Frommer Eifer und methodischer Betrieb: Beiträge zum mittelalterlichen Mönchtum. Herausgegeben von Cristina Andenna und Mirko Breitenstein 9783412218416, 9783412224141


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Frommer Eifer und methodischer Betrieb: Beiträge zum mittelalterlichen Mönchtum. Herausgegeben von Cristina Andenna und Mirko Breitenstein
 9783412218416, 9783412224141

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Gert Melville

FROMMER EIFER UND METHODISCHER BETRIEB Beiträge zum mittelalterlichen Mönchtum Herausgegeben von Cristina Andenna und Mirko Breitenstein

2014

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG) und einer Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Foto Gert Melville: SFB 804/N. Wagner © 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Einbandgestaltung  : Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck und Bindung  : Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22414-1

Tabula Gratulatoria

Maria Pia Alberzoni, Milano Cristina Andenna, Dresden Giancarlo Andenna, Milano Arnold Angenendt, Münster Bernard Ardura, Città del Vaticano Oliver Auge, Kiel Ulrike Babusiaux, Zürich Sven Bagge, Bergen Sébastien Barret, Paris Ingrid Baumgärtner, Kassel Julia Beenken, Köln Nicole Bériou, Paris Rainer Berndt, Frankfurt Markus Bitterlich, Königstein Pavel Blažek, Praha Gordon Blennemann, Montréal Laetitia Boehm, München Letha Böhringer, Köln Werner Bomm, Heidelberg Achim Bonte, Dresden Michael Borgolte, Berlin Bruce Brasington, Canyon, TX Mirko Breitenstein, Dresden Peggy H. Breitenstein, Marburg André Brodocz, Erfurt Werner Buchholz, Greifswald Tobias Bulang, Heidelberg Thomas Bürger, Dresden Julia Burkhardt, Heidelberg Stefan Burkhardt, Heidelberg Reinhardt Butz, Dresden Caroline Walker Bynum, Princeton, NJ Carmen Cardelle de Hartmann, Zürich

Guido Cariboni, Milano Lukas Clemens, Trier Giles Constable, Princeton, N.J. Gabriele Coura, Dresden Michael F. Cusato OFM, Washington, D.C. Florent Cygler, Nantes Nicolangelo D’Acunto, Milano David D’Avray, Oxford Fulvio Delle Donne, Napoli Philippe Depreux, Hamburg Marek Derwich, Wrocław Stefanie Dick, Kassel Gerd Dicke, Eichstätt Albrecht Diem, Syracuse, NY Wolfram Drews, Münster Gisela Drossbach, Augsburg Joachim Eibach, Bern Cornelia Eichler, Dresden Franz-Reiner Erkens, Passau Helmut Feld, Mössingen Franz J. Felten, Mainz Elisabetta Filippini, Milano Helmut Flachenecker, Würzburg Cosimo Damiano Fonseca, Bari Amalie Fößel, Essen Franz Fuchs, Würzburg Thomas Füser, Bad Bentheim Patrick J. Geary, Princeton, NJ Horst Gehringer, Bamberg Brian Golding, Southampton Hans-Werner Goetz, Hamburg Manfred Groten, Bonn Achim Hack, Jena

VI

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Tabula Gratulatoria

Alois Hahn, Trier Michael Hänchen, Dresden Gregor Maria Hanke OSB, Eichstätt Thomas Hänseroth, Dresden Sandra Hartmann, Köln Burkhard Hasebrink, Freiburg i. Br. Alexander Haß, Dresden Maria Häusl, Dresden Ernst-Dieter Hehl, Mainz Heinz-Dieter Heimann, Potsdam Johannes Helmrath, Berlin Anne-Marie Helvetius, Paris Klaus Herbers, Erlangen Kai Hering, Dresden Dietrich Herrmann, Dresden Torsten Hiltmann, Münster Andreas Holzem, Tübingen James Hooper, Dresden Hubert Houben, Lecce Wolfgang Huschner, Leipzig P. Fortunato Iozzelli OFM, Roma Uwe Israel, Dresden Emilia Jamroziak, Leeds Nikolas Jaspert, Heidelberg Martin Jehne, Dresden Peter Johanek, Münster Klaus-Frédéric Johannes, BilligheimIngenheim Timothy J. Johnson, St. Augustine, FL Jochen Johrendt, Wuppertal Brigitte Kasten, Saarbrücken Annette Kehnel, Mannheim Hagen Keller, Münster Beate Kellner, München Martin Kintzinger, Münster Bruno Klein, Dresden Christine Kleinjung, Freiburg i. Br.

Edeltraud Klueting T.OCarm, Münster Heiner Koch, Dresden Georg Kohler, Zürich Armin Kohnle, Leipzig Theo Kölzer, Bonn Susanne Krauß, Köln Dietrich Kurze, Berlin Ingrid Kuschbert, Coburg Dawa Tsering Lama, Dresden Guido Lammers, Bonn Ulrich G. Leinsle O.Praem, Regensburg Edgar Leitan, Dresden Alfredo Lucioni, Milano Christina Lutter, Wien P. Clemens Maaß SJ, Dresden Paul Mai, Regensburg Werner Maleczek, Wien Michel Margue, Walferdange Klaus-Dieter Mathes, Wien Michael Matheus, Mainz Brian Patrick McGuire, Roskilde Rosamond McKitterick, Cambridge Achim Mehlhorn, Dresden Michael Menzel, Berlin Andreas Meyer, Marburg Sebastian Mickisch, Dresden Jürgen Miethke, Heidelberg Achim Mittag, Tübingen Elena Mohr, Köln Hannes Möhring, Bayreuth Marina Münckler, Dresden Winfried Müller, Dresden Axel E. W. Müller, Leeds Anne Müller, Ceredigion, Wales Stephan Müller, Wien Heribert Müller, Frankfurt

Tabula Gratulatoria 

Hans Müller-Steinhagen, Dresden Gisela Muschiol, Bonn Tilman Nagel, Dransfeld Meta Niederkorn, Wien Klaus Oschema, Heidelberg Francesco Panarelli, Potenza Werner Patzelt, Dresden Steffen Patzold, Tübingen Ursula Peters, Köln Pierantonio Piatti, Città del Vaticano Giorgio Picasso OSB, Milano Karin C. Preisendanz, Wien Maria Pretzschner, Dresden Daniela Rando, Pavia Andreas Ranft, Halle/Saale Claudia Rapp, Wien Peter Rauch, Wien Karl-Siegbert Rehberg, Dresden Folker Reichert, Stuttgart Thomas Rentsch, Dresden Frank Rexroth, Göttingen Jens Röhrkasten, Birmingham Katrin Rösler, Dresden Enno Rudolph, Luzern Karlheinz Ruhstorfer, Dresden Karsten Ruppert, Eichstätt Jörn Rüsen, Essen Carlos Rafael Ruta, San Martín, Argentia Verena Schenk zu Schweinsberg, Heidelberg Uwe Schirmer, Jena Rudolf Schlögl, Konstanz Felicitas Schmieder, Hagen Hans-Joachim Schmidt, Freiburg i. Br. Arbogast Schmitt, Marburg/Berlin Jean-Claude Schmitt, Paris

Bernd Schneidmüller, Heidelberg Sebastian Scholz, Zürich Susanne Schötz, Dresden Klaus Schreiner, München Anja Schumann, Dresden Winfried Schulze, München Andreas Schwarcz, Wien Christian Schwarke, Dresden Gerd Schwerhoff, Dresden Gabriela Signori, Konstanz Petr Sommer, Praha Jörg Sonntag, Dresden Heinz-Rudi Spiegel, Essen Karl-Heinz Spieß, Greifswald Sita Steckel, Münster Karin Steinigen, Dresden Pirmin Stekeler-Weithofer, Leipzig Barbara Stollberg-Rilinger, Münster Peter Strohschneider, Bonn Birgit Studt, Freiburg i. Br. Tobias Tanneberger, Dresden Simon Teuscher, Zürich Matthias M. Tischler, Barcelona Gaya Charan Tripathi, Shimla Hans-Heinrich Ulmann, Coburg Johannes van Ooyen, Wien Steven Vanderputten, Gent André Vauchez, Paris Ludovic Viallet, Clermont-Ferrand Christian Vogel, Saarbrücken Georg Vogeler, Graz Gregor Vogt-Spira, Marburg Thomas Vogtherr, Osnabrück Peter von Moos, Béon Ludwig Vones, Köln Ursula Vones-Liebenstein, Köln Hans Vorländer, Dresden Karena Weduwen, Dresden

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Tabula Gratulatoria

Rudolf-Kilian Weigand, Eichstätt Stefan Weinfurter, Heidelberg Matthias Werner, Jena Achim Wesjohann, Dresden Ellen Widder, Tübingen Hans Wiesmeth, Dresden Esther Wipfler, München

Eike Wolgast, Heidelberg Nicholas Youmans, Dresden John D. Young, St. Augustine, FL Coralie Zermatten, Dresden Claudia Zey, Zürich Thomas Zotz, Freiburg i. Br. Cornel Zwierlein, Harvard/Bochum

Inhalt

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Tabula Gratulatoria

XI

Gert Melville zum 70. Geburtstag

XV

Nachweis der Erstveröffentlichungen

1

Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb. Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster

19

Tegumenta virtutis und occulta cordis. Zur Wahrnehmung religiöser Identität im Mittelalter

33

In privatis locis proprio jure vivere. Zu Diskursen des frühen 12. Jahrhunderts um religiöse Eigenbestimmung oder institutionelle Einbindung

49

Stephan von Obazine  : Begründung und Überwindung charismatischer Führung

64

Der geteilte Franziskus. Beobachtungen zum institutionellen Umgang mit Charisma

80

Duo Novae Conversationis Ordines. Zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum

103 Geltungsgeschichten am Tor zur Ewigkeit. Zu Konstruktionen von

Vergangenheit und Zukunft im mittelalterlichen Religiosentum 139 Gehorsam und Ungehorsam als Verhaltensformen. Zu pragmatischen

Beobachtungen und Deutungen Humberts de Romanis O.P. 160 Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten. Positionen für eine Typologie

des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter

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Inhalt

187 Zum Recht der Religiosen im Liber extra 209 Zur Semantik von ordo im Religiosentum der ersten Hälfte des

12. Jahrhunderts. Lucius II., seine Bulle vom 19. Mai 1144 und der ›Orden‹ der Prämonstratenser 232 Die cluniazensische Reformatio tam in capite quam in membris.

Institutioneller Wandel zwischen Anpassung und Bewahrung 295 Die Rechtsordnung der Dominikaner in der Spanne von

constituciones und admoniciones. Ein Beitrag zum Vergleich mittelalterlicher Ordensverfassungen 323 Bibliographie 378 Gert Melville – Schriftenverzeichnis zur Ordensgeschichte 389 Register

Gert Melville zum 70. Geburtstag

Es gibt wohl nur wenige Historiker, die für sich in Anspruch nehmen können, innerhalb des von ihnen vertretenen Faches eine eigene und neue Disziplin dauerhaft etabliert zu haben. Für die von ihm seit nunmehr über 30 Jahren betriebene vergleichende Erforschung religiöser Gemeinschaften kommt Gert Melville dieses Verdienst ohne Zweifel zu. Seine vielfältigen Impulse, seine eige­nen Beiträge wie die derjenigen, die bei ihm in die Lehre gehen durften, haben das Wissen über die klösterliche Kultur des europäischen Mittelalters nachhaltig verändert und entschieden geprägt. Schon der Umfang der von Gert Melville verfaßten, herausgegebenen sowie betreuten Abhandlungen und Editionen – darunter die vor noch nicht einmal 20 Jahren begründete, inzwischen mehr als 60 Bände umfassende Reihe »Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter« – ist beeindruckend. Sie haben im nationalen wie internationalen Maßstab entscheidend zum Kenntnis- und Erkenntnisfortschritt sowie zur Reputation des Gegenstands beigetragen. Zur angemessenen Würdigung sollte man sich hier stets in Erinnerung rufen, welch’ peripheren Rang die Ordensgeschichte in Deutschland einnahm, als Gert Melville begann, sich ihr zu widmen. Doch es ist eben nicht allein die Zahl der Forschungsvorhaben und Publikationen, die von Gert Melville durchgeführt, begleitet und angeregt wurden, welche die Ordensgeschichtsforschung nachhaltig verändert hat. Beeindruckend ist auch die Beharrlichkeit, mit der er seit den ersten Beiträgen den Blick auf das Ganze beibehalten hat. Dieses ›Ganze‹ sind Strukturen, Prinzipien und Muster, sind die ›institutionellen Mechanismen‹ der vita religiosa. Dabei blieben auch der einzelne Religiose, das einzelne Kloster, der einzelne Orden nie unberücksichtigt – auch dies ist kennzeichnend für die Melville’schen Forschungen  –, sie wurden jedoch stets im Zusammenhang gesehen  : der Religiose als Verkörperung sozialer Phänomene, das Kloster als Teil einer Gemeinschaft, der Orden als einer neben anderen. So vermag er vita religiosa als ein ubiquitäres Phänomen zu erkennen und klösterliche Kulturen als spezifische Ausdrucksformen eines transitorischen Lebensmodells zu begreifen, welches das Diesseits aus dem Jenseits zu erklären und erreichen sucht und dabei das Jenseits ins Diesseits überführt. Mit offenem Blick gelingt es Gert Melville dabei nicht nur zu schildern, sondern stets zu ordnen, zu werten und aus der Geschichte Anstöße auch für die Beantwortung von Fragen der Gegenwart zu ziehen.

XII

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Gert Melville zum 70. Geburtstag

Gerade dieser offene Blick ist Kennzeichen der von Melville vertretenen Ordensforschung, mit der er der deutschen wie auch der internationalen Mediävistik neue Impulse vermitteln konnte. Die Anstöße erfolgten und erfolgen dabei auf ganz verschiedenen Feldern  : Recht und Verfassung, Symbole, Herrschaftsformen und -organe, soziale Bindekräfte, Werte, Normen und Leitideen zählen ebenso zu den von Melville behandelten Themen wie Fragen nach Genese, Verstetigung, Transformation oder Niedergang von Ordnungsarrangements – sei es im Falle einer eng begrenzten charismatischen Vergemeinschaftung oder innerhalb des universalen ius commune der Kirche. Ein Blick auf seine bisher publizierten Forschungsergebnisse zur Ordensgeschichte – sie sind am Ende dieses Bandes gelistet – vermag dies zu verdeutlichen. Lag der Schwerpunkt hier auch zunächst mit ›Cluny‹ auf einem mit nur einem Wort zu benennenden und somit scheinbar überschaubarem Gegenstand, so waren Melvilles Forschungen doch von Beginn an von überwältigender Breite  : Er hatte, indem er den Blick nicht wie so viele vor ihm auf das klassische ›Cluny‹ richtete, sondern auf das anscheinend niedergehende, gleich mit seinen ersten Arbeiten ein neues Feld eröffnet und die nötigen Aufgaben benannt  : »Cluny nach ›Cluny‹. Das dreizehnte Jahrhundert  : Ein Forschungsfeld« – so der programmatische Titel eines jener Beiträge. Und »Cluny après ›Cluny‹« wurde durch Melville zum Thema, und dies nicht allein für die Fachwelt.1 Zugleich gab er damit den Anstoß zu vielen weiteren Studien, die sich nun den Spätphasen religiöser Gemeinschaften widmeten und dabei ›entdeckten‹, daß das vermeintlich ›Späte‹ stets auch das Potential zum ›Neuen‹ in sich trägt. Wer diese frühen Arbeiten liest, wird darauf stoßen, daß sich Melville bereits in ihnen nie nur auf den ›eigentlichen‹ Gegenstand fokussierte  : Stets auf der Suche nach den Strukturen hinter den Ereignissen, nahm er immer auch in anderen Zusammenhängen stattfindende Entwicklungen in den Blick – nicht weil sie parallel verliefen oder ähnlich waren, sondern weil sie ihm halfen zu verstehen. Und an diesem Verständnis läßt er seine Leser teilhaben  : Er schlägt Schneisen und veranschaulicht Zusammenhänge, er pointiert und lenkt den Blick auf Momente institutioneller Verdichtungen, er hebt die Prägekräfte gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse heraus und zeigt jene Mechanismen auf, die Geltung generieren, er beleuchtet den Konnex von Teil und Ganzem, fragt nach den Grenzen des Institutionellen und vermag auf diese Weise, die 1 Verwiesen sei nur auf den gleichnamigen Beitrag von Philippe Racinet innerhalb des (im positiven Sinne) populärwissenschaftlichen Themenheftes »Cluny ou la puissance des moines« der Dossiers d’Archéologie, Nr. 269 (2002), S. 14-21.

Gert Melville zum 70. Geburtstag 

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Geschichte von Klöstern und Orden als eine von Rationalität ebenso wie von Innerlichkeit geprägte zu erzählen. Und so verwundert es auch nicht, daß Melville in seinen jüngsten Arbeiten sogar den europäischen Rahmen verläßt und Ordensgeschichte – mit dem Mut des Nimmermüden – als ein globales Phänomen zu begreifen und erklären versucht. Aus der Fülle von Gert Melvilles Arbeiten zur Welt der mittelalterlichen vita religiosa wurden für den vorliegenden Band anläßlich seines 70. Geburtstages zwölf Beiträge ausgewählt. Wie bei jeder Auswahl war es auch bei dieser ebenso notwendig wie bedauerlich, Wichtiges außen vor zu lassen. Die Beschränkung auf die deutsche Sprache war ein erstes Kriterium, der Versuch, Schwerpunkte der Forschungen zu beleuchten, ein zweites. Die hier nun vereinten Beiträge sind über einen Zeitraum von fast 20 Jahren hinweg entstanden – Reprisen liegen dabei in der Methode der Melville’schen Forschung begründet, die stets Phänomene in Beziehung setzt, um Prinzipien aufzudecken. Auch mag es seit ihrem ersten Erscheinen manche Erkenntnisfortschritte im Detail gegeben haben, die einen Hinweis verdient hätten – in der Grundaussage aber sind die abgedruckten Studien unverändert aktuell. Sie wurden daher für den Nachdruck zwar redaktionell vereinheitlicht, nicht aber aktualisiert. Die Reihenfolge, in der sie hier präsentiert werden, ist keine chronologische – sie versucht vielmehr, den Bogen vom Charisma zur Institution zu spannen und auf diesem Wege die beiden zentralen Pole des forschenden Fragens von Gert Melville als Rahmung zu nutzen  : den ›frommen Eifer‹ und den ›methodischen Betrieb‹. Diese beiden, Max Weber entlehnten Charakterisierungen des Mönchtums schienen uns in besonderer Weise treffend, die Forschungen des Jubilars zu umschränken – zumal er selbst in seinen Arbeiten immer wieder auf sie Bezug nimmt. Es ist uns an dieser Stelle eine große Freude, denen zu danken, die die Arbeit an diesem Band begleitet und unterstützt haben. Zu nennen sind hier Anja Schumann und Karena Weduwen, die sich der mühevollen Aufbereitung der Vorlagen widmeten  ; zu nennen ist die von Gert Melville gegründete und mit innovativem Geist und Geschick geführte »Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte« (FOVOG), welche die materiellen Voraussetzungen zur Entstehung des Bandes bot  ; zu nennen ist die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, die sich mit einem Zuschuss zur Drucklegung ebenso beteiligte wie eine Stiftung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft  ; zu nennen ist Elena Mohr vom Böhlau Verlag, die unserem Ansinnen, Gert Melville mit einer Sammlung seiner Arbeiten zu ehren, von Anbeginn mit Engagement verbunden war.

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Gert Melville zum 70. Geburtstag

Es erfüllt uns mit Freude und Stolz, Studien von Gert Melville, die wegweisend waren und sind, in neuer Form herausgeben zu können. Wir hoffen, viele weitere werden folgen, und wünschen dem Jubilar hierfür Gesundheit, Glück und Schaffenskraft – ad multos annos feliciter  ! Dresden, im Oktober 2014

Die Herausgeber

Nachweis der Erstveröffentlichungen

Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb. Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster, in  : Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 7 (2011), 72–92. Tegumenta virtutis und occulta cordis. Zur Wahrnehmung religiöser Identität im Mittelalter, in  : A. Beutel/R. Rieger (Hgg.), Religiöse Erfahrung und wissenschaftliche Theologie. Festschrift für Ulrich Köpf zum 70. Geburtstag, Tübingen 2011, 277–290. In privatis locis proprio jure vivere. Zu Diskursen des frühen 12. J­ ahrhunderts um religiöse Eigenbestimmung oder institutionelle Einbindung, in  : W. Chro­bak/ K. Hausberger (Hgg.), Kulturarbeit und Kirche. Festschrift Msgr. Dr. Paul Mai zum 70. Geburtstag (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 39), Regensburg 2005, 25–38. Stephan von Obazine  : Begründung und Überwindung charismatischer Führung, in  : G. Andenna/M. Breitenstein/G. Melville (Hgg.), Charisma und religiöse Gemeinschaften im Mittelalter (Vr.A 26), Münster 2005, 85–102. Der geteilte Franziskus. Beobachtungen zum institutionellen Umgang mit Charisma, in  : J. Fischer/H. Joas (Hgg.), Kunst, Macht und Institution. Studien zur Philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. M./ New York 2003, 347–363. Duo novae conversationis ordines. Zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in  : G. Melville/J. Oberste (Hgg.), Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum (Vr 11), Münster 1999, 1–23.

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Geltungsgeschichten am Tor zur Ewigkeit. Zu Konstruktionen von Vergangenheit und Zukunft im mittelalterlichen Religiosentum, in  : G. Melville/H. Vorländer (Hgg.), Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen, Köln/Weimar/Wien 2002, 75–108 Gehorsam und Ungehorsam als Verhaltensformen. Zu pragmatischen Beobachtungen und Deutungen Humberts de Romais O. P., in  : S. Barret/G. Melville (Hgg.), Oboedientia. Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum (Vr.A 27), Münster 2005, 181–204. Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten. Positionen für eine Typologie des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter, in  : C. An­ denna/G. Melville (Hgg.), Regulae – Consuetudines – Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo (Vr.A 25), Münster 2005, 5–38. Zum Recht der Religiosen im Liber extra, in  : ZSRG, Kanonistische Abteilung 118 (2001), 165–190. Zur Semantik von ordo im Religiosentum der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Lucius II., seine Bulle vom 19. Mai 1144 und der ›Orden‹ der Prämonstratenser, in  : I. Crusius/H. Flachenecker (Hgg.), Studien zum Prämonstratenserorden (StGS 25), Göttingen 2003, 201–224. Die cluniazensische Reformatio tam in capite quam in membris. Institutioneller Wandel zwischen Anpassung und Bewahrung, in  : J. Miethke/K. Schreiner (Hgg.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994, 249–297. Die Rechtsordnung der Dominikaner in der Spanne von constituciones und admoniciones. Ein Beitrag zum Vergleich mittelalterlicher Ordensverfassungen, in  : R. H. Helmholz/P. Mikat/J. Müller/M. Stolleis (Hgg.), Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, 579–604.

Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster

Wenn man vom klösterlichen Leben im Mittelalter hört, wird man heute zwar nicht mehr reflexartig an ein fremdartiges Element einer finsteren Epoche denken, sondern sich eher daran erinnern, daß herausragende Persönlichkeiten der europäischen Kulturgeschichte durch diese Lebensform geprägt waren  – z. B. ein Benedikt von Nursia, ein Bernhard von Clairvaux, ein Thomas von Aquin, ein Bonaventura, ein Savonarola – und auch ein Martin Luther noch. Klösterliches Leben wird auch an Wunderwerke der Architektur denken lassen wie etwa an das Kloster Mont-Saint-Michel am Atlantik, die Kartause von Pavia, die Abtei Cluny oder die Westminster Abbey, die wie andere mehr nur Glanzpunkte darstellen unter Tausenden von christlichen Klöstern mit zehntausenden Mönchen und Nonnen von Skandinavien bis Sizilien, von Portugal bis Polen und von Palästina bis in den Kaukasus und bis nach China. Man wird dann wohl auch den Sachverhalt beachten, daß die mittelalterlichen Klöster protagonistisch an den Fortschritten der Heilkunde, des Landesausbaus, der Architektur, der Wissenschaft, des Schriftwesens und der Technik beteiligt waren, daß sich z. B. die besten Ärzte im 11. Jahrhundert bei den Benediktinern von Montecassino fanden, daß schon im 12. Jahrhundert cisterziensische Klöster als Erste in Europa protoindustrielle Manufakturen besaßen, vielleicht sogar daß der Franziskaner Roger Bacon im 13. Jahrhundert, also lange vor Leonardo da Vinci, die erste Flugmaschine entwarf. Wenn einem aber auch gesagt wird, daß mittelalterliche Klöster regelrechte »Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle«1 gewesen seien, so wird man von der Richtigkeit dieser Behauptung sicherlich nicht allein durch die Erinnerung an die eben genannten Phänomene überzeugt werden. Diese übersteigen nicht die Aussagekraft z. B. von all jenen hüb1 Das bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und bei der Heidel­berger Akademie der Wissenschaften angesiedelte Forschungsprojekt trägt den Titel »Klöster im Hochmittelalter  : Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle« und steht unter der Leitung von Prof. Dr. Gert Melville (Technische Universität Dresden), Prof. Dr. Bernd Schneidmüller und Prof. Dr. Stefan Weinfurter (beide Universität Heidelberg).

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Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb

schen Bildbänden zur mittelalterlichen Welt der Klöster, die allenfalls gefällige Aufmerksamkeit für eine der Wunderkammern unserer Kultur erzeugen. Man wird schon tiefer zu den Grundlagen des klösterlichen Lebens vordringen müssen, um die behauptete innovative Kraft mittelalterlicher religiöser Gemeinschaften einer kritischen Betrachtung unterziehen zu können  ; dabei wird der Schwerpunkt auf der Zeitspanne vom 11. bis zum 13. Jahrhundert liegen – jener Epoche, die in so vieler Hinsicht eine religiöse Neuorientierung der mittelalterlichen Gesellschaft erbrachte. In den Klöstern wird man vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Annahmen über Gott und Mensch, über Individualität und Gemeinschaft, über Glaube und Vernunft auf eine Welt von beharrlicher Ordnungsstiftung und kühner Lebensgestaltung ebenso stoßen wie auf eine Welt des Ringens um Wahrheit, um Verstehen des Irdischen und Göttlichen  – schlicht der Suche nach Bewältigung des Daseins um des Jenseits willen. Es müssen die Motive, die Obsessionen und Sehnsüchte des im Kloster handelnden Menschen verstanden werden, denn gerade aus ihnen entwickelten sich jene angesprochenen innovativen Leistungen, die dann sogar übertragbar waren auf die säkulare Welt, d. h. die nicht klösterlich regulierte. Ein genuines Kennzeichen des Mittelalters allgemein dürfte gewesen sein, die Immanenz weltlichen Daseins strikt aus dem Begreifen göttlicher Transzendenz zu bestimmen – auf einen Gott, der herrschend über die Welt verfügte und selbst als unverfügbar erschien. Religiosität war im Mittelalter also kein Phänomen, das sich innerhalb eines pluralistischen Angebots durch Ausschluß von anderen identitätsstiftenden Merkmalen gewinnen ließ. Der christliche Glaube war die Grundlage der Kultur, er war in allen Bereichen des Lebens – im Alltag, in der Politik, im Recht, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in der Kunst – als Maßstab und Letztbegründung präsent.2 Wenn es auch nicht möglich war, in die occulta cordis – in die Geheimnisse des Herzens – zu blicken,3 zumindest der öffentlich wahrnehmbaren Anerkennung der Gottesherrschaft über die Welt konnte sich im Mittelalter schwerlich jemand entziehen. Mönchen oder Nonnen wurde indes mehr abverlangt, als nur den ­Geboten Gottes zu folgen. Sie hatten im Verlangen nach Heiligung ihrer Seele den Abschied von der äußeren Welt in Kauf genommen und sich unter Verzicht auf eigene Willkürlichkeit gehorsam den rigiden Regeln eines gemeinschaftlichen Lebens im Kloster unterworfen. Sinn ergab dies nur, weil dort – entfernt von 2 Vgl. im Überblick Angenendt, Religiosität (42009). 3 Siehe von Moos, Herzensgeheimnisse  ; Melville, Tegumenta virtutis.

Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb  

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irdischer Unbeständigkeit und eingebettet in den Gleichklang einer strikt organisierten Ordnung  – besser als irgendwo anders das Entscheidende gewährleistet zu sein schien  : nämlich Gottes Transzendenz nicht nur zu begreifen, sondern diese sich der Seele immanent zu machen, indem man Gott mit wechselseitiger Liebe eine Wohnstätte in der eigenen Seele zu geben suchte,4 gewissermaßen ein »Seelenkloster«5 aufzubauen trachtete. Diese mit religiösem Eifer – in letzter Konsequenz sogar mit ekstatischer Leidenschaft6 – zu erstrebende seelische Vereinigung mit Gott war der Kern klösterlicher Religiosität. Aus ihr läßt sich alles Weitere erklären. Möglich werden konnte sie nur im abgegrenzten Raum einer klösterlichen Welt, die sich der säkularen Welt mit einer klaren Differenz von Innen und Außen enthob.7 Es entfliehen nämlich der innere und der äußerliche Mensch [gemeint ist die seelische und die körperliche Dimension des Menschen], wenn sie sich innerhalb des Bollwerks der Klostermauern befinden, den Anschlägen des alten Feindes und den unbeständigen Wechselfällen der zeitlichen Angelegenheiten,

formulierte der Regularkanoniker Hugo von Folieto.8 Doch es kam nicht allein auf die Architektur einer dinglichen Trennmauer an – auch wenn diese zudem hoch symbolisch war –, entscheidender noch blieb die innere Haltung, welche eine Lebensführung hervorzubringen vermochte, die die säkulare Welt zu exkludieren erlaubte.9 »Eintretend in ein Kloster gibt er Haut für Haut und alles, 4 Besonders gut mittels der emphatischen Mönchssprache jener Zeit auf den Punkt gebracht z. B. in einer Formulierung des Benediktiners, dann Cisterziensers Wilhelm von Saint-Thierry (1075/1080–1148)  : »[…] so lieben wir Dich und liebst Du Dich in uns  ; wir von Dir angetan, Du wirksam uns eingetan, indem Du uns eins machst in Dir durch Deine Einheit, das ist durch Deinen eigenen Heiligen Geist, den Du uns geschenkt hast.« (Wilhelm von Saint-Thierry, De natura et dignitate amoris, 34.). Zum hier impliziten Gedanken der ›Verähnlichung‹ des Menschen mit Gott, wie er vor allem von Bernhard von Clairvaux entwickelt worden ist, siehe Diers, Bernhard von Clairvaux, 45ff.  – Es ist dabei natürlich analytisch in Rechnung zu stellen, daß es sich hier um Ideale handelt, um die in jedem Einzelfall eines Individuums gerungen werden mußte und die in der langen klösterlichen Geschichte oft sehr unterschiedlich erreicht wurden. Siehe auch Anm. 15. 5 Vgl. Bauer, Claustrum animae. 6 Dazu eindrücklich Leclercq, L’amour, vor allem 109–116. 7 Vgl. Melville, Allmacht  ; Melville / Müller, Franziskanische Raumkonzepte, 107–118. Siehe in Kürze Meijns / Vanderputten (Hgg.), Ecclesia [erschienen 2011]. 8 Hugo de Folieto, De claustro animae, 1019. 9 Sehr deutlich wird dies bei Bohl, Geistlicher Raum, gezeigt, der damit auch aufweist, daß ein

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Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb

was er hat, seiner Seele, während er ablegt den alten Menschen und annimmt den neuen – hineinschreitend in eine neue Form des Lebens.« Mit diesen Worten hatte im 12. Jahrhundert auch Petrus, Abt von Moûtier-la-Celle, deutlich die spirituelle Grenze zwischen Welt und Kloster gezogen.10 Sie individuell zu überschreiten, verlangte eine irreversible und »gänzliche Konversion des Herzen zu Gott (conversio totalis ad Deum cordis)«.11 Wenn an die Bereitschaft zur Duldsamkeit, zum Fasten und Fleischverzicht, zum Schweigen, das in der Gemeinschaft kommunikativ wurde nur durch eine stille Zeichensprache, sowie an die Bereitschaft zur Kontemplation und zu Nachtwachen appelliert wurde, wenn Stolz und Hochmut (superbia) als höchste Laster, Demut (humilitas) hingegen als diejenige Haltung, die zu vollendeter Tugend führe, bezeichnet wurden, dann waren Grundforderungen jenes neuen Lebensraums und neuen Lebensverhaltens umrissen, die eben nur durch diese Konversion erreicht werden konnten.12 Religiöse Gemeinschaften beanspruchten, Enthobenheit von der irdischen Wechselhaftigkeit gewährleisten zu können, indem sie dies auch symbolisch zum Ausdruck brachten  :13 Wenn Frauen und Männer des Mittelalters sich im Kloster einem Tagesrhythmus des immer Gleichen unterwarfen und in steter Wiederholung tägliche Folgen von Gottesdiensten und Gebeten, von Schlafen und Wachen, von Arbeit und Speisung praktizierten, so lebten sie in einer gemeinsamen Zirkelzeit, die den weltlichen Zeitstrahl brach und ihn aufhob, so daß damit bereits die zeitlose Ewigkeit zeichenhaft vergegenwärtigt werden konnte. Wenn in der Liturgie, im Chorgebet, im Psalmodieren, bei Ritualen wie der benediktinischen Fußwaschung der Armen, aber auch während der Alltäglichkeit der Arbeit durch Hören und Rezitieren religiöser Texte dasjenige, was als ewige Wahrheit göttlicher Offenbarung galt, permanent sensitiv gegenwärtig wurde, oder wenn das regelmäßig stattfindende Schuldkapitel, bei dem man seine äußerlich sichtbaren Fehltritte vor der Gemeinschaft bekannte, als Abbild des Jüngsten Gerichtes verstanden wurde, dann versinnbildlichte sich die Intention des klösterlichen Lebens, einen Einklang der irdischen Existenz Innen-/Außen-Verhältnis bei den Bettelorden im Prinzip ebenso galt wie bei den herkömmlichen Klaustralorden. 10 Petrus Cellensis, De disciplina claustrali, 192, 194, unter Verwendung von Iob 2, 4. Dieser im Inneren vollzogene Schritt bedurfte freilich dann noch des Gelübdes und der Weihe als institutionelle Akte des Sakralen  ; siehe Breitenstein, Noviziat, 141ff., 205ff., 409ff. u. 489ff. 11 Epistola cujusdam de doctrina vitae agendae, 1187. 12 Vgl. in Zusammenfassung Melville, Religiosentum. 13 Siehe zu folgendem ausführlich Sonntag, Klosterleben.

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mit der himmlischen Ordnung herbeizuführen, in tatsächlich gelebten und damit institutionell gefestigten Praktiken.14 Diese Religiosität zu leben, barg jedoch zwei besondere Spannungsfelder  : zum einen die Spannung der Konkurrenz zwischen den Anforderungen der klösterlichen Gemeinschaft und den Bedürfnissen jedes Einzelnen im Kloster, welcher sich trotz (oder gerade wegen) der Sorge um sein individuelles Seelenheil den Regeln der Gemeinschaft stringent unterwerfen mußte  ; zum anderen die Grundspannung zwischen der Transzendenz göttlicher Vollkommenheit einerseits und andererseits dem noch irdischen, in körperlicher Materialität eingebundenen und damit als defizient verstandenen Status von Einzelnem und Gemeinschaft, der erst noch zu vervollkommnen war. Diese beiden Spannungsfelder markierten die normativen Eckpfeiler des religiösen Lebens im Kloster – Individuum und Gemeinschaft, Diesseits und Jenseits – und forderten, weil sie nicht auflösbar waren, zugleich heraus, in einer ausgeglichenen Balance gehalten zu werden. Klosterleben in bestmöglicher Perfektion ›funktionierte‹ nur, wenn es gelang, diese Herausforderung pragmatisch zu bewältigen. Da die Erhaltung der Balance in erster Linie Bewältigung kontingenter Störungen15 bedeutete, wurden dabei gewöhnlich Leistungen erzielt, die Flexibilität erbrachten und nicht zuletzt deshalb auch in hohem Maße von innovativer Qualität waren. – Ich möchte versuchen, dies zu erläutern  : Klosterleben bedeutete ein Leben im Übergang, welcher eine klösterliche Gemeinschaft als jeweils temporäre Durchgangsstation des Einzelnen zwischen Erde und Himmel verankerte. Demgemäß spricht schon die Regel Benedikts von einer »Schule des Herrn« bzw. von einer »Werkstätte«, in der die Unvollkommenen erst geformt werden.16 Der Wert einer klösterlichen Gemeinschaft lag also nicht in ihr selbst, vielmehr stellte diese nur  – wie es hieß17  – die »Werkzeuge« bereit, mit denen der Einzelne sich über das Irdische erheben und sein Leben gänzlich auf die vollkommene Vereinigung seiner Seele mit Gott 14 Vgl. zum klösterlichen Alltag auch Moulin, La vie quotidienne. 15 Nicht zuletzt deshalb, weil das Mitglied eines Klosters eben keineswegs vollkommen war und somit zur Devianz neigen konnte. Vgl. dazu Cygler, L’ordre  ; Melville, Rebell  ; Füser, Mönche im Konflikt  ; Patzold, Konflikte. 16 »Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten […]«  ; Regula Benedicti, ed. Salzburger Äbtekonferenz, 71 (Prolog, Zeile 45)  ; ebd.: »Die Werkstatt aber, in der wir das alles sorgfältig verwirklichen sollen, ist der Bereich des Klosters und die Beständigkeit in der Gemeinschaft«, 95 (Kap. 4, Zeile 78). 17 Vgl. den Abschnitt »Die Werkzeuge der geistlichen Kunst« (Quae sunt instrumenta bonorum operum), in ebd., 87–95 (Kap. 4).

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ausrichten konnte. Diese Werkzeuge waren sowohl individuelle als auch soziale Tugenden. Man erlangte sie in der Obhut der Gemeinschaft. Die Werkzeuge zu benutzen, erforderte also, sich um der Vervollkommnung des individuellen Seelenheils willen dieser Gemeinschaft unterzuordnen. Zwar ist hier deutlich zu erkennen, wie die Pole der beiden Spannungsfelder ineinander verschränkt sind. Um aber die inhärente Spannung zu erschließen, muß man nun kurz versuchen, diese Pole getrennt voneinander zu betrachten. Zunächst zur Gemeinschaft  : Klösterliche Regeln formten Gesinnungs- und Zweckgemeinschaften, die von ihren Mitgliedern gemäß einem Bibel-Wort verlangten, »ein Herz und eine Seele zu sein«.18 Als signifikante soziale Tugend galt dabei die Gerechtigkeit, die »jedem das seine« gab und die Schwächen des Einzelnen ebenso berücksichtigte wie seine Stärken.19 Discretio – die Fähigkeit zur Unterscheidung – war hierbei der Schlüsselbegriff, der es möglich machte, eine klösterliche Gemeinschaft metaphorisch als die Harfe Davids zu verstehen, die eine wohlklingende Harmonie nur hervorbrachte, wenn alle Saiten in unterschiedlicher Weise zusammenwirkten. Konkret hieß dies, daß man eine strikte Aufgabenverteilung vornahm, deren Maßstab der des Kompetenzpotentials war. Und es bedeutete auch, daß man die Leitung der Gemeinschaft so entwarf, daß ihr absolute Autorität inhärent war. Dabei zeigte sich zugleich die Flexibilität der klösterlichen Gemeinschaftsform  : Galt bei den Benediktinern der Leiter des Klosters – der Abt – noch als Stellvertreter Christi,20 also durch Transzendenzbezug legitimiert, so gab es bei den späteren Verbänden aus funktionaler Rationalität hingegen nur Leiter, deren Amt ausschließlich aufgrund des Mehrheitsbeschlusses der Mitglieder Legalität bezog.21 – Klöster des Mittelalters verstanden es, Gemeinschaften zu konzipieren, die im Höchstmaß effizient waren, weil sie einerseits strikten Gehorsam22 verlangen konnten und auf dieser Grundlage gleichsam eine gemeinsame, wohlgeordnete »Schlachtenreihe«  – eine acies, wie vor allem der Cisterzienser Bernhard von Clairvaux hervorhob23 – gegen das Böse zu formen vermochten, andererseits bei höchster Anforderung an den Einzelnen diesen aber zugleich auch dort zur Geltung kommen ließen, wo er seine Stärken am besten verwirklichen konnte. 18 Vgl. Schreiner, Ein Herz und eine Seele. 19 Breitenstein / Melville, Gerechtigkeit  ; Breitenstein, Gerechtigkeit. 20 Dazu grundlegend Felten, Herrschaft. 21 Im wesentlichen begrifflich zu fassen im »Prior« als Vorsteher einer klösterlichen Gemeinschaft, siehe dazu Lemaître, Prieurs. 22 Vgl. Barret / Melville (Hgg.), Oboedientia. 23 Siehe z. B. Bernhard von Clairvaux, Parabolae 3, ed. Leclercq / Rochais, Bd. 6.2, 274–276.

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Hier liegt der Berührungspunkt zum anderen Pol – dem Individuum  : Klöster ermöglichten zugleich eine Gemeinschaftsform, welche die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen zuließ und es ihm ermöglichte, seine Vervoll­komm­ nung in der eigenen Seele voranzutreiben. Das signifikanteste Beispiel hierfür war der im Kloster praktizierte Umgang mit dem Gewissen, der conscien­ tia, verstanden als cordis scientia, als Wissen des Herzens.24 Die Kloster­leute lernten (namentlich seit den religiösen Verinnerlichungsbestrebungen des 11./12. Jahrhunderts25), ihr Gewissen als unausweichlichen Begleiter anzunehmen, im Gewissen sich selbst zu begegnen als Individuum vor den Geboten ihres religiösen Lebens und als Partner nur noch Gott zu haben, der in die Herzen blicke. Könne man nach außen hin sein Verhalten verschleiern, vor sich selbst vermöge man dies nicht, hieß es.26 Mit Schlagworten wie »Wage, Dich zu erkennen« oder »Folgst Du Deinem Gewissen, dann bindet Dich Dein eigenes Gesetz«27 wurde ein Verhalten trainiert, sich auf sein eigenes Urteil und nicht auf das eines anderen zu verlassen, denn ein Umgang mit dem Gewissen bewirke, daß niemand einen besser kenne als man selbst. Nur wenn man eine durch die Gewissensergründung gereinigte Seele besäße, könne man diese ausbauen zu einer Wohnstätte des Herrn. Als höchstes asketisches Perfektionierungsziel war den Klosterleuten vorgegeben, die Sinne von den Eindrücken der äußeren Welt gänzlich abzuwenden und sie nur auf die Seele als ein inneres Kloster zu richten. In sie hinein sollte der einzelne Mönch und die einzelne Nonne – wörtlich formuliert – »sehen« und »hören«, denn nur dort, so hieß es, fände und erkenne er bzw. sie Gott tatsächlich.28 Damit war ein persönlicher Weg der Hinwendung des Einzelnen zu Gott angesprochen und somit auch ein Terrain des Charismas markiert, das von den gemeinschaftsbezogenen Normen unberührt blieb. Sich Gottes Transzendenz  – wie oben schon angemerkt – der Seele immanent zu machen, bedeutete final, mit Gott unmittelbar zu kommunizieren. Der Gemeinschaft bedurfte der Einzelne ›nur‹ noch als schützender und bestärkender Schale und doch war sie es, die ihm zu einer charismatischen Würde als eigenverantwortliches Individuum vor Gott zu verhelfen vermochte. 24 Neben Bertola, Problema, vgl. auch Chenu, L’éveil  ; im Überblick siehe Reiner, Gewissen, 581–583  ; Krüger, Gewissen. 25 Grundlegend zu dieser Reformepoche Constable, Reformation. 26 Vgl. De interiori domo, 523. 27 Meditationes piissimae, 494  ; De interiori domo, 534. 28 Vgl. Van’t Spijker, Fictions  ; und jüngst Melville / Müller, Franziskanische ­Raumkonzepte, 111ff.

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Zwei ›Routen‹ klösterlicher Lebensführung also waren vor dem Hintergrund der Dichotomie von Unvollkommenheit und Vollkommenheit angeboten  : der Weg der organisierten Gemeinschaft und der Weg der seelischen Individualität. Ersterer diente der Stabilität des äußeren Raumes ›Kloster‹, um Vervollkommnungspraktiken der Mitglieder zu ermöglichen, der Zweite diente der seelischen Progression der vollkommenheitssuchenden Individuen, ohne die eine klösterliche Gemeinschaft ihren Sinn verloren hätte. Obwohl sie sich auf den ersten Blick zu widersprechen schienen, kam keiner der beiden Wege ohne den anderen aus, so daß tatsächlich – wie bereits kurz skizziert – eine fortwährende Balance zwischen ihnen hergestellt werden mußte. Wir müssen nun nach dem Instrumentarium der Herstellung und Sicherung dieser Balance fragen und dabei auf die eingangs aufgestellte These zurückkommen, daß exakt hier die Wiege der innovativen Leistungen zu suchen sei. Schon Max Weber fiel die Paradoxie zwischen dem »charismatischen antirationalen und speziell antiökonomischen« Habitus des Heil suchenden klösterlichen Asketen einerseits und den »rationalen Leistungen des Mönchtums« andererseits auf. Seine Erklärung lautete  : Allein die Dinge liegen hier ähnlich wie bei der ›Veralltäglichung‹ des Charismas überhaupt  : sobald sich die ekstatische oder kontemplative Vereinigung mit Gott aus einem, durch charismatische Begabung und Gnade erreichbaren Zustand Vereinzelter zu einem Gegenstand des Strebens Vieler und, vor allem, zu einem durch angebbare asketische Mittel erreichbaren, also erwerbbaren Gnadenstande entwickelt, wird die Askese Gegenstand methodischen Betriebs.29

Mit »rationalen Leistungen« und »methodischem Betrieb« sind die richtigen Stichworte geliefert worden.30 Pragmatisch kann dann von methodischer Rationalität gesprochen werden, wenn eine reflektierte und objektivierende Behandlung des eigenen Tuns oder des Tuns von anderen vorliegt und wenn soziales Handeln nach planvollen Entwürfen geschieht, welche zugleich die Handlungsbedingungen, -modi und -zwecke differenziert zu fassen verstehen. Klöster des Mittelalters haben genau eine solche methodisch umgesetzte Rationalität ganz pragmatisch entwickelt, um den Sinn ih29 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 696. 30 Dies schlug sich auch im Titel dieser Abhandlung nieder. – Siehe zur entsprechenden begrifflichen Kennzeichnung einer Schlüsselphase des Mittelalters Wieland, Rationalisierung. Vgl. dazu auch von Moos, Krise, 303–310. Siehe zu exemplarischen Abläufen im Mittelalter Melville, Stephan von Obazine.

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res außerweltlichen Lebensstiles in notwendigerweise institutioneller Form aufrechtzuerhalten. Den Klöstern kam dabei zugute, daß sie von Anfang an das dazu notwendige Grundwerkzeug in überragender Weise zu nutzen wußten  : die Schrift. Schrift als Fundament einer höheren Kultur31 mußte nach dem Zusammenbruch der antiken Welt weitgehend erst wieder erlernt werden, so daß eine alle zivilisatorischen Bereiche ergreifende Revolution des Schreibens erst im 12. Jahrhundert einsetzte.32 Klöster indes waren von der Antike her schon insofern grundlegend durch Schriftlichkeit geprägt, als ihre speziellen Basisnormen schriftlich – nämlich in Regeltexten – gefaßt waren.33 Vor allem Klöster verstanden es über Jahrhunderte hinweg – und damit auch im entscheidenden 12. Jahrhundert – besser als sonstige (auch kirchliche) Institutionen, Schrift systematisch als Speichersystem zu nutzen, das sich vom Körper einer sprechenden Person wie auch von unmittelbaren Sprechsituationen ablöst, gewissermaßen transpersonal wird und deshalb zur überbrückenden Kommunikation in sich verändernden Zeiten und Räumen verwendet werden kann. – Neben einer breiten literarischen Produktion34 setzten die Klöster dieses Instrument, das die pragmatische Voraussetzung für die rationale Lebensgestaltung einer Gemeinschaft als ganzer bzw. von Individuen einer Gemeinschaft war,35 vor allem auf zwei Feldern innovativ ein  : in der Paränese, der ethischen Unterweisung sowie im Recht und in der Verwaltung. 31 Siehe Goody, Logic of Writing. 32 Stock, Implications  ; Keller, Schriftkultur  ; Keller, Vom »heiligen Buch«. Zum zeitweiligen Aufblühen der Schriftlichkeit allerdings schon in der Karolingerzeit siehe McKitterick, Carolingians. 33 Zu den ältesten Regeln zählt die des Pachomius (ca. 292–348)  ; siehe Rousseau, Pachomius. Selbstredend blieb dabei eine bedeutende orale Kommunikationsstruktur gleichzeitig bestehen, wie an hochmittelalterlichen Verhältnissen jüngst eindrücklich gezeigt wurde  : Vanderputten (Hg.), Understanding Monastic Practices. 34 Ganz abgesehen davon, daß die Klöster in ihrer literarischen Produktion im Grunde kein Thema ausgeschlossen hatten, weil sie bis weit in das Hochmittelalter hinein eine nahezu monopolistische Stellung (neben den Domschulen) in der Gelehrsamkeit besaßen, so ist im Besonderen hervorzuheben, daß Klöster in höchst rationaler Weise Texte verfaßten und tradierten, um dem Vergessen Einhalt zu bieten und Wissen, das sowohl sie selbst wie aber auch die ganze Welt betraf, für die Zukunft zu speichern. Vgl. das immer noch grundlegende Werk von Jean Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen  ; siehe auch im kurzen Überblick Milis, Les moines, 85ff. 35 Eine breite Skala solcherart Verwendung von Schrift in der mittelalterlichen Kultur legen zum Vergleich vor  : Keller / Grubmüller / Staubach (Hgg.), Pragmatische Schriftlichkeit  ; Keller / Meier / Scharff (Hgg.), Schriftlichkeit und Lebenspraxis.

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Paränetische Texte wurden seit der Spätantike mehr oder weniger kontinuierlich und ab dem 11. Jahrhundert in ihrer Zahl ansteigend verfaßt, um Mönchen und Nonnen die Grundlagen des spirituellen und moralischen Fortschreitens zu vermitteln.36 Die Texte gewannen damit eine komplementäre Funktion gegenüber den auf die Gemeinschaft bezogenen Rechts- und Verwaltungstexten. Ihr Geltungsanspruch gründete darin, daß die dort angemahnten Verhaltensweisen als zwingend heilsnotwendig angesehen wurden. Ihre Sanktionsbewehrung war demnach ausschließlich transzendent im göttlichen Gericht verankert und ihre Geltung ausschließlich im Gewissen des Einzelnen verortet, also vollständig individualisiert. So ging es diesen Texten neben dem Aufbau einer persönlichen innerlichen Akzeptanz der klösterlichen Gemeinschaftsordnung um die Maxime der spirituellen Formung des Einzelnen und die spezifisch seelischen Vorgaben einer individuellen und zugleich gänzlich auf Gott ausgerichteten Lebensführung. Die Klöster explizierten damit erstmals im Mittelalter den Umgang mit dem Selbst.37 Sie suchten die Verhaltensweisen des Individuums vor der Kulisse seiner empfundenen und zugleich vorgefaßten Welt zu beschreiben und die dafür maßgeblichen inneren und äußeren Bedingungen und Ursachen zu analysieren. Sie suchten ferner, die daraus abzuleitenden normativen Strukturen zu objektivieren, die entsprechenden ideellen Werte in abstrakte Begriffe, wie etwa caritas, pax oder iustitia, zu fassen und sie damit als handlungsleitend festzuschreiben.38 Mit anderen Worten  : Individuelles und  – wie oben schon formuliert  – mit emphatischer Leidenschaft geführtes Handeln und Streben fand sich, um kollektiv reproduzierbar zu werden, mittels eines Aktes rational gelenkter Vertextung hier als transpersonales Verständnisraster wieder. Zur Stabilisierung der Gemeinschaft wurden die internen Verfahrensabläufe im Laufe der Kloster- und Ordensgeschichte immer wieder durch strikt einzuhaltende Rechtsordnungen (seien es Regeln und niedergeschriebene Consuetudines, seien es Satzungen, Statuten, Beschlüsse von Generalkapitel usw.)39 geordnet, die Aufnahme von Mitgliedern, die Einsetzung in Ämter, die Be36 Siehe Bynum, Docere verbo et exemplo. Paränetisches Schrifttum konnte sich auf das Noviziat beziehen, griff aber grundsätzlich wesentlich weiter  – im Grunde auf jedes Mitglied  – aus  ; vgl. Breitenstein, Noviziat, passim  ; neuerdings zu einer signifikanten Übermittlungsform Breitenstein, ›Ins Gespräch gebracht‹. 37 Vgl. Melville / Schürer (Hgg.), Das Eigene und das Ganze. 38 Siehe den Überblick von Leclercq, Otia monastica  ; jüngst zu einem exemplarischen Bereich  : Breitenstein / Melville, Gerechtigkeit  ; Melville (Hg.), Aspects of Charity. 39 Siehe dazu Andenna / Melville (Hgg.), Regulae – Consuetudines – Statuta.

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züge zum sozialen Umfeld reglementiert, wurde Vorsorge für die materiellen Ressourcen getroffen und der Umgang damit überwacht. Klosterregeln und die auf sie aufbauenden Normierungen in Gestalt von aufgeschriebenen Gewohnheiten, Satzungen und dergleichen wiesen Rollen und Kompetenzen zu, sie versuchten, Devianzen vorzubeugen bzw. verhängten, falls dies scheiterte, Sanktionen. Damit fand sich also ein Feld von organisationsbezogenen Verhaltensstrukturen auf hoch rationaler Weise festgeschrieben, die das Leben in allen geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Bereichen, im Tagesablauf, in der Nutzung von Räumen und den dort durchgeführten rituellen Vollzügen, in der Nahrung und Kleidung etc., aber auch hinsichtlich der Beziehungen zum Umfeld präzis, detailliert und vor allem unabdingbar regelten. Durch das Medium solcher Rechts- und Verwaltungstexte (einschließlich des Bereichs der Wirtschaft) war es überhaupt erst möglich, daß geforderte Handlungsweisen von allen Betroffenen in möglichst gleicher Weise orts- und situationsübergreifend eingeübt und vollzogen wurden.40 Zudem bedurften vor allem die gesamtkörperschaftlichen Leitungen von Klosterverbänden oder Orden zwangsläufig eines Normensystems, welches auf gemeinschaftlichem Konsens beruhte, welches ferner sich gegenüber dem Einzelnen autonom zeigte und welches alle Beteiligten – also auch die, die es zu wahren hatten41 – auf gleiche Weise band. Diese autonome Geltung aber setzte ebenfalls den objektiven Wissensträger ›Schrift‹ voraus, der jede willkürliche Interpretation und Veränderung unmöglich machte oder zumindest entlarven ließ, und dessen Inhalte vor allem auch, aber wiederum eben nur gemeinschaftlich verändert oder gar annulliert werden konnten.42 Durch diese rationale Kodifizierung eines objektiven Rechts wurde die legislative und judikative Praxis in klösterlichen Gemeinschaften gegenüber den schon oben erwähnten kontingenten Störungen 40 Vgl. Melville, Schriftlichkeit  ; Schreiner, Verschriftlichung. 41 In der Tradition des Benediktinertums lag es begründet, daß der Abt nichts gegen die Normen der Regel befehlen dürfe  : Extra Deum nihil agas, extra Benedictum nihil praecipias, formulierte z. B. der schon genannte Petrus, Abt von Moûtier-la-Celle, ep. i.31. Auch hinsichtlich des jüngeren, ab dem 12. Jahrhundert gesatzten Rechts zeigte sich eine analoge Einstellung. In den Statuten der Cluniazenser aus dem Jahre 1200 sagt z. B. der Abt von Cluny als Haupt des sich nun zu einem Orden ausformenden Verbandes und als Promulgator der Statuten lapidar  : […] etiam nos ipsos legi subjicimus […]  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 41. 42 So z. B. deutlich zum Ausdruck gebracht in den Prologen zu den prämonstratensischen Statuten, wo es ausdrücklich über die Unversehrtheit des Textes hieß  : »wofern niemandem erlaubt sei, irgendetwas aus eigenem Willen zu verändern, hinzuzufügen oder wegzunehmen (si mu­ tare vel addere vel minuere nulli quitquam propria voluntate liceat)«  ; Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1.

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anpassungsfähig und in den Stand versetzt, Reformen zu initiieren, um durch Veränderung das zu bewahren, was als erhaltenswert eingeschätzt wurde.43 Vor dem Hintergrund eines Strebens nach Vervollkommnung symbolisierten beide Werkzeuge  – die Texte der rechtlichen Organisation und die Texte der Paränese – die Geltungsansprüche einerseits der Gemeinschaft, andererseits des Individuums. Das Besondere dieser Texte aber war, daß sich dort zwar inhaltlich die zu verinnerlichende Leidenschaft des individuellen Asketen und der »methodische Betrieb« einer institutionalisierten Gemeinschaft jeweils gegenüberstanden, daß diese Inhalte aber als transpersonale Ordnungsmuster von gleichartig rationaler Struktur ausgeformt waren. Beide Textsorten waren nämlich von einem identisch übergreifenden Antrieb geleitet  : Geltung als solche zu objektivieren und damit überhaupt erst unterschiedliche Geltungsbereiche aufeinander abstimmbar und angleichbar  – eben ausbalancierbar – zu machen. Aufgrund des normativen Charakters sowohl des paränetischen als auch des rechtlich-organisatorischen Schrifttums eröffnete sich die faktisch durchsetzbare Möglichkeit, den religiösen Eifer jedes Einzelnen in Kohärenz mit den Anforderungen der Gemeinschaftsordnung und umgekehrt zu sehen.44 Dieses spezifisch klösterliche Instrumentarium stellte die Grundlage für konkrete institutionelle Ausformungen dar, die man durchaus mit dem Weberschen Diktum eines »methodischen Betriebs« bezeichnen kann. War bereits jener Umgang mit Schriftlichkeit im höchsten Maße innovativ, so war es die Pragmatik der sich darauf stützenden organisatorischen Einrichtungen nicht minder. – Es sei im Folgenden nur einiges wesentliche angesprochen  : Klöster waren die ersten Gemeinschaften des Mittelalters, die prospektiv Organisationsformen schufen, welche mit dem Anspruch auftreten konnten, in künftigen Entscheidungslagen sowohl zweckorientiertes wie auch gleichförmiges Handeln zu ermöglichen und durchzusetzen. In einer Eingangspassage der cisterziensischen Carta caritatis prior vom Beginn des 12. Jahrhunderts – des wohl ersten mittelalterlichen Textes, der den Namen ›Verfassung‹ verdient – wurde dieses Prinzip programmatisch formuliert (und dann auch realisiert)  : In diesem Dekret bestimmten die genannten Brüder und legten für ihre Nachfahren fest, durch welchen Vertrag, auf welche Art und Weise, ja vielmehr mit welcher 43 Wichtige Aspekte dazu bei Schreiner, Dauer, vor allem 311–333. 44 Dazu Melville, Rebell, 167ff.

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Liebe ihre Mönche, dem Leibe nach auf Abteien in verschiedenen Weltgegenden verstreut, dem Geiste nach unzertrennbar miteinander vereint bleiben sollten.45

Die Cisterzienser wurden zum Vorbild für die anderen Klosterverbände  ; ihr Modell – der Orden als neue Organisationsform des regularen Lebens – setzte sich allgemein durch. Sie schufen das Generalkapitel ebenso als eine symbolische Einrichtung, die den Gesamtorden repräsentierte, wie als Organ der Gesetzgebung und der obersten Kontrolle. Mit ihm erreichten sie die Perfektionierung jeglicher prospektiver Schöpfung  : die Instanz der steten Korrektur, mit welcher der Erhalt des Ursprünglichen nur zu erreichen war  : Dort sollen sie [sc. die auf dem Generalkapitel versammelten Äbte] […] Anordnungen treffen, wenn hinsichtlich der Beobachtung der heiligen Regel oder der Ordenssatzungen etwas zu verbessern oder zu fördern ist, sowie den Frieden und die gegenseitige Liebe neu beleben.46

Andere Orden  – allen voran die Dominikaner zu Beginn des 13. Jahrhunderts47  – entwickelten diese Strukturen weiter. Sie führten z. B. erstmals das System von demokratisch gewählten Delegierten auf den gesetzgebenden Versammlungen oder den Zwang einer dreifachen Lesung von Gesetzesnovellierungen ein  ; als Erste schufen sie aus praktischen Gründen Satzungen, deren Verletzungen nur einen Rechtsbruch, nicht jedoch auch eine (die Seele belastende) Sünde bedeuteten, und trennten damit Moral vom positiven Recht.48 45 Hoc etiam decretum cartam caritatis uocari censebant, quia eius statutum, omnis exactionis graua­ men propulsana, solam caritatem et animarum utilitatem in diuinis et humanis exequitur. (Carta caritatis prior, Prolog 4)  ; Narrative and legislative texts, ed. Waddell, 274  ; Übersetzung nach Brem / Altermatt (Hgg.), Einmütig in der Liebe, 99. 46 […] ibique de salute animarum suarum tractent  ; in obseruatione sancte regule uel ordinis, si quid est emendandum uel augendum, ordinent  ; bonum pacis et caritatis inter se reforment (Carta cari­ tatis prior, De generali capitulo abbatum apud cistercium, 7, 2)  ; Narrative and legislative texts, ed. Waddell, 278  ; Brem / Altermatt (Hgg.), Einmütig in der Liebe, 105. – Daneben verfolgten die meisten Klöster zusätzlich einen entgegengesetzten, indes auch komplementären Weg, indem sie sich ihres modellhaften Anfangs in Form eines Fundationsberichts bzw. einer eigengeschichtlichen Darstellung versicherten  ; siehe Kastner, Historiae fundationum mona­ steriorum  ; Elm, Bedeutung historischer Legitimation  ; Caby, De l’abbaye à l’ordre  ; Melville, Knowledge of the origins. 47 Siehe im Einzelnen Galbraith, Constitution  ; zur Einordnung in die zeitgenössischen Strukturen vgl. Schmidt, Legitimität. 48 Dies galt im Partikularrecht der Dominikaner und wurde dann auch von anderen Orden übernommen. Vgl. Cygler, Une nouvelle conception.

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Klöster waren auch die Ersten, die planvoll architektonische Räume entwarfen, welche der differenzierten Mehrpoligkeit eines gemeinschaftlichen Lebens funktional entsprachen – wie z. B. bereits die frühmittelalterliche sogenannte ›Utopie‹ des Klosterplans von St. Gallen zeigte.49 Sie waren die Ersten, die mit überwältigendem Erfolg wirtschaftliche Imperien aufbauten, um den rationalen Gedanken der Autarkie zu verwirklichen,50 sie waren aber auch die Ersten, die Arbeit als ein methodisches Konzept im Umgang mit spirituellen Leitideen sozusagen ›gesellschaftsfähig‹ machten.51 Alle klösterlichen Verbände und Orden waren in der Lage, ein effizientes Kommunikationsnetz über ganz Europa zu spannen, das politische Analysen, Wirtschaftsbilanzen, disziplinäre Zustände, Bautechniken und dergleichen rasch über Verteilungszentren austauschen ließ.52 Franziskaner waren es, die sich – neben den Dominikanern – mit ausgefeilter Planungsreflexion53 missionierend selbst in die muslimischen Gebiete wagten, die dann auch die Grenzen der bekannten Welt überschritten und als erste präzise Nachrichten von den anstürmenden Mongolen brachten, die zudem in China sogar eine ganze Kirchenprovinz aufbauten und die Geographie der Welt neu schreiben ließen sowie an der Schwelle zur Neuzeit in Amerika ein Netz von Missionsstationen zu spannen vermochten. Solcherlei Beispiele ließen sich vermehren. Die Ratio der zu perfektionierenden Organisation gewährleistete aber gleichermaßen die bestmögliche Entfaltung von gemeinschaftlichen wie individuellen Frömmigkeitspraktiken im Rahmen der Liturgie, des Chorgebets oder der separierten Kontemplation. So charakterisierte z. B. Wilhelm von SaintThierry die für ein eremitisches Leben im Kloster bereitgestellte Zelle als einen abgeschlossenen Ort, der für den, der voll der Frömmigkeit sei, keinen Kerker bedeute, sondern »eine Wohnung des Friedens« (domicilium pacis), deren Tür nicht etwas verstecke, sondern Zurückgezogenheit von den übrigen Teilen des Klosters ermögliche.54 In diesem Ort sei der Mönch »völlig von der Welt ausgeschlossen« und zugleich »mit Gott eingeschlossen«, pointierte Wilhelm. 49 Hecht, St. Galler Klosterplan  ; Zettler, Der Himmel auf Erden. Für die weitere Entwicklung vgl. z. B. Untermann, Innovative Architektur  ; Melville / Müller, Franziskanische Raumkonzepte, 119ff. 50 Siehe für ein signifikantes Beispiel neuerdings Rösener, Agrarwirtschaft. 51 Vgl. Schreiner, »Brot der Mühsal«. 52 Siehe dazu in Kürze Andenna / Herbers / Melville (Hgg.), Die Ordnung der Kommunikation, Bd. 1 [erschienen 2012]. 53 Vgl. Müller, Bettelmönche. 54 Wilhelm von St-Thierry, Lettre aux frères du Mont-Dieu, ed. Déchanet, 168. Zur Entwicklung der Mönchszelle im Mittelalter vgl. Lentes, Vita perfecta.

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Klosterleute testeten die Grenzen der rationalen Erkenntnis durch die Methode des sogenannten Symbolismus,55 dann der scholastischen Dialektik56 aus und sprengten sie zugleich radikal auf durch die individuellen Erfahrungen der Mystik.57 Denn klösterliche Organisation ließ prinzipiell auch eine tief verinnerlichte, ja oftmals sogar ekstatisch gelebte Spiritualität zu, obgleich sie gegebenenfalls mit Radikalität und potentiell sogar revolutionär verwirklicht wurde. Dann zeigte sich allerdings, wie grenzwertig klösterliches Leben eigentlich zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie58 verortet war und welcher Kräfte drosselnder Disziplin es bedurfte, um die Balance zwischen zelotischer Leidenschaft und ›methodischem Betrieb‹ der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Und dennoch hätten kein Richtmaß eines Gesetzes und kein Ruf des Gewissens Wirkung gehabt, wenn man zuvor nicht eine – wie oben zitiert59 – »totale Konversion des Herzens zu Gott« radikal und das ganze Selbst erfassend vollzogen hätte. Ohne jene individuelle Frömmigkeit des Herzens wäre auch nicht die beste Weiserin zur Tugend des religiösen Lebens – die Demut60 – zu gewinnen gewesen und damit die Akzeptanz, noch unvollkommen zu sein, nie erfolgt. Klöster waren demnach die ersten Gemeinschaftsformen des Mittelalters, die im Alltäglichen konsequent aufzeigten, daß die Pragmatik des Lebens nicht zu führen war ohne einen transzendierenden Bezug auf sinnstiftende Werte und Normen, denen man sich innerlich verpflichtet fühlte, bzw. daß die Pragmatik des Lebens letztlich nur gelingen konnte, wenn man sich auch in seinem Inneren emotional, ja sogar leidenschaftlich mit ihren Regeln identifizierte. Aus der Balance von verinnerlichtem Glauben und pragmatischer Organisation des Lebens haben die Klosterleute ganz offensichtlich die innovatorische Kraft bezogen, sich die eigene, noch irdische Welt so auszugestalten, daß Hoffnung auf eine Öffnung des Himmels bestand. Der hierbei erfolgte Schritt hinein in ordnungstiftendes Neuland, methodisch gelenkt von Prinzipien des Rationalen, war beachtlich61 und berechtigt unter analytischem Gesichtspunkt, 55 Vgl. Dempf, Sacrum Imperium. 56 Vgl. Chenu, Theologie als Wissenschaft. 57 Siehe aus der reichen Literatur zur Mystik hier besonders einschlägig Langer, Christliche Mystik  ; Weiss, Ekstase  ; und jüngst den konzisen Überblick bei Röckelein, Mystik. 58 Siehe dazu das klassische Werk von Grundmann, Religiöse Bewegungen. 59 Siehe oben bei Anm. 11. 60 Vgl. die Erläuterung von von Nagel, Demut. 61 Es ist dabei freilich auch in Rechnung zu stellen, daß die Klöster bis weit ins Mittelalter hinein fast die einzige institutionelle Plattform für einen optimalen Unterricht waren und sie dadurch besonders elitebildend wirkten bzw. auf Hochbegabte besondere Anziehungskraft ausübten. Sogar noch in der Zeit der aufkommenden Universitäten und Städte (also ab dem

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von mittelalterlichen Klöstern als regelrechten ›Innovationslaboren‹ zu sprechen. Aber auch wenn die innovatorischen Anstrengungen der Klöster in erster Linie um der eigenen Stabilität willen erfolgten, auch wenn sie strikt zugeschnitten waren auf die hier umrissenen Anforderungen einer Sonderwelt, die sich ein abgeschlossenes Innen geschaffen hatte und sich von allem Außen abgrenzte, so ist gleichwohl zu fragen, inwieweit jene innovativen Errungenschaften sogar eine solche Wirkkraft aufwiesen, daß sie auch für die säkulare Welt62 jenseits der Klöster von Bedeutung sein konnten. Dazu muß allerdings das faktische Verhältnis zwischen Kloster und Umfeld zuvor noch einer kurzen Betrachtung unterzogen werden, um zu klären, inwieweit die säkulare Welt des Mittelalters bereit sein konnte, von der offensichtlich so stark sekludierten klösterlichen überhaupt Innovationen anzunehmen. »Le monastère est en même temps la cellule d’une cité terrestre«, unterstrich zu Recht Marie-Dominique Chenu63 in Aufgriff augustinischer Dichotomie. Die Geschichte zeigt in der Tat, daß die Klöster über die Abgegrenztheit ihrer Sonderwelt hinaus sowohl ihrem Umfeld entscheidende Impulse zu geben vermochten als auch sich selbst mit ihr vor allem politisch und wirtschaftlich verbanden. Der systemischen Selbstreferentialität des klösterlichen Lebens schien dies keinen Abbruch getan zu haben, solange das für die klösterliche Gemeinschaft sinnstiftende tatsächliche Vorhandensein eines ›Seelenklosters‹ jedes einzelnen Mitgliedes nicht in Zweifel gezogen wurde. So konnten sich in Gestalt des Klosters wesentliche (aber auch ganz unterschiedliche) Bedürfnisse der mittelalterlichen Gesellschaft kristallisieren. Mönche und Nonnen lebten nicht nur exemplarisch vor, wie die ethischen Prinzipien des christlichen Glaubens zu verwirklichen waren, vielmehr versprachen sie der außerklösterlichen Welt auch bei Investitionen ebenso der Frömmigkeit wie des weltlichen Betriebes von Wirtschaft und Politik eine sichere Anlageform. Schon seit Beginn des Mittelalters waren Klöstern durch Schenkungen und Übertragungen neben dem Zehnten, neben Pfarrpfründen, Zoll-, Bergund Marktrechten teilweise riesige Latifundien, verbunden mit Herrschaft über Menschen, zugewachsen. Die neuen reformerischen Bewegungen des 11. 13. Jahrhundert) stellten Mönche dort weiterhin den intellektuellen Nukleus dar (man denke etwa nur an den Pariser Bettelordensstreit) bzw. formten Orden Gelehrtenzirkel aus, die auch von einem gebildetem Bürgertum frequentiert wurden, wie z. B. die Augustiner im Kloster Santo Spirito des humanistischen Florenz. 62 Zur Begriffsverwendung siehe oben S. 2. 63 Chenu, Théologie,  230.

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und 12. Jahrhunderts aber – darunter vor allem die Cisterzienser – setzten mit ihrer Kritik am benediktinischen Mönchtum gerade hier an und warfen den traditionellen Abteien vor, sie ernährten sich vom Blut der Menschen, wenn sie den Zehnten nähmen.64 Armutsbewegungen aus eremitischen Kreisen jener Zeit, dann getragen von den Bettelorden des 13. Jahrhunderts, lehnten daraufhin jeden gemeinschaftlichen Besitz ab und wiesen dafür der Welt das Modell der freiwilligen Armut als spirituellen Weg zur Seelenrettung.65 Es ist stupend, wie stark im Grunde alle diese klösterlichen Ausformungen seitens der säkularen Welt  – allerdings in zeitlich unterschiedlicher Weise  – angenommen wurden und die Einrichtung ›Kloster‹ das gesamte Mittelalter hindurch als ein integraler Bestandteil auch des eigenen (adeligen, städtischen, universal-kirchlichen) Kosmos erschien.66 Angesichts dieser (nicht selbstverständlichen und oftmals erst wieder neu zu erringenden67) Akzeptanz aber waren Klosterleute grundsätzlich in der Lage, die Menschen der säkularen Welt gottgefälliges Handeln zu lehren, ihnen exemplarisch die Wege zum Inneren der Seele zu weisen und ihnen durch die Predigt, für die sie spezialisierte Orden hervorgebracht hatten, programmatisch die Natur, das Leben und das Jenseits zu deuten. Da einem Innovationstransfer unter diesem Gesichtspunkt prinzipiell nichts im Wege stand, waren die klösterlichen Errungenschaften auch für die säkulare Welt überall dort nutzbar, wo sie trotz ihres Bezuges auf das Spezifische des Klosters transferierbar waren. Hier gab es zwei Möglichkeiten. Die eine eröffnete einen unmittelbaren Einfluß auf die zeitgenössischen Verhältnisse des Mittelalters  ; hier ging es tatsächlich nur um einen Transfer von der klöster­ lichen in die säkulare Welt, der dabei die Substanz der klösterlichen Werte nicht veränderte. Die andere bedurfte einer größeren Spanne an Wirkungsdauer  ; hier ging es um eine Säkularisierung der klösterlichen Werte, die dann letztlich deren klösterliche Herkunft überflüssig machte. Zur ersten Möglichkeit  : Weil die Pragmatik einer methodisch umgesetzten Rationalität funktional offen war, also sowohl bei religiösen wie bei säku­laren Lebensformen Anwendung finden konnte, waren alle aus ihr heraus entstandenen Innovationen potentiell auch auf außerklösterliche Bedürfnisse übertragbar, z. B. die von den Orden eingeführte parlamentarische Ordnung, die 64 Siehe Melville, Zisterzienser, 29. 65 Vgl. Little, Religious poverty  ; Melville / Kehnel (Hgg.), In proposito paupertatis. 66 Vgl. aus der breiten Forschung Schreiner, Mönchsein  ; Milis, Angelic Monks  ; Kleinjung, Frauenklöster. 67 Siehe die eindrücklichen Beobachtungen von Schmidt, Klosterleben.

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die Exekutive kontrollierte, oder die Elaborierung von Satzungsrecht, das autonom gegenüber willkürlichen Zugriffen und zugleich an neue Verhältnisse mittels systematisch durchgeführter Novellierungen anpassungsfähig war, oder die Schaffung eines Rechtscorpus, das mit Sanktionen auskam, die nicht an den Himmel angebunden waren, oder ein arbeitsteiliges Vorgehen, das allein von Kompetenz bestimmt war, stellten solche innovativen Einrichtungen dar, die sich nutzvoll auf die säkulare Welt übertragen ließen und z. B. bei den sich im 12./13. Jahrhundert konstituierenden städtischen Kommunen auch auf hohen Bedarf stießen.68 Generell gesagt, vermochten klösterliche Strukturen also nichts Geringeres als für die Rationalität der Planung, der Normsetzung, der Arbeitsteilung, der Güterzuweisung und der ökonomischen Betriebseffizienz sowie für verantwortlichen Umgang mit Eigentum und Besitzlosigkeit ihrem säkularen Umfeld Modelle anzubieten oder sogar aufgrund der in ihnen erprobten rationalen Gestaltung gesellschaftlicher Systeme den Weg auch zur Konstruktion einer sich in jener Epoche erst entwickelnden Staatlichkeit vorzubereiten. Zur zweiten Möglichkeit  : Es hat sich gezeigt, daß eine besondere innovative Leistung der Klöster in einem ganz spezifischen Umgang mit absolut gesetzten Wertinstanzen lag. Dieser Umgang war seelisch zutiefst verinnerlicht, er war bestimmt von gänzlicher Hingabe in religiösen Eifer  ; er war im letzten Kern total individualistisch und uneingeschränkt emotional – also zwangsläufig radikal und antiinstitutionell. Zugleich aber war er institutionell gedrosselt, der Disziplin und der Demut unterworfen, in die Rahmungen einer Friedensgemeinschaft eingegossen sowie in Regeln und Ritualen gefaßt, welche die Unterscheidung, die discretio, zur Grundlage hatten. In dieser scheinbaren Paradoxie gewann die europäische Kultur ein Modell, welches ihr erlaubte, individuell gelebte Religiosität mit der Regelhaftigkeit praktischer Rationalität dergestalt verbunden zu sehen, daß beide Ebenen sich gerade nicht gegenseitig neutralisierten, sondern sublimierten. Es eröffnete sich damit eine fundamental humane Ethik,69 die dem Menschen angesichts eines Befolgungsgebotes absoluter Forderungen stets die Würde des rechten Maßes beließ. Dieses Humanum jedoch in die säkulare Welt zu übertragen, hieß, auf klösterliche Religiosität als sein transzendierendes Begründungselement zu verzichten. Ein solcher Transfer konnte nur in Form der Säkularisierung geschehen.

68 Vgl. z. B. Busch, Verschriftlichung. 69 Vgl. Aulinger, Humanum.

Tegumenta virtutis und occulta cordis Zur Wahrnehmung religiöser Identität im Mittelalter

Die Immanenz weltlichen Daseins strikt aus dem Begreifen von Transzendenz zu bestimmen, dürfte die genuine Leistung des Mittelalters gewesen sein. Wenngleich diese sich auch in stets wandelnden Formen immer wieder neu realisieren mußte, scheint es sich zu erübrigen, nach dem Vorhandensein von religiös geprägter Identität als kulturellem Bestimmungsmerkmal zu fragen. Religiöse Identität war im Mittelalter kein Phänomen, das sich innerhalb eines pluralistischen Angebots durch Exkludierung von anderen identitätsstiftenden Merkmalen gewinnen ließ, denn das Religiöse war überall präsent und ließ sich schwerlich als Sonderform herausschälen. Wer etwa konnte im Mittelalter das Religiöse nicht zum wesentlichen Bestandteil seiner Identität rechnen  ? Weder der Laie noch der Kleriker, weder der Frevler noch der Häretiker. Wo etwa fehlte eine legitimierende Verankerung von weltlicher Macht in der Transzendenz göttlicher Ordnungsraster  ?1 Da man zu wissen glaubte, daß Gott überall anwesend sei, weil er – wie Augustinus formulierte2 – nirgends abwesend sei, transzendierte die christliche Welt des Mittelalters immer auf das Göttliche, so daß sich allein daraus Identität ableiten ließ. Und eine solchermaßen verstandene religiöse Identität betraf kollektive Gebilde und Individuen gleichermaßen, auch wenn sie sich unterschiedlichen Ausformungen des Religiösen unterworfen hatten  – am weitesten gefaßt in der Figur einer congregatio fi­ delium, die sich als Eucharistiegemeinschaft der Getauften zur Kirche hatte institutionalisieren lassen, oder enger gefaßt in der spirituellen Gemeinschaft eines klösterlichen Konvents ebenso wie in der kultischen Verbrüderung von Zunftgenossen, Gelehrten und Kaufleuten, oder in heilssuchenden Gruppen wie die von Wallfahrern, Kreuzzüglern oder Missionaren.3 Wenn demnach als kulturelles Charakteristikum des Mittelalters der Sachverhalt angenommen wird, daß jene Epoche eben ihre Identität generell aus der sinn- und ordnungsstiftenden Kraft des Religiösen bezogen hatte, dann mag dies richtig sein. Doch im Grunde handelt es sich dabei um eine Pauschalisie1 Vgl. Stürner, Peccatum. 2 Ubique scilicet, quia nusquam est absens, Augustinus, De praesentia Dei, 838. 3 Vgl. Angenendt, Religiosität (32005), 295ff.

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rung, die zugleich komplexe und opake Strukturen verdeckt. Weil sie zwangsläufig suggeriert, das Mittelalter sei gerade in dieser Hinsicht nicht voller Gegensätze und Ungereimtheiten, propagiert sie eine Entkomplexisierung, die der Sache nicht gerecht wird. Religiöse Identität war nicht allein eine Kategorie kollektiver Verständigung, die zu kulturellen Objektivationen führte, sich also in Ritualen und Liturgien manifestierte, zu institutionellen Formen (wie namentlich die der Kirche) gerann, den Anspruch des gesellschaftlich Normativen (sei es im Moralischen, sei es im engeren Sinne Kirchenrechtlichen) erhob und durch Visualisierungen repräsentative Verkörperungen (wie etwa Sakralbauten, kultische Ikonographien) zu gewinnen vermochte, vielmehr war sie auch und im Besonderen eine Kategorie der individuellen Akzeptanz und Verinnerlichung. Genau dort aber versagt jegliche Pauschalisierung. Unter dem Vorzeichen individueller Akzeptanz dürfte religiöse Identität letztlich nur durch eine Konzentrierung auf das hin zu gewinnen gewesen sein, was sich durch eine »totale Hinwendung des Herzens zu Gott«, eine conversio to­ talis ad Deum cordis4 als Konsequenz ergab – nämlich sich das Transzendente durch Übersteigung des Immanenten ganz persönlich anzueignen und damit sich selbst die Unverfügbarkeit Gottes soweit möglich verfügbar zu machen. Bonaventura hat dies auf den Punkt gebracht mit folgenden Worten  : »Das höchste Gut ist ›über‹ uns, und so kann keiner selig werden, solange er nicht über sein eigenes Selbst hinaus emporsteigt, nicht körperlich, sondern mit seiner Seele«5  – und er nennt dieses Emporsteigen ein Itinerarium mentis in Deum. Diese Wegeroute zu Gott kann äußerlich begleitet sein durch Akte eines in Gemeinschaft vollzogenen Kultes, der Liturgie, der Askese und caritas, sie wird aber von nichts anderem vorangebracht als vom Antrieb der individuellen Seele und sie erfolgt auch nirgendwo anders als im Inneren des Menschen, der dadurch seine eigentliche Identität gewinnt.6 Davon war nach christlicher 4 Epistola cujusdam de doctrina vitae agendae, 1187. 5 […] et summum bonum sit supra nos  : nullus potest effici beatus, nisi supra semetipsum ascendat, non ascensu corporali, sed cordiali, Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum, in : Opera omnia, Bd. 5, 296. 6 Vgl. dazu die breit gefächerten Erörterungen in Melville / Schürer (Hgg.), Das Eigene und das Ganze  ; hierin besonders einschlägig die Untersuchungen von Hahn / Bohn, Partizipative Identität, sowie Kramer / Bynum, Revisiting the Twelfth-Century Individual. Die Frage nach der Individualität im Mittelalter ist im Anschluß an umgreifende Darlegungen in den 90er Jahren (Gurjewitsch, Individuum  ; Aertsen / Speer (Hgg.), Individuum) auch in jüngerer Zeit aktuell geblieben  ; siehe Bessmertnyi / Oexle (Hgg.), Individuum  ; Bedos-Rezak / Iogna-Prat (Hgg.), L’individu au Moyen Âge, hierin besonders einschlägig die Untersuchung von von Moos, L’individu.

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Auffassung prinzipiell jeder Mensch angesprochen – auch der Laie und nicht nur der Mönch, denn einem Virtuosentum des Glaubens sich zu nähern stand jedem Christen an. Hier öffnet sich ein komplexes Mittelalter, bei dem heuristisch von vorneherein unterschieden werden muß zwischen Religiosität als kollektiver Norm, die sicherlich nicht bestritten werden kann, und Religiosität als innerer Haltung jeglicher Individuen, die vorderhand latent ist. Beides aber sollte vorhanden sein und sich aufeinander beziehen, um von religiöser Identität als kulturellem Charakteristikum des Mittelalters sprechen zu können. Kann man darüber aber eine wirklich sichere Aussage machen  ? Das Problem liegt im Nachweis. Kann eine individuell gewonnene religiöse Identität überhaupt erfaßt werden  ? Konnten es die Zeitgenossen  ? Reichen die Kräfte des Kognitiven überhaupt aus, um bis zur Seele einer Person vorzudringen  ? Gibt es spezifische Zeichen, Indizien oder Symbole für religiöse Identität eines Individuums  ? Unterliegt die Wahrnehmung hier nicht prinzipiell Täuschungen, da sie auf sinnlich Faßbares im Äußeren des Menschen angewiesen ist und dennoch seines Inneren habhaft werden müßte  ? Die Problematik zeigt sich von zwei Seiten  – nämlich zum einem bereits von der des Wahrnehmungsaktes und zum anderen vor allem dann von der des Wahrnehmungsobjektes. Im ersteren Falle entstehen Fehler im Vollzug, die zu falschen Erkenntnissen führen  ; im zweiten Falle droht die hermetische Struktur des wahrzunehmenden Bereichs Erkenntnisse zu verhindern. Ich werde mich zunächst kurz dem ersten Aspekt widmen, um anhand von einigen Beispielen diejenigen Fehlertypen vorzustellen, die sich bei einem Akt der Wahrnehmung von religiöser Identität ergeben können  : a) Verwechslung  : Die Jünger des Wanderpredigers Bernhard von Tiron, den faszinierte Zeitgenossen zu Beginn des 12. Jahrhunderts als Hoffnungsträger in Gestalt eines die vera religio zurückbringenden novus Antonius bezeichneten, wurden dennoch von vielen für verkappte Sarazenen gehalten, die sich unterirdisch bis nach Frankreich durchgewühlt hätten, weil ihr befremdliches Äußeres in Verhalten und Gewand nicht einzuordnen war.7 Ähnlich erging es zahlreichen Franziskanern, als sie erstmals die Alpen überschritten und als Häretiker angesehen wurden.8 b) Täuschung  : In der Vita des Eremiten Stephan von Obazine wurde berichtet, daß dieser es in einer bestimmten Region sehr schwer gehabt habe, weil 7 Vgl. Beck, Saint Bernard de Tiron. 8 Vgl. Sickert, Klosterbrüder.

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dort ein pseudochorita – ein falscher Anachoret – aufgetaucht sei, der sich eine Kapelle erbaute und es trefflich verstanden habe, durch sein heilig wirkendes Auftreten die Leute zu täuschen und ihnen Geld sowie weitere Gaben aus der Tasche zu ziehen. Als dann alle von ihm eine feierliche Messe erwarteten, habe er sich die Nacht zuvor heimlich aus dem Staub gemacht.9 c) Interpretationsirrtümer  : Symbolische Handlungen des Religiösen besaßen als kulturelle Konstrukte eine große Varianz in Ausführung und Deutung.10 So hieß es z. B. in der Regel des Heiligen Benedikts, daß der Abt und die Brüder zusammen allen Gästen die Füße waschen sollen. Ungeachtet dieser exakten Vorschrift praktizierten die Cluniazenser jenes Ritual nur in einer mutierten Form dergestalt, daß sie es jeden Abend allein an drei Armen mit gleichzeitiger Schenkung von Brot und Wein vornahmen. Die Cisterzienser, die das Ritual jedem Gast angedeihen ließen, griffen die Cluniazenser als Regelbrecher harsch an. Doch sie irrten mit dieser Interpretation  : Tatsächlich lag die Änderung des Rituals zum einen in der hohen Zahl der Gäste begründet, die ununterbrochene Fußwaschungen hätte erforderlich gemacht  – ein Problem, das die von der Welt abgetrennten Cisterzienser in der Tat nicht hatten –, zum anderen beriefen sich die Cluniazenser auf den Geist der Regel, der eine Sorge um die Armen erforderlich mache, so daß die Abwandlung des Rituals auch ex caritate erfolgt sei.11 d) Mißverständnis  : Franz von Assisi – der große Inszenator seiner Botschaft – war im Laufe seines Lebens mehrfach öffentlich nackt aufgetreten, und das Volk war bis zum Weinen bewegt gewesen ob der pietas des gottgefälligen Mannes.12 Sein Jünger Juniper hatte diese öffentliche Nacktheit daraufhin mehrfach nachgemacht, erregte damit aber nur Unverständnis, Spott und Verachtung. Nun könnte man zur Erklärung einer derartigen Reaktion den Spruch quod licet Jovi, non licet bovi heranziehen, doch das Mißverständnis lag nicht bei Juniper, sondern war ein von ihm kalkuliertes der Beobachter. Juniper rechnete mit jener Reaktion auf seine Imitation und wollte es, denn sie gab ihm die beste Gelegenheit zu einer ersehnten Selbstdemütigung im Geiste seines Lehrers.13 e) Vorurteil  : Der Dominikaner Georgius von Ungarn, der im 15. Jahrhundert längere Zeit unter den Osmanen lebte, schilderte akribisch deren religiöse Gebräuche. Eingehend werden die rituellen Waschungen, die Fastengewohn  9 Siehe Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 53. 10 Vgl. mit weiteren Literaturangaben Melville, Construction. 11 Siehe Sonntag, Klosterleben, 582–600. 12 Siehe Feld, Zeichenhandlungen. 13 Siehe Wesjohann, ›Fehltritte‹.

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heiten, das Wallfahren nach Mekka, die Koranschulen und die Tätigkeit der Priester erläutert  ; die Formen der Heiligenverehrung und des Glaubens an Wunder werden beschrieben und die islamischen Religiosen sogar mit einem non homines, sed angeli videntur esse charakterisiert. Doch was hier so autoptisch gesichert sich als Respekt vor der Religiosität der Muslime zu erklären scheint, bezeichnet Georgius umgehend als Trugbild des Bösen. Das Blendwerk eines apparatus exterior et materialis nämlich habe der Alte Feind aufgebaut  ; und dieser apparatus bestehe aus nichts anderem als in den angesprochenen glänzenden Erscheinungen der Lebensformen. Eine teuflische Inszenierung von Kulissen läge vor, so daß jede noch so positive Verhaltensweise der Türken nichts anderes als Betrug sei.14 Jede dieser Möglichkeiten einer verfehlten Wahrnehmung läßt sich auf eine prekäre Grundeigenschaft aller semiotischer Strukturen zurückführen  : nämlich auf den geringen Grad einer Festbindung des sensitiv zugänglichen Zeichens an das Objekt, das bezeichnet werden soll, so daß der Interpretant eines Zeichens irgendein Objekt entweder aufgrund nahezu beliebiger Erfahrungsassoziationen oder aufgrund kultureller Vorprägungen gesteuert an ein Zeichen binden kann.15 Bezieht man dies auf das Objekt ›religiöse Identität‹, so wird eben aus einem falschen Eremiten ein echter, aus zotteligen Wanderpredigern die Verkörperung heidnischer Bösewichte, aus edlen Heiden Blendwerk des Teufels, aus Regelexegeten Regelbrecher, aus Meistern religiöser Inszenierungen lächerliche Figuren. Ich möchte es bei dieser knappen Charakterisierung angesichts der hier gebotenen Kürze belassen. Sie erschien mir gleichwohl nötig gewesen zu sein, um zu verdeutlichen, daß die im folgenden aufzuzeigenden Aspekte nichts mit einer strukturell bedingten Defizienz von Wahrnehmung zu tun haben. Bei dem spezifischen Objekt ›religiöse Identität‹ ging es nicht um Zuordnungsprobleme von Zeichen und Objekt, sondern um die ganz anders gestellte, aber nicht minder fundamentale Frage, wie weit man überhaupt mit jeweils zur Verfügung stehenden Zeichen vordringen konnte, um das Objekt ›religiöse Identität‹ erfaßbar zu machen.16 Ich möchte mit zwei sehr illustrativen Beispielen zur Wahrnehmung einer religiösen Identität, die jeweils an eine religiöse Gemeinschaft gebunden ist, 14 Siehe Melville, Wahrheit des Eigenen. 15 Das Problem wurde schon vielfach eingehend analysiert  ; vgl. insbesondere Eco, La struttura assente. 16 Siehe zu diesem Grundproblem schon die analytisch tief greifenden Überlegungen von von Moos, Persönliche Identität.

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beginnen. Beiden Beispielen gemeinsam ist eine Irritation, daß die eigene Identität aufgrund fehlender Zeichen nicht erkennbar sei. Beide indes unterscheiden sich grundlegend voneinander, indem nämlich einmal das Fehlen der Zeichen als mangelhaft, das andere Mal aber als völlig unerheblich angesehen wird. Erster Fall  : Humbert de Romanis, der Generalmagister der Dominikaner, beklagte sich um die Mitte des 13. Jahrhunderts in seinem Kommentar zu den Konstitutionen des Ordens, daß im Prinzip alle Orden jeweils einen Habit gebrauchten, der einheitlich sei in Farbe, Form, stofflicher Beschaffenheit und Wert, wohingegen in seinem Orden schwarze, rote oder graue Umhänge üblich seien, die zudem einmal eingeschnitten, das andere Mal geschlossen seien oder die einmal aus wertvollem, einmal aus mittelmäßigem und einmal aus billigem Material bestünden. Das gleiche gelte für die Kapuzen und die Tuniken. Er kommt zu dem Schluß, daß dieser Sachverhalt deshalb äußerst fatal sei, weil zum einen die eigenen Mitbrüder, die durch die Provinzen reisten, nichts vom eigenen Orden wiedererkennen würden, zum anderen, weil Außenbeobachter glauben würden, daß die Dominikaner nicht als ein einziger zusammenhängender Orden existierten.17 Zweiter Fall  : Besorgt hatte sich Stephan von Muret zu Beginn des 12. Jahrhunderts an die Mitglieder seiner eremitischen Gemeinschaft im Limousin gewandt, um sie schützend auf den möglichen Vorwurf Dritter vorzubereiten, daß das, wonach sie leben, weder einem ordo noch einer regula der doctores sanctae ecclesiae entspräche und von daher als unziemend zurückzuweisen sei. Anlaß war der Sachverhalt, daß Religiose üblicherweise bereits durch ihren Habit als Befolger entweder der regula sancti Augustini oder des ordo sancti Benedicti zu erkennen seien, die Jünger Stephans aber keine solche Bekleidung aufwiesen. Stephan hob gegenüber solchen Feststellungen dann polemisch hervor, daß derjenige, der so etwas vorwerfe, zwar die Hülle (indumentum) und das Zeichen (signum) einer religiösen Lebensform trüge, aber im Grunde sein Leben verkenne, denn dieser wisse nicht, was ordo und regula eigentlich bedeuten. Überschreite er, Stephan, denn ordo und regula, wenn er, strikt in seinem Kloster verbleibend, mit Hilfe der göttlichen Gnade Sorge trüge für das Seelenheil seiner ihm von Gott anvertrauten Schüler  ? Neun weitere Fragen dieser Art wurden angeschlossen – darunter solche, die das Verbot von Pfarrkirchen, die Zurückweisung von Frauen, die Abkehr von Handelsgeschäften oder die Ablehnung von Tierhaltung betrafen. Nur der, der gegen Gottes Gebote handele, 17 Siehe Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 5–8.

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stehe – so lautete das Fazit – außerhalb von ordo und regula.18 Beidesmal ging es um Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft, wodurch die Identität des Ganzen sowie des Einzelnen im Ganzen bestimmt wurde. Doch im ersten Fall fehlte ein einheitliches Raster von identifizierenden Zeichen, welches man sich endlich erwünschte  ; im zweiten Fall verwarf man die Notwendigkeit eines solchen, im Äußerlichen verbleibenden Rasters zugunsten religiös motivierter Verhaltensweisen. Der Wunsch nach Anpassung an Konventionen stand deren Ablehnung gegenüber  – durchaus verständlich angesichts der Tatsache, daß es sich im ersten Fall um einen traditionalistischen Orden handelte, der sich schon etabliert wähnte, und im zweiten Fall um eine religiöse Bewegung mit charismatischer Führung, die um der evangelischen Wahrheit willen mit Traditionen brechen wollte. Doch der Unterschied reichte tiefer. Es ging auch um zwei divergierende Wahrnehmungsweisen, mit denen eine religiöse Identität erfaßt werden s­ ollte.19 Bei Humbert de Romanis richtete sich die Wahrnehmung auf Zeichen, die attributiv einer Gemeinschaft zugerechnet werden sollten und bei denen im Hintergrund selbstverständlich mitschwang, daß sie zugleich symbolisch trans­ zendierten auf bestimmte religiöse Grundeigenschaften. Längst war es Praxis, z. B. in der Farbe und im Material des Habits die vita contemplativa oder die vita activa symbolisiert zu sehen, wenn etwa schwarz für die Trauer um Christi Tod oder weiß für die Freude über Christi Auferstehung stand. Bei Stephan von Muret ging es um die Wahrnehmung von Verhaltensweisen, die eben nicht attributive Zeichen waren, sondern die unmittelbar die symbolische Verkörperung religiöser Ideale durch die Protagonisten selbst bedeuteten  : Ihr Verbot von Haustieren, ihre Abkehr von Handelsgeschäften z. B. sollte ihre Christusnachfolge in absoluter Armut symbolisch vergegenwärtigen. Über die Jünger des in etwa zeitgleichen Namensvetters Stephan von Obazine hieß es in Analogie  : Es ist nicht leicht, den Lebensstil dieser Menschen in Erfahrung zu bringen, denn groß ist das Schweigen, das sie verhüllt […]. Aber wenn auch ihre Münder verschlossen sind, so sprechen doch ihre Werke und legen offenkundiges Zeugnis von einer durch Gott inspirierten Religiosität ab.20 18 Siehe Liber de doctrina, 60–62. 19 Zur grundsätzlichen Problemstellung vgl. von Moos, Das mittelalterliche Kleid. 20 Hominum illorum non facile sciri conversatio potest, cum tanto silentio obtegantur […] Sed tamen oribus silentibus, opera non tacent, que auctore Deo ipsorum religiositati evidens testimonium reddunt  ; Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 58.

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Im Falle Stephans von Muret und Stephans von Obazine zeigte sich die religiöse Identität einer Gemeinschaft unmittelbar durch ihr konkretes Handeln, das ihr religiöses propositum symbolisierte, und ließ suggerieren, daß man damit die tatsächliche Geltung von identitätsstiftenden Werten erfassen konnte.21 Beim ersten Fall zeigte sich die religiöse Identität nicht durch ein Handeln selbst, sondern durch Symbole, welche Handlungsnormen evozieren sollten und damit aber nur Geltungsbehauptungen von identitätsstiftenden Werten erfassen ließen.22 Hier lag eine nicht unbeträchtliche Spannweite, die anzeigt, daß Wahrnehmung von religiöser Identität sehr viel damit zu tun hatte, wie tief sie durch symbolische Strukturen hindurchdringen konnte – nämlich entweder zu einer Identität, die auf allgemein akzeptierter Geltung beruhte, oder zu einer Identität, die auf reinen Geltungsbehauptungen fußte. Aber ist dies tatsächlich so einfach zu unterscheiden  ; steckt nicht vielmehr in beiden Fällen doch nur eine Geltungsvermutung  ? Wir können uns dieser Frage nähern, wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, daß religiöse Identität sich letztlich immer in der Einzelperson manifestiert, da der Akt, das Unverfügbare sich verfügbar zu machen, zwar in der Kommunität äußerlich praktiziert werden kann, sich aber doch nur in der Innerlichkeit der individuellen Seele vollzieht.23 Programmatisch gaben eine Unzahl von paränetischen Schriften das Entscheidende vor, um diese Innerlichkeit als eine regelrechte domus interior zu präsentieren  : »lch mahne Dich« – so hieß es z. B. in einem Traktat des 12. Jahrhunderts – », in deinem Herzen eine würdige Behausung für Christus zu bereiten, damit er sich entschließt, mit dem Vater und dem Heiligen Geist kommend bei dir in der Wohnstätte deiner Seele haltzumachen.«24 Über das Verhältnis dieses Inneren des Menschen zu dessen Äußerem, d. h. Sichtbaren und Wahrnehmbaren, aber war man geteilter Meinung. Einerseits glaubte man verbreitet – wie es z. B. Richard von St. Viktor unterstrich25 –, daß die Bewegung (motus) des Herzens durch die Bewegung des Körpers grundsätzlich zum Ausdruck käme, 21 Vgl. dazu Andenna, Dall’esempio  ; Melville, In solitudine  ; ders., Stephan von Obazine. 22 Sehr deutlich zeigte sich dies z. B. am unterschiedlichen Material der Gewänder, dem jeweils eine besondere Symbolik zugeschrieben wurde  ; vgl. dazu Fuchs, Wolle oder Leinen. 23 Vgl. dazu schon Melville, Allmacht. 24 Te moneo, ut in corde tuo praepares dignum habitaculum Christi, quatenus ipse veniens cum Patre et Spiritu sancto dignetur apud te mansionem sibi facere in domicilio tui pectoris  ; Liber de modo bene vivendi, 1285. Van’t Spijker, Fictions, 9, spricht richtig von »a work of art«, zu dem Kanoniker und der Mönch ihr inneres Leben auszugestalten trachteten. 25 Richard von St. Viktor, Benjamin maior, 97.

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folglich – wie Peter von Moos es formulierte26 – »l’exterior homo est le signifiant de l’interior homo, dont la psyché invisible forme le signifié«. Der Teufel, so war man überzeugt, mache sich dies kognitiv zunutze, um durch die Zeichen des Körpers – wie etwa begehrliche Blicke – einzudringen in die Regungen der Seele. Gegen diese Gefahr hatte man – um es mit der Terminologie der Zeit, die dabei wiederum auf antike Vorbilder zurückgriff, zu sagen – eine arx mentis, eine Festung der Seele, in Form äußerlichen Gleichmutes aufzubauen, um den semiotischen Brückenschlag Körper/Seele zu unterbinden.27 Damit aber kam die andere Seite ins Spiel, der man sich ebenfalls sehr bewußt war  : Eine solche Unterbindung war ebenfalls geeignet zur Verstellung, zur Heuchelei, so daß eine innere Befindlichkeit nur vorgetäuscht werden konnte. Der Franziskaner David von Augsburg, der im 13. Jahrhundert mit seinem Werk De exterioris et interioris hominis compositione28 eine der verbreitetsten Lehrschriften des Spätmittelalters verfaßte, bezog hierzu mit einer anschaulichen Präzision Stellung, wie sie kaum anderswo im mittelalterlichen Schrifttum zu finden ist.29 Er sprach bezeichnenderweise von »Mänteln« der Tugend (te­ gumenta virtutis) und meinte damit z. B. das äußere Erscheinungsbild in Form des Habits und der Tonsur. Gerade diese aber machten allein den Mönch nicht aus, denn auch Affen und Narren bedienten sich ihrer zum Spaß. Vielmehr seien sie nur Zeichen für das Innere.30 »So daß die Menschen«  – so fuhr er fort –, »die davon ausgingen, daß sie das finden, was angekündigt sei, getäuscht werden, wenn die Zeichen falsch sind.«31 Dies sei z. B. der Fall bei einem vorgeblichen Ordensmann, der äußerlich mit dem Habit etwas vortäuscht, was er in seinem Leben und seinen Sitten nicht besitzt.32 Ein weiteres Beispiel sei die 26 Von Moos, Occulta cordis, Teil 1, 136. Vgl. jetzt auch die überarbeitete, deutsche Fassung dieses auch für die hier aufgeworfene Fragestellung grundlegenden Aufsatzes  : ders., Herzensgeheimnisse. 27 Siehe dazu von Moos, Occulta cordis, Teil 1, 137. 28 David von Augsburg, De exterioris et interioris hominis compositione  ; neuerdings liegt auch eine brauchbare (wenngleich nicht vollständige) deutsche Übersetzung vor  : David von Augsburg, ed. Schlosser. 29 Siehe jetzt das grundlegende Werk von Bohl, Geistlicher Raum. 30 David von Augsburg, De exterioris et interioris hominis compositione, 218. Zu dem hiermit angesprochenen Leitspruch habitus non facit monachum vgl. von Moos, Le vêtement identificateur  ; Sonntag, Klosterleben, 94ff. und auch kürzlich mit innovativen Ansätzen Schreiner, Ordenskleid. 31 David von Augsburg, De exterioris et interioris hominis compositione, 218  : Unde si signa falsa fuerint, decipiuntur homines, putantes invenire significata. 32 Ebd.: […] ita de ficto Religioso, qui exterius in habitu praetendit quod non habet in moribus et in vita.

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Beachtung von Zeremonien und Gesten, welche Ordensleute beim Chorgebet und sonstwo vollziehen. Aber gerade auch hier gelte, daß oft die weniger Tugendhaften mehr Gewicht darauf legten als manche Vollkommenen.33 Als ein weiteres Beispiel nennt er geistliche Übungen wie Fasten, Nachtwachen oder den Gebrauch der Geißel. Aber auch diese Dinge seien noch nicht die Tugend selbst. Auch Heuchler könnten sie vollziehen.34 Derart skeptisch bzw. derart überzeugt von der menschlichen Verstellungskraft ordnete David dementsprechend das Spektrum der Ordensleute nach drei Kategorien  : Die erste Art Ordensleute sind diejenigen, die vor harten und schwierigen Mühen um die Heiligkeit zurückschrecken. […] Damit sie aber doch als rechte Ordensleute angesehen werden, pflegen diese Leute zuweilen sehr viel Nachdruck und Mühe auf äußere Übungen zu verwenden, auf Überlieferungen von Menschen, auf würdevolles Benehmen, das nach außen sichtbar ist, auf Verneigungen, an die Brust schlagen, auf weite Chormäntel und Ärmel und derartiges, was die äußere Erscheinungsform des religiösen Lebens ausmacht […]35 Die zweite Art […] das sind die, welche ein körperlich hartes Leben führen, ihren Leib mit Fasten, Nachtwachen und ähnlichen leiblichen Strapazen in Zucht nehmen. Sie glauben, in der Beobachtung des Ordenslebens sei dies das Höchste  ; doch sie kennen nicht die innere Süße und kümmern sich wenig um die wahren Mühen, nämlich um die Tugenden, die in Geist und Seele ihren Sitz haben.36

Nur eine Art sei vollkommen  : Das sind diejenigen  ; die ihren inneren Menschen, in dem Christus durch den Glauben wohnt, in Ordnung bringen wollen. Sie wollen sich in den wirklichen Tugenden üben und alle Laster des Fleisches und des Geistes austilgen […] und in ihr Herz die […] Tugenden einsenken  : Demut, Liebe, Sanftmut […], Freigebigkeit, […] und Keuschheit. Diese Tugenden nämlich sind das wahre Heiligtum (verum sanctua­ rium), und wer sie besitzt, ist heilig.37

33 Ebd.: […] de quibus saepe minus virtuosi maiorem vim faciunt quam aliqui perfecti et magis devoti. 34 Ebd.: […] quia ea hypocritae possunt habere. 35 Ebd., 79. 36 Ebd., 80. 37 Ebd., 81.

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David schließt diese Ausführungen mit dem Vergleich zu den Söhnen Kehats/ Caaths (Nm 4.4–15), welche die heiligen Gefäße verhüllt in die Stiftshütte getragen haben, denn so lange – hebt er hervor – wir noch nicht im Schauen Gottes wandeln, erkenne niemand den reinen Glanz der Tugenden und ein Beispiel der Tugend könne anderen nur durch äußere Übungen (exteriorum operum exercitia) gegeben werden. Niemand  – so faßte er dann zusammen  – sehe analog unsere innere Gesinnung (mens) außer an den Spuren unserer äußeren Taten und Verhaltensweisen (per vestigia exteriorum operum et morum).38 Gerade weil David in den einzelnen Teilen seiner Darlegungen so außerordentlich zu überzeugen verstand, zeigte seine Argumentation eine Aporie auf, welche die vorgebrachte These bestätigt, trotz des systematischen Auseinanderhaltens von Geltungsbehauptungen und Geltung ausschließlich Geltungsvermutungen zu haben. Richtig betonte auch David, daß im inneren Menschen vorhanden sein müsse, was nach außen gezeigt werde. Hier stimmte er damit überein, was z. B. so große Orden wie die Prämonstratenser und Dominikaner sich sogar in ihre Statuten geschrieben haben, nämlich daß einer in den Sitten äußerlich gewahrten Gleichförmigkeit eine Einheit, die innerlich in den Herzen zu erhalten sei, entsprechen müsse.39 Doch wie sollte man sich dessen sicher sein, wenn David andererseits überzeugend illustrierte, wie oft seine zitierten Spuren der äußeren Taten und Verhaltensweisen zu Heuchlern, Angebern oder formalistischen Befolgern von Normen, Riten und Zeremonien führten  ? Was nützten liturgische Praktiken, was ein kirchlicher Ritus, was ein Chorgebet, die alle identitätsstiftend für eine religiöse Gemeinschaft gewesen sein mögen, wenn nicht nachweisbar war, ob in der Seele der Beteiligten auch eine Begegnung mit Gott stattfinde, die eine spezifisch religiöse Identität verleiht  ? Das Mittelalter konnte sehr realistisch sein hinsichtlich der Kritik einer allzu naiven Wahrnehmung. Niemand sieht nach christlicher Auffassung dort hinein, wo die eigentliche religiöse Identität verankert ist  – in die »Geheimnisse des Herzens«, in die

38 Ebd., 81–83. – Auf diesen Aspekt stößt man fast topisch auch schon bei Charakterisierungen früherer Religiosen  ; siehe z. B. die hier bereits in Anm. 20 zitierte Bemerkung über die eremitischen Jünger des Stephan von Obazine. 39 […] ut qui sub una regula et unius professionis voto vivimus, uniformes in observanciis canonice religionis inveniamur, quatenus unitatem, que interius servanda est in cordibus, foveat et repren­ sentet uniformitas exterius servata in moribus  ; Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1. Die dominikanische Übernahme ediert bei De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 311.

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occulta cordis.40 Außer Gott selbst, der jeden Menschen »auf Herz und Nieren« prüfen kann, und außer dem betroffenen Individuum selbst, das sich in seinem Gewissen  – jener im 12. Jahrhundert wiederentdeckten Instanz der Eigenprüfung41 – selbst begegnet  : »Könne ich den Menschen mein Verhalten verschleiern, vor mir selbst vermöge ich dies nicht.« – »Verlasse Dich auf dein eigenes Urteil, nicht auf das eines Anderen, denn niemand kann mehr wissen, als was du weißt, der du dir bewußt bist«, hieß es im paränetischen Schrifttum lapidar.42 So lag das Problem einer Erfassung von religiöser Identität nicht an der mangelnden kognitiven Kapazität, wie bei den eingangs gebrachten Beispielen, sondern eben doch am speziellen Objekt der Wahrnehmung. »Der Glaube ist […] etwas«, – um mit Alois Hahn zu sprechen – »das sich in der Seele gnadenhaft ereignet, also jenseits aller Kommunizierbarkeit.«43 Wenn also Religiosität darin besteht, sich die Unverfügbarkeit Gottes in der eigenen Seele verfügbar zu machen, so kann man dies wiederum anderen grundsätzlich nicht verfügbar und damit auch nicht wahrnehmbar machen. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Sachverhaltes sind enorm. Prinzipiell hatte jegliche Gemeinschaft zur eigenen Stabilisation ein besonderes Interesse an den inneren Vorgängen ihrer Mitglieder  – insbesondere dann, wenn man sich, wie in unserem Falle, in mehr oder weniger absoluter Stringenz auf die Zuverlässigkeit ihrer Mitglieder verlassen können mußte.44 Eine Gemeinschaft hatte also versuchen müssen, zur Unverfügbarkeit der individuellen Seele zumindest investigatorisch vorzudringen. Dazu wurde vielfach ein beträchtlicher Aufwand betrieben, den ich hier nur noch andeuten kann. Die eine Methode war, ein Selbstbekenntnis des Mitglieds zu verlangen, und zwar entweder im Geheimen der Beichte (spätestens seit dem IV. Laterankonzil für alle Christen vorgeschrieben)45 oder in der Öffentlichkeit des sogenannten 40 Vgl. von Moos, Herzensgeheimnisse. 41 Vgl. Chenu, L’éveil. 42 So im anonymen Traktat aus dem 12. Jahrhundert De interiori domo, 523 u. 533f.: Et si hominibus celo quod egi, mihi tamen, qui novi malum quod gessi, celare nequeo – Discerne te tuo judicio, non alieno. Nemo enim magis scire potest quis scis, sicut tu, qui conscius es tibi. Vgl. Melville, Rebell. 43 Hahn, Glaube und Schrift, 260. 44 Die Furcht vor Abweichlern und entsprechende investigative Gegenmaßnahmen ziehen sich bekanntlich durch die gesamte Kirchengeschichte des Mittelalters  ; vgl. den jüngeren Überblick von Schwerhoff, Inquisition. 45 Vgl. dazu Hahn, Soziologie, darin insbesondere die historische Analyse  : »Institutionalisierung der Pflichtbeichte«, 201–209.

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Schuldkapitels religiöser Konvente.46 Das Problem aber blieb. Beide Formen des Selbstbekenntnisses waren verbunden mit Bußleistungen und mit Reue. Bußleistungen waren sichtbar, das Vorliegen von tatsächlicher Reue aber blieb nach wie vor verborgen.47 Die andere Methode des Vordringens in die occulta cordis war, Angst zu erzeugen – Angst vor der Höllenstrafe im Jenseits48 oder vor der gewaltsamen Öffnung der Seele im Diesseits. Denn über den Körper suchte man – ähnlich wie es der Teufel passiv tat – aktiv den Eingang in die Seele. Man wandte im Rahmen von Inquisitionsverfahren die Folter an.49 Doch auch hier bestanden fundamentale Grenzen. Der Körper war nicht unbedingt ehrlich, sondern – wie Alois Hahn es auf den Punkt brachte – vor allem gehorsam, gehorsam gegenüber dem Folterer.50 Gleichwohl war diesem geschlossenen System, das der Mensch an einem anderen Menschen nicht öffnen konnte, eine Möglichkeit eingelegt, die es doch dergestalt aufschließen ließ, daß aus einer Geltungsvermutung de facto eine – zumindest durch gesellschaftliche Übereinkunft – gesichert wahrzunehmende Geltung wurde. Sie lag dann vor, wenn es keines Symbols bedurfte, das auf Geltung einer religiösen Identität verwies, sondern wenn ein Individuum selbst als das Symbol seiner religiösen Identität angesehen wurde. Die Inhalte der eigenen Identität zu symbolisieren aber bedeutete, auf sich selbst zu transzendieren  – was wiederum nur möglich war, wenn eben das Transzendente immanent geworden ist. Konkret gesagt  : Es waren nach Auffassung des Mittelalters gewöhnlich die Heroen des Glaubens – die vollkommenen und damit als Heilige betrachteten Menschen –, welche Beweise ihrer religiösen Identität gaben und damit die Wahrnehmung von Geltung sicherten.51 Es waren die Märtyrer, die ihr Leben herschenkten und damit Zeugnis ablegten für den Gott in ihrem Herzen,52 und es waren die vollkommenen Asketen, die ihren Körper abtöteten, um das Leben ihrer Seele mit Gott zu ermöglichen.53 Auf 46 Vgl. Sonntag, Klosterleben, 390ff. 47 Zu diesem Spannungsfeld siehe schon Schultes, Reue. 48 Siehe dazu die grundlegende Untersuchung von Delumeau, Le péché. 49 Vgl. Scharff, Seelenrettung  ; siehe auch von Moos, Herzensgeheimnisse, 11ff. (Kapitel  : »Heilsame und tödliche Geständnisse [Beichte und Inquisition]«). 50 Hahn, Kann der Körper ehrlich sein  ?, 365. Siehe dazu in großer Anschaulichkeit Fried, Wille. 51 Dazu Angenendt, Heilige. Insbesondere zur Heiligsprechung siehe André Vauchez, La sainteté. Vgl. auch oben bei Anm. 37 zu Davids von Augsburg Definition von Heiligkeit. 52 Vgl. von Campenhausen, Idee. 53 Vgl. Angenendt, Religiosität (32005), 160–166 (Kapitel »Der Gottesmensch«), 560–577 (Kapitel »Die Askese«).

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sie verwiesen keine Symbole, sie waren selbst Symbole des Religiösen. Denn es lag gemäß allgemeiner Überzeugung spezifisch in ihrem Wesen, daß Gott in Form von Wundern, Visionen und persönlichen Offenbarungen sich selbst durch diese Menschen, die in letzter Konsequenz getrieben waren von der »Liebessehnsucht nach dem Mysterium des Göttlichen«,54 zeigte und damit ihre religiöse Identität offenlegte. Es liegt in der Natur der Sache, daß es sich dabei im Ganzen um eine geringe Zahl Betroffener handelte und daß somit auch die so signifikant von Religiosität bestimmte mittelalterliche Kultur nur bei wenigen ihrer Individuen ein sicheres Wissen über deren tatsächliche religiöse Identität hatte festmachen lassen.

54 Röckelein, Mystik, 349.

In privatis locis proprio jure vivere Zu Diskursen des frühen 12. Jahrhunderts um religiöse Eigenbestimmung oder institutionelle Einbindung

Mit einem bewegten Brief wandte sich Ivo von Chartres (1040–1116) an die Mönche des Klosters Coulombs, die  – offensichtlich von charismatisch wirkenden Personen angestoßen – im Begriffe waren, ihr Kloster zu verlassen, um sich künftig dem eremitischen Leben hinzugeben.1 Sie hatten vorgebracht, nicht länger ertragen zu können, daß Äbte zur Bereicherung der Klöster ungerechtfertigterweise den Zehnten nahmen, der nicht ihnen als Vertreter des mönchischen Lebens, sondern den Bischöfen zustand.2 Ivo stellte ihnen daraufhin die Frage, ob sie nicht besser doch im Zönobitentum unter dem Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten verweilen und von jenen Abgaben der Gläubigen leben wollten, welche nach kirchlichem Recht nicht nur den Klöstern, sondern auch den Xenodochien, den Kranken und Pilgern zukämen, oder ob sie sozusagen Sarabaiten werden wollten, um in pri­ vatis locis proprio jure zu leben und sich den Lebensunterhalt von den Armen zu rauben oder ihn aus Zinsen der Händler zu gewinnen.3 Der implizite Vorwurf war äußerst hart, denn nach der im Mittelalter gängigen Definition gemäß der Benediktsregel (1.6–9) waren Sarabaiten bekanntlich das monachorum teterrimum genus, das weder nach einer regula noch gemäß experientia magistra lebte, das Gott per tonsuram belog und das für Gesetz hielt, wonach seine desideriorum voluptas stand. Zwar bemühte sich Ivo zugleich, nicht den Anschein zu erwecken, er sei generell gegen die Anachoreten, welche in coenobiis regularibus instructi disciplinis, ordinabiliter ad eremum se­ cedunt und welche dulcedine contemplativae vitae mentem reficiant  ;4 hier jedoch, 1 Ivo von Chartres, ep. 192, Zitat 200. Siehe zu diesem Kloster Cottineau, Répertoire, 893f.; Charles, Les biens de l’abbaye de Coulombs dans le Mantois, 24–32. 2 Zu diesem Phänomen, das sich in jener Zeit verbreitet als Problem stellte, siehe in Ausführlichkeit Constable, Monastic Possession, 317–331. 3 Ivo von Chartres, ep. 192, Zitat 200. 4 Ebd., 201. Auch hier nimmt er stillschweigend Bezug auf die Benediktsregel (1, 3–5), welche die vorausgegangene monasterii probatio diuturna und die fraterna acies als Schulung ad singularem pugnam des Eremiten betont hatte. – In einem anderen Brief (Ep. 269, ed. ebd., 273) billigt Ivo dann auch ausdrücklich den Rückzug eines Mönches aus der

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so insistierte er, handele es sich gar nicht um einen solchen Lebensstil – weder um eremitae, noch um coenobitae –, sondern um Menschen, die die vielgliedrige universitas der Kirche als corpus Christi negierten, indem sie vorgaben, die Ecclesia Dei bestehe nur in den wenigen solitarii. Sie gingen umher, Meister zu werden, die sie nie Schüler gewesen sind,5 und setzten alle herab, die nicht lebten wie sie. Dabei machten die Geheimnisse der Wälder oder die Gipfel der Berge doch keineswegs einen seeligen Menschen (beatum hominem) – hieß es weiter –, wenn nicht gleichzeitig eine innere solitudo mentis entstehe und wenn Gott nicht die Fährnis der Versuchungen fernhalte. Man solle also vorsichtig sein gegenüber Verlockungen, das Kloster zu verlassen, denn oft verbergen sich hinter vermuteten Antrieben des Heiligen Geistes vom Satan inszenierte illu­ siones. – Nolite credere omni spiritui, sed probate spiritus si ex Deo sunt, schließt Ivo emphatisch mit einem Johanneswort (i Io 4.1).6 Dieser Brief, der hier unter Übergehung seiner ausgefeilten Rhetorik nur verkürzt wiedergegeben werden konnte, ist von der Forschung schon mehrfach hervorgehoben worden.7 Zu Recht erschien er bemerkenswert wegen seiner sehr grundsätzlichen Invektiven gegenüber den neuen Strömungen in der vita religiosa jener Zeit  : Anders als die herkömmlichen und in der Benediktsregel (1.3–5) beschriebenen Eremiten, die sich als eine spirituell gesteigerte Ausfaltung des klösterlichen, an die Regel gebundenen Lebens verstehen ließen, suchten nun ab dem 11. Jahrhundert die »neuen Eremiten« einen Weg der vita communis in Zurückgezogenheit, der unabhängig von den monastischen Traditionen und Regeln einzuschlagen war. Henriette Leyser bringt den Charakter dieser religiösen Lebensform folgendermaßen auf den Punkt  : […] unlike traditional hermits the new hermits both expected and welcomed companions  ; solitude did not mean for them to be without the company of fellow Gemeinschaft in die vita eremitica, weil sie post longam coenobiticae conversationis experi­ entiam erfolgt sei. 5 Ambiunt fieri magistri qui nunquam fuerunt discipuli  ; Ivo von Chartres, ep. 192, Zitat 200. 6 Bezeichnenderweise äußerte sich z. B. auch Robert von Arbrissel sehr ähnlich gegenüber einer Verheirateten, die sich unter Auflösung ihrer Ehe seiner religio anschließen wollte  ; de Petigny, Lettre inédite de Robert d’Arbrissel, 225f. Zur weiteren Verbreitung derartiger Feststellungen siehe neuerdings Constable, Problematic Passage. 7 Siehe – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – von Walter, Wanderprediger, hier Teil 2, 162– 164  ; Leclercq, Poème, 68, 72 u. 86  ; Sprandel, Ivo von Chartres, 147  ; Violante, Discorso di apertura, 21f.; Becquet, L’érémitisme, 186, 199  ; Little, Religious poverty, 82f.; Leyser, Hermits, 79  ; van Moolenbroek, Vital, 216ff.; Constable, Reformation, 21, 63, 101, 136f., 225.

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religious but to be apart from secular society, from ›the bustle of everyday existence‹, not to be involved in litigation, in buying and selling […]8

Hinzu kam, daß bekanntlich neben den seßhaft zurückgezogenen Eremitengemeinschaften – wie z. B. denen von Stephan von Muret oder von Stephan von Obazine9 – es eben auch jene vagierenden und so unstet wirkenden Prediger gab, die aber gleichfalls gemeinschaftsstiftend wirkten – wie z. B. Robert von Arbrissel, Vitalis von Savigny, Bernhard von Tiron, Norbert von Xanten und weitere.10 Ein anderer Brief Ivos von Chartres zeigt – obgleich er weniger polemisch ist  – vielleicht noch deutlicher, wie sehr beobachtende Vertreter der Amtskirche nicht nur einen besonderen Sinn in einem solchen Eremitentum vermißten, sondern diesem vorderhand auch einen gegenüber der traditionellen vita monastica geringeren spirituellen Wert beimaßen. Es handelt sich um ein Schreiben11 an einen gewissen Rainaldus, der einst in der Ecclesia beati Joannis Baptistae seine Profeß communiter vivendi societatem abgelegt hatte und der jetzt im Begriffe war, sich dem neuen Eremitentum zuzuwenden. Ivo hielt ihm vor, in secretis locis sei sein Leben spectabilis magis quam utilis, und er verzichte auf eines seiner bisherigen Standbeine  : auf die brüderliche Liebe in der vita communis. Erneut hob Ivo dabei hervor, daß er das anachoretische Leben nicht grundsätzlich verdamme, aber er hielte das gemeinsame im Kloster für höherrangig, weil es nicht nur auf Eigenbesitz verzichten lasse, sondern auch auf die propria voluntas.12 Die vita solitaria hingegen sei voluntaria und voller importu­ nae cogitationes, quae tanquam muscae minutissimae de limo surgentes volant in oculis cordis et interrumpunt sabbatum mentis. Rainaldus antwortete Ivo mittels zweier Schriften. Bei der ersten widersprach er vor allem der Behauptung, daß die vita solitaria, weil voluntaria, geringer sei als das Zönobitentum, denn Gott erfreue sich mehr an der spontanea  8 Leyser, Hermits, 19. Siehe auch die jüngste, das Gesamtphänomen vergleichend umgreifende Publikation zum Eremitentum  : Vauchez (Hg.), Ermites.   9 Siehe dazu noch unten. 10 Im Überblick siehe von Walter, Wanderprediger  ; Grundmann, Religiöse Bewegungen, 38–50. Zu den einzeln Genannten siehe (in Auswahl) Dalarun, Robert d’Arbrissel  ; ders., Robert d’Arbrissel et la vie religieuse  ; Beck, Saint Bernard de Tiron  ; van Moolenbroek, Vital  ; Elm (Hg.), Norbert von Xanten. 11 Ivo von Chartres, ep. 256  ; 260–261. 12 Zweifellos wird hier dem Gehorsamsgebot unter den spezifisch zönobitischen Normen die vorrangige Position eingeräumt  ; vgl. Melville, Rebell, 168ff.

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servitus als an einer coacta.13 Jesus Christus ging zudem allein auf den Berg, um zu beten, und so gelte es für jeden, der perfekt sein wolle, dem nackten Christus nackt nachzufolgen.14 Das zweite, wesentlich ausführlichere Schreiben – versehen mit dem Titel De vita monachorum – stellt im ersten Teil eine heftige Anklage gegen die besitzgierigen, korrumpierten Insassen der Klöster dar  : Sie mögen zwar den claustrales observantiae Genüge leisten, die praecepta des Herrn aber verachteten sie. So sollten sie sich hüten, mit pharisäischem Dünkel und mit Glorifizierung der einzigartigen Heiligkeit ihrer religio über die canonici, heremitae und reclusi zu urteilen und sie der Torheit zu zeihen, weil sie nicht bereit seien, se legibus observantiarum talium implicare. Nach weiteren herben Anprangerungen der miserablen Verhältnisse im zeitgenössischen Zönobitentum – vor allem bezogen auf Gefräßigkeit und Liederlichkeit – kam Rainaldus schließlich auf die Gefährdung des Seelenheils zu sprechen, die ein Umgang mit solchermaßen Gescholtenen bewirken könne, und zitierte dazu wörtlich bemerkenswerte Freiheiten eröffnende Äußerungen aus einem angeblichen Brief Lanfrancs von Bec  :15 Es hieß, Lanfranc habe geschrieben, selbst wenn er geschworen hätte, nie das Kloster zu verlassen, würde er weggehen, falls er sehe, daß er dort seine Seele nicht retten könne16 – und er wäre deswegen nicht des Eidbruches anzuklagen  : »Wer Gott um Gottes willen verbunden ist«, liest man wörtlich, wird nicht gelöst von Ihm – es sei denn gegen Ihn. Keineswegs wird nun aber gegen Ihn derjenige von Ihm gelöst, der aus Liebe zu Ihm, und um Ihm trefflich wohlgefällig zu sein, von den Söhnen der Zwietracht, des Stolzes, des Mißtrauens, besser gesagt den Söhnen des Teufels, zu den Söhnen des Friedens, der Demut, Hoffnung, ja zu den Söhnen Gottes hinübergeht.17 13 Dieses Antwortschreiben ed. bei Morin, Rainaud, 101–104, die Zitate 102. 14 Zu diesem (nicht nur hier verwendeten) Leitspruch vgl. Constable, Nudus Nudum Christum Sequi. 15 Morin, Rainaud, 109f. Die Vorlage, der Brief Lanfrancs an Rodulphus, Abt von S. Vito in Verdun, ist abgedruckt bei Migne PL 150, 549f. und wird in Clover / Gibson, Letters, 184f. wohl mit Recht zu den Spuria gezählt  ; zur von Rainaldus auch unabhängigen Verbreitung siehe ebd., 185. 16 Si ego Lanfrancus manu propria me de monasterio non recessurum iurassem, viderem autem quod ibi animam salvare non possem, nec periurii reus essem  ; Morin, Rainaud, 109f. 17 Qui enim Deo propter Deum alligatur, non solvitur ab ipso, nisi contra eum solvatur. Porro contra ipsum ab ipso minime solvitur, qui propter amorem eius, et ut ei bene placeat, a filiis discordiae, superbiae, diffidentiae, et ut apertius loquar, a filiis diaboli migrat ad filios pacis, humilitatis, spei, immo ‹ad› filios Dei […]  ; Morin, Rainaud, 110. Siehe dazu noch hier unten.

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Zudem verhielte es sich nicht so, daß dabei jemand von einer Kirche zu einer anderen überwechsle, denn es gäbe nur eine ecclesia, die über den ganzen Erdkreis ausgebreitet sei und in der man überall ein und demselben Gott diene. Auch diese Äußerungen sind von der Forschung bereits mehrfach aufgegriffen worden.18 Sie und eine große Zahl weiterer vergleichbarer Texte jener Zeit führten zur verbreiteten Meinung, man könne angesichts der Eindrücklichkeit, mit der sich die neue eremitische Bewegung in ihrer Kritik an dem damaligen Zustand der herkömmlichen vita monastica Gehör zu schaffen suchte, von einer ›Krise‹ des Zönobitentums bzw. des Mönchtums sprechen.19 Neuere Darstellungen sind davon wieder abgewichen, indem sie entweder stärker den Begriff reformatio als adäquatere Kennzeichnung in den Vordergrund stellten oder die Verallgemeinerung der einst vorgebrachten Anklagepunkte gegen das Mönchtum als historisch falsch oder zumindest überzogen erwiesen.20 Dies geschah wohl zu Recht, und man könnte sich somit im Grunde auf die Feststellung einigen, die schon jener Gelehrte traf, der die Debatte ausgelöst hatte  : Es habe sich eben bei jener Phase gegenseitiger Invektiven nur um »un épisode d’assez courte durée« gehandelt21 – womit die Problemstellung sich scheinbar erledigt haben dürfte. Nichtsdestoweniger führen gerade jene Texte ziemlich drastisch die damaligen, sehr grundsätzlichen Verwerfungen vor Augen, welche dann in der Tat 18 Siehe u. a. von Walter, Wanderprediger, Teil 1, 56  ; Morin, Rainaud  ; Leclercq, Poème, 74f.; Delaruelle, Les ermites, 229f.; Leyser, Hermits, 25f. u. 79  ; Constable, Reformation, 137 u. 268. – Ins Feld geführt wird zudem eine Quelle, die indes einen etwas zwiespältigen Eindruck hinterläßt  – das »Poème de Payen Bolotin contre les faux ermites«, ed. von Leclercq, Poème, 77–84. Es polemisiert unter Verwendung u. a. des Briefes Ivos an die Mönche von Coulombs heftig gegen die neue Form des (insbesondere auf Wanderpredigt befindlichen) Eremitentums, vermerkt jedoch auch, daß aus ihm zumindest ein Bischof herausgewachsen ist. Ordericus Vitalis kannte dieses Werk und erwähnte es unter sehr luzider Differenzierung der Sachlage  : Voluntaria paupertas, mundique contemptus ut opinor in plerisque feruet ac uera religio, sed plures eis hypocritae seductoriique simulatores permiscentur, ut lolium tritico. Paganus Carnotensis canonicus cognomento Bolotinus pulchrum carmen adonico metro nuper edidit, in quo palliatas horum hipocrisi superstitiones subtiliter et copiose propalavit  ; Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, 312. 19 Begonnen wurde damit von Morin, Rainaud  ; vgl. nachfolgend dann u. a. Dereine, Odon de Tournai, 137–154  ; Leclercq, La crise  ; Cantor, Crisis  ; Cantarella, Pietro  ; Resnick, Odo of Tournai and Peter Damian. 20 Siehe vor allem Van Engen, »Crisis of Cenobitism«, sowie Constable, Reformation, 1f. und neuerdings in exzellenter Zusammenfassung der Forschung Sereno, La »crisi del cenobitismo«. 21 Morin, Rainaud, 112.

