen dem WM und dem Ligapublikum, mit dem sich dieser Aufsatz auseinandersetzt, zu vermuten.
E RGEBNISSE
AUS DEM QUALITATIVEN
V ERGLEICH
Gemeinsamkeiten Ausgehend von den geführten Interviews und teilnehmenden Beobachtungen – im Rahmen des Besuchs von Auswärtsspielen zweier Fanclubs des FCR 2001 Duisburg und von Hannover 96 – lässt sich zunächst eine Vielzahl von Parallelen und Gemeinsamkeiten der Fankulturen des Männerund des Frauenfußballs feststellen. Einige Dinge sind durch die Rahmenbedingungen vorgegeben, andere werden übernommen oder selbst entwickelt. Die deutlichsten Gemeinsamkeiten zeigten sich in der Fankleidung, die die Vereinszugehörigkeit auf beiden Seiten in großer Vielfalt veranschaulicht. Ebenso gibt es in beiden Bereichen eine Art charakteristische Platzverteilung im Stadion, die sich, ohne zu sehr zu verallgemeinern, so zusammenfassen lässt, dass diejenigen Zuschauer, die die Mannschaft anfeuern, eher auf den Stehplätzen (vgl. Balke 2007: 13ff.) zu finden sind. Häufig ist der Vereinsbezug im weitesten Sinne ein regionaler, wobei Ausnahmen durchaus vorkommen, ebenso gibt es bei Aussagen zur Vereinstreue wenige grundsätzliche Unterschiede. Darüber hinaus ist der Fußball auf beiden Seiten im Alltag ein beliebtes Gesprächsthema. Deutlich wird auf beiden Seiten ebenfalls, dass für Fans beider Richtungen des Fußballs im Stadion und um den Verein wesentlich mehr Faktoren ausschlaggebend sind als das bloße Spiel.
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So begründet auch Meinert die Sonderrolle des Frauenfußballs in den USA, die sich auch in einem größeren Publikumszuspruch bemerkbar macht, unter anderem mit der Inszenierung von Sportveranstaltungen als »Familien-Events« (vgl. Meinert (2006): 25).
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»Für viele Stadionbesucher besteht ein Fußballspieltag nicht mehr nur in zwei mal fünfundvierzig Minuten Spielgeschehen auf dem Rasenplatz; für viele Leute ist das eigentliche Spiel eines unter mehreren Elementen eines nicht nur sportlichen Festereignisses, und für einige Leute ist es nicht einmal mehr das wichtigste. Teile des Publikums inszenieren dieses Festereignis für sich, und sie inszenieren sich selbst – geben diesem Tag ihr Gepräge, sowohl was das unvermittelte Erlebnis an sich und die Szenerie des Umfelds (in den Bahnhöfen und Innenstädten der allfälligen Spielorte) als auch die Berichterstattung darüber betrifft.« (Prosser 1995: 11)
Das Stadion wird zu einem Ort, an dem man deutlich größere persönliche Freiheiten genießt, als beispielsweise im Beruf. Hier ist mehr Raum zur Persönlichkeitsentfaltung gegeben, was sich bei den Männerfußballfans eher im Ausbrechen aus engen gesellschaftlichen Konventionen bzw. dem Ausleben von Affekten und bei den Frauenfußballfans in der familiären Situation zwischen Fanszene, Verein und Individuum widerspiegelt. Auf beiden Seiten findet sich die von Bausinger als »Heraustreten aus dem Alltag« (Bausinger 2006: 77) beschriebenen Handlungen, die bei den Männerfußballfans räumlich auf weitere Bereiche, wie Bahnhöfe oder sogar Städte, übergreifen. Unterschiede: Masse vs. Wenige, Ferne vs. Nähe und Tabubrüche vs. Grenzziehung Den Gemeinsamkeiten und Überschneidungen steht eine Fülle von Unterschieden gegenüber. Die Differenzen zwischen den interviewten und begleiteten Fans des FCR Duisburg und von Hannover 96 sind vor allem qualitative, die sich am treffendsten in zwei, bzw. drei Spannungsfeldern veranschaulichen lassen. In der Betrachtung des im Rahmen meiner Studie erhobenen Quellenmaterials wurde deutlich, dass die Frauenfußballfans – beispielsweise in Form von Ehrenämtern – dem Verein auch im persönlichen Kontakt sehr nahe stehen oder sogar direkt in Vereinsbelange eingebunden sind. Dies ist sicherlich durch historische Prozesse10 bedingt und an damit einhergehende
10 Bedingt durch die geringere Aufmerksamkeit verbuchen die Vereine geringere Einnahmen und sind so auch auf ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen, die sich am besten unter den Fans gewinnen lassen.
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quantitative Fakten gebunden. Deshalb lassen sich viele der beobachteten größeren und kleineren Unterschiede dadurch erklären, dass durch die Masse der Männerfußballfans zwangsläufig nicht die Nähe von Einzelnen zum Verein bestehen kann, wie bei den deutlich weniger zahlreich vorhandenen Frauenfußballfans. Gleichzeitig wirkt sich die Nähe von den vergleichsweise wenigen aktiven Fans zum Verein unmittelbar auf das Verhalten der so angezogenen Personen aus, während die Gruppe der Männerfußballfans deutlich autonomer erscheint. Diesem Spannungsfeld lässt sich eine Vielzahl von Unterschieden unterordnen: Auf Grund der in überregionalen Medien vergleichsweise verschwindend geringen Berichterstattung (vgl. Meinert 2006: 26) geschieht der Zugang zum Frauenfußball und seiner Anhängerschaft oft eher auf einer persönlichen Basis. Während ein Fanclub bei den Männerfußballfans Teil einer größeren aktiven Fanszene ist, bildet er diese im Frauenfußball fast komplett allein. Die Masse von Männerfußballfans sorgt am Spieltag nicht selten für Ausnahmezustände in Bahnhöfen, auf Straßen und in Städten, während die Frauenfußballfans auch auf Grund der eher dezenten Anreise kaum auffallen. Die zehntausenden Fans, die zu einem durchschnittlichen Spiel der Männerbundesliga anreisen, sind fast zwangsläufig auf den zum Teil extra eingerichteten öffentlichen Personennahverkehr angewiesen, während die Frauenfußballfans auf Grund älterer Mitglieder und weniger gut angebundener Stadien auf Reisebus und Pkw setzen. Ebenso können die Fans des Männerfußballs sich auf die Spieltagsansetzungen verlassen, während es im Frauenfußball häufiger auch kurzfristig zu Ausfällen oder Verschiebungen kommen kann. Beim Frauenfußball sind Interessierte sehr willkommen und engagierte Fans können schon in kürzester Zeit wichtige Posten in der Fanarbeit einnehmen. Dem steht das Misstrauen hinsichtlich »Erfolgs- und Eventfans« im Männerfußball gegenüber. Durch eine Vielzahl von Sicherheitsmaßnahmen werden Männerfußballfans in direkte Opposition zum jeweils gegnerischen Verein gestellt. Spätestens am Stadion findet eine rigorose Fantrennung statt. Penible Kontrollen, massives Polizeiaufgebot, hohe Zäune und fast ständige Überwachung erwecken den Eindruck einer von den Fans ausgehenden Gefahr. Beim Frauenfußball vermischt sich das Publikum. Lediglich diejenigen, die die Mannschaft mit Fahnen, Trommeln und Anfeuerungsrufen unterstützen wollen, spalten sich freiwillig ein wenig ab. Das Verhältnis zu Fans anderer Mannschaften ist – soweit diese vorhanden sind – eher freundschaftlich geprägt, ebenso ist man weniger deutlich vom
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Spielfeld getrennt und Taschendurchsuchungen werden verständnislos als Ausnahme hingenommen. Beim Männerfußball entwickelt sich schon die Anfahrt durch Gesänge, Alkoholgenuss und Kontakt zu Fremden zu einem Spektakel (vgl. Prosser 1995: 11), dem die Frauenfußballfans durch die Abschottung im Bus oder gar Hotel entgehen. Männerfußballfans provozieren mit einem Augenzwinkern, sticheln gegen Fans anderer Mannschaften und nutzen die durch die Masse gewonnenen Freiheiten, etwa zum Anbringen von Aufklebern oder Reisen ohne gültigen Fahrschein. Man feiert nicht nur den Verein, sondern auch die eigene Anhängerschaft. In Ausnahmefällen kann es zu Handgreiflichkeiten kommen, die beispielsweise auf dem Raub von Fanmaterialeien basieren. Dem stehen als Ausnahmefall Sticheleien und Provokationen im Frauenfußball gegenüber. Während sich die Fans hier stiefmütterlich behandelt fühlen, fühlen sie sich dort in den Medien falsch dargestellt. Der Fußball dringt gleichermaßen in den Alltag ein, etwa als Gesprächsanlass. Zwar wurden die meisten Punkte schon vorweggenommen, dennoch lohnt eine weitere Zusammenfassung, die einen weiteren markanten Punkt im Vergleich von Männer- und Frauenfußballfans ausmacht. Das nach Braun als Karnevalisierung bzw. Karnevaleske (vgl. Braun 2002) oder Fest beschriebene, ritualisierte Verhalten trifft fast ausschließlich, in jedem Fall aber deutlicher, auf die Männerfußballfans zu. Auch die Frauenfußballfans pflegen einen gewohnten Spieltagsablauf, halten sich jedoch an enge Grenzen, während derselbe im Männerfußball oft Anlass für Tabubrüche sein kann. In erster Linie gilt es in beiden Fällen die eigene Mannschaft zu unterstützen, wobei die Anfeuerung der Frauenfußballfans sogar für Verunsicherung der eigenen Spielerinnen sorgen kann. Die Männerfußballfans sehen bestenfalls positive Auswirkungen der Anfeuerung. Schon auf der Anreise werden die Gesänge zu einem fast eigenständigen Ereignis. Von obszönen, ironischen, den Verein und das eigene Fansein verherrlichenden Gesängen bis hin zu überhöhenden Hymnen werden diese in Chor ähnlicher Weise wiedergegeben und sorgen für ein teils beeindruckendes Erlebnis, welches im Stadion zum Teil noch durch pyrotechnische Gegenstände untermalt wird. Dieses »Sich-selbst-feiern« hat bei den Frauenfußballfans keinen Platz. Die spärlichen Anfeuerungen geschehen eher aus Pflichtgefühl den Spielerinnen gegenüber, die sich zum Teil eigens dafür bedanken. Man sieht sich selbst als Fanclub eher als Ausnahme, während die Anfeuerung für Männerfußballfans die Regel ist und sie in Konkurrenz zu anderen
