Frömmigkeit und Symbolspiel: Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie 3525623607, 9783525623602

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Frömmigkeit und Symbolspiel: Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie
 3525623607, 9783525623602

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VÖR

Arbeiten zur Pastoraltheologie

Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 37

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Frömmigkeit und Symbolspiel Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie

Von Sabine Bobert-Stützel

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Für Ute Minne

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Bobert-Stützel, Sabine: Frömmigkeit und Symbolspiel: ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie / von Sabine Bobert-Stützel. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 2000 (Arbeiten zur Pastoraltheologie ; Bd. 37) ISBN 3-525-62360-7 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT © 2000 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Hinter diesem Buch liegen Wege, auf denen ich vielen Menschen zu Dank verpflichtet bin. Da ist zunächst mein Doktorvater Prof. em. Jürgen Henkys, der mich dazu nötigte, nicht nur über Pastoralpsychologie zu reflektieren, sondern meine dialektisch-theologischen Bedenken zu überwinden. Er begleitete dieses Projekt, auch wenn ich darin meine eigenen Wege gegangen bin. Ausschlaggebend für meine pastoralpsychologische Option für neue psychoanalytische Strömungen wurden meine Kontakte zum „Evangelischen Zentralinstitut für Ehe- und Familienberatung" in Berlin. Dr. Friedrich·Wilhelm Lindemann, Dr. Klaus Brauner und Dr. Ingeborg Volger machten mich auf theoretischer Ebene, auf Selbsterfahrungsebene und in orientierenden Gesprächen mit einer Form von Psychoanalyse vertraut, die die Orthodoxie und verkrustete Frontstellungen (auch gegenüber der Religion) hinter sich gelassen hat und die bereits im Ansatz andere psychologische sowie soziologische Strömungen integriert. Danken möchte ich auch Prof. em. Klaus Winkler (f) sowie Prof. Dietrich Stollberg, die mir im Endstadium der Arbeit den Mut gaben, sie zuende zu führen. Hilfreich war auch der Druckkostenzuschuß durch die Evangelische Kirche der Union. Berlin, Januar 2000

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„Der Glaube ...ist ein Abkömmling der Liebe und hat zuerst der Argumente nicht bedurft." (Sigmund Freud 1916/17, 463)

Inhalt Einleitung

Teil I: Praktisch-theologische Grundlagen einer evangelischen

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Frömmigkeitstheorie

1. Zur jüngeren Vorgeschichte einer evangelischen Aszetik 1.1. Zu den Begriffen , Aszetik' und .Frömmigkeit' 1.2. Zwei Wendepunkte in der evangelischen praktisch-theologischen Reflexion über Frömmigkeit zwischen 1900 und 1970 1.2.1. Paul Drews über „Religiöse Volkskunde" als Aufgabe Praktischer Theologie 1.2.2. Reflexionen im Rahmen der Religionssoziologie und der Säkularisierungshypothese in den sechziger Jahren 2. Gegenwärtige Postulate einer evangelischen Aszetik Exkurs: Neuere Untersuchungen zum Thema ,Frömmigkeit' im Theologiestudium 2.1. Die Grundlegung einer Aszetik nach Rudolf Bohren 2.2. Die Grundlegung einer Aszetik nach Henning Schröer 2.3. Die Grundlegung einer Aszetik nach Manfred Seitz 2.4. Friedrich Wintzer über Frömmigkeit als Grunddimension Praktischer Theologie 2.5. Anstöße aus der feministischen Spiritualität für eine evangelische Aszetik 2.6. Wertender Rückblick zur Rahmenbeschreibung für eine evangelische Aszetik

23 23 34 34 37 42 42 50 51 53 57 59 62

Teil Π: Prolegomena zur pastoralpsychologischen Grundlegung einer evangelischen Aszetik mit psychoanalytischer Dialog-Option 1. Psychoanalyse: Definition, Abstraktionsebenen, Anarchie der Metapsychologie

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2. Psychoanalyse in Beziehung zur christlichen Religion

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2.1. Der objektbeziehungstheoretische Ansatz

74 7

2.1.1. Zur zentralen Rolle des Verstehenskonzepts von Übertragung und Gegenübertragung 2.1.2. Zur Metaphorik des Theaters, des Tanzes und der Inszenierung 2.2. Selbstpsychologie 2.2.1. Selbstobjekt-Übertragungsformen 2.3. Gegenwärtig führende Konzeptionen in der psychoanalytischen Religionspsychologie Theologisch problematisch erscheinende Aspekte an der gegenwärtigen psychoanalytischen Religionspsychologie Zum Dialogmodell einer .spannungsreichen Interaktion zweier Anderer' Exkurs: Zur Dialoggeschichte der Dialektischen Theologie mit der Psychoanalyse am Beispiel K. Barths Merkmale einer psychoanalytisch optierenden Pastoralpsychologie in theologischer Verantwortung

Teil III: Spiel als Kriterium einer evangelischen Aszetik Definitionen von ,Spiel' im Rahmen empirisch-psychologischer Spielforschung ,Spielen' in psychoanalytischer Perspektive 2.1. .Spielen' aus triebtheoretischer Sicht: Sigmund Freuds Spielkonzept Exkurs: Von Freud besprochene Spielkategorien 2.2. Zur Weiterentwicklung der psychoanalytischen Spieltheorie in spieltherapeutischen Konzeptionen 2.3. .Spielen' in objektbeziehungstheoretischer Sicht: Donald W. Winnicotts Konzeption 2.4. Rahmenbedingungen des Symbolspiels in objektbeziehungstheoretischer und selbstpsychologischer Sicht 2.4.1. Spielraum: Der Möglichkeits-Raum von .Finden' und ,Er-Finden' Exkurs: Winnicotts Konzeption der Übergangsobjekt-Beziehung als Leitmodell seiner Charakterisierung von „Spielraum" 2.4.2. Spielerinnen und Spieler: Differenzerfahrung und Differenztoleranz 2.4.3. Spielformen: Spielarten positiv empathischer SelbstobjektBeziehungen Exkurs: Zur Ambivalenz von holding durch Regeln

3. Theologische Grundelemente zu einer pastoralpsychologischen Theorie von Symbolspiel

198

3.1. Die evangelisch-theologische Annäherung an das Thema der Freiheit im Spiel 3.2. Spielraum: Das Spielfeld als Möglichkeitsraum 3.2.1. Spielfreiheit als Möglichkeitserschließung und „dramatische Illusion" 3.2.2. Zur theologischen Kritik am Primat der Kategorie des Wirklichen 3.2.3. „Jenseits des Realitätsprinzips" 3.3. Spielerinnen und Spieler: ,Kinder' vor Gott 3.3.1. Theologische Konzeptionen von Kindsein zwischen Regression und Progression 3.3.2. Der „Spielraum der Freiheit" aus der Sicht der „Polyphonie" christlicher Autonomie 3.3.3. Von der „ersten Naivität" zur „zweiten Mittelbarkeit"

198 205 205 217 221 225 225 240 245

Teil IV: Frömmigkeit als Spielen vor Gott. Grundelemente evangelischen Aszetik

einer

1. Glauben 1.1. Frömmigkeit als persönlichkeitsspezifische Credo-Inszenierung Exkurs: Zu Typisierungsmöglichkeiten von Frömmigkeitsinszenierungen 1.2. Jesu Leben, Sterben und Auferstehen als Möglichkeitsraum zu Differenzerfahrung und Autonomie in der Glaubens-Frömmigkeits-Beziehung 1.3. Den Glauben im gegebenen Spielraum der μεταφορά erfinden 1.3.1. Das Leben Jesu Christi als Ursprung und theologische Legitimation übertragener Rede von Gott 1.3.2. Metaphorisches Verstehen als Interaktion 1.3.3. Metaphorisches Reden als Übertragungsvorgang 1.3.4. Zur Problematik der Fetischisierung und Ontologisierung von Metaphern a) Die fetischisierte Metapher als Ergebnis erzwungener dyadischer Interaktion b) Zur Problematik von Substitution und Ontologisierung... 2. Angefochten sein 2.1. Glauben als Beziehung zum abwesend anwesenden Gott Exkurs: Zur Unterscheidung des abwesend anwesenden Gottes vom deus absconditus 2.2. Gottes entzogene Anwesenheit im Text

255 257 271

273 277 278 279 288 291 292 296 303 303 313 318

9

2.3. Zur Differenztoleranz (negative capability) und Sehnsucht der Frömmigkeit 2.4. Securitas als frommes Kontrollstreben 3. Lesen 3.1. Wege zum Text 3.2. Die Bibel als .mütterliches' Objekt 3.3. Biblische Texte als Spielmaterial zwischen Gegebenem und Er-Fundenem a) H. Raguse: Arbeiten in der Differenz zum abwesenden historischen Textsinn b) H. Wahl: Arbeiten im Gegenüber zum differenten, hypostasierten Text c) W. Drechsel: Das Erarbeiten des differenten, objektalen Textes aus dem selbstobjektal archaisierten (Ubergangsobjekt-) Text

323 328 333 334 338 340 345 352 357

4. Beten

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4.1. 4.2. 4.3. 4.4.

366 367 372 379

Die Bitte als Grundform christlichen Betens Die Mannigfaltigkeit auf Gott übertragener Beziehungsszenen Der Spielraum der Freiheit des Gebets Beten in der Teilhabe an Christi Angefochtensein

5. Das Postulat einer Aszetik als Hermeneutik, Empirie und Kritische Theorie der religiösen Alltagskultur

381

Literaturverzeichnis

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Einleitung Frömmigkeit' ist im Bereich der evangelischen Kirche und der evangelischen Theologie ein sowohl problematisches als auch vielversprechendes Thema. Im Rahmen der Säkularisierungsdebatte der sechziger Jahre diskutierte die Theologie eingehend zur gesellschaftlichen Entwicklung in Spannung geratene Aspekte von Frömmigkeit. 1 Die gelebte Gestalt des Glaubens schien auch in der Folgezeit ein eher belastendes Thema zu bleiben. „Es ist offenbar nicht einfach, auf evangelische Weise fromm zu sein. ... Gelebte Religion und evangelische Frömmigkeit zählen nicht zu den großen Kapiteln in den Lehrbüchern der evangelischen Theologie", konstatierte D. Rössler in den siebziger Jahren. 2 Noch Anfang der achtziger Jahre sprach M. Josuttis im Hinblick auf ,den modernen protestantischen Theologen' von einer „Angst vor dem Frommsein", wobei das geistliche Erbe unter dem Begriff ,Frömmigkeit' dermaßen diskreditiert sei, daß man bei einem neuen Interesse am Thema lieber auf den Begriff der .Spiritualität' ausweiche.3 Die weitreichende wissenschaftlich-theologische Meidung des Themas .Frömmigkeit' trägt inzwischen zu einer Förderung des Abbruchs der evangelischen Frömmigkeitstradition bei und vermehrt die Verständnislosigkeit und wohl auch die Hilflosigkeit gegenüber der schwer überschaubar gewordenen Fülle neuer Spielarten des Religiösen. 4 Im Ergebnis scheinen derweil Religionssoziologie und die psychoanalytische Religionspsycholo1 S.u. 37ff. 2 D. Rössler 1978, 81. Vgl. auch H.-G. Heimbrock 1982,18. 3 M. Josuttis 1991a [1982], 191, vgl. 191-210. Josuttis führt die Angst vor dem Thema auf die eigene innere Säkularisierung der Theologen zurück. Vgl. zu einer exemplarischen kirchensoziologischen Bestätigung dieser Hypothese K.-P. Jörns 1997b, die Kohorten „PfW" und „PfO". 4 Vgl. H.-G. Heimbrock 1982 nach einem Verweis auf Jugendreligionen, gruppendynamische und meditative Verfahren sowie neupietistische Zirkel: „All diese Spielarten der Frömmigkeit sind offensichtlich zum Problem geworden für Gemeinden und Kirchenleitungen, kaum dagegen für die Praktische Theologie." (18) - Eine auf systematisch-theologische Überlegungen beschränkte Reflexion von Glaubensinhalten vermag dem Phänomen Frömmigkeit nicht gerecht zu werden. „Dieses Thema kann nicht, wie die alte Vollkommenheitslehre, aus Deduktionen entwickelt werden, es entsteht vielmehr in der Beziehung zum Leben und zur Wirklichkeit." (D. Rössler 1978, 85) - Vgl. auch H. J. Luibls Frage angesichts der Vieldeutigkeit gegenwärtiger Religiositätsphänomene, „ob das noch in den traditionellen Formen, etwa der protestantischen Theologie zu erfassen ist" (1997, 63). In Konsequenz will er ganz auf den zu traditionellen Begriff .Frömmigkeit' verzichten und auf den für Vieldeutigkeit offenen Begriff .Spiritualität' ausweichen.

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gie auf wissenschaftlicher Ebene ungehemmter und interessierter mit dem Thema gelebter Religion umzugehen als die Theologie.5 Im Laufe der neunziger Jahre hat die neue soziologische Leitperspektive von Individualisierungsprozessen in der spätindustriellen Gesellschaft besonders in der Religionssoziologie zu einer Fülle von Entdeckungen in bezug auf eine „Renaissance des Religiösen" geführt.6 Die Kirchen allerdings, so scheint es, vermögen bislang wenig von diesem neuerwachten Interesse an spirituellen Dimensionen des Lebens zu profitieren. Tradierte Glaubensformulierungen scheinen weiterhin einer semantischen Erosion zu unterliegen, und die neue Religiosität bleibt sowohl in ihrem frei flottierenden religiösen Gedankengut als auch in ihrem Unwillen, sich institutionell zu formieren, schwer faßbar. Der mit den Individualisierungsprozessen einhergehende religiöse Pluralismus macht (wie bereits die Säkularisierungstendenzen der sechziger Jahre) jedoch auch vor den Kirchenmitgliedern selbst keinen Halt. 7 Grenzziehungen zwischen einer ehrwürdigen religiösen Tradition hier und nichtkirchlichen Synkretismen dort erweisen sich spätestens angesichts empirischer Untersuchungen als brüchig. Noch das Bemühen der Theologie um dogmatische Eindeutigkeiten findet sich „in Konkurrenz zu einer Pluralität von Angeboten zur Lebens- und Weltdeutung, die auch von den Kirchenmitgliedern genutzt werden" 8 . 5 K. Gabriel gibt als Wendepunkt in der deutschsprachigen Religionssoziologie den Soziologentag 1988 in Zürich an, auf dem „zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder Religion als Thema einer Plenarveranstaltung" auftauchte. „Es war nicht länger soziologisch illegitim, in den säkularen, westlichen Kulturen nach den Erben der Christenheit zu fragen und zu suchen ... Neben Esoterik und Wendezeit-Rhetorik war es die Frage nach der religiösen Dimension der politischen Kultur, die Religion erneut auf die soziologische Tagesordnung brachte" (1996, 10). Vgl. insgesamt K. Gabriel 1996. - Zum besonders seit den achtziger Jahren erwachten Interesse der psychoanalytischen Religionspsychologie s.u. 92ff. 6 K. Gabriel 1996, 11. - Bereits auf die ,säkularen' sechziger Jahre folgte in den siebziger Jahren der Boom der sog. Jugendsekten bzw. Jugendreligionen und in den achtziger Jahren die religiöse New-Age-Bewegung; seit den neunziger Jahren blüht u.a. der Markt an sog. Esoterik-Literatur. Vgl. C. Bochinger 1996. Näheres s.u. 40f. - Zum innertheologisch neu erwachten Interesse am Frömmigkeitsthema vgl. u.a. H. J. Luibl 1997 und die dort genannte Literatur. Aus systematisch-theologischer Perspektive vgl. W. Pannenberg 1986; R. Leuenberger 1989. Vgl. auch die Aufnahme des Themas durch den Evangelischen Fakultätentag: Spiritualität im Theologiestudium 1997. - Vgl. H.-G. Heimbrock in einem Literaturbericht 1979: „Die Praxis der Frömmigkeit ist ihrer Theorie um einige Nasenlängen voraus." (188) 7 Vgl. die vom Kirchenamt im Auftrag des Rates der EKD herausgegebene Studie Christsein gestalten, der zufolge Christsein nur noch in der „Vielfalt der Formen und Ausdrucksweisen des Glaubens" gelebt werden könne. Vgl. auch die Ergebnisse der quantitativen religions- und kirchensoziologischen Studie von K.-P. Jörns 1997b. 8 C. Bochinger 1996, 249. - Neben dieser Wahrnahme eines praktisch gering bleibenden Einflusses von Theologie würde nach Bochinger auch der Erfolg von Grenzziehungen neue Probleme zeitigen: „Zwar können und müssen religiöse Gemein-

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Die vorliegende Arbeit versucht, das Frömmigkeitsthema als ein genuin theologisches Thema zurückzugewinnen. Frömmigkeit soll in der Praktischen Theologie im Rahmen einer zu begründenden praktisch-theologischen Frömmigkeitslehre - einer evangelischen Aszetik' - einen wissenschaftlichen Reflexionsort erhalten. Von hier aus ist, im Grundlagengespräch mit den anderen theologischen Disziplinen über das Wesen evangelischer Frömmigkeit in der spätmodernen Gesellschaft, der Dialog mit ,der Frömmigkeitsforschung in Außenperspektive' aufzunehmen, wie sie sich derweil in der Religionssoziologie und -psychologie konstituiert hat. Uber die generelle Absicht hinaus, das Frömmigkeitsthema in der Praktischen Theologie zu beheimaten, zielt die vorliegende Darstellung auf einen Beitrag zur Entwicklung einer Hermeneutik individualisierter Frömmigkeitsformen. Es mag zunächst als ein Widerspruch erscheinen, daß diese Hermeneutik an einem traditionellen Kern evangelischer Frömmigkeit konkretisiert wird und nicht an spätmodernen Religiositätsphänomenen.9 Dahinter steht die Entscheidung, die Perspektive von Individualisierungsprozessen auf den Kernbereich der Frömmigkeit selbst anzuwenden·. Die Tradition selbst wird als .Spielmaterial' zur Erschaffung einer individuellen geistlichen Heimat betrachtet. Gleichzeitig sollen Grenzen eines dergestalten Umgangs mit Traditionsstücken reflektiert werden, die ihrerseits dem Individuum und seiner geistlichen Autonomie zugute kommen. Es sei jedoch festgehalten, daß der hier entwickelte Verstehensansatz sich bei einer jeweils angemessenen Präzisierung auch auf funktionale Frömmigkeitsäquivalente übertragen läßt. Neben die hermeneutische Intention tritt die Absicht, einen Beitrag zu einer kreativen Rekonstruktion des Frömmigkeitserbes zu leisten. Gegenüber der semantischen Erosion tradierter Bedeutungen sollen Prozesse der Bedeutungsgebung reflektiert und ein Vorschlag zur Neuinterpretation vorgelegt werden. Dahinter steht die Uberzeugung, daß die evangelische Frömmigkeit angesichts eines Religiositätsmarktes, aus dem Frömmigkeit individuell a la carte zusammengestellt werden kann, ihren eigenen tradierten Reichtum als Beitrag wertschätzen, reflektieren und benennen können sollte. Darüber hinaus erweist es sich für einen Dialog mit spätmodernen Frömmigkeitsphänomenen und den dahinterstehenden Bedürfnissen als grundlegend notwendig, über eigene Urteilskriterien zu verfügen. Damit ist die frömmigkeitskritische Absicht dieser Darstellung benannt: Uber ein Verstehensmodell und eine kreative Rekonstruktion hinaus sollen religionskritische Kriterien erarbeitet werden, die sowohl für den Umgang mit der evangelischen Frömmigkeitstradition gelten als auch partiell auf Um-

schatten auf theologischem Wege ,νοη innen her' Grenzen setzen, doch gefährden sie damit gleichzeitig ihren Allgemeingültigkeitsanspruch, was besonders für die sog. Volkskirchen Probleme schaffen muß." (a.a.O., 248) 9 S.u. 40f.300ff.

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gangsformen mit neuen Frömmigkeitsäquivalenten übertragen werden können. Obgleich im Konkretionsteil tradierte Formen evangelischer Frömmigkeit den Gegenstand bilden, wäre der vorliegende Entwurf als ein restaurativer, selbstgenügsamer Rückzug in das Bollwerk des Ererbten mißverstanden.10 Der Rückbesinnung auf die Tradition entspricht in dieser Darstellung kein Feindbild, das spätmoderne Frömmigkeitserscheinungen per se als negativ (etwa als .Religionsersatz') bewertet. Wie bereits bemerkt, fehlt es bislang noch weitgehend an Urteilskriterien. Zunächst stellt sich einer evangelischen Aszetik im umfassenden Sinne in dieser Hinsicht die Aufgabe - analog der Wahrnahme der eigenen Tradition - die neu entstandenen, zunächst befremdlich erscheinenden Phänomene überhaupt hinreichend wahrzunehmen. Gerade das Wahrnehmen der Individualisierungsprozesse im Frömmigkeitsbereich wird zu der Erkenntnis führen, daß ein restaurativer Rückzug auf das eigene Erbe nur marginal bzw. als theoretisches Konstrukt möglich ist. Denn die Trennlinie zwischen .evangelischer' und .neuer individualisierter' Frömmigkeit ist in den eigenen Reihen des Kirchenvolkes längst durchbrochen worden. („Grenzziehungen zwischen religiösen und nicht-religiösen Lebensbereichen, kirchlicher und nichtkirchlicher Religiosität, traditioneller Bindung und traditionsfeindlichen Synkretismen").11 Ein autoritatives Festschreiben von Bedeutungsgrenzen der Tradition unterläge zudem der in diesem aszetischen Ansatz entwickelten Religionskritik. Darüber hinaus würde ein restaurativer Rückzug auf vergangene eindeutige Bedeutungsgebungen den Eindruck subjektiver Irrelevanz der christlichen Tradition verstärken, da individuelle Zugänge und subjektive Spielräume, die im Umgang mit nicht-christlichen Frömmigkeitselementen gesucht und gefunden werden, in einer dergestalt festgeschriebenen Tradition verwehrt werden. Die vorliegende Arbeit versucht, aus pastoralpsychologischer Perspektive ein sowohl theologisch als auch psychologisch verantwortetes Verstehensmodell für tradierte Elemtene evangelischer Frömmigkeit (oratio, meditatio, tentatio - im Aufgreifen der von M. Luther formulierten Trias) zu entwickeln. Damit wird ein Anliegen aufgegriffen, das seit den sechziger Jahren wiederholt insbesondere von Rudolf Bohren, ManfredSeitz und Henning Schröer formuliert wurde:12 die Notwendigkeit einer Grundlegung einer evangelischen Aszetik innerhalb der Praktischen Theologie, die sich im Dialog mit den anderen theologischen Fächern und ggf. humanwissenschaftlichen Perspektiven um die Erarbeitung möglichst sachnaher Veri o Vgl. K. Winklers Unterscheidung zwischen ,restaurativen'

und jestitutiven'

An-

sätzen in der Seelsorgetheorie: „Restitutives Handeln wird hier begriffen als von der Absicht getragen, ursprünglich bestimmenden Kräften, die zum Nachteil der gegenwärtigen Situation verschüttet erscheinen, wieder zur Wirkung zu verhelfen." (1997, 175, Anm. 175.204ff) 11 4; C.vgl. Bochinger 1996, 248, vgl. 230, Anm. 3. 12 Näheres s.u. 50ff. Vgl. ferner H.-G. Heimbrock 1982; ders. 1986, 1401.

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stehensmodelle für die mannigfachen Formen evangelischer Frömmigkeit bemüht. - Gegenüber traditionalistischen Tendenzen, die sowohl bei Bohren als auch noch bei Seitz in einem einseitigen Drängen auf die Aneignung eines Grundbestandes überlieferter Elemente spürbar werden, setzt der hier vorgelegte Ansatz die äußere und innere Pluralität des Religiösen (in Lehren, Gemeinschaftsbildungen, Erfahrungen etc.) voraus, statt einen Kernbereich der Tradition der religiösen Pluralität in der spätmodernen Gesellschaft gegenüberzustellen. Methodisch geschieht dies zentral dadurch, daß zur Rekonstruktion von evangelischer Frömmigkeit die hermeneutische Leitperspektive von ,Symbolspiel' gewählt wird. Sie erscheint (besonders aus psychoanalytischer Perspektive) hervorragend dazu geeignet, die subjektive Nötigung zu individualisierter Erarbeitung von Lebensbedeutung - auch im Umgang mit der Frömmigkeitstradition - zu reflektieren und zu begleiten. Die evangelische Theologie hatte die Relevanz der Kategone des Spiels in den siebziger Jahren für sich als kreative Möglichkeit entdeckt, um zentrale Aussagen ihrer Tradition neu zu formulieren - damals unter der Nötigung, auf den radikalen Traditionsabbruch Ende der sechziger Jahre und auf eine erste Pluralisierung des religiösen Marktes zu reagieren. G. M. Martin dachte auf dem Höhepunkt jener Debatte gar über eine neue Genitiv-Theologie des Spiels nach.13 Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Erscheinungen der Spätmoderne führten, insbesondere vermittelt über eine neue Sensibilität für ästhetische Kategorien, in der Praktischen Theologie zu einem neuen Interesse am „Kosmos des Spiels" und an der „Welt des Theaters".14 Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß das Aufgreifen der Spielkategorie auch in der .zweiten Runde' schemenhaft bzw. weitgehend eklektisch-summarisch bleibt. Soll sie in der Praktischen Theologie als Reflexionsinstrument dienen, bedarf sie dringend einer differenzierteren Ausarbeitung. (Dies gilt auch rückblickend für die Diskussion über das ,Spiel' in den siebziger Jahren - zumal ein differenzierter Dialog mit der damals gleichzeitig boomenden empirisch-psychologischen Spielforschung nahegelegen hätte.) Zu einer Neuaufnahme der Spielkategorie gehört zum einen ein spezifischeres Vorgehen im Definitionsansatz - um nicht bei wenig Neues erschließenden Abstraktionen bzw. bei im eklektischen Vorgehen zusammengetragenen inneren Widersprüchen zu verharren. Ferner ist die spezifizierte Spielkategorie differenziert in ihrer inneren Logik auszuarbeiten. Nur auf diesem Wege wird die Reflexionskategorie ,Spiel' die Wahrnehmung der Praktischen Theologie schärfen können. Um einen Gewinn durch spezifische Aussagen zu erzielen, sind gleichzeitig Beschränkungen in Kauf zu nehmen. Im Falle dieser Darstellung führten sachliche Erwägungen zu einer Konzentration des aszetischen Ansatzes auf die 13 G. M. Martin 1971; K.-H. Bieritz 1993. Näheres s.u. 199f. 14 Vgl. A. Grözinger 1991, der die Praktische Theologie im Rahmen einer Ästhetik zu entwickeln versucht, bes. 153ff; M. Meyer-Blanck 1997a; ders. 1997c.