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auch die bislang weitestreichenden Umbildungen im organisatorischen Spektrum des Religiosentums zur Folge hatten.22 Meines Erachtens greift es aber zu kurz, wenn man – allzu institutionalistisch denkend – nur davon ausgeht, es habe sich zum einen vor allem um Kritik am bestehenden Mönchtum und zum anderen um rechtfertigende Selbstdarstellungen einzelner neuer Lebensordnungen in einer sich immer stärker auffächernden vita religiosa23 gehandelt. Es ging um etwas viel Grundlegenderes  – nämlich letztendlich, wie ich nun folgend kurz zeigen möchte, um ein (zumindest im Okzident) neuartiges Verständnis von christlicher Gemeinschaft und individueller perfectio. Belege hierfür sind Formulierungen in den zitierten Texten wie in privatis locis proprio jure vivere, vita voluntaria, spontanea servitus, die auf Potentiale der Eigenbestimmung hinweisen  ; Belege sind zum weiteren jene Bemerkungen, daß die herkömmlichen Mönche zwar die Vorschriften ihrer Gemeinschaft, aber nicht die Gottes befolgen, während sich die neuen Religiosen nicht solchen Observanzgesetzen unterordnen wollen, sind ferner jene Feststellungen, daß der Bruch von Gott gegenüber geleisteten Versprechen kein Frevel sei, wenn es um das persönliche Seelenheil eines Einzelnen ginge  ; Beleg ist auch die offensichtliche Berufung auf den erleuchtenden Heiligen Geist und ist schließlich zudem der geäußerte Anspruch auf eine einheitliche Kirche der Verehrung Gottes. Hier war offensichtlich von Vergemeinschaftungen die Rede, die von einem spirituell begründeten, sehr freiheitlichen Eigenrecht seelischer Perfektionierung ausgingen, das im Kontrast stand zur in der Amtsstruktur der Kirche institutionalisierten Normativität.24 22 Vgl. dazu Melville, Diversa sunt monasteria. 23 Zu deren Vermittlung dann bekanntlich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entsprechend ordnende und kategorisierende Schriften verfaßt wurden  ; siehe z. B. den Libellus de diversis ordinibus et professionibus qui sunt in aecclesia, ed. Constable / Smith oder die Beobachtungen des Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, 310–336 bzw. die einschlägigen Passagen in den Dialogi des Anselm von Havelberg, 1141f. 24 Vgl. zu dieser Dichotomie die pointierte Analyse von von Moos, Krise, vor allem 303–310. Constable, Re­formation, 26, führt in diesem Zusammenhang zum einschlägigen Schrifttum aus  : »These differences gave rise to the disputes that fill contemporary polemical writings and that often shed more light on the views of their authors than on the substance of the controversy. […] The significance of the controversy as a whole should not be judged, as it is in many modern works, primarily on the basis of the polemical literature.« Es soll hier in dem gezwungenermaßen knapp gehaltenen Beitrag gleichwohl darum gehen, anhand einiger jener Schriften der »substance of the controversy« etwas näher zu kommen.

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Die Vorwürfe seitens Ivos als eines Vertreters der Amtskirche25 lauteten, wie man las, dementsprechend auf Regellosigkeit, auf Willkür und Beliebigkeit der Normen sowie auf den Dünkel, Meister zu sein, ohne eine Schulung in bewährten Ordnungen durchgemacht zu haben. Um eine andere, ebenfalls sehr signifikante Einschätzung zu erwähnen  : Obgleich Ordericus Vitalis dem Eremiten Vitalis von Savigny grundsätzlich eine hohe Verehrung entgegenbrachte, charakterisierte er dessen normsetzende Leistungen mit den Worten  : Ritus Cluniacensium uel aliorum qui monachilibus obseruantiis iamdudum mancipati fuerant imitatus non est  ; sed modernas institutiones neophitorum prout sibi placuit amplexatus est.26 Die Verwendung des Begriffes »modern« und natürlich auch die Formulierung »wie es ihm gefiel« sowie die Erwähnung einer Ablehnung etablierter Ordnungssysteme waren hier durchaus kritisch im eben angesprochenen Sinne gemeint.27 Und z. B. Elisabeth von Schönau wird noch einige Jahrzehnte später anklagend davon sprechen, daß es Leute gäbe, die die Einsamkeit vor allem wegen der Freiheit ihres eigenen Willens schätzten.28 Zwar ist im Bereich des etablierten Systems der Kirche eine derart kritische, ja ablehnende Haltung nicht einhellig festzustellen,29 doch dürfte diese, strukturell gesehen, allerorts verbreitet gewesen sein, da sich bemerkenswerterweise die Abwehrstrategien auch solcher neuer Gemeinschaften, die sich in ganz verschiedenen Regionen unabhängig voneinander gebildet hatten, gerade gegen die eben genannten Angriffe richteten30 – wie dies nun anhand von zwei exemplarischen Fällen kurz illustriert werden soll  : 25 Die institutionellen, insbesondere juristischen Grundvorstellungen Ivos werden namentlich anhand des Prologes zu seiner kirchenrechtlichen Sammlung deutlich  ; jetzt in kritischer Edition bei Brasington, Ways of Mercy. Seine prinzipielle Reformaufgeschlossenheit kommt vor allem durch seine Bemühungen zum Ausdruck, den Klerus zu regulieren  ; vgl. Sprandel, Ivo von Chartres, 138–148. 26 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, 332. 27 Zur Haltung des Ordericus gegenüber der neuen eremitischen Bewegung siehe van Moolenbroek, Vital, 30–38, zur eben zitierten Stelle siehe ebd., 37. Zur insbesondere im monastischen Bereich pejorativen Verwendung von modernus vgl. Spörl, Das Alte und das Neue. 28 Liber viarum Dei, ed. Roth, 119. 29 Immerhin haben Päpste oder Bischöfe manchen der eremitischen Wanderprediger die Erlaubnis zur Bußpredigt erteilt  ; siehe z. B. zu Norbert von Xanten Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 674 u. 678  ; zu Bernhard von Tiron siehe Gaufridus Grossus, Vita Bernardi, 1403. Vgl. Grundmann, Religiöse Bewegungen, 510. Ansonsten sollte man aber noch genauer betrachten, inwiefern eine gewogenere Haltung der Kirchenfürsten sich erst auf die Phase bezog, als aus den Anführern einer Bewegung bereits Gründer von wohl geregelten Klöstern oder Orden geworden sind. 30 Grundmann spricht von immer wieder gebrauchten »Schlagworten« und »Leitmotiven«  ; ebd., 504.

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In der Vita des Stephan von Obazine (ca. 1085–1156), des charismatischen Führers einer religösen Gemeinschaft im Limousin, die zunächst auf die neue Weise eremitisch lebte, wird berichtet, daß viele Leute sich für die Lebensweise Stephans und seiner Gruppe interessierten, sie aber Probleme der Wahrnehmung hatten  :31 Es ist nicht leicht, den Lebensstil dieser Menschen in Erfahrung zu bringen, denn groß ist das Schweigen, das sie verhüllt […]. Aber wenn auch ihre Münder verschlossen sind, so sprechen doch ihre Werke und legen offenkundiges Zeugnis von einer durch Gott inspirierten Religiosität ab.

Um weiteren Mißverständnissen vorzubeugen, berichtet dann der Autor der Vita sehr insinuativ von der Führungskraft Stephans, die durchaus auch von Außenstehenden zu erkennen sei  : Und es gibt einen unter ihnen, der ihnen allen vorsteht  ; von dessen Lehre unterwiesen und von dessen Beispiel geformt, erstrahlen sie. Sein Wort ist wie brennendes Feuer, welches die Seelen der Zuhörenden entzündet und mit derart viel Liebe berauscht, daß […] die Beschaffenheit ihres Lebens und ihrer Sitten verändert wird. Und seine äußere Erscheinung, wie auch sein Auftreten und alles, was er tut, sind gleichsam eine Predigt und zeigen nichts anderes an als Lebensordnung und Zucht der Sitten und Handlungen.

Weiter hieß es  : Und weil man kein gesatztes Recht irgendeiner Ordnung angenommen hatte, galten die Anweisungen des Meisters anstelle eines Gesetzes  – Anweisungen, die nichts anderes als Demut, Gehorsam, Armut, Zucht und vor allem fortdauernde Liebe lehrten. […] Ein solcherart ›Gesetz‹ wurde damals in Kraft gesetzt – und um pharisäische Traditionen kümmerte man sich nicht.32

Als Garanten also einer sogar äußerst strengen Ordnung suchte man die charismatische Führungsgestalt vorzuführen – Erat hic vir strenuus in disciplina et

31 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, die beiden folgenden Zitate 58  ; vgl. dazu Melville, Stephan von Obazine. 32 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 70.

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in corrigendis delinquetium culpis multum severus, hieß es an anderer ­Stelle33 –, wenngleich diese Ordnung ausdrücklich nicht identisch sein sollte mit der buchstabengebundenen Gesetzestreue (so ist die Formulierung pharisaïce tra­ ditiones zu verstehen34) einer herkömmlichen vita regularis. Als später Stephan von Obazine sich daran machte, seine Gemeinschaft um des Überdauerns willen doch in eine regelorientierte vita monastica zu überführen,35 und es beträchtliche Schwierigkeiten bereitete, seine Eremiten an die neuen Normen zu gewöhnen, eröffnete sich eine frappierende Dialektik von Innerlichkeit und Äußerlichkeit religiöser Verhaltensnormen  : Mittlerweile wurden die aus Eremiten zu Mönchen gemachten Brüder von Obazine täglich in den neuen Gesetzen und Einrichtungen unterwiesen und obgleich sie in der himmlischen Miliz Veteranen waren, so zeigten sie sich doch bislang ungebildet im monastischen Streben  ; sie stellten unerfahrene Mönche dar, die bereits in der Frömmigkeit perfekt waren.36

Alles in diesen Äußerungen war darauf angelegt, die Jüngerschar Stephans von Obazine als eine durchaus nach eindeutigen und tief verinnerlichten Leitideen agierende Gemeinschaft zu präsentieren, die zudem keineswegs eines wirklichen Lehrmeisters entbehrte, die zugleich die soziale Tugend brüderlicher Liebe pflegte und die es somit in der Ganzheit ihres Lebenswandels zur höchsten religiösen perfectio gebracht hatte – obgleich dabei zunächst keine der herkömmlichen Ordnungen des klösterlichen Lebens übernommen worden war. Es waren apologetische Worte und sie zielten exakt gegen jene Unterstellungen der asozialen Willkür, wie sie hier oben skizziert wurden. Doch mehr noch zielten sie vice versa auf eine Rechtfertigung des eigenen Weges durch Darstellung eines religiösen Erfolges, der in den Augen einer kritischen Umwelt eigentlich nur durch Adaption eben jener herkömmlichen Ordnungen hätte erzielt werden können. 33 Ebd., 68. 34 Vgl. Constable, Reformation, 33 u. 145. 35 Die pragmatischen Gründe hierfür sind sehr präzis durch folgende Worte zum Ausdruck gebracht worden  : ›Quia vero breves dies hominis sunt‹ et tamdiu humana magisteria vigent quan­ diu preceptor vixerit aut presens fuerit, placuit ut alicujus ordinis eorum qui in ecclesia auctorisati sunt professionem assumerent, ut, deficientibus magistris, scripte legis auctoritas eis indeficiens per­ maneret  ; Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96. 36 Ebd., 106  : Interea fratres Obazine monachi ex eremitis effecti, novis legibus novisque institutio­ nibus quotidie informabantur et quamquam essent in celesti militia veterani, monasticis tamen studiis adhuc videbantur indocti erantque rudes monachi qui iam fuerant in religione perfecti.

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Stephan von Muret (1044/45–1124) – auch er Begründer einer Eremitengemeinschaft im Limousin – sah sich und seine Gemeinschaft offensichtlich ebenfalls skeptischen Beobachtern ausgesetzt, denn er belehrte seine Schüler ausdrücklich darüber  – wie es hieß37 –, qualiter de uita sua inquirentibus re­ sponderent. Sie sollten sich nicht wundern, wenn Leute ihrem Leben und ihren Sitten widersprächen, führte er aus, oder wenn einige vorgäben, keine Regel bei ihnen erkennen zu können, da sie weder den Habit nach der Augustinusregel, noch den gemäß der Benediktsregel trügen, oder wenn einige gar sagten  : Novitas est hoc quod a uobis tenetur, nec est ordo nec regula doctorum sanctae ecclesiae. Seine Jünger sollten diese Vorwürfe zurückweisen, denn die Kritiker verstünden im Grunde gar nicht, was regula und ordo eigentlich bedeuteten, betonte er und lieferte für eine solche Zurückweisung von Vorhaltungen sofort einen ausgefeilten Katalog von Rechtfertigungen, den er seinen Anhängern gleichsam in den Mund legte – beginnend mit  : Numquid pastor noster propter hoc excedit ordinem uel regulam quia, permanendo in claustro suo, curam gerit cum adiutorio diuinae gratiae, animarum discipulorum suo­ rum a Deo sibi commissarum  ? Eicit nos ideo pastor noster ab ordine uel regula quia conseruat inter nos unitatem omnium rerum cum Dei adiutorio, nulli permittens habere proprium, nisi tantum amandi ac ceteris seruiendi  ?

Neun weitere Fragen dieser Art schlossen sich an  – darunter solche, die das Verbot von Pfarrpfründen und Zehnten, die Zurückweisung von Frauen, die Abkehr von Handelsgeschäften oder die Ablehnung von Tierhaltung betrafen – und stets war daran die insistierende Frage geknüpft, wieso man damit einem Leben unter ordo vel regula angeblich widerspräche. Allerdings solle niemand glauben – schließt er –, daß diese seine Lehren an sich schon eine Auszeichnung bedeuteten – nur Gott allein wisse, wie es mit einem bestellt sei (Deus enim solummodo nouit quales nos sumus), und in Wahrheit gäbe es eben keine anderen Normen zu befolgen als allein die diuina praecepta. Letzterer Gedanken schloß an die entscheidende Grundaussage seiner religiösen Bindung an  : Non est alia regula nisi euangelium Christi.38 Und auch 37 Zu den folgenden Zitaten siehe Liber de doctrina, 60–62. Dieses Werk wurde nach dem Tode Stephans auf Veranlassung seines Schülers Hugo de Lacerta († 1158) abgefaßt  ; es stellte eine Sammlung authentischer bzw. für authentisch gehaltener Lehrsätze Stephans dar. Vgl. zu Stephans Eigenweg vor allem Melville, Regula regularum  ; siehe auch Becquet, Études grandmontaines  ; Andenna, Dall’esempio. 38 Liber de doctrina, 5 (dort auch das nochfolgende Zitat).

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diesen Satz hatte Stephan vorsorglich sogleich mit Argumenten verknüpft, die womöglichen kritischen Nachfragen entgegengestellt werden konnten  : Sollten die Brüder gefragt werden, welchem ordo uel regula sie angehörten, so könnten sie antworten, wieso überhaupt nach einer bestimmten Regel gefragt werde, da es doch nur eine einzige gäbe. Der Herr Jesus Christus nämlich sei der einzige Weg, der zum Himmelreich führe. Wenn etwa die Regel des Benedikt als eine solche bezeichnet werde, dann überhaupt nur, weil sie von ›der‹ Regel, dem Evangelium, abgeleitet sei. Es gäbe überhaupt unzählige Regeln, würden sie von den Menschen gemacht – und man könnte dann sagen  : Quot prophetae, tot regulae  ; quot apostoli, tot regulae  ; quot doctores, tot regulae. Nicht der canonicorum institutio unterworfen zu sein, sich nicht mit dem nomen monachorum zu schmücken, und auch nicht die vita heremitarum im alten Stil absque corporali cibo nachzuahmen, dies wurde sogar zwei Kardinä­ len, die Stephans Gemeinschaft in der ›Waldwüste‹ des Limousin 1124 besuchten, als Eigenart vermittelt.39 Man wollte dort nicht hingehören, wo man bereits fest eingelebte, im Laufe der Geschichte entstandene Ordnungen und Gewohnheiten vorfand, denn sie bedeuteten nicht die origo religionis, nicht die radix, sondern seien nur propagines, nur frondes.40 Mit diesen Äußerungen ist mehr noch als bei jenen über Stephan von Oba­ zine verdeutlicht worden, daß gerade eine Beiseitelassung der bestehenden Ordnungen den Weg zur wahren religio bedeutete, die eben nur dort liege, wo sich der Ursprung allen Heils befinde – nämlich in Christus selbst –, und nicht bei den Regeln, die von Menschen gemacht worden seien. Weil aber Stephan, wie behauptet, seiner Gemeinschaft eben genau diesen Ursprung vorlebte (vor allem im Sinne einer Nachfolge des armen Christus41), konnte mit großem Selbstbewußtsein behauptet werden, daß er es sei  – und nicht das etablierte Mönchtum mit seinen überlieferten Regeln und hinzugewachsenen Observanzen –, welcher ordo sive regula im eigentlichen Sinne vermittle. Eine religiöse Lebensweise, die sich derart scharf abgrenzte von etablierten Ordnungsmustern, hatte deutlich zu machen, daß sie sich gerade ihrerseits an zeit- und ortsungebundenen Werten orientierte. Dafür bediente man sich der transzendierenden Leistung des Symbolischen. So berief man sich etwa auf symbolische Analogien zu den ägyptischen Wüstenvätern,42 zu Johannes dem 39 Vita venerabilis viri Stephani Mvretensis, ed. Becquet, 122. 40 So in der den Äußerungen Stephans nachformulierten Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66. 41 Siehe Melville, In solitudine. 42 So z. B. in Gaufrids Vita Bernardi [von Tiron]  : Erant autem in confinio Cenomanicae Britan­

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Täufer43 oder zur Jerusalemer Apostelgemeinde44  – also auf Verkörperungen von primordial Musterhaftem. Die Macht des Symbolischen liegt jedoch vor allem in der Visualisierung dessen, was gelten soll. Die Mitglieder der Gemeinschaft um Stephan von Muret konnten, wie gezeigt, von außen gerade deshalb nicht in die üblichen Systeme eingeordnet werden, weil sie keinen der vertrauten Habits trugen. Eremiten jener Zeit trugen gewöhnlich nicht das mönchische Schwarz der humilitas, weil sie, wie z. B. Ordericus Vitalis richtig (aber sehr kritisch) erkannt hatte, ob maioris iusticiae ostentationem […] ab aliis dis­ crepare appetunt.45 Das Gewand war üblicherweise aus ungefärbter Wolle und dem Schnitt nach eine simple Kutte (pannorum sectione zustandegekommen, wie Ordericus darlegte46) – somit Zeichen nicht nur der paupertas, welches den anzeigte, der gleichsam als Nackter dem nackten Christus nachfolgen wollte, sondern vor allem auch symbolischer Ausdruck dafür, eben einen Mönchshabit gerade nicht tragen zu wollen, so daß zumindest ein dem Spruch cucullus non facit monachum impliziter Heucheleiverdacht47 von vorneherein gar nicht zu unterstellen war. Der Leitgedanke war Authentizität, welche Glaubwürdigkeit suggerieren sollte.48 Ein Robert von Arbrissel konnte selbst angesichts der von seinem kritischen Freunde Marbod, Bischof von Rennes, durchgeführten schonungslosen Beschreibung49 seines bemerkenswert schäbigen Äußeren behaupten, er gewinne gerade durch seine Erscheinung apud simplices auctoritatem niaeque regionis vastae solitudines quae tunc temporis quasi altera Aegyptus florebant multitudine eremitarum. Gaufridus Grossus, Vita Bernardi, 1382. 43 So z. B. die Selbstdefinition Roberts von Arbrissel in den Worten Marbods von Rennes  : Quod si imitandum tibi proposueris Ioannem Baptistam […], ed. in  : von Walter, Wanderprediger, Teil 1, 186. 44 Vgl. zu dieser sehr komplexen Bezugnahme (auf die hier nicht näher eingegangen werden kann) schon Grundmann, Religiöse Bewegungen, 504–513  ; jetzt im Überblick Constable, Reformation, 156–160. Sie wurde bekanntlich nicht nur von den hier behandelten Eremiten, sondern insbesondere auch vom Regularkanonikertum vollzogen  ; vgl. z. B. Weinfurter, Vita canonica. 45 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, 312. Zur Farbsymbolik des Habits siehe im Überblick Constable, Reformation, 188–191. 46 Ebd. – Zur Kleidung der neuen Eremiten vgl. Leyser, Hermits, 67f. 47 Vgl. von Moos, Das mittelalterliche Kleid, 125f. 48 Allerdings ist Authentizität natürlich auch Anspruch der vita monastica, von der aus gerade umgekehrt dem Eremitentum – wie eben den Sarabaiten (vgl. oben bei Anm. 3) – Heuchelei und falsitas unterstellt worden ist  ; zu einem illustrativen Beispiel siehe Iogna-prat, Évrard de Breteuil. 49 Im Rahmen eines Briefes an Robert, ed. in  : von Walter, Wanderprediger, Teil 1, 181–189, hier 186  ; vgl. Constable, Reformation, 192.

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und apud sapientes furoris suspicionem. Daß Marbod sich dennoch weiterhin veranlaßt sah, ihn aufzufordern Redi igitur quaeso te ad sensum communem, zeigt im Grunde dann nichts anderes an als den Erfolg Roberts, sich vom allgemein Üblichen postulierter Ordnungen50 als etwas, was gerade zu vermeiden war, abzugrenzen. »Der Weise wird die öffentlichen Sitten nicht in Unordnung bringen und nicht durch Neuartiges das Volk auf sich lenken«, versuchte Marbod – insbesondere auch Roberts öffentliche Anklagen der crimina dignitatum vor Augen – diesen noch zu überzeugen.51 – Was aber veranlaßte jene Zeloten, radikal mit solchen Verhaltensnormen zur Erhaltung der äußeren Ordnung und zur Bewahrung des Überkommenen zu brechen  ? Ihre schärfsten Kritiker hielten bekanntlich die Antwort bereit und vermochten, sie teilweise auch umzusetzen in Maßnahmen gewaltsamer Bekämpfung  : Einem Heinrich von Lausanne oder später einem Waldes z. B. wurde erfolgreich unterstellt, sie wollten eine andere institutionelle Ordnung der Kirche und seien von daher Häretiker.52 Diese Kritiker aber setzten nicht am eigentlichen Motiv an, vielmehr fürchteten sie das, was sich als dessen potentielle Folgen abzeichnen konnte. Es ging den Religiosen neuer Art nicht um eine andere Institution, sondern letztlich um eine religio ohne Institution – was dadurch zu erreichen war, daß man sich, wie die hier herangezogenen Texte zeigen, aus den institutionellen Systemen gänzlich ausgrenzte. Doch Ausgrenzung war nur die eine Seite des Verhaltens – die zweite betraf den Umgang mit dem etablierten System selbst, denn er legitimierte dessen Alternative. Zur Verdeutlichung sei an jene Stelle im Brief Ivos an die Mönche von Coulombs erinnert, wo es anklagend hieß, die neuartigen Religiosen gingen umher, Meister zu werden, obgleich sie nie Schüler gewesen sind.53 Ein entsprechend 50 So lautete an anderer Stelle der Rat Marbods noch präziser  : Videamus ne ista per quae admira­ tionem parare volumus, ridicula et odiosa sint. Ergo et in vili humilique habitu communis sensus et auctoritate consuetudinis habenda est ratio  ; ed. in  : von Walter, Wanderprediger, Teil 1, 185. Es ging also in der Tat um – wie Constable, Reformation, 195 sich ausdrückte – ein »a or anti-social gesture«. Zum sensus communis vgl. von Moos, Le sens commun. 51 Sapiens autem publicos mores non perturbabit, nec populum in se novitate convertet  ; ed. in  : von Walter, Wanderprediger, Teil 1, 185. Wobei diese Stelle im Brief Marbods noch interessante Erläuterungen erfährt, die eigentlich genauer betrachtet werden müßten. Weiterführende Aspekte dazu bereits bei Oexle, Statik, 68f. 52 Vgl. dazu Grundmann, Religiöse Bewegungen, 45 u. 91–100, dessen großes Verdienst es ist, die Nähe von als Ketzern Benannten und von Religiosen neuer Art verdeutlicht zu haben. Vgl. auch Manselli, Il monaco Enrico  ; Bredero, Henri de Lausanne. 53 Vgl. oben Anm. 5.

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konkreter Fall lag z. B. vor, als die Eremiten um Stephan von Obazine als in celesti militia veterani und in religione perfecti bezeichnet werden konnten, obgleich sie unbelehrt waren in den geregelten monastica studia.54 Zu behaupten, ohne Beanspruchung etablierter Einrichtungen dennoch Meister werden zu können, bedeutete, sich legitimiert zu fühlen, auf eine andere Ebene der Autorisierung – sowohl die Instanz als auch den Inhalt betreffend – zurückzugreifen. Virulent wurde dies vor allem beim Überschreiten der Grenzlinie zwischen bisheriger institutioneller Bindung und einem neuen Leben in privatis locis proprio jure, wie es polemisch, aber äußerst zutreffend hieß. Es sei nochmals an die von Rainaldus herangezogenen, angeblichen Formulierungen Lanfrancs erinnert.55 Dort war es darum gegangen, die lapidare Feststellung zu begründen, man mache sich keines Eidbruches schuldig, falls man ein Kloster verlasse, wenn dort die Rettung des persönlichen Seelenheils nicht möglich sei. Die Argumentation setzte an bei der eingegangenen formal-rechtlichen Bindung an Gott (Qui Deo […] alligatur), welche den Grund in Gott selbst (Qui […] propter Deum alligatur) bzw. – man muß präzisierend ergänzen – im persönlichen religiösen Verhältnis des sich Bindenden zu Gott habe. Eine Lösung davon – so wird fortgefahren – bedeute grundsätzlich immer eine Lösung gegen Gott (non solvitur ab ipso, nisi contra eum solvatur), sprich  : gegen die formal rechtliche Bindung an Gott wie zugleich gegen die persönliche Beziehung des Gebundenen zu Gott. Eine Lösung von Gott gegen Gott aber liege dann keineswegs vor, wenn der Gebundene sich noch stärker an Gott aus Liebe zu ihm binden wolle, bzw. wenn er, dann konkret gesprochen, von den Söhnen des Teufels (wie polemisch die Klosterinsassen charakterisiert werden) zu denen des Friedens gehe (porro contra ipsum ab ipso minime solvitur, qui propter amorem eius, et ut ei bene placeat, […] a filiis diaboli migrat ad filios pacis), – also jene Grenzlinie überschreite. Diese Gedankenführung unterschied also zwischen einer institutionellen Ebene der formal-rechtlichen Bindung an Gott und einer spirituellen Ebene der persönlichen religösen Beziehung zu Gott. Für letztere aber wurde absoluter Vorrang beansprucht  ! Darin lag die eigentliche argumentative Aussage dieser Textstelle, die  – was bislang nicht gesehen worden ist  – eine bemerkenswerte Parallele hatte in einem (seit kürzerem wieder sehr viel beachteten)

54 Vgl. oben Anm. 36. 55 Siehe oben Anm. 16 u. 17. Ich bedanke mich bei meinem Freunde Peter von Moos sehr für entscheidende Anregungen zu den Deutungsmöglichkeiten dieser Passagen.

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angeblich von Urban II. verfaßten Text.56 Er verdeutlicht, wieso dieser Vorrang überhaupt postuliert werden konnte. Es handelt sich um einen Text, der als C.XIX, qu. 2, c. 2 bei Gratian aufgenommen worden war und bei dem es ebenfalls um die Überschreitung einer Grenzlinie ging – nämlich um den Eintritt eines Klerikers in ein Kloster ohne (!) Erlaubnis seines Bischofes. Hierfür nun wurde konstatiert, daß es zwei Gesetze gäbe  : ein öffentliches und ein privates, und daß das private im Gegensatz zu dem öffentlichen der Canones dasjenige sei, das durch den Heiligen Geist in das Herz eingeschrieben sei. Darauf aufbauend wurde dann der Schluß gezogen, daß derjenige, der sein Seelenheil in einem Kloster retten will, durch keinen Grund des öffentlichen Rechtes daran gehindert werden könne, weil er vom privaten Gesetz geleitet werde. Das private Gesetz sei nämlich würdiger als das öffentliche, denn es sei das Gesetz vom Geist Gottes. Wo der Geist Gottes sei – so lautete das Ergebnis –, da sei die Freiheit, und vom Geist geführt, stehe man nicht unter dem (öffentlichen) Gesetz (der Kirche).57 Obgleich es hier um den Eintritt vice versa in die wohl etablierte Institution eines Klosters ging, handelte sich doch evident um die gleiche Struktur der freien Entscheidung wie im Text des Pseudo-Lanfranc und des Rainald. Damit dürfte hinreichend angezeigt sein, wo gemäß dem hier vorgeführten Diskurs das fundamental Neuartige jener Eremitenbewegung gesehen wurde  : in der unmittelbaren Anbindung der einzelnen Person an Gott  – an dessen Evangelium, an dessen praecepta, wie es bei Stephan von Muret hieß. Diese Anbindung verlieh die Legitimation zur Freiheit von den institutionellen Normen der etablierten Kirche und sie ließ das, was abfällig als eine vita volontaria bezeichnet wurde, als das Leben eines afflatus Spiritu sancto behaupten, dem nur sein Gewissen Richtschnur war. Peter Landau betonte, daß jener Text bei 56 Dazu u. a. Melville, Übertrittsproblem, 228ff.; ders., Recht der Religiosen, 179ff.; Fuhrmann, Papsttum, 168  ; Landau, Officium, 55ff.; ders., Reflexionen, 525ff.; von Moos, Krise, 327ff. 57 Duae sunt, inquit, leges  : una publica, altera privata. Publica lex est, quae a sanctis Patribus scrip­ tis est confirmata  : ut est lex canonum […] Lex vero privata est, quae instinctu Sancti Spiritus in corde scribitur […] Si quis horum in Ecclesia sua sub episcopo populum retinet et seculariter vivit, si afflatus Spiritu Sancto in aliquo monasterio, vel regulari Canonia salvare se voluerit, quia lege privata ducitur, nulla ratio exigit, ut a lege publica constringatur. Dignior est enim lex privata quam publica. […] Iusto enim lex non est posita, sed ubi Spiritus Dei, ibi libertas, et si Spiritu Dei ducimini, non estis sub lege, Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 1, 839f. Von daher gewinnt natürlich auch das ›Private‹ im Zitat in privatis locis proprio jure vivere eine ganz andere Bedeutung als jene polemisch unterstellte. Zur Begrifflichkeit siehe neuerdings von Moos, ›Öffentlich‹.

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Gratian »geradewegs zu einer Relativierung jeder kirchlichen Rechtsordnung führen konnte«, und Peter von Moos hob hervor, daß jenes »überragende spirituelle Gesetz« »als juristisch gänzlich unkontrollierbar« erscheint.58 Von daher ist es nicht erstaunlich, daß z. B. Ivo von Chartres, wie man las, in gleichen Zusammenhängen vor den Antrieben des Heiligen Geistes warnte, da sie allzu leicht nur illusiones des Teufels sein konnten.59 Und es ist ebenso nicht erstaunlich, daß die Reaktion der etablierten Kirche darauf hinzielte, jene religöse Bewegung aus den privata loca und dem proprium jus zurückzuholen in das institutionalisierte System der lex publica. Dies geschah nicht ohne Erfolg – wie die Geschichte bekanntlich zeigte –, denn aus jenen charismatischen Führern und ihrer Gemeinschaft von in celesti militia veterani sind in den meisten Fällen Klostergründer und monasticis studiis docti geworden60 – aber der weitaus größere Erfolg der Institution Kirche bestand wohl darin, daß dann nachfolgend doch immer wieder Personen in privatis locis et proprio jure hervorgetreten sind,61 die jene libertas Spiritu Sancti als ein strukturelles Lebensprinzip der religio nicht ersticken ließen.

58 Landau, Officium, 61  ; von Moos, Krise, 328, u. ebd., 329ff., zur gleichwohl erstaunlich großen Weiterwirkung jenes Rechtsprinzipes. 59 Siehe oben bei Anm. 6. 60 Dazu Grundmann, Religiöse Bewegungen, 43–50. 61 Vgl. z. B. Elm, Franziskus und Dominikus, 134f., zur (durchaus auch inszenierten) Erscheinung Franz’ von Assisi als Nachfolger der Wüstenväter.

Stephan von Obazine  : Begründung und Überwindung charismatischer Führung Nach Stephan von Muret (1044/45–1124) hat das an religiösen Bewegungen so reiche Limousin1 eine weitere große Persönlichkeit gleichen Namens hervorgebracht, die ebenso mit charismatischer Führungskraft2 ausgestattet war  : Stephan von Obazine (ca. 1085–1156). Während aber über den Erstgenannten bereits recht breit geforscht wurde,3 blieb der Letztgenannte weitgehend unbeachtet.4 Diese Forschungslücke erstaunt, denn es liegt eine gut edierte Vita vor, deren drei Teile in den Jahren zwischen 1166 und 1180 von einem anonymen Augenzeugen und Mitbruder Stephans geschrieben worden waren.5 Der Quellenwert dieser Vita ist zudem bemerkenswert hoch. Gewiß hatte sie eine Reihe von traditionellen hagiographischen Topoi ihrer Gattung aufgenommen, doch in den überwiegenden Teilen berichtet sie mit großer historischer 1 Siehe für einige signifikante Einblicke Lemaître, Limousin monastique. Vgl. ferner Gady, L’érémitisme  ; Becquet, L’érémitisme, der im besonderen auch auf das Limousin einging. 2 Als Arbeitsdefinition für ›Charismatiker‹ bzw. ›Charisma‹ im hier relevanten soziologischen (und nicht theologischen) Sinne soll gemäß Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 140, gelten  : »›Charisma‹ soll als eine außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ›Führer‹ gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus ›objektiv‹ richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig  : darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den ›Anhängern‹, bewertet wird, kommt es an.« Siehe auch die Einleitung zu diesem Band [Andenna / Breitenstein / Melville, Vorbemerkungen]. 3 Vorrangig sind die Arbeiten von Becquet zu nennen, die zum großen Teil gesammelt sind in  : ders., Études Grandmontaines  ; siehe auch Hutchison, Hermit Monks, 27ff., sowie aus jüngerer Zeit Melville, Regula regularum  ; ders., In solitudine  ; Andenna, Dall’esempio. – Mit Gérard de Sales († 1120) oder Gaucher d’Aureil († 1140) z. B. wären weitere vergleichbare Gestalten aus diesem Raume zu nennen  ; siehe Becquet, La vie de S. Gaucher  ; ders., Les chanoines réguliers de Lesterps  ; Lenglet, Biographie  ; vgl. auch bei Anm. 42. 4 Ein biographischer Abriß findet sich bei Dimier, Étienne, saint, abbé d’Obazine  ; Barrière, L’abbaye, 43ff. Auf das Eremitentum Stephans und seine Bemühungen um die Integration in einen bestehenden Verband ging kurz Leyser, Hermits, insbesondere 41ff., 95ff. ein  ; zum Aspekt des Charismatischen siehe schon die Ausführungen von Andenna, Dall’esempio, 216ff., aus denen der vorliegende Beitrag wichtige Anregungen bezog. 5 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, siehe dort 7–31 eine ausführlichere Analyse.

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Präzision und Detailliertheit, die beide ihresgleichen suchen und die es vor allem vermochten, sogar jedwelchen topisch vorgeformten Passagen eine ungewöhnlich situationsbezogene Aussagekraft zu verleihen.6 Gleichwohl bleibt, daß ein solcher Text natürlich Geschehnisse gemäß idealer Vorstellungen stilisiert. Dem Wert des Textes tut dies für die hier angestrebten Untersuchungen freilich keinen Abbruch, da es bei ihnen gerade auch auf solcherart Stilisierungen ankommt, die Aufschluß darüber geben, welche Elemente in charismatischen Wirkungsfeldern Beobachter generell für wesentlich gehalten hatten.7 Meine Absicht ist es nicht, anhand jener Vita den Lebenslauf des Stephan von Obazine nun im einzelnen zu rekonstruieren. Vielmehr wird es mir darum gehen, diejenigen Schilderungen und Beurteilungen der Vita in den Vordergrund zu stellen, die Grundstrukturen charismatischen Handelns schlechthin aufdecken lassen. Ein solches Vorgehen, dem es stärker auf das Generelle als auf das Singuläre ankommt, scheint mir hier besonders angebracht zu sein. Der Text zeigt Stephan von Obazine nämlich nahezu als idealtypische Verkörperung bestimmter Formen charismatischen Handelns und läßt von daher zentrale Ansatzpunkte einer vergleichenden Analyse von Charisma in der Geschichte der vita religiosa wie kaum ein anderer erschließen. Stephan von Obazine steht gemäß seiner Vita gewissermaßen für das Phänomen der eigenen ›Entcharismatierung‹, die zum Ziel hat, eine Gemeinschaft zu erhalten, welche aufgrund von Charisma geschaffen worden ist  ; aufgeworfen wird damit das grundlegende Problem, ein Handeln bleibend zu institutionalisieren, das eigentlich an die Vergänglichkeit einer Person gebunden war. 6 Dem Editor ist zuzustimmen, wenn er unterstreicht  : »Enfin, pourquoi considérer comme irrecevable a priori tout ce que nous rapporte l’hagiographe  ? S’il faut, dans l’invraisemblable même faire parfois la part que l’on sait à la vérité, pourquoi ne pas admettre que le vraisemblable peut être tout simplement vrai  ? Si l’on s’en tient alors fermement à la ›substance des faits‹, grand sera le profit que l’on retirera de cette vita.« Ebd., 13. – Man macht es sich zu leicht, wenn man sich hinter die Feststellung zurückzieht, hier und dort sei nur Topisches vorgebracht worden. Allzu leicht übersieht man, daß Topisches mit Normativem korrespondiert, das konkretes Handeln geleitet hatte. Eine vorzügliche Auseinandersetzung mit dem Problem von Topik und Realität in Viten findet sich bei Dalarun, Robert d’Arbrissel, 102ff.; vgl. auch hier unten Anm. 21. Siehe allgemein zur verwendeten Sprache in den Viten und weiterem einschlägigen Schrifttum jener Zeit das aufschlußreiche Kapitel »The Rhetoric of Reform« in  : Constable, Reformation, 125–167. 7 Zu beachten ist allerdings, daß die beiden letzten Teile der Vita etwas später geschrieben wurden und recht auffällig unter dem Aspekt der erfolgreichen Aufnahme der Stephan’schen Klöster in den Cisterzienserorden standen  ; vgl. dazu das Vorwort des Herausgebers der Vita, ebd., 8. – An den einschlägigen Stellen muß also dieser spezifische Darstellungszweck in Rechnung gestellt werden  ; siehe dazu noch unten.

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Nähern wir uns nun dieser Struktur ebenso unbefangen wie diejenigen Zeitgenossen, die einst Stephan von Obazine und seine Gemeinschaft an den Ufern der Corrèze, nördlich des Dordogne-Tales,8 wahrgenommen haben, ohne viel von deren Leben zu wissen. Quelle hierfür ist uns eine bemerkenswert luzide Passage in der Vita  : Nachdem deren Verfasser ausführlich die strenge Zucht, das asketische Armutsleben und das absolute Stillschweigen dargelegt hatte, die in der Gruppe um Stephan von Obazine herrschten, kommt auch er auf das Phänomen der Außenbeobachtung zu sprechen.9 Zahlreiche Personen, die die Brüder besucht hatten, wurden befragt – führt er aus –, nach welcher Regel und unter welchem Meister diese denn lebten. Die Antwort wird dann, ihre Bedeutung unterstreichend, in wörtlicher Rede wiedergegeben  :10 Es ist nicht leicht, den Lebensstil dieser Menschen in Erfahrung zu bringen, denn groß ist das Schweigen, das sie verhüllt  […]. Aber wenn auch ihre Münder verschlossen sind, so sprechen doch ihre Werke und legen offenkundiges Zeugnis von einer durch Gott inspirierten Religiosität ab. Und es gibt einen unter ihnen, der ihnen allen vorsteht  ; von dessen Lehre unterwiesen und von dessen Beispiel geformt, erstrahlen sie. Sein Wort ist wie brennendes Feuer, welches die Seelen der Zuhörenden entzündet und mit derart viel Liebe berauscht, daß […] die Beschaffenheit ihres Lebens und ihrer Sitten verändert wird. Und seine äußere Erscheinung, wie auch sein Auftreten und alles, was er tut, sind gleichsam eine Predigt und zeigen nichts anderes an als Lebensordnung und Zucht der Sitten und Handlungen. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß es solche Schüler sind, die einen solchen Meister haben, der sie auch ohne Worte hinreichend belehren kann.

Das charismatische Wort, vor allem aber die charismatische Tat werden hier panegyrisch präsentiert und in ihren Folgen  – nämlich die Menschen verän  8 Siehe die Karten ebd., 253f.   9 Zur Bedeutung einer solchen Perspektive für die historische Analyse religiöser Gemeinschaften siehe Sickert, Armut, vor allem 102ff. 10 Hominum illorum non facile sciri conversatio potest, cum tanto silentio obtegantur […]. Sed ta­ men oribus silentibus, opera non tacent, que autore Deo ipsorum religiositati evidens testimonium reddunt. Est autem unus inter eos qui ceteris preest, cujus magisterio edocti et informati exemplo ita refulgent. Sermo ejus quasi ignis ardens ita audientium mentes accendit et tanto amore inebriat ut […] vite eorum morumque qualitas immutetur. Sed et habitus ejus et incessus vel cuncta que agit quasi quidem sermo sunt, nihilque aliud incidant quam vite ordinem morumque et actuum disciplinam. Unde mirum non est tales esse discipulos qui talem habent magistrum, qui eos et absque verbo sufficienter potest docere. Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 58.

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Stephan von Obazine  : Begründung und Überwindung charismatischer Führung

dern zu können – gepriesen. Dies heißt jedoch nicht, daß man es nur mit topischen Textformeln zu tun hat, die des tatsächlichen historischen Hintergrunds entbehren. Aufgrund jenes Ansehens seien viele zur Christi militia konvertiert und haben dem nichtigen Pomp der Welt abgeschworen, hebt der Vitenverfasser hervor11 und spricht damit den belegbaren Sachverhalt an, daß sich die Zahl von Stephans Jüngern in der Tat rasch vermehrt hatte.12 Im Anschluß daran betont die Vita, daß Stephan ein vir strenuus in disciplina et in corrigen­ dis delinquentium culpis multum serverus gewesen sei,13 und macht dann auch deutlich, wo die normative Basis der gemeinsamen Verhaltensstrukturen lag  :14 Und weil man kein gesatztes Recht irgendeiner Ordnung angenommen hatte, galten die Anweisungen des Meisters anstelle eines Gesetzes  – Anweisungen, die nichts anderes als Demut, Gehorsam, Armut, Zucht und vor allem fortdauernde Liebe lehrten. Solcherart war damals die wahre und richtige Lehre des heiligen Mannes, die er vertraulich wie auch öffentlich jenen, die sich ihm anschlossen, vermittelte. Ein solcherart ›Gesetz‹ wurde damals in Kraft gesetzt – und um pharisäische Traditionen kümmerte man sich nicht.

Deutlich wahrgenommen wurde also, daß die Lebensordnung der Gemeinschaft – vite ordo morumque et actuum disciplina, wie es hieß – tatsächlich nur in der charismatischen Führungsgestalt begründet war, sich durch sie erhielt und entfaltete, daß folglich auf keinerlei sonstige normative Vorlagen zurückgegriffen werden mußte, die nach Art der pharisäischen Schriftgelehrsamkeit15 zu interpretieren gewesen wären  – also auf keinerlei Texte einer Regel oder eines Statutenwerkes etwa. Wie schon bei Stephan von Muret, der alle überlieferten Regeln nicht als origo religionis, sondern nur als deren propagines, nicht 11 Ebd. 12 Vgl. Barrière, L’Abbaye, 57. 13 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 68. Barrière, L’Abbaye, 52, charakterisiert Stephan in diesem Zusammenhang wie folgt  : »[…] Étienne n’est pas seulement un conseiller spirituel  ; c’est un chef, un chef énergique et exigeant, dur même, qui assume d’une façon éminemment ›directive‹ la responsabilité du groupe, alors même que ce groupe est encore restreint.« 14 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 70  : Cumque nulla alicujus ordinis lex posita haberetur, in­ stituta magistri pro lege erant que nihil aliud quam humilitatem, obedientiam, paupertatem ac disciplinam et super hec, caritatem continuam edocebant. Hec erat tunc beati viri vera sanaque doctrina, que privatim et publice sibi adherentibus ingerebat. Hec lex tunc promulgabatur et pha­ risaïce traditiones non curabantur. 15 Vgl. Constable, Reformation, 33 u. 145, zur üblichen Gleichsetzung von ›Pharisäertum‹ und strikter, formalistischer Regelauslegung.

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als die radix, sondern nur als frondes bezeichnete, sie deshalb ablehnte und auf die von ihm vermittelte Botschaft des Neuen Testaments selbst verwies,16 wußte man sich auch hier im Besitz der einzigen Wahrheit. Diese aber war allein in der Person des Charismatikers verkörpert, so daß man im Prinzip problemlos die gesamte Traditionskette von Satzungen und Ordnungen beiseite lassen konnte.17 Stephan von Obazine hatte einst seinen Weg tatsächlich damit aufgenommen, daß er strikt die kirchlichen Ordnungen verließ, die ihm zunächst die normative Lebensrahmung geboten hatten. Wenn dies auch andere Zeitgenossen – wie z. B. Robert von Arbrissel, Norbert von Xanten oder Vitalis von Savigny – taten, so war es eine durchaus nicht unriskante Entscheidung gewesen  : Sie hätte prinzipiell den Anschein erwecken können, Sarabaiten gleich eine Lebensform gewissermaßen in privatis locis proprio jure verwirklichen zu wollen, vor deren potentiellen Auswüchsen einer rigiden Regellosigkeit und Asozialität zu jener Zeit etwa von Bischof Ivo von Chartres sogar heftig gewarnt worden war.18 16 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66. 17 Diese Grundstruktur entspricht ziemlich genau der Charakterisierung, die Max Weber unter Heranziehung des (angeblich) neutestamentlichen »Es steht geschrieben, – ich aber sage euch« idealtypisch zum Verhältnis von charismatischer Herrschaft und normativen Verhaltensstrukturen gibt  ; siehe Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 141. – Den beobachtenden Zeitgenossen bereitete aber gerade dieser Sachverhalt der mangelnden Einbettung in Regeln, die durch Tradition approbiert sind, offensichtlich Schwierigkeiten. Siehe z. B. die im grandmontensischen Liber de doctrina, ed. Becquet, 60f. überlieferten Anklagen, die Jünger Stephans von Muret würden gänzlich regellos leben, weil sie weder als Vertreter der Regel Benedikts noch der des Augustinus zu erkennen seien  ; vgl. dazu Melville, Semantik, 207f. – Siehe auch die folgende Anm. 18 Ivo von Chartres, ep. 192 u. 256, 198ff. (das Zitat ebd., 200) u. 260ff. Vgl. dazu Morin, Rainaud  ; Leclercq, Poème  ; Little, Religious Poverty, 82f.; Leyser, Hermits, 25f. u. 79f.; van Moolenbroek, Vital, 216ff.; Constable, Problematic Passage  ; Melville, In privatis locis proprio jure vivere. – In diesem Zusammenhang gewinnen jene Äußerungen von Beobachtenden – bzw. die schriftlichen Berichte über solche Äußerungen –, die der Gemeinschaft um Stephan von Obazine Zucht, Ordnung und eine gute Führerschaft bescheinigten (siehe oben Anm. 10), eine besondere Bedeutung, denn die vita communis um Stephan ist dort geradezu konträr gezeichnet zu dem von Ivo harsch kritisierten, ebenso keiner festen Regel unterworfenen sarabaitischen Verhalten, wie es in der Benediktsregel (1.6–9) überliefert ist  : […] teterri­ mum genus est sarabaitarum, qui nulla regula adprobati experientia magistra sicut aurum fornacis, sed in plumi natura molliti. […] pro lege eis est desideriorum voluptas, cum, quidquid putaverint vel elegerint, hoc dicunt sanctum et, quod noluerint, hoc putant non licere. Zu diesen kritischen Strukturen in präziser Zusammenfassung Constable, Reformation, 137  : »Excessive freedom and lack of obedience were among the commonest charges against hermits […].«

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Er war Priester gewesen, hatte sein pastorales Amt mit hohem Eifer und – insbesondere, was die Predigt anbelangte  – mit großer Begabung ausgeübt.19 Doch schon damals war – wie seine Vita berichtet – sein Geist erfüllt von der »Verachtung des Gegenwärtigen« und von der »Sehnsucht nach dem Zu­künf­ tigen«.20 So entschloß er sich eines Tages, den weltlichen Sorgen zu entsagen und dem »armen Christus selbst als Armer und Nackter […] unverzüglich nachzufolgen«.21 Er wurde bestärkt in seinem Vorsatz durch Stephan von Mercœur, Abt von La Chaise-Dieu,22 der ihm eröffnete, sein Begehren sei ein von göttlicher Eingebung inspiriertes (desiderium divinitus inspiratum), und er werde, Christi Spuren in glücklichem Laufe folgend, durch sein Beispiel viele zu Gott bekehren. Gemeinsam mit einem Gefährten namens Petrus, einem Mann von bewundernswerter simplicitas, begab er sich daraufhin zu einem Eremiten, um von ihm zu lernen. Sie blieben dort jedoch nur kurze Zeit, da sie – wie die Vita berichtet23 – Stärkeres und dem Heil Näheres erwünschten, 19 Siehe Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 44ff.; vgl. zum Folgenden in Gesamtheit Barrière, L’Abbaye, 44ff. 20 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 46  : […]  ad despectum presentium et desiderium fu­ turorum […]. Damit ist bekanntlich auch einer der Grundaspekte der vita religiosa – und zwar sowohl des Eremitentums wie auch des Zönobitentums – jener Zeit angesprochen  ; vgl. etwa die im Jahre 1146 prägnant formulierte Charakterisierung durch Otto von Freising, Chronik, 564. 21 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 46  : […] pauperem Christum pauper ipse ac nudus […] continuo sequeretur.  – Das äußere Erscheinungsbild und die asketischen Verhaltensweisen Stephans waren sichtbare Zeichen dieser inneren Haltung, wie die Vita sich bemüht, anschaulich darzustellen  : Jam risus et ille quondam nuge convertuntur in luctum et gaudium in merorem […] Nam pro molli indumento cilicium intrinsecus ad carnem gestabat et pro suavi cibo panem suum cum lacrymis et potum cum fletu percipiebat. Denique tanta corpus suum austeritate tractabat ut tam frigore quam inedia pene illud necaret (ebd., 44), um nur einige Formulierungen zu nennen. Diese mag man als topisch bezeichnen, aber es sollte nicht übersehen werden, daß damit Verhaltenserwartungen angesprochen sind, die man zwar generell  – wenn man will, kann man auch sagen  : topisch – an solche Persönlichkeiten anlegte, die aber – falls eingelöst – gerade der konkrete Grund waren, daß sich eine große Jüngerschar angezogen fühlte. Bezeichnend ist, daß sich eben auch Hochstapler und Betrüger mit erfolgreicher Verehrung unter dieser gleichsam äußeren ›Maske‹ eines religiösen Zeloten verbergen konnten, wie die Vita (ebd., 53) berichtet. Siehe zu derartig ambivalenten Erscheinungen in jener Zeit Le­ clercq, Poème. – Vgl. zu den ideellen Grundlagen allgemein auch Bernhard, Nudus nudum Christum sequi  ; Grégoire, L’adage ascétique  ; Constable, ›Nudus Nudum Christum Sequi‹. Sehr aufschlußreich stellt jetzt das äußere Erscheinungsbild als Symbol (auch der Religiosen) in größere kulturgeschichtliche Zusammenhänge von Moos, Das mittelalterliche Kleid  ; vgl. auch Lachmann, Narr. 22 Vgl. Gaussin, L’Abbaye, 147ff. 23 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 48.

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und zogen nun durch alle Stätten der vita religiosa in der umliegenden Region, um dank einer vielleicht perfekteren Einrichtung umso perfekter Gott dienen zu können. Sie stellten allerdings fest, daß in ihrem Umland keine Ordnung einer solch ambitionierten vita religiosa existierte. An dieser Stelle seines Berichts angelangt, beeilte sich der Verfasser der Vita hervorzuheben,24 »der allmächtige Gott wollte nicht, daß sie dem Lehramt von irgendjemanden unterworfen seien, um das, was er mit dem heiligen Manne vorgesehen hatte, zu erfüllen.« Was gemäß einer derart stilisierten Autononie göttlicher Inspiration nur übrig blieb, geschah  : Sie zogen sich in die Waldeinsamkeit von Obazine, nahe der Corrèze, zurück zu einem eremitischen Leben nach ihren eigenen und gewissermaßen Gottes Vorstellungen. Einige Zeit später erhielten sie vom Bischof von Limoges neben dessen Segen und einem Kreuz die Erlaubnis, Messen zu lesen und ein Kloster zu bauen, wenn sie nur »dem von den Vätern überlieferten Brauch folgten«.25 Dieser vagen Anweisung folgend, gaben sie den nunmehr neu herbeikommenden Brüdern im liturgischen Bereich consuetudines von Kanonikern vor, blieben ansonsten im Hinblick auf ihr eigentliches propositum bei der vita eremitica  – ja, Stephan von Obazine distanzierte sich ausdrücklich vom Lebensstil der Kanoniker, welche sich angeblich vor allem an einer guten Küche zu delektieren pflegten. Ansonsten schrieb er seinen Mitbrüdern strikt die Handarbeit als Tagwerk neben den Gebeten und dem Meßopfer vor.26 Im Grunde aber hatte er sich sogar davor gescheut, für eine große Gruppe von Anhängern Verantwortung zu tragen, wie seine Vita berichtet, weil er sich fürchtete, dann das einst gewählte Leben der Einsamkeit nicht führen zu können.27 So trug er sich mit dem Gedanken, der Einbindung als Führer auszuweichen und auf Mission der Sarazenen zu gehen,28 bzw. er wollte sich dem 24 Ebd.: Sed Deus omnipotens noluit eos tunc alicujus magisterio subdi, ut quod de beato viro pre­ desti­naverat adimpleret. 25 Ebd., 54  : […] morem a patribus traditum per omnia sequerentur. Zur grundsätzlich p ­ ositiven Einstellung der Bischöfe gegenüber dem Eremitentum in jener Region vgl. Becquet, L’éré­ mitisme, 196f. 26 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 54ff. 27 Hier handelte es sich um ein altes Problem des mit großer Anziehungskraft ausgestattenen Eremitentums  ; es ist als solches schon von Cassian, Collationes, Bd. 1, 19, 5f., sehr präzis angesprochen worden  ; siehe dazu auch Rieder, Deus locum dabit, 9. 28 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 58f.: Mordebatur tamen et vehementius angebatur mens ejus solitudinis cupiditate, curarum impatiens, quas se ex multorum gubernatione perpeti metue­ bat. […] socium alloquens suadere nitebatur ut ad Sarracenos pergerent, si forte aliquos ex eis pre­ dicando convertere aut ipsi ab eis non credentibus pro Christo occidi possent. Zu parallelen Fällen,

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Befehl eines seiner Genossen unterwerfen und Bruder wie die übrigen sein,29 so daß es möglicherweise zum Status eines Charismatikers ohne alltägliche Führungspflichten gekommen wäre, hätte ihn nicht ein päpstlicher Legat dazu gebracht,30 nunmehr als Prior seine Gemeinde fürderhin doch zu leiten. Soweit zusammenfassend kann man nun festhalten, daß Stephan von Obazine davon beseelt war, die Welt zu verlassen, um allein Christus nachfolgen zu können. Er suchte zunächst in den bestehenden Formen der vita religiosa die Möglichkeit der Erfüllung dieses Begehrens, um dann jenen eigenen Weg zu gehen, von dem glaubhaft schien, daß er ihm von Gott unmittelbar vorgegeben worden sei. Es war der Weg jenseits des traditionellen Rahmens kirchlicher Einrichtungen, wobei die Amtskirche – in der Person des Ortsordinarius – nur die Möglichkeit hatte, zu approbieren bzw. auf die Orthodoxie »gemäß dem Brauch der Väter« zu achten oder die Anerkennung zu verweigern. Ein Anwachsen der Jüngerschar war nicht zu verhindern, auch wenn die dabei Stephan zuwachsende Führungsrolle vielleicht von diesem selbst gar nicht so sehr erwünscht war. So stark Stephan von seiner Umwelt als der charismatische Führer und Lehrer angesehen worden war, der seine eigenen Vorstellungen von ordo und disciplina durchaus überzeugend zu vermitteln vermochte, er selbst vertraute zumindest nicht darauf, daß die Kraft seines ›Wortes‹ groß genug sein werde, um ihn zu überdauern. Und so strebte er eine recht radikale Lösung an  : Er begann, als sein Kloster bereits recht bedeutsam geworden war – wie seine Vita versicherte31 –, Reisen zu anderen Orten der vita religiosa zu unternehmen. Damit war folgender Zweck verbunden  :32 »Er hatte die Gewohnheit, verschiedene Klöster in der Nachbarschaft zu besuchen, dort Beispiele von Sittlichkeit und Disziplin zu betrachten und sie seinen Brüdern zur Befolgung vorzuschlagen.« Der Reiseradius vergrößerte sich  – Stephan kam bis zur Grande Chartreuse und wandte sich an den dortigen Prior mit der Frage, welchen Weg des die vermuten lassen, daß eine zumindest zeitweilige Abwesenheit zum Wesen charismatischen Handelns zu gehören schien, siehe Melville, Der geteilte Franziskus, 352f. (hier S. 72). 29 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 64ff. – Später wird dies auch von Franziskus überliefert werden  ; vgl. Melville, Der geteilte Franziskus, 356f. (hier S. 76f.). 30 Zur Tätigkeit dieses Legaten, Geoffroy de Lèves (Bischof von Chartres), vgl. Janssen, Die päpstlichen Legaten, 18ff. 31 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 76  : Erat autem ipsum monasterium magnum non quantitate, sed merito, nec spatiis, sed sanctitate diffusum et virtutibus, non prediis, copiosum. 32 Ebd., 78  : Erat ei consuetudo diversa circumquaque monasteria perlustrare et queque ibi honestatis vel discipline exempla conspiceret, fratribus suis servanda proponere […].

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Religiosentums er gehen sollte  ; er und seine Brüder würden nämlich gerne die Einrichtungen irgendeiner bestehenden Ordnung übernehmen. Die Kartäuser lehnten indes eine Aufnahme in ihren eigenen Orden angesichts der großen Menge an Jüngern Stephans ab, machten ihn aber auf die kürzlich entstandenen Cisterzienser aufmerksam, deren Statuten für jegliche Vervollkommnung bei weitem, wie sie betonten, ausreichen könnten.33 Jahrelang geschah daraufhin aber nichts Nennenswertes hinsichtlich einer normativen Umformung, obgleich sich die Zahl der Religiosen weiterhin vergrößerte und obgleich sogar auch ein eigenes Nonnenkloster gegründet worden war.34 Bis schließlich die Vita an einen Punkt kam, der zunächst zu folgendem Resümee führte  :35 Indessen waren die Brüder in Obazine keinerlei geschriebener Gesetze unterworfen, vielmehr hatten sie die Anweisungen ihres verehrungswürdigen Meisters als Gesetz, die so strikt und hart waren, daß die Rauheit einer beliebigen Regel ihnen nichts an disziplinärer Strenge hinzufügen könne.

Was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, so wird zugleich immer wieder betont, daß der Meister in aller Demut für die Brüder sorgte und unter ihnen war wie ein liebender und geliebter Vater. Dann aber wird mit einer nahezu modellhaften Feststellung über die Dauerhaftigkeit von Normen fortgefahren  :36 Weil aber die Tage des Menschen kurz sind [Iob 14.5] und menschliche Belehrung nur so lange von Wirkung ist, wie der Belehrende lebt und gegenwärtig ist, beschlossen sie, das Bekenntnis einer jener Ordnungen, die in der Kirche autorisiert 33 Ebd., 82. Der Zeitpunkt dieses Besuches dürfte zwischen 1132 u. 1135 gelegen haben, so daß jener Prior Guigo I. – gewissermaßen der ›zweite Gründer‹ der Kartäuser – war  ; vgl. zu dem Besuch Stephans in der Grande Chartreuse Barrière, L’Abbaye, 60ff. 34 Zum sich dann nach und nach herausbildenden Filiationssystem siehe in Ausführlichkeit Barrière, L’Abbaye, 77ff. 35 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96  : Interea fratres Obazine nullis adhuc scriptis legibus te­ nebantur, sed instituta magistri venerabilis pro lege habebant, que tam districta et ardua erant ut cujuslibet regule asperitas eis in discipline rigore addere nihil posset. 36 Ebd.: ›Quia vero breves dies hominis sunt‹ et tamdiu humana magisteria vigent quandiu preceptor vixerit aut presens fuerit, placuit ut alicujus ordinis eorum qui in ecclesia auctorisati sunt professio­ nem assumerent, ut, deficientibus magistris, scripte legis auctoritas eis indeficiens permaneret. Vgl. zu einer derartigen Problemstellung bereits die generellen Feststellungen bei Felten, Herrschaft, hier insbesondere 256f.

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sind, anzunehmen, auf daß auch nach dem Ende der Lehrmeister die Autorität des geschriebenen Gesetzes ihnen als eine nie zu Ende gehende bleibe.

Im Kern wollte dieses Bündel bemerkenswerter Aussagen zunächst mit gehörigem Selbstbewußtsein auf die Tatsache hinweisen, daß die eigene, vom charismatischen Lehrer begründete und in seiner Person gleichsam verkörperte Ordnung des gemeinschaftlichen Lebens keinen Vergleich mit den herkömmlichen schriftlich fixierten Regeln zu scheuen bräuchte und man also solcher grundsätzlich nicht bedürfe.37 Der dann darauf aufbauende Gedankenschritt war, daß es nur an der Hinfälligkeit menschlicher Wirkungsmöglichkeiten läge, wenn man zu guter Letzt doch auf verschriftlichte Normen zurückgreifen müsse, weil diese allein eine Einzelperson überdauerten.38 Das aber wurde offensichtlich so verstanden, sich nicht selbst Rechtssatzungen zu geben, sondern sich in andere, bereits approbierte Ordnungen integrieren zu wollen.39 Es sollte also schon vor dem Ableben des Lehrmeisters nicht nur für das Fortbestehen der Gemeinschaft schlechthin Sorge getragen werden, vielmehr sollte dies zudem unter Verzicht dessen geschehen, was sich mittlerweile als identitätstiftendes Eigenes herausgebildet hatte. 37 Vgl. dazu auch Barrière, L’Abbaye, 57ff. 38 Zur sich verstärkenden Bedeutung der Schriftlichkeit in der vita religiosa des 12. Jahrhunderts siehe Melville, Schriftlichkeit  ; Schreiner, Verschriftlichung. Allgemein zum Problem der Aufdauerstellung von religiösen Gemeinschaftsformen siehe Melville, Vita monastica. 39 Zum Vergleich sei zum einen auf die frühen Prämonstratenser verwiesen, die zunächst glaubten, zu ihrem Heil würde das Wort ihres Meisters ausreichen, und die dann von Norbert von Xanten jedoch die Augustinusregel mit der Begründung erhielten, die apostolischen und evangelischen Anweisungen könnten auf Dauer nicht erfüllt werden ohne geschriebene Ordnung, ohne Regel oder ohne die Einrichtungen der Väter. Siehe Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683  ; vgl. dazu Bomm, Augustinusregel, 248ff., sowie den Beitrag von Felten im vorliegenden Bande [Felten, Zwischen Berufung und Amt]. – Zum anderen seien noch einmal die Grandmontenser erwähnt, die in struktureller Analogie handelten, als sie die mündlichen Anweisungen Stephans von Muret, ihres jegliche Regeladaption ablehnenden Gründers, nach dessen Tod in ein Buch namens Doctrina Stephani schrieben und ihnen damit Unvergänglichkeit sicherten  ; vgl. Melville, Regula regularum, 348f. – In diesem Zusammenhang sei auf die bekannte Tatsache hingewiesen, daß ›erfolgreiche‹ – und das heißt in diesem Falle nicht ohne eine gewisse Ironie  : von der Amtskirche anerkannte – Charismatiker jener Zeit stets zu Gründern von regelgeleiteten Klöstern oder Kösterverbänden wurden und sie somit vermochten, ihr Charisma im Weber’schen Sinne zu veralltäglichen bzw. zu »bürokratisieren«  ; siehe dazu schon Grundmann, Religiöse Bewegungen, 43ff., der – allerdings nur die Wanderprediger vor Augen  – wohl zu Recht vermutet, daß dabei durchaus »die Kirche ihre Hand im Spiel hatte« (43)  ; vgl. auch im Überblick Leyser, Hermits, 97ff.

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Der Verzicht auf das Eigene und somit auf das sogar schon – wie man sehen wird – recht gut Eingeübte eröffnete allerdings das Problem, für welche Form des Religiosentums man sich entscheiden solle – und so waren die Brüder lange geteilter Meinung, ob sie die Regel der Mönche oder der Kanoniker40 annehmen wollten. Eine Empfehlung des Bischofs von Clermont-Ferrand erst veranlaßte sie, sich schließlich dem mönchischen Leben zuzuordnen.41 Man wandte sich an Dalon, das einzige, in der Nähe gelegene Mönchskloster, das unter rigider Regelstrenge stand und tatsächlich als regulare monasterium zu bezeichnen war,42 um Lehrmeister zur Unterrichtung der neuen Lebensordnung zu finden (magistri ad docendum ordinem), und harrte des Tages, an dem der Mönchshabit angezogen werden konnte und auch die gottgeweihten Frauen in das vorbereitete Kloster einzögen. 1142 ist Obazine dann tatsächlich Abtei geworden und Stephan hat sich zum Abt weihen lassen. Die wesentliche, von den Religiosen – wie gezeigt – auch selbst erkannte Aufgabe aber war damit nicht gelöst  : nämlich die Umwandlung dieser Eremiten mit ihrem eigenen Lebensstil in die von der Benediktsregel bestimmte forma vitae monasticae.43 Die Schwierigkeiten dieses Prozesses aber legt die Vita Stephans von Oba­ zine dann in einer derart anschaulichen Weise dar, wie sie sich sonst kaum im vergleichbaren Schrifttum jener Zeit finden läßt. Um nur auszugsweise zu zitieren  :44

40 Zu der Verbreitung der Regularkanoniker in der Region jener Zeit siehe Becquet, Les chanoines réguliers en Limousin. 41 Siehe zu diesem und dem nachfolgenden Komplex Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96  : Cumque diu de his hesitatum fuisset, dum quidam monachorum, quidam canonicorum regulam magis amplecterentur, tandem inspirante Deo et sapientum interveniente consilio, precipue domni Aimerici, Avernorum episcopi, qui illis familiarissimus erat, omnes in monachorum regulam assen­ sum dederunt. Vgl. dazu Barrière, L’Abbaye, 63ff. 42 Das Kloster Dalon ist von Gérard de Sales um 1114 gegründet worden, war zunächst eremitisch ausgerichtet, nahm dann aber nach dem Tod Gérards die Benediktregel an und trachtete, diese im Stile der Cisterzienser wörtlich zu befolgen  ; vgl. Barrière, L’Abbaye, 66. Zu Gérard siehe von Walter, Wanderprediger, Bd. 2, 113ff.; Lenglet, Biographie. 43 Siehe zu diesem grundsätzlichen Problem die vergleichenden Beobachtungen von Becquet, L’érémitisme, 200f. Zur vita eremitica vgl. neben dem Sammelband L’eremitismo und Leyser, Hermits jetzt Vauchez (Hg.), Ermites, sowie neuerdings den kurzen Überblick von Caby, Vies parallèles. 44 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 106  : Interea fratres Obazine monachi ex eremitis effecti, novis legibus novisque institutionibus quotidie informabantur et quamquam essent in celesti militia veterani, monasticis tamen studiis adhuc videbantur indocti erantque rudes monachi qui iam fuerant in religione perfecti.

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Mittlerweile wurden die aus Eremiten zu Mönchen gemachten Brüder von Obazine täglich in den neuen Gesetzen und Einrichtungen unterwiesen und obgleich sie in der himmlischen Miliz Veteranen waren, so zeigten sie sich doch bislang ungebildet im monastischen Streben  ; sie stellten unerfahrene Mönche dar, die bereits in der Frömmigkeit perfekt waren.

Der hier auf den Punkt gebrachte Kontrast zwischen Spiritualität und äußerlicher Verhaltensnorm wurde dann zu einem Problem, als das ›Lehrpersonal‹, jene Mönche aus der Abtei Dalon, diese Struktur nicht als möglichen Grund für höchste seelische Spannungen erkannte, sondern mit harten, unflexiblen Methoden die Annahme der Regelvorschriften vorantrieb  – was zu dem Ergebnis führte, daß »die Seelen zur Bitterkeit gebracht wurden«.45 In der Tat ging es gerade nicht um eine jener sonst üblichen Reformierungen, bei denen man sich formale Regeln zunutze machte, um spirituelle Erfolge zu erzielen, denn gerade solche Erfolge waren ja durch die früheren Belehrungen seitens Stephans von Obazine selbst schon längst erzielt worden. – Und so wirkte die Reaktion der Brüder auf jene harschen Zugriffe recht dramatisch  : Sie wandten sich nämlich klagend an ihren alten Lehrmeister, von dem sie – wie es in der Vita heißt – solch ein Verhalten nicht gewohnt waren und der ihnen gleichsam ein vertrauter Hafen war, zu dem man wieder flüchten konnte (ad eum tam­ quam ad consuetum portum confugientes).46 Nicht minder dramatisch jedoch war die Antwort. Stephan – der in diesem Zusammenhang bemerkenswerterweise als pius pater et sapiens medicus bezeichnet wurde – rief seine Mitbrüder emphatisch zum Durchhalten auf, denn die Disziplin sei die »Meisterin und Erzieherin in der Heiligkeit« (magistra et pedagoga sanctitatis). Und alles, was sie bisher hätten ertragen müssen, sei gering gegenüber dem Wert, den nunmehr die Annahme einer (monastischen) Ordnung bedeute – einer Ordnung, die letztlich das, was bitter begonnen habe, in Süße werde enden lassen.47 Mit 45 Ebd.: […] eorumque animos ad amaritudinem perducebant. – Folgendes Verhalten legten die Mönche aus Dalon unter anderem an den Tag  : Non enim didicerant eos dulciter attrahere atque a solitis ad insolita paulatim deducere, sed tamquam in his semper fuissent nutriti, omnem mona­ stice discipline observantiam ab eis indiscrete exigebant eosque tam in ecclesia quam in ceteris locis repente turbabant, mutabant, reprehendebant. 46 Ebd. 47 Ebd.; im vollen Wortlaut heißt es  : Et si, inquit, hactenus multas asperitates et duros corporis la­ bores pro Deo sustinuistis, non est magnum si pro ordine noviter suscepto quaslibet reprehensionum molestias preferatis, presertim cum salubria instituta ab amaritudine incipiant sed in dulcedine finiantur.

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solchen Worten – hieß es abschließend in der Vita – bestärkte er die Wankelmütigen (hec dicens, vacillantes roborabat).48 Angesichts der Tatsache, daß die Vita Stephans bei der Darlegung der vorangegangenen eremitischen Zeit immer wieder größtes Gewicht darauf gelegt hat, Stephan von Anfang an selbst als strengen Hüter der Zucht und als Lehrmeister des spirituellen Lebens zu charakterisieren, können diese Worte eigentlich nur als drastischer Selbstverzicht auf charismatische Geltung verstanden werden, wobei es nicht um ein Sich-Entziehen oder um die Übergabe der Verantwortung an ein anderes Mitglied der Gemeinschaft ging, wie von Stephan schon versucht worden war,49 sondern eben um ein Zurücktreten hinter transpersonal geltende, formelle Regeln. Allerdings erfolgte dieses Zurücktreten wiederum – wie man hörte, als emotional aufgeladen von einem Hafen, einem Vater, einem Arzt die Rede war – durch charismatische Affirmierung der neuen Ordnung, so daß es offensichtlich eines Charismas zur eigenen Entcharismatisierung bedurfte. Bisher war aber noch nicht der faktische Schritt zum Eintritt in eine bestehende Organisation getan. Dieser erfolgte erst im Jahr 1147, als Stephan laut seiner Vita50 auf einem Generalkapitel der Cisterzienser in Anwesenheit und mit Unterstützung des Papstes Eugen III. die Aufnahme in deren »Ordensgemeinschaft« wünschte51 und trotz Integrationsproblemen seines weiblichen Zweiges52 auch erhielt. Der Verfasser der Vita versäumte nicht, an dieser Stelle nachdrücklich auf den Unterschied zwischen den nun folgenden Maßnahmen zur Angleichung der Lebensform und jenen von Dalon angewandten hinzuweisen  : Schon der Abt von Cîteaux habe im Zusammenhang mit dem Nonnenproblem hervorgehoben, daß die Umformung langsam und behutsam vonstatten gehen müsse.53 Fünf Cisterzienser – Chormönche und Laien – seien nach Obazine gesandt worden, um die neue Lebensordnung zu lehren (ad do­ 48 Ebd. 49 Vgl. oben bei Anm. 27f. 50 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 112  ; vgl. zu folgenden Vorgängen in Ausführlichkeit Barrière, L’Abbaye, 69ff. 51 Erat enim ex multo tempore cupiens sancti illius ordinis societatem adquirere et cuncta que ad se pertinebant ejus submittere ditioni. (Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 110). 52 Siehe ebd., 112ff.; vgl. dazu die näheren Erläuterungen von Barrière, L’Abbaye, 70f. Zu cisterziensischen Problemen mit den weiblichen Zweigen in jener Zeit siehe jetzt Felten, Der Zisterzienserorden und die Frauen. 53 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 114  : Attamen pro ejus amore cuncta admissa sunt spondente domno Rainardo, qui eum ut suam animam diligebat, quod cuncta ordini adversantia paulatim abolerentur, ne repentinam mutationem novella adhuc domus ferre non posset, ita duntaxta ut sancte ille femine semper in ordine permanerent.

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cendum ordinem), sie seien ganz im Gegensatz zu den Mönchen aus Dalon verständnisvoll und liebenswürdig gewesen54 und hätten ganz besonders auf die Angleichung der liturgischen Bücher geachtet.55 Trotz solcher Einordnung der Gemeinschaft in das normative System eines anderen Verbandes schwand offensichtlich nicht die charismatische Wirkung Stephans von Obazine. Seine Vita schildert jedenfalls eine Sterbeszene, bei der die Brüder von ihm mit folgenden bewegten Worten Abschied nahmen  : Warum verläßt du uns, Vater  ? Oder vielmehr, wen läßt du uns Verlassenen zurück  ? Unsere Armut reichte uns hin, um es als Reichtum zu ermessen, dich als unseren Hirten und Lenker unserer Seelen zu sehen. Und was werden wir nach dir tun oder zu wem werden wir uns flüchten in unserer Drangsal  ?56

Auch hier mochte es sich um die topische Darstellung einer Szene ­gehandelt haben, deren suchender Hinwendungsakt an den vertrauten Führer sich gleichwohl so ereignet haben dürfte.57 Besonders aufschlußreich in diesem Zusammen­hang aber war die Antwort Stephans von Obazine, die erneut von ihm wegwies  : Er habe – heißt es in der Vita – seine Jünger getröstet, sie, so gut er konnte, instruiert und auf Gott verwiesen, doch dann auf die Bitte um eine letzte Anweisung ihnen befohlen,58 neben der Pflege von Gehorsam, Demut und Armut strikt die Statuten derjenigen heiligen Ordnung zu befolgen, die sie nunmehr angenommen hätten. 54 Ebd.: Isti quidem magistri, non ut priores inculti et asperi erant, sed blandi, suaves atque domestici et ad docendum ordinem idonei atque discreti. 55 Ebd.: Sed cum et ipsi primitus per Dalonenses a Cistercio fuissent delati, mirum videtur quod tam discordes inter se tamque dissimiles esse potuerint. Sed sciendum quod libri quibus primo Cistercienses in divinis officiis usi sunt, valde corrupti ac vitiosi fuerunt et usque ad tempora sancti Bernardi sic permanserunt. Tunc enim abbatum communi decreto ab eodem sancto abbate qiusque contoribus sunt correcti et emendati er sicut modo habentur dispositi. Aus solchen Spitzen gegenüber Dalon wird die bereits erwähnte Absicht dieser Textpassagen deutlich, die erfolgreiche Integration in den Cisterzienserorden zu bekräftigen  ; siehe oben Anm. 7. 56 Ebd., 196  : Cur nos pater deseris  ? aut cui nos desolatos relinquis  ? Sufficiebat nobis paupertas ­nostra, ut divitias computaremus quod te videremus pastorem et gubernatorem animarum nostra­ rum. Et nunc post te quid faciemus vel ad quem in tribulatione nostra confugiemus  ? 57 Vgl. dazu die Überlieferung des analogen Geschehens um Stephan von Muret  ; siehe Melville, In solitudine, 9ff. 58 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 196  : Porro ipse in quantum poterat eos consolabatur. […] Cumque illum rogarent ut fratribus Obazine quos orbatos utique relinquebat ultima saltim man­ data dirigeret, ipse nihil aliud eis precipiebat nisi ut sancti ordinis quem susceperant statuta fir­ miter custodirent […].

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Wie schon bei der oben erwähnten Ermahnung an die Mitbrüder, den Umformungsprozeß zu ertragen, wurde auch hier nochmals mit Hilfe von verbliebenem Charisma diejenige Organisationsform bekräftigt, die Fortbestand gerade ohne charismatischen Führer versprach. Und um nichts anderes, als dieses Ziel zu erreichen, war es Stephan von Obazine im Grunde schon ab jenem Zeitpunkt gegangen, als um ihn herum eine Gruppe entstanden war, die er der Hinfälligkeit seines Lebens und vor allem der Vergänglichkeit seines Wortes letztlich nicht überlassen wollte. Wie bei anderen vergleichbaren Persönlichkeiten – bei Stephan von Muret, bei Robert von Arbrissel oder später bei Franziskus von Assisi – gründete die charismatische Führungskraft Stephans von Obazine wohl prinzipiell in der Prätention, unmittelbar von Gott, also ohne Zwischenschaltung von institutionellen Ordnungen dieser Welt, den wahren Weg zum Heil erhalten zu haben.59 Diese persönliche, ganz offensichtlich anti-institutionelle ›Begabung‹60 nutzte Stephan nicht nur zur anfänglich ebenso anti-institutionellen Führung einer Gemeinschaft von Jüngern, sondern dann auch zur zwangsweisen Unterwerfung unter die Ordnungsmacht des Institutionellen, um den Fortbestand der Gemeinschaft zu sichern.61 Nur so konnte er paradoxerweise durch Charisma die Defizienz des Charismas neutralisieren. Der Preis dieser Paradoxie aber war letztendlich das Charisma selbst, denn aus der Jüngergemeinschaft war eine ›Satzungsgemeinschaft‹62 geworden.

59 Vgl. oben bei Anm. 24. 60 Zu einer derart anti-institutionellen Spannung als einem generell ekklesiologischen Problem vgl. von Moos, Krise, 335 in zusammenfassender Charakterisierung paralleler Erscheinungen  : »Denn institutionell vorgesehene Gegeninstanzen gegen die Institution, wie Gewissen, persönliche Heilssorge, göttliche Inspiration oder ganz allgemein der wahre Glaube des einzelnen mögen sich je nach dem Blickwinkel als Spaltkeime der Kirche oder aber als deren Lebensprinzip erweisen.« 61 Vgl. allgemein zur Einordnung eines charismatisch Wirkenden in die verfaßte, institutionalisierte Gemeinschaft Melville, Aspekte zur Aporie, XXXIIIff. 62 Das gilt im besonderen angesichts der Tatsache, daß aus den Jüngern Stephans Cisterzienser geworden sind, welche schon mit der Satzung ihrer Carta caritatis als Protagonisten eines konstitutionell verfaßten Mönchtums gegolten haben  ; vgl. direkt zu diesem Aspekt Melville, Das Cisterziensertum. Siehe die frühen Verfassungstexte jetzt in  : Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell.

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Siehe ›in der elften Stunde‹ hat der Herr […] seinen Diener, den seligen Franziskus gerufen, einen Mann ›wahrhaft nach seinem Herzen‹, eine Leuchte, […] die […] bereit war, zur festgesetzten Zeit in den Weinberg geschickt zu werden, damit er daraus die Dornen und Stacheln herausreiße und nach Niederwerfung der angreifenden Philister das Vaterland erleuchte, mit Gott versöhne und durch eifrige Ermahnung belehre.1

Diese Worte von Gregor IX. aus der Kanonisationsbulle des Franziskus beeindrucken nicht nur durch die hohe Anerkennung, die jener Papst hier dem Heiligen allgemein zollte, sondern mehr noch durch die ganz außeralltägliche Rolle, die Franziskus zugewiesen wurde  : nämlich als der von Gott gesandte, einzigartige Retter im Eschaton der ›elften Stunde‹ – in der heilsgeschichtlich letzten Epoche also – zu fungieren.2 Die zitierten Worte wurden am 19. Juli 1228 publiziert. Nur gut zwei Jahre später – am 28. September 1230 – ließ derselbe Papst in der Bulle Quo elongati, die sich mit dem Testament des Franziskus befaßte und dieses derogierte, verlauten  : Zu diesem mandatum [sc. jenem Testament] sagen wir euch, daß ihr es nicht zu befolgen braucht, weil es ohne Zustimmung der Brüder und vor allem der ministri, die alle es berührt (quos universos tangebat), nicht verpflichtend ist  ; und es bindet auch nicht den Nachfolger, da ein Gleicher keine Befehlsgewalt über einen Gleichen hat (cum non habeat imperium par in parem).3

Auch hier ist der Heilige angesprochen,4 doch nun erscheint er allen Glanzes der Superiorität und der Einzigartigkeit beraubt. Zumindest was die normative 1 Übersetzung nach Wolff, Franziskus, 303. 2 Vgl. ebd., 40ff. Bezeichnend ist, daß die Kanonisationsbulle wörtlich mit jener Passage aus dem österlichen Exsultet beginnt, in der die Aussendung des Gottessohnes als Erlöser direkt angesprochen wurde, und somit auch die soterologische Verankerung des Franziskus in der vita evangelica verdeutlicht wird  : Circa nos divinae pietatis dignatio, et inaestimabilis dilectio charitatis, qua filium pro servo traditit redimendo, dona suae miserationis non deferens, et vineam dextera ejus plantatam continua protectione conservans […]  ; Bullarium Franciscanum, 42. 3 Grundmann, Religiöse Bewegungen, 21. 4 Vgl. ebd., 3–7  ; siehe auch Feld, Franziskus, 336ff.

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Geltungskraft seines Tuns anbelangt, wird er als ein ›Gleicher unter Gleichen‹ positioniert, der zudem eingebunden ist in ein kollektives Mitbestimmungsrecht seiner Gemeinschaft.5 Beide Textstellen sind von einer frappierenden Gegensätzlichkeit. Dieser Sachverhalt dürfte allerdings nicht auf eine Inkonsequenz ihres Autors zurückzuführen sein, obgleich man Gregor IX., vormals Kardinal Hugolino von Ostia und Protektor des Ordens, bis zu einem gewissen Grade durchaus eine gespaltene Haltung in Hinblick auf Franziskus nachsagen kann.6 Ich bin der Ansicht, daß es seitens Gregors IX. zu einer solchen Gegensätzlichkeit des postmortalen Umgangs mit Franziskus kommen mußte, um dessen Wirkkraft in einer ganz bestimmten Weise zu erhalten. Meines Erachtens verweist die Gegensätzlichkeit dieser beiden Zitate nämlich auf nichts anderes als auf die Frage, wie die geltungsstiftenden Leistungen des charismatischen Handelns von Franziskus dergestalt festgehalten werden konnten, daß sie die Spanne seines Lebens überdauerten. Es ging um das Problem der bleibenden Institutionalisierung eines Handelns, das eigentlich an die Vergänglichkeit einer Person gebunden war.7 Daß es sich bei solcherart Umgang mit der charismatischen Persönlichkeit angesichts deren Sterblichkeit in der Tat um ein fundamentales Problem der Stabilitätssicherung von Gemeinschaften handeln konnte, dessen war man sich im Religiosentum freilich schon lange vor Franziskus bewußt  : Sein Wort ist wie brennendes Feuer, das die Seelen der Zuhörenden so sehr entzündet, daß die Beschaffenheit ihres Lebens und ihrer Sitten verändert wird. Seine 5 Zu den hier herangezogenen, altherkömmlichen Rechtssätzen non habeat imperium par in parem und quos universos tangebat siehe Tierney, Accursius  ; Congar, Quod omnes. 6 Vgl. Selge, Franz von Assisi  ; Feld, Franziskus, 322ff. 7 Wenn in dieser Abhandlung zentral von ›Charisma‹ die Rede sein wird, geschieht dies durchaus im Max Weber’schen Sinne (siehe Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 140ff.) und unter stillschweigender Verwendung manch wertvoller Anregungen vor allem seitens Seyfarth, Alltag  ; Schluchter, Entwicklung  ; ders., Webers Sicht  ; Breuer, Staat  ; ders., Herrschaftssoziologie  ; Gebhardt, Charisma. Die institutionsanalytischen Aspekte fühlen sich im besonderen Maße den theoretischen Untersuchungen des Jubilars verbunden, namentlich  : Rehberg, Institutionen  ; ders., Fiktionalität  ; ders., Weltrepräsentanz. – Nicht unproblematisch ist indes der Aufgriff der Thematik selbst  : im Hinblick nämlich auf die abundante und höchst kontroverse Franziskus-Forschung. Er dürfte eigentlich nicht mittels eines solch eng zu fassenden Beitrages erfolgen  ; erforderlich wäre eine wesentlich eingehendere Auseinandersetzung mit den Quellen und der Forschungsliteratur, als wie es hier nun in einem recht essayistischen Stil vollzogen werden kann. Die Fragestellung wird also an einer künftigen Stelle vertieft werden müssen, doch sei bereits jetzt auf eine Veröffentlichung aus anderer Feder hingewiesen, der die vorzulegende Gedankenführung viel verdankt  : Alberzoni, Unus novellus pazzus.

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äußere Erscheinung, wie auch sein Auftreten und alles, was er tut, sind gleichsam eine Predigt und zeigen nichts anderes an als Lebensordnung und Zucht der Sitten und Handlungen,8

hieß es euphorisch über den religiösen Zeloten Stephan von Obazine, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine Gemeinschaft von Eremiten um sich geschart hatte – und dennoch fuhr man bezüglich der normativen Fortwirkung seines Handelns fort  : Weil aber die Tage des Menschen kurz sind (Iob 14.5) und menschliche Belehrung nur so lange von Wirkung ist, wie der Belehrende lebt und gegenwärtig ist, beschlossen seine Brüder, das Bekenntnis einer jener Ordnungen, die in der Kirche autorisiert sind, anzunehmen, auf daß nach dem Ende des Lehrmeisters dann die Autorität des geschriebenen Gesetzes ihnen nie zu Ende gehe (scripte legis auctoritas eis indeficiens permaneret).9

Schaffung von Dauer war hier gleichgesetzt mit der Annahme einer bestehenden Ordnung, welche auch unabhängig vom charismatischen Begründer der Gemeinschaft Geltung besaß. Von Norbert von Xanten, dem Begründer der Prämonstratenser, ist bspw. ebenfalls überliefert, daß seine Mitbrüder zunächst glaubten, zu ihrem Heil würde das ausreichen, was sie aus seinem Munde hörten, so daß sie weder einer festen Ordnung noch einer Regel bedurften. Doch Norbert belehrte sie eines Besseren, indem er seiner Gemeinschaft die Augustinusregel als verbindlich erklärte und dabei hervorhob, die apostolischen und evangelischen Anweisungen könnten auf Dauer nicht erfüllt werden ohne geschriebene Ordnung, ohne Regel oder ohne die Einrichtungen der Väter.10 Solcherart Ordnungen und Regeln aber bedienten sich eines anderen Mediums als dem der charismatisch geprägten Kommunikation  : Aus dem Wort wurde Schrift. Die zeitüberbrückende Speicherfunktion der Schrift, ihre Fähigkeit zur authentischen Bewahrung, die transpersonale Geltungschance des Aufgeschriebenen, ferner die mit dem Aufschreiben gebotene Generalisierung des   8 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 58.   9 Ebd., 96  ; Melville, Duo novae, 16f. (hier S. 96); Andenna, Dall’esempio, 216ff. 10 Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683  ; vgl. Grundmann, Religiöse Bewegungen, 40  ; Bomm, Augustinusregel, 248ff. – Die Grandmontenser z. B. handelten in struktureller Analogie, als sie die mündlichen Anweisungen Stephans von Muret, ihres Gründers, nach dessen Tod in ein Buch namens Doctrina Stephani schrieben und ihnen damit Unvergänglichkeit sicherten  ; vgl. Melville, Regula regularum.

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Normativen und damit die prospektive Vorwegnahme subsumierbarerer Einzelfälle, wie auch die stets offene Möglichkeit zur Änderung des Geschriebenen waren jene Eigenschaften, von denen man gerade im Bereich des mittelalterlichen Religiosentums glaubte, mit Schriftlichkeit und den von ihr getragenen Organisationsformen den institutionellen Bestand über die Gründungsphase hinaus sichern zu können.11 Nun zeigte sich aber anhand der Eingangszitate, daß gerade ein in Schrift gefaßtes mandatum des Franziskus dasjenige Objekt war, anhand dessen man die Fortwirkung des Franziskus stornierte. Wenn aber dennoch jene beiden Zitate in ihrer kontrastiven Struktur zusammengenommen Belege für eine Kontinuierung der charismatischen Wirkungskraft des Franziskus darstellen, so mußte offensichtlich diese Kontinuierung auf eine ganz andere Weise bewerkstelligt worden sein, als es bei den vorangegangenen Charismatikern der Fall gewesen war  : nämlich eben gerade nicht über Schriftlichkeit und Organisation. – Um dieser Annahme nachzugehen, muß ich nun etwas weiter in die franziskanische Überlieferung ausholen und zunächst den Hintergrund des ersten Zitates – also desjenigen aus der Kanonisationsbulle, das die Außeralltäglichkeit des Franziskus hervorhob – beleuchten.12 In der sog. Legenda trium sociorum wird eine Geschichte erzählt, die gleichsam einen fundierenden Charakter für das Wesen der Gemeinschaft des Franziskus hatte. Man liest dort, die beiden ersten Gefährten des Franziskus hätten sich mit diesem zu Beginn ihrer Bekehrung eines sog. ›Buchorakels’ bedient – in der Hoffnung, Gott möge ihnen ihr propositum anhand von Bibelstellen zeigen. Beim ersten Öffnen der Bibel seien sie auf die Matthäus-Stelle gestoßen  : »Wenn du vollkommen sein willst, geh und verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben.« (Mt 19.21) Doch als »wahrer Verehrer der Dreifaltigkeit«, heißt es weiter, wollte Franziskus eine dreimalige Versicherung haben. So hätten sie dann beim zweiten Mal das Wort »Nehmt nichts auf den Weg« (Lc 9.3) gefunden und beim dritten die Stelle »Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst« (Mt 16.24). Franziskus – so wurde betont – habe Gott für die Bestätigung seines Wunsches nach einer solchen Lebensweise gedankt und sich mit folgenden Worten an seine Begleiter gewandt  : »Brüder, das ist das Leben und die Regel für uns und für alle, die sich unserer Gemeinschaft anschließen wollen. Geht also hin und erfüllt, was ihr gehört habt.« An diese Textpassage schlossen sich dann sehr pointierte Worte 11 Vgl. Melville, Schriftlichkeit  ; Schreiner, Dauer  ; ders., Verschriftlichung  ; ders., Obser­ vantia regularis. 12 Siehe dazu auch Alberzoni, Unus novellus pazzus.

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an, welche ausdrücklich die gesamte Spanne des charismatischen Wirkens von Franziskus umgriffen  : Von jener Stunde an lebten sie mit ihm zusammen nach der ihnen vom Herrn gezeigten Weise des heiligen Evangeliums. Darum hat der selige Franziskus in seinem Testament gesagt  : ›Der Herr selbst hat mir geoffenbart, daß ich nach der Vorschrift des heiligen Evangeliums leben solle‹.13

Damit scheint alles auf den Punkt gebracht worden zu sein, was das neue regulare Leben des Franziskus und seiner Jünger von nun an legitimierte und was über den Tode des Franziskus hinaus als Vermächtnis fortgetragen werden konnte  : zum einen jene Normen des Evangeliums der strikten Nachfolge Christi und zum anderen auch die unmittelbare Anweisung von Gott selbst, sie rein und radikal zu befolgen. Der kritische Beobachter religiöser Bewegungen und Orden seiner Zeit, J­ acques de Vitry, hat die Tragweite eines solchen Anspruches sehr genau erkannt, als er zu der Gruppe um Franziskus, zu den vere minores, ausführte,14 mit ihr habe der Herr auf den ersten Blick neben den religiones der Eremiten, Mönche und Regularkanoniker eine vierte religiöse Einrichtung (quarta religionis institutio) geschaffen, damit es ein quadratisches Fundament der regular Lebenden (regulariter viven­ tium quadratura fundamenti) mit festem Bestand gäbe. Bei genauerer Betrachtung aber, so fährt er fort, habe Gott eigentlich keine neue Regel hinzugefügt, sondern angesichts der derzeitigen Beschaffenheit und Ordnung der ecclesia nur eine alte, darniederliegende und fast schon tote religio wieder aufgerichtet. Die Brüder würden nämlich die religio der Urkirche, deren Armut und Demut in sich wiederherstellen,15 sie tränken gleichsam die reinen Wasser aus dem evangelischen Brunnen und erfüllten nicht nur die Gebote, sondern auch die consilia des Evangeliums gemäß dem Leben der Apostel. Die Erkenntnis also, daß sich die Lebensweise der Minoriten nicht in die traditionellen Fächer der vita religiosa einpassen ließ, veranlaßte Jacques, den Anspruch des franziskanischen propositum auf unmittelbare Verankerung in den Grundkonditionen des Christentums hervorzuheben. Doch mehr noch – Jacques de Vitry wies dieser neuen und zugleich primordialen religio eine entscheidende Position in der Heilsgeschichte zu  : Gott habe die alte 13 Übersetzung nach Grau, Dreigefährtenlegende, 115  ; vgl. Feld, Franziskus, 145ff. 14 Zitate bei Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 158ff.; vgl. Elm, Entwicklung  ; Melville, Duo novae, 7ff. (hier S. 87ff.). 15 Siehe dazu auch Miccoli, Ecclesiae primitivae forma.

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religio – die vierte der quadratura fundamenti – wieder aufgerichtet, damit er in den gefährlichen Zeiten des Antichristes neue Athleten entstehen ließe und mit ihnen seine Kirche gegen die drohenden Bedrängnisse wappne. Ein Außenstehender beobachtete hier, was diejenigen, die sich enger mit Franziskus befassen mußten, schon während der Anfänge der franziskanischen Gemeinschaft feststellten. Bezeichnend hierfür war nicht nur jener Traum von Papst Innocenz III., in welchem Franziskus als der Retter des einstürzenden Kirchengebäudes erschien16  – bezeichnend war vor allem jene bekannte Szenerie, als Franziskus und seine erste, zwölfköpfige Gruppe im Jahre 1209 vor jenen Papst selbst trat.17 Panegyrisch hob der die junge Gemeinschaft unterstützende Kardinal von Sankt Paul hervor, als er Franziskus ankündigte  : Ich habe einen äußerst vollkommenen Mann gefunden, der nach Form des heiligen Evangeliums leben und die evangelische Vollkommenheit in allem einhalten will, durch die, so glaube ich, der Herr den Glauben der heiligen Kirche auf der ganzen Welt erneuern will.18

Als dann nach dem Auftritt des Franziskus seitens mancher Kardinäle Bedenken aufkamen, ob dessen Vorhaben nicht doch etwas ganz Neuartiges und die Kräfte Überforderndes seien, setzte jener Kardinal apologetisch mit folgenden bemerkenswerten Worten nach, die von Bonaventura überliefert wurden und die, gleichwohl sie gewiß nicht in dieser Form gesprochen worden waren  ; die historische Struktur nichtsdestoweniger exakt wiedergaben  : Wenn jemand sagt, innerhalb der Befolgung der evangelischen Vollkommenheit und seinem Wunsch sei etwas Neues oder Unvernünftiges oder etwas, was man nicht einhalten kann, enthalten, der zeigt damit, daß er gegen Christus, den Autor des Evangeliums, lästert.19

Auch Franziskus selbst verwahrte sich dagegen, daß seine Armutsvorstellungen nicht realisierbar seien.20 Wie überliefert, habe er Innocenz III. das Gleich16 Siehe dazu Feld, Franziskus, 174ff. 17 Ebd., 166ff.; Maleczek, Franziskus. 18 Überliefert in der Legenda trium sociorum, no 48, Übersetzung nach Grau, Dreigefährtenlegende, 136. 19 Überliefert in der Legenda maior III.9 des Bonaventura, Übersetzung nach Feld, Franziskus, 169. 20 Dazu Manselli, Povertà  ; Feld, Franziskus, 189ff.; neuerdings Wesjohann, Überschüsse an Armut, 184ff.

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nis von einem Weibe vorgetragen, das mit Kindern, welche einst vom König gezeugt worden seien, arm in der Wüste lebte und dann aber doch am Hofe aufgenommen worden ist. – Er selbst sei mit diesem Weibe gemeint, verdeutlichte Franziskus daraufhin dem Papst und unterstrich, der König der Könige werde alle seine Söhne ernähren, die er durch ihn, Franziskus, zeugen werde, »denn wenn er die Fremden ernährt, muß er auch die rechtmäßigen Söhne gut ernähren«.21 Mit diesem Bild war jedoch mehr gesagt als nur das Vertrauen in einen durch Gott gewährleisteten Lebensunterhalt  ; es ging Franziskus auch hier um die Legitimierung seiner Lebensweise durch Gott selbst. Denn gemäß seiner Ausdeutung des Gleichnisses hatte das Weib ihre Kinder direkt zu Christus gesandt, nicht zum Haupt der Kirche Christi, zum Papst. Oder anders gesagt  : hatte also Christus die Jünger des Franziskus unmittelbar – und das heißt  : gleichsam ohne Zwischenschaltung der heilsvermittelnden Institution Kirche – zu seinen Kindern erwählt. Zu Recht wies schon Ernst Benz darauf hin, daß Franziskus hier der Grenze zur Häresie durchaus nahe gekommen war.22 Es blieb jedoch – und dies war nicht minder konsequent – bei der Ablehnung all dessen, was die Kirche für die Regulierung einer solchen religiösen Bewegung glaubte anbieten zu können  : nämlich zurückzugreifen – wie ihm bei seinem ersten Rombesuch vorgeschlagen – auf die traditionellen Formen und Regeln des monastischen oder des eremitischen Lebens.23 Ähnlich reagierte Franziskus, als ihm viele Jahre später in Anwesenheit des Kardinals Hugolino von fratres sapientes geraten worden ist, er solle in seine neue Regel manches von jener des Augustinus, Benedikts oder Bernhards übernehmen. In Antwort auf dieses Ansinnen berief sich Franziskus auch hierbei auf den Sachverhalt, daß Gott ihm unmittelbar den richtigen Weg gewiesen habe  ; und somit wolle er nichts von irgendeiner der genannten Regeln hören  : Meine Brüder, meine Brüder, Gott selbst rief mich auf den Weg der Demut und zeigte mir den Weg der Einfachheit. […] Und so will ich nicht, daß ihr mir irgend21 Überliefert in der Legenda trium sociorum, no 50  ; Übersetzung nach Grau, Dreigefährtenlegende, 138  ; vgl. dazu Feld, Franziskus, 172ff. 22 Benz, Ecclesia, 79  ; vgl. zum strukturellen Rahmen von Moos, Krise. 23 Siehe dazu Grundmann, Religiöse Bewegungen, 132  ; Feld, Franziskus, 168. So überliefert Thomas de Celano in seiner ersten Vita  : Verum quia homo erat [sc. der Kardinal von St. Paul, der erste Beschützer der Gemeinschaft] providus et discretus, coepit eum [sc. Franziskus] de multis interrogare et, ut ad vitam monasticam seu eremiticam diverteret, suadebat. At sanctus Franciscus suasionem eius humiliter, prout poterat, recusabat, non persuasa descipiendo, sed alia pie affectando, alteriore desiderio ferebatur  ; Thomas von Celano, Vita prima sancti Francisci, 306.

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eine Regel nennt, weder die des Heiligen Benedikts, noch die des Heiligen Augustinus oder die des Heiligen Bernhards, auch sonst keinen Weg oder Form des Lebens außer den, den Gott mir sich erbarmend gezeigt und geschenkt hat.24

Franziskus war nicht der erste, der so sprach. Schon von Stephan von Muret, dem Begründer des späteren Ordens von Grandmont zu Beginn des 12. Jahrhunderts, ist die Feststellung überliefert, es gebe zum Hause des Herrn mehrere Wege und Zugänge – obgleich sie aber von den Heiligen Vätern schriftlich niedergelegt worden seien und sie sodann z. B. als die Regel des Heiligen Basilius oder die des Heiligen Augustinus oder die des Heiligen Benedikts bezeichnet werden, bedeuteten sie nicht den Ursprung, vielmehr seien sie nur Auskeimungen.25 Lapidar wurde in der späteren Regel der Grandmontenser unterstrichen  : »Nicht die Wurzel, sondern Zweige sind sie, nicht das Haupt, sondern Glieder.« Es bestehe nur eine einzige prinzipale Regula Regularum, von der alle anderen aus einer Quelle wie Flüsse herausfließen – sie sei das Heilige Evangelium, wie es vom Erlöser den Aposteln mitgeteilt worden sei. Sie sei unerschöpflich, so daß alle, die bereits daraus getrunken haben, für die Nachfolgenden genug übrig ließen.26 Hier wie bei Franziskus wurden die bestehenden Orden gleichsam rückwärts überholt. Man setzte sich über die gesamte mittlerweile herangewachsene Tradition hinweg, führte sich zum primordialen Punkt des Religiosentums zurück – also auf das Evangelium27 – und verstand sich als ein Neubeginn von etwas Altem, das seit seiner Einrichtung immerfort und absolut gegolten hatte und das dann aktualisiert werden sollte, wenn die Zeichen der Zeit dafür die Notwendigkeit aufzeigten.28 Diese Struktur verlieh dem handelnden Charismatiker einen hohen, vielleicht generell sogar nur ihm zukommenden Grad an Autonomie. Ein Verweis auf das Evangelium allein reichte jedoch nicht aus – weder bei jenem Stephan noch bei Franziskus. Auch eine charismatische Führung, die 24 Übersetzung nach der Ausgabe des Speculum perfectionis, ed. Sabatier, 1961. Zum hier angesprochenen Gedanken der ›Einfachheit‹ siehe Wesjohann, Simplicitas. 25 Liber de doctrina, ed. Becquet, 5f.; vgl. Melville, Regula regularum, 349f.; Andenna, Dall’esempio. 26 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet. 27 Zur Rolle der vita evangelica im Konzept des Franziskus vgl. Esser, Anfänge, 216ff.; Leclerc, Franziskus. Vgl. auch zur Rezeption in den Viten des Franziskus Miccoli, Francesco d’Assisi, 148ff. 28 Zu diesem Typ institutioneller Eigengeschichten vgl. Melville, Geltungsgeschichten, 101ff. Zu den Parallelen zwischen Stephan und Franziskus siehe jüngst Melville, In solitudine.

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sich nur zu orientieren schien am Glauben an eine axiomatische Botschaft des Heils, bedurfte bestimmter Regulierungen im Alltag, um die Gemeinschaft stabil zu halten. Und so komme ich nun zu denjenigen Bereichen des Geschehens, welche die Intention des zweiten meiner Eingangszitate – also desjenigen aus der Bulle Quo elongati, welches Franziskus jeglicher Sonderheit zu berauben schien – erhellen können. Die Frage dazu lautet  : Wie spielte sich das normativ-praktische Handeln des Franziskus ab  ?29 In erster Linie ging es bei diesem Handeln um eine an die Präsenz gebun­ dene Kommunikation – wie bei jedem Charismatiker. Keine der biographischen Darstellungen von Franziskus versäumte, dies hervorzuheben  : »Der heilige Franziskus jedoch gab Ermahnungen, sprach Tadel aus und erließ Vorschriften, wie es ihm nach Gottes Rat gut schien. Alles, was er mittels Worten sagte, zeigte er ihnen in liebevollem Eifer durch Werke« – so liest man z. B. in der Legenda trium sociorum, als diese auf eines der frühen Zusammentreffen aller Brüder bei Portiuncula zu sprechen kam.30 Das Wort und die beispielhafte Tat setzten die Normen – und es ist sehr aufschlußreich, welche starken Auswirkungen umgekehrt Abwesenheiten hatten, die auf bemerkenswerte Weise von Franz selbst inszeniert wurden. Die Fluchten in die Einsamkeit sind zu nennen,31 aber auch die Reise in den Orient,32 nachdem schon ein Weggang nach Frankreich gerade noch von Kardinal Hugolinos, dem späteren Gregor IX., verhindert worden war.33 Der ›abwesende Franziskus‹ war ebenso ein signifikantes Bild wie der anwesende. Und auch hierbei war sein Verhalten nicht neuartig. Vor ihm wollte schon Stephan von Obazine seine Gemeinschaft verlassen und zu den Sarazenen ziehen.34 Robert von Arbrissel und Norbert von Xanten waren einst immer wieder zu Wanderungen mit Predigt aufgebrochen und hatten ihre Kommunität allein gelassen.35 Bruno von Köln verließ seine Jünger in der von ihm gegründeten Kartause sogar gänzlich, um weit entfernt in Kalabrien eine neue Einsiedelei zu gründen.36 Die zumindest zeitweilige Abwesenheit schien zum Wesen charismatischen Handelns zu gehören. 29 Vgl. dazu vor allem auch Esser, Anfänge  ; Dalarun, François d’Assise. 30 Übersetzung nach Grau, Dreigefährtenlegende, 146. 31 Vgl. dazu Manselli, Franziskus, 282ff. 32 Dazu Ghinato, S. Franciscus  ; Feld, Franziskus, 295ff.; Müller, Bettelmönche. 33 Dazu ausführlich Feld, Franziskus, 346ff. 34 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 60. 35 Siehe Dalarun, L’impossible sainteté, 180ff.; Felten, Norbert von Xanten, 88ff. 36 Siehe Bligny, Saint Bruno  ; Cygler, Vom ›Wort‹ Brunos, 97f.

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Doch nun zu den schriftlich vermittelten Normen  : Franziskus hatte einige wenige Stellen aus dem Neuen Testament zusammengestellt, als er 1209 mit seiner ersten kleinen Gruppe vor Innocenz III. trat, um seine vita evangelica vorzustellen. Mündlich approbierte der Papst das propositum der evangelischen Armut und der Bußpredigt.37 Nachdem sich die Anhängerschaft in die Tausende vermehrt, die Botschaft sich auszubreiten begonnen,38 es schließlich eines gewissen Maßes an Organisation mit Ämtern und Organen bedurft hatte und als sich bereits erste Abweichungen von der ursprünglichen Lebensweise zeigten, kam es dann auf dem Generalkapitel von 1221 zur Vorlage eines Textes, der sich über die Jahre hinweg langsam herausgeformt hatte und der späterhin als Regula non bullata39 bezeichnet wird. Es war noch ein tief spiritueller Text, dessen erstes Kapitel mit dem Aufruf der consilia des Evangeliums beginnt, des Gehorsams also, der Keuschheit und der Armut, und das sich fortsetzt mit jenen bereits erwähnten Matthäus-Stellen der Veräußerung alles irdischen Gutes und der absoluten Christus-Nachfolge. Helmut Feld bezeichnet diese Redaktion der Regel richtig als einen »der schönsten Gebetstexte des Christentums überhaupt«.40 Natürlich war es aber auch ein normativ bindender Text – jedoch weniger im juridischen als im moralisch und religiös verpflichtenden Sinne. Zudem war die Festigkeit des Textes keineswegs gesichert. Fragmente einer abweichenden Version sind z. B. in einer Handschrift von Worcester überliefert  ; aus der Regelerklärung des Hugo von Digne und der zweiten Vita des Thomas von Celano läßt sich die Existenz weiterer Fassungen erschließen.41 Von Franziskus selbst wissen wir, daß er den Text laufend zu verändern, mehr noch  : zu verbessern wünschte. Sogar angesichts der späteren bullierten Regel versuchte er dies  ; so überlieferte Thomas von Celano z. B.: Franziskus sprach  : der Generalminister des Ordens, der Heilige Geist steht in gleicher Weise über Armen und Einfältigen. Dieses Wort wollte er auch in die Regel setzen, doch die bereits erfolgte Bestätigung ließ es nicht mehr zu (hoc sane verbum voluit in Regula ponere, sed bullatio facta praeclusit).42 37 Dazu ausführlich Feld, Franziskus, 170ff. 38 Vgl. Pellegrini, Storia e geografia. 39 Regula non bullata, ed. Esser, 373–404  ; deutsche Übersetzung Hardick / Grau, Schriften, 108–134. 40 Feld, Franziskus, 12  ; vgl. auch Manselli, Franziskus, 266ff. 41 Dazu Flood, Regula  ; Esser, Untersuchungen. 42 Thomas von Celano, Vita secunda sancti Francisci, 612.

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Ein anderes Mal beabsichtigte er, in die Regel noch einzufügen, daß alles, worauf der Name Gottes geschrieben sei, sorgfältig von den Brüdern gesammelt werde. Diese Absicht aber verhinderten seine ministri, weil sie sie für hinderlich einschätzten.43 Der Charismatiker sah sich also – und dies ist außerordentlich bemerkenswert – durch die Macht der innerhalb seiner Bewegung entstandenen Instanzen und Rechtsnormen begrenzt, in ganz freier Weise Elemente seines spirituellen propositum auf die Ebene der Norm des Regulativen zu heben. Und damit steht er so ganz im Gegensatz zu ihm vorangegangenen Charismatikern, deren Wort auch in verschrifteter Form – wie etwa beim von seinen Kartäusern abwesenden Bruno44  – unbedingt galt oder deren Wort man recht getreulich in eine Regel goß, wie es z. B. bei den Grandmontensern dann nach dem Tode Stephans von Muret geschah.45 Mehr noch  – Franz lief sogar in die Gefahr, sich durch seine legislative Tätigkeit vom Konsens seiner eigenen Gemeinschaft zu entfernen, wie wir den folgenden Geschehnissen entnehmen können  : Als kurze Zeit nach der Einführung der Regula non bullata eine neue Regelfassung – die künftige, im Jahre 1223 approbierte Regula bullata – erstellt werden sollte, kamen zu Franziskus einige ministri des Ordens und ließen ihm vortragen, er solle dem Text die Schärfe der Vorschriften nehmen  ; andernfalls möge er eine solche Regel für sich machen, nicht für alle anderen (facias pro te, et non pro eis). – Der Charismatiker war demnach auf bestem Wege, allein zu stehen und sein Wort nur für sich selbst geltend zu sprechen. Angesichts der Gefahr, sich selbst des Charismas berauben zu müssen, wenn er weiterhin zu seinem propositum stehen wollte, sah sich Franziskus dann gezwungen, auf die höchstmögliche Instanz zurückzugreifen. Von Christus selbst ließ er sich ›nur‹ zum Vermittler von dessen Botschaft erklären  : wie überliefert sprach Christus dann mit einer vox in aëre, daß nichts an der Regel von Franziskus sei, sondern alles nur von ihm selbst, und daß von daher aller Inhalt wörtlich und ohne Glossierung zu befolgen sei (Et volo quod Regula sic observetur ad litteram, ad litteram, ad litteram, et sine glossa, et sine glossa, et sine glossa).46 Nun sind wir an dem Punkt angelangt, wo wir zu den beiden Eingangs­ zita­ten und ihrer offensichtlichen Gegensätzlichkeit zurückkehren können. Ich hatte die These gestellt, daß Gregor IX. solche widersprüchlichen Feststellun43 Legenda Perusina, ed. Menestò / Brufani, 1657f. 44 Siehe den Brief Brunos von Köln an seine Kartäuser  : Ad filios suos cartusienses, in  : Lettres des premiers Chartreux. 45 Vgl. Becquet, La règle de Grandmont  ; Melville, Regula regularum, 356ff. 46 Überliefert in der Legenda Persusina, ed. Menestò / Brufani, 1495f.

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gen abgeben mußte, um die charismatische Wirkung des Franziskus auf Dauer zu stellen,  – oder bildlich gesprochen  – um ihn, Franziskus, gewissermaßen zu institutionalisieren. Der Schlüssel zur Verifizierung dieser These lag in dem letzten von mir angesprochenen Aspekt – in dem der gesetzgeberischen, organisatorischen Aktivität des Franziskus und deren normativer Fragilität. Jener Stelle in der Bulle Quo elongati, in welcher – wie eingangs zitiert – von Franz als Gleichem unter Gleichen die Rede war, ging nämlich zudem die Bemerkung voraus, Gregor glaube, daß Franziskus sicherlich eine fromme Absicht (piam intentionem) bei der Abfassung seines mandatum gehabt habe und die Gemeinschaft seiner Brüder durch iusta vota und desideria sancta habe in die rechte Form bringen (conformare) wollen. Dennoch sehe er – der Papst – dort in wichtigen Einzelheiten konkrete Gefahren und Beschwernisse der Seelen und komme deshalb zu dem Schluß, die Geltung des mandatum  – also des Testamentes des Franziskus47 – aufzuheben, um den Zweifel von den Herzen zu nehmen.48 Deutlicher konnte man die normative Fragilität von Franziskus’ legislativem Handeln nicht zum Ausdruck bringen  ! Und nicht deutlicher konnte man dann sogleich mit jenem Dictum non habeat imperium par in parem zum Ausdruck bringen, wo die institutionelle Ebene dieses legislativen Handelns lag  : im Amt der alltäglichen Leitung der Gemeinschaft, welches dann sukzessiv mit solcherart Amtsträgern fortgeführt wurde, die dem Franziskus gleichgestellt waren, – in einem Amt, das den kontingenten Bedürfnissen variabler Situationen unterworfen war, in einem Amt, aus dem Normen erwuchsen, welche ergänzbar, korrigierbar oder derogierbar waren – in einem Amt also, das einem Charismatiker fremd war, weil es stets die latente Gefahr barg, durch Alltäglichkeit dem Charisma die Wirkung zu entziehen  – oder noch stärker gesagt  : den Charismatiker in den irdischen Querelen der organisatorischen Geschäfte aufzulösen. Gregor nun nahm mit jenen Sätzen der Bulle Quo elongati gleichsam einen Teil des Franziskus weg  : den nämlich des Amtsträgers, des irdischen Leiters der Gemeinschaft, und eröffnete damit die Chance, den anderen Teil, den des Charismatikers, pur zu erhalten. Denn, was blieb, stand in dem anderen Text Gregors, den ich eingangs zitierte  : es blieb der Mann der ›elften Stunde‹, welcher in der Kanonisationsbulle mit den gleichen Worten angesprochen worden war wie Christus im österlichen Exultet49 und welcher – wie es ebenfalls 47 Siehe zu diesem Schriftstück vor allem die Analyse von Miccoli, Testamento. 48 Grundmann, Religiöse Bewegungen, 21. 49 Bullarium Franciscanum, 42.

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in jener Bulle hieß  – »das Bündel der irdischen Reichtümer« abgelegt hatte, »um sich Dem anzugleichen, der reich war und für uns arm wurde«, Christus also, und welcher die irdischen Reichtümer den Armen gegeben hatte, »damit auf diese Weise Seine Gerechtigkeit in Ewigkeit Bestand habe«.50 Es blieb ein Franziskus, der ein »Werkzeug der Heilsgeschichte«51 war, der  – wie weiter ausgeführt wurde – analog zu Samson, und ihn sogar noch übertreffend, mit der einfachsten Waffe, der simplen Predigt nämlich, gegen die »Philister« der Gegenwart deshalb erfolgreich kämpfte, weil Gott »das Schwache in der Welt erwählt hat, um das Starke zuschanden zu machen«.52 Es blieb ein zweiter Abraham,53 der wie dieser auf Geheiß Gottes ›fortgezogen‹ sei, und somit blieb gerade jener Franziskus, der stets betont hatte, Gott selbst habe ihm unmittelbar vorgegeben, wie die Vorschriften des Evangeliums neu zu (be-)leben seien. – Es blieb aber auch jene von Jacques de Vitry thematisierte quadratura fundamenti, deren viertem Eckpfeiler Gott die Sanierung der Kirche zugedacht hatte  ; es blieb gleichsam jenes Weib in der Wüste, deren Kinder der König aufnahm  ; es blieb der spirituelle Leiter, der nie einer der anderen, im Laufe der Zeiten entstandenen Regeln bedurft hatte, weil er selbst ausschließlich die zeitlose Botschaft des Evangeliums verwirklichen wollte und sollte  ; und es blieb das letztlich von der Alltäglichkeit unanfechtbare, weil vom Buchorakel geoffenbarte propositum der Christus-Nachfolge. Ein solcher Franziskus war enthoben jeder möglichen Querele um sein alltägliches Tun. Nunmehr bezog sich die normative Geltungskraft seines Handelns ganz auf das charismatische Wirken als figura der Heilsgeschichte.54 Franziskus selbst hatte diese Struktur der Trennung in ihren Ansätzen bereits aufgebaut. Auf dem Kapitel des Jahres 1220 spätestens war Franziskus von dem formellen Leitungsamt (officium praelationis) der Gemeinschaft zurückgetreten, um der Tugend der heiligen Demut zu dienen, wie Thomas von Celano formulierte.55 Von nun an unterstellte er sich einem persönlichen Guardian als 50 Übersetzung nach Wolff, Franziskus, 304  ; siehe auch die eingehende Kommentierung des Textes ebd., 37ff. 51 Ebd., 44. 52 Übersetzung ebd., 304. 53 Vgl. ebd., 46. 54 Zur Weiterentwicklung dieses Gedankens im Franziskanerorden siehe Schmidt, Legitimität, 378ff. 55 Siehe Thomas von Celano, Vita secunda sancti Francisci, 570  ; sowie die analoge Passage in der Legenda Perusina, ed. Menestò / Brufani, 1483ff. Vgl. dazu jetzt vor allem Alberzoni, Unus novellus pazzus, 289ff.

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Vertreter des Generalministers mit dem (traditionell monastischen) Argument, im Vorgesetzten solle man nicht den Menschen, sondern Gott sehen, um dessen Liebe willen man sich unterwerfe. Der Rücktritt ist also als ein spirituell motivierter Akt zu verstehen, der zwar eine Distanz von den Alltagsgeschäften zur Folge hatte, der indes – wie wir wissen – keineswegs den Verzicht auf die charismatische Führungsposition einschloß. Kaspar Elm charakterisiert die neue Position des Franziskus treffend mit folgenden Worten  : Der Heilige, der auf dem Pfingstkapitel von 1220 erklärt hatte, er sei hinfort dem Orden gestorben, und sich in der Tat zunehmend von der neuen Ordensgeneration entfremdete, bildete sich in diesen Jahren erst ganz zu dem aus, was er seit den Anfängen seiner Gemeinschaft hatte sein wollen  : zur forma, zur figura, zum exemplum, zur regula vitae.56

Auch hierbei war Franziskus nicht der erste Charismatiker, der so etwas unternahm  : Schon Stephan von Obazine hatte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erklärt, er wolle nun zurücktreten vom Leitungsamt und sich als einfacher Religiose einem anderen Bruder unterstellen.57 Dazu war es aber dann doch nicht gekommen. Indes geschah tatsächlich eine solche Abgabe des organisatorischen Leitungsamtes im Verband von Fontevraud, als um 1115/16 der Gründer Robert von Arbrissel die Religiose Pétronille de Chemillé zur Äbtissin erhob. Jacques Dalarun kommentiert diesen Vorgang mit folgenden Worten  : »à Pétronille le pouvoir effectif, à Robert une autorité spirituelle qui gagne en prestige ce qu’elle perd en efficence  ; soit la véritable autorité, qui doit se suffire à elle-même« – setzt aber trotz aller Analogie einen deutlichen Unterschied zum Verhalten des Franziskus  : »mais on ne voit pas que François ait accepté semblable départ. […] A tant d’égards, le fondateur ne sut se résoudre.«58 Richtig hat Maria Pia Alberzoni hierzu noch einmal differenziert  : »all’assisiate era sicuramente riconosciuta dai suoi frati una posizione autorevole, ma si trattava di un’autorità ›esemplare‹ non giuridica, basata addirittura sulla sottomissione reciproca, come lo stesso Francesco ribadì con vigore nel Testamento.«59 Die hier angesprochenen Stellen im Testament des Franziskus lauten zum einen  : »Und wir waren ungebildet und jedermann untertänig.« – und zum anderen  : »Und fest will ich dem Generalminister 56 Elm, Entwicklung, 192  ; vgl. auch die treffende Charakterisierung von Franziskus bei Elm, Franziskus und Dominikus. 57 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 64. 58 Dalarun, François d’Assise, 122. 59 Alberzoni, Unus novellus pazzus, 291.

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dieser Brüderschaft gehorchen oder sonst dem Guardian, den er mir nach seinem Willen gibt. Und ich will in seinen Händen sein wie ein Gefangener derart, daß ich nicht gehen noch handeln kann wider den Gehorsam und seinen Willen, weil er mein Herr ist.«60 Dessen ungeachtet aber bestand jenes – dann von Gregor IX. derogiertes – Testament auch aus einer Reihe von rigiden Befehlen an alle Brüder, wie z. B.: »Hüten sollen sich die Brüder, daß sie Kirchen, ärmliche Wohnungen und alles, was für sie gebaut wird, keinesfalls annehmen, wenn sie nicht sind, wie es der heiligen Armut gemäß ist […]« – oder  : »Ich befehle streng im Gehorsam allen Brüdern, wo immer sie auch sind, daß sie nicht wagen sollen, irgendeinen Brief bei der römischen Kurie zu erbitten […].«61 Franziskus hatte sein Testament kurz vor dem Tode geschrieben, als vielerlei im Orden bereits eine Entwicklung genommen hatte, das seiner Ansicht nach (und wohl auch objektiv) mit den Anfängen der Bewegung nicht mehr im Einklang stand. Franziskus selbst verstand sein Testament bekanntlich zwar nicht als eine ›neue Regel‹, dennoch aber als eine »Erinnerung, Ermahnung, Aufmunterung (recordatio, admonitio, exhortatio)«, welche immerhin wie die Regel als von Gott gegebene Worte »einfältig und ohne Erklärung (simpliciter et sine glossa)« zu verstehen seien.62 »In seinem ›Testament‹«, um es mit den Worten von Helmut Feld zu sagen, »hat Franziskus dann noch einmal den (letztlich gescheiterten) Versuch unternommen, die neue Regel im Sinne der alten [gemeint ist die Regula non bullata gegenüber der bullata] und der in ihr enthaltenen Elemente genuinen franziskanischen Geistes der Gründerjahre zu interpretieren und zu ergänzen.«63 Franziskus war mit seinem Testament bereits gescheitert, als er es schrieb, denn er schrieb es zur Unzeit. Es war ein Text, der normativ in den Alltag eingriff und der somit den schier schon entrückten Charismatiker noch einmal in dies verstrickte, was ihm vom Prinzip her fremd war und folglich ihn in seiner Autorität schmälern mußte. So wurde denn auch die Durchführbarkeit von alltagsbezogenen Regeln im Testament von seinen Mitbrüdern in Zweifel gezogen. Brüchig ist das ›Wort‹ des Charismatikers geworden, geblieben war ihm dann nur noch die Unterstellung einer pia intentio. – Franziskus fand in Papst Gregor IX. einen mächtigen Agenten, der nunmehr das Entscheidende vollzog  : die posthume Teilung des Franziskus unter Belassung nur eines, aber des entschei60 Übersetzung nach Hardick / Grau, Schriften, 143f. 61 Ebd., 144. 62 Ebd., 145. 63 Feld, Franziskus, 312f.; dagegen Quaglia, Testamento.

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denden Teiles. Denn was übrig blieb, war die forma, die figura, das exemplum, die regula vitae schlechthin.64 Und damit war Franziskus nachträglich – also in der memoria – allen irdischen, organisatorischen Zufälligkeiten, Banalitäten und Wechselhaftigkeiten entzogen. Was blieb, war das auf Dauer geltende Modell. Während sich die Gemeinschaft der ›minderen Brüder‹ zu einem Orden organisierte und auf diese Weise zu einer bleibenden Institution wurde, fand sich Franziskus gerade gegen die Organisation institutionalisiert  – als der gottgewollte Vollstrecker in der ›elften Stunde‹. Wenn man für diese Institutionalisierung ein Symbol benennen möchte, dann war es eben nicht das Testament, nicht ein geschriebenes Wort, nicht die Regel, sondern es waren die Wundmale Christi, die Franziskus – wie überliefert – empfangen hatte und die den Generalminister Elias65 veranlaßten, in einem Rundbrief nach dem Tode des Franziskus zu schreiben  : […] verkündige ich euch große Freude und ein außerordentliches Wunder. Von Ewigkeit her ist nicht erhört ein solches Zeichen außer im Sohne Gottes, welcher ist Christus der Herr. Nicht lange vor seinem Tode stellte sich heraus, daß unser Bruder und Vater gekreuzigt war  : die fünf Wunden, die wahrlich die Wundmale Christi sind, trug er am Leibe. […] Bleibet eingedenk (habete memoriam) unseres Vaters und Bruders Franziskus, zu Lob und Ehre dessen, der ihn unter den Menschen erhöht und ihn vor den Engeln verherrlicht hat.66

In diesem Teil des Franziskus lag die tiefste Begründung für die so stupende Wirkung der franziskanischen Bewegung in allen Spielarten und in allen Bereichen der Welt über die Jahrhunderte hinweg  : in der Institutionalität des selbst nicht mehr einholbaren, des entrückten und zugleich stets wieder präsent zu machenden, als Mythos reaktivierbaren67 und dann erneut als Maß zu nehmenden Mannes der ›elften Stunde‹. 64 Elm, Entwicklung, 192  ; vgl. auch die treffende Charakterisierung von Franziskus bei Elm, Franziskus und Dominikus. 65 Zu dieser sehr umstrittenen Persönlichkeit siehe Berg, Elias von Cortona  ; Feld, Franziskus, 353ff.; Mori, Elia da Cortona  ; Sickert, Persönlichkeit oder Typus. 66 Übersetzung nach Corstanje, Gottes Bund, 102f. Vgl. zur heilsgeschichtlichen Einordnung des Franziskus in diesem Brief Wolff, Franziskus, 19ff. 67 Zu einer solchen Struktur, die gerade aufgrund ihrer Paradoxalität vor allem dann so wirkungskräftig ist, wenn sie  – wie es bei Franziskus der Fall war  – eine Flut von Viten und Legenden hervorbringt, siehe die allgemeinen Überlegungen von Strohschneider, Textheiligung, 111ff., sowie auf das Franziskanertum bezogen Wesjohann, Überschüsse an Armut.

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Duo Novae Conversationis Ordines Zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum

Duo novae conversationis ordines könnten seit kurzem im Bistum und vor allem in der Stadt Magdeburg beobachtet werden, schreibt um 1224/25 ein Anonymus aus dem Regularkanonikerstift Lauterberg.1 Die eine Gruppe, die nur Kleriker zu ihren Mitgliedern zähle, nenne sich sancti Praedicatores, die andere, die auch Laien aufnehme, bezeichne sich als Minores Fratres  ; beide seien von Papst Innocenz III. bestätigt worden. Was aber – fährt er fragend fort – bedeute die Einführung von Neuigkeiten dieser Art (huiusmodi novi­ tatum introductio) anderes als den Vorwurf (exprobatio) einer nachlässigen und sorglosen conversatio derjenigen, die in jenen ordines formiert sind, auf welchen sich die Kirche einstmals begründete  ? Es sei doch festzuhalten, daß schließlich die praecepta von Augustinus und Benedikt, die gelehrt und vorgelebt hätten, zu welchem Gipfel an Heiligkeit man mit ihrer conversatio gelangen könne, keiner neuen Einrichtungen (novae institutiones) zu bedürfen scheinen, folge man ihnen nur in Gehorsam. Suche man nach Heiligkeit durch neue Einrichtungen, könne nämlich jene durchaus hinreichen, zu welcher diese heiligsten Väter gemäß ihren Lebensregeln (secundum suas vivendo regulas) gelangt seien. Es falle ihm nämlich nicht leicht zu glauben, daß irgendjemand aus dem Orden der Prediger oder der Minderbrüder heiliger werden könne als Augustinus oder Benedikt.2 Und er sage dies nicht, um jemanden den guten Eifer abzusprechen, sondern weil er es als äußerst schmerzlich empfinde, daß die alteingesessenen Orden (primitivi ordines) durch die inordinata conversatio ihrer Mitglieder so verachtenswert geworden seien, daß sie denen, die sich von der Welt zurückziehen (saeculo renuntiare) wollen, zum Heil nicht mehr genügen. Würden sie für ausreichend gehalten, würden andere, neue niemals verlangt werden (Si enim posse sufficere putaren­ tur, numquam novi alii quaerentur). 1 Chronicon Montis Sereni, 220  ; wiederabgedruckt bei Testimonia, ed. Lemmens, 18f. Erst kürzlich machte auch Dalarun, François d’Assise, 23, wieder auf diese beachtenswerte Textstelle aufmerksam. Es handelt sich im übrigen, wie dort zu finden, bei dem Kloster Lauterberg bzw. Petersberg (nahe Halle) nicht um ein Prämonstratenserkloster  ! 2 Eine ähnliche Meinung findet sich z. B. auch bei Matthäus Paris, Chronica maior, 136.

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Das Besondere dieser Feststellungen liegt weniger in der Tatsache, daß sie durch Verblüffung über jene (zudem von der Amtskirche geförderte) neue religiöse Kraft ausgelöst wurden, welche auch andere Zeitgenossen als ein vorerst nicht recht erklärbares Phänomen überrascht hatte und deren Wirkung z. B. der anonyme Autor der Annales Normannici wenig später mit den Worten beschreibt  : quod in pauco tempore terram repleverunt, ut vix civitas aut castrum famosum posset inter christianos reperiri, in quo praedicti ordines loca sibi non aedificassent – um dann mit etwas spitzem Hinweis anzumerken, daß sowohl zum Prediger- wie zum Minderorden, die von Kirche und Volk mit großer Freude aufgenommen wurden, viele Adelige und iuvenes sophistae insbesondere wegen deren ungewöhnlichen Neuigkeit (propter novitatem insolitam) gestoßen seien.3 Auch ist nicht allzu erstaunlich, daß ein Angehöriger der primitivi ordines den Mendikanten als augenscheinlichen Konkurrenten zunächst mit einer gewissen Zurückhaltung begegnet und ihnen die Wertemuster ›seiner‹ Heiligen entgegenhält. Bedeutsamer ist vielmehr die Argumentationsebene, auf der die Gegenüberstellung erfolgt. Der Autor nimmt zwar wahr, daß es sich – wie er sagt – um approbierte conversationes handelt, die sich als novae institutiones augenscheinlich über das Alte gelegt hätten, und spricht damit eine Organisationstruktur an, die seiner Zeit durchaus vertraut war. Die partikularrechtliche Bedeutung von institutiones hoben die Juristen jener Zeit immer wieder hervor – am prägnantesten dann vielleicht Goffredo da Trano (†  1245)  : Sed quia circa hoc diverse inveniuntur observantie et statuta, magis hoc per institutiones eorum [sc. der Religiosen] instruitur quam per iura,4 oder Hostiensis in seiner Summa aurea (verfaßt um 1253)  : Non tamen posset de facili status vitae ipsorum [sc. der Religiosen] a iure comprehendi, quia diuersa sunt monasteria, et diuersas habent institutiones et ideo ad ipsas est recurrendum.5 Und sie verwiesen damit auf geschlossen organisierte Bereiche, deren Eigenständigkeit kaum unter das gemeinsame Dach des ius commune zu bringen war. Darüber hinaus ließ sich an dem Begriff institutio – und hierbei war er nahezu komplementär mit religio zu verwenden6  – die jeweilige Sonderheit in liturgischen Gebräuchen oder Gebets-, Arbeits- und Fastengewohnheiten ebenso festmachen wie spe3 Annales Normannici, 514  ; Testimonia, ed. Lemmens, 20f. Einen Überblick über weitere frühe Fremdbeobachtungen der Minoriten gibt neben Lemmens auch Esser, Anfänge, 9ff. 4 Goffredus da Trani, Summa, 154v. 5 Summa aurea, Venedig 1574, 1144. 6 Zum Begriff institutio bzw. religio als partikularrechtliche Identifizierung religiöser Gemeinschaften vgl. Dubois, Les ordres religieux, 297ff.