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Fanszenen setzt. Diese werden beleidigt, veralbert und provoziert wo es nur geht, was in Ausnahmen zur Eskalation, auf Grund der durch Handlungscodes bestimmten Situation aber eher zu einem ironisch feindschaftlichen Verhalten führt und Beteiligte letztendlich unter der Überschrift »Fußballfan« als mehr oder weniger Gleichgesinnte zusammenfasst. Handlungscodes dieser Art sind im Frauenfußball kaum zu finden und auf Grund des weniger stark von gesamtgesellschaftlichen Konventionen abweichenden Verhaltens auch nicht zwangsläufig notwendig. Während die Geschichte des Männerfußballs seit der Anfangszeit von Rivalitäten und Derbys gekennzeichnet ist und heute von der so entwickelten Tradition lebt, lässt sich der Status der Frauenfußballfans auf Grund der erst seit kurzem vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten eher als der Zusammenhalt von Underdogs charakterisieren. Wie wichtig die Vereinstradition nicht nur im Männerfußball ist, zeigt das stets als Vorbild angeführte Beispiel des Frauenfußballs in den USA. Zwar wurde hier eine Profiliga eingeführt, die jedoch massiv finanziell gefördert werden musste und so bis heute nicht nachhaltig ist, beziehungsweise den Betrieb einstellen musste (vgl. Meinert 2006). So steht den traditionsreichen, sich in der Regel selbst tragendenden Unternehmen des Männerfußballs auch in Deutschland der nach wie vor förderungsabhängige Frauenfußball gegenüber, bei dem der Fußball deutlicher als Spiel, denn als Fest wahrgenommen wird. Die Ergebnisse meiner Studie zeichnen sich weniger durch – ohnehin von vornherein nicht beabsichtigte – Allgemeingültigkeit aus, als durch das Aufzeigen einer Vielzahl von qualitativen Ansatzpunkten, die bei dem Vergleich der Fankulturen von Männer- und Frauenfußballvereinen von Bedeutung sein könnten. Meiner Meinung nach lassen diese sich vor allem durch die genannten Spannungsfelder zusammenfassen: Masse vs. Wenige, Ferne vs. Nähe sowie Tabubrüche vs. Grenzziehungen. Diese drei Spannungsfelder scheinen sich bei der Betrachtung der jeweiligen Einzelfälle als Ausgangspunkte für weitreichendere Erklärungsansätze des Verhaltens von Fans anlässlich des Stadionbesuchs und dem qualitativen Unterschied im Erleben desselben zu eignen. Durch die vergleichende Perspektive erfolgt außerdem eine Schärfung des Blicks, die Verklärungen vermeiden und die Aufmerksamkeit auf sonst eher unauffällige Zusammenhänge lenken kann. Vereinfacht lässt sich desweiteren beispielhaft zusammenfassen, dass weniger Fans für eine weniger starke Wirkung der ritualisierten Handlungen sorgen. Ohne gegnerische Fans fallen Reibungspunkte weg und die
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Spieltagsgestaltung büßt Erlebnispotenzial ein. Dafür tritt der familiär anmutende Rahmen beim Frauenfußball an eine ähnliche Stelle. Doch nicht nur die Qualität des Stadionbesuchs unterscheidet sich, auch die Zugänge zu Verein und Fanszene sind – Ausnahmen bestätigen die Regel – bei den Frauenfußballfans durch die geringere Berichterstattung eher von einer persönlichen Ebene gekennzeichnet. Im Männerfußball scheint nicht nur durch die Vielzahl der Anhänger, sondern auch durch Kommerzialisierung und Professionalisierung bedingt, schon vor langer Zeit eine Entwicklung der zunehmenden Entfernung zwischen Fan und Verein eingesetzt zu haben. Diese spiegelt sich sowohl exemplarisch in einigen Subkulturen11 unter den Fans, als auch konkret im teilweise spielunabhängigen Verhalten der Zuschauer wider. Prosser fasst darüber hinaus treffend zusammen: »Es ist nicht allein die Attraktivität des Wettkampfes, die so viele Menschen zur Fußballveranstaltung zieht, sondern es ist ebenso die dort erwartbar versammelte Vielzahl der Menschen selbst und die damit verbundene Wucht des sinnlichen Eindrucks und des emotionalen Engagements, die sich in verschiedenen sozialpsychologischen Untersuchungen als Beweggrund des Stadionbesuchs angegeben finden.« (Prosser 1999: 437)
Dass diese »Wucht des sinnlichen Eindrucks« dem Frauenfußball weitestgehend fehlt, dürfte neben der historischen Diskriminierung und anhaltenden geschlechtsspezifischen Vorurteilen und Abwertungen ein Hauptgrund für das geringere Zuschauerinteresse sein, auch wenn sich die Punkte in diesem Fall gegenseitig bedingen. Exemplarisch zeigt sich hier, dass der Frauenfußball oftmals nicht mit der Ernsthaftigkeit verfolgt und dargestellt wird, wie der Männerfußball, was unmittelbare Auswirkungen auf die Identifikationsmöglichkeiten vermuten lässt. Demgegenüber stehen beim Männerfußball Verhaltensweisen, die sich unter den Schlagworten Ritual (vgl. Balke 2007: 11), Karnevaleske (vgl. Braun 2002: 10) und Fest (vgl. Prosser 2002) treffend mit kulturanthropologischen Erklärungsansätzen charakterisieren lassen. Im Selbstverständnis der Fans ist hingegen beiderseits wenig
11 Hitzler stellt beispielsweise fest, dass Ultras nicht unkritisch gegenüber ihrem Verein sind und sich zum Teil als Protestbewegung begreifen (vgl. Hitzler/Niederbacher (2010): 163f.).
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Platz für Zweifel an der Treue zum eigenen Verein; lediglich das Ausleben derselben unterscheidet sich.
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Fußballmafia DFB Wie Staat und Fußball in Deutschland gemeinsame Sache machen – Eine recherchierte Polemik A NDREAS R ÜTTENAUER
W ARM
UP
– V ORBEMERKUNG
Der DFB muss anders Werden! Mit dieser Forderung bin ich zu Beginn des Jahres 2013 als Kandidat in das Rennen um den vakant werdenden Posten des DFB-Präsidenten gegangen. Dass es ein aussichtsloses Unterfangen war, das Spitzenamt im Deutschen Fußballbund, dem mit rund 6 Millionen Mitgliedern größten Sportfachverband der Welt, war mir von Beginn meiner Kampagne an klar. Der DFB ist das, was man einen Verbände-Verband nennt. Im ihm sind 21 Landes- und Regionalverbände zusammengeschlossen. Nur diese habe das Recht, einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl zu nominieren. Sie hatten sich frühzeitig auf Wolfgang Niersbach als Verbandschef festgelegt. Dennoch habe ich mit der Unterstützung der taz, meines Arbeitgebers, bis zur entscheidenden Abstimmung Wahlkampf gemacht. Ziel war es, den DFB als das darzustellen, was er ist, und was er eigentlich nicht sein sollte – als einen Staat im Staat, der millionenschwere Geschäfte macht, sich dennoch subventionieren lässt und sich dabei als Vehikel staatlicher Behörden zur Beschneidung elementarer Bürgerrechte benutzen lässt. Wir haben die Wahlkampagne benutzt, um auf eine originelle Weise über sportpolitische Zusammenhänge berichten zu können. Wir haben also nichts anderes gemacht als Journalismus. Die Grenzen herkömmlicher Berichterstattung haben wir insofern ein wenig erweitert, indem ich
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selbst zu einer handelnden Person geworden bin, mithin Objekt der Berichterstattung. Ein journalistischer Beitrag zum Thema, welche Rolle der DFB in der Bundesrepublik einnimmt, ist auch der Text in dieser Veröffentlichung – eine recherchierte Polemik.
T ESTSPIEL – F IKTION Wahltag in Berlin. Angela Merkel wird in einem Festakt von den Delegierten des Deutschen Bundestags zur Kanzlerin gewählt. In der ersten Reihe im Reichstagsgebäude von Berlin freuen sich neben den Delegierten, die von den Bundesländern und den großen gesellschaftlichen Verbänden zur Abstimmung entsandt worden sind, auch führende Vertreter der Wirtschaft über das klare Votum für die alte und neue Kanzlerin. Der Vorstandschef der Deutschen Bank ist der erste, der Angela Merkel zur Wiederwahl gratuliert. Er spricht nach der einstimmigen Entscheidung für Merkel von einem großen demokratischen Votum. Die Kanzlerin bedankt sich und sagt: »Was wäre die Bundesrepublik, was wäre Deutschland nur ohne die Partnerschaft mit der Deutschen Bank.« Anschließend laben sich die Delegierten gemeinsam mit der Kanzlerin an dem üppigen Büffet, das für den feierlichen Anlass geordert worden war.
ANPFIFF – R EALITÄT Schon am Tag vor der Entscheidung war angerichtet worden in dem Nobelhotel am Frankfurter Flughafen, das der Deutsche Fußball-Bund für seinen außerordentlichen Bundestag am 2. März 2012 ausgesucht hatte. Alles war bereit für die Wahl zum Präsidenten des Deutschen Fußballbundes. Die Namensschilder für die Vorstandsmitglieder standen am Freitag, als die Delegierten eintrafen, schon in aller Frühe vor den reservierten Plätzen auf dem Podium des Saals. Für die Ehrengäste waren die besten Plätze im Parkett reserviert. Herbert Hainer, Vorstandschef des Sportartikelherstellers Adidas darf in der ersten Reihe sitzen – direkt neben Bundestrainer Joachim Löw. Hainer ist einer der ersten, der Wolfgang Niersbach gratuliert, nachdem dieser ohne Gegenstimme zum neuen Präsidenten des DFB gewählt worden ist. Schon vor der Abstimmung labten sich die Delegierten
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aus den Landesverbänden des DFB sowie die Vertreter des deutschen Profifußballs am üppigen Büffet, das der Verband hat aufbauen lassen. Der sichtlich gut aufgelegte Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef des Branchenführers FC Bayern München meint: »Wenn alle Verbände so demokratisch organisiert wären wie der DFB, dann wäre die Fußballwelt ein großes Stück besser.«
T AKTISCHE G RUNDORDNUNG – D AS K ORRUPTIONSKONSTRUKT Die Umstehenden verstehen die Äußerung von Rummenigge als Kritik an der Fifa und dessen Präsidenten Joseph S. Blatter. Kritik an ihm und seinem System aus Begünstigten und bereitwilligen Schmiergeldzahlern ist längst gesellschaftsfähig in Deutschland. Die von einer Sportvermarktungsagentur gezahlten Bestechungsgelder in irrwitziger Millionenhöhe für einzelne Funktionäre, die bis heute nicht geklärte Vergabe der Fußball-WM 2022 an das Emirat Katar, in dem man im Sommer aus gesundheitlichen Gründen das Haus am besten gar nicht verlassen sollte, wird mit einem Achselzucken abgetan. So ist sie eben, die Fifa – korrupt und mafiös. Dabei ist es noch gar nicht lange her, da hatte die Bundesrepublik der Fifa selbst den roten Teppich ausgerollt. Für die WM 2006 sind dem Weltverband ganze Städte zur Verfügung gestellt worden, damit der seine Logos und seine Werbepartner präsentieren konnte. Den riesigen Gewinn musste die Fifa in Deutschland nicht versteuern. Wäre das Turnier ein finanzieller Flop geworden, die Öffentliche Hand, die die Renovierung etlicher WMStadien und deren Anschluss an die Verkehrsinfrastruktur hat bezahlen müssen, hätte dafür geradestehen müssen. Das hat der Weltverband, zusammen mit dem WM-Organisationskomitee, an dessen Spitze Wolfgang Niersbach stand, mit der Bundesregierung in geheimen Runden ausgeklüngelt. Der Inhalt der sogenannten Regierungsgarantien, die die Fifa von jedem Land verlangt, das ein großes Turnier ausrichten will, sind zu einem großen Teil nicht bekannt. Es ist gewiss nicht übertrieben von Geheimabkommen zu sprechen. In gewisser Weise ist es verständlich, dass alles getan wird, um den Inhalt dieser Absprachen vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Den Kotau, den die Bundesrepublik vor einer übel beleumundeten Organisation wie der Fifa gemacht hat, hätten viele nur allzu peinlich ge-
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funden. Bei der Frauen-WM 2011 passierte Ähnliches in abgeschwächter Form noch einmal. Auch hier wurden Regierungsgarantien gegeben, über deren Inhalt Stillschweigen vereinbart worden ist. Ein weiteres großes FifaTurnier wird Deutschland so schnell nicht ausrichten. Dass die Kritik an der Fifa inzwischen auch aus der deutschen Fußballfamilie kommt, darf man da getrost als wohlfeil bezeichnen. Das allgemeine Fifa-Bashing lenkt zudem den Blick ab von den Machenschaften im eigenen Umfeld.