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Leitperspektive von Symbolspiel (sowie auf seine Sozialform, das Rollenspiel).15 Theologisch wird die Grundlegung dieses Aszetik-Ansatzes im Dialog mit der Tradition der sog. Wort-Gottes-Theologie unternommen. Dies erscheint auf dem Hintergrund des Geschichtsbildes einer als Handlungswissenschaft konzipierten Praktischen Theologie und insbesondere hinsichtlich der pastoralpsychologischen Intention als ein zumindest spannungsgeladenes Unternehmen. Doch gerade angesichts fortbestehender Gesprächsblockaden wird hier die Ansicht vertreten, daß eine Aufnahme eines Gespräches notwendig geworden ist, und es soll gezeigt werden, was diese theologische Tradition zu einem pastoralpsychologischen Dialog beizutragen vermag.16 Diesbezüglich scheint sich gerade im Bereich der psychoanalytisch optierenden Pastoralpsychologie seit den neunziger Jahren eine vorsichtige Trendwende in ersten Wortwechseln mit der Tradition der Wort-Gottes-Theologie abzuzeichnen.17 Die Ansätze zu einem Dialog zwischen Pastoralpsychologie und Wort-Gottes Theologie auf einer neuen Ebene sollen mit dieser Arbeit verstärkt werden. Für die Grundlegung einer Aszetik sei zudem daran erinnert, daß gerade die Dialektische Theologie in ihrer entschiedenen Konzentration auf Jesus Christus als das einzige Wort Gottes' in dessen biblischer Bezeugung - entgegen verbreiteten Klischees - wichtige Impulse zur Erneuerung evangelischer Frömmigkeit gab, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg fortwirkten.18 Auch unter diesem Aspekt erscheint es herausfordernd, ihre theologische Tradition für eine Grundlegung einer evangelischen Aszetik hinzuzuziehen. Die Spezifikation der Spielkategorie für die Praktische Theologie erfolgt nicht nur über eine Kategorisierung, sondern darüber hinaus auch in der methodischen Ausarbeitung - im Aufgreifen eines spezifischen Zweiges der Spielforschung. Im folgenden geht es um den psychoanalytischen Zweig der Spielforschung in seinen nachfreudianischen Konzeptionen der Objektbeziehungspsychologie (besonders D. W. Winnicotts) und der Selbstpsychologie (im Werk von H. Kohut). Die neuen psychoanalytischen Theoriemodelle sind insofern theologisch interessant, als sie ihrerseits das Schweigen seit der Folgegeneration nach Freud zu Fragen des christlichen Glaubens gebrochen haben und das Thema christlicher Religiosität unter neuen

15 Zur Kategorisierung s.u. 133ff. 16 Zur Aufnahme des Dialogs aus systematisch-theologischer Perspektive bereits C. Gestrich 1975. Für die Praktische Theologie vgl. A. Grözinger 1986; ders. 1988; K. Winkler 1988a; K. Raschzok 1995. Näheres s.u. 109ff. Vgl. auch die Integration der auf reformiert-theologischem Hintergrund formulierten Anfragen H. Tackes an die Konzeptionen therapeutischer Seelsorge bei C. Zimmermann-Wolf 1991, 289ff. 17 Vgl. H. Raguse 1994, 10.41f; F. Müller-Rosenau 1995, 327; K. Winkler 1985, 271. 18 Vgl. H.-G. Heimbrock 1982, 23. - Als Klischeebeispiel vgl. H. J. Luibl: Nach seiner Auffassung habe die Dialektische Theologie den Hauptbeitrag in diesem Jahrhundert geleistet, das Thema Frömmigkeit ,theologisch zu entsorgen' (1997, 49).

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Aspekten erörtern. Es erscheint gegenüber dieser psychoanalytischen Neuaufnahme des Themas der Religiosität befremdlich, daß die Theologie jenseits des Kreises von psychoanalytisch interessierten pastoralpsychologischen Insiderinnen und Insidern noch immer diese psychoanalytischen Strömungen und ihren religionspsychologischen Ertrag weitgehend ignoriert, zumal sich bei zwei führenden britischen Objektbeziehungstheoretikern der ersten Generation, bei R. Fairbairn und H. Guntnp, explizit theologische Hintergründe für ihre Theorie und Arbeit nachweisen lassen.19 In der Praktischen Theologie (jenseits der Pastoralpsychologie) und in der Systematischen Theologie scheint der interdisziplinäre Dialog beim Gründervater S. Freud bzw. bei Ε. H. Erikson stehengeblieben zu sein.20 Die gegenwärtige religionspsychologische Ausrichtung der Psychoanalyse legt aus der Fülle spieltheoretischer Ansätze das Aufgreifen einer psychoanalytischen Perspektive auf das Symbolspiel nahe, zudem gerade dieser spieltheoretische Ansatz beim Analytiker Winnicott als eine zentrale Verstehenskategorie für religiöse Beziehungssysteme fungiert. Winnicott führte Ansätze der psychoanalytischen Spieltherapie fort und radikalisierte die Anwendung des Spielkonzeptes, indem er das Spiel zum Universalen und das psychoanalytische Geschehen zu einem Spezialfall von Spielen erklärte. „Psychotherapie hat mit zwei Menschen zu tun, die miteinander spielen."21 Die Perspektive des Symbolspiels führte Winnicott auch zu einer Wende in der psychoanalytischen Religionskritik. Während S. Freud Tagträume und in gereifterer Form Wissenschaft, Kunst und Witz als Spielplätze Erwachsener reflektierte und nur ein pathologisches Verhältnis Erwachsener zur Religion für denkbar hielt, postulierte Winnicott eine Reifungslinie der kindlichen Phantasie vom Symbolspiel zum gemeinsamen Spiel hin zu kulturellen und religiösen Erfahrungen. Winnicotts Theorie vom Symbolspiel ist nicht nur wegen ihrer einschneidenden Rolle im psychoanalytischen Religionsverständnis von herausragender Bedeutung für eine Aszetik im Dialog mit der Psychoanalyse. Sie erweist sich auch als grundlegend zur Reflexion von Individuationsprozessen und des Bedürfnisses nach subjektiven Spielräumen im Umgang mit religiöser Tradition. Winnicotts Spieltheorie soll in der Perspektive der Selbstpsychologie (Narzißmustheorie) von H. Kohut aufgenommen werden, die ihrerseits bereits vielfach in sozialwissenschaftlicher Absicht zur 19 S. u. 75ff. 20 W . Pannenberg beschränkt in seiner Anthropologie (1983) den Dialog auf S. Freud, H. Hartmann und Ε. H. Erikson, ohne auf H. Kohut oder O. Kernberg einzugehen (185-194) und übergeht selbst noch in seinem spieltheoretischen Kapitel, in dem er einen Schwerpunkt auf das Symbolspiel setzt, den einschlägigen Beitrag Winnicotts. Ein erstes systematisch-theologisches Interesse an der Selbstpsychologie wird durch G. Schneider-Flume markiert (vgl. 1985b; vgl. auch ihren allerdings durch Aquivokationen [konzentriert im Wort ,Ich-Leistungen'] behinderten Dialog mit Erikson: 1985a). 21 D. W . Winnicott 1992, 49.

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Reflexion subjektiver Verarbeitungsmodi von Modernisierungsprozessen rezipiert wurde.22 Eine Grenze dieser Darstellung liegt darin, daß sie sich perspektivisch auf das Individuum (das jedoch als self-with-other verstanden wird) und somit auf subjektive Grundlinien von Individuationsprozessen, die mit dem Symbolspiel in Verbindung stehen, konzentriert. Daß die gegenwärtige Psychoanalyse sich - gerade in qualitativer Hinsicht - auch als Methode der Sozialforschung eignet23 und sich auch über die individuelle Perspektive hinausgehend zur Untersuchung von gesellschaftlichen Prozessen (und ihres Einflusses auf den Wandel von Frömmigkeit) eignet, sei an dieser Stelle festgehalten. Dies bedürfte jedoch weiter reichender methodischer Vorüberlegungen als es im Rahmen der hier angestrebten Überlegungen zur Grundlegung einer evangelischen Aszetik im Dialog mit der Psychoanalyse möglich ist. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei einer Fortführung des Projektes einer evangelischen Aszetik eine Erweiterung hin zu einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektive unabdingbar ist. Sie muß imstande sein, die Bedingungen des .Frommseins' in der spätmodernen Gesellschaft zu reflektieren. Die Psychoanalyse wird in dieser Darstellung also methodisch als eine optionale Interpretations-Perspektive mit begrenzter Sichtweite verstanden, die auf Ergänzungen durch eine Frömmigkeitsforschung in kulturwissenschaftlicher und religionssoziologischer Perspektive angewiesen bleibt.24 Diese Arbeit kann in der interdisziplinären Grundlegung einer evangelischen Aszetik also nur erste Schritte gehen. In pastoralpsychologischer Hinsicht versteht sich die vorliegende Darstellung als Antwort auf ein seit längerem formuliertes Desiderat. Der Dialog mit objektbeziehungs- und selbstpsychologischen Konzeptionen zu Frömmigkeitsthemen wurde Ende der siebziger Jahre aufgenommen.25 Doch insgesamt schien sich (jedenfalls die psychoanalytisch orientierte) Pastoralpsychologie auf Fragen der Seelsorge und Beratung zu konzentrieren, während die Hermeneutik von Frömmigkeit ein eher randständiges Thema blieb. H.-G. Heimbrock konstatierte 1982 als ein „Grundproblem der Praktischen Theologie", „daß wir nach wie vor noch kein zureichendes Instrumentarium entwickelt haben, um die Wirklichkeit inner- und außer22 Vgl. C. Lasch 1986 [1979]; R. Sennett 1983 [1974]; K. Strzyz 1978; in der Jugendforschung: T. Ziehe 1981 [1975] (im Postulat eines „Narzißtischen Sozialisationstyps"); für einen Uberblick zur kulturkritischen Rezeption und einer Aufnahme in die Jugendforschung vgl. auch H.-J. Roth 1990, 171ff.l97ff. 23 Vgl. hierzu J. Bendkower 1991. 24 Pointiert von H. Raguse formuliert: „Die Freudsche Metapsychologie und die Gotteslehre der Theologen verbleiben - gerade im besten Falle - im Rahmen einer dreistelligen, also im eigentlichen Sinne symbolischen Redeweise und sind damit prinzipiell unendlich deutbar." (1994, 238f, Anm. 19) Vgl. auch H. Wahl 1994, 83. 25 S.u. 92ff. - Vgl. aus der anfänglichen Diskussion H.-G. Heimbrock 1977a; ders. 1977b; M. Kiessmann 1980 (im Dialog mit Erikson).

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kirchlicher Frömmigkeit und die sich darin artikulierenden Bedürfnisse zu durchdringen".26 Er benennt als vordringlich zu untersuchende „Dimensionen einer Hermeneutik der religiösen Lebenswelt": Symbole in ihrer Funktion als „Deutung und Ausdruck von Lebenswelt", innere und äußere Erfahrungsräume sowie eine Aufwertung der Dimension menschlicher Subjektivität (Frömmigkeitstheorie muß dem Zusammenhang zwischen Gottes- und Selbstverständnis nachgehen und den Glauben als Hilfestellung zum Verständnis des menschlichen Selbst aufweisen können).27 - Und noch 1993 formulierte M. Kiessmann in einem Uberblicksartikel zu pastoralpsychologischen Ausbildungsfragen das Desiderat, pastoralpsychologische Fragestellungen auch auf „theologisch-spirituelle Fragen" zu konzentrieren, um dieses Feld nicht mystisch-irrationalen Bewegungen zu überlassen.28 Seit Beginn der neunziger Jahre liegen, neben zahlreichen Artikeln, inzwischen einige wichtige Monographien vor, die zu einer Grundlegung einer evangelischen Aszetik in pastoralpsychologischer Perspektive hinzugezogen werden können.29 Die hier entwickelte Darstellung versucht, in Aufnahme von Heimbrocks und Kiessmanns Desiderat, eine erste umfassende Integration der US-amerikanischen und der deutschsprachigen Diskussion zu Frömmigkeitsfragen in objektbeziehungstheoretischer und selbstpsychologischer Perspektive, wobei ein Schwerpunkt auf den Prozessen individueller Sinnkonstitution liegen soll. Insoweit im Zentrum des hier entfalteten Aszetik-Ansatzes eine pastoralpsychologische MetaphernLehre steht, leistet diese Arbeit zugleich einen Beitrag zur praktisch-theologischen Symboldebatte. Ferner liegt eines ihrer wesentlichen Interessen darauf, Pastoralpsychologie als eine theologische Wissenschaft darzustellen, die sich - neben der Erkenntnis von Ubereinstimmungen - von der psychoanalytischen Religionspsychologie im Wissen um ihren eigenen Ansatz abzugrenzen vermag. Die Form der Darstellung versucht, zwei Anliegen gerecht zu werden. Einerseits sollen die psychoanalytischen Theorie-Umbrüche und -modelle möglichst differenziert dargestellt werden (zumal sich die gegenwärtige 26 H.-G. Heimbrock 1982, 29. 27 A.a.O., 28ff. - Die religiösen Gegenkulturen der achtziger Jahre reklamierten Defizite wie „den Verlust von Sinnlichkeit zugunsten abstrakter Begrifflichkeit, - den Verlust von Emotionalität zugunsten der schwergewichtig kognitiven Dimension, schließlich - den Verlust von Spontaneität zugunsten vorgegebener Ausdrucksformen des Glaubens" (29). Zur Subjektivität als nötiger Reflexionskategorie vgl. ders. 1979, 195f. 28 M. Kiessmann 1993a, 104. Vgl. auch noch D. Stollberg 1997, 19f. 29 Vgl. zu Grundsatzfragen des Umgangs mit der Bibel: H. Raguse 1993; ders. 1994; W. Drechsel 1994. Vgl. auch die in diesem Zusammenhang wichtige pastoralpsychologische Symbollehre von H. Wahl 1994. Erste wichtige Anstöße zu einer pastoralpsychologischen Aszetik gingen in meiner Sicht bes. von K. Winkler aus, vgl. dessen hierfür grundlegenden Aufsatz von 1982. - S.u. 257ff.

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Psychoanalyse nur noch in diversen Strömungen präsentiert und sich ihres .klassischen Kerns' weitgehend entledigt hat). Andererseits soll Personen, die mit der (ggf. alten und) neuen Psychoanalyse unvertraut sind, eine Hinführung zu den neuen Problemstellungen ermöglicht und Interesse an dieser ggf. fremden Dialogpartnerin geweckt werden. Dies führt zu einem möglichst lesbaren Text, der mitunter Simplifizierungen zugunsten von einführenden Uberblicken in Kauf nimmt. Demgegenüber sind die Fußnoten etwas ausführlicher gestaltet, um auf nötige Differenzierungen zu verweisen und einen Einstieg in die verzweigten Fachdiskussionen zu eröffnen. Auf die Dokumentation von - in der psychoanalytischen Theorieentwicklung grundlegenden - klinischen Beispielen wird in dieser Darstellung weitgehend verzichtet, da sie im Rahmen dieser Arbeit, zu Vignetten verkleinert, nur illustrativen Charakter hätten. Die Arbeit ist in vier Hauptteile gegliedert: Auf einen praktisch-theologischen und einenpastoralpsychologischen Grundlagenteil (die Hauptteile I und II) folgt ein pastoralpsychologischer Hauptteil, in dem das Verständnis von Symbolspiel als Leitperspektive eines pastoralpsychologischen Zweiges einer evangelischen Aszetik erarbeitet wird (III). In einem weiteren Hauptteil (IV) werden Grundelemente einer evangelischen Aszetik unter der pastoralpsychologischen Leitperspektive von Symbolspiel entfaltet. Im einzelnen seien diese Hauptteile kurz vorgestellt: Der erste Hauptteil konzentriert sich auf Grundlagenfragen einer evangelischen Aszetik aus praktisch-theologischer Perspektive. Hierzu zählen Vorklärungen der Begriffe .Aszetik' und .Frömmigkeit', eine geschichtliche Verortung innerhalb frömmigkeitstheoretischer Ansätze in der praktischtheologischen Forschung in diesem Jahrhundert (in Kapitel 1), das Eingehen auf wichtige praktisch-theologische Vorarbeiten bzw. Anstöße zur Grundlegung einer evangelischen Aszetik ab den sechziger Jahren sowie eine zusammenfassende Beschreibung des hier vertretenen Ansatzes zu einer evangelischen Aszetik im Rückgriff auf die besprochenen Vorarbeiten (in Kapitel 2) . Der zweite Hauptteil widmet sich Fragen der Definition, Theorieebenen und Methodik gegenwärtiger Psychoanalyse (Kapitel 1) und stellt die für den hier vertretenen pastoralpsychologischen Ansatz grundlegenden psychoanalytischen Richtungen der Objektbeziehungs- und Selbstpsychologie sowie auf ihnen gründende religionspsychologische Ansätze vor (Kapitel 2). Im Anschluß daran werden die Problemfelder geklärt, die sich aus einem ersten Uberblick über die Psychoanalyse für einen Dialog mit der Theologie ergeben haben (Kapitel 3). Aus theologischer Perspektive erweist sich ferner ein Rückblick auf die Dialoggeschichte zwischen Psychoanalyse und Wort-Gottes-Theologie als notwendig, zumal der hier entfaltete pastoralpsychologische Ansatz den Dialog mit ihrer theologischen Tradition aufzunehmen versucht (Kapitel 4). Den Abschluß bildet ein Vorschlag eines formalen Verhältnismodells zwischen Theologie und Psychoanalyse (Kapitel 5). 20

Der dritte Hauptteil zielt darauf, strukturelle pastoralpsychologische Kriterien für die Spielfelder der Glaubens-Frömmigkeits-Beziehung zu erarbeiten, wie sie in Hauptteil IV erörtert werden sollen. Insofern soll das Augenmerk mit religionskritischer Intention besonders auf der Erarbeitung von spielermöglichenden und spielhemmenden bzw. -verunmöglichenden Haltungen liegen. - Methodisch ist im dritten Hauptteil, entsprechend dem hier vertretenen Modell von Pastoralpsychologie als einem .spannungsreichen Dialog zwischen zwei Anderen', eine Zweiteilung in eine psychoanalytische Beschreibung von Symbolspiel und in ein theologisches Spielverständnis (verbunden mit der theologischen Erörterung grundlegender Elemente von Symbolspiel) zentral. Dabei wird methodisch keine Identität beider Perspektiven und auch kein harmonisches Ineinanderklingen, sondern das Herausarbeiten einer spannungsreichen Konvergenz zwischen anthropologischer und theologischer Perspektive angestrebt. Eingangs wird im dritten Hauptteil der Rahmen der psychoanalytischen Spielforschung zunächst um den der empirisch-psychologischen Spielforschung erweitert, um Definitionsprobleme zu erörtern und zu einem Klassifikationssystem verschiedener Spieltypen zu gelangen (Kapitel 1). Kapitel 2 beginnt mit einem Abriß zur geschichtlichen Entwicklung der psychoanalytischen Theorie des Symbolspiels von S. Freud bis zu D. W. Winnicott, wobei sowohl die Grundlagen von Winnicotts Spieltheorie in den psychoanalytischen Anfängen bei Freud verdeutlicht werden sollen als auch seine neue Perspektive, die ihm durch den objektbeziehungspsychologischen Theorierahmen für die Konzeption von Symbolspiel möglich wurde. Der Schwerpunkt von Kapitel 2 liegt auf dem Abschnitt 2.4, in dem Rahmenbedingungen zum Symbolspiel aus objektbeziehungstheoretischer und, weiterführend, aus selbstpsychologischer Sicht (H. Kohut) erörtert werden: der Spielraum als ein Möglichkeitsraum, die Spielerinnen und Spieler unter dem Aspekt ihrer in Differenzerfahrungen erworbenen Autonomie, die sie zu Differenztoleranz befähigt, sowie Spielformen differenztoleranter Selbstobjekt-Beziehungen. Für eine theologische Perspektive werden in Kapitel 3 allgemeine Ansätze zu einer theologischen Spieltheorie sowie theologische (und pastoralpsychologische) Elemente zu einer Theorie von Symbolspiel erarbeitet. Der psychoanalytischen Perspektive auf den Spielraum als Möglichkeitsraum wird ein eigenständiges theologisches Möglichkeitsverständnis gegenübergestellt. Zu einer theologischen Perspektive auf die Spielerinnen und Spieler wird die ntl. Tradition von Mt 18,3 und das mit ihr verbundene Leitbild des Kindes für die Frömmigkeit aufgegriffen, wobei das psychoanalytische Kriterium von Autonomie als Spielvoraussetzung pastoralpsychologisch im Blick bleiben soll. Ferner wird in diesem Zusammenhang P. Ricoeurs Konzept einer .zweiten Naivität' als Leitbild erörtert. Der vierte Hauptteil entfaltet die im dritten Hauptteil erarbeitete pastoralpsychologische Leitperspektive des Symbolspiels an der traditionellen evangelischen Trias der drei Frömmigkeitselemente von oratio,

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meditatio und tentatio. Bei der Rekonstruktion der Frömmigkeitselemente aus der pastoralpsychologischen Perspektive des Symbolspiels liegt der Schwerpunkt auf dem tentatio-Kapitel (Kapitel 2). Dies verdeutlicht eine hier gefällte theologische Leitentscheidung, in der M. Luthers Leitentscheidung zur Konzeption evangelischer Frömmigkeit nachvollzogen werden soll: evangelische Frömmigkeit ist in allen ihren Lebensäußerungen von der Anfechtung durch Gott her zu verstehen. Die folgenden Kapitel (3: lectio/meditatio, 4: oratio) sind von dem in Kapitel 2 erarbeiteten pastoralpsychologischen Anfechtungsverständnis her konzipiert und führen es zugleich weiter, indem sie die lectio (das verbum externum) und das Gebet als Lebensfelder der Frömmigkeit beschreiben. Weitere Schwerpunkte bilden dabei u.a. die Erarbeitung einer pastoralpsychologischen Metapherntheorie und die Frage nach einem persönlichkeitsspezifischen Credo als Leitkategorie zu einem individualisierten Zugang zur Frömmigkeitstradition.

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TEIL I

Praktisch-theologische Grundlagen einer evangelischen Frömmigkeitstheorie

1. Zur jüngeren Vorgeschichte einer evangelischen Aszetik Im folgenden Kapitel sollen zunächst Begriffsklärungen im Vordergrund stehen. Dabei sollen die Begriffe ,Aszetik' und .Frömmigkeit' in wichtigen Etappen ihrer Begriffsgeschichte kurz skizziert werden. Anschließend erweist sich eine systematisch-theologische Vertiefung des in dieser Darstellung mit .Frömmigkeit' Gemeinten als notwendig (1.1.)· Um das hier postulierte Projekt einer evangelischen Aszetik konkreter in der Geschichte der Praktischen Theologie zu verorten, werden in einem weiteren Abschnitt (1.2.) die beiden .empirischen Wenden' in der wissenschaftlichen Diskussion über Frömmigkeit in diesem Jahrhundert kurz vorgestellt: das von Paul Drews formulierte Programm einer .Religiösen Volkskunde' um 1900 sowie die theologische Reflexion über Frömmigkeit im Rahmen der Säkularisierungsdebatte in den sechziger Jahren. 1.1. Zu den Begriffen,Aszetik' und

Frömmigkeit'

Geschichtliches. Der Begriff Aszetik' wurde von der theologischen Fachsprache der altprotestantischen Orthodoxie im 17. Jahrhundert geprägt. Hierbei handelte es sich um eine Eindeutschimg der griechischen Wendug τά ασκητικά. 1 Die ursprüngliche Bedeutung von άσκησις vereint die beiden Aspekte von Verzicht und Übung in sich. Der Aspekt der Übung ging in die lateinische Wortbedeutung von exercitia ein.2 Auf das Gebiet der Frömmigkeit angewandt, geht es auf diesem Hintergrund bei .Aszetik' um die Lehre vom .Einüben' in die christliche Frömmigkeit als „Treue zur ei-

1 Vgl. zum Folgenden M. Seitz 1979 sowie F. Wintzer 1995. 2 M. Seitz spricht direkt von einer „Übungslehre", z.B. 1978, 219; vgl. C. Joest 1995, 199-203.

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genen Lebensorientierung", wobei Verzicht sich als Konsequenz ergeben kann, jedoch nicht im Vordergrund steht.3 Bereits der ,Vater' der Praktischen Theologie, der Marburger Theologe Andreas Hyperius (1511-1564), thematisierte Inhalte, die später in das Gebiet einer als solcher entfalteten Aszetik fielen.4 Der niederländische Theologe Gisbert Voetius (1589-1676) bündelte diese Inhalte dann unter der Überschrift einer „Theologia ascetica".5 Sie entfaltete die Lehre vom geistlichen Leben der Gemeinde. Für die Gliederung folgte er der alten Trias von oratio, meditatio und tentatio. Johann Andreas Quenstedt (1617-1688), der „Buchführer" oder auch „Schriftführer" der lutherischen Orthodoxie,6 verhandelte die Aszetik im Rahmen seiner „Ethica pastorum et instructio cathedralis" (1678). Damit engte er das allgemeinchristliche Thema auf die Zielgruppe des Pfarrerstandes ein, überdies in ethischer Absicht, wobei zeitgeschichtlich die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges im Hintergrund standen. Die Blütezeit der evangelischen Aszetik kam, wissenschaftlich betrachtet, ihrem Verfall gleich. Die erstarkende Tradition der lutherischen Pastoraltheologie, wie sie führend in den Werken von Claus Harms, August F. C. Vilmar und Wilhelm Löhe ihren Niederschlag fand, griff zwar die Thematik einer Aszetik für den Pfarrerstand auf, ebnete sie aber gänzlich auf praktische und erbauliche Hinweise ein.7 Aszetik wurde in dieser Phase zu einer ,Erbaulik' umgestaltet. Im 19. Jahrhundert diente der Terminus in der evangelischen Kirche hauptsächlich nur noch zur Bezeichnung für geistliche Literatur. D. F. C. Schleiermacher schied die Aszetik aufgrund ihrer Unwissen3 Zitat: P. Lippert bei J. Weismayer 1993, 1120. - In dieser Perspektive ließe sich ein .religionsloses' Verständnis v o n Frömmigkeit als .Lebensstil' konzipieren. Vgl. auch den Ansatz v o n K.-P. Jörns mit seiner Konzentration auf den Begriff des,guten Lebens': „Religion und Glaube zielen auf ein gutes Leben und seine Bewahrung" (1997b, 14, vgl. 14ff). „Die Lebensdienlichkeit des Glaubens ist das Thema, das wirklich ,dran' ist." (224) - Eine Aszetik hat bei einer A u f n a h m e dieses Ansatzes eine Hermeneutik (im Dialog mit Human- und Sozialwissenschaften) zu entwickeln f ü r „die konkrete A r t und Weise, in der Menschen in allen ihren Lebensbeziehungen und durch alle ihre Lebensbeziehungen leben" (einschließlich der Lebensbeziehung zu ,Gott' bzw. zu Funktionsäquivalenten) (15). (Der vorliegende Aszetik-Ansatz vermag mit seiner pastoralpsychologischen Hermeneutik der Übertragung v o n Lebensszenen n u r einen Teilbeitrag hierzu zu leisten.) Vgl. auch die theologische Konzentration auf „Glauben als Leben" als Leitgedanken einer nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe bei D. Bonhoeffer, dazu R. K . Wüstenberg 1996. 4 Vgl. E. C . Achelis 1 9 1 1 , lOf. 5 G. Voetius unterteilte die Praktische Theologie in der „Disputatio de Theologia practica" in: 1) Theologia moralis et casuistica, 2) Theologia ascetica, 3) Politica ecclesiastica (vgl. E. C . Achelis 1 9 1 1 , 12f). 6 Vgl. F. Lau 1 9 6 1 , 735 und F. A . G. Tholuck/J. Kunze 1905. 7 Vgl. C. Harms 1834; W . Löhe 1872, 35f; A . F. C . V i l m a r 1872, 56ff. Vgl. später H. Bezzel 1926; C . Büchsei 1925, 114f.