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zielle Ausformungen spiritueller Deutungsmuster und zönobitärer Leitwerte. Institutiones waren also Raster für die unverwechselbare Identifizierung einer religiösen Gemeinschaft, bei denen es nicht nur auf geschichtlich ausgefaltete Filiationsstränge von gemeinsamen Observanzen ankam, sondern gerade auch auf die je singuläre organisationsrechtliche und spirituelle Figurierung im kontrastiven Nebeneinander zu anderen Gruppierungen. Das Neue als ›Vorwurf‹ einer Insuffizienz des Alten, wie es der Anonymus aus Lauterberg kennzeichnet, gewinnt aber nur Sinn, wenn unterstellt wird, daß es allen Seiten um das Gleiche geht. Nach Ansicht des Autors lag die Attraktivität jeglichen Religiosentums im klösterlichen Fortgang aus dieser Welt, um ein Höchstmaß an Heiligkeit zu erreichen. Dieses Streben aber sei durch ein Leben gemäß den Vorschriften von Augustinus oder Benedikt bereits umfassend gewährleistet. Es könne zwar scheitern durch kontingente Verhaltensweisen der Nachlässigkeit, der Sorglosigkeit und des Ordnungsbruches – wie sich dies nun als gegenwärtige Unzulänglichkeit des Alten äußere –, aber es gebe gleichwohl keine andere Lebensform, die den möglichen Erfolg grundsätzlich zu steigern vermag – wie dies vom Neuen behauptet werde. Die übliche Denkform, novitates prinzipiell mit negativem Gehalt zu versehen,7 reicht zur Erklärung dieser Haltung nicht aus, denn implizit erkennt der Autor einen Bedarf an neuen ordines durchaus an, wenn er sagt, daß sie zwar nur, aber immerhin doch durch die Hinfälligkeit der alten ganz offensichtlich verlangt werden. Der Autor übersieht vielmehr die grundsätzliche Möglichkeit, daß ein neu geformtes Religiosentum weiter gefaßte und zeitgemäßere Ziele haben könne als allein das traditionelle Streben nach Selbstheiligung. Verhaltensweisen von Religiosen variieren nach seiner Meinung nur insofern, als sie einstmals endgültig festgelegte Lebensnormen unterschiedlich erfüllen. Das womöglich ganz Andersartige dieser duo novae conversationis ordines erkennt er nicht, weil er nicht zu fassen vermag, daß sich auch die normativen Vorgaben und Leitideen selbst ändern können und neue Formen der conversatio erfordern. Man sollte allerdings an die apperzeptive Leistung des Autors angesichts des erst kurzen Auftretens der Mendikanten an einem noch peripheren Ort wie dem Magdeburger Raum nicht ungebührliche Erwartungen knüpfen.8 Wenn man selbst im Zentrum der Kirche seinerzeit um die Gefahr einer confusio 7 Dazu grundlegend und insbesondere zu Quellen aus dem monastischen Bereich schon Spörl, Das Alte und das Neue. 8 Zu den Problemfeldern der Anerkennung an Peripherien siehe am Beispiel der Franziskaner in zusammenfassendem Überblick (mit weiteren Literaturangaben) Elm, Entwicklung, 179 u. 185f. Vgl. auch den Beitrag von A. Kehnel in diesem Bande [Kehnel, Formierung].

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wußte, die aufgrund der übermäßigen Vielartigkeit religiöser Gemeinschaften (nimia religionum diuersitas) zu entstehen drohte, und folglich schon 1215 auf dem 4. Lateranum die Einrichtung jeglicher nova religio verboten bzw. eine solche zur Annahme einer bereits approbierten regula et institutio gezwungen hatte,9 wie befremdlich mußten dann etwa ein Jahrzehnt später ankommende Gruppen von zwei novae conversationis ordines wirken, die zudem noch vom Papst anerkannt worden waren. Waren es doch gerade die Dominikaner und Franziskaner, die augenscheinlich jene dem Anspruch nach zäsurale Bestimmung des Laterankonzils konterkarierten – die einen nämlich durch ihre über die Augustinusregel gelegten und diese schier verdeckenden Konstitutionen (begonnen 1216), die anderen gar durch eine eigene Regel (bestätigt 1223)  ! Was aber konnte man in entfernteren Regionen von der dominikanischen Prozedur des ›Ausweichens‹ auf die statutarische Festschreibung des spezifischen propositum wissen, nachdem dem Orden unter Verweis auf die erwähnte Bestimmung eine eigene Regel versagt geblieben war,10 was von der Wirkung der vorweggegangenen mündlichen Anerkennung franziskanischer forma vitae durch Innocenz III., die ein taktisches Übergehen jenes Verbotes neuer Regeln ermöglichte  ?11 War es da angesichts des plötzlichen Auftretens der Mendikanten, das sich zudem äußerlich durch ein in pauco tempore terram replere höchst eindrücklich zeigte, nicht naheliegender, an der offensichtlich keineswegs gebannten Gefahr der confusio durch eine nimia religionum diversitas festzuhalten und das Althergebrachte, wenn auch Reformbedürftige als ordnungsstiftenden Rahmen zu empfehlen  ? Besser informierten Beobachtern, die hinter die äußerlichen Erscheinungsformen der conversatio auf deren zugrundeliegende Verhaltenscodes und Leitwerte zu blicken vermochten, ebenso wie Mitgliedern der Mendikantenorden selbst, die von einer womöglich Akzeptanz stiftenden Apperzeptionsleistung der Umwelt unmittelbar betroffen waren, kam es folglich darauf an, das spezifisch Neuartige gerade mittels ausdrücklicher Abgrenzung vom Alten zu erklären. Ihnen ging es um den Nachweis, daß die neuen Formen der vita religiosa legitim waren, gerade weil sie über das Bisherige fruchtbar hinausführten und zugleich sich im Rahmen dessen verankerten, was von jeher Religiosentum Sinn verlieh. Als ausgezeichneter Kenner des Religiosentums seiner Zeit ord  9 Constitutiones Concilii quarti Lateranensis, ed. García y García, 62 (c. 13). 10 Siehe dazu jetzt (mit Angabe weiterer Literatur) den Beitrag von F. Cygler in diesem Bande [Cygler, Funktionalität]. 11 Die überzeugendste Darstellung der Geschehnisse immer noch bei Grundmann, Religiöse Bewegungen, 142ff.

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nete z. B. Humbert de Romanis12 seinen Predigerorden, dem er 1254 bis 1263 als Generalmagister vorstand, in einer äußerst bezeichnenden Weise zweifach in das Spektrum der vita religiosa ein.13 So verweist er in seinem Kommentar zu den dominikanischen Konstitutionen zunächst auf den Sachverhalt, daß deren Text sich zu einem großen Teil auf die Statuten der Prämonstratenser gründete, und heißt dies ausdrücklich gut (et hoc justum fuit), da es jene Chorherren waren, die reformaverunt et auxerunt religionem beati Augustini, sicut Cistercienses beati Benedicti religionem, et excedunt omnes illius religionis in vitae austeritate, in observantiarum pulchritudine, in discreto maximae multitudinis regimine per capitula generalia, et vi­ sitationes, et hujusmodi.14

Zwei der älteren Orden billigt er hier also durchaus eine Exzellenz zu, die sie sich durch jeweilige Reformierung von prinzipalen Zweigen der vita religiosa erworben hatten. Dennoch sieht er sich veranlaßt, diesem Rückverweis sogleich eine Euloge auf die Umsicht der eigenen Ordensväter folgen zu lassen  : Nachdem Dominikus und seine Gefährten beim Papst nicht erreicht hätten – so führte er aus –, sich eine nova et arcta regula zu geben, und sie daraufhin die Augustinusregel unter zusätzlich auswählendem Aufgriff jener prämonstratensischen Satzungen angenommen hätten, seien sie unverzüglich darangegangen, vieles hinzuzufügen und dies wiederum zu vermehren im Verlauf jährlicher Kapitel – praerogavitam ordinis beati Augustini sibi non solum doctrinae et praedicationis officio, sed et vitae merito vindicantes.15 Deutlich unterstrichen wurde also, daß der Ordo Praedicatorum einen weiteren innovativen Schritt in der Ausgestaltung einer Regelvorgabe verwirklichte, und damit die Leistungen seines Musters um eines mehr übertraf. 12 Zu dessen Leben und Wirken für den Orden wie auch zu seinem reichen literarischen Schaffen siehe im Überblick Heintke, Humbert  ; Brett, Humbert. Speziell zu seinen Kenntnissen von anderen Orden vgl. Dubois, Les ordres monastiques. 13 Wenn man hier vergleichend Humberts Äußerungen heranzieht, geschieht dies selbstverständlich im Wissen darum, daß gegenüber den erstgenannten Quellenzeugnissen mittlerweile die Zeitspanne einer weiteren Generation vergangen ist. Dessenungeachtet stehen sie in einem analogen Kontext, da während des Generalats Humberts die Mendikantenorden sich wie kaum zuvor in Legitimitätszwängen – hervorgerufen durch den sog. Pariser Armutsstreit – befanden  ; siehe direkt dazu Heintke, Humbert, 55ff., und umfassender Zimmermann (Hg.), Auseinandersetzungen. 14 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 2f. 15 Ebd., 3  ; vgl. auch 50f.

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Nach dieser Qualifizierung unternimmt er in dem genannten Werk wenig später erneut einen Vergleich – indes nun anhand ganz anderer Kriterien  : Der Satz in den Konstitutionen cum Ordo noster specialiter ob praedicationem et animarum salutem ab initio noscatur institutus fuisse ist ihm Anlaß, ausführlich über die Zielsetzungen seines Ordens und deren herausragende Bedeutung zu reflektieren.16 Zunächst lenkt er den Blick auf das als selbstverständlich unterstellte Prinzip, daß man nicht gegen dasjenige verstoßen dürfe, wofür etwas eingerichtet (institutum) worden sei. Als Autorität zieht er hierzu Bernhard von Clairvaux heran, der gesagt habe, cum observantiae ordinum statutae sunt propter charitatem, non debent militare contra charitatem.17 Zwar ließen sich – fährt er fort – viele Gründe für die Errichtung seines Ordens vorbringen, die auch bei anderen zu finden seien, doch ginge es ihm nun gemäß der von ihm aufgegriffenen Textpassage ausdrücklich um eine genauere Deutung der causa specialis. Lese man in der Legenda beati Dominici, finde man, daß die Verteidigung des Glaubens (fidei defensio) für die Eigenart des Ordens ausschlaggebender sei als die Predigt. Dies sei aber nur so weit richtig, als erstere der Beweggrund allein bei den Vorüberlegungen de statuendo talem ordinem gewesen sei und sie dann bei der Einrichtung durch die auctoritas Ecclesie insofern erweitert wurde, als der Orden non solum statueretur ob fidei defensionem, sed generaliter ob pra­ edicationem. Hinsichtlich des zweiten der unter specialiter zu fassenden Elemente – ob animarum salutem – sei hervorzuheben, daß der Orden nicht wegen des Heils der Eintretenden, sondern ganz allgemein der Seelen wegen gegründet worden sei, so daß er unter allen anderen Orden herausrage (in quo excellit alios ordines), da diese eben nur ob salutem ingredientium eingerichtet worden wären. Und schließlich fügt er beide Zielsetzungen in Abstufung zusammen  : Differunt autem isti duo fines, quia unus, scilicet praedicatio, est sub alio, scilicet salute animarum – ersteres sei magis proprius, letzteres magis communis. Mit Recht also  – faßt er zusammen  – sei von einem Orden der Prediger, einem ordo Praedicatorum, zu sprechen. Dagegen gebe es Orden, die ihren Namen nur aus einem vorrangigen Haus gleich wie aus einem Haupt beziehen  – so etwa der ordo Cisterciensium –, also gleichsam a causa efficiente. Andere leiten ihn aus den Befindlichkeiten der Personen (a conditionibus personarum) ab wie der ordo Fratrum Minorum, also gleichsam a causa mate­ riali. Wieder andere benennen sich wie der ordo Trinitatis nach der Art ihrer 16 Ebd., 38–41. 17 Vgl. Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione, ed. Leclercq / Rochais, Bd. 3, 257.

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Ressourcenorganisation,18 also gleichsam a formali causa. Der Predigerorden indes – so insistiert er – beziehe den Namen aus seiner Zielsetzung (finis), denn besser sei es, wenn irgendeine Sache nach ihrem Ziel benannt werde als nach etwas anderem, wie doch auch eine Regel  – sei sie golden und sowohl vom Kunstfertigsten gemacht wie auch überaus richtig  – besser ihren Namen aus dem Ziel erhalte, das als Richtschnur gelte, als aus ihrem Stoff, ihrem Hersteller oder ihrer Form. Verwerflich sei es daher – fügt er hinzu –, wenn sich Mitbrüder fratres S. Jacobi oder S.  ­Nicolai nennen würden,19 denn gleichwohl es sich um einen geschlossenen Orden handele, könne man glauben, es seien dessen viele. Und so geschehe es, daß in zahlreichen Ländern noch nicht gewußt werde, daß es etwas wie den einheitlichen Ordo Fratrum Praedicatorum überhaupt gebe. Was auf den ersten Blick einem sophistischen Spiel mit scholastischen Begriffen und Denkformeln gleicht, ist in Wahrheit eine heftige Anstrengung um Verdeutlichung einer unverwechselbaren Identität durch Abgrenzung. Der Sachverhalt, daß sein Orden tatsächlich der bislang einzige war, der nach einem propositum, näherhin sogar nach einem pragmatisch umzusetzenden of­ ficium benannt wurde,20 gab ihm das Selbstbewußtsein aufzuzeigen, daß man eben tatsächlich anders war als die anderen. In der Ordensbezeichnung allein schon schien das Recht zu liegen, Anspruch auf ein Monopol in der vita re­ ligiosa zu erheben, das die übrigen Orden darum gar nicht streitig machen konnten, weil  – unterstellt, der Name stehe für die Sache  – deren Identität entweder sich nur in einem verbindenden Haupt gründete oder weil sie eine Sonderheit nur aufgrund eines bestimmten Lebensstils oder einer formalen Organisationsstruktur besaßen. Monopolisiert wurde die praedicatio als praktisches Bemühen um das Heil der Seelen  – und nicht nur dies  : Sie wurde zugleich als Ausweis gebraucht, daß die Inhaber dieses Monopols eben gerade deswegen alle weiteren Vertreter des Religiosentums überträfen, weil die Sorge um die salus animarum nicht allein auf die Ordensmitglieder, sondern auf alle 18 Vgl. Cipollone, Trinitari, 1330–1371, insbesondere 1333f. 19 Er spielt hier auf die namengebenden Konvente in Paris und Bologna an. Ein früher Beleg für diese abweichenden Bezeichnungen sind z. B. die bereits erwähnten Annales Normannici mit folgender Formulierung  : Eodem tempore [sc. während des Pontifikats Honorius’ III.] ordo Iacobitarum a quodam, qui Dominicus vocatus est, inventus de Hispaniae partibus super terram ascendit, qui sibi postmodum nomen imposuerunt Praedicatorum  ; wie Anm. 3. 20 Vgl. Koudelka, Notes sur le cartulaire, 92–114, und F. Cygler in diesem Bande [Cygler, Funktionalität] zu jener Änderung der Formulierung praedicantes in praedicatores in der Bulle Honorius’ III. vom 21. Januar 1217, deren Gewicht Thomas von Cantimpré kommentierend hervorhob mit  : Praedicatores vero nomen est proprie substantium, & est nomen verbale simul & personale, in quo nomen officii [  !] manifestissime declaratur, Thomas von Cantimpré, Bonum universale, 38f.

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Menschen bezogen sei. – Diese Perspektive überformt bei Humbert jenen ersten Aspekt, der die Eminenz des Ordens an seiner um eines mehr gesteigerten Ausgestaltung der praerogavita ordinis beati Augustini festmachte. Der Predigerorden – so will verdeutlicht werden – ist auch und doch wesentlich mehr als nur Steigerung alten Religiosentums. Jenes Kriterium der vom Chronicon Mon­ tis Sereni so stark hervorgehobenen Heiligkeit der conversatio, das ausschließlich die Reform von Bestehendem anmahnen ließ, greift allein nicht. Es ist zu erweitern durch die Dimension der funktionalen Differenz, die eben nicht Reform, sondern zwangsläufig Aufbruch zu Neuem bedeutet. Nicht minder genau auf den Kern ausgrenzender Eigenart zielend, charakterisiert Jakob von Vitry als außenstehender, aber gewiß innerlich nicht unbeteiligter Beobachter in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts den Orden der Minderbrüder. Nachdem er in seiner Historia occidentalis ausführlich auf die bestehenden Formen des Religiosentums eingegangen war, schreibt er mit lapidaren Worten  : Predictis tribus eremitarum, monachorum et canonicorum religionibus, ut regulariter ui­ uentium quadratura fundamenti in soliditate sua firma subsisteret, addidit eis dominus in diebus istis quartam religionis institutionem, ordinis decorum et regule sanctitatem.21

Doch – so fährt er fort22 – wenn wir die Beschaffenheit und Ordnung der eccle­ sia primitiua sorgfältig betrachten, so fügte Gott nicht so sehr eine neue Regel hinzu, vielmehr erneuerte er eine alte  ; er richtete nämlich eine darniederliegende und pene mortua religio wieder auf, damit er gegen die gefährlichen Zeiten des Antichrists neue Athleten bereite und seine Kirche wappne. Haec est – so erklärt der Autor  – religio uere pauperum crucifixi et ordo praedicatorum quos fratres minores appellamus. Wahrlich minores seien diese und durch Kleidung, Nacktheit und Weltverachtung humiliores als alle anderen Regularen seiner Zeit. Jakob läßt also die bestehenden Orden gleichsam rückwärts überholen und führt die Minoriten somit zum primordialen Punkt von religio schlechthin zurück, so daß sich jegliche Frage nach Annahme einer der sonst geltenden 21 Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 158. Zu früheren, brieflichen Darlegungen Jakobs über die Minoriten (Huygens [Hg.], Lettres, 71–78  ; 123–133) vgl. Elm, Entwicklung, 173–175, der den Gesamtverlauf dieser Äußerungen als eine »Kurve der Empfindungen« Jakobs gegenüber dem Orden charakterisiert, die durchaus der »objektiven Entwicklung« der Minoriten hin zu einer institutionell verfestigten Lebensform entsprach. Siehe zudem schon Gemelli, Giacomo da Vitry. 22 Die nachfolgenden Zitate in Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 158–161.

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Regeln von vorneherein erübrigt, hingegen aber sich die Basis zeigt, auf der völlig neu aufgebaut werden kann. Mit folgenden Worten wird sie umrissen  : Adeo autem primitiue ecclesie religionem, paupertatem et humilitatem in se diligenter reformare procurant, puras euangelici fontis aquas cum siti et ardore spiritus haurientes, quod non solum euangelica precepta sed et consilia, uitam apostolicam expressius imitan­ tes, modis omnibus adimplere laborant.

Aus der Radikalität eines solchermaßen definierten Strebens ergeben sich  – führt Jakob auf – der Verzicht auf jeglichen Besitz wie auch auf Klöster und Kirchen, die Angewiesenheit auf Mildtätigkeit anderer, die Selbstverleugnung in Übernahme des Kreuzes und letztlich die Nachfolgeschaft des nackten Christus als Nackte. Diese conditiones personarum – um die von Humbert verwendete Begrifflichkeit aufzugreifen – aber wirken wiederum auf die Welt, denn nicht nur – wie es weiter heißt – durch Predigt, sondern insbesondere durch das exemplum uite sancte et conversationis perfecte lüden die Minoriten viele von niederem Stande wie auch Vornehme und Adelige zur Verachtung des Irdischen ein, veranlaßten sie diese, ihre weltlichen Reichtümer in geistliche zu tauschen und gar den Habit des Ordens anzunehmen im Vertrauen auf die Fürsorge und Vorsehung Gottes, der – wie es geschrieben stehe – amat peregri­ num et dat ei uictum et uestitum. Und so sei es binnen kurzem zu einer derartigen Verbreitung der neuen religio gekommen, daß es keine christliche Provinz gebe, in der die fratres minorum nicht anzutreffen seien.23 Auch hier geht es um funktionale Differenz und Verweis auf eine Monopolstellung. Eine vierte, ganz eigene institutio sei geschaffen worden neben den schon bestehenden Formen des Religiosentums. Sie ermögliche es nun, sich über mittlerweile Herangewachsenes und durchaus auch Schadenvolles für die Kirche, das die bestehenden Orden offensichtlich nicht hatten verhindern können, hinwegzusetzen und zur wahren religio des Evangeliums und der primitiua ecclesia in einer Weise zurückzukehren, daß deren Befolgung von vere pauperes crucifixi tatsächlich gelebt werden könne. Allein aus der exemplarischen Vorbildlichkeit dieser neuartigen und doch so dem Ursprünglichen anhängenden Religiosen ist aber wiederum die in den Augen Jakobs wohl einzigartige Chance erwachsen, unzählige Menschen unabhängig ihres Standes zu gewinnen, die sich gleichfalls zu einer conversatio perfecta bekehren lassen woll23 Im übrigen erwähnt Jakob von Vitry neben der predicatio ad Sarracenos insbesondere in Form des Auftrittes Franz’ von Assisi vor dem Sultan (ebd., 161f.) auch die ersten Organisationsstrukturen des Ordens  ; siehe dazu Elm, Entwicklung.

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ten. Eben genau darin konnte das Monopol der Minoriten, das gerade nicht eine Angleichung an andere Orden erlaubte, gesehen werden. *** Hinter diesen Anstrengungen um den Nachweis von tatsächlich Neuartigem stand das Wissen, daß man dabei Sonderformen umriß, die zwar beanspruchten, sich vom gesamten sonstigen Religiosentum abzuheben, daß andererseits aber dieses Religiosentum selbst in eine Vielzahl von eigenständigen Formen aufgefächert war. Alle hier beispielhaft herangezogenen Autoren verwiesen auf diesen Sachverhalt – sei es, daß bei der Reintegrationsforderung des Chronicon Montis Sereni auf die praecepta Augustinus’ und Benedikts Bezug genommen wurde, sei es, daß bei Humbert einerseits die Cisterzienser, andererseits die Prämonstratenser als Zweige der von jenen Heiligen begründeten religiones genannt wurden oder daß bei Jakob von Vitry von einer vierten religio gesprochen wurde, die den dreien der eremitae, monachi und canonici hinzugetreten war. Doch nicht nur das  : Zugleich ging man davon aus, daß diese Auffächerung Ergebnis eines längerfristigen Prozesses mit Stationen der Reformierung oder Elaborierung war, die durchaus auch Verfall von Bestehendem aufzuzeigen24 oder Althergebrachtes in den Schatten verlorener Aktualität zu stellen vermochten und die bereits längst immer wieder Neuartiges hervorgebracht hatten. Fuerunt autem ab initio et a priscis temporibus in partibus occidentis duo religiosorum genera, a se inuicem uiuendi modo et regularibus institutis differentia, quorum quidam heremite alii cenobite nominantur

– oder  : Cum igitur a priscis temporibus in partibus occidentis due tantum fuissent regularium diuersitates, monachi scilicet nigri sancti Benedicti regulam profitentes, et canonici albi secundum regulam beati Augustini uiuentes, postquam peccatis exigentibus, primo mo­ dica negligentes, paulatim cadere ceperunt, ad tantam dissolutionem plures regularium conuentus deuenerunt, quod uiri timorati et prudentes, sub alio habitu et aliis institutis domino militaturi, ab ipsis recesserunt,

sind Formulierungen Jakobs von Vitry,25 welche sehr präzis eine schon uranfängliche Diversifizierung ansprechen und zugleich auf das Phänomen auf24 Siehe zu einem frappierenden Beispiel den Beitrag von Cariboni in diesem Bande ­[Cariboni, Papato]. 25 Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 108 u. 111.

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merksam machen wollen, daß durch dissolutio des Überkommenen weitere Aufsonderungen entstanden. In nachfolgenden Einzelbeschreibungen zu religiösen Gemeinschaften werden dann auch begrifflich diejenigen Aktivitäten erfaßt, welche die Differenz zwischen tradierter Vorgabe und innovativer Leistung verdeutlichen, z. B.: Primi igitur cystercienses, nigrum habitum in grisium commutantes, uetera reformare et noua superaddere studuerunt, non solum a se superflua resecando sed a multis licitis ar­ tius abstinendo. – Sunt preterea […] monachi quidam, quos appellant de Thirono. Hii a consortio nigrorum monachorum, mutato habitu nigro in grisio, recedentes, seorsum habitare ceperunt, primas monachorum nigrorum obseruantias, quas per negligentiam et dissolutionem hii, a quibus recesserunt, ex magna parte reliquerant, in se reformare cupientes. – Sumpto autem regulari habitu, ut secundum regulam beati Augustini do­ mino militaret [sc. Norbert von Xanten], consuetum uiuendi modum, quem predicti regulares canonici usque ad tempora illa laxius obseruauerant, in se et in discipulos suis coarctauit, quasdam nouas institutiones addendo, quasdam etiam ueteres immutando. – Quasdam etiam alias institutiones necessarias et honestas, supra predictum fundamen­ tum [sc. die regula beati Augustini] prudenter edificantes, contra imminentia pericula sibi precauentes, addiderunt [sc. die canonici Arroasie].26

Deutlich wurde durch diese Wortwahl zum Ausdruck gebracht, daß offensichtlich das Grundprinzip jenes dynamischen Wandels zwar einerseits in reformatorischen Änderungen von Bestehendem oder in Hinzufügungen zu tradierten Beständen lag – ähnlich, wie es auch Humbert laut seiner erstzitierten Passagen sah –, dieses jedoch andererseits bereits nicht minder zu neu- und andersartigen Einrichtungen geführt hatte. Den geschichtlichen Hintergrund dieser Feststellungen bildete eine Entwicklung, die man in der Forschung mehrfach als »crise du monachisme aux 26 Ebd., 113 (Cisterzienser), 127 (Kongregation von Thiron), 133 (Prämonstratenser) und 136 (Regularkanonikerverband von Arrouaise). – Neben den hier ausgewählten Verbänden geht Jacob von Vitry noch ein auf den Orden von Calatrava (119), die Mönche von Val-des-Choux (120f.), die Kartäuser (122ff.), die Grandmontenser (124ff.), die Cluniazenser (129f.), die Regularkanoniker allgemein (130ff.), die Viktoriner (137ff.), die Trinitarier (139ff.), den Orden vom Hl. Jakob vom Schwerte (141f.), die Dominikaner [unter Bezeichnung  : religio et predicatio Bononiensium Canonicorum] (142ff.), die Humiliaten (144ff.), die Hospitalorden (146ff.) und die Säkularkanoniker (151ff.). Anzumerken ist ferner, daß er zumeist auch die vorhandenen weiblichen Zweige behandelt und stets die spezifischen Gefahren, die einem Verband drohten und ihn zu einer dissolutio führen könnten, darlegt.

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xie et xiie siècles«27 benannt hat – ob angesichts der Doppeldeutigkeit des Begriffes »Krise«28 zu Recht, das sei dahingestellt, und man sollte sich wohl besser Giles Constable anschließen, der – zumindest bezogen auf das 12. Jahrhundert – von einer »reformation« spricht und sein faszinierendes Buch zu diesem Thema auch so betitelt.29 Die Struktur jener Entwicklung, deren Ergebnis nach Humbert von Romanis und Jakob von Vitry eben jenen historischen Punkt darstellte, an dem die neuen Bettelorden einsetzten, läßt sich anhand von drei Komplexen beschreiben, die vordergründig jeweils eine differenzierende Aufschichtung von Bestehendem darstellten  : 1. Schon im 11. Jahrhundert hatte die durch die Vereinheitlichungspolitik Ludwigs des Frommen einst gewonnene und durch die großen Reformzentren wie z. B. Cluny oder Gorze auch nach dem Zusammenbruch des Karolingerreichs zunächst gehaltene Monopolstellung des Benediktinischen Mönchtums als allumfassender ordo der vita religiosa Konkurrenz bekommen.30 Die einsame, auf sich gestellte Suche nach Gott, die auch Benedikt als die höchste, gleichwohl nur von wenigen erreichbare Stufe religiöser Selbstvervollkommnung bezeichnet hatte, gewann in jener Zeit durch neue Ausgestaltungen, welche Eremitentum mit monastischem Gemeinschaftsleben verbanden (es seien nur Camaldoli, Vallombrosa und die Chartreuse genannt), ungeahnten Aufschwung.31 Und keinen geringeren Aufbruch bedeutete es, wenn zugleich, angestoßen durch Konzepte der Kirchenreform, die Leitidee einer Regulierung des Klerikerstandes zu zönobitären Zusammenschlüssen führte, die unter dem Gebot der persönlichen Armut und des Gehorsams analog zum Mönchtum, doch in Berufung auf die ›Regel‹ des Hl. Augustinus32 und mit Betonung der Seelsorgspflichten standen (verwiesen sei u. a. nur auf St-Ruf bei Avignon, StQuentin in Beauvais, S. Frediano in Lucca oder Rottenbuch in Schwaben).33 27 Siehe – um nur einige Veröffentlichungen zu nennen – Morin, Rainaud  ; Leclercq, La crise  ; Cantor, Crisis  ; Van Engen, »Crisis of Cenobitism«. 28 Vgl. dazu Baumgartner, Institution und Krise. 29 Vgl. dazu auch die nachdenklichen Abwägungen in diesem Buche  : Constable, Reformation, 1ff. 30 Vgl. zum Überblick (auch der nachfolgenden Phasen) die jüngeren Darstellungen von Elm, Orden, insbesondere 318–321  ; Melville, Diversa sunt monasteria. 31 Siehe Leyser, Hermits. 32 Zur Geschichte der erst nach und nach wieder bekanntgewordenen ›Regel‹, die als solche nicht existierte, sondern eine Serie von mehreren und in der normativen Stringenz sehr unterschiedlichen Texten war, vgl. Verheijen, La Règle de Saint Augustin. 33 Siehe in konzisem Überblick Weinfurter, Kanonikerreform  ; zur päpstlichen Förderung dieser Bewegung vgl. Fuhrmann, Papst Urban II.

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Doch Eremitentum und Kanonikertum konnten in Gesamtheit noch begriffen werden als weitere Ausformungen eines bereits originären oder zumindest frühchristlichen Spektrums religiöser Lebensnormen, wenn beobachtende Zeitgenossen sich zurückverwiesen sahen auf die nun durchaus auch propagierte Musterhaftigkeit der Wüstenväter oder der apostolischen vita communis der ecclesia primitiva.34 Man lernte  – wie u. a. die schon oben angeführten typologisierenden Äußerungen belegen –, diese emporgewachsene Trias von Mönchtum, Eremitentum und reguliertem Kanonikertum nach und nach als verschiedene Fundamente des Religiosentums anzunehmen, obgleich die heftigen Streitigkeiten jener Zeit um den Anspruch auf die vita strictior35 oder um die dem Christentum dienlichere Form der vita activa oder contemplativa, also um den Vorzug von Martha oder Maria als Präfigurationen zweier offensichtlich ganz gegensätzlicher Versionen der vita religiosa,36 ebenso wenig verdeckt werden konnten wie faktische Grenzüberschreitungen von allzu idealen Rahmungen komplementärer Aufgabenzuweisungen.37 2. Nicht minder einschneidend wirkten sich Auffächerungen innerhalb der vita monastica selbst aus. Sie gingen im Laufe des 12. Jahrhunderts mit der Ausbildung einer qualitativ völlig neuen Organisationsform von Klösterverbänden einher, von welcher dann rasch nachfolgend auch beträchtliche Teile des Eremitentums und Kanonikertums erfaßt wurden. War es bislang zu Verbindungen zwischen Klöstern nur durch die gemeinsame Leitung eines einzigen, durch Amtscharisma legitimierten oder besitzrechtlich ausgewiesenen Vorstehers gekommen (es sei beispielhaft etwa auf St-Victor in Marseille oder vor allem auf Cluny verwiesen38) oder hatten sich je gemeinsame Netzwerke nur in Gestalt von weitergegebenen Reformorientierungen und vielfach entsprechend ausgesandtem Personal teils unter tatkräftiger Mitwirkung von Bischöfen sowie allenfalls noch unter Zellenbildung entwickelt (es sei z. B. nur an die Reformkreise von Gorze, Fruttuaria, Siegburg oder Hirsau erinnert39), so entstanden jetzt recht unvermittelt eng geschlossene Filiationsgruppen, die 34 Vgl. Miccoli, Ecclesiae primitivae forma  ; Weinfurter, Vita canonica. 35 Zur Ausweitung dieses Konfliktes bald bis hinein in juristische Diskurse siehe Melville, Übertrittsproblem. 36 Siehe Constable, Interpretation. 37 Insbesondere das Seelsorgerecht betreffend  ; siehe Hofmeister, Seelsorge. Ein guter Überblick über die daraus resultierende polemische Literatur bei Constable, Reformation, 131ff. 38 Vgl. Amargier, Un âge d’or du monachisme  ; Wollasch, Cluny. 39 Siehe jüngst dazu im Überblick und mit weiterführender Literatur Melville, »… nun strahlen sie im Glanz ihrer Zeichen.«, 14ff.

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sich von anderen monastischen Formen spirituell und organisatorisch scharf abgrenzten. Sie verbanden Observanz untrennbar mit korporationsrechtlicher Kohärenz. Die Vorreiter waren die Cisterzienser, die zurückführen wollten zur rectitudo mönchischer Lebensweise anhand der puritas regulae beati Benedicti 40 und die doch erstmals in der Geschichte der Religiosen sowohl prospektiv ein über eine Regel hinausführendes Verfassungsdokument – die Carta caritatis – setzten (und damit nicht nur auf nachträglich verschriftlichte consuetudines zurückgriffen41), welches künftig eine unverbrüchliche Einheit und Einheitlichkeit unter allen, prinzipiell eigengegründeten Klöstern garantieren sollte,42 als auch – neben der Visitation in Eigenregie – eine Instanz in Form des jährlichen Generalkapitels schufen, welche diese Garantie durch kontinuierliche Korrektur und Rechtsfortschreibung zu sichern hatte.43 Die Cisterzienser ›erfanden‹ den eigenständigen ›Orden‹ im von da und bis heute gültigen Sinne als Rechtssubjekt und spirituelle Einheit zugleich. Ihrem Vorbild folgten unter Verwendung der drei genannten Grundelemente – Rechtssatzung, Generalkapitel und Visitation44  – schon bald darauf andere Mönchs-, aber auch Eremiten- und Kanonikerverbände (unter vielen z. B. die Kartäuser, Prämonstratenser und etwas später auch die sich reformierenden Cluniazenser sowie die Dominikaner und Franziskaner45), so daß hier mit Recht von der Herausbildung eines neuen Standards in der anwachsenden Vielfalt der vita religiosa gesprochen werden kann, der dann auch – insbesondere Generalkapitel und Visitation betreffend – Eingang fand in das ius commune der Kirche46 und zum Maßstab wurde für den Erfolg von Reformbemühungen.47 Die cisterziensische Vorgehensweise hat gut 100 Jahre später  – wie schon erwähnt  – Jakob von Vitry unter das Signum von uetera reformare et noua superaddere gestellt  ; Humbert de Romanis sprach von einem reformare et au­

40 Siehe Schindele, Rectitudo. 41 Vgl. Angerer, Consuetudo. 42 Les plus anciens textes, ed. de La Croix Bouton / Van Damme. 43 Vgl. Mahn, L’ordre cistercien, 197ff. u. 217ff. 44 Dazu Oberste, Visitation  ; und in Kürze  : Cygler, Generalkapitel [erschienen 2001]. 45 Im Überblick Mahn, L’ordre cistercien, 239ff.; Melville, Diversa sunt monasteria, 331ff.; ders., Ordensstatuten. 46 Liber extra III, 35, 7 u. 8, zurückgehend auf einen Kanon des 4. Lateranum und eine Dekretale Honorius’ III. Vgl. dazu Berlière, Innocent III, 22–42  ; ders., Honorius III  ; Maccarrone, Riforma e sviluppo. 47 Vgl. Schreiner, Verschriftlichung, insbesondere 49.

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gere der beati Benedicti religio durch die Cisterzienser.48 Damit lagen sie nicht falsch, wenn man jene Kombination einerseits einer puritas in der Befolgung der Benediktsregel und andererseits einer Bindung an selbständig gesatzte Normen so versteht, daß sie eben keine Reform von herkömmlicher, durch bereits bestehende Klöster gepflegter vita monastica bedeuten sollte. Treffend charakterisiert Joachim Wollasch den Kern des cisterziensischen Selbstverständnisses  : Darin liegt bei aller Orientierung der Cistercienser auf die Benediktinerregel hin und trotz der Übernahme zahlreicher Gewohnheiten des alten Benediktinertums eine deutliche Ablösung von der Tradition, ein überaus starkes Bewußtsein eigener mönchischer Kraft und  – dies muß im Vergleich mit Cluny vor allem ins Auge springen – eine klare Beschränkung der Erneuerung mönchischen Lebens auf einen bestimmten Kreis von Klöstern, eine Exklusivität des eigenen ordo cisterciensis also, der nicht mehr auf den ordo monasticus insgesamt hin geöffnet war und daher die Universalität umgrenzte.49

Der Sachverhalt, daß das Cistercium genannte Kloster zunächst novum mona­ sterium hieß, nachdem man aus einem ›alten‹, nicht reformierbaren fortgegangen war, symbolisierte jenes Programm, das am Ursprünglichen ansetzte, um daraufhin unter Ausgrenzung des Bisherigen gänzlich neu aufzubauen. Den Erfolg des Cisterziensertums konnten sich daher manche in eigene Reformbemühungen verstrickte Vertreter des alten Mönchtums wohl nur so erklären, wie es einmal der Cluniazenser Petrus Venerabilis in der Grundstruktur formulierte  : […] in negotio religionis facilius possunt noua fundari quam uetera reparari.50 3. »Neues zu gründen«, ohne »Altbestände wieder aufzurichten«, war indes zu jener Zeit keineswegs ein Monopol der Cisterzienser. Andere gingen sogar in ihrer Suche nach einem Neubeginn noch wesentlich weiter und brachen gänzlich aus dem Fächer der Regeltraditionen aus  : Gut 20 Jahre vor der Gründung jenes novum monasterium schon hatte sich 1076 Stephan von Thiers in die Waldeinsamkeit von Muret bei Limoges zurückgezogen, dort allein vor Gott die Profeß abgelegt und seinen sich bald um ihn scharenden Mönchen 48 Siehe oben bei Anm. 14 u. 26. 49 Wollasch, Mönchtum, 177f. 50 The Letters of Peter the Venerable, ed. Constable, no 23, Bd. 1, 43. Vgl. zu diesem Spannungsfeld auch Bredero, Cluny et Cîteaux. Zu späteren Reformen auch des alten Cluniazensertum, die unter eben der von Petrus Venerabilis angerissenen Problematik standen, siehe Melville, Reformatio.

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die Worte vorgegeben  : Non est alia regula nisi euangelium Christi.51 Wenn sie künftig gefragt würden – so erläuterte er – qualis ordo uel regula sie angehörten und ihnen vorgeworfen werde, nouitas est hoc quod a uobis tenetur, nec est ordo nec regula doctorum sanctae ecclesiae, so sollten sie antworten, es gäbe nur eine Regel, und diese sei der von Christus vorgezeichnete Weg. Gnade und Wahrheit, welche die communis regula bedeuten, seien durch diesen selbst geschaffen und nicht durch einen Gelehrten. Belanglos sei, wenn welche einwendeten  : Sanctus Benedictus scripsit monachorum regulam, ut ait Gregorius. Denn jene Regel dürfe sich nur als solche bezeichnen, weil sie aus der Regel des Evangeliums geschöpft sei. Und so wolle er – wie es später in seiner Vita hieß – sich weder mit dem nomen monachorum schmücken, noch der canonicorum institutio angehören, noch die vita heremitarum nachahmen.52 Diese auf seine Schüler übertragene Haltung der Ablehnung jeglicher seit Christus herausgebildeter Formen des Religiosentums führte nach dem Tode Stephans zur Abfassung einer eigenen Regel (um 1142/55), die indes durch Vergleich mit anderen ihren Stellenwert gegenüber dem Evangelium deutlich zum Ausdruck brachte  : Die uiarum diuersitates, die man Regula beati Basilii, Regula beati Augustini oder Regula beati Benedicti nenne, seien nicht die origo religionis, sondern nur deren propagines, nicht die radix, sondern nur frondes, nicht das Haupt, sondern nur die Glieder. Allein eine Regularum Regula des Glaubens und des Heils gebe es, von der alle Flüsse sich aus einer Quelle ergießen, und diese sei das den Aposteln vom Heiland übergebene und von ihnen auf der ganzen Welt verbreitete Evangelium.53 Und so fuße diese Regel – wurde unterstrichen  – im Grunde auch auf nichts anderem als auf den specialia consilia Christi  : Si uis perfectus esse, uade, uende omnia quae habes, et da pauperibus, et habis thesaurum in caelo  ; et ueni, sequere me  – und  : Qui reliquerit domum, aut fratres, aut sorores, aut patrem, aut matrem, aut uxorem, aut filios, aut agros propter nomen meum, cen­ tuplum accipiet, et uitam aeternum possidebit.54 Diese Worte lieferten Normen, die zwar Fundamente waren auch für bisherige Formen der vita religiosa, doch hier wurden sie in einem Zusammenhang vorgebracht, der allein auf die unmittelbare lebenspraktische Exegese des Evangeliums ohne Zwischenschaltung 51 Liber de doctrina, ed. Becquet, 3 (die beiden folgenden Zitate ebd., 3 u. 60). Vgl. zu Stephan von Thiers und den Grandmontensern jetzt die Aufsatzsammlung von Becquet, Études Grandmontaines, sowie Hutchison, Hermit Monks, und direkt zu den hier angesprochenen Aspekten Melville, Regula regularum. 52 Vita Stephani ampliata, ed. Becquet, 141. 53 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66. 54 Ebd., nach Mt 19, 21 u. 29.

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von mittlerweile entstandenen, gleichfalls darauf aufbauenden Ordnungen abhob und in Konsequenz tatsächlich die absolute Armut verlangte.55 Stephan von Thiers war in jener Epoche nicht der einzige, wenn wohl der programmatisch radikalste Vertreter dieser tatsächlich neuartig wirkenden Grundhaltung, alle traditionellen Regeln übergehen zu wollen. Von Stephan von Obazine z. B. ist überliefert,56 daß er um 1120 nahe der Vallée de Corrèze ad instar monasterii Gebäude errichtete, um dort mit aliquanti ad Deum conversi ein überaus hartes und strenges Leben zu führen, das in officiis von der canonica regula und in proposito von der eremitica vita geleitet war.57 Doch bedeutete dies keineswegs, daß man sich mit einer derartigen conversatio schon konkreten Ordnungsentwürfen aus dem Spektrum der vita religiosa angeschlossen hatte. Cumque nulla alicujus ordinis lex posita haberetur, hieß es ausdrücklich, seien allein die Richtlinien des Meisters maßgeblich gewesen, und diese lehrten nichts anderes quam humilitatem, obedientiam, paupertatem ac disciplinam et super hec, caritatem continuam. Einer solchen lex folgend, kümmerte man sich nicht um die pharisaïce traditiones, also nicht um formalistische Befolgungen irgendeines überlieferten regulativen Schrifttums.58 Erst als man erkannt hatte, daß Stephans »Tage gezählt« seien – hieß es weiter –, und obgleich jene instituta magistri strikt und beschwerlich ut cujuslibet regule austeri­ tas gewesen seien, kam man zu dem Entschluß, letztendlich doch eine alicujus ordinis eorum qui in ecclesia auctorisati sunt professionem anzunehmen. Lange allerdings habe man gezögert, ob dabei der Regel der Mönche oder derjenigen der Kanoniker der Vorzug zu geben sei  ; schließlich habe man sich inspirante Deo und auf Rat des Bischofs von Clermont für erstere entschieden.59 Solche Beispiele für Lebensentwürfe religiöser Vereinigungen, bei denen primordial neben dem Evangelium nur das Wort und Handeln des Gründers galt oder – wie es in der Vita Stephans von Obazine formuliert wurde – bei denen die instituta magistri pro lege erant,60 ließen sich vermehren. Angeführt sei unter den Charismatikern, die wie Stephan von Thiers oder Stephan von Obazine den eremitischen Rückzug in die Abgeschiedenheit propagierten, nur 55 Vgl. Pellistrandi, Pauvreté. 56 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun  ; vgl. auch Barrièrre, L’Abbaye. 57 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 54. 58 Ebd., 70. Vgl. Constable, Reformation, 33 u. 145 über den Vorwurf des Pharisäertums durch strikte Regelauslegungen. 59 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96. Über die Schwierigkeiten der Annäherung an die Cisterzienser siehe dann ebd., 113ff. 60 Ebd., 70.

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noch Bruno von Köln, der seiner Kartause nicht mehr Regulative vorgab als sein eigenes Tun und dann – aus der Ferne – einen recht allgemeinen Brief der Ermunterung, welcher in der Kernaussage auf obedientia als exsecutio manda­ torum Dei verwies, die clavis ac signaculum spiritualis disciplinae sei und zum Genuß der süßen und lebensspendenden Frucht der Hl. Schrift führe.61 Besonders hervorgehoben werden müssen allerdings noch jene Wanderprediger, »die in Erfüllung der evangelischen Weisungen, in Nachahmung der Apostel, unter Verzicht auf allen Besitz durch das Land [zogen], zu Buße und Frieden mahn[t]en und gegen die Sünden des Klerus eifer[ten]«  :62 z. B. Robert von Abrissel, Bernhard von Thiron, Vitalis von Savigny oder Norbert von Xanten, dessen Anhänger angesichts der charismatischen Strahlkraft ihres Meisters es ebenfalls zunächst als überflüssig ansahen, sich auf eine gesonderte Regel zu stützen  : Credebant quidam adhaerentes ei fratres, sufficere ad salutem quod ab ore eius audirent, ita ut neque ordine neque regula indigerent.63 Nicht allen Genannten gelang es, ihrem ursprünglichen propositum in Form eines ihren Gemeinschaften tradierten Normensystems Dauer zu verleihen, das von den prinzipalen Regeln unabhängig war oder diese zumindest den eigenen Vorstellungen anglich. Allein die Grandmontenser Stephans von Thiers mit ihrer Regel und die Kartäuser Brunos von Köln durch eine baldige Verschriftlichung selbständiger consuetudines,64 wohl in gewisser Weise auch noch Robert von Abrissel durch die Schaffung des Doppelklosters Fontevraud mit seinem eigentümlichen Nebeneinander von Benedikts- und (vielleicht) Augustinusregel sowie von praecepta des Gründers und von gesatzten Statuten waren hierin erfolgreich.65 Die anderen nahmen letzthin eine der anerkannten Regeln an, auf der sie entweder eigene Klosterverbände aufbauten (Bernhard von Thiron und Norbert von Xanten66) oder mit der sie sich, wenn auch unter Wahrung eigener Gebräuche, bestehenden Orden anschlossen (Stephan von

61 Bruno, Ad filios suos cartusienses, in  : Lettres des premiers Chartreux, hier 84. Zu Parallelen mit den Grandmontensern siehe Dubois, Grandmontains. 62 Grundmann, Religiöse Bewegungen, 40. 63 Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683. Siehe zu den Genannten, deren erstere zunächst auch eremitisch gesinnt waren, Bienvenu, L’étonnant fondateur  ; Dalarun, Robert d’Arbrissel  ; de Bascher, La vita de S. Bernard d’Abbeville  ; van Moolenbroek, Vital  ; Elm (Hg.), Norbert von Xanten. Vgl. schon von Walter, Wanderprediger. 64 Guiges Ier, Coutumes de Chartreuse. 65 Dazu jetzt Felten, Verbandsbildung, 306ff. 66 Zu Bernhard vgl. oben Anm. 63  ; zu Norbert siehe Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung.

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Obazine und Serlo von Savigny [Cisterzienser]67). Und es gibt zu denken, daß dabei der höchste Grad des Erfolges – gemessen etwa an der Verbreitung – jener religösen Gemeinschaft zukam, die nach Fortgang ihres Gründers in einem nochmaligen Institutionalisierungsschub am stringentesten das cisterziensische Modell eines Ordens mit Regel, gesatztem Recht, Generalkapitel und Eigenvisitation übernahm – den Prämonstratensern. Beobachtern zur Zeit des sich verbreitenden Mendikantentums mochten die Resultate dieser Entwicklungen als längst gegebene Sachverhalte vertraut gewesen sein, bei denen allenfalls noch kein Ende der Aufsplitterung des Religiosentums abzusehen war und mehr und mehr die Gefahr einer confusio drohte, die es – wie vom 4. Lateranum verordnet – einzudämmen galt. Zeitgenossen indes des 12. Jahrhunderts sahen sich mit jener diversitas religionum noch als etwas konfrontiert, das nicht nur Neues und Ungewohntes im einzelnen hervorbrachte, sondern das als Erscheinung selbst eine Neuartigkeit war. Und sie mußten lernen, damit umzugehen.68 Es pflegten nämlich – schrieb Anselm von Havelberg im Jahre 114569 – viele seiner Zeitgenossen sich zu wundern und andere mit Fragen zu belästigen, warum so viele Neuigkeiten in der Kirche Gottes entstünden, warum so viele ordines in ihr emporwüchsen. Wer vermöge, insistierten sie, so viele ordines der Kleriker überhaupt zu zählen, wer staune nicht über so viele ordines der Mönche – ja, wer verachte nicht sogar die so vielen Mannigfaltigkeiten (varie­ tates) unterworfene, durch so viele Erfindungen (adinventiones) umgewandelte, durch so viele neue Gesetze und Gewohnheiten getriebene, durch so viele fast jährlich erneuerte Regeln und Sitten schwankende christliche religio  ?  – Gewiß, diese Fragen bezogen sich nicht allein auf Entwicklungen im Religiosentum, sondern im Grunde auch auf Beobachtungen einer konstitutionell immer komplexer werdenden Amtskirche, doch zweifelsohne waren sie symptomatisch für Beunruhigungen über Neues schlechthin, welches offensichtlich auch die ergriffen hatte, von denen Otto von Freising etwa zur gleichen Zeit sagen wird, sie seien als Religiose eigentlich seclusi ab omni misero mundi rotatu.70 Und so werden die Vorwürfe sogleich auch präziser  : In der Kirche Gottes könne man jetzt sehen, wie gewisse Personen emporkämen, die nach eigenem Dafürhalten sich mit ungewohntem Gewande bekleideten, sich eine neue Le67 Vgl. dazu die Literaturangaben in Anm. 56 u. 63. 68 Vgl. dazu jetzt die ausgezeichneten und detailreichen Darlegungen von Constable, Reformation, 44ff.; und schon Dens., Diversity. 69 Anselm von Havelberg, Dialogi, 1141f. 70 Otto von Freising, Chronica sive Historia de duabus civitatibus, VII, 34, 373.

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bensordnung erwählten und – sei es unter dem Titel mönchischer Profeß, sei es unter dem Gelübde kanonikaler Disziplin – sich anmaßten, was sie wollten, die Neues beim Psalmodieren erfänden, die eine neue Art der Abstinenz und des Speisenumfanges festlegten und die sich weder den Mönchen, die unter der Regel des Hl. Benedikt fechten, noch den Kanonikern, die gemäß der Regel des Hl. Augustinus ein apostolisches Leben führen, nachbildeten. – Von der äußerlichen Erscheinung über interne Regulierungen der Lebensform bis hin zum gänzlichen Ausbruch aus den herkömmlichen Segmenten der vita religiosa reichten die zu perhorreszierenden novitates, und angesichts dieses Umfangs vermochte man wohl tatsächlich zu unterstellen, daß sie das Maß nur reformerischer Ergänzungen oder Modifizierungen frevelhaft verletzten. Anselm hielt vehement dagegen.71 Er verwies auf den einen Heiligen Geist, der die Kirche belebe, der jedoch vielfältig sei in der Verteilung seiner Gaben (multiplex in multifaria donorum suorum distributione). In unterschiedlicher Weise lasse sie dieser den Menschen zukommen, um über unterschiedliche Zeiten hinweg den einen, alles zusammenhaltenden Glauben bewahren zu können. ›Vielheit‹, ein Strukturprinzip göttlichen Schöpfungs- und Ordnungshandelns, rechtfertige auch die Pluralität klösterlicher Lebens- und Gemeinschaftsformen. Die von Gott gewollte ›Vielheit‹ schließe erzwungene Uniformität aus und gebiete Duldung, keine unzeitige Verurteilung und gewaltsame Vereinheitlichung. Prozesse der Differenzierung rückgängig machen zu wollen, sei theologisch nicht legitim. Pluralität verlange Toleranz – auch im Bereich des Ordenswesens,

faßt Klaus Schreiner Anselms Standpunkt treffend zusammen.72 Offen also gegenüber den so sehr angegriffenen novitates, den novae religio­ nes, zeigte sich Anselm deshalb, weil diese zugleich in den Status der varietas heilsgeschichtlicher Prozeßhaftigkeit einzuordnen waren. Eine weltrettende Funktion gar erkennt Otto von Freising in diesen vielzähligen Einrichtungen  : haut diu stare posse mundum putaremus, nisi sanctorum meritis vere civitatis Dei civium [sc. der Religiosen], quorum in toto orbe copiosa varie et pulchre distincta florent collegia, sustentaretur,73 denn – so insistiert er – Gott ertrage nur noch um der Heiligkeit der Mönche willen die Sündhaftigkeit dieser Welt. Mögen 71 Anselm von Havelberg, Dialogi, 1143. Vgl. auch Eberhard, Ansätze. 72 Schreiner, Dauer, 326. 73 Otto von Freising, Chronica sive Historia de duabus civitatibus, VII, 34, 368f.; die weiteren Passagen ebd., 35, 369–374. Zu Ottos Geschichtsdenken vgl. Goetz, Geschichtsbild.

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die einen von ihnen auch in Städten, Burgen, Märkten und auf dem Lande leben und ihren Nächsten verbo et exemplo die Richtschnur des rechten Lebens vermitteln, die anderen indes sich, ganz Gott hingebend, in abgeschiedene Wälder zurückgezogen haben, gemeinsam sei ihnen ein schon auf Erden geführtes Leben conscientiae puritate ac sactimonia caelesti et angelica. So haben sie sich in fruchtbarer, reicher Vermehrung (fertili copiosaque propagine) nunmehr über die ganze Erde ausgebreitet, genießen unberührt von den Wechselfällen des Weltenlaufes einen Vorgeschmack der ewigen Ruhe und seien gütige wie wirksame Fürsprecher für die sündigen Menschen. Die neuartige Vielfalt ist Otto von Freising eine Bereicherung, da sie eine gleichsam flächendeckende, weil von funktional unterschiedlichen Seiten her zusammenwirkende Präsenz zu sichern verspricht im Kampf Aller um das Heil. Ebenso in den Heilsplan Gottes ordnete wenige Jahrzehnte zuvor eine Schrift, die den bezeichnenden Titel Libellus de diversis ordinibus et professioni­ bus qui sunt in aecclesia trägt,74 die Mannigfaltigkeit des gegenwärtigen Religiosentums ein. Sie setze sich zum Ziel – heißt es eingangs75 –, den Nachweis zu erbringen, daß Gott Gefallen finde an den diuversitates professionum, welche zwar schon von Beginn der Kirche an bestanden hätten, jetzt aber vor allem (maxime nostris temporibus) angewachsen seien in Unterschiedlichkeit (differen­ tia) von habitus und cultus. Die verschiedenen Ordnungen und Gelöbnisse der Mönche, der Kanoniker und anderer wolle er aufzeigen, betont der anonyme Autor, zudem auch ihre variierenden Formen der Tracht, der Ernährung und der Handarbeit. In der Anlage seines Werkes richtete er sich indes nicht nach derartigen äußerlich sichtbaren Unterscheidungsmerkmalen und auch nicht nach dem (von ihm durchaus diskutierten76) jeweiligen Alter von Grundformen der vita religiosa  ; vielmehr folgte er einem Prinzip, das in bemerkenswerter Weise eine Differenzierung gegenwärtiger Befindlichkeiten mit einer biblisch vorgegebenen im Sinne figuraler Zuordnungen zu verbinden suchte. »It consists«  – so die Herausgeber der Schrift  – »in finding parallels in both the Old and the New Testament for each of the callings within the religious orders of his day.«77 Die diversitas des Religiosentums fand ihre Entsprechung 74 Libellus de diversis ordinibus et professionibus qui sunt in aecclesia, ed. Constable / Smith  ; dort (XVIIIff. und XXIIIff.) auch luzide Darlegungen der Herausgeber über den historischen Hintergrund und die Intentionen des Autors. 75 Ebd., 3. 76 Ebd. 77 Sie erläutern des weiteren (ebd., XXIII)  : »He usually refers to these parallels as similarities (similitudo, simile, assimilare), but occasional use of exemplum and species shows that he also

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demnach in vergleichbaren Strukturen von ebenso differenten Gruppen des Alten Testaments bzw. von unterschiedlichen Handlungsweisen Christi, so daß jede der einzeln gezeigten religiösen Lebensweisen – und diese gliederten sich in den Augen des Autors nach eremitischen, mönchischen und kanonikalen Formen auf, wobei die beiden letzteren wiederum geschieden wurden nach dem Grad der räumlichen Nähe zu den Laien – ihren Gegentyp gleichermaßen z. B. in Abel oder den Patriarchen oder in den Filiationszweigen der Kahathiter, Gersoniter oder Meratiter des vierten Buches Mose (siehe Nm 4) hatte wie in Christus etwa als ein in der Wüste Zurückgezogener, als ein das Kreuz auf den Kalvarienberg Tragender oder als ein auf dem Ölberg Predigender. Es ging um eine symbolisch vermittelte diversitas, die auf eine funktionale und entsprechend organisatorisch ausgestaltete verweisen sollte.78 Der Fächer dieser Funktionen entsprach den Erlösungselementen von Gottes einheitlichem, in sich jedoch vielfaltigem Plan, und damit beinhaltete es eben nicht adversitates, die diesem zwangsläufig widersprochen hätten.79 *** Überblickt man nun noch einmal jene, den Mendikanten unmittelbar vorausgegangene Entwicklung des Religiosentums, die hier allerdings nur grob skizziert werden konnte, so sind deutlich zwei leitende Aspekte zu erkennen. Der eine war der Versuch, die neue diversitas in Gesamtheit als ein Gefüge von Regelobservanzen, conversationes, ordines und institutiones zu begreifen, in dem jeder einzelne Teil eine bestimmte Funktion in der Heilsordnung erfüllt und somit jeder gegenüber den übrigen auf gleiche Weise legitim ist. Der andere war die Behauptung, Neues deshalb beginnen zu wollen, weil es über das Bestehende hinaus unmittelbar zurückführe auf primordiale Werte und Ordnungsmuster – sei es auf den Text einer der prinzipalen Regeln, sei es auf die apostolische Zeit der ecclesia primitiva oder sei es gar auf das Evangelium, auf Christus selbst. Spezifische Funktionalität und Neuansatz am Primordialen waren zwei Kategorien, die vom Schöpfer einer neuen religio zwar nicht unbedingt in Synthese gesehen werden mußten, wenn er die Sonderheit seines propositum thought in terms of a more formal relation between the Biblical prototypes and the contemporary activities.« Siehe auch die tabellarische Übersicht, ebd., XXIV. – Vgl. zum allgemeinen Rahmen dieser Denkform Kölmel, Typik. 78 Siehe dazu schon Libellus de diversis ordinibus et professionibus qui sunt in aecclesia, ed. Constable / Smith, XXV. 79 Vgl. allgemein zu dieser Struktur Silvestre, Diversi sed non adversi.

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identifizierend ausgrenzte, die aber dann in Zusammenhang gebracht wurden, wenn es galt, dem Neuen den beunruhigenden, ja anstößigen Charakter zu nehmen. Sie gaben die entscheidende Antwort auf jenes so gravierend gewordene Problem von Einheit und Vielheit der vita religiosa, weil durch sie erklärt werden konnte, daß Vielheit nichts anderes war als das Ergebnis einheitlichen Suchens nach je neuen Wegen zu von altersher gewiesenen Zielen. In einer solchermaßen verstandenen Verlaufsstruktur stellten die Mendikanten am historischen Ort ihres Entstehens noch keinen Einschnitt dar, wenn von ihnen, auf den Kern der Abgrenzung vom Herkömmlichen zielend, gesagt wurde  : ordo noster trahit nomen suum a fine – oder  : non tam nouam addidit re­ gulam quam ueterem renouauit.80 Vielmehr erscheinen sie dann nur als weitere Glieder an einer langen Kette von vorausgegangenen novitates, die ebenfalls von sich behaupten konnten, einem bestimmten religiösen Zweck zu dienen oder Ursprüngliches zu erneuern. Doch wie nie zuvor gab es bei den Mendikanten die Option, ihren speziellen finis und ihre spezielle Art der renouatio nicht als eine – wie unter erster Beobachtung vorgebracht wurde81 – nur no­ vitas insolita wahrnehmen zu lassen, sondern beide in einer derartig radikalen Vollkommenheit und Fruchtbarkeit praktisch umzusetzen, daß sie jeweils monopolisiert werden konnten. Mit welch überwältigendem Erfolg diese Monopolisierung von den Bettelorden erreicht wurde, zeigte der weitere Verlauf der Geschichte.82 Er bedeutete in dieser Hinsicht dann tatsächlich eine Zäsur in der Tradition des Religiosentums.

80 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 39  ; Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 158. Vgl. oben bei Anm. 16 u. 21 auch den Kontext. 81 Vgl. oben bei Anm. 3. 82 Zum Zusammenhang von propositum und Wirkung der beiden Orden siehe im besonderen Elm, Franziskus und Dominikus.

Geltungsgeschichten am Tor zur Ewigkeit Zu Konstruktionen von Vergangenheit und Zukunft im mittelalterlichen Religiosentum

Frauen und Männer des Mittelalters, die im Streben nach Selbstheiligung die Welt verließen und sich in den geschlossenen Kreis einer klösterlichen Gemeinschaft begaben, taten dies auch, um entfernt von irdischer Unbeständigkeit in den Genuß eines störungsfreien Verlaufs religiösen Lebens zu gelangen. Garantie ihrer vita religiosa sollte eine Regel sein, welche ebenso ein spiritueller Text zur Führung der Seele war wie eine Schrift, die den Alltag stringent zu organisieren vermochte. Garantie sollten zudem Instanzen der Führung bieten, die unter dem Gebot des Gehorsams für den Fortbestand Verantwortung trugen, die kontrollierten, straften oder väterlich zurechtwiesen. Garantie sollte gleichfalls das einigende Band der Liebe in der Gemeinschaft sein – »ein Herz und eine Seele« war eines der immer wieder aufgerufenen Leitworte aus der Apostelgeschichte (Act 4.32), das verlangte, sich als einzelner Mensch in die Kommunität ganz einzubringen und sich einem Leben zu unterwerfen, das in allen affektiven, emotiven, intellektuellen, körperlichen und wirtschaftlichen Bereichen einheitlich vorgeformt war. Die Gleichförmigkeit der klösterlichen Tage schuf eine Zirkelzeit, die den naturalen Zeitenlauf aufzuheben schien und als Präfigurierung der Ewigkeit verstanden werden konnte. Otto von Freising, der wohl tiefsinnigste Chronist des Mittelalters, schrieb um die Mitte des 12. Jahrhunderts über Mönche und Nonnen, die ihm der einzige Kontrast zu den schrecklichen Umstürzen und Wirrnissen seiner Zeit waren  : »Sie alle bleiben unberührt von den jammervollen Wechselfällen des Weltlaufs und genießen nach sechs Tagen der Mühsal im Frieden des wahren Sabbats einen Vorgeschmack der ewigen Ruhe.«1 Das blühende, gottgefällige Leben des Religiosentums seiner Zeit war ihm hinwiederum die Garantie, daß ein allzu schnelles Kommen des Jüngsten Gerichtes noch abgewendet werden könne  : […] wegen der Menge unserer Sünden und wegen der stinkenden Sündhaftigkeit dieser höchst unruhevollen Zeit glauben [wir], daß die Welt nicht mehr lange Be1 Übersetzung nach Otto, Bischof von Freising, Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, 567.

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stand haben kann, würde sie nicht durch die Verdienste der Mönche, der wahren Bürger des Gottesstaates, erhalten […].2

Klösterliches Leben, vita religiosa also, schien in institutionelle Ordnungen gefaßt worden zu sein, die fern jeglichen Wandels standen und die im Rahmen einer göttlichen Weltordnung somit auch auf irdische Unversehrtheit hin angelegt waren. Klöster schienen Orte zu sein, an denen kein zwingendes Gesetz des Verfalls galt und in denen sich die Bewohner allein auf dem ununterbrochenen Weg der Perfektion ihrer Seelen befanden, der zum Tor der Ewigkeit führte. Gleichwohl sollte man sich mit solchen Feststellungen nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß klösterliches Leben in erster Linie von Prätentionen geprägt war – nämlich von Prätentionen auf eine Vollkommenheit, die eben durch jene Alltagsformen, durch jene Regularien, durch jene Leitungsinstanzen und durch jene spirituell fundierten Vergemeinschaftungen überhaupt erst erreicht werden sollte.3 Stabilität war nicht Zustand, sondern ein Ziel, das zu erringen aufgrund der genannten Einrichtungen zwar von größerer Chance war als bei den meisten anderen institutionellen Formierungen des Mittelalters, das aber nichtsdestoweniger stets gefährdet war, dem Bereich des Erringbaren wieder zu entgleiten. Klaus Schreiner hat beide Pole klösterlicher Institutionalität in folgenden generellen Aussagen gegenübergestellt und die implizite Problematik auf den Punkt gebracht  : Institutionen begründen Dauer. Sie reduzieren die Unbegrenztheit möglicher Verhaltensweisen  ; sie verhindern die Beliebigkeit persönlichen und kollektiven Handelns und machen Handlungsabläufe, die für die Funktionsfähigkeit und den Bestand sozialer Systeme grundlegend sind, vorhersehbar.  – Institutionen, die ihre Geltungskraft einbüßen, verursachen Formzerfall (deformatio), Krise und Identitätsverlust. Krisenerfahrungen, deren Widerspruch zur Regel bewußt wahrgenommen und erfahren wird, provozieren den Ruf nach Reform.4

Das Schlüsselwort ist institutionelle »Geltungskraft«. Und gemeint ist damit diejenige Eigenschaft institutioneller Formationen, welche zwar ­unabhängig 2 Ebd., 559, 561. 3 Zu den institutionellen Strukturen klösterlicher Lebensform siehe schon die vorzügliche systematische Analyse von Schreiner, Dauer. 4 Ebd., 296f.

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von jeweiligen Ausgestaltungen der bereits erwähnten garantiestiftenden Einrichtungen, aber dennoch als deren Produkt die eigentliche Gewähr für Bestän­digkeit darstellt. Institutionen begründen Dauer prinzipiell durch Geltungsproduktion. Diese allgemeine Feststellung bedarf freilich – obschon sie plausibel erscheinen mag – eingehenderer Erläuterungen. Hinsichtlich der spezifischen institutionellen Strukturen der vita religiosa stellt sich nämlich im besonderen Maße die Frage nach dem Verhältnis einerseits von Anspruch auf Geltungserhalt und andererseits von faktisch stets latenter Drohung von Geltungsschwund. Es handelte sich hier um ein ausnehmend prekäres Verhältnis, da Geltungserhalt eben wegen seiner Verankerung in Strukturen der göttlich fundierten Weltordnung auf eine unüberbietbar radikale Weise beansprucht wurde, so daß schon geringfügige Abweichungen als drohender Niedergang oder Zerfall empfunden werden mußten, wenn nicht sofort reformerisch gegengesteuert wurde. Folgendes Zitat, das mit gewaltiger ontologischer Fundamentalität daherkommt, scheint mir für diese Gefährdungsstruktur recht illustrativ zu sein  : Alles, was sein Dasein nicht sich selbst verdankt, neigt zu Verfall und Nichtsein, wenn es nicht von dem gehalten wird, der ihm das Dasein gibt  ; so auch jeder Orden und jeder Mensch. Daher fallen nicht nur die Orden der Mönche, sondern auch die der Bischöfe, Weltpriester und Laien, überhaupt alle Stände stark ab, wenn man ihren gewöhnlichen Zustand an dem mißt, was im Anfang war.

Mit dieser generellen Feststellung leitete Bonaventura,5 Generalminister der Franziskaner von 1257 bis 1273, eine Betrachtung ein, die ihn zu fünf Gründen führte, warum speziell eine religiöse Gemeinschaft wie ein Orden mit der Zeit zwangsläufig verfällt (deficit).6 Der erste Grund sei, führte er aus, die Menge der Eintretenden, die nicht so leicht zu lenken seien wie die Wenigen des Anfangs. Der zweite Grund sei das Wegsterben oder Schwachwerden der ersten Generation und damit das Vergehen der ursprünglich vorbildlichen Strenge, welcher nur noch schlaffere Nachahmung folgen könne. Der dritte Grund sei 5 In Übersetzung zitiert nach Borst, Lebensformen, 531, aus  : Determinationes quaestionum circa Regulam Fratrum minorum, 349  : Omne, quod non habet esse suum a se, deficiendo tendit in non-esse, nisi sustentetur ab eo qui dat ei esse  ; sic et omnis Ordo et omnis homo. Unde non solum Ordines Religiosorum, sed etiam episcoporum et clericorum et laicorum et universalis status multum deficit quantum ad communem statum ab eo quod in principio fuit […]. 6 Folgende Passagen ebd., 349f.; Übersetzung bei Borst, Lebensformen, 531ff. Vgl. dazu auch schon Melville, Wozu Geschichte schreiben  ?, 139ff.; Schreiner, Dauer, 333ff.

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die Steigerung der Erschlaffung in den nachfolgenden Generationen, die nur weitergeben könnten, was sie selbst unvollkommen gelernt hätten  : Wenn nun diese Jungen in die Ordensleitung kommen, ziehen sie bloß solche heran, wie sie selber sind. Dann wird ein Bruder von früher vollends zur Märchengestalt (fabula), nicht mehr zum Vorbild. Ja, sie halten sich für um so besser als Frühere, je weniger sie die Vorzüge der Vollkommenen wahrnehmen.

Der vierte Grund sei das Einschleichen unguter Bräuche, die, wenn einmal als bequem festgestellt, bald wie Gesetze gehalten würden und nicht mehr auszurotten seien, und denen dann auch weitere gleichartige nachfolgten  : Sobald ein derartiger Brauch erträglich geworden ist, wird in seinem Gefolge noch ein zweiter eingeführt, als ob er mit dem ersten zusammenhinge, und wenn der neue zugelassen wird, muß auch der alte hingenommen werden.

Der fünfte Grund schließlich sei die zu häufige Befassung mit weltlichen Geschäften, welche die fromme Hingabe auslösche, den Lebenswandel verändere und das Auge des Gewissens blind mache. Immerhin aber gäbe es noch das ›Prinzip Hoffnung‹, wie Bonaventura diesen Abschnitt schließt  : Aus diesen und anderen Gründen verfällt der Zustand des Ordenslebens  ; er wird nicht bloß schlechter, sondern fast verzweifelt und ließe sich kaum je reformieren, wenn es Gott nicht anders fügte. Weil aber denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht, kann das, was im Allgemeinen nicht eintritt, im Besonderen geschehen.7

Wovon Bonaventura hier sprach, ist der gleichsam automatisch ablaufende Verlust dessen, was primordial Geltung bedeutete. Was anfangs galt, sah sich im Laufe der Zeit verwässert, verändert und überlagert von Neuem, das nunmehr gleichermaßen Geltung beanspruchte. So ging es hier im Grunde nicht unmittelbar um den Verlust von Normativem oder Werthaftem als solchem, denn auch nachfolgende Generationen setzten sich Normen und Werte, die für sie wiederum Geltung besaßen, sondern um eine objektiv erkennbare und dann allerdings durchaus auch als negativ bewertbare Differenz von Anfänglichem und Aktuellem. Bonaventura konnte die Spanne dieser Differenz als eine histo­ ria defectionis, als einen Weg vom Sein (esse) zum Nicht-Sein (non-esse) verste7 Vgl. zu dieser systembedingt optimistischen Haltung Melville, Niedergangsbewußtsein.

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hen, indem er statt Geltungsfortdauer Geltungsschwund und Geltungsbrüche feststellte. Der Gesamtzustand, den er beklagte, kam durch ein Scheitern des Transportes anfänglicher Geltung zustande. Bonaventura beschrieb eine institutionelle Ablaufsform, deren Zerstörungskraft religiöse Vereinigungen trotz ihres Postulats der Dauerhaftigkeit prinzipiell zu bedrohen schien. Und er beschrieb den Ablauf auf strikt formale Weise, denn er ging nicht auf die spezifischen Inhalte von Leitideen, proposita, Wertesetzungen etc. ein. Gerade dies aber ist hoch bedeutsam  ! Er konnte damit nämlich verdeutlichen, daß der Sachverhalt einer historia defectionis nicht unbedingt von einer geringen Qualität der jeweiligen institutionellen Leitideen und Werte abhing, sondern ganz formal vom mißlingenden Transport einmal konstituierter Geltung. Kulturgeschichtlich stand eine solche Beobachtung gewiß im Kontext des mittelalterlichen Grundverständnisses vom Wert des Alten und Ursprünglichen als solchem,8 doch ging sie nicht vollends darin auf. Sie war vielmehr auch Zeugnis einer hoch rationalen Reflexivität hinsichtlich der institutionellen Leistungsfähigkeit und -erwartung im Spannungsfeld von Dauer und Wandel schlechthin. Obgleich pessimistisch in der Sache, deckte Bonaventura mit seiner formalen Betrachtungsweise einen entscheidenden Parameter institutioneller Strukturen auf – nämlich Geltung – und verdeutlichte zugleich, daß dessen eigentliche Brisanz eben darin bestand, untrennbar verbunden zu sein mit den Kategorien Dauer und Wandel. Wenn nämlich der institutionelle Charakter von Organisationen  – wie im besonderen hier von religiösen Orden – darin liegt, »daß sie soziale Objektivationen von normativen Verhaltensmustern sind, denen kulturelle Sinnorientierungen symbolisiert zugrundeliegen«,9 dann ist nicht die Unveränderbarkeit dieser normativen Verhaltensmuster und Sinnorientierungen, sondern ganz speziell die Dauerhaftigkeit ihrer Geltung von ausschlaggebender Bedeutung für die Stabilität des institutionellen Gefüges. Das will heißen  : normative Verhaltensmuster und Sinnorientierungen können sich ändern, sich anpassen an gewandelte Verhältnisse etc., entscheidend dabei aber ist, daß die Relation von konkretem Verhalten zur Ebene des Normativen und Sinnhaften von den Anfängen an ungebrochen stabil bleibt. Und diese Relation ist – wie aus den Äußerungen Bonaventuras hervorging – im wesentlichen eine Frage der Geltung, denn ein 8 Siehe im allgemeinen Überblick dazu Spörl, Das Alte und das Neue  ; Kern, Recht  ; Zimmermann (Hg.), Antiqui und Moderni. 9 So formuliert im Programm des Sonderforschungsbereichs 537  : »Institutionalität und Geschichtlichkeit«, 20.

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Verhalten, das sich als ein Befolgungsverhalten von bestimmten Normen und Sinnvorgaben versteht, setzt in erster Linie die Geltung letzterer voraus.10 Ein ganz wesentliches Kriterium für den Stabilitätsgrad einer institutionellen Ordnung dürfte also die Geschichte ihrer inneren Geltung sein – genauer gesagt  : die Geschichte von Geltungsbestimmung, Geltungssicherung, Geltungstransport ebenso wie von Geltungsschwund oder Geltungsbrüchen. Bezeichnenderweise handelt es sich dabei um eine Geltungsgeschichte beider Richtungen  – der Vergangenheit wie der Zukunft –, wobei allerdings keineswegs evident ist, was selbstverständlich zu sein scheint, nämlich daß in der Retrospektive das Ergebnis von Erfolg oder Mißerfolg bereits feststehe, während es in der Prospektive noch völlig offen sei. Geltungsgeschichten geschahen nicht und werden auch nicht geschehen. Sie werden geschrieben – und zwar von denen, die Geltung jeweils auf sehr konkrete Weise definieren als das, was beim Transport über die Zeiten hinweg einer bestimmten institutionellen Ordnung Stabilität verleiht. Mit anderen Worten  : Geltungsgeschichten als Kriterien für Stabilität sind Konstrukte zur Stabilisierung. Und so wird man bei Konstruktionen von Geltungsgeschichte der Vergangenheit bemüht sein, eine Stabilität als gelungen darzustellen, wie man sich anstrengen wird, gleichsam eine Geltungsgeschichte in die Zukunft ›hineinzuschreiben‹, die Stabilität zu sichern verspricht.11 In dieser Abhandlung wird es vor allem um Geltungsgeschichten der Vergangenheit gehen, um dem Gesamtanliegen dieses Sammelbandes zu entsprechen. Dennoch soll zunächst ein kurzer Blick auf jene in die Zukunft weisende Geltungskonstruktionen geworfen werden, da letztlich beide Perspektivierungen  – wie sich zeigen wird  – in einem deutlichen Zusammenhang gesehen werden müssen. *** Um den Erhalt ihrer noch flüchtigen Schöpfungen besorgte Charismatiker, welche die vita religiosa vom ausgehenden 11. Jahrhundert an in besonderer Dichte bereicherten,12 waren sich der alles entscheidenden Bedeutung 10 Wobei freilich auch ein Nicht-Befolgen die Anerkennung von Geltung einschließen kann  ; vgl. dazu Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 16, mit dem anschaulichen Beispiel  : »Der Dieb orientiert an der ›Geltung‹ des Strafgesetzbuches sein Handeln  : indem er es verhehlt.« 11 Vgl. zu dieser fundamentalen Struktur institutioneller Selbststabilisierung im Ordenswesen bereits die eindrückliche Studie von Schürer, Dominikaner. 12 Siehe dazu grundlegend Grundmann, Religiöse Bewegungen  ; zu einzelnen exemplarischen Persönlichkeiten vgl. im Überblick immer noch von Walter, Wanderprediger  ; vgl. zur institutionsgeschichtlichen Einordnung kürzlich auch Melville, Osservazioni, 373ff.

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e­ iner über ihren Tod hinausreichenden Geltungssicherung bewußt. Es scheint durchaus so gewesen zu sein, daß sie gleichsam die ›Veralltäglichung‹ ihres Charismas – um den Weber’schen Begriff 13 zu verwenden – voraussteuernd selbst in die Hand nehmen wollten, wie mit einigen Beispielen gezeigt werden kann  : Stephan von Obazine, der Zelot einer um ihn gescharten asketischen Eremitengemeinschaft im Limousin des frühen 12. Jahrhunderts, suchte die Fortdauer des Bestandes z. B. mittels der Integration seiner Bewegung in einen bereits institutionalisierten Ordensverband (zunächst – vergeblich – der Kartäuser, dann – mit Erfolg – der Cisterzienser) zu sichern. In seiner Vita findet sich dazu eine recht aussagekräftige Notiz zur gemeinschaftlichen Begründung eines solchen Projektes  : Indessen waren die Brüder in Obazine keinerlei geschriebenen Gesetzen unterworfen, vielmehr hatten sie die Anweisungen ihres verehrungswürdigen Meisters als Gesetz, die so strikt und hart waren, daß die Rauheit einer beliebigen Regel ihnen nichts an disziplinärer Strenge hätte hinzufügen können. Weil aber die Tage des Menschen kurz sind (Iob 14.5) und menschliche Belehrung nur so lange von Wirkung ist, wie lange der Belehrende lebt und gegenwärtig ist, beschlossen sie, das Bekenntnis einer jener Ordnungen, die in der Kirche autorisiert sind, anzunehmen, auf daß auch nach dem Ende der Lehrmeister die Autorität des geschriebenen Gesetzes ihnen als eine nie zu Ende gehende bleibe.14

Norbert von Xanten, der etwa zur gleichen Zeit in Prémontré eine erste Kanonikergruppe um sich zusammenband, welche er – wie es recht bildhaft in seiner Vita hieß – unterwies wie ein Adler, der seine Jungen zum Fliegen anregte,15 war sich gleichermaßen dieser Begrenztheit seiner Wirkungsspanne bewußt. 13 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 142ff. 14 Interea fratres Obazine nullis adhuc scriptis legibus tenebantur, sed instituta magistri venerabilis pro lege habebant, que tam districta et ardua erant ut cujuslibet regule asperitas eis in discipline rigore addere nihil posset. ›Quia vero breves dies hominis sunt‹ et tamdiu humana magisteria vi­ gent quandiu preceptor vixerit aut presens fuerit, placuit ut alicujus ordinis eorum qui in ecclesia auctorisati sunt professionem assumerent, ut, deficientibus magistris, scripte legis auctoritas eis indeficiens permaneret  ; Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96. zu Stephan von Obazine vgl. in Kürze C. Andenna, Dall’esempio [erschienen 2002]. 15 […] consolatoriis sermonibus exhortans eos, ne deficerent a felici proposito et spontanea paupertate, quam susceperant  ; et quod docebat, velut aquila provocans ad volandum pullos suos, operibus praemonstrabat  ; Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683. Vgl. zu Norbert Petit, Norbert  ; Felten, Norbert von Xanten  ; Weinfurter, Norbert von Xanten als Reformkanoniker.

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Ihm sagten nämlich seine Mitbrüder, daß ihnen dies zum Heile völlig genüge, was sie aus seinem Munde hörten, so daß sie weiter keiner Ordnung oder Regel bedürften. Damit aber – wie in seiner Vita fortgefahren wurde – zukünftig seine Pflanzung nicht entwurzelt und die Fundamente nicht geschwächt werden, belehrte Norbert sie daraufhin, daß die apostolischen und evangelischen Anweisungen nicht erfüllt werden könnten ohne Ordnung, ohne Regel oder ohne die Einrichtungen der Väter.16 Und so schrieb er ihnen dann auch die Augustinusregel als Basistext künftigen normativen Handelns vor  – Stephan von Muret (oder Thiers), um noch ein drittes, etwas anders gelagertes Beipiel zu bringen,17 versammelte seine in radikaler Armut lebenden Jünger (aus denen nachfolgend die Grandmontenser hervorgehen sollten) kurz vor seinem Tode im Jahre 1124, um sie darin zu bestärken, dem Modell seines Lebens weiterhin zu folgen, auch wenn er nicht mehr unter ihnen sei und ihnen seine Sorge nicht mehr zukommen lassen könne  : »Gott allein lasse ich euch zurück,« – hieß es in seiner Vita – »dem alles zu Eigen ist und um dessen Liebe willen ihr alles und zugleich euch selbst auch zurückgelassen habt (cuius etiam amore cuncta pariter ac uosmetipsos reliquistis). Wenn ihr ihm aus Liebe zur Armut (amando paupertatem) fest anhängt und nicht von diesem Weg der Wahrheit abweicht, wird er selbst gemäß seiner Vorsehung, durch die er alles lenkt, euch reichlich geben, was er als nützlich wissen wird.«18 Die vielen Lehrgespräche, die Stephan wie dieses letzte mit seinen Schülern geführt hatte, wurden unmittelbar nach seinem Tode von seinem engsten Schüler, Hugo de Lacerta, in einem Buch namens Liber de doctrina aufgezeichnet, und aus seinen Lehren hinwiederum wurde bald danach eine eigene Regel geformt.19 Obgleich Stephan selbst nie etwas geschrieben hatte, obgleich also nur sein ›Wort‹ zählte, legte man dennoch größten Wert auf die authentische Weitergabe dessen, was er gelehrt hatte – folglich ließ man ihn eben doch ›geschrieben‹ haben  : In einer frühen Miniatur wurde Stephan gezeigt, wie er bereits ein Buch (!) mit seinen 16 Credebant quidam adhaerentes ei fratres, sufficere ad salutem quod ab ore eius audirent, ita ut neque ordine neque regula indigerent. […] ne in posterum sancta eius plantatio eradicaretur et fundamentum quod supra petram firmam locare disposuerat labefactaretur, commonuit eos, sine ordine et sine regula et sine patrum institutionibus ad integrum non posse observari apostolica et euangelica mandata  ; ebd. 17 Vgl. zu Stephan von Muret Becquet, Études Grandmontaines, darin insbesondere die biographische Darstellung  : Étienne de Muret  ; ferner Wilkinson, La vie  ; zur charismatischen Rolle Stephans siehe auch Melville, Regula regularum  ; ders., In solitudine  ; C. Andenna, Dall’esempio. 18 Vita venerabilis viri Stephani Mvretensis, ed. Becquet, 123. 19 Liber de doctrina, ed. Becquet  ; Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet.

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Lehren Hugo de Lacerta überreichte, welches dieser dann tatsächlich erst zu schreiben hatte.20 Gemeinsam war jenen drei charismatischen Begründern einer religiösen Gemeinschaft, daß sie um die Vergänglichkeit dessen wußten, was sie in Geltung setzten, sofern diese nur an die körperliche Präsenz ihrer Person gebunden war. Erst die Fortschreibung von Geltung über den Tod hinaus sicherte die Aufdauerstellung ihrer Schöpfungen, wobei Fort-›schreibung‹ durchaus wörtlich zu nehmen ist, da es hier durchwegs um eine an die Schrift gebundene Form der Geltung ging, die über die Zeitlichkeit der Person hinaus fortzuwirken vermochte.21 Und dabei handelte es sich keineswegs nur – wie in diesen Beispielen bereits angesprochen – um Verschriftlichungen des ›gesprochenen Wortes‹, nicht nur um in Regeln und Satzungen gefaßte Verhaltensnormen, sondern im besonderen auch um die schriftlichen Darstellungen der Handlungen des verstorbenen Gründers. Der Text der Vita22 übernahm die Funktion der körperlichen Präsenz des Charismatikers und verewigte in der vergegenwärtigenden Kraft der memoria die Exemplarität23 verflossener Taten  : Laßt uns also loben, geliebteste Brüder, den Herrn in seinen Heiligen und vor allem in jenem unserem seligsten Vater Bruno, der uns in Christus zeugte, der uns den Weg des Lebens in der Einsamkeit bereitete und der uns die Norm des Lebens durch sein Beispiel (suo exemplo) zeigte,

hieß es eingangs der Vita Brunos, des Begründers der Grande Chartreuse.24 Und mit derartigen Rückgriffen ließ sich ausdrücklich die Hoffnung verbinden, daß sich durch imitatio des Exemplarischen dasjenige tatsächlich als unverfälscht fortgesetzt und als Früchte tragend zeigte, was der Beschriebene ins Leben gerufen hatte  : […] und weil ein schlechter Baum keine guten Früchte hervorbringen kann, wende ich mich jenem zu erforschenden Baum zu, aus dem so viele und so große Früchte erwachsen sind. Und wenn ich ein wenig sorgfältiger den Ursprung und die Wurzel 20 Siehe Hutchison, Hermit Monks, 97–102, und die Abbildung auf der ersten Umschlagsseite ihres Buches. 21 Dazu allgemein mit grundlegenden Beobachtungen Schreiner, Verschriftlichung. 22 Vgl. dazu Angenendt, Heilige, 138ff. 23 Zum ›Exemplarischen‹ vgl unten Anm. 37. 24 Vita altera [Brunonis], auctore Francisco a Puteo Carthusie Majoris priore, 492. Zu Brunos Wirken vgl. Bligny, Saint Bruno.

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der Sache aufdecke, begegnet mir frommen und verehrenden Gedenkens der Vater Norbert,

hieß es zu Beginn der Vita des hier bereits genannten Norberts von Xanten.25 Andere Gruppierungen indes setzten von vorneherein auf die kontinuitätssichernde Kraft der Schrift, als es darum ging, etwas, das erstmals in Geltung gesetzt worden war, fortzuführen über die zeitlichen Grenzen der Gründergeneration hinweg. Die Cisterzienser – Schöpfer einer neuartig transpersonalen Verbandsstruktur von Klöstern, des ›Ordens‹ nämlich26 – erstellten mit ihrer Carta caritatis27 ein grundlegendes Verfassungsdokument, an dessen Existenz die Geltung ihrer Normen und Leitideen unmittelbar gebunden war. Es waren regelrechte ›Verfassungsväter‹  – um einen Ausdruck aus der Verfassungsgeschichte der Moderne zu nehmen –, welche jenen Text geformt und ihn als unbefristetes Vermächtnis weitergegeben hatten  : In diesem Dekret also haben die genannten Brüder, um Vorsorge zu treffen gegen eine künftige Zerrüttung des gemeinsamen Friedens, klar dargelegt, festgesetzt und ihren Nachfolgenden hinterlassen, durch welche Übereinkunft, auf welche Weise, ja sogar durch welche Liebe ihre Mönche, welche durch die über verschiedene Teile der Welt verstreuten Abteien hindurch körperlich getrennt sind, in ihren Herzen unteilbar zusammengebunden werden.28 25 Vita Norberti (B), 670. Zu analogen Strukturen fortzulebender Ursprünge siehe am Beispiel der hierin besonders problematischen Minoriten Wesjohann, Simplicitas. 26 Dazu mit Abgrenzung gegenüber den älteren, auf Personen bezogenen Verbänden – wie etwa Cluny – Wollasch, Mönchtum, 175ff. 27 Die drei Fassungen, die kurz aufeinander gefolgt waren bzw. päpstlicherseits approbiert wurden (1119, 1123/4, 1152), sind neuerdings wieder ediert von C. Waddell  : Narrative and legislative texts, ed. Waddell, 261ff. Die forscherlich noch sehr umstrittene Phase der Institutionalisierung des Cisterzienserordens erörtert jüngst im Rahmen der Kritik an einem verfehlten Buch sehr luzide Waddell, Myth. 28 Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 274 (in der ersten Fassung)  : In hoc ergo decreto predicti fratres, mutuę pacis futurum precauentes naufragium, elucidauerunt et statuerunt suisque posteris relinquerunt quo pacto, quoue modo, immo qua caritate monachi eorum, per abbatias in diuersis mundi partibus corporibus diuisi, animis indissolubiliter conglutinarentur. Die ›Verfassungsväter‹ sind genannt. Es handelt sich um den dritten Abt, Stephan Harding, und seine Mitbrüder, wie aus dem ersten Satz hervorgeht  : Antequam abbatię cistercienses florere inciperent, domnus stephanus abbas et fratres sui ordinauerunt […]  ; ebd. – In dem Werk Exordium parvum (Narrative and legislative texts, ed. Waddell, 233–259), das den illegalen Weggang der ersten künftigen Cisterzienser aus ihrem alten Kloster Molesme und die Gründung eines ›Neuen Klosters‹, nämlich Cîteaux, rechtfertigen sollte, lag dem Orden zudem der Text einer veritab-

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Der Text blieb von seiner Endfassung des Jahres 1152 an unverändert (übrigens bis heute  !) und er hatte als Basistext dessen, was als identitätsbestimmende Werte des Cisterziensertum galt, auch unverändert zu bleiben. Der Text war gleichsam unvergänglich und von daher über die Zeitenläufte hinweg transportierbar. Doch dies allein reichte nicht aus, wie seine Schöpfer selbst erkannten. Was Bonaventura allgemein als eine historia defectionis ansah, konnte auch hier eintreten, nämlich eine langsame Differenz von Anfänglichem und nach und nach Aktuellem. Um dieser Gefahr vorzubeugen, wurden in die Carta carita­ tis bereits die nötigen Anweisungen, Verfahren und Instanzen zur Korrektur von Abweichungen eingebaut. So hieß es zum jährlichen Generalkapitel aller cisterziensischen Äbte als oberstem legislativen und judikativen Organ des Gesamtordens  : In diesem Kapitel mögen sie über das Heil ihrer Seelen handeln  ; wenn es etwas zu verbessern oder hinzuzufügen gilt, so mögen sie dies unter Beobachtung der Heiligen Regel und der [cisterziensischen] Ordnung anordnen und das Gut des Friedens und der Liebe untereinander reformieren.29

Es wurde dort in der Tat recht erfolgreich gearbeitet, wie dann auch noch im 13. Jahrhundert die immer wieder neu redigierten Kodifikationen der Definitionen dieser Generalkapitel zeigen,30 die unter dem Leitgedanken einer re­ tractatio, compilatio und ordinatio31 des überaus stark angewachsenen Materials standen. – Die Dominikaner, um nur noch auf einen ähnlichen Komplex vergleichend hinzuweisen, vertrauten ebenso von Anfang an nicht minder auf die stabilisierende Leistungskraft eines fundierenden Verfassungsdokumentes – ihre Constituciones –, mit dessen Abfassung sie gleichsam den Institutionalisierungsprozeß ihres Ordens vollzogen und sich ein gewichtiges Symbol ihrer

len ›Geltungsgeschichte‹ vor, die analog zur Carta caritatis ein Vermächtnis an Zukünftiges darstellte. So lautete schon der erste Satz  : Nos Cistercienses, primi huius ecclesiae fundatores, succesoribus nostris stylo presenti notificamus quam canonice, quanta auctoritate, a quibus etiam personis, quibusque temporibus, coenobium et tenor vitae illorum exordium sumpserit  ; ebd., 233. 29 In quo capitulo de salute animarum suarum tractent, in observatione sanctę regulę uel ordinis, si quid est emendandum uel augendum ordinent, bonum pacis et caritatis inter se reforment  ; ebd., 383. 30 Vgl. Lucet, L’ère  ; Cygler, Generalkapitel, 23ff. 31 Dazu Cygler / Melville / Oberste, Aspekte, 220f.

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Identität geschaffen hatten.32 Im Jahre 1228 erstmals abgeschlossen und dann nur noch einmal um 1241 grundlegend überarbeitet, stellten die Constitucio­ nes33 einen basalen Verfassungstext dar, der einerseits zwar in seiner thematischen Einteilungsstruktur nicht mehr verändert werden durfte, dem andererseits aber seine inhaltliche Veränderbarkeit selbst eingeschrieben war. Über den Weg von drei Lesungen im Rahmen von drei aufeinanderfolgenden Generalkapiteln konnte und sollte jeder Text – mit Ausnahme einiger gänzlich unwandelbarer und somit auf ewig festgeschriebener Abschnitte über die substantia­ lia Ordinis34 – neu gefaßt werden, wenn aufgrund bestimmter Umstände eine Korrektur insofern notwendig sei, als damit wiederum der ursprüngliche Sinn der jeweiligen Rechtsnorm erhalten werden könne.35 Im Unterschied zu den Cisterziensern spielte sich hier Rechtsfortschreibung nicht in der Schöpfung nachfolgender Textcorpora ab, sondern in der fortdauernden Novellierung des einen Basistextes. Hohe Flexibilität aber zeichnete beide dieser beispielhaft herangezogenen Formen von Rechtsfortschreibungen36 aus. Mit ihrer Hilfe konnte es jenen bereits im Hochmittelalter einen kaum überbietbaren Status an praktischer Rationalität aufweisenden Organisationen wie den religiösen Orden, die zudem die so komplexen und differenten Kulturkreise Europas und sogar Asiens37 mit Hunderten von Einzelkonventen zu überziehen vermocht hatten, gelingen, Normen dergestalt in hypothetisch-generelle Rechtssätze zu kleiden, daß sie sich sowohl an demjenigen orientierten, was primordial Geltung gewonnen hatte, wie auch an das anpassen ließen, was aufgrund neu entstandener Anforderungen künftig zu gelten hatte.38 Mit anderen Worten  : Ein solches Verfah32 Siehe Cygler, Symbolizität. 33 Die beiden Redaktionen ediert in  : De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas  ; Creytens, Constitutions. Zur Organisation der mittelalterlichen Dominikaner siehe immer noch Galbraith, Constitution. 34 So heißt es in der Präambel der ersten Redaktion der Konstitutionen  : Inter constitutiones autem quasdam voluerunt inviolabiliter et immutabiliter in perpetuum observari, videlicet de possessionibus et redditibus nullatenus recipiendis, de appellationibus removendis […], De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 309. Vgl. dazu Gauthier, Le pouvoir législatif, 115ff. 35 Vgl. zu den Modalitäten Melville, Rechtsordnung. 36 Einen Überblick über weitere Formen gibt Cygler, Ausformung. 37 Dazu jetzt Müller, Bettelmönche. 38 In der hier angesprochenen Epoche brachten derartige Steuerungsmechanismen allenfalls noch die städtischen Kommunen hervor  ; vgl. dazu im Überblick Busch, Verschriftlichung  ; Dilcher, Oralität.

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ren, das man durchaus als den praktischen Entwurf einer Geltungsgeschichte für die Zukunft bezeichnen könnte, sollte eine Differenz zwischen Anfänglichem und späterhin Aktuellem verhindern und eine bruchlose Kontinuierung von Geltung gewährleisten, indem es mittels Varianz, welche flexibel Ausgleiche von Veränderungen vorzunehmen erlaubte, Konstanz erzeugte. Bei all den angerissenen Sachverhalten ging es um die künftige Sicherstellung einmal geschaffener Geltung bzw. um eine prospektive Stabilisierung der – wie oben formuliert wurde – Relation von konkretem Verhalten zur Ebene des Normativen und Sinnhaften. Diese Definition einer an sich sehr komplexen Struktur mag vielleicht als zu formal erscheinen, um gegenüber der Vielschichtigkeit der Geschichte Aussagekraft zu besitzen. Gleichwohl erlaubt eben nur ihr formal-abstrakter Charakter, eine vergleichende Perspektive auf die Eigenart auch von jenen Geltungsgeschichten zu eröffnen, welche retrospektiv orientiert sind – und gerade ein derartiger Vergleich dürfte dann höchst aufschlußreich für das Phänomen der institutionellen Geltung sein, wenn sich erweist, daß die Technik künftiger Sicherstellung von Geltung im Grunde eine strukturelle Analogie besitzt mit der Technik des Nachweises von bereits in der Vergangenheit sichergestellter Geltung  ; oder anders gesagt  : daß zu konstruierende Geltungsgeschichten für die Zukunft und konstruierte Geltungsgeschichten aus der Vergangenheit sich komplementär zusammenfügen lassen. *** Kaspar Elm hat in einem wichtigen Aufsatz über die historische Legitimation39 eine Reihe sehr grundsätzlicher Fragen zum Nutzen von Geltungsgeschichten im mittelalterlichen Ordenswesen gestellt, von denen einige hier wörtlich wiedergegeben werden sollen  : Welche Funktion [kommt] der historischen Legitimation bei der Ausbildung, der Bestandssicherung und der Veränderung des Ordenssystem [zu]  ? Inwieweit, so ist zu fragen, halfen historische Argumente neuen Orden und Kongregationen, im Gefüge bereits bestehender regulierter Gemeinschaften ihren Platz zu finden und ihre spezifische Funktion auszuüben  ? […] Konnten historische Argumente Orden und Kongregationen, deren Existenz nach dem Verlust ihrer ursprünglichen Funktion oder wegen äußerer oder innerer Bedrängnis gefährdet war, stabilisieren und vor dem Untergang bewahren  ? […] Welche Bedeutung hatte die Vorstellung von der 39 Elm, Bedeutung historischer Legitimation, das folgende Zitat 73.

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eigenen Herkunft für die Konsolidierung bestimmter Gruppen, wie weit war sie geeignet, ihre Integration in das Gefüge der Kirche und der Orden zu erleichtern, was vermochte sie zur Differenzierung gleichgerichteter oder ähnlich organisierter Gemeinschaften beizutragen, in welchem Maße erleichterte sie deren Vereinigungen und Zusammenschlüsse, wie artikuliert sich in ihr die zwischen ihnen bestehende Spannung und Konkurrenz  ?

Bereits die Formulierung dieser Fragen weist auf bestimmte Bereiche einer Antwort hin – vor allem nämlich etwa auf jenen Sachverhalt, daß Geltungsgeschichten für Orden und Klöster prinzipiell von derart hohem Nutzen gewesen sind, daß sich diese ihrer ganz offensichtlich eifrigst bedienten. Aber es zeigt sich auch ein weiterer, auf Anhieb wesentlich schwerer zu fassender Aspekt  – nämlich, daß Geltungsgeschichten im Bereich der vita religiosa sehr differente Funktionen der Legitimierung, der Konsolidierung, der Integration und Abgrenzung einnehmen konnten. Es ist davon auszugehen, daß derart unterschiedliche Funktionen auch unterschiedliche Ausgestaltungen der für relevant angesehenen Vergangenheitspartien generierten. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, die signifikantesten der bemerkenswert unterschiedlichen Konstruktionstypen von Geltungsgeschichten des mittelalterlichen Religiosentums vergleichend zu skizzieren. Angesichts des begrenzten Umfangs dieses Beitrages kann allerdings nur anhand einer exemplarischen Auswahl von einzelnen Werkkomplexen vorgegangen werden, anhand der sich jedoch eine sehr aufschlußreiche Typologie erstellen läßt. Zur Sprache kommen werden 1. Girardus de Arvernia und seine Geschichte der Cluniazenser, 2. Heinrich von Friemar und seine Abhandlung über Herkunft und Fortgang der Augustiner-Eremiten, 3. die Exempla-Reihung im Einleitungsabschnitt zur Regel der Camaldulenser und 4. die ›geschichtlichen‹ Selbstverortungen Stephans von Muret und seiner Grandmontenser mit einem vergleichenden Blick auf Franz von Assisi. Um 1272 fertigte Girardus de Arvernia, ein Kleriker der Diözese ClermontFerrand, auf Wunsch des Abtes von Cluny, Yvo I., eine Weltchronik mit dem Titel Abbreviatio historie figuralis an.40 Girardus stand führenden Cluniazensern persönlich nahe und war nach eigenem Bezeugen erfüllt von Sorge um das Gedeihen dieses Ordens, der sich damals in einer recht bewegten und mit Re40 Das Werk ist überliefert in den Vatikanischen Handschriften Vat. lat. 3839, Vat. lat. 3840, Reg. lat. 507, Reg. lat. 711 A sowie in der Pariser Handschrift BN lat. 4910. Es ist unediert – bis auf den Prolog und kleine Ausschnitte in Bouquet, Receuil, Bd. 21, 213–219 und MG SS XXVI 593–595. Siehe über Autor und Werk Delisle, Le chroniqueur  ; Melville, Geschichte in graphischer Gestalt, 85ff.; Melville, Exhortatiunculae.

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putationskrisen verbundenen Phase institutioneller Neuorientierung befand.41 Aus diesem Grunde hängte er seiner Chronik noch eine Mahnschrift an, die sich an verschiedene Amtsträger und Gruppierungen im Orden richtete.42 Doch auch die Weltchronik selbst ist auf eine bemerkenswerte Weise an Cluny orientiert  : Sie ordnet nämlich das Kloster und seinen Verband dergestalt in die Heilsgeschichte ein, daß sie als deren konstitutive Glieder erscheinen. Schon im Prolog sprach Girardus ungeachtet der seinerzeit ziemlich prekären Lage Clunys43 von dieser Abtei als »Pflanzung Gottes und Weinberg Christi«, der über die Zeiten hinweg so immens gewachsen sei und die vielfältigsten Früchte trage, daß er bereits die Berge mit seinem Schatten verhülle und er von Gallien, wo er entstanden sei, bis Spanien und von Spanien nach Italien und von Italien nach Deutschland und von Deutschland bis nach England seine Zweige ausdehne.44 Girardus legte noch nach und charakterisierte Cluny als einen Ort, wo unübertrefflich die Ruhe der Meditation, die Kraft der Disziplin, die Liebe zum Gehorsam, die Regelhaftigkeit der Sitten usw. herrsche,45 um dann sein Gesamtwerk abzuschließen mit Worten, die den kaum überbietbaren Anspruch auf eine herausragende Position artikulierten  : […] unter aller Mannigfaltigkeit der Orden, mit welcher die Braut Christi geschmückt ist, nimmt der Herr aus der Hand des Cluniazenserordens, weil dieser demutsvoller ist als die übrigen, lieber die Gabe des Dienstes an.46

Diese Behauptung einer führenden Rolle aber suchte er konkret zu belegen, indem er das übliche heilsgeschichtliche Raster der ›Sechs Weltzeitalter‹ erwei41 Dazu Neiske, Reform  ; Melville, Exhortatiunculae, 216ff.; ders., Cluny après ›Cluny‹  ; ders., Reformatio  ; Oberste, Visitation, 252ff. 42 Diese Exhoratiunculae – überliefert in den vatikanischen Handschriften Vat. lat. 3839, f. 29v– 33v, und Vat. lat. 3840, f. 28v–36r  – sind nicht ediert  ; eine ausführliche Beschreibung bei Melville, Exhoratiunculae, 209ff. 43 Vgl. ebd., 216ff. 44 Bouquet, Receuil, Bd. 21, 213. Eine fast gleichlautende Euloge lag weit zurück und stammte noch aus der Feder des großen Abtes Hugo I., der zu seiner Zeit davon ausgehen konnte, daß es über das Ansehen Clunys in der gesamten Christenheit keinen Zweifel gab und die Früchte einer selbstbewußten Cluniacensis ecclesia – wie man den Verband bezeichnete – für die Verchristlichung des Weltenkreises unbestritten war. Siehe Imprecatio beati Hugonis, in  : Bibliotheca Cluniacensis, ed. Marrier / Duchesne, 495. Vgl. dazu Wollasch, Mönchtum, 152ff.; siehe ferner auch Violante, Das cluniazensische Mönchtum. 45 Bouquet, Receuil, Bd. 21, 213. 46 Übersetzung nach Cod. Vat. lat. 3839, f. 34r.

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terte oder besser gesagt  : umformte zu einer Folge von sieben Epochen, deren letzte  – also die dem Eschaton unmittelbar vorausgehende  – er der Sukzession der Äbte von Cluny zuordnete. Damit setzte er sich nicht nur von allen herkömmlichen und im höchsten Maße auch kanonisch geltenden Periodisierungsschemata ab, vielmehr gelang ihm, diese eigenwillige Neuordnung auch auf eine visuell besonders eindrückliche Weise graphisch zu gestalten  : Sein ganzes Geschichtswerk ist durchzogen von netzartigen Linien und Kreisen, die sich je nach Weltalter an bestimmten Leitsukzessionen orientierten – etwa die ersten beiden an der Kette der Patriarchen, die dritte an die Richter und so fort. In der sechsten Epoche zieht sich von Christus an auf der linken Seite die Reihe der Päpste und auf der rechten die der Kaiser entlang – jeweils mit einem in einen Kreis gesetzten Bild. Soweit hat er sich noch ganz an eine recht verbreitete Darstellungsweise gehalten, die ursprünglich nur den biblischen Stoff didaktisch aufbereiten wollte, sich durchaus aber auch dafür geeignet zeigte, das duale Verhältnis der beiden höchsten Gewalten jener letzten Weltzeit zu visualisieren.47 Eben in jener Zeit leitete auch der Chronist und Dominikaner Martin von Troppau mit einem solcherart dual aufgebauten Geschichtswerk seine großen Erfolge ein und konnte damit dann sogar einen regelrechten chronikalischen Typ – die sog. Martinianen – begründen.48 Girardus brach indes mit diesen Konventionen radikal  : Er setzte nämlich mit dem Zeitpunkt der Gründung Clunys im Jahre 911 die doppelte Reihung der Päpste und Kaiser unvermittelt ab und schloß die Reihe der Äbte Clunys in einer Position an, auf die sich nun alles weitere Geschehen hinordnete. Der Textverlauf ist dabei ab Berno, dem ersten Abt, in Abschnitte gegliedert, die leitthematisch von den abfolgenden Abbatiaten bestimmt sind und die inhaltlich eine Aufnahme von Taten der Äbte und von Ereignissen zunächst im Cluniazenserorden selbst wie dann auch in der übrigen Welt gewähren.49 47 Siehe dazu umfassend Melville, Geschichte in graphischer Gestalt, passim. Girardus selbst gab seine Leitsukzessionen im Vorwort ausdrücklich an  : In prima quidem et secunda particula pono eventus temporum sub patriarchis  ; in tertia, sub judicibus  ; in quarta, sub Judaeorum regi­ bus  ; in quinta, sub Persarum Aegyptiorumque regibus  ; in sexta, sub Romanorum imperatoribus […]  ; Bouquet, Receuil, Bd. 21, 214. 48 Vgl. dazu von den Brincken, Martin von Troppau. 49 Zu Abt Hugo VI. z. B. lautet der Text  : Hugo sextus cluniacense rexit cenobium annis VIII ce­ pitque domini Mo.CCo.XXXo.VIo. Hic abbatem [sic  !] maioris monasterii in abbatem cluniacensem promotus, anno VIIIo sui regiminis in Lingonensem episcopum est assumptus. Anno huius Hugonis IIo ammotus est Odo prior cluniacensis et substitutus est Rainaldus qui diu fuerat in ordine carthusiensi. Eodem quoque facte sunt multe mutationes in ecclesia cluniacensis. Anno huius Hugonis VIo electus est in papam cardinalis Senebaldus et mutato nomine Innocencius est

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Hierbei folgte der Autor getreulich dem verbreiteten Anlagemuster von sog. Series gestorum, das einst durch den Liber Pontificalis prototypisch für eine Institutionsgeschichtsschreibung ausgeformt worden war.50 Das Prinzip bestand darin, die Taten im Leitungsamt (also des Papstes, des Bischofes oder  – wie hier – des Abtes von Cluny) immer den gleichen Handlungskategorien (z. B. Rechtssetzungen, Weihen, Bautätigkeiten usw.) zuzuordnen, so daß eine Textführung der thematischen Wiederholung trotz unterschiedlicher Konkretisierungen entstand und Gleichförmigkeit über alle Amtsausübungen hinweg veranschaulicht wurde. Neben einer solchen Darlegungsweise ist hier zudem noch jedes Abbatiat graphisch von einem farbigen Band umfaßt worden, in welchem Kreise mit Vignetten des zeitgenössischen Kaisers, Papstes und französischen Königs – bzw. nur mit dem Vermerk idem, wenn einer der Genannten bereits unter den vorangegangenen Abt herrschte  – eingelassen sind. Optisch zeigt sich somit das Bild einer Folge gleichsam von ›Planeten‹ umkreister Zentren (siehe Abbildung am Ende des Beitrags51). Unschwer ließ sich aus einer solchen Gestaltung für den einstigen Benutzer des Geschichtswerkes erkennen, worum es hier ging – nämlich um zweierlei  : Zum einen sollte der Aufweis von einer bereits langfristigen Kontinuität der institutionellen Ordnung des cluniazensischen Verbandes erbracht werden, einer Kontinuität, die mit Berno, dem ersten Abt, begründet worden war und die seither in unentwegter Sukzession seiner Nachfolger bis auf die Gegenwart fortbestand. Die Äbte von Cluny waren angesichts der monarchischen Struktur des Verbandes52 über die Zeitläufte hinweg die Garanten und Vermehrer der Geltung identitätsstiftender Werte.53 – Zum anderen sollte die unuocatus hoc nomine IIIIo. Adhuc idem Fredericus qui est supra imperat et super francos idem Lu­ douicus regnat. Anno huius Hugonis IIIIo apud Cremonam facta est tempestas maxima ceciditque lapis grandinis in quo erat crux et imago saluatoris expressa, desuper quoque litteris aureis scrip­ tum, Iesus Nazarenus ex Iudeorum. Et cecidit in monasterio sancti Gabrielis, et de aqua in que liquefactus est lapis, inunxerunt monachi oculos cuiusdam fratris semiceci qui statim clare uidit. Zitiert aus Ms BN lat. 4910, f. 25r. Vgl. dazu auch das Chronicon Cluniacense des Franciscus de Rivo aus dem 15. Jahrhundert, Sp. 1665, das offensichtlich die Chronik des Girardus als eine Leitquelle ausschöpfte. 50 Vgl. zum Gestaltungsprinzip Melville, De gestis. Siehe zur Gattung Sot, Gesta episcoporum. 51 Eine Wiedergabe von Paris, Ms BN lat. 4910, f. 25r. Weitere Abbildungen ähnlicher graphischer Anlagen siehe in Melville, Geschichte in graphischer Gestalt, 114ff. 52 Siehe im Überblick Wollasch, Cluny. Dies hatte sich auch im 13. Jahrhundert nach Einführung eines regelmäßigen Generalkapitels nur insofern geändert, als man dann von einer ›konstitutionellen Monarchie‹ zu sprechen hat  ; vgl. Melville, Cluny après ›Cluny‹. 53 So heißt es bezeichnenderweise in den cluniazensischen Statuten von 1205/06 über den Abt als Haupt des Verbandes  : Et quoniam dominus Abbas pater et principium est nostri Ordinis, ea

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überbietbare Wertigkeit des Verbandes im globalen Gefüge irdischer Mächte und Institutionen an der (behaupteten) Tatsache gezeigt werden, daß mit dem Beginn Clunys sogar eine neue – mehr noch  : die letzte – Phase der Heilsgeschichte angebrochen war, in welcher nunmehr die Kaiser, die Päpste und die Könige Frankreichs (in deren Reich Cluny lag) aus ihren Führungslinien der Weltgeschichte rückten und sich den cluniazensischen Sukzessionsabschnitten zuordneten. Damit war eine hohe, in der heilsgeschichtlichen Weltordnung verankerte Geltung cluniazensischer Werte postuliert,54 die aber eben durch den augenfällig gemachten Sachverhalt, daß sie seit dem ersten Moment ihrer geschichtlichen Rückführbarkeit, also mit der Gründung Clunys, ungebrochen existierte, als berechtigt erschien. Das aber heißt, daß der kontinuierliche Transport von behaupteter Geltung dieser überhaupt erst Geltung verlieh  – mehr noch  : sie kumulativ verstärkte. Dabei stellte sich allerdings das prinzipielle Problem, eine solche Kontinuität auch glaubwürdig nachweisen zu können. Da Geltung ja immer nur dann besteht, wenn sie von der »Regelbefolgungsgemeinschaft«, wie Ulrich Baltzer und Gerhard Schönrich dies in ihrem Beitrag zu diesem Band sehr luzide veranschaulichen,55 konsensual akzeptiert wird, ist ein beträchtlicher Aufwand zur allgemein überzeugenden Darstellung von Kontinuität erforderlich. Selbst dort, wo etwa die Abtssukzession wie in Cluny im Grunde eine evidente historische Tatsache darstellte, legte man – wie eben gesehen – größten Wert z. B. auf eine augenfällige Präsentation und befand sich dabei in einer recht dichten Umgebung analoger Gestaltungen.56 Ungemein schwieriger war ein solches Unterfangen, wenn bestimmte Kontinuitäten keineswegs als unbezweifelbare historische Größe angesehen wurden oder wenn sie sogar überhaupt nicht existierten. Die kontinuitätsvernichtenden Kräfte waren in den keineswegs so statischen Zeitläuften des Mittelalters vielfach wesentlich que ab antiquis patribus nostris diligenter instituta et constanter observata audivimus, tanquam patri significamus, ut in eo et sinceritatem doctrine, et boni operis efficaciam, vel de speculo co­ gnoscamus  ; ed. Charvin, Statuts, Bd. 1, 53. 54 Auf vergleichbare Einordnungsversuche in die Heilsgeschichte, die von den Bettelorden unternommen wurden, hat kürzlich erneut sehr überzeugend aufmerksam gemacht  : Schmidt, Legitimität  ; Schürer, Dominikaner. 55 Siehe den Beitrag von Schönrich / Baltzer, Die Geltung von Geltungsgeschichten, in diesem Bande [vgl. Bibliographie]. 56 Ähnlich ging man auch bei Sukzessionen vor, die ebenso oder noch wesentlich stärker dem kollektiven Gedächtnis zugehörten, wie z. B. bei denen der Päpste und Kaiser oder von verschiedenen Fürsten  ; vgl. dazu mit Abbildungen Melville, Geschichte in graphischer Gestalt, 76ff. u. 93ff.

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dominanter als die stabilisierenden,57 und hinzu kam, daß – gleichsam gegenläufig dazu  – die Ansprüche an die Spannweite von Kontinuitäten ungleich höher waren als alles, was kontinuitätsstiftende Wirklichkeitsstrukturen eigentlich zu leisten vermochten. Rückgriffe auf ungebrochene Verbindungen mit dem Alten Testament (man denke etwa an die staufische Inanspruchnahme des David-Königtums58), mit Troja als Ursprung des Rittertums oder als Ausgangspunkt eines ganzen Straußes von Dynastien und Reichen (allen voran das fränkische),59 mit dem antiken Rom als Beginn des Kaisertums60 oder mit der Apostelgemein­schaft der Urkirche als Begründung religiöser vita communis 61 zählten zum üblichen Repertoire mittelalterlicher Selbstlegitimierungen, Identitätsstiftungen und Plausibilisierungen von Ansprüchen.62 Zudem gehörte es zu den Spezifitäten des Mittelalters, daß sich – dies sei vergleichend erwähnt – die laikalen Formationen politischer Macht zumeist auf ein zwar in sich festes, doch allzu leicht abreißendes Band der Geltungskontinuierung stützten  : nämlich auf das genealogische, das immer dann versagt hatte, wenn kein Fortträger des Blutes mehr vorhanden war.63 Kontinuität nachzuweisen bedeutete also in gewiß nicht geringem Maße, zu gewagten, erfinderischen Konstruktionen zu greifen, die mit Geschichtsfiktionen arbeiteten, welche als solche natürlich nicht erkennbar sein sollten – im Gegenteil, welche überzeugen wollten, stärker die eigentliche ›Wahrheit‹ zu vermitteln als ›fragwürdige‹ Wirklichkeiten.64 Mit ihrer Hilfe konnte glaubhaft werden, daß z. B. bestimmte Universitäten bereits in der Antike gegründet worden waren,65 daß Länder und Städte fundierende Privilegien schon von Kaisern des alten Roms erhalten hatten66 oder daß sich Dynastien Spitzenahnen zulegen durften, die der Welt mythischer Heroen entstammten67 – um nur einige Bereiche anzusprechen. 57 Ein Sachverhalt, der sich bemerkenswert stark auch auf das mittelalterliche Bewußtsein von Stabilität und Veränderung auswirkte  ; vgl. dazu Oexle, Statik. 58 Vgl. zur Rolle Davids im Überblick Steger, David Rex. Zu einem staufischen Fall kürzlich Melville, Wege der Zeit. 59 Siehe Melville, Troja  ; Brunner (Hg.), Trojaliteratur  ; Jung, La légende de Troie. 60 Dazu an einer beispielhaften Epoche Struve, Kaisertum und Romgedanke. 61 Vgl. u. a. Miccoli, Ecclesiae primitivae forma. 62 Dazu grundlegend Graus, Lebendige Vergangenheit  ; Gier, Institutionen und Legitimität. 63 Vgl. Genicot, Les Généalogies  ; Bloch, Genealogy  ; Melville, Vorfahren  ; Schmid, Geblüt  ; Heck / Jahn (Hgg.), Genealogie. 64 Vgl. dazu Althoff, Fiktionen  ; Melville, Kompilation, vor allem 140ff.; ders., Fiktionen. 65 Siehe zu einem Beispiel Fasoli, Il falso privilegio. 66 Ein guter Überblick bei Borchardt, German Antiquity. 67 Vgl. Seznec, Fortleben  ; Melville, Vorfahren, passim.

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Auch religiösen Vereinigungen wie Orden oder Klöstern zeigte sich gewiß öfter, als ihnen lieb war, die Notwendigkeit, genau auf die Kontinuitäten zurückgreifen zu müssen, die sie nicht besaßen. Der Grund lag zumeist darin, daß die jeweils vorhandende Zeitspanne von der tatsächlichen Geltungsschöpfung im Gründungsakt bis zur Gegenwart nicht ausreichte, um in Kontexten von Wettbewerben um Anerkennung und (ideeller wie materieller) Ressourcengewinnung die eigene Identität zu behaupten. Dies hatte vor allem seit jener Zeit der verstärkten Auffächerung der vita religiosa in verschiedene, voneinander sich spirituell wie organisatorisch abgrenzende Ordensverbände  – also bereits seit dem frühen 12. Jahrhundert  – besondere Aktualität gewonnen,68 da sich zugleich die kritischen Stimmen mehrten, die in einer solchen Entwicklung eine Störung der Ordnung sahen und die vielen Neuigkeiten als Keime der Wirrnis beklagten. »Warum entstehen so viele Neuigkeiten (novitates) in der Kirche Gottes  ? Warum erwachsen so viele Orden in ihr  ?« Das waren Fragen, die z. B. auf den Prämonstratenser und Bischof Anselm von Havelberg in den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts einstürmten und die er noch besänftigend zu beantworten wußte, indem er auf die vielfältigen Gaben des Heiligen Geistes verwies, der sie nach und nach gemäß den jeweiligen Umständen an die Christenheit verteilt.69 Doch schon etwa 70 Jahre später sah man sich auf dem 4. Laterankonzil (im Jahre 1215) gezwungen, das augenscheinlich so wild Emporgewachsene einzudämmen und das, was neu Geltung beanspruchte, auf alte Geltungstraditionen festzulegen – konkret gesagt  : fürderhin keine neuartigen Ordensverbände mehr zuzulassen, sondern alles Künftige auf eine der bereits approbierten Regeln zu verpflichten.70 Neuen Verbänden konnte es also schlichtweg um die Frage der puren Fortexistenz gehen, falls ihnen nicht gelang, auf eine weitreichende Kontinuität, die sie aber gerade nicht besaßen, zurückzugreifen. Ein besonders illustrativer Fall soll hier nun  – ausdrücklich in Kontrastierung zu den eben gezeigten Darlegungen des Girardus de Arvernia, dem ein volles Reservoir an Geschichtsmaterialien zur Verfügung stand  – kurz aufgezeigt werden. Es kann an ihm nämlich gezeigt werden, daß die Unmöglichkeit eines glaubwürdigen Kontinuitätsnachweises durchaus zu kompensieren war mittels einer überzeugenden Darlegung, daß es zwischen einstigem Anfang und Gegenwart offensichtlich deshalb keine Geltungsbrüche gab, weil ganz einfach heute nach wie vor das gilt, was damals galt. 68 Siehe zum Überblick Melville, Diversa sunt monasteria. 69 Anselm von Havelberg, Dialogi, 1141f. Siehe dazu Schreiner, Dauer, 326. 70 Vgl. Foreville, Monachisme, 41ff.; Maccarrone, Costituzioni, 36ff.

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Im Jahre 1256 sind mehrere Eremitenverbände vom Papsttum zu einem neuen Orden, dem der Augustinereremiten, unter der Augustinusregel zusammengefügt worden.71 Da dessen Mitglieder den Anspruch erhoben, ohne feste Einkünfte und eigenen Besitz zu leben, wurden sie zur Gruppe der Mendikanten gerechnet. Das im Jahre 1274 stattfindende 2. Lyoneser Konzil hatte es sich dann zur Aufgabe gemacht, die selektierenden Maßnahmen des 4. Laterankonzils noch zu verschärfen. Es beschloß nicht nur die Aufhebung aller nach 1215 entstandenen, bislang nicht anerkannten Verbände, sondern auch die Auflösung sogar aller nach 1215 approbierter Verbände, sofern sie – mit Ausnahme der Dominikaner und Franziskaner – dem Mendikantentum zugehörten.72 Wenngleich sie von den Konzilsvätern noch einen gewissen Aufschub erhielten, waren davon auch die Augustinereremiten unmittelbar betroffen. »Der bis in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts dauernde Kampf ums Überleben«, wie Kaspar Elm drastisch hervorhebt,73 zwang sie zu einer rigiden Maßnahme  : nämlich zur Veränderung ihrer faktischen Geschichte. Das, was bislang in der kurzen Zeitspanne ihrer Existenz Geltung besaß, mußte mutieren in eine Figurierung, die konvergent war mit den alteingessenen Formen der vita religiosa  : Die Augustinereremiten mußten sich eine eigene Geltungsgeschichte schreiben, die zum einen wesentlich weiter zurückführte als das tatsächliche Alter ihres Ordens (also nicht nur vor das Gründungjahr 1256, sondern sogar noch vor 1215) und die zum anderen die historischen Bezugspunkte so umpolte, daß man wegkam von der gefährdenden Zuordnung zum Mendikantentum. Als sie endlich im Jahre 1298 von Bonifaz VIII. eine Bestätigung erhielten, daß sie als selbständiger Orden fortbestehen dürften  – und zwar bemerkenswerterweise nicht zuletzt deshalb, weil ihre Einrichtung (institutio) erwiesenermaßen vor dem 4. Laterankonzil erfolgt sei74 – war offenkundig, daß sich ihre historische Argumentation erfolgreich durchgesetzt hatte. In hoch elaborierter Form ist sie uns namentlich durch das etwas spätere Werk Heinrichs von Friemar De origine et progressu ordinis fratrum eremitarum St. Augustini et vero ac proprio titulo eisdem überliefert.75 In diesem Traktat wurde kein geringerer als der Kirchenvater Augustinus, der für die Welt des mittelalterlichen Religio­ 71 Vgl. zur Vorgeschichte Elm, Eremitengemeinschaften. 72 Siehe Conciliorum Oecumenicorum Decreta, ed. Alberigo / Jedin, 326f. 73 Elm, Bedeutung historischer Legitimation, 77. Vgl. dazu auch schon dens., Paulus von Theben, 375f. Siehe ferner Andreini, Concilio  ; Walsh, Bettelorden. 74 Siehe Bullarium Ordinis Eremitarum, 46. 75 Arbesmann, Henry of Friemar’s Treatise.

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sentums eigentlich durch sein Regelwerk für ein gemeinschaftliches Leben von Klerikern (ein Regelwerk, dem auch die Augustinereremiten folgten) von höchster Bedeutung wurde,76 zum genuinen Eremiten gemacht.77 Vorgebracht wurde unter anderem, daß zwar die ägyptischen Wüstenväter die generellen Anfänge des Eremitentums gesetzt hätten, daß aber Augustinus speziell die Lebensform der Augustinereremiten begründete, als er sich einmal des längeren bei Einsiedlern in Tuscien aufhielt und diesen eine Regel gegeben habe  : Und als er in der Wildnis Tusciens viele Einsiedler mit einem heiligen Lebensstil gefunden hatte, kam er schließlich zu unserem Ort, der Centumcellae genannt wird. Dies war, wie gesagt wird (ut dicitur), das erste Kloster unseres Ordens, und mit dessen Brüdern lebte Augustinus zwei Jahre. Nachdem er dann genügend vorangeschritten war in der Kenntnis des Glaubens, schrieb er eine Regel für ihre Lebensweise und gab sie ihnen. All dies kann zusammengestellt werden anhand von alten ungekürzten Legenden (ex antiquis legendis non abbreviatis).78

Auf Grundlage einer solchen Argumentationsstruktur (die natürlich noch weiter inhaltlich ausgebaut worden war  : etwa durch die Behauptung, daß Augustinus auch bereits den Habit der Augustinereremiten getragen habe79) schien dem Autor hinreichend evident gemacht zu sein, daß der Orden der Augustinereremiten nicht nur einen Gründer von unübertrefflichem Rang besitze, sondern daß er von daher auch bereits eine altehrwürdige Dauer aufweise  – daß er in jedem Fall älter sei als die so offensichtlich unbestrittenen Konkurrenten  : die Dominikaner und Franziskaner.80 Aber die Beweisprozedur barg ein Problem, das schon im obigen Zitat mit den Worten ut dicitur aufschien. Es fehlten dem Autor die Quellen, mit deren Hilfe er eine ungebrochene Kontinuität von Augustinus bis zu seiner Zeit hätte nachweisen können. Die Methode des Nachweises selbst war klar  : Man mußte, wie hier schon gezeigt, die Leiter (die priores generales) des Ordens als diejenigen, die die Weitergabe dessen, was primordal galt, zu verantworten hatten,

76 Verheijen, La Règle de Saint Augustin  ; vgl. im Überblick zur Geschichte des regulierten Klerus im Mittelalter Fonseca, Medioevo canonicale. 77 Siehe zu Folgendem auch schon Elm, Bedeutung historischer Legitimation, 79. 78 Arbesmann, Henry of Friemar’s Treatise, 96. 79 Ebd., 98. 80 […] quod ordo fratrum eremitarum sancti Augustini ex sui institutione multo antiquior est ordi­ nibus fratrum praedicatorum et minorum […] ebd., 109.

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lückenlos aneinanderreihen. Der Autor ging auch dementsprechend vor81 und es gelang ihm immerhin, Namen von Ordensleitern anzugeben, deren Kette eine gewisse Zeitspanne vor der Union von 1256 (also der tatsächlichen Ordensgründung) füllte. Doch beim Versuch eines weiterreichenden Rückgriffes mußte er sein Scheitern eingestehen  : »Welche aber von der Zeit des seligen Augustinus an, das ist vom Jahr des Herrn 430, die Hirten des genannten Ordens waren, bleibt aufgrund der Nachlässigkeit der Schreiber und der Länge der Zeit verborgen.«82 Angesichts der schon erwähnten Tatsache, daß die Augustinereremiten mit ihrer derart konstruierten Eigengeschichte reüssierten und ihre Existenz zu legitimieren vermochten, schien der lückenhafte Nachweis der Geltungsdauer also völlig ausgereicht zu haben. Ganz anders als bei Girardus de Arvernia, der der expliziten Darlegung einer ununterbrochenen Serie deshalb bedurfte, weil hinsichtlich der cluniazensischen Verhältnisse Geltung nur verliehen war, wenn sie kontinuierlich in jeder Phase der (Heils-)Geschichte transportiert wurde, mußte es Heinrich von Friemar vor allem auf die Hervorhebung des Aktes der Geltungsstiftung ankommen. Auch hier ging es um Geltungstransport, jedoch war angesichts der glaubwürdigen Vermittlung einer unüberbietbar hochrangigen Gründergestalt die unmittelbare Verknüpfung zwischen Anfang und Gegenwart das viel Entscheidendere. Mit ihr konnte gleichsam eine stete Präsenz des Anfangs im Heute behauptet werden, die den Zeitfluß als solchen aufhob und nur noch die Größe der Zeitspanne von Gewicht erscheinen ließ. Der eben ganz gegenwärtige Augustinus einer unvordenklich weit zurückliegenden Geltungsstiftung war es, der die als überaus alt deklarierten Augustinereremiten legitimierte, ›auch noch‹ im 13. und 14. Jahrhundert eigenständige Geltungsansprüche zu stellen. Aktuelle Geltung durch Aufzeigen von geschichtlichem Geschehen plausibel zu machen, bedurfte aber gerade bei religiösen Vereinigungen nicht unbedingt des Nachweises von Kontinuität. Anstelle von Kontinuität konnte auch das Phänomen des überzeitlich Geltenden treten, welches sich geschichtlich immer wieder in verschiedenem Einzelgeschehen ausfaltete. Der Grund lag im Verständnis von der Gottesgesetzlichkeit menschlicher Ordnungen, so daß sich die Geltung konkreter Handlungsgefüge aus übergeschichtlichen Regulativen ableiten ließ. Hierzu ein erneut sehr aussagekräftiges Beispiel  : Die für den Eremitenorden der Camaldulenser zu Beginn des 12. Jahrhunderts geschriebene Regel – der Liber heremitice regule – kam recht selbstbewußt 81 Ebd., 111ff. 82 Ebd., 111.

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daher, was diejenige religiöse Lebensform anbelangte, deren normative Ausformungen sie vorzuschreiben beabsichtigte. Der erste Satz schon lautete  : Obschon es sehr viele Arten von religio gibt, durch welche dem einen Gotte gedient, für den einen König gekämpft und das eine Leben gesucht wird, […] so ragt dabei gerade die einsame Lebensweise (solitaria conversatio) erwiesenermaßen heraus. Es ist dies nämlich dasjenige Leben, das die Welt besiegt, das Fleisch in Schranken hält, die Dämonen bezwingt, die Verbrechen auslöscht, die Laster zügelt und die fleischlichen Süchte, welche gegen die Seele streiten, lähmt. Im besonderen ist dies das Leben, das den Geist reinigt, das Gewissen erleuchtet, den Verstand säubert, Wissen gebärt […].83

Und eine solche Euloge auf die außerordentlichen Werte des eremitischen Lebens war sogar noch steigerbar, wie aus nachfolgendem Text hervorgeht  : das sonnenumkleidete, auf dem Mond stehende Weib der Apokalypse – allgemein vertrautes Sinnbild der Kirche – wurde aufgerufen als zeitlose Vollzieherin dessen, was ein Rückzug in die Einsamkeit beim Kampf gegen das Böse bewirken konnte. »Es steht nämlich«, so liest man weiter, »der Drache vor dem Weib in der Absicht, deren Frucht zu verschlingen. Das Weib aber floh in die Einsamkeit, wo sie genährt wurde durch die Zeit und die Zeiten und die Mitte der Zeit bis zur Vollendung des Kampfes.«84 Die Schlußfolgerung lag für den Verfasser der Regel auf der Hand  : Als höchst einleuchtend erscheine es von daher (unde apparet evidentissime), führte er aus, daß gegen die Nachstellungen der »Alten Schlange« – also des Teufels – kein geschützteres Refugium, kein sichererer Schutz existiere als jenes Bollwerk, welches die Lebensführung in Einsamkeit biete. Der Verfasser rief also zunächst Verhaltensnormen auf, gegen deren Wertschätzung er mit Sicherheit keinen Widerspruch erwarten mußte, da es sich um universell anerkannte Tugenden christlicher Heilssuche handelte. Problematischer verhielt es sich aber bei seiner gleichzeitigen Behauptung, die eremitische Lebensweise garantiere am besten die Verwirklichung jener Normen und schütze am ehesten gegen die Angriffe des Bösen. Traditionell nämlich – und namentlich durch die Benediktsregel vorgetragen  – galt, daß das Zönobiten83 Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 286  ; zu dieser Regel vgl. ebd., 77ff. 84 Ebd.; vgl. Apc 12, 4–7  : […] et draco stetit ante mulierem quae erat paritura, ut cum peperisset filium eius devoraret […] et mulier fugit in solitudinem ubi habet locum paratum a Deo ut ibi pascant illam diebus mille ducentis sexaginta et factum est proelium in caelo […]. Siehe zur mittelalterlichen Rezeption in Schrift und Bild Fonrobert, Apokalyptisches Weib.