T EAMKAMERAD –
DIE DEUTSCHEN
F IFA -B RÜDER
Während viele anstößig finden, dass Sepp Blatter die Fernsehrechte an WM-Turnieren an eine Firma vergibt, an der sein Neffe beteiligt ist, wundert sich niemand über die Geschäfte, die der DFB mit ebendieser Firma macht. An Infront ist nicht nur Blatters Neffe beteiligt, sondern auch Günther Netzer. Den bezeichnet DFB-Präsident Wolfgang Niersbach als einen seiner besten Freunde. Die beiden herzen sich gerne in aller Öffentlichkeit. So geschehen auch am Rande der 125-Jahr-Feier des Hamburger Sportvereins. »Der Mensch Günther Netzer ist ein Geschenk«, hat Niersbach einmal gesagt. Mit solch einem lassen sich gut Geschäfte machen. Ende des 2012 vergab der DFB die Rechte zur internationalen Vermarktung der Spiele des DFB-Pokals an Netzers Infront. Niersbach, damals noch Generalsekretär des Verbands damals: »Infront ist mit unseren Top-Produkten bereits bestens vertraut und verfügt zudem über wertvolles Know-how und ein umfangreiches Netzwerk im Bereich Medienrechte. Davon werden wir bei der internationalen Distribution profitieren.« Ein wahrer Freundschaftsdienst. Solche gibt es viele im DFB. Skandalisiert werden sie selten. Dass ein ehemaliger Nationalspieler, der eine Druckerei führt, mit der Herstellung aller Print-Produkte des DFB beauftragt wird, mag man noch niedlich finden. Aber wie sieht es mit dem Auftrag für eine kleine Softwarefirma des Milliardärs Dietmar Hopp aus, in dessen Heimatverein, der TSG 1899 Hoffenheim, der Sohn des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger als Manager die Frauenfußballabteilung leitet? Und warum sollten wir uns nicht für die Rolle deutscher Firmen bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland interessieren? Aufschlussreiche Recherchen dazu fanden in der Öffentlichkeit kaum Gehör. Fußballdeutschland wollte sich sein Superevent nicht zerschießen lassen. Es mag hier nicht um die ganz großen
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Schweinereien gehen, wie sie der Fifa vorgeworfen werden. Die AntiKorruptions-NGO Transparency International hätte dennoch viel zu tun, wenn sie den DFB durchleuchten würde. Aber ist der DFB im Kleinen ebenso in der Lage wie die Fifa im Großen, die Öffentliche Hand in Deutschland regelrecht zu erpressen? Sie ist.
M ATCHFIXING –
DER
D EAL
Es ist ein wenig spektakulärer Fall, der in der Öffentlichkeit auch nie groß diskutiert wurde, an dem sich zeigen lässt, wie sich die Öffentlich Hand vom Fußball regieren lässt. Erzählen wir also die Geschichte: «Wie das DFB-Fußballmuseum nach Dortmund kam«. Einen großen Meister hat sich das Museum schon lange vor seiner Eröffnung, die für 2014 geplant ist, gesichert. Es kommt als Leihgabe aus den Niederlanden. Das weiße Stück Stoff, auf dem die Ziffern 1 und 3 aufgeflockt sind, hatte der niederländische Nationalspieler Wim Rijsbergen nach dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1974 im Tausch gegen ein Stück orangen Stoff mit den Ziffern 1 und 7 in seinen Besitz gebracht. Das Meisterstück ist das Trikot, das der Siegtorschütze dieses Finales trug: Gerd Müller, als Bomber der Nation zweifelsohne eine Person der Fußballzeitgeschichte. Wenn das DFB-Museum, an dem seit dem symbolischen Spatenstich Mitte September 2012 gebaut wird, eröffnet ist, wird das Leibchen von Gerd Müller eine der Hauptattraktionen sein. 250.000 Menschen sollen jährlich das Museum besuchen und sich Fußballdinge wie einen Lederball, der beim WM-Turnier 1954 benutzt wurde, anschauen können. In Dortmund hofft man, dass die Fußballnostalgiemaschine, die gegenüber dem Hauptbahnhof in einen futuristischen Gebäude eingerichtet werden soll, brummen wird. Vielleicht betet man sogar schon. Denn sollte das Museum nicht brummen, könnte es ganz teuer werden für die Stadt, die seit Jahren an der Pleite entlangschrammt und für die Verwaltungsinstrumente wie Haushaltssperren längst zum Alltag geworden sind. Denn die Stadt hat sich auf einen gefährlichen Deal eingelassen. Sie hat sich von der Macht des Fußballs geblendet erpressen lassen. Gemeinsam mit dem DFB wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, die das Museum einmal betreiben wird. Sollte es nicht laufen, ist das Risiko für den Fußballverband auf 250.000 Euro im Jahr limitiert, die Stadt dagegen
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haftet unbegrenzt. Der Rat der Stadt hat dieser Vereinbarung zugestimmt. Es war – wie könnte es anders sein – eine nicht öffentliche Vorlage. Es sollte wohl niemand mitbekommen, welch hohes Risiko die Kommune da auf sich nimmt. Doch geheim ist schon lange nicht mehr, was da verabschiedet wurde. Jetzt hat das große Bangen in Dortmund begonnen. Um die Öffentlichkeit in der Pleitekommune zu beruhigen, wurde zwei Wochen vor dem Spatenstich mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach eine Studie vorgestellt, die das Museum als Wirtschaftsmotor und Jobmaschine für die Stadt über den grünen Klee lobt. Da ist sogar von 450.000 Besuchern jährlich die Rede, die am Besuchstag im Schnitt über 35 Euro in der Stadt ausgeben würden, was zu jährlichen Steuermehreinnahmen von 1,5 Millionen Euro im Jahr führen würde. 280 Vollzeitarbeitsstellen würde das Museum generieren. Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) verweist gerne auf die tollen Zahlen der Studie, die man getrost als Gefälligkeitsgutachten bezeichnen kann. In Auftrag gegeben hat sie der Dortmund-Tourismus e.ௗV., die »offizielle Tourismusmarketingorganisation der Stadt«, wie sich der Verein selbst bezeichnet. Die Zahlen, die er liefert, lesen sich wie ein naiver Rechtfertigungsversuch für das steuermitfinanzierte Ausstellungsprojekt eines Verbands, der mit seiner Nationalmannschaft als Werbeträger Millionen einnimmt. Die Kommune Dortmund und das Land Nordrhein-Westfalen haben dem DFB viel Geld zugesagt und sich damit den Zuschlag für das Fußballmuseum regelrecht erkauft. Das Land sicherte einen Baukostenzuschuss von 18,5 Millionen Euro zu. Der DFB dankte es mit der Zusage, dass das Museum in NRW gebaut würde. Drei Städte bewarben sich. Köln schied aus, weil man nicht bereit war, dem DFB für das Museum ein Grundstück herzuschenken bzw. in kostenloser Erbpacht für 99 Jahre zu überlassen. Das versprachen dagegen Dortmund und Gelsenkirchen, beides Städte mit jeder Menge Fußballtradition und ganz wenig Geld in den kommunalen Kassen. Der DFB-Bundestag, der ordentliche Verbandstag der Organisation, stimmte dann für Dortmund als Standort. Dort hat man schon eine halbe Million Euro für die Verlegung des zentralen Omnibusbahnhofs ausgegeben, der bis dato am Museumsstandort lag – mit der Hälfte hatte man kalkuliert. Die Baufreimachung des Grundstücks hat 5 Millionen Euro gekostet, ein Betrag, der bereitgestellt wurde in der Hoffnung, das Land werde davon 80 Prozent übernehmen. Der Förderungsbescheid war bei der Ertei-
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lung des Auftrags noch lange nicht eingegangen. Was geschieht, wenn die Baukosten aus dem Ruder laufen, weiß keiner so recht. Der DFB will nicht mehr zahlen als die vereinbarten 17,5 Millionen aus dem Überschuss, den der Verband bei der WM 2006 erwirtschaftet hat, und auch das Land will seine Förderung nicht erhöhen. Das Risiko bliebe bei der Stadt Dortmund. Der DFB hat, so scheint es, die Stadt fest im Griff. Wie im Großen die Fifa, die große Turniere nur dann vergibt, wenn die Gastgeberländer alleine das Risiko tragen, hat der DFB im Kleinen agiert. Das Risiko wird dem Gemeinwesen übergeholfen. Kein Wunder, dass DFB-Boss Wolfgang Niersbach öffentlich verkündet, der Deal sei für keine Seite riskant. Beim symbolischen Spatenstich meinte er, die kalkulierten 250.000 Besucher seien ohnehin sehr konservativ gerechnet. Er versprach, kein Geld, das der DFB über seine gemeinnützigen Vereine einnimmt, in das Projekt zu investieren und verschwieg dabei bewusst, dass sich der Riesenverband nicht alleine aus den Mitgliederbeiträgen der organisierten Kicker finanziert, sondern längst ein erfolgreicher Player im boomenden Fußballbusiness ist. Gemeinnützige Gelder in ein Projekt zu investieren, das vom kulturellen und museumspädagogischen Standard her sowieso kein Museum ist, wäre in der Tat fragwürdig. Kein Museum? Genau das nämlich hat die zuständige Bezirksregierung in Arnsberg festgestellt. Bei der geplanten Einrichtung handle es sich schließlich in keiner Weise um »wissenschaftliche Sammlungen oder Kunstsammlungen«. Auch diese Entscheidung, so richtig sie angesichts von geplanten Exponaten wie Bällen, Trikots oder den Badelatschen von Wolfgang Overath erscheinen mag, riecht nach Gefälligkeitspolitik. Ein Museum im klassischen Sinne ist, was die Umsatzsteuer betrifft, wie ein Endverbraucher zu betrachten. Die Umsatzsteuer muss gezahlt werden, sie kann nicht umgelegt werden. 19 Prozent der Baukosten würden an den Fiskus fließen. Das wollte in der Stiftung Fußballmuseum niemand. Und so entsteht jetzt in Dortmund ein mit Steuergeldern erst ermöglichtes Museum, das eigentlich gar keines ist. Das Zustandekommen des DFB-Museums in Deutschland ist in seiner Art alles andere als einmalig. Im Frühjahr 2013 hat der DFB über den Standort für ein zentrales Leistungszentrum für alle Nationalmannschaften des Verbandes entschieden. Wieder sind viele schöne Worte gefallen. Von einem zentralen Campus, in den die Fußballkompetenz einer ganzen Nation gebündelt werden solle, sprach Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Die Städte Köln, München und Frankfurt gingen ins Rennen. Und ei-
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nes war von Anfang an klar: für ein Grundstück würde der DFB nichts zahlen. Ein weiterer Erpressungsversuch des DFB war erfolgreich. Die Politik hat sich dem Fußball einmal mehr an den Hals geworfen. Die Stadt Frankfurt am Main hat letztlich den Zuschlag erhalten, indem sie dem DFB jede Menge Platz am Stadtwald in unmittelbarer Nähe der Verbandszentrale zugesichert hat.