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schaftlichkeit zusammen mit der pastoraltheologischen Tradition aus seiner wissenschaftlichen Grundlegung einer Praktischen Theologie aus. In den großen Systemen der Praktischen Theologie fanden sich dann nur noch Rückblicke auf eine vorwissenschaftliche, zurecht als ausgesondert betrachtete Tradition. 8 M. Seitz verweist für die Endphase der evangelischen Geschichte des Begriffs .Aszetik' auf die philosophische und theologische Ethik, in der er u.a. auch von I. Kant und R. Rothe verwendet wurde.9 Der Begriff ,Frömmigkeit'' ist nicht minder problematisch geworden. Dies zum einen aufgrund seiner Unklarheit, zum anderen, da er in seiner Kontur noch am ehesten mit Inhalten wie Weltferne, Gehorsamsorientierung, Gesetzlichkeit etc. assoziiert wird. 10 W e r das W o r t gegenwärtig gebrauchen will, muß es klären und Gründen für seinen Verschleiß nachgehen. Dies soll im folgenden begriffsgeschichtlich geschehen. Auf diesem Wege werden zugleich Probleme sichtbar, die eine umfassend angelegte evangelische Aszetik theologisch und sozialwissenschaftlich aufzuarbeiten hat. 11 W. Neidhart (1981) unterscheidet, in historischer Entstehungsfolge, acht Grundformen persönlicher Frömmigkeit im deutschsprachigen Protestantismus: 12 (1) einen reformatorisch-antikatholischen Typ, der auf Luthers Bibelübersetzung und dem Kleinen Katechismus fußt und in einer Bibelfrömmigkeit des ,Laienvolkes' Ausdruck findet; (2) eine neue, selbstbewußte Laienfrömmigkeit des älteren Pietismus, die sich um die Bibel zentriert (vgl. Ph. J. Speners „Pia desideria", 1675); (3) die um biblische Losungen konzentrierte (und durch Andachtsbücher ergänzte) Frömmigkeitsbewegung um Zinzendorf, die 1812 aus der Brüdergemeine hervorging; (4) die Frömmigkeitsbewegung der vom neueren Pietismus beeinflußten evangelischen Jugendverbände (CVJM, CSV u.a.) im 19. und 20. Jahrhundert, die gegenüber einer zunehmenden Säkularisierung neue Methoden von „Bibelarbeit" entwickeln sowie Tagungs- und Kurszentren zur Anleitung des privaten und gemeinsamen Bibellesens einrichten. Starken Einfluß erlangte in dieser Hinsicht in den dreißiger Jahren die von Frank Buchman gegründete „Oxford-Gruppenbewegung", die u.a. auf das tägliche Einhalten einer „stillen Zeit" drang. (5) Im 20. Jahrhundert entsteht im Rückgriff auf geistliche Lebensregeln

8 Vgl. E. C. Achelis 1911, lOff. 9 M. Seitz 1979, 252. Zur katholischen, bis zur Gegenwart währenden Tradition vgl. a.a.O., 253. 10 Vgl. M. Seitz 1983, 684; H.-G. Heimbrock 1982, 18; E. Fahlbusch 1986. 11 Vgl. zum Folgenden C. Burger 1899; O. Baumgarten 1926; W . Trillhaas 1958; M. Seitz 1983; F. Wintzer 1995, 14-19. - Im folgenden markiere ich nur selektiv und skizzenhaft Umbrüche, vgl. vertiefend: J. Weismayer 1983; B. Hamm 1977; G. Wainwright 1996. - M. Seitz (1983) konzipierte den Geschichtsverlauf unter der Leitidee des Verfalls. H. R. G. Günther (1948) skizzierte ihn hingegen unter dem Leitaspekt einer zunehmenden Autonomie. 12 Vgl. auch K.-F. Daiber/I. Lukatis 1991 zur Geschichte und Gegenwart evangelischer Frömmigkeit unter dem Leitaspekt der Bibelfrömmigkeit.

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katholischer Orden ein evangelischer eucharistischer Frömmigkeitstyp, der zur Bildung evangelischer Bruderschaften führt und sich auf liturgische Formen (insbesondere die häufige Eucharistiefeier, den täglichen Gottesdienst in der Ortsgemeinde - gegenüber der privaten Andacht im Neupietismus) und liturgische Zeiten (das Kirchenjahr, den Heiligenkalender) konzentriert. (6) Die Frömmigkeitsbewegung der Bekennenden Kirche, die den Frömmigkeitsstil der evangelischen Jugendverbände sowie die liturgische Bewegung fortführt; (7) die Frömmigkeit der Nachkriegszeit, die unter gewandelten gesellschaftlichen Lebensbedingungen die Kirchenkampf-Frömmigkeit zu stilisieren sucht; (8) das verstärkte Aufkommen eines volkskirchlich distanzierten bzw. liberalen Frömmigkeitstyps seit Ende der sechziger Jahre. 1) Im Kontrast zum Endpunkt der Wortgeschichte hatte das Adjektiv ,fromm' anfänglich und bis hin zu Luther eine weltliche Bedeutung. Es stammt aus dem ethischen Bereich und verweist auf einen tüchtigen, tapferen, rechtschaffenen Menschen. Im Gotischen und Althochdeutschen hatte es, auf Personen bezogen, die Bedeutung von rechtschaffen' und ,tüchtig'.13 Das dem entsprechende lateinische Wort ,pietas' hatte den Sinn von .pflichtschuldig gegenüber Eltern und Staat' und insofern bereits hier einen Ansatz zum späteren Gehorsamsakzent. 2) Insbesondere für die evangelische Theologie markiert M. Luthers Bibelübersetzung einen Wendepunkt in der Wortgeschichte von .Frömmigkeit', indem er sich bei der Wiedergabe von nn, 12Γ, bzw. δίκαιος, αγαθός, άγαθοποιός (IPetr 2,14) für das Adjektiv,fromm' entschied. Ihm blieb dabei der Akzent von ,Rechtschaffenheit' wichtig (vgl. Gen 17,1; Lk 2,25).14 Luther selbst bezog zwar die gesellschaftlich-ethischen Konnotationen in die Wortbedeutung von ,fromm' mit ein. Dennoch gewann das Wort fortan über den biblischen Kontext eine überwiegend religiöse Färbung. Es wurde dabei vornehmlich auf die Gottesbeziehung der Menschen eingeengt, insbesondere auf .Gottesfurcht'. 3) In der Neuzeit wurde das Wort,fromm' bzw. .Frömmigkeit' semantisch immer stärker auf das Individuum und dessen Gefühle beschränkt. Der Pietismus trug zunächst stark zu einer positiven Gefühlsbesetzung des Wortes ,fromm' bei. Er leistete ferner lebenspraktische Beiträge zur Wiederbelebung von Frömmigkeit im Sinne von praxis pietatis. Er bemühte

13 Vgl. W. Trillhaas 1958, 1158. 14 Luther übersetzte ευσεβής hingegen mit „gottselig". - Luther zu seiner Ubersetzungsentscheidung: „das wir auf deutsch sagen: das ist ein frumm Mann, das saget die Schrift: der ist justus, rechtfertig oder gerecht". „Ich wollt auch, das das Wörtlin justus, justitia in der Schrift noch nie wäre ins Deutsch auf den Brauch gebracht, daß es Gerechtigkeit heiße, denn es heißt eigentlich ,frumm und Frumkeyt'" (zitiert bei C. Burger 1899, 294). Luther wendet in seinem Sinne .fromm' übrigens auch auf Tiere wie z.B. Bienen an: „Gleichwie die Hummeln alles auffressen, was die frommen Bienlein machen" (ebd.). Zu seiner Kritik am Wort .Frömmigkeit' (im Sinne von Werkerei) vgl. C. H. Ratschow 1986, 1397f.

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sich jedoch weniger um begriffliche Klärungen. Im pietistischen Umfeld wandelte sich das Wort u.a. auch in einen Selektionsbegriff, anhand dessen Glaubensstufen bzw. Christen und Nichtchristen voneinander unterschieden wurden: die entschiedenen und daher .frommen' von den eher äußerlich teilnehmenden Christinnen und Christen. Schleiermacher leistete einen wichtigen Beitrag zur theologischen Aufwertung von Frömmigkeit, indem er sie für die systematische Theologie erschloß und die Dogmatik in der „Glaubenslehre" als Explikation des „frommen Selbstbewußtseins" (als Basis kirchlicher Gemeinschaften) konzipierte. „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins." Fromm zu sein, heißt wesentlich, „daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig, oder was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind".15 Aus Schleiermachers systematischem Ansatz wurde wirkungsgeschichtlich das Verständnis von Frömmigkeit als „Gefühl der völligen Abhängigkeit von Gott, die heilige Scheu vor Ihm" bedeutsam.16 Damit ging die Tendenz einher, Frömmigkeit mit der subjektiven Seite der Religion gleichzusetzen. 4) Die liberale Theologie trug um die Jahrhundertwende wesentlich dazu bei, die individual- und sozialethische Dimension für das Frömmigkeitsverständnis zurückzugewinnen. Allerdings erfolgte dies mit einer derartigen Einseitigkeit, daß sich der Begriff darin zu erschöpfen schien. Exemplarisch können hierfür die Lexikonartikel von W. Herrmann (1905) über „Religion" sowie von O. Baumgarten (1926) über „Frömmigkeit" gelten. Beide setzten ihren Akzent vorrangig auf die in den Frommen geweckte „Sittlichkeit".17 5) Die Dialektische Theologie steht unter dem Ruf der Frömmigkeitskritik. Als Beleg hierfür wird besonders K. Barths „Römerbrief"-Kommentar herangezogen. Problematisch wird diese Sicht allerdings, wenn frömmigkeitsgeschichtliche Erörterungen hierauf beschränkt bleiben.18 Denn damit übergehen die Kritiker jener Kritik, daß gerade die Dialektische Theologie im Zuge des Kirchenkampfes eine eigene Frömmigkeitsbewegung bildete, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg nachwirkte. Die Bekennende Kirche läßt sich als „eine der größten Bibelbewegungen der

15 D. F. C. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Berlin 1830, 2. Aufl., § 3, Leitsatz, S. 6 und § 4, S. 14. 16 C. Burger 1899, 294. - Vgl. auch O. Baumgarten 1926, 812 sowie W. Herrmann: „die Besinnung auf die Religion, die wir erleben, wird uns immer darauf führen, daß wir uns in ihr abhängig wissen von einer Macht, vor der es kein Entrinnen giebt [sie]." (1905, 595) 17 W. Herrmann 1905, bes. 594; O. Baumgarten 1926. 18 Vgl. z.B. M. Seitz 1995, 600; W. Trillhaas 1958, 1160. Differenzierter: C. H. Ratschow 1986, 1399.

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evangelischen Kirche" (Ε. Schlink) bezeichnen." Neben einer den reformatorischen Duktus aufnehmenden Konzentration der Frömmigkeit auf das Wort Gottes bildet in der Kirchenkampf-Frömmigkeit (besonders um K. Barth und D. Bonhoeffer) die Integration gesellschaftspolitischer Fragen in die .theologische Existenz' einen wichtigen Erneuerungsimpuls zur evangelischen Frömmigkeit in diesem Jahrhundert.20 6) In der Gegenwart ist das Wort ,fromm' bzw. ,Frömmigkeit' dermaßen verschlissen, daß für Erwartungen an einst damit benannte Sachverhalte andere Wörter als Heimat gesucht werden.21 Auf der Ebene der internationalen Diskussion finden sich für die mit dem deutschen Wort .Frömmigkeit' bezeichneten Phänomene mindestens drei Nuancierungen, und zwar im Englischen (bzw. Französischen) piety (piete), devoutness (devotion) und religiosity (religiosite).22 Während im 19. Jahrhundert das Wort .Religion' als Ersatzwort diente,23 ist dies in der Gegenwart im evangelischen Bereich der Begriff Spiritualität' geworden. Er wurde aus der katholischen Ordenstheologie Frankreichs aus dem 17. Jahrhundert, vor allem über die ökumenische Diskussion vermittelt, aufgenommen. Zu seinem Siegeszug trug wesentlich die Fünfte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi/Kenia (1975) bei. Dort wurde zugleich der Bezug von Frömmigkeit auf den gesellschaftlichen Kontext, besonders den politischen Kampf, herausgestellt.24 So bevorzugt das EKD- Papier „Evangelische Spiritualität" von 1979 bereits im Titel „Spiritualität" anstelle des traditionellen Wortes .Frömmigkeit'.25 In diesem Papier wird zudem 19 Zitiert in: W. Neidhart 1981, 51. M.E. ist jedoch Neidharts These, daß ,die Theologie Barths' keinen eigenen Frömmigkeitsstil schuf, in einem weiter gefaßten Verständnis (d.h. bezogen auf die Kirchenkampf-Generation) nicht haltbar. Bereits deren Reduktion auf die liturgische Bewegung und den Stil evangelischer Jugendverbände greift zu kurz (betrachtet man etwa Bonhoeffers Rückgriff auf Barths Theologie und die lutherisch-konfessionelle pastoraltheologische Tradition sowie die Lutherrenaissance in jener Zeit). Völlig übergangen wird dabei jedoch die politische Ausrichtung der KirchenkampfFrömmigkeit (zumindest in ihrem .radikalen Dahlemitischen' Flügel); ausführlich zu D. Bonhoeffers Beitrag, der sowohl von Barths Wort-Gottes-Theologie als auch der Lutherrenaissance und der lutherischen Pastoraltheologie beeinflußt war, S. BobertStützel 1995, 92ff. 20 Vgl. hierzu H.-G. Heimbrock 1982; P. Cornehl 1972. - An dieser Stelle kann nicht näher auf den wichtigen Beitrag der Liturgischen Bewegung seit den zwanziger Jahren eingegangen werden, vgl. hierzu M. Meyer-Blanck 1994 sowie H.-C. SchmidtLauber 1991, 402-404. 21 M. Seitz faßt die Geschichte als Geschichte einer „Entweltlichung" des Begriffs zusammen (1983, 676.678). 22 H.-J. Greschat 1983, 671. 23 Vgl. W. Herrmann 1905. 24 Vgl. H. Krüger/W. Müller-Römheld 1976, 321-324. 25 Mit der Begründung, daß „Spiritualität" „Glaube, Frömmigkeitsübung und Lebensgestaltung zusammenschließt" (Evangelische Spiritualität 1979,10, vgl. lOf). Vgl. E. Fahlbusch 1990 und ders. 1996, der von einem „Paradigmenwechsel" in der Frömmigkeitstradition beim Wortwechsel von .Frömmigkeit' hin zu .Spiritualität' spricht,

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deutlich, wie das neue W o r t alte und neue Sehnsüchte auf sich zu ziehen vermag. Es erscheint im Bedeutungsfeld mit „Lebensqualität", „mystische[r] Spiritualität" und „emanzipatorischefr] Spiritualität". 26 In neuer Weite ufert die Semantik des W o r t e s .Spiritualität' jedoch aus, so daß ein theologischer Gebrauch zunächst begriffliche Grenzziehungen voraussetzt. Definitorisches. In der vorliegenden Arbeit soll am Begriff Frömmigkeit' festgehalten werden. Damit stelle ich mich der Problemgeschichte, statt auf ein unbelasteteres Ersatzwort auszuweichen. Zugleich soll ein Beitrag zu einer Bereicherung des alten W o r t e s geleistet werden, der sich jedoch ebenso auf eine .evangelische Spiritualität' übertragen ließe. D e r theologische Ansatz zu einer gegenwärtigen Begriffsbestimmung m u ß m . E . mit einer systematisch-theologischen Reflexion des Propriums der Tradition evangelischer Frömmigkeit einhergehen. 2 7 Ein wichtiger Beitrag hierzu stammt von M. Seitz in dessen TRE-Artikel „Frömmigkeit" (1983). An ihm lassen sich zugleich grundsätzliche Definitionsprobleme aufzeigen. M. Seitz setzt mit seinen systematisch-theologischen Überlegungen zur Begriffsbestimmung bei M. Luthers Rechtfertigungslehre an. Er hebt aus ihr das sola fide als Ausschluß von Werkgerechtigkeit hervor 28 und verweist für die Praxisebene von Luthers Frömmigkeit auf dessen „folgenschwere Umstellung jahrhundertealter Praxis" in der mittelalterlichen Trias von „lectio - meditatio oratio - contemplatio" zur Abfolge von „oratio - meditatio - tentatio". 29 Seitz arbeitet jedoch nicht näher heraus, wie das sola fide gerade diese Umstellungen in Luthers Frömmigkeitspraxis begründet, sondern konzentriert sich als eine wesentliche Konsequenz aus Luthers Rechtfertigungslehre auf den Aspekt des Werdens der Glaubenden. Hieraus leitet er den Übungsaspekt (i.S.v. Exerzitium) von evangelischer Frömmigkeit ab.30 Für die Gestalt reformatorischer Frömmigkeit verweist Seitz auf Luthers Schmalkaldische Artikel, Art. 111,4 (BSLK 516.691-707) und erweitert die genannten Elemente auf „neun Formelemente, welcher sich im Übergang von der Moderne zur Postmoderne vollziehe (diese Auffassung übernommen von: H. J. Luibl 1997). 26 Evangelische Spiritualität 1979, 11. 27 .Proprium' verstehe ich dabei nicht als kirchentrennend, sondern als die Frage nach dem eigenen Ort und Reichtum im ökumenischen Dialog, vgl. H. J. Luibl: „Welches Sprach-, Denk- und Liturgiepotential hält die je eigene Tradition zur Erschließung der je anderen Tradition bereit; wieviel Kraft liefert sie, Differenzen zu markieren und auszuhalten?" (1997, 58) 28 Vgl. zum Folgenden M. Seitz 1983, 677f. Ähnlich, mit Berufung auf CA IV (BSLK 56f): Ders. 1994, 30. 29 Ders. 1983, 677. 30 Vgl. dazu ders. 1994, 30. - Seitz legt ferner pneumatologisch orientierte Definitionen von Frömmigkeit (bzw. Spiritualität) vor, so z.B. im Arbeitspapier Spiritualität im Theologiestudium: „Spiritualität im biblisch-theologischen Verständnis ist der vom Hl. Geist hervorgerufene und erfahrbare Glaube, auch der Sinn für geistliches Wesen ... und schließt Glaube, Frömmigkeit und Lebensführung zusammen; ist ... das in Anbetung und Verantwortung sich betätigende Gottvertrauen." (1997, 32, Punkt 2.1.5) Vgl. ders. 1995, 601.611f. 29

die für die evangelische Frömmigkeit prägend und bezeichnend sind: Gottesdienst, Taufe, Beichte, Abendmahl, Seelsorge, Lied, Lesung, Gebet und Katechismus" 31 . Unklar bleibt bei dieser Darstellung jedoch, jenseits der Ebene des historischen Bezuges, welche theologischen Argumente es für spezifische evangelische Formen von Frömmigkeit gibt. So bemängelt der katholische Theologe J. Sudbrack angesichts von Seitz' (und auch G. Ruhbachs) Darstellungen - trotz des Reflexionsansatzes bei der Rechtfertigungslehre - ein eigenes Profil evangelischer Frömmigkeitsformen. 32 Durch ihre Unklarheit bleibe evangelische Spiritualität einen eigenständigen Beitrag zum ökumenischen Gespräch schuldig. Sudbrack beurteilt (mit Bernd Jaspert) Seitz' Versuch einer Propriumsbestimmung evangelischer Frömmigkeit anhand der Aufzählung der neun Formelemente im T R E Artikel als „naiv". „Als ob das alles nicht auch beispielsweise auf die katholische und anglikanische Frömmigkeit zuträfe!" 33 Sudbrack selbst bestimmt in seiner Außenperspektive das evangelische Proprium in der Konzentration auf das (biblische) Wort als Heilsmedium: „es geht um die Geburt der Spiritualität aus dem Wort; es geht um das Wort als Kraftprinzip aller Spiritualität." 34 Nach seinem Urteil findet er dieses Leben mit dem Wort jedoch nicht auf der gegenwärtigen Praxisebene von evangelischer Frömmigkeit vor. 35 Selbst das evangelische Arbeitspapier „Evangelische Spiritualität" weiche für Aussagen zur evangelischen Frömmigkeitspraxis auf ökumenische Anleihen aus und bleibe eigene Aussagen zum spezifisch evangelischen Umgang mit der Bibel schuldig.36 , F r ö m m i g k e i t ' läßt sich zunächst allgemein mit B . H a m m als „die V e r w i r k lichung [und Erschaffung - B S ] bestimmter christlicher (bzw. andersgläubiger) Verkündigungen, Lehren, Ideen, Wertvorstellungen, G e b o t e , Anleitungen, Traditionen oder G e w o h n h e i t e n i m k o n k r e t e n Lebensvollzug durch eine b e s t i m m t e Lebensgestaltung" verstehen. 3 7 D i e Begriffe „Lebens31 Ders. 1983, 678. - Der Hinweis auf die fünf Grundformen in den Schmalkaldischen Artikeln 111,4 ebenso bei M. Seitz 1994, 31, vgl. 30f. C. Joest stellt fünf Hauptaussagen von M. Seitz zum „evangelischen Charakter" von „Askese" zusammen: „Christozentrik: Askese steht im Dienst der Nachfolge Christi", Abwehr der Leibfeindlichkeif, ihr Verständnis „als Dank und Antwort", „das persönliche Hören des Evangeliums durch den einzelnen" sowie „die Betonung des von selbst durch den Gang des Lebens kommenden Kreuzes" (1995, 203f). 32 Vgl. zum Folgenden J. Sudbrack 1989. 33 A.a.O., 126. Vgl. auch Sudbracks Urteil über Seitz' Aufsatz „Erneuerung der Gemeinde" (125f). 34 A.a.O., 126f. 35 Vgl. Sudbracks Kritik am Beispiel der Meditation (a.a.O., 125). - Vgl. demgegenüber Seitz' Zustimmung zu Joachim Tracks Plädoyer für eine Abwendung vom einseitigen Wortbezug evangelischer Frömmigkeit. Gerade die Wortkonzentration habe mit zur Zerfallsgeschichte beigetragen (M. Seitz 1994, 31). 36 J. Sudbrack 1989, 125. - Zur Differenzierung spiritueller Richtungen vgl. H.-M. Barth 1993; E. Fahlbusch 1996,403; G. Wainwright 1996; E. Mveng 1996; C. E. Alvarez 1996. 37 Β. Hamm 1977, 466. - Die dem hier vertretenen Aszetik-Ansatz zufolge nötige Ergänzung in eckigen Klammern verweist auf ein grundsätzliches Problem in B. Hamms Definition: das einlinige Interaktionsverständnis. In dessen Perspektive begreift 30

Vollzug" und „Lebensgestaltung" umfassen dabei sowohl die Dimension innerseelischer Aneignungs- und Neuschöpfungsprozesse als auch äußerer Praxis von Individuen und Gruppen in jeweiligen Beziehungsgeflechten.38 Für den in dieser Arbeit zugrundeliegenden systematisch-theologischen Definitionsansatz von Frömmigkeit setze ich eine fundamentale Differenz und zugleich unauflösbare Relation zwischen göttlichem Handeln, das als , Glauben' zum Menschen kommt, und menschlichem Handeln, das als ,Frömmigkeit' aus der Glaubenserfahrung entstehen kann, voraus.39 Es ist dieselbe Relation, die zugleich in diesem bestimmten Sinne Glaubensrelation und Frömmigkeitsrelation ist. Eine Differenzierung ist nur perspektivisch möglich. Die Glaubens- und Frömmigkeitsrelation ist aus der Sicht reformatorischer Tradition durch die Rechtfertigungslehre näherbestimmt, welche nach dem Verständnis der lutherischen Bekenntnisschriften den articulus stands et cadentis ecclesiae bildet.40 Die Rechtfertigungslehre hält (strukturell) an der Priorität der Glaubensrelation vor der Frömmigkeitsrelation fest. Die Struktur der Glaubens-Frömmigkeits-Relation wird durch die vier particulae exclusivae elementar formuliert: solus Christus, sola gratia, solo verbo und sola fide.41 Solus Christus ist die Basisformel, die durch die drei anderen Aussagen konkretisiert wird. .Gerechtfertigt zu sein' heißt entsprechend dem solus Christus: in Jesu Christi Gottesbeziehung einbezogen zu sein. Dies beinhaltet eine Absage an andere Heilsmittler oder -mittel. Das solus Christus ist eine Einladung, durch das Bekanntwerden mit Jesu Christi Leben, Sterben und Auferstehung eine eigene Beziehung zu Gott zu entdecken. Das Hamm Frömmigkeit weitgehend als unmodifizierte Aneignung („Verwirklichung") und als das Umsetzen einer vorgegebenen theologischen Ideen- bzw. Traditionswelt. Dabei gerät die Rolle von Frömmigkeit als Entstehungsgrund von theologischer Lehre aus dem Blick. - Vgl. zur Kritik dieses traditionalistischen bzw. fusionsorientierten Interaktionsverständnisses s.u. 64f; zur (wenngleich oft unreflektierten) Einheit von theologischer Lehre und Frömmigkeit s.u. 257ff. 38 Auch individuelle Frömmigkeit kann nur als Frömmigkeit eines self-with-other hinreichend verstanden werden, zu diesem Konzept s.u. 171ff. - Näheres zur Dimensionierung von Frömmigkeit s.u. 44, Anm. 10. 39 Vgl. W. Krötkes Differenzierung zwischen „Glauben" und „Erleben des Glaubens" (1984c, 55). Im Unterschied zu Krötke lege ich im folgenden neben der Differenzierung Wert auf die Untrennbarkeit beider Relate in einer Relation, so daß die theologische Reflexion nicht einseitig bei der Reflexion von .Glauben' verharren kann, wenn sie dem Phänomen .Frömmigkeit' gerecht werden will. - Hiermit gehe ich einen anderen Definitionsweg als E. Fahlbusch 1996, 403f. 40 CA IV, BSLK 56f. Vgl. auch noch G. Ebeling 1986b, 219. 41 Vgl. zum Folgenden G. Ebeling 1986b, § 34, bes. 219ff; G. Schneider-Flume 1995, vgl. ihre Zusammenfassung der reformatorischen Exklusivpartikel: „Die Schrift allein hat Autorität, weil sie das Wort Gottes enthält. Die Schrift ist nur zu begreifen, wenn man ihre Wahrheit und Einheit allein in Jesus Christus und Gottes sich den Menschen zuwendender Gnade erkennt. Durch den Glauben eröffnet die Schrift neue Erfahrung, die auf der Befreiung durch Christus beruht." (a.a.O., 107)