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tum die größte Sicherheit gegen die Sünde biete und daß das Eremitentum nur für die ganz Starken und bereits speziell Geschulten geeignet sei.85 Er bedurfte also durchaus besonderer Argumente, um die Geltung dessen, was er behauptete, nachweisen zu können. Er fand sie – wie man sah – mittels jenes Weibes aus der Apokalypse und somit durch Verweis auf eine geoffenbarte und von Gott gewollte Vorgabe, die allen Normen eines Tuns, das sich dann daraus ableiten ließ, Geltung verlieh. Bemerkenswerterweise ließ er es aber mit dieser universellen Feststellung nicht auf sich beruhen, sondern wandte sich eben gerade einem solchen, seiner Ansicht nach im Laufe der Geschichte immer wieder belegbaren Tun selbst zu. Mit den Worten »Einer solchen höchst geheiligten Kämpferschar Vorbilder und Beispiele (Huius sacratissime militie auctoritates et exempla) werden so viele gefunden, daß sie vor lauter Menge gar nicht aufgezählt werden können«86 eröffnete er dann eine erlesene87 Serie von exemplarischen Eremiten, welche mit Moses beginnt, über David, Elias, Eliseus, Johannes den Täufer, Christus, die Wüstenväter und heidnischen Philosophen sowie Benedikt von Nursia führt und schließlich bei Romuald, dem Gründer von Camaldoli, endet. Dabei wiederholen die zugehörigen Überschriften das Wort exemplum stereotyp, so daß eine geradezu kategoriale Serie suggeriert wird  : Exemplum David et Helie, Ex­ emplum Elisei prophete, Exemplum Iohannis Baptiste, Exemplum Salvatoris, Ex­ empla patrum antiquorum, Exempla phylosophorum, Exemplum sancti Benedicti, Exemplum sancti Romualdi.88 Alle diese genannten Personen wählten das Leben in der Einsamkeit entweder aus freiem Entschluß oder von Gott dazu befohlen – und jedes dieser 85 So heißt es in der Benediktsregel I, 3–5  : »Die zweite Art sind die Anachoreten, das heißt Einsiedler. Nicht in der ersten Begeisterung für das Mönchsleben, sondern durch Bewährung im klösterlichen Alltag und durch die Hilfe vieler hinreichend geschult, haben sie gelernt, gegen den Teufel zu kämpfen. In der Reihe der Brüder wurden sie gut vorbereitet für den Einzelkampf in der Wüste. Ohne den Beistand eines anderen können sie jetzt zuversichtlich mit eigener Hand und eigenem Arm gegen die Sünden des Fleisches und der Gedanken kämpfen, weil Gott ihnen hilft«. Zitiert nach  : Die Benediktsregel, 73. 86 Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 286. 87 Er kommentiert dazu  : Nos vero de multis pauca eligentes, pluraque relinquimus, prudenti lectori querenda esse suademus  ; ebd. 88 Ebd., 287–290. Aus der reichen Forschung zum mittelalterlichen Exemplum sei nur verwiesen auf Welter, L’Exemplum  ; Bremont / Le Goff / Schmitt, L’›Exemplum‹  ; von Moos, Geschichte als Topik  ; Berlioz, Introduction. Zum Exempla-Gebrauch speziell im Rahmen institutioneller Formen der vita religiosa siehe jetzt auch Füser, Vom exemplum Christi  ; in Kürze Schürer, Das Beispiel im Begriff, erschienen 2003.

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Leben ließ sich darstellen als ein erneuter Beleg für den außerordentlichen Gewinn, den man aus dem Eremitentum ziehen könne. Die entsprechende Auswertung erfolgte gemäß den Mustern biblischer Exegese, die erlaubte, den in der Heiligen Schrift überlieferten historischen Handlungen einen allgemeinen spirituellen Sinn zu unterlegen, der erlaubte, ihre Kontingenz zu transzendieren.89 So hieß es hier schon zum Ersten der Reihe, zu Moses, ihm sei, als er seine Schafe in die innere Wüste getrieben habe, einem Wunderzeichen gleich ein brennender, indes nicht verbrennender Dornbusch erschienen.90 Aus diesem Geschehen wurde dann der moralische Schluß mit einem direkten Bezug auf einen jemöglichen Adressaten des Textes gezogen  : Aber auch Du, wer immer Du bist, der Du die Einsamkeit pflegst und ein einsiedlerisches Leben führst, wo Du die Schafe der einfachen Gedanken und die niedrigen Leidenschaften zum Innersten der frommen Absichten führst, wirst den Dornbusch Deiner Nichtigkeit, welche gewöhnlich die Dornen und Stachelgewächse so sehr keimen läßt, im göttlichen Lichte erleuchtet sehen, solange Du Gott rühmst und ihn in Deinem Herzen und Körper trägst. Dies nämlich ist ein göttliches Feuer, das nicht verbrennt, sondern erleuchtet, das nicht verzehrt, sondern strahlt und den Seinen wie auch immer die Gnadengeschenke zuteilt.91

Ein ähnlicher Brückenschlag von scheinbar kühnen, gleichwohl mit aller anerkannten Kunst der Allegorese gewonnenen Analogien wurde anschließend noch ein zweites Mal bei Moses vollzogen.92 Es wurde zum einen nämlich dabei auf Moses’ Rückzug in die Einsamkeit des Sinai verwiesen, der ihn jeglicher menschlicher Zufluchtsmöglichkeit entblößte, ihm gleichwohl zum Empfang des göttlichen Gesetzes und zur Ehrung durch die Erscheinung Gottes verhalf. Zum anderen aber wurde eben daraus gefolgert (quo exemplo monstra­ vit, hieß es wörtlich  !), daß jeder, der danach strebe, durch eine himmlische 89 Dazu grundlegend de Lubac, Exégèse médiévale. Zu einem zeitgenössischen Meister dieses Umgangs mit biblischer Geschichte siehe Ehlers, Hugo von St. Victor. 90 Nam cum minasset oves ad interiora deserti, ammirabile vidit prodigium, rubum videlicet sine combustione ardentem  ; Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 286  ; vgl. Ex 3, 1f. 91 Sed et tu, quisquis es, qui solitudinem colis et solitariam vitam ducis, ubi oves simplicium cogita­ tionum et humiles affectus ad intima pie intentionis duxeris, rubum tue humilitatis, que spinas et tribulos germinare solebat, divino videbis lumine illustratum, dum glorificaveris et portaveris Deum in corde et corpore tuo. Hic est enim ignis divinus non comburens, sed illuminans, non consumens, sed lucens, suis utique tribuens karismatum dona. Ebd., 286f. 92 Siehe ebd., 287.

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­ ision erbaut und durch göttliche Unterrichtung geformt zu werden, sich vom V menschlichen Umgang und Zusammenleben fernzuhalten habe. Eine ähnliche Ausdeutung erfuhr auch – um nur noch ein weiteres Beispiel zu bringen – der einsame Rückzug des Elias auf den Horeb, den wüstenartigen Berg des Herrn, der als Gipfel der Enthaltsamkeit im Trinken, als Berg der Heiligkeit bezeichnet wurde.93 »So nämlich«, hieß es weiter erklärend, werde der Horeb gedeutet (sic enim interpretatur Horeb)  : wie Du in Dir austrocknest die Feuchtigkeit der Begierde, so wird der Feind, der an feuchten Orten wohnt, in Dir nicht bleiben können – gemäß des Wortes des Propheten des Herrn  : ›Du hast trockengelegt die Flußläufe des Ethan‹, das heißt, Du hast die Laster der Begierde verödet.94

Neben dieser Technik typologischer Vorprägungen,95 die dann auch noch bei weiteren Gestalten der Bibel (insbesondere bei David und Eliseus) Anwendung fanden, wurde mehrfach auch nur schlicht auf die spezielle (heils-)geschichtliche Bedeutung der exemplarischen Lebensführungen verwiesen. Johannes der Täufer etwa fand sich als derjenige hervorgehoben, der die Fundamente des eremitischen Lebens im Neuen Testament gelegt hatte (solitarie vite in novo testamento admiranda posuit fundamenta) und dem Christus sowie später dann die Wüstenväter Ägyptens nachfolgten.96 Benedikt von Nursia wurde vorgestellt als ›segensspendender Vater der Mönche‹, der dennoch die Ursprünge seiner religio im solitären Kampfesdienst gelegt hatte, und bei Romuald schließlich wurde herausgestellt, daß er seinen Weg umgekehrt gegangen war, nämlich vom weltlichen Adelsrang über klösterliches Zönobitentum zum Kampf in der Einsamkeit und zur Schöpfung eremitischen Lebens an vielen Orten.97 Einmal jedoch bediente sich der Autor einer ganz anderen Technik. Sie dürfte von den Zeitgenossen als höchst eindrücklich empfunden worden sein, denn sie zeigte nicht allein – wie eben umrissen – die möglichen Folgerungen aus normativen Vorgaben oder Initialakten auf, sondern auch die Defizite gegenwärtiger Realisierungen solcher Folgerungen. Daß dies zudem anhand einer Folie vorgeführt wurde, die ausgerechnet aus heidnischen Philosophen bestand, 93 Bei »Horeb« handelt es sich um einen Ersatznamen für den Sinai  ; vgl. Frevel, Horeb, 273. 94 Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 287. – Zu Elias vgl. Hentschel, Elija, 595f. 95 Vgl. zu dieser Technik in konzisem Überblick auch Angenendt, Religiosität, 169ff. 96 Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 288f. 97 Ebd., 290.

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machte die Sache noch stupender  : Auch die Philosophen dieser Welt, hieß es,98 seien nicht zu verachten, sofern sie sich dem zurückgezogenen Leben hingaben, sie die säkularen Schätze verachteten, sie dem irdischen Vergnügen und der Fleischeslust abhold waren und in die Geheimnisse der Weisheit vordrangen. »Oh, unselige Lage der gegenwärtigen Mönche«, brach es dann aber aus dem Autor förmlich heraus, »oh, beklagenswerte Erschlaffung der Eremiten unserer Tage  ! Weniger nämlich brennen wir für den ewigen Lohn als jene für das einfache weltliche Ansehen erglühten.« Im Kontrast zwischen aktuellem Sein und einstiger Perfektion – den aufzuzeigen es hier nicht der Allegorese, sondern nur des faktischen Vergleiches bedurfte – schien das Sollen auf, dem überzeitliche Geltung zukommt. Es handelte sich hier in der Tat um eine Geltung, die nicht als primordial dargestellt wurde und die nicht des zeitlichen Kontinuums bedurfte, um an Kraft zu bestehen oder anzuwachsen. Die vorgelegten exempla konnten allenfalls die Glaubwürdigkeit der Geltung steigern, nicht deren Rechtfertigung, da diese außerhalb allen Geschehens in einer übergeordneten Regelhaftigkeit verankert war. Allerdings bedeuteten die exempla für die aktuelle camaldolensische Lebensordnung musterhafte Vorgaben,99 die nicht nur zur Nachahmung anregen sollten, sondern vielmehr den eigenen religiösen Weg affirmierten und ihm Geltung verliehen. Die Argumentation mit solcherart musterhaften Vorgaben aber konnte im Spektrum mittelalterlichen Religiosentums sogar völlig auf eine mehrfache Kette von Ausfaltungen verzichten und sich auf eine einzige Bezugnahme beschränken, sofern diese auf einen konkreten Angelpunkt absoluter, unbezweifelbarer und unübersteigbarer Geltung verwies. Dazu letztlich noch folgende Fälle  : Der hier bereits genannte Stephan von Muret, der sich um 1076 in die Waldeinsamkeit bei Limoges zurückgezogen und in den nachfolgenden Jahrzehnten eine beträchtliche Menge an Jüngern um sich geschart hatte, so daß es zur Gründung von Filialklöstern und später dann auch zur regelrechten Herausbildung eines organisierten Verbandes  – des Grandmontenserordens  – kam,100 wußte im besonderen Maße um die Notwendigkeit, seine Lebens 98 Ebd., 289.  99 Zu den drei Einsatzmöglichkeiten des Exemplarischen  – nämlich als Fall, als Muster und als Maßgabe –, die den drei rhetorischen status – nämlich dem status coniecturae, dem status finitionis und dem status qualitatis – entsprachen, siehe Melville, Zugriff, 205ff. 100 Vgl. zu Stephan und den Anfängen seiner Gemeinschaft die oben in Anm. 17 u. 20 aufgeführte Literatur.

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weise – seine religio – der Umwelt plausibel und legitim erscheinen zu lassen. Wie andere Charismatiker seiner Zeit101 suchte auch er nach religiösen Wegen, welche eine vita perfectionis ohne die Gewohnheiten bestehender Klöster realisieren ließen. Damit lief er allerdings Gefahr, daß auch ihm unterstellt wurde, er wolle mit seiner Gemeinschaft ›outlaws‹ gleich in privatis locis proprio jure leben – wie z. B. der herbe Vorwurf Ivos von Chartres gegenüber sich ausgrenzenden Eremitengruppen lautete.102 Folglich schärfte er seinen Schülern ein, sie sollten und könnten Fragen Dritter durchaus standhalten, die sich darauf richteten, ob sie überhaupt nach einer Ordnung oder einer Regel lebten. Immer wieder nämlich werde ihnen vorgeworfen, daß sie Anhänger einer unziemenden Neuigkeit seien, da sie offenkundig weder der Regel des Augustinus, noch des Benedikts anhingen, also weder Mönche noch Kanoniker zu sein schienen.103 Wörtlich hieß es  : »Eine Neuigkeit ist das, was von euch gehalten wird  ; weder entspricht es einem ordo noch einer regula der Lehrer der Heiligen Kirche.«104 Einen ganzen Katalog von Argumenten gab Stephan dann seinen Schülern mit, mit dessen Hilfe sie, wie er meinte, nachzuweisen vermochten, daß die Art und Weise, wie sie lebten, sogar alles besonders vollkommen abdeckten, was unter religiösem ordo und unter regula zu verstehen sei – denn ihre Lebensweise bedeute nichts anderes als die strikte Nachfolgeschaft Christi in radikaler evangelischer Armut.105 Die Logik dieser Feststellungen gründete auf eine Annahme, die der Ausgangspunkt von Stephans Lehre war – nämlich  : »Es gibt keine andere Regel als das Evangelium Christi.«106 Mit diesem Axiom setzte er sich über alles in der Kirche geschichtlich Herangewachsene hinweg und wandte sich direkt zurück zu dem einen heilsgeschichtlichen Punkt, der für ihn insofern der entscheidende war, als dort der Ursprung von allem Regelhaften lag. Einwände, der Hl. Benedikt habe doch die Regel für die Mönche gemacht, wischte er beiseite, denn nach seiner Auffassung könne diese Regel nur deshalb als solche 101 Vgl. oben bei Anm. 12  ; sowie Leyser, Hermits. 102 Ivo von Chartres, ep., 200. Siehe dazu van Moolenbroek, Vital, 216ff. 103 Diese Vorwürfe sowie die entsprechenden Weisungen Stephans sind überliefert in der Schrift Liber de doctrina, ed. Becquet, 60ff. In ihr sind auf Veranlassung der vertrautesten Schülers Stephans, Hugo de Lacerta, posthum die wichtigsten Lehrinhalte des Charismatikers zusammengestellt. 104 Liber de doctrina, ed. Becquet, 60  : Novitas est hoc quod a uobis tenetur, nec est ordo nec regula doctorum sanctae ecclesiae. 105 Vgl. Pellistrandi, Pauvreté  ; Melville, In solitudine. 106 Non est alia regula nisi euangelium Christi  ; Liber de doctrina, ed. Becquet, 5.

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bezeichnet werden, weil sie eben auch dem Evangelium entnommen worden sei. Unzählig seien die Regeln, wenn sie von Menschen gemacht werden, fährt er fort, »so viele Propheten, so viele Regeln, so viele Apostel, so viele Regeln, so viele Lehrer, so viele Regeln«.107 In der Regel, die man dann im Orden nach seinem Tode, indes eng auf seinen Worten gründend selbst anfertigte,108 wurden diese Aussagen noch präzisiert und vor allem bezüglich des Problems der Tradition um eines mehr verschärft. Zum Hause des Herrn gebe es mehrere Wege und Zugänge, wurde dargelegt, jedoch bedeuteten diese – obschon sie von Heiligen Vätern schriftlich niedergelegt worden seien und sie sodann die Regel des Heiligen Basilius oder die des Heiligen Augustinus oder die des Heiligen Benedikts genannt werden109 – nicht den Ursprung, vielmehr seien sie nur Auskeimungen. Lapidar wurde unterstrichen  : »Nicht die Wurzel, sondern Zweige sind sie, nicht das Haupt, sondern Glieder.«110 Es bestehe nur eine einzige prinzipale Regula Regularum, von der alle anderen Flüssen gleich aus einer Quelle herausfließen – sie sei das Heilige Evangelium, wie es vom Erlöser den Aposteln mitgeteilt worden sei. Sie sei unerschöpflich, so daß alle, die bereits daraus getrunken haben, für die Nachfolgenden genug übrig ließen – wie dies auch die Heutigen und die Künftigen tun würden. Eine prominente Parallele findet sich etwa 100 Jahre später, nämlich bei Franz von Assisi, der überhaupt in mancher Hinsicht – vor allem hinsichtlich des beidseitig radikalen Armutsverständnisses – mit Stephan von Muret zu vergleichen ist.111 Jakob von Vitry, der sehr genaue Beobachter des Ordenswesens in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts, schrieb, Gott habe in diesen Tagen zu den drei Fundamenten des regularen Lebens – also zu den religiones der Eremiten, der Mönche und der Kanoniker – ein viertes hinzugetan. Doch, so präzisierte er sofort, wenn man vergleichend die Verhältnisse in der Urkirche  – der ecclesia primitiua  – genauer betrachtet, so erkenne man, daß Gott im Grunde keine neue Regel hinzufügte, sondern nur eine alte erneuerte, die bislang darniederlag und schier schon abgestorben schien. Und diese sei nun die religio der fratres minorum – der Jünger des Franz von Assisi – welche 107 Ebd. 108 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, die folgenden Zitate  : 65f. 109 Hier bezog man sich auf die drei prinzipalen Regeln der westlichen Kirche, wie sie z. B. noch vom 2. Laterankonzil (1139) bekräftigend genannt worden sind  ; vgl. dazu Dubois, Les ordres religieux, 287f. 110 Non radix, sed frondes sunt, non caput, sed membra sunt  ; Regula venerabilis viri Stephani Mure­­tensis, ed. Becquet, 66. 111 Siehe dazu schon da Milano, Prefrancescanesimo  ; Melville, In solitudine.

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so sehr danach streben, die religiöse Lebensform, die Armut und Demut der Urkirche in sich zu erneuern (reformare), indem sie die reinen Wasser der Quelle des Evangeliums trinken, daß sie nicht nur die Vorschriften, sondern auch die Ratschläge des Evangeliums das apostolische Leben ausdrücklich nachahmend vollkommen zu erfüllen suchen.112

Gleichsam rückwärts ließ Jakob von Vitry damit die bestehenden Orden überholen. Er führte die Minoriten – sich über die mittlerweile herangewachsene Tradition hinwegsetzend – zum primordialen Punkt des Religiosentums zurück, so daß sich von vorneherein die Frage erübrigte, ob diese eine der bestehenden Regeln hätten annehmen müssen. Die Setzung einer solchen Verbindung war keineswegs eine willkürliche Interpretation Jakobs. Schon beim ersten Auftreten Franz’ von Assisi vor Papst Innocenz III. (im Jahre 1209) hatte jenen ein Kardinal mit den Worten charakterisiert  : »Ich habe einen perfekten Mann gefunden, der gemäß der Form des heiligen Evangeliums leben und die Vollkommenheit der Evangelien in allem beobachten will.«113 Gegenüber jenem Papst weigerte sich Franz zudem, eine der bestehenden Regeln anzunehmen,114 und er wiederholte dies später mit folgender Begründung, die Stephans rigider Argumentation strukturell sehr nahekam  : Und so will ich nicht, daß ihr mir irgendeine Regel nennt, weder die des Heiligen Benedikts, noch die des Heiligen Augustinus oder die des Heiligen Bernhards, auch sonst keinen Weg oder Form des Lebens außer den, den Gott mir sich erbarmend gezeigt und geschenkt hat.115

Und in sein Testament schrieb er schließlich die lapidaren Worte  : »[…] der Höchste offenbarte mir, daß ich leben muß gemäß der Form des Heiligen Evangeliums.«116 112 Siehe den Text bei Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 158. Vgl. Gemelli, Giacomo da Vitry  ; Elm, Entwicklung  ; Melville, Duo novae, 7ff. (hier S. 87f.). 113 So Kardinal Johannes von St. Paul, überliefert im sog. Anonymus Perusinus  ; L’Anonimo Perugino, ed. di Fonzo, c. 7, § 33. 114 Vgl. zu diesem Vorgang Grundmann, Religiöse Bewegungen, 132  ; Feld, Franziskus, 168. 115 Speculum perfectionis, ed. Sabatier, 1961. Ähnlich auch in der Legenda Perusina, ed. Bigaroni, 54ff. Auf die Parallele dieser Textstelle zu Äußerungen Stephans von Muret wies schon da Milano, Prefrancescanesimo, 84f. hin  ; vgl. auch Wesjohann, Simplicitas, 132f. 116 Opuscula, ed. Esser, 439. Siehe nunmehr in Kürze auch Alberzoni, Unus novellus pazzus [erschienen 2002].

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Seitens Stephan von Muret wurde der Vergleich mit den Wurzeln und den Zweigen eines Baumes gebraucht  ; bei beiden, also auch im Zusammenhang mit Franz von Assisi, war die Rede von der einen Quelle, aus deren steten Ausfluß man direkt zu trinken habe. Dies sind zwei Bilder von gleicher Struktur. Sie verweisen auf eine Uranfänglichkeit, zu der man unmittelbar zurückkehren könne. Und diese Rückkehr zeigte sich als eine Übergehung der Tradition, als ein Neubeginn von etwas Altem, das seit seiner Einrichtung ein immer Geltendes war. *** Fragt man nun nach dem strukturell Differenten wie aber auch Analogen dieser vier vorgelegten Beispiele geltungsgeschichtlicher Figurierungen, so erkennt man unschwer, daß es sich in erster Linie um einen unterschiedlichen Gebrauch von nur wenigen gleichen Bauelementen handelte. Im Grunde ging es zum einen immer um einzelne historische Geschehnisse von geltungsstiftender bzw. gel­tungsaf­fi rmierender Bedeutung, zum anderen um eine historische Zeitspanne von geltungsbefördernder Qualität. Bei den Geschehnissen handelte es sich um etwas Ursprunghaftes oder/und (Re-)Aktualisierendes sowie immer auch um das Gegenwärtige, bei der Zeitspanne um etwas, das ein Fortdauern oder/und ein Überbrücken hin zum Gegenwärtigen signifizierte. Die Unterschiedlichkeit im Gebrauch dieser Elemente ist allerdings hoch bedeutsam, denn sie entspricht genau dem Spektrum der verschiedenen Funktionen, die den Geltungsgeschichten im mittelalterlichen Religiosentum (und wohl nicht nur dort) zukommen können. Die Darstellung des von einer Gründung ausgehenden Kontinuums stand bei Girardus de Arvernia im Vordergund. Die heilsgeschichtlich verankerte Geltung cluniazensischen Religiosentums mußte als eine solche gezeigt werden, die ununterbrochen in stets neuen, durch abbatiales Handeln erfolgten Aktualisierungen fortgeführt wurde. Dieser Geltungstransport steigerte wiederum die Geltung durch Kumulation von gleichartig geltungskonformen Handlungen in einer beständig anwachsenden Zeitspanne und reichte insofern zur Gegenwart, als er diese als Durchlaufetappe eines erst mit dem Eschaton schließenden Sukzessionsstranges figurierte. Auf die Länge der Zeitspanne ab dem entscheidenden Moment der geltungsstiftenden Grundlegung augustiner-eremitischer religio war es Heinrich von Friemar angekommen  ; wobei zugleich der Nachweis zu erbringen war, daß sich jene Grundlegung immer noch in der Gegenwart als präsent zeigte. Es ging also um den Transport von Geltung als solchen, nicht speziell um kumulierende Kontinuität wie bei Girardus. Hohes Alter und höchstrangige Gründungsum-

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stände (das Wirken eines Kirchenvaters  !) hatten  – so sollte gezeigt werden  – hinreichende Geltungsfundamente geschaffen, die nur mehr sukzessionell reaktualisiert werden konnten, deren Qualität indes nicht mehr zu steigern war. Um die Darlegung sich stets wiederholender Konkretisierungen von überzeitlich Geltendem war es in der Einleitungspassage des camaldolensischen Regelwerks gegangen. Da das hinsichtlich der vita eremitica Geltende nie einem Gründungsgeschehen unterworfen war, vielmehr einen Teil göttlicher Lebensordnung darstellte, sollte aufgezeigt werden, daß es fortwährend eine gleiche Aktualität besaß, die nicht erst bewiesen werden mußte, sondern allenfalls veranschaulicht werden konnte in Form von musterhaften Geschehnissen. Die umrissene Zeitspanne, innerhalb derer die vorgelegten exempla eine historisch-zeitliche Verankerung besaßen, war also universell. Geltungstransport fand demnach nicht innerhalb von Zeiten, sondern vom Außerzeitlichen hinein in die Zeiten statt. Durch Absolutsetzung eines einzigen zeitlichen Momentes, in welchem einst die Regel aller Regeln mit der Qualität einer nicht mehr zu hinterfragenden Geltung geschaffen worden ist, vermochten es Stephan von Muret und analog auch Franz von Assisi, jeglichen Zeitfluß eines bereits erfolgten Geltungstransportes zu übergehen und sich unmittelbar auf eben jenen Moment zu beziehen. Basis war dabei die Annahme, daß eine derartige Geltungsschöpfung wie das Evangelium Christi keiner kumulierenden Kontinuität und keiner nachfolgend affirmierenden Aktualisierungen (etwa in Form daraus abgeleiteter Einzelregeln) bedürfe, um auch in beliebigen Gegenwarten zu gelten. Die Zeitspanne erstreckte sich von jener Einrichtung der vita evangelica bis zur Gegenwart der beiden Religiosen, aber anders als etwa bei Heinrich von Friemar sollte es nicht um den Nachweis einer zeitlichen Verbindungslinie von hohem Alter gehen, sondern um denjenigen eines Geltungstransfers in Form eines Zeitsprunges unmittelbarer Wiederbelebung. Alle diese Geltungsgeschichten arbeiteten mit der Dimension der Vergangenheit, aber es ist bemerkenswert, daß sich dabei keineswegs alle gleichermaßen der Dimension der Kontinuität oder des hohen Alters bedienten, sondern daß man sich auch auf zeitlos Modellhaftes bezog. Die ersten beiden Beispiele betrafen bereits länger bestehende, allerdings in einer Krisensituation befindliche Ordensverbände. Diese suchten, sich eine ›Eigengeschichte‹ ihrer spezifischen institutionellen Ausformung zu geben, um ihre besondere Qualität zu affirmieren, um sich von Konkurrenten abzuheben und die Unwiderruflichkeit ihrer Existenz zu legitimieren. Hierzu war der Nachweis von Geltungsdauer – oder genauer gesagt  : von erfolgter Fortdauer des Geltungstransportes  – in der Tat vonnöten. Die letzten beiden Beispiele bezogen sich auf neue oder

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zumindest erst vor kurzem institutionalisierte Formen der vita religiosa. Diesen mußte es um die Rechtfertigung ihrer Neuigkeit  – ihrer novitas und damit einer im Mittelalter durchaus auch skeptisch betrachteten Befindlichkeit117 – gehen. Hierfür war es wichtig, gezielt auf einzelne signifikante Bezugspunkte in der Vergangenheit zurückzugreifen, in denen diejenige Geltung geborgen lag, die nun auch auf das Eigene transferiert werden konnte. Unabhängig von diesen beiden pragmatischen Formen eines konstruktiven Zugriffes auf Vergangenheitspotentiale zeigte sich aber noch eine weitere alternative Strukturierung insofern, als einmal der Sitz von Geltung in einem einmaligen herausragenden Geschehen (hier in den Beispielen  : das Leben Christi und das Wirken Augustinus’) gesehen wurde und ein andermal in einem alles überlagernden Ordnungsraster (hier in den Beispielen  : die heilsgeschichtliche Regelhaftigkeit und die Heilsgewißheit durch Eremitentum). Beide Perspektiven hatten dabei allerdings eine wesentliche Dimension gemeinsam  : Immer ging es bei dem dann geschichtlich nachzuweisenden konkreten Geltungstransport oder -transfer um Deduktion – um Deduktion aus einer Metaebene oder um Dekuktion aus dem Ursprung, denn in beiden lag mit dem durchaus gleichen Potential der Sinn geborgen, auf dessen dauerhafte Geltung sich Anspruch erheben ließ. Mit Ausnahme des Traktates von Heinrich von Friemar, der in erster Linie ein Werk der Legitimierung durch Ursprung und Alter ist, sind die herangezogenen Darlegungen alle eng verbunden mit prospektiv orientierten Texten oder Handlungssituationen  : Girardus’ chronikalischen Ausführungen schließt sich eine Mahnschrift an, die aktuelle Mißstände im Cluniazenserorden vorbringt und Lösungsvorschläge macht  ;118 bei dem camaldulensischen Text handelt es sich sogar um die Einleitung zu einem Regelwerk  ;119 die Äußerungen Stephans von Muret finden sich in der paränetischen Zusammenstellung seiner Lehrsätze bzw. in der diesen nachgeschriebenen Ordensregel  ;120 und die Feststellungen Franz’ von Assisi werden zum einen getroffen, als man ihn zur Abfassung einer redigierten Regel mit Anteilen aus Drittwerken überreden wollte, und zum anderen als Bestandteil seines letzten Willens in sein Testament geschrieben.121 Eine der117 Vgl. Spörl, Das Alte und das Neue. 118 Zur Überlieferung und zum Inhalt der nach dem Lemma Incipit nona particula huius operis continens quasdam exhortatiunculas ad Clun(iancensis) ordinis professores folgenden Ermahnungen siehe Melville, Exhortatiunculae, 209ff. 119 Vgl. oben bei Anm. 83. 120 Vgl. oben bei Anm. 17ff. 121 Siehe oben bei Anm. 114ff. Vgl. Wesjohann, Simplicitas, 132.

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artige Verknüpfung von Retrospektivem und Prospektivem ist im mittelalterlichen Religiosentum symptomatisch für den Umgang mit Geltungsgeschichten. Geschichten wie die hier vorgelegten, in denen Geltung aus der Vergangenheit in Gegenwärtiges transportiert oder transferiert wird, ermöglichten es ebenso aufzuzeigen, daß dies, was gegenwärtig als geltend postuliert wird, gerechtfertigt ist, wie sie auch dazu anregen konnten, eben jenen Transport oder Transfer in die Zukunft hinein fortzuführen. So war es bei Geltungsgeschichten dieser Art immer im besonderen darauf angekommen, die Überholung der Gegenwart als ein Angebot für die Zukunft mitzuliefern. Es ist oben gezeigt worden,122 daß bei prospektiven Entwürfen einer Geltungsgeschichte der Zukunft es das Ziel sein mußte, eine Differenz zwischen Anfänglichem und späterhin Aktuellem zu verhindern und eine bruchlose Kontinuierung von Geltung zu gewährleisten. Als wesentliche Instrumente standen hierfür zum einen die Festschreibung dessen, was primordial galt, und zum anderen flexible Fortschreibungstechniken zum Transport von Geltung zur Verfügung. Mit Hilfe der Geltungsgeschichten der Vergangenheit wurde der Gebrauch dieser Instrumente erleichtert, denn jene definierten, was primordiale Geltung hieß, und verdeutlichten die Notwendigkeit ihres Transportes über die Zeiten hinweg. Frauen und Männer des Mittelalters, die im Streben nach Selbstheiligung die Welt verließen und sich in den geschlossenen Kreis einer klösterlichen Gemeinschaft begaben, glaubten, daß sie damit am Tor der Ewigkeit standen, denn die zeitlose Geltung von Gottes Ordnung erschien ihnen nun näher als jenen, die in der Welt verblieben waren. Gleichwohl wußten sie auch, daß sie selbst der Zeitlichkeit noch nicht enthoben waren – und damit auch nicht des Wandels und des Umbruchs, der Gefahr des Verfalls und des Scheiterns, des Wechsels also von einer via perfectionis zu einer via defectionis, wie Bonaventura dies so eindrücklich vorgeführt hatte. Daher suchten sie sich sowohl eine Zukunft zu bauen, in welcher der ungebrochene Transport von Geltung gewährleistet war, wie gleichermaßen sich eine Vergangenheit herauszugestalten, die den Wert dieses Geltungstransportes deutlich machte. Diese stabilisierenden Zugriffe auf Vergangenheit und Zukunft stellten eine Leistung dar, die nur mit einer bemerkenswert rational konstruktiven Vorgehensweise erbracht werden konnte. Vielleicht war man zu dieser Rationalität fähig, weil man als Religiose durch spirituell gewonnene Einsicht in die Ewigkeit eben auch Experte für Dauerhaftigkeit von Geltung war.

122 Vgl. oben bei Anm. 38.

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Geltungsgeschichten am Tor zur Ewigkeit

Name des Abtes von

Abt v. Cluny;

Cluny

Cluniazen­ sische Thematik

Papst Kaiser

Zeitgenössische Thematik

Franz. König

Gehorsam und Ungehorsam als Verhaltensformen Zu pragmatischen Beobachtungen und Deutungen Humberts de Romanis O.P.

Gehorsam gehört bekanntlich neben freiwilliger Armut und Keuschheit zu den substantialia des Religiosentums.1 – Regulares sunt qui ad viuendum regulariter se astrin­gunt, siue sint monachi siue canonici regulares, führt Goffredus da Trani in seiner Summa super titulis decretalium aus und erklärt dazu  : Tria profiteri debet regularis obe­dientiam, castitatis custodiam, abdicationem proprietatis. Hec enim sunt substantialia vite regularis.2 An anderer Stelle definiert dieser Kanonist aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ähnlich  : Monachi et canonici regulares conueni­ unt inter se in his quae sunt substantialia religionis, vt in abdicatione proprietatis, ob­ edientia et continentia3 – und zeigt damit die substantialia religionis deutlich auch als jene Kategorien auf, welche das Religiosentum von allen sonstigen Lebensformen des Christentums recht strikt abgrenzen lassen.4 Sie werden (spätestens seit Franziskus) als der Kern der ›Evangelischen Räte‹ angesehen, deren Befolgung den Christen als Garantie zur Vervollkommnung zwar  – im Gegensatz zu den praecepta  – freiwillig anheimgestellt ist, die aber dann strikt verpflichtend sind, wenn sie einmal im Rahmen der Profeß als Richtlinien des Lebens angenommen wurden  : Sunt ergo ista talia Domini consilia, ante uotum libertas, et arbitrium, post uotum uero in legem transeunt et in debitum, heißt es dazu präzis z. B. schon im Prolog der sog. Stephansregel aus der Mitte des 12. Jahrhunderts.5 1 Siehe zum monastischen Begriff ›Gehorsam‹ im geschichtlichen Überblick  : Odoardi, »Obbedienza« und Rocca / Gribomont / de Vogüe / Capelle / Gauthier, »Obbedienza (voto)«,  ; Tillard, Obéissance, III.4, 556–560. Siehe jetzt auch die exemplarischen Untersuchungen von Füser, Mönche im Konflikt, 91ff. 2 Goffredus da Trani, Summa, fol. 149v. 3 Ebd., fol. 155r. 4 Vgl. dazu Melville, Recht der Religiosen, 172–175  ; siehe auch den Beitrag von L.-A. Dannenberg in diesem Band [Dannenberg, nam debet necessaria esse]. 5 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66f. Ähnlich auch Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione, I.2, ed. Winkler, Bd. 1, 350–353. Zur religionsgeschichtlichen Stellung der consilia evangelica siehe im Überblick Angenendt, Religiosität, 555ff., der richtig darauf hinweist, daß erst die Regeln des Franziskus Gehorsam, Armut und Keuschheit expressis verbis als normative Trias aufgeführt haben  ; siehe Opuscula, ed. Esser, 242 (Regula non bullata) u. 226f. (Regula bullata). Vgl. auch die Beiträge von C. Andenna und A. Kehnel in diesem Band [Andenna, Ich […] gelob gehorsam  ; Kehnel  ; ­Gehorsamsparadox].

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Gehorsam und Ungehorsam als Verhaltensformen

Gehorsam der Religiosen wird im Anschluß an Augustinus bewertet als Grundlage aller Tugenden,6 seit Gregor dem Großen definiert als Führer zu den Tugenden7 und (in Folge der sog. Magisterregel) spätestens seit Benedikt dann als Verzicht auf jeglichen eigenen Willen verstanden.8 Gerade aber wegen dieses Verzichtens wird Gehorsam als höchstrangig ›spiritueller‹ Wert angenommen, denn er bette die Seele ein in die göttliche Ordnung, lasse sie diese erkennen und an ihr Anteil nehmen. Gehorsam definiert sich als die persönliche Annäherung an Gott,9 da er die völlige Unterwerfung des Religiosen unter den Willen Gottes bedeute und damit auch einer imitatio von Christus und dessen Befolgung des väterlichen Befehles bis zum Tode am nächsten komme.10 Redemptor noster factus est obediens usque ad mortem. Quid ergo mirum si homo peccator obedientiae in vitae hujus brevitate se subjicit, quando hanc et ille qui obedientes remunerat, non reliquit  ?, konnte man demnach lapidar fragen11 und zugleich um jene Folgen des gegenteiligen Verhaltens, des Ungehorsams, wissen, die für das Menschengeschlecht eine protologische Konditionierung bedeuteten  : Sicut per obedientiam Adae peccatores constituti sunt multi, ita per obedientiam Christi justi constituti sunt multi. Et sicut propter peccatum Adae omnes homines sunt in con­ demnationem mortis, ita per justitiam Christi omnes homines in justificationem vitae.12

  6 Vgl. Zumkeller, Gehorsam.   7 Vgl. z. B. aus dem 11. Jahrhundert Johannes von Fruttuaria, Tractatus de ordine vitae, 571  : […] et ille summus melliflui oris Gregorius mirabiliter superexaltat et magnificat eam  : demon­ strare autem volens quanti sit meriti obedientia, ita ait vir eloquens  : ›Sola namque obedientia virtus est, quae virtutes caeteras menti inserit, insertasque custodit […]‹, oder Tractatus de statu virtutum (Anonym, 12. Jh.), 801f.: Item obedientia dux est nobis ad virtutes, dux ad sapientiam, dux ad martyrium, dux ad patriam nostram. Dux dico est ad virtutes, secundum illud Gregorii  : ›Obedientia sola est quae caeteras virtutes menti inserit, insertasque custodit […]‹.   8 Regula Benedicti, ed. Hanslik, 5.12 (39)  : […] ut non suo arbitrio viventes vel desideriis suis et voluptatibus oboedientes, sed ambulantes alieno iudicio et imperio in coenobiis degentes abbatem sibi praeesse desiderant. – Vgl. de Vogüé, Règle, Bd. 7, 135  ; Fischediek, Gehorsamsverständnis. Zum vorbenediktinischen, nicht minder ridigen Gehor­samsverständnis siehe bezüglich Pachomius  : Ruppert, Mönchtum  ; bezüglich Cassian  : Frank, Gehorsam  ; zur Magisterregel siehe ders., Magisterregel, 111ff.   9 Zum hier impliziten Gedanken der ›Verähnlichung‹ des Menschen mit Gott, wie er vor allem von Bernhard von Clairvaux entwickelt worden ist, siehe Diers, Bernhard von Clairvaux, 45ff. 10 Vgl. die vorzügliche Darlegung von Tillard, Obéissance, I, 535–543. 11 Tractatus de statu virtutum, 802f. 12 So im Liber de modo bene vivendi (Anonym, 12. Jh.), 1234f. nach Rm 5.18–19. Zum Ungehorsam und zu seiner extremsten Form, der Rebellion, siehe schon Melville, Rebell  ; Füser, Mönche im Konflikt, 98ff. u. 139ff.

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Gehorsam ist in dieser Sichtweise eine heilsgeschichtliche Schlüsselkategorie. Sie betrifft zwar alle Menschen, zwingt jedoch diejenigen, die gelobt haben, den Weg der Selbstheiligung stringent zu gehen, mehr als alle anderen zum ausschließlichen Handeln im Gehorsam. Wer gelobt hatte, eine conversio to­ talis ad Deum cordis13 zu vollziehen, dem muß Ungehorsam, weil Abwendung von Gottes Willen, gemäß i Reg 15.2314 sogar Idololatrie bedeuten, da diese dem Herzen ein ihm eigenes Bild des Willens schafft  : Inobedientia de angelo fecit diabolum, primos parentes de paradiso expulit, innumeros postea tradidit in inferno  ; bona evacuat, mala multiplicat, idolum in corde fabricat. Nolle ac­ quiescere, scelus est idololatriae.15 An der Erfüllung von permanentem Gehorsam entscheidet sich Erfolg oder Scheitern des Religiosen, welcher ja eine alie­ natio a saecula, a seipso16 vollzogen hatte, um allein Gott nahe zu sein – und dies nur erreicht eben durch absolute Unterwerfung unter dessen Willen, wie z. B. mit folgender Darlegung eines sich steigernden Verähnlichungsverhaltens gegenüber Gott illustriert werden sollte  : Dignitas vero obedientiae simillima Deo est. Qui enim simpliciter charitatem servat in moribus, similitudinem Dei tenet. Qui autem cum charitate etiam jejuniis, vigiliis, et aliis virtutum laboribus vigilanter insistit, Deo similior est. Qui vero cum his omnibus sub alterius potestate, obedientiae vinculo semetipsum ligat, et ad voluntatem et imperium magistri per omnia pendet, obedientiam servans usque ad mortem, Deo simillimus est.17

Unbenommen des selbstverständlichen Sachverhaltes, daß Gehorsam immer auch ein Regulativ der konkreten Verhaltensstrukturen einer ›Gemeinschaft‹ ist – und zwar sowohl vertikal wie horizontal18 – und ein Kloster selbst dann 13 Epistola cujusdam de doctrina vitae agendae (Anonym, 12. Jh.), 1187. Vgl. dazu Leclercq, Spiritualité, insbes. 227. 14 Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, Stuttgart 31983, 389 (= i Sm 15.23)  : […] quoniam quasi peccatum ariolandi est repugnare et quasi scelus idolatriae nolle adquiescere […]. 15 So z. B. im Tractatus de statu virtutum, 799, nach i Rg 15.22  ; vgl. auch ausführlich dazu Adamus Scotus, De ordine, habitu et professione canonicorum ordinis Praemonstratensis, 583. 16 Epistola cujusdam de doctrina vitae agendae, 1187. 17 Tractatus de statu virtutum, 804. Zu diesem besonders auch von Bernhard von Clairvaux vorgetragenen Aspekt vgl. Diers, Bernhard von Clairvaux, 45ff. Siehe jetzt auch in einem allgemeineren Umgriff Melville, Allmacht. 18 Siehe die Verpflichtung der Mönche, sich gegenseitig zu gehorchen, in der Regula Benedicti, ed. Hanslik, cap. 71.1–2 (176f.)  : Oboedientiae bonum non solum abbati exhibendum est ab omnibus, sed etiam sibi inuicem ita oboediant fratres scientes per hanc oboedientiae uiam se ituros ad deum.

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nicht davon ausgenommen ist, wenn es sich als bestmögliche Vor­wegnahme des Paradieses versteht, scheint man den Kern monastischen Ge­horsams auf den ersten Blick wohl recht gut zu begreifen, wenn man zunächst cum grano salis bei der Feststellung von Karl Heussi ansetzt  : »Der mönchische Gehorsam verfolgt […] keinen sozialen, sondern einen ganz individuellen Zweck, er dient lediglich der asketischen Vervollkommnung des Einzelnen.«19 Trotz eines so ausschließlich spirituell verankerten und den Menschen so gänzlich fordernden Verständnisses von Gehorsam hatte man dann gleichwohl auch nach den praktischen Grenzen einer entsprechenden Folgeleistung bzw. nach der Limitierung derer gefragt, die Gehorsam verlangen konnten, weil sie als die spirituellen Vertreter Gottes in der klösterlichen Gemeinschaft galten.20 Zwar hielt man grundsätzlich fest  : Ipsi rectores, quia sunt vicarii domini super nos, et nos debemus eis obedire sicut Domino, non sicut hominibus,21 oder betonte man die um­fassende Abhängigkeit vom Willen eines Oberen mit Worten wie  : […] quia virtute obedientie astringuntur monachi, ut non suo sensu, nec sua voluntate vivant, nec quo volunt vadant, nec quod volunt faciant, sed alieno imperio voluntatique su­ perioris sunt sub­jecti22 – doch zugleich hob man hervor, daß kein Vorsteher etwas gegen die Regel, an die er sich durch seine eigene Profeß selbst schon gebunden hatte, und vor allem nichts gegen Gott befehlen dürfe.23 Extra Deum nihil agas, extra Benedictum nihil praecipias, empfahl in diesem Sinne z. B. Petrus Cellensis seinem Abtskollegen von Molesme.24 – Eine solche Begrenzung von Befehlsgewalt und Gehorsam verstärkt indes die spirituelle Verankerung25 und vermindert deren hohen Anspruch nicht etwa aus irgendwelchen pragmatischen Gründen. 19 Heussi, Ursprung, 241  ; dazu Felten, Herrschaft, insbes. 196. Vgl. auch den bezeichnenden Satzteil scientes per hanc oboedientiae uiam se ituros ad deum des Zitates aus der Benediktsregel in der vorausgegangenen Anmerkung. 20 So bekanntlich vor allem in der Regula Benedicti (z. B. in cap. 63) formuliert. Vgl. zum impliziten Gedanken vom ›Abt als lebendige Regel‹  : Hallinger, Papst Gregor, insbes. 259ff. Siehe im Überblick auch Salmon, L’abbé  ; Constable, Authority  ; und grundlegend für die gesamte Thematik von klösterlichem Herrschen und Gehorchen Felten, Herrschaft, insbes. 195ff. 21 Opusculum in haec verba, 1190. 22 Aus den cluniazensischen Statuten des Jahres 1314, in  : Charvin, Statuts, Bd. 1, 104. 23 Hier hat vor allem Bernhard von Clairvaux, in  : De praecepto et dispensatione, IV.9, ed. Winkler, Bd. 1, 359–361, meinungsbildend gewirkt. Zu Bernhards Gehorsamsverständnis vgl. Leclercq / Gärtner, S. Bernard  ; Quillet, Aspects. 24 Petrus Cellensis, ep. i.31, 439–441. Vgl. die Benediktsregel selbst  : Regula Benedicti, ed. Hanslik, cap. 2.4 (21)  : Ideoque abbas nihil, extra praeceptum domini quod sit, debet aut docere aut constituere vel iubere, […]. 25 Dazu jetzt Melville, Allmacht, 23–28.

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Zu dieser kurzen und gewiß nicht vollständigen Skizze wurden vornehmlich Texte speziell benediktinischer Provenienz herangezogen und ein Schwerpunkt auf das 12. Jahrhundert als jene Epoche gelegt, die besonders tiefgreifende spirituelle Reflexionen über die vita religiosa hervorgebracht hatte.26 In jener Zeit wurden nicht nur die Reformmöglichkeiten sowohl in der eremitischen wie in der zönobitischen Lebensform neu ausgetestet oder spirituelle Leitbezüge wie die vita apostolica, die ecclesia primitiva oder die vitae patrum neu justiert, sondern eben auch – wie skizziert – eine ›Theologie des Gehorsams‹ entwickelt, die weit über das hinausging, was bislang zu diesem Thema diskutiert und definiert worden war. Diese Entwicklung hing einerseits mit allgemein neuen religiösen Perspektiven27 und andererseits mit den wohl stärksten organisatorischen Um­wälzungen in der Geschichte des Religiosentums zusammen. Die vita religiosa fächerte sich in jenem Zeitraum unter dem Vorreitertum der Cisterzienser be­kanntlich in separate Orden mit je eigenem Rechtsbestand, mit je eigenen Zen­tralorganen, den Generalkapiteln, sowie mit je eigenen Kontrollinstanzen auf28 und erfuhr dabei einen beachtlichen Rationalisierungsschub, der sowohl die Kommunikations- wie Dokumentationstechniken als auch die Praktiken der Normsetzung, der Rechtsprechung und der Administration betraf und sich in ganz neuer Weise einer pragmatisch orientierten Schriftlichkeit bediente.29 Diese Strukturen aber standen wiederum in enger Wechselwirkung mit neuen Konzepten von Individualität30 und Gemeinschaft,31 wobei gerade im Bereich der Religiosen die ›Wiederentdeckung‹ des Gewissens sicherlich eine entschei­dende Rolle spielte.32 Neben die spirituelle Seite des Gehorsams traten Aspekte, welche ganz praktische Fragen nach Schuld und Sünde,33 nach normativen Gel­tungsbehauptungen, nach Gebotsgrenzen und Machtlegitima26 Grundlegend dazu Constable, Reformation. 27 Dazu immer noch die brillante Analyse von Chenu, Théologie. 28 Siehe im Überblick Melville, Diversa sunt monasteria  ; siehe auch mit vergleichendem Ausblick auf das 13. Jahrhundert  : ders., Duo novae. 29 Vgl. dazu Melville, Schriftlichkeit  ; Schreiner, Dauer  ; Melville (Hg.), De ordine vitae. Vgl. auch den Beitrag von S. Barret in diesem Band [Barret, Écrit]. Zum allgemeinen kulturgeschichtlichen Kontext siehe Stock, Implications. 30 Aus der Fülle der Untersuchungen sei neben Bynum, Individual, nur auf zwei Neuerscheinungen hingewiesen, die u. a. auch die ältere Forschung referieren  : Melville / Schürer (Hgg.), Das Eigene und das Ganze  ; Bedos-Rezak / Iogna-Prat (Hgg.), L’individu au Moyen Âge. 31 Siehe u. a. Bynum, Spirituality  ; dies., Cistercian Conception. 32 Vgl. Chenu, L’éveil  ; Bertola, Problema  ; Melville, Rebell, 172ff. 33 Wozu nicht zuletzt die damals entstehende gelehrte Kanonistik einen wesentlichen Beitrag leistete  ; siehe dazu das grundlegende Werk von Kuttner, Schuldlehre.

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tionen eröffneten – wie hier zum Teil schon angesprochen – und welche somit Gehorsam (wie Ungehorsam) auch als eine reine Verhaltensform mit vorrangig pragmatischen Auswirkungen auf den Einzelnen, den Vorgesetzten und die Gemeinschaft zu verstehen zwangen. Ein Satz wie z. B. jener Bernhards von Clairvaux aus seiner epochemachenden Schrift De praecepto et dispensatione zur hier bereits genannten Begrenzung von Gehorsam34 – Videtis ergo jam ob­ edientiae limites, quos requiritis. Si modus est obeditionis tenor professionis  ? nec se valeat extendere potestas imperantis, nisi quatenus attigerit votum profitentis35 – sucht keinen Widerspruch zur spirituellen Qualität von obedientia, präzisiert aber auch schon deren speziell pragmatische Verortung im normativen System des Klosters. Es war Humbert de Romanis, Generalmagister des Predigerordens von 1254 bis 1263, der letzteren Aspekt unter explizitem Rückgriff auf Bernhard von Clairvaux in bemerkenswerter Weise vertiefte und damit in frappierender Weise verdeutlichte, zu welch pragmatisch-rationalen Analysen spiritueller Sachverhalte ein selbstreflektierendes Religiosentum dann im 13. Jahrhundert bereits fähig war. Der vorliegende Beitrag möchte diese Leistung etwas deutli­ cher als bisher geschehen ins Licht stellen und aufzeigen, daß in jener Zeit ne­ben einer Theologie des Gehorsams auch eine Analyse der Pragmatik des Ge­horsams betrieben werden konnte. Humbert de Romanis verfaßte bekanntlich eine Reihe von praxisbezogenen Werken,36 welche die Orientierung seines Ordens vor allem in organisatorischen und rechtlichen Dingen einschließlich deren spiritueller Verankerung auf lange Zeit entscheidend geprägt haben.37 Neben Predigten38 und Predigt- bzw. Mis­sionsanweisungen39 sowie allgemeinen didaktischen Darlegungen40 sind hierzu vor allem seine ausführlichen Kommentare zum einen zur Augustinusregel, zum anderen zu den Konstitutionen seines Ordens,41 die er darüber hinaus auch einer Revision unterzog,42 sowie eine Beschreibung der 34 Siehe dazu schon oben bei Anm. 20–24. 35 Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione, V.11, ed. Winkler, Bd. 1, 362f. 36 Siehe zu Leben und Werk im Überblick Heintke, Humbert  ; Brett, Humbert. Die Hauptwerke sind ediert in  : Humbert de Romanis, Opera de vita regulari. 37 Vgl. Fieback, Necessitas  ; Cygler / Melville, Augustinusregel. 38 Vgl. Dubois, Les ordres monastiques  ; Oberste, Gesellschaft und Individuum. 39 Siehe Müller, Die dominikanische Mission. 40 Vgl. Brett, Humbert, 151ff., über das Werk Liber de eruditione praedicatorum. 41 Vgl. Cygler / Melville, Augustinusregel  ; siehe auch Creytens, Commentaires. Humbert verfaßte auch Statuten für den weiblichen Zweig seines Ordens  ; siehe Brett, Humbert, 75ff. 42 Liber constitutionum ordinis fratrum Praedicatorum, 26–60, 98–122, 162–181.

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Ordensämter43 hervor­zuheben. Hinzu kommen noch eine gewisse Zahl von kleineren Schriften44, Briefen bzw. ordensinternen Enzykliken45 sowie ein zeitgenössisch vielbeachte­tes Konzilsgutachten.46 Im überwiegenden Teil dieser Schriften, vor allem aber in seiner Exposi­ tio super constitutiones47 behandelte Humbert de Romanis ausführlich die grundlegen­den Probleme um Normsetzung, -durchsetzung und -veränderung in seinem Orden und verband die gewonnenen Aspekte mit Überlegungen zu Macht, Autorität, Geltung von praecepta, constituciones und admoniciones, zu Dispens, Schuld und Strafe.48 Diese Ausrichtung seiner Bemühungen besaß angesichts einer ganz spezifischen Strukturierung des dominikanischen Strafund Schuld­rechts ein besonderes Gewicht. Zum einen war das normative System der Do­minikaner in hohem Maße von der Möglichkeit zur Dispens geprägt, von der immer dann Gebrauch gemacht werden konnte und mußte (!), wenn es um konkrete Aktionen zur Verwirklichung des propositum (also in erster Linie der Seelsorge, der Predigt und – in Vorbereitung dafür – des Studiums) ging.49 Zum anderen trennten die Dominikaner prinzipiell Schuld und Sünde, indem sie völlig neuartig in der Geschichte des Religiosentums ein Vergehen gegen die statutarischen Vorschriften nicht als Sünde, sondern nur als eine strafbare Handlung deklarierten (es sei denn, es handelte sich um eine willentliche Ver­achtung der Regularien), damit – wie Humbert im angeblichen Anschluß an Dominikus hervorhob – die Brüder nicht übermäßig skrupulös ihr Gewissen belasten müßten.50 Von ›Gehorsam‹ im engeren Sinne war dabei nur implizit die Rede. Hinge­gen wurde dieses Thema direkt in jenen Teilen des Humbert’schen Schrifttums angesprochen, wo es weniger um Verfassungsfragen als vielmehr um Probleme verinnerlichter Normen und gelebter Religiosität ging – so vor allem in seiner Expositio regulae b. Augustini,51 die geschrieben worden war, um die mores Fratrum Praedi­ 43 Humbert de Romanis, Instructiones de officiis ordinis, 179–371  ; siehe dazu Brett, Humbert, 134ff. 44 Brett, Humbert, 176ff. 45 Zum Teil ediert in  : Humbert de Romanis, Opera de vita regulari, Bd. 2, 485–524. 46 Brett, Humbert, 167ff., und schon Michel, Opus tripartitum  ; Throop, Criticism, 171ff.; für den Kontext vgl. Roberg, Das Zweite Konzil, 106–126. 47 Ediert in  : Humbert de Romanis, Opera de vita regulari, Bd. 2, 1–178. 48 Vgl. Melville, Rechtsordnung. 49 Vgl. Cygler, Funktionalität, insbes. 400ff., der richtig hervorhebt, daß Humbert hier sich zwar ebenfalls auf Bernhard von Clairvaux bezieht, aber wesentlich weiter geht als jener. 50 Siehe ausführlich dazu ebd., 405ff.; ders., Une nouvelle conception. 51 Ediert in  : Humbert de Romanis, Opera de vita regulari, Bd. 1, 43–633  ; geschrieben nach

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catorum in der Augustinusregel spirituell zu verankern,52 sowie in einer Epistola, die, sich an alle Ordensmitglieder richtend, über die tres vota substantialia reli­ gionis handelte.53 – Beide Textpassagen sind zwar recht gut gegliedert, den­noch äußerst komplex, so daß nun ein etwas detaillierterer Durchgang hilfreich ist. Die Epistola […] de tribus votis substantialibus religionis wird von Edward Tracy Brett unter Hinweis auf den damaligen Pariser Bettelordensstreit – und damit auf eine für die Dominikaner besonders schwierige Zeit54 – richtig eingeschätzt als eine Schrift »of encouragement sent to the brethren by their superior, at a time when there seemed little about which to be optimistic«.55 Sie wurde ver­faßt als ein Text, der – zu den Adressaten gesagt – vos moneat et doceat ad regularis observantiam disciplinae56 und der somit gewiß das dominikanische Bewußtsein darüber schärfen sollte, daß die vita religiosa durch die Qualität ihrer ›substan­tiellen‹ Normen sich von der Lebensform des Weltklerus positiv abheben ließ. Humbert beginnt mit der lapidaren Feststellung, daß es für die regular Le­ benden ohne Gehorsam kein Heil gäbe und daß um Christi willen durch Ge­ horsam das Edelste, was in der Seele sei, gefangen genommen werde (nobilissi­ mum quod est in anima captivatur)  : nämlich die Freiheit des Willens (libertas videlicet voluntatis).57 Dies allerdings fände sich wieder ausgeglichen durch die Tatsache, daß eine je stärkere Fesselung durch Gehorsam auf Erden zu desto größerem himmlischen Ruhme führe.58 – Der Kern dieser Aussage bedeutete nichts Neues. Die Hingabe des Willens gehörte zum Standard der Gehorsamsdefini­tionen auch dann, wenn sie in so scharfe Formulierungen wie ›Hinopferung‹ oder ›Abtötung‹ des Willens gekleidet wurden.59 Gleichwohl ist die Hum­bert’sche Heraushebung von voluntas als des eigentlich edelsten (und Humberts Amtszeit als Generalmagister, vermutlich zwischen 1263 u. 1270  ; vgl. Brett, Humbert, 120f. 52 Siehe Brett, Humbert, 43. Vgl. Cygler / Melville, Augustinusregel, 437f. 53 Humbert de Romanis, Epistola, geschrieben noch als Generalmagister, vermutlich um 1255  ; vgl. zu diesem Werk Brett, Humbert, 195ff. 54 Vgl. Dufeil, Guillaume de Saint-Amour. 55 Brett, Humbert, 197. 56 Humbert de Romanis, Epistola, S. 2. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Siehe z. B.: Multo enim melior est obedientia quam victimae  ; quia per victimam mactatur aliena caro, per obedientiam vero mactatur propria voluntas  ; Tractatus de statu virtutum, 804 und auch schon Johannes von Fruttuaria, Tractatus de ordine vitae, 571, nach Eccl 4, 17, sowie  : Vera enim subjectio propter Deum, propriae voluntatis est mortificatio  ; ebd., 570.

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hier nun hingegebenen) Gutes der Seele bemerkenswert, zumal sie durchaus im Zusammenhang mit der thomasischen Lehre von der Willensfreiheit als der ›Voraussetzung‹ sittlichen Handelns gesehen werden kann.60 Im Kon­trast dazu wird daraufhin der Ungehorsam vorgestellt. Ihn bezeichnet Humbert erneut ganz konventionell als Idololatrie61 und weiter dann als spirituale furtum62 sowie – durchaus in logischer Konsequenz – als Usurpation des zuvor für Christus hingegebenen Willens. Nach dieser definierenden Einleitung setzt Humbert in einem auffallend nüchternen, die Phänomene aneinanderreihenden Darstellungsstil, der das ge­ samte Werk bestimmen wird, mit der Feststellung an, daß es zwar viele Ver­ haltensweisen gebe, die einem empfehlenswerten Gehorsam entsprächen, aber daß mehr noch zu finden seien, die Gehorsam zu einem fehlerhaften machten (quae ipsam [sc. obedientiam] faciunt vitiosam) – nämlich  :63 a) die rasche Erledigung einer Aufgabe bei schlechter Ausfüh­rung  ; b) die Erpressung einer Erlaubnis  ; c) die Gleichgültigkeit gegenüber einer empfangenen Erlaubnis  ; d) das Hinwegsetzen über eine verweigerte Erlaubnis  ; e) das Widersprechen und anschließende Befolgen eines Befehls  ; f ) das devote Empfangen eines Befehls und dessen anschlie­ßende Mißachtung  ; g) das sich Verbergen angesichts eines zu erwartenden Befehls  ; h) das Verhalten, das vom Erteilen von Befehlen Abstand neh­men läßt  ;64 i) die Behauptung, unfähig zu sein, einem Befehl zu folgen  ; j) der Widerstand aus Furcht, ein Befehl könne zur Gewohnheit werden  ; k) die Folgeleistung von Anweisungen unter Murren, Zwang oder Trübsinn. Letztendlich gäbe es auch das Verhalten von solchen Mitbrüdern, welche mit Drohungen und aufdringlichen Bitten grundsätzlich erreichten, was sie wollten, und welche dann aber bei einer eventuellen Verweigerung einer Erlaubnis den Konvent in Unruhe und sich selbst in Verwirrung setzten.65 Mögen sich 60 Siehe Siewerth, Thomas von Aquin. 61 Humbert de Romanis, Epistola, 2. Vgl. oben bei Anm. 15. 62 Ein Aspekt, den man z. B. schon im Traktat Opusculum in haec verba, 1190, aus dem 12. Jahrhundert findet  : Ipse est enim dominus tuae voluntatis  : et contractio rei alienae invito domino furtum est  ; ebd., 1189. 63 Humbert de Romanis, Epistola, 3. 64 Ebd  : […] alii, […] se tales exhibent, ut praelatus nihil eis audeat injungere, vel mandare. 65 Ebd.

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alle solcherart Handelnden heftig anklagen, so schließt Humbert, wenn sie in ihrem Gewissen bedenken, was wahrer Gehorsam tatsächlich bedeute. Diesem Abschnitt folgen dann sehr ausführliche Darlegungen der verschie­ denen Durchführungsweisen eines wahren Gehorsams, der für Gott annehm­ bar sei – eingeleitet mit diesem pointierten Überblick  : Ut autem obedientia vestra omnipotenti Deo sit acceptabilis, studete habere promptam sine dilatione, devota sine dedigna­tione, voluntariam sine contradictione, simplicem sine discussione, ordinatam sine deviatione, jucundam sine turbatione, strenuam sine pusil­ lanimitate, universalem sine exceptione, perseve­rantem sine cassatione.66

Zu jedem dieser neun Stichworte werden sowohl gene­relle und teilweise hoch differenzierte Erläuterungen des entsprechenden Ver­haltens als auch eine Affirmierung durch einschlägige Bibelzitate und häufig zudem signifikante, keineswegs nur den Orden betreffende exempla im Sinne metaphorischer Verweise67 geliefert.68 Kurz seien zur Veranschaulichung die jeweils einleitenden Postulate und einige der zugehörigen signifikanten Kern­sätze genannt  : a) Ein guter Bruder sei so sehr bereit und nicht zerstreut, daß er sich zum Gehorsam immerzu willfährig finde. b) Die Brüder mögen einen ergebenen Gehorsam pflegen, denn das, was ihnen geheißen werde, sei so, als ob es von Gott käme. Man gehorche nämlich nicht einem Menschen, sondern im befehlenden Menschen Gott selbst.69 c) Freiwillig sei der Gehorsam, denn höchstes Lob verdiene er, wenn er sich dem Herzen des Befehlenden entsprechend gestalte. Es gebe nämlich einen zweifachen Gehorsam  : den aus Notwendigkeit und somit den erzwungenen der Sklaven sowie den aus Liebe (charitas) und somit den im Geiste freien der Söhne.70 66 Ebd., 4, wobei die ursprünglich augustinischen Worte obedientia vestra omnipotenti Deo sit ac­ ceptabilis sich auch in der Regula Benedicti, ed. Hanslik, 5.14 (40)  : Sed haec ipsa oboedientia tunc acceptabilis erit deo finden. 67 Z.B.: Ad obedientiae autem promptitudinem animemur per exemplum. Nautae enim imperanti in mari nulla dilatione differtur executio […]  ; ebd. Zu derartigen rhetorischen Figuren vgl. Eggs, Metapher. 68 Der gesamte Text dieser Darlegung in  : Humbert de Romanis, Epistola, 4–10. 69 Dieser traditionelle Gedanke findet sich z. B. schon im Opusculum in haec verba, 1190  : Ipsi rectores, quia sunt vicarii domini super nos, et nos debemus eis obedire sicut Domino, non sicut hominibus. 70 Siehe zu dieser wichtigen Unterscheidung noch unten bei Anm. 79.

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d) Der Gehorsam sei so einfach (simplex), daß einer Anweisung ohne Diskussion gefolgt werden könne. Dies gelte – abgese­hen von einem Gebot gegen Gott71  – auch, wenn ein Vorge­setzter einen scheinbar unsinnigen Befehl erteile, denn dieser möge zwar dem Kloster nichts nutzen, sehr wohl aber dem Einzelnen. e) Der Gehorsam zeige sich in wohl geordneter Durchführung der Anweisungen, damit er sich nicht selbst zerstöre. Wie nämlich unsere Vernunft dem Schöpfer unterworfen sei, so gehorche der Wille der Vernunft und die Empfindsamkeit dem Willen.72 Zur Ordnung des Gehorsams gehöre auch, die Hierarchie der Befehlenden, an deren Spitze Gott stehe, zu beachten. f ) Der Gehorsam erfolge fröhlich, denn dies erfreue den Vorge­setzten, erleichtere die Mühe der Folgeleistungen und ver­schaffe ein Sicherheitsgefühl des Gewissens. g) Der Gehorsam sei hurtig und nicht zögerlich, denn durch Ge­horsam töte man fortwährend seinen Eigenwillen, um auf immer für jenen  – nämlich Christus – zu leben, der sein Blut um des Gehorsams willen vergossen hat. h) Der Gehorsam erweise sich als allumfassend und duldsam ge­genüber sämtlichen Beschwernissen. i) Der Gehorsam zeige sich als beharrlich gemäß der geleisteten Profeß, die bis zum Tode verpflichte. Humbert schließt diesen Ausführungen im gleichen Stile Darlegungen über die beiden anderen substantialia religionis – die Armut und die Keuschheit – an und gelangt dann zu einer Zusammenfassung, die den Wert jener Grund­ elemente des klösterlichen Lebens insbesondere anhand des zu erwartenden Gewinns hervorhebt  : Erit et corporibus nostris claritatis pulchritudo, agilitatis promptitudo, subtili­tatis aptitudo, et impassibilitatis invictissima fortitudo […] Ibi evasio periculorum, distinctio mansionum, concordia voluntatum. Ibi amoeni­ tas vernalis, candor lucis aestivalis, ubertas autumnalis, et requies hyemalis […], um nur Einiges aus einer umfänglichen Liste anzuführen.73 Der andere Ort eingehenderer Darlegungen Humberts zum Gehorsam ist in seiner Expositio regulae b. Augustini der Kommentar zu den Worten der Regel  : Praeposito tanquam patri obediatur  : multo magis presbytero qui omnium 71 Vgl. zu dieser Maxime schon hier oben bei Anm. 23 u. 24. 72 Damit ist Humbert keineswegs konform zu den Lehren seiner großen theologischen Ordenskollegen  ; siehe dagegen oben bei Anm. 60. Vgl. im Überblick Ramelow, Wille, II 2  : Wille und Vernunft. 73 Humbert de Romanis, Epistola, 41.

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vestrum curam gerit.74 Der Stil der Darlegung ist jenem des eben behandelten Werkes sehr ähn­lich und erlaubt erneut eine zumeist katalogartige Wiedergabe, obgleich eine straffe Gliederung nicht sofort ins Auge springt und der Gedankenfluß etwas assoziativer wirkt. Zunächst stellt Humbert fest, daß man von einer zweifachen bona obedien­ tia sprechen könne  : (a) von einer sufficiens, sed imperfecta, die dann vorliege, wenn man Gehorsam nur den Geboten schenke, an die man sich konkret zu halten habe, und (b) von einer abundans et perfecta, die dann erfolge, wenn man jedwel­chen bona gehorche, ohne daß man an sie aufgrund von besonderen Verpflich­tungen gebunden sei. Der Unterschied lasse sich mit der Formulierung ›den Befehlen gehorchen – gehorchen ohne Befehle‹ auf den Punkt bringen. Hum­bert zitiert hierzu ausdrücklich Bernhards von Clairvaux Werk De praecepto et dispensatione, wo die gleiche Unterscheidung getroffen worden war und wo sich perfekter Gehorsam unter anderem mit der sehr griffigen Formulierung cha­rakterisiert findet  : obedientia legem nescit.75 Diese Worte finden sich im übrigen auch bei Thomas von Aquin, dem zeitgenössischen Ordensbruder von Hum­bert, allerdings werden sie dort irrtümlicherweise auf Benedikt selbst zurückge­führt.76 74 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 529–539. Es handelt sich bei diesen Worten um die Humbert’sche Formulierung von Abschnitt VII, 1 des sog. Praeceptum  ; siehe die Edition des ›originalen‹ Regeltextes von Verheijen, La Règle de Saint Augustin, 435  : Praeposito tamquam patri oboediatur, honore seruato, ne in illo offendatur deus  ; multo magis presbytero, qui omnium uestrum curam gerit. 75 Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione, VI, ed. Winkler, Bd. 1, 362–365  : Nam perfecta obedientia legem nescit, terminis non arctatur  : neque contenta angustiis professionis, largiori voluntate fertur in latitudinem charitatis, et ad omne quod injungitur spontanea, vigore liberalis alacrisque animi, modum non considerans, in infinitam libertatem extenditur – so fast wörtlich auch von Humbert übernommen. Generell zu den zahlreichen Rückgriffen Humberts auf Bernhard vgl. Fieback, Necessitas, passim. 76 Thomas von Aquin, Scriptum super Sententiis, lib. II, dist. 4, qu. 2, art. 3  : Utrum religiosi professi teneantur obedire praelatis suis in omnibus, wo zu lesen ist  : Respondeo dicendum, quod est triplex obedientia  : scilicet indiscreta, imperfecta (discreta tamen) et perfecta. Indiscreta obedientia, quae nec obedientia dici debet, est quando aliquis obedit in illis quae divinae legis regulae contra­ riantur, quam debet inviolabiliter observare  : vel etiam in illis quae contrariantur regulae quam professus est, in his dumtaxat quae dispensationi praelati non subduntur, et ad hanc obedientiam nullus tenetur, immo quilibet tenetur eam non habere. Imperfecta autem obedientia, sed sufficiens ad salutem obedientiam profitentibus, est illa qua aliquis obedit in his quae servare promisit, et non aliis  ; unde b. Benedictus dicit  : ceterum subditus hujusmodi obedientiam quae voti finibus cohibetur, noverit imperfectam  ; et ad hanc obedientiam profitentes obedientiam ex necessitate cog­ untur. Obedientia vero perfecta est secundum quam subditus simpliciter obedit in omnibus quae non sunt contraria legi divinae, vel regulae quam professus est  ; unde ibidem b. Benedictus dicit  :

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Doch dann beeilt sich Humbert zu sagen, daß hinwiederum Augustinus kein Mandat bezüglich eines solch vollkommenen Gehorsams übermittelt habe, weil ja überhaupt niemand mittels irgendeiner Regel dazu gezwungen werde77 – indes bezüglich der obedientia imperfecta sehr wohl, da ihr alle Regularen aufgrund der Profeß verpflichtet seien.78 Vier pertinentia seien hinsichtlich des Gebotes einer solchen obedientia imperfecta abzugrenzen  : scilicet quibus debeatur  ; et cum debea­tur pluribus, quo ordine debeatur eisdem  ; et qualis debeat esse cum redditur  ; et in quibus sit reddenda.79 Diese Gesichtspunkte ›dekliniert‹ er dann im einzelnen durch. Dabei stellt er zunächst fest, daß Augustinus im Unterschied zu Benedikt, der bekanntlich den Gehorsam auch im Wechselspiel zwischen den Brüdern als notwendig ansah,80 obedientia nur auf den praepositus und presbyterus bezogen sah. Allerdings gäbe es, fährt er fort, Unterschiede in der Machtfülle der Prälaten sowie verschiedene Jurisdiktionsbezüge  – etwa die funktional differenzierten einerseits zum Abt und andererseits zum Bischof oder solche aufgrund hierarchischer Abstufungen wie zwischen Klaustralprior und Abt –, die sich auch auf die Gehorsamspflicht eines Religiosen auswirkten. Dann wendet er sich als nächstem Aspekt einem entweder von Furcht oder von Liebe geleiteten Gehorsam zu. Er zieht hierfür die traditionelle (zumeist jedoch noch einen dritten Bereich einbeziehende) Unterscheidung zwischen ei-

perfecta obedientia legem nescit, terminis non arctatur, nec continetur professionis angustiis  ; lar­ giori voluntate fertur in latitudinem caritatis, et ad omne quod injungitur, spontaneo vigore libe­ ralis alacrisque animi, modum non considerans, in infinitum extenditur  ; et ad hanc obedientiam nullus tenetur debito necessitatis, sed solum ex honestate quadam, sicut tenetur semper aemulari charismata meliora. Thomas unterscheidet sich insofern von Humbert, als er eine dreifache Unterteilung von Gehorsam vornimmt – eine Unterteilung, die man allerdings anders belegt auch sonst findet  ; siehe dazu unten Anm. 81. 77 Porro circa istam perfectam obedientiam, quia nemo ad eam ex aliqua regula arctatur, non tradit Augustinus aliqua mandata  ; Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 529. 78 Vgl. auch dazu Bernhard von Clairvaux, welcher ebenfalls die Profeß als Grenzmarkierung der Gehorsamspflicht gegenüber dem Prälaten sieht  : Quamobrem quisque professus in quovis genere salutiferae vitae, nec ultra obedientiae lege cogendus, nec citra est inhibendus, quam sua ipsius videtur complecti professio. Quanto minus contra  ? Is ergo qui medius est vitae modus, praefixus voto, professione fir­matus, tanquam lignum quod erat in medio paradisi, solus sine dubio legi erit subjectus, obnoxius jussioni. Ergo praelati jussio vel prohibitio non praetereat terminos professionis. Nec ultra extendi potest, nec contrahi citra. Nil me praelatus prohibeat horum quae promisi, nec plus exigat quam promisi  ; De praecepto et dispensatione, V, ed. Winkler, Bd. 1, 362f. 79 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 529. 80 Ebd., 530. Vgl. Regula Benedicti, ed. Hanslik, cap. 71.

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ner obedientia servilis und einer filialis81 heran und schließt eine dichotomische Reihe von jeweils zugehörigen Verhaltensweisen an  : a) Ein cum murmure der obedientia servilis stehe einem simpliciter, sine querela et discussione der obedientia filialis gegenüber, b) ein cum tristitia einem cum hilaritate, c) ein piger einem velociter, d) ein ficte einem fideliter, e) ein superbe, reputans se multa fecisse einem humiliter reputans se quasi per omnia inutilem, f ) ein quiescere quam cito posse einem infatigabiliter laborare usque ad mortem. Die jeweils positiven Formen setzt er gleich mit den sieben Stufen des Gehor­ sams gemäß Bernhard von Clairvaux – nämlich obedire libenter, simpliciter, hi­ lariter, velociter, fideliter, humiliter et perseveranter82 – und erkennt darin auch die eigentliche Regelaussage Augustinus’, dem Vorgesetzten sicut patri und nicht wie einem dominus zu gehorchen, ut sit – so betont er unter Rückgriff auf die basale heils­geschichtliche Typik von Synagoge und Ecclesia – obedientia filialis, sicut decet filios Ecclesiae  ; non servilis, sicut fuit sub lege. Er schließt dann folgerichtig mit dem ver­breiteten Gregor-Wort  : Obedientia non servili metu, sed charitatis affectu servanda est.83 Diesen durch caritas geleiteten Gehorsam sieht Humbert aber keineswegs als absolut an  ; auch er fragt wie viele Autoren vor ihm nach den Grenzen der 81 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 531  ; vgl. auch schon oben bei Anm. 59. Allerdings unterschied z. B. der Tractatus de statu virtutum, 810, zwischen drei solcher Gehorsamsformen  : Item obedientia alia est venalis, alia servilis, alia filialis. Venalis est, quae ad quod­ cunque temporale commodum, vel ad mundi gloriam respicit. Servilis est, quae fit quocunque timore non casto. Filialis est, quae ad solam charitatem respicit. Auch Adamus Scotus, De ordine, habitu et professione canonicorum ordinis Praemonstratensis, 579, z. B. kannte drei Formen, von denen jedoch eine wiederum von eben genanntem Beispiel abwich – nämlich obedientia servilis, mercenaria und filialis –, und führte dazu aus  : Nam habet dominus servum, habet paterfamilias mercenarium, habet quoque pater filium. Unusquisque istorum obedit  : patri, filius  ; Domino, servus  ; et mercenarius ei, qui conduxit illum. Sed ad obediendum servum, impellit timor  : mercenarium, al­ licit spes  ; filium vero invitat amor. Primus timet, secundus sperat, tertius amat. Obedit igitur primus, quia poenam metuit  ; secundus, quia mercedem cupit  ; tertius, quia patrem diligit. 82 Siehe Bernhard von Clairvaux, Sermones de diversis, sermo 41  : De via oboedientiae, ed. Winkler, Bd. 9, 506–529. 83 Gregorius Magnus, Moralia in Iob libri XXXV, lib. XXV.32, 1796. Siehe z. B. auch Johannes von Fruttuaria, Tractatus de ordine vitae, 573, oder Thomas de Aquino, Summa theologiae, iia-iiae q. 104, a. 3, arg. 1.

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obe­dientia84 und konstatiert  : multi sunt casus in quibus non tenentur eis [sc. den Prälaten] subditi obedire. Er bleibt dann seinem Darstellungsstil treu und fügt eine recht plastische, in diesem Umfang sonst nicht zu findende Aufreihung von acht konkreten Sachverhalten an, in denen die Gehorsamspflicht automatisch auf­gehoben ist – nämlich dann, a) wenn etwas gegen Gott befohlen wird, b) wenn ein höher gestellter Prälat eine Anweisung derogiert, c) wenn jemand durch jemanden, der dazu befugt ist, von der Gewalt seines Vorgesetzten eximiert wird, d) wenn etwas befohlen wird, das die Aufhebung der Anweisung eines Höherrangigen bedeuten würde, e) wenn etwas befohlen wird, was nicht befolgt werden kann, f ) wenn etwas befohlen wird, das die Entlassung aus versprochenem Gehorsam bedeutet, g) wenn etwas gegen die Inhalte der Profeß befohlen wird,85 h) wenn etwas befohlen wird, das nicht zu den Inhalten der Pro­feß gehört. Letzterer Punkt scheint Humbert besonders wichtig bzw. erklärungsbedürftig gewesen zu sein, denn er versucht, ihn genauer zu erläutern.86 Zum Verständnis führt er zunächst als Beispiel den Befehl an, man solle den ganzen Tag Vögel beobachten, differenziert diesen Sachverhalt dann aber dahingehend, daß die Ungültigkeit eines solchen Befehls vor allem dann seine Richtigkeit habe, wenn seine Befolgung ohne vernünftigen Grund (sine causa rationabili) verlangt werde  ; sollte er hingegen angewiesen worden sein, um den Gehorsam des Mönches auf Probe zu stellen (causa probandi obedientiam monachi) oder um die Geduld üben zu lassen (ad exercitandam patientiam), dann sei es keineswegs sicher, ob nicht doch zu gehorchen sei.87 Er zieht dazu erneut ausdrücklich Bernhard von Clair­vaux heran, der gesagt habe, das rein Gute oder das rein Böse habe nichts mit Gehorsam zu tun, hingegen sei aber bei einem 84 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 531–533. Vgl. oben bei Anm. 20–24. 85 Vgl. hierzu Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione, V.11, ed. Winkler, Bd. 1, S. 362. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß die Dominikaner die Profeß nicht nur auf die Regel, sondern auch auf die Konstitutionen ablegten  ; siehe dazu Tugwell, Dominican Profession  ; Cygler, Funktionalität, 410ff. 86 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 532. 87 Diese Erprobung von Gehorsamsbereitschaft hat eine lange Tradition und führt sich wohl auf Cassian, De institutis coenobiorum, iv.24, 154f., zurück  ; vgl. Constable, Authority, 190f.

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zwischen diesen Extremen lie­genden Fall weder ein Befehl, noch ein Verbot zu verweigern.88 Folglich kommt Humbert zum Schluß, daß den Prälaten zwar regulariter zu gehorchen sei, daß es aber doch fallweise eine Ausnahme (exceptio in casibus) gäbe – wo­durch auch zu erklären sei, daß es in der Augustinusregel eben bezeichnender­weise nur heiße obediatur und nicht, wie es eigentlich der praelatio entspräche, hinzugefügt sei in omnibus.89 Mit jenem Bernhard-Zitat kann Humbert aber vor allem noch einmal ver­ deutlichen, von welcher Ebene des Gehorsams er in diesen Passagen eigentlich spricht. An einer weiteren und Humbert nicht unbekannten Stelle hatte Bern­hard nämlich ebenfalls mittels einer Unterscheidung zwischen höchstem ­Guten, höchstem Schlechten und einem mittleren Bereich erklärt,90 daß letzterer jener des ambulare, sedere, loqui, tacere, comedere, jejunare, vigilare, dormire sei, welcher den der propria hominis obedientia darstelle, quam homini debe­ mus, qui homini subditi sumus, und wodurch gelte  : In his igitur mediis subditi esse et obedientes debemus ad nutum prae­positorum, nihil interrogantes, propter conscientiam [i Cor 10.25], quia in his nullum prae­fixit opus Deus, sed praela­ torum dereliquit imperio disponenda. Es handelt sich hier also in der Tat um den praktischen Gehorsam im klösterlichen Alltag, der in den notwendigen Grenzen denen geschuldet werde, die eben auch die Regulierung des Alltags zu verantworten hatten. Dementsprechend pragmatisch schließt Humbert diesen Abschnitt seiner Gedankenführung ab mit folgendem affirmierenden Bezug auf die Augustinus­ 88 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 532  : […] quod in iis quae sunt pure bona vel pure mala non est obedientia  ; sed in mediis, in quibus, ut dicit, praelatorum jussio vel prohibitio non est contemnenda. Dieses sehr verkürzte Zitat wird eigentlich nur durch die Originalversion verständlich  : Sane hoc advertendum, quod quaedam sunt pura bona  : quaedam pura mala, et in his nullam deberi hominibus obedientiam  : quoniam nec illa omittenda sunt, etiam cum prohibentur  ; nec ista, vel cum jubentur, committenda. Porro inter haec sunt media quaedam, quae pro modo, loco, tempore vel persona, et mala possunt esse, et bona  : et in his lex posita est obedientiae, tanquam in ligno scientiae boni et mali, quod erat in medio paradisi. In his profecto fas non est nostrum sensum sententiae praescribere magistro­rum  : in his omnino praelatorum nec jussio, nec prohibitio contemnenda  ; Bernhard von Clairvaux, ep. 7, Ad Adam monachum, ed. Winkler, Bd. 2, 306–309. 89 Dem entsprechen auch die Bemerkungen Humberts über die Machtausübung der Prälaten seines Ordens. So führt er z. B. zum Amt des Generalmagisters aus  : Licet autem magister habeat plenam et generalem potestatem in ordine, tamen numquam est ei utendum hujusmodi potestate ubi causa rationabilis non occurrerit  ; Instructiones de officiis ordinis, 192. Auch hebt er eingehend den dienenden Charakter eines jeglichen Prälatenamtes im Orden hervor  ; siehe  : Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 545ff. 90 Bernhard von Clairvaux, Sermones de diversis, sermo 41, ed. Winkler, Bd. 9, 512–515.

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regel, um deren Kommentierung es hier ja ging  : Sic ergo patet quomodo in isto man­dato determinat Augustinus quibus obediendum sit, et quo ordine diversis, et qualis debet esse obedientia, et in quibus.91 Dann aber weitet er seine Perspektive beträchtlich aus, mehr noch – er scheint sogar dem bisherig Gesagten zu widersprechen, indem er auf die zu Beginn genannte Kategorie der obedientia perfecta zugreift, die er zugunsten der imperfecta, die durch die Regel ja allein verlangt wird, zunächst beiseite geschoben hatte. Im Grunde aber folgt er erneut einem Gedanken Bernhards92 als einer seiner wichtigsten Autoritäten und führt nun analog aus  : Post hoc notandum quod inter omnes virtutes religioso necessarias, de praecipuis est obedientia perfecta.93 Die Begründung für diese lapidare Aussage legt er wieder in einer üblichen Aufreihung dar  – diesmal indes jedesmal verbunden mit der affirmierenden Zitierung einer Autorität  :94 a) Ein perfekter Gehorsam gäbe einem Religiosen Frieden. Sei der Religiose nämlich weniger gehorsam, habe er dauernde Verwirrungen, da er nicht vorbereitet sei auf Vieles, was sich ihm stelle. Ideo dicitur – bekräftigt Humbert  – Prov 13  : Qui timet praeceptum in pace versabitur. Solus quidem ob­ ediens est qui cum timore Dei praeceptum recipit.95 b) Ein perfekter Gehorsam erziele die gratia majorum. – Wie näm­lich die Versmacher mit den Silben machen könnten, was ihnen einfiele, so sei auch der wahrhaft Gehorsame seinem Prälaten willkommen, der mit ihm machen könne, was er wolle. c) Ein perfekter Gehorsam befriede die gesamte Gemeinschaft (congregatio), wie umgekehrt inobedientia diese aufs höchste durcheinanderbringe. d) Ein perfekter Gehorsam mache den Einzelnen nützlich für seine Kongregation. e) Ein perfekter Gehorsam lasse jeden über den ärgsten Feind triumphieren – scilicet animo proprio. Als Bekräftigung führt er dazu aus  : Gregorius  : Dum enim alienae voci humiliter obedimus, nos­metipsos in corde superamus.96 f ) Ein perfekter Gehorsam lasse Gott den Gehorchenden am stärksten akzeptieren, denn durch die Armut werde Gott die res temporales, durch Ent91 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 533. 92 Vgl. Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione, VI.12, ed. Winkler, Bd. 1. 93 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 533. 94 Ebd., 533–535. 95 Ebd., 533. 96 Ebd., 534.

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haltsamkeit die propria caro und durch Gehorsam aber die propria voluntas opfernd hingegeben.97 g) Ein perfekter Gehorsam mache die Bitten an Gott wirksam. h) Ein perfekter Gehorsam bereichere aufs höchste die Ver­dienste. i) Ein perfekter Gehorsam schütze vor den Gefahren der Sün­den. j) Ein perfekter Gehorsam führe zum höheren himmlischen Ruhm. Es möge der, der dies gelesen habe, beachten, meinte Humbert, wie sehr alle einzelnen Aspekte notwendig seien in religione, und es werde klar sein, welch’ umfänglicher Übung in operibus obedientiae ein vir religiosus bedarf. Umgekehrt aber sei auch zu berücksichtigen, daß es vielerlei Verhaltensweisen gäbe, welche eine Verringerung des guten Gehorsams bewirkten und die ganz konkret – und wieder zählt er der Reihe nach auf 98 – bei solchen zu finden seien, a) die in manchen Dingen zwar gehorchen, in anderen aber nicht, b) die das Auferlegte zwar im Prinzip tun, aber nicht vollständig, c) die zwar tun, was ihnen gesagt wird, aber auf andere und manchmal auch verkehrte Weise, d) die sich schwerfällig im Gehorchen zeigen, e) die nicht auf das einfache Wort, sondern nur auf strikten Be­fehl hin gehorchen, f ) die nur aus Furcht vor Strafe und nicht aus Liebe zur Gerech­tigkeit gehorchen, g) die nur nach langer Diskussion gehorchen, h) die nur übellaunig gehorchen, i) die sich zu beschäftigt zeigen und feilschen um Zeit zum Ge­horchen, j) die sich nicht eingestimmt zeigen zum Gehorchen, k) die nur unter Murren einen Befehl ausführen, l) die nur trübsinnig gehorchen, m) die nur in großen Dingen gehorchen und die kleinen vernachlässigen, n) die nicht auf die eigentliche Intention eines Befehles achten und ihn nur in seiner Substanz befolgen, 97 Abgesehen von der bemerkenswerten ›Hierarchisierung‹ der drei religiosen substantialia ist hier auch auf Analogien zu einem in diesem Zusammenhang immer wieder herangezogenen Bibelzitat über die Aufgabe des eigenen Willens hinzuweisen  ; so z. B. im Tractatus de statu virtutum, 804  : Obedientia quippe victimis jure praeponitur  ; quia per victimas aliena caro, per obedientiam vero voluntas propria mactatur (Eccl 4.17)  ; vgl. schon oben bei Anm. 8. 98 Humbert de Romanis, Expositio regulae b. Augustini, 535–539.

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o) die die Intention eines Befehles verdrehen, p) die Unfähigkeit zur Befolgung einer Anweisung vorschieben, q) die sich so verhalten, daß Vorgesetzte nicht wagen, ihnen Be­fehle zu erteilen, r) die im Dünkel ihrer eigenen Weisheit es verschmähen, sich von anderen leiten zu lassen, s) die sich so verhalten, daß die Vorgesetzten ihnen gehorchen sollen und nicht umgekehrt, t) die eine auferlegte Sache erfüllen, aber wissentlich auf schlechte, betrüge­ri­ sche Weise. Zu jeder dieser 20 aufgeführten Verhaltensweisen99 fügte Humbert als Bekräftigung der Devianz wie schon oben das (hier allerdings nun gegenläufige) Dictum einer Autorität an – z. B. zu Punkt g)  : Contra quod Hieronymus  : Praeposi­tum monasterii timeas ut dominum, diligas ut parentem  ; credas tibi sa­ lutare quidquid ille praecipiat, nec de majoris sententia judices tu cujus officium 99 Angesichts des ungewöhnlichen Aussagewertes dieser Passagen seien zur raschen Einsicht die Kernsätze nochmals im originalen Text wiedergegeben  : (a) Sunt enim quidam, qui etsi obe­ diant in quibusdam, tamen in aliis sunt minus obedientes. – (b) Alii sunt qui etsi faciant rem injunctam, tamen minus plene faciunt. – (c) Alii sunt qui etsi faciant quod dicitur, tamen alio modo, et interdum per­verso. – (d) Sunt autem alii qui adeo reddunt se difficiles ad obediendum, quod multum affliguntur ab eis praepositi eorum, antequam possint eos movere ad aliquid, sicut affligitur transferens lapides ab eis.  – (e) Alii sunt qui ad simplex verbum nolunt obedire, nisi praecipiatur eis. – (f ) Alii sunt qui non amore justiti­tiae servandae, sed timore poenae interdum obediunt. – (g) Alii sunt qui antequam obediant solent multum discutere de mandato. – (h) Alii sunt qui etsi facere velint quod mandatur, tamen morosi sunt in aggrediendo. – (i) Alii sunt qui semper inveniuntur imparati, allegantes horam obediendi, dicentes haec et illa se habere fa­cienda  : quod nisi permittantur facere, perturbantur. – (j) Alii sunt qui nun quam se disponunt praemedi­ tando ad bene obediendum. – (k) Alii sunt qui obediunt quidem, sed cum murmure exequuntur mandatum. – (l) Alii sunt qui etsi non murmurent ore, tamen cum tristitia exequuntur obedien­ tiam. – (m) Alii sunt qui etsi in magnis obediunt, tamen minora contemnunt. – (n) Alii sunt qui interdum non curant de implenda intentione mandantis, dummodo substantiam mandati impleant, cum e contrario apud fideles et pias mentes magis sit respectus habendus ad intentionem mandantis, quam ad verba. – (o) Alii sunt qui cum eis aliquid displicens injungitur pervertunt intentionem mandantis, judicantes quod aliqua mala intentione hoc faciat. – (p) Alii sunt proni ad excusandum se ab obedientia, impotentiam allegando. – (q) Alii sunt qui se tales ex­hibent quod praelati non audent eis imponere onus. – (r) Alii sunt qui ex quadam animi praesumptione de sua sapientia confidentes, dedignantur ab aliis regi, et ideo minus obedientes sunt. – (s) Alii sunt qui potius volunt sibi obediri a majoribus, quam eis obedire, dum eos ad suam voluntatem pertrahunt faciendam. – (t) Alii sunt qui interdum rem injunctam etsi faciant, tamen scienter faciunt male, in fraudem scilicet, ne alias imponantur, sicut equus fictus, eductus de stabulo male ambulat, ne de stabulo alias educatur  ; ebd.

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est obedire, et implere quae jussa sunt  ;100 oder zu Punkt k)  : Contra quod dicit Benedictus in regula sua  : Obedientia tunc acceptabilis erit Deo, et dulcis homini­ bus, si quod jubetur non cum murmure efficiatur.101 Es solle – schließt Humbert dann den gesamten Abschnitt über obedientia ab102 – ein dem Gehorsam unterworfener vir sanctus sich vor solchen Verhaltensweisen hüten, damit ihm der Gehorsam nicht zur Mühsal werde und er das Gut des Gehorsams nicht im Ganzen oder zum Teil verliere. Bernhard schon habe daran erinnert,103 daß Christus das Leben hingab, um nicht den Gehorsam zu verlieren  ; wenn schon Christus so handelte, um wie viel mehr sollten wir uns dann hüten, das Gut des Gehorsams nicht zu verlieren  ! Bei allen seinen Ausführungen gibt Humbert sich die Mühe, durch längere Zitate Absicherung in der Tradition der Autoritäten zu finden. Die Bibel selbstverständlich, Kirchenväter und vor allem dann Bernhard von Clairvaux sind ihm Bezugspunkte, die das Gesagte nicht nur veranschaulichen, sondern es auch affirmieren. Hierbei geht also Humbert nicht anders vor als prinzipiell alle mittelalterlichen und insbesondere die monastischen Autoren. Dennoch unter­scheidet sich sein Blick auf den Gegenstand seiner Ausführungen wesentlich von jenem seiner Autoritäten. Wie gezeigt, liegt es Humbert zwar fern, die spi­rituelle Qualität von Gehorsam auch nur im geringsten zu schmälern – dazu war bei ihm allein schon der Gedanke der Opferung des Willens zugunsten des Gehorchens zu stark ausgeprägt, und außerdem finden sich alle hier betrachte­ ten Äußerungen gerade in denjenigen seiner Schriften, die besonders spirituell orientiert waren –, aber er sieht Gehorsam zudem als eine Verhaltensform an, die sich im lebensweltlichen Alltag des Ordens und des Klosters bewähren muß und die den Akteuren keine geringe Anstrengung und Übung abverlangt. Mit anderen Worten  : Gehorsam ist ihm nicht nur eine auf Gott hin transzendie­ rende Norm, sondern auch eine der religiösen Gemeinschaft immanente Form der kommunikativen Interaktion. Diesen Aspekt ausführlich untersucht und dargelegt zu haben, zeigt ein durchaus innovatives Interesse Humberts an einer systematischen Charakterisierung pragmatischer Sachverhalte.104 So un100 Ebd., 536. 101 Ebd., 537. 102 Ebd., 539. 103 Bei Bernhard von Clairvaux findet sich der Satz  : Non ita Christus. Ille siquidem dedit vitam, ne perderet obedientiam  ; epistola 42, Ad Henricum Senonensem archiepiscopus, De moribus et officio episcoporum […], ed. Winkler, Bd. 2, 494–497  ; vgl. zu weiteren Stellen bei anderen Autoren oben bei Anm. 10 u. 11. 104 Ein Sachverhalt, der sich deutlich auch in anderen Bereichen Humbertscher Analysen

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terschied er eben nicht nur traditionell zwischen den abstrakt-normativen Kategorien einer obedientia perfecta und einer obedientia imperfecta, sondern fragte etwa auch nach konkreten und ganz alltäglichen Handlungsweisen, die bestimmte Gehor­samsleistungen aufgrund besonderer Vermeidungstechniken oder psycholo­ gisch motivierter Verweigerungshaltungen als zweifelhaft erscheinen ließen  : In seiner Epistola de tribus votis substantialibus religionis waren dies zwölf Verhaltens­muster, in seiner Expositio regulae b. Augustini gar 20, von denen im übrigen die überwiegende Zahl auf durchaus zeitlose bzw. auch noch heute präsente Formen hinweist. Und er suchte gleichermaßen solche Erscheinungsformen von Gehorsamsleistungen, die am erfolgversprechendsten waren  : Schnell, ein­fach, geordnet, beharrlich sollte obedientia sein, zudem nicht servilis, sondern filialis, weil sie eben nur dann jene positiven Eigenschaften gewinne. Grenzen findet der Gehorsam gemäß der Meinung Humberts nicht nur in Befehlen ge­gen die Regel oder gegen Gott, wie schon früher postuliert, sondern ausdrück­lich auch im konkreten Abstufungsgefüge der autoritativen Instanzen. Den Nutzen von Gehorsam schließlich sieht Humbert nicht nur in einer individuel­len Annäherungsbeziehung zu Gott verankert, sondern ebenso im praktischen sozialen Gewinn, den der Einzelne, der Vorgesetzte oder der Konvent – also das gesamte kommunikative System einer religiösen Gemeinschaft – daraus ziehen könne. Humbert schrieb als ein erfahrener Ordensleiter, der sehr genau wußte, daß die ihm anvertraute Institution nur funktionierte, wenn alle sich auf die ganz pragmatisch orientierten Gehorsamsleistungen aller verlassen konn­ten, die im Gegensatz zu Heussis Annahme hier eben nicht allein der »asketi­schen Vervollkommung« dienten.105 Für diese Einsicht aber gab weniger die religiöse Stärke als vielmehr eine rationale Gestaltungskraft den Anstoß, die jene Zeit als so fortschrittlich erscheinen läßt und die bekanntlich gerade auch den Dominikanern im besonderen Maße zu eigen war.

aufwei­sen läßt  – etwa bei seiner Untersuchung konkreter Rechtspraktiken mittels des Gebrauchs von admoniciones  ; vgl. dazu Melville, Rechtsordnung, 599ff.  (hier S. 316ff.) – Eine in manchem ähnlich pragmatische, aber bei weitem nicht so systematisch dif­ferenzierte Behandlung der Gehorsamsthematik findet sich z. B. auch bei dem Franziskaner David von Augsburg († 1272) in seinem Werk  : De exterioris et interioris hominis compositione oder  – ebenso aus diesem Orden – bei Bernhard von Bessa († 1300/04) im Kapitel De captivitate propriae voluntate seiner Schrift Speculum disciplinae, 585ff. Zu letzterem siehe jetzt Breitenstein, Im Blick der Anderen, 401ff. 105 Vgl. oben bei Anm. 19.

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Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten Positionen für eine Typologie des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter

Man konnte der Auffassung sein wie Stephan von Muret1 (oder im Prinzip auch schon vorher wie Basilius2), daß man in einer religiösen Gemeinschaft eigentlich keine anderen Normen brauche als die, welche bereits durch die Regula regularum – das Evangelium – vorgegeben seien  : Non est alia regula nisi euangelium Christi.3 Alle weiteren Regeln seien non origo religionis, sed propagi­ nes, non radix, sed frondes, non caput, sed membra.4 Das Beispiel und das Wort des charismatischen Führers der Gemeinschaft, glaubte man, könne hinreichen, wenn man etwas Zusätzliches, etwas genauer Spezifiziertes brauche  : »Es meinten gewisse Anhän­ger«, so wird z. B. vom Wirken Norberts von Xanten berichtet, »es würde zum Heile reichen, was sie aus seinem Munde hörten, so daß sie weder einer Ordnung noch einer Regel bedürften.«5 Letzterer Aspekt aber barg ein gravierendes Problem – das der Kontinuierung. Ein anderer Stephan, der Klostergründer von Obazine, hatte dies genau erkannt. Auch von ihm hieß es in seiner Vita zunächst  : Indessen waren die Brüder in Obazine keinerlei geschriebenen Gesetzen unterworfen, vielmehr hatten sie die Anweisungen ihres verehrungswürdigen Meisters als Gesetz, die so strikt und hart waren, daß die Rauheit einer beliebigen Regel ihnen nichts an disziplinärer Strenge hinzufügen könne.6 1 Vgl. dazu Becquet, Études grandmontaines  ; Hutchison, Hermit Monks und Melville, Regula regularum. 2 Vgl. Gribomont, Saint Basile. Ein Einfluß auf Stephan von Muret ist aufgrund seines Aufenthaltes in süditalienischen Klöstern der Basilianer durchaus wahrscheinlich  ; vgl. Hutchison, Hermit Monks, 32ff. 3 Liber de doctrina, ed. Becquet, 5. 4 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66. 5 Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683  : Credebant quidam adhaerentes ei fratres, sufficere ad salutem quod ab ore eius audirent, ita ut neque ordine neque regula indigerent. Vgl. allgemein zum Problem von Mündlichkeit und Schriftlichkeit klösterlicher Normen Schreiner, Obser­ vantia regularis. 6 Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96  : Interea fratres Obazine nullis adhuc scriptis legibus tene­bantur, sed instituta magistri venerabilis pro lege habebant, que tam districta et ardua

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Dann aber wird mit einer bemerkenswerten Feststellung über die Dauerhaftigkeit von Normen fortgefahren  : ›Weil die Tage des Menschen kurz sind‹ und menschliche Belehrung nur so lange von Wirkung ist, wie lange der Bekehrende lebt und gegenwärtig ist, war es notwendig, daß die Gemeinschaft bereits bestehende Lebensnormen annahm, auf daß nach dem Tode des Lehrmeisters die Autorität des geschriebenen Gesetzes ihren Bestand sichere.7

Es war die Schrift, die hier als das entscheidende, Raum und Zeit überschreitende Speichermedium hervorgehoben wurde. Schrift fixiert und verewigt das Wort und die Tat. Wie schon der Generalmagister des Predigerordens, Humbert de Romanis, in seinem Kommentar zu den dominikanischen Constitucio­ nes unterstreicht, kann der Schrift allerdings nicht nur eine Aufgabe des einfachen Speicherns von Normen zukommen, sondern auch die der nachprüfbaren und authentischen Dokumentation, ja sogar des Konstituierens von Normen  : Durch Schriften (scripta) – so stellt Humbert hinsichtlich der Praktiken vieler Orden fest – treffen die Ordensoberen Anordnungen (ordinant) und geben sie ihre Befehle (mandant), denn was man schriftlich habe, eigne man sich besser an (quod enim in scriptis habetur facilius addiscitur), und es gerate nicht so leicht in Vergessenheit (non de facili oblivioni traditur).8 Die wichtigsten Produkte solcher Verschriftlichungsformen sind im Bereich der vita religiosa die ›Regel‹, die ›Consuetudines-Texte‹ und die ›Statuten‹. Dort vor allem werden – wenn auch in unterschiedlicher Form – die Fundamente der normativen Struktur einer religiösen Gemeinschaft greifbar. Allerdings ist dabei in Rechnung zu stellen, daß die Normen einer religiösen Gemeinschaft (eines Klosters, eines Ordens also) selbstverständlich auch durch weitere schriftliche und mündliche Medien vermittelt wurden. Zu nennen sind z. B.: bestimmte vorbildliche Individuen (insbesondere der Abt als gleichsam lebende Regel9 oder – wie schon erwähnt – c­ harismatische erant ut cujuslibet regule asperitas eis in discipline rigore addere nihil posset. Vgl. Andenna, Dall’esempio. 7 Ebd., 216, Anm. 141  : ›Quia vero breves dies hominis sunt‹ et tamdiu humana magisteria vigent quan­ diu preceptor vixerit aut presens fuerit, placuit ut alicujus ordinis eorum qui in ecclesia auctorisati sunt professionem assumerent, ut, deficientibus magistris, scripte legis auctoritas eis indeficiens permaneret. 8 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 8. Vgl. dazu Melville, Schriftlichkeit und Schreiner, Verschriftlichung. 9 Vgl. Hallinger, Papst Gregor, insbesondere 259ff.; Constable, Authority, 189–210 und Felten, Herrschaft.

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Gründergestalten,10 aber auch das gesamte Interagieren der ­ Gemeinschaft selbst11), die niedergeschriebenen Worte des Meisters (z. B. der Liber de Doctrina der Grandmontenser12), Papst- und Bischofsurkunden oder Konzilsbeschlüsse,13 das ius commune der Kirche,14 die Akten der Generalkapitel15 und der Visitationen16 oder das parenätisch-didaktische, legitimationsstiftende Schrifttum wie z. B. Novizenspiegel17 oder Exempla-Sammlungen,18 Viten oder Gründungsmythen19 und so fort. Dennoch bleibt die Feststellung  : In der Geschichte der vita religiosa bedeu­ teten die Regeln, die Consuetudines-Texte und die Statuten gewissermaßen den harten Kern der normativen Medien – obwohl keineswegs bei jeder religiösen Gemeinschaft immer alle drei Formen vorliegen mußten. Die Gemeinschaften der Kartäuser oder die von Fontevraud besaßen z. B. nie eine Regel,20 die Grandmontenser kannten keine niedergeschriebenen consuetudines,21 die Cluniazenser vermochten fast zweieinhalb Jahrhunderte lang zu bestehen, ohne organisationsbezogene Statuten hervorgebracht zu haben,22 usw. Diese Unterschiede könnten vielleicht auch darin liegen, daß es augenscheinlich eine differenzierende Entwicklungsgeschichte des Spektrums von Regeln, 10 Vgl. Andenna, Dall’esempio und Alberzoni, Unus novellus pazzus, 269–301. 11 Dazu sehr illustrativ Bynum, Jesus as Mother, besonders 59ff. 12 Liber de doctrina, ed. Becquet. 13 Neben ›klassischen‹ Untersuchungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie etwa Schreiber, Kurie und Kloster  ; Dubois, Les ordres religieux oder Maccarrone, Primato romano, siehe bspw. neuerdings auch  : Menestò u. a. (Hgg.), Il papato duecentesco und Ballweg, Ordensreform. 14 Vgl. Melville, Recht der Religiosen. 15 Dazu jetzt Cygler, Generalkapitel. 16 Vgl. Oberste, Visitation  ; ders., Dokumente. 17 Neuerdings zu einem sehr illustrativen Beispiel Breitenstein, De novitiis instruendis. 18 Vgl. dazu Berlioz, Exempla  ; Füser, Vom exemplum Christi sowie auch mit neuestem Aufriß der bisherigen umfangreichen Forschung Schürer, Das Beispiel im Begriff. 19 Vgl. Elm, Bedeutung historischer Legitimation  ; Wesjohann, Überschüsse an Armut  ; Melville, Geltungsgeschichten  ; und neuerdings die vorzügliche Sammlung von Beiträgen, die von C. Caby unter dem Titel »La mémoire des origines dans les institutions médiévales« als Akten einer »table ronde« in Rom (Juni 2002) zusammengestellt und in Mélanges de l’École française de Rome veröffentlicht wurden. 20 Vgl. Cygler, Vom ›Wort‹ Brunos  ; Dalarun, L’impossible sainteté und ders., Robert d’Ar­ bris­sel. 21 Vgl. Becquet, Grandmont et le droit. 22 Und dies auch noch im 12. Jahrhundert, als es anderswo schon zum Gemeingut gehörte, gerade durch die Flexibilität der Statuten institutionelle Sicherstellungen des Bestandes zu erreichen zu suchen. Ein Gesamtüberblick bei Pacaut, L’Ordre de Cluny.

Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten 

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Consuetudines-Texten und Statuten gab – etwa von folgendem epochenhaften Ablauf  : 1. Langsame Herausbildung von Regeln (erste Zönobitenregel bekanntlich die von Pachomius  ; ansonsten verschriftete dicta [z. B. Basilius] und so fort) 2. Zeit der Consuetudines-Texte (etwa ab Benedikt von Aniane und dann vor allem ab Cluny) 3. Zeit der Statuten (ab dem 12. Jahrhundert) Dies ist allerdings allzu grob skizziert, und es setzt vor allem voraus, daß schon genau definiert wurde, was man im einzelnen unter ›Regeln‹, ›ConsuetudinesTexten‹ oder ›Statuten‹ zu verstehen hat. Aber genau dies ist nicht der Fall  ! Eines der Hauptprobleme liegt gerade darin, daß man sich bislang in der Forschung noch viel zu wenig um eine typologisierende – und das heißt vor allem auch  : eine begrifflich definierende – Differenzierung jenes komplexen Feldes bemüht hat.23 Man könnte nun einen scheinbar einfachen Weg wählen und auf die mittelalterlichen Bezeichnungspraktiken selbst zurückgreifen. Doch rasch würde man erkennen, daß diese für eine Klassifizierung der Materie keine hinreichende Aussagekraft besitzen, da sie semantisch zu ungefestigt sind. Zur Veranschaulichung müssen hier ein paar willkürlich herausgegriffene Beispiele genügen  : Cassians Regel24 wurde unter der Bezeichnung Instituta tradiert. Bei der Niederschrift prämonstratensischer Normen um die Mitte des 12. Jahrhunderts verwendete man im Titel den Begriff Liber consuetudinum, obgleich 23 Allerdings bieten wichtige Definitionsversuche bzw. erste Überblicke z. B. schon Angerer, Zur Problematik der Begriffe  ; Hallinger, Consuetudo  ; Schreiner, Dauer  ; ders., Verschriftlichung  ; Cygler, Règles, coutumiers et statuts  ; Tutsch, Texttradition und Praxis und Melville, Handlung, Text und Geltung. Besonders hinzuweisen ist auf den eben erschienenen, von Iogna-Prat / Davril / Donnat und Palazzo verfaßten Abriß »Moines et chanoines  : Règles, coutumiers et textes liturgiques«. Wichtige Perspektiven wird auch der von S.  Boynton und I. Cochelin in Kürze herausgegebene und cluniazensische Verhältnisse beleuchtende Sammelband »From Dead of Night to End of Day« eröffnen [erschienen 2005]  ; vgl. bereits Boynton / Cochelin, Les coutumiers clunisiens.  – Da im Deutschen eine begriffliche Unterscheidungsmöglichkeit wie etwa im Französischen zwischen »coutumes« und »coutumiers« nicht besteht, soll hier ausdrücklich von Consuetudines-›Texten‹ die Rede sein, um die verschriftlichte Form von der praktizierten – also von den tatsächlich gelebten oder zu lebenden consuetudines – abzuheben. 24 Institutions cénobitiques. Vgl. zu analogen Ausformungen der Begrifflichkeit Kasper, Von der exhortatio zur regula.

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es sich um gesatztes Recht jenseits der (Augustinus-)Regel handelte, so daß man eigentlich den Begriff statuta, instituta oder institutiones erwarten würde.25 Bei der prämonstratensischen Kodifikation von 1236/38 benutzte man dann tatsächlich den Begriff institutiones und bezog ihn damit auf einen Text, der sich strukturell nicht von dem erstgenannten unterschied.26 Auch die erste Fassung der dominikanischen Konstitutionen vom Jahre 1220 trug noch den Titel Liber consuetudinum.27 Umgekehrt aber hießen Texte etwa des 10., 11. und 12. Jahrhunderts, bei denen es sich um Aufzeichnungen von Gewohnheiten handelte und bei denen man folglich die Bezeichnung als consuetudines erwarten würde, oftmals auch statuta.28 Will man also definieren, was Regeln, Consuetudines-Texte oder Statuten waren, so kann es vorderhand nicht um eine geschichtliche Analyse der Begrifflichkeit, der nomina, gehen, sondern der konkreten Ausformungen der Texte, also der res. Um sich Definitionen zu nähern, die zu typologischen Differenzierungen dieses Textmaterials führen können, möchte ich sechs sehr allgemeine und gewiß auch simple Fragen stellen, die ich gleichermaßen an alle drei Formen verschriftlichter Normen – also an Regeln, Consuetudines-Texte und Statuten – anlege. Sie lauten  : 1. Wer kann Regeln, Consuetudines-Texte, Statuten schreiben / einführen / approbieren  ? 2. Welche normativen Inhalte werden durch Regeln, Consuetudines-Texte, Statuten transportiert  ? 3. Wer kann Regeln, Consuetudines-Texte, Statuten verändern bzw. derogieren  ? 4. Wie verhält es sich mit dem Bezug zwischen einerseits Regel, ConsuetudinesTexten, Statuten und andererseits religiösen Verbänden, Orden, Klöstern  ? 5. Wie ist es um die (systematische und historische) Beziehung zwischen Regeln, Consuetudines-Texten und Statuten bestellt  ? 6. Wo ist bei Regeln, Consuetudines-Texten, Statuten die normative Geltung verankert  ? – Diese letzte Frage dürfte sich als die bedeutendste erweisen.

25 Vgl. Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1  : Incipit prologus in librum consuetudinum. 26 Les statuts de Prémontré réformés sous les ordres de Grégoire IX et d’Innocent IV au XIIIe siècle, ed. Lefevre, 5  : librum istum, quem librum institutionum capituli generalis vocamus. 27 Vgl. De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 249. 28 Vgl. Hallinger, Consuetudo, 147, und schon früher Prosdocimi, A proposito della terminologia  ; vgl. dazu die Besprechung von Schieffer, in  : HZ 200 (1963), 632–641.

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Ob diese Fragen angesichts der Kürze dieses Beitrages hinreichend in der gesamten, ihnen innewohnenden Komplexität beantwortet werden können, sei dahingestellt. Wichtiger dürfte sein, sie überhaupt derart zu stellen, daß sich daraus ein analytischer Zugang zum vielfältigen historischen Material eröffnet. Da es um empirische Befunde geht, die durch Begriffe zu klassifizieren sind, andererseits die entsprechenden Begriffe aber bereits zur Erhebung der empirischen Befunde gebraucht werden, zeigt sich die Gefahr, in einen Zirkelschluß zu geraten. So werden die Antworten nur mittels Entwürfen idealtypischer Strukturen gefunden werden können  – dies ist zu unterstreichen, um Mißverständnisse von vornherein auszuschalten. Im Sinne von Max Weber heißt das  : Die »Konstruktion [eines Idealtyps] innerhalb empirischer Untersuchungen hat nur den Zweck, die empirische Wirklichkeit mit ihm zu ›vergleichen‹, ihren Kontrast oder ihren Abstand vom Idealtyp oder ihre relative Annäherung an ihn festzustellen, um sie so mit möglichst eindeutig verständlichen Begriffen beschreiben und kausal zurechnend verstehen und erklären zu können«.29

1. Wer kann Regeln, Consuetudines-Texte, Statuten schreiben/einführen/ approbieren  ? Die ›Regel‹ verfaßt generell ein Einzelner, um sie dann gewissermaßen als verbindliche ›Botschaft‹ der rechten forma vitae an seine Gemeinschaft weiterzugeben. Klassische frühe Beispiele sind die Benediktsregel mit dem insinuativen Eingangswort Obsculta, o fili, praecepta magistri,30 aber auch insbesondere die Regel des Caesarius von Arles für einen ihm anvertrauten Frauenkonvent31 oder die Augustinusregel – genauer gesagt  : der Ordo monasterii – mit den einleitenden Worten Ante omnia, fratres carissimi, diligatur Deus, deinde et proxi­ mus, quia ista sunt praecepta principaliter nobis data.32 Sie zeigen deutlich den direktiven und zugleich belehrenden, das Innere des Menschen ansprechenden Charakter des jeweiligen Textes auf. Die Abfassung kann unter Umständen mit dem Rat anderer Personen erfolgen, jedoch bleibt die Abfassung einer Regel prinzipiell sehr signifikant, ja symbolisch 29 Weber, Wissenschaftslehre, 521–522. 30 Regula Benedicti, ed. Salzburger Äbtekonferenz, 62–63. Die nachfolgenden Worte  : […] et inclina aurem cordis tui belegen den vorrangig spirituellen Charakter des Textes  ; vgl. dazu ebd., 32. 31 Césaire d’Arles, Œuvres monastiques, Bd. 1. 32 Verheijen, La Règle de Saint Augustin, Bd. 1, 148.

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das Werk eines Einzelnen.33 Man denke etwa an jenen Rückzug des Franziskus von Assisi mit zweien seiner Brüder in die Einsamkeit, als er an die Neufassung der Regel ging und als ihn dann eine Delegation seiner Brüder aufsuchte und bestürmte, er möge die Vorschriften nicht übermäßig streng halten, sonst mache er sie für sich allein, nicht für die Gemeinschaft (facias pro te, et non pro eis).34 Auch eine bereits vorhandene Regel kann von einem Einzelnen in eine Gemeinschaft eingeführt werden. Als Beispiel sind Stephan von Obazine zu nennen, der zunächst seiner Gemeinschaft das Benediktinertum des Klosters Dalon vorschrieb,35 oder Norbert von Xanten, der die Augustinusregel verordnete.36 Das Motiv war bei beiden Formen der Etablierung einer Regel das gleiche  : nämlich den fortgesetzten Erhalt der Gemeinschaft über den Tod des Gründers hinaus zu sichern – sei es mit selbst formulierten Normen, sei es mit übernommenen.37 Regeleinführungen dienten auch – und dann recht pragmatisch vom Papsttum vorgenommen  – der Kanalisierung von Wildwüchsen einer unüberschaubar gewordenen Auffächerung der vita religiosa. Der Kanon 13 des 4. Laterankonzils, der bei Neugründungen eine Beschränkung auf regulam et in­ stitutionem de religionibus approbatis aussprach,38 oder die Zusammenlegung von verschiedenen Eremitenverbänden zu einem neuen Orden39 unter der Augustinusregel im Jahre 1256 seien als Beispiele angeführt. 33 Dabei ist die Regel der Grandmontenser (Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 63–99) sogar ausnahmsweise nicht vom Gründer der neuen Ordensgemeinschaft, sondern erst vom vierten Vorsteher, dem Prior Stephan de Liciac, angefertigt worden. In der Chronica Bernardi Iterii heißt es dazu  : Anno gracie M° XXXnono, obiit Petrus de Sancto Christoforo, prior Grandimontis. Huic Stephanus successit vir quidem magnificus. […] Ipse regu­ lam confecit et constrinxit ordinem […]  ; Bernard Itier, Chronique, 20. 34 Vgl. Compilatio Assisiensis, ed. Menestò / Brufani. 35 Vgl. Vie de saint Étienne, ed. Aubrun, 96, wo die Ausgangsstruktur in der Gemeinschaft Stephans folgendermaßen umrissen wird  : Interea fratres Obazine nullis adhuc scriptis legibus tenebantur, sed instituta magistri venerabilis pro lege habebant, que tam districta et ardua erant ut cujuslibet regule asperitas eis in discipline rigore addere nihil posset. 36 Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683. 37 Zu Stephan von Obazine vgl. Anm. 35  ; zum Handeln Norberts von Xanten hieß es  : ne in poste­ rum sancta eius plantatio eradicaretur et fundamentum quod supra petram firmam locare disposuerat labefactaretur, commonuit eos, sine ordine et sine regula et sine patrum institutionibus ad integrum non posse observari apostolica et euangelica mandata  ; Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683. 38 Constitutiones Concilii quarti Lateranensis, ed. García y García, 62  ; dazu vgl. Maccarrone, Costituzioni. Das prominenteste Beispiel eines neuen Ordens, dem die Herausbildung einer eigenen Regel wegen dieser Konzilsbestimmung versagt blieb, war bekanntlich der Predigerorden  ; vgl. Tugwell, Notes, 5–169. 39 Elm, Beiträge  ; ders., Eremitengemeinschaften. Vgl. jetzt auch den Beitrag von Andenna, Non est haec vita apostolica.

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Die Regeln bedurften zunächst prinzipiell keiner Approbation. Pachomius’, Cassians, Columbans, Benedikts Regelwerke etwa sind nie bestätigt worden. Es hätte auch gar keine Instanz dafür gegeben. Dies änderte sich allerdings im 12. Jahrhundert. Nachträglich anerkannt wurde daraufhin z. B. die Regula beati Stephani der Grandmontenser40 und sogar konstitutiv für die Geltung war dann die Approbation der Franziskusregel,41 da sich mittlerweile das Papsttum als unumgängliche Anerkennungsinstanz herausgebildet hatte. ›Consuetudines‹ ›verfaßt‹ man nicht, sondern zeichnet sie auf. Die Aufzeichnung erfolgt zumeist durch ein Mitglied der religiösen Gemeinschaft selbst auf Anordnung der Leitung (z. B. des Abtes). Consuetudines-Texte bedürfen keiner Approbation. Weil nach ihnen bereits tatsächlich gelebt wird, sind sie durch die Praxis approbiert. Dabei kann ein entsprechender Text auch von einer anderen Gemeinschaft importiert werden, etwa um sich gemäß berühmter Modelle zu reformieren.42 Ein sehr anschauliches Beispiel hierfür ist die Entstehungsgeschichte des Liber tramitis, in deren Verlauf es zu folgendem Geschehen um eine Niederschrift von consuetudines kam  : Ex quibus [fratribus] unus valde inspiratus et accensus in feruore monastico ex discipu­ lis domni Romualdi nomine Iohannes cum uno suo socio ad uidendum et scribendum properauit apud eundem Cluniacensem coenobium. Et ita exarauit in paginulis ut oculis uidit et in codicibus affixit posterisque legenda contradidit.43

Solcherart importierte Texte waren offen für Ergänzungen und Modifikationen entsprechend der eigenen Verhältnisse.44 Unter Umständen wurde darauf40 Vgl. Becquet, La règle de Grandmont, 116. 41 Die Regel ist sogar direkt in eine Bulle Honorius’ III. eingebaut  ; Text  : Opuscula, ed. Esser  ; zu den Hintergründen vgl. jetzt Maleczek, Franziskus. 42 Auf die besondere Rolle, die insbesondere Cluny dabei bis in das 12. Jahrhundert hinein als Geber-Institution spielte, weist Wollasch, Mönchtum, 157, hin. 43 Liber tramitis aevi Odilonis abbatis, ed. Dinter, 4. Zum Liber tramitis vgl. jetzt Boynton, Les coutumes clunisiennes. – Strukturell vergleichbare Geschehnisse spielten sich in Hirsau nach Erhalt cluniazensischer consuetudines aus der Feder Ulrichs von Cluny ab, die mit den Worten  : habetis enim consuetudines monasterii nostri, quas collectas utcunque notavi, quantum ego scire potui et recordari (Udalrici Consuetudines Cluniacenses, 638) übergeben worden waren. Hirsau sandte dann noch eigene Mönche zum empirischen Training nach Cluny  ; vgl. dazu Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte, 56f. 44 Signifikante Beispiele aus dem cluniazensischen Bereich gibt Tutsch, Texttradition und Praxis, 188ff. Einen guten Einblick in analoge Verhältnisse bei den Regularkanonikern des 12. Jahrhunderts vermitteln die Einleitungspassagen von Weinfurter in  : Consuetudines canonicorum regularium Springirsbacenses-Rodenses, S. X–XXXVII.

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hin sogar selbst wieder ein Consuetudines-Text angefertigt. Dies war z. B. im Mönchskonvent von Canterbury der Fall, von wo aus der dortige Erzbischof Lanfranc in den 70er Jahren des 11. Jahrhunderts nostri ordinis consuetudines scriptas verschickte, von denen es ausdrücklich hieß, quas excerpsimus ex con­ suetudinibus eorum cenobiorum, que nostro tempore maioris auctoritatis sunt in ordine monachorum. Ihnen sei  – so hieß es weiter  – einiges insbesondere im liturgischen Bereich hinzugefügt worden, wie es den Anforderungen an einen Primatialsitz entspräche.45 ›Statuten‹ werden prinzipiell im Konsens der gesamten Gemeinschaft oder deren Repräsentanten und mit Hilfe eines Zentralorgans (Generalkapitel) verfaßt.46 ›Klassische‹ Beispiele hierfür sind zum einen die Carta caritatis der Cisterzienser, welche zugleich die künftige Institution des Generalkapitels als Rechtsfortschreibungsorgan schuf,47 sowie zum anderen die dominikanischen Constituciones, deren erste Fassung durch regionale Amtsträger und Delegierte, die aus allen Provinzen zusammenkamen und mit potestas plenaria ausgestattet waren, gemeinsam mit dem Ordensleiter erstellt worden war.48 Doch zeigt sich jene Konsensstruktur auch bei einem so stark monarchisch ausgeformten Verband wie z. B. dem cluniazensischen,49 wo etwa sogar ein Petrus Venerabilis mehrfach ein capitulum universale einberufen hatte, um mit dessen assensus – wie es ausdrücklich hieß – ein Statutenwerk zusammenzustellen,50 und wo dann im Jahre 1200 zwar die nächsten Statuten wie ein obrigkeitlich verordnetes Dekret daherkamen,51 aber 45 Monastic Constitutions of Lanfranc, ed. Knowles / Brooke, 2. 46 Einen Überblick über die Statutenanfertigung bei einigen Orden gibt Cygler, Ausformung. 47 Vgl. Cygler, Generalkapitel, 41–52.  – In hoc ergo decreto predicti fratres [sc. Abt Stephan und seine Mitbrüder], mutuę pacis futurum precauentes naufragium, elucidauerunt et statuerunt suisque posteris relinquerunt quo pacto, quoue modo, immo qua caritate monachi eorum, per ab­ batias in diuersis mundi partibus corporibus diuisi, animis indissolubiliter conglutinarentur, heißt es im Prolog, in  : Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 274. Vgl. dazu Auberger, L’unanimité cistercienne primitive. 48 Dazu heißt es in der Präambel der Konstitutionen  : Anno ab incarnatione Domini MCCXXVIII convenerunt Parisius in domo sancti Iacobi [octo] priores provinciales una cum Iordano, magistro ordinis nostri, singuli cum duobus diffinitoribus sibi a provincialibus capitulis deputatis, ubi fratres omnes vota sua unanimiter transtulerunt, eisdem potestatem plenariam concedentes, ut quicquid ab ipsis fieret […]  ; De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 309. Vgl. zu dieser Struktur Moulin, Le pluricaméralisme  ; Melville, Fiat secretum scrutinium. Zur Bedeutung der dominikanischen Constitutiones vgl. jetzt Cygler, Funktionalität  ; ders., Symbolizität. 49 Vgl. dazu Melville, Cluny après ›Cluny‹  ; ders., Reformatio. 50 Feci hoc tandem Capituli universalis assensu, brachte Petrus Venerabilis seine legislative Aktivität auf den Punkt  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 20–40, hier 22. Vgl. dazu Pinkl, Statutenprolog, 3–11. 51 Charvin, Statuts, Bd. 1, 40–52.

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schon die nachfolgenden Statuten von 1205/06 hinwiederum von den Definitoren als Repräsentanten des Generalkapitels verfaßt wurden.52 Allerdings kann eine ›Abfassung‹ auch in Form einer periodischen Kompilation von ›Definitionen‹ des Generalkapitels geschehen, welche etwa bei den Cisterziensern des 13. Jahrhunderts dann in Libri definitionum zusammengestellt wurden.53 Daneben finden sich Abfassungen von Statuten durch den Gründer einer Gemeinschaft – nämlich dann, wenn weder irgendeine Regel angenommen wurde, noch allein auf das ›Wort‹ des Gründers sich beschränkt werden sollte  : so bspw. bei dem Verband von Fontevraud und seinem Gründer Robert von Arbrissel.54 Eine päpstliche Approbation war in singulärer, aber auch ›pauschaler‹ Weise prinzipiell möglich (so bspw. singulär auf einen bestimmten Text bezogen bei Fontevraud55 oder bei den Cisterziensern,56 ›pauschal‹ bei den Prämonstratensern57 oder Cluniazensern58), aber, wie es scheint, rechtlich nicht unbedingt erforderlich. So wurden z. B. die Konstitutionen der Dominikaner nie durch den Papst bestätigt.59

2. Welche normativen Inhalte werden durch Regeln, Consuetudines-Texte, Statuten transportiert  ? Bezüglich der ›Regeltexte‹ läßt sich modellhaft zunächst wiederum auf das Werk Benedikts von Nursia hinweisen  : Dort erfolgte eine systematische Abdeckung prinzipiell ›aller‹ fundamentalen Lebensbereiche – also der Leitungshierarchie, 52 Ebd., 52–60. 53 Vgl. dazu Lefèvre / Lucet, Les codifications cisterciennes. 54 Vgl. Bienvenu, L’étonnant fondateur, 135ff  ; Dalarun, Robert d’Arbrissel und Felten, Verbandsbildung, 306. 55 Bullaire du pape Calixte II, 1119–1124  : Essai de restitution, ed. Robert, Bd. 1, no 61. 56 Die Bestätigungsbulle der Carta caritatis (prior) durch Papst Calixt II. im Jahre 1119  : Ad hoc in apostolicae, ediert in  : Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 451–452. 57 So Alexander III. an die Prämonstratenser  : Nam si quid roboris constitutionibus veteris ex vobis forte defuerit, ex apostolicae sedis auctoritate poterit ministrari. Interim vero tenete quod coepistis, et ita veteribus ac firmatis ab apostolica sede statutis insistere, et sub majoris austeritatis obtentu pax ordinis non possit amplius perturbari (PL 200, 615). 58 So die Bevollmächtigung Abt Hugos V. durch Papst Cölestin III.: quae secundum Deum, et beati Benedicti regulam, et statuta ordinis videris corrigenda corrigere et ibidem statuere statuenda, liberam tibi, contradictione et appellatione cessantibus, […] concedimus facultatem  ; Bullarium Cluniacensis, 95. 59 Vgl. allgemein zum Verhältnis von gesatztem ius particulare der Orden und dem ius commune der Universalkirche Melville, Ordensstatuten.

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des Disziplinarischen, der Verhaltensnormen, des Gebetes und der Liturgie, der Arbeit, des Wirtschaftens, des Essens und Schlafens, der Kleidung.60 Hervorzuheben ist also, daß die Regel Benedikts sowohl eine spirituelle als auch eine organisationspragmatische Schrift darstellt, daß sie also nicht nur äußerliche Rechtsnormen setzt, sondern gerade auch die geistlich-innere Formierung der Seele lenken möchte.61 Sonst aber gibt es im inhaltlichen Spektrum der anderen Regeln große Unterschiede  : Während bspw. die Pachomius-Regel fast nur organisationstechnische und disziplinarische Anweisungen gibt,62 liefert z. B. eine kurze, Columban zugeschriebene Regel aus dem 6. Jahrhundert viel über spirituelle, aber nur wenig über alltagspraktische Verhaltensnormen und nichts über Organisation oder Leitungshierarchie.63 Oder so handeln von zwölf Büchern der Instituta Cassians acht über Laster und deren Bekämpfung, nur beim kurzen Rest geht es um Kleidung, Gebetsübungen bei Nacht und bei Tag sowie ganz knapp über den Eigenbesitz und die Leitungsorgane.64 Spätere Regeln sind dann stofflich relativ umfassend, wenn auch mehr und mehr auf besondere proposita zugeschnitten. So haben bspw. im 12. Jahrhundert die Regula beati Stephani den Schwerpunkt auf die paupertas,65 die Regel der Camaldulenser auf die Einsamkeit gelegt.66 – Eines aber haben alle Regeln gemeinsam  : der Text will diejenigen normativen Verhaltensstrukturen sichern, die als die grundlegenden Elemente der jeweils zu entwerfenden forma vitae religiosae angesehen werden. ›Consuetudines‹ können im weitesten Umfang vorrangig Interaktionen und Lebenspraktiken, Formen also des gemeinsamen Gebetes und der Liturgie, der Kleidung, der Essensweisen, des Zeitrhythmus usw., behandeln, aber auch auf das organisatorische System der Ämter, der Nachwuchsrekrutierung (bspw. auf die Abtswahl, die Oblaten oder Novizen usw.) und der Durchsetzung von Disziplin eingehen. Als Veranschaulichungsmodell für diesen Typ könnte man die

60 Regula Benedicti, ed. Salzburger Äbtekonferenz, passim. Eine historisch-systematische Einordnung dieses Spektrums bei Melville, Diversa sunt monasteria. 61 Vgl. zu diesen beiden Aspekten de Vogüé, Règle, Bd. 7 und Jacobs, Rechtsbuch. Zum RegelText Benedikts siehe auch Felten, Herrschaft, 161ff. 62 Vgl. Bacht, Antonius und Pachomius, 210–218  ; Rousseau, Pachomius. 63 Text in Councils, ed. Haddan / Stubbs, Bd. 2/1, 119–121. 64 Institutions cénobitiques, ed. Guy. Vgl. dazu Summa, Geistliche Unterscheidung  ; Stewart, Cassian und Driver, John Cassian. 65 Vgl. Pellistrandi, Pauvreté  ; Becquet, La règle de Grandmont und Melville, In solitudine. 66 Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 286–309  ; vgl. auch den Kommentar zu dieser Regel in  : ebd., 77ff. und auch Licciardello, Ricerche sui Rodolfo.