T RANSFER –
DIE
G EGENLEISTUNG
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem spärlich bekleideten Spielnmacher Mesut Özil in der mkleidekabine nach einem Spiel bei der FußballWM in Südafrika, Joachim Gauck im Kreise verschwitzter Spieler von Borussia Dortmund nach dem DFB-Pokalfinale 2012, Bürgermeister und Ministerpräsidenten in den Ehrengastbereichen der Bundesligastadien – die Politik sonnt sich nur allzu gerne im Ruhm der Fußballhelden. Sie versprechen sich gute PR. Doch sind diese Bilder der Sport-Politik-Verbrüderung die einzige Gegenleistung des Fußballs für die Gunst, die ihm immer wieder von der Öffentlichen Hand erwiesen wird? Gewiss nicht. Vor allem in der Sicherheitspolitik wird der Fußball als Experimentierfeld benutzt. Die Popularität des Lieblingssports der Deutschen hat sich schon oft als hilfreich erwiesen, wenn es darum ging, rechtsstaatliche Standards nach unten zu korrigieren. 2001 wunderten sich nicht wenige politische Aktivisten, als sie kurz vor dem G8-Gipfel in Genua Besuch von der Polizei bekamen, die ihnen eine Art Hausarrest aufbrummte. Andere wurden auf dem Weg zur Protestaktionen bei Grenzkontrollen als potenzielle Gewalttäter identifiziert und zurück in ihre Wohnorte geschickt. Verbrochen hatten sie nichts. Ihr Name war in eine mehr oder weniger willkürlich geführte Datensammlung geraten, wo sie als linke Gewalttäter geführt wurden. Vorbild für diese Datensammlung war die Datei »Gewalttäter Sport«, die seit 1994 geführt wird. Zunächst ohne jede Rechtsgrundlage. Nicht nur Datenschützer, mehrere gerichtliche Instanzen haben die rechtliche Unzulässigkeit dieser Datensammlungen festgestellt. Doch die Behörden katalogisierten die vermeintlich gewaltbereiten Fans weiter. Der Kampf gegen die Gewalttaten von Hooligans war spätestens, seit deutsche Fußballfans 1998 den französischen Polizisten Daniel Nivel beinahe zu Tode geprügelt haben, in der breiten Öffentlichkeit äußerst populär. Die Datensammlung
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wurde deshalb nie in Frage gestellt, auch wenn sich dort als Gewalttäter auch findet, wer einmal einen Aufkleber auf die Kacheln einer Stadiontoilette geklebt hat, und dabei von Ordnern erwischt wurde. Zum vermeintlichen Wohl des Fußballs wurden Bürgerrechte eingeschränkt. Nachhaltig – wie sich 2001 vor dem G8-Gipfel in Genua zeigen sollte. Kein Einzelfall. 2007 wunderten sich Aktivisten im Protestcamp anlässlich des G8-Gipfels von Heiligendamm über Bundeswehrjets, die über ihr zeitweiliges Domizil gebrettert waren. Ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht verboten, mögen sie sich gefragt haben. Im Rahmen des G-8Gipfels in Heiligendamm 2007 setzte die Bundeswehr mindestens ein Dutzend Kampfjets zur Aufklärung ein. Darüber hinaus kamen Spähpanzer vom Typ »Fennek« zum Einsatz um Straßen sowie die Anflugrouten der Gipfelteilnehmer zu beobachten. Zur Überwachung des Luftraums wurden drei Nato-Aufklärungsflugzeuge vom Typ Awacs eingesetzt. In Bad Doberan errichtete die Bundeswehr zusätzlich ein mobiles Sanitätsrettungszentrum, das von mehreren Feldjägern gesichert wurde. Eigentlich ist der Einsatz der Bundeswehr im Innern laut Grundgesetz nur dann gestattet, wenn der Bundestag einen Verteidigungsfall festgestellt hat, es sei denn er dient »zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes«. Wolfgang Schäuble, seinerzeit Innenminister, und Verteidigungsminister Franz-Josef Jung wussten diesen Satz schon ein Jahr zuvor zugunsten ihrer Sicherheitsphantasien zu interpretieren. An der Sicherung der Fußball-WM 2006 nahmen 2.000 Bundeswehrsoldaten aktiv teil. 5.000 weitere waren ständig in Bereitschaft. Deutschlands größte Nationalparty öffnete der Bundeswehr die Tür zum Einsatz im Inland. Die Regierung hatte sich einmal mehr die Popularität des Fußballs zu Nutze gemacht, um neue Sicherheitsstandards zu etablieren. Im Herbst 2012 wurde mit nie gekannter Intensität über die Gewalt in deutschen Fußballstadien diskutiert. Innenpolitiker und Fußballfunktionäre ringen um neue Wege zum sicheren Stadionbesuch. In diesem Zusammenhang hat die DFL, der Verband der in der ersten und zweiten Liga vertretenen Profiklubs ein neues Sicherheitskonzept vorgestellt. Darin ist von Containern die Rede, in denen Fans einer «Ganzkörperkontrolle« unterzogen werden sollen. Damit soll wohl verhindert werden, dass Zuschauer pyrotechnische Erzeugnisse wie bengalische Fackeln oder Sylvesterraketen – in ihrem Genitalbereich versteckt – ins Stadion schmuggeln. Rechtspolitiker
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müssten eigentlich aufschreien, denn für derartige Nacktuntersuchungen ist eigentlich ein richterlicher Beschluss von Nöten. In den Polizeivorschriften heißt es auch: »Bei Gefahr im Verzug kann die Untersuchung auch auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden, doch hat die Staatsanwaltschaft in diesem Fall unverzüglich die gerichtliche Bewilligung einzuholen. Wird diese nicht erteilt, so hat die Staatsanwaltschaft die Anordnung sofort zu widerrufen und das Ergebnis der körperlichen Untersuchung vernichten zu lassen. Jede körperliche Untersuchung ist von einem Arzt vorzunehmen.«
Die Ganzkörperkontrollen sind inzwischen Realität geworden. Die Zelte, in denen den Fans ins Gesäß geschaut wird, werden meist dann aufgebaut, wenn die Polizei zusammen mit kommunalen Entscheidern und den beteiligten Vereinen ein hohes Gefahrenpotenzial feststellen. Der gesellschaftliche Aufschrei bleibt aus. Die Angstrhetorik der Sicherheitsapologeten dominiert den Diskurs und so gibt es nicht wenige, die den Besuch eines Fußballspiels für gefährlich halten. Verwundern muss das nicht, wenn ein Einsatzleiter der Polizei von «bürgerkriegsähnlichen Zuständen« spricht, wie es in Dortmund nach einem DFB-Pokal-Spiel gegen Dynamo Dresden geschehen ist, bei dem es zu Auseinandersetzungen von Fans mit der Polizei gekommen war. Vor nicht allzu langer Zeit diskutierte beinahe das ganze Land über die Einführung von Ganzkörperscannern bei der Sicherheitskontrolle an Flughäfen. Angesichtes dessen, was am Rande von Fußballspielen praktiziert wird – sogar Minderjährige mussten sich schon in den After leuchten lassen – eine beinahe schon niedliche Diskussion. Die Politik ist einmal mehr dabei, über den Fußball rechtsstaatliche Standards auszuhebeln. Die Sicherheitspolitiker und -exekuteure in den Innenministerien von Bund und Ländern können sich bedanken.
ABPFIFF – S HAKEHANDS Es ist ein Geben und Nehmen, das sich zwischen Politik und DFB entwickelt hat. Es ein Pakt geschmiedet worden zwischen der Politik und einem scheindemokratischen Verband, der für Korruption zumindest anfällig ist.
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Beide Seiten profitieren von dem Pakt. Und beide Seiten können sich der Öffentlichkeit als Wohltäter präsentieren. Sie schenken dem Volk das schöne Spiel. Und wenn der Ball rollt, redet eh keiner über Korruption und merkwürdige Verstrickungen.
11 Freunde: Treiber oder Getriebene des Kapitalmarktes? K ERSTIN L OPATTA
»Fußball ist mehr als nur ein Spiel« – dieser Satz ist in der Fußballcommunity wahrscheinlich genauso oft zu hören wie das Gary Lineker Zitat (frei übersetzt) »Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten einem Ball nach und am Ende gewinnen immer die Deutschen«. In meinem Beitrag dreht es sich um Fußball und zwar nicht aus der Ballperspektive, sondern aus Kapitalmarktperspektive. Es geht darum, zu erläutern, warum der Fußball, auch hinsichtlich seiner Wirkungsweise auf dem Kapitalmarkt, wirklich mehr als nur ein Spiel ist. Wirft man einen Blick auf professionelle Fußballclubs so ist festzustellen, dass viele in privater Hand sind. Auf der anderen Seite ist zu sehen, dass in der Zeit von 1991 bis 2012 insgesamt 46 Fußballclubs in Großbritannien, Kontinentaleuropa und der Türkei an den Kapitalmarkt geströmt sind. In der gleichen Zeitspanne haben 25 Clubs ein delisting durchgeführt und sind in private Hand übernommen worden. Hieraus ist zu sehen, dass es auch bei Fußballclubs einen beträchtlichen turnover in der Eigentümerstruktur gegeben hat. Nun sind Preise im Fußball nichts, was einen wirklich überraschen würde, daher verwundert es nicht, dass in vielen Transaktionen hohe Summen für die Clubs gezahlt wurden. Sieht man sich beispielsweise den schrittweisen Kauf von Manchester United FC plc durch die Glazer Familie an, so ist der Deal für eine Gesamtsumme von 790 Millionen britische Pfund abgeschlossen worden. Manchester United FC plc war bis zum Kauf durch Glazer eine Kapitalgesellschaft, deren Aktien am Markt gehan-
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delt wurden. Der Club hatte solide Gewinne und generierte Cash. Die Mannschaft war ebenfalls auf dem Platz gut aufgestellt. Der Kauf eines 28,7% Anteils wurde zu einem Preis von 3 britischen Pfund pro Aktie abgeschlossen, wobei der Gewinn pro Aktie von dem Jahr davor bei 7,4 Penny lag, was ein beachtliches Kurs-Gewinn-Verhältnis von ca. 40 ergibt (BBC 2005). Im Mai 2007 kaufte Mike Ashley eine Beteiligung an Newcastle United plc für 100 Pence pro Aktie. Der Verlust pro Aktie war zu diesem Zeitpunkt 9,2 Pence (Newcastle United 2006). Wenn wir von dem Kauf von Arsenal Holdings plc einmal absehen, weil kein regulärer Preis verfügbar ist, so war das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis negativ (-1,07). Nur 5 Clubs hatten Gewinne und ein durchschnittliches Kurs-GewinnVerhältnis von 12,29 (Compustat Global Vantange). Wie hieraus unschwer zu erkennen ist, spielen Gewinne, die für Investoren am Kapitalmarkt eine ausschlaggebende Größe darstellen, keine große Rolle bei der Bewertung oder gehen in den Kaufpreis nur geringfügig ein. Dafür kann es unterschiedliche Erklärungen geben. Erstens kann es schlichtweg sein, dass sich Investoren irrational verhalten und sich bei der Einschätzung künftiger Gewinne zu selbstsicher sind. Zweitens könnte die Erklärung darin liegen, dass Investoren die soccer clubs aus nicht ökonomischen Gründen kaufen. Drittens können die Investoren von positiven spillover Effekten profitieren, wenn sie mehrere Geschäftseinheiten haben. Und viertens kann es sein, dass das Risiko in soccer clubs zu investieren entsprechend klein ist. Ich konzentriere mich auf die vierte Erklärung und zeige, dass gelistete soccer clubs eine hohe Aktienpreisvolatilität während der Saison aufweisen, aber ein sehr geringes systematisches Risiko im Vergleich zu anderen Industrien haben. Im Durchschnitt haben soccer clubs geringe Marktbeta. Ihre Kursgewinne lassen sich am besten durch ein Modell erklären, welches die unerwarteten Siege und Niederlagen der Spiele wiederspiegelt. Die Anzahl der gelisteten soccer clubs scheint ausreichend, um das Risiko zu diversifizieren und daraus resultieren durchschnittlich geringe Kapitalkosten. In der Literatur wurde bereits gezeigt, dass die Aktienkurse von Fußballunternehmen mit der spielerischen Performance schwanken. Beispielsweise zeigen Rennboog und Vanbrant in einer Event Studie, dass über 3 Spielperioden von 1995 bis 1998 die Aktienkurse von britischen und schottischen Fußballclubs auf Gewinne positiv reagieren und auf Verluste und