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solus Christus verweist in eine trinitarische Struktur der Glaubensrelation hinein, so daß eine rein dyadische Struktur aufgesprengt ist. Glaube als Werk des trinitarischen Gottes verweist darauf, daß Glaube „genau daraus entsteht, daß mich Gott der Geist die menschliche Predigt von Jesus Christus als Gott dem Sohn als die Anrede des Vaters an mich hören läßt".42 In der trinitarischen Struktur öffnet der Heilige Geist eine rein dyadische Struktur von anredendem Subjekt und angeredetem bzw. entsprechendem Subjekt, indem er als Geist des Vaters und des Sohnes dem Menschen in der Anrede in Christus die Glaubensrelation als einen Spielraum für dessen Frömmigkeitsrelation erschließt, in dem zwischen Gott und Mensch Neues entstehen kann.43 Das sola gratia hält am ,prae' der Glaubensrelation als einem freien, ungeschuldeten Selbst-Angebot Gottes fest. Es verweist darauf, daß Gott die Beziehung zu den Menschen in Christus bereits eingegangen ist. Seine Beziehungsaufnahme bleibt unumstößlich vorgegeben und auch über menschliche Ablehnung hinweg bestehen. Der zum Menschen kommende Glaube wirkt schöpferisch und konstituiert die Person als Christin bzw. Christ.44 Für die Frömmigkeitsrelation bedeutet das sola gratia, daß Gott sich wirklich innerhalb des Freiraums einer Beziehung zur Verfügung stellt und in Anspruch nehmen lassen will.45 Die voraufgehende Gnade ist das Geschenk und der Grund des Glaubens, doch ihre eigene Antwort der Frömmigkeit muß die Person selbst entwickeln. Frömmigkeit entsteht aus menschlichen Vermittlungen von Glauben, die Interaktionsprozesse sind und auf Zustimmung und Einverständnis zielen.46 Dabei bleibt die Glaubens-Frömmigkeits-Relation ein in statu viae unabgeschlossener Prozeß: 42 I. U . Dalferth 1984, 250. Vgl. zur Näherbestimmung der logisch-formalen Eigenschaften der Glaubensrelation als mindestens zweistelliger realer Relation, die nichttransitiv, asymmetrisch, irreflexiv und nicht-konnex ist, a.a.O., 240ff.252. 43 Vgl. H . Wahl, der von einem „pneumatischen Trialog-Raum" spricht (1994, 580). 44 So daß, formallogisch, v o n Glauben als einer „internen Relation" zu sprechen wäre, die von einer externen Relation dadurch unterschieden ist, daß sie ihr(e) Relat(e) in der Beziehung konstituiert. Ein Analogon wäre die Beziehung zwischen A u t o r und W e r k (vgl. I. U . Dalferth 1984, 244). Vgl. auch T . Bonhoeffer: „Die Kunde v o n Jesu Leiden, Sterben und Auferstehung ist unser Schöpfungsmythos. Ihn feiern wir im Gottesdienst. Aus ihm regeneriert sich der Glaube" und die Kirche (1986, 343). 4 5 Vgl. die dahingehende Interpretation v o n Gottes ,Herr'-Sein durch H . Wahl, der zugleich Konnotationen zu Abhängigkeit und Unterwerfung des Menschen zurückweist (1994, 605). 4 6 Vgl. H . Wahls Hinweis auf das anthropologische Analogon des „Paradoxons gelingender Beziehung und Partnerschaft" in der menschlichen Entwicklung: „Schon das Kind kann der Selbstobjekt-Mutter nur vertrauen, wenn sie ihm ,Grund* dazu gibt aber vertrauen m u ß es .selbst'." (1994, 584, vgl. auch 610, A n m . 37) Vgl. auch K. Barths (allerdings einseitig kognitive) Konzeption von Glauben als menschlicher „Tat": „ein spontanes, ein freies, ein tätiges Geschehen .... in den drei Zusammensetzungen: ^ « e r kennen, f r k e n n e n , bekennen" (KD I V / 1 , 847, vgl. 846ff).

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Die Frömmigkeit muß sich im Glauben (d.h. vor Gott) stets neu .erfinden'. Sie bleibt, mit Luthers Worten, „jhm bau".47 Das solo verbo bezieht sich als Exklusivpartikel nicht auf Wörter oder Worte oder allgemein auf das Hören im Sinne eines bevorzugten Sinnesmodus, sondern konkret auf Jesus Christus als den Inhalt des Evangeliums im Ersten und im Neuen Testament. Das solo verbo erinnert daran, daß die Beziehung zu Gott primär über textbezogene Interaktionen erschlossen wird (vgl. Rö 10,17).48 Gott macht sich in Interaktionen, die auf das Evangelium bezogen sind und daher primär in menschlicher Sprache anwesend - und abwesend.4' Aufgrund dieser Erwartung sind Sprechhandlungen (und deren Niederschlag in schriftlichen Texten wie insbesondere der Heiligen Schrift) der hervorragende Gegenstand evangelischer Frömmigkeit. Der narrative Rückgriff auf die Evangeliumstradition wahrt die Identität des Bezugsgegenstandes trotz unterschiedlicher Bezugsrahmen.50 Das .Hören' auf das .Wort' verweist ferner auf den Modus des Empfangens als Weg zum Glauben, konkret auf das Empfangen der Evangeliums-Uberlieferung aus einer vorgegebenen Frömmigkeitstradition. Glaube, Heiliger Geist kommen in sinnlich konkreten Interaktionen zum Menschen. Auf ihrer Ebene betrachtet, sind in der,Anrede' Hören und Schauen stets miteinander verbunden, und beide können gleichermaßen die fides und Gott sicherstellen und verfügbar51 machen wollen oder die Interaktion als Raum von Gottes potentieller Selbstvergegenwärtigung betrachten. Wer ,hört', die oder der schaut auf Beziehungskontexte, die die Narration des Evangeliums als präverbale Metaphern in Inszenierungen vergegenwärtigen oder ihr widersprechen.52 47 M. Luther: „In fieri, non in esse. Interim dum hic iustificamur, nondum est completa. Est in agendo, in fieri, non in actu aut facto, nec in esse. Es ist noch jhm bau." (Promotionsdisputation v o n Palladius und Tilemann, 1537, W A 39/1, 252,8-15). „Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formae suae vitam." (ders., Disputatio de homine, 1536, W A 39/1, 177,3f) 48 Vgl. I. U. Dalferth 1984, 249f.323-325. 49 Zur Erläuterung dieser paradoxen Formulierung s.u. 303ff. 50 Vgl. I. U. Dalferth 1984, 324. 51 Das .Hören' wird in der reformatorischen Tradition gerade unter dem Aspekt der Unverfügbarkeit dem .Schauen' als sinnlichem Interaktionsmodus vorgezogen (vgl. die Gleichstellung v o n .Schauen' mit .Verfügenwollen' i.S. v o n z.B. Hebr 11 bei M. Luther, Dictata super Psalterium. Psalmus XCIII [XCIV], 1 5 1 3 - 1 5 1 6 , W A 4,95,1-3. Im Zuge einer ästhetischen Entdeckung der Unverfügbarkeit des Geschauten (und von Texten) als eines „offenen Kunstwerks" (vgl. U. Eco 1977) sowie einer Verfügbarmachung Gottes in verbal feststellenden Ansichten (s.u. 291ff.342f; vgl. W . Engemann 1993) sollte diese literalisierte Gleichsetzung des Bildes und anderer nonverbaler Darstellungen mit eindeutigem Sehen theologisch aufgegeben und die Kritik neu ausgerichtet werden. Vgl. A. Grözinger 1 9 9 1 , 2 2 3 f f zum „Blick" als Grundkategorie einer theologischen Ästhetik. 52 Hier stellt sich die Frage nach der sozialen Konkretion ekklesiologischer Aussagen neu, da die Glaubens-Frömmigkeits-Relation eben nicht - gerade nach reformatorischem Bekenntnis! - ««vermittelt aus .Glauben', den der Heilige Geist zum Menschen

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Im sola fide bleibt die Beziehungsstruktur evangelischen Glaubens gewahrt: Gott bleibt ein externes Gegenüber. E r nimmt im Wort, das von außen kommt, die Beziehung auf und lädt dazu ein, sich konstitutiv auf ihn zu verlassen.53 Als Gegenüber bleibt er jedoch in der Vermittlungsstruktur (im Wort, in der Inszenierung) unverfügbar. Diese bleibende Unverfügbarkeit macht die Frömmigkeit anfechtbar. Seine Präsenz erschließt sich nur im Glauben. Der tiefste Grund für die Bedeutung von Sprache (in nicht-verbalistischer Engführung verstanden: als Sprechhandlung im Beziehungskontext) ist ihre Kraft, Abwesendes zu vergegenwärtigen und damit die Anfechtung für den Glauben je neu zu überwinden. 54

1.2. Zwei Wendepunkte in der evangelischen praktisch-theologischen Reflexion über Frömmigkeit zwischen 1900 und 1970

1.2.1. Paul Drews über „Religiöse Volkskunde" als Aufgabe Praktischer Theologie 1901 stellte Paul Drews in der „Monatsschrift für kirchliche Praxis" sein Programm einer religiösen Volkskunde vor. 55 E r formulierte damit nicht nur sein eigenes Programm, sondern zugleich das einer ganzen praktischtheologischen Schulrichtung, zu der u.a. O t t o Baumgarten, Friedrich Niebergall, Martin Schian und Emil Sülze zu zählen sind.56 Drews strebte mit

bringt, stammt (gegen Tendenzen bei I. U. Dalferth: „Glauben entsteht aus nichts anderem als aus Glauben." 1984, 249), sondern - gerade als verbum externum - faktisch stets über Frömmigkeitsgestalten und deren Inszenierungen reproduziert (oder auch nicht mehr reproduziert) wird. Diese soziale Dimension der Frömmigkeit muß ebenso theologisch verantwortet werden wie die ,eschatologische' Dimension von Glaubensentstehung. Gerade die verbalistische Engführung mit dem Anliegen der Wahrung des Evangeliums als eines verbum externum droht, „in einem rein inneren, geistig-sprachlichen .Wortgeschehen' (Ebeling)" zu enden, das die Extemität des verbum als reales Beziehungsgeschehen aufzulösen droht! (Zitat: H. Wahl 1994, 550, Herv. BS) 53 Vgl. M. Luther: „fides autem facit personam" (Die Zirkulardisputation de veste nuptiali, 1537, WA 39/1; 282,16). 54 Vgl. I. U. Dalferth 1984, 324! „Eschatologische Sachverhalte lassen sich unter den Bedingungen von Raum und Zeit nur sprachlich aufdecken und vermitteln, da ihre Wahrheit die ontische Wirklichkeit prinzipiell überschreitet." (1984, 324) 55 Vgl. P. Drews 1901. Vgl. zum Folgenden V. Drehsen 1988, 39-50.475-513; F. Wintzer 1995, 17f; G. Krause 1982 sowie die Literaturangaben zum seelsogerlich und pastoralpsychologisch orientierten Zweig bei M. Jocheim 1997, 122f. Reichhaltige Literaturverweise zur Würdigung von P. Drews bei V. Drehsen 1988, II, 285f, Anm. 1; zur Rezeptionsgeschichte 286, Anm. 3. - Aus der Sicht von M. Seitz handelt es sich bei Drews' Entwurf um ein Programm, das - in modifizierter Gestalt - „dringlich" in eine gegenwärtige evangelische Aszetik aufgenommen werden sollte (vgl. 1983, 685f). 56 Vgl. V. Drehsen 1988, II, 69, Anm. 69; 286, Anm. 2. Volkskunde stand zu 34

seiner religiösen Volkskunde (bzw. .evangelischen Kirchenkunde' oder .religiösen Psychologie') eine Wende der Praktischen Theologie zur Erfahrungswelt an. „Kann es um die Theologie ... richtig bestellt sein, wenn sie das tatsächliche, empirische religiöse Leben ignoriert?"57 Er nannte im nachhinein drei Motive für seine Integration einer religiösen Volkskunde in die Praktische Theologie. „So trieb zunächst die Notlage und Hilflosigkeit des Pfarrerstandes zur religiösen Volkskunde. Dann kam aber auch die Wendung zum Volk, die soziale Stimmung der christlichen Kreise in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ... Endlich kam dieser Bestrebung eine allgemeine Bewegung zum Volkstümlichen, eine nationale Stimmung... entgegen".58

Das kapitalistische Wirtschaftssystem führte zu einer gesellschaftlichen Desintegration. Auch das religiöse Leben war von einem Zerfall tradierter Lebensweisen betroffen. Die sozialen Umbrüche führten dazu, daß die Kluft zwischen gelehrter und faktischer Frömmigkeit immer deutlicher zutage trat. Drews warf der Praktischen Theologie vor, besonders für drei Neuentwicklungen blindgeworden zu sein: 1) Individualisierung·. Frömmigkeit begegne fortan individualisiert in mannigfachen Frömmigkeitstypen. Diese zu erforschen, stelle sich insbesondere als künftiges Aufgabengebiet der Religionspsychologie. 2) Pluralität: Eine evangelische Kirchenkunde

muß untersuchen, wie sich religiöses Leben von Gemeinschaften „in unseren Landeskirchen tatsächlich eine Lebensform, einen Rahmen geschaffen hat und wie es sich innerhalb derselben auslebt".59 3) Vielschichtigkeit „der wirklichen, konkreten religiösen und sittlichen Volkszustände" auch in ihren entkirchlichten Formen. Diese müsse zum Gegenstand der religiösen Volkskunde im engeren Sinne werden.60 Als Aufgaben einer religiösen Volkskunde sah Drews „eine beschreibende Darstellung des religiösen Lebens der Gegenwart im Zusammenhang Drews' Zeit in Blüte. Zu den Wurzeln der religiösen Volkskunde in der christlichen Aufklärung und der aufklärerischen Pastoraltheologie vgl. V. Drehsen 1988, II, 419, Anm. 356. 57 P. Drews in: V. Drehsen 1988, I, 39. - Drehsen relativiert mit Blick auf Drews die Rede von einer empirischen Wende in der Praktischen Theologie erst in den sechziger Jahren: V. Drehsen 1988, II, 67f, Anm. 24. Selbst der Begriff der „Handlungswissenschaften" sei bei Drews der Sache nach vorgeformt, vgl. Drehsen 1988, II, 286f, Anm. 4. 58 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 484. - F. Wintzer (1995, 17) weist eine von H.G. Heimbrock (1982) vermutete Affinität zur Volkstumsideologie für die liberale Praktische Theologie zurück. 59 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 42. - O. Baumgarten urteilt über den evangelischen Bereich, daß die Volksfrömmigkeit „eine so große Mannigfaltigkeit" zeige, „daß sie kaum einheitlich zu beschreiben ist" (in V. Drehsen 1988 I, 484f). - Zur Entwicklung der Praktischen Theologie unter den Bedingungen von damaliger Pluralisierung und Differenzierung vgl. P. C. Bloth 1994, 50ff, konkret zu Drews: 55f. 60 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 42. Vgl. T. Nipperdey 1988. 35

mit seinem geschichtlichen Werden aufgrund einer eindringenden psychologischen Analyse des Volkscharakters wie der Gruppen- und individuellen Typen, mit denen der Geistliche zu rechnen hat".61 Drews war unter dem volkskundlichen Aspekt zunächst nicht an Einzelnen, sondern an der „Gesellschaft oder eine[r] ihrer sozialen Schichten" interessiert; am „einzelne[n] nur, sofern er Glied der sozialen Gruppe ist", deren soziales Schicksal er teilt.62 Er wollte dem „ganz eigenartigen religiösen Gepräge" unterschiedlicher Volksschichten, Stände und Klassen nachgehen. Dabei wurden ihm zwei einander überschneidende Gesichtspunkte wichtig: 1) Forschung im Sinne einer „Religionssoziologie der ethnographischen Kulturräume in der spezifischen Ausprägung ihrer jeweils dominanten Wirtschaftsweise"63, 2) religionssoziologische Analyse als Sichtung verschiedener Sozialkomponenten und deren Niederschläge im religiössittlichen Bewußtsein und Verhalten. Drehsen beurteilt die zeitgenössischen Hintergründe von Drews' psychologisch-wissenschaftlicher Position als schwer bestimmbar, da Drews kaum zitiert bzw. erst in späteren Schriften Kronzeugen benennt.64 Drews beschrieb von Anfang an den „individuellen" als den „psychologischen" Gesichtspunkt, verband damit jedoch keine bestimmte Konzeption oder Methodik. Im engeren Sinne verstand er Psychologie als empirische Erlebnispsychologie.65 Unter religionspsychologischem Aspekt ging es Drews um die „Darstellung der verschiedenen Individualitäten in ihrer Entwicklung und bleibenden Ausprägung".66 Seine Religionspsychologie weist drei Schwerpunkte auf, die damit Leitaspekte bei der Untersuchung von Frömmigkeit wurden: 1) Individualpsychologie mit ihren Versuchen zu Typologisierungen (den zeitgenössischen Exponenten hierfür sah Drews in W. James),67 2) Entwicklungspsychologie,iS 3) Sozialpsychologie^. Religiöse Volkskunde war zugleich mit Religionskritik i.S.v. Frömmigkeitskritik verbunden.70

61 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 42. Vgl. T. Nipperdey 1988. 62 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 489. 63 V. Drehsen 1988,1, 489. 64 Vgl. zum Folgenden a.a.O., 493-497. Zum zeitgenössischen Hintergrund und als kritischen Abriß zur frühen empirischen Religionspsychologie vgl. D. Engels 1990, 21-35. 65 Nach V. Drehsen als exaktwissenschaftliche Aufnahme von W . Herrmanns erlebnistheologischem Ansatz (1988,1, 493). 66 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 495. 67 Vgl. W . James 1979, erstmalig 1907 ins Deutsche übersetzt. 68 Zeitgenössisch vorrangig durch die Schule von G. St. Hall vertreten, vgl. die Studien von E. D. Starbuck 1899 und J. H . Leuba 1896. 69 Führend hierbei seit etwa 1896 die Völker- bzw. Massenpsychologie von W. Wundt 1905-1909; ders. 1911. 70 Vgl. F. Wintzer 1995, 17.

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Die Religiöse Volkskunde war für die Pfarrer als ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer Ausbildung konzipiert. 71 Gesellschaftliche Diskontinuität und Desintegration führte für die Geistlichen zu einer zunehmenden Wirkungslosigkeit und Marginalisierung ihres Handelns. Drehsen betont nachdrücklich, daß Drews „die Ursachen dieser Mangelsituation nicht etwa schuldhaft auf externe Faktoren - etwa die einer allgemeinen Säkularisierungstendenz - abwälzt, sondern deren Konstatierung zum Anlaß nimmt, die Frage nach der Qualifikation und Kompetenz der pastoralen Praxisträger selbst, also der Pfarrer aufzuwerfen".72 Drews ist der Ansicht, „daß die Ergebnislosigkeit vieler treuer pastoraler Tätigkeit zum guten Teil darauf zurückzuführen ist, daß der Pfarrer die Volksseele in ihrem Gesamtleben viel zuwenig kennt. So redet er vielfach über die Köpfe und über die Herzen hin, und sein seelsorgerliches Wirken bleibt ein äußerer Betrieb... Die Mehrzahl der Geistlichen ... blieb doch dem Volke fremd und das Volk ihr".73 1.2.2. Reflexionen im Rahmen der Religionssoziologie und der Säkularisierungshypothese in den sechziger Jahren Die zweite .empirische Wende' führte in der Praktischen Theologie der sechziger Jahre u.a. dazu, daß die Thematik evangelischer Frömmigkeit wieder verstärkt aufgegriffen wurde, wiederum vorrangig aus religionssoziologischer Perspektive. Kennzeichnend war für diese neuen Reflexionen, daß sie weitgehend im Rahmen der damals aktuellen Säkularisierungsdebatte stattfanden.74 1959 legte Friedrich Fürstenberg seine Forderung vor, daß als Gegenstand evangelischer Frömmigkeit nicht allein der traditionelle Frömmigkeitstyp zu beschreiben und reflektieren wäre, sondern daneben ebenso das Verhalten kirchenferner Menschen und der Typ eines „autonomen Weltchristen", welcher Religion als Privatsache einstufe.75 Fürstenberg ging von der Annahme aus, daß protestantische Frömmigkeit von Anfang an durch einen „religiösen Individualismus" geprägt sei. Er konstruiert einen Entwicklungsprozeß der nachreformatorischen Frömmigkeit in einer „fortschreitende[n] Emanzipation des Individuums von der kirchlichen Institution, die wesentlich durch den Verfall objektiver, in der Sitte begründeter Frömmigkeitsformen zugunsten eines subjektiven

71 Vgl. V. Drehsen 1988,1, 45. - Nach P. Drews lag die Losung der Bewegung sozusagen in der Luft: „Laßt uns um unseres Pfarrerstandes und um seiner Gemeinden willen religiöse Volkskunde treiben!" (in: V. Drehsen 1988, II, 286, Anm. 2) 72 V. Drehsen 1988,1, 499, vgl. 498ff. 73 P. Drews in: V. Drehsen 1988,1, 498. - An dieser Stelle kann nicht näher auf den Grundriß des Göttinger Praktischen Theologen J. Meyer von 1923 zur Praktischen Theologie als „Theorie der christlichen Frömmigkeitspflege" eingegangen werden. 74 Vgl. zum Folgenden H.-G. Heimbrock 1982, 24ff; ders. 1986. 75 Vgl. F. Fürstenberg 1959.

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,Privatverhältnisses' zu Gott begleitet ist".76 Fürstenberg erklärte diesen sozialen Wandel in Gesellschaft und Religion mit der These von der „Säkularisierung".77 Er fand sowohl den traditionalen gemeinschaftsorientierten Frömmigkeitstyp als auch den im Zuge der fortschreitenden Säkularisierung entstandenen neuen Typus in der Gegenwart wieder. Letzteren bezeichnet er als den des „autonomen Weltchristen". Zu dieser Gruppe gehörige Personen seien durchaus religiös aufgeschlossen (also nicht von rein säkularem Verhalten bestimmt), lebten ihre Religiosität jedoch abseits institutioneller Bindungen. Religion gelte ihnen als „Privat sache". Damit wendet Fürstenberg die Auffassung von Säkularisierung als einseitiger Entkirchlichung in die Entdeckung einer Bereicherung religiöser Praxis um. Dietrich von Oppen ging in seinem 1969 erschienenen Buch „Der sachliche Mensch" und in weiteren Arbeiten von einem radikalen Traditionsbruch zwischen traditioneller und einer neu zu entwickelnden Frömmigkeit aus.78 Von Oppens Neuentwurf von Frömmigkeit teilt mit anderen Konzeptionen zur evangelischen Frömmigkeit aus den sechziger Jahren die Akzentuierung von Frömmigkeit in deren rationaler Dimension. In dieser Hinsicht ist bereits von Oppens Buchtitel Programm. „Sachlichkeit ist die Frömmigkeit unserer Zeit."79 Zwar ging es von Oppen bei der Erneuerung evangelischer Frömmigkeit insbesondere um ein Wiedergewinnen ihres Gesellschaftsbezuges.80 Doch

76 A.a.O., 73. 77 Zu historischen, soziologischen und sozialisationstheoretischen Aspekten von ,Säkularisation' vgl. D. Engels 1990, 16f. Er unterscheidet zum Spannungsfeld .Religiosität in moderner Gesellschaft' folgende Antwortgruppen: „[1] Eine negative Antwort kommt in der Soziologie in der These vom Bedeutungsverlust der Religion zum Ausdruck und führt auf theologischer Seite zu Modernisierungsversuchen. [2] Alternativ zu dieser Konsequenz erkennen einige Autoren der Religion eine grundlegende anthropologische Funktion zu, die sie in gewandelten Formen erfüllt, die aber auch, durch neue Weisen der Interpretation, in den traditionellen Formen aufgewiesen werden kann. [3] Eine dritte Position besteht seitens der Theologie in der Bestreitung der Relevanz der Säkularisierungsdiskussion für die Theologie" und in dem Versuch, sie durch eine Konzentration auf die .Offenbarung' zu ignorieren (13, Erg. BS, vgl. auch den hierzu gruppierten Literaturbericht 13ff). - Vgl. auch E. Jüngels (19861) theologische Thesen sowie M. Josuttis 1991, 191ff zu pastoraltheologischen Problemen. - Dieser Arbeit liegt ein Säkularisierungsverständnis zugrunde, das anstelle eines linearen Bedeutungsverfalls von Religion in der Gesellschaft von „ineinander verschachteltefn] Prozesse[n] von Säkularisierung und Sakralisierung" ausgeht (vgl. J. Eiben 1992, 91). „Die Gesellschaft entzieht sich dem standardisierenden Einfluß der Kirche. Dabei wird aber übersehen, daß zugleich die religiöse Vielfalt wächst" (ebd.). 78 Vgl. zum Folgenden besonders D. v. Oppen 1959; ders. 1969. 79 Ders. 1959, 28ff. 80 Das Wiederentdecken der gesellschaftlichen Dimension von Frömmigkeit prägte auch andere Entwürfe von protestantischen Theologen aus den sechziger Jahren, vgl. z.B. B. Maurer 1966. 38

für von Oppen hieß dies faktisch, sich den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen. In diesem Zusammenhang hielt er u.a. eine Revision im Gottesbild für unverzichtbar. Dies betraf zentral den Abschied vom Vaterideal, da patriarchaler Gehorsam in eine gesellschaftliche Krise geraten sei. Zum anderen habe sich eine zeitbezogene Frömmigkeit an eine gesellschaftlich dominierende Sachlichkeit anzugleichen und in gesellschaftliche Sachzwänge zu fügen. „Gott im unausweichlichen und doch offenen Sachzwang, Gott im unausweichlichen und doch offenen Miteinander, Gott in der unausweichlichen und doch offenen Zukunft - hier bieten sich mögliche Formen der Frömmigkeit heute."81 Auch bei von Oppen fungiert die Säkularisierungshypothese als eine monokausale Erklärung für aktuelle gesellschaftliche und religiöse Umbrüche. Neben den dieser These selbst inhärenten konzeptionellen Problemen erscheint mir in der Konsequenz der dramatische Distanzverlust von Frömmigkeit bedenklich, der mit der wichtigen Wiederentdeckung der gesellschaftlichen Dimension einhergeht. Von Oppens Entwurf neigt dazu, gesellschaftliche Entfremdung zu verdoppeln, wenn Frömmigkeit sich darin erschöpfen sollte, sich den gesellschaftlichen Eigengesetzlichkeiten distanzlos und kritiklos zu fügen. Gert Ottos Vorschlag für eine Revision evangelischer Frömmigkeit im Aufsatz „Wandlungen der Frömmigkeit" (1965) läuft in seinem Plädoyer einer rationalen Durchdringung der Tradition letztlich auf eine Gleichsetzung von Frömmigkeit mit theologischer Reflexion hinaus.82 Er spitzte seine Forderung nach Zeitgemäßheit der Frömmigkeit auf das Anliegen von Verstehbarkeit der biblischen Texte und des eigenen Lebens zu. „Darum hat die Frage nach den Verständnis- und Lebensmöglichkeiten des heutigen Menschen ihre unbestreitbare Bedeutung, ja, wo es nicht gelingt, für den Menschen von heute das Wort verstehbar und die Weisen der Frömmigkeit lebbar zu machen, da ist eben nicht dieser Mensch zu attackieren, sondern da ist durch menschliche Schuld Gottes Wort nicht zum Ziel gekommen."83 Otto richtet das Kriterium der Verstehbarkeit im Sinne einer rationalen Durchdringbarkeit an alle Teilelemente von Frömmigkeit. So sei beispielsweise das Gebet für die Gegenwart als „denkende Teilnahme am Leben" wiederzugewinnen.84 Der Gottesdienst müsse sich der Frage stellen: „Ist diese Form offen für den, der von außen kommt, sich aber nicht einfach unterwerfen will, sondern verstehen will und soll, worum es geht?"85 Otto schränkt Verstehbarkeit auf die Dimension von Information und rationa81 D. v. Oppen 1959, 39. 82 Vgl. zum Folgenden G. Otto 1965. 83 A.a.O., 723. 84 A.a.O., 725. - Vgl. demgegenüber die kritische Analyse eines von G. Otto entworfenen Gebetstextes durch P. Cornehl 1969. 85 G. Otto 1965, 725.