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cluniazensischen Consuetudines von Bernhard und von Ulrich anführen.67 Bei zahlreichen Consuetudines-Texten wurde wiederum der Schwerpunkt auf die Kompetenzen der Klosterämter gesetzt, wie es bspw. im Ordo de ­Oboedientiis der consuetudines aus Fruttuaria68 oder im Libellus Consuetudinarius von Fleury69 der Fall war. Andere Consuetudines-Texte wie z. B. die sog. Consuetu­ di­nes antiquiores70 Clunys (um 990) beschränken sich hingegen ganz auf die liturgischen Aktivitäten, wobei aber eine später davon abgeleitete Form für Vallombrosa dann doch zusätzlich die Thematik der infantes und infirmi aufgenommen hat.71 Solcherart Mischformen wie in Vallombrosa, aber auch komplementäre Bücher aus beiden Bereichen innerhalb eines umfassenderen Corpus waren häufig.72 Was indes in den Texten prinzipiell fehlt, sind Aspekte sowohl des innerlich/seelischen Umgangs mit Tugenden und Lastern als auch allgemein der Ausformungen von Spiritualität. ›Statuten‹ gehen thematisch grundsätzlich auf alle Bereiche ein. Sie haben allerdings vorwiegend einen beträchtlichen Schwerpunkt in den Organisa­ tionsstrukturen und im Disziplinarischen sowie mit einem gewissen Umfang auch im Bereich der alltäglichen Interaktionen  ; sehr viel weniger allerdings – es sei denn, sie sind darauf spezialisiert  – beziehen sie sich auf Liturgisches und Spirituelles.73 Zur Veranschaulichung des zumeist sehr rational durchgeführten textlichen Aufbaus sei exemplarisch auf Humbert de Romanis, Generalmagister der Dominikaner, verwiesen, der über die Konstitutionen seines Ordens einen ausführlichen Kommentar verfaßte und dort an einer Stelle eine sehr reflektierte Inhaltsstruktur aufgezeigt hat. Diese verglich er zudem noch 67 Bernardi Ordo Cluniacensis und Ulrich von Cluny, Udalrici Consuetudines Cluniacenses. Vgl. dazu Hallinger, Klunys Bräuche  ; Iogna-Prat, Coutumes et Statuts  ; Wollasch, Verschriftlichung  ; Tutsch, Texttradition und Praxis  ; ders., Studien zur Rezeptionsgeschichte  ; Melville, Handlung, Text und Geltung  ; vgl. auch den Beitrag von S. Barret, Regula, in diesem Band sowie in Kürze den von Boynton und Cochelin herausgegebenen Sammelband (wie Anm. 23). 68 Consuetudines Fructuarienses, ed. Albers. Vgl. dazu Penco, Les Consuetudines Fructuarien­ ses  ; vgl. auch Lucioni, L’evoluzione  ; vgl. auch den Beitrag von A. Lucioni, Il processo di formazione delle consuetudini fruttuariensi, in diesem Band. 69 Consuetudines Floriacenses, ed. Davril / Donnat, 9–33. Diesem Text folgt dann unmittelbar ein Libellus alter  : De consuetudine diurnali et nocturnali. 70 Cluniacensium antiquiorum redactiones principales, ed. Hallinger / Wegener / Elvert. 71 Redactio Vallombrosana, ed. Vasaturo. 72 Hallinger, Consuetudo, 148, schlug daher die Typologie von drei Gruppen vor  : »die rein liturgischen, die organisatorischen Texte und die Mischtexte«. Vgl. zu den inhaltlichen Typen der Consuetudines-Texte jetzt auch Vauchez / Caby, L’histoire des moines, 76f. 73 Zum inhaltlichen Aufbau von Statuten einiger Orden vgl. Melville, Schriftlichkeit, 398ff.

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mit jener der textlichen Vorlage  : Es sei zu wissen, sagt er, daß sich die prämonstratensischen constitutiones, de quibus eductae sunt constitutiones nostrae, in vier Abschnitte aufteilen, diejenigen seines Ordens aber nur in zwei. Der Grund dafür liege darin, daß die Prämonstratenser viel mehr anzuordnen hätten – wie etwa Mannigfaches über Besitzungen, über welche im Gegensatz dazu die Dominikaner eben gar nicht verfügten. Zu wissen sei ferner – so fuhr er fort –, daß die beiden dominikanischen distinctiones sich insofern voneinander unterschieden, als die erste über das handele, quae pertinent ad vitam fratrum, und die zweite über das, quae pertinent ad officia et regimen Ordinis.74

3. Wer kann Regeln, Consuetudines-Texte, Statuten verändern bzw. derogieren  ? Eine ›Regel‹ war im Prinzip nicht mehr veränderbar – sie stellte einen unveränderlichen Basistext dar. Sie konnte allerdings verknüpft werden mit Teilen anderer Regeln zu einem neuen Basistext. Man denke etwa an das Phänomen der sog. Mischregeln75 insbesondere vor der Vereinheitlichungsinitiative Benedikts von Aniane.76 Allmählich bildete sich so etwas heraus wie der Gedanke von der gleichsam heiligen und deshalb unantastbaren Regel – die allerdings prinzipiell kommentierbar und insbesondere durch Praktiken, welche in Form von Consuetudines-Texten wiederum verschriftet werden konnten, bzw. durch statutarische Rechtsfortschreibung interpretierbar, spezifizierbar und ergänzbar war.77 74 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 67. 75 Dabei handelte es sich vor allem um eine Verknüpfung der Benedikts- und der Columbanregel, möglich aber waren auch wesentlich breiter angelegte Verbindungen, wie z. B. von Philibert von Jumièges berichtet wird, der im 7. Jahrhundert systematisch Klöster in der Francia, in Burgund, Südgallien und Italien bereiste, um deren Ordnungen zu studieren, und der dann eine Mischregel schuf, die sich neben Benedikt und Columban auch auf Basilius und Macarius stützte  ; siehe dazu die Vita Filiberti, ed. Levison. Vgl. den kurzen Überblick über die Mischregeln bei Lawrence, Medieval Monasticism, 50ff.; zu den historischen Hintergründen vgl. Prinz, Frühes Mönchtum. Vgl. jetzt auch die analytisch recht tiefgreifende Abhandlung von Diem, Regula Columbani. 76 Vgl. Semmler, Benedictus II. Vgl. auch Zelzer, Von Benedikt zu Hildemar. 77 Zu dem für ›göttlich-inspiriert‹ gehaltenen Ursprung z. B. der Pachomius-Regel vgl. Bacht, Antonius und Pachomius, 212. – Zu den Kommentierungen vgl. bspw. Creytens, Les commentateurs dominicains. Dabei muß hervorgehoben werden, daß jedoch z. B. Franziskus eine Kommentierung seiner Regel, weil direkt von Christus empfangen, strikt unterbinden wollte  : Et volo quod Regula sic observetur ad litteram, ad litteram, ad litteram, et sine glossa, et sine glossa, et sine glossa (Compilatio Assisiensis, ed. Menestò / Brufani, 1495f.). Dem geschah

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›Consuetudines-Texte‹ konnten im strikten Sinne ebenfalls nicht verändert werden, da sie prinzipiell bereits im Gebrauch Befindliches aufzeichnen. Ungeachtet dessen aber wandelte sich selbst das im Gebrauch Befindliche fortwährend aufgrund veränderter externer wie interner Strukturen der jeweiligen religiösen Gemeinschaft. Dem paßten sich gewöhnlich auch die Aufzeichnungen über die Gebräuche an. Am luzidesten hat diesen Sachverhalt wohl Lanfranc eingangs seines hier bereits erwähnten Consuetudines-Textes reflektiert. Er lieferte ein Plädoyer für ein flexibles Nachzeichnen gewandelter Verhältnisse, indem er seine eigenen Modifikationen der textlichen Überlieferung mit folgenden Worten rechtfertigt  :78 In quibus nec nobis qui presentes sumus, nec iis qui post nos uenturi sunt, in aliquo pre­ iudicamus, ut non uel eis addere, uel ab eis tollere, uel in eis permutare aliqua ualeamus, si aliter ea commodius posse fieri uel magistra ratione uel doctiorum auctoritate intelliga­ mus. Quantumlibet enim quisquam proficiat, maximus ei defectus est existimare se ultra non posse proficere  ; nam numerus fratrum auctus uel diminutus, facultates locorum, uarietates rerum que sepe eueniunt, diuersitates sensuum, quod alii quidem sic et alii sic intelligunt, pleraque diu seruata plerumque aliter ordinari compellunt.

Deswegen kommt er aber auch zum Schluß, daß Gebräuche letztlich nicht eins zu eins auf andere Gemeinschaften zu übertragen sind  : hinc est quod nulla fere ecclesia imitari aliam per omnia potest. Abänderungen von Consuetudines-Texten können aber auch dann erfolgen, wenn sie – von anderen Gemeinschaften (durchaus auch des eigenen Verbandes) kommend – als Vorlagen dienen und dann den spezifischen Verhältnissen oder Intentionen der rezipierenden Gemeinschaft angeglichen werden müssen. indes nach dem Tod des Ordensgründers bekanntlich nicht so  ; zu den nachfolgenden Regelkommentaren vgl. Feld, Franziskus, 455ff. Zum anderen wurde selbst Franziskus verwehrt, nachträglich eine Bestimmung in seine vom Papst approbierte Regel einzuführen, wie Thomas von Celano berichtet  : […] hoc sane verbum voluit in Regula ponere, sed bullatio facta praeclusit  ; Thomas von Celano, Vita secunda sancti Francisci, 612. – Hinzuweisen ist auf den kurialen Gebrauch, alle normativen Strukturen, die eine religiösen Gemeinschaft jenseits der Regel herausgebildet hat, mit institutio(nes) zu bezeichnen und gerade darin das entscheidende Differenzierungsmoment gegenüber anderen Gemeinschaften zu sehen, z. B.: Ordinem quo­ que, et propositum vestrum canonice vivendi secundum Beati Augustini regulam, et institutionem Praemonstratensis Ecclesiae, nullus audeat immutare, vel super vos ordinem alterius professionis inducere (Privileg Innocenz’ II. für Floreffe vom 21. Dezember 1138, in  : PL 179, 381–382  ; JL 7924)  ; vgl. dazu Dubois, Les ordres religieux. 78 Zum Folgenden vgl. Monastic Constitutions of Lanfranc, ed. Knowles / Brooke, 2.

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Um zur Illustrierung nur ein sehr signifikantes Beispiel anzuführen  :79 Die Gewohnheiten Hirsaus wurden zu Anfang des 12. Jahrhunderts im Michaelskloster zu Bamberg eingeführt. Die entsprechende Handschrift war in Hirsau selbst geschrieben worden. Am Zielort wurde sie dann mittels Rasuren, die durchaus System besaßen, kräftig bearbeitet. Sie bezogen sich vor allem auf Kommunikations- und Verhaltensformen wie Umgang mit Frauen, Züchtigungen oder Badepraktiken. Zudem wurde noch ein Abschnitt über das Oblatenwesen, das vom Hirsauer Abt abgelehnt worden war, angefügt.80 ›Statuten‹ hingegen können durch diejenigen Instanzen, die sie gesatzt haben, willkürlich verändert, derogiert, ergänzt oder neu geschrieben werden.81 Die Kartäuser z. B. praktizierten hierbei die Technik der kontinuierlich additiven Ergänzung, indem sie neue, aus dem Generalkapitel hervorgegangene Statutenwerke stets an bereits vorhandene Kodifikationen anreihten und somit ein sich stets erweiterndes Corpus in geschlossener Buchform schufen.82 Am besten ausgebaut aber ist das Novellierungsverfahren des Rechts bei den Dominikanern  : Schon seit dem 13. Jahrhundert hatten sie ihren constituciones die Struktur eines festen thematischen Rasters gegeben, innerhalb dessen aber der Text über den Weg von drei hintereinander folgenden Lesungen auf den Generalkapiteln laufend modifiziert wurde.83 Zeitgleich beschritten die Cisterzienser einen anderen, kaum weniger effizienten Weg kodifizierender Rechtsfortschreibung. Nachdem sie im Jahre 1202 in einem Libellus definitionum die wichtigsten Satzungen ihres Generalkapitels  – aufgeteilt in 15 thematische Distinktionen – zusammengestellt hatten,84 wurde bereits im Jahre 1216 wieder eine Kommission gebildet, die eine erneute retractatio, compilatio und ordinatio der Definitionensammlung durchzuführen hatte und das Ergebnis 1220 auch tatsächlich in Form eines neuen libellus vorlegte. In den Jahren 1237, 1257 und 1288/89 folgten drei weitere solcher Zusammenstellungen, so daß insgesamt während des 13. Jahrhunderts im bemerkenswert knappen Abstand 79 Vgl. zudem auch oben bei Anm. 43. 80 Vgl. zu diesen und ähnlichen Vorgängen ausführlich Schreiner, Verschriftlichung, 44f. Zahlreiche weitere Fälle aus dem cluniazensischen Bereich bei Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte. 81 Vgl. dazu den Überblick bei Cygler, Ausformung. 82 Vgl. Cygler, Vom ›Wort‹ Brunos zum gesatzten Recht. 83 Vgl. Galbraith, Constitution, 89ff.; Gauthier, Le pouvoir législatif, 296ff.; zu exemplarischen Abläufen des Verfahrens Melville, Fiat secretum scructinium und ders., Rechtsordnung. 84 La codification cistercienne de 1202, ed. Lucet.

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von durchschnittlich nur 21 Jahren eine kodifikatorische Aktualisierung der Rechtsmaterie vorgenommen worden ist.85 An der formalen Einteilung hatte sich seit 1202 nichts mehr geändert  ; inhaltlich aber spiegelten die Sammlungen recht gut die teilweise beträchtlichen Umformungen des normativen Gefüges wider. Das kodifikatorische System war flexibel genug, um neu aufgetretene Sachverhalte integrieren zu können. So hatte man etwa in den Zusammenstellungen von 1202 und 1220 die letzte der Distinktionen thematisch noch offen gelassen und als Sammelbecken für addenda benützt  ; ab 1237 widmete man diesen Abschnitt dann völlig den Regelungen de monialibus, nachdem hierzu ein akuter Klärungsbedarf entstanden war.86 So beweglich die Cisterzienser in der Verschriftlichung ihres sich weiterentwickelnden Rechtscorpus waren, hinsichtlich ihrer Carta caritatis wollten sie offensichtlich ein gegenteiliges Ziel erreichen  : Auch die Carta caritatis besteht ausschließlich aus gesatztem Recht und hat insoweit den Charakter von reinen Statuten. Nachdem aber ihre redaktionelle Erstellung abgeschlossen war, blieb sie (bis heute) unveränderlich wie eine Regel.87 Bezeichnenderweise spricht z. B. Franziskus so auch von drei sich grundsätzlich anbietenden Regeln  : der des Augustinus, der des Benediktus sowie der des Cisterziensers Bernardus.88

4. Wie verhält es sich mit dem Bezug zwischen einerseits Regel, ConsuetudinesTexten, Statuten und andererseits religiösen Verbänden, Orden, Klöstern  ? ›Regeln‹ bezogen sich natürlich ursprünglich nicht auf die Organisationsform von Orden, da es eine solche erst seit dem 12. Jahrhundert gab, sondern auf Einzelklöster und evtl. deren abhängige Häuser. Dadurch waren Regeln zunächst immer (wie gezeigt auch in vermischter Form) von anderen Klöstern oder Klosterverbänden übernehmbar. Ein gutes Beispiel ist die ›Benediktinisierung‹ einzelner, völlig unabhängiger Klöster unter Kaiser Ludwig dem Frommen, ohne daß es dabei zu einem als Verband institutionalisierten Zusammenschluß kam.89 Ein signifikanter Fall ist auch der Übergang der eremitischen, 85 Vgl. dazu den Überblick von Lefèvre / Lucet, Les codifications cisterciennes  ; Lucet, L’ère. 86 Der Text der neugefaßten 15. Distinktion in  : Les codifications cisterciennes de 1237 et de 1257, ed. Lucet, 348–357. Vgl. zum cisterziensischen Disput um die cura monalia auch Felten, Zisterzienserinnen und ders., Der Zisterzienserorden und die Frauen. 87 Dazu jetzt Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 261ff. u. 371ff. 88 Vgl. Speculum perfectionis, ed. Sabatier, 1961. 89 Vgl. Semmler, Benediktinische Reform.

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von charismatischer Führung bestimmten Klostergruppe Stephans von Obazine zur vita monastica benediktinischer Obödienz.90 Und das 4. Laterankonzil verlangte bekanntlich sogar die Unterstellung von neuen Verbänden unter eine der approbierten Regeln,91 wobei die Augustinusregel sich recht rasch zu einer Art ›Joker‹ entwickelte, da sie sich aufgrund ihrer normativen Offenheit gut mit den verschiedensten proposita verknüpfen ließ.92 Etwa ab dem 12. Jahrhundert wurden dann allerdings – wie hier schon angedeutet – nur noch Regeln verfaßt, die funktional allein auf einen bestimmten Orden bzw. auf ein definiertes propositum zugeschnitten waren und von daher nicht mehr von anderen Gemeinschaften adaptiert werden konnten – so z. B. die Regel der Grandmontenser, die Regel der Camaldulenser, die Franziskusregel, die Birgittenregel und andere mehr.93 So wurde bspw. in den Regeln der Grandmontenser und der Camaldulenser ausdrücklich auch auf den jeweiligen Gründer bzw. auf eine spezifische Gründungsgeschichte und die daraus resultierende, verbindliche forma vitae Bezug genommen.94 ›Consuetudines-Texte‹ waren  – wie hier bereits skizziert  – übertragbar und rezipierbar in verschiedenen Klöstern oder Klosterverbänden, ohne daß dies als Folge eine rechtliche Abhängigkeit hätte bedeuten müssen. Joachim Wollasch hebt zu dem wohl signifikantesten Fall richtig hervor  : »Es entstan90 Zuerst gemäß der institutiones des benediktinischen Nachbarklosters Dalon, dann durch Aufnahme in den Cisterzienserorden  ; vgl. Barrière, L’Abbaye. 91 Siehe Maccarrone, Costituzioni. 92 Dazu jetzt der Sammelband Melville / Müller, Regula Sancti Augustini. Bezogen auf seinen Predigerorden beurteilt z. B. Humbert de Romanis im Regelkommentar diese Struktur folgendermaßen  : Item, in statuendo novum ordinem praedicatorum oportuit aliqua nova condere statuta circa studium, paupertatem et hujusmodi, quae adderentur super regulam eorum. Oportuit ergo talem eligere regulam quae non haberet aliqua quae contrariarentur hujusmodi statuendis, sed talis esset cui hujusmodi convenienter superadderentur et aptentur  : talis autem est regula beati Au­ gustini. Cum enim pauca contineat, nisi spiritualia quaedam et quae ratio dictat mandata, quod non invenitur in aliis regulis, convenienter possunt ei apponi statuta omnia pertinentia ad statum praedicationis  ; Humbert de Romanis, Expositio regulae beati Augustini, 50f. 93 Die Editionen in der zitierten Reihenfolge  : Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet  ; Liber heremitice regule, ed. Vedovato  ; Opuscula, ed. Esser  ; Regula salvatoris, ed. Eklund. 94 Bei den Grandmontensern heißt es am Schluß  : Explicit Regula uenerabilis uiri Stephani Mure­ tensis heremitae sanctissimi, primi patris ordinis Grandimontis, ab eodem et ab omnibus successo­ ribus suis usque in hodiernum diem Deo annuente, confirmata  ; Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 99. Bei den Camaldulensern wird nach einer Reihe von exempla für den Nutzen der vita eremitica ausdrücklich auf das exemplum des Gründers Romuald eingegangen, dem der Abschnitt Qualiter heremus Camalduli facta sit folgt, Liber heremitice regule, ed. Vedovato, 290.

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den ›Cluniacenserklöster‹, die es nicht kraft rechtlicher Zugehörigkeit zur Cluniacensis ecclesia, sondern weil sie, kürzer oder länger, nach dem Vorbild des ordo Cluniacensis lebten, geworden sind.« 95 Aber wesentlich strikter als eine Regel waren consuetudines zunächst immer an eine bestimmte religiöse Gemeinschaft gebunden – nämlich an die, in der sie entwickelt und praktiziert wurden. Und im Gegensatz zur Regel konnte es innerhalb eines Verbandes durchaus voneinander abweichende Gebräuche geben,96 wenngleich Aufzeichnung und gezielte Verbreitung von Consuetudines-Texten gerade auch der Vereinheitlichung klösterlicher Lebensformen dienen konnten und sollten und sie zu diesem Zweck Gemeinschaften sogar aufoktroyiert wurden.97 Hierfür sind sicherlich besonders illustrative Beispiele jene im Zuge der Reichseinheitspolitik Ludwig des Frommen niedergelegten Reformtexte Benedikts von Aniane (in dessen Vita es hieß  : Cunctaque monasteria ita ad formam unitatis redacta sunt, acsi ab uno magistro et in uno imbuerentur loco. Uniformis mensura in potu, in cibo, in vigiliis, in modulationibus cunctis observanda est tradita98) und die Regularis concordia Anglicae nationis von circa 972, bei der es ebenfalls aus vornehmlich politischen Gründen um die conuersatio ging, morum consuaetudines communi palam custodire.99 ›Statuten‹ waren prinzipiell nicht übertragbar  ; sie bedeuteten juristisch gesehen ein entscheidendes Identitätsmerkmal einer religiösen Gemeinschaft, da sie von dieser Gemeinschaft selbst geschaffen worden waren, um dort und nur dort rechtskräftig zu gelten. So hieß es etwa in den Prämonstratenser-Statuten aus der Mitte des 12. Jahrhunderts programmatisch  : Ea propter, ut paci et unitati tocius Ordinis provideremus, librum istum, quem librum consuetudinum vocamus,

95 Wollasch, Mönchtum, 157. So ist es z. B. auch sehr bemerkenswert, daß in der monastischen Diskussion des 12. Jahrhunderts um die bessere forma vitae das alte Mönchtum gegenüber dem neuen cisterziensischem oftmals ganz pauschal als ›cluniazensisch‹ bezeichnet werden konnte, ohne daß dabei cluniazensische Gemeinschaften im rechtlichen Sinne angesprochen waren  ; vgl. etwa den Dialogus duorum monachorum, ed Huygens. Vgl. dazu Bredero, Dialogus duorum monachorum. 96 Vgl. dazu schon oben bei Anm. 80. 97 Vgl. dazu noch unten bei Anm. 126. 98 Vita Benedicti abbatis Anianensis, ed. Waitz, 215. Vgl. dazu Semmler, Benedictus II.; ders., Benediktinische Reform, und Angenendt, Kloster, 34f. Zu analogen, indes mit großen Widerständen verbundenen Vereinheitlichungsbestrebungen innerhalb des Verbandes der Cluniacensis ecclesia vgl. Tutsch, Texttradition und Praxis, 191ff. 99 Regularis concordia Anglicae nationis, ed. Symons / Spath / Wegener / Hallinger, 73. Vgl. dazu Robinson, Times  ; Ramsay / Sparks / Tatton-Brown (Hgg.), St Dunstan.

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diligenter conscipsimus.100 Oder so galten bspw. die Statuten Clunys nur in den rechtlich verbundenen Häusern Clunys101 – ganz anders also als noch bei den consuetudines.102 Innerhalb eines Verbandes hatten die Statuten in allen Häusern zu gelten, denn schon in der Carta caritatis103 war normative Gleichheit in allen Lebensbereichen das entscheidende Motto – es sei denn, daß eine Ausnahme aus zwingenden Gründen notwendig und sie als solche gekennzeichnet war, wie z. B. bei den cluniazensischen Statuten für England aus dem Jahre 1277.104 Übernahmen dennoch Gemeinschaften partiell (wie etwa die Dominikaner105) oder vollständig Statuten einer anderen Gemeinschaft, so mußten diese bei den Übernehmenden erneut in Kraft gesetzt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Übernahme der cisterziensischen Carta caritatis durch den Verband von Chalais.106 Allerdings vollzog sich normalerweise mit der Übernahme der Statuten zugleich der Eintritt in den betreffenden Ordensverband der Regel – z. B. der Eintritt des Klosterverbandes von Savigny 1147 in den Cisterzienserorden.107

5. Wie ist es um die (systematische und historische) Beziehung zwischen Regeln, Consuetudines-Texten und Statuten bestellt  ? Wenn die ›Regel‹ prinzipiell als eine spezifizierende Interpretation des Evangeliums (insbesondere der sog. ›Evangelischen Räte‹108 und einschließlich der 100 Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1. Zum hier verwendeten Begriff Liber consuetudinum vgl. schon oben bei Anm. 25. 101 Dazu z. B. den Statutenprolog des Petrus Venerabilis, wo es eingangs mit ausdrücklicher Kennzeichnung des Entstehungsortes heißt  : Quoniam res gestas, et maxime religiosas memorie com­ mendare semper utile est, visum est mihi ut ea que in Cluniacensibus institutis a viginti quatuor annis, hoc est ex quo officium pastorale indignus suscepi, mutata, aucta et dempta sunt, scriptura mediante, ad modernorum et posterorum notitiam transmittam  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 21. 102 Dazu schon ausführlicher Melville, Handlung, Text und Geltung. 103 In hoc ergo decreto hinterließen die Schöpfer der Carta – hieß es, die universell gleichförmige Geltung ihrer Festlegungen unterstreichend – quo pacto, quoue modo, immo qua caritate mo­ nachi eorum, per abbatias in diuersis mundi partibus corporibus diuisi, animis indissolubiliter conglutinarentur  ; Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 274. 104 Charvin, Statuts, Bd. 1, 66–68. 105 Die Einleitungspassagen des Prologs stammen aus prämonstratensischen Statuten  ; vgl. De ­oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 311. Vgl. ders., Les constitutions dominicains. 106 Vgl. van Damme, La charte de charité de Chalais. 107 Dimier, Savigny. 108 Dazu Goffredus da Trani (Kanonist aus dem 13. Jahrhundert) in seiner Summa super titulis decre­

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Acta Apostolorum109) verstanden werden kann,110 dann sind ›consuetudines‹ Ergänzungen und stützende Interpretationen der Regel111 oder  – falls eine Regel nicht vorhanden ist  – gewissermaßen wiederum des Evangeliums (dann stehen consuetudines an Stelle der Regel, wie es bspw. bei den Kartäusern der Fall war112). Deswegen erklärt sich bekanntlich der Ruf nach der Observanz der reinen Regel – nach einem Leben gemäß der puritas regulae –, wie er etwa bei den Cisterziensern laut wurde in dezidierter Abhebung vom consuetudinesbestimmten Lebensstil der Cluniazenser.113 ›Statuten‹ sind keine Ergänzung oder Interpretation von consuetudines, sondern gewissermaßen ›Ausführungsbestimmungen‹ zur Regel (falls eine solche vorhanden  ; ansonsten treten die Statuten gleichsam an die Stelle der Regel – wie etwa beim Verband von Fontevraud).114 Um das entsprechende Prinzip mit talium  : Monachi et canonici regulares conueniunt inter se in his quae sunt substantialia religionis, vt in abdicatione proprietatis, obedientia et continentia  ; Goffredus da Trani, Summa, fol. 155r. An anderer Stelle definiert er ähnlich  : Regulares sunt qui ad viuendum regulariter se astringunt, siue sint monachi siue canonici regulares […] Tria profiteri debet regularis obedientiam, castitatis custodiam, abdicationem proprietatis. Hec enim sunt substantialia vite regularis […] ebd., fol 149v. Analog auch der zeitgleiche Kanonist Bernardus de Botone  : Nota quod eadem est substantia religionis apud omnes religiosos, sed in qualitatibus differunt (Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 142v, ad X 3.31.20 Consulti). – Zur Bewertung der ›Evangelischen Räte‹ im kanonischen Recht vgl. Melville, Recht der Religiosen, 172–175  ; vgl. zum theologischen Kontext Angenendt, Religiosität, 555ff. Dazu die besonders aussagekräftigen, um die Mitte des 12. Jahrhunderts formulierten Passagen in der Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66f. 109 Zur Bedeutung eines Rückgriffes auf urkirchliche Formen vgl. Miccoli, Ecclesiae primitivae forma  ; zu einem anschaulichen Beispiel aus dem Bereich der Regularkanoniker vgl. Weinfurter, Vita canonica  ; zu einer sehr signifikanten prämonstratensischen Bezugnahme vgl. Bomm, Anselm von Havelberg, 145f. 110 Auf eine solch fundamentale Position verwies z. B. Jacques de Vitry anläßlich der Einführung der Minoriten  : Predictis tribus eremitarum, monachorum et canonicorum religionibus, ut regu­ lariter uiuentium quadratura fundamenti in soliditate sua firma subsisteret, addidit eis dominus in diebus istis quartam religionis institutionem, ordinis decorem et regule sanctitatem  ; Jacques de Vitry, Historia Occidentalis, 158. 111 So schon Hallinger, Consuetudo, 143, der eine die Regel interpretierende, modifizierende und absichernde Funktion von consuetudines hervorhebt. 112 Dazu noch unten. 113 Vgl. Schindele, Rectitudo  ; Schreiner, Puritas Regulae. Zur Kontroverse mit Cluny siehe Bredero, Cluny et Citeaux  : les origines de la controverse. 114 Zur bezeichnenden Position der Statuten in der Hierarchie der Rechtsquellen vgl. die Feststellung Humberts de Romanis  : Sunt enim Dei mandata maxima  ; sed Ecclesiae mandata, sive summorum Pontificum, parva in respectu ad illa  ; minora patrum instituentium regulas, ut Au­ gustini, Benedicti, et similium  ; sed minora mandata sequentium eos, constitutiones condentium  ; Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 16.

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einem exemplarischen Zitat aus den Statuten des Petrus Venerabilis, welche dieser ausdrücklich als juxta regule preceptum115 verfaßt hatte, zu veranschaulichen  : Statutum est, ut exceptis infirmis et omnino debilibus carnibus nullus vescatur. Causa instituti hujus fuit ipsa Regule authoritas in qua hoc idem precipitur  ; et ne sanus et inte­ gris viribus monachus carnem comedat prohibetur. Insuper etiam quia nulla rationabilis causa mutandi hujus capituli inveniri poterat, sicut in quibusdam aliis ejusdem Regule olim mutatis capitulis a patribus inventa est.116

Freilich kann dabei der Abstand zur Regel auch überaus groß werden, so daß es manchmal gewisser Anstrengungen bedarf, um angesichts der normativen Stärke von Statuten den basalen Charakter der Regel wieder in Erinnerung zu rufen – wie es etwa bei den Dominikanern von Humbert de Romanis durch Abfassung eines Regelkommentars unternommen wurde, in welchem unter anderem aufgezeigt werden sollte, quomodo mores Fratrum Praedicatorum ex re­ gula sunt educti, et alia quaedam quae legere volentes fratres aedificare poterunt in multis.117 Bemerkenswerterweise erfuhr der Inhalt von Statuten – ganz im Gegensatz zu dem der consuetudines – keinen kritischen Ruf nach puritas regulae, wie es der Fall der Cisterzienser selbst recht gut zeigt, da diese trotz ihres propo­ situm einer reinen Regelbefolgung das große Satzungswerk der Carta caritatis auf den Weg gebracht und diesem wie einer Regel textliche Unveränderbarkeit mitgegeben hatten.118

6. Wo ist bei Regeln, Consuetudines-Texten, Statuten die normative Geltung verankert  ? Alle drei Formen – die Regeln, die Consuetudines-Texte und die Statuten – vermitteln, transportieren und speichern Normen. Auf der Ebene also des reinen 115 Charvin, Statuts, Bd. 1, 22. 116 Ebd., S. 25. 117 Humbert de Romanis, Expositio regulae beati Augustini, 43. Vgl. dazu Cygler / Melville, Augustinusregel. 118 So hieß es denn auch zum additiven Charakter der Carta caritatis in der Bestätigungsbulle Calixts II.: quaedam de observatione Regulae beati Benedicti et de aliis nonnullis quae Ordinis vestro et loco necessaria videbantur capitula statuistis  ; Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 451. Vgl. schon oben bei Anm. 87.

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Umgangs mit Normativem gibt es noch kein Kriterium der Unterscheidung, sehr wohl aber im Sitz der ›Geltung‹ des Normativen.119 Die ›Regel‹ schafft den in ihr niedergeschriebenen Normen eine prospektive Geltung. Diese liegt somit im Text der Regel selbst begründet.120 Dabei ist die Regel eine Satzung von besonderer fundierender Qualität. Sie schafft Geltungsinhalte, die – wie hier bereits skizziert – als unveränderlich, allenfalls als interpretierbar angesehen werden. In dieser Hinsicht steht sie systematisch (aber natürlich nicht hierarchisch121) auf der gleichen Ebene wie das Evangelium – was dazu führen kann, daß ein Regel-Text gleichsam als ›heilig‹ angesehen wird.122 Die Texte der consuetudines waren hingegen selbst nicht Träger der Geltung von Normen. Sie produzierten oder reproduzierten auch keine Geltung. Der Wortlaut selbst besaß keine rechtliche Verbindlichkeit, denn die ConsuetudinesTexte speicherten Normen und transportierten sie nur. Die Geltung der Normen lag ihnen bereits vorgeordnet in jenem Bereich von Handlungen, welche sich in kontinuierlicher Wiederholung vollzogen hatten und immer noch vollzogen. Geltung von Handlungsnormen entstand, weil gemäß diesen tatsäch-

119 Unter ›Geltung‹ wird hier im Weber’schen Sinne (Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 16f.) eine verbindliche »Befolgungsvorgabe« verstanden, die durchaus auch verletzt werden kann, ohne daß ihre Verbindlichkeit geschmälert wird. ›Geltung‹ ist demnach nicht generell gleichzusetzen mit tatsächlicher Befolgung von Normen. Dabei schränkt Max Weber allerdings ein  : »Wenn freilich Umgehung oder Verletzung des (durchschnittlich geglaubten) Sinns einer Ordnung zur Regel geworden sind, so ›gilt‹ die Ordnung eben nur noch begrenzt oder schließlich gar nicht mehr« (ebd., S. 17). Er spricht damit – wie er sagt – eine entscheidende Divergenz zwischen der soziologischen und der juristischen Sicht an. Deren Spannungsfeld kann aber gerade hier im Bereich der vita religiosa zu fruchtbaren Einsichten führen, wo einerseits eingelebte Ordnungen und andererseits prospektiv zu schaffende Ordnungen verglichen werden  : Eingelebte Ordnungen von Interaktions­gemeinschaften gelten in der Tat so lange, wie sie befolgt werden, bzw. so lange, wie der Anspruch auf ihre Befolgung seitens der Führungsinstanzen erhoben wird. Die Normen positiver Rechtsordnungen gelten unabhängig von ihrer Befolgung so lange, bis sie ausdrücklich derogiert werden. Vgl. zum institutionellen Problem der Durchsetzung geltenden Rechts Landau, Durchsetzung neuen Rechts. 120 Deswegen ergibt sich in letzter Konsequenz das Gebot der absolut wörtlichen Befolgung, wie sie schon von den Cisterziensern mit ihrem Ruf nach puritas regulae angesprochen (siehe oben bei Anm. 113) oder z. B. von Franziskus bezüglich seiner eigenen Regel rigide eingefordert worden war  : Et volo quod Regula sic observetur ad litteram, ad litteram, ad litteram […] (siehe oben Anm. 77). 121 Vgl. dazu oben bei Anm. 114. 122 Bei Franziskus konnte dies so weit gehen, daß er angab, seine Regel sei von Christus selbst verfaßt und er sei nur der Vermittler. Von daher sei auch der gesamte Inhalt wörtlich und und ohne Glossierung zu befolgen  ; vgl. Compilatio Assisiensis, ed. Menestò / Brufani, 1495f.

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lich fortwährend gehandelt wurde.123 Es galt, was man tat, weil man es immer schon tat. Man kann dabei die Qualität des Geltungstransportes (nicht der Geltung selbst  !) in Consuetudines-Texten differenzieren nach einer mehr »deskriptiven« und einer mehr »direktiven« Funktion,124 um den Unterschied zu verdeutlichen, der einerseits zwischen Consuetudines-Texten besteht, die z. B. ausschließlich zur Unterrichtung anderer, dem eigenem Verband nicht angehörigen Häusern dienen (etwa die consuetudines Ulrichs von Cluny für Hirsau125), und andererseits solchen, die einen verbindlichen Bestand an Gewohnheiten durch ihre Textlichkeit sichern und kontinuieren wollen (etwa die Springirsbacher/Klosterrather consuetudines aus den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts126). Von letztgenannter Funktion war der Schritt zu einer »normativen«,127 die einen vorhandenen Bestand zugleich auch verbindlich vorschrieb, natürlich nicht besonders groß – wie es bspw. bei der Regularis concordia Anglicae natio­ nis der Fall war.128 ›Statuten‹ bedeuten die schriftliche Niederlegung von Normen, welche von dem Moment ihrer Publikation an und prinzipiell unabhängig von Sachver123 Dazu schon Ysidori Hispalensis episcopi Etymologiarum, Bd. 1, lib V, cap. III.4–5  : Consue­ tudo autem est ius quoddam moribus institutum, quod pro lege suscipitur […] Vocata autem consuetudo, quia in communi est usu  ; so auch von Gratian, D. 1, 5 übernommen. – So konnte z. B. im Brief des Abtes Theodomar von Montecassino (am Ende des 8. Jahrhunderts) formuliert werden, man halte sich über die Vorschriften der Regel Benedikts hinaus an ea, quae per consuetudinem in nostro coenobio geruntur […] sicut a maioribus nostris utiliter instituta sunt  ; Theodomari abbatis Casinensis epistula ad Theodoricum gloriosum, 129, um der Behauptung des »immer schon« Gewicht zu verleihen. Der Rückgriff auf den mos maiorum hat antike Tradition  ; vgl. dazu Linke / Stemmler (Hgg.), Mos maiorum. Vgl. zu solchen Strukturen im Mittelalter allgemein Dilcher / Lück / Schulze / Wadle (Hgg.), Gewohnheitsrecht. 124 Eine solche Differenzierung (deskriptiv – direktiv – normativ) bei Vauchez / Caby (Hgg.), L’histoire des moines, 73  ; sie wird in Kürze von A. Davril in seinem bei Boynton / Cochelin (Hgg.), From Dead of Night, erscheinenden Aufsatz »Coutumiers directifs et coutumiers descriptifs« erneut expliziert [erschienen 2005]. Ich bedanke mich für die Einsicht in das Manuskript, die mir diesen wichtigen Aspekt vermittelte. 125 Siehe oben Anm. 67. 126 Consuetudines canonicorum regularium Springirsbacenses-Rodenses   ; vgl dazu auch S. Weinfurter, Salzburger Bistumsreform, 259ff. 127 Damit ist der dritte Bereich der bei Vauchez / Caby (Hgg.), L’histoire des moines, 73, vorgeschlagenen »classification« angesprochen, deren dort angefügte tabellarische Übersicht über dementsprechend zugeordnete Consuetudines-Texte mir jedoch keineswegs in allen ihren Teilen einleuchtet. 128 Siehe oben bei Anm. 99.

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halten der Vergangenheit in der Zukunft handlungsleitend sein sollten. Somit war der Text selbst der Träger einer prospektiven Geltung  ; sein Wortlaut war verbindlich. Die Normen der Statuten besaßen künftig Geltung, nicht weil nach ihnen bereits fortwährend gehandelt wurde, sondern deshalb, weil sie in einem promulgierten und für alle Mitglieder der Gemeinschaft als verbindlich erklärten Text von theoretisch unbegrenzter Fortdauer standen.129 Unter diesem Gesichtspunkt ist auch Texten, welche speziell die Praktiken des klösterlichen Alltags oder die liturgischen Usancen auf dem Wege originärer Satzung prospektiv festlegen, gleichfalls ein strikt statutarischer Charakter zuzuschreiben, da jene den normativen Verhaltensstrukturen überhaupt erst initiierend Geltung verschaffen. Darunter fallen dann z. B. Schriften der Cisterzienser wie etwa die Ecclesiastica officia130 oder der Usus conversorum131 – obgleich sie in der Forschung immer wieder als Consuetudines-Texte bezeichnet werden. Dies schließt aber auch gleichmaßen ein, daß selbst Consuetudines-Texte im engeren Sinne dann eine Funktion wie diejenige von Statuten annehmen konnten, wenn sie im Wortlaut (!) ihres Textes für die Zukunft als verbindlich erklärt wurden. Ein sehr illustratives Beispiel hierfür sind die Consuetudines Cartusiae, also die Gewohnheiten der Grande Chartreuse, welche Guigo I. auf Wunsch der Prioren seines Ordens zur Übernahme in deren Kartausen niedergeschrieben hatte.132 Dieser Consuetudines-Text hatte dann als Sockel für nachfolgende Statuten-Texte absolute Verbindlichkeit im Wortlaut gewonnen, sofern dieser nicht mit ausdrücklichem Willen der Gemeinschaft verändert wurde.133 *** 129 Es war konsequent, daß man das Vorhandensein solcher Texte und auch die Kenntnis seiner Inhalte jedem davon betroffenen Konvent vorschrieb, z. B. in den cluniazensischen Statuten von 1276  : Que statuta in singulis domibus conventualibus haberi praecipimus, et singulorum mensium kalendis, et quando visitatores nostri visitabunt inibi, distincte et intelligenter recitari, ne pretextu ignorantie ab eorum observatione se quisquam valeat excusare  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 61. 130 Ecclesiastica Officia, ed. Choisselet / Vernet. 131 Waddel (Hg.), Cistercian Lay Brothers. 132 Amicis et fratribus in christo dilectissimis, bernardo portarum, humberto sancti sulpicii, miloni maiorevi prioribus, et universis qui cum eis deo serviunt fratribus, cartusiae prior vocatus guigo, et qui secum sunt fratres, perpetuam in domino salutem. Carissimi ac reverentissimi nobis patris, hugonis gratianopolitani episcopi, cuius voluntati resistere fas non habemus, iussis et monitis obtemperantes, quod vestra non semel dilectio postulavit, consuetudines domus nostrae scriptas, memoriae mandare curamus, heißt es im Prolog, in  : Guiges Ier, Coutumes de Chartreuse, 156. 133 Guigo selbst läßt diese Möglichkeit offen  : Non tamen ita omnia, ut nichil omnino remanserit, putamus nos hoc scripto potuisse concludere. Sed facile si quid effugit, collocutione presenti poterit indicari  ; ebd., 288. Vgl. dazu Cygler, Ausformung, 22f. u. 29f.

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Die sechs gestellten und sich in manchem absichtlich überkreuzenden Fragen ergaben Antworten, die gewiß nur erste Positionen für eine Typologie des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter lieferten. Ein Auftakt nur sollte vorgelegt werden zu weiteren Überlegungen, die ihren Ausgang von diesen mehr oder weniger thesenhaften Feststellungen nehmen könnten, um dann anhand des komplexen Überlieferungsbestandes empirisch zu weiteren, zweifellos notwendigen Präzisierungen zu gelangen. Eine umfassende Typologie zu erstellen, erscheint mir gerade angesichts der Ergebnisse dieses Durchgangs als dringend erforderlich. Es dürfte deutlich geworden sein, daß es dabei nicht um simple Spiele mit klassifizierenden Begriffen geht, sondern um eine Differenzierung von grundlegenden normativen Strukturen, welche zur Erhellung des geschichtlichen Kerns der vita religiosa ganz wesentlich beitragen kann. Die Bandbreite nämlich, innerhalb der das mittelalterliche Religiosentum die Regulierung seiner gemeinschaftlichen Lebensformen auf sehr unterschiedliche Weise in Geltung setzte, läßt entscheidende Rückschlüsse auf die prinzipiellen Möglichkeiten zu, sich als organisatorisch-normative Verkörperung von religiös geleiteten Ordnungsvorstellungen zu entfalten. Jene Bandbreite verweist auf die Fähigkeit, durch spezifische Formierungen des Normativen institutionelle Bestände nicht nur zu tradieren und zu kontinuieren, sondern auch höchst flexibel mit ihnen umzugehen und sie rational offen zu disponieren. Vita religiosa zeigt sich ebenso eingebunden in axiomatische Codierungen wie auch frei gestaltbar – und es ist wohl so, daß sie beides braucht, auch wenn (oder gerade weil) dies fortwährende Spannungen erzeugt. Typologisierend zu arbeiten stellt also gerade hier einen in erster Linie analytischen Schritt dar (und so gesehen, hatten auch die sechs Fragen weniger eine klassifizierende als vielmehr eine analytische Aufgabe). Um dabei aber tatsächlich weiter voranzukommen, wird man sich zunächst gezwungen sehen, bestimmte herkömmliche Klassifikationsraster gänzlich über Bord zu werfen. Als erstes sollte man davon Abstand nehmen, Regeln, Consuetudines-Texte und Statuten als festgeformte Gattungen eines Kanons normativer Schriften zu verstehen. Hier sind nur idealtypisch orientierte Beobachtungen möglich, anhand derer sich  – wie eingangs hervorgehoben  – ›relative Annäherungen‹ des komplexen Überlieferungsbestandes feststellen lassen.134 Zwar gibt es für alle drei Bereiche recht eindeutig zuzuordnende Texte (wie z. B. die Benediktsregel, die cluniacensischen consuetudines Bernhards und die Konstitutionen 134 Vgl. oben bei Anm. 29.

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der Dominikaner), doch in den überwiegenden Fällen sind, wie sich zeigte, die Übergänge fließend bzw. es überschneidet sich vieles, was man zunächst glaubte eindeutig unterscheiden zu können  – ein Sachverhalt, auf den sich wohl auch die erwähnte Unschärfe der mittelalterlichen Bezeichnungspraktiken zurückführen läßt. Zweitens sollte man nicht allein nach Inhaltstypen oder nach Funktionen differenzieren, wie es bisher zumeist geschieht (z. B. gerade dann, wenn es um Regulierungen des klösterlichen Alltags geht und man bei Bezug auf die entsprechenden normativen Texte oft allzu rasch auf die Bezeichnung consuetudines zurückgreift, obgleich es sich um gesatztes Recht handelte). Zwar eröffnen sich unter diesem Aspekt gewisse Eigenheiten von Regel, von Consuetudines-Text und von Statutenwerk, aber prinzipiell vermochten auch hier Texte einer Gruppe inhaltlich wie funktional an die Stelle einer anderen zu treten. Statuten konnten z. B. fundierenden Charakter gewinnen wie Regeln, Regeln sich bspw. mischen wie consuetudines, consuetudines in die funktionale Qualität von Statuten erhoben werden. Das zentrale Unterscheidungskriterium, von dem man dann alles weitere spezifizierend ableiten kann, dürfte auf einer ganz anderen Ebene liegen. Es ist im Prinzip schon implizit angesprochen worden bei der sechsten und letzten Frage, bei der es um textliche Geltungsdimensionen ging  : Eingangs135 wurde hervorgehoben, daß die Schrift als ein den Raum und die Zeit überschreitendes Speichermedium es vermag, das gesprochene Wort und die erfolgte Tat zu fixieren und zu verewigen, und daß darüber hinaus Schrift aber auch ein Mittel zur Konstituierung dessen ist, was erst noch gesprochen und getan werden soll.136 Texte also weisen zurück und weisen nach vorne. Gemeinschaftsformen wie die der vita religiosa, die seit jeher ihre Tradierungs-, Normierungs- und Selbstvergewisserungsleistungen in hohem Maße durch Schriftlichkeit erbrachten, machen sich gewöhnlich diese beiden fundamentalen Verweisrichtungen von Texten zunutze, um ihre normativen Strukturen zu regulieren.137 Sie zeichnen einerseits Handlungsnormen auf, deren Geltung in der Handlung als Gewohnheit selbst liegt, und sie schaffen Normen, deren Geltung präskriptiv in Texten verankert ist, an denen sich daraufhin Handlungen orientieren sollen. Mit einem Wechselspiel von Handlung und Text kann dann eine Gemeinschaft im Laufe ihrer Geschichte durchaus auch den Geltungssitz von 135 Vgl. oben bei Anm. 8. 136 Siehe dazu auch Stock, Implications  ; ders., Schriftgebrauch und Rationalität im Mittelalter, in  : Schluchter (Hg.), Webers Sicht. 137 Vgl. dazu schon Melville, Geltungsgeschichten, 79ff. (hier S. 108ff.).

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Normen dementsprechend hin und her schieben, so daß sich Geltung einmal retrospektiv, einmal prospektiv fixieren läßt. In dieser dualen Verweisstruktur von Schrift ist nur eine einzige schlüssige Typologie normenbezogener Texte möglich  : Sie kann auf der obersten Ebene gleichfalls nur dual sein. Dies bedeutet, daß auf der einen Seite Texte stehen, die Normen transportieren und zugleich auch die Geltung dieser Normen konstitutiv tragen – dies sind die Texte der Regeln und der Statuten –, und auf der anderen Seite aber Texte stehen, die Normen transportieren, jedoch nicht die Geltung dieser Normen begründen, weil die Geltung ihnen schon vorgeordnet ist – dies sind die Texte der consuetudines. Damit sind erste Eckpunkte gewonnen, von denen aus eine weitere Differenzierung unschwer möglich ist  ; im Laufe der Beantwortung oben gestellter Fragen zeigten sich bereits manche Ansatzpunkte dazu. So ist etwa die Kategorie der Veränderbarkeit sicherlich eines der vorrangigen Unterscheidungsmerkmale zwischen Regeln und Statuten (auch wenn es hierbei – wie schon hervorgehoben – in Gestalt der Carta caritatis wiederum eine gravierende Ausnahme gab und somit jener Text eigentlich als ›Regel‹ bezeichnet werden sollte, wie es Franziskus wohl getan hat138). Oder so dürfte die Frage, ob Gebräuche vor ihrer Niederschrift tatsächlich schon praktiziert worden sind oder nicht, entscheidend sein für eine Zuordnung des entsprechenden Textes zum ›Eckpunkt‹ der consuetudines oder zu dem der Statuten. Keinesfalls also sollte eine derartige Komplexitätsreduktion auf nur zwei Eckpunkte als zu grob geschnitten eingeschätzt werden, denn an dieser textlich bedingten Dichotomie bildete sich – wie schon angedeutet – zugleich auch die wesentliche Alternative ab, anhand derer sich vita religiosa im Mittelalter normativ auszugestalten vermochte  : durch kontinuierliche Praktiken einer forma vitae selbst oder durch konstruktive Formierungen derartiger Praktiken. – Das kulturgeschichtlich Bemerkenswerte daran aber ist, daß im mittelalterlichen Religiosentum beide Möglichkeiten meisterlich beherrscht wurden.

138 Vgl. oben bei Anm. 88.

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Diese gewiß nur skizzenhafte Abhandlung1 versucht, etwas Licht auf das intrikate Verhältnis zwischen dem ius particulare des Religiosentums und dem ius commune der Universalkirche im 13. Jahrhundert zu werfen. Es geht dabei um ein komplexes Feld geschichtlicher Zusammenhänge, das sich ebenso auf politische Praktiken seitens der Orden und Klöster, des Papsttums und anderer kirchlicher Instanzen erstreckte wie auf satzende oder kompilatorische Ausgestaltungen von Rechtsbeständen und fallweise deren gelehrte Behandlung durch die Schule. Bemerkenswerterweise ist es von der Forschung noch keineswegs hinreichend bearbeitet worden,2 obgleich sich aus ihm sehr viel erfahren ließe sowohl über das Eigenverständnis der Orden in der ihnen charakteristischen Spannweite zwischen Selbständigkeit und hierarchischer Eingebundenheit wie auch über Strategien der Amtskirche, eben gerade damit konstruktiv umzugehen. Beides – Komplexität des Stoffes und geringe Vorarbeiten – lassen es tunlich erscheinen, sich an dieser Stelle vorerst auf einen einzelnen Aspekt zu konzentrieren, welcher sich allerdings auf ein sehr prominentes Material richtet  : auf das Religiosenrecht im Liber extra. Daß auch hierzu keine umfassenderen Untersuchungen vorliegen,3 mag nicht nur angesichts der Bedeutung dieser Rechtssammlung und der dortigen Fülle an einschlägigem Material zur vita religiosa, sondern auch im Hinblick auf die Tatsache erstaunen, daß der Liber 1 Ihr liegt ein Vortrag zugrunde, der am 3. August 2000 auf dem »XI International Congress of Medieval Canon Law« in Catania gehalten wurde. 2 Meine kürzlichen Ausführungen zu dieser Thematik – Melville, Ordensstatuten – konnten nur einige Ansatzpunkte aufzeigen, denen noch vertiefend nachzugehen wäre. Die ›klassischen‹ Darlegungen von Le Bras, Institutions, 443–525, und Hourlier, L’Âge classique, sind nicht nur in vielem revisionsbedürftig, sondern gehen auch kaum auf das spezifische Verhältnis zwischen ius commune und ius particulare ein. Etwas besser bestellt ist es hinsichtlich der päpstlichen Ordenspolitik im 13. Jahrhundert  ; siehe z. B. Maccarrone, Riforme  ; Pfurtscheller, Privilegierung  ; Neiske, Reform. Doch auch hier fehlen ebenso noch größere vergleichende Studien wie Untersuchungen zu manchen, gegenüber den Orden besonders aktiven Päpsten (wie etwa Gregor IX.). 3 Dies gilt im übrigen auch für das Decretum Gratiani  ; vgl. dazu die jeweils knappen Untersuchungen von Brechter, Regula Benedicti  ; Sinopoli, Influenza  ; Delhougne, Traces  ; Picasso, Monachesimo, insbesondere 10ff. Einzelne Rechtsprobleme aus dem Bereich der vita religiosa und ihr Niederschlag in den Sammlungen des ius commune sind natürlich immer wieder Gegenstand von kirchenrechtsgeschichtlichen Untersuchungen gewesen.

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extra zu einem Zeitpunkt abgefaßt wurde, als das Religiosentum mit den mendikantischen Ordensgründungen bereits einen gewissen Gipfelpunkt in der Herausbildung eigener Rechtskreise erreicht hatte. Sowohl für die Geschichte des ius canonicum als auch für die der vita religiosa dürfte es also von besonderem Interesse sein, wie der Liber extra gerade als Kompilation universell geltenden Rechtes dem Sachverhalt eines mittlerweile hoch entwickelten ius particulare der Orden begegnete, welche die Räume der Christenheit ebenso universell umfaßten. Wenn man nach den ordensgeschichtlichen Strukturen um die Entstehungszeit des Liber extra sucht, trifft man in erster Linie auf das Ergebnis einer ganz spezifischen Entwicklung der vita religiosa seit Beginn des 12. Jahrhunderts.4 Unter fortgeführter Observanz der Benedikts- oder Augustinusregel hatten klösterliche Verbände sich aus dem allgemeinen ordo monasticus beziehungsweise canonicus ausgegrenzt und zu päpstlich approbierten Orden als transpersonalen Rechtssubjekten geformt, denen drei wesentliche Elemente konstitutiv waren  : 1. die prospektiv orientierte Satzung eigenen Rechts, verbunden mit einer weitestgehend autonomen Rechtsfortschreibung,5 2. das Generalkapitel als identitätsstiftendes Repräsentativorgan und höchstrichterliche Instanz,6 wie nicht zuletzt die ordensinternen Appellationsverbote an den Hl. Stuhl zeigen,7 sowie 3. die von den Bischöfen unabhängige Eigenvisitation.8 Mit den Cisterziensern als Protagonisten dieser Entwicklung, den Prämonstratensern und – ab 1200 – den Cluniazensern sind die prominentesten Vertreter dieser innovativen Organisationsstruktur genannt, indes sind ihnen aufgrund analoger Verfassungsformen auch jene Orden ebenbürtig zur Seite zu stellen, die nicht auf den beiden prinzipalen Regeln fußten, sondern sich sogar – wie z. B. die Grandmontenser, die Kartäuser und andere eremitische Verbände – eine davon unabhängige normative Basis gaben. Und gewiß sind zu diesem Auffächerungsspektrum immer noch jene verbliebenen Klöster der Benediktiner oder Regularkanoniker zu rechnen, die fallweise durch gemeinsame consuetudines eines Reformkreises  – wie in Deutschland z. B. des Siegburgers, Hirsauers oder Springiersbachers  – zwar normative Eigenbereiche 4 Vgl. Wollasch, Mönchtum, 171ff.; Constable, Reformation. 5 Siehe im Überblick Melville, Schriftlichkeit  ; Cygler, Ausformung. 6 Hourlier, Le chapitre general  ; und neuerdings Cygler, Generalkapitel. 7 In Kürze dazu Guido Cariboni in Ausarbeitung seines auf dem »XI International Congress of Medieval Canon Law« gehaltenen Vortrages  : Divieto d’appello alla sede apostolica presso gli ordini religiosi monastici tra xii e xiii secolo [in dieser Form nicht erschienen]. 8 Oberste, Visitation  ; ders., Dokumente.

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bildeten, die aber nach wie vor zu keiner übergeordneten Ordensorganisation gefunden und allenfalls eigene Filiationsnetze abhängiger Priorate oder Zellen aufgebaut hatten.9 Diese Ausdifferenzierung der vita religiosa war durchaus Gegenstand der Reflexion betroffener Zeitgenossen.10 Entsprechendes Schrifttum zieht sich etwa von Anselm von Havelberg11 hin bis zur zeitlichen Nähe des Liber extra, als z. B. Jacques de Vitry auch die neu entstandenen Bettelorden noch in den Fächer einbezog12 und wie schon seine Vorgänger die Fruchtbarkeit jener regularen Vielfalt hervorhob, da diese, dem göttlichem Heilsplan entsprechend, die jeweiligen spirituell verankerten Leitwerte in funktionaler Ergänzung unterschiedlich zum Wohle der Christenheit einsetzen ließe (wenn auch bekanntlich das 4. Lateranum es für angebracht hielt, einer Aufsplitterung in noch weitere novae religiones den Riegel vorzuschieben).13 Was aber den Exegeten der vita religiosa deshalb sinnvoll schien, weil jene komplexen Strukturen heilsgeschichtlich auf ein übergeordnetes Ganzes verwiesen, schuf dagegen dem systematischen Denken der Kanonisten nicht unbeträchtliche Probleme. Zwar bildete das ius commune prinzipiell den verbindlichen normativen Rahmen für alle partikularen Ordnungen innerhalb der Kirche, auf den zur Herstellung von Rechtssicherheit auch seitens des Religiosentums in Zweifelsfällen rekurriert werden mußte.14 Humbert de Romanis, von 1254 bis 1263 Generalmagister der Dominikaner, formulierte hierzu sogar eine vielsagende Rechtsquellenhierarchie aus der Sicht der Ordensleute  : Sunt enim Dei mandata maxima  ; sed Ecclesiae mandata, sive summorum Pontificum, parva in respectu ad illa  ; minora patrum instituentium regulas, ut Augustini, Benedicti, et similium  ; sed minora mandata sequentium eos, constitutiones condentium. Et intelli­ ge quantum est ex parte mandantium, non mandatorum. Nam majoris auctoritatis sunt

  9 Siehe die Überblicke dieser Auffächerungsgeschichte von Elm, Orden  ; Melville, Diversa sunt monasteria (jeweils mit ausführlichen Literaturangaben). 10 Siehe zum 12. Jahrhundert Constable, Reformation, 44ff.; zum 13. Jahrhundert Schmidt, Legitimität. 11 Vgl. Schreiner, Dauer, hier 325f. 12 Siehe Elm, Entwicklung  ; Melville, Duo novae. Zum hoch elaborierten Partikularrecht insbesondere der Dominikaner siehe jüngst Cygler, Funktionalität  ; Melville, Rechtsordnung. 13 Constitutiones Concilii quarti Lateranensis, ed. García y García, 62 (c. 13) = X 3. 36. 9  ; siehe dazu Maccarrone, Costituzioni, 36ff. 14 Dazu schon ausführlicher Melville, Ordensstatuten, 707ff.

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Summi Pontifices et Concilia quam Augustinus, vel Benedictus  ; isti vero sunt majores quam moderni sub eis militantes.15

Doch ungeachtet dieser scheinbar so eindeutigen Schichtung, die Ordensrecht an unterster und damit abhängigster Stelle ansiedelt, kommentierte z. B. Goffredus da Trani in seiner vor 1245 entstandenen Dekretalensumme den skizzierten Fächer klösterlicher Sonderheiten mit den Worten  : Sed quia circa hoc diverse inveniuntur observantie et statuta, magis hoc per institutiones religiosorum instruitur quam per iura.16 Seiner Meinung nach erlaubte die Vielfalt der klösterlichen Verhaltensnormen17 unter juristischem Blickwinkel gerade nicht, auf ein einheitliches Ganzes zu zielen. Vielmehr zwang sie, einzeln auf unterschiedliche Rechtsordnungen zuzugreifen, welche insofern eigenständig zu sein schienen, als sie sich jeweils dem Gesamtspektrum des kirchlichen ius commune und dessen Anspruch auf normative Überformung entzogen. Auch Hostiensis, der in seiner Summe zwar ganz allgemein feststellte  : multae enim sunt particulares et tamen est una universalis ecclesia – und dabei den Vergleich zu einem Baum mit vielen Ästen zog –,18 sah sich dennoch ähnlich wie Goffredus gezwungen, zu bemerken  : Non tamen posset de facili status vitae ipsorum [sc. der Religiosen] a iure comprehendi, quia diuersa sunt monasteria, et diuersas habent institutiones et ideo ad ipsas est recurren­ dum.19 Folgt man den Aussagen dieser beiden besonders meinungsbildenden Rechtsgelehrten, so war das ius commune der Kirche keine (im Sinne der verwendeten Formulierungen comprehendi und instruitur) kompetente Informationsquelle für die Rechtsstellung der Religiosen. Deren institutiones,20 also deren aus päpstlichen Privilegien sowie aus eigenen Satzungen konstituierten Rechtsordnungen, stellten ein ius particulare dar, das ganz offensichtlich von der Systematik des allgemeinen Kirchenrechts nicht erfaßt wurde.21 15 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 16. Zum Humbert’schen Verständnis von Ordenssatzungen siehe Fieback, Necessitas. 16 Goffredus da Trani, Summa, fol. 154v. 17 Siehe zur normativen Dichte der vielfältigen Observanzen neuerdings Schreiner, Observan­ tia regularis. 18 Dazu Helmholz, Universal and the Particular, 641f. 19 Hostiensis, Summa aurea, Lyon 1537, fol. 178v. 20 Zu diesem für das Ordenswesen zentralen Begriff schon im kurialen Gebrauch des 12. Jahrhunderts vgl. Dubois, Les ordres religieux. 21 Dieser Aspekt wurde bereits pointiert angesprochen in Melville, Ordensstatuten, 704ff.

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Wo konnte demnach – so ist nun zu fragen – der Liber extra überhaupt materiell ansetzen, um sinnvolle Normenbestände für das Religiosentum festzuschreiben, welche unabhängig vom Sonderstatus des jeweiligen ius particulare universellen Geltungsanspruch erhoben  ? Diejenigen Texte im Liber extra, die sich auf klösterliche Gemeinschaftsformen beziehen, sind von nicht geringer Zahl. So verweisen folgende Titel bereits durch ihre Überschriften direkt auf zentrale Themenbereiche des Religiosentums  : 3.31 De regularibus et transeuntibus ad religionem, 3.35 De statu monachorum et canonicorum regularium, 3.36 De religiosis domibus, ut episcopo sint subjectae, 3.37 De capellis monachorum, 3.50 Ne clerici vel monachi secula­ ribus negotiis se immisceant.22 Besonders einschlägig sind aber z. B. auch 3.32 De conversione conjugatorum und 5.33 De privilegiis et excessibus privilegiatorum. Weiteres Material ist unschwer über das gesamte Werk verstreut aufzufinden. Als authentische Kompilation des ius commune hatte der Liber extra somit gewiß einiges zum normativen Rahmen der vita religiosa anzubieten, so daß die Feststellungen des Goffredus und Hostiensis auf den ersten Blick befremden mögen. Daher sei zur Überprüfung ihrer Richtigkeit ein rascher Überblick über die maßgeblichen Themenlinien der vorgelegten Rechtsmaterie (unter fallweiser Heranziehung einiger führender Kommentare) gewonnen  : Die Bedeutung des Titels De statu monachorum et canonicorum regularium (X 3.35) für den Aufweis normativer Grundlagen der vita religiosa illustriert Goffredus da Trani bereits durch die Einleitung in dessen Kommentierung  : Uidendum est igitur qualem vitam debeant ducere monachi et canonici regulares. Item in quo conueniant et in quo differant monachi et canonici regulares, qualem habitum gerere debeant et que sint necessaria ad vitam regularem obseruandam.23 Er läßt darauf die bereits zitierte Bemerkung24 über die Vielfalt der Observanzen und Statuten folgen, um wenig später zur lapidaren Feststellung zu gelangen  : Monachi et canonici regulares conueniunt inter se in his quae sunt substantialia religionis, vt in abdicatione proprietatis, obedientia et continentia.25 22 Vgl. die zum Teil gleichen oder ähnlichen Formulierungen in den Vorlagen, d. h. im jeweils 3. Buch der Compilationes antiquae, in  : Quinque compilationes antiquae, ed. Friedberg, 38ff., 86f., 143f., 175ff. 23 Goffredus da Trani, Summa, fol. 154v. 24 Vgl. oben bei Anm. 16. 25 Goffredus da Trani, Summa, fol. 155r. An anderer Stelle (zu 3. 31) definiert er ähnlich  : Re­ gulares sunt qui ad viuendum regulariter se astringunt, siue sint monachi siue canonici regulares […] Tria profiteri debet regularis obedientiam, castitatis custodiam, abdicationem proprietatis. Hec enim sunt substantialia vite regularis […]  ; ebd., fol. 149v. Zur Praxis der Armut, des Ge-

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Diese Aussage rezipierte die Schule, wenngleich in jener präzisierenden, sich auf mehrere einschlägige Passagen des Liber extra stützenden Einschränkung, wie sie z. B. von Bernardus de Botone formuliert wurde  : Nota quod eadem est substantia religionis apud omnes religiosos, sed in qualitatibus differunt.26 Mit dem Begriff substantialia bzw. substantia des Religiosentums sprachen die beiden Kanonisten bereits einen der wesentlichen Aspekte von X 3.35 an, den z. B. auch Hostiensis hervorhob, als er bei der Kommentierung des Titels ebenfalls die Frage aufwarf  : Monachi et canonici regulares in quo conueniunt et in quo differunt,27 und sie – analog eingeleitet mit den Worten  : Et quidem in tribus substantialibus – durch Nennung wiederum von Besitzlosigkeit, Gehorsam und Keuschheit lapidar beantwortete.28 So fand sich in dem angesprochenen Titel insbesondere durch die Aufnahme einer an Subiaco gerichteten Dekretale Innocenz’ III.  – hier X 3.35.6  – aus der Compilatio tertia29 ein Katalog normativer Verhaltensweisen der Religiosen, welcher Bekleidung, Besitzlosigkeit, Schweigepflicht sowie Fleischverbot umfaßte und welcher durchaus als generell geltend erscheinen konnte. Prohi­ bemus quoque districte in virtute obedientiae sub obtestatione divini iudicii, ne quis monachorum proprium aliquo modo possideat  ; sed, si quis de cetero aliquid habeat proprii, totum in continenti resignet, hieß es etwa zum Verbot persönlichen Besitzes – einem Verbot, das zudem mit scharfen Strafandrohungen, den lebenden wie den toten Delinquenten betreffend, bewehrt war  : Si vero post hoc proprietatem aliquam fuerit deprehensus habere, regulari monitione praemissa de monasterio expellatur, nec recipiatur ulterius, nisi poeniteat secundum mo­ nasticam disciplinam. Quodsi proprietas apud quemquam inventa fuerit in morte, ipsa cum eo in signum perditionis extra monasterium in sterquilinio subterretur, secundum quod beatus Gregorius narrat in Dialogo se fecisse.30

horsams und der Enthaltsamkeit in der vita religiosa des 13. Jahrhunderts siehe jetzt Füser, Mönche im Konflikt. 26 Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 142v, ad X 3. 31. 20 Consulti. 27 Hostiensis, Summa aurea, Lyon 1537, fol. 178v. 28 Ebd., fol. 179v. Verboten sei folgerichtig den Religiosen – wie in X 3. 50 passim niedergelegt –, sich in weltliche Geschäfte zu verstricken, Gewinn aus Handel zu ziehen oder weltliches Recht und physica zu studieren. 29 Vgl. Quinque compilationes antiquae, ed. Friedberg, 124. 30 Die Zitate Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 599. Zur persönlichen Besitzlosigkeit der Religiosen siehe unter den Aspekten von Norm und Devianz jetzt Füser, Mönche im Konflikt, 217ff.

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Wenn dieses Begräbnisverbot auf geweihter Erde sich hier zwar speziell auf Mönche bezog, so war es nicht minder auf Regularkanoniker anzuwenden, wie in einem eigenen Kapitel (X 3.35.4) mit dem Summarium Regularis canonicus, qui non resignavit proprium in morte, non debet in coemeterio sepeliri gesondert niedergelegt war.31 Das Gebot persönlicher Besitzlosigkeit32 war Innocenz III. so bedeutsam erschienen, daß er am Ende der Dekretale noch einmal dessen – und das der Keuschheit – Gewicht unterstrich und sogar dem Papst eine Dispensmöglichkeit absprach  : Nec aestimet abbas, quod super habenda proprietate possit cum aliquo monacho dispensare  ; quia abdicatio proprietatis, sicut et custodia castitatis, adeo est annexa regulae monachali, ut contra eam nec summus Pontifex possit li­ centiam indulgere.33 Diese Aussage war in der Schule indes nicht unumstritten. Bernardus de Botone referierte in seinem Glossenapparat abweichende Meinungen ausführlich,34 unterstrich selbst aber die Unmöglichkeit einer Dispens, weil eben Armut und Enthaltsamkeit zur substantia der vita religiosa gehörten.35 Es war dann namentlich Innocenz IV. (Sinibaldus Fliscus), der in seinem Apparat eine vehement vorgetragene Gegenposition bezog und der päpstlichen Gewalt tatsächlich eine Dispensbefugnis einräumte,36 da Armut und Keuschheit37 nur – wie es in der Dekretale hieß – annexa des Mönchtums seien. So führte er ad v. annexa aus  : […] haec autem sunt annexa ordini a iure positiuo, quod probo, monachus autem nihil aliud est, quam solitarius tristis.16.q.1. placuit, si igitur plura imponantur, illud est impositum a conditore iuris, et ex hoc patet, quod Papa potest dispensare cum monacho, 31 Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 598. Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 147v (ad X 3. 35. 4), weist sogar ausdrücklich auf die Gleichheit der Strafe hin. 32 Unter kultur- und spiritualitätsgeschichtlicher Perspektive wird die freiwillige Armut vielschichtig behandelt in Mollat, Études. 33 Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 600. 34 Bernardus de Botone, Apparatus, ad v. Abdicatio (X 3. 35. 6)  ; dazu Brys, De Dispensatione, 209. 35 Bernardus de Botone, Apparatus, ad. v. Dispensare (X 3. 8. 4). In seinen Casus longi, fol. 147v, äußert er sich analog. So auch Goffredus da Trani, Summa, fol. 149v/150r (zu 3. 31)  : In his autem substantialibus dispensari non potest  ; Hostiensis, Summa aurea, Lyon 1537, fol. 173v (zu 3. 31)  : Hec enim adeo sunt de substantia regule, vt nec summus pontifex contra hoc valeat dispensare. 36 Innocenz IV., Apparatus, fol. 432v/433r. Dazu schon Brys, De Dispensatione, 218ff.; Buisson, Potestas, 78ff.; neuerdings ausführlich Schreiner, Dispens, 1086ff.; kurz nochmal ders., Observantia, 290f. 37 Zur Keuschheit im Religiosentum siehe jetzt Füser, Mönche im Konflikt, 190ff.

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quod habet proprium vel coniugem, cum possit ordinem et naturam, quam dedit ordini, et substantiam tollere.38

Die Dispens von diesen annexa beträfe folglich nur  – so wurde weiter argumentiert – das ius positiuum, tantum sicut apparet in statutis, quae facta sunt de ordinibus faciendis intra certa interstitia temporum, und sie sei anläßlich einer magna causa, bei der die communis utilitas auf dem Spiele stehe, gerechtfertigt, auch wenn die utilitas privata des persönlichen Keuschheits- und Armutsgelübdes dadurch leiden würde.39 Wie stark auch immer diese Einschätzung sich letztlich auf dem Rechtsgrundsatz Necessitas non habet legem gründete und sie sich daraus in der Tat juristisch zu legitimieren vermochte,40 frappierender ist die Zurechnung von gemeinhin als substantialia verstandenen Elementen des monastischen Normengefüges zum positiven Recht. Jene »kühne Interpretation«41 dessen, was unter annexa zu verstehen sei, wies der vita monastica nur einen sehr engen Kern substantieller Verhaltensnormen – im Grunde allein die »Trauer in Einsamkeit«42 – zu und eröffnete damit dem päpstlichen und somit höchstinstanzlichen Umgang mit monastischen Maximen eine bemerkenswerte Flexibilität, die wohl weder dem Willen des Verfassers der Dekretale entsprochen hatte noch dem Selbstverständnis der Religiosen (d. h. nicht nur speziell der Mönche). Unbenommen der rasch allgemein bekannt gewordenen Kommentierung Innocenz’ IV,43 wird etwa Humbert de Romanis bezüglich der Verhältnisse in seinem Predigerorden unter ausdrücklicher Berufung auf X 3.35.6 hervorheben, daß nicht dispensierbar sei, quae sunt de substantia religionis, ut abdicatio proprietatis  : nec in iis po­

38 Innocenz IV., Apparatus, fol. 432v. 39 Ebd., fol. 433r. Zu dieser Bewertung von communis utilitas und utilitas privata und ihren paradigmatischen Anwendungsmöglichkeiten, nämlich die Zeugung eines Thronfolgers, um die Übernahme der Herrschaft durch einen Tyrannen zu vermeiden, siehe Schreiner, Dispens, 1083ff., und noch hier unten. 40 Vgl. Schreiner, Dispens, 1095. 41 So Buisson, Potestas, 79  ; dort folgend auch eine eingehende Analyse der besonderen Bedeutung eben dieser Interpretation Innocenz’ IV. für die Rechtsentwicklung der Kirche. 42 Wobei die herangezogene Stelle aus Gratian – C. 16 q. 1 c. 1 – im Kontext der Frage nach der Seelsorgebefugnis von Mönchen steht, zudem die auch sonst verbreitete Formulierung solita­ rius tristis dort gerade nicht zur Verwendung kommt und die Kapitelüberschrift nur lautet  : Monachorum conversatio ab omnibus debet esse discreta. 43 Rezipiert z. B. schon von Abbas antiquus, Apparatus, fol. 172v, gegen Ende der 60er Jahre des 13. Jahrhunderts.

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test. Extrav. De Statu Monachorum  : Cum ad monasterium.44 Und was Humbert vornehmlich unter aktuellen rechts­ praktischen Gesichtspunkten ansprach,45 war bereits längst in theologischer Axiomatik unter dem Begriff der specialia consilia des Evangeliums46 (also der sich auf Armut, Keuschheit und Gehorsam beziehenden sog. ›Evangelischen Räten‹)47 gefaßt, um anhand deren Befolgung gerade die Besonderheit der vita perfectionis der Religiosen zu kennzeichnen. Die Befolgung der klösterlichen substantialia  – das hatte die im 12. Jahrhundert anwachsende Fülle an paränetischem Schrifttum48 mehr und mehr zu verdeutlichen gesucht – ist indes nicht allein Auswirkung der von erfolgreicher Rechtsdurchsetzung ausgehenden äußeren Gewalt, sondern vor allem das Resultat entsprechender Gesinnung auf dem steten Prüfstand des Gewissens.49 Im Zusammenhang dieser Entwicklung wird von der Forschung bekanntlich auch von der ›Wiederentdeckung des Individuums‹ im Religiosentum des 12. Jahrhundert gesprochen,50 da in jener Epoche die Erfahrung des ›inneren Menschen‹, der domus interior also, durch das Gewissen als besonderer Wert hervorgehoben worden sei. Sätze wie Aude cognoscere te  ; Redde ergo te tibi  ; Lex tua te constringit  ; Discerne te tuo judicio, non alieno  : Nemo enim magis scire potest quis scis, sicut tu, qui conscius es tibi51 verdeutlichen augenfällig, daß man dezidiert den Umgang mit seinem ›Selbst‹ forderte und diesen durch Gewissensübungen zu erlernen heischte.52 44 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 21, nachdem er wenige Zeilen zuvor anmerkte  : Et ad hoc est argumentum Extrav. De statu Monachorum  : Cum ad monasterium, ubi dicitur quod abbas non potest dispensare in abdicatione proprietatis, quia est de substantia voti monachalis  : ex quo relinquitur a contrario quod in iis quae non sunt de hujusmodi substantia potest dispensare  ; ebd., 19. Direkt dazu schon Melville, Ordensstatuten, 709, Anm. 72. 45 Zur ausgefeilten Praxis des Dispensrechtes im Dominikanerorden siehe jetzt Cygler, Funktionalität, 400ff. 46 Vgl. dazu z. B. die besonders aussagekräftigen, um die Mitte des 12. Jahrhunderts formulierten Passagen in der Regula venerabilis viri Stephani Muretensis, ed. Becquet, 66–68. 47 Siehe Henseler, Evangelische Räte  ; Angenendt, Religiosität, 555ff. 48 Einen gewissen exemplarischen Überblick liefert Wilmart, Auteurs spirituels. 49 Dazu schon ausführlich Constable, Reformation, insbesondere 257ff.; Melville, Rebell  ; Füser, Mönche im Konflikt, passim. Siehe auch den weiter in die kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Konditionen jener Zeit ausholenden Beitrag von von Moos, Occulta cordis. 50 Aus der breiten Forschung, die durchaus kontrovers ist, was Sache und Begriff ›Individualität‹ angeht, sei nur verwiesen auf Chenu, L’éveil  ; Morris, Discovery  ; Bynum, Individual  ; Benton, Consciousness  ; Olsen, St Augustine  ; Gurjewitsch, Individuum  ; Constable, Reformation, ins. 293ff.; Aertsen, Einleitung. 51 Die Belege dieser Zitate bei Melville, Rebell, 174f. 52 Vgl. Bertola, Problema.

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Diese Perspektive, die zwar spirituell auf die Begegnung der einzelnen Seele mit Gott zielte, barg in sich freilich zugleich das Problem, welcher spezifische Status innerhalb institutionalisierter vita communis dem Individuum  – oder besser  : der Person53  – als Rechtssubjekt eingeräumt werden müsse, um persönliche Selbstheiligung und völlige Unterwerfung unter die gemeinschaftlich geltenden Normen zugleich zu gewährleisten.54 Einer solchen sehr grundsätzlichen Problemstellung sollte die im Titel De regularibus et transeuntibus ad reli­ gionem (X 3. 31) vorgelegte Materie, welche im wesentlichen über den Eintritt in ein Kloster oder dessen Verlassen handelt, bei aller Sorge um die Wahrung der institutionellen Rechte einer religiösen Gemeinschaft ganz offensichtlich Rechnung tragen. So wurde mittels X 3. 31. 8 und 11 die Volljährigkeit, also 14 Jahre, als Mindestalter55 für die Ablegung der Profeß – wie bei neuen Ordensstrukturen bereits üblich56  – vorgegeben  : Professio, facta ante XIV. annum, non obligat, wie es im Summarium zu 3. 31. 8,57 einer aus der Compilatio prima übernommenen Dekretale Alexanders III., hieß und damit dem Geist schon jenes alten Canons der Mainzer Synode von 813 – Nullus tondeatur, nisi in legitima aetate et spontanea voluntate – entsprach, welcher als 3. 31. 158 mit dem Summarium Non potest quis ad religionem admitti, nisi volens et in aetate idoneus Eingang in den Liber extra fand. Durch die neue Normsetzung erst ließ sich nämlich beseitigen, was traditionell in Widerspruch zur Freiwilligkeit als prinzipielle Voraussetzung des Zugangs zur vita religiosa stand  : nämlich das Oblatenwesen, das die Entscheidungsfreiheit doch gravierend eingeschränkt, wenn nicht gar verhindert hatte.59 Folgerichtig wurde z. B. auch eine Dekretale Cölestins III. aufgenommen (X 3. 31. 14), die einem Sohn, dessen Vater mit ihm als Kind in ein Kloster eingetreten war, gestattete, bei Volljährigkeit wieder auszutreten und sein Erbe zurückzuverlangen. Abbas antiquus notierte dazu  : Qui ante legitimam etatem

53 Zur Unterscheidung siehe jetzt von Moos, Krise, 321ff. 54 Zur Grundproblematik vgl. auch Michaud-Quantin, Universitas  ; Derda, Vita communis. 55 Gemäß 31. 6 konnte dies, ubi est dura congregatio vel religio, sogar auf 18 Jahre erhöht werden, was Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 141r, zum generalisierenden Kommentar veranlaßte  : Nota quod propter austeritatem vite regula instituta a canone immutatur. 56 Dazu (und auch die psychologischen Momente beleuchtend) Leclercq, L’Amour, 15ff. 57 Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 571. 58 Siehe ebd., 569. 59 Vgl. Dubois, Oblato.

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intrat religionem, in etate legitima potest contravenire,60 und unterstrich damit implizit, daß es insofern auf eine bestimmte Altersstufe ankam, als diese dann die freie Entscheidung überhaupt erst ermöglichte. Demnach kommentierte er zur Altersregelung in X 3. 31. 8 richtig  : Habes igitur hic quod votum religionis sine deliberatione emissum non obligat vouentem.61 Mit deliberatio wurde hierbei ein Begriff verwendet, der in der vita religiosa traditionell von hohem spirituellen Gehalt war, weil er die entscheidende Akzeptanzform der religiösen Werte, nämlich die innere, seelische, ausdrückte.62 Wenn Innocenz IV. zur gleichen Stelle anmerkte  : cum votum sit conceptio animi deliberatione firmati,63 dann tat er es in eben diesem spirituellen Sinne – und dennoch zugleich in einem juristischen, denn im Ausgang gerade von deliberatio ließen sich ganz konkrete Regularien ableiten, welche die Gestalt der vita religiosa jener Zeit wesentlich bestimmten. So hatte etwa schon seit dem 12. Jahrhundert das Noviziat durch den verstärkten Erwachseneneintritt enorm an Bedeutung gewonnen64 – galt es doch das zu kompensieren, was Jean Leclercq zutreffend mit folgenden Worten charakterisierte  : »[…] les recrues des nouveaux ordres se distinguaient des membres des monastères traditionnels par le fait que tous avaient vécu dans la société séculière.«65 ›Noviziat‹ hieß nicht mehr nur Lernphase, sondern bedeutete auch einen Zeitabschnitt,66 in dem jeder Einzelne sich selbst prüfen konnte, ob er die seelische Kraft besäße, die klösterlichen Anforderungen zu erfüllen. Demnach war es von hoher Aktualität, daß der Liber extra aus der Compilatio tertia die Dekretale Innocenz’ III. aufnahm, welche laut entsprechendem Summinarium bestimmte  : Qui ad monasterium convertitur sumendo habitum novitii, potest infra tempus probationis redire ad saeculum […] (X 3. 31. 20).67 Daß hier in eine objektive rechtliche Norm gegossen und legali60 Abbas antiquus, Apparatus, fol. 169v. 61 Ebd, fol. 169r. 62 So heißt es paradigmatisch etwa im anonymen Tractatus de statu virtutum aus dem 12. Jahrhundert zur Akzeptanz von Gehorsam, er sei zu befolgen non solum ex praecepto, verum etiam ex proprio desiderio  ; Tractatus de statu virtutum 803  ; dazu Melville, Rebell, 169. Vgl. unter rechtsgeschichtlicher Perspektive auch Capelle, Le vœu. 63 Innocenz IV., Apparatus, fol. 421r. 64 Vgl. Leclercq, Noviziato  ; Hermans, De novitiatu. 65 Leclercq, L’Amour, 20f. (Kursivierung im Zitat). Vgl. dazu auch Melville, Rebell, 183ff. 66 Gewöhnlich ein Jahr dauernd  ; siehe X 3. 31. 21 u. 23  ; vgl. Leclercq, Noviziato, 445f. 67 Analog auch X 3. 31. 23, eine Satzung Gregors IX.: Statuimus, novitios in probatione positos ante susceptum religionis habitum, qui dari profitentibus consuevit, vel ante professionem emissam, ad priorem statum redire posse libere infra annum […] Eine Einschränkung findet die Rückkehrmöglichkeit indes immer, wenn eine professio tacita, also bereits eine stillschweigende,

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siert wurde, was zuvörderst die Gewissensentscheidung jedes Einzelnen war, zeigt in aller Deutlichkeit der diesbezügliche Kommentar Innocenz’ IV.: Quia cuilibet concessum est hoc de sua conscientia testificari, et solus Deus cognitor est secretorum.68 Auf der gleichen Ebene lag es, daß eine Dekretale (X 3. 31. 15) aufgeführt wurde mit der Bestimmung, die Profeß eines Geistesgestörten binde diesen nicht, denn – wie Bernardus de Botone erläuterte – mente alienatus […] nec consentire valeat nec dissentire tanquam dormiens.69 Und ebenso signifikant war, daß der Profeß als Ausdruck und Ergebnis eines inneren Willensaktes gegenüber der äußerlich sichtbaren Symbolik der Einkleidung70 in mehreren Kapiteln ausdrücklich größeres Gewicht zugemessen wurde – gemäß dem in X 3. 31. 13 vermerkten Leitgedanken Item habitus non fecit monachum sed pro­ fessio regularis,71 der ungeachtet seines juristischen Gehaltes an die spirituelle Tradition des 12. Jahrhunderts anknüpfen ließ, wo insinuativ gesagt worden war, wahre vita religiosa befände sich eben nicht im Habit, sondern nur im Herzen.72 Ein hoher Grad an persönlicher Ermessensfreiheit wurde auch dem zugebilligt, der zu einer arctior religio – die Cisterzienser werden ausdrücklich als deren herausragende Vertreter angeführt73 – überwechseln will.74 Anknüpfend durch Verhalten indes erkennbare Entscheidung, vorliegt  : […] nisi evidenter appareat, quod tales absolute voluerit vitam mutare (ebd. und ähnlich auch 3. 31. 20). Vgl. zur professio tacita Boni, Professione  : IX. 68 Innocenz IV., Apparatus, fol. 424r. 69 Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 142r. 70 Vgl. Colombas, Abito religioso, 50–56. Zum Aufnahmeverfahren gemäß der Benediktsregel siehe die eingehende Analyse von Jacobs, Rechtsbuch, 70ff. 71 Die Überschrift lautet dort  : Valet professio facta sine susceptione habitus religionis. Freilich wurde unterschieden zwischen einem Habit des Novizen und einem des Professen  ; siehe 3. 31. 23  : […] ut novitiorum habitus a professorum habitu discernatur. Zu diesem gesamten Komplex der Bedeutung des Habits siehe den ausführlichen Kommentar von Goffredus da Trani, Summa, fol. 150v/151r, der dort auch auf divergierende Rechtslagen hinweist  : Sed obijcitur, habitus non facit monachum […] Quedam tamen iura velle videntur quod habitus faciat mo­ nachum, vt infra eodem titu[lo] vidua [3.31.4]. Vgl. allgemein Boni, Abito religioso, 75–78. 72 Siehe Reprehensio libelli Abbatis Claravallensis, ed. Wilmart 343. 73 So in X 3. 31. 7, wo ihnen im Grunde kein Übertritt zu einem anderen Kloster erlaubt wird. Siehe hier unten nochmals zu dieser exemplarischen Position der Cisterzienser – einer Position, bei der die Richtigkeit ihrer zeitgenössischen Einschätzung durch die neuen Untersuchungen von Cariboni, Papato, allerdings etwas bezweifelt werden muß. 74 Zum Problem des Übertritts in ein anderes Kloster vgl. Konrad, Transfer  ; Melville, Übertrittsproblem  ; Wollasch, Mönchsgelübde, 537ff.

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an Gratians C. 19 q. 2 c. 2, einen (wohl gefälschten) Text Urbans II., wo unter anderem dargelegt wurde  : Duae sunt, inquit, leges  : una publica, altera privata. Publica lex est, quae a sanctis Patribus scriptis est confirmata  : ut est lex canonum […] Lex vero privata est, quae in­ stinctu Sancti Spiritus in corde scribitur […] Si quis horum in Ecclesia sua sub episcopo populum retinet, et seculariter vivit, si afflatus Spiritu Sancto in aliquo monasterio, vel regulari Canonia salvare se voluerit, quia lege privata ducitur, nulla ratio exigit, ut a lege publica constringatur. Dignior est enim lex privata quam publica. […] Justo enim lex non est posita, sed ubi Spiritus Dei, ibi libertas, et si Spiritu Dei ducimini, non estis sub lege.75

– wird in X 3. 31. 18 der Satz Innocenz’ III. tradiert  : Talis ergo, postquam a praelato suo transeundi licentiam postulaverit, ex lege privata, quae publicae legi praeiudicat, absolutus, libere potest sanctioris vitae propositum adimplere […].76 Hier ging es nicht mehr – wie bei Gratian – um den Eintritt in ein Kloster, sondern um den Wechsel von einem zum anderen.77 Doch wie sehr die auch hierfür aufgerufene lex privata weiterhin auf etwas bezogen wurde, was ›ins Herz eingeschrieben’ ist, zeigt die die Dekretale abschließende Formulierung, daß derjenige von seinen Übertrittswünschen nicht abzuhalten sei, bei dem man sich de corde puro, et conscientia bona et fide non ficta habe überzeugen können. Bernardus de Botone bekräftigte diese Rechtsauffassung, die strukturell ein »Freiheitsgrundrecht«78 gegenüber der kirchlichen Rechtsordnung als ganzer postulierte, mit den lapidaren Worten Nota, quod qui lege priuata ducitur, a 75 Zu der darüber sofort geführten kanonistischen Diskussion siehe Melville, Übertrittsproblem. Dort wurde unter anderem darauf hingewiesen, daß die Feststellung von Weigand, Naturrechtslehre, 131  : »Nachdem dieser Text als C. 19 q. 2 c. 2 in das Dekret Gratians aufgenommen worden war, bestand ein Großteil der Überlegungen der Dekretisten darin, ihn einschränkend zu interpretieren, um dadurch einem möglichen, ja naheliegenden Mißbrauch vorzubeugen«, etwas differenzierter gesehen werden muß. Vor kurzem hat sich insbesondere P. Landau mit diesem – wie er zu Recht sagt – »erstaunlichen Text, der […] geradewegs zu einer Relativierung jeder kirchlichen Rechtsordnung führen konnte«, auseinandergesetzt  ; siehe dessen Abhandlungen  : Landau, Duae leges  ; ders., Reflexionen  ; ders., Anfänge. Neuerdings dazu auch ausführlich von Moos, Krise, 326ff. 76 Wobei nahezu wörtlich aus C. 19 q. 2 c. 2 zitiert wird  : […] quia tamen, ubi spiritus Dei est, ibi libertas, et qui Dei spiritu aguntur non sunt sub lege, quia lex non est posita iusto  ; siehe Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 576. 77 Speziell vom Übertritt eines Regularkanonikers in ein Mönchskloster handelt X 3. 31. 10. Vgl. dazu ausführlich Melville, Übertrittsproblem, 233ff. 78 So Landau, Reflexionen, 527.

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lege comuni79 est exemptus, und folgerte daraus, daß der zum strengeren Leben Übertretende ein quasi ab ipsius lege solutus sei.80 Religiöse Gesinnung und somit eine sich gerade auf deliberatio gründende Akzeptanz der monastischen substantialia bedürfen zu ihrer Stützung – dessen waren sich alle Reformer in jener Phase sich verdichtender Konstitutionalisierung der vita religiosa bewußt  – nichtsdestoweniger eines organisationsbezogenen Normengefüges.81 Der Liber extra stellte hierfür ebenfalls wichtige Regularien bereit. Folgende zwei Komplexe sind besonders hervorzuheben  : 1. Die Kontrolle und Machtbeschränkung des Klostervorstehers  : Zeige dieser sich nämlich in seiner Aufsichtspflicht (vigilem curam et diligentem solici­ tudinem gerens de omnibus, ut de officio sibi commisso dignam Deo possit reddere rationem)82 als praevaricator – heißt es im schon zitierten sechsten Kapitel (und ähnlich auch im noch zu behandelnden achten) von X 3. 35 –, so sei er aus seinem Amt zu entfernen und streng zu bestrafen.83 Vice versa dürften laut X 3. 35. 2 (eines Kanon des 3. Lateranum) nicht grundlos Prioren, die canonice von den Kapiteln ihrer ecclesiae conventuales gewählt worden seien, vom Abt84 versetzt werden  ; und ebenso sei – wie unter anderem in X 1. 3 (De rescriptis) niedergelegt – ein jeder Abt zur verantwortungseinbindenden Information seines Konvents angehalten. Diese hier beispielhaft genannten Rechtsnormen sind in Parallelität zum bekannten Leitgedanken Quod omnes tangit, ab omnibus 79 Auch Innocenz IV., Apparatus, fol. 423r, vermerkte zum publice der Dekretale  : id est. iuri communi. 80 Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 142v. 81 Siehe Schreiner, Dauer  ; ders., Observantia  ; dazu mit vergleichender Schwerpunktsetzung auf einzelne Orden auch  : Cygler / Melville / Oberste, Aspekte. 82 Vgl. dazu Regula Benedicti, ed. Salzburger Äbtekonferenz, cap. 2, 74ff. 83 Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 147v, stellte sogar fest  : Item propter negligentiam po­ test prelatus deponi. Damit war ein neu entwickeltes Rechtsverständnis vom Amt des Abtes exemplarisch zum Ausdruck gebracht, das signifikant in jenem lapidaren Satz des Abtes von Cluny, des caput ordinis Cluniacensis, aufschien, als es in Statuten des Jahres 1200 um die Einwilligung in die Visitation auch seines Hauses ging  : etiam nos ipsos legi subjicimus  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 42. Zum Abtsamt im Mittelalter siehe Constable, Authority  ; Felten, Herrschaft. 84 Daß der Abt als möglicher Versetzer angesprochen ist, geht aus dem Text nicht eindeutig hervor, wurde von der Schule aber so verstanden  ; siehe z. B. Innocenz IV., Apparatus, fol. 432r. Es handelte sich hier um ein sehr virulentes Problem hinsichtlich der Einschränkung äbtlicher potestas, wie z. B. die Geschehnisse bei den Cluniazensern jener Epoche zeigen  ; vgl. Melville, Reformatio, 264 und passim. – Unterschieden werden mußte allerdings zwischen priores conventuales und priores non conventuales, wie auch Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 148r, hervorhebt.

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tractari et approbari debet zu sehen, welcher den Klostervorsteher (wie andere Prälaten auch) spätestens seit Innocenz’ III. Politik der Förderung von Mitverantwortung der membra stärker denn je an die Zustimmung des Konvents band, wenn es um das Wohl der Gemeinschaft in spiritualibus et temporalibus ging.85 Auch die Titel 10 (De his, quae fiunt a praelato sine consensu capituli) und 11 (De his, quae fiunt a maiori parte capituli) von X 3 oder ferner z. B. X 1. 3. 2186 sind ein signifikanter Niederschlag jener rechtlichen Förderung der konventualen Mitbestimmung. 2. Die Schaffung eines Organs zur kontinuierten reformatio ordinis und zur Sicherung der observantia regularis in den Klöstern der Mönche und Regularkanoniker  : Durch Übernahme eines entsprechenden Kanons des 4. Lateranum87 (X 3. 35. 7) und ergänzend einer Dekretale Honorius’ III.88 (X 3. 35. 8) wurde ein commune capitulum in dreijähriger Abfolge sowie die gegenseitige Visitation all denjenigen Klöstern einer Provinz vorgeschrieben, welche diese – more Cisterciensis ordinis zu realisierenden – Einrichtungen noch nicht besaßen. Hostiensis wies ausdrücklich darauf hin, daß somit z. B. die Kartäuser und Cluniazenser, qui habent capitulum per se, damit nicht gemeint seien.89 Zwei Cisterzienseräbte hatten aufgrund einschlägiger Ordenserfahrungen90 diesen neuartigen Provinzkapiteln beizuwohnen,91 was allerdings dann Abbas antiquus – auf seine Zeit bezogen – zu kommentieren veranlaßte  : Hodie non est

85 Dazu grundlegend Congar, Quod omnes  ; Michaud-Quantin, Universitas, 285ff. Siehe speziell zu klösterlichen Verhältnissen Jassmeier, Mitbestimmungsrecht. Zum hierfür sehr signifikanten Siegelrecht der Klöster siehe Melville, Verwendung, ins. 687ff. 86 Summarium  : In causa monasterii convenitur abbas per rescriptum, in quo nulla fit mentio de conventu  ; nec propter hoc appellari potest, nisi abbatis et conventus bona essent distincta omnino  ; Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 25. 87 Siehe dazu die profunde Untersuchung von Maccarrone, Costituzioni  ; vgl. auch schon Berlière, Innocent III. Insbesondere zum Institut der Visitation, wie es speziell in X 3. 35. 7 und 8 rechtlich umschrieben wurde, vgl. Oberste, Visitation, 52ff. 88 Vgl. dazu Berlière, Honorius III. 89 Istud non servatur de diversis ordinibus simili congregandis, sed Cluniacenses faciunt suum capitu­ lum per se, Cistercienses per se, Cartusienses per se, et sic de singulis. Et hoc quolibet anno  ; zitiert nach Maccarrone, Costituzioni, 21, Anm. 57. 90 Dazu Maccarrone, Costituzioni, ebd.: »Il loro capitolo generale, tenuto ogni anno, appariva un modello di efficienza e ad esso si attribuiva il fiorire della disciplina interna ammirata in quell’Ordine.« Siehe aber zur zeitgenössischen Einschätzung der Cisterzienser durch Innocenz III. auch Cariboni, Papato. Zum Funktionspotential des cisterziensischen Generalkapitels speziell im 13. Jahrhundert vgl. Cygler, in  : ders. / Melville / Oberste, Aspekte, 239ff. 91 Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 600.

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necesse aduocare, cum sint instructi [sc. die Mitglieder der Kapitel].92 Laut des Textes von X 3. 35. 8 sollten jene Kapitel tam in spiritualibus quam in temporalibus corrig[ere] et reform[are] quae viderint cor­ rigenda, ita tamen, quod monachos deliquentes per abbatem loci corrigi faciant, eisque iniungi poenitentiam salutarem iuxta beati Benedicti regulam et apostolica instituta, non secundum normam pravae consuetudinis, quae quasi pro lege in quibusdam ecclesiis inolevit.93

Der hierbei ebenfalls zum Ausdruck gebrachte Gedanke einer Rechtsvereinheitlichung zuungunsten schädlicher Sonderbräuche zeigte sich auch in den angedrohten Sanktionen gegenüber denjenigen Äbten, die in ihren jeweiligen Klöstern bei der Verfolgung von Übeltätern sich normwidriger Nachlässigkeit schuldig machten  : Si vero abbates in corrigendis iuxta visitatorum mandatum et regularia instituta in se ipsis seu monachis inventi fuerint negligentes, proclamentur et corripiantur, et ita puni­ antur publice in capitulo generali, quod poena ipsorum sit aliis in exemplum.94

Nicht zuletzt die besonders ausführliche Stellungnahme Innocenz’ IV. hierzu in seinem Apparatus verdeutlichte indes die schon im Text selbst hervorgehobene Befugnisbeschränkung jenes kollektiven Organs, welches die episkopalen Vorrechte nicht schmälern durfte  : Die versammelten Klostervorsteher sowie die von ihnen eingesetzten Visitatoren besäßen nämlich  – so Innocenz IV.  – keine ordinaria iurisdictio, vielmehr handelten sie delegatione Papae  ;95 Mißstände hätten sie zur Korrektur dem Ortsbischof zu denunzieren96 oder bei dessen Untätigkeit daraufhin dem Apostolischen Stuhl anzuzeigen. Damit ist das Stichwort gegeben für einen weiteren thematischen Schwerpunkt des Religiosenrechts im Liber extra, zu dem angesichts der Kürze dieses 92 Abbas antiquus, Apparatus, fol. 172r. Diese Bemerkung ist insofern interessant, als sie ein mittlerweile eingespieltes und allgemein übliches Verfahren suggeriert, obgleich der Erfolg der Neueinrichtung solcher Kapitel – soweit wir wissen – tatsächlich äußerst bescheiden war  ; siehe zu den wenigen bekannten Durchführungen Berlière, Chapitres généraux  ; Pantin, General and Provincial Chapters  ; Meersseman, Reform. 93 Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 601. 94 Ebd., 601f.; vgl. auch oben bei Anm. 83. 95 Innocenz IV., Apparatus, fol. 433v. 96 Zum Visitationsrecht der Bischöfe jener Zeit siehe Cheney, Episcopal Visitation.

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Beitrages allerdings einige knappe Hinweise genügen müssen. Neben X 3. 35. 197 suchen vor allem die Titel 3. 36 (De religiosis domibus, ut episcopo sint subiectae) und 3.37 (De capellis monachorum et aliorum religiosorum) unter anderem98 das Verhältnis zwischen episkopaler Gewalt und Religiosentum auf den Ebenen des Konsekrations-, des Disziplinar- und des Vermögensrechtes normativ abzustecken. Der Schule gab dies Gelegenheit, sich sehr differenziert sowohl über die Jurisdiktionsbefugnis des Ordinarius wie auch über das Institut der Exemption auszulassen. Die Tendenz ging dabei eindeutig in Richtung auf eine Stärkung der bischöflichen Position gegenüber den nicht-exempten Klöstern, wie dies schon beim 4. Lateranum zu beobachten war,99 wenn auch z. B. Bernardus de Botone, bezugnehmend auf X 3. 35. 1, lapidar einschränkte  : Nota quod episcopus nihil iuris habet in monachos nisi causa discipline.100 Obgleich hier nur eine sehr geraffte Skizzierung vorgenommen werden konnte und manche gewiß nicht unwichtige Einzelaspekte – wie z. B. das Problem des Seelsorgerechtes101 – übergangen werden mußten, dürfte genügend Material vorgelegt geworden sein, um vorderhand Zweifel anzumelden gegenüber der Behauptung von Hostiensis und Goffredus, aus dem allgemeinen ius der Kirche ließe sich kaum etwas gewinnen für den Rechtsstatus der religiösen Vereinigungen.102 Jene compilatio nova – wie Hostiensis den Liber extra auch bezeichnete –, die bekanntlich kirchliches ius von universaler Geltung ad com­ munem utilitatem103 zusammenfügte, hat die vita religiosa gewiß in reichem Maße berücksichtigt  ! So wurden  – wie gezeigt  – die spirituell begründeten substantialia des Religiosentums und die daraus abzuleitenden Verhaltensnormen angesprochen, dann die Position des Einzelnen gegenüber den Belangen  97 Mit dem Summarium  : Dioecesanus non debet molestare monasteria, praeterquam pro causa correctionis  ; nec eis oblata sibi vendicare  ; Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 596.  98 Den gesamten thematischen Umfang der beiden Titel gibt vor allem Hostiensis, Summa aurea, Lyon 1537, fol. 179v u. 180v, in guter Zusammenfassung wieder  : C. Quis dicatur locus religiosus. – C. Quis possit fundare locum religiosum – C. Cui subest. – C. Et vtrum religiosi pos­ sint fieri seculares vel econtra – C. Et quot habitaculis monachus seu abbas debeat esse contentus [zu X 3. 36] / C. In quibus capellis monachi habitare possint. – C. Quid iuris habeant episcopi in capellis. – C. Quid monachi [zu X 3. 37].  99 Dies wird sehr deutlich von Maccarrone, Costituzioni, passim, hervorgehoben. 100 Bernardus de Botone, Casus longi, fol. 147r. 101 Vgl. z. B. X 3. 35. 2 oder X 3. 37. 1. Das Seelsorgerecht spielte allerdings nicht mehr eine so konfliktäre Rolle zwischen der vita monastica und vita canonica wie noch im 12. Jahrhundert  ; vgl. zum gesamten Komplex schon Hofmeister, Seelsorge  ; Constable, Monastic Tithes, 145ff. 102 Siehe von Schulte, Geschichte, Bd. 2, 7, Anm. 15. 103 So in der Bulle Rex pacificus, Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 1–4.

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der klösterlichen Gemeinschaft unter besonderer Hervorhebung persönlichen Entscheidungsrechts, ferner wesentliche Organisationsstrukturen wie die Kontrolle der Klostervorsteher oder die Durchführung von Generalkapitel und Visitationen in Eigenregie und schließlich einige wesentliche Module hierarchischer Einordnung in das episkopale System der Gesamtkirche. Kommt man also noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurück, ob sich im Liber extra eine Rechtsmaterie finden läßt, welche unabhängig von den rechtlichen Sonderheiten religiöser Verbände universellen Geltungsanspruch zu erheben vermochte, so scheint jene in der Tat positiv zu beantworten zu sein. Der Liber extra sprach die vita religiosa nur – oder besser gesagt  : gerade – auf denjenigen Ebenen an, welche das Religiosentum sowohl in seinem inneren Bestand wie in seiner äußeren Verankerung ganz allgemein, doch nicht minder auch gemäß aktueller Entwicklungen fundierten. Es ging allein um Basis­ normen des sozialen Standes der Religiosen und dessen Institutionalisierung in Form von religiösen Vereinigungen, so daß im übrigen auch die Schule  – wie beispielhaft anhand einiger Äußerungen gezeigt  – durchaus zu generelldefinierenden Aussagen über den gegenwärtigen Rechtsstatus der vita religiosa schlechthin gelangte.104 Doch eben hier lagen zugleich die systematischen Grenzen, jenseits derer man auf das stieß, was Hostiensis und Goffredus als das eigentliche Problem eines kanonistischen Zugriffes auf das Religiosenrecht erkannten und mit jenen Worten circa hoc diverse inveniuntur observantie et statuta beziehungsweise quia diuersa […] habent institutiones umrissen  :105 die Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit der regularen Rechtsordnungen nämlich. Auf die Erfassung solcherart Differenzen aber kam es – wie hier eingangs illustriert  – seit dem 12. Jahrhundert, dem Zeitalter der ersten Ordensbildungen, mehr denn je an, sollten die sowohl in sich komplexer gewordenen wie auch gegenüber dem universalkirchlichen Umfeld sich deutlicher abgrenzenden institutionellen Formierungen der Religiosen korrekt umschrieben werden. Zwar fand die diversitas religiöser Vereinigungen im Liber extra durchaus mehrfache Erwähnung. Einzelne der neuen Orden – allen voran die Cisterzienser106 – wurden in bestimmten normativen Zusammenhängen direkt genannt. 104 Es scheint mir ein besonders dringendes Forschungsdesiderat zu sein, die Behandlung der vita religiosa durch die Schule des 13. Jahrhunderts systematisch vergleichend aufzuarbeiten. 105 Siehe oben Anm. 16 u. 19. 106 Neben den bereits erwähnten X 3. 31. 7 (Übertritt eines Cisterziensers in ein anderes Kloster) u. X 3. 35. 7 (Mitwirkung von Cisterziensern an den Regionalkapiteln) werden auch besondere Privilegierungen aufgeführt wie z. B. in X 1. 3. 6 mit dem Summarium  : Cister­

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Unterschieden wurde zudem etwa zwischen Mönchen und Regularkanonikern107 – wie auf den ersten Blick schon die aus der Compilatio tertia gezielt übernommene Titelrubrik zu X 3. 35 belegt108 – oder zwischen strengeren und milderen Lebensstilen.109 Geschieden wurde ferner zwischen exempten und nicht-exempten Klöstern oder zwischen solchen, die bereits von Generalkapitel und Eigenvisitation als stabilisierenden Einrichtungen Gebrauch machten, und solchen, die dies nicht taten.110 Doch dabei handelte es sich nicht um die Thematisierung von jeweils gesonderten Rechtsordnungen, deren Eigenständigkeit Ausfluß einer jeweils basalen Privilegierung war. In dieser Hinsicht hätte man vielleicht eher noch Klärung von X 5. 33 (De privilegiis et excessibus privilegiatorum) erwarten können, wo von 33 capitula immerhin 20 speziell auf Sonderrechte von religiösen Verbänden eingingen – etwa auf Exklusionen vom Interdikt, auf spezielle Begräbnisrechte, auf Anrechte von tragbaren Altären, auf interne Bestrafungen von Bluttaten etc.111 – und sich dabei sogar auch schon auf die neuartigen Bettelorden bezogen.112 Goffredus lieferte in der Kommentierung dieses Titels sogar eine katalogartige Zusammenstellung derartiger Privilegien  :

cienses sunt privilegiati, quod non possunt conveniri per rescriptum Papae, nisi in eo fiat mentio de eorum ordine  ; Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 18. 107 Besonders die Schule strebte hier nach klaren Unterscheidungsmerkmalen  ; vgl. oben bei Anm. 25ff., siehe auch Melville, Übertrittsproblem, 235ff. 108 Vgl. Quinque compilationes antiquae, ed. Friedberg, 124. In den sonstigen Compilationes antiquae finden sich jeweils Rubriken, die gerade nicht differenzieren  ; siehe ebd., 39, 87, 143, 176. 109 Vgl. oben bei Anm. 73ff. Ebenfalls im Rahmen der Unterscheidung zwischen Mönchen und Regularkanonikern geschah eine Taxierung der jeweiligen Strenge, die in besonders krasser Form zuungunsten der Regularkanoniker ausfiel  ; siehe vor allem X 3. 35. 5  : […] quia tamen istud de canonicis regularibus specialiter non cavetur, qui etsi a sanctorum monachorum consortio non putentur seiuncti, regulae tamen inserviunt laxiori […]. Vgl. dazu ausführlich Melville, Übertrittsproblem, 230f. u. 235ff. 110 Vgl. oben bei Anm. 89. 111 Vgl. im Überblick Brys, De Dispensatione, passim. 112 Z.B. X 5. 33. 30 (eine Dekretale Honorius’ III. aus der Compilatio quinta)  : In his, quae ad cultum divinum facere dignoscuntur, non maligna, sed benigna esset potius interpretatio fa­ cienda. Unde mirari compellimur, quod, quum fratribus Praedicatoribus et Minoribus duximus indulgendum, ut, ubicunque fuerint, sine parochialis iuris praeiudicio cum altari valeant viatico celebrare […]. Es ist höchst bemerkenswert, welch quantitativ geringe Rolle dennoch die Bettelorden in der Materie des Liber extra spielten, obschon Gregor IX. der einstige Kardinalprotektor der Minoriten und Raimund de Peñaforte Dominikaner war. Erst der Liber sextus bringt dann umfänglicheres Material.

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Est igitur sciendum quod Templarii et Hospitarii et Cistercienses et alii alibi monachi habent illud priuiliegium vt non soluant decimas de his terris quas propriis manibus et sumptibus excolunt […] Alii vero monachi habent priuilegium in noualibus suis que propriis manibus et sumptibus excolunt in ortis et nutrimentis animalium suorum […] Item commune priuilegium est omnium monachorum vt si quisquis manus violentas iniiciat in confratrem pro absolutione ad curiam non mittatur […].113

Angesichts solcherart Vielfalt läßt sich durchaus Verständnis gewinnen für jene Reklamationen des Goffredus und Hostiensis  : Non tamen posset de facili status vitae ipsorum a iure comprehendi beziehungsweise magis hoc per institutiones reli­ giosorum instruitur quam per iura. Denn auch bei letztgenannten Materien des Liber extra ging es nur um Einzelheiten, deren Form von Aneinanderreihung das um eines mehr bestätigt, was Knut Wolfgang Nörr als »eigentümlich pointillistische Manier« bezeichnet, mit der das »Gemälde des universalen Rechts« entworfen worden ist.114 Das Prinzipielle  – nämlich die systematische Differenz zwischen dem ius commune der Kirche einerseits und dem ius particulare der einzelnen Religiosenverbände andererseits  – ist dort nicht angesprochen worden, obgleich gerade auf dieser Ebene Klärungsbedarf bestanden hätte. Doch konnte es denn überhaupt – so ist schließlich zu fragen – in der Aufgabe des Liber extra als einer Kompilation, die wesensmäßig Materien des ius commune festschrieb, liegen, abgrenzend das Phänomen der privilegierten Stellung der Ordensverbände zu thematisieren, wenn – mit Goffredus gesprochen – doch galt  : Privilegium est beneficium contra ius commune concessum  ?115 Als Beleg, daß dies durchaus denkbar gewesen wäre, könnte man z. B. 2 Comp. 3. 22. 3–5 anführen, wo noch anhand von Privilegien, die seitens Alexanders III. den Cisterziensern zur Schaffung eines eigenen Rechtskreises konzediert wurden, geradewegs ein Musterfall der Konstituierung von ausgrenzendem Sonderrecht eines Ordens vorgelegt worden war.116 Diese Materie wurde vom Liber extra indes bemerkenswerterweise nicht übernommen. Gleichwohl findet sich sogar dort eine Dekretale – nämlich X 3. 35. 3117 –, die eigentlich sehr Grundsätzliches aussagt über die besondere Position der Orden gegenüber dem allgemeinen Kirchenrecht, wenn sie anläßlich aufgetretener Devianzen 113 Goffredus da Trani, Summa, fol. 232v. 114 Nörr, Päpstliche Dekretalen, 65. 115 Goffredus da Trani, Summa, fol. 115r. 116 Quinque compilationes antiquae, ed. Friedberg, 87f. 117 Corpus iuris canonici, ed. Friedberg, Bd. 2, 597f.

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der Cisterzienser118 vermerkt  : Si enim relictis originalibus ordinis institutis, ad communia volueritis aliorum monasteriorum iura divertere, oportebit et vos com­ muni iure censeri. Wohl kaum deutlicher als durch die Benennung der Möglichkeit ihrer Verwirkung hätte man die Differenz zwischen dem ius particulare von Religiosen und dem ius commune kennzeichnen können  ! Erstaunlicherweise blieb dieser Satz jedoch von der Schule nahezu unkommentiert. Ähnlich erging es auch dem c. 13 des 4. Lateranum, der novae religiones verbot oder solche zur Annahme einer bereits approbierten regula et institutio zwang  :119 Zwar wurde er in den Liber extra als 3. 36. 9 aufgenommen, dennoch wurde er von der Schule kaum näher beachtet, obgleich sein Text beste Ausgangspunkte zur Definition von institutio und ähnlichen, partikularrechtlich konstitutiven Begriffen aus der Welt der Orden geboten hätte.120 So gab der Liber extra gewiß eine nützliche Basis für Legaldefinitionen dessen ab, was grundsätzlich aus den substantialia der vita religiosa normativ zu folgern sei. Der aktuelle Klärungsbedarf gegenüber den diversae institutiones des neu formierten Religiosentums aber fand woanders seinen regulativen Niederschlag – nämlich in jenem Konvolut, das Michael Tangl folgendermaßen charakterisierte  : Die Sammlung aller Begünstigungen und Vorrechte, welche die Curie in wechselndem Ausmaß den verschiedenen Orden gewährte, war dementsprechend mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Stilmustern, sie war zugleich Rechtsaufzeichnung, und daraus erklärt sich wohl auch die offizielle Form, in der sie erfolgte.121

Die Rede ist von der kurialen Formelsammlung der  – um noch einmal die Begrifflichkeit der eingangs zitierten Rechtsquellenhierarchie des Dominikaner Humbert de Romanis anzusprechen122  – mandata pontificum, welche in den dann unter Innocenz IV. neu redigierten Liber provincialis aufgenommen 118 Zu den historischen Hintergründen dieser beachtenswerten Dekretale Alexanders III. siehe schon Leclercq, Passage  ; ders., Epitres  ; Swietek / Deneen, Ab antiquo, hier 18ff. 119 Constitutiones Concilii quarti Lateranensis, ed. García y García, 62  ; vgl. ausführlich dazu Maccarrone, Costituzioni, 36ff. 120 Besonders auffällig ist, daß gerade Innocenz IV. in seinem Apparatus, fol. 438r, nur auf den letzten Satz jenes Kanons einging, der über das Verbot, Abt in mehreren Klöstern zu sein, handelt, und dagegen die Einschränkungen neuer Ordensbildungen mit Stillschweigen überging. 121 Tangl, Kanzleiordnungen, xxxvii. 122 Siehe oben bei Anm. 4.

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worden waren.123 Eben dort, wo die Kurie die päpstlichen Approbationen der ordensrechtlichen Sonderungen vom ius commune zum praktischen Gebrauch zusammengestellt hatte, wäre Goffredus’ und Hostiensis’ Suche nach instructio über die institutiones religiosorum von Erfolg gewesen, die im Liber extra bezeichnenderweise scheitern mußte.

123 Tangl, Kanzleiordnungen, 228ff.

Zur Semantik von ordo im Religiosentum der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Lucius II., seine Bulle vom 19. Mai 1144 und der ›Orden‹ der Prämonstratenser

Sicherlich zu den bedeutendsten Einschnitten in der Geschichte des westlichen Religiosentums gehören jene komplexen Entwicklungen im 12. Jahrhundert,1 die zur Entstehung von Orden führten. Als ›Erfinder‹ und Wegbereiter der entsprechenden Organisationskonzepte gelten bekanntlich die Cisterzienser.2 Sie hatten sich erstmals mit der im Jahre 1119 päpstlich bestätigten Carta caritatis (prior)3 eine eigenständige, nur für sie geltende Satzung gegeben, welche im Unterschied zu den sonst üblichen Aufzeichnungen bereits gelebter Gewohnheiten4 prospektiv ausgerichtet war und das Ergebnis konsensual getroffener Entscheidungen darstellte. Zur Wahrung des Zusammenhaltes zwischen ihren selbst gegründeten und nicht (wie etwa noch im cluniazensischen Verband5) besitzrechtlich zusammengebundenen Abteien sowie zur Verwirklichung einer steten Korrektur ihrer Normen und ihrer Lebensweise, eines emendare, augere und reformare also,6 aber auch zum Zwecke einer übergeordneten Steuerung hatten sie zudem ein transpersonales Organ eingeführt, das die Gemeinschaft aller Cisterzienser als eine körperschaftliche Ganzheit und als ein Subjekt eigenen Rechts und Handelns repräsentierte  : das Generalkapitel.7 Ferner hatten sie ein System der Eigenvisitation errichtet, das außerhalb der üblichen Kontrollverfahren auf Diözesanebene stand und das sich exklusiv von Mutter- auf Tochterabtei entlang der Filiationsketten abspielte.8 – Dieses organisatorische 1 Dazu jetzt grundlegend Constable, Reformation. 2 Aus der großen Fülle an Forschungen über die Cisterzienser sei nur auf das neueste Sammelwerk verwiesen  : Unanimité et diversité cisterciennes. 3 Carta caritatis prior, in  : Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 274–282  ; die Bestätigung durch Calixt II. im Jahre 1119 ed. ebd., 294–297. 4 Wie sie noch einige Jahrzehnte zuvor z. B. seitens Cluny erstellt worden waren  ; vgl. Hallinger, Klunys Bräuche  ; Iogna-Prat, Coutumes et statuts  ; Wollasch, Verschriftlichung  ; Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte. Vgl. dazu auch den Beitrag von Joachim F. Angerer in diesem Band [Musik und Liturgie]. 5 Dazu jetzt Poeck, Cluniacensis Ecclesia  ; ders., Abbild oder Verband  ; Iogna-Prat, Cluny. 6 Carta caritatis prior, in  : Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 278. 7 Siehe dazu in Kürze Cygler, Generalkapitel [erschienen 2001]. 8 Siehe Oberste, Visitation, 57ff.

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Bündel von Satzung, Generalkapitel und Eigenvisitation war von bemerkenswertem Erfolg und führte dazu, daß es bis hin zum 4. Lateranum und auch später noch9 nicht nur allen anderen religiösen Vereinigungen als Vorbild hingestellt, sondern von diesen auch mehr oder minder getreulich übernommen wurde.10 Jenes Bündel umfaßte vor allem aber die konstitutiven Bausteine dessen, was man als Orden bezeichnen kann,11 wenn man diesen als eine organisatorische Form religiöser Vereinigungen versteht, deren Wesen sowohl im korporativen Zusammenhalt über die einzelnen Abteien hinweg wie in der Abgrenzung des Eigenen besteht. Joachim Wollasch hebt richtig hervor, daß die Cisterzienser »nicht das Leben in bestehenden Klöstern nach ihrer Art erneuern, sondern daß sie neues Leben in neuen Klöstern gründen wollten«, und fügt erläuternd hinzu  : […] so haben die Cistercienser aus ihrer Ordnung mönchischen Lebens, dem ordo ci­ sterciensis, eine juristische Klammer gemacht, die alle Cistercen verband und den Verband, den Orden, zugleich von allem nicht cisterciensischen Mönchtum weghielt.12

Gesatztes Recht, Generalkapitel und Eigenvisitation stellten Elemente dar, die nur für die Mitglieder der betreffenden Organisation galten und die nur dort Wirkung entfalteten. Sie waren die aus- und zugleich eingrenzende Signatur für die Identität eines körperschaftlichen Subjektes neuer Art, das als Träger eigenen Rechtes und eigenen Handelns fungierte. Kurzum  : »Der Orden wurde von den Cisterziensern geschaffen.«13   9 Vgl. Maccarrone, Costituzioni, 36ff.; Neiske, Reform, 81ff. Gleichwohl gab es auch schon früh eine aufschlußreiche Kritik seitens des Papsttums über manche Diskrepanz zwischen der im Cisterzienserorden geübten Lebenspraxis und dessen organisatorisch eigentlich gegen Verfälschung abgesicherten propositum  ; siehe Leclercq, Passage  ; ders., Epitres  ; Swietek / Deneen, Ab antiquo  ; Cariboni, Papato. 10 Ein knapper Überblick bei Mahn, L’ordre cistercien, 243ff. Zum strukturellen Problem einerseits der Angleichung auf organisatorischer Ebene und andererseits der Beibehaltung eines eigenen spirituell bestimmten propositum vgl. Cygler / Melville / Oberste, Aspekte, 212ff. Zum Phänomen der tatsächlichen Bewahrung von Eigenart und Vielfalt siehe Melville, Di­ versa sunt monasteria. 11 Es gibt bedauerlicherweise kaum organisationsanalytische Untersuchungen systematisch vergleichender Natur zum Phänomen ›Orden‹  ; hinzuweisen ist allerdings auf die Arbeit von Schmelzer, Religiöse Gruppen. 12 Wollasch, Mönchtum, 175 u. 180. 13 Ebd., 178. Vgl. allgemein zur Herausbildung kollektiver Rechts- und Handlungssubjekte (im mittelalterlichen Sinne von universitates – im modernen von ›juristischen Personen‹ bzw. ›personnes morales‹) in jener Zeit Gillet, Personnalité  ; Michaud-Quantin, Universitas.

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Der Bedeutung der Cisterzienser speziell im Bereich der vita monastica, welche von ihnen durch Befolgung einer puritas regulae erneuert werden sollte,14 ist diejenige der ›Prämonstratenser‹ für die vita canonica als durchaus vergleichbar gegenüberzustellen. Noch Humbert de Romanis, Generalmagister der Dominikaner von 1254 bis 1263, würdigte die Prämonstratenser in diesem Sinne  : […] reformaverunt et auxerunt religionem beati Augustini, sicut Cistercienses beati Be­ nedicti religionem, et excedunt omnes illius religionis in vitae austeritate, in observan­ tiarum pulchritudine, in discreto maximae multitudinis regimine per capitula generalia, et visitationes, et hujusmodi.15

Zudem formten die Prämonstratenser unter Anlehnung an das cisterziensische Muster recht rasch und konsequent eine Organisationsstruktur heraus, mit deren Hilfe sie die beachtlich zügige und umfängliche Vermehrung ihrer Klöster meistern konnten,16 nachdem es zunächst nur darum gegangen war, durch Ordensbildung einem drohenden Zerfall des Klösterverbandes zu begegnen  : Norberts Klöster waren in eine existenzbedrohende Krise geraten, als dieser im Jahre 1126 das Erzbistum Magdeburg übernommen hatte. Seine Klöster stellten eher einen »dislozierten Großkonvent« denn einen Verband selbständiger Häuser dar, so daß der Weggang Norberts sie in der Tat ›kopflos‹ machte und sie zudem befürchten mußten, sich dem Zugriff des jeweiligen Bischofs einzeln nicht entziehen und demnach die Auflösung der Gemeinschaft nicht verhindern zu können.17 Dank Hugo von Fosses, dem langjährigen Gefährten Norberts, kam es zu Gegenmaßnahmen, über deren ersten Schritt in der Vita Norberti A wie folgt, notiert wurde  : […] ne forte fratres ibidem per eum [sc. Norbert] aggregati absque pastore pereclitarentur, missis illo legatis liberam eis pastoris electionem indulsit […].18 Es war der Beginn einer Entwicklung, die schließlich zum Aufbau eines Ordens gemäß der neuen cisterziensischen Struktur führte. Hugo von Fosses wurde 1128 Abt von Prémontré  ; auch die anderen Häuser erhielten eigene Äbte. Um 1130 wurde ein Text mit eigenem

14 Dazu Schindele, Rectitudo  ; Schreiner, Puritas Regulae. 15 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 2f. 16 Die musterhafte Untersuchung eines einzelnen Verbreitungsraumes legte Ehlers-Kisseler, Prämonstratenser, vor. 17 Dazu und zu Folgendem anschaulich Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 76f. 18 Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 696.

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gesatzten Recht verfasst,19 der die Eigenvisitation regelte und die Aktivitäten eines von nun an jährlich abzuhaltenden Generalkapitels festlegte. Im Jahre 1131 erhielten die Prämonstratenser ein großes Privileg Innocenz’ II., das sie in den Genuß des beati Petri patrocinium und der apostolicae sedis protectio brachte.20 Wenn auch vor allem hinsichtlich der vorläufig weiterbestehenden bischöflichen Einflußmöglichkeiten die Eigenständigkeit der prämonstratensischen Klöster diejenige der Cisterzienser noch nicht erreichte,21 so hatte sich mit der neuen Organisationsform indes ebenfalls ein über der Einzelperson und dem Einzelkloster stehendes körperschaftliches Subjekt gebildet, das als solches ein eigener Rechts- und Handlungsträger war. Damit sind bekannte Dinge angesprochen, doch sie sollten hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden, um allen Zweifel daran zu nehmen, daß auch bei den Prämonstratensern schon sehr früh, nämlich ab den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts, eine recht erfolgreiche Ordensbildung stattgefunden hatte.22 Vor diesem Hintergrund nämlich erhält die wesentlich schwieriger zu beantwortende Frage ihren Sinn, ab wann die Gesamtheit der prämonstratensischen Klöster mit einem ›Begriff‹ benannt worden ist, der ihren Charakter als Orden tatsächlich eindeutig zum Ausdruck brachte. Daß die Sache selbst – gerade in einem Handlungs- und Kommunikationszusammenhang von Rechten – durch die Zuordnung eines Begriffes an Stabilität und Wirkungsvermögen gewinnt, braucht nicht eigens betont zu werden. Wenn Orden damals als eigene Rechtssubjekte aufzutreten beanspruchten, waren sie nicht nur auf innere und äußere Akzeptanz angewiesen, sondern primär darauf, daß sie überhaupt als derartige Subjekte wahrgenommen wurden. So zielt die Frage nach dem Einsetzen einer entsprechenden Bezeichnung auf einen entscheidenden Punkt im Prozeß einer Ordensbildung, nämlich auf die Markierung einer institutionellen Identität. Es war bekanntlich eben der Begriff ordo,23 welcher – nachdem er die Religiosen seit jeher als Bezeichnung ihrer Lebensordnung generell wie auch ihrer 19 Siehe dazu noch unten. 20 JL 7465  ; PL 179, 87f.; siehe dazu noch unten. 21 Siehe dazu Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 79f.; Oberste, Visitation, 162ff. 22 Ausdrücklich sei auf die Beiträge von Felten, Die Kurie und die Reformen im Prämonstratenserorden im hohen und späten Mittelalter, und Oberste, Zwischen uniformitas und diver­ sitas. Zentralität als Kernproblem des frühen Prämonstratenserordens (12./13. Jahrhundert), in diesem Bande hingewiesen, die auch die dennoch bestehenden Grenzen und Probleme der prämonstratensischen Ordensbildung – verursacht nicht zuletzt durch die Herausbildung eines weiteren Zentrums in Magdeburg – aufzeigen. 23 Vgl. den allgemeinen Überblick von Dubois, Ordo. Siehe auch den weit ausholenden B ­ eitrag

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jeweiligen Lebensordnungen im speziellen begleitet hatte – sich nun bald nach Beginn jener Ordensbildungsprozesse im 12. Jahrhundert ganz allgemein auch als Bezeichnung für alle regular lebenden und mit den drei oben genannten organisatorischen Merkmalen ausgerüsteten religiösen Vereinigungen durchsetzte. Die Semantik von ordo erfuhr also offensichtlich eine Erweiterung der herkömmlichen Bedeutung als ›[religiöse Lebens-]Ordnung‹ hin zur Bedeutung als ›Orden‹, dem organisatorischen Träger einer solchen Ordnung. Daß gerade ihm als Begriff des Normativen Vorrang gegeben wurde und nicht z. B. religio24 als einem Spiritualität konnotierenden Begriff oder etwa congregatio als einem Begriff, der stärker auf die Gemeinschaftsbildung und das Zusammenleben abhob, spricht für sich. Als Tatsache aber bleibt festzuhalten, daß somit ein im Religiosentum längst üblicher Begriff nun in einem extensiveren Sinne verwendet wurde und daß sich eben nicht ein neuer für das neue Phänomen herausgebildet hatte, der zudem noch exakt zu definieren gewesen wäre. Gerade hierin nämlich liegt das Problem, das der Forschung bis jetzt ziemliche Schwierigkeiten bereitet bzw. das sie zumeist im Dunkel von unpräzisen, zwischen den Bedeutungen ›Ordnung‹ und ›Orden‹ oszillierenden Formulierungen tappen läßt, wenn es darum geht, Zieldaten erfolgreicher Ordensbildungen anhand eines kennzeichnenden Einsatzes des Begriffes ordo zu bestimmen.25 Dieser kleine Beitrag versucht nun anhand prämonstratensischen Materials und mittels einiger methodischer Überlegungen ein wenig Aufhellung zu schaffen. Die einschlägige prämonstratensische Überlieferung eignet sich hierfür nicht schlecht, da sie für die frühe Zeit vergleichsweise umfangreich und komplex ist. Außerdem glaube ich – um dies vorwegzunehmen – nachweisen zu können, daß bei den Prämonstratensern der Begriff ordo schon beachtlich rasch, nämlich bereits im Jahre 1144, eine Anwendung fand, mit der die neue Organisationsform eines Ordens bezeichnet wurde. Doch zur Vorbereitung entsprechender Begriffsanalysen muß der Blick zunächst kurz auf ein zeitge von Landau, Der Begriff ordo, in diesem Bande. Es sei zudem an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, daß es eine Spezialität der deutschen Sprache ist, überhaupt lexikalisch unterscheiden zu können zwischen ›Ordnung‹ und ›Orden‹  ; man siehe dagegen z. B. das französische ›ordre‹, das italienische ›ordine‹ oder das englische ›order‹. Allerdings bedienen sich diese Sprachen üblicherweise der differenzierenden Möglichkeit der Großschreibung bei ›Orden‹ und der Kleinschreibung bei ›Ordnung‹. 24 Siehe Gribomont / Tillard, Religio (Religiosus). 25 Diese Sachlage hat bereits der in diesem Band auch von P. Landau [Der Begriff ordo] zitierte Hourlier, Cluny, 219f., recht genau auf den Punkt gebracht.  – Wenig ertragreich ist der knappe Abriß zu den prämonstratensischen Verhältnissen von Marton, Ordinis, so daß es mir nicht überflüssig erscheint, die Thematik hier noch einmal aufzugreifen.