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Niederlagen negativ (Rennboog & Vanbrant 2000). Zusätzlich zeigen die Autoren eine langfristige negative Aktienkursperformance bei einem Investment in ein soccer club Portfolio. Scholtens und Peenstra finden ähnliche Ergebnisse bei der Analyse britischer und europäischer soccer clubs in dem Zeitraum 2000 bis 2004 (Scholtens & Peenstra 2009). Sie folgen einem etwas anderen Ansatz und verwenden als Proxy für die Markterwartungen die Wettquoten der Spiele. Benkraiem et al. bestätigen diese Ergebnisse durch ihre Event Studie über europäische soccer clubs für die Periode Juli 2006 bis Juli 2007 (Benkraiem et al. 2009). Die jüngste und methodisch am weitreichendsten angelegte Studie über die Sensitivität der Aktienkurse auf das Ergebnis von Fußballspielen wurde von Bell et al. im Jahr 2009 veröffentlicht. Bell et al. analysieren ein Sample von englischen soccer clubs im Zeitraum 2000 bis 2008 und zeigen, dass Aktienkursschwankungen mit der Erwartung des Marktes zusammenhängen (Bell et al. 2009). Die Markterwartungen werden dabei durch die Wettquoten abgebildet und gewichtet. Die Gewichtung orientiert sich an der Rivalität der clubs (Tabellenplatz) und daran, wie weit die Saison fortgeschritten ist. Vor diesem Hintergrund ist meine erste Hypothese, dass gewonnene (verlorene/unentschieden) Spiele die Aktienkurse von soccer clubs am Handelstag nach dem Spiel positiv (negativ) beeinflussen. Da Aktienkurse zukünftige Erwartungen wiederspiegeln, führen nur unerwartete Informationen zu Preiskorrekturen. Bezogen auf Fußballergebnisse gibt es drei Möglichkeiten, wie das Spiel ausgehen könnte. Und alle drei Möglichkeiten haben eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit vor dem Spiel, die unsicher ist. Daher sollten auch vorhersehbare Spielergebnisse zu Marktreaktionen führen. Die Reaktionen am Kapitalmarkt sollten umso stärker sein, wenn der Ausgang des Spiels entgegen den Markterwartungen ist, d.h. der Außenseiter gewinnt. Das führt zu meiner zweiten Hypothese, dass Kapitalmarktreaktionen auf Fußballergebnisse stärker sind, je unerwarteter der Sieg bzw. die Niederlage. Sollten Hypothese 1 und 2 bewiesen werden, dann folgt daraus, dass Aktienkurse von soccer clubs zum großen Teil einem Risiko unterliegen, welches in anderen Industrien nicht üblich ist. Daher ist zu erwarten, dass das systematische Risiko in soccer clubs im Vergleich zu anderen Industrien niedrig sein sollte und das idiosynkratrische Risiko, welches die Unsicherheit des Spielausgangs reflektiert, vergleichsweise hoch. Daher ist meine dritte Hypothese, dass das systematische (idiosynkratrische) Risiko in soccer clubs im Durchschnitt geringer (höher) ist,
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als in anderen Unternehmen. In der Literatur wird gezeigt, dass Aktien mit einem niedrigeren systematischen Risiko geringere Kapitalkosten aufweisen (Sharpe 1964). Da die Effekte der Spielergebnisse bei Investitionen in soccer clubs durch ein Portfolio diversifiziert werden können, wird dieses Risiko nicht durch höhere Prämien von erwarteten Gewinnen belohnt. Daher folgere ich daraus für meine vierte Hypothese, dass die Kapitalkosten für soccer clubs geringer sind als durchschnittlichen Kapitalkosten von anderen soccer clubs. In meinem Sample untersuche ich alle gelisteten soccer clubs in der Peridoe 1998 bis 2012. Die Wettquoten stammen von annabet.com, betexplorer.com und weltfussball.de. Unternehmensdaten wurden über Datenbanken erhoben. Damit stand mir für meine Untersuchung das in Tabelle 2 (folgende Seite) dargestellte sample zur Verfügung. Als Untersuchungsmethode habe ich zunächst eine Eventstudie durchgeführt, danach eine Event-Parameter Schätzung und anschließend die Kalkulation der impliziten Kapitalkosten vorgenommen und mit anderen Industrien verglichen. Die Event Studie lieferte das in Tabelle 1 dargestellte Bild: Tabelle 1
AAR: Average abnormal return BOE: Boehmer et al. (1991) test statistic COR: Corrado & Zivney (1992) test statistic
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Tabelle 2 Team
from to
Team
from to
AIK Stockholm 2009 2011 88
Lazio
1998 2012 493
AS Roma
2000 2012 445
Leeds
1998 2004 216
Aalborg
2002 2011 323
Leicester
1998 2002 164
Aberdeen
2000 2003 109
Lyon
2007 2012 189
Ajax
1998 2012 465
Manchester City 2000 2007 274
Arsenal
2000 2012 460
Manchester Utd
1998 2005 266
AstonVilla
1998 2006 311
Millwall
1998 2011 625
Benfica
2007 2012 138
Newcastle
1998 2007 342
Besiktas
2002 2012 339
Nottingham
1998 2001 144
Birmingham
1998 2009 475
Porto
2001 2012 356
Bolton
1998 2003 212
Preston
1998 2010 544
Bradford
2000 2002 84
Queens Park
1998 2001 130
Brondby
2001 2011 363
Rangers
2006 2011 202
Celtic
1998 2012 516
Sheffield
1998 2008 473
Charlton
1998 2006 316
Silkeborg
2002 2011 320
Chelsea
1998 2003 190
Southampton
1998 2009 445
Dortmund
2008 2012 136
Sporting
2002 2012 309
Copenhagen
2001 2011 351
Sunderland
1998 2004 246
Fenerbahce
2004 2012 248
Tottenham
1998 2012 514
Galatasaray
2002 2012 340
Trabzonspor
2005 2012 237
Hearts
1998 2006 283
Watford
2001 2011 447
Juventus
2001 2012 415
West Brom
1998 2004 286
Clubs total:
44
Matches total: 13,829
Matches
Matches
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Tag 0 kennzeichnet den Spieltag. Die Analyse zeigt positive durchschnittliche abnormale Renditen bei Spielgewinnen und negative bei unentschiedenen oder verlorenen Spielen. Somit kann, wie in Hypothese 1 angenommen, bestätigt werden, dass gewonnene (verlorene/unentschieden) Spiele die Aktienkurse von soccer clubs am Handelstag nach dem Spiel positiv (negativ) beeinflussen. Die Event-Parameter Schätzung führte zu den in Tabelle 3 und 4 dargestellten Ergebnissen. Tabellen 3 und 4
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Wie an dem beta-Faktor zu erkennen ist, kann auch die zweite Hypothese, dass soccer clubs im Vergleich zu anderen Industrien im Durchschnitt ein geringeres systematisches Risiko aufweisen, bestätigt werden. Die Kalkulation der impliziten Kapitalkosten lieferte die in den Tabellen 5, 6 und 7 aufgezeigten Ergebnisse. Tabellen 5 und 6
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Tabelle 7 Rank
ICB
Name
1
0530
Oil and Gas Producers
Gebhardt et al. (2001) (mean 10 years) 0.1431
2
5330
Food & Drug Retailers
0.1372
3
0580
Alternative Energy
0.1320
4
1770
Mining
0.1314
5
8350
Banks
0.1295
6
0570
Oil Equipment, Services & Distribution 0.1291
7
3720
Household Goods & Home Construction 0.1272
8
8770
Financial Services
0.1271
9
5550
Media
0.1253
10
2750
Industrial Engineering
0.1233
11
2790
Support Services
0.1219
.
.
.
.
17
3760
Personal Goods
0.1135
Soccer Clubs (target ROE: 0.15)
0.1119
18 19
2720
General Industrials
0.1119
.
.
.
.
37
1730
Forestry & Paper
0.0909
Soccer Clubs (target ROE: 0.10)
0.0842
38 39
8630
Real Estate Investment & Services
0.0741
40
8670
Real Estate Investment Trusts
0.0634
Soccer Clubs (target ROE: 0.05)
0.0515
41
Somit kann auch die dritte Hypothese, dass die durchschnittlichen Kapitalkosten von soccer clubs relativ niedrig sind im Vergleich zu anderen Industrien, bestätigt werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass erstens die Rendite von soccer club Aktien entscheidend durch die Ergebnisse der Spiele beeinflusst wird, zweitens, dass das systematische Risiko von soccer club Aktien unter dem Marktdurchschnitt (beta ist kleiner 1) liegt und das drittens die
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Schätzung der impliziten Eigenkapitalkosten zeigt, dass diese grundsätzlich unter dem Niveau anderer Industrien liegen.
B IBLIOGRAPHIE BBC (2005): Glazer wins control of Man United. 12 Mai. Bell, A., Brooks, C., Matthews, D., Sutcliffe, C. (2009): Over the Moon or Sick as a Parrot? The Effects of Football Results on a Club’s Share Proce. In: Papers.ssrn.com. Benkraiem, R., Louhichi, W., Marques, P. (2009): Market Reaction to Sporting Results the Case of European Listed Football Clubs. In: Management Decision 47 (1), 100-109 Newcastle United plc (2006): Annual Report. Rennboog, L., Vanbrant, P., (2000): Share price reactions to sport performances of soccer clubs listed on the London Stock Exchange and the aim. Scholtens, B., Peenstra, W. (2009): Scoring on the Stock Exchange? The Effect of Football Matches on Stock Market Returns: An Event Study. In: Applied Economics 41 (25), 3231-3237 Sharpe, W. F. (1964) Capital Asset Prices: A theory of market equilibrium under conditions of risk. In: Journal of Finance 19 (3), 425-442.
Drama von Tod und Auferstehung Das Ballspiel der Maya N IKOLAI G RUBE
Als die Spanier im 16. Jahrhundert den Boden Mesoamerikas betraten, stellten Sie zu ihrem großen Erstaunen fest, dass bei den Azteken, aber auch bei vielen anderen Völkern denen sie begegneten, ein Ballspiel praktiziert wurde, bei dem ein Kautschukball zwischen zwei Mannschaften hinund her gespielt wurde. Für dieses Ballspiel gab es charakteristische Spielplätze, deren Grundform überall gleich war und als ein in die Länge gezogenes »H« beschrieben werden kann. Zwei Mannschaften, manchmal aber auch nur zwei einzelne Spieler mussten den Kautschukball zwischen beiden Hälften des Spielfelds hin- und her schlagen. Dabei durfte der Ball nur mit bestimmten Teilen des Körpers berührt werden wie Ellenbogen, Hüften und Knien, nicht aber mit den Füßen oder Händen. Um den Aufprall des sehr harten Balls abzufedern, trugen die Spieler eine Schutzkleidung, wie der Zeichner Christoph Weiditz beschreibt, der 1528 in Spanien zwei Indianer beim Ballspiel gesehen hatte, die kurz nach der Eroberung Mexikos von Cortéz an den Hof Karls V geschickt wurden (Abb. 1): »Auf solche manier spilen die Indianer mit ainem aufgeblassen bal mit dem hindern On die Hend an zu Rieren auf der Erdt, haben auch ain hardt leder for dem hindern, damit er vom bal den widerstreich Entpfacht, habem auch solich ledern hentschuch an« (Hempe 1927). Nur wenige der Eroberer und der sie begleitenden Geistlichen interessierten sich für das von ihnen als ein heidnisches Ritual verachtete Ballspiel, deswegen sind authentische Beschreibungen rar. Zu den wenigen
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Chronisten, die das Ballspiel wohl noch mit eigenen Augen gesehen haben, gehört der Mönch Fray Toribio de Benavente »Motolinia«. Er schildert wie bei den Azteken in dem länglichen Spielfeld in der Regel zwei Mannschaften zu jeweils zwei oder drei Spielern gegeneinander spielten, die den Ball mit Ellenbogen, Knien und Hüften schlagen mussten. Abb. 1: Darstellung von zwei Ballspielern
Aus dem Trachtenbuch des Christoph Weiditz (1528).