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ler Durchdringung ein. Im Ergebnis rekonstruiert sein Konzept zeitgemäße Frömmigkeit als Theologie. Otto formuliert dies selbst: „Frömmigkeit ist heute nicht möglich ohne bewußte Teilnahme des einzelnen an der Theologie". „Die Funktion, die früher Andachtsbücher gehabt haben, müssen heute Darlegungen übernehmen, in denen es um gedankliche Klärungen geht, wie sie uns die Theologie unserer Tage an die Hand gibt."86 Der Lösungsvorschlag zur Krise evangelischer Frömmigkeit besteht also darin, die Anforderungen theologischer Kompetenz im Sinne von theologischer Rationalität auf die .Alltagschristinnen und -christen' auszudehnen und zeitgemäß auf bisherige Frömmigkeitsebenen zu verzichten.87 Eine im Dialog mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebensbedingungen entworfene Aszetik muß über den religionssoziologischen Ansatz beim Säkularisierungstheorem aus den sechziger Jahren hinausgehen. Der Säkularisierungsbegriff erweist sich inzwischen als ein moderner Mythos, der den Zugang zu gewandelten Formen des Religiösen verstellt. Zwar besteht der Trend zu Kirchenaustritten, der Ende der sechziger Jahre einsetzte und sich in den siebziger Jahren lediglich verlangsamte, fort. Doch die Religionssoziologie macht verstärkt seit den neunziger Jahren auf eine Trendwende in Sachen Religion aufmerksam: Jenseits der tradierten und institutionalisierten Formen des Christentums gelangt Religiosität zu neuer Präsenz. In seiner Unbestimmtheit läßt sich der neue religiöse Pluralismus am ehesten unter der soziologischen Leitkategorie der Individualisierung verstehen.88 .Individualisierung' ist dabei zunächst als eine .objektive' gesellschaftliche Kategorie in dreifacher Hinsicht zu verstehen: als „[1] Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (.Freisetzungsdimension'), [2] Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (.Entzauberungsdimension') und - womit die Bedeutung des Begriffes gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird [3] eine neue Art der sozialen Einbindung (,Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension')." 89 86 A.a.O., 726.727. 87 Vgl. hingegen die Erweiterung von Frömmigkeitsdimensionen in der Konzeption von H.-O. Wölber 1971. Er entfaltet .Frömmigkeit' nicht allein in einer rationalen, sondern daneben auch in einer .sozialen' und einer .religiösen' Dimension. Unter .religiös' versteht Wölber inhaltlich dabei allerdings recht einseitig die Konfrontation mit den Schattenseiten und Grenzen des Lebens, insbesondere mit dem drohenden Tod als dem Dunklen - wobei die religiöse Antwort in der Jenseitshoffnung liegt. 88 Aufgrund des pastoralpsychologischen Schwerpunktes kann im Rahmen dieser Darstellung nicht näher auf die religionssoziologische Debatte und deren soziologische Grundlagen eingegangen werden. Vgl. U. Beck 1986; P. L. Berger 1992; T. Luckmann 1996; K. Gabriel 1996. 89 U. Beck 1986, 206.

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Eine im Gesamtrahmen gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse entwickelte Aszetik steht insbesondere vor der Aufgabe, hermeneutische Kategorien zum Verstehen der subjektiven Seite dieser Individualisierungsprozesse zu entwickeln. Die Leitperspektive des Symbolspiels und eine psychoanalytische Hermeneutik im Dialog mit der theologischen Tradition90 sollen hierzu einen wichtigen Teilbeitrag leisten.

90 Es mag verwundern, daß im Kern dieses aszetischen Teilentwurfes in Hauptteil IV ,nur' traditionelle Frömmigkeitselemente Konkretionsgegenstand dieser psychoanalytisch orientierten pastoralpsychologischen Hermeneutik sein werden und nicht neue religiöse Praktiken bzw. Vorstellungen. Mit dieser Gegenstandswahl ist jedoch u.a. die Absicht verbunden, die Perspektive von Individualisierungsprozessen auf den ,Kernbereich' der Frömmigkeit selbst anzuwenden: Die Tradition selbst wird in der Perspektive von .Spielmaterial' betrachtet. Gleichzeitig sollen Grenzen eines dergestalten Umgangs mit Traditionsstücken reflektiert werden, die ihrerseits wiederum individueller Autonomie zugute kommen.

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2. Gegenwärtige Postulate einer evangelischen Aszetik Die wichtigsten Anstöße zur Entwicklung einer evangelischen Aszetik im Rahmen der Praktischen Theologie gingen von Rudolf Bohren, Henning Schröer und Manfred Seitz aus. Als weitere wichtige Anregungen sollen Erörterungen von Friedrich Wintzer sowie - exemplarisch für eine Gegenwartsströmung mit erneuernden Impulsen - Anstöße aus der feministischen Spiritualität bedacht werden. Hinführend möchte ich von Untersuchungen zum derzeitigen Stand zum Thema .Frömmigkeit' im Theologiestudium ausgehen, die m.E. die Notwendigkeit einer evangelischen Aszetik unterstreichen.

Exkurs: Neuere Untersuchungen zum Thema Frömmigkeit' im Theologiestudium Evangelische Frömmigkeit ist derzeit kein vorgesehenes Thema akademischer theologischer Ausbildung. In D. Rösslers Worten: „Gelebte Religion und evangelische Frömmigkeit zählen nicht zu den großen Kapiteln in den Lehrbüchern evangelischer Theologie."1 Erst recht gilt dies für eine Vermittlung einer praxis pietatis. „Irrelevant sind in dieser Phase die Normen der Lebensführung und -gestaltung. Es ist zwar möglich, daß Studenten für sich bestimmte religiöse Praktiken und Lebensnormen verbindlich machen (Andachtsübungen, Exerzitien oder Meditationstraining etc.). Diese sind aber aus der Sicht der Ausbildungsorganisation Universität für die Erreichung des Positionszieles der nächsten Laufbahnstufe (1. Theologisches Examen) nicht verbindlich vorgesehen. Die Anforderungen sind formalisiert und in Prüfungsordnungen festgelegt."2 Auch im Sinne einer Berufstechnik wird Frömmigkeit nicht gelehrt, denn das „akademische Studium ist keine Berufsvorbereitung im Sinne instrumentalisierter Berufstechniken".3

1 D. Rössler 1978, 81. - Vgl. zum „geistlichefn] Defizit im Theologiestudium" auch: Spiritualität im Theologiestudium, Punkt II.l (S. 14-19.19f) sowie den Bericht dort zu Umfrageergebnissen an Ausbildungsstätten zur ersten Phase der theologischen Ausbildung (Punkt 1.1, S. 5ff von H. Schröer). Zur diesbezüglichen Situation in der ehemaligen DDR vgl. dort 1.2. (S. 9ff, von F.-H. Beyer). 2 G. Traupe 1990, 52. 3 A.a.O., 53. - Traupe fügt hinzu: „Andererseits darf nicht ignoriert werden, daß die Spannung zwischen wissenschaftsferner Berufsorientierung und berufsferner Wissenschaftsorientierung vermittelt werden muß, wenn diese Dichotomie nicht unfruchtbar bleiben soll." (53) Vgl. auch M. Josuttis 1991, 215f.

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Umfassende Untersuchungen zum Themenfeld von .pastoraler' Frömmigkeit liegen derzeit in Deutschland schwerpunktmäßig auf religionssoziologischer Grundlage vor. Eine weitere Einschränkung besteht darin, daß diese sich bislang auf die Ausbildungsphase des Theologiestudiums konzentrieren. Die hierzu vorliegenden Arbeiten von Ingrid und Wolfgang Lukatis (1985), Gert Traupe (1990) und Dietrich Engels (1990) sind im Zusammenhang mit dem Hannoveraner Forschungsprojekt „Theologie im Sozialisationsprozeß" entstanden. Die Datensammlung für eine als Längsschnittstudie angelegte Untersuchung wurde im Jahre 1974 begonnen. Die Befragung richtete sich an Erstsemester4 der evangelischen Theologie an den Universitäten Göttingen und Erlangen sowie den Kirchlichen Hochschulen in Bethel und Wuppertal. Weitere Befragungswellen folgten in der Mitte des Studiums sowie vor dem Ersten Theologischen Examen, dann in der Zeit des Vikariats und zum Arbeitsbeginn als Pfarrerin bzw. als Pfarrer. Dabei wurde insbesondere das Ziel verfolgt, den Einfluß der theologischen Sozialisation in ihren jeweiligen Abschnitten auf religiöse, politische und berufliche Einstellungen zu erfassen und zu klären, wie andererseits Persönlichkeitsmerkmale der einzelnen die Rezeption mitbestimmen. Ingrid und Wolfgang Lukatis legten 1985 eine erste Teilauswertung von Untersuchungsergebnissen zur Thematik des Dogmatismus bei Theologiestudierenden vor.5 Sie fragten danach, wie dieser mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen, Umweltwahrnehmungen und Zukunftsvorstellungen zusammenhängt. 1990 veröffentlichte Gert Traupe seine sekundäranalytische Auswertung zum umfassenden Thema „Studium der Theologie. Studienerfahrungen und Studienerwartungen".'' In dieser Arbeit faßt er innerhalb eines berufssoziologischen Theorierahmens Studienerfahrungen und Studienerwartungen zusammen. Er legt für einzelne Teilgebiete dar, wie das Theologiestudium Erwartungen unterschiedlich erfüllt. Er untersuchte u. a. die Entwicklung der Studienerwartungen, die sich auf Glaube und Gottesbeziehung richten.7 Die Erwartungen der Studierenden auf eine Klärung von Glaubensfragen und eine Vertiefung des Gottesverhältnisses liegen anfangs hoch. „Hier ... kommen Prozentwerte von 60% bis 70% zustande." (138) Diese Hoffnungen verschieben sich gegen Studienmitte signifikant. „Zwar erhoffen sich auch zum Zeitpunkt T2 noch etwa 45% etwas in Bezug auf eine Vertiefung ihres Gottesverhältnisses; das ist ja keine quantite negligable. Aber die diesbezüglichen Erwartungen sind deutlich .abgekühlt'." (139) Die Erwartungen der Studierenden in bezug auf eine Glaubensentwicklung sind jeweils nach studentischen Subkulturen zu differenzieren. Traupe unterteilt diese (im Ergebnis der ausgewerteten Befragung) in die nonkonformistische, die beruflich ausgerichtete und die rein akademische Subkultur (vgl. 229). Erwartungen in bezug auf ein frommes Klima werden besonders in der beruflich ausgerichteten Subkultur gehegt. Sie „mißt den kritischen Kompetenzerwartungen deutlich geringeres Gewicht zu als die übrigen Gruppen. Stattdessen dominieren die auf Glaubensentwicklung gerichteten Erwartungen und der Ritualismus. Diese Sub4 Zu Beginn der Erhebung: 507 Studierende (vgl. D. Engels 1990, 11). 5 Vgl. I./W. Lukatis 1985. 6 G. Traupe 1990. Weitere Veröffentlichungen von Teilergebnissen bis 1990: ders. 1977 und 1979. 7 Vgl. dazu ders. 1990, 138-142, dazu im Anhang Tabelle A 12 (EGLAUBE). 43

kultur präferiert den auf kerygmatische Aussagen und auf Verkündigung hin angelegten Hochschullehrer." (229) Traupes Auswertung der Umfrage ergibt insgesamt, daß das Studium weniger zur Klärung des persönlichen Glaubens beiträgt als die Studierenden dies anfangs erhoffen. Sofern sich ihr Glaube entwickelt, erfolgt dies eher neben dem Studium. Dabei kommt es jedoch nicht zu einer Verbindung beider Bereiche - den des Glaubens und dem universitären Bereich theologisch-kritischer Reflexion. Ebenfalls 1990 erschien, als Teilauswertung des Forschungsprojektes „Theologie im Sozialisationsprozeß", das Buch von Dietrich Engels über „Religiosität im Theologiestudium".8 Er legte damit die ausführlichste deutschsprachige empirische Untersuchung über Frömmigkeitsentwicklung im Theologiestudium aus religionssoziologischer Perspektive in jüngerer Zeit vor. Seiner Untersuchung liegen die selben Gruppen, Fragebögen und drei Erhebungswellen wie der von Traupe zugrunde. Sein Theorierahmen bei der Datenauswertung ist jedoch ein veränderter: der eines „um tiefenpsychologische Perspektiven erweiterten" Symbolischen Interaktionismus (122). Engels geht zunächst auf theoretischer Ebene Fragen zur Konzeptionalisierung von Religiosität' nach, bevor er Grundlagen für deren Reproduktionsbedingungen im Theologiestudium erörtert. Der empirische Teil der Darstellung widmet sich unter dem Aspekt von Religiositätstypen insbesondere der Frage nach deren unterschiedlichen Entwicklungstendenzen während des Theologiestudiums. Mit der Präferenz für den Terminus .Religiosität' als Untersuchungsgegenstand folgt Engels der in der amerikanischen Literatur geläufigen Unterscheidung zwischen ,religiosity' und ,piety', wobei ,piety' im Sinne von .Frömmigkeit' eine spezielle Form von .Religiosität' meint, nämlich eine „fundamentalistisch orientierte, stark engagierte und intrinsische Form der Religiosität".9 Er entfaltet .Religiosität' als einen mehrdimensionalen Begriff.10 Er benennt und untersucht drei Grunddimensionen von Religiosität: „Kognition (Glaubensüberzeugung, Ideologie),11 soziale Praxis (Ritualpraxis, Gruppenpartizipation) und Affektion (religiöse Erfahrung)" (122, vgl. 61ff). Religiosität ist damit in der Grundstruktur als ein „dreidimensionaler Zusammenhang von Symbolen, Interaktion und Erfahrungen" verstanden (114). Das theologische Verständnis von Religiosität bzw. das Selbstverständnis des religiö8 D. Engels 1990 (hierauf beziehen sich die im Text folgenden Seitenangaben); vgl. auch ders. 1989. 9 Ders. 1990, 12, Anm. 6. - Zum unter ,piety' bezeichneten Phänomen aus pastoralpsychologischer Sicht s.u. 291ff.342f. 10 Vgl. als Ausgangspunkt der religionssoziologischen Dimensionierungsdebatte C. Y. Glock 1969, der fünf Dimensionen unterscheidet (aufgenommen und diskutiert bei U. Boos-Nünning 1972); dazu D. Engels 1990, 36ff. Die fünf Dimensionen von .Religiosität' sind nach Boos-Nünning: 1) „rituelles Verhalten", 2) die „ideologische Dimension", 3) die „intellektuelle Dimension", 4) die „Dimension der religiösen Erfahrung" und 5) die „Dimension der Konsequenzen". - Zur Problematik des in Glocks Dimensionierungsansatz zugrundeliegenden institutionellen Religionsverständnisses und der Operationalisierung für quantitative Untersuchungen vgl. F.-O. Sandt 1996, 20. 11 Wobei Engels in der kognitiven Dimension der gängigen Unterscheidung „zwischen einer realistisch ausgerichteten .konservativen' und einer nominalistisch-symboltheoretisch ausgerichteten .liberalen' Theologie" folgt (1990, 64).

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sen Subjektes setzt einen religiösen Referenzrahmen - Religiosität als „Bezug zum .Heiligen'" - voraus. Auf einem theologischen Hintergrund ergibt sich damit für Engels folgendes Verständnis von Religiosität: „Als ,Religiosität' soll hier nun die spezielle Identitätsform verstanden werden, die die Prozesse ihrer eigenen Reproduktion innerhalb eines religiösen Referenzrahmens interpretiert, d.h. in die Beziehung zu einem - wie auch immer konkret symbolisierten - ,Heiligen' als dessen Manifestation einordnet." 12 Dabei bleibt in der Reflexion besonders der gesellschaftlich vorausgesetzte Kontrast zwischen Religion und Säkularisierung kennzeichnend (vgl. 16). Für das Themenfeld Theologiestudium konzentriert sich Engels auf die Problemkomplexe Berufspraxis, Wissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung, die er als zueinander in Spannung stehend sieht." Spezifisch für Engels1 Sicht ist, daß er Identitätskrisen während des Theologiestudiums nicht auf die allgemeine Ebene von Entwicklungskrisen (hier: der Adoleszenz) zurücknehmen will, sondern gerade nach krisenauslösenden hochschulspezifischen Faktoren fragt (96ff). Für eine Krise in der religiösen Identität sieht er insbesondere die Konfrontation mit wissenschaftlicher Theologie als auslösend: „das Studium einer selbstreflexiven Wissenschaft ... als Konfrontation lebensweltlicher Identität mit kritischer Theorie" (123), „die Begegnung mit textkritischen Methoden der Bibelexegese einerseits und mit symbol- und metakritischen Theorien andererseits" (154). Die Haupthypothese, die Engels zu überprüfen sucht, ist die einer abnehmenden Religiosität im Verlaufe des Theologiestudiums, wobei alle drei Dimensionen der Religiosität betroffen seien. „H 1 Die Dauer des Theologiestudiums korrespondiert mit einem Rückgang der Religiosität, und zwar Η 1.1 mit abnehmend ,frommen' Glaubensüberzeugungen (kognitive Dimension), Η 1.2 mit geringerer Partizipation an religiöser Praxis (soziale Dimension) und Η 1.3 mit wachsender emotionaler Distanz zu der in religiösen Symbolen ausgedrückten religiösen Erfahrung (affektive Dimension)." 14 Engels entwickelt für eine differenzierte Untersuchung dieser Hauptthese eine eigene Typenspezifik von Religiositätstypen.15 12 A.a.O., 70, vgl. 67-70. - Zur Unterscheidung zwischen einer theologischen und einer humanwissenschaftlichen Perspektive auf .Religiosität': „Die reproduktiven Prozesse sind ... mithilfe der Methoden eines tiefenpsychologisch erweiterten Symbolischen Interaktionismus und somit auch ohne Rekurs auf religiöse Interpretationen rekonstruierbar; werden sie aber im Verständnis des Subjekts einem .Ganz anderen', .Heiligen' zugerechnet, so wird dieses Selbstverständnis dadurch als .religiöses' qualifiziert." (70) Engels versteht einen vermeintlichen Ausschluß theologischer Elemente beim Erfassen von .Religiosität' gerade als deren unkontrolliertes Einfließen, vgl. 1990, 38. 13 Hierin folgt er, gegen eine harmonisierende Sicht von E. Herms, Henning Luthers Auffassung, vgl. D. Engels 1990, 93ff. 14 A.a.O., 123, vgl. zur Hypothesenentfaltung 123ff. Zum Hintergrund vgl. auch a.a.O., 105.112. 15 Anhand einer Kombination aus den drei Grunddimensionen in deren möglichen Abstufungen gelangt Engels zu 12 Typen. Im Rahmen der folgenden Darstellung muß die auch von Engels gebrauchte Gegenüberstellung von zwei Haupttypen genügen: einem .frommen' (i.S.v. Engels' Verständnis, besonders Gruppe 12) und einem .liberalen' (Gruppe 6, ferner besonders die Gruppen 5 und 8), vgl. 135ff. - Zu Religiositätstypologien in der amerikanischen Literatur vgl. a.a.O., 131-135. - Engels geht auch auf die von W. Marhold et al. 1977 vorgelegte Studie ein. Hintergrund der Untersuchung 45

Entscheidend wird hierbei die These (H 2.2.): „Insbesondere sind .fromme' Typen größerer Veränderung ausgesetzt als .liberale' oder distanzierte Typen." (124) Engels nimmt in seinen Thesen (3 und 4) ferner an, daß unterschiedliche Religiositätstypen sowohl zu unterschiedlichen Studienverläufen als auch zu unterschiedlichen Studienergebnissen führen (124). In seiner Auswertung der empirischen Umfragedaten findet Engels, pauschal formuliert, seine Hauptthese (Η 1) von einem Säkularisierungseffekt auf die Religiosität durch das Theologiestudium bestätigt, wobei die stärkere Differenz zwischen erster und zweiter Befragungswelle, also am Studienanfang, liegt (130). Hiervon wird sowohl die öffentliche (z.B. Gottesdienstbesuch und Kontakte zu religiösen Gruppen) wie die private .Religiosität' betroffen. „Der insgesamt gleichförmige Rückgang von 3A auf die Hälfte der Befragten wird an zwei Stellen drastischer: Die private Bibellektüre reduziert sich auf ein Drittel am Studienende; 40.6% geben zu diesem Zeitpunkt an, ,selten oder nie' die Bibel zu lesen. Die wissenschaftliche Kritik scheint den privaten Symbolcharakter der Bibel stärker zu unterhöhlen als andere Ritualpraktiken." (129) „Während zu Studienbeginn noch 73.5% regelmäßig bis häufig die Bibel lesen, sind es in der Studienmitte 53.5% und am Studienende 36.8%. Nach privatem Gebet wurde nur in der II. und III. Welle gefragt; die Regelmäßigkeit geht in diesem Zeitraum von 68.4% auf 54.2% zurück." (128) Die Grundthese muß jedoch gruppenspezifisch stark modifiziert werden: Die frommen' Studierenden (vom Typ 12), die als größte Gruppe etwa ein Drittel der Befragten ausmachen, bleiben das ganze Studium hindurch in ihrer Religiosität nahezu konstant (mit einer Kontinuitätsquote von 68% in den ersten sechs Semestern [197]). Gegenüber den Studienerwartungen der Studierenden allgemein weist Engels besonders auf zwei bleibende Defizite hin: zum einen ein Defizit in der Klärung der eigenen Religiosität, zum anderen in der Vermittlung einer humanwissenschaftlich dialogbereiten Theologie mit berufspraktischen Erfordernissen (vgl. 179-183.210). Von den Ergebnissen her rückblickend, modifiziert Engels seine Grundthese von einem säkularisierenden Effekt des Theologiestudiums stark." Bestätigt hat sich jedoch die These von durch den Religiositätsiy/? bedingten war die aus Beobachtungen in den sechziger Jahren entwickelte These, daß eine Abwendung von der Theologie mit einer Hinwendung zu politischer Betätigung einhergehe. Die Untersuchung ist in bezug auf das Theologiestudium konzeptionell ähnlich wie die von Engels strukturiert, mit den Problembereichen von biographischer Religiosität, universitären Einflußfaktoren und berufspraktischer Planung. Die Untersuchung von Marhold et al. ist jedoch keine Longitudinalstudie, die Aussagen zur Religiositätsentwicklung erlaubt. Zudem dimensionieren Marhold et al. Religiosität anders als Engels, indem sie nichtreligiöse Faktoren von vornherein in die Messungen einbeziehen, so daß ein Vergleich der Ergebnisse schwer möglich ist. Problematisch ist zudem, daß Marhold et al. ihre Items von vornherein durchweg traditionell-religiös (also einseitig im .frommen' Typ) formulierten. Engels vermutet trotz der Vergleichsschwierigkeiten, „daß die von Marhold u.a. untersuchten Aussteiger dem hier als liberal klassifizierten Studententyp nahestehen" p . Engels 1990, 205, vgl. 203-206). 16 Allerdings: „Die kleine Gruppe des Typs 12, die sich in der ersten Studienhälfte mit entsprechenden [sc. humanwissenschaftlichen - BS] Thematiken intensiv beschäftigt hat, wechselt zu liberaler Orientierung und negativer Glaubenserfahrung (zweidimensionale Veränderung) über." (a.a.O., 213)

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Studienverläufen und Studienergebnissen. „Theologiestudenten studieren je nach Religiositätstyp auf unterschiedliche Weise Theologie. Dies wird deutlich hinsichtlich der Studienkomponenten des Veranstaltungsbesuchs, der Studienlektüre und der Orientierung an Hochschullehrern." (196) Engels schließt in seinen Überlegungen zu theologiedidaktischen Konsequenzen die Einführung einer zusätzlichen Lehrveranstaltung zur kritischen Klärung von Religiosität aus, da einer solchen Lehrveranstaltung wiederum typspezifisch ausgewichen würde. Er will statt dessen die nötige kritische Konfrontation in den obligatorischen Lehrbetrieb integriert sehen. Letztlich beurteilt er dieses Desiderat in Anbetracht der ,Massenuniversität' jedoch als undurchführbar. „Unter Bedingungen der ,Einbahnkommunikation' dürfte aber die angesprochene Wahrnehmung und Einbeziehung der Typendifferenzen kaum möglich sein." (227) Eine Grenze für die Frage nach empirischen Ergebnissen zur Entwicklung pastoraler .Religiosität' bzw. Frömmigkeit bildet im Hannoveraner Projekt bislang die Einschränkung auf Ergebnisse zum Bereich der ersten Ausbildungsphase. Engels verweist als Ausblick auf eine Untersuchung von Hartmut Przybylski, die aus der Forschungsarbeit der Gruppe um Marhold hervorgegangen ist und auf deren Ergebnissen aufbaut.17 Zudem handelt es sich um eine Längsschnittstudie, die damit Aussagen über Entwicklungsprozesse gestattet. Sie konzentriert sich auf den Ubergang vom Vikariat ins Pfarramt. Im Zusammenhang meiner Arbeit sind Przybylskis Ergebnisse zu Veränderungen im Bereich der Religiosität von Interesse (die Skala .Kritische Distanz gegenüber christlich-dogmatischer Frömmigkeit'). Diese erweisen jedoch, daß es beim Ubergang vom Vikariat ins Pfarramt kaum noch zu einer Veränderung der religiösen Einstellungen in der untersuchten Gruppe kam. Zudem überwogen affirmative Einstellungen deutlich gegenüber kritischen. Engels beurteilt diese Religiositätsentwicklung im Bereich vom Vikariat zum Pfarramt als „deutlich gegenläufig zu der in dieser Untersuchung vor allem in der ersten Studienhälfte beobachteten Liberalisierungstendenz. In dem leichten Trend in Richtung zunehmender Frömmigkeit, der sich in der zweiten Studienhälfte gezeigt hat, könnte sich eine solche Gegenentwicklung schon andeuten." (Engels 1990, 208) Ein pastoralpsychologischer Beitrag zur religiösen Sozialisation von Theologiestudierenden stammt von Richard Riess im Rahmen seiner Motivationsuntersuchung „Pfarrer werden?" (1986). Er geht von einem motivationspsychologischen und berufspsychologischen Ansatz aus, wobei er diese Perspektive um die Dimension biographischer Daten ergänzt. Die Untersuchung von Riess fußt auf einer systematischen Auswahl von vier Feldern zur Datensammlung: den theologischen Fakultäten Erlangen, Marburg und Tübingen sowie der Kirchlichen Hochschule Bethel. Die Erhebung (mittels Fragebogen) war auf Studienanfängerinnen und -anfänger begrenzt, die im Wintersemester 1981/1982 ihr erstes Semester an den genannten Einrichtungen verbrachten." Riess versteht seine Untersuchung „primär als eine Erkundungsstudie" (99).