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nössisches Material fallen, das die Spannweite zwischen den Polen der erweiterten Semantik von ordo schärfer fassen läßt. *** Etwa in jener Zeit, als Norbert von Xanten eben Prémontré gegründet und dort die Augustinusregel eingeführt hatte, weil sine ordine et sine regula et sine patrum institutionibus die apostolischen und evangelischen Gebote nicht ungeschmälert befolgt werden könnten,26 wandte sich Stephan von Muret († 1124) an die Mitglieder seiner eremitischen Gemeinschaft im Limousin, um sie schützend auf den möglichen Vorwurf Dritter vorzubereiten, daß das, wonach sie leben, weder gemäß eines ordo noch einer regula der doctores sanctae ecclesiae sei.27 Anlaß war die Feststellung, daß Religiose üblicherweise bereits durch ihren Habit als Befolger entweder der regula sancti Augustini oder des ordo sancti Benedicti zu erkennen seien, die Jünger Stephans sich indes keiner dieser beiden Normvorgaben unterwarfen.28 Sie folgten, jegliche tradierten Regeln ablehnend, allein ihres Lehrers ›Wort‹, an dessen Anfang stand  : Non est alia regula nisi euangelium Christi  !29 Stephan verdeutlichte nun, daß jene Kritiker, die seinen Jüngern vorwarfen, sie lebten ohne irgendeine Regel und Ordnung, im Grunde gar nicht wußten, was ordo uel regula eigentlich bedeuteten  : Sed quamuis ille qui hoc uobis dixerit habeat indumenta signumque religionis, dico uobis firmiter quod uitam suam abnegauit, ignorans quid sit ordo uel regula.30 So solle man der Kritik mit Fragen begegnen, die sich auf die von Stephan veranlaßten institutiones der Gemeinschaft bezogen, nämlich  : 26 Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 683. 27 Liber de doctrina, ed. Becquet, 60. Dieses Werk wurde nach dem Tode Stephans auf Veranlassung seines Schülers Hugo de Lacerta († 1158) abgefaßt  ; es stellte eine Sammlung authentischer bzw. für authentisch gehaltener Lehrsätze Stephans dar. Vgl. zu Stephan und den Anfängen seiner Gemeinschaft, aus der nach seinem Tode der Grandmontenserorden hervorging, vor allem Becquet, Études grandmontaines  ; sowie da Milano, Prefrancescanesimo  ; Hutchison, Hermit Monks  ; Melville, Regula regularum  ; ders., In solitudine. 28 Zur prinzipiell hoch aufgeladenen Symbolik der Farbe des Habits siehe neuerdings Pastoureau, Les Cisterciens, und in weiterem Umgriff ders., Jésus. G. Schreiber, Vorfranziskanisches Genossenschaftswesen, 405, weist auf Parallelen in der spirituell vergleichbaren Bewegung des zeitgenössischen Vitalis von Savigny hin  : »Auffällig für die – von Farbe und Symbol stark beeindruckten – Zeitgenossen ist im besonderen das graue Gewand, das sich scharf von der als sakrosankt erachteten Tracht der Benediktiner abhebt.« Siehe dazu unten bei Anm. 37 auch die von Anselm von Havelberg überlieferten zeitgenössischen Meinungen. 29 Liber de doctrina, ed. Becquet, 5. Siehe dazu ausführlicher Melville, Regula regularum, 349ff. 30 Liber de doctrina, ed. Becquet, 60  ; ebd., 60f. die nachfolgenden Zitate.

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Numquid pastor noster propter hoc excedit ordinem uel regulam quia, permanendo in claustro suo, curam gerit cum adiutorio diuinae gratiae, animarum discipulorum suo­ rum a Deo sibi commissarum  ? Eicit nos ideo pastor noster ab ordine uel regula quia conseruat inter nos unitatem omnium rerum cum Dei adiutorio, nulli permittens ha­ bere proprium, nisi tantum amandi ac ceteris seruiendi  ? Intimate nobis, uos qui mores nostros reprehenditis, si pastor noster ab ordine uel regula nos expellit quoniam a cogna­ torum nostrorum domos, quas reliquimus, nos minime redire permittit, nec uult ut eis ad nos uenientibus paupertatem nostram indicemus  ?

Acht weitere Fragen dieser Art schlossen sich an  – darunter solche, die das Verbot von Pfarrkirchen, die Zurückweisung von Frauen, die Abkehr von Handelsgeschäften oder die Ablehnung von Tierhaltung betrafen und die daran ebenfalls stereotyp das Kriterium eines Lebens unter ordo vel regula knüpften. In einer Zusammenfassung hieß es schließlich, daß nur derjenige extra omnem ordinem uel regulam stehe, der von den diuina praecepta abweiche.31 Die Rhetorik dieser Aufzählung zielte auf die Suggestion, daß sich die genannten Verhaltensformen mühelos in den Rahmen dessen einpassen ließen, was unter ordo (und parallel dazu  : unter regula) überhaupt zu verstehen sei, obgleich sie nicht eine der tradierten Regelbefolgungen darstellten  – mehr noch  : daß gerade sie es seien, anhand dessen bestimmt werden könne, was ordo tatsächlich bedeute. Grundsätzlich habe man unter ordo ganz allgemein jegliche religiöse Lebensweise zu verstehen, die in gemeinschaftlicher Form unter den Normen der diuina praecepta und des euangelium Christi praktiziert werde. Dies nicht zu begreifen, bedeute eine Haltung der Ignoranz, welche die Anwendbarkeit des Begriffes ordo nur auf bestimmte anerkannte Verhaltensvorgaben durch doctores sanctae ecclesiae beschränkte. Bei Stephan hatte ordo angesichts seines Ursprunges im Evangelium den Charakter eines Universalbegriffes, mit dem sich darauf hinweisen ließ, daß das Wesen jeglicher echter vita religiosa in der Verwirklichung von regularer Lebensordnung bestehe. Obgleich weder Mönche gemäß Benedikt noch Kanoniker gemäß Augustinus  – aufgrund ihrer gottgefälligen und dem Evangelium nachgebildeten Einrichtungen sah sich seine Gemeinschaft der Kategorie ordo nicht minder zugehörig als andere. Sofern ordo nicht spezifiziert zu werden brauchte, war ›Religiose sein‹ und ›das Leben nach ordo sive regula leben‹ ein und dieselbe Sache. Gerade weil Stephan und seine Gemeinschaft anders sein wollten als alles Vorgefundene, bedurften sie dieses denkbar weite31 Ebd., 62.

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sten Bedeutungsumfangs von ordo, dessen Inhalte sie behaupteten vollständig abzudecken. Erkannten die Zeitgenossen, daß die Jünger Stephans nicht ›outlaws‹ gleich in privatis locis proprio jure lebten – wie der herbe Vorwurf Ivos von Chartres gegenüber den sich ausgrenzenden Eremitengruppen lautete32 –, sondern daß sie strikt dem Evangelium folgten, dann dürften solche semantischen Universalisierungen des ordo-Begriffes gar nicht so unverständlich gewesen sein.33 Auch seitens des Mönchtums wurde ordo bislang als ein Begriff gebraucht, der allenfalls eine Auffächerung zwischen vita monastica und vita canonica umspannte, wenn es galt, zwei konkurrierende Formen des Religiosentums dennoch auf einer vergleichbaren Ebene zu sehen,34 der ansonsten aber klösterliche Lebensordnungen weniger in Aus- und Abgrenzung zu anderen bezeichnete als vielmehr Lebensmuster, welche recht beliebig übertragbar waren. Als anschauliches Beispiel sind die Cluniazenser zu nennen, deren vorgelebter und niedergeschriebener ordo »eine bewegliche, nach überall hin geöffnete Größe, nämlich die cluniazensische Art und Weise, mönchisch im Kloster zu leben« darstellte, wie Joachim Wollasch formuliert.35 Und es darf hier weiter zitiert werden aus dessen präziser Skizzierung eines solcherart offenen Umgangs mit ordo als Begriff und Sache  : Der ordo cluniacensis galt als mönchische Lebensform, die gelehrt werden konnte (doceri), wie wir aus S. Trond erfahren. Man konnte sie, wie in S. Bertin geschrieben wurde, lernen (discere). Sie ließ sich, wie wir aus dem Prolog der Consuetudines Far­ fensis hören oder aus der Vita Udalrichs wissen, ›exportieren‹ und nach landschaftlichen und örtlichen Gegebenheiten durchaus abwandeln, wie es Wilhelm von Hirsau im Prolog der Constitutiones Hirsaugienses von den cluniacensischen consuetudines Udalrichs darlegte.36

Ordo dann aber im Sinne von ›Orden‹ war nicht universell, er markierte eine Differenz, da zum Orden – wie schon bemerkt – wesenhaft die Ausgrenzung eigener Identität gegenüber anderen gehörte. Diese Tatsache ist angesichts der 32 Ivo von Chartres, ep., 200. Siehe dazu van Moolenbroek, Vital, 216ff. 33 Immerhin gaben die recht ansehnliche Verbreitung und die vielfache Unterstützung auch durch weltliche Machthaber den Jüngern Stephans die faktische Bestätigung, daß ihre Argumente überzeugend sein konnten  ; siehe dazu beispielhaft Hallam, Henry II. 34 Zu solchen Auseinandersetzungen, Abgrenzungen und Vergleichen siehe Melville, Übertrittsproblem  ; Fonseca, Monaci e canonici, 203–222. 35 Wollasch, Mönchtum, 157. 36 Ebd.

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eben skizzierten Strukturen höchst bemerkenswert. Der Begriff ordo hatte sich offensichtlich nicht nur erweitert von der Bedeutung ›religiöse Lebensordnung‹ zur Bedeutung ›Orden‹, vielmehr mußte er sich in diesem Zuge auch gewandelt haben von einem Universalbegriff zu einem Differenzbegriff. Und es wird zu fragen sein, ob dieser Wandel schon vorab auf der Ebene der Bedeutung ›Lebensordnung‹ erfolgte, so daß dadurch der semantische Übergang zu ›Orden‹ überhaupt erst möglich war. Schlaglichtartig wird eine solche Struktur bei der Lektüre jener Worte deutlich, die der Prämonstratenser Anselm von Havelberg im Jahre 1145 fand, als er dem Unverständnis mancher Zeitgenossen angesichts der Auffächerung der vita religiosa begegnen wollte  :37 Solent plerique mirari, et in quaestionem ponere, et interrogando non solum sibi, verum etiam aliis scandalum generare   : dicunt enim, et tanquam calumniosi inquisitores inter­ rogant  : Quare tot novitates in Ecclesia Dei fiunt  ? Quare tot ordines in ea surgunt  ? Quis numerare queat tot ordines clericorum  ? Quis non admiretur tot genera monachorum  ? Quis denique non scandalizetur, et inter tot et tam diversas formas religionum invicem discrepantium taedioso non afficiatur scandalo  ? Quinimo quis non contemnat Christia­ nam religionem tot varietatibus subjectam, tot adinventionibus immutatam, tot novis legibus et consuetudinibus agitatam, tot regulis et moribus fore annuatim innovatis fluc­ tuantem  ? […] Ecce videmus in Ecclesia Dei […] quosdam emergere, qui pro libitu suo insolito habitu induuntur, novum vivendi ordinem sibi eligunt, […] et nec monachos qui sub Regula beati Benedicti militant, nec canonicos qui sub Regula beati Augustini apostolicam vitam gerunt, imitantur.

Anselm begegnete diesen besorgten Fragen mit der Feststellung, es erscheine als manifest, daß das unum corpus Ecclesiae von einem Heiligen Geist belebt werde, welcher zwar unicus in se, indes multiplex in multifaria donorum suo­ rum distributione sei und welcher immer schon die Menschen diversis modis et diversis legibus et institutis belehrt habe und sie immer noch belehre.38 Auch Anselm ging es um den Sachverhalt der als ordo zu bezeichnenden religiösen Lebensordnung allgemein, wie es dem unum corpus Ecclesiae entsprach, aber er sah sie bereits durch das Wirken des Heiligen Geistes in der neuartigen und offenkundig von vielen noch als höchst problematisch empfundenden Struktur ausdifferenziert. Klaus Schreiner bringt die heilsgeschichtliche Erklärung der Differenz treffend auf den Punkt  : »Vielheit« als »ein Strukturprinzip göttlichen 37 Anselm von Havelberg, Dialogi, 1141f. Siehe dazu Melville, Duo novae, 19ff. (hier S. 98ff.). 38 Anselm von Havelberg, Dialogi, 1143f.

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Schöpfungs- und Ordnungshandelns rechtfertige auch die Pluralität klösterlicher Lebens- und Gemeinschaftsformen.«39 Gerade also die Wege der Wandlungsstrukturen hin zum Differenzbegriff werden genau zu beobachten sein, wenn es folgend um die prämonstratensischen Befunde geht. Man wird es mit äußerlich recht unspektakulärem Material zu tun haben. Begriffsgeschichten dieser Art spielen sich letztlich auf dem Felde solcher subtilen grammatikalischen Konstruktionen ab, die immerhin semantisch aufschlußreiche Kontexte dergestalt setzen, daß diese die gesuchten Denotate einigermaßen zuverlässig erschließen lassen. *** Wenn man mit ordo ein Ordnungsarrangement bezeichnete, das als transpersonales Subjekt eigenen Handelns erschien und das zudem eigene, dieses Handeln ermöglichende Organe aufwies, dann dürfte – den Eingangsüberlegungen folgend – mit dem Bezeichneten nicht nur eine Lebensordnung, sondern ein ›Orden‹ im eben umrissenen Sinne gemeint sein. Eben dies war bei den Prämonstratensern erstmals in einer Urkunde ­Lucius’ II. der Fall, die am 19. Mai 1144 ausgestellt worden war.40 Der Papst adressierte dort an Abt Hugo I. sowie an dessen coabbates und an die praepositi, priores et universi fratres Praemonstratensis ordinis. Diese (bereits früher übliche41) Formulierung barg allerdings noch nicht unabweisbar die Bedeutung ›Orden‹  ; zwei nachfolgende Textpassagen indes haben eine ganz andere semantische Qualität  : Ad uberes fructus quos sacer Praemonstratensis ordo in agro militantis Ecclesiae, coelesti institutione plantatus produxit hactenus, et continue producere non cessat, nostrae dirigen­ tes considerationis intuitum, et attenta meditatione pensantes, quod illi Dominus tantum dederit incrementum, ut a mari usque ad mare suos palmites jam extenderit, ex apostolici cura tenemur oficii circa hujusmodi religionis augmentum attenti et vigiles inveniri  ;

und  : 39 Schreiner, Dauer, 326. Vgl. auch Constable, Diversity. Es ist ausdrücklich auf ein weiteres wichtiges Zeugnis jener Epoche für ordo als Differenzbegriff religiöser Lebensordnungen hinzuweisen, auf den Libellus de diversis ordinibus et professionibus qui sunt in aecclesia, ed. Constable / Smith. 40 JL 8614  ; PL 179, 8861f. 41 Dazu noch unten.

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prohibentes insuper ad exemplar praedecessoris nostri felicis memoriae Coelestini II, ne archiepiscopi aut episcopi, abbates vel praepositi ordinis vestri in suis episcopatibus com­ morantes, ad conventum generalem ordinis nullatenus venire prohibeant, imo nolentes ire districte cogant.42

Im erstzitierten Textabschnitt war die Rede von einem durch göttliche Einrichtung in das Feld der kämpfenden Kirche gepflanzten ordo Praemonstratensis, der bislang ergiebige Früchte hervorgebracht habe und der weiterhin solche hervorzubringen nicht ablasse. Gott habe diesem ordo ein solches Wachstum verliehen, daß er seine Zweige von Meer zu Meer ausdehnen konnte. – Mit solchen Ausführungen dürfte kaum mehr die Lebensordnung allein angesprochen worden sein, vielmehr auch ein körperschaftliches Subjekt, das Gegenstand göttlichen Förderwillens war und das sich dementsprechend auffächerte, das selbst agierte und Wirkungen erzielte. In der zweiten Textpassage wurde den Erzbischöfen und Bischöfen verboten, die Prämonstratenser an der Teilnahme ihres Generalkapitels zu hindern. Und exakt die genauere Kennzeichnung derjenigen institutionellen Rahmung, in der dieses Generalkapitel stehe, verwies eindeutig auf die erweiterte Semantik des Begriffes ordo. Die betreffende Formulierung lautete  : ad conventum generalem ordinis. D.h., es wurde grammatikalisch so formuliert, daß der im Genitiv stehende Begriff ordo einem zentralen Organ zugeordnet war, welches diejenige Instanz der Gemeinschaft darstellte, die diese wiederum repräsentierte. Das Kollektivorgan ›Generalkapitel‹ erscheint somit semantisch als eine Einrichtung des ordo, der sich hierfür vice versa selbst als eine organisierte Trägerschaft – also als eine Körperschaft im Sinne eines Ordens – bereitstellen muß. Sehr deutlich wird diese semantische Struktur anhand der bereits erwähnten parallelen Formulierung in der Inscriptio dieser Urkunde  : […] et coabbatibus, praepositis, prioribus et universis fratribus Praemonstratensis ordinis […].43 Hier ist der Begriff ordo auf einzelne Personen bezogen (die nicht nur Amtsträger sind  !) und kann somit durchaus deren gemeinsame Lebensordnung im Sinne nur einer kollektiven Verhaltensstruktur bedeuten. Die Bedeutung ›Orden‹ schloß indes keineswegs die semantische Dimension der Lebensordnung aus, wie aus Formulierungen hervorgeht, die den beiden zitierten Stellen nachfolgten  :

42 Beide Zitate PL 179, 881. 43 Ebd.

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Ut autem tam in praelatis quam in subditis vestri ordinis integritas inviolabiliter ob­ servetur, decernimus ut, si quis abbatum vel praepositorum ecclesiarum vestrarum ab ordinis vestri praeposito et consuetudine monasterii Praemonstratensis deviarit, pater ab­ bas super correctione sua eum bis tertiove commoneat. Quod si incorrigibilis apparuerit, dioecesanus episcopus sub praesentia et testificatione patris abbatis et duorum ejusdem ordinis abbatum, sine omni dilatione ordinis sui transgressorem deponet.44

Hier war zunächst von der integritas des ordo die Rede und damit konnte durchaus die Unversehrtheit speziell auch nur einer Lebensordnung angesprochen sein  ; das gleiche gilt für die Worte ab ordinis vestro proposito, wohingegen bei der Nennung jener Äbte ejusdem ordinis, die an der Absetzung des devianten Prälaten mitwirken sollten, mit ordo erneut der organisatorisch abgrenzende Aspekt stärker in den Vordergrund gestellt worden ist. Diesem Schlüsseldokument ging eine stattliche Reihe von Papsturkunden an die Prämonstratenser voraus. Nahezu alle wiesen den Begriff ordo in einer Verwendung auf, welche seine langsame Bedeutungserweiterung sehr deutlich aufzeigen läßt. Das erste, unter diesem Aspekt recht aussagekräftige Dokument war bereits die an Norbert und seine Kanoniker gerichtete Bulle Honorius’ II. vom 16. Februar 1126, in welcher neben den Besitzungen und abhängigen Klöstern insbesondere die von den Prämonstratensern praktizierte religiöse Lebensform bestätigt wurde.45 Hierzu hieß es  : Quia igitur vos religiose vivere et canonicam vitam secundum beati Augustini institu­ tionem ibidem ducere, inspirante divina gratia decrevistis, propositum vestrum sedis apostolicae auctoritate confirmamus, et firmos vos in remissionem peccatorum vestrorum in eo persistere adhortamur. Statuimus itaque, ut in ecclesiis vestris, in quibus fratres vitam canonicam professi degunt, nulli omnino hominum liceat secundum beati Augu­ stini regulam ibidem constitutum ordinem commutare, nullus etiam episcoporum futuris temporibus audeat, ejusdem religionis fratres ab ecclesiis vestris expellere […].

44 Ebd. – Zu bereits früheren Zeugnissen dieser Regelung siehe hier unten. 45 JL 7244  ; PL 166, 1249–1251. Vgl. zu den historischen Umständen dieser Urkunde ausführlich Weinfurter, Ordensstifter und ›Eigenkirchenherr‹, 73ff., der hervorhebt, daß »der Inhalt des Privilegs […] Norberts Vorstellungen und Wünschen genau entsprochen [haben dürfte]« (ebd., 74). Diese Urkunde verdeutlicht vor allem, wie S. Weinfurter aufweist, daß hier ein Klosterverband angesprochen wurde, der »besitzrechtlich Norbert und den Mitbrüdern von Prémontré unterstellt war« (ebd., 75).

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Es handelte sich inhaltlich um eine frühe Form der dann ab Innocenz II. (1130– 1143) gängigen Formel, die von Jacques Dubois zutreffend als »clause de régularité« bezeichnet wurde.46 Schon hier stand der Gedanke im Vordergrund, daß die päpstliche Anerkennung deshalb ausgesprochen wurde, weil religiöses Leben (religiose vivere) im Rückgriff auf eine der traditionell anerkannten Regeln (secundum beati Augustini institutionem) eingehalten wurde. Folgerichtig war daran die Bedingung geknüpft, in den Klöstern an dieser Struktur nichts zu verändern – wörtlich  : »den gemäß der Regel des Heiligen Augustinus dort errichteten ordo nicht abzuwandeln.« Die Verwendung speziell des Begriffes ordo diente in diesem Zusammenhang ganz offensichtlich der Verdeutlichung, daß sich in den Klöstern Norberts eine Ordnung des gemeinschaftlichen Lebens herausgebildet hatte, die einem spezifischen religiösen Vorhaben (propositum vestrum), einer religio, wie es hieß, im Rahmen der Augustinusregel entsprach und die nicht umgewandelt, umgeändert werden durfte. Daß über die konstitutiven Elemente dieser Ordnung nichts weiter, insbesondere nicht Differenzierendes, ausgesagt wurde, deckt sich durchaus mit der damaligen Lage im Klösterverband, in dem nur das ›Wort‹ Norberts47 neben der Augustinusregel48 galt und es sonst noch keine verschriftlichten Normen gab. Jene Unveränderbarkeitsklausel wurde nur wenige Tage darauf bei der Gründungsbestätigung Cappenbergs wieder gebraucht.49 Sie fand aber auch noch wesentlich später in einer für Abt Hugo I. von Innocenz II. ausgestellten

46 Dubois, Les ordres religieux, 285, wo das für die Anwendung entweder auf die Benediktsoder Augustinusregel offene Schema folgendermaßen wiedergegeben wurde  : In primis siqui­ dem statuentes, ut ordo […] qui secundum Deum et beati […] regulam atque institutionem […] in eodem monasterio institutus esse dinoscitur perpetuis ibidem temporibus inviolabiliter observe­ tur. Die Formelsammlungen bei Tangl, Kanzleiordnungen, 228ff., zeigen den nachhaltigen Erfolg dieses Schemas. 47 Vgl. dazu Weinfurter, Norbert von Xanten als Reformkanoniker, 172  : »Der gesamte ordo, die erste Stufe des ›Prämonstratenserordens‹, war ganz auf die Person, die Rechts- und Reformvorstellungen Norberts ausgerichtet«  ; siehe auch dens., Ordensstifter und ›Eigenkirchenherr‹, 70f. So kann die Bemerkung in der Jahrzehnte später verfaßten Vita Norberti (A), ed. R. Wilmans, 696, bei Weggang Norberts habe eine dissolutio ordinis gedroht, auch nur als eine Äußerung über die gemeinsame Lebensform in den von Norbert gegründeten Klöstern verstanden werden, nicht jedoch über den Zustand einer Ordensorganisation  ; vgl. dazu auch Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 76. 48 D.h. bekanntlich gemäß dem Ordo monasterii  ; dazu schon Dereine, Le premier ordo. 49 PL 166, 1251f., hier 1251  : nulli omnino liceat secundum B. Augustini regulam in eisdem ecclesiis constitutum ordinem mutare. Zur Gründung Cappenbergs siehe Weinfurter, Ordensstifter und ›Eigenkirchenherr‹, 81ff.; Ehlers-Kisseler, Prämonstratenser, 54ff.

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Bulle50 wörtliche Verwendung, als bereits gänzlich andere Rechtsstrukturen herrschten. Die Urkunde Innocenz’ II. vom 12. April 1131, die sich nun schon an Hugo I. als Abt von Prémontré und an alle weiteren Amtsträger und Brüder Praemon­ stratensis ordinis richtete,51 ließ dann die Elemente der prämonstratensischen Lebensordnung etwas spezifizierter sehen  : Zunächst wurde in Abwandlung der vorangegangenen Formulierung zur Unveränderbarkeitsklausel gesagt, es werde festgelegt, ne post haec aliquis vestrum vel successorum vestrorum et modum regulae et praerogativam religionis quae in Praemonstratensi Ecclesia observatur, aliqua temeritate infringere aut immutare praesumat. Angesichts dieses Sachverhaltes solle sich vielmehr ein jeder anstrengen, ut ordo vester de bono in melius provehatur.52 Aus einer solchen Formulierung läßt sich mit Gewißheit nur auf einen Gebrauch von ordo im Sinne einer durchaus zu verbessernden ›Lebensordnung‹ schließen. Diese wird in einer nachfolgenden Passage zur Devianz von Amtsträgern – wie später dann wieder in der oben zitierten Stelle aus der Urkunde von 114453 – allerdings etwas genauer umschrieben  : […] decernimus ut si quis abbatum Ecclesiarum vestrarum, ab ordinis sui proposito et consuetu­ dine Praemonstratensis monasterii deviaverit […].54 Zum ersten Mal wurde hier ordo in einem Atemzug mit speziellen consuetudines der Gemeinschaft genannt. Der Gedanke scheint nicht abwegig zu sein, daß es sich dabei bereits um eine Erwähnung jener ersten prämonstratensischen Statuten handelte, deren Entstehung in diesen Zeitraum fallen dürfte.55 Dies ist um so bedenkenswerter, als im Text jener Statuten zum einen ausdrücklich auf die Norm hingewiesen wurde, daß in allen prämonstratensischen Abteien unter anderem die gleichen consuetudines aufzufinden seien,56 und zum anderen vermerkt wurde, daß der visitierende Vaterabt nur das anordnen dürfe, quod ad ordinem pertinet.57 Es 50 1134 V 3  ; in  : Lefèvre, Deux bulles pontificales, 69. 51 JL 7465  ; PL 179, 87f. Vgl. dazu Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 80. 52 PL 179, 87. 53 Vgl. oben bei Anm. 44. 54 PL 179, 88. 55 Ed. van Waefelghem, Les premiers statuts, der den Statutentext folgendermaßen datiert  : »… qu’il est antérieur à l’année 1143 et peut-être même à l’année 1135«  ; ebd., 14. Heijman, Prämonstratenser-Gewohnheiten. Vierter Abschnitt  : Entstehung der Prämonstratenser-Gewohnheiten, 113–131, hier 114, u. Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 78, sprechen von »ungefähr« bzw. »etwa 1130«. Krings, Ordensrecht, 108, hält die Jahre unmittelbar nach 1128 als Entstehungszeitraum für wahrscheinlich. 56 Les premiers statuts, ed. van Waefelghem, 34. 57 Ebd., 35. Vgl. dazu Oberste, Visitation, 176ff.

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ist Stefan Weinfurter zuzustimmen, »daß hier erstmals der Begriff ordo als eine über den Einzelkonventen stehende Größe verstanden wird«58 – allerdings nur im Sinne einer gemeinsamen Lebens- und (so ist nun schon zu präzisieren) Rechtsordnung, wie aus der Fortführung der eben zitierten Stelle aus den con­ suetudines deutlich hervorgeht, die ordo im Schulterschluß zum Begriff regula sah  : Si in eodem videlicet loco regule vel ordini contrarium quippiam deprehende­ rit, cum presentis abbatis consilio karitative corrigere poterit.59 So ist festzuhalten, daß in den genannten Statuten wie in der hier herangezogenen Urkunde Innocenz’ II., deren zitierte Passagen z. B. auch in den Privilegien desselben Papstes für S. Martin in Laon (12. April 1131 und 21. März 1138)60 wiederzufinden sind, ordo bereits als Begriff für eine innere Kohärenz ebenso wie für eine Differenz gegenüber Außenstehendem fungiert. Er ist von nun ab ein Identitäts- und Differenzbegriff, der die gemeinsame und abgesonderte Lebensordnung umschreibt,61 die übrigens hier noch nicht einmal der Erwähnung der Augustinusregel (!) bedurfte.62 Die Privilege Innocenz’ II. für Floreffe (bei Namur) vom 21. Dezember 1138 wie ebenso für andere prämonstratensische Häuser vom gleichen Datum63 weisen erneut eine Unveränderbarkeitsklausel auf, in der unter anderem auch die Augustinusregel erwähnt ist  : Ordinem quoque, et propositum vestrum canonice vivendi secundum B. Augustini regulam, et institutionem Praemonstratensis Eccle­ siae, nullus audeat immutare, vel super vos ordinem alterius professionis inducere. Der Unterschied zu jener hier bereits zitierten analogen Formulierung noch aus Norberts Zeit in Prémontré – nulli omnino hominum liceat secundum beati Augustini regulam ibidem constitutum ordinem commutare 64 – besteht in einer noch stärkeren Auffächerung von drei Ebenen, nämlich von ordo, vom proposi­ tum der Regelbefolgung und von institutio. Dabei bezog sich institutio auf das 58 Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 78. 59 Les premiers statuts, ed. van Waefelghem, 35. Dazu schon mit gleicher Beurteilung Oberste, Visitation, 177. 60 JL 7467 u. 7877  ; PL 179, 88–90, 349f. 61 Zum systematischen Ort des partikularen Rechts sich neu formierender Orden siehe Melville, Ordensstatuten. 62 Dies fällt vor allem im Vergleich zu jenen Urkunden auf, die die genannte »clause de régularité« (siehe oben bei Anm. 46) mit ihrer strikten Anbindung an eine der traditionalen Regeln aufwiesen  ; dazu auch noch unten. 63 Für Floreffe  : JL 7924  ; PL 179, 381f. (dort das nachfolgende Zitat)  ; vgl. auch JL 7925  ; PL 179, 382f. (für die Abtei Vicogne bei Valenciennes), und JL 7931  ; PL 179, 391–393 (für die burgundische Abtei Septfontaines-en-Bassigny). 64 Siehe oben bei Anm. 45.

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geltende (in Form höchstwahrscheinlich der bereits genannten Satzung wie auch sonstiger Gewohnheiten bestehende) Recht, während ordo wohl als Bezeichnung für die gesamte, auch die Regelobservanz umschließende Rechtsordnung verwandt wurde – was durch den letzten Satz deutlich wird, wo die Einführung eines ordo anderer Profeß untersagt und somit die exkludierende und zugleich das ganze Eigene identifizierende Trennlinie scharf gezogen wurde. Neben dieser Formel war zeitgleich eine zweite in Verwendung, welche tatsächlich wörtlich jene »clause de régularité« aufnahm, die Jacques Dubois – wie schon erwähnt65  – zu Recht als charakteristisch für die päpstliche Bestätigungspolitik seit Innocenz II. bezeichnet. So heißt es z. B. in der Urkunde für Wilten (bei bzw. heute in Innsbruck) vom 30. April 1138  : in primis siquidem statuentes ut ordo canonicus qui secundum B. Augustini regulam, et normam Prae­ monstratensium fratrum ibidem noscitur institutus, perpetuis ibidem temporibus inviolabiliter conservetur.66 Der Begriff ordo ist hier aber durch das allgemeine Attribut canonicus wieder wesentlich allgemeiner67 als im eben aufgezeigten Gebrauch angesetzt, er umfaßt einen ganzen Typ des Religiosentums und erfährt erst durch den angefügten Relativsatz die differenzierende Einschränkung auf die norma der Praemonstratenser. Ein Schreiben Cölestins II. an alle Erzbischöfe und Bischöfe vom 6. Dezember 114368 brachte dann gegenüber den zeitlich vorausgegangenen Dokumenten eine neue Dimension in die Semantik von ordo, die schon in die Nähe jener Urkunde Lucius’ II. vom 19. Mai 1144 führte, zumal hier wie dort auch über das an die Bischöfe gerichtete Verbot gehandelt wurde, die Prämonstratenser an der Teilnahme an ihrem Generalkapitel zu hindern.69 Nachdem zunächst 65 Speziell zur Verwendung bei den Prämonstratensern siehe die nur kurzen Bemerkungen von Dubois, Les ordres religieux, 302. Die von ihm als frühesten Beleg herangezogene Urkunde Innocenz’ II. vom 3. Mai 1134, die allgemein an die Prämonstratenser gerichtet war (JL 7654  ; PL 179, 204f.), verwende ich hier allerdings nicht, da sie höchstwahrscheinlich eine Fälschung ist  ; vgl. Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 85. 66 JL 7893  ; PL 179, 359f., hier 359. Ein weiteres zeitnahes Beispiel ist JL 7930  ; PL 179, 389– 391, hier 389 (vom 21. Dezember 1138 für Abtei Clairefontaine, Diözese Laon). Ein späteres Dokument, die Urkunde Eugens III. für das Kloster Chaumont in den Ardennen vom 17. Mai 1147, bringt eine textlich abgewandelte, aber sinngleiche Festlegung, siehe JL 9051  ; PL 180, 1220f., hier 1221. 67 Siehe dazu schon oben. 68 JL 8451  ; PL 179, 781f. 69 Auf dieses eben schon von Cölestin II. ausgesprochene Verbot wird in jener Urkunde L ­ ucius’ II. ausdrücklich verwiesen  ; siehe oben bei Anm. 42.

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die Gottgefälligkeit betont wurde, die vorliege, si sanctorum locorum salubris institutio, rigor et ordo in religionis fuerint puritate servata,70 und somit ordo erneut ganz allgemein für ›Lebensform‹ stand, hieß es weiter  : Fraternitatem ignorare non credimus, quod fratrum Praemonstratensium ordo per Dei gratiam jam per diversas mundi partes crevit, et eorum bona conversatio et religio ad bene vivendum plurimos incitavit. In jener Bulle Lucius’ II. wurde an vergleichbarer Stelle die weitgespannte Ausdehnung des ordo der Prämonstratenser aufgerufen, wobei allerdings mit jener Formulierung ordo […] produxit […], et continue producere non cessat noch stärker die unmittelbare Aktionsfähigkeit des ordo selbst angesprochen wurde als hier mit dem incitavit von bona conversatio et religio, das sich in diesem Kontext einfach auch nur auf eine passive Potenz beziehen konnte.71 Es scheint, daß man hier ordo immer noch allein als Lebensform zu verstehen hat, die gleichwohl – wie vermerkt – wachsen kann und auf deren Basis eine bona conversatio et religio fruchtbar zu gedeihen vermag. Bemerkenswert aber ist, daß das Schreiben Cölestins II. daraufhin erstmalig auch die Umgangsweisen mit dem praemonstratensischen ordo terminologisch faßte  : Pro ipsius ordinis observantia statutum est, ut abbates vel praepositi ipsius ordinis Prae­ monstratum semel in anno conveniant, ut communi fratrum consilio, quae in eodem ordine corrigenda sunt corrigantur, et statuenda ad honorem Dei rationabiliter statuan­ tur.72

Hier war ordo das, was beachtet werden mußte und in dem Korrekturbedürftiges bestehen konnte, das dann durch das Generalkapitel zu korrigieren war. Anders als in jener (unmittelbar nachfolgenden) Urkunde Lucius’ II., wo das Generalkapitel als ein Organ des ordo bezeichnet wurde, verwies hier die Semantik von ordo allein auf den Behandlungsgegenstand des Generalkapitels – mithin also in jedem Falle auf ›Lebensordnung‹ und nicht zwingend auch schon auf ›Orden‹. 70 Dieses und das nachfolgende Zitat PL 179, 781. 71 Siehe oben bei Anm. 42. Die Verbindung des Begriffes ordo mit dem Ausdehnungsraum der Prämonstratenser weist semantisch natürlich auf einen grundsätzlich organisierten Raum hin, wie es z. B. auch in dem (vermutlichen) Generalkapitelsbeschluß nach 1144 zum Ausdruck kommt, falls der Text zumindest die betreffenden Worte authentisch wiedergibt  : praescriben­ das esse per universum Ordinem supplicationes et Missas sacerdotibus imponendas pro incolumitate S. Sedis et fidei incermento  ; zitiert nach Marton, Testimonia, hier 223. 72 PL 179, 781f.

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Diese Festlegung zur Praxis des Generalkapitels wurde in einer allgemein an die Prämonstratenser gerichteten Urkunde Eugens III. vom 14. März 1145 ohne die Passage in eodem ordine wieder aufgegriffen73 und dann noch ergänzt durch die Maßgabe, daß das, quae ibidem […] pro stabilitate ordinis statuta fuerint, unverbrüchlich zu halten sei. Auch letzterer Gebrauch von ordo läßt keine eindeutige Bestimmung des Bedeutungsfeldes zu, da nicht nur die Organisationsform eines Ordens, sondern auch eine Lebensordnung ›stabil‹ gehalten werden kann. In einem großen, am 3. Januar 1155 für die Prämonstratenser ausgestellten Privileg Hadrians IV.,74 um dessen Erhalt willen Abt Hugo von Prémontré sogar nach Rom gereist war,75 wurden dann noch einmal die wesentlichsten Elemente der gemeinsamen Organisationsstruktur zur Sprache gebracht.  – Ausschnittsweise nur seien hier diejenigen Passagen angeführt, die den Begriff ordo beinhalteten  : Bestimmt werde, hieß es,76 ut omnes abbates et praepositi Praemonstratensis ordinis ad commune capitulum annuatim Praemonstratum ve­ niant […], und ferner, ut nulli archiepiscopo vel episcopo liceat aliquem de ordine vestro ad ipsum capitulum venire volentem. Daraufhin folgte eine Form der Unveränderbarkeitsklausel  ;77 dem schloß sich ad majorem quoque observantiam vestri ordinis die Verleihung des Rechtes an, Flüchtige zu exkommunizieren und – auf daß man ordinem vestrum in suo rigore melius custodire – kriminelle Äbte selbst abzusetzen. Anschließend wurde das Verbot ausgesprochen, einen abbas Praemonstratensis ordinis sine communi consilio von einer Abtei zu einer anderen zu transferieren. Und den Mitgliedern der Abtei Prémontré, quae mater esse dignoscitur aliarum, wurde vorgegeben, bei Tod ihres Abtes einen Nachfolger de qualibet ecclesiarum ejusdem ordinis zu erwählen. Zuletzt wurde noch bestimmt, daß alles, was gemeinschaftlich de observatione ordinis vestri seu rigore78 beschlossen wurde, uneingeschränkt zu halten sei. Da dieses Privileg zeitlich nach jener Urkunde Lucius’ III. lag, in der – wie gezeigt – ordo die Bedeutung ›Orden‹ einmal bereits gewonnen hatte, könnte 73 JL 8718  ; PL 180, 1017. 74 JL 9970  ; PL 188, 1373–1375. 75 Vgl. dazu Krings, Ordensrecht, 111. Zum Inhalt der Urkunde vgl. Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung, 83. 76 Dieses und die nächsten Zitate PL 188, 1374. 77 Sie glich jener, die schon in der Urkunde Eugens III. für das Kloster Chaumont vom 17. Mai 1147 verwendet wurde  ; siehe oben Anm. 56. 78 Dies gibt Krings, Ordensrecht, 111, nicht nachvollziehbar, mit »bezüglich der Satzungen [  !] eures Ordens beziehungsweise deren Strenge« wieder.

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hier angesichts auch der Breite der Verwendung von ordo eine analoge Semantik erwartet werden. Doch diese Vermutung ist kaum mit absoluter Sicherheit einzulösen, da die Textstrukturen semantisch zu offen sind. So war die Rede mehrfach von Äbten ordinis vestri bzw. Praemonstratensis ordinis sowie von einem ordo, dem observatio zu schenken sei und den man custodire müsse. Es waren Formulierungen, die durchaus beide Bedeutungen – ›Ordnung‹ und ›Orden‹ – einschließen konnten, zumal dann, wenn das semantische Feld tatsächlich einmal, wie schon geschehen, entsprechend erweitert worden war. Die zweiten Statuten der Prämonstratenser, die mit den programmatischen, den Zusammenhalt postulierenden Worten Quoniam ex precepto regule iubemur habere cor unum et animam unam in Domino begannen79 und die wahrscheinlich um das Jahr 1155  – dem Ausstellungsdatum der eben herangezogenen Bulle Hadrians IV. – abgefaßt worden sind,80 scheinen sich dieser Möglichkeit zur weiter gefaßten Anwendung von ordo bereits bedient zu haben. Schon im Prolog jener neuen Statuten hieß es sehr bezeichnend  : Ea propter, ut et paci et unitati tocius Ordinis provideremus, librum istum, quem librum con­ suetudinum vocamus, diligenter conscripsimus […].81 Pax und unitas, für die – wie formuliert wurde  – Vorkehrungen zu treffen seien, beziehen sich eigentlich eher auf das Phänomen ›Orden‹ als ihren kollekiven Organisationsrahmen denn auf eine reine Lebensordnung  ; freilich ist es gerade auch ein Zeichen für eine gedeihliche Lebensordnung, wenn Frieden und Einheit herrschen. Beide Dimensionen also konnten hier angesprochen worden sein. Eindeutiger verhält es sich bei einer anderen Stelle, wo von hospites vero nostri Ordinis, cum ad abbaciam nostri Ordinis venerint, gesprochen wurde.82 Wenn Gast eines ordo, dann konnte man dies nur von der Organisationsform ›Orden‹, nicht von einer Lebensordnung sein. Bei folgender Formulierung dürfte es sich analog verhalten, falls man das Wort subditus als organisationsrechtlichen und nicht als spirituell bezogenen Begriff verstehen mag  : Si quis subditus nostri Ordinis infamaverit patrem suum de aliquo crimine […].83 Ambivalent hingegen bleiben jene Stellen, die im Zusammenhang mit dem Generalkapitel und anderen gemeinsamen Aktivitäten formuliert worden waren  : 79 Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1. 80 Zur Datierung siehe ebd., S. XXIIIff., und Krings, Ordensrecht, 111. 81 Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1. Die Herausgeber haben im übrigen ohne größere Skrupel bei allen derartigen Verwendungen das Wort ordo großgeschrieben, also in der Bedeutung von ›Orden‹ wiedergegeben. 82 Ebd., 18. 83 Ebd., 41.

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[…] communi assensu patrum statutum est ut semel in anno, gracia sese visitandi, Or­ dinis reparandi, confirmande pacis, conservande caritatis, omnes abbates ad colloquium pariter conveniant […]84 Hec itaque sunt que, propter vigorem Ordinis conservandum, in construendiis [sic  !] abbaciis volumus observari, […]85 Abbatem patrem abbatis filii monasterium visitantem […] nichil denique ibidem preter ipsius voluntatem constituere aut ordinare, excepto quod ad Ordinem pertinet. Si in eo­ dem videlicet loco regule vel Ordini contrarium quippiam deprehenderit, cum presentis abbatis consilio, caritative corrigere potuerit.86

Wie eben schon bei der Bulle Hadrians IV. gezeigt, erlauben die ersten beiden Zitate, einen semantischen Bezug sowohl auf ›Lebensordnung‹ wie auf ›Orden‹ zu sehen. Hingegen scheint das letzte Zitat analog zur Urkunde Innocenz’ II. vom 12. April 113187 das Gewicht stärker auf die (zu überprüfende) Form des klösterlichen Lebens zu legen. *** Es dürfte bemerkt worden sein, daß dieser Durchgang durch das prämonstratensische Material mit großer Zurückhaltung vorgenommen worden ist, was die jeweilige Ausdeutung des begrifflichen Einsatzes von ordo anging. Dies war der Sache angemessen, die im Zweifelsfalle verlangte, auf die engere, traditionelle Bedeutung  – also auf ›Lebensordnung‹  – zurückzugreifen. Wie gezeigt, fanden sich während des betrachteten Zeitraumes im Grunde nur zwei Formulierungen, die eindeutig genug waren, um die dortige Verwendung von ordo tatsächlich als Bezeichnung der Organisationsform ›Orden‹ ansehen zu können  : ad conventum generalem ordinis immerhin schon in der Urkunde Lucius II. vom 19. Mai 114488 sowie hospites vero nostri Ordinis in den vermutlich um 1155 verfaßten Statuten.89 Bei zahlreichen anderen Stellen ist die Benennung speziell der Organisationsform der Lebensordnung – also des ›Ordens‹ – mit großer Wahrscheinlichkeit zu vermuten, aber nicht schlüssig zu belegen. 84 Ebd., 45. 85 Ebd. 86 Ebd., 47. Zur Verwendung dieser Formulierung bereits in den ersten Statuten siehe oben bei Anm. 59. 87 Vgl. oben bei Anm. 52. 88 Siehe oben bei Anm. 42. 89 Siehe oben bei Anm. 82.

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Manche Passagen verwiesen allein auf die Bedeutung ›Lebensordnung‹, während bei anderen wiederum beide Bedeutungen zu oszillieren schienen – etwa dort, wo von der stabilitas ordinis wie in der Urkunde Eugens III. vom 14. Mai 114590 oder von einem ordinem custodire wie in der Urkunde Hadrians IV. vom 3. Januar 115591 die Rede war. Die Struktur dieses Befundes machte zudem zweierlei deutlich  : Erstens, daß sich ordo bereits sehr früh zu einem Differenzbegriff gewandelt hatte, und zweitens, daß die Bedeutungserweiterung von ›Lebensordnung‹ zu ›Orden‹ keinesfalls eine semantische Transformation darstellte, durch welche die Ausgangsbedeutung aufgehoben wurde. Zum ersten Aspekt  : Noch allein in der Bedeutung ›Lebensordnung‹ verwendet, wandelte sich dieser Begriff von einem noch nicht weiter spezifierten ordo, der in Prémontré secundum beati Augustini regulam errichtet worden war – wie es in der Urkunde Honorius’ II. vom 16. Februar 112692 hieß –, zum ordo speziell der praerogativa religionis quae in Praemonstratensi Ecclesia observatur bzw. des propositum und der consuetudo Praemonstratensis monasterii – wie in der Urkunde Innocenz’ II. vom 12. April 113193 vermerkt. Hier stand er nun schon für eine Ordnung, die auf ganz bestimmte spirituelle und normative Vorgaben gründete und die sich somit von allen anderen religiösen Gemeinschaften abgrenzen wollte und tatsächlich auch abgrenzte. Damit schien die spezifische Position der Prämonstratenser in einem Gefüge der Vielfalt auf, wie dieses in dem oben angeführten Zitat von Anselm von Havelberg treffsicher beschrieben worden ist.94 90 Siehe oben bei Anm. 73. 91 Siehe oben bei Anm. 77. 92 Siehe oben bei Anm. 45. 93 Siehe oben bei Anm. 52 u. 54. 94 Siehe oben bei Anm. 37. Ein umfassender Vergleich mit den begrifflichen Usancen bei anderen religiösen Gemeinschaften jener Zeit würde – so notwendig er wäre – den Rahmen dieses kleinen Beitrages sprengen. Nur auf einige besonders signifikante Formulierungen, die früh schon die Differenzsemantik hinsichtlich der jeweiligen Lebensordnung zum Ausdruck bringen, kann folgend in Auswahl hingewiesen werden  : In einer Urkunde Innocenz’ II. vom 10. Dezember 1136 an Steinfeld, das damals noch nicht vollends praemonstratensisch war und als Mutterstift ein eigenes Generalkapitel eingerichtet haben dürfte (vgl. dazu jetzt Ehlers-Kisseler, Prämonstratenser, 15ff.), heißt es zunächst nach jener »clause de régularité«  : in primis statuentes ut ordo canonicus, qui secundum beati Augustini regulam ibidem noscitur institutus, perpetuis futuris temporibus inviolabiliter conservetur, und dann aber in bemerkenswerter Weise – vergleichbar mit jener Urkunde Cölestins II. vom Jahre 1143 (siehe oben Anm. 72) – schon die Umgangsweise mit dem ordo, verstanden als Lebensordnung, betreffend  : […] in praeposituris, que per fratres vestros instituuntur, ordo

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Zum zweiten Aspekt  : Dieser begriffliche Differenzierungsprozeß zunächst auf der Bedeutungsebene von ›Lebensordnung‹ war offenkundig die Voraussetzung dafür, daß ordo sich dann auch als Bezeichnung für ›Orden‹ einsetzen ließ. Es handelte sich schlichtweg um eine Übertragung der Differenzsemantik von der Lebensordnung selbst auf die organisierte Körperschaft, die Subjekt dieser Lebensordnung war. Von daher gesehen, war jene Stelle in der Urkunde Lucius’ II., die ordo mit conventus generalis verband, so aussagekräftig für unsere Suche nach der neuen Bedeutung ›Orden‹. Ein Generalkapitel machte nur Sinn, wenn es eine Kompetenz hatte, die sich rechtlich und organisatorisch auf alle Häuser der gemeinsamen Lebensordnung bezog. Ordo als denotierendes und zugleich differenzierendes Genitivattribut von conventus generalis konnte sich also nur auf diese rechtliche und organisatorische Ebene – eben auf den ›Orden‹ als Körperschaft – beziehen. Gleichwohl war die Dimension der ›Lebensordnung‹ immer mitgedacht, so daß der Gebrauch von ordo – wie gezeigt – stets wieder zu dieser Bedeutung umschlagen konnte. Der Begriff ordo hat sich also in der Bedeutung von ›Orden‹ gewissermaßen schleichend und sicherlich auch weitgehend unreflektiert während des Zeitraumes eingebürgert, in dem die Sache ›Orden‹ entstand. Keine mit definierender Autorität ausgestattete Instanz – wie etwa das Papsttum (das gleichwohl, wie gezeigt, ordo in einem breiten Bedeutungsumfang verwendete) oder die

vester secundum beati Augustini teneatur et si quid novi in ordine statuendum fuerit, communi assensu prelatorum vestri annui conventus concorditer statuatur […]  ; JL 7801 (Urkundenbuch Steinfeld, ed. Joester, 9). Nahezu gleichlautend heißt es dann auch in einer Urkunde des nämlichen Papstes vom 15. April 1139 an Springiersbach  : […] et, si quid noui in ordine statuendum fuerit, communi assensu prelatorum uestri ordinis annui conuentus concorditer statuantur, […]  ; JL 7993 (Beyer, Urkundenbuch, 563), vgl. dazu Weinfurter, Salzburger Bistumsreform, 173, Anm. 317. Siehe auch die ordo-Stellen in den Springiersbacher Consue­tudines anhand von  : Consuetudines canonicorum regularium SpringirsbacensesRodenses, 250. Hinsichtlich der Verhältnisse bei den Kartäusern, wo bekanntlich ebenfalls eine frühe Ordensbildung stattfand – vgl. jüngst dazu Cygler, Vom ›Wort‹ Brunos – schrieb Innocenz II. in einer Urkunde vom 23. November 1136 an die Brüder der Kartause S.  Mariae Montis-Dei (Diözese Reims)  : Sancimus etiam ut nulli omnino liceat ordinem Carthusiensium in eodem monasterio stabilitum infringere, minuere vel mutare, et libertatem quam Carthusia, scilicet caput hujus ordinis, habet, vestrum coenobium nihilominus obtineat, nec alicui eam liceat ullatenus violare, nachdem wiederum die übliche »clause de régularité« vorausgegangen war  ; JL 7798  ; PL 179, 296. Mit der Formulierung caput hujus ordinis stand die organisatorische Ebene bereits derart stark im Vordergrund, daß hier gleichsam eine Schnittstelle des Übergangs von ›Lebensordnung‹, die zweifellos noch gemeint ist, zu ›Orden‹ vorlag. – Zu den Cisterziensern siehe Anm. 97.

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Rechtsschule – hat hierbei zunächst sonderlich prägend mitgewirkt,95 und es dauerte tatsächlich wohl noch bis ins 13. Jahrhundert hinein, bis er sich endgültig z. B. gegenüber religio96 durchsetzte. Um so mehr ist der frühe, auf das Jahr 1144 zurückgehende Gebrauch bezüglich der prämonstratensischen Verhältnisse, welcher im übrigen den begrifflichen Usancen beim Cisterzienserorden97 keineswegs nachstand, sie vielleicht sogar in ihrer Dynamik übertraf, als höchst beachtenswert hervorzuheben.

95 Vgl. dazu den Beitrag von Landau, Der Begriff ordo, in diesem Bande. Siehe auch Melville, Recht der Religiosen. 96 So spricht z. B. das 4. Lateranum in diesem Zusammenhang noch von religiones  ; siehe dazu ausführlich Foreville, Monachisme, 41ff.; Maccarronem, Costituzioni, 36ff. 97 Die Verwendung des ordo-Begriffes bezüglich der Cisterzienser wäre noch einer eigenen gründlichen Untersuchung wert, zumal nach Erscheinen des Buches von Berman, Cistercian Evolution, so manches dort Geäußerte, das hinsichtlich der Entwicklungschronologie völlig in die Irre führt, wieder zurechtgerückt werden muß. Glücklicherweise ist damit durch Waddell, Myth, bereits begonnen worden. – Nur einige Anmerkungen zum ordo-Gebrauch bei den Cisterziensern sollen hier, wie folgt, gemacht werden. In der 1119 päpstlich bestätigten Carta caritatis prior ist ordo nahezu durchgängig mit regula verbunden, bedeutet also ›Lebensordnung‹, z. B.: […] ad Novum Monasterium veniant, ibique abbati eiusdem loci et capitulo in sinistris corrigendis et in observantia sanctae Regulae vel Ordinis obediant per omnia  ; Carta caritatis prior, in  : Narrative and Legislative Texts, ed. Waddell, 447. Im Schreiben Innocenz’ II. an Stephan, Abt von Cîteaux, vom 18. Februar 1132 ist zwar die Rede davon, daß bei Sedisvakanz in Cîteaux selbst, quemlibet abbatem de omnibus abbatibus vestri ordinis vel monachum sibi libere praeficiendum eligat, […] (JL 7537  ; PL 179, 122f.), doch analog zu der prämonstratensischen Überlieferung läßt sich hier die Semantik des Begriffes nicht eindeutig alternativ auf ›Lebensordnung‹ oder ›Orden‹ festlegen. In der Urkunde Innocenz’ II. an Abt Adelbert von Pforta in Thüringen vom 13. Januar 1138 ist z. B. die erwähnte »clause de régularité« mit ordo als deutlichem Differenzbegriff für die spezifische Lebensordnung verwendet worden  : […] monasticus ordo, qui secundum B. Benedicti regulam, et normam Cisterciensium fratrum, inibi noscitur institutus […] (JL 7868  ; PL 179, 343). Erst die berühmte Bulle Sacro­ sancta Romana Ecclesia Eugens III. vom 1. August 1152 hat in der Passage über das Verbot, einen Nicht-Cisterzienser zu einem Abt in einer Cisterze zu machen, eine Formulierung, die insbesondere auch unter Beachtung des historischen Kontextes auf ordo in der Bedeutung von ›Orden‹ schließen läßt  – wenn auch nicht so eindeutig wie in jener prämonstratensischen Urkunde Lucius’ II.: Personam autem de alio ordine nulla ecclesiarum vestrarum sibi eligat in pastorem (JL 9600  ; Cistercii statuta antiquissima, ed. Turk, 126)  ; vgl. dazu Wollasch, Mönchtum, 180). Gerade weil – wie gezeigt –, ordo auch zu einem Differenzbegriff hinsichtlich der Kategorie ›Lebensordnung‹ geworden ist, sollte man vorsichtig sein, jeden Gebrauch von ordo, der sich auf eine ausgrenzende Identität einer religiösen Gruppierung bezieht, gleich im Sinne von ›Orden‹ zu verstehen.

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Die cluniazensische Reformatio tam in capite quam in membris Institutioneller Wandel zwischen Anpassung und Bewahrung

Odilo Engels zum 65. Geburtstag herzlich gewidmet.

Mit dem Aufgriff der Metapher von caput und membra während des Abbatiats Hugos I. (1049–1109) hatte einst der Zusammenhalt zwischen Cluny und seinen Klöstern eine neue begriffliche Kennzeichnung erhalten. Ausgedrückt werden sollte damit die sich damals herausbildende Vorstellung von einer ecclesia Cluniacensis, welche als geschlossenes corpus  – bei allen belassenen Sonderformen ihrer Glieder – allein in der Abtei Cluny (beziehungsweise in deren Abt) ein lenkendes Haupt habe.1 In Worten wie tanquam membra capiti singulariter in­ haerere2 fand sich ein Leitsatz, der nun stärker denn je ein rechtlich begründetes Band zwischen Cluny und seinen Klöstern in den Vordergrund stellte und der Unterwerfung unter ein monarchisches regimen des Abtes von Cluny Vorschub leistete. Schon Paschalis II. hob dann im Jahre 1100 bezeichnenderweise hervor, daß niemand einen Abt erheben dürfe in omnibus prioratibus et cellis, que nunc sine proprio Abbate vestro [sc. Abts Hugo I.] regimini subjectae sunt, und betonte ferner, daß ebenfalls die cluniazensischen Abteien der ordinatio des Abtes von Cluny untergeordnet seien.3 Diese Zugehörigkeitsstruktur wurde vom selben 1 Dazu Poeck, Cluniacensis Ecclesia, Habil.-Schr. Münster (Masch.) 1987, Abschn. 3.2.3. u. 4.5. (Ich danke Herrn Poeck sehr, daß er mir das Manuskript seiner Arbeit zur Einsichtnahme überlassen hat [erschienen 1998].) Siehe auch schon Hourlier, Cluny, 219ff.; Wollasch, Mönchtum, 154ff.  – Der Verwendung der caput/membra-Metapher widmete jüngst K. A. Frech eine eingehende Darstellung  : Frech, Reform. Auf sie kann allerdings hier nur an einigen Stellen verwiesen werden, da sie nach Drucklegung dieses Beitrages erschien  ; siehe zu Cluny im 12. Jahrhundert ebd., 42f., mit der Hervorhebung, daß mit caput sowohl die Abtei Cluny wie auch der Abt von Cluny gemeint sein konnte. 2 Urban II. in einem für Souvigny am 13.11.1095 ausgestellten Privileg  ; siehe Bullarium Cluniacensis, 29b. Vgl. ferner ebd., 25, 29a u. 31a zu ähnlichen Verwendungen der Metapher während des Abbatiats Hugos I. 3 Bullarium Cluniacensis, 32a u. b. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß eine Verfas­ sungsstruktur, die Priorate kannte und diese von den (abhängigen) Abteien unterschied, eben erst in der Zeit Hugos I. herausgebildet worden ist  ; dazu jetzt grundlegend Poeck, Cluniacen­ sis Ecclesia, passim. Zum Abbatiat Hugos I. vgl. Hunt, Cluny und neuerdings  : Le gouvernement d’Hugues de Semur.

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Papst im Jahre 1109 unter ausdrücklichem Bezug auf das vorangegangene Abbatiat gegenüber Pontius, dem Nachfolger Hugos I., als verbindlich fortgeschrieben  : […] Abbatias, vel Prioratus, qui sub praenotati Abbatis Hugonis dispositione manserunt, sub tua [sc. Pontius’] quoque, vel successorum tuorum dispositione per­ manere decernirmus.4 Was unter Hugo I. begann, beanspruchte Gültigkeit auch noch in Zeiten, in denen die Position des Abtes von Cluny während der Wirren um Pontius und dessen Nachfolgeschaft durch Petrus Venerabilis in eine Reputationskrise geraten war und der Zusammenhalt der ecclesia Clunicacensis aufs höchste gefährdet erschien5  – ja mehr noch, es wurde gerade unter diesen Bedingungen als zwingendes Mittel eingesetzt, um die rechtliche Abhängigkeit der Einzelklöster von der Zentrale Cluny zu unterstreichen  : Mehrfach verpflichteten die Päpste rebellische Häuser strikt zur subjectio et obedientia gegenüber dem Abt Petrus Venerabilis (1122–1157),6 welcher seinerseits dem auf Cluny bezogenen caput/membra-Bild darüber hinaus eine besondere und auch durchschlagende Geltung verlieh, indem er es überhöhend einbettete in die spirituelle Tradition der ekklesiologischen Corpus-Christi-Metaphorik.7 Mit der Aufstellung und Durchsetzung des Postulats, caput von rechtlich genau bestimmbaren membra zu sein, schien Cluny seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert also einen bleibenden Weg gefunden zu haben, die schon primordiale und im nachhinein noch bedeutend gewachsenene Vielartigkeit seiner Häuser unter einen gemeinsamen Nenner zusammenzufassen. Trotz der Tatsache,8 daß nach wie vor die cluniazensischen Abteien einen besonderen Freiraum genossen, daß die Gewichtigkeit der Priorate, unter denen sich einige 4 Bullarium Cluniacensis, 36b. 5 Siehe dazu Tellenbach, Sturz  ; Zerbi, Intorno  ; Cowdrey, Abbot Pontius  ; Bredero, A propos. 6 So etwa die Abteien St-Bertin, Polirone und St-Gilles  ; Bullarium Cluniacensis, 41b, 41bf. u. 42  ; vgl. auch das Schreiben Honorius’ II. an Petrus Venerabilis, wo grundsätzlich über die Schäden des vorangegangenen Schismas mit Pontius gehandelt wird und es wörtlich heißt  : unde vniversitati vestrae praecipimus, ut sicut per obedientiam beati Petri salvare animas vestras cupitis, protinus abjectisomnino schismatibus carissimo filio nostro Petro Cluniacensi Abbati un­ animiter et devote humilitas subjectionem et obedientiam deferatis  ; Bullarium Cluniacensis, 43f. Vgl. Bredero, Pierre le Vénerable  ; Constable, Monastic Policy. 7 Dazu jetzt Poeck, Cluniacensis Ecclesia, Abschn. 4.5. – Zur Ekklesiologie des Petrus Venerabilis siehe Torell, L’église  ; Cantarella, Un problema  ; vgl. auch Leclercq, Pierre le Vénérable, siehe dazu noch unten S. 280ff. eingehender. 8 Vgl. zu folgend nur kurz skizzierten Verhältnissen ausführlich Letonnelier, L’abbaye  ; Berthellier, L’expansion  ; Schreiber, Cluny  ; Chagny, Cluny  ; Hofmeister, Cluny  ; Constable, Monastic Legislation  ; ders., Cluniac Administration  ; Pacaut, L’ordre de Cluny (zum angesprochenen Zeitraum insbes. 143ff. u. 187ff.)  ; Poeck, Cluniacensis Ecclesia, passim.

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mit wiederum eigenen Filiationen befanden, höchst verschieden war, daß die Häuser einen unterschiedlichen Rechtsstatus (Exemption) im kirchenorganisatorischen Umfeld besaßen oder verstrickt waren in heterogene Machtfelder von weltlichen Gewalten, ja trotz voneinander sogar abweichender Gebräuche stellte die Unterordnung unter den Abt von Cluny als caput, vor dem prinzipiell alle Mönche ihre Profeß ablegten, das zentrale Element dar, das nunmehr die institutionelle Identität verlieh, ›cluniazensisch‹ zu sein.9 Etwa eineinhalb Jahrhunderte nach Petrus Venerabilis  – im Jahre 1289  – kennzeichnete Papst Nikolaus IV. gegenüber Legaten, die den Cluniazensern eine Reformbulle zu vermitteln hatten, das Ziel seiner neuen Festlegungen näherhin mit den Worten  : pro reformatione ipsius [Cluniacensis ordinis] tam in capite quam in membris.10 Der Papst traf diese Formulierung zu einem Zeitpunkt, als bereits Jahrzehnte vergangen waren, die den Cluniazensern mittlerweile eine weitgehende Umgestaltung der eben umrissenen Strukturen gebracht hatten.11 Unschwer ist bei näherer Betrachtung zu erkennen, daß sich die Cluniazenser hierbei sogar in der insgesamt einschneidendsten Veränderung ihrer Verbandsstruktur befunden hatten und daß diese Veränderung in erster Linie auf eine Beschneidung der Rechte jenes einst so hervorgehobenen caput hinausgelaufen war. Genossenschaftliche Instanzen mit weitreichenden Kompetenzen (gebündelt in einem Definitorium) und Ordensprovinzen mit jeweiligen Vorstehern sind eingeführt, die jährliche Kontrolle aller Häuser  – einschließlich Clunys selbst  – ist zur Regel gemacht, die Besetzung der Ämter (insbesondere des Priorats) objektiven Kriterien unterworfen worden. Statuten bestimmten in sachlich hoch differenzierter Weise die Verhaltensweisen im administrativen, wirtschaftlichen sowie disziplinären Alltag und drohten Sanktionen an ohne Ansehen der Person – also auch des Abtes von Cluny. Alle diese Maßnahmen dienten weiterhin unbenommen der Festigkeit und dem Zusammenhalt des   9 Vgl. Wollasch, Mönchtum, 155. 10 Langlois, Les registres de Nicolas IV., no 1772. Auf die signifikante Verwendung der Formel weist bereits Neiske, Reform, 74, Anm. 18, hin.  – Allerdings hatte Gregor IX. in einem analogen Zusammenhang die gleiche Formel schon im Jahre 1231 gebraucht, und die Formulierung corrigere tam in capite quam in membris findet sich bezüglich cluniazensischer Verhältnisse sogar bereits im Jahre 1212  ; siehe zu den Belegen noch unten Anm. 61 u. 69, und zu weiteren derart frühen Verwendungen 281f. 11 Vgl. zu dieser Entwicklung Hourlier, Le chapitre general, 33ff. u. 68ff.; Bredero, Comment les institutions, 143ff.; Pacaut, L’ordre de Cluny, 229ff.; Neiske, Reform, 71ff.; Melville, Cluny après ›Cluny‹  ; Pinkl, Neuorganisation. In Kürze wird erscheinen  : Dies., Umgestaltung [nicht erschienen].

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Verbandes angesichts einer immer bedrohlicheren Gefährdung,12 die – wie angedeutet – schon im 12. Jahrhundert eingesetzt hatte. Doch einen Erfolg in Festigkeit und Zusammenhalt zu erzielen – dies wurde nun offenkundig vor allem auch durch die Aktivität der membra selbst getragen. Jene angestrebte reformatio Nikolaus’ IV. schloß hierzu durchaus in gleicher Tendenz auf, ja verstärkte sogar noch konkret die Handlungsautonomie der genossenschaftlich getragenen Organe.13 Demnach konnte eine Verwendung von gleichem Bedeutungsgehalt wie dem damaligen noch aus Hugos I. oder dessen unmittelbaren Nachfolger Zeiten diesem Papst nicht vor Augen gestanden haben, als er die Metapher von Haupt und Gliedern erneut gebrauchte. Dennoch – dürfte nicht allein schon aus dem Aufgriff dieses Bildes zu schließen sein, daß der Papst bei der signifikanten Aufteilung in Cluny einerseits und unterstellte Häuser andererseits verbleiben wollte  ? Nach wie vor also scheint der Gedanke im Vordergrund gestanden zu haben, Kontinuität hinsichtlich dieses wesentlichen Punktes trotz aller inzwischen erfolgten Veränderungen bewahren zu wollen und folglich dem Abt von Cluny grundsätzlich immer noch die maßgebliche Führungsgewalt zuzubilligen. Nichts anderes sonst konnte mit dem Begriff caput, in dem sich einst – wie gezeigt – ja gerade das cluniazensische System der Zentrierung so deutlich ausgedrückt fand, doch wohl gemeint sein  – es sei denn, die Bedeutungsweite jener Metapher vermochte auch die Vorstellung zu tragen, daß das Verhältnis zwischen caput und membra keineswegs ein absolut hierarchisches sein mußte,14 oder konkreter gesagt, daß eine Leitungsfunktion auch der membra selbst nicht im Widerspruch stand zur oben angesprochenen, im caput sich manifestierenden Identität des Cluniazensischen. Es gilt allgemein als ausgemacht, daß sich der cluniazensische ›Klösterverband‹ im 13. Jahrhundert zu einem ›Orden‹ umgestaltet hatte. Allzu rasch könnte darin jedoch eine ausschließliche Anpassung an jene zeitgemäßeren Verfassungsformen der Religiosen gesehen werden, wie sie als erste vor allem von den Cisterziensern verwirklicht worden sind15 – als ob Herangewachsenes so einfach durch neue und zwangsläufig auch wesensfremde Elemente hätte 12 Dazu bereits kurz in einer Momentaufnahme aus der Mitte des 13. Jahrhunderts Melville, Exhortatiunculae, insbes. 216ff. 13 Siehe dazu ausführlich noch unten S. 263f. 14 Zu diesem grundsätzlichen Aspekt siehe noch unten S. 284f. 15 Siehe den Vergleich der Verfassungen von Cluny und Citeaux bei Molitor, Rechtsgeschichte, Bd. 1, 111ff. und 159ff. Zu den Cisterziensern vgl. Mahn, L’ordre cistercien  ; Van Damme, Les pouvoirs  ; Lekai, Cistercians  ; Elm / Joerissen / Roth, Zisterzienser. Ein im Ordensspektrum breiter angelegter Vergleich bei Melville, Schriftlichkeit.

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ersetzt werden können und als ob man sich nicht auch gleichermaßen um die Bewahrung dessen hatte bemühen müssen, was bislang an organisatorischer Eigenart in sogar identitätsstiftender Funktion bestand  ! Die eben getroffenen Beobachtungen haben hierauf schon ein Schlaglicht werfen können, denn anhand des auch später wiederholten Gebrauchs jener einst strukturell so signifikanten Metapher ließen sich sowohl innovatorische wie auch traditionelle Vorgehensweisen zumindest vermuten. Aufgabe der folgenden Untersuchungen wird sein, die Richtigkeit dieser Annahme im einzelnen zu belegen. Es soll aufgezeigt werden, daß die Cluniazenser bei ihrem institutionellen Wandel im 13. Jahrhundert einen sehr spezifischen Weg gingen – einen Weg, der keineswegs umbruchartig mittels einer einmaligen und dann bleibenden Übernahme von neuen Formen verlief, sondern der in langsamer Überwindung von Widersprüchen und Gegensätzlichkeiten vonstatten ging und dabei im Kern weniger eine Anpassung an Zeitgemäßes war als eine Anpassung von zeitgemäß Notwendigem an die bisherige Eigenart. Die Forschungslage16 erfordert, die entsprechende Entwicklung zunächst etwas detaillierter aufzuzeigen. Um die dabei teilweise recht vielschichtigen Abläufe einigermaßen anschaulich zu gestalten, wird eine Gliederung in mehrere Phasen vorgelegt werden. *** ›1. Phase‹  : Schlägt man zunächst den Bogen vom oben genannten Petrus Venerabilis nun zum Ausgang des 12. Jahrhunderts – dem Ansatzpunkt unserer näheren Betrachtungen –, so wird man unter den Merkmalen dieses Zeitabschnittes vor allem festhalten müssen  :17 die relativ kurzen Abbatiate (sieben 16 Einige wichtige Gesichtspunkte sind allerdings schon von Bredero, Comment les institutions, Pacaut, L’ordre de Cluny, 229ff., und Neiske, Reform hervorgehoben worden. Da vor allem Letztgenannter profund die immer stärker werdenden Einflußnahmen des Papsttums auf die Cluniazenser dargestellt hat, kann dieser Aspekt im Folgenden kürzer gefaßt werden. Zu verweisen ist auch auf die grundlegenden älteren Untersuchungen von Besse, L’ordre de Cluny, sowie De Valous, Le monachisme, die beide den zu behandelnden Zeitraum einbeziehen, dies jedoch auf eine sehr globale, systematisierende Weise, welche die hier wesentliche Prozessualität nicht zum Ausdruck bringt  ; siehe dazu schon Melville, Cluny après ›Cluny‹, 94f. – In manchen Einzelheiten verpflichtet ist diese Untersuchung jedoch der in Kürze gedruckt vorliegenden und unter meiner Betreuung entstandenen Münchner Dissertation von Pinkl, Umgestaltung, die  – ausgehend von den Statuten und Reformbullen  – ein umfassendes Bild der cluniazensischen Ämter und Organe im 13. Jahrhundert liefert und der ich verdanke, daß ich mich hier auf die notwendigsten Angaben beschränken kann. 17 Siehe dazu De Valous, Cluny, 72–76. Einen illustrativen Fall legt dar Huyghebaert, Une crise.

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innerhalb von 47 Jahren), die zudem mehrere Male nach eklatantem Fehlverhalten der Amtsinhaber mit einer Resignation oder mit einer Absetzung durch das Papsttum endeten  ; eine unglückliche Parteinahme im Schisma von 1159 zugunsten des unterlegenen Victor IV., die den Verband zeitweise in zwei Teile spaltete  ;18 eine verstärkte und sich zwangsläufig zentrifugal auswirkende Einbindung der jeweiligen Klöster in die verschiedenen weltlichen Herrschaftsbereiche sowie konkret mehrere tatsächlich erfolgte oder zumindest versuchte Loslösungen gerade von wichtigen Abteien19 einschließlich eine anwachsende Verschuldung zahlreicher Häuser  – darunter von Cluny selbst –, die durch eine verfehlte oder teilweise einfach auch verschwenderische Wirtschaftspolitik verursacht worden war.20 Im Hintergrund aber stand zweifelsohne, daß der spirituelle Antrieb, der das Cluniazensische bisher als eine das Christentum formende Bewegung hatte sehen lassen, erschlafft war  – und vielleicht auch gar nicht mehr gefordert war angesichts der Kompetenzverlagerung im Wirkungsfeld der Religiosen hin vor allem zu den Cisterziensern und Regularkanonikern.21 Diese Sachverhalte aber machten den Cluniazensern selbst auf schmerzliche Weise deutlich, wie unzulänglich ihr räumlich so weit ausgeufertes cor­ pus eigentlich seit seiner rechtlichen Verfestigung unter Hugo I. organisiert war. Kam es bislang in höchstem Maße auf die Führungsstärke des caput allein an,22 so mußte dieses entweder eine charismatische Kraft besitzen, deren Nimbus allein schon die membra unter einer spirituellen Leitidee mitreißend zusammenzwang,23 oder zumindest aber ein funktionstüchtiges Instrumenta18 Vgl. De Valous, Cluny, 72f. 19 Zu den Problemen um Vézelay, Baume, Polirone vgl. De Valous, Le monachisme, Bd. 2, 59ff., und jetzt vor allem Cygler, L’ordre. 20 Siehe Duby, La société, 368ff. 21 Siehe dazu im Überblick Wolter, Zeitalter, 14ff.; Engels, Orden, 891ff.; Wollasch, Mönchtum, 171ff. 22 Dieser Gesichtspunkt wird auch von Bredero, Comment les institutions, 149, in Bezug auf Hugo I. ausdrücklich hervorgehoben  : »Comme c’etait à l’abbé qu’on se sousmettait pour l’observance d’une règle de vie, être confié a Cluny signifiait être confié à son abbé […] A cause du lien personnel qui les unissait a l’abbé de Cluny, la cohésion des maisons clunisiennes était constituee par la juridiction de l’abbé. […] Il est évident qu’une telle organisation était fort vulnérable et dépendait en grande partie de l’autorité réelle que l’abbé de Cluny faisait valoir sur les maisons dépendantes.« – Zur räumlichen Ausbreitung des cluniazensischen Verbandes unter Hugo I. siehe neuerdings Racinet, L’expansion. 23 Dazu schon Hourlier, Le chapitre general, 38f., auf die impliziten Probleme hinweisend  : »[…] Il y avait dans cette organisation de réels avantages. Elle donnait á l’ensemble force et cohésion  ; elle maintenait la discipline  ; grâce a elle étaient repoussées les pretentions des laïques

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rium der Verwaltung zur Hand haben, welches Durchsetzbarkeit und Kontrolle der Anweisungen auch über weite Räume hinweg gewährleistete. Da ersteres verlorengegangen und das andere noch nie im ausreichenden Maße24 vorhanden war, griffen nunmehr die durchaus fortdauernden Bemühungen der Äbte von Cluny um Zusammenhalt und Disziplin weitgehend ins Leere. Zwar hielt auch jetzt das Papsttum grundsätzlich daran fest, die Position des caput wie bisher zu stärken. Doch Bestätigungen der Abts-Herrschaft wie jene Urbans III. vom Jahre 1186, die die alte subiectio der Priorate wiederholte und zudem für die Abteien eine Vorsteherwahl ohne erfolgtes consilium des Abtes von Cluny generell verbot,25 oder z.B einer Zusicherung Cölestins III. im Jahre 1196, der Abt von Cluny könne sogar in seinen abhängigen Abteien secundum Deum, et beati Benedicti regulam et statuta ordinis […] corrigenda corrigere et ibidem sta­ tuere statuenda,26 wie auch anderen unterstützenden Verfügungen war jetzt der Weg beträchtlich erschwert, überhaupt realisiert zu werden. et des séculiers. Elle présentait par contre un inconvénient capital, celui d’imposer á l’abbé de Cluny une charge écrasante. Tant qu’il y eu des saints à la tête de l’ordre rien n’alla trop mal. Mais le jour où un Pons de Melgueil succéde à Hugues le Grand, le défaut de l’organisation apparaît cruellement […].« 24 Dies hebt vor allem Constable, Cluniac Administration, 17ff., deutlich hervor. Illustrative Einblicke in die Verwaltungspraxis zu Beginn des 12. Jahrhunderts gibt Hillebrandt, Albertus Teutonicus. – Zu beachten ist allerdings, daß bereits Petrus Venerabilis ein umfängliches Statutenwerk (siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 20–40) herausgab, das allgemein verbindlich war, sich jedoch in erster Linie auf liturgische und disziplinäre, nicht aber auf administrative oder organisatorische Bereiche bezog. Um umfassende Akzeptanz zu erreichen, ließ Petrus zweimal capitula universalia (1132 u. 1146) abhalten, auf denen diese Statuten beraten wurden (vgl. Statuta Petri Venerabilis, 22–25, mit anschließender Edition  ; Pinkl, Statutenprolog, 3–11). Auf eine bereits im 12. Jahrhundert dauerhafte Einrichtung solcher ›Generalkapitel‹ darf daraus jedoch nicht geschlossen werden, auch wenn im Jahre 1182 Papst Lucius III. sich schützend vor die Mönche stellte, die von malefactores daran gehindert wurden, zum generale capitulum Cluniacense zu kommen, und er damit den Hinweis auf eine Abhaltung dieser Versammlung zu geben schien (siehe Bernard / Bruel, no 4289  ; Bullarium Cluniacensis, 77b). Ganz offensichtlich handelte es sich hier um den Fall eines erweiterten Kapitels der Abtei Cluny selbst, zu dem auch Mönche anderer abhängiger Häuser herangezogen worden sind. Vgl. unten Anm. 33. 25 Bernard / Bruel, no 4307  ; Bullarium Cluniacensis, 83f., hier insbes. 83b. 26 Bernard / Bruel, no 4367  ; Bullarium Cluniacensis, 95b. – Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß Nigellus v. Longchamp, der generell satirische Kritiker der Orden, in seinem Speculum stultorum (verf. in den 90er Jahren des 12. Jahrhunderts  ; ebd., 3ff.) die Cluniazenser speziell wegen ihrer mangelnden Fähigkeit zur internen Kontrolle aufs Korn nahm  : […] et plura recondita servant, / Quae non sunt sociis omnia nota suis./ Sed neque sunt dominis abbatibus omnia nota, / Quamvis vel cupiant praecipiantque satis (83).  – Vgl. allgemein zur päpstlichen Politik gegenüber den Orden im 12. Jahrhundert Dubois, Les ordres religieux  ; und grundlegend Maccarrone, Primato romano.

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Es bestand also ersichtlich eine derart marode Situation, daß sich Abt Hugo V. im Jahre 1200 veranlaßt sah, anklagend auf den virtutis splendor, der maxime in glorioso membro ecclesie, Cluniacensi videlicet cenobio, vel in membris ejus verdunkelt werde, zu verweisen und sich folglich nun daran zu machen, ea que a patribus dudum sancita sunt, sed in parte per incuriam deformata, sicut possibile est, […] reformare.27 Das Ergebnis seiner Bemühungen war ein Statutenwerk, das vor allem die administrativen, wirtschaftlichen und disziplinären Bereiche des cluniazensischen Alltags unter eindeutigen Legaldefinitionen zu fassen versuchte,28 die in absoluter Verbindlichkeit für alle Häuser galten. Wie es speziell hinsichtlich des servitium Dei hieß, aber dem Geist nach auf alle Bestimmungen ausdehnbar war, hatte überall im Verband identitas zu herrschen – mit der Begründung  : Quia cum simus unus congregationis et Ordinis, debemus esse in omnibus conformes.29 Auch wenn bei einzelnen Themen dieser Statuten auf die frühen Äbte oder auf den usus Cluniacensis hingewiesen wurde, war dieser zwangsläufig engere Zusammenschluß der membra unter einem vereinheitlichenden und zugleich in der Materie umfassenden Recht neuartig,30 vor allem aber war er von hohem Anspruch angesichts der geschilderten Führungs- und Reputationsschwäche des caput. Wohl aus dieser Einsicht heraus schrieben die Statuten Hugos nun gleichzeitig auch eine grundsätzliche Umgestaltung der Organisationsstruktur des Verbandes fest – eine Umgestaltung, die sowohl am caput selbst wie auch 27 Charvin, Statuts, Bd. 1, 41. Unter den patres sind die ersten Äbte Clunys zu verstehen.  – Hugo berief sich bei seinem Reformvorhaben auf das Beispiel Innocenz’ III., qui juxta datam sibi celitus sapientiam et gratiam inspiratam, statum monasteriorum ad se, nullo medio, pertinen­ tium, circa spiritualia et temporalia partim dilapsum curat provida sollicitudine restaurare, ohne jedoch den Bezug auf eine konkrete Maßnahme dieses Papstes anzugeben. Vgl. allgemein zur Klosterreform Innocenz’ III. Berlière, Innocent III  ; Di Palo, Innocenzo III  ; Maccarrone, Riforma e sviluppo. 28 Charvin, Statuts, Bd. 1, 40–52. Dazu Neiske, Reform, 77ff.; Pinkl, Umgestaltung. Zur bereits mit diesem Statutenwerk einsetzenden und künftig immer stärker spezifizierten Normierung des Geschäftsschriftgutes siehe in Kürze Oberste, Ut domorum status [erschienen 1994]. 29 Charvin, Statuts, Bd. 1, S. 44. – Dies gewinnt Bedeutung vor allem vor dem Hintergrund, daß bislang keineswegs in allen Häusern die völlig gleichen Gebräuche herrschten  ; siehe dazu Constable, Monastic Legislation, 152ff., insbes. 160. Der Leitgedanke selbst ist bereits durch die Cisterzienser und Prämonstratenser vorgegeben worden  ; vgl. Leclercq, Intentionen  ; Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung. Siehe direkt dazu den prämonstratensischen Prologus in librum consuetudinum  ; Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1  ; vgl. Gerits, Diversiteit. 30 Dazu Constable, Monastic Legislation, 160f.

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an dessen Beziehungen zu den membra ansetzte und dabei besonders vier neue Elemente in den Vordergrund treten ließ  : Zum einen erklärte Abt Hugo, auch er wolle sich dem Gesetz unterwerfen (etiam nos ipsos legi subjicimus) und verfüge daher, daß er und seine Abtei einmal im Jahr von quatuor discrete et idonee persone einer Visitation unterzogen und gegebenenfalls korrigiert werden. Ziel sei es, die ecclesia Cluniacensis [i.e. hier Cluny selbst31] in bono statu zu erhalten, damit die übrigen, das exemplum capitis nachahmend, um so fester die instituta bewahren.32 Zum anderen hob er hervor, daß es wenig nütze, Samen zu säen, wenn nicht danach die Bewässerung folge und ein Keimen gewährleiste  ; in diesem Sinne sei es angebracht, jährlich ein Generalkapitel aller Äbte und Prioren abzuhalten, bei dem sine acceptione personarum und secundum Deum et beati Benedicti Regulam et Cluniacensis Ordinis instituta die Verfehlungen korrigiert, de salute animarum, conservatione Ordinis et domorum indemnitate gehandelt sowie bestimmt werde, quod fuerit regulariter statuendum.33 Diese Regelung bezog sich auch auf die Visitation Clunys selbst.34 Die dritte bedeutsame Festlegung zur Führungsstruktur betraf  – wie es hieß35 – die Verteilung der abbatialen sarcina auf Provinzvorsteher (camerarii [provinciales]), die nach Anweisung des Abtes von Cluny in den ihnen zugeordneten Häusern disponenda disponant, et corrigant corrigenda. Dabei seien ihre Befugnisse jedoch eingeschränkt, denn sie dürfen ohne Zustimmung des Abtes von Cluny keine Vergabe von Gütern zulassen und keine Prioren austauschen. Andererseits aber haben ihnen alle Prioren  – insbesondere bei Verschuldung ab einer gewissen Höhe – Rechenschaft abzulegen und sie finanziell zu unterstützen, wenn es um die Sanierung verarmter Häuser der Provinz ging.36 Das 31 Im 13. Jahrhundert bürgerte sich ein, den Verband nicht mehr als ecclesia Cluniacensis (vgl. Wollasch, Mönchtum, 154f.) zu bezeichnen, sondern als ordo Cluniacensis. Der Begriff Ec­ clesia Cluniacensis blieb grundsätzlich dem Kloster Cluny selbst vorbehalten. 32 Charvin, Statuts, Bd. 1, 41f. (§ 1). 33 Ebd., 51 (§§ 58–61). – Zum strittigen Problem, ob bereits früher regelmäßig Generalkapitel abgehalten worden sind – was m. E. nicht der Fall war –, siehe Besse, L’ordre de Cluny, Teil 1, 97  ; Anger, Chapitres généraux, 110f.; Hourlier, Le chapitre general, 73f.; De Valous, Le monachisme, Bd. 2, 70  ; Bredero, Comment les institutions, 155f.; Neiske, Reform, 78f. Vgl. oben Anm. 24. 34 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 42 (§ 1). 35 Ebd., 50 (§ 56)  : Ut onus nobis [sc. dem Abt von Cluny] melius et levius feramus impositum, et utilius procedant negotia, dum in plures sarcina fuerit partita […]. Zu Provinzeinteilung und camerarii vgl. De Valous, Le monachisme, Bd. 2, 46ff.; und künftig Pinkl, Umgestaltung. 36 Charvin, Statuts, Bd. 1, 50 (§ 56).

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Ergebnis der Visitationen war von den camerarii letztendlich aber wiederum dem Abt von Cluny im Rahmen des Generalkapitels vorzulegen. Und viertens schließlich wurde die Ein- und Absetzung von Prioren jeglicher Willkür des Abtes von Cluny entzogen, indem für die Amtsvergabe genaue Richtlinien aufgestellt wurden37 und von nun an eine Entfernung aus dem Amt grundsätzlich nur erlaubt war angesichts manifester Verfehlungen,38 über die das judicium diffinitorum (das hier zum einzigen Male in diesen Statuten erwähnt wurden39) das letzte Wort zu sprechen habe. Zieht man aus diesen Regelungen das Fazit, so hat der Abt von Cluny offensichtlich viel von seiner früheren Zuständigkeit und Machtfülle abgegeben an neu geschaffene Institutionen des Verbandes, hat er seine Amtsausübung eingebunden in die starren Begrenzungen eines übergeordneten Rechtsgefüges. Die oberste judikative Instanz waren jetzt die im jährlichen Generalkapitel zusammengeschlossenen membra selbst. Aus ihrem Kreis wurde die Kontrolle auch des caput vorgenommen und konnte (mittels der Definitoren) in eine der wichtigsten Befugnisse des Abtes eingriffen werden, nämlich in die Besetzungspolitik der Priorate.40 So gravierend dies sein mochte, der herkömmliche Führungsanspruch des Abtes von Cluny war mit diesen Statuten keineswegs in Abrede gestellt – im Gegenteil. Zum einen sollte die Visitation seines Hauses ja gerade auch seine Vorbildlichkeit erhalten und verdeutlichen, so daß folglich sein Ansehen als Haupt der Klöster – wie er nach wie vor bezeichnet wurde – sogar gestärkt wurde. Zum anderen besaß er jetzt in den camerarii wirkungskräftige Vermittler, um seine Maßnahmen und Kontrollpflichten auch in den ausgedehn37 Ebd., 47 (§ 39). Die Vergabe sollte gratis et absque venalitate vel pactione an discreti et honesti viri erfolgen. – Zum Problem der Besetzung des Amtes des Vorstehers eines cluniazensischen Hauses, das im Laufe der künftigen Entwicklung immer wieder besonders virulent wird, siehe den Überblick bei Besse, L’ordre de Cluny, Teil 1, 23ff. 38 Charvin, Statuts, Bd. 1, 47 (§ 40). Die Begründung ist vielsagend und wirft ein schlechtes Licht auf die bisherige Ausübung des Absetzungsrechts durch den Abt von Cluny (und die anderen Vorsteher von wiederum ihnen abhängigen Häusern)  : Volentes autem detrimentis oc­ currere, que ex frequenti priorum mutatione eveniunt […]. 39 Ebd.: […] statuimus ut conventuales priores […] non destituantur, et hoc judicio diffinitorum in Capitulo generali, nisi aliqua causa emergat manifesta, pro qua dominus Abbas eum removere compellatur. – Zu den Definitoren siehe noch ausführlich unten. 40 Zum herkömmlichen Verhältnis zwischen Abt von Cluny und den Prioren, wo ja gerade das traditionell hohe Ausmaß des abbatialen regimen manifest wird, vgl. Poeck, Cluniacensis Ecclesia, Abschn. 3.2.10.; De Valous, Le monachisme, Bd. 2, 65ff.; und künftig Pinkl, Umgestaltung, zur weiteren Entwicklung.

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ten Räumen des Verbandes vor Ort verwirklichen zu können. Ausdrücklich wurde in den Statuten z. B. vermerkt, daß ihm die Überprüfung der Aufnahme geeigneter Personen, die Entfernung von fugitivi aus dem Orden und die Erlaubnis zur Übernahme ordensfremder Ämter zustehe, daß diese Vorrechte aber eben in weiter entfernteren Gebieten an seine camerarii delegiert werden könnten.41 Der Abt von Cluny hatte die oberste Regierungsgewalt behalten, ihm waren nun zudem kompetente Organe und – mit den Statuten selbst – ein Rechtscorpus, dessen Befolgung sich tatsächlich einfordern ließ, zur Hand gegeben. Und tatsächlich besaß er mit dem judikativ wirkenden Generalkapitel – obgleich es eigenständig seinen Aufgaben nachkam und deshalb im Grunde eine Konkurrenz hätte darstellen können – ebenfalls ein unterstützendes Instrumentarium. Denn verpflichtet auf die Statuten, die den Abt von Cluny ausdrücklich als caput anerkannten, mußte das Generalkapitel dessen exekutive Maßnahmen, soweit sie rechtskonform waren,42 mitverantworten und zwangsläufig dazu beitragen, alle membra unter dessen Botmäßigkeit zu zwingen. Gewissermaßen haben also die membra selbst, aus denen das Generalkapitel ja bestand, die Aufgabe übernommen, den Zusammenhalt unter sich und in Hinordnung auf den Abt von Cluny zu wahren.43 Inwieweit diese neue Verfassungsstruktur dann tatsächlich sofort funktionstüchtig eingesetzt werden konnte, erlaubt die dürftige Quellenlage nicht zu sagen. Die weiterhin ungeschmälerte Führungsposition der Zentrale Cluny läßt sich jedoch zumindest schlaglichtartig durch einen zweimaligen Gebrauch der caput/membra-Metapher im Jahre 1201 aufweisen  : Als die Mönche des Priorats Lewes (England) sich der Bedrängnisse durch ihren weltlichen Patron, den 41 Charvin, Statuts, Bd. 1, 42 (§ 5), 49 (§ 49), 49f. (§ 55). 42 Dies scheint mir eines der entscheidendsten Elemente der neuen Verfassung gewesen zu sein. Es kam deutlich zum Ausdruck in den Worten Hugos V.: etiam nos ipsos legi subjicimus  ; siehe oben S. 240. Um die Tragweite dieser ›Unterwerfung‹ zu verstehen, sei an die Benediktsregel erinnert, wo das einzige Korrektiv des Abtes darin besteht, daß er sich Gott gegenüber verantwortlich fühlt und von diesem gerichtet wird  ; siehe Regula S. Benedicti, cap. 2. Vgl. allgemein zu diesem Aspekt jetzt die profunde Untersuchung von Felten, Herrschaft. 43 Insgesamt gesehen, ist aber die Meinung von Bredero, Comment les institutions, 160, nicht von der Hand zu weisen, daß es sich hier noch um einen »stade expérimental« handelt. Näherhin führt Bredero dazu aus (ebd.)  : »Hugues était certes convaincu de la necessité d’un chapitre général, mais il n’avait pas encore une idée claire et précise de son organisation et de son fonctionnement. Ce qui était hors de doute c’est que le chapitre aurait compétence pour juger des abus à corriger, pour promouvoir le bien spirituel des moines, pour veiller à la survivance de l’ordre et à l’immunité des diverses maison.«

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Grafen von Warenne, ausgesetzt sahen und sogar eine Trennung vom Verband befürchten mußten, weil jener eine von ihm kontrollierte Einsetzung des Priors betrieben hatte, versicherten sie dem Abt und der ecclesia Cluniacensis ihre humilitas, reverentia, obedientia et subjectio und hoben hervor, daß doch auch der Abt wüßte, wie schädlich es für das Haupt sei, wenn ein tam generosum membrum von diesem abgeschnitten werde.44  – Im anderen Falle erkannten die Mönche von La Charité die Absetzung ihres Priors und Subpriors durch den Abt von Cluny an, cum ipsius ordinatio tota ex domni abbatis Cluniacen­ sis pendeat voluntate, und erklärten diesen Eingriff als einen reformatorischen Akt, der bewirke, ut sancte religionis et honestatis unguentum, quod a vobis [der Konvent Clunys] sicut a capite descendit in membrum, in nullo vel modico de­ perditum fuerit […].45 – Dem ist noch hinzuzufügen, daß sich an der Privilegierungspolitik des Papsttums nichts geändert hat  : Im Jahre 1205 bestätigte Innocenz III. dem Abt von Cluny erneut die subjectio seiner Priorate sowie das Recht, daß nur mit seinem consilium ein Vorsteher in den zugehörigen Abteien gewählt werden dürfe, und wiederholte die Genehmigung Cölestins III. zur Reform in den Abteien.46 Diese Vorfälle beziehungsweise Rechtsakte weisen unbenommen auf eine konstitutionelle Kontinuität hin, zugleich sind sie aber auch – bedenkt man ihr Motiv – ein Zeichen dafür, daß die Straffung des Zusammenhalts und eine Verbesserung der Ordnung keineswegs rasch gelungen waren und weiterhin insinuativer Bekräftigung bedurften. ›2. Phase‹  : Tatsächlich mußten im Jahre 1205 oder 1206 dann auch erneut Statuten erlassen werden. Inhaltlich ging es dort47 überwiegend um wirtschaftliche Belange, die offenkundig besonders im argen lagen und an deren Durchführung man nun wesentlich strengere Maßstäbe anlegte. Teilweise wur44 Bernard / Bruel, no 4398  ; zum Verlauf dieses Streites siehe ebd., no 4381, 4408 u. 4574 (wo schließlich Gregor IX. 1228 dem Abt von Cluny das volle Recht zur Einsetzung des Priors restituierte). – Hier ist mit caput sowohl der Abt wie die Abtei gemeint. In den folgend noch anzuführenden Quellen wechselt der begriffliche Bezug dauernd, ohne daß eine besondere Differenzierung erkennbar ist  ; im Grunde aber steht der Abt selbst als persona agens im Vordergrund. 45 Bernard / Bruel, no 4400. Zum problematischen Verhältnis von La Charité zu Cluny im 13. Jahrhundert siehe Duming, Enquête, 383ff.; De Valous, Le monachisme, Bd. 2, 66f.; Cygler, L’ordre, 78ff.; und noch hier unten S. 246f. u. 268f. 46 Bernard / Bruel, nos 4414 u. 4419  ; Bullarium Cluniacensis, 97f. u. 100a  ; zum Privileg Cölestins III. siehe oben S. 238. 47 Charvin, Statuts, Bd. 1, 52–60  ; vgl. dazu Neiske, Reform, 79  ; künftig auch Pinkl, Umgestaltung.

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den aber auch Bestimmungen der vorangegangenen Statuten einfach nur wiederholt (z. B. die Visitation Clunys48) oder aber verschärft. Die Federführung dieses legislativen Aktes jedoch lag jetzt allein bei den Definitoren des Generalkapitels, die einleitend sehr kritisch darauf hinwiesen, daß viele Dinge de statu nostri Ordinis bislang relaxata seien und deshalb in pristinum rigorem zurückgerufen werden müßten.49 Diesen so betonten Rückgriff auf frühere Verhältnisse aber setzten sie unmittelbar in Bezug zum Abt von Cluny  : Et quoniam dominus Abbas pater et principium est nostri Ordinis, ea que ab antiquis patribus nostris diligenter instituta et constanter observata audivimus, tanquam patri significamus, ut in eo et sinceritatem doctrine, et boni operis efficaciam, vel de speculo cognoscamus. Unter dem Leitgedanken also, daß sich der Abt an dem Verhalten seiner großen Vorgänger der Blütezeit orientieren solle – beziehungsweise an dem, was man darunter zu verstehen glaubte –, wurde ihm darauffolgend50 unter anderem vorgeschrieben, er habe gemeinsam mit dem Konvent im Refektorium zu essen, auf fremde Dienerschaft zu verzichten, seine Equipage auf das Nötigste zu beschränken, die gleichen Speisen wie alle einzunehmen, auf jede Bereicherung zu verzichten und seine persönlichen Meßfeiern so zu gestalten, daß die anderen Brüder nicht gestört werden. Noch gravierender war, daß ihm von jetzt an auch ein Kreis von zwölf Mitbrüdern beigegeben wurde, deren Rat er nach dem Motto omnia fac cum consilio, et post factum non penitebis (Eccl 32. 24  ; RB, cap. 3) bei allen inneren wie äußeren Angelegenheiten heranzuziehen habe,51 daß er keine neuen can­ tus und lectiones einführen dürfe, daß er niemand in den Häusern des Ordens aufgrund eines familiare patrocinium von der potestas des Priors ausnehmen solle und daß er Liegenschaften oder daraus resultierende Einkünfte überhaupt nicht und sonstige Werte nur in Konsens mit seinem Kapitel veräußern könne.52 48 Charvin, Statuts, Bd. 1, 54 (§ 2). 49 Ebd., 53. Die allgemeine Begründung für ihre Aktivität lautete  : Quoniam alia est legitimi ordinis rectitudo, alia ex necessitate ordinis dispensativa remissio, justum est ut, necessitate cessante, ordinis integritas inviolabiliter conservetur, quia plerumque antidota que curant egretudinem, ces­ sante morbo, si sumantur impediunt sanitatem. Siehe dazu Pinkl, Neuorganisation, 352f. 50 Charvin, Statuts, Bd. 1, 53f. 51 […] dominus Abbas duodecim sapientes fratres in domo Cluniacensi semper habeat, quorum con­ silio in omnibus tam interioribus quam exterioribus agendis semper utatur  ; ebd., 54. 52 Ein ähnliches Verbot sprach allerdings schon Anastasius IV. 1154 gegenüber Petrus Venerabilis und Alexander III. gegenüber Abt Rudolph (1173–1176) aus. Siehe Bernard / Bruel, nos 4174 u. 4254  ; Bullarium Cluniacensis, 65b u. 74a. Zu den entsprechenden, im allgemeinen Kirchenrecht entwickelten Normen vgl. Michaud-Quantin, Universitas, 285ff.; speziell zu

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Damit waren tatsächlich neue Verhältnisse geschaffen, die mit den aufgerufenen Bedingungen unter den ersten Äbten nur insofern etwas zu tun hatten, als daß sie zurücklenken wollten zu einem bescheidenen Gestus in der Lebensführung des Abtes, wie jener als einst gültig und moralisch verpflichtend unterstellt wurde,53 die jedoch mit ihren eklatanten Eingrenzungen der exekutiven Kompetenz etwas vorlegten, was für die Zeit von Berno bis Hugo I. nie hätte festgeschrieben werden können. Unschwer ist zu erkennen, daß hier die Position des Abtes von Cluny konform eingewoben werden sollte in mittlerweile veränderte Verfassungsstrukturen, das heißt in Strukturen, die jetzt mehr als noch bei den Statuten von 1200 von einem stärkeren Gleichgewicht zwischen einerseits jenen Instanzen, die von den membra selbst getragen wurden, und dem caput andererseits bestimmt waren. Wesentlich öfter ist jetzt in den neuen Bestimmungen die Rede vom Generalkapitel und von den Definitoren, die neben den noch beibehaltenen Rechten des Abtes von Cluny mit erweiterten Aufgaben und Befugnissen ausgestattet worden sind. Die Definitoren54 waren nun über das bereits festgelegte Recht zum judicium bei einer Priorenabsetzung hinaus auch zuständig für die Abnahme des Berichtes der camerarii über den Zustand der Häuser55 und für die Anerkennung von Entschuldigungen bei Nichtbesuch des Generalkapitels56  – zwei Bereiche, die für die Aufsicht über den Gesamtverband von höchster Bedeutung waren. Das Generalkapitel aber hatte insofern eine Bestätigung seiner Wichtigkeit erhalten, als jetzt entweder Teilnahme daran oder Amtsenthebung zur drohenden Alternative gestellt worden ist.57 – Vor allem jedoch war die Tatsache entscheidend, daß die Definitoren mit dem Erlaß der Statuten selbst einen legislativen Akt vorgenommen haben, den sich zuvor der Abt von Cluny vorbehielt. Somit war es ein Gremium der membra, das nun seinerseits dem Abt vorschrieb, wie er sich zu verhalten habe. Dieser konnte den Rechtsverhältnissen im monastischen Bereich Hilpisch, Rat  ; Felten, Herrschaft, 275ff. Siehe dazu noch hier unten S. 284f. 53 Zum cluniazensischen Lebensstil der Frühzeit siehe Hallinger, Zur geistigen Welt  ; Leclercq, Pour une histoir. 54 Rückschließend aus späteren Quellen, da diesbezügliche für den angesprochenen Zeitraum fehlen, kann man mit höchster Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß es bereits jetzt jeweils vier Definitoren (zwei Äbte, zwei Prioren) in jährlicher Ablösung gab  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 259 (zum Jahr 1261) und weiter passim. Siehe auch unten S. 249. 55 Charvin, Statuts, Bd. 1, 59 (§ 22)  : De statu domorum et priorum conversatione certificent [sc. die camerarii provinciarum] diffinitores in Capitulo generali. 56 Ebd., 59 (§ 26). 57 Ebd.

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demnach allein dann mit unterstützender Billigung seiner Maßnahmen durch die membra rechnen, wenn er sich an deren nunmehr ihm gesetzte Vorgaben hielt. Der verstärkten genossenschaftlichen Mitwirkung an der Lenkung des Verbandes entsprach er als ein Haupt nur noch ohne monarchisches Gehabe einerseits und mit umgrenzten wie auch einem consilium unterworfenen Handlungsmöglichkeiten andererseits. Die Fährnisse des Verbandes haben im Anschluß an diese beiden Statutenwerke nicht nachgelassen. Obgleich es doch gerade auch um einen festeren Zusammenhalt gegangen war, brachten die folgenden Jahrzehnte unter anderem zusätzliche beziehungsweise fortgesetzte Kämpfe mit rebellischen Häusern  ; als besonders gravierend stand dabei die Rebellion der Abtei Menat (Auvergne)58 und des so wichtigen Priorats La Charité (Nivernois)59 im Vordergrund. Es zeigte sich jedoch, daß beide Instanzen – der Abt von Cluny und das Generalkapitel respektive dessen Definitoren  – innerhalb den ihnen mittlerweile zugewachsenen Aufgabenbereichen grundsätzlich60 sehr wohl verstanden, auf das gemeinsame Ziel der Verbandsfestigung hin zusammenzuwirken. 58 Siehe Bernard / Bruel, nos 4441–4446 (zum Jahre 1208). 59 Siehe ebd., nos 4461–4465, 4467–4469, 4479, 4485, 4497, 4499, 4501, 4506, 4579, 4582, 4586, 4588, 4590, 4592, 4595 (den Zeitraum von 1212 bis 1230 betreffend). Vgl. dazu hier Anm. 45  ; siehe auch Melville, Verwendung, 700f. – Weitere Probleme ergaben sich u. a. mit den Abteien Polirone (siehe Bernard / Bruel, no 4448  ; vgl. Piva, Cluny e Polirone, 329f.), Moissac (siehe Bernard / Bruel, no 4451) und Montierneuf (siehe ebd., no 4458–4460) sowie mit dem Priorat Saint-Martin-des-Champs (siehe ebd., no 4448)  ; zu den rebelliones im 13. Jahrhundert siehe umgreifend Cygler, L’ordre. 60 Eine kontinuierliche Beobachtung erlaubt bedauerlicherweise die Quellenlage nicht, so daß auch keine Aussage darüber zu machen ist, wie gut die Generalkapitel trotz Androhung der Strafen bei Nicht-Teilnahme besucht waren  ; vgl. dazu aber unten Anm. 68. Die Bedenken von Bredero, Comment les institutions, 162, ob überhaupt nach Hugo V. durchgängig Generalkapitel stattfanden, teile ich nicht. Sich auf einen noch gut belegten Fall (siehe folgend hier unten) aus den Jahren 1212/13 beziehend, meint er dann (ebd.)  : »Nous ignorons jusqu’à présent si, aprés 1213, des chapitres généraux furent tenus á Cluny.« Die Schenkungsurkunde Ferdinands von Kastilien aus dem Jahre 1218, mit der Cluny eine große Geldsumme zugesprochen worden ist, belegt jedoch sehr gut, wie selbstverständlich von der Abhaltung des Generalkapitels ausgegangen wurde  : Donamus itaque et perpetuo assignamus vice annua colli­ gendos in redditibus salinarum nostrarum de Accentia trecentos aureos, de quibus vobis [sc. dem Abt von Cluny] et quibuscunque ad capitulum convenientibus, una trium dierum generalis ca­ pituli, fiat procuratio conpetenter  ; siehe Bernard / Bruel, no 4514.  – Zur Visitationspraxis jener Zeit – einmal ausgeführt durch Delegierte des Abtes von Cluny, einmal durch diesen selbst – siehe zwei aufschlußreiche Fälle aus dem Jahre 1227  ; Bernard / Bruel, nos 4554 u. 4556.  – Bedenkenswert hinsichtlich eines tatsächlichen Funktionierens von Generalkapitel und Visitatorenamt scheint jedoch die Bemerkung von Giraldus Cambrensis in seinem so

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Ein hierfür besonders eklatanter Fall ereignete sich im Jahre 1212, als das gesamte Generalkapitel sich von Cluny auf den Weg nach La Charité machte, um den Maßnahmen des dort bereits weilenden Abtes von Cluny, Wilhelms  II., Durchsetzungskraft zu verleihen. Im Zuge der Verhandlungen hieß es dann – unter zutreffender Benennung der jetzt entscheidenden Instanzen – von ­seiten der päpstlichen Beauftragten  : […] obtulimus etiam ex parte diffinitorum et capituli generalis quod parati erant [sc. die Definitoren] corrigere, si qua forent corrigenda, tam erga abbatem [von Cluny] quam priorem et mo­ ­ harité], cum auctoritate capituli generalis a sanctitate vestre [sc. nachos [von La C von Innocenz III.] approbati, potestatem haberent corrigendi tam in capite quam in membris. Und dezidiert ebenfalls die maßgeblichen Organe des Verbandes ansprechend, äußerten sich darauf die abtrünnigen Mönche von La Charité, daß sie sich keineswegs de abbate vel diffinitoribus seu capitulo generali scheren wollten.61 Abt Wilhelm setzte daraufhin den Prior dieses Klosters ab, und die Definitoren verwarfen ihrerseits die Siegel von La Charité.62 Letztere Maßnahmen waren zwei Akte, die Papst Innocenz III. sofort als rechtmäßig erklärte  ; außerdem gestand er dem Abt von Cluny für 20 Jahre zu, in La Charité, weil es sich ungehorsam gezeigt hatte, pro sue libito voluntatis Prioren ein- und abzusetzen sowie zu korrigieren und anzuordnen, was notwendig sei.63 Auch dieses Vorgehen war bezeichnend für die gegenwärtige Phase. Das Papsttum unterstrich im Zuge eines mehrmaligen Verbotes der Appellation von cluniazensischen Mönchen an die Kurie einerseits ausdrücklich die exekutiven Vorrechte des Abtes von Cluny, soweit es darum ging, tatsächlich die Bestimmungen der Statuten durchzusetzen  ;64 es hob zum anderen aber auch – gerade in ­kritischen Speculum ecclesiae (verf. nach 1215) zu sein  : […] quam necessarium [in] ecclesia Christi quam honestum et quam utile foret, per capitula, more Cisterciensium, generalia, saltem singulis in regnis singula, Cluniacensis ordinis maculas abstergere, et non solum cellas minores, verum etiam coenobia majora, per visitatores annuos rigidos ac rectos emendare medullitus et emundare (ed. Brewer, 45f.). Aus dem Kontext geht zwar hervor, daß damit tatsächlich die Cluniazenser gemeint sind  ; eine analoge Äußerung (sie bezieht sich sogar auf jenen Canon des 4. Lateranum, der allgemein Generalkapitel und Visitation nach Vorbild der Cisterzienser vorschrieb [vgl. hier unten S. 286]) spricht jedoch wenig später unter dem Etikett Cluniacenses eindeutig die monachi nigri generell an (ebd., 93f.). Allzu hoch sollte man daher den Informationsgehalt jener Aussage in diesem Zusammenhang nicht einschätzen. 61 Siehe Bernard / Bruel, no 4461. 62 Ebd., no 4462. 63 Ebd., no 4465. 64 Innocenz III. im Jahre 1207 u. 1214, Gregor IX. im Jahre 1228. Siehe Bernard / Bruel, nos 4433, 4480 u. 4573  ; Bullarium Cluniacensis, 102 a, 103 b u. 108f. In dem Privileg Gregors heißt es ausdrücklich sogar  : Nos devotionis tuae supplicationibus inclinati, corrigendi nonob­

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Fällen verstärkter Brüchigkeit des Zusammenhalts – die Bedeutung der gesamtkörperschaftlichen Mitwirkung und Mitverantwortung hervor. So erinnerten im Jahre 1213 angesichts der Zerrüttung von La Charité Innocenz III.65 die beim Generalkapitel zusammengeführten Vorsteher der cluniazensischen Häuser zunächst an den Glanz jener Zeiten unter Führung der ersten Äbte,66 verwies dann jedoch auf folgenden Sachverhalt von nunmehr offenkundiger Zwangsläufigkeit  : Qui vero integrum consuevit esse judicium quod plurimorum sententiis confirmatur, et quae profectum communem respiciunt, tractari solent melius in communi.67 Die Teilnehmer am Generalkapitel haben demnach – so hieß es weiter – mit auxilium und consilium zur Hand zu gehen und sich dabei gegenüber dem Abt von Cluny tanquam devoti filii patri et membra convenientia capiti zugleich die obedientia und reverentia debita angelegen sein zu lassen. – Aus letzterer Bemerkung wird die Dualität besonders deutlich  : Eine eigenständige Rolle war dem Generalkapitel als konstitutioneller Instanz zwar längst nicht mehr abgesprochen, als einzelne Äbte und Prioren jedoch wurden die dort Zusammengeführten nach wie vor auf die Führungsgewalt des Abtes von Cluny verpflichtet. ›3. Phase‹  : Die weiterhin spürbare Unzulänglichkeit aber, den Zustand des Verbands mittels der nun seit dem Abbatiat Hugos V. bestehenden Organisationsstruktur zu verbessern,68 veranlaßte dann Papst Gregor IX. zu energischen Eingriffen in Form von neuen Statuten pro reformatione Cluniacensis ordinis, tam in capite quam in membris – wie es hieß69 beziehungsweise um deforma­ tum ordinem reformare ac instaurare collapsum. Seine Maßnahmen, verbindlich festgehalten in einer Reformbulle vom 13. Januar 1233,70 stellten zwar zum stante appellationis objectu, cum a correctione non liceat appellare, subditorum tuorum excessus, et cogendi eos ad observationem eorum, quae pro reformatione Ordinis sunt statuta, liberam tibi auctoritate praesentium concedimus facultatem. 65 PL 215, 791f. 66 Si diligenti meditatione pensabitis qualiter vita monastica sub primis ordinis Patribus pullulavit […], ebd., 791. 67 Vgl. zu diesem Prinzip Congar, Quod omnes. Siehe dazu noch unten S. 284. 68 Die oben genannten Appellationsverbote waren durchaus ein Zeichen dafür, daß es immer wieder aufs neue einer Unterstützung durch das Papsttum bedurfte. Und im Jahre 1229 mußte dann Gregor IX. auch die Teilnahme von mehreren cluniazensischen Äbten am Generalkapitel erzwingen, da dadurch bereits gravis infamia et dissolutio ipsius Ordinis, et Cluniacensis mo­ nasterii non modicum detrimentum entstanden seien. Bernard / Bruel, no 4587  ; Bullarium Cluniacensis, 109b. 69 In einem Schreiben an den Abt von Cluny vom 4. September 1231  ; Auvray, Les registres de Gregoire IX, no 710. 70 Bernard / Bruel, no 4619  ; Bullarium Cluniacensis, 110f. Ihr ging eine in manchen Details harschere Fassung vom 28. Juli 1231 voraus  ; Auvray, Les registres de Gregoire IX, no 745.

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größten Teil nur eine Bekräftigung von disziplinären und administrativen Bestimmungen aus den Statuten von 1200 beziehungsweise 1205/06 dar, doch sie bedeuteten jetzt eben einen Oktroy von höchster kirchlicher Instanz und waren folglich von wesentlich unabdingbarerem Charakter71 als noch die Satzungen des Verbandes selbst. Mehr aber noch schlugen jene Änderungen der Verfassung ins Gewicht, die der Papst in seiner reformerischen Absicht tatsächlich doch angeordnet hatte. Abgesehen davon, daß Gregor mehrfach auf das Modell der Cisterzienser hinwies – ohne allerdings konkrete Übereinstimmungen zu erzielen72 –, betrafen sie im wesentlichen vier Bereiche.73 1. Die Definitoren sollten künftig von den Äbten und Prioren auf dem Generalkapitel gewählt werden  – ein Sachverhalt, der bisher nicht festgelegt war.74 Ferner sollten jetzt alle causae quae inter personas ordinis Cluniacensis emerserint, et per Abbatem Cluniacensem non fuerint terminatae, delatae ad Capitulum [generale] ausdrücklich von den Definitoren entschieden werden. 2. Die Kontrollen vor Ort hatten nicht mehr die camerarii provinciales wahrzunehmen, sondern ebenfalls vom Generalkapitel gewählte Visitatoren. 3. Der Abt von Cluny konnte bei Unfähigkeit von den Visitatoren seines Hauses mit Zustimmung des Konvents zum Rücktritt aufgefordert und im Falle der Weigerung bei der Römischen Kurie denunziert werden.75 Vgl. hierzu ausführlich eingehend Bredero, Comment les institutions, 163ff.; Neiske, Reform, 81ff. – Die zuletzt zitierten Worte finden sich in beiden Bullen. 71 So heißt es strikt  : […] praescripta statuta studeatis inviolabiliter observare  ; Bullarium Cluniacensis, 111b. Zur impliziten Steigerung des Verrechtlichungsgrades der cluniazensischen vita mo­ nastica siehe Melville, Exhortatiunculae, 231. – Zu gleichzeitigen Reformen anderer Orden durch Gregor IX. vgl. Neiske, Reform, 91f., mit weiterführenden Verweisen. 72 Siehe dazu noch unten S. 286. – Eine der spürbarsten Veränderungen gegenüber der ersten Fassung der Reformbulle war, daß nicht mehr Cisterzienseräbte, sondern Prioren der Kartäuser beobachtend dem Generalkapitel der Cluniazenser beiwohnen sollten. Allerdings ergaben sich auch daraus wenig später Probleme, da diese Kartäuser ein Recht zur Visitation reklamierten. Siehe Bernard / Bruel, no 4708  ; Bullarium Cluniacensis, 113a. 73 Eine bereits ausführliche Inhaltsangabe und Bewertung der Bestimmungen Gregors bei Neiske, Reform, 85ff., der vor allem die inhaltliche Kontinuität zu den vorausgegangenen Statuten der Cluniazenser selbst herausstellt  ; siehe künftig auch Pinkl, Umgestaltung. 74 Die Quellenlage läßt keine Auskunft darüber zu, wie vorher die Auswahl der Definitoren zustande kam  ; es ist durchaus denkbar, daß sie bislang unter Mitwirkung des Abtes von Cluny ernannt worden sind – ähnlich wie bei den Cisterziensern  ; siehe dazu Les codifications cisterciennes de 1237 et de 1257, ed. Lucet, 5ff.; Van Damme, Les pouvoirs. 75 Die erste Fassung der Reformbulle sah sogar noch die Möglichkeit zur direkten Absetzung durch die Visitatoren vor  ; vgl. Neiske, Reform, 82.

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4. Bei der Einsetzung von Konventualprioren müssen nunmehr zwei an­dere Prioren zur Beratung eingeschaltet werden. Bei der Absetzung von Äbten oder Prioren sind künftig modus, forma et causa zu beachten, die für die Amtsenthebung cisterziensischer Äbte gelten – das heißt, der entsprechende Akt hat unter Hinzuziehung eines Konsortiums von anderen Äbten beziehungsweise Prioren zu erfolgen  ;76 anhand von jährlichen Listen, aus denen diesbezügliche Veränderungen hervorgingen, sollten die Definitoren derartige Akte schließlich noch einmal kontrollieren. Ersichtlich stärkten die Bestimmungen die genossenschaftlichen Befugnisse und grenzten andererseits die Machtfülle des Abtes von Cluny wiederum um ein beträchtliches Stück ein. Dieser hatte jetzt als Konsequenz aus einem schlechten Verhalten mit der Aufforderung zum Rücktritt zu rechnen. Zudem sah er sich einem von allen membra  – und allein von diesen  – legitimierten Definitorium gegenüber, das ihm die letzte Entscheidung in allen strittigen Dingen abnehmen konnte und das als oberste Kontrollinstanz mehr denn zuvor in sein genuines Recht der Ämtervergabe eingriff. Mit dem neuen, nicht von ihm besetzbaren Visitatorenamt ist seinen verlängerten Armen – den came­ rarii – eine wesentliche Aufgabe und ihm selbst damit offenkundig der direkte Einfluß auf die Überprüfung seiner Häuser – es sei denn, er visitierte selbst – in hohem Maße entzogen worden. Angesichts dieser offenkundigen Neuerungen ist dennoch festzuhalten, daß hier weiterhin an der grundsätzlichen Zentrierung auf Cluny, die somit in dessen Abt auch eines im Alltag die Geschäfte persönlich führenden Exekutivorgans bedurfte, nicht gerüttelt wurde. Aus dem einzigen, unmittelbar aus der Zeit nach der Reformbulle erhaltenen Beschlußprotokoll eines Generalkapitels77 (abgehalten 1234 oder 1237) geht eindeutig hervor, daß die Definitoren zwar über das Vorliegen von Vergehen entschieden und sich die Approbation einer Bestrafung vorbehielten,78 daß sie aber das genauere Strafmaß oder andererseits auch eine Begnadigung durchaus dem Abt von Cluny überlassen konnten. So wurde z. B.

76 Siehe Carta caritatis, ed. Canivez, Bd. 1, xxx  : Quod si nec ita correctus fuerit nec sponte cedere voluerit congregato aliquanto numero abbatum nostre congregationis, transgressorem sancte regule ab officio suo amoveant [gemeinsam mit dem abbas matris ecclesie]. – Die Absetzungsgründe sind in der Bulle Gregors IX. die gleichen geblieben wie in den Statuten unter Hugo IV. 77 Charvin, Statuts, Bd. 1, 195ff. 78 Z.B.: Amotio Gaymardi, quondam prioris de Silviniaco, per diffinitores secundum causas proposi­ tas approbatur. Charvin, Statuts, Bd. 1, 198  ; dort noch weitere analoge Entscheidungen.

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festgelegt  :79 Prior de Wasto [Le Waast], per obligationem quam fecit contra statuta et prohibitionem expressam amovendus est. Poterit tamen, pro utilitate domus ejus­ dem, dominus Abbas eum remittere si voluerit, cum alias bene administravit et valde necessarius domui sit eidem. – Auch was die direkte Vertretung der Ordensbelange gegenüber dem Römischen Stuhl anging, so konnte es augenscheinlich nach wie vor nur der Abt von Cluny sein, der hier handelte und angesprochen wurde. Schon im Jahre 1234 war er es, der den Papst um Hilfe bat, als die Visitatoren mit den italienischen membra ecclesie Cluniacensis Probleme hatten, oder der dann 1239 päpstliche Unterstützung erhielt gegenüber dem Konvent von SaintGermain in Auxerre, welcher anläßlich einer Visitation die Verlesung der Statuten spiritu rebellionis assumpto verweigerte, um nur zwei Beispiele zu nennen,80 die bezeichnend dafür sind, daß zumindest für die faktische Durchsetzung des Zusammenhalts letztlich doch der Abt von Cluny weiterhin zuständig war.81 Ferner hinderten auch die Regelungen der eigenen Reformbulle, die eine übermäßige finanzielle Belastung der Häuser durch Cluny verbot,82 Gregor IX. bereits noch im Jahre 1233 nicht daran, die Prioren bei einer unmittelbar eingetretenen Notsituation zur Unterstützung Clunys aufzurufen – und dies mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß es würdig sei, ut membra compatiantur capiti patienti.83 ›4. Phase‹  : Wie leicht dieses insgesamt aber doch recht ausgewogene Verhältnis zwischen dem Haupt des Verbandes und seinen Gliedern dennoch wieder zurückgeschraubt werden konnte auf eine erneute und zudem sehr rigid durchgeführte Vorherrschaft des Abtes von Cluny, zeigte seit 1245 das Abbatiat Wilhelms III., 84 eines Enkels Philipps II. August und Vetters des zeitgenössischen französischen Königs Ludwigs IX., des Heiligen. 79 Ebd., 195. 80 Siehe Auvray, Les registres de Gregoire IX, no 2151. – Bernard / Bruel, no 4743  ; Bullarium Cluniacensis, 113a. 81 Freilich wurde in dieser Hinsicht die Bedeutung des Generalkapitels nicht geschmälert. In Sorge um dessen effektive Durchführung ließ er einige cluniazensische Äbte 1237 energisch zur Teilnahme auffordern  ; siehe Bernard / Bruel, no 4722. 82 Bullarium Cluniacensis, 111b. 83 Bernard / Bruel, no 4620  ; Auvray, Les registres de Gregoire IX, no 1060. – Zu den Gründen dieser Finzanzkrise Clunys (Abschluß der Bautätigkeit an der Abteikirche  ; Brand) siehe Neiske, Reform, 94f. Vgl. auch De Valous, Le temporel, 139. Eine Ursache mag auch die Veruntreuung von Geldern durch den 1228 zurückgetretenen Abt Roland gewesen sein, um deren Zurückzahlung sich Cluny noch im Jahre 1234 bemühte  ; siehe Auvray, Les registres de Gregoire IX, nos 1793, 2079, 2080. 84 Vgl. zu diesem Abbatiat De Valous, Cluny, 84ff.; Bredero, Comment les institutions, 169ff.; Neiske, Reform, 97ff.

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Wilhelm begann sein Amt mit zwei spektakulären Maßnahmen  : Erstens führte er in Cluny eine tägliche Messe für Innocenz IV. ein und sicherte sich damit  – wie sich bald zeigen wird  – das besondere Wohlwollen dieses Papstes  ;85 zweitens forderte er von allen Äbten und Prioren eine schriftliche Obedienzversicherung und das Versprechen, keine Güter zu veräußern, sondern sich mit allen Kräften für den bonus status ihrer Häuser einzusetzen.86 Inhaltlich bedeutete dies nichts, was der Entwicklung der letzten Jahrzehnte völlig konträr gewesen wäre, denn ein Veräußerungsverbot sowie ein Gebot zum fruchtbaren Versehen des Vorsteheramtes waren unter anderem schon in den Statuten von 1205/06 und in der Reformbulle Gregors IX.87 ausgesprochen worden, und die oboedientia war – wie wir sahen88 – wesentliches Element des Zusammenhalts geblieben. Bemerkenswert sind jedoch die Konsequenz, mit der dieses Versprechen eingeholt worden ist, und zudem die Tatsache, daß bei der disziplinären Verpflichtung die anderen Kontrollorgane des Verbandes mit völligem Stillschweigen übergangen worden sind. Wilhelm strebte offensichtlich an, das Netz zu seinen membra von Anfang an straffer und unter Umgehung des Generalkapitels sowie des Definitoriums auf sich selbst hin zuzuziehen. Mehrere Priorate weigerten sich, sich einem derartigen Zugriff zu fügen. Sie wurden jedoch vom Papst daraufhin zum Gehorsam gezwungen  ;89 die eng geknüpfte Beziehung zu Innocenz IV. – der selbst auch öfters Gast in Cluny war90 – zahlte sich also bereits aus. Im Jahre 1247 tat dann Innocenz IV. aber noch mehr. Er stellte dem Abt von Cluny ein Privileg91 aus, in dem alles, was bisher an genossenschaftlicher Mitsprache gewonnen war, wieder rückgängig gemacht zu sein schien. Weil – so hieß es – a tempore, cujus non extat memoria im Cluniazenserorden mit großem Nutzen befolgt werde, daß alle Prioren und Mönche in spiritualibus et tempora­ libus pleno jure dem Abt von Cluny unterworfen seien, ferner daß sie diesem al85 Siehe Bernard / Bruel, no 4836. 86 Siehe ebd., nos 4845, 4868, 4871 (mit 23 solcher fast gleichlautender Schriftstücke, deren Kernsatz lautete  : juro et promitto quod fidelis et obediens et devotus ero domino Guillermo, Dei gratia abbati Cluniacensi, et successoribus ejus et ecclesiae Cluniacensi […]), 4879, 4886, 4887. 87 Charvin, Statuts, Bd. 1, 58 (§ 17)  ; Bullarium Cluniacensis, 111b. 88 Aus dem vorausgegangenen Abbatiat Hugos VI. (1235–1244) sind zudem zwei ähnliche Obedienz-Schreiben erhalten  ; siehe Bernard / Bruel, nos 4826, 4831. 89 Siehe dazu Neiske, Reform, 98. 90 Vgl. de Valous, Cluny, 84.  – Wilhelm ist unter diesem Papst auch Notar an der Kurie geworden  ; dies wurde dann vom Nachfolger Alexander IV. bestätigt. Siehe Bernard / Bruel, no 4976  ; Bullarium Cluniacensis, 124b. Vgl. Herde, Beiträge, 16  ; Nüske, Untersuchungen, 109. 91 Bernard / Bruel, no 4889  ; Bullarium Cluniacensis, 116f.

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lein das Gelübde ablegen, ihm oboedientia versprechen und ihm persönlich auf seinen Befehl hin über ihre administratio spiritualis vel temporalis Rechenschaft ablegen, und daß schließlich dem Abt von Cluny die libera institutio vel desti­ tutio seiner Prioren und Mönche zustehe – so sei dies alles auch jetzt nicht in Frage gestellt, sondern Wilhelm genieße darüber die völlige possessio. Umrahmt wurde diese Feststellung mit zwei generellen Sätzen, die mehr noch als die konkreten Bestimmungen die dahinterstehende Grundhaltung zum Ausdruck bringen  : In decentiam et ornatum redundat totius corporis, cum ipsius a capite membra non discrepant  ; sed veluti subjecta obediunt capiti, eidem obsequentia ad ejus nutum faciunt universa, – und  : Nos attendentes quod haec omnia reddunt eumdem Ordinem celebrem et insignem  ; cum populus sub uno Rectore prosperare consueverit, et cadere sub diversis. Mit einer Tradition aus unvordenklichen Zeiten wurde also argumentiert, um den Anschein zu erwecken, als ob nichts geschehen sei in den letzten Jahrzehnten, was das konstitutionelle Gefüge des Verbandes verändert hätte. Folglich blieb auch die inzwischen errungene Mitwirkung der genossenschaftlich getragenen Organe völlig unbeachtet, als hier nun postuliert worden ist, daß die Garantie für das Wohlbefinden der cluniazensischen Gemeinschaft ausschließlich in der Leitung eines Alleinherrschers liege und daß das caput nur solche membra habe, die nicht von ihm abweichen dürfen und die ihm auf seinen Wink hin willfährig sein müssen. In der Tat ist damit mehr angesprochen worden als die bislang aufrechterhaltene rechtliche subjectio der einzelnen Häuser unter Cluny, denn eine mögliche Kontrolle des Hauptes sowie eine Steuerung der Regierungspraxis, die – wie sich zeigte – den membra durchaus zugleich möglich waren, schlossen sich nun durch diese Auffassung implizit aus. – Der Rekurs auf eine angebliche Kontinuität von alters her stellte demnach nichts anderes dar als eine Verfälschung der wahren Verhältnisse. Zutreffend war vielmehr, daß in voller Absicht Gegebenheiten aufgerufen worden sind, die aus mittlerweile überholten Zeiten stammten, die dort tatsächlich aber eine wesentliche Rolle in der Verfaßtheit des Verbandes gespielt hatten  ; gemeint ist insbesondere die Zusicherung des Rechtes zur ungehinderten Einoder Absetzung der Prioren.92 Vor diesem Hintergrund erst gewannen weitere, sowohl noch von Innocenz IV. wie auch von seinem Nachfolger Alexander IV. verliehene Einzelpri92 Vgl. oben S. 241. – Insbesondere bedeutete dies eine Übergehung der Statuten Gregors IX., welche die Ein- und Absetzung bestimmten sachlichen Kriterien erneut unterworfen und dann auch vom Rat anderer Prioren abhängig gemacht haben  ; vgl. oben S. 251.

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vilegien dann ein besonderes Gewicht. Unter ihnen stechen jene von 1249, 1250 und 1256 hervor,93 bei denen zugestanden wurde, daß Wilhelm III. volle Gewalt (einschließlich des Absetzungsrechtes) über die päpstlichen Kapläne unter seinen Mönchen habe, daß er die Leiter seiner Häuser aus dem Amt entfernen könne, wenn sie nicht ihren Zahlungen an Cluny nachkämen, und daß er – mag dies auch nur eine Einzelheit sein, so war sie doch von prinzipieller Bedeutung94 – über den Besitzstand des bedeutenden Priorats Paray-le-Monial frei verfügen könne. Angesichts solcher Hervorhebung des Hauptes stellt sich die Frage nach dem Verbleib der anderen Instanzen. Bedauerlicherweise läßt die schlechte Quellenlage hierzu keine detaillierten Antworten zu, jedoch ist zumindest der Fortbestand des Generalkapitels anhand einiger Entschuldigungsschreiben wegen Fernbleibens eindeutig zu belegen.95 Mehr noch – Wilhelm schien Interesse an der Abhaltung dieses Zusammentreffens aller seiner membra gehabt zu haben, denn zum einen wies der Abt von Montierneuf im Jahre 1246 auf den ausdrücklichen Befehl des Abtes von Cluny hin, quod omnes priores prio­ ratuum nostrorum [i.e. von Montierneuf ] ad generale Capitulum Cluniancense veniant et intersint,96 und zum anderen ließ sich Wilhelm von Innocenz IV. im Jahre 1250 versichern, daß nach Beendigung der Kriegszustände in Norditalien nun der Abt von San Benedetto di Polirone wieder auf dem Generalkapitel zu erscheinen habe sicut ipse et praedecessores ejus sunt hactenus consueti,97 beziehungsweise ließ er sich von Alexander IV. erneut bestätigen, daß die Leiter der cluniazensischen Häuser, weil allein zur Teilnahme am eigenen Generalkapitel verpflichtet, nicht zum Besuch irgendeiner sonstigen Synode gezwungen werden könnten.98  – Dennoch ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß diese Institution keinesfalls mehr jene Rolle spielen konnte, die ihr einst von Gregor IX. zugedacht worden war  ; allenfalls diente sie noch dazu, durch die persönliche Anwesenheit aller Leiter eine direktere Einflußnahme ausüben 93 Bernard / Bruel, no 4920. – Ebd., no 4921  ; Bullarium Cluniacensis, 120b. – Bernard / Bruel, no 4926  ; Bullarium Cluniacensis, 120a. – Bernard / Bruel, no 4973  ; Bourel de La Roncière, Les registres d’Alexandre IV., no 1095. – Bernard / Bruel, no 4984. 94 Es widersprach immerhin den einschlägigen Bestimmungen aus der Bulle Gregors IX.; siehe Bullarium Cluniacensis, 111b. 95 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 218ff. Auf diese Quellen bezieht sich auch Bredero, Comment les institutions, 168, wenn er sagt  : »Sous l’abbatiat de […] Guillaume III de Pontoise, le chapitre général ne joua qu’un rôle effacé, pour autant qu’il ait ete encore convoqué.« 96 Charvin, Statuts, Bd. 1, 220. 97 Bernard / Bruel, no 4925  ; Bullarium Cluniacensis, 122a. 98 Bernard / Bruel, no 4977  ; Bullarium Cluniacensis, 126b.