In die die Längsseiten der Spielplätze begrenzenden Wände seien Ringe eingelassen, und hatte eine der Mannschaften den Ball durch einen dieser Ringe gespielt, so habe sie das Spiel gewonnen (Motolinia 1903: 337-339). Noch mehr Information über das Ballspiel erhalten wir vom Dominikaner Diego Durán. Obgleich er schreibt, dass 1585 bereits nahezu alle Ballspielplätze aus der vorspanischen Zeit zerstört worden seien, habe er noch viele Ballspiele verfolgen können (Durán 1867-1880, Vol. II: 242-246). Ihm zufolge befand sich in der Mitte des Spielfelds eine schwarze Linie, welche die Felder der beiden Mannschaften voneinander abgrenzte, und der Ball musste – ähnlich wie bei unserem Volleyballspiel – zwischen diesen beiden Mannschaften bewegt werden und durfte nicht zu Boden fallen, denn dies sei als Fehler gewertet worden.
D AS D RAMA VON T OD UND A UFERSTEHUNG : D AS B ALLSPIEL
DER
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Fast alle Augenzeugenberichte über das Ballspiel beziehen sich auf die Azteken. Vereinzelte kolonialzeitliche Quellen berichten davon, dass das Ballspiel bis ins 18. Jahrhundert hinein in anderen Teilen Mexikos noch bekannt war und praktiziert wurde. Francisco Clavijero schreibt in seiner Historia de México, dass das Ballspiel zu seiner Zeit noch bei den Nayaritas, den Opatas und Tarahumaras in Nordmexiko bekannt war (Clavijero 1807, Vol,. I: 406). In einigen Bundesstaaten im Westen Mexikos werden verschiedene Varianten des Ballspiels noch bis in die Gegenwart praktiziert. Wie wir heute wissen, ist dieses Ballspiel über das gesamte Kulturareal von Mesoamerika verbreitet gewesen und wurde sogar noch im Südwesten der heutigen Vereinigten Staaten gespielt. Die Verbreitung des Ballspiels geht nicht aus den Berichten europäischer Eroberer oder Reisender hervor, sondern kann aus den archäologischen Funden von Ballspielplätzen erschlossen werden (Taladoire 1981). Seinen Ursprung hat das Ballspiel in der frühen präklassischen Periode, also in einer Zeit, in der sich in Mesoamerika dörfliche Siedlungen herausbildeten und die älteste monumentale Architektur entstand. Aus der Zeit zwischen 1400 und 1250 v. Chr. Stammt ein Ballspielplatz aus der Siedlung Paso de la Amada in Chiapas, Mexiko (Clark 1996: 46). In der gleichen Region, der Pazifikküste von Südmexiko und Guatemala, in der der Gummibaum gedeiht aus dem der Kautschuk für die Herstellung von Bällen gewonnen wird, liegt auch der Fundort Ab’aj Tak’alik, dessen Ballspielplatz zwischen 800 und 600 v.Chr. errichtet wurde und der über eine beachtliche Fläche verfügt (Schieber de Lavarreda 1994). Auch in der olmekischen Kultur der mexikanischen Golfküste lassen sich sehr frühe Ballspielplätze archäologisch nachweisen, und in dem Fundort El Manatí im mexikanischen Bundesstaat Veracrúz haben sich unter günstigen konservatorischen Bedingungen in einem Sumpf sogar Kautschukbälle aus der Zeit zwischen 1600 und 1000 v. Chr. erhalten können (Ortíz und Rodriguez 2000). Das Ballspiel hat in Mesoamerika also eine 2500-jährige Geschichte und gehört somit zu den kulturellen Praktiken, die Mesoamerika als Kulturraum definieren. Obgleich die wesentlichen Elemente des Ballspiels über ein großes geographisches Areal und über einen langen Zeitraum verbreitet waren, kann man dennoch eigentlich nicht von »einem« oder »dem« mesoamerikanischen Ballspiel sprechen, denn die archäologischen Befunde und die wenigen darüber berichtenden Schriftquellen lassen eigentlich keinen
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Zweifel daran, dass es verschiedene Spielvarianten gab, ja, dass man vielleicht sogar von ganz unterschiedlichen Ballspielen sprechen muss. So wird auch heute noch in den mexikanischen Bundesstaaten Michoacán und Sinaloa ein Ballspiel praktiziert, bei dem der Ball – im Gegensatz zu dem, was wir über die vorspanische Zeit wissen – mit Stöcken geschlagen wird (Leyenaar 1978; Leyenaar und Parsons 1988). Auch die unterschiedlichen Größen und Formen der archäologisch bekannten Ballspielplätze sprechen dafür, dass die Mannschaftsgrößen, aber auch die Regeln und die Auffassungen davon, wie die Punkte gezählt wurden, regional sehr stark variierten. Aus diesem Grund werde ich mich im Folgenden auf das Ballspiel in der Klassischen Maya-Kultur beschränken, nicht zuletzt auch deshalb, weil ein reicher Bestand vorspanischer Schrifttexte einen Einblick in die Vorstellungen gibt, welche die Maya vom Ballspiel und seiner religiösen und politischen Bedeutung hatten.
D IE B ALLSPIELPLÄTZE
BEI DEN
K LASSISCHEN M AYA
Nahezu jede Stadt aus der Zeit der Klassischen Maya-Kultur verfügt über einen Ballspielplatz (Abb. 2). Manche Städte, wie etwa Tikal hatten sogar fünf oder sechs unterschiedlich große Ballspielplätze. In anderen Städten haben Archäologen bislang nur einen einzigen Ballspielplatz nachweisen können, wie etwa in Calakmul, die zu den größten und mächtigsten Städten der Maya gehörte. Fast immer liegen die Ballspielplätze im politischadministrativen und religiösen Zentrum der Stadt, meist in unmittelbarer Nähe zu den Palästen, in denen der königliche Hofstaat wohnte, und den Tempelgebäuden und großen Plätzen. In vielen Fällen wurden die Palastanlagen als große Akropoliskomplexe auf erhöhten Plattformen gebaut, von denen man auf die stets tiefer liegenden Ballspielplätze herunterblicken und am Spielgeschehen teilhaben konnte. Eine andere Möglichkeit das Spiel zu beobachten gewährten die geböschten Plattformen, welche die Ballspielplätze auf beiden Seiten einfassten. Insbesondere bei größeren Ballspielplätzen standen auf diesen Plattformen Gebäude, die ausgewählten Zuschauern wohl als Aufenthaltsräume gedient haben mögen. Kleine Treppen führen in der Regel von außen auf diese Plattformen hinauf, so dass Zuschauer mühelos und ohne das Spielgeschehen zu stören auf diese Tribünen steigen konnten.
D AS D RAMA VON T OD UND A UFERSTEHUNG : D AS B ALLSPIEL
DER
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Abb. 2: Der Ballspielplatz von Copan
Foto: Nikolai Grube.
Die Ballspielplätze der Maya unterscheiden sich ich manchen Details. Ein wichtiges Element, das sich fast ausschließlich in Ballspielplätzen auf der Halbinsel Yukatan findet, sind steinerne Ringe, die in die Mitte der Begrenzungsmauern in vertikaler Ausrichtung eingefügt sind (Blom 1932; Scarborough 1991). Hier handelt es sich um eine Variante des Ballspiels, bei der der Ball durch die Ringe hindurchgespielt werden musste. In Yukatan variiert der Durchmesser dieser Ringe zwischen 40 und 60 cm (Eberl und Bricker 2004: Table 5). Der Durchmesser der Bälle muss deutlich kleiner gewesen zu sein um durch diese Ringe passieren zu können. Bis auf wenige Ausnahmen (Naranjo und Xultun) fehlen solche Ringe in den Ballspielplätzen des südlichen Tieflands, also der Kernregion der Klassischen Maya-Kultur. Stattdessen finden sich in vielen, aber keineswegs allen Ballspielplätzen runde Markiersteine (Abb. 3). Entweder befindet sich ein Markierstein im Zentrum des Spielfelds, oder es sind drei Markiersteine in der Längsachse des Spielfelds in den Boden eingelassen. Sehr häufig tragen diese Markiersteine Beischriften oder bildliche Darstellungen, die sich auf das Ballspiel oder die Weihung des Ballspielplatzes beziehen. Die Funktion dieser flach in den Boden eingelassenen Steinplatten ist nicht bekannt; es liegt auf der Hand zu vermuten, dass der Ball auf diese Platten gespielt werden musste.
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Abb. 3: Markierstein des Ballspielplatzes von Finca Esperanza, Chiapas
Nach Nikolai Grube, (Marcador de juego de pelota, ›Disco de Chinkultic‹, in 100bras, Catálogo Esencial, Museo Nacional de Antropología, herausgegeben von Mónica del Villar K.: 78. Conaculta, Mexico 2012)
D IE B ÄLLE Aus der Klassischen Maya-Zeit sind uns zahlreiche Darstellungen des Ballspiels auf ganz unterschiedlichen Medien wie Steinreliefs, bemalter Keramik, Wandmalereien und Graffiti überliefert. Sie zeigen, dass bei dem Spiel Bälle von ungewöhnlichem Ausmaß zur Verwendung kamen. In manchen Darstellungen sind die Bälle mit einer Hieroglyphe beschriftet, die einen Zahlkoeffizienten und das Word naab‘ wiedergibt, das »Handspanne« be-
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deute (Coe 2003; Eberl und Bricker 2004; Zender 2004). Ganz offensichtlich handelt es sich hier um eine Maßeinheit für den Umfang der Bälle. Aufgrund der Zahlkoeffizienten lässt sich errechnen, dass die Bälle einen Umfang zwischen 50-100 cm gehabt haben müssen (Eberl und Bricker 2004: Table 4). Diese Angabe entspricht auch in etwa der Größe der Bälle in den bildlichen Darstellungen (Abb. 4 und 5). Bälle von diesem Umfang konnten natürlich nicht durch die viel engeren in die Seitenwände gesetzten Ringe gespielt werden, was die Abwesenheit von Ringen im Tiefland erklärt. Vielmehr dürfte es bei dem Ballspiel im Maya-Tiefland wohl darum gegangen sein, den Ball überhaupt in der Höhe zu halten und nicht von dem Aufprall auf den Körper verletzt zu werden. Abb. 4: Ballspielszene
Abrollung der Malerei auf einer Keramik aus dem Fotoarchiv von Justin Kerr (Kerr 5435).