17 H. Przybylski 1985. Vgl. dazu D. Engels 1990, 203ff. 18 Näheres zu Hintergründen vgl. R. Riess 1986, 95ff. - Von 340 ausgegebenen Fragebögen kehrten 160 auswertbare (d.h. 41%) zurück.

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Unter der Rubrik „Religiöse Sozialisation" untersucht er einige Aspekte der sozialen Dimension von Frömmigkeit:" Theologiestudierende kommen - nach den aktuellen Umfragen - signifikant aus frommen Elternhäusern. Es gibt wenig Entscheidungen im Sinne einer Absetzbewegung vom Elternhaus.20 Allerdings geben die Befragten diesem elterlichen religiösen Hintergrund nicht das entscheidende Gewicht für die Berufswahl. Hinzu treten Faktoren wie Jugendarbeit, Freundschaften oder Religionsunterricht. „Die in den Familien verbreitete Praxis des Betens, der vergleichsweise häufige Besuch des (Kinder-) Gottesdienstes und die auffallend starke Beteiligung an der kirchlichen Jugendarbeit sind nach wie vor wichtige Bauelemente für die religiöse Sozialisation von Theologiestudierenden. Sie bilden sozusagen das äußere Rahmenwerk einer allmählichen Entwicklung in Richtung ihrer Berufswahl." (219) „Die stärksten Einflüsse bringen die Theologiestudenten jedoch mit der Beziehung zu anderen Menschen in Verbindung, wie zum Beispiel mit der Beziehung zu bestimmten Gemeindegliedern oder Mitarbeitern der Kirchengemeinde, zu Freunden oder Jugendleitern. Die religiöse Sozialisation wird zu einem großen Teil durch konkrete zwischenmenschliche Beziehungen vermittelt und vertieft." (219)21 Aus der Selbsteinschätzung der Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen heraus, daß Spiritualität in diesen Institutionen bis zur Gegenwart keinen angemessenen Ort gefunden habe, erarbeitete eine Arbeitsgruppe des Deutschen Evangelischen Fakultätentages von 1997 das Papier „Spiritualität im Theologiestudium".22 In die Auswertung sind Berichte von allen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen im EKD-Bereich über die Situation von Spiritualität eingegangen. Sie benannten vier verschiedene Thematisierungsebenen bzw. Teilaspekte von Spiritualität im Rahmen von Theologischen Fakultäten bzw. Kirchlichen Hochschulen:23 (1) auf der Praxisebene: „liturgische Veranstaltungsformen wie Hochschulandachten, Universitätsgottesdienste, Versammlungen zu gemeinsamem Gebet und gemeinsamer Schriftauslegung"; (2) auf der Lehrebene·. Lehrveranstaltungen, die von ihrer Thematik her eine Nähe zur Spiritualität haben wie Theologie des Heiligen Geistes, mystische Traditionen, Theologie des Gottesdienstes, Heilung"; (3) die biographi19 Vgl. zum Folgenden R. Riess 1986, 134ff (Punkt 6.3: Religiöse Sozialisation). 20 A.a.O., 145; vgl. G. Traupe 1990, 119. 21 Engels findet unter Riess* Rubrik .Religiöse Sozialisation' einige Aspekte der von ihm bezeichneten sozialen Dimension von .Religiosität'. Riess' Daten zu häufigem Gottesdienstbesuch und starkem Engagement in der kirchlichen Jugendarbeit „vermitteln ein ähnliches Bild wie die hier in der ersten Erhebungswelle gewonnenen Ergebnisse" (D. Engels 1990, 203). 22 Spiritualität im Theologiestudium. Zur Vorgeschichte des Papiers vgl. dort: S. 3f.5ff. - Zur Arbeit des Fakultätentages am Thema Spiritualität und Theologiestudium zählten neben der Tätigkeit der Arbeitsgruppe die Anhörung von Fachleuten (vgl. die Voten von H. Schröer [s.u. 52], M. Seitz [s.u. 55f], K.-P. Jörns [s.u. 52, Anm. 35]) sowie die Arbeit an entsprechender Fachliteratur und das Gespräch mit allen am Studium beteiligten Gruppen (Professorinnen und Professoren, wissenschaftlichem Mittelbau, Studierenden). 23 A.a.O., Teil 1.2 (von F.-H. Beyer, 9ff) des Papiers stellt dar, wie sich der Umgang mit dem Thema Spiritualität in den theologischen Ausbildungsstätten der evangelischen Kirche der ehemaligen DDR entwickelt hat. Beyer betont dabei die sich durchhaltende Verbindung zwischen Theologiestudium und Gemeinde. 48

sehe Dimension von Frömmigkeit: „Spiritualität als lebensgeschichtliche Dimension im Leben der einzelnen, und zwar der Lehrenden wie der Studierenden; hier korreliert Spiritualität mit Identität, Vorbild und Vergewisserung, Frömmigkeit im Alltag, Zugängen zur Kunst"; (4) innovatorische Aspekte zu Frömmigkeit und deren Theorie durch: „neue Aspekte theologischer und geistlicher Existenz ...: ökumenische Beziehungen und die Teilnahme am interreligiösen Dialog, feministische Theologie, Bemühungen um ein neues Verhältnis von Frauen und Männern, Ökologie und Ökonomie in theologischer Verantwortung im Rahmen des konziliaren Prozesses".24 Der in der „Bilanz" 25 verabschiedete Text lehnt eine additive Verhältnisbestimmung von Theologiestudium und Spiritualität (im Sinne zusätzlicher geistlicher Angebote auf Hochschulebene) ab. Der Text drängt hingegen auf eine Verbindung beider Perspektiven, z.B. im Sinne einer „bewußtefn] Verbindung von Schrift- und Lebensauslegung, und zwar in geschichtlicher wie in gegenwärtiger Perspektive" (1.5). Der verabschiedete Text läßt Raum für verschiedene Frömmigkeitsformen·. Es seien „eine mit Kirche und Gemeinde verbundene Spiritualität ebenso wichtig wie die Wahrnehmung einer kirchlich distanzierten Spiritualität" für das Studium wichtig" (1.7). Die Suche nach eigenen Formen von Spiritualität könne vom ökumenischen und interreligiösen Dialog gefördert werden (1.8). Der Text geht soweit, zugunsten einer Reintegration von Spiritualität in das Studium eine Umorganisation des Theologiestudiums vorzuschlagen, die zu Entlastungen der Studierenden führen solle (vgl. 2.3; vgl. auch 3.6). Zudem solle das bislang historisch gewichtete Studium mehr Raum für aktuelle gesellschaftliche und kirchliche Themen geben (3.1). An inhaltlichen Vorschlägen zur Reintegration von Spiritualität in das Theologiestudium nennt der Text: „die unterschiedlichen Traditionen von Spiritualität", sowohl aus der christlich-abendländischen Frömmigkeitsgeschichte als auch der Ökumene sowie aus anderen Religionen, ferner die Entfaltung von Themen „wie Schöpfung, Versöhnung, Erlösung, Gebet, Fest und Feier, Tod und Trauer, Gemeinschaft als Zeugnis und Dienst" - Themenbereiche, in denen die Gottesfrage mit Lebensvollzügen verbunden sei (3.1 und 3.2). Methodisch sei über eine reflektierende Ebene hinauszugehen und „vielfältige Erfahrungszugänge" (die didaktischen Zusammenhänge zwischen Person und Sachverhalt) einzubeziehen, die den Umgang mit Liturgie, Bibel und Meditation einüben, aber auch kleinere didaktische Einheiten im üblichen Lehrbetrieb (3.3).26

24 Textfassung zu Teil „V. Bilanz" vom 4. 5. 1996. - Zu von der Arbeitsgruppe entwickelten Lösungsperspektiven vgl. Teil „III. Perspektiven gesuchter Antworten und Lösungen" (21ff) und Teil IV des Papiers. Vgl. auch „IV.6. Reaktionen von Studierenden" (48-50), die nicht Kommissionsmitglieder waren (aus Berlin, Bethel und Hamburg) auf Vorstufen des Papiers. 25 Spiritualität im Theologiestudium, Punkt V, 51ff. 26 Vgl. zu „Einübungsprozessen" auch a.a.O., V.3.4 (S. 53).

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2.1. Die Grundlegung einer Aszetik nach Rudolf Bohren Rudolf Bohren forderte 1964, eine evangelische Aszetik auf akademischer Ebene als ein Teilgebiet der Praktischen Theologie zu begründen. Er legte zugleich einen ersten inhaltlichen Abriß vor.27 Bohren nennt im Rahmen seiner Einführung in das Theologiestudium in Entwurfsgestalt sieben Sachgebiete der Praktischen Theologie, wobei er die »Aszetik oder Lehre vom christlichen Leben" an den Anfang stellt.28 Er betrachtet sie als theologische Grundlegung christlicher (d.h. für Bohren „kirchlicher und weltlicher") Existenz, damit des gesamten Theologiestudiums und „darum eine Voraussetzung für alle anderen Sachgebiete" (392). Bohren verweist auf die vorakademische Tradition der evangelischen Aszetik in der reformierten Tradition. „Für die alten Reformierten war theologia practica weitgehend die Lehre von der vita spiritualis (geistliches Leben) der Gemeinde." (ebd.) Auch für die inhaltliche Auswahl knüpft Bohren an die vorwissenschaftliche aszetische Tradition an, indem er als Grundelemente meditatio, oratio und tentatio vorschlägt. Er stellt die Meditation als wichtigstes Element voran und verweist auf mangelnde Übung der Theologiestudierenden hierin, welche besonders im homiletischen Seminar zutage trete (ebd.). Ein Student sei als „Christ für andere" (eine Formulierung von Kahler) zur Meditation verpflichtet. Nach Bohren ist Meditation mit der „Gegenwart und Zukunft des Textes" (ebd.) beschäftigt, während die historisch-kritische Exegese nach der Textentstehung, also dessen Vergangenheit frage. Als Meditationsmodell empfiehlt Bohren Bonhoeffers Anleitung zur Meditation.29 Bohrens wesentliche Begründung für eine Thematisierung des Betens im Rahmen einer Aszetik liegt in seinem Theologieverständnis. Er versteht Theologie mit K. Barth (und Anselm von Canterbury) als „anbetende[n] Gehorsam" (392f). Theologie rede „nicht nur von Gott, sondern auch vor Gott und zu Gott" (393). In Konsequenz heiße dies: „dann kann der Theologiestudent auf die Übung des Betens nicht verzichten, und er wird darum auch eine Kenntnis der Gebetsliteratur nicht verachten" (ebd.).30 Anfechtungen sieht Bohren bereits durch das Theologiestudium selbst gegeben. Er bewertet sie - indem sie zu Gottes Wort hinführen - als nützlich für Predigt und Seelsorge (ebd.).

27 Vgl. R. Bohren 1964, 9-32: „VI. Die Sachgebiete" der Praktischen Theologie. Ich zitiere im folgenden nach dem Abdruck ders. 1972. 28 Die weiteren sind: Homiletik, Katechetik, Liturgik, Lehre von der Seelsorge, Lehre von der Diakonie, Kybernetik. 29 D. Bonhoeffer, D B W 14, 945-950; vgl. auch R. Bohren 1980, 347ff (vgl. dort übrigens auch einen Abschnitt über „Predigt-Spiel", 372f). 30 Bohren nennt als Anleitung Bonhoeffers Einführung in das Psalmengebet sowie von M. Luther, Eine einfältige Weise zu beten für einen guten Freund (1535) (R. Bohren 1964, 393, dort Quellenangaben).

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2.2. Die Grundlegung einer Aszetik nach Henning Schröer 1) Henning Schröer unternahm 1969 eine „Inventur der Praktischen Theologie", in deren Rahmen er sich zu deren Grundlegung als einer Handlungswissenschaft äußerte sowie eine Bilanz zur jeweiligen Forschungs- und Studienlage in ihren Teildisziplinen zog.31 Er nennt sieben praktisch-theologische Disziplinen, wobei er „Aszetik (Lehre vom geistlichen Leben)" und Kirchenrecht an letzter Stelle anführt. Er sieht beide nur mangelhaft in die Praktische Theologie integriert.32 Er bewertet die Integration der Aszetik in das Corpus der Praktischen Theologie als notwendig, insbesondere „angesichts der Vieldeutigkeit von Säkularisation", wenngleich als ebenso schwierig. Als Inhalte greift auch er, wie Bohren vor ihm, auf „die alte Trias meditatio, oratio, tentatio" zurück (452). Methodisch sei eine Aszetik „vorwiegend in Kursen" durchzuführen. Schröer scheint es bei dieser Unterrichtsform weniger um Reflexion von Frömmigkeitsformen und - konzepten zu gehen als eher um deren Einübung, zumal er davon spricht, daß die Trias „neu zur Aneignung kommen muß" (ebd.). Eine Aszetik frage „nach den Möglichkeiten des Lebensstils der Christen" (ebd.). Einen besonderen Akzent setzt Schröer gegenüber der aszetischen Tradition damit, daß er sie mit der Frage sozialethischer Verantwortung verknüpfen will. „Diese Probleme [sc. Inhalte von Aszetik - BS] können aber nicht unabhängig von der sozialethischen Verantwortung der Christen und der Begründung dieser Verantwortung im Glauben zur Sprache kommen." (452f) Er konzipiert seine Aszetik nicht allein in pastoraltheologischer Absicht, sondern ebenso im Blick auf die Gemeinden. 2) 1982 stellt Schröer in seiner Einführung in die Praktische Theologie wiederum die einzelnen Teildisziplinen vor.33 Neben Poimenik, Homiletik, Liturgik, Religionspädagogik, Diakonik, Kybernetik und im Zusammenhang damit Kirchenrecht nennt er als zwei weitere Teildisziplinen, „die gleichfalls elementare Bedeutung haben", „eine Lehre von der Spiritualität, vom geistlichen Leben, eine Aszetik" sowie als „dringend geboten" „die Entwicklung einer christlichen Ästhetik" (160). Er verweist hierbei auf Seitz und Bohren, die eine Aszetik „sogar als grundlegende Disziplin betrachte[n]" (ebd.). Schöer selbst konstatiert an dieser Stelle ein Defizit in der evangelischen Theologie: „In der Tat muß man fragen, wo Gebet und Meditation, gemeinsames Leben wie in Kommunitäten, neuer Lebensstil

31 Vgl. H . Schröer 1969, im Folgenden zitiert nach ders. 1972. 32 Homiletik, „.Didaktik' = Religionspädagogik/Katechetik", „.Therapeutik' = Poimenik", Liturgik, „Diakonik/Kybernetik (Pastoraltheologie) (Lehre vom Gemeindeaufbau) " (H. Schröer 1972,452). - Vgl. zum Folgenden Abs. „VI. Zu den Fragen nach der Aszetik" (456f). 33 Ders. 1982, 149-167, bes. 157ff. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich hierauf.

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bedacht und gelehrt werden." (ebd.) Er erwartet für die nächste Zeit, daß sich in Richtung einer Konstitution einer solchen Teildisziplin „einiges tun" werde. Sein besonderes Anliegen ist dabei die Kooperation der theologischen Fächer, zum einen um der qualifizierten Reflexion willen, zum anderen um die Zuweisung einer Alibirolle an die Praktische Theologie in dieser Angelegenheit zu unterbinden. 3) Im Rahmen des Arbeitspapiers des Deutschen Evangelischen Fakultätentages unterbreitete H. Schröer 1997 „Vorschläge zur Förderung der Spiritualität im Theologiestudium".34 Er verweist auf drei Dimensionen, in denen Spiritualität während des Theologiestudiums einer Förderung bedürfe: „lebendige Liturgie im gottesdienstlichen Leben,... direkte und indirekte Thematisierung in den Lernvollzügen des Studiums und ... Vergewisserung des Glaubens in persönlicher Identitätsbildung mit Offenheit zur Gemeinschaft." (Punkt 1) Damit benennt er die „gottesdienstlich-liturgisch[e], studientheologisch-hochschuldidaktisch[e] und biographisch-sozial[e]" Dimension (ebd.). Schröer widmet sich in seinen weiteren Überlegungen überwiegend gottesdienstlich-liturgischen Aspekten: Zeiten und Räumen für das Kennenlernen und die Praktizierung von Frömmigkeit in unterschiedlichen Formen, insbesondere im Sinne von „Andachten, Meditationen, Einübungen und Austausch" (Punkt 3), Universitätsgottesdiensten (Punkt 4), „Gruppen zur Vorbereitung verschiedener Andachtsformen wie Mittagsgebete oder ... Vespern" (Punkt 5), „Liturgische[n] Wochen(enden), in denen interdisziplinär ein maßgebender biblischer Text studiert und gefeiert wird" (Punkt 6), „Exkursionen, das Kennenlernen verschiedener Frömmigkeitsformen" (Punkt 10) sowie Spiritualität als Gegenstand von „Beratung und Planung für das Studium" (Punkt 2). Eine Neukonstituierung einer Aszetik als einer praktisch-theologischen Teildisziplin wird von Schröer in seinem Beitrag nicht explizit gefordert; er verbleibt bei dem Hinweis, daß zur Förderung von Spiritualität auch deren „direkte und indirekte Thematisierung in den Lernvollzügen des Studiums" zähle, also auf einer „studientheologisch-hochschuldidaktischefn]" Ebene (Punkt 1) bzw. beläßt es bei Verweisen auf praktisch-theologische Teildisziplinen, die Möglichkeiten zur .Wahrnehmung' und zum Kennenlernen anderer Formen von Spiritualität bieten, gegebenenfalls auch mit „Brückenschläge[n] zur Religionswissenschaft" (Punkte 7 und 10).35 34 Ders. 1997. 35 Vgl. auch das Expertenvotum von Klaus-Peter Jörns 1997a. Er weist im Papier „Spiritualität im Theologiestudium" auf drei Ebenen hin, über die eine Verbindung zwischen Theologiestudium und Spiritualität wiederhergestellt werden könne: 1) Forschung und Lehre, 2) Seelsorge untereinander, 3) gottesdienstliche Veranstaltungen im Hochschulbereich. - Bei der Lehrebene setzt Jörns zwar voraus, daß Theologie „ihrem Wesen nach Doxologie" sei. Dennoch bleibe es eine (implizite) Aufgabe des Theologiestudiums, die „Suche nach dem eigenen Credo" (Herv. BS) zu begleiten und Ziel, „daß die Studierenden lernen, in theologisch verantworteter Anknüpfung an das Zeugnis der

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2.3.

Die Grundlegung

einer Aszetik nach Manfred

Seitz

F ü r Manfred Seitz wurde das Drängen auf die Konstitution einer evangelischen Aszetik nahezu zu einer Lebensaufgabe. E r sieht den Verlust einer aszetischen Theologie eng mit der Geschichte der Entstehung der Praktischen Theologie verbunden. 3 6 (1) Bereits 1968 griff er in seinem Aufsatz „Die Aufgabe der praktischen Theologie" Bohrens F o r d e r u n g nach einer evangelischen Aszetik als zu begründendem praktisch-theologischen A r beitsbereich auf. 37 E r nennt vier Hauptgesichtspunkte für ihre Entfaltung: 1) ein ekklesiologischer A n s a t z statt einer pastoraltheologisch verengten Perspektive, 2) die Notwendigkeit einer Elementarisierung v o n Glaubensformen, 3) Studien zu gesellschaftlichen Lebensbedingungen, 4) in methodischer Hinsicht ein „historisch-empirisch-kritisch-konstruktivfesj" Vorgehen, was zugleich exemplarisch für eine „neue F o r m der praktischen Theologie" werden könne. (2) In seinen T R E - A r t i k e l n zu „Askese" (1979) und „ F r ö m m i g k e i t " (1983) wiederholt Seitz seine F o r d e r u n g nach einer N e u k o n s t i t u t i o n einer evangelischen Aszetik. 3 8 F r ö m m i g k e i t solle darüber hinaus nicht n u r zu eiMütter und Väter den eigenen Glauben zu formulieren und zu leben" (Herv. Jörns, 1.1). „... der Lobpreis Gottes aber ist ein Bekenntnis, das an eigene Gotteserfahrung gebunden ist" (1.1, Herv. BS). Diese Fähigkeit müsse erst vermittelt werden. - Jörns betont ausdrücklich, daß „die gesuchte Wiederverbindung von Studium und Spiritualität beim status quo und den methodischen Vorgaben des Wissenschaftsbetriebes ansetzen muß" (1.3). Er spricht ausdrücklich von einer „Aszetik", fordert jedoch, daß diese mit der Homiletik und Liturgik „verbunden erforscht und gelehrt werden" solle, so daß alle drei dadurch ein größeres Gewicht erhielten (1.2). - Aufgrund einer überwiegend historischen Orientierung des derzeitigen Theologiestudiums sollte zunächst in allen theologischen Disziplinen nach der bisherigen Geschichte der Einheit bzw. des Auseinanderfallens von credere (i.S.v. Glaube und Lehre), orare und convivere geforscht werden (1.3). - Jörns konzipiert die nötigen Überlegungen zur Thematisierung von Spiritualität auf der Lehrebene im Ansatz „unter Einbeziehung soziokultureller Gegebenheiten" und mit einer kritischen Dimension (1.4). Ferner legt er Wert auf die ökumenische Dimension der Spiritualität sowie die Begegnung mit anderen Religionen (ebd.). Ein weiterer Aspekt ist das Bezogensein auf die „gemeindliche[...] Realität". Gegenüber einem normativen Ansatz drängt Jörns darauf, die anthropologische Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. „Theologische Forschung und Lehre dürfen sich nicht allein mit der Frage beschäftigen, was die Menschen glauben sollen, sondern müssen mit derselben Leidenschaft kritisch fragen, was die Menschen (einschließlich Theologinnen und Theologen) wirklich glauben und in welchen Weisen sich Frömmigkeit heute auszudrücken vermag." (1.6. - Letztere Zielbeschreibung könnte auch als Motto für Drews' Programm Religiöser Volkskunde verstanden werden.) - Vgl. die aus dem von Jörns geleiteten Religionssoziologischen Institut hervorgegangene religionssoziologische (und darin integriert, kirchensoziologisch auswertbare) Umfrage „Was die Menschen heute wirklich glauben" (1997b). 36 37 Zitat: 38

M. Seitz 1978b [1968], 62. Vgl. ders. [1968], im Folgenden zitiert nach ders. 1978b, vgl. dort 60f, folgendes 61 (Herv. BS). - Vgl. zur Aszetik auch ders. 1978c, 218ff. Ders. 1979, 258. 53

nem Teilgebiet, sondern zugleich zu einem Gesamtthema Praktischer Theologie werden: „Gegenstand der Praktischen Theologie ist die Frömmigkeit in der Vielfalt ihrer Erscheinungen. ... Die Beschreibung und sozial wissenschaftliche Analyse der Frömmigkeitspraxis sowie die Erkundung ihrer Umformungen und Wandlungen, ihrer Erosionen und Defizienzen bilden die Voraussetzung für eine praxisnahe Erörterung der frömmigkeitsspezifischen theologischen Grundprobleme.

Seitz versteht seine Forderung nach Erneuerung einer evangelischen Aszetik auf wissenschaftlichem Niveau als Aufnahme der alten Tradition einer theologia ascetica sowie als ein Anknüpfen an das von Paul Drews initiierte Programm einer „Religiösen Volkskunde". Ferner bezieht er sich auf R. Bohrens Anstoß.40 Als Inhalte verweist Seitz allgemein auf „die Gesamtheit des .geistlichen Lebens' ... oder m.a.W. die Spiritualität, d.h. de[n] Glaube[n] unter den Bedingungen des menschlichen Lebens"41, ferner auf die Sammlung und Sichtung von Glaubenserfahrungen und Frömmigkeitstypen sowie auf Überlegungen zu künftigen Gestaltungen von geistlichem Leben, darüber hinaus auf die Untersuchung der Bezüge zwischen Kirche und Gesellschaft.42 Seitz weist einer Aszetik die Aufgabe zu,43 theologische Grundfragen des geistlichen Lebens zu bedenken, eine Gestaltlehre zu erarbeiten sowie Praxisfragen zu diskutieren und Formen christlicher Zeuginnen- und Zeugenschaft zu reflektieren. Bei den theologischen Grundfragen denkt Seitz „z.B. [an] .Frömmigkeit in einer weltlichen Welt'; Grundzüge der Christusbeziehung"44. Zu einer Gestaltlehre und Praxisfragen wären zu zählen: „Schriftstudium, Gebet, Meditation, Gottesdienst, Kommunität, geistliche Regel, Rituale, alltägliches Tun, Beruf, Lebensphasen, Altern, Tod". Zum Zeugnisaspekt rechnet Seitz „Zeugesein, Zeichen: Verzicht als Fasten und Freiheit zum Feiern, Martyrium". In dieser Aszetik hätte auch die Frage nach der Askese wieder einen wissenschaftlichen Ort gefunden.45 Seitz nennt fünf Dimensionen von Frömmigkeit, die mit je entsprechender Methodik zum Gegenstand einer akademischen Aszetik werden müßten: den (rituellen) Gestaltaspekt, die Inhaltsebene, die biographische Di-

39 Ders. 1983, 685. - „In der Tat bedarf die Kirche eines wissenschaftlichen Nachdenkens über Theologie und Praxis des christlichen Lebens in der heutigen Zeit." (ders. 1979, 258) 40 Zur theologia ascetica sowie zu P. Drews vgl. M. Seitz 1979, 257; ders. 1983, 686. Zu R. Bohren vgl. M. Seitz 1979, 258 sowie s.o. 35f; zu Drews s.o. 22ff. 41 Ders. 1979, 257. 42 Ders. 1979, 258; ders. 1983, 686. 43 Seitz betont den Vorschlagscharakter seines Entwurfs: „Sie könnte so oder anders aussehen." (1979, 258) 44 Ebd. 45 Ebd.