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zu können, bessere Informationen zu erhalten und sich ein eingehenderes Meinungsbild zu verschaffen. Auffallend ist in dieser Hinsicht etwa, daß bis fast zum Ende des Abbatiats Wilhelms von der Rolle des Definitorium keine Rede mehr war.99 ›5. Phase‹  : Etwa ein Jahr vor Ende des Abbatiats Wilhelms III. bahnte sich jedoch wiederum ein Wandel dieser Verhältnisse an. Zwar wiederholte Alexander IV. am 18. Januar 1256 die weitgreifenden Aussagen der Urkunde von 1247,100 sprach also noch einmal davon, daß ein Gedeihen nur unter einem einzigen rector möglich sei. Doch schon wenige Wochen später mußte er sich mit recht harschen Vorwürfen von einigen Prioren auseinandersetzen, Wilhelm habe sich schlimmster Kapitalverbrechen schuldig gemacht, und eingestehen, daß die Abtei allgemein in eine überaus mißliche Lage geraten sei.101 Im Sommer sah sich der Papst dann gezwungen, von einem monasterium Cluniacense zu sprechen, quod per incuriam abbatis ipsius, qui nunc est, in spiritualibus et temporalibus in totius ordinis manifestam injuriam est collapsum.102 Während dieser Phase, die nun deutlich wieder den Schwachpunkt einer überbetonten monarchischen Verfassung zeigte, nämlich die persönliche Unzulänglichkeit des Monarchen selbst, stellte Alexander IV. Wilhelm zwei Urkunden aus, die zwar auf den ersten Blick das Handlungsfeld des Abtes von Cluny zu erweitern schienen, die nun aber ausdrücklich erneut die Mitwirkung der genossenschaftlichen Gremien als unumgänglich hervorhoben.103 Zum einen gab

 99 Dies muß eventuell aber auch auf die schlechte Quellenlage zurückgeführt werden.  – Zumindest aus den Anfängen dieses Abtes ist ein Fall überliefert, wo auf jenes Gremium Bezug genommen wurde  : Im Jahre 1245 forderten die Visitatoren der Klosters Layrac (Gascogne) dessen Prior auf, daß er ihnen auf dem folgenden Generalkapitel über Maßnahmen gegen beanstandete Mönche Auskunft gebe, ut pena nunc ab eis promerita quanta gravius poterit per diffinitores irrefragabiliter inferatur  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 214. 100 Bernard / Bruel, no 4972  ; vgl. oben S. 252. 101 Bourel de La Roncière, Les registres d’Alexandre IV., no 1190. Vgl. zu diesen Vorgängen Neiske, Reform, 100f. 102 In einem an den Dekan von Cluny gerichteten Schreiben  ; Bourel de La Roncière, Les registres d’Alexandre IV., no 1384. – Zu den negativen Auswirkungen des auch wirtschaftlich autokratischen und egoistischen Handelns Wilhelms siehe Neiske, Reform, 102f. – Ähnlich wie schon nach Abt Roland (siehe oben Anm. 83) in den dreißiger Jahren mußte sich Cluny auch jetzt wieder um die Rückgewinnung von Vermögenswerten bemühen. 103 Vgl. dazu Bredero, Comment les institutions, 171f.; und vor allem Neiske, Reform, 99ff., der die Möglichkeit einer Fälschung der hier zunächst anzuführenden Urkunde überzeugend von der Hand wies  ; dessen Beurteilung dieser beiden Privilegien hinsichtlich der cluniazensischen Verfassungsentwicklung sehe ich jedoch etwas anders.

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er dem Abt von Cluny das Recht104, von gewissen disziplinären Bestimmungen105 der Reformbulle Gregors IX. zu dispensieren  – dies jedoch nur cum prioribus et monachis […] Ordinis universis, das heißt also mit Zustimmung des Generalkapitels. Zum anderen erlaubte er dem Abt von Cluny, Prioren abzusetzen,106 ohne daß diese an die Kurie appellieren könnten, wies dann jedoch in einem Atemzug unter nahezu wörtlicher Zitierung der betreffenden Stelle aus der Reformbulle Gregors IX.107 erneut darauf hin, daß alle Streitfälle, die vom Abt nicht beschwichtigt wurden, im Rahmen des Generalkapitels von den Definitoren entschieden werden sollten. Darunter mußte implizit auch der Bereich der Amtsenthebung fallen. – Offenkundig ist nun trotz des hohen Grades, den die Machtfülle des Abtes von Cluny inzwischen aufs neue erreicht hatte, wieder die grundsätzliche Rückbindung an eine Entscheidungsbefugnis jenes Gremiums angestrebt worden.108 Dies ist dann unmittelbar in den beiden nachfolgenden Abbatiaten von Yvo I. (1257–1275) und Yvo II. (1275–1289)109 auch tatsächlich verwirklicht worden – und zudem auf eine Weise, die ohne innere Widersprüche gewesen zu sein scheint, denn gleichzeitig zeigt sich nun sowohl eine recht starke Position des Abtes von Cluny gegenüber seinen Häusern wie auch ein ungehindertes Funktionieren von Visitatorenamt, Generalkapitel und Definitorium. So erhielten einerseits die beiden genannten Äbte vom Papsttum wieder nahezu alle wichtigen Privilegien, in deren Genuß schon Wilhelm III. gekommen war  : Dreimal wurden ihnen (1265, Yvo I. von Clemens IV.; 1272, Yvo I. von Gregor X.; 1279, Yvo II. von Nikolaus III.) die weitgreifenden Rechte aus jener 104 Bernard / Bruel, no 4979  ; Bullarium Cluniacensis, 125. 105 Daß es sich dabei tatsächlich vor allem um disziplinäre und nicht auf die Verfassung bezogene Dinge handelte, zeigt sich aus den einleitenden Worten  : […] ut cum observantia Ordinis ab ipsa sui institutione multum sit rigida et difficilis ad ferendum, fuerintque postodum per felicis recordationis Gregorium papam praedecessorem nostrum superaddita statuta gravia, et praecepta diversarum poenarum adjectione vallata […] (ebd.). So erscheint mir die Meinung von Neiske, Reform, 103, daß die Reformstatuten Gregors IX. durch Privilegien dieser Art »im Bewußtsein Clunys aufgehoben« wurden, zu global. Sie werden in den späteren Protokollen des Generalkapitels immer wieder erwähnt. Noch 1263 heißt es dort  : Item, cum ro­ manus pontifex in statutis suis districte prohibeat ne quis prioratum vel aliam administracio­nem per secularem potestatum sibi dari procuret […]  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 278f.; siehe ferner ebd., 324 (1272), 359 u. 361 (1276), 443 (1287), Bd. 2, 5 (1290). 106 Bernard / Bruel, no 4985  ; Bullarium Cluniacensis, 127. 107 Siehe oben S. 248f. 108 Bredero, Comment les institutions, 172, spricht hier ebenfalls von »événements qui, sous Alexandre IV, ont abouti au rétablissement du chapitre général«. 109 Vgl. zu diesen recht bedeutsamen Äbten – Onkel und Neffe – De Valous, Cluny, 87ff.

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Urkunde von 1247 zugesichert und somit ihr Rang als beherrschendes caput und als jeweils alleiniger rector weiterhin unterstrichen  ;110 und mit wiederholter Vorgabe, quatinus […] libere officii tui debitum exequaris, wurden erneut 1258 und 1265 Yvo I. die Absetzbarkeit von päpstlichen Kaplänen sowie 1263 das Korrekturrecht gegenüber den Prioren ohne Möglichkeit einer Appellation zugestanden111. – Zudem erhielt Cluny wieder vom Papsttum mehrfach (1266 von Clemens IV, 1273 von Gregor X. und 1279 von Nikolaus III.) eine Bestätigung der Zugehörigkeit seiner Häuser, die dabei  – wie schon früher üblich – im einzelnen aufgezählt worden sind.112 Dies mag wohl unschwer aus der Tatsache zu erklären sein, daß es gerade nach dem Abbatiat Wilhelms III. immer wieder zu Angriffen auf cluniazensische Klöster gekommen war113 und sich somit eine Versicherung des Besitzes von päpstlicher Seite als besonders nützlich erwies  ; doch Nikolaus III. schob kurz darauf noch eine zweite Bulle nach, die dem Abt Yvo II. persönlich die Verfügungsgewalt über die cluniazensischen Abteien und Priorate (erneut in namentlicher Aufzählung) nun in doch sehr bemerkenwerter Weise bekräftigte.114 Dabei wurde nämlich die  – hier bereits oben zitierte115  – Urkunde Paschalis’ II. an Pontius aufgegriffen und unter Beibehalt des damaligen Wortlautes erneut festgeschrieben  : […] abba­ tias vel prioratus, qui sub dispositione sanctae memoriae Hugonis Abbatis praede­ 110 Siehe Bernard / Bruel, no 5095  ; Bullarium Cluniacensis, 133a.  – Bernard / Bruel, no 5184. – Bernard / Bruel, no 5246  ; Bullarium Cluniacensis, 142b. Vgl. oben S. 252f. 111 Siehe Bernard / Bruel, no 4991  ; Bullarium Cluniacensis, 127b.  – Bernard / Bruel, no 5106  ; Bullarium Cluniacensis, 135b.  – Bernard / Bruel, no 5053  ; Bullarium Cluniacensis, 132a.  – Von Clemens IV. erhielt Yvo  I. zudem auch wieder das Privileg, von einzelnen Statuten Gregors IX. gemeinsam mit den Prioren und Mönchen zu dispensieren. Siehe Bernard / Bruel, no 5105  ; Bullarium Cluniacensis, 135. Vgl. oben S. 252f. 112 Siehe Bernard / Bruel, no 5114.  – Bernard / Bruel, no 5159  ; Bullarium Cluniacensis, 139f.  – Bernard / Bruel, no 5261  ; Bullarium Cluniacensis, 145f. Zu einer zuletzt von Alexander IV. für Wilhelm III. im Jahre 1256 ausgestellten Bulle dieses Inhalts siehe Bernard / Bruel, no 4978. Die früheren (bis zum 12. Jahrhundert) behandelt ausführlich Poeck, Cluniacensis Ecclesia, passim. – Die genannten Bullen unterscheiden sich durch eben diese Aufzählung der Häuser von sonst in den Jahrzehnten zuvor durchaus vorgenommenen pauschalen Bestätigungen aller privilegia und indulgentiae Clunys  ; deren letzte erfolgten noch unter Alexander IV. im Jahre 1258 und unter Gregor X. im Jahre 1272. Siehe Bernard / Bruel, no 4993  ; Bullarium Cluniacensis, 128a.  – Bernard / Bruel, no 5181  ; Bullarium Cluniacensis, 137b. 113 Vgl. die Protokolle der Generalkapitel seit 1259  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 231ff.; siehe auch die vielfachen Schutzmaßnahmen der Päpste gegenüber Usurpationen von seiten der Bischöfe  ; Bullarium Cluniacensis, 129ff. 114 Siehe Bernard / Bruel, no 5263  ; Bullarium Cluniacensis, 147 (7. Mai 1279). 115 Vgl. oben S. 244.

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cessoris tui manserunt, sub tua quoque, vel successorum tuorum dispositione Apostolica auctoritate decernimus permanere […].116 Dieser Rückgriff auf Hugo I., der hier nach 170 Jahren erneut, jedoch völlig unvermittelt und überraschend vollzogen worden ist, sollte wohl zugleich unmißverständlich an die einstige Blütezeit unter jener noch so mächtigen Abtsherrschaft appellieren und somit insistierend deutlich machen, in welch herausgehobener Stellung nun ebenfalls der derzeitige Abt gesehen werden könne. In diesem Zusammenhang ist auch eine Mahnschrift an die Cluniazenser zu nennen, die von einem Kanoniker des Bistums Clermont-Ferrand, Girardus de Arvernia, im Jahre 1272 verfaßt wurde.117 Dieser stand in engem Kontakt mit führenden Persönlichkeiten des Verbandes  ; den späteren Abt Yvo II. zählte er zu seinen affines. In seinem Werk, dem man somit Sachkenntnis zusprechen darf, wurden vor allem die spirituellen Werte und nicht die rechtlichen Regelungen als eigentlicher Antrieb zur Verbesserung der Disziplin aufgerufen. Im Abt Yvo I. sah der Autor118 die alles überragende pastorale Kraft und nannte ihn einen heres und vicarius Petri. Ganz offenkundig stand dabei das Bild der alten, nur durch den Abt von Cluny und die Vorsteher seiner abhängigen Häuser getragenen ecclesia Cluniacensis119 vor Augen, denn mit keinem Wort sind die längst eingeführten genossenschaftlich getragenen Instanzen erwähnt. Dagegen aber wurde hervorgehoben, daß bezüglich verwerflich handelnder Prioren allein die auctoritas des Abtes gefordert sei, welcher dann auch tatsächlich zum uneingeschränkten Handeln bereit sein müsse. Nachdrücklich wurde Yvo I. angeraten  : Plantationes iniquas dissipate et euellite et in prioratibus 116 Auch die einst fixierte Bestimmung, daß in Prioraten kein Abt erhoben werden dürfe, wurde nun ebenfalls unter Hinweis auf Hugo I. wiederholt  : In locis autem quae sine proprio Abbate diebus praedicti Domini ac venerabilis Hugonis Abbatis fuisse videntur, numquam aliquis Abbatem ordinare praesumat  ; ebd. – Andererseits stand Nikolaus III., wie schon seine Vorgänger Alexander IV. und Urban IV., recht rigide auf seiten der Franziskaner, als sich diese um Niederlassungsrechte im Umkreis von cluniazensischen Häusern bemühten  ; vgl. Demski, Papst Nikolaus III., 317f. 117 Siehe dazu Melville, Exhortatiunculae. Die noch nicht edierte Schrift ist überliefert in cod. Vat. lat 3839, fol. 29v–33v, und cod. Vat. lat. 3840, fol. 28v–36v. Sie richtete sich ad dompnum Yvonem abbatem, ad omnes priores conventuales, ad claustrales universos, ad claustrales nobiles, ad claustrales tam ignobiles quam medii generis, ad singulos novicios, ad infirmos, ad illos, qui prioratus affectant, ad fratres mundivagos, ad apostatos und ad clericos seculares (diese letzteren forderte der Autor zum Eintritt in den Cluniazenserorden auf ). 118 Siehe Melville, Exhortatiunculae, 209ff. 119 Im Sinne des einstig unter Hugo I. bis Petrus Venerabilis eingebürgten Gebrauchs als Bezeichnung für den gesamten Verband  ; vgl. Wollasch, Mönchtum, 154ff., und hier oben S. 232.

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tales plantate, quos humilitas, quos innocencia, quos uita probacior et litteratura commendet […]  ! Andererseits aber – wie wir aus den mittlerweile recht durchgängig erhaltenen Protokollen der Generalkapitel erfahren können120 – nahmen die Definitoren unter den Abbatiaten Yvos I. und Yvos II. jetzt tatsächlich jene Aufgaben wahr, zu denen sie spätestens seit der Reformbulle Gregors IX. schon befugt worden waren. Sie urteilten über alle schwerwiegenden Fälle, die ihnen vornehmlich anhand der Berichte und bereits vollzogener Anordnungen der Visitatoren121 oder des Abtes von Cluny, der oftmals ganze Provinzen noch selbst visitierte,122 zur Kenntnis gelangten. Im Anschluß daran veranlaßten sie den Abt von Cluny, die entsprechenden Maßnahmen – persönlich oder mit Hilfe seiner camerarii123 – zu ergreifen, bezie­hungsweise verlangten sie eine Wiedervorlage des Falls auf dem nächsten Generalkapitel, wenn inzwischen nichts Erfolgreiches unternommen worden sei.124 Entsprechend stereotype Formulierungen wie diffiniunt quod dominus Abbas provideat125 sind ein vielsagender Beleg für das Gewicht dieses genossenschaftlichen Gremiums im Bereich der Instanzenabfolge, welche umgekehrt auch sogar die nachträgliche Sanktionierung von Aktionen des Abtes von Cluny einschließen konnte.126 Ein recht gut überliefertes Beispiel ist hierfür die Vorgehensweise gegen die rebellierende Abtei Mozac in den sechziger Jahren.127 Vor Mai 1264 hatte Yvo I. die Auvergne visitiert und in der genannten Abtei schwerwiegende Verfehlun120 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 231ff. Zur Tätigkeit der Definitoren siehe künftig ausführlich Pinkl, Umgestaltung. Hier können im Folgenden nur einzelne signifikante Beispiele genannt werden. 121 Siehe z. B. Charvin, Statuts, Bd. 1, 236  : Domus de Cella [St. Ulrich bei Freiburg i. Br.] procuratur non per monachum Cluniacensem et male  ; diffiniunt et secundum ordinationem visi­ tatorum procurator domus amoveatur. – Seit dem Jahre 1262 sind auch die Visitationsberichte in recht dichter Folge überliefert  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 267ff. und passim. 122 Siehe z. B. ebd., 259, 291, 297, 309, 336 und passim. 123 Siehe z. B. ebd., 238, 247 und passim.  – Zugleich achteten die Definitoren auch auf das statutengemäße Verhalten der camerarii  ; siehe z. B. ebd., 239  : […] et prior institutus est per camerarium, non per Abbatem  ; diffiniunt quod ordinet de eo dominus Abbas  ; vgl. die Statuten von 1200, Charvin, Statuts, Bd. 1, 50 (§ 56). 124 Siehe ebd., 247, 310 und öfters. 125 Siehe ebd., 231, und passim mit ähnlichen Formulierungen. 126 Siehe z. B. ebd., 235 (Gen.-Kap. von 1259)  : Sententias latas per dominum Guillermum, quon­ dam Abbatem Cluniacensem et visitatores suos in monialem, quondam abbatissam de Canturio, Mediolanensis diocesis, et in omnes secaces [sic  !] ipsius, diffinitores confirmaverunt et approbaver­ unt […] – Vgl. ebd., 240, zu einem Fall des Widerrufs einer Absetzung. 127 Vgl. zu den Vorgängen im einzelnen Melville, Exhortatiunculae, 216ff.; Cygler, L’ordre, 85ff.

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gen aufgedeckt.128 Im Mai jenes Jahres kam die Sache vor das Generalkapitel, wo die Definitoren den Abt von Cluny beauftragten, erneut Visitatoren nach Mozac zu senden, qui super his que corrigenda invenerint […] secundum statuta Ordinis correctionis officium exequentur.129 Im November wurden dann im Kapitel von Mozac harsche Reformartikel oktroyiert, die das Definitorium de jurisperitorum consilio im folgenden Jahr überprüfte und guthieß.130 Da sie jedoch nicht gefruchtet hatten, legte nun jenes Gremium zugleich fest, daß der Abt von Cluny personaliter, si potest, vel per solemnes nuntios et discretos nach dem Rechten sehen und Strafen secundum honorem Ordinis et statuta aussprechen solle.131 Yvo  I. zog dann die Sache vollends an sich, machte sich 1266 persönlich auf den Weg nach Mozac, um die correctio zu erzwingen, exkommunizierte die Übeltäter und setzte letztlich mit Hilfe des Papstes die Amtsenthebung des Abtes von Mozac durch.132 Die Kompetenz des Definitoriums reichte aber offensichtlich noch weiter. Mehrfach sprach es selbst z. B. die Absetzung eines Amtsträgers aus.133 Bei wirtschaftlichen Krisen eines Hauses konnte es der Ansprechpartner sein, der um Hilfe gebeten wurde.134 Und einige Male war es neben dem Abt von Cluny ebenfalls Adressat von Entschuldigungsschreiben wegen Abwesenheit auf dem Generalkapitel.135 Ferner beschränkte das Definitorium seine Aktivität grundsätzlich nicht nur auf innere Verhältnisse des Verbandes, sondern widmete sich auch – ebenfalls dem Abt von Cluny hierzu Entscheidungen vorgebend – den Beziehungen zum kirchlichen oder weltlichen Umfeld, insbesondere zu konkurrierenden Orden, zu Bischöfen oder zum französischen Königtum.136 Und schließlich traf es unter Einbezug des gesamten Generalkapitels gelegentlich Maßnahmen, die aufgrund ihrer allgemeinen Gültigkeit nicht mehr nur von judikativem, sondern auch von legislativem Charakter waren und die zur rechtskräftigen Verkündung allerdings dann an den Abt von Cluny verwiesen wurden  ; so z. B. im Jahre 1265  : 128 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 279f. u. 284. 129 Ebd., 286. 130 Ebd., 287ff. u. 295  : […] et quasdam ordinationes […] pater Abbas in dicto monasterio fecerit, quas diligenter de verbo ad verbum examinavimus et eas, de jurisperitorum consilio laudamus et approbamus. 131 Ebd., 295. 132 Siehe Bernard / Bruel, nos 5116, 5121, 5123–5126, 5140, 5144, 5146. 133 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 242, 262, 326 und passim. 134 Siehe Bernard / Bruel, no 5279. 135 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 227, 277, 324 und öfters. 136 Ebd., 255, 292, 344, 347, 359, 441 und öfters.

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Quoniam omnes illi qui domos retinent obligatas, cum habeant unde eas valeant ab onere debitorum relevare, authoritate Capituli generalis excommunicati existant, diffi­ niunt diffinitores quod ista sententia iterum in pleno Capitulo per dominum Abbatem solenniter publicetur.137

Ein derart funktional aufeinander abgestimmtes Vorgehen zeigte sich auch, als Yvo II. im Jahre 1276 erneut Statuten erließ.138 Schon die Überschrift  – Statuta Capituli generalis Yvonis secundi edita in Capitulo generali Cluniacensi […] – sollte offensichtlich expressis verbis verdeutlichen,139 daß das Generalkapitel der institutionelle Rahmen war, innerhalb dessen der Abt die Promulgation vorgenommen hatte. Angesichts dieser Einbindung ist zwar nicht abzustreiten, daß Yvo II. – im Gegensatz zu den Verhältnissen jener Statuten von 1205/06140  – hier die alleinige gesetzgeberische Gewalt behielt, beziehungsweise, daß er es war, der in einer ausschließlich auf ihn bezogenen ›Wir‹-Form die neuen Bestimmungen festsetzte und der die Maßnahmen seiner Vorgänger aufrief, um diesen aliqua, que correctioni et reformationi […] oportuna seien, hinzuzufügen. Doch es ist bezeichnend für die seinerzeit herrschende zweipolige Verfassungsstruktur, wenn er zugleich ausdrücklich darauf bestand, daß ungeachtet seiner Erlasse die Capituli generalis statuta weiterhin (neben der Regel Benedikts) befolgt werden müssen, ab omnibus sicut decet.141 Die neuen Statuten bezogen sich im überwiegenden Maße auf Bereiche der Wirtschaftskriminalität und der Disziplin  – Bereiche, in denen der Verband in jener Zeit tatsächlich besondere Gegensteuerungen ergreifen mußte  ;142 an dem überkommenen Gefüge der Verfassungsorgane änderte das Gesetzeswerk nichts. Allerdings hob es an einigen Stellen den Abt von Cluny als entschei137 Ebd., 291.  – Bei einem solchen Fall konnte dann auch die hinsichtlich der Kompetenz aufschlußreiche Formulierung gewählt werden  : diffiniunt quod dominus Abbas statuat  ; ebd., 250. 138 Ebd., 60ff. Vgl. dazu künftig Pinkl, Umgestaltung. 139 Bei den von Hugo V. im Jahre 1200 herausgegebenen Statuten fehlte jeder Hinweis auf Beratung durch ein Gremium (das sicherlich aber vorhanden war), dagegen waren die nostri abbates, priores, monachi et conversi einfache Adressaten der Promulgation  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 41. Vgl. oben S. 239. 140 Vgl. oben S. 243f. 141 Charvin, Statuts, Bd. 1, 61. 142 Vgl. zu den Verhältnissen der Vorjahre Melville, Exhortatiunculae, 219ff. – Im Jahre 1277 erließ Yvo II. speziell für die Provinz Anglia weitere Statuten mit gleicher Zielsetzung, wobei es allerdings auch um den festeren Anschluß dieses entfernten Raumes ging  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 65ff.

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dende Instanz für die Erteilung von bestimmten Ausnahmegenehmigungen hervor und wies andererseits auch den Definitoren besondere Kompetenzen zu.143 In Anbetracht des engen thematischen Rahmens jener Statuten schlug dies jedoch konstitutionell kaum ins Gewicht. Es verdeutlichte allenfalls um eines mehr die inzwischen wieder erreichte Aufgabenverteilung zwischen einerseits einem caput, das durch die päpstliche Privilegierung zwar weiterhin wie unter den Zeiten des autokratischen Wilhelm III. in einer starken Führungsposition gehalten worden war, und andererseits den aus den membra rekrutierten Gremien, die innerhalb der ihnen zustehenden Kompetenzen jedoch nun nicht minder selbstbewußt walteten. ›6. Phase‹  : Ein Vorfall, der sich bereits vor April 1287144 ereignet haben mußte, brachte jedoch von päpstlicher Seite aus den Stein zu erneuten Reformen der Verfassung ins Rollen. Sechs Prioren hatten angemahnt, daß non­ nulla statuta a Gregorio VIIII super reformatione Cluniacensis ordinis edicta nicht eingehalten werden  ;145 daraufhin sind sie von Yvo II. gegen alle Regeln ihrer Ämter enthoben worden. Die Abgesetzten wandten sich an die Römische Kurie, fanden aber – wohl aufgrund des Appellationsverbots – zunächst bei Honorius IV. kein Gehör. Erst Nikolaus IV. verhalf ihnen zu ihrem Recht, setzte sie nach eingehender Überprüfung der Sachlage im März 1289 gegen heftigen Widerstand Clunys wieder als Prioren ein und ließ sie für ihren Prozeßaufwand entschädigen. Das Untersuchungsgremium dieses Streites hatte sich aus zwei Kardinälen und dem Abt von Mozac sowie dem Prior von Saint-Leud’Esserent zusammengesetzt. Letztere aber waren Definitoren des Jahres 1287 gewesen146 und folglich zuständig für die Prüfung der Belange zwischen den Generalkapiteln von Frühjahr 1286 und Frühjahr 1287. Vermutlich war in diesem Zeitraum die Absetzung geschehen, und offenkundig sind die Definitoren dabei – gegen die übliche Praxis – übergangen worden, denn in den einschlägigen (aber auch vorangehenden) Akten des Generalkapitels findet sich nichts 143 Eine Zunahme der Kompetenz des Abtes von Cluny ist m. E. nicht zu beobachten  ; siehe dagegen Neiske, Reform, 103. Zu der wichtigen Frage der Dispens von Strafen bei conspi­ ratio heißt es z. B. ausdrücklich  : […] et ex causa evidentissima per Abbatem Cluniacensem et de consilio et expresso assensu diffinitorum Capituli generalis fuerit cum talibus misericorditer dispensatum  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 62 (§ 2). 144 Da es dabei nachweislich (siehe unten) zu einer Appellation an Papst Honorius IV. gekommen war, muß dessen Sterbedatum – 3. April 1287 – als terminus ante quem gelten. 145 So in der nachträglichen Beurteilung durch Nikolaus IV. vom 15. März 1289  ; Langlois, Les registres de Nicolas IV., no 686. Siehe zu dem gesamten Vorfall ausführlich und mit Einzelbelegen Neiske, Reform, 103f. 146 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 441.

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darüber. Falls dieser zeitliche Ablauf zutrifft, wären jetzt jene herangezogen worden, die schon seinerzeit ein Urteil hätten fällen sollen  ! Das Einschreiten des Abtes von Cluny gegen unbequeme Kritiker hatte an den Tag gebracht, daß das Netz der ordensinternen Kontrolle durchaus noch so weitmaschig war, um vom caput mit der nötigen autokratischen Energie und ohne Möglichkeit der membra, dagegen einzuschreiten, unterlaufen zu werden. Die Beschwerden jener Prioren hatten aber ebenso deutlich gemacht, wie es mit der Einhaltung früherer päpstlicher Gebote im Orden stand.147 Hinzu kam eine derart große, offensichtlich durch Mißwirtschaft Yvos II. verursachte Finanzmisere der Abtei Cluny, quod nisi celeri remedio succurratur ei­ dem, verendum occurrit ne per usurarium voraginem, ac alias etiam multipliciter Monasterium ipsum in bonis suis incurrat irreparabile detrimentum.148 Diese Gesichtspunkte waren es wohl, die den Papst bewegten, bereits das genannte Untersuchungsgremium corrigendo et reformando ibidem tam in capite quam in membris eine Besserung der Verhältnisse herbeiführen149 und in einer weiteren Kommission (die bezüglich der daran teilnehmenden Cluniazenser personell mit der anderen identisch war) neue Reformstatuten ausarbeiten zu lassen. Diese promulgierte er am 12. September 1289150 und ließ sie – wie hier schon eingangs erwähnt –wiederum unter dem Motto pro reformatione […] tam in capite quam in membris151 durch Beauftragte dem cluniazensischen Generalkapitel des Frühjahres 1290 und dem mittlerweile neuen Abt von Cluny, Wilhelm IV., vorlegen. Ausdrücklich betonte Nikolaus, daß seine reformerischen Maßnahmen dem Frieden und dem Zusammenhalt unter den Cluniazensern dienen sollten. Er sah sich hierbei in der Tradition seines Vorgängers Gregor IX., beabsichtigte aber dennoch, dessen Vorschriften, weil angeblich zu streng und undurchführ-

147 Gänzlich außer Acht gelassen worden war allerdings die Reformbulle Gregors IX. nicht, bis sie – wie Neiske, Reform, 104, Anm. 210, meint – erst wieder 1289 auf dem Generalkapitel unter Aufsicht päpstlicher Beobachter herangezogen wurde. Vgl. dazu hier oben Anm. 105, siehe insbesondere das Protokoll des Generalkapitels von 1287 (!), wo ebenfalls schon auf die statuta Gregorii Bezug genommen wurde  ; Charvin, Statuts, Bd. 1, 443. 148 So in einer Urkunde Nikolaus’ IV. an den Nachfolger Yvos, Wilhelm IV., vom 25. Februar 1290, welche die Folgen der einstigen Verschuldung durch Erhebung von Sonderabgaben der Klöster an Cluny zu beseitigen sucht. Siehe Bernard / Bruel, no 5375  ; Bullarium Cluniacensis, 156f. 149 Siehe Langlois, Les registres de Nicolas IV., no 1556. 150 Bernard / Bruel, no 5363  ; Bullarium Cluniacensis, 152ff. 151 Langlois, Les registres de Nicolas IV., no 1772  ; vgl. schon hier oben 234.

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bar, abzumildern.152 Tatsächlich aber übernahm er zahlreiche Formulierungen aus jener Bulle Gregors von 1233 wörtlich oder präzisierte sie  ;153 Zugeständnisse an eine leichtere Lebensform machte er im wesentlichen nur bei den Vorschriften zur Kleidung und Nahrung der Mönche. – Sein eigentliches Anliegen war etwas anderes und jetzt für die Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung bedeutend Wichtigeres  : nämlich, über den mittlerweile eingespielten Rahmen hinausgreifend, gegenüber der Position des Abtes von Cluny eine nunmehr entscheidende Stärkung des Definitoriums als korporative Instanz des Gesamtordens herbeizuführen. Zu diesem Zwecke bestimmte er,154 daß es künftig 15 Definitoren geben solle, die nicht mehr von allen auf dem Generalkapitel versammelten Äbten und Prioren selbst (es waren künftig nur die der immediate unterstellten Häuser), sondern ausschließlich von den jeweiligen Vorgängern im Mehrheitsbeschluß zu wählen seien,155 wobei allerdings keiner von ihnen zwei Jahre hintereinander in diese Stellung eintreten dürfe. Verpflichtet auf Gott, die Regel Benedikts und die päpstlichen Statuten, sollen sie das entscheiden, was die Visitatoren dem Generalkapitel vorlegten oder was der Abt von Cluny nicht zu Ende brachte. Letzteres galt bisher auch und wurde dementsprechend wörtlich aus der Bulle Gregors IX. übernommen.156 Nun aber wurde zusätzlich festgelegt,157 daß niemand an dem einmal getroffenen Urteil der Definitoren rütteln dürfe, es sei denn in casu magnae necessitatis et evidentis utilitatis, wobei jedoch sogar die potestas Abbatis [Cluniacensis] gebunden sei an das consilium und den assensus peritorum et discretorum duorum ex illis qui Domini Ordinis appellantur.158 Mehr noch  : Alle unter dieser Vorgabe erteilten Dispensen be152 Bullarium Cluniacensis, 152b. 153 Ausführlich dazu Neiske, Reform, 105ff., von dessen Beurteilung hinsichtlich der verfassungsgeschichtlichen Bedeutung ich allerdings etwas abweiche  ; siehe künftig auch Pinkl, Umgestaltung. 154 Bullarium Cluniacensis, 153a. 155 Die erste Besetzung dieses Gremiums wurde durch jene Kommission zur Ausarbeitung der Statuten (siehe oben) ernannt  ; siehe ebd. Zur Einordnung dieses besonderen Wahlmodus in das Spektrum sonstiger Gepflogenheiten vgl. Schneider / Zimmermann, Wahlen. 156 Vgl. oben S. 248. 157 Bullarium Cluniacensis, 153. 158 Aufgrund der schlechten Quellenlage ist nicht eindeutig zu sagen, wer mit diesen domini gemeint ist. Die Definitoren kommen m.E. nicht in Frage, da sie unter dem Jahr nicht in Cluny waren. Sehr wahrscheinlich ist also der Kreis jener sapientes im Konvent Clunys angesprochen, zu deren Anhörung der Abt schon in den Statuten von 1205/06 (vgl. oben S.  243f.) gezwungen wurde. Sie fanden allerdings in der Zwischenzeit keine Erwähnung mehr  ; doch andererseits ist bemerkenswert, daß sie (unter der Bezeichnung illi de Ordine)

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durften der nachträglichen Billigung durch die Definitoren des nächsten Generalkapitels  ; sollten diese dann feststellen, daß im Grunde kein dringender Anlaß bestand, so habe der Dispensierende eine ähnliche Strafe zu erwarten wie die ursprüngliche des Dispensierten. Ferner159 waren die Visitatoren nun von den Definitoren zu ernennen und nicht – wie es noch in der Bulle Gregors IX. hieß – vom gesamten Generalkapitel. Ihre Auswahl durfte von keinem, auch nicht vom Abt von Cluny, geändert werden. Sollte dies wiederum ex causa rationabili et multum urgenti et evi­ denti et hoc de consilio et assensu dictorum Dominorum dennoch geschehen, so mußte diese Maßnahme auf dem folgenden Generalkapitel zur Überprüfung den Definitoren vorgelegt werden, die dann bei eventueller Rückweisung des Grundes den Veränderer zu bestrafen hatten. Zugleich160 wurde der Abt von Cluny dazu angehalten, möglichst oft selbst zu visitieren und Häuser, die sich der Cluniacensis Ordinis subjectio entzogen haben, mit Hilfe des Apostolischen Stuhles zum Gehorsam zurückzuführen  ; die Definitoren aber hatten wiederum dabei das Recht, ihn bei Nachlässigkeit oder Nachgiebigkeit zu korrigieren.161 Ebenso konnten diese, um Exzesse der Aufwendigkeit zu vermeiden, mora seu spatium temporis bestimmen, in welchen der Abt von Cluny oder die Visitatoren ihrer Kontrolle der Häuser nachkommen müssen.162 Weitere höchstrichterliche Befugnisse wurden – teilweise in Wiederholung von Bestimmungen Gregors IX.  – den Definitoren auch in Angelegenheiten der Ämtervergabe eingeräumt. Sie waren es nun, die etwa eine nicht gratis durchgeführte ordinatio prioratuum et obedientiarum, die Einsetzung eines unehelich Geborenen, eines Laien, eines Weltklerikers oder eines Angehörigen eines anderen Ordens in ein Priorat oder Dekanat zu widerrufen sowie die Rechtmäßigkeit der Absetzung eines gravierender Vergehen beschuldigten Abseit 1290 – also seit dem Zeitpunkt dieser Reformbulle – tatsächlich öfters als Beratungsgremium des Abtes von Cluny bei exekutiven Maßnahmen genannt wurden  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 5, 13 und passim. Vgl. künftig ausführlich zu diesem Gremium Pinkl, Umgestaltung. 159 Bullarium Cluniacensis, 153b. 160 Ebd., 154a. 161 Sie waren zudem verpflichtet, jährlich der Römischen Kurie Bericht – namentlich Abspaltungsversuche von Häusern betreffend – zu erstatten. – Nach sechsmonatiger Vakanz in der Leitung eines Hauses behielt sich der Papst ein Besetzungsrecht vor. 162 Unbenommen der Tatsache, daß jetzt nur noch die Leiter der immediate unterstellten Häuser auf dem Generalkapitel zu erscheinen haben, fand weiterhin auch eine Kontrolle in den Filiationen direkt durch die von den Definitoren ernannten Visitatoren statt  ; vgl. Charvin, Statuts, Bd. 2, passim.

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tes oder Priors in letzter Instanz zu entscheiden hatten.163 Und schließlich erhielten sie das Recht, das wirtschaftliche Verhalten aller Äbte und Prioren, das ihnen durch entsprechende Bilanzen vorgelegt werden mußte, zu beurteilen und jeden Verschleuderer der Klostergüter des Amtes zu entheben.164 So oft in dieser Reformbulle die Kompetenz des Definitoriums hervorgehoben wurde, so selten ist ausdrücklich die Rede von den Befugnissen des Abtes von Cluny. Gewiß hieß es nun u. a., daß er die Pflicht und das Recht zur Visitation hatte, daß er die Absetzung eines abbas vel prior criminosus aut infamis mit dem Rat von sechs benachbarten Äbten oder Prioren grundsätzlich durchführen könne, daß er bei Vakanz eines Priorats Anrecht auf ein Viertel von dessen Erträge habe165 und daß er zwischen den Generalkapiteln in notwendigen Fällen die Initiative ergreifen dürfe. Doch all dies war jetzt der strikten Kontrolle und nachträglichen Billigung durch das Definitorium anheimgegeben – durch ein Definitorium zumal, das nicht mehr aus dem Generalkapitel als Gesamtheit aller membra hervorging, sondern das sich selbst in autokephaler Wahl erneuerte und somit wesentlich unabhängiger war von jeglicher Einflußnahme, die vom Haupt des Ordens auf seine versammelten Äbte und Prioren – sie waren zugleich ja auch nach wie vor rechtlich seine subjecti – unter Umständen hätte ausgeübt werden können.  – Diese subjecti aber wurden jetzt in ihrer Rechtsstellung sogar noch aufgewertet, indem sie die Reformbulle grundsätzlich zu einer Appellation befugte, wenn diese pro utilitate ordinis vel Abbatiarum vel Prioratuum geschehe.166 Schließlich hatte ja eine gerechtfertigte Appellation an die Kurie erst den Anstoß zu den päpstlichen Maßnahmen gegeben. Die einschneidendste Verfassungsänderung wurde sofort in die Tat umgesetzt  :167 Fürderhin bestand das Definitorium tatsächlich aus 15 jeweils von ihren Vorgängern bestimmten Personen, und die Visitatoren sind künftig in der Tat durch die Definitoren ausgewählt worden. Neben einer verfahrenstechnisch verwirklichten Erhöhung der Effizienz,168 neben energischen Durchgriffen gegenüber beanstandeten Häusern, die nach wie vor bis zur Absetzung der

163 Bullarium Cluniacensis, 154. Vgl. dazu schon die Reformbulle Gregors IX.; siehe oben S. 250. 164 Ebd., 155  ; zu den Bilanzen vgl. Oberste, Ut domorum status. 165 Bullarium Cluniacensis, S. 156. 166 Ebd. 167 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, passim. 168 Sie äußerte sich nicht zuletzt darin, daß die Definitoren der Generalkapitel nun wesentlich ausführlicher und präziser waren  ; siehe ebd.

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Leiter führen konnten,169 und neben intensiver Kontrolle von Benefizienvergaben zeigte sich die nun noch festere Stellung des Definitoriums aber vor allem darin, daß dieses Gremium in den nächsten Jahren mehr denn je generelle Beschlüsse mit dezidiert legislativem Charakter faßte.170 Besonders sticht dabei eine auf dem Generalkapitel des Jahres 1292 angeordnete Neukatalogisierung der Straftatbestände hervor, denn schon die Art ihrer Begründung bezeugt das nunmehr deutlich betonte Bewußtsein, eine verantwortliche Führungsinstanz zu sein  : Quia propter multitudinem statutorum abbatum et diffinitorum Capituli generalis ob­ ligantium suos ad sententiam excommunicationis, sive ad preceptum, ita quod non erat tuta via incedendi per viam salutis, consideraverunt diffinitores aliquas sententias vel inibitiones ad modicum esse utiles et multum periculosas  ; diffiniunt quod dominus Ab­ bas omnes sententias, precepta et inibitiones tales sic periculosas, authoritate sua et pre­ dictorum diffinitorum revocet, quibuscumque temporibus et a quibuscumque abbatibus et diffinitoribus sint prolate.171

Auch läßt sich gut belegen, daß zumindest in den nächstfolgenden Jahren die Definitoren energisch, wenn auch mit nur beschränktem Erfolg,172 um die allgemeine Einhaltung disziplinärer und administrativer Regelungen aus der Reformbulle Nikolaus’ IV. kämpften. Dort, wo ihre organisatorisch mögliche Kraft nicht ausreichte, cum sint numero quindecim, et anno quolibet mutari de­ beant, ac in diversis regionibus commorentur – wie man richtig sah –, wurden sogar einmal einige von ihnen ausgewählt und von Nikolaus IV. dazu beauftragt, 169 Ein bezeichnender Fall z. B. Charvin, Statuts, Bd. 2, 24 (aus dem Jahre 1291)  : Quia prior Sancti Isidori de dilapidatione, incontinentia, rebellione et inobedientia et de subvertendo Or­ dine in Yspania, et ab obedientia Cluniacensis Ordinis subtrahendo legitime est convictus  ; et, su­ per his omnibus monitus et requisitus quod ad obedientiam Ordinis et correptionem visitatorum veniret, contumaciter facere noluit, propter quod etiam excommunicatus extitit a visitatoribus ibi missis, et sunt hec omnia vicinis locis eidem prioratui manifesta  ; dictum priorem deponunt diffinitores a prioratu predicto, ordinantes et diffinientes quod dominus Abbas de priore ydoneo ordinet prioratum […]. 170 Siehe ebd., 25f., 40f., 75f. (bereits im Zeitraum von 1291–1294). 171 Ebd., 41. 172 Z.B. mußten sie im Jahre 1294 klagend darauf hinweisen, daß statuta apostolica, statuta ec­ clesie Cluniacensis, diffinitiones diffinitorum, praecepta visitatorum male in Ordine observantur bzw. daß plerique abbates Ordinis et priores ad Capitulum generale non veniunt, nec se excusant legitime, ut deberent, propter quod Ordinis reformatio impeditur  ; Charvin, Statuts, Bd. 2, 74 u. 76.

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auch zwischen den Generalkapiteln für eine Durchsetzung seiner Statuten zu sorgen. Es betraf das Verbot der Vergabe von Prioraten an Laien, Weltgeistliche oder Ordensfremde und sollte namentlich den Abt von Cluny in diesem heiklen Sachverhalt, der auch seine offenkundig weiterhin beanspruchte Entscheidungsfreiheit berührte, dazu bringen, einschlägige Übertretungen rückgängig zu machen.173 ›7. Phase‹  : Abt Wilhelm IV. blieb indes wiederum nicht müßig, seine Rechte als caput des Ordens zu wahren. Im Jahre 1295 kam es dadurch zum Versuch erneuter Umwälzungen der Verhältnisse  ; er betraf nicht generell die judikative Arbeit der Definitoren, sondern den unmittelbaren Zugriff des Abtes von Cluny und der anderen Leiter abhängiger Häuser auf die Besetzung der Ämter. Im Februar jenes Jahres übergab Wilhelm – durchaus gemäß den Vorschriften nach Beratung mit Prioren, aber unter strikter Betonung seiner Autorität und seines freien Willens – das Priorat La Charité an Bertrand du Colombier (seinem künftigen Nachfolger). 174 Da er auf Widerstände der Mönche von La Charité stieß, die ein Vorschlagsrecht reklamierten,175 wandte er sich an Papst Bonifaz VIII. und erreichte eine Bestätigung seiner Handlung.176 Gleichzeitig erhielt er dort  – unter Aufgriff eines früher bereits ähnlich durchgeführten Appells an die Unterstützungsbereitschaft der Klöster gegenüber der Zentrale Cluny (nämlich daß es unwürdig sei, si membra deliciis affluant, caput vero sarcina deprimat egestatis)  – das Recht, von einigen Häusern Sonderabgaben zu verlangen.177 Doch es ging um noch mehr. Bonifaz VIII. nahm in einer am 13. Juli 1295 dem Abt Wilhelm ausgestellten Urkunde178 Bezug auf die Reformbulle Ni173 Bernard / Bruel, no 5386  ; Bullarium Cluniacensis, 157f., im Jahre 1291. Auf einen solchen Fall geht das Definitorium desselben Jahres konkret ein  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 19. 174 Siehe Bernard / Bruel, no 5410. Wilhelm führte dabei ausdrücklich an  : […] nos volentes ibidem ordinare priorem qui preesse valeat et prodesse, super ordinatione hujusmodi, communi­ cato prius consilio et deliberatione prehabita diligenti cum pluribus prioribus et monachis nostri ordinis, tam de Cluniaco quam de Karitate et aliis, nostra tantum et nostre Cluniacensis ecclesie auctoritate, et non ad postulationem, nominationem seu electionem alicujus seu aliquorum, sed nostre solummodo arbitrio voluntatis […]. 175 Zum Streit siehe Cygler, L’ordre, 82f. 176 Bernard / Bruel, no 5422. 177 Ebd., no 5418  ; Bullarium Cluniacensis, 158  ; vgl. auch Bernard / Bruel, no 5414 u. 5416. – Vgl. oben S. 252 zu einer analogen Aufforderung Gregors IX. 178 Bernard / Bruel, no 5425  ; Bullarium Cluniacensis, 160b  ; dazu schon Neiske, Reform, 108f.

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kolaus’ IV. und erklärte, daß durch einige ihrer Bestimmungen  – das heißt konkret  : jene zur Absetzung von Äbten oder Prioren, zum Verbot einer Vergabe von Häusern an Nicht-Cluniazenser, zum Provisionsrecht der Kurie nach sechsmonatiger Vakanz sowie zum Recht des Abtes von Cluny, den vierten Teil eines vakanten Hauses usque ad fructus novos einbehalten zu dürfen – nach Aussage Wilhelms dessen status und der seiner Äbte wie Prioren enormiter laesus et concussus sei. Folglich – so wurde fortgefahren – gewähre er, Bonifaz, daß ad pristinum statum vor Nikolaus IV. zurückgekehrt werden könne. Zwei Tage später setzte er eine Kommission zur Durchführung dieses Anliegens ein und erweiterte deren Befugnis sogar noch dahingehend, daß sie überhaupt eine allgemeine Korrektur jener Reformbulle in die Wege leiten sollte  ; sie bestand aus dem Bischof von Valence und aus je vier Äbten und Prioren der Cluniazenser und hatte ihre Arbeit consilio et assensu dilectorum filiorum Prioris Claustralis Cluniacensis et duorum de Ordine supradicto, qui Domini Ordinis appellantur, durchzuführen.179 Angesichts der Tatsache, daß nun bei Verwirklichung dieses päpstlichen Privilegs dem Abt von Cluny wieder eine wesentlich freiere Verfügungsgewalt in der Besetzung seiner abhängigen Häuser zugebilligt worden wäre, wiesen jene Vorgänge deutlich die Tendenz auf, dem caput des Ordens eine erneute Stärke zu verleihen  ; doch auch diejenigen Äbte und Prioren, die selbst wieder untergeordnete Häuser hatten, sollten in den gleichen Genuß kommen, eine Besetzungspolitik unbeschwert von den restriktiven Regelungen Nikolaus’ IV. zu betreiben.180 Dies aber würde dann nichts anderes als ein Wiederaufleben jener zum Teil auf Filiation basierenden Ordenshierarchie aus früheren Zeiten bedeutet haben, die bestimmt war von voller Kompetenz hinsichtlich der jeweils ›unmittelbar‹ abhängigen Häuser und an deren oberster Spitze ein in dieser Hinsicht durch keine Statuten beschwerter Abt von Cluny stand. Wie ernst es damit Bonifaz VIII. war, verdeutlicht der Sachverhalt, daß er wenige Monate später in der Bestätigungsbulle des neuen Abtes, Bertrand I., über das dort bislang übliche Maß hinausging und ausdrücklich versicherte, daß er Bertrand debitam curam administrationem et regimen ipsius [sc. monasterii Cluniacensis], ac membrorum, prioratuum  : praepositurarum, ecclesiarum et vassallorum ejus, 179 Siehe Bernard / Bruel, no 5426  ; Bullarium Cluniacensis, 163a. – Zu den domini Ordinis vgl. oben Anm. 158. Das allgemeine Aufgabenfeld des prior claustralis Clunys beschreibt De Valous, Le monachisme, Bd. 1, 120ff.; siehe künftig auch Pinkl, Umgestaltung. 180 So auch Neiske, Reform, 109, der ferner darauf hinweist, daß die Aufhebung der genannten Bestimmung über die Fremdvergabe von Prioraten auch Bonifaz VIII. und seiner Pfründenpolitik entgegenkam.

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necnon totius Cluniacensis ordinis sibi tanquam eorum capiti, tam in spiritualibus, quam in temporalibus, übertrage.181 Gleichzeitig mit jenen Maßnahmen zeigte sich aber, wie fragil weiterhin der Ordenszusammenhalt geblieben ist. Die Abtei Baume hatte z. B. sofort gegen die hier oben erwähnten Sonderabgaben an Cluny protestiert und sich an die Kurie mit der Behauptung gewandt, sie gehöre gar nicht zum Ordo Cluniacensis. Der daraufhin ausbrechende Rechtsstreit zog sich über Jahre hin.182 Auch mit der Botmäßigkeit von La Charité ergaben sich weiterhin Schwierigkeiten183 – um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine fortgesetzt wirkungskräftige Arbeit des Generalkapitels und der Definitoren schien also unbenommen all der genannten Reformtendenzen von höchster Wichtigkeit zu sein. Tatsächlich belegen die erhaltenen Protokolle dieser Jahre auch eindeutig eine unveränderte Arbeit dieser Instanzen.184 Und im Jahre 1298 bestätigte das Definitorium z. B. ausdrücklich die Exkommunikation, die der Abt von Cluny gegen die Rebellen von Baume ausgesprochen hatte, um dessen Autorität zu unterstützen.185 Aber mehr noch  : Schon beim Generalkapitel von 1297 war es das Definitorium selbst, das jene von Bonifaz VIII. einberufene Reformkommission zu zielstrebiger Arbeit anhielt  ; und zwei Jahre später verlangte es quod dicte persane dictum mandatum adimpleant ante instans Capitulum generale secundum traditam eis formam.186 – Die Angelegenheit war nicht Sache zwischen Papst, Abt von Cluny und einigen leitenden Cluniazensern geblieben, sondern Behandlungsgegenstand der zuständigen ge181 Bernard / Bruel, no 5436  ; Bullarium Cluniacensis, 161.  – Bei der vorangegangenen Bestätigung Abt Wilhelms IV. durch Nikolaus IV. hieß es nur  : […] mandamus, quatenus eidem Abbati tanquam Patri et Pastori animarum vestrarum [sc. des Priors und Konvents von Cluny] humiliter intendentes, exhibeatis ei obedientiam et reverentiam debitam et devotam, ejusque salu­ bria monita et mandata suscipiatis devote, ac efficaciter adimplere curetis  ; Bullarium Cluniacensis, 152b. 182 Vgl. Bernard / Bruel, nos 5443, 5460–5462, 5480, 5486–5489, 5492–5495, 5506 (die Jahre 1296 bis 1300 betreffend). Schon im Jahre 1294 ordneten die Definitoren an, daß der Abt von Cluny den Abt von Baume wegen unentschuldigten Fehlens beim Generalkapitel zur Rechenschaft ziehe  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 74. – Vgl. dazu auch Hofmeister, Cluny, 219  ; Cygler, L’ordre, 74ff. Zur Position von Baume im Cluniazenserorden vgl. allgemein Locatelli, L’abbaye. 183 Siehe Bernard / Bruel, nos 5440, 5442, 5448 (im Jahre 1296)  ; vgl. Cygler, L’ordre, 83. 184 Vgl. Charvin, Statuts, Bd. 2, 92ff. 185 Bernard / Bruel, nos 5462. 186 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 118f. u. 141. – Beim Generalkapitel setzten die Definitoren zudem selbst eine Kommission ein, die bis zum nächsten Generalkapitel das mittlerweile entstandene Problem lösen sollte, geeignete Personen für das Prokuratorenamt zu finden  ; siehe ebd., S. 140.

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nossenschaftlichen Institution geworden, welche offenkundig auch selbst eine erneute Reform für notwendig erachtete.187 Das Ergebnis all dieser Anstrengungen waren Statuten von größerem Umfang denn je, die Abt Bertrand dann im Jahre 1301 verkündete.188 Ihr Zustandekommen und ihre Rechtsquellen umriß er einleitend wie folgt  : Nos frater Bertrandus, miseratione divina Cluniacensis ecclesie minister humilis, de con­ silia diffinitorum nostri generalis Capituli Cluniacensis et majorum de conventu nostro Cluniacensi et aliorum quam plurimum de dicto Ordine seniorum, salva sancte Sedis apostolice auctoritate, nonnulla per romanam Ecclesiam, alia vero per predecessores no­ stros, rursus et quedam alia per diffinitores generalis Capituli Cluniacensis ad utilitatem totius Ordinis hactenus introducta, una cum quibusdam aliis per nos additis in hoc volumine modicum salubriter et uiliter duximus redigenda.189

Diese Worte stellten den Abt von Cluny zwar wie schon bei den Statuten Hugos V. von 1200 und jenen Yvos II. von 1276190 als formellen Gesetzgeber und sanktionierende Gewalt der neuen Bestimmungen dar, zeigten ihn zugleich aber auch als jemanden, der sich nun ausdrücklich mit den genossenschaftlich getragenen Instanzen die redaktionelle Arbeit und die Kompetenz bezüglich der einzubringenden Rechtsmaterie geteilt hatte. Diese Abgabe von legislativen Rechten ist demnach nicht so weit gegangen wie bei jenen von den Definitoren selbst promulgierten Statuten von 1205/06,191 dennoch macht sie um eines mehr ersichtlich, welch unverrückbare Stellung mittlerweile die für das Ganze mitverantwortlichen Ordensgremien neben dem Abt eingenommen haben. Inhaltlich sprach das neue Gesetzeswerk vor allem disziplinäre Bereiche an,192 näherhin solche, welche die Wirtschaftsführung, die Aufwendigkeit des Lebensstils, die Kleiderordnung, die religiösen Übungen und den Gehorsam betrafen. Hierin wurden entschieden Verbesserungen nicht zuletzt durch harsche Strafandrohungen angestrebt.193 187 Vgl. oben Anm. 172, dazu die Klagen der Definitoren des Jahres 1294 über die schlechte Einhaltung der Bestimmungen. 188 Charvin, Statuts, Bd. 1, 68–94. 189 Ebd., S. 70. Vgl. Pinkl, Neuorganisation, 360ff. 190 Vgl. oben S. 239 u. 261. 191 Vgl. oben S. 243f. 192 Ausführlich dazu künftig Pinkl, Umgestaltung. 193 Dies kam deutlich schon durch die Einteilung der Statuten zum Ausdruck  : deren erster Teil sollte alle Fälle behandeln, deren Strafe eine Exkommunikation ipso facto war, deren zweiter

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Bemerkenswerterweise finden sich aber – wie angesichts der Vorgeschichte zu erwarten gewesen wäre – wenig Neuerungen auf der Ebene der Verfassung, allenfalls Präzisierungen,194 es sei denn, man geht gewissermaßen von Festlegungen ex silentio aus. Dann allerdings vermißt man gerade alle jene Kontrollmechanismen, die Nikolaus IV. bei der Ein- und Absetzung von Leitern der Häuser eingerichtet hatte. Offenkundig schlug hier tatsächlich jene im Jahre 1295 erstmals greifbare Absicht durch, den Abt von Cluny, aber auch die anderen cluniazensischen Äbte und solche Prioren, welche über nachgeordnete Häuser verfügten, wieder von einer Überprüfung ihrer Personalpolitik durch andere Instanzen beziehungsweise letztlich durch das Definitorium zu befreien.195 Die hier oben vorgebrachte Unterstellung, daß dies dann auch mit einer erneuten Hierarchisierung des Verbandes einhergehen müßte, wird in der Tat nun bestätigt durch eine ausführliche Festlegung, welche gegenseitigen Vorrechte den großen und selbst wieder eine Prioratsgruppierung aufweisenden Häusern zukommen sollte.196 Ebenso ausdrücklich wurde auch hervorgehoben, daß dem Abt von Cluny allein die Entscheidung bestimmter, besonders gravierender Straffälle im gesamten Ordensbereich reserviert sei und daß die Visitatoren dort ihre Amtsausübung ruhen lassen müßten, wo der Abt von Cluny selbst visitierte.197 Besonders signifikant dürfte auch sein, daß nun durch die neuen Statuten für die vier heiliggesprochenen Äbte Clunys zusamTeil dann jene, die eine alia pena arbitraria nach sich zogen  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 70ff. u. 73ff. Erst ein dritter Teil handelte von den verschiedenen Ämtern, ein vierter schließlich von Verhältnissen in der Abtei Cluny selbst  ; siehe ebd., 84ff. u. 88ff. 194 So wurde jetzt z. B. ein detaillierter Katalog festgelegt, welche Untersuchungsfragen die Visitatoren zu stellen haben, und ein Formular für die Entschuldigungsschreiben bei Fehlen auf dem Generalkapitel vorgegeben, welche nun ausdrücklich auch an dieDefinitoren zu richten waren  ; siehe ebd., 73f. (§ 26) u. 86 (§ 101). – Nicht sicher belegt ist allerdings, ob die Wahl der Definitoren weiterhin durch ihre Vorgänger stattfinden sollte, denn nun heißt es wieder sehr allgemein  : In quo siquidem Capitulo generali diffinitores et visitatores pro visitando tam in majori ecclesia quam in membris eligantur […]  ; siehe ebd., S. 74 (§ 27). Ein Beleg dafür, daß es jedoch auf alle Fälle bei der Wahl der Visitatoren der Abtei Cluny durch die Definitoren blieb, findet sich bereits im Protokoll des Generalkapitels von 1302  : Ordinant diffinitores quod visitatores ecclesie Cluniacensis nunc per dictos diffinitores electi […]  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 183. 195 Dies hieß aber nicht, daß die Statuten nicht auch für alle, die Cluny mediate unterstellten Häuser eingeschlossen, gelten sollten  ; siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 88 (§ 105). 196 Siehe ebd., 84f. (§§ 98, 99). Die gleiche Materie wurde noch einmal in kurzen Statuten um 1307/08 festgehalten  ; ebd., 95ff.; vgl. Anger, Les préséances. 197 Charvin, Statuts, Bd. 1, 84 (§ 97) u. 87 (§ 101). – In der Praxis war dies allerdings schon früher der Fall  ; siehe oben S. 260.

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men ein eigenes liturgisches Gedenken eingerichtet worden ist,198 denn deren auf diese Weise praktizierte memoria mochte unmittelbar jene Vergangenheit vor Augen halten, in der eben durch machtvolle Lenker des Verbandes überragende Erfolge erzielt worden waren. Scheinen diese Einzelheiten zwar eine wiederum erreichte Verstärkung von monarchischen Positionen zu belegen, so man darf sich aber dadurch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß – wie ja schon aus der Einleitung der Statuten ersichtlich – die von einer reinen Abtsherrschaft unabhängigen Gremien weiterhin eine umgreifende Kompetenz zu bewahren vermochten. Die Protokolle der nachfolgenden Generalkapitel belegen,199 daß das Definitorium seiner Aufgabe energisch nachkam. Es insistierte auf seine Rechte als oberstes Kontrollorgan, wie sie zuletzt von Nikolaus IV. zugesichert worden waren  : In statutis papalibus editis in Ordine Cluniacensi continentur quod omnes v­ isitaciones per eos [sc. den Visitatoren] factas, tam in capite quam in membris, diffinitoribus debe­ ant apportare et referre. Diffiniunt diffinitores quod si aliqui visitatores, tam de capite quam de membris, negligentes super hoc fuerint reperti, per diffinitores graviter puni­ antur.200

Die Reformbulle jenes Papstes war also in diesen Dingen keineswegs außer Kraft gesetzt.201 Die Definitoren bestanden ferner auf regelmäßiger Teilnahme am Generalkapitel202 und ergriffen Zwangsmaßnahmen, als in einigen Pro198 Item, quod per totum Ordinem, de gloriosis confessoribus Oddone, Maiolo, Odilone et Hugone fiat amodo duplex festum, tam in officio luminari quam in aliis que in festis duplicis consueve­ runt fieri ubi antea non fiebat  ; ebd., 75 (§ 39). 199 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 183ff. 200 Ebd., 280 (im Jahre 1309). 201 Die Weitergeltung der Reformbulle Nikolaus’ IV. neben den neuen Statuten Bertrands wird deutlich auch durch eine Definition des Jahres 1303  : Et quia statuta papalia et domini Ab­ batis in paucis locis hujus camerarie Alemanie habentur, […] precipiunt diffinitores quod dicta statuta […] ab omnibus prioribus habeantur […], ebd., S.  197f.  – Folglich teile ich nicht die Meinung von Neiske, Reform, 107, über die rasche Aufhebung der Maßnahmen jenes Papstes. Zur häufigen Heranziehung der Bestimmungen Nikolaus’ IV. in den nachfolgenden Statuten Abt Heinrichs I. siehe noch unten. – Die oben zitierte Definition ist z. B. auch noch als maßgebliche in eine Definitionensammlung aufgenommen worden, die zur Vorbereitung der Statuten von 1399 diente  ; vgl. Cygler, Compilatio diffinitionum, 421. 202 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 297 u. 343 (in den Jahren 1310 u. 1313, als allgemein und dann speziell auf England bezogen über eine schlechte Teilnahme geklagt werden mußte).

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vinzen eine laxe Einhaltung der Definitionen aufgespürt wurde.203 Darüber hinaus lassen sich mehr denn je generelle Definitionen feststellen, die in fast alle Bereiche – Liturgie, Wirtschaft, Kleiderordnung etc. – eingriffen und auch ausdrücklich hervorhoben, daß das Angeordnete in omnibus locis Ordinis, tam in capite quam in membris zu gelten habe.204 Am deutlichsten aber wird die jetzige Stellung von Generalkapitel und Definitorium anhand von Aktionen zur finanziellen Unterstützung Clunys. Im Jahre 1303 gewährten205 die auf dem Generalkapitel versammelten abbates et priores, ceterique administratores, de gracia speciali et mera liberalitate eorum, et propter piam et sanctam affectionem, quam ipse pater noster suo Ordini dignosci­ tur ostendisse, dem Abt von Cluny zunächst den Zwanzigsten aus allen Häusern für zwei Jahre, und die Definitoren verhängten die Strafe der Exkommunikation bei etwaiger Nicht-Zahlung. Die Sachlage war, daß Bertrand in hohe Verschuldung geraten war, als er sich in Rom bei Bonifaz VIII. aufhielt, um dort – wie würdigend hervorgehoben wurde – plurima utilia et necessaria für den Orden zu erreichen.206 – Fünf Jahre später stand es um die Finanzen der Abtei Cluny nicht besser, ohne daß jedoch Abt Bertrand ausdrücklich dafür eine Schuld gegeben werden konnte. Da Papst Clemens V. den Orden zur Hilfeleistung aufgefordert hatte, bestimmten die Definitoren im Jahre 1308, de consensu abbatum et priorum in Capitulo generali existentium, daß erneut der Zwanzigste für zwei Jahre an Cluny zu zahlen sei. Die Begründung war nun ähnlich, wie es früher schon einmal hieß  :207 Quia dignum, justum et consonum existit ut membra capiti indigenti subveniant, cum capite languescente omnia et cetera membra condoleant […].208 – Als im Herbst 1308 Heinrich I. das Amt des Abtes von Cluny übernahm, erbte er von seinem Vorgänger auch die noch keineswegs bereinigte Finanzlage, und erneut mußte Clemens V. zu einer Unterstützung aufrufen.209 Wieder kam die Angelegenheit vor das Generalkapitel (im April 1309), doch diesmal waren die Versammelten nur unter besonde203 Ebd., 320f. (im Jahre 1311). 204 Siehe diese Formulierung z. B. ebd., 183. 205 Siehe ebd., 199f. 206 Dies geschah im Rahmen der von Bonifaz VIII. einberufenen und gegen Philipp IV. von Frankreich gerichteten Synode im Herbst 1302  ; siehe dazu Digard, Philippe le Bel, Bd. 2, 132, Anm. 1. 207 Vgl. oben 252 u. 269f. 208 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 272f.; dort auch die Erwähnung der päpstlichen Aufforderung. 209 Bullarium Cluniacensis, 169.

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ren Bedingungen zur Zahlung bereit.210 Sie verlangten von Heinrich 1., daß künftig einige Mißbräuche abgestellt würden, die dessen Vorgänger durch ihr persönliches Verhalten hätten einreißen lassen. Im wesentlichen ging es dabei um die finanzielle Belastung der Häuser bei Visitationen des Abtes, um simonistische Forderungen bei der Ämtervergabe, um willkürliche Zuweisung von Mönchen an Priorate und um das schon früher strittige Recht, von vakanten Häusern Abgaben zu verlangen. Heinrich I. beugte sich, wie aus der entsprechenden Definition hervorgeht  : Et hec omnia et singula dictus dominus Abbas, existens in Capitulo generali, in presencia conventus abbatum et priorum dicti Ordinis congregatorum in dicto Capitulo generali, volentibus et consencientibus diffinitoribus, pro se et suis successoribus, voluit et concessit, et se servaturum promisit.211

Die prinzipiell zum condolere und subvenire verpflichteten membra  – wie es oben noch hieß – hatten es also nun sehr gut verstanden, auf dem Wege des Generalkapitels ihrem notleidenden caput Zugeständnisse abzuringen, die dessen Finanz- und Hoheitsgebaren betrafen, und damit zugleich an den Tag zu legen, daß sich zumindest am faktischen Kräfteverhältnis zwischen Abt und genossenschaftlicher Vertretung seit der Bulle Nikolaus’ IV. vom Jahre 1289 im Prinzip nichts mehr geändert hatte. ›8. Phase‹  : Eine affirmierende Bezugnahme auf die Reformstatuten Nikolaus’ IV. aber erfolgte dann sogar durch ein neues umfassendes Gesetzeswerk, das Abt Heinrich I. um das Jahr 1314 pro qualitate et necessitate temporum varietateque casuum herausgab.212 Ohne daß auch nur mit einem Wort jene Anstrengungen zur Zeit Bonifaz’ VIII. erwähnt wurden, galten nun als Rechtfertigung zahlreicher administrativer und disziplinärer Bestimmungen von zentraler Bedeutung wieder ausdrücklich die Regelungen von 1289.213 Daß man also bewußt an jene, die genossenschaftlich getragenen Organe so fördernde Reform Nikolaus’ IV. anknüpfen wollte, mochte dann sicherlich auch der Grund dafür gewesen sein, die Wichtigkeit des Generalkapitels nun wieder mit dem Bibelzitat salus ubi multa consilia (Prv 24.6) zu bestätigen und die Kompetenzen des Definitoriums als Kontrollorgan in höchster Instanz 210 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 2, 279. 211 Ebd. 212 Charvin, Statuts, Bd. 1, 98ff. – Vgl. im einzelnen dazu Pinkl, Neuorganisation, 362ff. 213 Siehe ebd., insbesondere 107 (§ 33), 108 (§ 38), 114f. (§ 53).

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erneut schriftlich festzuhalten.214 Ausdrücklich wurde unterstrichen, daß die Definitoren die Visitatoren ernennen sollen und daß sie die von diesen festgestellten schweren Verfehlungen zu korrigieren haben.215 Bei genauerem Besehen zeigt sich aber, daß analog zu den Statuten Bertrands I. wiederum einiges aus der Bulle von 1289 mit Stillschweigen übergangen und folglich wohl auch als nicht mehr gültig angesehen worden ist. Es betraf nun den einst gewonnenen Rechtsbestand des Definitoriums, denn vor allem fehlte die so rigid einschränkende Klausel, daß an den Definitionen prinzipiell nichts geändert werden dürfe, beziehungsweise daß jede Änderung beim nachfolgenden Generalkapitel auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen sei. Doch auch von einem abschließenden Urteil über jede schon zuvor de consilio sex Abbatum vel Priorum propinquorum erfolgte Amtsenthebung durch die Definitoren216 ist keine Rede mehr – im Gegenteil, alle superiores durften jetzt ausdrücklich in alleiniger Entscheidung und unwiderruflich einen untergebenen Prior oder sonstigen Amtsträger – allerdings nur nach wie vor bei gravierenden Vergehen – absetzen.217 Offensichtlich schlug hierbei jenes Prinzip der hierarchisch bestimmten Zuständigkeit, wie es in der Zeit Bonifaz’ VIII. wieder an Bedeutung gewonnen hatte, voll durch. Obgleich also durch Aufrufe aus dem Fundus der Reform Nikolaus’ IV. grundsätzlich suggeriert wurde, daß man an einen bestimmten Punkt der Verfassungsentwicklung hatte anknüpfen wollen, verweist jedoch allein schon das dabei nur selektive Vorgehen auf eine andere, tiefer liegende Zielsetzung der neuen Statuten. Ihnen ging es darum – wie es in der prefacio hieß –, ad anima­ rum nobis [sc. dem Abt von Cluny] commissarum salutem, ad regularis discipline observationem efficaciorem, ad religionis promotionem, et spiritualium fructum productionem uberiorem beizutragen.218 Dieses vornehmlich pastorale Anliegen aber sollte  – unbenommen der geschilderten Aufgaben der Definitoren und Visitatoren – in erster Linie durch die entsprechend verantwortungsbewußte Führung des Abtes von Cluny selbst verwirklicht werden.219 214 Ebd., 114 (§ 53). 215 Ebd., 110 (§ 40)  : Gravia vero que per eos [sc. die Visitatoren] sufficienter seu commode cor­ rigi non potuerunt, que tamen probata fuerint vel per formam in publicum deducta, referent corrigenda et punienda per diffinitores in Cluniacensi Capitulo generali. Cetera autem non nisi Abbati Cluniacensi exponant propter pericula evitanda. 216 Siehe oben S. 267. 217 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 116 (§ 58). 218 Ebd., 99. 219 Allerdings galt dies ausdrücklich auch für jene cluniazensischen Äbte und Prioren, welche die

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Dafür besonders bezeichnende Aussagen finden sich in dem Abschnitt des Statutenwerkes, in dem die Ausübung der Visitation speziell durch die Äbte Clunys behandelt wird. Das Recht und die Pflicht dazu seien auf sie übertragen worden  – heißt es220  – velut in patres principales et caput Ordinis, und dabei könnten sie nichts fordern, nisi quod ut veri propriique pastores, exemplo boni Pastoris cognoscant oves suas. Weil nämlich – so wird fortgefahren – die Mönche prioratuum omnium, decanatuumque ac monasteriorum seu abbatiarum quarum­ dam allein den Äbten Clunys221 Gehorsam versprechen und somit ihnen tan­ quam in verum et proprium pastorem das totale dominium über sich übertragen, leuchte es ein, daß diese Äbte wiederum verpflichtet seien ad cognoscendum diligenter istos monachos tanquam oves suas, et ad visitandum eos opportune diri­ gendumque in viam salutis eterne, bonis exhortationibus et exemplis. In dieser pastoralen Verantwortung für die Gesamtheit aber sahen die Statuten dann auch die Rechtfertigung des regimen ecclesie Cluniacensis et totius Ordinis, das den Äbten Clunys auctoritate apostolica anvertraut worden sei. Insistierend wurde darauf bestanden, daß alle anderen Äbte und Prioren des Ordens, welche die loca regenda spiritualiter et temporaliter von den Äbten Clunys erhalten hatten, berufen seien nur in partem sollicitudinis, non tamen in plenitudinem potesta­ tis.222 Denn wenn ihnen auch vices suas [sc. der Äbte Clunys] zuteil wurde, so nicht, damit sie deren potestas schmälern. So sehr auch die Äbte Clunys ihre Lasten mit den Äbten, Prioren und Verwaltern der cluniazensischen Häuser teilen, sie werden nur a tanto, non a toto entlastet. Und bekräftigend hieß es Leitung wiederum ihnen nachgeordneter Häuser zu besetzen hatten  : Committantque personis de Ordine idoneis et discretis. In conferendo autem, seu commitendo [sic  !] hujusmodi prioratus, decanatus, seu officia et potissime beneficia curam animarum habentia, non sequantur carnalem affectum, sed Deum pre oculis habentes, imitentur in hac promotione personarum legem Dei, que saluberrime precipit et docet regimen animarum quod est ars artium tradi non sanguini, non pro­ pinquo, sed merito vite, homini digno et grato Deo, in quo sit claritas legis et scientie morum ho­ nestas  ; ebd., 114f. (§ 53). Diese Leitgedanken entsprachen den in den Statuten wieder stärker betonten spirituellenWerten des monastischen Lebens und äußerten sich konkret auch in zahlreichen Bestimmungen de divinis et spiritualibus  ; siehe ebd., 99ff. Ein Rückblick auf die Exhortatiunculae des Girardus de Arvernia (vgl. oben S. 258) aus dem Jahre 1272 zeigt, daß diese Perspektive angesichts einer sonst immer stärker um sich greifenden Juridifizierung im Orden nie vollständig aus den Augen verloren wurde. 220 Charvin, Statuts, Bd. 1, 113 (§ 50). 221 Gemeint sind nicht die Äbte der Cluny unterstellten Häuser, sondern der Abt von Cluny selbst. Die Statuten sprechen immer von Abbates Cluniacenses, offensichtlich um ihren Aussagen zu dem Amt des Abtes von Cluny eine Gültigkeit über die Dauer des derzeitigen Abbatiats zu verleihen. 222 Charvin, Statuts, Bd. 1, 113f. (§ 51). – Zu dieser Formulierung siehe noch unten S. 283f.

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abschließend  : Et si a quoquam reputetur istud novum, felix et debita hec novitas, que ad nostrarum salutem ovium ordinatur. Als Neuigkeit konnte dies allerdings nur von jemandem angesehen werden, der allein die jüngere Entwicklung vor Augen hatte, denn der Rückgriff auf eine pastoral begründete Legitimation des regimen der Äbte Clunys verwies auf die alte und genuine Verfaßtheit des Verbandes in seiner Blütezeit. So verwundert nicht, daß die Statuten das pauschale Gedenken an die heiligen Äbte erneut und nun mit einer Begründung festschrieben, die den oben vermuteten Appell an die Vorbildhaftigkeit expressis verbis bestätigt223  – Item quia glo­ riosorum confessorum Odonis, Maioli, Odilonis et Hugonis meritis, nos et totus Cluniacensis noster Ordo, in spiritualibus et temporalibus sumus multipliciter ex­ altati, exemplisque salubriter edocti, ac eorum sancta intercessione, ut pie credimus efficaciter muniti […] –, daß sie nun ausdrücklich gemäß den Bestimmungen des Petrus Venerabilis dem Abt von Cluny das alleinige Recht zur Aufnahme von Mönchen zubilligten224 und daß sie die in den vergangenen Jahrzehnten so oft zur Klärung von formalen Rechtsverhältnissen herangezogene caput/ membra-Metapher nun wieder in einer Weise einsetzten, die an ihren spirituell tiefer greifenden Gebrauch des 12. Jahrhunderts erinnert  : Quoniam more naturalium memborum recipientium a capite naturali motum et sensum, loca et membra Ordinis Cluniacensis debent recipere motum et directionis regulam in actibus et operibus debitis a suo capite mystico, ordinamus et statuimus quod per totum Ordinem in divinis officiis et regularibus observantiis, mores et consuetudines ecclesie Cluniacensis serventur, precipientes, quod in locis conventualibus et in aliis locis Ordinis nostri, si commode possit fieri, dicte consuetudines habeantur.225

*** Nach diesem Durchgang durch den faktischen Ablauf des cluniazensischen Wandels dürfte deutlich sein, daß es sich hier um eine Entwicklung handelte, bei der das Pendel zwischen einer entweder stärker monarchisch oder stärker genossenschaftlich geprägten Verfassung ständig hin- und herschwang. Eine Einteilung in acht Phasen erwies sich als notwendig, um vom ausgehenden 12. bis zum beginnenden 14. Jahrhundert wenigstens grobmaschig die Abfolge der 223 Ebd., 101 (§ 13). – Vgl. oben S. 273, mit Anm. 198. 224 Ebd., 121 (§ 71). 225 Ebd., 102 (§ 18).

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einzelnen Richtungswechsel anzuzeigen, deren größte Ausschläge sicherlich einerseits unter dem Abbatiat Wilhelms III. (1244–1257) und andererseits zum Zeitpunkt der Reformbulle Nikolaus’ IV. (1289) zu verzeichnen waren. Der cluniazensische Verband hat also offensichtlich einen sehr eigenwilligen Weg eingeschlagen, um unter veränderter Verfaßtheit eine neue Stabilität zu finden. Dessen unbenommen wird aber auch aufgefallen sein, daß zugleich viele und zudem entscheidende Erscheinungsformen dieser Entwicklung nichts anderes darzustellen schienen als Elemente von umfassend gültigen Strukturen jener Zeit. Sie betrafen sowohl konzeptionelle Bereiche wie konkret organisatorische Sachverhalte. Um also tatsächlich die Eigenart der cluniazensischen Reform in ihrem vollen Gewicht erfassen zu können, müssen diese Strukturen zunächst etwas näher betrachtet werden. Bereits die Terminologie, mit der die einzelnen Reformschritte begründet worden sind, bewegte sich innerhalb vertrauter Topik. Wenn Absichtserklärungen geäußert wurden wie deformata […] reformare,226 in pristinum rigorem revocare,227 ordinem […] instaurare collapsum,228 aber auch super observatione statutorum gravium dispensare, weil schon die observatio der originären institu­ tio multum rigida sei,229 oder wenn eine Argumentation gebraucht wurde, daß die legitimi ordinis rectitudo zwar einst ex necessitate einer remissio dispensativa unterzogen worden sein konnte, sie nun jedoch necessitate cessante wieder aufzuheben sei,230 beziehungsweise daß Rechtssätze einzuführen seien pro qua­ litate et necessitate temporum varietateque casuum,231 so entsprach dies einerseits den allgemein üblichen Reformvorstellungen, die verbreitet ›vorgaben‹, ein Zurück zur alten Ordnung zu wollen,232 wie auch andererseits gültigen Maximen der Gesetzgebung, deren Legitimität zur Veränderung gegenwärtiger Rechtsbestände allgemein in der zwingenden Notwendigkeit von Zeitverhältnissen gesehen wurde.233 226 Statuten Hugos V. von 1200  ; vgl. oben S. 239. 227 Statuten von 1205/06  ; vgl. oben S. 243f. 228 Reformbulle Gregors IX. von 1233  ; vgl. oben S. 248. 229 Alexander IV. im Jahre 1256  ; vgl. oben S. 255. 230 Statuten von 1205/06  ; siehe oben Anm. 49. 231 Statuten Heinrichs I. von circa 1314  ; vgl. oben S. 275. 232 Vgl. dazu in Zusammenfassung Wolgast, Reform, 316ff.; siehe ferner Leclercq, Reforme, 1748ff. Mit den allgemeinen Reformvorstellungen setzt sich einleitend auch Neiske, Reform, 71f., auseinander. Weiterführende Aspekte jetzt von Schreiner, Dauer, und Felten, Ordensreformen, insbes. 426ff. 233 Vgl. grundlegend Gagnér, Studien. Siehe ferner Krause, Dauer, 206ff.; ders., Cessante causa  ; Klinkenberg, Veränderbarkeit  ; Schreiner, Sozialer Wandel, 257ff.  – Zum hier

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Die kontinuierliche Verwendung der caput/membra-Metapher bezog zwar ihre Rechtfertigung sicherlich aus der – eingangs umrissenen – eigenen cluniazensischen Tradition, doch ist dabei nicht zu übersehen, daß z. B. bereits die Päpste Urban II. und Paschalis II. 1090 beziehungsweise 1113 auch gegenüber den Camaldulensern beziehungsweise Vallombrosanern ausdrücklich von deren Haupt und Körper sprachen234 und daß sich dann diese Metaphorik überhaupt zur Kennzeichnung der Struktur religioser Verbände in der nachfolgenden Zeit – vor allem aber während des 13. Jahrhunderts – eingebürgert hatte.235 Letzteres ist zweifelsohne auf den verstärkten Einsatz des corpus-Bildes namentlich durch Innocenz III. zurückzuführen, der darin  – tiefer greifend als früher schon geschehen – eine theologische wie juridische Erklärung für die Verfaßtheit nicht nur der ecclesia als Ganzes, sondern in Analogie auch der einzelnen ecclesiae (Bistümer, Orden, Klöster) sah.236 Näherhin wies dies den Weg zu einer rechtlich stringenten, aber auch spirituell unterlegten hierarchischen Aufgliederung, an deren Spitze der Papst als caput (ausgestattet mit der plenitudo potestatis237) stand, welches in Gestalt der Einzelkirchen untergeordnete corpora als membra ebenfalls einschlägigen Dispens- und Privilegienrecht vgl. Lindner, Lehre, insbes. 95ff.; Brys, De Dispensatione  ; Buisson, Potestas, insbes. 54ff. 234 PL 151, 322  ; PL 163, 330. 235 Vgl. mit zahlreichen Einzelbelegen schon Molitor, Rechtsgeschichte, Bd. 1, 214ff., und jetzt Frech, Reform, 41ff. Siehe z. B., den cisterziensischen Bereich betreffend, Statuta capi­ tuli generalis, in  : Nomasticon Cisterciense, ed. Séjalon, 284  : Abbates quibus causae Ordinis committuntur auctoritate Capituli generalis, habeant omnem potestatem coercendi tam in capite quam in membris […] – Da es hier auf die Kennzeichnung allein der Beziehungen zwischen einer Verbandszentrale und zugehörigen Klöstern ankommt, ist jedoch von einem Gebrauch zu unterscheiden, der nur das Verhältnis zwischen dem Vorsteher eines Hauses und seinen Mönchen betrifft. 236 Siehe dazu Imkamp, Kirchenbild, 194f. (auch mit weiterführender Literatur). – Zu wichtigen Stationen des institutionell bezogenen Gebrauchs der caput/membra-Metapher, die in erster Linie auf die römische Kirche und die Bistümer schon seit dem 5. Jahrhundert bezogen wurde, siehe im Überblick Congar, Lehre, 11f., 14, 35, 54, 57f., 60, 71f., 92, 94f., 140f.; Frech, Reform, 35ff. (mit weiterer Literatur).  – Zu den spirituellen Vorstellungen von der Kirche als corpus mysticum oder corpus Christi, zurückgeführt auf i Cor 12.12, vgl. Congar, Lehre, 101ff., 139ff.; ders., L’église  ; Tierney, Foundations, 132ff.; De Lubac, Corpus mysticum  ; siehe auch die oben in Anm. 7 genannte Literatur zur entsprechenden Ekklesiologie des Petrus Venerabilis. Zur Verwendung der Körper-Metapher in der Staatslehre siehe Struve, Entwicklung  ; Peil, Untersuchungen, 380ff. 237 Vgl. dazu im einzelnen Maccarrone, Vicarius Christi, 109ff.; Ladner, Concepts, 54ff.; Tierney, Foundations, 141ff.; Congar, Lehre, 123ff.; Buisson, Potestas, 59ff. u. 74ff.; Imkamp, Kirchenbild, 278ff.; siehe jetzt auch den Überblick von Landau, Kirchenverfassungen, 127ff., mit weiterer Literatur.

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besaß, die selbst auch aus einem caput und wiederum ihnen unterstellten mem­ bra bestanden. So konnte dementsprechend Abt Hugo V. im Jahre 1200 sowohl vom membrum ecclesie sprechen, als er die Abtei Cluny meinte, wie zugleich auch von den membra eben dieses coenobium.238 – Diese Sichtweise aber schloß eine gravierende Folgerung ein  : Wenn nämlich ein membrum der Römischen Kirche selbst als corpus verstanden wurde, so konnte es sich bei einer Reformmaßnahme, die von seiten des Papsttums auf eines seiner membra zugriff, im Prinzip nur um eine correctio oder reformatio tam in capite quam in membris handeln. In diesem Sinne lag es, daß Innocenz III. immer wieder, wenn er von kranken corpora sprach, ausdrücklich die Verantwortung und das mögliche Verschulden des caput betonte  : Si caput fuerit infirmum, totum corpus languidum erit.239 Tatsächlich finden sich bei diesem Papst dann aber auch schon mehrere konkrete Belege für jene Formel einer Reform an Haupt und Gliedern, von denen hier nur derjenige zitiert werden soll, der mit dem größten Bekanntheitsgrad rechnen durfte, da die entsprechende Dekretale sogar Aufnahme im Liber extra unter dem gewiß einschlägigen Titel De accusationibus, inquisitionibus et denunciationibus fand  : […] ut videlicet jurent clerici, quod super his, quae sciunt vel credunt esse in sua ecclesia reformanda, tam in capite quam in membris, […] meram et plenam dicant inquisitoribus veritatem.240 Die im 13. Jahrhundert an238 Siehe oben S. 239. 239 Sermo I de diversis, PL 217, 650. Weitere Belege bei Imkamp, Kirchenbild, 195, der dazu ebd. ausführt  : »Dieses Bild wird meist als mahnender Hinweis zur Betonung der Vorbildfunktion von Bischöfen und Priestern benutzt  ; im gleichen Kontext ist dann auch das Bild vom Papst als Arzt am kranken Körper der Kirche beheimatet.« 240 X.v 1.17  ; Dekretale aus dem Jahre 1205, vgl. PL 215, 777ff., hier 779. Weitere Belege bei Imkamp, Kirchenbild, 194 Anm. 109.  – In Anbetracht der Bedeutung, die diese Formel dann im 14. und vor allem 15. Jahrhundert für Umgestaltungsbestrebungen hinsichtlich der Gesamtkirche einnehmen wird, ist bemerkenswert, daß der Forschung dieser schon frühe Gebrauch nicht weiter aufgefallen ist. Vgl. z. B. die jüngere Darstellung zum mittelalterlichen Reformverständnis von Wolgast, Reform, 320, die noch auf Guillaume Durand iun. als ersten Beleg verweist. Ebenso schenkt Neiske, Reform, 74f., den Belegen bei Imkamp keine nähere Beachtung, sondern nennt ausschließlich das Datum jener Reform Nicolaus’ IV. Schon Imkamp selbst zog aber keine weiteren Schlüsse, sondern beließ es bei einem kurzen Nachweis der einschlägigen Stellen  ; erst die Untersuchung von Frech, Reform, zeigt die Traditionszusammenhänge anhand reichen Materials auf. – Auch wenn eine reformatio tam in capite quam in membris von Guillaume Durand im Zusammenhang mit dem Konzil von Vienne 1311/12 wohl erstmals auf das Papsttum als caput bezogen worden ist und ihr von da an auch ein gesamtkirchlicher Bezug verliehen wurde (siehe Haller, Papsttum, Bd. 1, 60  ; vgl. zu Durands Reformideen näherhin Fasolt, New View  ; Sieben, Konzilsidee, insbes. 355ff.; Frech, Reform, 196ff.), so sollte jener Bezug auf Verhältnisse in Einzelkirchen nicht minder illustrativ für ein grundsätzliches Verständnis von Reformmöglichkeiten im Bereich

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scheinend so speziell auf Cluny bezogene Zielsetzung eines ausdrücklichen Reformvorgehens hinsichtlich Haupt und Gliedern241 besaß also durchaus einen ebenfalls verbreiteten Niederschlag bei anderen kirchlichen Institutionen. Aber auch jenes Spannungsfeld zwischen monarchischer und genossenschaftlicher Gewichtung, das die cluniazensische Entwicklung im behandelten Zeitraum geprägt hatte, scheint nichts anderes gewesen zu sein als das Spiegelbild einer allgemein gültigen Grundstruktur jener Epoche – einer Grundstruktur, die als zwangsläufiger Ausfluß der Lehre vom corpus ecclesiae von einer jeweiligen Praeferenz entweder zugunsten des caput oder zugunsten der membra bestimmt war.242 Die Kirche des 13. Jahrhunderts kannte sowohl die Betonung des monarchischen Prinzips wie zugleich auch – zumal in den Einzelkirchen – die Verfestigung gesamtkörperschaftlicher Kompetenzen.243 der Institution ›Kirche‹ gelten, mehr noch  : Es ist beachtenswert, daß es offensichtlich über 100 Jahre hierokratischer Kirchenführung bedurfte, bis jene Grundidee einer Reform an Haupt und Gliedern, die offensichtlich vom Papsttum selbst in die Welt gesetzt worden ist, auch zur Spitze der Kirche zumindest als Forderung durchschlug. 241 Siehe oben S. 248 u. 265 zur entsprechenden Formulierung aus der Zeit Innocenz’ III. sowie von Gregor IX. und Nikolaus IV. 242 Siehe direkt dazu Congar, Lehre, 141f.: »Man wird sich nicht darüber wundern, daß sich die korporative Auffassung, da sie eine Doppeldeutigkeit enthält, in zwei Richtungen entwickelte  : zugunsten des Hauptes, im monarchischen Sinne  : die römische Tradition, Bonifaz VIII. und die Theologen auf seiner Seite  ; zugunsten des Leibes, im repräsentativen, präkonziliaren, prädemokratischen Sinn  : Johannes von Paris. Die erste Entwicklung tritt am stärksten über das ganze 13. Jh. hin zutage, die zweite kündigt sich in dieser Zeit nur bei bestimmten Fragestellungen an, die bei den Kanonisten zu finden sind. Diese haben für die Zustimmung zur Ecclesia und für repräsentative Strukturen immer Raum gelassen.« Dem ist mit der Einschränkung beizupflichten, daß das Papsttum im angesprochenen Zeitraum (und schon vorher, namentlich durch Alexander III.) selbst grundsätzlich die Repräsentanz der membra in den Einzelkirchen förderte (dazu noch weiteres im hier Folgenden) und daß das Kardinalskollegium  – schon von Innocenz III. als membra corporis nostri bezeichnet  – die monarchische Position des Papstes selbst zumindest in das Richtmaß des consilium einband. Vgl. dazu Tierney, Foundations, 68ff.; Alberigo, Cardinalato  ; für die Zeit Innocenz’ III. siehe Maleczek, Papst, insbes. 297ff.  – Dieser Hinweis auf das Kardinalskollegium ist hier insofern von besonderem Belang für die cluniazensischen Verhältnisse, als sowohl Innocenz III. die Heranziehung der Kardinäle wie auch zur gleichen Zeit Abt Hugo V. die Einrichtung des Amts der camerarii provinciales als seine Helfer mit der Auswahl der ratgebenden Ältesten durch Moses verglich, so daß offenkundig ein gleiches Verständnis von der Notwendigkeit kollegialer Mitwirkung bestand  ; vgl. dazu Charvin, Statuts, Bd. 1, 50, und hier oben S. 240  ; zu Innocenz siehe Imkamp, Kirchenbild, 286f. 243 Vgl. dazu im Überblick Tierney, Foundations, 87ff.; und jetzt auch mit neueren Literaturangaben Pennington, Law, insbes. 433ff. u. 444ff.

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Päpste wie Innocenz IV. oder Bonifaz VIII. waren bekanntlich vorrangige Protagonisten der erstgenannten Richtung.244 In seinem Kommentar zum Liber extra formulierte Innocenz IV. über das Jurisdiktions- und Administrationsrecht der Leiter einer Institution immerhin Sätze wie Et est notandum quod rectores assumpti ab universitatibus habent iurisdictionem et non ipsae uni­ versitates und quod quicumque vel quaecumque habet administrationem potest agere et conveniri sine consensu alterutrius.245 Zusicherungen desselben Papstes gegenüber dem Abt von Cluny, daß dieser sich der vollen possessio aller Führungsrechte erfreue, weil populus sub uno rectore prosperare consueverit, et cadere sub diversis,246 stellen hierzu eine frappierende inhaltliche Analogie dar.247 So erstaunt nicht, daß die Förderung des cluniazensischen caput gerade dann in besonderem Maße geschah, als eben jene stärker autokratisch gesinnte Päpste den allgemeinen kirchenpolitischen Stil bestimmten. Doch darüber hinaus schlugen ebenso Anschauungen, die über einzelne Pontifikate hinweg generelle Grundlagen des monarchischen Prinzips darstellten, auf das Verständnis vom Amt des Abtes von Cluny durch. Am bezeichnendsten ist dafür wohl der Aufruf der Formel plenitudo potestatis / pars sollicitudinis für cluniazensische Verfassungsstrukturen durch Abt Heinrich I.248  – einer Formel nämlich, die sich etwa bei Gratian mit ausschließlichem Bezug auf die Vollgewalt des Papstes und die eingeschränkten Kompetenzen der Bischöfe findet249 und die dann von Johannes Teutonicus (c. 1216) in »a classic definition« gebracht wurde  : Papae auctoritas plena est, aliorum episcoporum semiplena est, quia ipsi sunt in partem sollicitudinis vocati non in plenitudinem potestatis.250 In die gleiche Richtung wiesen, allerdings von der anderen Seite 244 Vgl. allgemein zur monarchischen Theorie der Päpste dieses Zeitraums Watt, Theory  ; Miethke, Historischer Prozeß. Zu Innocenz IV. siehe Pacaut, L’autorité pontificale  ; zu Bonifaz VIII. vgl. mit einschlägigen Literaturangaben Dupré Theseider, Bonifacio VIII  ; jetzt auch den jüngsten Überblick von Schmidt, Bonifaz VIII. 245 Commentaria super Libros quinque Decretalium, ad x. i 2.8 u. i 3.21. Vgl. dazu Tierney, Foundations, 107 u. 122, der in diesem Zusammenhang von »a strict authoritarianism« dieses Papstes spricht. 246 Vgl. oben S. 253. 247 Die in letzterem Zitat geäußerte Ansicht wird dann etwa zur gleichen Zeit noch durch die Äußerungen Thomas’ von Aquin eine tiefere philosophische Begründung finden. Siehe etwa De regimine principum i.2  ; vgl. dazu Pennington, Law, 442. 248 Vgl. oben S. 277. 249 C. 2 q. 6 cap. 11 u. 12. Vgl. dazu – auch zur Rückführung dieser Formel bereits auf Leo I. – Rivière, In partem sollicitudinis  ; Tierney, Foundations, 145f.; Congar, Lehre, 166  ; Benson, Plenitudo potestatis. 250 Zitate  : Pennington, Law, 434  ; vgl. ders., Pope and Bishops, 59ff.

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her gesehen, die mehrfachen Feststellungen, daß die membra zur Unterstützung des caput patiens verpflichtet seien.251 Unbenommen dieser monarchischen Strömungen war jene Epoche ebenso davon geprägt, daß sich in ihr die entscheidenden Mitsprache- und Kontrollrechte der membra hinsichtlich der Leitung und Verwaltung einer kirchlichen Institution beziehungsweise Korporation ausgeformt haben.252 Als theoretische Position, die aus dem Wesen des corpus stringente Konsequenzen zog, konnte in diesem Zusammenhang sogar formuliert worden nec prelatus sine consensu capi­ tuli, nec capitulum sine consensu prelati potest iudicium exercere, nec conveniri […] cum omnes unum corpus intelliguntur,253 doch fand die Dekretalistik letztlich zu einer wesentlich differenzierteren Sichtweise, welche die Ansprüche beider Teile – die des caput und die der membra – berücksichtigte. Nach der Meinung etwa von Hostiensis benötige der Prälat zwar nicht den Konsens des Kapitels bei den alltäglichen Verwaltungsgeschäften  ; dort jedoch, wo er die Belange der gesamten Körperschaft berühre – etwa bei Veräußerungen von Gütern –, müsse er die Billigung des Kapitels einholen.254 Diese Ansicht stand wohl begründet auf dem Fundament einer entsprechenden päpstlichen Gesetzgebung insbesondere seit Alexander III., die im Kern Aufnahme in den Liber extra fand.255 Weiter griff jedoch noch jener aus dem Römischen Recht stammende und vom Ende des 12. Jahrhunderts an verbreitet aufgerufene Satz Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet,256 da mit ihm der »volonté collective« (wie MichaudQuantin in treffender Begrifflichkeit sagte257) nicht nur vermögensrechtliche 251 Vgl. oben S. 251, 268, 274. 252 Dazu von Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. 3, 238ff., insbesondere hinsichtlich seiner Unterscheidung zwischen »Genossenschaft« (Korporation) und »Anstalt« (Institution), die hier aber nicht vertieft werden kann  ; siehe jetzt vor allem Michaud-Quantin, Universitas. Vgl. auch Gillet, Personnalité  ; Chroust, Corporate Idea  ; Tierney, Foundations, 96ff. u. 106ff.; Pennington, Law, 444ff. 253 Bernardus Parmensis, Glossa ordinaria, ad x. i 38.1  ; zitiert nach Tierney, Foundations, 104, dort auch zur sofortigen Einschränkung dieses Satzes. 254 Vgl. dazu Tierney, Foundations, 122f., der in dieser Äußerung zu Recht »a final clarification of the whole problem« sieht  ; Pennington, Law, 447. 255 X.iii 10 De his quae fiunt a praelato sine consensu capituli. Vgl. im Überblick MichaudQuantin, Universitas, 285ff. Hinsichtlich der Domkapitel siehe die Zusammenfassung von Le Bras, Institutions, 377ff.; mit Verweis auf neuere Literatur Landau, Kirchenverfassungen, 134f. u. 161. Zu entsprechenden Bezugnahmen auf den monastischen Bereich siehe jetzt (mit Diskussion der älteren Forschung) Felten, Herrschaft, 277ff., insbes. 280. 256 Siehe dazu Congar, Quod omnes, 210ff.; Michaud-Quantin, Universitas, 283f. 257 Ebd., S. 284. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß stets der Unterschied gemacht wurde zwischen den Belangen der Korporation als solcher (universitas) und jenen der singuli

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Bereiche, sondern auch die autokephale Wahl der Leitung und letztendlich eine Mitverantwortlichkeit und Mitbestimmung hinsichtlich des Geschickes einer Institution in recht umfassender Weise und sich in consilium und consensus äußernd anheimgestellt war. – Vor dem Hintergrund dieser Verfassungsstrukturen scheinen nun die cluniazensischen Anstrengungen um eine Einschränkung der Macht des caput und vice versa um eine kollektive Mitsprachemöglichkeit der membra keinen herausragenden Sonderweg bedeutet zu haben  : Cluny war wie andere auch von der päpstlichen Verordnung einer Zustimmungspflicht des Konventes bei Veräußerungen des Gutes betroffen, und die Definitoren hatten eine entsprechende Bestimmung offensichtlich auch als Reaktion auf die allgemeine Rechtslage in ihre Statuten von 1205/06 geschrieben.258 Als angesichts der besonderen Gefährdung des Verbandes Innocenz III. seinem Appell an die Mitverantwortung des Generalkapitels die Begründung beigab, quae profectum communem respiciunt, tractari solent melius in communi,259 hatte er nichts anderes aufgerufen als die Zielrichtung eben jener Formel Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet. Und schließlich befand sich im Grunde jede der so oft eingeforderten Bindungen des Abtes von Cluny an das consilium der genossenschaftlich getragenen Gremien  – zuletzt noch unter Heinrich I. mit dem Bibel- wie auch Regelzitat salus ubi multa consilia auf die Arbeit der Definitoren bezogen260 – in genereller Übereinstimmung mit den zeitgenössischen Grundideen von einer gesamtkörperschaftlichen Mitwirkung.261 Unbesehen dieser allgemeinen kirchlichen Strukturen haben jedoch offensichtlich auch die zeitgenössischen Verhältnisse im Bereich der Orden selbst der cluniazensischen Entwicklung entscheidende Vorgaben geliefert.262 In erster Liinnerhalb derselben  ; vgl. Ullmann, Delictal Responsability, 79ff.; Congar, Quod omnes, 213f.; Michaud-Quantin, Universitas, 327ff. 258 Vgl. zu diesen Sachverhalten oben S. 245. 259 Vgl. oben S. 248. 260 Siehe oben S. 275. 261 Dies gilt unbenommen der immanent monastischen Tradition des consilium, wie sie bereits in der Benediktsregel begründet wurde. So wurde die Einrichtung eines Weisenrates für den Abt von Cluny durch die Statuten von 1205/06 ja auch ausdrücklich mit Zitat-Bezug zu cap. 3 der Benediktsregel begründet (siehe oben S.  244)  ; doch enthebt dies nicht der bezeichnendenTatsache, daß eben erst jetzt zu Beginn des 13. Jahrhunderts diese Forderung gestellt wurde. Vgl. allgemein zur Tradition des consilium im monastischen› Bereich jetzt Felten, Herrschaft, 273ff.; siehe auch Constable, Authority. 262 Obgleich hier ein eingehenderer Vergleich mit verfassungsgeschichtlichen Entwicklungen bei anderen Orden angebracht wäre, können im Rahmen dieses Beitrages nur einige wesentliche Stichworte aufgerufen werden  ; siehe Ausführlicheres bei Melville, Schriftlichkeit.

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nie ist dabei an die Einrichtung eines kontinuierlich abgehaltenen Generalkapitels zu denken, das bereits im 12. Jahrhundert zunächst bei den Cisterziensern, dann aber ebenfalls bei den Kartäusern, Prämonstratensern, Grandmontensern und anderen zum essentiellen Element des Zusammenhalts geworden war und später in gleicher Funktion von den Bettelorden übernommen worden ist.263 Ebenso gehörten aber auch Amtsträger, die im Orden eine über das einzelne membrum hinausgreifende Aufgabe erfüllten – wie Definitoren oder Visitatoren –, oder eine Einteilung in Provinzen durchaus zum gewöhnlichen Erscheinungsbild jener Epoche.264 Doch wesentlich entscheidender war, daß überhaupt die Organisationsform eines ›Ordens‹ als gesamtkörperschaftlich getragenes Rechtssubjekt bereits durch die innovative Leistung der Cisterzienser265 vorgeprägt war, welche damit zugleich neue Wege der gegenseitigen Kontrolle, der Normierung von administrativen Akten bis hin zur Ein- und Absetzung von Klostervorstehern, der Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf Gremien sowie vor allem grundsätzlich der Artikulation der »volonté collective«266 erschlossen hatten.267 Diese Leistungen und Erfolge waren es dann auch – neben der spirituellen Strahlkraft –, welche die Päpste vor allem im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts veranlaßten, die Cisterzienser den Klöstern oder Klöstergruppen der Benediktiner und Regularkanoniker als Vorbild hinzustellen sowie deren Organisationsformen, insbesondere die Abhaltung von Generalkapiteln, zur Nachahmung zu empfehlen.268 Hierbei sticht wirkungsgeschichtlich der 12. Kanon des 4. Lateranum hervor, da er Aufnahme in den Liber extra fand  ; er forderte bei der verlangten Neueinrichtung von Generalkapiteln die Hinzuziehung von zwei Cisterzienser-Äbten mit der bezeichnenden Begründung  : 263 Siehe dazu umfassend Hourlier, Le chapitre general, insbes. 41ff. u. 106ff.; ders., L’Âge classique, 375ff.; Mahn, L’ordre cistercien, 173ff. u. 243ff.; vgl. auch Mackin, De origine  ; Moulin, L’assemblée, 7ff.; Becquet, Les institutions  ; Brooke, Government  ; Galbraith, Constitution. Vgl. auch die Literaturangaben in Anm. 29. Siehe ferner Congar, Quod om­ nes, 229f., für die Bezüge zur Formel Quod omnes tangit … – Zum Problem der tatsächlichen Einführung des regelmäßigen Generalkapitels bei den Cluniazensern siehe Anm. 24. 264 Vgl. Hourlier, Le chapitre general, 227ff.; ders., L’Âge classique, 383f., 389ff. u. 405ff.; Le Bras, Institutions, 480ff. 265 Dazu direkt Wollasch, Mönchtum, 178ff. »Der Orden wurde von den Cisterciensern geschaffen«  ; ebd., 178  ; vgl. auch Berlière, Les origines  ; Van Damme, Les pouvoirs  ; Leclercq, Intentionen. 266 Vgl. oben S. 284. 267 Siehe dazu Mahn, L’ordre cistercien, 173ff  ; Les codifications cisterciennes de 1237 et de 1257, ed. Lucet, 1ff. 268 Vgl. Berlière, Innocent III, 38ff. und passim  ; ders., Honorius III, 245ff.; Di Palo, Innocenzo III, 14ff.

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Advocent autem in huiusmodi novitatis primordiis duos Cisterciensis ordinis vicinos Ab­ bates, ad praestandum sibi consilium et auxilium opportunum, cum sint in huiusmodi Capitulis celebrandis ex longa consuetudine plenius informati.269

Mit einer analogen Maßgabe sahen sich dann im Jahre 1231 auch die Cluniazenser durch Gregor IX. konfrontiert, der verlangte, daß künftig bei deren Generalkapiteln vier Cisterzienser-Äbte anwesend sein sollten.270 Wenn dies auch dann in der revidierten Reformbulle von 1233 wieder gestrichen wurde, so blieben dennoch dort zahlreiche Verweise auf die Cisterzienser, nach deren Vorgehen man sich zu richten habe.271  – So gesehen scheinen Clunys ›neuartige‹ Verfassungsformen also im Grunde nur durch die freiwillige oder erzwungene Adaption dessen zustande gekommen zu sein, was bei den seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert gegründeten Orden – insbesondere bei den Cisterziensern – bereits von Anfang an gang und gäbe war und was mittlerweile allgemein zur prägenden Organisationsstruktur der vita religiosa geworden ist. Nachdem nun aber gezeigt werden konnte, daß sich herausragende Elemente der cluniazensischen Umgestaltung  – angefangen von der Reformterminologie sowie dem Reformprinzip, an Haupt und Gliedern anzusetzen, über das Spannungsfeld zwischen monarchischer und genossenschaftlicher Verfassung, bis hin zu konkreten Formen der Organisation – augenscheinlich völlig in das allgemeine Erscheinungsbild jener Zeit einfügten, so stellt sich die Frage, was denn dann von dem bleibt, das man oben noch bei dem Durchgang durch die faktische Geschichte als besondere oder sogar eigenwillige Leistung der Cluniazenser wahrzunehmen glaubte. Verhielt es sich tatsächlich so, daß Cluny dem drohenden Zusammenbruch durch einen Prozeß der Anpassung begegnete, der in Form und Ziel ausschließlich an aktuellen und den Forderungen neuer Zeiten gegenüber konformen Strukturen orientiert war und somit zu nichts anderem lenkte als zu einer äußerlichen Gleichartigkeit mit mittlerweile wirkungskräftigeren Orden, allen voran den Cisterziensern  ?272 269 X. iii 35.7. Vgl. Mahn, L’ordre cistercien, 249. 270 Auvray, Les registres de Gregoire IX, no 745, 470  ; siehe dazu oben S. 248, mit Anm. 70. 271 Vgl. oben S. 249. 272 Im Grunde ging es Bredero bei seinem Aufsatz »Comment les institutions« um die gleiche Frage, doch blieb er fur eine vollständige Beantwortung auf dem halben Weg stehen, als er seine Untersuchung mit Abt Wilhelm III. beendete und damit auf eine Behandlung der Epoche verzichtete, welche aufgrund der Quellenlage erst die Arbeit von Generalkapitel und Definitorium gründlicher beobachten läßt  ; vgl. ebd., l72.

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Die Beantwortung – sie wird zur Verneinung dieser Frage führen – hat an der Dimension anzusetzen, wo bewußt über die Gebundenheit an die Gegenwart hinausgeführt worden war. Es handelt sich um das Phänomen, daß während der beschriebenen Umgestaltungsphase auffallend häufig  – sowohl von den Cluniazensern selbst wie von seiten des Papsttums – auf die große Vergangenheit Clunys Bezug genommen wurde, obgleich es sich dabei um Äußerungen handelte, die vielleicht wiederum nur als allgemein übliche gelten mögen. Schon oben wurde dieser Sachverhalt im Zusammenhang der reformerischen Terminologie kurz angeschnitten und vorerst als Zeichen des Anschlusses an eine Topik charakterisiert  ;273 bei näherem Besehen erweist er sich jedoch als wesentlich tiefer greifend. Um nur einzelne, besonders aussagekräftige Beispiele noch einmal zu nennen  : Schon um 1200 bezog sich Hugo V. in der Einleitung zu seinen Statuten als Richtmaß auf die Vorgaben que a patribus [sc. den ersten Äbten Clunys] dudum sancita sunt.274 Deutlicher noch sprachen die Statuten von 1205/06 ea que ab antiquis patribus nostris diligenter instituta et constanter observata an, um dem Abt von Cluny ein Vorbild zu geben.275 Im Jahre 1213 appellierte Papst Innocenz III. mit den Worten Si diligenti meditatione pensabitis sogar ausdrücklich an die Erinnerungskraft der Cluniazenser, um vor Augen zu führen, qualiter vita monastica sub primis ordinis Patribus pullulavit.276 Innocenz IV. sprach 1247 – und 1256, 1265, 1272 sowie 1279 wird sich dies wieder finden – von cluniazensischen Normen, die a tempore cujus non extat memoria befolgt werden, woraus multum floruisse dignoscitur.277 Alexander IV. begründete 1256 die Möglichkeit zur Dispens von Maßgaben Gregors IX. mit der observantia Ordinis, die ab ipsa sui institutione multum […] rigida et difficilis ad ferendum sei.278 An die Verfügungsgewalt sanctae memoriae Hugonis abbatis wurde 1279 von Papst Nikolaus III. ausdrücklich angeschlossen, als es galt, den Rechtsbereich für den zeitgenössischen Abt zu umschreiben.279 Und schließlich wurde in den Statuten Bertrands I. (1301) und Heinrichs I. (ca. 1314) ein besonderes liturgisches Fest für die ersten und heiligen Äbte Clunys eingerichtet zum Gedenken daran, wie sehr diese in spiritualibus et temporalibus den Orden erhöht 273 Siehe oben S. 279. 274 Charvin, Statuts, Bd. 1, 41  ; vgl. oben S. 239. 275 Charvin, Statuts, Bd. 1, 53  ; vgl. oben S. 244. 276 PL 216, 791  ; vgl. oben S. 248. 277 Bullarium Cluniacensis, 116b  ; vgl. oben S. 252f. 278 Bullarium Cluniacensis, 125a  ; vgl. oben S. 256. 279 Bullarium Cluniacensis, 147a  ; vgl. oben S. 257f.

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und ihn exemplis salubriter belehrt hatten.280 – Auf der gleichen Ebene lag aber auch die panegyrische und zugleich insinuativ gemeinte Darlegung des Girardus de Arvernia aus dem Jahre 1272 über die einstig so fruchtbare Ausbreitung des cluniazensischen Verbandes – Plantatio enim Dei est et vinea Domini Sabaoth, ideoque crevit in immensum et mul­ tiplices fructus fecit, ita quod jam montes umbra ejus operuit et a Gallia, ubi ortum habuit, usque in Hispaniam, et ab Hispania in Italiam, et ab Italia in Allemanniam, et ab Allemannia usque in Angliam suos palmites jam extendit281

–, zumal dieser Hinweis als direkter Bezug verstanden werden konnte auf analoge Äußerungen, die mit berechtigtem Stolz bereits während der Blüte des Verbandes von Hugo I. selbst gemacht wurden.282 Kontinuierlich also über den gesamten Zeitraum der Umgestaltungsphase hinweg und gegen deren Ende sogar noch verstärkt wurden Rückgriffe auf die Vergangenheit vorgenommen. Aufgrund ihrer faktischen Bezüge weisen sie über einen nur topischen Gebrauch hinaus und belegen somit deutlich, daß – trotz des inzwischen erfolgten und mit Eifer vorangetriebenen Wandels der Verfassung – den Cluniazensern die konkreten Verhältnisse in ihrer einstigen Blütezeit keineswegs aus dem Gedächtnis geraten, sondern vielmehr auch Folie zur Gegenwart geblieben waren. Dieser Sachverhalt verleiht folgenden Bedingungen, deren Feststellung zunächst selbstverständlich erscheinen mag, eine besondere Tragweite  : Die erst seit dem 12. Jahrhundert emporgewachsenen, neuen Orden waren das Produkt ihrer Zeit oder – besser gesagt – die Antwort auf Bedürfnisse ihrer Zeit  ; und diese Orden konnten von vornherein in vielerlei Weise umgekehrt auch auf Grundlagen des zeitgenössischen institutionellen Lebens prägend einwirken.283 Für Cluny galt dieser Sachverhalt auch – freilich aber bezogen auf jene frühere 280 Charvin, Statuts, Bd. 1, 75 (§ 39) u. 101 (§ 13)  ; vgl. oben S. 273 u. 278. 281 Bouquet, Receuil, Bd. 21, 213. Zu Girardus vgl oben S. 258. 282 Imprecatio beati Hugonis, in  : Bibliotheca Cluniacensis, ed. Marrier / Duchesne, 495  : Gott habe den Ort Cluny geweitet in nostra regione, verumetiam in Italia, in Lotharingia, in Anglia, Normandia, Francia, Aquitania, Guasconia, Prouincia atque Hispania. Vgl. Wollasch, Mönchtum, 153. – Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß jene Worte des Girardus ein Geschichtswerk einleiteten, dem es gerade auch darum ging, die historischen Leistungen Clunys in Erinnerung zu rufen  ; vgl. Melville, Exhortatiunculae, 207f. 283 In erster Linie gilt dies – wie gezeigt – für die Cisterzienser  ; vgl. aber auch weiter ausholend Congar, Quod omnes, 228ff.

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Zeit, die eben die Clunys war.284 Das bedeutet, daß die neuen Orden im 12. und 13. Jahrhundert eine Verfassung besaßen, die von Anfang an so beschaffen war, daß sie konform ging mit den Grundstrukturen dieser Jahrhunderte, wohingegen Cluny in seiner ursprünglichen Form nun – streng genommen – einen Anachronismus darstellte und zeitgemäße Formen erst hinzugewinnen mußte. Jene Aufrufe der Vergangenheit aber zeigen, daß eben diese ursprüngliche Form den Cluniazensern wesentlich mehr bedeutet haben mußte als etwas, das längst überholt war  : Die Cluniazenser des 13. Jahrhunderts waren sich bewußt, daß sie aus einer jahrhundertealten und über lange Strecken hinweg bewährten Tradition ihre eigentliche Identität schöpften. Folglich aber hatten sie sich mit den Vorgaben ihrer Tradition auseinanderzusetzen und diese in irgendeiner Weise gegen das Neue aufzurechnen, als sie es unternahmen, sich umzugestalten und zwangsläufig auch einzufügen in die Verhältnisse veränderter Zeiten.  – Und eben dieser Umstand ist es, was dem cluniazensischen Wandel eine besondere Stellung innerhalb der Strukturen der Ordenswelt des 13. Jahrhunderts verschaffte und was solche Erscheinungsformen des Wandels, die offensichtlich auch den allgemein verbreiteten ekklesiologischen oder kanonistischen Verhältnissen entsprachen, zugleich zu ganz spezifischen Ausprägungen Clunys werden ließ. Institutionell gesehen war der Kern der cluniazensischen Tradition  – wie hier eingangs hervorgehoben  – die subiectio der einzelnen Häuser unter das regimen beziehungsweise die ordinatio des Abtes von Cluny gewesen. Diese Unterordnung unter ein einziges Zentrum hatte sich als existentiell entscheidend für die rechtliche Zusammengehörigkeit und den faktischen Zusammenhalt gezeigt. Das Corpus ecclesiae Cluniacensis zu charakterisieren, bedeutete einst, von einem weitgefächerten und in sich auch recht unterschiedlichen Verband von Klöstern zu sprechen, die jedoch allesamt membra subjecta eines einzigen caput waren. Als im Laufe des 12. Jahrhunderts bei nachlassender Spannkraft die Unzulänglichkeit dieser Verfaßtheit zutage trat und neue Formen zu suchen waren, durfte an dieser Grundbedingung nicht gerüttelt werden. Im Gegenteil  : sie mußte in ihrer Akzeptanz gestärkt werden, um drohenden Abspaltungen und Auflösungen der Disziplin zu begegnen. Gerade auch, weil die Führungsposition des Abtes von Cluny bereits ideellen Schaden erlitten hatte, mußte ihr zu neuem Ansehen verholfen werden, denn sie begründete nach wie vor die 284 Vgl. zu diesem Aspekt auch Melville, Cluny après ›Cluny‹, 96.

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einzige rechtliche Bindung aller membra zum corpus. Andererseits aber konnte dem institutionellen Ungenügen des caput, allein die Weiträumigkeit des Verbandes zu kontrollieren und zu steuern, nur dadurch begegnet werden, daß man den membra in Form eines geschlossenen Gremiums von nun an die Mitverantwortlichkeit gegenüber dem corpus übertrug – auch wenn damit ein ursprünglich wesensfremdes Element in die zentrale Lenkung aufgenommen wurde. Beides in Einklang zu bringen, stellte die axiomatische Grundforderung an die zukünftige Entwicklung dar. Hier aber auch lag der Punkt, aus dem sich dann tatsächlich Verhältnisse ergaben, deren Aufrechnung mit den allgemeinen Strukturen der Zeit keineswegs aufging. Die cluniazensische Geschichte des 13. Jahrhunderts war wie keine der neuen Orden jener Zeit von dem Ausbalancieren zwischen einer – aufgrund der Tradition – substantiell monarchischen Herrschaft und einer – aufgrund erst gegenwärtiger Notwendigkeit – genossenschaftlich getragenen Organisation bestimmt.285 Diese grundlegende Dualität warf eine unverwechselbare Serie von Spannungen, Widersprüchlichkeiten oder starken Schwankungen in der jeweiligen Prädominanz auf und prägte damit einen Ablauf, der eine außergewöhnliche Dichte von immer wieder erneuten Reformmaßnahmen besaß, führte letztendlich aber zu einer sehr individuellen Verfassungsstruktur  : All den aufgezeigten Phasen der Entwicklung war tatsächlich gemeinsam, daß sie nie von der Grundlage der Abtsherrschaft abwichen. Immer wieder fanden sich Verwendungen der caput/membra-Metapher, die diesen Sachverhalt in überaus charakteristischer Weise deutlich machten. Innocenz III. forderte die Leiter der cluniazensischen Häuser auf, tanquam filii patri et membra con­ venientia capiti dem Abt von Cluny obedientia und reverentia zu erweisen.286 285 Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den Cisterziensern, obschon sie als Muster vorgehalten worden waren (siehe oben S. 249), denn »im cisterciensischen Generalkapitel sammelte sich die von den Cisterciensern neu geschaffene mönchische Herrschaft des Ordens über die Klöster […]. Die institutionalisierte Herrschaft des Ordens gab dem Abt von Cîteaux sowie den Äbten der ältesten Tochterklöster wohl die Möglichkeit maßgeblichen Einflusses auf die Formung der cisterciensischen Observanz, wahrte aber gleichzeitig die volle Verantwortlichkeit jedes Abtes in einer Cisterce. Sie lag über den klösterlichen Individualitäten, doch nicht, wie in Cluny, als Herrschaft des ›Mutterklosters‹ über die ›Tochterklöster‹.« (Wollasch, Mönchtum, 179). Allerdings konnte es bei den Cisterziensern umgekehrt zu Versuchen des Abtes von Cîteaux kommen, eine stärker monarchische Position zu gewinnen  ; vgl. zu entsprechenden Vorgängen um 1263 bis 1265  ; Mahn, L’ordre cistercien, 229ff.; siehe umfassend auch Van Damme, Les pouvoirs. 286 Siehe oben S. 248.

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I­nnocenz IV. und seine nächsten Nachfolger hoben hervor, daß der Körper des Verbandes gedeihe, cum ipsius a capite membra non discrepant, sed veluti subjecta obediunt capiti.287 Gregor IX. wies bei finanziellen Forderungen an die Klöster zugunsten der Abtei Cluny auf die Verpflichung hin, ut membra compatiantur capiti patienti  ;288 in einem gleichen Zusammenhang äußerten sich ähnlich auch Bonifaz VIII., als er sagte, es sei unwürdig, si membra deliciis affluant, caput vero sarcina deprimat egestatis,289 oder im Jahre 1308 das Generalkapitel selbst  : Quia dignum, justum et consonum existit ut membra capiti indigenti subveniant, cum capite languescente omnia et cetera membra condo­ lent […].290 Abt Heinrich I. schließlich begründete in seinen Statuten die Notwendigkeit von einheitlichen Observanzen im Orden mit den Worten  : Quoniam more naturalium membrorum recipientium a capite naturali motum et sensum, loca et membra Ordinis Cluniacensis debent recipere motum et directionis regulam in actibus et operibus debitis a suo capite mystico […].291 Zum anderen aber ging man gleichfalls von der seit 1200 gewonnenen Dualität der Verfassungsstruktur nie wieder ab. Daran änderten auch die Extreme unter Abt Wilhelm III. oder unter Papst Nikolaus IV. nichts. Allenfalls verschob man – und mitunter recht beträchtlich – die Gewichte der Kompetenz zwischen Abt von Cluny und den genossenschaftlich getragenen Gremien. Anlaß dazu war immer dann gegeben, wenn entweder der Abt von Cluny sich allzu sehr willkürliche Akte anmaß oder wenn die Durchsetzungskraft der genossenschaftlichen Institutionen sich noch als zu unzulänglich erwies. Und auch hierbei fand das Bild von Haupt und Gliedern einen bezeichnenden Einsatz. Die Rede war von einer reformatio tam in capite quam in membris. Es hat sich gezeigt, daß dies zwar erwartungsgemäß auch Korrekturen einerseits der sittlichen Verhaltensnormen des Abtes von Cluny wie andererseits auch der der einzelnen Leiter seiner Häuser betraf. Doch war damit noch entscheidend mehr angesprochen  : caput und membra sind unter dem Leitmotiv jener Formel in neue Formen der Beziehung zueinander gebracht worden, indem jeweils den genossenschaftlich getragenen Institutionen wesentlich mehr Rechte eingeräumt wurden.292 Reformatio tam in capite quam in membris bedeutete also dezidiert einen Eingriff in die Verfassungsstruktur dergestalt, daß axiomatisch 287 Siehe oben S. 252f. 288 Siehe oben S. 251. 289 Siehe oben S. 268. 290 Siehe oben S. 274. 291 Siehe oben S. 278. 292 Siehe oben S. 249ff. u. 264ff.

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von dem Verhältnis einer dualen Verbandsleitung ausgegangen worden ist und dieses noch verstärkt wurde. So gesehen, hatte jene Verwendung des caput  / membra-Bildes durch Nikolaus IV., die hier eingangs noch ungeklärt war,293 tatsächlich einen wesentlich anderen Stellenwert als diejenige aus der Zeit Hugos I. bis Petrus Venerabilis erhalten. Bemerkenswert ist im Grunde nur die Tatsache, daß das Bild nach einem derart intensiven Wandel, den die Cluniazenser vom Beginn des 13. Jahrhunderts durchgemacht haben, überhaupt noch gebraucht werden konnte. Dies lag allein an einem Kompromiß, den die Cluniazenser im Laufe der geschilderten Entwicklung gefunden haben. Sie enthoben den Abt von Cluny der Ausschließlichkeit einer spirituell/charismatisch verankerten Legitimät und gaben seinem Amt eine zusätzliche Legalität auf der Basis eines gesatzten Rechtes, das von der gesamten Gemeinschaft getragen und zudem noch vom Papsttum als höchster Instanz sanktioniert war. In dieser gewissermaßen ›konstitutionellen Monarchie‹, die es bei einer Zentrierung auf die Verbandsspitze belassen hatte, war jedoch kein Platz für eine rein genossenschaftlich geführte Regierung, wohl aber offenkundig für ein Gremium, das als solches ebenso wie der Abt monokratisch fungierte  : das Definitorium. Trotz einiger Schwankungen stieg die Kompetenz des Definitoriums fortwährend an, bis dieses sogar – wie sich zeigte294 –aus seiner Verankerung im Generalkapitel als zuständiges Wahlgremium gelöst war und das nächstwichtige gesamtkörperschaftliche Amt, nämlich das der Visitatoren, in seiner personellen Zusammensetzung selbst bestimmte. So besaß der Verband letztlich zwei Häupter  : ein ›hierarchisches‹ in Person des Abtes von Cluny, der nach wie vor das einzige rechtliche Bindeglied zu allen subjecta membra darstellte und der alle Vorsteher der cluniazensischen Häuser oder Provinzen an seiner administrativen potestas in Form eines Auftrags zur sollicitudo295 partizipieren lassen konnte, sowie ein ›genossenschaftliches‹ in Gestalt des Definitoriums, das quer durch den Verband zuständig war für alle disziplinären und organisationsrechtlichen Belange, tam in capite quam in membris. Daß sich also seit Beginn des 13. Jahrhunderts ein zweites gleichwertiges Gremium an der Spitze des Verbandes neben dem Abt von Cluny herausgebildet hatte, das – zwar rekrutiert aus den membra, aber unabhängig von deren Gesamtvertretung – ebenfalls zentrale Funktionen gegenüber dem Ganzen 293 Siehe oben S. 235. 294 Siehe oben S. 264. 295 Siehe oben S. 277.

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wahrnahm, darin lag wohl der besondere, vom cluniazensischen Herkommen geprägte Weg. Er war – wie sich zeigte – gewiß nicht mühelos, obgleich er in erster Linie tatsächlich ›nur‹ eine institutionelle Anpassung von aktuell Notwendigem an die traditionelle Eigenart bedeutete.

Die Rechtsordnung der Dominikaner in der Spanne von constituciones und admoniciones Ein Beitrag zum Vergleich mittelalterlicher Ordensverfassungen*

Non tamen posset de facili status vitae ipsorum [sc. der Religiosen] a iure com­ prehendi, quia diuersa sunt monasteria, et diuersas habent institutiones et ideo ad ipsas est recurrendum.  – Diese in der Mitte des 13. Jahrhunderts formulierte Feststellung des Hostiensis1 stand vor dem Hintergrund eines bislang nur geringen Bemühens der Rechtsschule um die Erscheinungsformen partikularen Kirchenrechts.2 Sie charakterisierte dennoch präzise die rechtssystematische Eigenart der vita religiosa, die nicht nur als ein Sonderbereich gegenüber dem ius commune der Kirche verstanden werden mußte, sondern die in sich selbst wiederum in weitere, voneinander unabhängige Sonderbereiche aufgefächert war. Vom Blickwinkel des ius commune3 aus gesehen, bezog sich die Aussage also nicht auf spezifische Rechtsmaterien bezüglich des Religiosentums als Stand, welche bereits von Gratian, dann auch vom Liber extra in einer gewissen Breite vorgelegt worden waren,4 sondern auf jenes seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts weitgehend autonom in Verfassungsdokumenten der einzelnen Orden niedergelegte und anschließend fortgeschriebene ius particulare, das die vita religiosa in jeweils eigenständige, allerdings prinzipiell vom Papsttum approbierte Rechtskreise gliederte.5 Von ›Verfassungs‹dokumenten zu sprechen, mag zwar auf den ersten Blick als anachronistisch erscheinen, wenn man nur die in der zweiten Hälfte des * Die folgende Untersuchung wurde angeregt durch den brillanten Artikel des verehrten Jubilars [Peter Landau] über die Kirchenverfassungen im 19. Band der Theologischen Realenzyklopädie und versteht sich zugleich als ein Beitrag zu Leitgedanken der gemeinsam herausgegebenen Reihe »Norm und Struktur«. 1 Hostiensis, Summa aurea, Venedig 1574, 1144. Analog auch Goffredo Da Trani, Summa, fol. 154v  : Sed quia circa hoc diverse inveniuntur observantie et statuta, magis hoc per institutiones eorum [sc. der Religiosen] instruitur quam per iura. 2 Siehe Nörr, Kanonistische Literatur, 367  : »[…] gelehrte Schriften zum partikularen Kirchenrecht bleiben Randerscheinungen«. Vgl. auch Gillet, Personnalité, vor allem 82ff. 3 Siehe dazu den Überblick von Bellomo, L’Europa. 4 In Zusammenfassung vgl. Hourlier, L’Âge classique  ; zu einzelnen Aspekten siehe z. B. Brechter, Regula Benedicti  ; Sinopoli, Influenza. 5 Dazu bereits ausführlicher Melville, Ordensstatuten.

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18. Jahrhunderts entstandenen und auf Flächenstaaten bezogenen Verfassungen modernen Typs vor Augen hat.6 Doch definiert man Verfassung generell als einen »gesellschaftlichen Ordnungsentwurf, der die Ziele, die Zwecke und die Prinzipien der gesellschaftlichen Verfaßtheit festlegt«, dessen Regeln und Institutionen »positivrechtlich normiert« werden und der »zugleich Vorrang vor dem einfachen Gesetz [erhält], das sich, von den verfaßten Gewalten (Parlament, Regierung, Gerichte) beschlossen und angewandt, an der Verfassung selbst messen lassen muß«,7 dann sind Kriterien angesprochen, die sich in einem erstaunlich hohen Maße schon auf die institutionellen Ordnungsleistungen der mittelalterlichen Ordensverbände beziehen lassen. Hatte zwar das Prinzip der Gewaltenteilung nicht einmal annähernd den Reifegrad der Moderne erreicht,8 so war dagegen der Leitgedanke sowohl der Gewaltenkontrolle durch eigens dafür eingerichtete Organe als auch der Gewaltenbindung an eine fundamentale Rechtsordnung bei den Orden des 12./13. Jahrhunderts bereits recht weit entwickelt. Kaum deutlicher konnte dies zum Ausdruck gebracht werden als durch jenen lapidaren Satz des Abtes von Cluny, des caput ordinis Cluniacensis, als es in Statuten des Jahres 1200 um die Einwilligung in die Visitation auch seines Hauses ging  : etiam nos ipsos legi subjicimus.9 Die Einrichtung des Generalkapitels  – begründet durch die Cister­zienser zu Beginn des 12. Jahrhunderts und alsbald zum organisatorischen Standard jedes neu entstandenen Ordens gehörend10  – bot als jährliche Versammlung von allen Vorstehern der einzelnen Häuser (bei den älteren Orden) bzw. der Provinzen wie auch von gewählten Vertretern (bei den Dominikanern) nicht nur die Gewähr des allgemeinen Zusammenhalts und der inneren Einheitlichkeit,   6 Siehe im Überblick neuerdings die luziden Ausführungen von Vorländer, Die Verfassung. Ich bedanke mich bei meinem Dresdner Kollegen Hans Vorländer, mit dem mich auch die gemeinsame Arbeit im Sonderforschungsbereich 537 »Institutionalität und Geschichtlichkeit« verbindet, sehr für wertvolle Anregungen.   7 Die Zitate ebd., 10–12.   8 Nur gewisse Ansätze einer praktizierten Gewaltenteilung findet man  : z. B. bei dem im 13. Jahrhundert zu einem Orden umgeformten Klösterverband der Cluniazenser, wo der nunmehr konstitutionellen Monarchie des Abtes von Cluny namentlich spezifische Aufgaben der Exekutive zuwuchsen, die seitens des vor allem judikativ wirkenden Generalkapitels und dessen Definitoriums festgelegt und kontrolliert wurden. Vgl. Melville, Cluny après ›Cluny‹  ; ders., Reformatio.  9 Charvin, Statuts, Bd. 1, 42. Zum Visitationsverfahren auch gegenüber dem Mutterkloster eines Ordens (z. B. Cluny, Cîteaux, Prémontré) siehe Oberste, Visitation. 10 Vgl. Hourlier, Le chapitre general  ; in Kürze vor allem auch Cygler, Generalkapitel [erschie­ nen 2001].

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sondern war vor allem das Forum einer »volonté collective«,11 die einer exekutiven Zentralgewalt insofern Schranken aufzuerlegen vermochte, als es – wie in der Carta caritatis der Cisterzienser erstmals vorgegeben – eben nur ihr zukam, de salute animarum suarum tract[are], in observatione sanctae regulae vel ordinis  ; si quid emendandum est vel augendum, ordin[are], bonum pacis et caritatis inter se reform[are].12 Die Kompetenzen des Generalkapitels als des universalen Repräsentativorgans eines Ordens aber gründeten stets auf einen Text,13 der hypothetischgenerelle Basisnormen als Ergebnis einer primordialen und prinzipiell konsensual approbierten Satzung vorlegte. Diese deckte normativ alle relevanten Lebensbereiche der jeweiligen Ordensgemeinschaft ab und beanspruchte in prospektiver Weise (und nicht auf Grund von bereits gelebten und somit durch die Praxis ›approbierten‹ Gewohnheiten14) Geltung, ohne dabei zwangsläufig in Widerspruch einerseits zum ius commune, andererseits zur Observanz der jeweiligen Regel geraten zu müssen  : Sie galt im Rahmen des ius commune und praeter regulam als das Rechtscorpus, anhand dessen sich sein Schöpfer, der jeweilige Orden, in korporativer Eigenständigkeit identifizierte und von den anderen Organisationsformen der vita religiosa abgrenzte.15 In eben diesem Sinne ist auch das Eingangszitat des Hostiensis mit seiner dezidierten Verwendung des Begriffes institutiones als Kennzeichnung eines fundamentalen, die spezifischen spirituellen wie organisationstechnischen Leitideen festschreibenden und zugleich in praktische Handlungsvorgaben umsetzenden Ordnungsentwurfes zu verstehen.16 Dem generellen Sachverhalt, daß derartige Satzungen also einen fundierenden Charakter für jeden einzelnen Orden hatten, tat es keinen Abbruch, daß 11 Dieser auch hier zutreffende Begriff bei Michaud-Quantin, Universitas, 284, im Zusammenhang mit einer Charakterisierung von zeitgleichen korporationsrechtlichen Entwicklungen, die unter dem Leitgedanken jenes Satzes aus dem Römischen Recht standen  : Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet. Siehe dazu auch schon Congar, Quod omnes. 12 Les plus anciens textes, ed. de La Croix Bouton / Van Damme, 95. – Zum keineswegs spannungsfreien Verhältnis zwischen Generalkapitel und Abt von Cîteaux siehe Van Damme, Les pouvoirs. 13 Vgl. zu folgenden Feststellungen schon ausführlicher Melville, Ordensstatuten, 693ff. 14 Siehe dazu Schreiner, Verschriftlichung, 43ff. 15 In Bezugnahme auf die entsprechende Pionierleistung der Cisterzienser erläutert diesen Aspekt sehr anschaulich Wollasch, Mönchtum, 177ff. Siehe zudem die vergleichenden historischen Aufrisse von Elm, Orden  ; Melville, Diversa sunt monasteria. 16 Zu dieser Begrifflichkeit schon im kurialen Gebrauch des 12. Jahrhunderts vgl. Dubois, Les ordres religieux.