Angesichts der ungewöhnlichen Größe der Bälle stellt sich auch die Frage ihres Gewichts. Die Maya verwendeten zur Herstellung ihrer Bälle Kautschuk aus dem Baum Castilla elastica. Der Latexsaft dieses Baums wurde mit dem Saft der Pflanze Ipomea alba vermischt, durch den die Polimere des Latexsaftes sich miteinander vernetzen und dem Kautschuk eine große Stabilität und Elastizität verleihen (Filloy Nadal 2001). Die Latexmasse wurde zusammen mit Baumwollgewebe zu langen Streifen geformt und anschließend zu einem Ball aufgewickelt. Das Schriftzeichen für den Ball beruht deshalb auch auf einer eng gewickelten Spirale, die einen aufgerollten Kautschukstreifen darstellt (Abb. 6). Die Lesung dieses Schriftzeichens war lange Zeit umstritten, doch lässt das Vorhandensein eines so genannten phonetischen Komplements mit dem Silbenwert wo keinen Zweifel daran,
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dass das Schriftzeichen das Wort wol wiedergibt, das in nahezu allen MayaSprachen ganz einfach »rund« bedeutet. Tatsächlich konnte ein solcher Ball aber auch seine runde Form verlieren, wenn er zu lange auf dem Boden lag. Aus diesem Grund wohl finden sich in der Kunst der Maya zahlreiche Abbildungen von Bällen, die mit Stricken zusammengebunden sind, um sie, solange sie nicht gespielt wurden, in Form zu halten (Abb. 7). Abb. 5: Ballspielszene auf einem Panel aus La Corona
Zeichnung von Linda Schele.
D AS D RAMA VON T OD UND A UFERSTEHUNG : D AS B ALLSPIEL
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Abb. 6: Die Hieroglyphe u-wo-WOL-le, u wol „dies ist der Ball von…“
Abb. 7: Markierstein vom Ballspielplatz von Copan, in der Mitte ist ein an einem Seil aufgehängter Ball zu erkennen.
Zeichnung von Linda Schele.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich im Inneren der Bälle Stoff oder andere leichte oder hohle Gegenstände befanden, um das Gewicht des Balls zu reduzieren. Die Darstellungen von Schädeln auf manchen der Bälle lässt auch daran denken, dass diese vielleicht in das Innere eingewickelt wurden, so dass die Ballspieler wie in der weiter unten beschriebenen mythologischen Erzählung des Abstiegs der Heldenzwillinge in die Unterwelt mit einem abgeschlagenen Kopf spielten. Dennoch war das Gewicht des Balls auch ein wichtiger Faktor in dem Spiel. Vieles spricht dafür, dass das Ballspiel tatsächlich ein Spiel auf Leben und Tod war, bei dem Spieler gefährlich verletzt wurden, vielleicht sogar getötet werden konnten. Dieser »gladiatorenhafte« Aspekt des Ballspiels hat in den bisherigen Darstellungen zu
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wenig Beachtung gefunden. Gewalt und Schmerzerfahrung rückten das Ballspiel in die Nähe anderer, mit androgynen Genderrollen assoziierten Tätigkeiten; sie trugen aber auch zu einer größeren Attraktion des Spiels für die Zuschauer bei.
D IE AUSRÜSTUNG
DER
S PIELER
Um sich vor dem Aufprall des massiven Kautschukballs zu schützen, aber auch um sich nicht zu verletzen, wenn sie sich auf den Boden warfen um den Ball von unten zu schlagen, trugen die Spieler eine charakteristische Schutzkleidung. Sie bestand aus einem breiten Gürtel, der um den Bauch gelegt oder gewickelt wurde (Abb. 8). Darüber hinaus banden sich die Spieler lederne Hand- und Unterarmschoner um und befestigten lange Gamaschen an den Beinen, die insbesondere auch die Knie schützten. Dazu kamen in vielen Fällen noch lederne Röcke oder Lendenschurze. Abb. 8: Ballspielszene
Abrollung der Malerei auf einer Keramik aus dem Fotoarchiv von Justin Kerr (Kerr 1209)
In den meisten Darstellungen sehen wir die Ballspieler schließlich auch mit einem großen Kopfputz ausgestattet. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass solche Kopfputze tatsächlich während des Ballspiels getragen wurden um dem Spiel noch eine besondere visuelle Pracht zu verleihen. Besonders häufig finden sich Darstellungen von Ballspielern, die breit-
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krempige Hüte oder Tierköpfe, insbesondere die von Hirschen auf dem Kopf tragen. Sowohl die Sombrero-Hüte als auch die Tierköpfe finden sich in der Kunst der Maya ansonsten nur noch im Kontext von Kriegs- und Jagddarstellungen (Abb. 9). Dies deutet darauf hin, dass man eine Parallele zwischen dem Ballspiel, dem Krieg und der Jagd sah. In den Augen der Maya war das Ballspiel ein ebenso gefährliches Abenteuer wie ein Kriegszug, bei dem man Gefangene nahm, oder wie eine gemeinschaftliche Jagd die das Ziel hatte, viele Tiere zu erbeuten. Ein Krieg war eine Jagd auf menschliche Beute, und die Monate der Trockenzeit boten die Gelegenheit für Jagden wie auch für Kriegszüge. Jagd und Krieg waren gefährliche Abenteuer, auf die sich ausschließlich junge Männer einließen, dies gilt auch für das Ballspiel (Miller 2002: 83). Abb. 9: Jagdszene
Abrollung der Malerei auf einer Keramik aus dem Fotoarchiv von Justin Kerr (Kerr 1373)
Für die Maya waren Ballspielplätze gefährliche Orte, die man mit den Eingängen in die Unterwelt oder der Unterwelt selbst assoziierte. Aber auch der Urwald, in dem die Jagd stattfand, der aber auch das Umfeld für die meisten bewaffneten Konflikte darstellte, galt als Ort der Gefahr, der Dunkelheit und der Nähe zur Unterwelt. Es liegt daher auf der Hand, dass das Ballspiel, die Jagd und Kriegszüge letztlich als Varianten der gleichen Tätigkeit verstanden wurden. Dafür spricht auch, dass das gleiche Verb jatz‘ verwendet wurde, um das Schleudern von Speeren zu bezeichnen und das Schlagen von Bällen beim Ballspiel. Hier geht es um mehr als nur die gleiche Armbewegung, dem Begriff liegt die Vorstellung zu Grunde, dass Ballspiel und Kriegszüge die gleichen Bewegungsabläufe notwendig machten.
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D ER M YTHOS
DER
H ELDENZWILLINGE
Die enge Verbindung von Ballspiel, Jagd und Krieg beruht vor allem auf einer Erzählung, die als Mythos der Heldenzwillinge bis in die Kolonialzeit überlebt hat und im Popol Wuj niedergeschrieben ist, dem großen Ursprungsmythos der K’iche‘ im Hochland von Guatemala. Obgleich das Popol Wuj erst im 16. Jahrhundert schriftlich niedergelegt wurde, reichen seine Wurzeln bis in die Klassische Zeit zurück. Im ersten Teil des Popol Wuj wird vom Bruderpaar Jun Junajpu und Wuqub‘ Junajpu berichtet. Beide Brüder haben Namen aus dem 260-tägigen Ritualkalender, die auf dem Tag Junajpu »Blasrohr« beruhen. Die Erzählung beginnt, indem die beiden Brüder am Eingang zur Unterwelt Ball spielen. Durch den Lärm des Ballspiels belästigt, lassen die Herren der Unterwelt beide Brüder zu sich in die Unterwelt hinabsteigen und fordern sie zum gemeinsamen Ballspiel auf. Jedoch stellten die Herren der Unterwelt eine Falle, töteten beide Brüder, und hängten den abgetrennten Kopf von Jun Junajpu in einem Baum auf. Als Xkik‘, ein junges Mädchen an diesem Baum vorbeilief, spuckte ihr dieser auf die Handfläche. Durch den Speichel wurde Xkik‘ schwanger, und aus Angst vor dem Zorn ihres Vaters, der einer der Herren der Unterwelt war, floh sie zur Mutter der toten Brüder. Im Haus der Mutter gebar sie das Zwillingspaar Junajpu (Blasrohr) und Xb’alanke (Jaguar). Auch diese Brüder wuchsen als gute Ballspieler auf. Sie fanden die Ballspielkleidung ihrer Väter, und als sie damit wie diese vor dem Eingang zur Unterwelt spielten, wurden sie von Eulen, welche die Aufgabe von Boten hatten, in die Unterwelt hinabzitiert und mussten zahlreiche Prüfungen bestehen. Bei einer dieser Aufgaben wurde Junajpus Kopf von einer Fledermaus abgetrennt. Die Herren der Unterwelt wähnten sich schon als Sieger, jedoch hatte Xb’alanke den Kopf des Bruders durch einen Kürbis ersetzt. Er forderte die Herren der Unterwelt auf, mit seinem Kopf Ball zu spielen, doch die Herren der Unterwelt ließen sich durch eine List ablenken, und so konnte Xb’alanke den Kürbis wieder mit dem eigentlichen Kopf des Bruders ersetzen und ihn auf diese Weise wiederbeleben. Dennoch gelang es den Herren der Unterwelt, die beiden Zwillinge schließlich zu besiegen, sie zu verbrennen und ihre Asche in einen Fluss zu streuen. Doch konnten die Zwillinge auch dadurch nicht ausgelöscht werden. Sie wurden wiedergeboren und führten den Herren der Unterwelt verschiedene Zaubereien vor, in dem sie unterschiedliche Lebewesen zunächst töteten, um sie dann wieder zum Le-
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ben zu erwecken. Von den Zauberkünsten der Zwillinge beeindruckt baten die Herren der Unterwelt darum, ebenfalls geopfert und zerstückelt zu werden. So töteten die Zwillinge die Herren der Unterwelt, ohne sie jedoch wieder ins Leben zurückzuholen. Das Ende der Herren der Unterwelt bedeutete den Sieg der Himmelskräfte, der Sonne und der Himmelskörper, die wir heute sehen. Die Geschichte endet damit, dass die Heldenzwillinge ihre von den Herren der Unterwelt auf Ballspielplatz getöteten Vater und Onkel Jun Junajpu und Xb’alanke wieder zum Leben erwecken. Der Kreislauf von Tod und Wiedergeburt im Ballspielplatz ist auch eine Metapher für den Zyklus der Maispflanze, deren Samen in die Unterwelt hinabfallen, aus der sie als kleine Sprösslinge wieder hervorkommen um zu prächtigen Maispflanzen heranzuwachsen. An dieser Stelle verbindet sich der Mythos der Heldenzwillinge mit der großen Erzählung vom Leben und Sterben des Maisgottes, die eine der ideologischen Achsen des Gottkönigtums der Maya darstellt (Grube 2010). Dadurch wird der Ballspielplatz symbolisch zum Maisfeld; beide verbindet ihre Lage am Übergang von der Menschenwelt zur Unterwelt, denn Maisfelder werden mit der Brandrodung im tropischen Wald angelegt, dem Inbegriff von Natur, Wildheit, und Gefahr. Ballspielplätze sind häufig tiefer angelegt als die sie umgebenden Flächen und wurden von den Maya als Eingänge in die Unterwelt angesehen. Die beiden seitlichen Einfassungen des Ballspielplatzes lassen ihn schließlich als eine Art Schlucht erscheinen. Die Hieroglyphe für den Ballspielplatz zeigt daher auch zwei abgeschrägte Böschungen, in deren Vertiefung, eben der Pforte zur Unterwelt, ein runder Ball liegt (Abb. 10). In einigen Inschriften wird aber auch von mythischen Ballspielen berichtet, die in einem Ort mit dem Namen »schwarzes Loch« stattfinden. In die Längsachse des Ballspielplatzes von Copan waren drei Markiersteine eingelassen, deren Ikonographie jeweils Ballspielszenen zeigt, die von einem Rahmen in Form einer stilisierten vierblättrigen Blüte umgeben werden (Abb. 11). Dieser Rahmen ist in der Maya-Kunst das Zeichen für Portale, die von einer Ebene der Welt in eine andere führen. Der Betrachter blickte durch diese Markiersteine quasi wie durch ein Fenster in die Unterwelt unterhalb des Ballspielplatzes und konnte an dem Ballspiel der Herren der Unterwelt teilnehmen.