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mension, Vermittlung durch Identifikationsmodelle46 sowie den ethischen Aspekt. Der rituelle (oder Gestalt-) Aspekt verweist auf die „Partizipation an gemeinschaftlichen und individuellen Frömmigkeitsformen und Ritualen". Hierzu zählt Seitz u.a. „Gottesdienst, das Abendmahl, die private oder gemeinsame Lektüre der Bibel und religiöser Schriften, die Meditation von religiösen Liedern und Bildern, das persönliche Gebet, Taufe und Tauferinnerung und die Praxis des Seelsorgegesprächs".47 Hervorheben möchte ich Seitz' Sensibilität für die biographische und personspezifische Dimension von Frömmigkeit.48 Er legt für eine gegenwärtige Aszetik großen Wert auf die Untersuchung individualisierter Formen von Frömmigkeit und die Frage nach deren sozialisatorischer Entstehung und der weiteren biographischen Entwicklung. Damit verbunden greift er die religionskritische Frage nach der „Bildung einer gereiften, nicht in infantilen Formen verharrenden Frömmigkeit" auf.49 Methodisch zählte die Untersuchung von Sozialisationsvorgängen sowie die Arbeit an biographischen Materialien bzw. „Fallstudien" hierzu.50 Seitz weist der Religionspsychologie einen methodischen Stellenwert in einer zu entwickelnden evangelischen Aszetik zu. „Die heutige Religionspsychologie ist besonders durch ihre Forschungen zur Symboltheorie und durch den Einbezug psychoanalytischer Forschungsmethoden von Interesse für die Theorie der Frömmigkeit."51 (3) Wie H. Schröer erstellte auch M. Seitz ein Votum für den Deutschen Evangelischen Fakultätentag zur Frage der Spiritualität im Theologiestudium. Er gliedert seinen Beitrag in eine „Verständigung über den Begriff .Spiritualität'", Gedanken zur „Einübung in persönliche Spiritualität", Vorschläge zu „Spiritualität und Theologiestudium" sowie die Frage nach dem Zusammenhang zwischen „Spiritualität und Eschatologie".52 Seitz sieht den beruflichen Umgang mit Frömmigkeit als ergänzungsbedürftig durch die Gestaltung einer persönlichen Frömmigkeit. Gerade der berufliche, von Pflichten bestimmte Umgang beschneide oft den Spielraum für ein eigenes geistliches Leben. „Der berufliche Umgang mit Bibel, Geschichte und Lehre der Kirche, mit Gottesdienst und Gebet garantiert keineswegs 46 „Die Identifikation mit einzelnen oder mit Gruppen, die sich bewußt für einen bestimmten Frömmigkeitsstil entschieden haben, kann den Zugang zur Frömmigkeitspraxis eröffnen." (ders. 1983, 685) 47 Ebd. 48 „... bei der Gestaltung und Ausformung individueller und personspezifischer Frömmigkeit" (ebd.). 49 A.a.O., 686, vgl. 685f. 50 A.a.O., 685. 51 A.a.O., 686. - Seitz (1983, 686) nennt an dieser Stelle allerdings lediglich das alte Werk von W . Trillhaas, Die innere Welt, 1953. - Vgl. übrigens auch die Aufgeschlossenheit der katholischen Aszetik für Forschungsergebnisse von Anthropologie und Psychologie (J. Weismayer 1993, 1122). 52 M. Seitz 1997.

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eine lebendige Gestaltung des eigenen Glaubens." (2.2.4)53 Seitz verstellt Spiritualität als „die wahrnehmbare Gestalt der Nachfolge Jesu Christi" (2.3.1). Als solche sei sie „auch Gegenstand der Theologie im Sinne von Forschung, Lehre, Anleitung zur Praxis und Begleitung" (2.3.1). Er sieht (wie auch Schröer 1982) „alle Fächer der Theologie" (2.3.3, Herv. BS) mit der Aufgabe einer „geistliche[n] Formung und spirituelle[n] Anleitung" (2.3.2) der Studierenden betraut. Er nennt als Orte einer „Führung zum Glauben" (!) (2.3.7) an Theologischen Fakultäten und anderen an der Ausund Fortbildung beteiligten Institutionen „Vorlesung, Vortrag, Seminar, Kolloquium, Übung, Gespräch (einzeln oder in Gruppen), Beratung, Seelsorge und Gemeinschaft, in denen die .Anteilhabe am Heiligen' konkret zum Ausdruck kommen kann" (2.2.5). Seitz schlägt die Erneuerung einer Aszetik im Rahmen der Praktischen Theologie vor. „Der Praktischen Theologie kommt die besondere Aufgabe zu, die alte Disziplin der Pastoralethik (J. A. Quenstedt) oder besser, der Aszetik (Einübungslehre in den christlichen Glauben) wieder zu erneuern und entsprechende Lehrangebote und Themen zu behandeln." (2.3.5) Allgemeiner formuliert er, daß „Inhalte und Themen" christlicher Spiritualität „in eigenen Lehrveranstaltungen" behandelt werden sollten, „wohl in erster Linie in der Praktischen Theologie" (2.3.7). Hieran sollten sich „alle übrigen Disziplinen in geeigneter Weise ... beteiligen oder entsprechende Themen und Probleme nach Möglichkeit in ihren Fächern behandeln" (2.3.7). Didaktisch legt er auf eine Elementarisierung der reichen Frömmigkeitsformen auf die liturgischen Grundvollzüge (von „Psalm, Lesung, Gebet, Gemeinschaft und Dienst") Wert (2.4.4).54 Für die Praxisebene konkreter Anleitungen sollten darüber hinaus Institutionen an der Hochschule geschaffen werden, „um gestalteten Glauben in der Vielfalt seiner Formen zu üben, zu besprechen und anhaltend zu lernen" (2.3.7). Ferner betont er die Ebene der personalen Vermittlung von Frömmigkeit im Theologiestudium durch die „geistlichef...] Erkennbarkeit der Lehrenden" (2.2.2). „Die Studierenden sollen durch ihre Lehrer erfahren, daß es in der Kirche tradierte Formen des persönlichen und gemeinschaftlichen Glaubensvollzuges gibt", besonders indem die Lehrenden auf der Ebene praktizierter Frömmigkeit zu liturgischen Grundelementen hinführen (2.2.3).55 Für praktizierte Frömmigkeit verweist Seitz neben Hochschulgottesdiensten (möglichst mit Gemeindegliedern) (2.3.6) auf gemeindliche Initiativen und evangelische Studentengemeinden als Träger (2.3.4). 53 Vgl. hierzu auch R. Seitz 1994 sowie dies./F. Peschke 1994. 54 Dies in einer eschatologischen Ausrichtung von Spiritualität (M. Seitz 1997, 2.4, S. 35) im Kontext der Erwartung einer zunehmend feindlicher werdenden Umwelt, die Martyrien nicht mehr ausschließen ließe (vgl. 2.4.3 und 2.4.4). 55 D. Engels würde diese geforderte Dozenteneigenschaft der Gruppenerwartung vom ,frommen' Typ 12 zurechnen: der Lehrer als erkennbarer Zeuge (s.o. 32f).

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Seitz selber hat in seiner Lehrzeit an der Theologischen Fakultät in Erlangen-Nürnberg eine regelmäßig wiederkehrende Hauptvorlesung „Evangelische Spiritualität. Entwurf einer Lehre vom Christlichen Leben (Asketik)" gehalten und ein „Studium Spirituale" angeboten mit dem Untertitel „Seelsorge - Formung des Glaubens - Theologie" („Zur Seelsorge befähigen. Dem Glauben Gestalt geben. Mit Theologie durchdringen").56 Seitz führte dies Lehrangebot im Rahmen der Praktischen Theologie durch, und zwar in die Seelsorgeausbildung integriert und pastoralpsychologisch akzentuiert. Bei der Konzeption des Studium Spirituale war er bestrebt, Seelsorge und geistliches Leben biblisch und theologisch zu begründen und in das Gespräch „mit medizinischen und psychologischen Erkenntnissen" zu bringen (1990). Bei dieser Verbindung war Seitz von der Annahme motiviert, daß eine angemessene seelsorgerliche Haltung aus einer „persönlichen Glaubenspraxis (Spiritualität)" erwächst (1990).57

2.4. Friedrich Wintzer über Frömmigkeit als Grunddimension Praktischer Theologie Friedrich Wintzer gehört insofern nicht zur Gruppe derer, die eine Erneuerung einer evangelischen Aszetik fordern, als er thematisch „Frömmigkeit als eine Grundperspektive der Praktischen Theologie" bereits voraussetzt.58 „Diese Fragestellung ist... eine Grundperspektive der Praktischen Theologie, denn dabei geht es um die Leiblichkeit des Glaubens." (13) Es handele sich um die der Praktischen Theologie „aufgegebene[...] Frage der Gestaltung und Vergewisserung christlichen Glaubens besonders um die personale Gottes- und Weltbeziehung des Menschen" (ebd.). Andererseits konstatiert er, daß „die evangelische Theologie und die evangelische Kirche heute, aufs Ganze gesehen" „in bezug auf das Thema und den Begriff der 56 Gliederung der Vorlesung: „I. Theologische Grundfragen des geistlichen Lebens", „II. Gestaltlehre und Praxis des christlichen Glaubens", „III. Die durchgehende Dimension: Das Zeugnis". - In II. thematisch enthalten: lectio und oratio, in ΙΠ.: tentatio i.S.v. „Anfechtung und Leiden im christlichen Leben". - Weitere Angebote zum Themenfeld „Spiritualität und Theologiestudium" waren Universitätsgottesdienste sowie durch Seitz persönlich berufene Studiengruppen, die zu Themen aus dem Bereich des geistlichen Lebens arbeiteten (Quelle: Seitz, „Spiritualität und Theologiestudium im Bereich der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg", 2 S., dort: lf). - Für diesen Punkt danke ich Herrn Prof. em. M. Seitz für die Zusendung von Kopien grundlegender Unterrichtsmaterialien zum „Studium Spirituale" am Institut für Praktische Theologie an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. 57 Er bringt dabei (in Team-Arbeit) selbsterfahrungsbezogene Arbeitsweisen der Klinischen Seelsorge-Ausbildung, Logotherapie und geistliche Übungen in einen Dialog miteinander. Vgl. M. Seitz, Informationsblatt zum Studienjahr 1990/91; ders., Logotherapie und Lebenssinn in der theologischen Seelsorgeausbildung, Ms. o.J. Vgl. ders. 1978c. 58 F. Wintzer 1995. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diesen Aufsatz. 57

Frömmigkeit" „merkwürdig sprachlos" seien (ebd.). Er betont die Dringlichkeit, daß diese Grunddimension in der Praktischen Theologie auch tatsächlich zur Sprache komme: „die Frage nach den Gestaltungsformen des Glaubens und der Frömmigkeit nicht ernst zu nehmen, hieße, in bezug auf den Glauben sprachlos zu werden" (21). Wintzer versteht Frömmigkeitstheorie von vornherein auch als kritische Theorie·. „Die Frömmigkeitstheorie ist eine Theorie der Gestaltung des christlichen Glaubens, die freilich die Frömmigkeitskritik mit einschließt." (13) In seinem Frömmigkeitsverständnis hebt er das Leitwort der „Freiheit" als genuin protestantisch hervor: Der rechtfertigende Glaube führt in die Freiheit der Kinder Gottes und setzt Formenvielfalt frei. „Wichtig ist für den Protestantismus immer das Begriffspaar Frömmigkeit und Freiheit gewesen. Der christliche Glaube kann nach evangelischem Verständnis mit unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen und Frömmigkeitsformen verbunden sein. Es kommt darum auf die Einstellung und die Gesinnung an, nicht primär auf die Verrichtung von bestimmten Frömmigkeitswerken."59

Aus dieser Perspektive der Rechtfertigungs-Freiheit verweist Wintzer gleichzeitig auf die protestantische Schwierigkeit mit einer Frömmigkeitslehre: „Weil der rechtfertigende Glaube in die Freiheit der Kinder Gottes führt und nicht auf ein neues Lehrgesetz oder ein politisches Verhaltensgesetz festgelegt ist, hat es der Protestantismus allerdings schwer, eindeutig und konkret über die Formen von Frömmigkeit zu reden."60 Wintzer verortet, entsprechend seinem Frömmigkeitsverständnis, eine evangelische praktisch-theologische Frömmigkeitstheorie im „Dreieck" „Christlicher Glaube - Freiheit - evangelische Frömmigkeitspraxis" (14). Konkret äußert er sich in seinem Aufsatz sowohl zu geschichtlichen Entwicklungen als auch zu „Gestaltungsformen" von Frömmigkeit. Er definiert Frömmigkeit im weiten Sinne „als die personale Gottes- und Weltbeziehung des Menschen. Sie enthält die Spannung zwischen der individuellen und personspezifischen Aneignung des Glaubens einerseits und seiner lehrmäßigen Gestalt andererseits" (19, Herv. BS). Eine Frömmigkeitslehre habe sowohl die einzelnen Dimensionen und Formen von Frömmigkeit wahrzunehmen und zu reflektieren als auch die Verantwortung einer theologischen „Vergewisserung über Grund und Inhalt des christlichen Glaubens unter Berücksichtigung des in der Geschichte der Kirche wirksamen Glaubenszeugnisses" (ebd.). Polar zu Seitz' Überlegungen legt Wintzer den Akzent nicht auf eine normativ vorgegebene Tradition, sondern auf die Freiheit der persönlichen Ausgestaltung. In seinen konkreten Überlegungen zu Frömmigkeits59 A.a.O., 14. - Vgl. dort auch die Überlegungen zu Luthers Frömmigkeitsverständnis, 14f. 60 Vgl. auch D. Rössler 1978.

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formen hebt Wintzer nachdrücklich die persönlichkeitsspezifische Ausgestaltung und damit die biographische Dimension hervor. „Die Biographie von Menschen prägt den Frömmigkeitsstil. Die Deutung und Verarbeitung von Erfahrungen, Situationen und Krisen verdeutlichen die personspezifische religiöse Lebenswelt von Menschen." (20) „Da die Frömmigkeit nicht normativ als System religiöser Lebenswelt vorgegeben sein kann, sondern auf personspezifischer Teilhabe an den Bereichen der christlichen Frömmigkeit beruht, ist Frömmigkeit zu beschreiben mit Hilfe einer Hermeneutik der religiösen Lebenswelt" (19, Herv. BS) wie sie in Protokollen von Seelsorgegesprächen, in Metaphern oder Symbolen der Kunst oder Interpretationen von religiösen Erfahrungen begegnet. Als Dimensionen von Frömmigkeit und damit praktisch-theologischer Frömmigkeitstheorie nennt Wintzer diejenigen von Ritualen, 61 Glaubensinhalten, 62 Schriften- und Medienbezug (Bibel und andere religiöse Schriften, gegenwärtig zunehmend audiovisuelle Sendungen), Lebensstil, Seelsorge und Diakonie.

2.5. Anstöße aus der feministischen Spiritualität für eine evangelische Aszetik Aus den Ansätzen feministischer Theologie gehen sowohl kritische als auch konstruktive Anstöße für eine evangelische Aszetik und Frömmigkeit hervor. 63 Kritische Überlegungen reichen von Neuformulierungen einzelner Aspekte bis zu völlig distanzierten Neuentwürfen wie etwa bei Mary Dayly. 64 Christliche feministische Spiritualität verweist aus ihrer Sicht als ein Grundproblem traditioneller Frömmigkeit und auch evangelischer Theologie darauf, daß sie an dem Prozeß beteiligt sind, die von Män-

61 Nach F. Wintzers Auffassung werden Rituale besonders im Zusammenhang mit dem Festtagszyklus zu einer wichtigen Stütze in Urbanen Gemeinden, in denen das Christentum nur noch bedingt als kulturgestützt erlebt wird (1995, 20f). 62 Die wiederum in personspezifischer Schwerpunktsetzung zu reflektieren sind: „Frömmigkeit ist sodann gekennzeichnet durch die Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen und Glaubensinhalten. In diesem Bereich ist die individuelle Schwerpunktsetzung zu beachten." (a.a.O., 20) 63 Vgl. Spiritualität im Theologiestudium 1997, 6.18. - Vgl. U. Wiethaus 1996; E. Sorge 1987; C. Koppers 1986; D. Pahnke/R. Sommer 1995; D. Sölle/L. Schottroff 1990. - Ein Referat steht vor mehreren grundsätzlichen Problemen: a) der Diversität feministisch-theologischer Strömungen, b) der Diversität des Materials: gerade für die von der Basis getragene Spiritualität liegt viel Material in Gestalt von (nur schwer überschaubaren) Werkstattberichten, Bibelarbeiten, Meditationstexten etc. vor, c) der Kürze der hier möglichen Darstellung, bei der grobe Verallgemeinerungen bzw. eine stark relativierende Sprache unvermeidlich werden, so daß wiederum auf die Literatur selbst verwiesen sei. 64 Vgl. M. Dayly 1986.

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nern differierende Problematik (bzw. Subjekthaftigkeit65) von Frauen zu verleugnen. Viele vorliegende Vermittlungsgestalten von Frömmigkeit geben Perspektiven auf Frauen vor, die bei einer unmodifizierten Übernahme zu einer entfremdenden Selbstsicht führten, bzw. Frauen finden sich in dieser Tradition marginalisiert. Sowohl die Ur-Kunden von Gottes Offenbarung als auch heutige gesellschaftliche Frömmigkeitsgestalten weisen eine einseitig androzentrische bzw. auch patriarchale Prägung auf.66 Feministisch modifizierte christliche Spiritualität führt in einem ersten Praxisschritt zunächst in eine Distanzierung von gängigen Praxisformen und zurück zum eigenen Erleben, Fühlen, Denken und dessen Selbstbeschreibungen. Dies führt in einem zweiten Schritt zu reflektierten Distanzierungen von diesen Traditionsgestalten. Eine „Hermeneutik kreativer Aktualisierung" kann den dritten Schritt einer selbstgestalteten Neuaneignung überlieferter Traditionsformen bilden.67 Für die Ebene gelebter Frömmigkeit wirkt sich dies im Umgang mit den biblischen Texten dahingehend aus, daß am Anfang nicht mehr die (unmittelbaren Zugang voraussetzende) Identifikation steht, sondern zunächst Fremdheit anerkannt wird, wodurch zugleich ein Zwischenraum entsteht, in dem eigenes Urteilen zur menschlichen Gestalt der Tradition Raum erhält. Biblische Texte (und erst recht überlieferte Gestalten von Frömmigkeit) werden nicht als ««mittelbar göttlichen Ursprungs und von göttlicher Autorität seiend anerkannt, sondern die Texte werden mit der Kritik feministischer Hermeneutik konfrontiert und erst dann, in gewandelter Gestalt, neu angeeignet.68 Den kanonisch gewordenen Texten werden mitunter außerbiblische Zeugnisse matriarchaler Religiosität zum Vergleich oder auch ergänzend beiseite gestellt, bzw. es werden Spuren matriarchaler Religiosität im Ersten Testament rekonstruiert.69 65 Zur notwendigen Dekonstruktion des sozialen Konstruktes einer ,differierenden Subjekthaftigkeit' von Männern und Frauen (im Sinne einer Dekonstruktion von Klischees und literalisierten Dualismen) vgl. S. Bobert-Stützel 1997. In dieser fundamentalen Kritik weicht mein eigener gender-theoretischer Ansatz von einem Mainstream in der feministischen Theologie ab, kann jedoch im Rahmen dieser Darlegungen nicht näher entfaltet werden. 66 Zu den hermeneutischen Leitbegriffen von Androzentrismus, Sexismus und Patriarchat vgl. A. Noller 1995, 25ff. 67 E. Schüssler-Fiorenza 1988, 57f. Differenzierter formuliert: Im Rahmen ihres Modells eines hermeneutischen Vierschritts im Umgang mit der biblischen Tradition müssen diesem letzten Schritt vorangehen: die Arbeitsschritte einer „Hermeneutik des Verdachts", einer „Hermeneutik der Proklamation" sowie einer „Hermeneutik des Erinnerns" (vgl. 49ff). Vgl. einführend zu Grundsatzfragen feministischer Hermeneutik A. Noller 1995. 68 Vgl. zum theologischen Problem der Schriftautorität in femistisch-theologischer Sicht A. Noller 1995, 135ff.l60ff.l95ff.207ff. 69 Vgl. zur Aneignung weiblicher Gottesbilder aus der Bibel U . Wagner-Rau 1992, 157ff; zur Frage einer Konzeptionalisierung einer .Göttin': a.a.O., 50 (Anm. 68).164ff und dort genannte Literatur; ferner einführend L. Scherzberg 1995, 79ff.97ff.l50ff.

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Bei der Neuaneignung von Stücken der christlichen Tradition und der Suche nach einer eigenen spirituellen Heimat wird oft die eigene Ortlosigkeit innerhalb der Tradition wahrgenommen, verbunden mit der Notwendigkeit, sich zunächst eigene schutzbietende Spielräume für einen experimentellen Umgang mit dieser Tradition zu schaffen. Hierbei begegnet ein unterschiedliches Antwort-Spektrum gegenüber der Frage einer Separation von Männern, wobei eine Mittelposition durch eine zeitlich begrenzte Exklusivität markiert wird.70 Orte feministischer Spiritualität sind vorwiegend Basisgemeinschaften, Interessenverbände, Frauengruppen, feministische Werkstätten, Netztreffen, Tagungen und Seminare, nach wie vor jedoch auch Ortsgemeinden und Frauenarbeit in übergemeindlichen Strukturen. Eine wichtige Inhalts- und Lebensdimension ist in feministischer Spiritualität (mit dem Ziel seiner Befreiung) der weibliche Körper. Frauen weisen die Abwertung ihrer Körperlichkeit durch Traditionsstränge im Christentum zurück und entdecken sie als eine Grunddimension ihres Glaubens. Damit entnehmen sie auch Themen wie Blut, Menstruation und Geburt ihren Tabugrenzen und arbeiten an einer Integration von Erotik und Sexualität in die christliche Frömmigkeit. 71 Die Körperlichkeit wird methodisch in Frömmigkeits- und Gottesdienstformen über Atmen, Singen, Tanzen, Hören, Schauen, Begreifen und Riechen einbezogen. Zu den Zielen feministischer Spiritualität und der Reflexion über sie zählt „die Verwandlung des Deutungsrahmens religiöser Symbole und die Veränderung der S y m b o l w e h durch die Integration des Verdrängten und auf die Frauen Projizierten. D e n aktiven Part in diesem Prozeß haben zunächst einmal die Frauen, indem sie zu artikulieren lernen, wer sie sind und was sie seit Jahrhunderten gezwungenermaßen oder in Anpassung an diesen Zwang verschwiegen". 7 2

70 Im Hintergrund steht hierbei u.a. die ekklesiologische Kontroversfrage um das Verständnis von „Frauenkirche". Vgl. hierzu exemplarisch die Positionen von E. Schüssler-Fiorenza und R. R. Ruether, dazu U. Wagner-Rau 1992, 202-205. Vgl. J. Flatters 1990. 71 Vgl. L. Scherzberg 1995, 73-78 und Lit. dort. Zu einem wichtigen Bereich feministischer Liturgien zählen die ,Heil-Rituale'. Sie konzentrieren sich auf die Benennung von Gewalterfahrungen gegen Frauen und versuchen, Frauen, die z.B. sexuellem Mißbrauch ausgesetzt waren, heilend zu unterstützen. Daneben gibt es die Konzentration auf (sozial und biologisch gegebene) weiblich-biographische Knotenpunkte sowie die (postchristliche) Anlehnung an den Jahreszeitenzyklus bzw. (christlich) an das Kirchenjahr. - Für Beispiele zum Folgenden vgl. U. Wagner-Rau 1992, 131. 72 U. Wagner-Rau 1992, 51, dies sei eine „konkrete Utopie".

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2.6. Wertender Rückblick zur Rahmenbeschreibung für eine evangelische Aszetik R. Bohren gebührt das Verdienst, als erster auf die Notwendigkeit einer evangelischen Aszetik als eines Arbeitsbereiches der Praktischen Theologie aufmerksam gemacht zu haben.73 Als problematisch erweist sich jedoch in seiner Beschreibung dieses neuen Bereiches die einseitige Sorge um die Bestandswahrung der evangelischen Frömmigkeitstradition (mit den Namen Luther, Bonhoeffer, Barth umrissen). Gerade im Kontext der Säkularisierungsdebatte der sechziger Jahre und ihrer intensiven Bemühungen um Neukonzeptualisierungen evangelischer Frömmigkeit (s.o.) wirkt dies um so auffälliger und insofern nur als eine Seite der Problembeschreibung. Hinsichtlich spezifisch wissenschaftlich-methodischer Fragen finden sich bei ihm noch keine näheren Ausführungen. Faktisch verbleibt Bohrens Ansatz auf der Ebene einer vorkritischen Aszetik und bei dem Ruf zu einem ungebrochenen Ubernehmen der Traditionsbestände auf dem vorwissenschaftlichen Niveau einer Pastoraltheologie, zumal Bohren - wie diese - ausschließlich von den berufspraktischen Erfordernissen her argumentiert.74 H. Schröer geht, wie Bohren, zwar auch von diesem Grundbestand evangelischer Frömmigkeitselemente (der Trias von meditatio, oratio und tentatio) aus, bezieht diesen jedoch auf den gesellschaftlichen Kontext und integriert damit bereits im Ansatz die durch Traditionsabbrüche und Säkularisierung gestellten Probleme, die auch in der Frömmigkeitsdebatte der sechziger Jahre reflektiert wurden. Ein einseitig konservierender Rückzug auf Bemühungen zur unveränderten Vermittlung eines evangelischen Grundbestands kommt damit für eine Aszetik nicht mehr in Frage. Als wichtigen Gedanken zur Konstitution einer Aszetik als Teilgebiet der Praktischen Theologie nehme ich ferner Schröers Drängen auf eine Beteiligung aller theologischen Fächer an Grundlagenfragen und der Durchführung (1982) sowie innerhalb der Praktischen Theologie die Notwendigkeit einer Beteiligung aller praktisch-theologischen Teildisziplinen auf (1996). Konkrete Hinweise für einen Dialog mit bestimmten Sozial- bzw. Humanwissenschaften finden sich bei ihm in den zentralen Passagen allerdings nicht.75 Gegenüber den Grundsatz-Überlegungen aus den sechziger Jahren fällt Schröers methodische Engführung auf .Aneignung' der alten Trias in der Unterrichtsform von Kursen auf. Es bedürfte hier der klaren Ergänzung, daß yAneigung' auch .Verwerfung' und ,Ubersetzung in andere For73 Vgl. auch M. Seitz 1978b, 61. 74 Das einseitige Votieren für die Übernahme der Tradition und das Ausgehen von beruflichen Notwendigkeiten her führt bei Bohren stilistisch zu einer Argumentationsform, die auffällig einseitig von verkappten Imperativen geleitet ist und gesetzlich (gehorsamsorientiert) wirkt. 75 Vgl. allerdings H . Schröer 1996, Punkt 10 der Hinweis auf einen notwendigen Dialog mit der Religionswissenschaft mit dem Ziel, „die Zusammenhänge von Spiritualität und Kultur bewußt zu machen".