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die Art des Zustandekommens wie auch die Form der legitimationssstiftenden Verankerung beträchtliche Unterschiede aufwies und daß insbesondere das jeweils konkrete Entstehungsmotiv ebenso der Wille um konstruktive Gestaltung von Erwartungen (z. B. bei den Cisterziensern) oder der Bedarf einer grundlegenden Reform von Bestehendem (z. B. bei den Cluniazensern) wie auch die Bestandserhaltung nach Abtritt der charismatischen Gründergestalt (z. B. bei den Kartäusern, Prämonstratensern oder Grandmontensern) sein konnte.17 Wenngleich den Entstehungsumständen eine hohe symbolische Bedeutung im geltungsstiftenden Sinne zukommen konnte, dürfte für die Rolle dieser Satzungen als wirkliche ›Verfassungstexte‹ wesentlich ausschlaggebender die Tatsache einer fortgesetzten Anerkennung als absolut verbindliche Maß17 Zu den genannten Beispielen  : Bei den dann als Vorbild wirkenden Cisterziensern war es gewissermaßen eine Gruppe von »Gründungsvätern«, die vor 1119 ein Basisdokument (die Carta caritatis) für die künftig zu verwirklichende Lebensform eines gerade erst entstehenden Filiationsverbandes erließen und darin unter Aufruf des ebenso spirituell wie organisationsstrategisch verstandenen Leitbegriffes caritas programmatisch verkündeten  : In hoc ergo decreto praedicti fratres mutuae pacis futurum praevacantes naufragium, elucidaverunt et statuerunt suisque posteris reliquerunt, quo pacto quove modo, immo qua caritate monachi eorum per abbatias in diversis mundi partibus corporibus divisi animis indissolubiliter conglutinarentur (Les plus anciens textes, ed. de La Croix Bouton / Van Damme, 89). Vgl. Mikkers, Charta caritatis. – Demgegenüber schufen die Prämonstratenser in den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts erste Statuten (die sie noch in traditioneller Begrifflichkeit consuetudines nannten), um das Auseinanderfallen ihres bereits bestehenden Verbandes zu verhindern, das vehement drohte, nachdem dessen Gründer und charismatisches wie besitzrechtliches Haupt, Norbert von Xanten, das Amt eines Erzbischofes (im Jahre 1126) angenommen hatte (vgl. dazu Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung). – Analoge Auffangstrategien verfolgten die Grandmontenser nach dem Tod ihres Gründers, Stephans von Thiers († 1124), und satzten zwischen 1140 u. 1155 sogar eine eigene Ordensregel, die sie legitimationsstiftend gleichwohl unter dessen Namen firmieren ließen (siehe direkt dazu Melville, Regula regularum). Vgl. zudem jetzt die Sammlung grundlegender Aufsätze von Becquet, Études Grandmontaines. – Eine gewisse Parallele dazu bestand schon bei den Kartäusern, deren Gründer, Bruno von Köln († 1101), als ebenfalls charismatische Führungsgestalt bei seinem Tod zwar durch sein exemplarisches Leben ein spirituelles propositum, aber außer einem programmatischen Brief keinen normativen Leittext hinterlassen hatte, so daß sich die mittlerweile zahlreichen Häuser an das Mutterkloster (die Grande Chartreuse) mit der Bitte um Richtlinien wenden mußten und sie diese dann auch von dessen Prior Guigo um das Jahr 1127 durch allgemein verbindliche consuetudines im Sinne einer Rechtssatzung erhielten (siehe Hoog, Consuetudines). Vgl. auch Dubois, Les institutions monastiques. – Der Gedanke einer grundlegenden Reform an ›Haupt und Gliedern‹ war dagegen bei den Cluniazensern nach ihrem bereits jahrhundertelangen Bestehen und glanzvollen Wirken (vgl. Wollasch, Cluny) das Motiv, um im Jahre 1200, also in einer Zeit des drohenden Niedergangs, durch ihr Haupt, Abt Hugo V. von Cluny, Statuten setzen zu lassen, die den bislang monarchisch geführten Verband in einen Orden nach mittlerweile üblichem Verständnis umformten (siehe Melville, Reformatio, 255ff. , infra 239ff.).

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gabe bei allen situativen Entscheidungslagen gewesen sein18 – was allerdings Anpassungen und Verbesserungen in Form von Novellierungen oder Ergänzungen nicht ausschloß.19 *** Es waren die Dominikaner, die für die Tragweite dieses Gesichtspunktes den deutlichsten Beleg erbrachten. Mit dem Vermögen ausgestattet, die Erfahrungen von bereits über ein Jahrhundert lang währenden Ordensbildungen nutzen zu können,20 schufen sie zielstrebig und zunächst unter führender Beteiligung ihres Gründers Dominikus (†  1221) in einem sehr dichten rechtsschöpferischen Prozeß21 von 1216 (dem Jahr der päpstlichen Bestätigung der jungen Gemeinschaft als ordo canonicus) bis 1228 ein als constituciones bezeichnetes Statutenwerk.22 Dieses gliederte sich in zwei distinctiones, welche zum einen die Verhaltensregeln im Alltag der Mitglieder samt Devianzen und Sanktionenkatalog, zum anderen die Organisationsstrukturen mit ihren Instanzen, Gremien, Ämtern und Funktionsträgern in der Dreistufigkeit von Konventualund Provinzialprior sowie Generalmagister und parallel dazu von Konventualund Provinzial- sowie Generalkapitel festschrieben. Ein (weitestgehend von den Prämonstratensern übernommener23) Prolog­ text unterstrich das Prinzip der Einheitlichkeit im Orden und zeigte von daher ausdrücklich die Notwendigkeit einer primordialen Verschriftlichung des Nor18 Vgl. Vorländer, Verfassung, 16f. 19 Siehe hierzu schon den breiten Überblick bei Cygler, Ausformung. 20 Noch Humbert de Romanis (Generalmagister von 1254–1263) stellte ausdrückliche Vergleiche mit anderen Ordensgemeinschaften an, als es ihm darum ging, die organisatorische Eigenart seines Ordens näher zu bestimmen  ; siehe Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 2  : Sciendum autem quod compilator hujus opusculi diligenter respexit statuta religionum diversarum antiquarum et approbatarum in Ecclesia Dei, videlicet Cisterciensium, Carthusiensium, Sancti Victoris, Fratrum Minorum, Templariorum, et aliorum multorum, ut ex experientia quam habuit in multis et variis negotiis Ordinis, et ex tantarum auctoritate religionum, securius diffiniret de iis quae ad religionis naturam pertinere noscuntur. Ähnliches ebd., passim. Vgl. Dubois, Les Ordres monastiques. 21 Dazu schon Galbraith, Constitution, 34ff.; Mandonnet, Saint Dominique, 203ff.; Hinnebusch, History, 169ff.; Vicaire, Histoire, 199–233  ; jetzt vor allem aber Tugwell, Notes. 22 Siehe Text und Kommentar bei  : De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas  ; vgl. aber auch schon Denifle, Constitutionen.  – Zur Bezeichnung constituciones vgl. Gauthier, Le pouvoir législatif, 305ff. – Es sei darauf hingewiesen, daß man verzichtete, dieses Statutenwerk – anders als früher noch z. B. die Cisterzienser bezüglich ihrer Carta caritatis – vom Papsttum approbieren zu lassen. 23 Siehe zu den prämonstratensischen Vorlagen Thomas, Les constitutions dominicains.

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mensystems auf, das daraufhin mutare vel addere vel minuere nulli quicquam propria voluntate liceat.24 Zudem umriß eine Präambel25 das abschließende Satzungsgeschehen auf dem capitulum generalissimum zu Paris 1228 unter Hervorhebung der Konsensualität ([…] quasdam constitutiones ad utilitatem et honestatem et conservationem ordinis, premissa diligenti examinatione, unani­ miter et concorditer ediderunt […]) wie auch der Autorisation des Gremiums, ausgestattet mit potestas plenaria zu bestimmen, was de cetero firmum ac stabile permaneret.26 Darüber hinaus verstärkte man dort sogar noch den fundierenden Charakter der Konstitutionen, indem durch explizite Selbstbindung der rechtsschöpfenden Instanz eine Reihe von Normen künftig entweder gänzlich einer Aufhebung entzogen (Inter constitutiones autem quasdam voluerunt invio­ labiliter et immutabiliter in perpetuum observari […]) oder deren Veränderung allein an Entscheidungen eines weiteren, prinzipiell als Ausnahme geltenden capitulum generalissimum gebunden wurden.27 Unter diesen befanden sich zwei Bestimmungen,28 die unmittelbar die Prozeduren der Rechtsfortschreibung betrafen, nämlich als unveränderlicher Rechtssatz  : […] et quod non possit per fratres diffinitores prioribus provincialibus neque per priores fratribus in suis diffinitionibus in aliquo preiudicium generari, und als nur durch ein capitulum generalissimum aufhebbare Norm  : […] de consti­ tutionibus non faciendis nisi per tria generalia capitula fuerint approbate. Beide ergänzten sich in der gemeinsamen Absicherung des ebenfalls in jenem Statutenwerk festgelegten Grundprinzips, gemäß dem das künftige legislatorische Wirken folgendermaßen vonstatten gehen sollte  : Nach dem Willen der ›Väter‹ der Konstitutionen setzten sich die jährlichen Generalkapitel zweimal nacheinander aus einfachen Brüdern (in der Terminologie des Ordens  : aus subditi), die auf den Provinzialkapiteln als Definitoren ausgewählt worden waren, und dann beim dritten Mal aus den Provinzialprioren (den prelati) zusammen. Jeder novellierende Eingriff in die Konstitutionen bedurfte fürderhin – unabhängig 24 De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 311. Zur späteren Kommentierung dieser bedeutsamen Bestimmung durch Humbert de Romanis vgl. Schreiner, Verschriftlichung, 40f.; Melville, Schriftlichkeit, 391f. 25 De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 309f. 26 Allerdings wurde von vorneherein den praelati des Ordens ein weites Dispensrecht eingeräumt. Siehe dazu den Kommentar Humberts  : Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 18ff. und – insbesondere hinsichtlich der Dienlichkeit eines Dispens für das stu­ dium – 46f. 27 Zu diesen substantialia Ordinis vgl. Gauthier, Le pouvoir législatif, 115ff. 28 Zur ersten Gruppe gehörten ferner das Gebot der Besitzlosigkeit und das Verbot von Appellationen, zur zweiten zudem das Reit-, Vorratshaltungs- und Fleischverbot.

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davon, wann er begonnen wurde  – des kompletten Durchgangs durch einen gesamten Zyklus von Generalkapitel in Form einer dreifachen Lesung, inchoa­ tio, approbatio und confirmatio, so daß Gewähr für die stete Mitwirkung beider Gruppen bestand.29 Um dem Orden Stabilität zu verleihen, wurde also auf die verantwortungsvolle Einbindung von allen (zumindest durch Delegation vertretenen) Mitgliedern gesetzt, bei der zwar Ablehnungen von Novellierungsinitiativen möglich waren, indes das Verbot separaten Präjudizierens folgerichtig von vorneherein zum unverbrüchlichen Rechtsbestand erhoben werden mußte.30 Es ist Léo Moulin gewiß zuzustimmen, wenn er angesichts der ausgeklügelten ›organisation capitulaire des Frères Prêcheurs‹ sagt  : »Il est inutile de faire marquer à quel point elle l’emporte, en complexité, en régularité et en efficacité sur les institutions civiles, encore bien embryonnaires, de cette époque«  ;31 zumal die vergleichende Feststellung im großen Ganzen ebenfalls auf die sonstigen Formationen der vita religiosa selbst bezogen werden kann. Gleichwohl zeigte jene anscheinend so perfekte dominikanische ›organisation capitulaire‹ auch ihre deutlichen Grenzen  – und zwar weniger hinsichtlich ihrer praktischen Leistungsfähigkeit, denn hierfür waren die Dominikaner allen historischen Befunden nach zu große Meister einer flexiblen Pragmatik, als vielmehr auf Grund jener rechtssystematischen Ebene legislatorischer Kompetenz und Geltungssicherung, die der Orden bei seinem Bemühen um ein hinreichend fundierendes Normensystem mit bemerkenswerter Rigorosität selbst entworfen hatte. Eine wesentliche Rolle spielten hierbei drei Faktoren, die kurz noch einmal verdeutlicht werden müssen  : die Dauer, die zuständige Instanz und die Materie der legislativen Prozedur. So hieß es im entsprechenden Absatz der Konstitutionen über die Rechtsfortschreibungspraxis wörtlich  : Et ut multitudo constitutionum vitetur, prohibemus ne aliquid de cetero statuatur, nisi per duo capitula continua fuerit approbatum. Et tunc in tertio capitulo immediate se­ 29 De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 344. Vgl. auch Galbraith, Constitution, 89ff.; Hinnebusch, History, 176ff., Gauthier, Le pouvoir législatif, 296ff.; zum Vergleich mit anderen Orden siehe Jassmeier, Mitbestimmungsrecht. 30 Dazu, aber auch zu dennoch nicht immer problemlosen Abläufen, die hier noch anzusprechende Schwachstellen der Organisationsstruktur verdeutlichen, vgl. Melville, Fiat secretum scrutinium. 31 Moulin, Le pluricaméralisme, 54. Es darf dabei nicht übersehen werden, daß dem Generalkapitel  – ausgestattet mit plena potestas  – auch judikative Aufgaben in der Funktion als höchstes Gericht des Ordens zukamen  ; vgl. Galbraith, Constitution, 104f.

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quente poterit confirmari vel deleri, sive per priores provinciales sive per alios diffinitores, ubicumque illud tertium capitulum teneatur.32

Den Nutzen, der in dieser Vermeidung ausufernder Satzungen lag, unterstrich Humbert de Romanis einige Jahrzehnte später in seinem Konstitutionenkommentar noch einmal, fügte aber auch an, daß die dreimaligen Lesungen im besonderen dazu beitrügen, eine größere discretio zu erreichen, denn was in der längeren Zeitspanne von mehreren collationes und unter Beteiligung einer größeren Zahl von Entscheidungsträgern geprüft werde, werde auch besser erörtert.33 In diesem Sinne bekräftigte er die mittlerweile auch strikt befolgte Vorschrift, daß die Berechtigung zum satzenden Umgang mit den Konstitutionen tatsächlich einzig und allein beim Generalkapitel lag  : […] quod constitutio non posset fieri nisi per capitulum, et intelligendum est de Generali, quia cum fit sermo de communi bono Ordinis, capitulum de quo fit ibi mentio debet intelligi commune capitulum Ordinis  : hoc autem est Generale. Melius tamen et planius fuisset quod expressa fuisset ibi mentio facta de Generali. Et nota quod per hoc datur intelligi quod nec prior aliquis, nec Magister, nec capitulum aliquod quod non sit gene­ rale, potest facere constitutionem, – mit der Präzisierung  : […] quod non potest fieri per unicum capitulum  : immo oportet quod ad minus concurrant tria.34

Der hier angeführte Aspekt der Kongruenz zwischen commune bonum und com­ mune capitulum des Ordens aber war wiederum in Verbindung mit einem weiteren Grundsatz zu sehen. Es dürfe keine partikular oder von vorneherein nur temporär von den Generalkapiteln zu satzende Konstitutionen geben – führte Humbert aus –, vielmehr gelte sowohl  : Nunquam autem debet fieri constitutio nisi de eo quod communiter est bonum per totum Ordinem, – als auch  : […] de iis enim quae utilia sunt toti Ordini ad tempus, et non sunt servanda perpetuo, non oportet fieri constitutiones.35

32 De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 344. 33 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 57–59, wobei er sich freilich auf die zweite Redaktion der Konstitutionen (dazu noch unten) bezog, die den zitierten Wortlaut der ersten Redaktion gleichwohl unverändert in ihren neu gefaßten Prolog übernommen hatte  ; siehe die Edition von Creytens, Constitutions, 29f. 34 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 59. 35 Ebd., 57.

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Folgerichtig hieß es schließlich, daß nur das als constitutio zu bezeichnen sei, quod redigitur in scripto in Libro Constitutionum,36 denn eben dieses Werk allein wurde nicht nur im instrumentellen, sondern durchaus auch im symbolischen Sinne37 als das ordensweite Fundament angesehen, das die Fortdauer dominikanischer Identität garantieren ließ.38 Dieser Stellenwert der Konstitutionen, für deren Verbreitung der Orden im übrigen höchste Sorge trug,39 hatte für die praktische Arbeit der Generalkapitel zur Konsequenz, daß die Rechtsfortschreibung identisch sein mußte mit direkten Eingriffen in den bereits vorliegenden Textbestand. Die Dominikaner entwickelten hierbei eine beachtliche Perfektion, wie durch ein Beispiel veranschaulicht werden kann  : Im Konstitutionentext hieß es zu Beginn des Abschnittes De electione prioris conventualis zunächst  :40

36 Ebd., 60, mit der nachfolgenden Erläuterung  : Nec hujusmodi constitutiones particulares pro­ hibentur sic fieri ab ista constitutione, quia ista constitutio non loquitur nisi de communibus constitutionibus totius Ordinis. 37 Siehe dazu in Kürze Cygler, Symbolizität [erschienen 2001]. 38 Wie eingangs schon allgemein angerissen, muß dies freilich in der systematischen Abgrenzung praeter regulam (Augustini) verstanden werden. Siehe dazu Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 8, und ausführlicher dessen Regelkommentar  : Expositio regulae b. Augustini, ed. Berthier  ; vgl. Creytens, Les commentateurs dominicains.  – Ferner muß in Rechnung gestellt werden, daß das gesamte positive Recht des Ordens  – also insbesondere die constituciones – nicht ad culpam (es sei denn einerseits bei Vorliegen eines preceptum, das Gehorsam erheischte, oder andererseits bei contemptus einer Norm), sondern nur ad poenam verpflichtete. Siehe Creytens, Constitutions, 29  ; Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 45ff. Vgl. zu diesem eigentümlichen und keineswegs forscherlich hinreichend analysierten Normenverständnis der Dominikaner Meersseman, La loi purement  ; Gauthier, Le pouvoir législatif, 312ff. Zum Schuldverständnis im ius commune siehe grundlegend Kuttner, Schuldlehre, speziell zu contemptus, 29ff. 39 Dahinter stand die lapidare Richtigkeit der Humbert’schen Frage  : Quid enim prodest agenda scripto commendasse, si scriptum nesciatur  ? Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 10. – So war z. B. bei Aufnahme in den Orden Gehorsam gegenüber Generalmagister und zuständigem Konventualprior secundum regulam beati Augustini und (!) den institutiones fratrum ordinis Predicatonem zu geloben  ; siehe die Konstitutionentexte bei  : De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 327  ; Creytens, Constitutions, 41 mit Hinweis auf eine Korrektur in constitutiones. Vgl. Thomas, La profession religieuse  ; Tugwell, Dominican Profession. 40 Der hier angesprochene Ausgangspunkt war noch die Textfassung der 1. Redaktion (siehe De oudste constituties van de Dominicanen, ed. Thomas, 359)  ; allerdings schon mit der Erweiterung secundum formam canonicam, wie sie dann auch in der 2. Redaktion zu finden ist (siehe Creytens, Constitutions, 49.) – Zur Wahl des Konventualpriors siehe Galbraith, Constitution, 45f.

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Priores conventuales a suis conventibus secundum formam canonicam eligantur et a priore provinciali, si ei visum fuerit, confirmentur, sine cuius licentia de alio conventu eligendi non habeant potestatem.

Das Generalkapitel von 1240 initiierte (inchoatio) dann folgende Novellierung in Form einer Ergänzung  : Ubi dicitur in constitucione de priore conventuali eligendo. secundum formam cano­ nicam eligatur [sic  !]. addatur. videlicet a maiori parte medietate eligencium. vel per compromissionem vel per communem inspiracionem. aliis iuris subtilitatibus relegatis. quod similiter in electione magistri ordinis. et priorum provincialium observetur.

Das nachfolgende von 1241 approbierte die Einfügung in nochmals wörtlichem Aufgriff und mit der Anmerkung  : Et hec habet .ii. capitula  : Und in analogem Vorgehen konfirmierte das Generalkapitel von 1242 schließlich den neuen Text mit der Feststellung  : Et hec habet .iii. capitula.41 Die somit von da an in dieser veränderten Form geltende Constitutio de priore conventuali eligendo wurde indes durch die Generalkapitel von 1264–1266 mit der gleichen Technik erneut erweitert, so daß nun nach den Worten subtilitatibus relegatis der 1240 iniziierten Ergänzung auch eine längere Passage über die Publikationsform der Wahl Eingang fand.42 Schon 1270–1272 schritt man zu einer erneuten Änderung, indem man verfügte, eine Formulierung  – jetzt nach den Worten si ei visum fuerit, confirmentur – zu streichen und durch eine andere zu ersetzen  : In capitulo de electione prioris conventualis. ubi dicitur. si ei visum fuerit. confirmetur [sic  !]. deleatur totum quod sequitur. usque ibi conventus autem qui petit. etc. et dicatur sic. idem eciam fit si aliquis a maiori parte illorum. ad quos spectat electio. de alio con­ ventu fuerit postulatus.43

Weitere Novellierungen folgten nach bzw. wurden schon vorher an anderen Stellen des Abschnittes vorgenommen.44 Obgleich z. B. während des Zeitraumes von 1243 bis 1294 insgesamt 448 in­ choaciones eingebracht worden sind, von denen das jeweils dritte Generalkapitel 41 Der gesamte Vorgang bei Reichert, Acta, 14, 19 u. 21. 42 Ebd., 124, 127, 132. 43 Ebd., 161f. bzw. 152f. u. 157 (die vorangegangenen Akte der inchoatio und approbatio). 44 Einen guten Überblick vermitteln die Fußnoten in der Edition von Creytens, Constitutions, 49.

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immerhin 220 durch confirmaciones akzeptierte,45 wäre es dennoch verfehlt anzunehmen, eine derartige Technik der Hinzufügungen, Streichun­gen oder Änderungen habe das Konstitutionenbuch zu einem sog. offenen Text – vergleichbar mit den Praktiken etwa in der Historiographie jener Zeit46 – gemacht. Im Gegenteil  : Die skizzierten Regeln des Novellierungsverfahrens sorgten gerade dafür, daß ein zwar laufend aktualisierter, dennoch stets authentischer und mit Geltung versehener Textbestand vorlag, dessen jeweils neueste Formulierungen ebenfalls ordensweit zu publizieren man sich intensiv bemühte.47 So bedurfte es auch nach einer kurzen Anlaufsphase seit 1228 nur einer einzigen redaktionellen Gesamtüberarbeitung der Konstitutionen, die von Raimundus de Peñaforte (Generalmagister 1238–1240) vor allem in Form einer sachgemäßeren Umstellung der Stoffgebiete (und natürlich unter Aktualisierung des Rechtsbestandes) durchgeführt und auf dem Generalkapitel von 1241 angenommen wurde48 – die aber zugleich das strikt gegliederte Textraster der Rechtssätze gleichsam ›einfror‹, so daß einer künftigen Rechtsfortschreibung jegliche darüberhinaus führende materielle Erweiterung versagt blieb. ***

45 Da in dem genannten Zeitraum der inchoationes zwei Generalkapitel (bzw. hinsichtlich der confirmaciones bei entsprechender Zeitverschiebung drei) ausfielen, handelte es sich um 50 Sitzungen, so daß die gerundete Jahresdurchschnittszahl der inchoationes bei 9 und die der confirmaciones bei 4,4 lag  ! 46 Siehe Melville, Problème des connaissances. – Parallelen lassen sich eher, keineswegs aber in dieser Stringenz, bei der legislatorischen Aktivität italienischer Städte jener Zeit feststellen  ; vgl. Busch, Verschriftlichung. 47 So hieß es z. B. in einem Beschluß des Generalkapitels von 1245  : Mandamus quod in quolibet conventu sit unus quaternus in quo scribantur singulis annis acta capituli generalis et provincialis. et quater in anno legantur. nec deleantur nisi fuerint revocata – oder von 1266  : In quolibet con­ ventu habeatur unus liber. in quo acta capitulorum generalium et provincialium integre conscri­ bantur  ; Reichert, Acta, 41, 32 u. 135. Wie die handschriftliche Überlieferung zeigt, konnte die Aktualisierung vor Ort auch durch Marginaleinträge oder Streichungen in einem Konstitutionencodex vor sich gehen  ; siehe dazu die Fußnoten der Edition von Creytens, Constitutions, 29ff. Zudem gab es auf den neuesten Stand gebrachte Gesamtfassungen, deren zwei noch überlieferte (aus den Jahren 1259 [eine approbierte Version] u. 1358–63) Galbraith, Constitution, 193ff., beschrieben und die spätere ediert hat. 48 Vgl. die Erläuterungen von Denifle, Constitutionen  ; Creytens, Constitutions, 5ff. – Insbesondere die oben als Beispiel angeführte Novellierungsinitiative von 1240–1242 zeigt, daß sogar unmittelbar beim Übergang zur Redaktion Raimunds die legislatorische Tätigkeit ohne Einschränkung fortgeführt wurde  ; siehe dazu schon Anm. 40 und Mandonnet, St. Dominique, 208f.

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Andere Orden waren hierin flexibler. – Dies gilt insbesondere für die Cisterzienser, die schon vor Abschluß der redaktionellen Arbeit am (ihren Orden fundierenden) Text der Carta caritatis49 materiell weiterführendes Recht durch die Generalkapitel formen ließen und dieses, als Instituta generalis capituli zusammengefaßt, um 1134 unter der bezeichnenden Formulierung promulgierten  : […] haec capi­ tula instituerunt, et per universam congregationum nostrarum fraternitatem tenenda decreverunt.50 Da sich die jährlichen Generalkapitel insbesondere jenem auf sie bezogenen Richtsatz der Carta caritatis – si quid emendandum est vel augendum, ordin[are]51 – weiterhin verpflichtet fühlten, führte ihre legislatorische Tätigkeit nach einigen Jahrzehnten zu einer kaum mehr überschaubaren Fülle normativer Vorgaben, so daß zu Beginn des 13. Jahrhunderts zwangsläufig das einsetzen mußte, was man treffend als »l’ère des grandes codifications cisterciennes«52 bezeichnen kann. In ihr faßte man mit Hilfe eigens gebildeter Kommissionen und unter dem Leitgedanken einer retractatio et compilatio diffinitionum et ordinatio53 die wichtigsten Beschlüsse der Generalkapitel durchschnittlich alle 21 Jahre zu Libelli definitionum zusammen, die einander als jeweils neben Regel und Carta caritatis aktuell geltende Rechtscorpora ablösten. Für die Offenheit der Rechtsfortschreibung war signifikant, daß diese Libelli zwar nach einem immer wieder aufgegriffenen System von 15, den Stoff ordnenden distinctiones54 eingeteilt waren, daß indes die 15. Distinktion bis zum Jahre 1237 allein für materiell noch nicht zu integrierende addenda vorbehalten blieb.55 Ähnlich frei gingen die Prämonstratenser vor.56 Zwar besaßen sie außer der Augustinusregel keinen Text von der Tragweite einer Carta caritatis, gleichwohl 49 Vgl. oben Anm. 17. Den Abschluß bildete die sog. Carta caritatis posterior, die erstmals im Jahre 1152 approbiert wurde  ; siehe Giugnard, Monuments primitifs, 77–84. Weitere Basistexte waren die Ecclesiastica officia und der Usus conversorum  ; vgl. dazu neuerdings Cygler, Ausformung, 19 mit Angaben von Editionen und Literatur. 50 Séjalon, Nomasticon Cisterciense, 212–233, das Zitat 212. Zur (nicht unumstrittenen) Datierung vgl. Altermatt, Le patrimoine cistercien, 278. 51 Siehe oben bei Anm. 12. Vgl. auch Mahn, L’ordre cistercien, 243ff. 52 Siehe Lucet, L’ère. Vgl. zum Folgenden jüngst ausführlicher und mit Angabe der einschlägigen Editionen auch Cygler / Melville / Oberste, Aspekte, 223ff. u. 239ff. 53 So in einem Beschluß des Generalkapitels von 1234 zur Einsetzung einer Kommission  ; Canivez, Statuta, Bd. 2, 131f. Vgl. auch ebd., 424. 54 Dazu hieß es in einem Prolog  : Ut de facili quod queret lector inveniat diligenter attendat subse­ quentes distinctiones institutionum quindecim esse quarum singule proprias habent prenotationes quibus innuitur unde tractent  ; Les codifications cisterciennes de 1237 et 1257, ed. Lucet, 205. 55 Ab 1237 wurde die 15. Distinktion dann zur Rubrik, unter der man Bestimmungen de monia­ libus einordnete  ; siehe ebd., 348–357. 56 Die Tatsache, daß kaum Protokolle der Generalkapitel überliefert sind, erschwert allerdings

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hatten sie in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein grundlegendes Statutenwerk verfaßt, das dann um 1154 durch Schaffung von vier distinctiones neu geordnet wurde. Hier schon war ebenfalls die letzte distinctio weiteren, vom Generalkapitel vorzunehmenden Ergänzungen des Rechtsbestandes vorbehalten  : In hac quarta distinccione quedam, que in generali Capitulo, communi consilio, pro con­ servacione ordinis, sunt posita, possunt reperiri, et si qua, pro diversitate emergencium accionum, postmodum fuerit ordinata, hic competenter poterunt inseri.57

Angesichts vielfältiger neuer Entscheidungslagen trat das als voraussehbar eingeschätzte si qua […] postmodum fuerit ordinata tatsächlich ein, so daß man sich gezwungen sah, unter auswählender Aufnahme von wichtigen Definitionen das angeschwollene Statutenwerk mehrfach – und zwar in den Jahren 1174, 1222, 1236/38 und 1290 – neu zu fassen. Über ihren Basistext  – die Consuetudines Guigonis58  – hinausgreifend, erweiterten auch die Kartäuser durch entsprechende Aktivitäten des Generalkapitels59 (wenn auch nicht in dem Ausmaß wie andere Orden) fortlaufend die legislatorisch erfaßte Rechtsmaterie. Doch anders als die Cisterzienser und Prämonstratenser erstellten sie nicht jeweils eine neue Kodifikation, sondern kompilierten gleichsam aktuelle und mit eigenen Namen versehene Sammlungen durch Integration neuer Rechtssätze in das Spektrum alter.60 Die Cluniazenser, die um 1200 im Zuge einer erstmals organisationsbezogenen Rechtssatzung das regelmäßig tagende Generalkapitel eingeführt hatten,61 traten rechtsschöpferisch vor allem mit mehrfachen Abfassungen von jeweils



eine Rekonstruktion der legislatorischen Strukturen beträchtlich. Vgl. zu Folgendem Cygler, Ausformung, 20f. u. 34ff. mit ausführlichen Angaben zu Editionen und Literatur, und schon hier oben Anm. 17  ; siehe auch Krings, Ordensrecht. 57 Les statuts de Prémontré au milieu du xiie siècle, ed. Lefevre / Grauwen, 1. 58 Siehe oben bei Anm. 17. 59 Vgl. Moulin, L’assemblée  ; Simmert, Geschichte der Generalkapitel. 60 So waren z. B. die Consuetudines Basilii von 1170 das Ergebnis einer verschränkten Zusammenfügung der vorausgegangenen Consuetudines Antelmi (1141/51) mit mittlerweile erfolgten Definitionen des Generalkapitels und dann die Statuta Jancelini von 1222/23 eine analoge Kompilation von den Consuetudines Basilii plus Supplementa ad Consuetudines Basilii plus mittlerweile erfolgter Definitionen, und so fort. Siehe dazu ausführlicher mit Angabe der Editionen Cygler, Ausformung, 22f. u. 46ff.; ders., Vom ›Wort‹ Brunos. 61 Siehe oben bei Anm. 17.

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durch neue Reformansätze geprägten Statutentexten62 auf, welche allerdings nur in geringem Maße auf die Tätigkeit jenes, hier vor allem judikativ und administrativ wirkenden Repräsentativorgans zurückzuführen waren. Erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurden durch das Generalkapitel mehrfach diffi­ nitiones generales im legislativen Sinne erlassen,63 die dann bei der Abfassung eines weiteren Statutenwerks im Jahre 1301 – folgt man dem dortigen Prolog – zumindest als Rechtsquellentyp Beachtung gefunden haben.64 Bereits dieser rasche Blick auf andere Orden dürfte verdeutlicht haben, daß diese einen recht flexiblen Umgang mit ihrem Rechtsbestand insofern pflegen konnten, als sie nicht gehalten waren, sich nur durch fortlaufende Novellierungen eines Grundordnungstextes legislatorisch zu betätigen.65 Die Menge der verabschiedeten Rechtssätze entsprach zwar in ihren normativen Zielen den Leitideen eines jeweils vorliegenden Ordnungsentwurfes, doch war sie angesichts der diversitas emergencium accionum – wie es paradigmatisch bei den Prämonstratensern hieß66  – in sich wandlungsfähig sowie offen für bislang noch nicht erfaßte Materien und führte folglich zu wiederholter Neugestaltung authentisierter Rechtskodifikationen oder -kompilationen, die sich in ihrer Geltung jeweils ablösten. *** Die Dominikaner waren sich nicht minder der grundsätzlichen Wandelbarkeit positiven Rechts bewußt. Nicht nur hatten sie mit Thomas von Aquin und Humbert de Romanis darin sogar entscheidende Vordenker,67 sondern gerade auch die fortgesetzte Arbeit an ihren Konstitutionen selbst belegt dies. Doch die Andersartigkeit der Verfahrensweisen bei sonstigen Orden verweist auf eine 62 Siehe Charvin, Statuts, Bd. 1, 40ff. Nach 1200 bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts erfolgten Satzungen nochmaliger Statutenwerke in den Jahren 1205/06, 1276, 1277 (nur für englische Klöster), 1301 u. 1314. Pinkl, Neuorganisation  ; Cygler / Melville / Oberste, Aspekte, 228ff. 63 Charvin, Statuts, Bd. 2, z. B. 9  ; 25ff.; 40f.; 61f.; 75f.; 91  ; 118f. 64 Ebd., 1,70. – Erst am Ende des 14. Jahrhunderts wurde eine Sammlung von Definitionen zur Grundlage neuer Statuten gemacht  ; siehe Cygler, Compilatio diffinitionum. 65 Ungeachtet dieses Sachverhaltes führten die Cisterzienser nach 1265 die zweifache (siehe Canivez, Statuta, Bd. 3, 27), die Kartäuser 1271/72 ebenso die zweifache (siehe Amerbach, Statuta, 216) und die Prämonstratenser 1290 die dreifache Lesung (siehe Le Paige, Bibliotheca, 818) von neuen Rechtssatzungen ein. 66 Wie Anm. 57. 67 Vgl. Gagnér, Studien, 261ff.; Fieback, Necessitas.

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wesentlich subtilere Problemstellung  : Wenn die Dominikaner Recht nur innerhalb jenes gleichsam eingefrorenen Textrasters des Liber constitutionum fort schreiben konnten, dann rekurrierten sie zwar einerseits auf eine schriftliche Grundordnung, deren unausweichliche Geltung tatsächlich den normativen Ansprüchen einer ›Verfassung‹ im engeren Sinne mit all deren Stabilisierungspotentialen zu entsprechen scheint, andererseits liefen sie damit aber in Gefahr, nicht auf speziell zeitbedingte und oftmals dringliche oder auch ganz neuartige Sachlagen legislativ reagieren zu können, deren Entscheidungsbedarf jenseits des Textrasters stand und somit nicht durch Novellierungen lösbar war. Denn gemäß der Rechtstheorie der Dominikaner durfte, wie schon hervorgehoben, eine vom Generalkapitel verabschiedete Einzelsatzung, eine constitucio, weder – etwa in der Funktion eines separaten Ausführungsgesetzes – außerhalb des Li­ ber constitutionum verbleiben, noch durfte sie von temporärer oder partikularer Geltung sein.68 Die Dominikaner lösten dieses Problem recht pragmatisch, indem sie neben der Novellierungstätigkeit eine zweite regulative Ebene herausbildeten, aber sie gerieten dabei in Begründungszwänge und Definitionsschwierigkeiten, um welche im Orden augenscheinlich eine sehr grundsätzliche Debatte geführt wurde. Eine nähere Betrachtung dieser Strukturen dürfte also erhellende Einblicke in die prinzipiellen Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsgestaltung mittelalterlicher Orden eröffnen  – und angesichts deren Fortschrittlichkeit wohl auch darüber hinaus. Zunächst ganz skizzenhaft einiges zur Praxis  : Seit dem Jahre 1233 verkündeten die dominikanischen Generalkapitel fortlaufend und im Rahmen jeweils nur einer einzigen Zusammenkunft (also ohne drei Lesungen  !) sog. admonicio­ nes bzw. ordinaciones.69 Diese folgten, nachdem dann ab 1240 die Tagesordnung feste Formen angenommen hatte, stets auf die eröffnenden drei Lesungen der Konstitutionennovellierungen und von 1243 an gewöhnlich mit Rubri68 Vgl. oben bei Anm. 35f. Es sei in diesem Zusammenhang aber noch einmal auf das recht weite Dispensrecht im Orden hingewiesen  ; siehe oben Anm. 26. 69 Reichert, Acta, 3ff. Neben knappen Skizzierungen von Galbraith, Constitution, 104 und Hinnebusch, History, 179f. ging bislang nur Gauthier, Le pouvoir législatif, 79ff. ausführlicher auf dieses Phänomen ein, ohne indes die rechtssystematische Problematik in ihrer Tragweite zu erfassen. – Im übrigen sei vermerkt, daß auch die Generalkapitel der Kartäuser (in Nachahmung der Dominikaner) admoniciones erließen und dazu 1271/72 festlegten  : Et hujusmodi admonitiones non inserantur inter constitutiones, sed in cedulis vel quaternis aliis po­ terunt reservari  ; Statuta antiqua ordinis cartusiensis, ed. Amerbach, Nachdruck von Hoog, Evolution I, 217. Siehe dazu Cygler, Vom ›Wort‹ Brunos, 105f.

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zierungen wie Hee sunt admoniciones noch vor den judikativen Erlassen über strafrechtliche oder administrative Einzelfälle. Sie überstiegen in ihrer Menge die Zahl der Novellierungsinitiativen beträchtlich  : Im Zeitraum von 1243 bis 1294 waren es z. B. 747 admoniciones gegenüber 448 inchoaciones und 220 darauf bezogenen confirmaciones in der gleichen Spanne.70 Die Spitzenzahl eines einzelnen Generalkapitels lag zweimal (1259 und 1274) bei 35 admoniciones  ; nur zweimal wurde die Zahl 5 unterschritten (1248 und 1262)  ! Insbesondere aber wiesen sie ebenso inhaltlich wie funktional eine weitgestreckte Bandbreite auf.71 Zur Veranschaulichung mögen einige Beispiele genügen. Der überwiegende Teil von ihnen ergänzte im Sinne einer Spezifizierung oder Erweiterung normative Vorgaben des Liber constitutionum ohne direkte textliche Bezugnahme, aber selbstredend ohne Widersprüchlichkeit  : So verfügte man z. B. 1244 hinsichtlich von Abtrünnigen  : Monemus priores. ne in scandalum ordinis nostri. fugitivos et apostatas nostros in aliis religionibus stare. vel alibi vagari permittant. sed utantur contra eos privilegiis ordini nostro concessis. Im entsprechenden Text der Konstitutionen war hingegen nur die Rede von Maßnahmen der Wiedereingliederung von Apostaten.72 – Im selben Jahr lautete eine andere admonicio  : Suppriores non dentur socii prioribus suis ad capi­ tulum generale vel provinciale. Ihr standen nur folgende Formulierungen der Konstitutionen gegenüber  : Capitulum autem provinciale appellamus priores con­ ventuales cum singulis sociis a capitulo suo electis et predicatores generales – bzw.: Priori vero provinciali eunti ad capitulum generale detur socius a diffinitoribus provincialis capituli.73 Von dem genannten Verbot, einen Subprior zum Begleiter von Prioren bei Provinzial- oder Generalkapitel zu machen, fand sich dort also nichts. – 1245 hieß es in einer admonicio, daß ein Konverse nicht zum Kleriker gemacht werden dürfe  ; im einschlägigen Abschnitt des Liber constitutionum stand darüber kein Wort.74  – 1265 legte man in Form einer admonicio einen recht präzisen Katalog der Kontrollziele von Visitatoren bezüglich des Studiums in den Konventen fest  – vor dem Hintergrund nur sehr allgemeiner, sich allein auf 70 Vgl. oben bei Anm. 45. 71 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß unter dem Begriff admonicio auch analoge Festlegungen der Provinzialkapitel oder sogar einzelner praelati des Ordens gefaßt wurden. Vgl. Gauthier, Le pouvoir législatif, 95ff. Hier kann es aber nur um jene der Generalkapitel gehen. 72 Vgl. Reichert, Acta, 29  ; Creytens, Constitutions, 46f. 73 Vgl. Reichert, Acta, 29  ; Creytens, Constitutions, 55f. u. 59. 74 Vgl. Reichert, Acta, 32  ; Creytens, Constitutions, 67f.

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die excessus priorum conventualium et fratrum beziehender Richtlinien in den Konstitutionen.75 Neben solchen signifikanten Einzelbeispielen sei unter vielen anderen aufgegriffenen Themenbereichen – wie Liturgie, Beichte, Studium, Verhältnis zur Römischen Kurie, Bücherbenutzung, Leben im Konvent usw.  – schließlich noch pauschal ein normativer Sektor hervorgehoben, der für das Funktionieren administrativer Abläufe von Bedeutung war  : Nahezu der gesamte Umgang mit dem Geschäftsschrifttum (die Regulierung der brieflichen Kommunikation, die Briefformulare, der Gebrauch von Siegel, die Erstattung von schriftlichen Berichten oder die Versendung von Protokollen usw.) wurde über admo­ niciones gesteuert76 und damit erst das gewährleistet, was bei den damaligen Verhältnissen für eine überregionale Organisation herausragende Modernität bedeutete.77 Blickt man allein auf die Art und Weise der Formulierung, so scheint ein großer Teil der admoniciones tatsächlich nur aus nachdrücklichen lebenspraktischen Empfehlungen bestanden zu haben, wie etwa – um zwei Beispiele herauszugreifen – hinsichtlich einer Vermeidung von Beunruhigung der Mitbrüder in Kriegszeiten oder bezüglich des Verhaltens gegenüber dem Weltklerus  : [Monemus] quod caveant fratres clerici. et conversi. ne referant fratribus in domo. sedi­ ciones civitatum vel pericula bellorum vel guerrarum. que viderint vel audierint extra claustrum. vel alia que animos fratrum audiencium. ad contenciones vel disputaciones inutiles. valeant concitare

– bzw. Caveant fratres ubique. ne prelatis vel clericis. dent materiam turbacionis vel scandali. sed pocius eos habeant in reverencia et honore. et inducant populum sicut commode poterunt ad devocionem erga eos […]78

Hingegen waren andere  ; kaum weniger häufige admoniciones in durchaus rigidem Ton gehalten und manche zudem ausdrücklich mit einer Strafandrohung 75 Vgl. Reichert, Acta, 129f.; Creytens, Constitutions, 62. 76 Siehe z. B. Reichert, Acta, 5–7  ; 17  ; 26  ; 52  ; 64 und passim. 77 Siehe im Vergleich zu anderen Orden schon Melville, Schriftlichkeit, 411ff. Zu Einzelvergleichen siehe Melville, Verwendung  ; Oberste, Ut domorum status  ; ders., Normierung  ; ders., Institutionalisierte Kommunikation. 78 Reichert, Acta, 59 u. 63 (aus den Jahren 1251 u. 1252).

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versehen, wie z. B.: Nulli fratri liceat ire ad magistrum vel priorem provincialem sine licencia prelati sui. et volumus. ut qui contrafecerit, graviter puniatur – oder  : Fratres. qui miserunt literas vel memorialia non ostensa prelato suo. vel sibi missa aperuerunt. nisi prius licencia habita. acrius puniantur.79 Bei diesem Typ konnte darüber hinaus die Zwingkraft auch durch Aufruf der Gehorsamspflicht verstärkt werden, wie z. B.: Iniungimus districte. et in vir­ tute obediencie. quod nulle mulieres pro sororibus habeantur. a fratre quocumque. nisi de quibus constiterit prioribus provincialibus. in quorum provinciis sunt con­ stitute […] – oder  : Magister ordinis. de voluntate et consilio diffinitorum precipit districte. in virtute obediencie. fratribus universis. quod in alchimia non studeant. nec doceant. nec aliquatenus operentur. nec aliqua scripta de sciencia illa teneant […]80 Iniungimus bzw. inhibemus oder auch ordinamus, mandamus und precipimus waren dort zumeist die jeweiligen Leitbegriffe. Sie wiesen einer solchermaßen eingeleiteten admonicio explizit einen strikten Gebots- bzw. Verbotscharakter zu, für den die Typenbezeichnung ordinatio eigentlich gemäßer war, und welche dann tatsächlich im Laufe des 13. Jahrhunderts auch immer häufiger verwendet wurde – ohne allerdings die Bezeichnung admoniciones als übergeordnete Rubrizierungskategorie aufzuheben.81 Eine beträchtliche, gleichwohl insgesamt geringere Menge der admoniciones nahm allerdings auch direkten Bezug auf einzelne constituciones – und dies in zweifacher Weise. Zum einen Teil wiesen sie nur erinnernd und ermahnend (oftmals wiederholt  !) auf die Geltung und Einhaltung bestimmter Rechtssätze hin,82 wie z. B.: Constitucionem de modo studendi in libris gentilium. priores faciant diligenter observari – oder  : Provideant priores provinciales et diffinitores capitulorum provincialium. ut constitucio de vilitate vestium tam in clericis quam in laycis diligenter observetur,83 und gaben dabei mehrfach auch das zu vermeidende deviante Verhalten an, wie z. B.: Quod non committatur priori provinciali. 79 Ebd., 125 (aus dem Jahre 1264). 80 Ebd., 98 u. 170 (aus den Jahren 1259 u. 1273). Zur Gehorsamsbindung siehe noch unten. 81 Siehe z. B. folgende Formulierung, wo die befehlenden Begriffe sogar in Aneinanderreihung nachfolgten  : Hee sunt admoniciones. Cum privilegium mereatur amittere. qui commissa sibi abutitur potestate. ordinamus et volumus et mandamus et districte iniungimus prioribus provin­ cialibus et diffinitoribus capitulorum provincialium. ut […]  ; ebd., 218 (aus dem Jahre 1282). 82 Dies läßt natürlich Rückschlüsse auf die faktische Durchsetzung der Konstitutionen zu  ; vgl. zu derartigen Problemen im zeitgenössischen ius commune Landau, Durchsetzung neuen Rechts. 83 Reichert, Acta, 37 u. 47 (aus den Jahren 1246 u. 1249).

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et diffinitoribus provincialis capituli. electio visitatorum. nec eciam diffinitoris ca­ pituli generalis. sed secundum formam expressam in constitucionibus. eligantur,84 oder drohten zugleich mit härterer Bestrafung bei Mißachtung der constitucio, wie z.B  : Constitucio de non recipiendis depositis. diligencius observetur. et per pri­ ores provinciales et visitatores. transgressores durius puniantur – oder  : Constitucio de ingressu mulierum [in] claustrum. oratorium et alias officinas arcius observetur. et qui culpabiles circa hoc inventi fuerint. gravius puniantur.85 Bei einem über Jahre hinweg schwelenden Streit zwischen den beiden Formen des Generalkapitels (also der der gewählten Definitoren und der der Provinzialprioren) um das Kontrollverfahren gegenüber den Provinzialprioren wandte man im Jahre 1273 zum ersten Mal sogar die Technik an, keineswegs abgeschlossenen Novellierungsinitiativen durch entsprechende admoniciones eine unmittelbare Geltung zu verschaffen – was dann zur Serie einer klingenhaften Kreuzung von erneuten Gesetzesinitativen und jeweils unterstützenden admoniciones der beiden Parteien führte und das ausgewogene System der dreifachen Lesung an den Rand seiner Belastbarkeit führte.86 Des weiteren aber wurden durch eine große Anzahl von admoniciones auch einzelne constituciones jeweils im Detail erklärt oder präzisiert, wie z. B. im Jahre 1258  : Sciant omnes fratres quod quando constitucio de sedendo in terra pro fractione silencii fuit confirmata. magister ordinis. et diffinitores publice et coram toto capitulo declara­ verunt. quod non intelligebant. quod fratres per illam constitucionem tenerentur ad comedendum panem et aquam. sed solum a sedendum in terra […]87

in Bezugnahme auf eine im Jahre 1255 verabschiedete Ergänzung des Konstitutionentextes  : In capitulo de silencio. in fine addatur. si quis tamen inter duo capitula sepcies silencium fregerit. in uno prandio sedeat in terra. Et hec habet .iii. capitula.88 Dieser Typ der admoniciones, der angesichts der Tatsache, daß die legislative und die erklärende Instanz identisch waren, als Niederschlag einer Selbstauslegung des Rechtsschöpfers (im Sinne einer ›authentischen Interpretation‹) zu 84 Ebd., 87 (aus dem Jahre 1257). 85 Ebd., 143 u. 191 (aus dem Jahre 1268 u. 1277). Vgl. zu den Graden der Strafzumessung Creytens, Constitutions, 42ff. 86 Dazu in allen Einzelheiten Melville, Fiat secretum scrutinium. 87 Reichert, Acta, 93. 88 Ebd., 73  ; vgl. auch Creytens, Constitutions, 37, Note 49.

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verstehen ist, gewann nach und nach die Stellung einer eigenen Kategorie im Spektrum der Tätigkeit des Generalkapitels, denn gewöhnlich (insbesondere im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts) wurden entsprechende Äußerungen sogar expressis verbis – d. h. mit dem stereotyp einleitenden Wort Declaramus – als Erklärungen der Rechtslage oder genauer noch als Erläuterungen eines Begriffes bzw. einer Textpassage der constituciones gekennzeichnet, z. B.: Declaramus. quod constitucio de electione prioris provincialis. que dicit, quod forma superius posita teneatur. intelligitur de tribus prioribus conventualibus presentibus in capitulo. qui primitus habitum nostri ordinis susceperunt. Item. Declaramus. quod prostraciones et genuflexiones. ad quas constitucio obligat. intelliguntur in choro esse faciendas.89

Die Verbindlichkeit solcher declaraciones konnte zudem ebenfalls durch befehlende Verben unterstrichen werden, wie z. B.: Declaramus. quod omnes fratres simul comedentes. sive in mari. sive in terra. silencium servare tenentur. excepto uno qui maior fuerit inter eos. et ita monemus et volumus observari.90 *** Zusammenfassend gesagt, sind die admoniciones also durchaus als rasche und flexible Antworten auf den fortlaufenden Bedarf an Ergänzungen des Rechtsbestandes anzusehen  : Sie erweiterten de facto die Rechtsmaterie des Liber Con­ stitutionum – sei es in wörtlichem oder unausgesprochenem Bezug auf diesen, sei es in Form eines Ausgriffes auf außerhalb stehende Lebensbereiche – oder sie spezifizierten bzw. präzisierten sie durch Auslegungen. Indes bedeuteten die admoniciones eben eines nicht, was bei vergleichbaren Aktivitäten der Generalkapitel anderer Orden der Fall war  : Rechtsfortschreibung im eigentlichen Sinne. Denn bei den Dominikanern stand – wie schon verdeutlicht – das Prinzip der ›Geschlossenheit der Rechtsordnung‹ als legislative Leitidee derart im Vordergrund, daß neue Satzungen, sollten sie rechtsverbindlich sein, in den thematisch festumgrenzten Liber Constitutionum (zudem unter Durchführung von drei Lesungen) aufgenommen werden mußten. Wenn 89 Reichert, Acta, 198 (aus dem Jahre 1278). Siehe den Bezugstext der Konstitutionen bei Creytens, Constitutions, 31 u. 50. 90 Reichert, Acta, 159 (aus dem Jahre 1271). Vgl. dazu den Konstitutionentext, der hier durch die Formulierung sive in mari. sive in terra präzisiert wurde, bei Creytens, Constitutions, 37.

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aber jenseits dessen das Recht des Ordens nicht fortgeschrieben werden konnte, dann erhob sich zwangsläufig die Frage nach der Geltung jener admoniciones. Einige sehr signifikante Äußerungen der Generalkapitel selbst zeigen, daß man sich in der Tat dieses Problems bewußt war. So kam es etwa durchaus vor, daß man sich gezwungen sah, den expliziten Zwangscharakter mancher vom vorangegangenen Generalkapitel erlassenen Regelungen wieder abzumildern – z. B.: Per huiusmodi verba. Mandamus. inhibemus. et prohibemus. et simila verba in monicionibus precedentis capituli posita. volumus quod fratres non obligentur nisi quantum solent per simplices admoniciones obligari.91 Andererseits betonte man immer wieder die grundsätzliche Gehorsamspflicht zur Einhaltung und wies bei deren Nichterfüllung die zuständigen Instanzen an, entsprechende Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, z. B.: Cum in bono obediencie virtus religionis consistat. admonitiones generalium et provincia­ lium capitulorum fratres diligencius solito studeant observare. et qui negligentes fuerint. per priores et visitatores ad eorum observancium compellantur.92 Ganz offensichtlich sah man also Bedarf zur insistierenden Erinnerung und stellte einmal sogar ausdrücklich fest  : Quia parum prodest moniciones facere. nisi fratres eas studeant observare […].93 Zusätzliche Durchsetzungsmaßnahmen lagen folglich auf der Hand. Eine besonders wirkungsvolle wäre wohl die gesonderte (d. h.: über die übliche Protokollierung der Generalkapitelsrezesse hinausgehende) schriftliche Verbreitung der admoniciones gewesen. Bemerkenswerterweise blieb aber eine entsprechende Gesetzesinitiative (also in Form einer Novellierung der constituciones  !) des Jahres 1254 bereits auf der Stufe der inchoatio stecken.94 Erst aus dem Jahre 1281 – also Jahrzehnte später – ist belegt, daß man diesen Gedanken wieder aufgriff  : Quamvis non sit tenendum vel dicendum. quod admoniciones generalium capitulorum per totum ordinem. et provincialium in suis provinciis non durent nisi per annum. vel tantum ad vitam admonencium et alia huiusmodi. tamen ad fratrum consciencias asse­ 91 Reichert, Acta, 36 (aus dem Jahre 1246)  ; siehe ebd., 32, die entsprechenden Formulierungen aus dem Jahre 1245. Vgl. eine analoge Festlegung z. B. aus dem Jahre 1252 ebd., 64 oder aus dem Jahre 1279 ebd., 204. 92 Ebd., 181 (aus dem Jahre 1275)  ; ähnlich z. B. schon ebd., 53 (aus dem Jahre 1250) oder 58 (aus dem Jahre 1251). 93 Ebd., 203 (aus dem Jahre 1279). 94 In primo capitulo constitucionis. post illud. nisi per .iii. capitula approbentur. addatur. moniciones vero capitulorum generalium. vel provincialium. in aliquo certo libello scribantur quolibet anno  ; ebd., 69.

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curandas ordinamus. quod huiusmodi admoniciones more solito in caternis scribantur. et diligencius observentur […].95

Im Jahre 1298 ging man sogar einen Schritt weiter und verfügte die monatliche Tischlesung der admoniciones des jeweils letztjährigen (!) Generalkapitels.96 Was jedoch in diesen beiden Fällen neben dem Aspekt der Durchsetzung zusätzlich angesprochen wurde, war das Problem einer prinzipiellen Geltungsbefristung. Der zitierten Regelung von 1281 war schon im Jahr zuvor vorausgegangen  : Declaramus quod moniciones et ordinaciones in actis capitulorum generalium et provincialium facte durent quousque fuerint revocate.97 Jene Festlegung aber widerrief man dann im Zuge der oben zitierten admo­ nicio von 1281.98 So wird aus der Gesamtheit der skizzierten Vorgänge recht ersichtlich, wie unsicher man sich – ganz im Gegensatz zu den Verhältnissen bei den constituciones  – im Grunde über die Geltungsdauer und damit auch implizit über den Verpflichtungsgrad der admoniciones war. Drei Möglichkeiten sind angesprochen worden  : Geltung bis Widerruf, auf ein Jahr oder bis zum Tode der admonientes. Daß diese Ungeklärtheit eine Gewissensnot bei gehorsamswilligen Ordensmitgliedern hervorrufen konnte, verspürte man – wie zitiert – schmerzlich. Einem solchen Mißstand wenigstens durch nähere Erläuterungen entgegenzuwirken, unternahm der ehemalige Generalmagister Humbert de Romanis sowohl in seinem Konstitutionenkommentar, der Expositio super constitutiones fratrum praedicatorum,99 wie auch im Rahmen einer weiteren kleinen Schrift, den Questiones super statuta ordinis praedicatorum.100 Ein allzu großer Erfolg der Anstrengungen stellte sich allerdings nicht ein, wie die Tatsache erweist, daß die Rechtslage noch etliche Jahre nach seinem Tode (1277) – eben 1280/81 – weiterhin ungelöst erschien. Dessen ungeachtet trugen seine Überlegungen  95 Ebd., 213f. – Allerdings schreibt Humbert De Romanis schon in den 70er Jahren  : Hinc est quod non solum constitutiones, sed etiam ordinationes capitulorum generalium et provincialium in scriptis rediguntur, et mandatur ubique haberi et servari in scriptis, et maxime admonitiones, ut diligentius observentur  ; Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 8.  96 […] iniungimus prioribus et eorum vices gerentibus. quod admoniciones capituli generalis et pro­ vincialis immediate precedentis. ad minus semel in mense coram fratribus in mensa legi facieant […]  ; ebd., 290.  97 Ebd., 210.  98 […] ideoque declaracionem de hoc in capitulo generali Oxonie celebrato [i.e. im Jahre 1280] factam presentibus revocamus  ; ebd., 214.  99 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones. 100 Creytens, Commentaires, hier 208–210.

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gerade wegen ihrer rechtstheoretischen Grundsätzlichkeit ganz wesentlich zur Verdeutlichung des offenen Problems bei. Unter der sogleich aufs Wesentliche zielenden Rubrik De differentia inter con­ stitutiones et admonitiones, et de duratione admonitionum führt der Kommen­tar zunächst101 die Unterschiede beider Typen auf und beginnt mit der lapidaren Feststellung  : Differunt igitur ex parte eorum de quibus fiunt, quia constitutiones fiunt de magis necessariis  : admonitiones vero de quibusdam quae non reputantur adeo necessaria, vel quia non sunt adeo communia, vel perpetuo servanda, vel adeo expedientia, vel aliis de causis.

Neben einer solchen Eingeschränktheit im Geltungs- und Leistungsumfang seien die admoniciones  – hieß es weiter  – erstens auch nicht so feststehend (stabiles) wie die Konstitutionen, da sie im Gegensatz zu diesen jederzeit von einem einzigen Generalkapitel widerrufen werden könnten, zweitens sei die Sicherheit ihrer Observanz geringer, da sie nicht täglich vorgelesen werden und da zudem der Grad ihrer schriftlichen Verbreitung nicht an den der constitucio­ nes heranreiche, und drittens erfolge ihre Schöpfung mit leichterem Aufwand. Ganz offensichtlich bemühte sich Humbert also, generell die normative Qualität der admoniciones weit unter jener der Konstitutionen zu verorten. Folgerichtig mußte dann aber die Frage nach der Verbindlichkeit gestellt werden  :102 Sed iterum quaeritur utrum hujusmodi admonitiones debeant reputari perpetuae, et perpetuo ligent fratres suo modo ligandi  ? Als Antwort legte Humbert die drei gängigen Meinungen über die Geltungsdauer der admoniciones vor. Erstens  : Gewisse sprächen von einer Jahresfrist (scilicet de capitulo ad capitulum)  ; wenn dem aber so wäre, dann müßten die Kapitel deren Verschriftlichung auch nur für die Dauer eines Jahres anordnen – Ad quid enim valeret ultra scriptura, nisi duraret ultra  ? Zweitens  : Andere sagten, sie bänden nur so lange, bis sie in Vergessenheit gerieten  ; wäre dies aber richtig, so würden die Nachlässigen einen Vorteil bei womöglicher Schuld ziehen, die Sorgfältigen aber, die alle admoniciones in scriptis aufbewahrten, liefen in Gefahr, Verdammnis aufgrund ihrer Gutwilligkeit zu erlangen. Drittens  : Wiederum andere behaupteten, die admoniciones gälten solange, wie ihre Urheber lebten oder im Amt seien. Dies stimme zwar, meinte Humbert, und stelle zudem eine opinio consona juri 101 Die folgenden Zitate aus Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 63. 102 Die folgenden Zitate ebd., 63ff.

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dar. Dann aber folge daraus, daß im Unterschied zu admoniciones einzelner praelati 103 jene durch Generalkapitel erlassene gerade von zeitlich unbegrenzter Geltung seien, quia capitula non moriuntur, sed sunt perpetua  ; idem est sem­ per capitulum, licet personae ipsae succedant. Unschwer ist zu erkennen, daß Humbert mit dieser Begründung ganz bewußt auf die üblichen Lehraussagen zur persona ficta zurückgriff, die sich bekanntlich in Leitsätzen wie universitas non moritur oder nihil in hoc seculo potest esse perpetuum nisi per surrogationem niederschlugen.104 Die Fragestellung in seinem Traktat Questiones circa statuta ordinis praedica­ torum richtete sich ebenfalls auf das Problem der Geltungsdauer, holte indes von vorneherein wesentlich tiefergreifend aus  : Utrum admoniciones capitulorum nostrorum durent ultra annum. Si enim durent ultra annum, videtur quod infra breve tempus tot erunt quod erunt intolerabiles. Si autem non durent ultra, non sunt puniendi fratres post annum ex eorum transgressione. Immo videtur quod numquam, cum non obligent ad culpam.105

Bei ihrer Beantwortung106 begründete Humbert zunächst seine Meinung  ; daß admoniciones prinzipiell über das folgende Jahr hinaus gelten, wiederum mit der Feststellung, daß die potestas eines Generalkapitels keineswegs mit der persönlichen der Definitoren erlösche, denn sonst würde dies konsequenterweise ebenso für constituciones facte per tria capitula gelten. Den dann möglichen Einwand, es gäbe durchaus admoniciones mit rein befristetem Bezug – wie etwa die Einrichtung von Messen gegen die tribulacio tartarorum –, entkräftigte er mit dem Hinweis, daß es eben auf die intencio diffinitorum ankäme, die zwar manchmal eine explizite oder auch nur präsumptive Zeitbegrenzung als sinnvoll erscheinen lasse,107 die aber in jedem anderen Falle immer stillschwei103 Auf diesen Fall ging Humbert im weiteren Verlauf dieser Textpassage noch genauer und mit beträchtlichem Einsatz juristischen Wissens ein  ; ein Verweis darauf muß hier leider genügen, obgleich die Äußerungen interessante Aspekte auch zur Geltungsdauer von Rechtsätzen allgemein enthalten. 104 Dazu ausführlich Gillet, Personnalité, passim  ; Kantorowicz, Körper, 279ff. u. 306ff. 105 Creytens, Commentaires, 206. 106 Die folgenden Zitate ebd., 208–210. 107 Dabei bezog er sich mit den Worten […] quod, cessante causa, debeat cessare illa ordinacio auf den bekannten Rechtssatz  ; vgl. Krause, Cessante causa. – Unter Gegenüberstellung der fortdauernden Geltung der constituciones hebt Humbert diesen Aspekt der Gegenüberstellung der temporären Begrenzungsmöglichkeit auch in seinen Konstitutionenkommentar hervor  : […] de iis enim quae utilia sunt toti Ordini ad tempus, et non sunt servanda perpetuo, non opor­

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gend eine fortgesetzte Geltungsdauer bis zu einem ausdrücklichen Widerruf bewirkte.108 Unter den anschließend angeführten drei cause huius duracionis ist gleich die erste die bemerkenswerteste, denn sie ließ die obige Bezugnahme auf die constituciones in signifikanter Weise fortführen  : Prima est quia huiusmodi ordinaciones admonicionum facte pro communi bono uni­ versitatis, licet non sint racione constituciones, tamen sapiunt naturam constitucionis in multis. Ideo ad instar constitucionis iudicandum est de illis, ex quo contrarium non invenitur, que non expirant eum constituentibus.

Aufgrund der Tatsache also, daß admoniciones dem commune bonum dienten,109 hätten sie in vielerlei Hinsicht den Geschmack der Natur von Konstitutionen. Nach der Darlegung der zweiten causa, die in der Kontinuität der die Definitoren Delegierenden liege, hob Humbert bei der dritten jenen Aspekt sogar erneut durch die Formulierung von naturam sapiunt constitucionum in multis hervor, um mit Hilfe einer solchen Annäherung einsichtig zu machen, daß die Mitglieder eines Generalkapitels die potestas zur dauerhaften Rechtssatzung ganz unberührt davon hätten, ob sie nun constituciones oder admoniciones erließen. In einem nächsten Schritt wies er die Befürchtung zurück, die unbegrenzte Geltungsdauer führe zum iugum intolerabile einer überaus großen Zahl an admoniciones. Denn erstens läge insofern keine Unerträglichkeit vor, als eine admonicio nicht unter Sünde verpflichte  ;110 zweitens gäbe es pro loco vel tem­ pore vel causa die Möglichkeit zur Abmilderung durch Dispens  ;111 drittens könne jederzeit ein Widerruf stattfinden  ; viertens gerieten viele admoniciones in Vergessenheit  ;112 und fünftens gäbe es sowieso kein Überquellen von admo­ tet fieri constitutiones  : sed sufficiunt admonitiones temporales  ; Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 57. 108 Si vero nec tempus exprimatur nec presumpcio sit quod velint [sc. die Definitoren] admonicio­ nem durare ad tempus, quia causa admonicionis videtur esse perpetua, ut si dicant  : fratres non cantent in falsa voce, cum tamen causa huius admonicionis scilicet gravitas religionis, sit perpetua, tales admoniciones durant semper per vim admonicionis quousque revocentur  ; Creytens, Commentaires, 208. 109 Vgl. oben bei Anm 34 die von Humbert bereits an anderer Stelle gezogene Verbindung zwischen commune bonum und constituciones (!). 110 Dazu noch unten. 111 Damit sind übliche Kriterien des Dispensrechtes im ius commune angesprochen  ; vgl. Brys, De Dispensatione. Zum Dispensrecht im Dominikanerorden siehe schon oben Anm. 26. 112 Dabei geht er wie beim Konstitutionenkommentar (siehe oben bei Anm. 102) auch der

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niciones – kaum tria folia habe er gesammelt und davon sei eine stattliche Zahl nur renovaciones eorum que continetur in illis, que moderni nesciunt, et antiqui oblivioni tradiderunt. Kontrastiv zeigte er daraufhin den besonderen Nutzen der admoniciones auf  :113 Valde necessarie seien sie pro communi bono et statu universitatis fratrum  ; per has enim edocentur minus discreti per discretionem maiorum, quid sit in multis cavendum, et quid faciendum. Obschon es vorkomme, daß ihnen nicht vollständig gefolgt werde, sei durch sie unzähliger Schaden vom Orden abgewendet worden und ohne sie gäbe es manchen decor religionis, qui est hodie in or­ dine, nicht. So müsse sie jedes Ordensmitglied (quicumque sunt de universitate), auch wenn es sich dadurch belastet fühle, geduldig hinnehmen  – und selbst falls dies nicht zu erreichen sei, dürfe man allein aufgrund von murmur das bonum commune nicht fahren lassen. Zum Abschluß114 verwies Humbert noch auf jene so spezifische Dimension dominikanischer Normenordnung hin, die ebenso constituciones wie admoni­ ciones berührte  : Jegliches vom Orden geschaffene positive Recht verpflichtete prinzipiell nicht ad culpam, sondern nur ad poenam.115 Gleichwohl könne die Nichteinhaltung auch von admoniciones immer zu beiden – zu culpa und zu poena – führen, denn bei wissentlichem contemptus von admoniciones lade man Schuld auf sich und habe zugleich eine Strafe zu erwarten  ; bei ungewollter Übertretung sei man zwar von Schuld frei, werde aber in foro humano bestraft. Auch in seinem Konstitutionenkommentar hatte Humbert diesen Aspekt mit analogem Ergebnis angesprochen und zugleich die inhärente Pflicht zum Gehorsam noch deutlicher hervorgehoben  : Postea quaeritur utrum admonitiones quae fiunt a capitulis vel praelatis obligent ad cul­ pam  ? Respondeo  : Admonitio quantum est ex natura sui, non obligat  ; sed ex contemptu potest obligare  : non enim sine culpa potest esse quod aliquis contemnat exhortationes majorum illorum quibus obedire tenetur.116

*** Frage nach, ob aus diesem Vergessen Sünde erwachsen könne  : Nec credo huiusmodi oblivio­ nem imputari peccatum alicui, nisi forte affectanti, vel ipsam prolatam indulgentiam incurrenti  ; Creytens, Commentaires, 209. 113 Folgende Zitate ebd., 210. 114 Folgendes ebd. 115 Diesen Aspekt hatte Humbert u. a. im ersten Teil dieses Traktates bereits ausführlich erläutert  ; siehe ebd., 206–208. Vgl. oben Anm. 38. 116 Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 51.

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Zieht man nun ein kurzes Fazit, so ist zunächst gut zu erkennen, daß Humbert in seinem Traktat Questiones circa statuta ordinis praedicatorum die normative Qualität der admoniciones wesentlich höher ansetzte als in seinem Konstitutionenkommentar. Auch dies dürfte ein Zeichen dafür sein, wie ungefestigt die Einschätzung der admoniciones trotz jahrzehntelangem Gebrauch im Grunde noch war. – Doch eben hierbei hat man zu differenzieren  ! Über den Nutzen der admoniciones dürfte kein Zweifel bestanden haben. Denn gerade die kontinuierliche Praxis entsprechender Erlasse mit Bezug auf das denkbar weiteste Spektrum ordensinterner Angelegenheiten belegt, wie sicher davon ausgegangen wurde, daß die admoniciones tatsächlich in hohem Maße vermochten, ebenso Schaden abzuwenden wie zum decor religionis beizutragen. Mit anderen Worten  : Es waren speziell die admoniciones, die rasch und flexibel reagieren ließen – und zwar ganz unabhängig davon, ob es sich dabei nur um die Forderung einer kurzfristig aktuellen Entscheidung handelte oder um einen vorerst unbefristeten Regelungsbedarf. Damit reihten sich die admoniciones funktional in das Feld ein, das bei anderen Orden – wie gezeigt – durch die allgemeine legislatorische Tätigkeit abgedeckt war. Doch genau an diesem Punkt war das Problem verankert  ! Nicht von ungefähr betonten die Dominikaner die prinzipielle Zwingkraft ihrer admonicio­ nes und diskutierten mit beträchtlichem Aufwand deren Geltungsumfang – ja rückten die admoniciones strategisch (wie bei Humbert formuliert) in die Nähe der natura constitucionis. Denn es galt, eine Legalitätsdefizienz zu füllen, die darin lag, daß admoniciones eben nicht zum Bereich legislatorischer Tätigkeit zählten. Der pragmatischen Wertschätzung stand also eine rechtssystematisch nachrangige Position gegenüber, die zudem nicht einmal verbindlich definiert war. Nirgendwo im Liber constitutionum werden die admoniciones auch nur mit einem Wort erwähnt, so daß ihre Existenz allein durch Gewohnheit legitimiert, nicht jedoch durch positives Recht sanktioniert war. Indes sollte man aus diesem Sachverhalt nicht auf eine augenscheinliche Insuffizienz zur konsistenten Ausgestaltung einer Verfassung schließen. Gerade der Dominikanerorden war es ja als erster, der nicht nur durch die Formulierung, sondern vor allem auch durch die ›genau geregelte Handhabung‹ eines Verfassungstextes sich eine institutionelle Grundlage zu verschaffen wußte, auf der ein Ordnungsentwurf stabil zu bleiben versprach. Alle konstitutiven Anstrengungen der Gründungsphase sind auf diesen Gewinn gerichtet gewesen – und gewiß glaubte man, die bestehenden Orden in prospektiver Festigkeit

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übertreffen zu können,117 wenn man nicht wie sie die Rechtsfortschreibung materiell offen hielt, sondern an einen (gleichwohl stets zu novellierenden) Basistext band. Daß man daneben dann doch ganz pragmatisch eine zweite regulative Ebene in Form jener admoniciones eröffnen mußte, war der Preis, der dem neuartigen Prinzip einer ›Geschlossenheit der Rechtsordnung‹ zu zollen war. Diese zwar in der Praxis sich als fruchtbar erweisende, doch rechtssystematisch inkonsistente Einrichtung hätte vermieden werden können, wenn jene »quasi-laws« – wie Hinnebusch die admoniciones in seinem Handbuch zur Geschichte des Dominikanerordens treffend bezeichnet118 – unter der Kategorie des ›Ausführungsgesetzes‹ gefaßt worden wären. Für eine derartige funktionale Unterscheidung gegenüber einem Verfassungstext mit allen ihren hierarchischprozeduralen Implikationen war die Zeit des 13. Jahrhunderts jedoch noch nicht reif. Man sollte aber vor diesen modernen Ansprüchen andererseits nicht übersehen, daß die Pragmatik der Dominikaner – ganz im Gegensatz zu den älteren Orden mit ihrer einschichtigen Legislative – eben doch schon eine Trennung von Verfassungs- und gewissermaßen Gebrauchsrecht herbeigeführt und damit den Weg zur ›zweistufigen Rechtsordnung‹ der Zukunft vorgezeichnet hat. Diesem auch kulturgeschichtlich wichtigen Schritt kommt es zu, beachtet zu werden.

117 Nicht zuletzt wiederum die Lektüre des Humbert’schen Konstitutionenkommentars dürfte dieses Selbstbewußtsein anschaulich belegen  ; siehe insbesondere Humbert de Romanis, Expositio super Constitutiones, 8, 60ff. 118 Hinnebusch, History, 179f.

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Die in diesem Band wiederabgedruckten Aufsätze sind durch • gekennzeichnet. 1978 Secundum regulam vivere. Festschrift für P. Norbert Backmund, O. Praem., Windberg 1978. Zur Abgrenzung zwischen Vita canonica und Vita monastica. Das Übertrittsproblem in kanonistischer Behandlung von Gratian bis Hostiensis, in  : Melville (Hg.), Secundum Regulam Vivere, 205–243. 1988 Verwendung, Schutz und Mißbrauch des Siegels bei den Cluniazensern im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert, in  : Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica (München, 16.–19. September 1986), Teil 4  : Diplomatiche Fälschungen (II) (MGH Schriften 33/4), Hannover 1988, 673–702. 1989 Die Exhortatiunculae des Girardus de Arvernia an die Cluniazenser. Bilanz im Alltag einer Reformierungsphase, in  : D. Berg / H.-W. Goetz (Hgg.), Ec­ clesia et regnum  : Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter  : Festschrift für Franz-Josef Schmale zu seinem 65. Geburtstag, Bochum 1989, 203–234. 1990 Cluny après ›Cluny‹. Le treizième siècle  : un champ de recherches, in  : Francia 17 (1990), 91–124. 1991 Zur Funktion der Schriftlichkeit im institutionellen Gefüge mittelalterlicher Orden, in  : FmSt 25 (1991), 391–417. 1994 • Die cluniazensische Reformatio tam in capite quam in membris. Institutioneller Wandel zwischen Anpassung und Bewahrung, in  : J. Miethke / K.

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Schreiner (Hgg.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994, 249–297. 1995 Diversa sunt monasteria et diversas habent institutiones. Aspetti delle molteplici forme organizzative dei religiosi nel Medioevo, in  : G. Zito (Hg.), Chiesa e società in Sicilia. I secoli XII–XVI, Torino 1995, 324–345. 1996 De ordine vitae. Zu Normvorstellungen, Organisationsformen und Schriftgebrauch im mittelalterlichen Ordenswesen (Vr 1), Münster 1996. Der Mönch als Rebell gegen gesatzte Ordnung und religiöse Tugend. Beobachtungen zu Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts, in  : Melville (Hg.), De ordine vitae, 153–186. 1997 Aspekte zur Verbindung von Organisation und Schriftlichkeit im Ordenswesen. Ein Vergleich zwischen den Cisterziensern und Cluniazensern im 12./13. Jahrhundert, in  : C. M. Kasper / K. Schreiner (Hgg.), Viva vox und ratio scripta. Mündliche und schriftliche Kommunikationsformen im Mönchtum des Mittelalters (Vr.A 5), Münster 1997, 205–280 (gemeinsam mit F. Cygler / J. Oberste). Ordensstatuten und allgemeines Kirchenrecht. Eine Skizze zum 12./13. Jahrhundert, in  : P. Landau / J. Müller(Hgg.), Proceedings of the 9th International Congress of Medieval Canon Law (MIC, Series C, Subsidia 10), Vatikanstadt 1997, 691–712. Von der Regula regularum zur Stephansregel. Der normative Sonderweg der Grandmontenser bei der Auffächerung der vita religiosa im 12. Jahrhundert, in  : H. Keller / F. Neiske (Hgg.), Vom Kloster zum Klosterverband. Das Werkzeug der Schriftlichkeit (MMS 74), München 1997, 342–363. 1998 Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialen Umfeld. (Vr 7), Münster 1998 (hg. mit G. Constable / J. Oberste). Cluny und das französische Königtum. Von ›Freiheit ohne Schutz‹ zu Schutz ohne Freiheit, in  : Constable / Melville / Oberste (Hgg.), Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialen Umfeld, 405–468.

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Institutionen im Mittelalter. Neue Forschungsprobleme, in  : Bulletin de la Société des amis de l’Institut Historique Allemand 4 (1998), 11–33. 1999 850 Jahre Mönchröden (Schriftenreihe der Historischen Gesellschaft Coburg 13), Coburg 1999 (hg. mit R. Butz). Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum (Vr 11), Münster 1999 (hg. mit J. Oberste). ›… nun strahlen sie im Glanz ihrer Zeichen.‹ Das klösterliche Umfeld der Abtei Mönchröden im 12. Jahrhundert, in  : Butz / Melville (Hgg.), 850 Jahre Mönchröden, 1–36. • Duo novae conversationis ordines. Zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in  : Melville / Oberste (Hgg.), Die Bettelorden im Aufbau, 1–23. Fiat secretum scrutinium. Zu einem Konflikt zwischen praelati und subditi bei den Dominikanern des 13. Jahrhunderts, in  : F. Felten / N. Jaspert (Hgg.), Vita religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm, Berlin 1999, 441– 460. 2000 • Die Rechtsordnung der Dominikaner in der Spanne von constituciones und admoniciones. Ein Beitrag zum Vergleich mittelalterlicher Ordensverfassungen, in  : R. H. Helmholz / P. Mikat / J. Müller / M. Stolleis (Hgg.), Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, 579–604. 2001 In proposito paupertatis. Studien zum Armutsverständnis bei den mittelalterlichen Bettelorden (Vr 13), Münster 2001 (hg. mit A. Kehnel). Alcune osservazioni sui processi di istituzionalizzazione della vita religiosa nei secoli XII e XIII, in  : Benedictina 48 (2001), 371–394. In solitudine ac paupertate. Stephans von Muret Evangelium vor Franz von Assisi, in  : Melville / Kehnel (Hgg.), In proposito paupertatis, 7–30. Nouvelles approches historiographiques des ordres religieux en Allemagne. Le groupe de recherches de Dresde sur les structures institutionnelles des ordres religieux au Moyen Âge, in  : RevMab 73, n.s. 12 (2001), 314–321 (gemeinsam mit F. Cygler).

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Nuove tendenze della storiografia monastica di area tedesca. Le richerche di Dresda sulle strutture istituzionale degli ordini religiosi medievali, in  : G. Andenna (Hg.), Dove va la storiografia monastica in Europa  ? Temi e metodi di ricerca per lo studio della vita monastica e regolare in età medievale alle soglie del terzo millennio. Atti del Convegno internazionale (BresciaRodengo, 23–25 marzo 2000), Milano 2001, 35–51. • Zum Recht der Religiosen im Liber extra, in  : ZSRG, Kanonistische Abteilung 118 (2001), 165–190. 2002 Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum (Vr 16), Münster 2002 (hg. mit M. Schürer). Regula sancti Augustini. Normative Grundlage differenter Verbände im Mittelalter (Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim 3), Paring 2002 (hg. mit A. Müller). Augustinusregel und dominikanische Konstitutionen aus der Sicht Humberts de Romanis, in  : Melville / Müller (Hgg.), Regula sancti Augustini, 419– 454 (gemeinsam mit F. Cygler). Das Cisterziensertum  : Wagnis und Modell im 12. und 13. Jahrhundert, in  : M. Schattowsky / A. Thieme (Hgg.), Altzelle. Zisterzienserabtei in Mitteldeutschland und Hauskloster der Wettiner, Leipzig 2002, 21–36. Einleitende Aspekte zur Aporie von Eigenem und Ganzem im mittelalterlichen Religiosentum, in  : Melville / Schürer (Hgg.), Das Eigene und das Ganze, XI–XLI. • Geltungsgeschichten am Tor zur Ewigkeit. Zu Konstruktionen von Vergangenheit und Zukunft im mittelalterlichen Religiosentum, in  : G. Mel­ ville/H. Vorländer (Hgg.), Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen, Köln/Weimar/Wien 2002, 75–108. Handlung, Text und Geltung. Zu Clunys Consuetudines und Statuten, in  : W. Ehbrecht / A. Lampen / F.-J. Post / M. Siekmann (Hgg.), Der weite Blick des Historikers. Einsichten aus Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburtstag, Köln 2002, 23–39. L’institutionnalité médiévale dans sa pluridimensionnalité, in  : J.-C. Schmitt /  O. G. Oexle (Hgg.), Les tendances actuelles de l’histoire du Moyen Âge en France et en Allemagne, Paris 2002, 243–264.

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2003 • Der geteilte Franziskus. Beobachtungen zum institutionellen Umgang mit Charisma, in  : J. Fischer / H. Joas (Hgg.), Kunst, Macht und Institution. Studien zur Philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. M./New York 2003, 347–363. • Zur Semantik von ordo im Religiosentum der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Lucius II., seine Bulle vom 19. Mai 1144 und der ›Orden‹ der Prämonstratenser, in  : I. Crusius / H. Flachenecker (Hgg.), Studien zum Prämonstratenserorden (StGS 25), Göttingen 2003, 201–224. 2004 Vita monastica. Incontro tra cambiamento e continuità, in  : G. Andenna (Hg.), Arte, cultura e religione in Santa Giulia, Brescia 2004, 93–101. 2005 Charisma und religiöse Gemeinschaften im Mittelalter (Vr.A 26), Münster 2005 (hg. mit G. Andenna / M. Breitenstein). Oboedientia. Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum (Vr.A 27), Münster 2005 (hg. mit S. Barret). Regulae – Consuetudines – Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo (Vr.A 25), Münster 2005 (hg. mit C. Andenna, unter wissenschaftlicher Mitwirkung von C. D. Fonseca / H. Houben / G. Picasso). Action, Text, and Validity  : On Re-examining Cluny’s Consuetudines and Statutes, in  : S. Boynton / I. Cochelin (Hgg.), From Dead of night to End of Day  : The Medieval Customs of Cluny (DM 3), Turnhout 2005, 67–83. • Gehorsam und Ungehorsam als Verhaltensformen. Zu pragmatischen Beobachtungen und Deutungen Humberts de Romais O.P., in  : Barret / Melville (Hgg.), Oboedientia, 181–204. • In privatis locis proprio jure vivere. Zu Diskursen des frühen 12. Jahrhunderts um religiöse Eigenbestimmung oder institutionelle Einbindung, in  : W. Chrobak / K. Hausberger (Hgg.), Kulturarbeit und Kirche. Festschrift Msgr. Dr. Paul Mai zum 70. Geburtstag (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 39), Regensburg 2005, 25–38. • Regeln – Consuetudines-Texte – Statuten. Positionen für eine Typologie des normativen Schrifttums religiöser Gemeinschaften im Mittelalter, in  : Andenna / Melville (Hgg.), Regulae – Consuetudines – Statuta, 5–38.

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• Stephan von Obazine  : Begründung und Überwindung charismatischer Führung, in  : Andenna / Breitenstein / Melville (Hgg.), Charisma und religiöse Gemeinschaften, 85–102. Im Zeichen der Allmacht. Zur Präsenz Gottes im klösterlichen Leben des hohen Mittelalters, in  : Melville (Hg.), Das Sichtbare und das Unsichtbare der Macht. Institutionelle Prozesse in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Köln/ Weimar/Wien 2005, 19–44. 2006 Einheit und Vielfalt – Das mittelalterliche Europa der Klöster und Orden, in  : Waltraud Schreiber (Hg.), Von den Olympischen Spielen bis zur Postdamer Konferenz. Standardthemen des Geschichtsunterrichts forschungsnah (Eichstätter Kontaktstudium zum Geschichtsunterricht 6), Neuried 2006, 163–186. Razionalità di sistema e successo dei Domenicani nell’Europa medievale, in  : F. Migliorino / L. Giordano (Hgg.), La memoria ritrovata  : Pietro Geremia e le carte della storia, Catania 2006, 15–28. La recherche sur les ordres religieux en Allemagne. Chemins parcourus et nouveaux horizons, in  : Cahiers de civilisations médiévale 49 (2006), 163–174. Systemrationalität und der dominikanische Erfolg im Mittelalter, in  : A. Hahn /  G. Melville / W. Röcke (Hgg.), Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Für Peter von Moos, Berlin 2006, 157–171. Unitas e diversitas. L’europa medievale dei chiostri e degli ordini, in  : G. Cracco /  J. Le Goff / H. Keller / G. Ortalli (Hgg.), Europa in costruzione. La forza delle identità, la ricerca di unità (secoli IX–XIII) (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento, Quaderni 69), Bologna 2006, 357–384. 2007 Mittelalterliche Orden und Klöster im Vergleich. Methodische Ansätze und Perspektiven (Vr.A 34), Münster/Hamburg/London 2007 (hg. gemeinsam mit A. Müller). Aspekte zum Vergleich von Krisen und Reformen in mittelalterlichen Klöstern und Orden, in  : Melville / Müller (Hgg.), Mittelalterliche Orden und Klöster im Vergleich, 139–160. Il Francesco diviso. Sulla istituzionalizzazione di un carismatico, in  : P. Piatti /  R. Tortorelli (Hgg.), Omnia religione moventur  : culti, carismi ed istituzioni ecclesiastiche. Studi in onore di Cosimo Damiano Fonseca, Galatina

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2006, 33–54, jetzt auch in  : A. Musco / G. Musotto (Hgg.). I Francescani e la politica (secc. XIII–XVII). Atti del Convegno internazionale di studi (Palermo, 3–7 dicembre 2002) 2 Bde. (Franciscana 13), Palermo 2007, 693– 708. Fu ›istituzionale‹ il Medioevo  ? Osservazioni storiche e riflessioni metodologiche, in  : G. Andenna (Hg.), Pensiero e sperimentazioni istituzionali nella Societas Christiana (1046–1250). Aatti della sedicesima settimana di studio della Mendola (Mendola, 26–31 agosto 2004), Milano 2007, 37–68. L’indagine sulla vita religiosa medievale in Germania. Percorsi sperimentati e nuove prospettive, in  : M. Matheus / M. Miglio (Hgg.), Stato della ricerca e prospettive della medievistica tedesca, Roma 2007, 23–42. 2008 Brückenschlag zur zweiten Generation. Die kritische Phase der Institutionalisierung mittelalterlicher Orden, in  : J. Rogge (Hg.), Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter, Korb 2008, 77–98. La communication des religieux avec Dieu, in  : A.Paravicini Bagliani / A. Rigon (Hgg.), La comunicazione del sacro (secoli IX–XVIII), Rom 2008, 1–16. »Organisationsformen», in  : G. Melville / M. Staub (Hgg.), Enzyklopädie des Mittelalters, 2 Bde., Darmstadt 2008, Bd. 1, 44–47. »Religiosentum – Klöster und Orden«, in  : G. Melville / M. Staub (Hgg.), Enzyklopädie des Mittelalters, 2 Bde., Darmstadt 2008, Bd. 1, 99–110. Studien zum Bildungswesen der bayerischen Augustiner-Chorherren in Mittelalter und früher Neuzeit (Publikationen der Akademie der AugustinerChorherren von Windesheim 8), Paring 2008 (hg. mit A. Schmid). 2009 Construction and deconstruction of religious symbols in the Middle Ages, in  : A. Müller / K. Stöber (Hgg.), Self-Representation of Medieval Religious Communities. The British Isles in Context (Vr.A 40), Münster 2009, 3–19. Costruire e decostruire i simboli nella comunicazione religiosa del medioevo, in  : G. Andenna (Hg.), Religiosità e civiltà. Le comunicazioni simboliche, secoli IX–XIII. Atti del convegno internazionale (Domodossola, ­Sacro Monte e Castello di Mattarella, 20–23 settembre 2007), Milano 2009, 49– 70. Einleitung [in die Sektion ›Kommunikative Instanzen und Institutionalisie-

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rungen‹], in  : P. Strohschneider (Hg.), Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposium 2006, Berlin / New York 2009, 517–525. FOVOG. Comparing the Medieval History of Religious Orders. On the Aims and the Structure of an International Collaborative Research Centre in Germany, in  : RevMab 81, n.s. 20 (2009), 251–258. Klosterlandschaft. Über den Umgang mit einem problematischen Begriff, in  : W. Schreiber / C. Gruner (Hgg.), Raum und Zeit. Orientierung durch Geschichte, Neuried 2009, 219–237. Die Zisterzienser und der Umbruch des Mönchtums im 11. und 12. Jahrhundert, in  : F. J. Felten / W. Rösener (Hgg.), Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterzienser im Mittelalter (Vr.A 42), Berlin 2009, 23–43. 2010 Bewahren und Entdecken. Das mittelalterliche Europa und die Ordnungsmuster der Welt, in  : H. Fechtrup / F. Schulze / T. Sternberg (Hgg.), Europa auf der Suche nach sich selbst (Dokumentationen der Josef Pieper Stiftung 7), Berlin/Münster 2010, 47–64. Franziskanische Raumkonzepte. Zur symbolischen Bedeutung des inneren und äußeren Hauses, in  : RevMab 82, n.s. 21 (2010), 105–138 (gemeinsam mit A. Müller) Gerechtigkeit als fundierendes Element des mittelalterlichen Mönchtums, in  : H. Alzheimer / F. G. Rausch / K. Reder / C. Selheim (Hgg.), Bilder – Sachen – Mentalitäten. Arbeitsfelder historischer Kulturwissenschaften. Wolfgang Brückner zum 80. Geburtstag, Regensburg 2010, 33–42 (gemeinsam mit M. Breitenstein). Montecassino, in  : C. Markschies / H. Wolf (Hgg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, 322–344, 763–764. System Rationality and the Dominican Success in the Middle Ages, in  : M. Robson / J. Röhrkasten (Hgg.), Franciscan Organisation in the Mendicant Context. Formal and informal structures of the friars’ lives and ministry in the Middle Ages (Vr.A 44), Berlin 2010, 377–388. Vita religiosa e regole al tempo di Francesco d’Assisi, in  : La regola dei Frati Minori. Atti del 37 Convegno internazionale della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani (Assisi, 8–10 ottobre 2009) (Atti dei convegni della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani, Nuova serie 20), Spoleto 2010, 3–30.

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Wege zum Heil in der christlichen Kultur des Mittelalters, in  : J. Fried / E.-D. Hehl (Hgg.), WBG Weltgeschichte  : Bd. 3  : Weltdeutungen und Weltreligionen, 600 bis 1500, Darmstadt 2010, 388–409, 480–481. Zwischen Heil und Heilung. Die Sorge um den kranken Körper in Klöstern des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung des Traktats De medi­ cina animae Hugos de Folieto, in  : A. Paravicini-Bagliani (Hg.), Terapie e guarigioni. Atti del convegno internazionale (Ariano Irpino 5–7 ottobre 2008) (Centro europeo di studi normanni. Edizione Nazionale »La Scuola Medica Salernitana« 6), Firenze 2010, 1–23 (gemeinsam mit L.-A. Danneberg). 2011 Aspects of Charity. Concern for one’s neighbour in medieval vita religiosa (Vr.A 45), Berlin 2011. Female »vita religiosa« between Late Antiquity and the High Middle Ages. Structures, developments and spatial contexts (Vr.A 47), Berlin 2011 (hg. mit A. Müller). Auf der Schwelle zwischen Amtskirche und individueller Heilsfindung. Zu den religiösen Bewegungen vor Franziskus, in  : C. Stiegemann / B. Schmies / H.D. Heimann (Hgg.), Franziskus – Licht aus Assisi. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und im Franziskanerkloster Paderborn, München 2011, 61–67. Inside and Outside. Some Considerations about Cloistral Boundaries in the Central Middle Ages, in  : B. Meijns / S. Vanderputten (Hgg.), Ecclesia in medio nationis. Reflections on the Study of Monasticism in the Central Middle Ages, Leuven 2011, 167–182. Knowledge of the Origins  : Constructing Identity and Ordering Monastic Life in the Middle Ages, in  : J. Canning / E. King / M. Staub (Hgg.), Knowledge, Discipline and Power in the Middle Ages. Essays in honor of David Luscombe (Studien und Texte zur Geschichte des Mittelalters 106), Leiden/ Boston 2011, 41–62. • Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und methodischem Betrieb. Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster, in  : Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 7 (2011), 72–92. • Tegumenta virtutis und occulta cordis. Zur Wahrnehmung religiöser Identität im Mittelalter, in  : A. Beutel / R. Rieger (Hgg.), Religiöse Erfahrung und wissenschaftliche Theologie. Festschrift für Ulrich Köpf zum 70. Geburtstag, Tübingen 2011, 277–290.

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What role did charity play in Francis of Assisi’s attitude towards the poor  ?, in  : Melville (Hg.), Aspects of Charity, 99–122. 2012 Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012. Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen. Bd 1  : Netzwerke  : Klöster und Orden im Europa des 12. und 13. Jahrhunderts (Aurora 1/1), Stuttgart 2012 (hg. mit C. Andenna / K. Herbers). Les fondements spirituels et juridiques de l’autorité dans la vita religiosa médiévale  : approche comparative, in  : Les personnes d’autorité en milieu régu­ lier. Des origines de la vie régulière au XVIIIe siècle, 7e Colloque international du CERCOR (Strasbourg, 18–20 juin 2009), Saint-Étienne 2012, 13–25. Justifications of Monastic Reform in the Central Middle Ages, in  : L. Melve / S. Sønnesyn (Hgg.), The Creation of Medieval Northern Europe. Christianisation, Social Transformations, and Historiography, Essays in Honour of Sverre Bagge, Oslo 2012, 44–57. ›Klosterlandschaft‹. Kritische Bemerkungen zum wissenschaftlichen Wert einer Wortschöpfung, in  : F. J. Felten / H. Müller / H. Ochs (Hgg.), Land­ schaft(en). Begriffe – Formen – Implikationen, Stuttgart 2012, 195–222. 2013 Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen. Bd 2  : Zentralität  : Papsttum und Orden im Europa des 12. und 13. Jahrhunderts (Aurora 1/2), Stuttgart 2013 (hg. mit C. Andenna / G. Blennemann /  K. Herbers). From La Florida to La California. Franciscan Evangelization in the Spanish Borderlands. Essays from a Conference Hosted by Flagler College, St. Augustine, Florida, Berkeley 2013 (hg. mit T. J. Johnson). Schreiner, Klaus  : Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Gemeinschaften in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters (Vr.A 53), Berlin 2013 (hg. in Verbindung mit M. Breitenstein). Medieval Understandings of Foreign Cultures as Conditions for the Early Modern Takeover of America, in  : Johnson / Melville (Hgg.), From La Florida to La California, 47–60. Memoria als institutionelles Fundament der vita religiosa, in  : R. Berndt (Hg.),

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Wider das Vergessen und für das Seelenheil. Memoria und Totengedenken im Mittelalter, Münster 2013, 105–123. 2014 Innovationen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt (Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 1), Regensburg 2014 (hg. mit B. Schneidmüller/St. Weinfurter) Innovation aus Verantwortung. Kloster und Welt im Mittelalter, in  : Melville/ Schneidmüller/Weinfurter (Hgg.). Innovationen durch Deuten und Gestalten, 337–354. Formale Verfahren als Steuerungsmechanismen mittelalterlicher Orden. Aufriss eines Forschungsfeldes, in  : A. Brodocz/D. Herrmann/R. Schmidt/D. Schulz/J. Schulze Wessel (Hgg.), Die Verfassung des Politischen, Festschrift für Hans Vorländer, Wiesbaden 2014, 25–44. El cuidado de la Cura Vitae. Un proceso de enseñanza y aprendizaje en el monasterio medieval, in  : C. Ruta (Hg.), El cuidado de la vida. Del Medioevo al Renacimento, Buenos Aires 2014, 73–86. Life Configurations in the Middle Ages between Divine Acting and Human Self-Determination, in  : G. Melville/C. Ruta (Hgg.), Life Configurations (Challenges of Life: Essays on Philosophical and Cultural Anthropology 1), Berlin/Boston 2014, 67–80. The Innovational Power of Monastic Life in the Middle Ages, in: L. Bisgaard/S. Engsbro/K. Villads Jensen/T. Nyberg (Hgg.), Monastic Culture. The Long Thirteenth Century. Essays in Honour of Brian Patrick McGuire, Odense 2014, 13–32.

Register

Namen, Werke, Orte Abbas antiquus  194, 196f., 201f. Apparatus ad decretales Gregorii IX  202 Abraham  76 Adam  154 Adamus Scotus  141, 152 De ordine, habitu et professione canonicorum ordinis Praemonstratensis  141, 152 Adelbert v. Pforta  231 Ägypten  129 Allemannia  289 Alexander III., Papst  169, 244, 282, 284 Alexander IV., Papst  252–8, 279, 288 Amerika  14 Anastasius IV., Papst  244 Anglia  261, 289 vgl. → England Annales Normannici  81, 86 Anonymus Perusinus  133 Anselm v. Havelberg  38, 98f., 122, 179, 189, 214, 217, 229 Dialogi  38, 98f., 122, 217 Antonius, hl.  21, 170, 172 Aquitania  289 Ardennen  224 Arrouaise  90 Asien  114 Augustinus v. Hippo  19, 53, 70f., 80, 82, 89, 99, 123–5, 131–3, 136, 140, 151f., 155, 175, 190, 215, 221 De praesentia Dei  19 → Regula Augustini Auvergne  246, 259 Auxerre  251 Avignon  91 Bamberg  174 Basilius  71, 132, 160, 163, 172 Baume  134, 237, 270 Beauvais  91 Benedikt v. Aniane  163, 172, 177

Benedikt v. Nursia  1, 5, 22, 43, 53, 70f., 80, 82, 84, 89, 91, 93–5, 99 127, 129, 131–3, 140, 150f., 158, 167, 169f., 172, 175, 179f., 189f., 214f. → Regula Benedicti Bernard Itier  166, 325 Chronica  166 Bernardus de Botone  179, 192f., 196, 198–200, 203 Apparatus, ad v. Abdicatio  193 Apparatus, ad. v. Dispensare  193 Casus longi  179, 192f., 196, 198, 200, 203 Bernardus Parmensis  284 Glossa ordinaria  284 Bernardus portarum  183 Bernhard v. Bessa  159 Speculum disciplinae  159 Bernhard v. Clairvaux  1, 3, 6, 62, 70f., 85, 133, 139–42, 144f., 150–5, 158 De praecepto et dispensatione  85, 139, 142, 144, 150f., 153, 155 Epistola: Ad Adam monachum  154 Epistola: De moribus et officio episco­ porum  158 Parabolae  152 Sermones de diversis  154 Bernhard, Mönch in Cluny  171 Consuetudines  171 Bernhard v. Tiron  21, 35, 39, 54, 97 Berno, Abt v. Cluny  118f., 245 Bertrand I. de Colombier, Abt v. Cluny  268f., 271, 273f., 276, 288 Bologna  86, 333, 347, 383 Bonaventura  1, 20, 69, 105–7, 113, 137 Itinerarium mentis in Deum  20 Legenda maior  69 Bonifaz VIII., Papst  123, 268–70, 274–6, 282f., 292 Bruno v. Köln  72, 74, 97, 111, 298

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Register

Epistola: Ad filios suos Cartusiense  74, 97 Burgund  172 Caaths → Kehat Caesarius v. Arles  165 Regula → Regula Caesarii Arleatensis Calixt II., Papst  169, 180, 209 Camaldoli  91, 127 Canterbury  168 Canturio → Cantù Cantù (Mailand)  259 Cappenberg  221 Carta caritatis  12f., 63, 93, 112f., 168f., 175, 178, 180, 186, 209, 231, 250, 297–9, 306 Cassian  55, 140, 153, 163, 167, 170 Collactiones patrum  55 De institutis coenobiorum  153 Centumcellae  124 Chalais  178 Chaumont  224, 226 Columban  167, 170, 172 Regula → Regula Columbani Consuetudines Antelmi  307 Consuetudines Basilii  307 Consuetudines canonicorum regularium Sprin­ giersbacenses Rodenses  167, 182, 229 Consuetudines Cartusiae → Guigo I. Consuetudines Farfensis  216 Consuetudines Floriacenses → Libellus consue­ tudinarius Consuetudines Fructuarienses → Ordo de Oboedientiis Consuetudines Hirsaugienses  216 China  1, 14 Christus → Jesus Christus Chronica Bernardi Iterii → Bernard Itier Chronicon Cluniacense → Franciscus de Rivo Chronicon Montis Sereni  80, 87, 89 Cîteaux  61, 112, 231, 235, 291, 296, 297 Clairefontaine (Laon)  227 Clemens IV., Papst.  256f Clemens V., Papst  274 Clermont-Ferrand  59, 116, 258 Cluny  1, 11, 91f., 94, 112, 116–20, 138, 163, 167, 171, 178f., 182, 200, 209, 232–94, 296 Cölestin II., Papst  169

Cölestin III., Papst  169 Compilatio Assisiensis → Legenda Perusina Constitutiones Concilii quarti Lateranensis  83, 166, 189, 207 Corpus iuris canonici  47, 192f., 196, 199, 201–3, 205f. Corrèze, Fluß  51, 55 Corrèze, Tal  96, 349 Coulombs  33, 37, 45, 340 Dalon  59–62, 166, 176 David, isr. König  6, 29, 121, 127, 129 David v. Augsburg  27–9, 31, 159 De exterioris et interioris hominis composi­ tione  27f., 159 Decretum Gratiani  47, 182, 187, 194, 198f., 283, 295 De consuetudine diurnali et nocturnali  171 De interiori domo seu De conscientia aedi­ ficanda  7, 30 Deutschland  117, 188 Dialogus duorum monachorum  177 Dominikus  84, 145, 299 Dordogne, Tal  51 Ecclesiastica officia  183, 306 Elias  127, 129 Elias v. Cortona  79 Elisabeth v. Schönau  39 Liber viarum Dei  39 Eliseus  127, 129 England  117, 178, 242, 273, 308 vgl. → Anglia Epistola cujusdam de doctrina vitae agenda  4, 20, 141 Ethan, Fluß  129 Eugen III., Papst  61, 224, 226, 229, 231 Europa  1, 14, 114 Exordium parvum  112 Ferdinand v. Kastilien  246 Floreffe (Namur)  173, 223 Florenz  16 FonteVr.Aud  77, 97, 162, 169, 179 Francia  21, 72, 117, 120, 172, 274, 289 Franciscus de Rivo  119

Register 

Chronicon Cluniacense  119 Franciscus de Puteo  111 Vita altera [Brunonis]  111 Frankreich  21, 72, 120, 274 Franziskus v. Assisi  22, 48, 56, 63–79, 88, 116, 132–6, 139, 166f., 172f., 175f., 181, 186 → Regula bullata → Regula non bullata Testamentum  64, 68, 75, 77–9, 133, 136 Fruttuaria  92, 171 Gallia  289 Gascogne  256, 289 Gaucher d’Aureil  49 Gaufridus Grossus  39, 44 Vita Bernardi  39, 43 Geoffroy de Lèves  56 Georgius v. Ungarn  22f. Gérard de Sales  49, 59 Giraldus Cambrensis  246f. Speculum ecclesiae  247 Girardus v. Arvernia  116–9, 122, 125, 134, 136, 258, 277, 289 Abbreviatio historie figuralis  116 Exhortatiunculae  116f., 136, 235, 249, 258f., 261, 277, 289 Girardus v. Sales → Gérard de Sales Goffredo da Trani  81, 139, 178f., 190f., 193, 198, 206, 295 Summa super titulis decretalium  81, 139, 178f., 190f., 193, 198, 206, 295 Gorze  91f. Gottfried v. Lèves → Geoffroy de Lèves Grande-Chartreuse  56f., 111, 183, 298 Grandmont  71 Gregor I., der Große  95, 140, 152, 155, 192 Dialogi  192 Moralia in Job  152 Gregor IX., Papst  64f., 70, 72, 74f., 78, 187, 197, 205, 234, 243, 247–57, 259, 262–6, 268, 279, 282, 287f., 292 Quo elongati  64, 72, 75 Gregor X., Papst  257 Guasconia → Gascogne Guillaume III. de Pontoise → Wilhelm III., Abt v. Cluny

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Guillaume Durand iun.  281 Guigo I.  57, 183, 298 Consuetudines Cartusiae  183, 298, 307 Hadrian IV., Papst  226–9 Halle  80 Heinrich I., Abt v. Cluny  273–5, 279, 283, 285, 288, 292 Heinrich v. Friemar  116, 123, 125, 134–6 De origine et progressu ordinis fratrum ere­ mitarum St. Augustini  116, 123 Heinrich v. Lausanne  45 Heinrich v. Susa → Hostiensis Hieronymus  157 Hirsau  92, 167, 174, 182, 188, 216 Hispania  86, 117, 267, 289 Honorius II., Papst  220, 229, 233 Honorius III., Papst  86, 93, 167, 201, 205 Honorius IV., Papst  262 Horeb → Sinai Hostiensis  81, 190f., 201¸203f., 206, 208, 284, 295, 297 Summa aurea  81, 190, 193, 203, 295 Hugo, Bischof v. Grenobles  183 Hugo I., Abt v. Cluny  117, 218, 221, 232f., 235, 237, 245, 257f., 273, 278, 288f., 293 Imprecatio beati Hugonis abbatis  117 Hugo II., Abt v. Cluny  118 Hugo IV., Abt v. Cluny  119, 250 Hugo V., Abt v. Cluny  169, 239f., 242, 246, 248, 261, 271, 279, 281f., 288, 298 Hugo VI., Abt v. Cluny  118, 252 Hugo, Prior v. Prémontré  222, 226 Hugo v. Digne  73 Expositio super regulam  73 Hugo v. Folieto  3 De claustro animae  3 Hugo v. Fosses  211 Hugo v. Lacerta  42, 110f., 131, 214 Liber de Doctrina  25, 42, 53, 71, 95, 110, 131, 160, 162, 214 Hugolino v. Ostia → Gregor IX. Humbert de Romanis  24f., 84, 87–91, 93, 102, 139, 144–59, 161, 171, 176, 179f., 189, 194f., 207, 211, 299f., 302, 308, 316–22

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Epistola […] de tribus votis sustantialibus religionis  146–9 Expositio regulae beati Augustini  150–7, 176, 179f Expositio super Constitutiones  24, 84, 102, 161, 172, 190, 195, 211, 299f., 302f., 316–20, 322 Instructiones de officiis ordinis  145 Liber constitutionum ordinis fratrum Praedi­ catorum  144, 309f., 314, 321 Liber de eruditione praedicatorum  144 Questiones circa statuta ordinis praedica­ torum  318, 321 Humbertus Sancti Sulpicii  183 Innocenz II., Papst  173, 212, 221–4, 228–31 Innocenz III., Papst  69, 73, 80, 83, 133, 192f., 197, 199, 201, 239, 243, 247f., 280–2, 285, 288, 291 Sermones de diversis  152, 154, 184, 281 Innocenz IV., Papst  193f., 197f., 200, 202, 207 Apparatus quinque librorum decreta­ lium  193f., 197f., 200, 202, 207 Commentaria super Libros quinque Decreta­ lium  283 Instituta generalis capituli  306 Institutiones patrum Praemonstratensis ordi­ nis  110, 166, 214 Isidor v. Sevilla  182 Etymologiae  182 Italien  117, 161, 172, 254 Ivo v. Chartres  33–5, 39, 48, 53, 56, 131, 216 Jacques de Vitry  68, 87–9, 91, 93, 132f. Historia occidentalis  68, 87, 89, 102, 133, 179 Epistulae  87 Jakob v. Schwerte  90 Johannes (Evangelist)  34 Johannes, Kardinal v. St. Paul  133 Johannes der Täufer  42f., 127, 129 Johannes Teutonicus  283 Johannes v. Fruttuaria  140, 146, 152 Tractatus de ordine vitae  140, 146, 152

Johannes v. Paris  282 Juniper, Gefährte des → Franziskus  22 Kalabrien  72 Kaukasus  1 Kehat, bibl. Großvater Moses  29 La Chaise-Dieu  54 La Charité (Nivernois)  243, 246–8, 268, 270 Layrac (Gascogne)  255 Lanfranc v. Bec  36, 46f., 168, 173 Laon  223f Lauterberg  80Legenda beati Dominici  85 Legenda Perusina  74, 76, 133 Legenda trium sociorum (Anonymus Perusi­ nus)  67, 69f., 72 Leo I., Papst  283 Leonardo da Vinci  1 Lewes  242 Libelli definitionum OCist  174, 306 Libellus de diversis ordinibus  38, 100f., 218 Libellus Consuetudinarius  171 Liber de Doctrina → Hugo v. Lacerta Liber de modo bene vivendi  26, 140 Liber extra  93, 185, 187–208, 281, 283f., 286, 295 Liber heremitice regule  125–9, 170, 176 Liber Pontificalis  119 Liber provincialis  207 Liber tramitis aevi Odilonis abbatis  167 Limoges  55, 94, 130 Limousin  24, 40, 42f., 49, 59, 109, 214 Lotharingia  289 Lucca  91 Lucius II., Papst  209, 218, 224f., 228, 230f Lucius III., Papst  226, 238 Ludwig IX.  251 Ludwig der Fromme  91, 175, 177 Luther, Martin  1 Macarius  172 Magdeburg  80, 82, 211f Maiolus, Abt v. Cluny  273, 278 Marbod, Bischof v. Rennes  44f. Maria v. Bethanien  92 Marseille  92

Register 

Martha v. Bethanien  92 Martin v. Troppau  118 Matthäus (Evangelist)  67, 73 Matthäus Paris  80 Chronica maior  80 Meditationes piissimae  7 Mekka  23 Menat, Abtei (Auvergne)  246 Milo  183 Moissac  246 Molesme  112, 142 Mont-Dieu  230 Mont-Saint-Michel  1 Montecassino  1, 182 Montierneuf  246, 254 Moses  127f., 282 Moûtier-la-Celle (Troyes)  4, 11 Mozac  259f., 262 Muret  94 Namur  223 Nigellus v. Longchamp  238 Speculum stultorum  238 Nikolaus III., Papst  256–8, 288 Nikolaus IV., Papst  234f., 262f., 267, 269f., 272f., 275f., 279, 282, 293 Nivernois  246 Norbert v. Xanten  35, 39, 53, 58, 66, 72, 90, 97, 109, 112, 160, 166, 214, 298 Normandia  289 Obazine  41, 57, 59–62, 109, 160, 166 Odilo, Abt v. Cluny  273, 278 Odo, Abt v. Cluny  118 Opusculum in haec verba ‘Ad quid venisti’  142, 147f. Ordericus Vitalis  37–9, 44 Historia ecclesiastica  37–9, 44 Ordo de Oboedientiis  171 Orient  72 Otto v. Freising  54, 98–100, 103 Chronica  54, 98f., 103 Oxford  316 Oxonie → Oxford Pachomius  9, 140, 163, 167, 170, 172

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Regula → Regula Pachomii Paganus Bolotinus  37 Versus […] de falsis heremitis  37 Palästina  1 Paschalis II., Papst  232, 257, 280 Paray-le-Monial  254 Paris  86, 119, 168, 300 Pavia  1 Payen Bolotin → Paganus Bolotinus Pétronille de Chemillé  77 Petrus, Gefährte des Stephan v. Obazine  54 Petrus, hl.  212, 233, 258 Petrus Cellensis  4, 11, 142 De disciplina claustrali  4 Petrus de Sancto Christoforo, Prior v. Grandmont  166 Petrus Valdes  45 Petrus Venerabilis  94, 168, 178, 180, 233f., 236, 238, 244, 258, 278, 280, 293 Philibert v. Jumièges  172 Philipp II. August  251 Philipp IV.  274 Polen  1, 214 Polirone → S. Benedetto Pons de Melgueil → Pontius Pontius, Abt v. Cluny  233, 238, 257 Portiuncola (Assisi)  72 Portugal  1 Prémontré  109, 211, 214, 220, 222f., 226, 229, 296 Quinque compilationes antiquae  191f., 205f. Rainaldus, Abt v. Cluny  118 Rainardus, Gefährte Stephan v. Obazine  61 Rainaldus  35f., 46f. De vita monachorum  36 Raimund de Peñaforte  205, 305 Redactio Vallombrosana  171 Regula Augustini  24, 42, 53, 58, 66, 70f., 80, 82–4, 87, 89, 90f., 95, 97, 99, 110, 123f., 131–3, 144, 146, 151f., 154f., 159, 164–6, 173, 175f., 179, 188–90, 211, 214f., 217, 220f., 223f., 229f., 303, 306 Regula Basilii  95 Regula Benedicti  5f., 22, 24, 33f., 42f., 53,

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59, 70f., 80, 82, 89, 93–5, 97, 99, 126f., 131–3, 140–2, 148, 150f., 165, 167, 169f., 172, 175, 179f., 182, 184, 188f., 198, 200, 202, 211, 214, 217, 221, 231, 238, 240, 242, 261, 264, 285, 295 Regula bullata  74, 78, 133, 139, 167, 176 Regula Caesarii Arleatensis  165 Regula Columbani  167, 170, 172 Regula Magistri  140 Regula Macarii  172 Regula non bullata  73f., 78, 139 Regula Pachomii  9, 163, 167, 170, 172 Regula S. Salvatoris  176 Regula venerabilis viri Stephani Muretensis  43, 53, 71, 95, 110, 132, 139, 160, 166, 176, 179, 195 Regularis concordia Anglicae nationis  177, 182 Reims  230 Reprehensio libelli abbatis Clarevallensis  198 Richard v. St. Viktor  26 Benjamin maior  26 Robert v. Arbrissel  34f., 44f., 53, 63, 72, 77, 97, 169 Rodulphus, Abt v. St. Vito (Verdun)  36 Roger Bacon  1 Roland, Abt v. Cluny  251, 255 Rom  121, 226, 274 Romuald v. Camaldoli  127, 129, 176 Rottenbuch  91 Rudolph, Abt v. Cluny  244 S. Benedetto (Polirone)  233, 237, 246, 254 St-Bertin  216, 233 S. Frediano (Lucca)  91 St. Gallen  14 St-Germain (Auxerre)  251 St. Gilles  233 St-Leu d’Esserent (Picardie)  262 St-Martin (Laon)  223 St-Martin-des-Champes  246 St. Michael (Bamberg)  174 St-Quentin (Beauvais)  91 St-Ruf (Avignon)  91 S. Spirito (Florenz)  16 St. Trond  216 St. Ulrich (Freiburg i. Br.)  259

St-Victor (Marseille)  92 St. Vito (Verdun)  36 Savigny  178 Savonarola  1 Schwaben  91 Septfontaines-en-Bassigny  223 Series gestorum  119 Serlo v. Savigny  98 Siegburg  92 Sinai  128f. Sinibaldus Fieschi (Fliscus) → Innocenz IV. Sizilien  1 Skandinavien  1 Souvigny  231 Spanien → Hispania Speculum perfectionis  71, 133, 175 Springiersbach  230 Supplementa ad Consuetudines Basilii  307 Statuta Jancelini  307 Statuten v. Cluny  250, 254f. 1132–1146  168, 178, 180, 238f. 1200  11, 168, 188, 200, 239–43, 245, 249, 259, 261, 271, 279, 281, 288, 292, 296, 298, 307f. 1205/1206  119f., 169, 243–5, 249, 252, 261, 264, 271, 279, 281, 285, 288, 208 1276  183, 261, 271, 308 1277 (für England)  178, 261, 308 1301  271, 288, 308 1307/1308  272 1314  142, 275, 279, 288, 308 Statuten v. Prémontré (12. Jh.)  11, 29, 164, 178, 222f., 227, 239, 307 Statuten v. Prémontré (13. Jh.)  164 Steinfeld  229 Stephan v. Liciac  166 → Regula venerabilis viri Stephani ­Muretensis Stephan v. Mercœur, Abt v. La ChaiseDieu  54 Stephan v. Muret  24–6, 35, 42, 44, 47, 49, 52f., 58, 62f., 66, 71, 74, 94–7, 110, 116, 130, 132–6, 160, 166, 214, 298 Stephan v. Obazine  21, 25f., 29, 33–63, 66, 72, 77, 96–8, 109, 160, 166, 176 Stephan v. Thiers → Stephan v. Muret

Register 

Stephan Harding  112, 231 Theodomar v. Montecassino  182 Epistula ad Theodoricum gloriosum  182 Thiron  90, 97 Thomas v. Aquin  1, 150–52 De regimine principum  283 Scriptum super Sententiis  150 Summa theologiae  152 Thomas v. Cantimpré  86 Bonum universale  86 Thomas v. Celano  70, 73, 76, 173 Vita prima sancti Francisci  70 Vita secunda sancti Francisci  73, 76, 173 Thüringen  231 Tractatus de statu virtutum  140f., 146, 152, 156, 197 Troja  121 Ulrich v. Cluny  167, 171, 182 Udalrici Consuetudines Cluniacenses  167, 171, 182 Urban II., Papst  47, 198, 232, 280 Urban III., Papst  238 Urban IV., Papst  258 Usus conversorum  183, 306 Val-des-Choux  90 Valenciennes  223 Vallombrosa  91, 171 Verdun  36 Vicogne (Valenciennes)  223 Victor IV., Papst  237

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Vienne  281 Vita altera [Brunonis] → Franciscus de Puteo Vita Benedicti abbatis Anianensis  177 Vita Filiberti  172 Vita Norberti (A)  39, 58, 66, 97, 109f., 160, 166, 211, 214, 221 Vita Norberti (B)  112 Vita Stephani ampliata  95 Vita Stephani Obazinensis  21f., 25, 40f., 49–52, 54–7, 59–62, 66, 72, 77, 96, 109, 160f., 166 Vita venerabilis viri Stephani Muretensis  43, 110 Vitalis v. Savigny  35, 39, 53, 97, 214 Warenne  243 Weber, Max  8, 53, 65, 165, 181 Westminster  1 Wilhelm II., Abt v. Cluny  247 Wilhelm III., Abt v. Cluny  251–57, 262, 279, 287, 292 Wilhelm IV., Abt v. Cluny  263, 268–70 Wilhelm v. Hirsau  216 Constitutiones Hirsaugienses  216 Wilhelm v. Saint-Thierry  3, 14, 333 De natura et dignitate amoris  3, 333 Epistola aurea ad fratres de Monte Dei  14, 333 Wilten (Innsbruck)  224 Yvo I., Abt v. Cluny  116, 256–60 Yvo II., Abt v. Cluny  256–63, 271

Sachen Absetzung v. Amtsträgern  220, 237, 241, 243, 245, 249–51., 253f., 257, 259f., 262, 265f., 269, 272, 276, 286 Abt  6, 11, 13, 22, 33, 59, 61, 113, 118f., 134, 138, 142, 151, 161, 200, 207, 211, 218, 220, 226, 231f., 233–5, 238–53, 256–66, 268–78, 283, 285, 287f., 291–4, 297 Armut  17f., 25, 35, 40, 52, 62, 68, 73, 78,

88, 91, 96f., 110, 123, 131, 133, 139, 149, 155, 191–3, 195, 300 Arrouaise (Regularkanonikerverband)  90 Askese  7f., 12, 20, 31, 51, 54, 109, 142 vgl. → Armut, Keuschheit Augustiner-Eremiten  16, 116, 123–5, 134 Benediktiner  1, 3f., 6, 11, 17, 91, 94, 143, 166, 176, 188, 214, 247, 286

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Register

Besitz  17, 35, 88, 97, 123, 170, 172, 192, 220, 254, 257 Besitzlosigkeit → Armut Bischöfe  33, 37, 39, 44, 47, 53, 55f., 59, 92, 96, 105, 118f., 122, 151, 162, 168, 183, 188, 191, 199, 202–4, 211f., 219f., 224, 226, 257, 260, 269, 281, 283, 298 Calatrava, Orden v.  90 Camaldulenser  116, 125, 130, 135f., 170, 176, 280 Camerarius  240–2, 245,l 249f., 259, 273, 282 Charisma  7f., 25, 33, 40, 48–79, 92, 96f., 108–111, 131, 160f., 176, 237, 293, 298 Cisterzienser  1, 3, 6, 12f., 17, 22, 50, 57, 59, 61–3, 84f., 89f., 93f., 96, 98, 109, 112–4, 143, 168f., 174–81, 183, 188, 198, 201, 204, 206f., 209–12, 230f., 235, 237, 239, 247, 249f., 280, 286f., 289, 291, 296–9, 306–8 Cluniazenser  11, 22, 39, 90, 93f., 116–20, 125, 134, 136, 138, 142, 162f., 167–9, 171, 174, 177–9, 183f., 188, 200f., 209, 216, 232–94, 296, 298, 307 consuetudines  10, 55f., 93, 97, 160–86, 188, 216f., 220, 222f., 227, 229f., 278, 298, 307

Eremiten  14, 17, 21, 23f., 29, 33–7, 39–44, 46f., 49, 54f., 59–61, 66, 68, 70, 72, 87, 89, 91–3, 95–7, 101, 109, 123–32, 135f., 143, 166, 175f., 179, 188, 214, 216 Evangelium  25, 43, 47, 58, 64, 66, 68f., 71, 73, 76, 88, 95–7, 101, 110, 131–3, 135, 139, 160, 178f., 181, 195, 214–6 Exemption  200, 203, 205, 234 Exkommunikation  226, 260f., 267, 271, 274 Fasten  4, 22, 28, 81, 141, 154 forma vitae  59, 77, 79, 83, 165, 170, 176f., 186 Franziskaner  1, 14, 21, 27, 64–83, 87–9, 93, 105, 112, 123f., 133, 159, 174, 179, 205, 258 Frauen  4, 24, 42, 59, 61, 90, 103, 137, 144, 165, 175, 215, 259, 306

Definitoren  168f., 234, 241, 244–7, 249f., 252, 255f., 259–62, 264–8, 270–6, 285, 287, 293, 296, 300, 302, 310, 312f., 318f. Demut  4, 15, 18, 22, 28, 36, 40, 44f., 52, 57, 62, 68, 70, 76, 88, 96, 117, 128, 133, 233, 243, 259 Devianz  5, 11, 157, 206, 220, 222, 299, 312 Dominikaner  13f., 22, 24, 29, 80, 83–7, 90, 93, 113f., 118, 123f., 145f., 153, 159, 161, 164, 168f., 171f., 174, 176, 178, 180, 185, 189, 195, 205, 207, 211, 295–323 Doppelkloster  97

Gebet  4, 14, 28f., 36, 55, 73, 81, 170, Gehorsam  2, 6, 31, 33, 35, 40, 52, 62, 73, 78, 80, 91, 96f., 103, 117, 139–159, 171, 179, 191f., 195, 197, 231, 233, 243, 248, 252f., 265, 267, 270f., 277, 291f., 303, 312, 315f., 320 Gelübde → Profeß Generalkapitel  10, 13, 61, 73, 93, 98, 113f., 119, 143, 162, 168f., 174, 188, 201, 204f., 209f., 212, 219, 224–7, 229f., 238, 240–2, 244–52, 254–7, 259–68, 270, 272–6, 284–7, 291–3, 296f., 299–310, 313–9 Generalmagister  24, 84, 144, 146, 154, 161, 171, 189, 211, 299, 303–5, 312f., 316 Generalminister  73, 77, 79, 105 Gerechtigkeit  6, 10, 44, 76, 140, 156f. Gewissen  7, 10, 15, 30, 47, 63, 100, 106, 126, 143, 145, 148f., 154, 195, 198f., 315f. Grandmontenser  53, 58, 66, 71, 74, 90, 95, 97, 110, 116, 130, 162, 166f., 176, 188, 214, 286, 298 Guardian  76, 78

Einkleidung  198 Einsamkeit  34, 39, 44, 55, 72, 94, 111, 126–30, 166, 170, 194 Einsiedler → Eremiten

Habit  21, 24–27, 42, 44, 59, 88–90, 98, 100, 124, 191, 197f., 203, 214, 217, 314 Handarbeit  4, 14, 18, 55, 60, 81, 88, 100, 152, 170

Register 

Hospitarier  90, 206 Humilitas → Demut Humiliaten  90 Ius commune  81, 93, 162, 169, 187–91, 203, 206–8, 295, 297, 303, 312, 319 Ius particulare  169, 187f., 190f., 206f., 295 Kardinäle  43, 65, 69f., 72, 118, 133, 262, 282 Kartäuser  57, 72, 74, 90, 93, 97, 109, 118, 162, 174, 179, 183, 188, 201, 230, 249, 286, 298f., 307–9 Keuschheit  28, 73, 139, 149, 179, 191–5 Kirchenrecht → ius commune Kleriker  19, 47, 80, 91, 98, 105, 116, 124, 191, 217, 258, 265, 281, 310–2 Kommentare zu Regeln  144, 149, 173, 176, 180, 303 Konstitutionen  24, 84, 144, 161, 171, 300, 302, 316–22 vgl. → Humbert v. Romanis, Expositio s. const. ius commune  191, 196, 198, 283 Konstitutionen  24, 83–5, 114, 144f., 153, 160–86, 189, 200, 295–322 vgl. → Statuten Konversen  310f. Konversion  4, 15, 20, 96, 141, 191, 261 Konzilien 2. Lateranum  132 4. Lateranum  30, 83, 122f., 166, 176 Lyon (1274)  123 Vienne (1311/1312)  281 Laien  19, 21, 61. 80, 101, 105, 265, 268 Liturgie  4, 14, 20, 29, 55, 62, 81, 168, 170f., 183, 238, 273f., 288, 311

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Ordo Praedicatorum → Dominikaner Prämonstratenser  11, 29, 58, 66, 84, 89f., 93, 98, 109, 122, 163f., 169, 172f., 177–9, 188, 209–32, 239, 286, 298f., 306–8 Predigt  17, 35, 39f., 51, 54f., 66, 72f., 76, 80, 85, 88, 90, 101, 144f. Prior  6, 56f., 118, 124, 151, 166, 168, 183, 200, 218f., 234, 240f., 243–5, 247–59, 261–4, 266–70, 272–7, 298–300, 302–4, 310–5 Priorat  189, 232f., 238, 241–3, 246, 252, 254, 256–8, 265–9, 272, 275, 277 Profess  4, 29, 35, 94, 99, 139, 142, 149, 151, 153, 196–8, 224, 234, 253 Provinzen (v. Orden und Kongregationen)  168, 201, 234, 240, 245, 249, 259, 261, 282, 286, 293, 296, 299f., 302, 304f., 310, 312–6 Regularkanoniker  3, 44, 59, 68, 90, 139, 167, 179, 188, 191–3, 199, 201, 205, 237, 286 Ritual  4, 18, 20, 22 Savigny, Kongregation v.  178 Schuldkapitel  4, 31 Seelsorge  91f., 145, 194, 203 Solitudo → Einsamkeit Statuten  10f., 29, 52, 57, 62, 84, 97, 119, 142, 144, 160–186, 191, 200, 222f., 226–8, 232–94, 296, 298–300, 306–9, 316, 318, 321 Synoden  196, 254, 274 vgl. → Konzilien

Minderbrüder → Franziskaner

Templer  206, 299 Teufel  27, 31, 34, 36, 46, 48 126f., 141 Tonsur  27, 33, 196 Transitus  198–200, 204

Novizen  10, 162, 170, 197f., 258

Usus conversorum  183, 306

Obazine, Kongregation v.   41, 46, 49–63, 72, 77, 96, 109, 166, 176 Oboedientia → Gehorsam Ordenswechsel → Transitus

Vallombrosaner  91, 171, 280 Viktoriner  90 Visitation  84, 93, 98, 162, 183, 188, 200–2, 204f., 209–12, 240f., 244, 246f., 249–51,

397

398

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Register

255f., 259f., 264–7, 272f., 275–7, 286, 293, 296, 310, 313, 315 Vita activa  25, 92 Vita apostolica  143 Vita canonica  203, 211, 216 Vita communis  34f., 53, 92, 121, 196 Vita contemplativa  25, 33, 92 Vita eremitica  34, 43, 55, 59, 95f., 135, 176 Vita evangelica  64, 71, 73, 135

Vita monastica  35, 37, 41, 44, 92, 94, 176, 194, 203, 211, 216, 248f., 288 Vita perfectionis  131, 195 Vita solitaria  35 Wanderprediger  21, 23, 37, 39, 58, 72, 97 Zönobitentum  33, 35–7, 54, 82, 91, 126, 129, 143, 163

GERT MELVILLE, GREGOR VOGT-SPIRA, MIRKO BREITENSTEIN (HG.)

GERECHTIGKEIT (EUROPÄISCHE GRUNDBEGRIFFE IM WANDEL: VERLANGEN NACH VOLLKOMMENHEIT, BAND 1)

So hoch der Stellenwert ist, der Gerechtigkeit beigemessen wird, so trefflich lässt sich streiten, was »gerecht« ist. Doch über eines scheint Konsens zu bestehen: Die Realität ist nie vollständig gerecht, überall lassen sich noch »Ungerechtigkeiten« ausmachen, die überwunden werden müssen. Ein solches »Streben nach Vollkommenheit« zeichnet die Auseinandersetzung mit Gerechtigkeit durch die ganze europäische Geschichte hindurch aus. Der Band betrachtet Gerechtigkeit daher nicht als einen statischen Wert, sondern widmet sich der Dynamik des Gerechtigkeitsbegriffs im doppelten Blick auf theoretische Entwürfe wie auf praktische Umsetzungen. Der Bogen wird dabei von den griechisch-römischen Grundlagen bis zu den »Gerechtigkeiten« im Diskurs der Gegenwart gespannt. Als Kontrapunkt zur europäischen Sicht wird zum Abschluss das islamische Verständnis von Gerechtigkeit gesetzt, das sich davon unterscheidet. 2014. 270 S. 6 S/W-ABB. FRANZ. BR. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22182-9

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

CRISTINA ANDENNA, GERT MELVILLE (HG.)

IDONEITÄT – GENEALOGIE – LEGITIMATION BEGRÜNDUNG UND AKZEPTANZ VON DYNASTISCHER HERRSCHAFT IM MITTELALTER (NORM UND STRUKTUR, BAND 43)

Die Untersuchungen zur Begründung und Akzeptanz dynastischer Herrschaft haben bislang einem entscheidenden Aspekt wenig Beachtung geschenkt: Was ließ einen politischen Akteur und seine Dynastie im Mittelalter besonders geeignet zur Herrschaft erscheinen? Wie lässt sich Idoneität als Geltungsressource zur Legitimation von Herrschaft genauer beschreiben? Mit welchen Argumenten und Strategien wird versucht, die spezifische Qualität von Herrschern und ihren Dynastien überzeugend zu vermitteln? Wie werden genealogische Entwürfe konstruiert, und wo liegen die Grenzen ihrer Plausibilität? Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen diesen Fragen an Fallbeispielen aus dem europäischen Hoch- und Spätmittelalter nach. 2015. CA. 472 S. CA. 30 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-21053-3

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