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Abb. 10: Die Hieroglyphe für »Ballspielplatz«
Abb. 11: Der König von Copan im Ballspiel mit einem der Herren der Unterwelt; Reliefdarstellung auf einem Ballspielplatz-Markierstein aus Copan
Zeichnung von Linda Schele.
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Ballspielplätze waren Orte der Wiedergeburt, in denen der Mythos vom Tod und der Auferstehung der Heldenzwillinge immer wieder dramatisch nachgespielt wurde und in denen man gleichzeitig an den Tod und das jährliche Aufsprießen der Maispflanze erinnerte. So wie die Herren der Unterwelt Jun Junajpu enthaupteten, so floss vermutlich auch im Ballspiel viel Blut. Schon allein die Größe der Bälle brachte es mit sich, das sich Ballspieler schwer verletzen und sogar sterben konnten. Dieser martialische Charakter des Ballspiels kommt in manchen Darstellungen zum Ausdruck, die zu Bällen zusammengeschnürte Kriegsgefangene zeigen (Abb. 12). Solche Darstellungen sind in der Kunst der Maya weit verbreitet; das Zusammenschnüren von Gefangenen zu menschlichen »Bällen«, die vermutlich die Böschungen der seitlichen Begrenzungsbauten heruntergestoßen wurden wird auch in Schrifttexten explizit beschrieben. Andere Bildprogramme stellen die Enthauptung von Ballspielern in das Zentrum. Der Ballspielplatz von Chichen Itza, der größte aller mesoamerikanischen Ballspielplätze überhaupt, wird an den beiden Längsseiten von Reliefs eingefasst, die Spieler mit abgetrennten Köpfen zeigen, aus deren Rümpfen Fontänen von Blut in Gestalt von Schlangenleibern schießen. In der Mitte zwischen beiden Mannschaften befindet sich ein Ball auf dem ein Schädel zu sehen ist, ein Motiv, das sich zweifellos auf die entsprechenden Episoden im Mythos der ballspielenden Zwillinge bezieht. Noch deutlicher wird die komplexe Beziehung zwischen Ballspiel, Krieg und periodischen Wiedererneuerungen auf der Hieroglyphentreppe von Struktur 33 in der Stadt Yaxchilan (Abb. 13). Sie zeigt den König Vogel Jaguar IV (751-768 n. Chr.) beim Ballspiel vor einer Treppe, von der ein Ball mit der Darstellung eines Gefangenen herunterrollt. Der Gefangene, der als »Schwarzer Hirsch« (ik‘ chij) bezeichnet wird, kommt, wie wir aus dem begleitenden Text wissen, aus dem Ort Lakamtuun. Die Benennung des Gefangenen als Hirschen stellt wieder eine Verbindung zu dem Thema Jagd her. Der Spieler ist Vogel Jaguar selbst, der in mythischer Urzeit in die Unterwelt hinabgestiegen ist. Hinter ihm befinden sich zwei Zwergenfiguren. Zwerge wurden von den Maya als Boten der Unterwelt betrachtet (Prager 2002). Der lange Hieroglyphentext berichtet von drei Enthauptungen (ch’ak-b’aah) von Göttern, und Wiedergeburten (ahal), die vor unvorstellbar langer Zeit (mehrere hundert Milliarden Jahre in der Vergangenheit) und in großen Zeitabständen stattfanden.
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Der Ballspielplatz auf dem Vogel Jaguar spielt, heißt deshalb auch »Stufen der drei Wiedergeburten«. Das Opfer des zu einem Ball verschnürten Gefangenen scheint notwendig zu sein, um den Zyklus von Tod und Wiedergeburt aufrecht zu erhalten. Abb. 12: Der zu einem Ball zusammengeschnürte Gefangene Wilaan Chak Toobil auf dem Altar 8 von Tikal, Guatemala
Zeichnung von William R. Coe in Jones und Satterthwaite: The Monuments and Inscriptions of Tikal: The Carved Monuments: Fig. 30. The University Museum, University of Pennsylvaia 1982.
Abb. 13: Vogel Jaguar IV aus Yaxchilan spielt Ball mit einem Gefangenen. Relieftafel VII der Hieroglyphentreppe 2 von Yaxchilan, Chiapas
Zeichnung von Ian Graham.
Es erstaunt daher nicht, dass sich überall im Maya-Gebiet Darstellungen von menschlichen Bällen finden. Aus Tikal kennen wir zylindrische Altäre,
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deren Oberseite namentlich identifizierte hochrangige Gefangene mit zusammengebundenen Armen und Beinen darstellen. Die so gefesselte Beute hat ihr Gegenstück in den Bildern von zusammengeschnürtem erbeutetem Jagdwild. Hier wird wieder deutlich, dass Gefangene und Jagdbeute in gleicher Weise gedeutet und behandelt wurden. Noch expliziter wird der große Ballspielplatz der Stadt Tonina als Schlachtfeld markiert. Auch dieser Ballspielplatz wurde in das Gelände eingetieft, so dass die Nähe zur Unterwelt betont wurde. In die abgeschrägten Seitenwände des Platzes waren insgesamt sechs Halbfiguren von gefesselten Kriegsgefangenen eingelassen. Unter jedem der Gefangenen befand sich ein Relief in Form eines Schildes, das den Gefangenen nicht nur mit seinem Eigennamen, sondern auch als einen bolon eteh tz’on, »viele abgeschossene Gefangene« identifiziert. Ganz sicher hat das Wort tz’on hier mehrere Bedeutungen. Auf der einen Seite bezieht es sich unmittelbar auf das Spiel selbst, in dem es darum ging, die Gefangenenfiguren mit dem Ball zu erschießen. Auf der anderen Seite kann mit tz’on auch das Schießen von Speeren und Lanzen im Krieg gemeint sein, und schließlich bedeutet tz’on auch das Substantiv für »Jagd«. Abb. 14: Die Schädelplattform (Tzompantli) von Chichen Itza
Foto: Nikolai Grube.
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Die gefangenen Feinde wurden zur Jagdbeute. In diesem Sinn sind vermutlich auch die Tzompantli-Schädelgerüste zu verstehen, die in Zentralmexiko, aber auch in Chichen Itza in der Nähe der Ballspielplätze standen, und auf denen, wie spanische Chronisten über den Tempelbezirk von MexikoTenochtitlan mit Abscheu berichten, die abgetrennten Köpfe von geopferten Gefangenen zur Schau gestellt wurden.
Abb. 15: König Yukno’m Yiich’ak K’ahk‘ beim Ballspiel.
Uxul, Panel 3 der Südtreppe von Str. K2. Zeichnung Nikolai Grube, Proyecto Arqueológico Uxul.
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G OTTKÖNIGTUM
Mit ihrer Lage in unmittelbarer Nähe zu den königlichen Palästen, die nicht nur der Residenz dienten, sondern die Macht der Regenten in ihren steinernen Fassaden materialisierten, sind Ballspielplätze als zentrale Orte für die Legitimation königlicher Macht ausgewiesen. Sie waren die Bühnen, auf denen Gottkönige den Sieg der Heldenzwillinge über die Herren der Unterwelt inszenierten. Tatsächlich lassen sich Könige als Ballspieler darstellen und tragen den Titel pitzil »Ballspieler«, als sei die Teilnahme am Spiel eine ihrer vornehmsten und wichtigsten Aufgaben gewesen (Abb. 15). Ob Könige – manche von ihnen schon im fortgeschrittenen Alter – sich tatsächlich auf die Gefahr eines Ballspiels einließen, ist mehr als fraglich. Wahrscheinlicher ist es, dass sie Mannschaften am Palast unterhielten, die in ihrem Auftrag auf den Platz schritten. Doch die meisten Abbildungen zeigen uns ballspielende Könige, denn sie waren die Verkörperung der Heldenzwillinge, die in die Unterwelt hinabstiegen um die Kräfte des Todes in der Unterwelt zu überwinden und damit die Wiedergeburt von Jun Junajpu und Wuqub Junajpu als Maispflanzen zu ermöglichen. Mit ihrem Kampf gegen die Unterwelt sichern die Gottkönige den Zugang der Menschen zu den Kulturpflanzen. Mit jedem Ballspiel wird die saisonale Wiedergeburt des Maisgottes sichergestellt. In der engen Verbindung des Königtums mit dem Fortbestehen der Grundnahrungsmittel sieht Audrey Richards eine der Grundlagen für die Autorität des Königtums (Richards 1939). Auch Arthur Hocart erkennt im Königtum die Verkörperung indigener »theories of prosperity« über Nahrungsmittel, Wachstum und Tod (Hocart 1936). Ballspielplätze waren daher zentrale Stätten der Legitimation des Königtums. Vor diesem Hintergrund ist auch das Ballspiel zu verstehen, das Vogel-Jaguar IV im Jahr 745, sechs Jahre vor seiner Inthronisierung zum König von Yaxchilan spielt, welches auf der Hieroglyphentreppe von Struktur 33 in Stein gemeißelt ist (Abb. 13). Die zentrale Darstellung mit dem Bild des spielenden Vogel-Jaguars wird flankiert von zwölf anderen, kleineren Reliefs, die seinen Vater, seinen Großvater sowie andere bedeutende Mitglieder der Königsfamilie bei der gleichen Tätigkeit zeigen (Martin und Grube 2008: 130). Das Ballspiel vor der Thronbesteigung ist ein elaboriertes Passageritual gewesen, das vielleicht sogar zu dem rituellen Tod des Königs und seiner Wiedergeburt in Gestalt einer unsterblichen und immer vitalen zweiten politischen Identität geführt hat (Kantorowicz 1957;
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Grube 2010). Die enge Verbindung zwischen dem Ballspiel und der Legitimation des Königtums mag dazu geführt haben, dass die Bedeutung des Ballspiels nach dem Zusammenbruch der Institution des Gottkönigtums, dem Phänomen, das Archäologen den Maya-Kollaps nennen, deutlich zurückging. In der postklassischen Periode gibt es in den Maya-Städten auf der Halbinsel Yukatan keine Ballspielplätze mehr. Deshalb fehlen Hinweise auf das Ballspiel in den Berichten der spanischen Chronisten, welche die Halbinsel Yukatan besuchten. Im Hochland von Guatemala lebte das Ballspiel zusammen mit der politischen Institution des Königtums fort, und nur dort hat sich deshalb auch die Erzählung von den ballspielenden Zwillingen im Popol Wuj bis weit in die Kolonialzeit hinein erhalten.
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Autorinnen und Autoren
Bens, Jonas, Jurist und Kulturanthropologe, Promovend an der Abteilung für Altamerikanistik im Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Mitglied im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW ([email protected]). Dezort, Philipp, Kulturanthropologe, Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn ([email protected]). Fürtjes, Oliver, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochschule Köln ([email protected]) Ab 1. Oktober 2013 Lehrkraft für besondere Aufgaben am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Siegen (oliver.fuertjes @uni-siegen.de). Grube, Nikolai, Professor für Altamerikanistik und Ethnologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ([email protected]). Kleinfeld, Susanne, Philosophin, Promovendin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Bildungsreferentin der RosaLuxemburg-Stiftung NRW ([email protected]). Lieser, Martin, Regionalwissenschaftler Japan, Promovend an der Bonn International Graduate School – Oriental and Asian Studies (BIGS-OAS) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn ([email protected]).
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Lopatta, Kerstin, Professorin für Accounting und Corporate Governance an der Universität Oldenburg ([email protected]). Müller, Juliane, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (juliane.mueller @ethnologie.lmu.de). Noack, Karoline, Professorin für Altamerikanistik und Ethnologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ([email protected]). Nowack, Kerstin, Lehrbeauftragte an der Abteilung für Altamerikanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Rüttenauer, Andreas, Sportredakteur der tageszeitung ([email protected]). Schöndorfer, Simone, Doktorandin an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg, ([email protected]).
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