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men', insofern ein Neu-Erfinden heißen kann. Eine so verstandene ,Aneignung' verliefe jedoch nie unmittelbar, sondern über kritische (d.h. im gegenwärtigen Erkenntnis- und Erfahrungshorizont urteilende) Praxis bzw. Reflexion (wie der Theorie-Praxis-Zusammenhang in der feministischen Spiritualität als eines von möglichen Beispielen zeigt). In dieser Hinsicht erscheint es gerade als wenig förderlich, Praxis-Kurse von sonstigen universitären Denkpotentialen abzukoppeln, sondern es könnte im Gegenteil gerade in einem Zusammenführen beider eine befreiende Denk- und Praxisbewegung in bezug auf Neukonzeptualisierungen von Frömmigkeit in Gang kommen. Der hier vertretene Ansatz folgt den Vorschlägen von K.-P. Jörns in der konzeptionellen Verortung einer möglichen Aszetik im universitären Kernbereich der Forschung und Lehre, womit gleichzeitig der universitäre status quo als Ausgangspunkt in Methodik und Zielen ernstgenommen wird. Jörns sieht praktische Übungen nicht als Ersatz zu, sondern in notwendigem Zusammenhang mit kritischer Reflexion auf der Lehrebene. Insbesondere die Praktische Theologie ist in der Lage, einer rein normativen Konzeptionalisierung von Frömmigkeit die auf Desknption zielende Frage zur Seite zu stellen, „was die Menschen ... wirklich glauben" (1.6).76 Eine Aszetik kann sich bei diesem Ansatz nicht auf die Reflexion kirchlicher Frömmigkeitsformen beschränken. „Auch die dogmatisch schwer zu fassende Religiosität, die außerhalb und innerhalb der institutionalisierten Religionen lebendig ist, müßte darin einen Ort haben."77 Zur Entwicklung

76 „Indem wir das Wort .wirklich' vor .glauben' gesetzt haben, wollten wir deutlich machen, daß es uns gar nicht um das geht, was Menschen nach den dogmatischen Normen von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften glauben sollten, sondern um das, was sie wirklich glauben." (K.-P. Jörns 1997b, 5) Ein völliges Beharren auf dieser Frageperspektive würde hier allerdings zu einer religionspsychologischen Untersuchung und nicht zu einem pastoralpsychologischen Zweig im Rahmen einer theologisch verantworteten Aszetik führen. - Bei Jörns' Eingliederung aszetischer Fragestellungen in die Fachgebiete der Praktischen Theologie fällt eine einseitige Zuweisung reflektierender Fragestellungen zur Homiletik und Liturgik, hingegen der Praxis zur Poimenik auf (A.8). Damit bliebe gerade die theologische und humanwissenschaftliche Gesprächsfähigkeit der Poimenik bei der Grundlegung ungenutzt (womit der Notstand an mangelnden Praxis-Spielräumen mit diesem Hinweis nicht bestritten sei). 77 Ders. 1997b, 4, vgl. dort das Postulat einer „Theologie der Religionen und der Religiosität". - Der hier vorgestellte aszetische Entwurf beschränkt sich in Teil IV exemplarisch auf Grundelemente traditioneller evangelisch-kirchlicher Frömmigkeit. Die psychoanalytische Leitperspektive des Symbolspiels hingegen läßt sich leicht auf eine Hermeneutik nichtkirchlicher Frömmigkeitsinszenierungen erweitern. Dies zu zeigen, würde jedoch den elementaren Charakter dieser Darstellung sprengen, dem es zunächst um die Herstellung einer Verbindung zwischen moderner Psychoanalyse und der Sicht auf traditionelle Frömmigkeitselemente ging. Exemplarisch für eine in psychoanalytischer Sicht geleitete Hermeneutik nichtkirchlicher Frömmigkeitsformen vgl. A. M.Rizzuto 1979, 87ff; J. McDargh 1983, 155ff.214ff; J. W. Jones 1991, 68-85; S. K. Zeller 1991; H.-G. Heimbrock 1977b.

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einer Hermeneutik religiöser Praxis78 zählt auch die von Jörns herausgestellte Notwendigkeit einer Hermeneutik zum Erschließen von Biographie (vgl. Wintzer), wobei im Rahmen dieser Fragestellung auch die in der feministischen Theorie wichtige gender-Kategorie einbezogen werden sollte. M. Seitz hat die Überlegungen zu einer Grundlegung einer evangelischen Aszetik bislang sowohl hinsichtlich der Beschreibung nötiger Dialogbeziehungen als auch in der Skizzierung möglicher Teilgebiete und in bezug auf eine universitäre Umsetzung am weitesten vorangebracht. Zudem kommt er dem hier angestrebten Ansatz in seiner Dialogbereitschaft mit der humanistischen Psychologie nahe. Grenzen sehe ich insbesondere in Seitz' Verständnis von .Aneignung' der Tradition. Seine Bemühungen in Reflexion und Praxis zielen im wesentlichen auf eine ungebrochene Einübung in die Tradition und thematisieren kaum den für Aneignungsprozesse gleichzeitig nötigen kritischen Spielraum, in dem auch ein Verwerfen oder Ubersetzen alter Formen in neue geschehen kann.79 Damit bleibt das für eine Aszetik nötige (!) Traditionsbewußtsein tendenziell in einem Traditionalismus befangen, der die eigenen Grenzen nicht mehr mitreflektiert.80 Die demgegenüber zu integrierende Gegentendenz, das Drängen auf Spielräume im Umgang mit der Tradition, sehe ich besonders von F. Wintzer aufgenommen. Zum einen, indem er Aszetik nicht auf die Traditionsunmittelbarkeit einer , Übungslehre' beschränkt, sondern sie als ,FrömmigkeitsiAeon'e' versteht und damit klar ihren Wissenschaftscharakter und im Zuge dessen die Freiheit zu kritischer Reflexion behauptet. Zum anderen im Herausstellen des Leitbegriffs der Freiheit im reflektierten und praktizierten Umgang mit der Tradition (während Seitz eher auf Treue akzentuieren würde). Damit wird Aneignung von Frömmigkeit von vornherein als kritisch vermittelt verstanden, wobei beides wichtig bleibt Distanz und Neuvermittlung: die Frage nach Möglichkeiten des NeuErfindens der alten Tradition, um durch sie Gleiches wie die Mütter und Väter im Glauben in modifizierten bzw. neuen Formen erfahren zu können. Kritisch sei gegenüber Wintzer angefragt, ob die Arbeit einer solchen 78 Faktisch ist es seit Drews' Programm religiöser Volkskunde beim Vorrang soziologischer Hermeneutik geblieben. Dies wurde in den sechziger Jahren eher noch verstärkt. Vgl. hierzu das Postulat von H.-G. Heimbrock 1982, 28ff; ders. 1986, 1401. 79 Vgl. z.B. N . Collmars Verständnis von Traditions-Aneignung für ein Konzept eines Religionsunterrichtes in einer pluralen Gesellschaft: „Statt .Vermittlung' oder ,Weitergabe' geht es um aktive Aneignung im Sinne einer eigenständigen Rekonstruktion durch die Schüler." (1994, 92) 80 Faktisch steht Seitz' Aszetik der Frömmigkeitstradition evangelischer Kommunitäten nahe, mit denen er persönliche Verbindung hält (vgl. C. Joest 1995, 211f). Daneben müßten andere Aneignungsformen und neue Frömmigkeitskonzepte sowie neoreligiöse Formen von Alltagsbewältigung thematisiert werden. Vielleicht liegt in dieser mangelnden Öffnung ein Grund für die bislang geringe Rezeption seiner Vorschläge, verglichen mit seinem Engagement.

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Aszetik durch eine allein als .Grunddimension' der Praktischen Theologie verstandene Frömmigkeitstheorie geleistet werden kann. Die explizite Entfaltung einer Aszetik nimmt ernst, daß die „Pflege des religiösen Kommunikationsmediums und des religiösen Codes" (in berufssoziologischer Sprache formuliert) zum Positionskern der Berufsaufgabe der Pfarrerin bzw. des Pfarrers, also zur notwendigen Berufsqualifikation zählt81 und nimmt ebenso die seit langem beschriebenen Defizite in diesem Bereich ernst.82 Mit diesem wissenschaftlichen Weg werden zugleich Lösungsversuche als unzureichend zurückgewiesen, die eher Umgangsformen mit dem faktischen Notstand statt Auswege beschreiben: Dazu zählen a) die personale Lösung auf universitärer Ebene, bei der die Person der Lehrenden als Lern- und Identifikationsmodell in Frömmigkeitskrisen der Studierenden fungieren soll83; b) die personale Lösung auf der zweiten Ausbildungsebene (Vikariatsleiterin bzw. -leiter)84; c) die völlige Unzuständigkeitserklärung der Ausbildungsinstitutionen bei Empfehlung externer Praxis-Angebote?*. Für die Lösungswege (a) und (b) gilt m.E.: Sie ermöglichen zu wenig, was die reflektiert-kritische Erarbeitung eines eigenen Frömmigkeitsweges anbelangt in personaler als auch in theologisch-wissenschaftlicher Hinsicht -, da ohne gleichzeitige kritische Reflexion die Tendenz besteht, über Identifikationen die Neuerschaffung des Fremden als Eigenes zu substituieren.86 Sie erfordern andererseits zu viel, indem sie sowohl den Studierenden - mit einer individualisierten Lösungssuche - als auch den Lehrenden - als individualisierte Lösungsangebote - eine zu hohe Last auferlegen. Wissenschaftsgeschichtlich betrachtet, gehen sie zudem auf das Wissensvermittlungsniveau pastoraltheologischer Tradition zurück, das P. Drews bereits um 1900 angesichts der komplex werdenden Formen religiösen Volkslebens versagen sah.87 - Lösungsvorschläge der Gruppe (c), die Fragen der Frömmigkeit aus

81 Vgl. G. Traupe 1990, 44f. 82 Vgl. bereits, neben den o.g. Autoren, die EKD-Studie Evangelische Spiritualität von 1979: „... innerhalb der praktischen Theologie fehlt das systematische Nachdenken über Frömmigkeit und geistliches Leben. ... Das Einüben in Modelle gemeinsam gelebten Glaubens wurde theologischerseits nicht mehr begleitet." (26f) 83 Vgl. zur Favorisierung dieses Lösungsweges für die Studierenden G. Traupe 1990, 180; D. Engels 1990, 155.161ff mit Verweis auf diese Positionen auch bei P. Cornehl und H. Steinkamp. 84 Z.B. bei M. Josuttis 1991, 226. 85 Auf dem Hintergrund des Notstandes: Evangelische Spiritualität 1979, 54; aus prinzipieller Trennung: G. Traupe 1990, 233. 86 Zudem ist der Verweis auf Lösungsweg (a) angesichts der Massenuniversität tendenziell Augenwischerei (vgl. M. Josuttis 1991, 226; D. Stollberg 1989, 41; D. Engels 1990, 227). 87 Ferner sei mit H. Schröer daran erinnert, daß „das Theorie-Praxis-Problem nicht mehr im Sinne einer Meisterlehre gelöst werden kann. Es genügt nicht, jemanden bei einem tüchtigen Pfarrer nach dem Studium von Exegese bis Dogmatik in die praktische

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dem universitären Rahmen herauslösen, bedeuten häufig, die Ausbildung der spirituellen Kompetenz der Theologinnen und Theologen „den erwecklichen Bewegungen, den Gemeinschaften und Gruppen [zu] überlassen"88, woraus für gewöhnlich für die Gemeindearbeit eine unreflektierte einseitige Tradierung dieses Frömmigkeitsstroms folgt, die der faktischen Vielgestaltigkeit volkskirchlicher Frömmigkeit und außerkirchlicher Religiosität nicht gerecht werden kann, so daß es häufig an dialogischer Kompetenz mangelt. Auf den praktisch-theologischen Grundlegungsteil soll nun ein psychoanalytischer Grundlegungsteil (Hauptteil II) folgen, in dem die Dialogpartnerin für das pastoralpsychologische aszetische Projekt vorgestellt werden soll: die nachklassische, gegenwärtige Psychoanalyse mit ihren Definitionsschwierigkeiten, ihren unterschiedlichen Theorieebenen und ihrer eigenen Methodik. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den für dieses pastoralpsychologische Projekt relevanten Strömungen der Objektbeziehungs- und Selbstpsychologie und den sie aufgreifenden religionspsychologischen Theorien. Aufgrund des hier vertretenen Verständnisses von Pastoralpsychologie als einer theologischen Disziplin kann jedoch weder bei der psychoanalytischen noch bei der religionspsychologischen Perspektive stehengeblieben werden, sondern muß schließlich zu einer eigenen theologischen Perspektive hinübergewechselt werden, um von ihr aus Dialogprobleme zu benennen, um dann nach einer für beide Seiten verantwortbaren Dialogstruktur zu suchen und schließlich ein eigenes theologisches Verständnis von Pastoralpsychologie zu erarbeiten. Dies wird das Ziel des Grundlagenteils II bilden, bevor in den Hauptteilen III und IV der konkrete pastoralpsychologische Ansatz entfaltet wird.

Lehre als Vikar zu schicken, damit er nun auch richtig handele. Zwar lernen wir viel durch Nachahmung und durch Vorbilder, aber nur begrenzt erwerben wir Einsichten, wie sie einer wissenschaftlichen Reflexion des Handelns offenstehen." (1982, 153f) 88 Evangelische Spiritualität 1979, 32.

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TEIL Π

Prolegomena zur pastoralpsychologischen Grundlegung einer evangelischen Aszetik mit psychoanalytischer Dialog-Option 1. Psychoanalyse: Definition, Abstraktionsebenen, Anarchie der Metapsychologie Da im hier vertretenen pastoralpsychologischen Ansatz die Psychoanalyse als Dialogpartnerin gewählt wird, erweist es sich als notwendig, vorab grundlegende Fragen ihrer Definition, Theorieebenen und Methodik zu klären. Dies soll im folgenden Kapitel geschehen. Aus dem Selbstverständnis der Psychoanalyse heraus kann es keine .klassische' Definition der Psychoanalyse geben, denn sie versteht sich als ein interaktionales Geschehen im Wechselspiel zwischen Erfahrung im Prozeß analytischer Praxis einerseits und Theoriebildung andererseits. In den Worten ihres Begründers Sigmund Freud: „Sie tastet sich an der Erfahrung weiter, ist immer unfertig, immer bereit, ihre Lehren zurechtzurücken oder abzuändern".1 Ihr Theoriegebäude wie ihre Praxis sind „stets im Bau begriffen". 1923 definierte Freud .Psychoanalyse' wie folgt: „Psychoanalyse ist der Name 1. eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind; 2. einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich auf diese Untersuchung gründet; 3. eine Reihe von psychologischen, auf solchem Wege gewonnenen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen". 2

Die Psychoanalyse arbeitet auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen. Im folgenden will ich der in der Definition enthaltenen Staffelung von Ebenen nachgehen: Psychoanalyse als diagnostische bzw. therapeutische Methode sowie als eine psychologische Theorie. Dabei sollen zugleich wichtige Leitbegriffe geklärt werden. R. Wälder (1962) entwickelte ein Verstehens1 S. Freud 1923a, 229. Folgendes Zitat aus: H. Thomä/H. Kachele 1989, 3, vgl. Iff. Zur daraus resultierenden Theoriekrise vgl. dort: 13ff. 2 S. Freud 1923, 211.

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modell, in dem er die psychoanalytischen Abstraktionsebenen wie folgt staffelte: 1) Daten der Beobachtung in der Beziehung zur Patientin bzw. zum Patienten in der analytischen Situation; 2) die Ebene der individuellen klinischen Interpretation der beobachteten Daten (das Herstellen von Verbindungen zwischen den Einzeldaten, .Deuten'); 3) klinische Generalisierungen aus diesen Daten und Interpretationen (etwa in bezug auf Symptomtypen, Charaktertypen, Altersgruppen); 4) die klinische Theorie (mit Generalisierungen zu Konzepten wie Abwehr, Wiederkehr des Verdrängten, Regression, - welche wiederum eingesetzt werden, um Daten und Abstraktionen der unteren Ebene zu ordnen); 5) die Ebene der Metapsychologie (mit abstrakteren Konzepten wie psychische Energie, Eros, Todestrieb, Besetzung), welche sich allerdings nicht scharf von der klinischen Theorieebene trennen läßt; 6) (Freuds persönliche) philosophische Überlegungen, die insbesondere hinter den Konzepten der Metapsychologie stehen.3 Waelder spricht den aufsteigenden Abstraktionsebenen eine abnehmende Bedeutung für die Psychoanalyse zu. Am umstrittensten ist derzeit die Metapsychologie. Seit S. Freud haben sich die Anwendungsbereiche der Psychoanalyse erweitert. Das Interesse gilt inzwischen Fragen, die weit,jenseits der Couch', d.h. der klinischen Ebene, liegen. Die Psychoanalyse ist „vieles: eine Therapiemethode, eine Kulturtheorie und Anthropologie, ein Erkenntnisinstrument aufgrund eines eigenen Paradigmas, für manche sogar eine Subkultur. Sie ist aber auch eine Methode der Sozialforschung".4 In Freuds Definition ist die Reihenfolge und Relevanz der Ebenen unumkehrbar: Zum Verständnis und für die Entwicklung der psychoanalytischen Theorie bleibt die klinische Ebene, das Setting grundlegend. Anwendungen der Psychoanalyse auf nichtklinische Bereiche müssen deshalb auf die Methode des Settings zurückkommen und an ihr für den neuen Gegenstandsbereich adäquate Modifikationen entwickeln. Den wesentlichen Zugang zur Psychoanalyse und das zentrale Kompetenzelement bildet die eigene Analyse, ferner die eigene klinische Arbeit. 5 Den Gegenstand der Psychoanalyse bilden interpersonale vorbewußte und unbewußte Prozesse von Übertragung und Gegenübertragung. Sie erschließen sich methodisch über eine „beobachtende Teilnahme an einem szenischen Dialog mit dem

3 R. Wälder 1962. - Vgl. zur Kritik H . T h o m ä / H . Kachele 1989, 18f. Es sei festgehalten, daß diese Ebenentrennung nur theoretisch möglich ist, denn: „Schon bei der Beschreibung kann man es nicht vermeiden, gewisse abstrakte Ideen auf das Material anzuwenden, die man irgendwoher, gewiß nicht aus der neuen Erfahrung allein, herbeiholt" (S. Freud 1915a, 210). 4 J. Bendkower 1991, 7. Zur sozialwissenschaftlichen Psychoanalyse vgl. neben Bendkower ferner W. Mertens 1983, 12ff; ders. 1992m, 9-13; B. Görlich 1983; J. A. Schülein 1983. 5 W. Tress 1985, 386.

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nie zu erreichenden Ziel, alles kognitiv-emotionale Geschehen darin sinnvoll aufzuklären".6 Sofern sich eine Pastoralpsychologie für die Psychoanalyse als Gesprächspartnerin entscheidet, wird sie in deren wissenschaftliche Grundlagenproblematik hineingezogen. Der Pastoralpsychologe J. Scharfenberg z.B. verstand die Psychoanalyse als eine hermeneutische Wissenschaft.7 Dem stehen Ansichten gegenüber, nach denen Freud die Psychoanalyse als eine Naturwissenschaft aufgefaßt haben soll. So äußerte er z.B.: „Die Psychoanalyse ist ein Stück der Seelenkunde der Psychologie.... Die Psychologie ist auch eine Naturwissenschaft. Was sollte sie denn sonst sein?"8 1968 stellte der Philosoph J. Habermas Freuds Grundlegungsversuch der Psychoanalyse als Naturwissenschaft infrage. Er meinte, Freud sei dabei einem „szientistischen Selbstmißverständnis" erlegen.9 Freud habe, Habermas zufolge, eine Metahermeneutik als Metatheorie ausarbeiten wollen, sei jedoch an seinem Selbstwiderspruch gescheitert, da er sich entgegen seinem klinisch-tiefenhermeneutischen Vorgehen auf der Theorieebene als positivistischer Forscher ausgab. Freud sei aufgrund dieser Basis nicht in der Lage gewesen, seine eigene hermeneutische Vorgehensweise als diese zu begreifen und zu schätzen. In der Sicht von Habermas war Freud ein Hermeneutiker, ohne dies vollständig von sich akzeptieren zu können.10 Statt dessen habe er versucht, seine Deutungskunst von naturwissenschaftlichen Methoden her zu interpretieren und ihr ein naturwissenschaftliches Theoriemodell überzubauen. Habermas wollte demgegenüber die Metapsychologie als eine Metahermeneutik verstanden wissen." In dieser Arbeit lege ich ein Verständnis von Psychoanalyse zugrunde, demzufolge die Psychoanalyse sowohl hermeneutisch als auch szientistisch 6 A.a.O., 385. 7 Vgl. J. Scharfenberg 1968, 99ff; ders. 1972, 108; ders. 1990. Zur Geschichte der psychoanalytischen Hermeneutikdiskussion vgl. W . Mertens 1992m, 28-31 sowie H. T h o m ä / H . Kachele 1989, 19ff. Ihrer Meinung zufolge hat R. Waelder vielleicht überhaupt als erster von der psychoanalytischen Hermeneutik gesprochen (11). A. Lorenzer, der sich am dezidiertesten um eine tiefenhermeneutische Wissenschaftsgrundlegung bemüht hat, hat hierfür leider (wie übrigens auch J. Habermas 1968 sowie P. Ricoeur 1969) auf das metapsychologische Triebkonzept (das .ökonomische Prinzip') zurückgegriffen, das inzwischen als metapsychologischer Interpretationsrahmen als ungeeignet zurückgewiesen worden ist (s.u. 71f). 8 S. Freud 1940, 142f. Vgl. auch die Belege bei A. Grünbaum 1988 sowie dessen Position insgesamt. 9 Vgl. J. Habermas 1968. Vgl. zur hermeneutischen Sicht auch A. Lorenzer 1974. 10 Vgl. z.B. S. Freud: „Es kam jetzt darauf an, das Material, welches die Einfalle der Patienten lieferten, so aufzufassen, als ob es auf einen verborgenen Sinn hindeutete, diesen Sinn aus ihm zu erraten" (1923a, 215). 11 Vgl. für gegenwärtige Vertreter einer hermeneutischen Standortbestimmung der Psychoanalyse und zur detaillierten Diskussion W . Tress 1985, besonders „4. Die sprachphilosophische Neubestimmung der Psychoanalyse als Wissenschaft" (398ff) sowie C. Lesche 1986.

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zu verstehen ist, wobei jedoch hermeneutische Methoden den Vorrang haben.12 In der gegenwärtigen pastoralpsychologischen Debatte setzt besonders H. Wahl ein solches Wissenschaftsverständnis von Psychoanalyse voraus, wobei er sich besonders auf die Richtung der Selbstpsychologie als Dialogpartnerin bezieht. Wahl spricht sich gegen Diltheys Dichotomisierung von Erklären (der Natur) und Verstehen (des Seelischen) aus. Es handele sich nicht um Alternativen, sondern um ein Nacheinander, wobei der methodische Primat beim Verstehen liegt. Für die klinische Ebene heißt dies konkret: „Zuerst muß der Analytiker die (u.U. verschlüsselte bzw. verzerrte) Mitteilung des Patienten, dessen .Text' bzw. analog auch aridere, z.B. literarische Texte, verstehen, bevor er sich und dem Patienten erklären (.deuten') kann, worum es geht; wie und warum im Text einer Szene ein bestimmtes Erleben/Verhalten so und nicht anders ausgedrückt und kommuniziert wird." 13

Im Rahmen der von H. Kohut entwickelten Selbstpsychologie (s.u. Absatz 2.2.1) wird dieser hermeneutische Aspekt, das Verstehen, methodisch im Konzept der ,Empathie1 konkret. .Empathie' meint, abweichend vom alltäglichen Sprachgebrauch, nach Kohuts Konzeption eine spezifisch psychologische Beobachtungsmethode, die sich als durch psychoanalytische Maßstäbe kontrolliertes Eintauchen in Fremdseelisches vollzieht. Sie kann mit Kohut auch beschrieben werden als .vicarious introspection' (.Introspektion in Stellvertretung'). Sie zielt darauf, durch ein Gegenüber vermittelt, Grenzen der Selbstintrospektion partiell aufzuheben. „Gegenüber der strikten Subjekt-Objekt-Trennung im klassischen Wissenschaftsmodell, im Bereich externer Beobachtung, Datensammlung und Beschreibung ihm ist die extrospektive Methode angemessen - , kommt mit der psychoanalytischen Empathie, der stellvertretenden Introspektion also, konstitutiv eine Beziehungsstruktur ins Spiel, die mit dem Subjekt-Objekt-Schema nicht zu fassen ist." 14

Eine psychoanalytische Dialog-Option für eine Aszetik vorzuschlagen, impliziert die Zur-Kenntnisnahme und Integration gegenwärtiger Umbrüche 12 Vgl. bereits W. Loch 1971. Vgl. W. Mertens: „In der tiefenpsychologischen Vorgehensweise werden die Lücken im Verstehen des Analysanden und dessen Selbsttäuschungen mit Hilfe projektiver Vorannahmen empathisch zu verstehen gesucht; in diese Vorannahmen gehen aber nicht nur die Aktivierungen eigener lebensgeschichtlich erfahrener Bedeutungszusammenhänge mit ein, sondern auch gesetzmäßige Annahmen über die Natur der Störung, entwicklungspsychologische Abfolgen u.a.m., wobei die Auswahl dieser Theoriebestandteile selbst wiederum mit eigenen Erfahrungen zu tun haben kann." (1992k, 244, Herv. BS) 13 H. Wahl 1989, 201. 14 A.a.O., 202. Über Empathie erworbenes Wissen kann für freundliche wie für feindliche Absichten gebraucht werden (ebd.).

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in der psychoanalytischen Theorie und Methodik. Solche Veränderungen sind ihrerseits Antworten auf gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche. Während bei Freud und in der frühen Psychoanalyse noch die klassischen ,ödipaT strukturierten Neurosen mit sog. Trieb- und Uber-Ich-Konflikten (Normen- und Gewissenskonflikten) im Vordergrund standen, reagierten die moderne Psychoanalyse der frühen ,Objekt'-Beziehungen und die Selbstpsychologie auf tiefgreifende Beziehungsstörungen in der frühen Kindheit (sog. .Frühstörungen') und damit lebensbegleitende Selbstwertund Beziehungsdefizite. Anna Freud sprach bereits 1972 von einer „revolutionär-anarchischen" Lage der Psychoanalyse.15 Der Analytiker J. Sandler schlug angesichts der gegenwärtigen Vielfalt strittiger Standpunkte als pragmatische Minimaldefinition von .Psychoanalyse' vor: Psychoanalyse ist das, was Psychoanalytikerinnen und Analytiker in ihrer Praxis tun.16 Die Disparatheit, zu der die Umbrüche in der gegenwärtigen Psychoanalyse geführt haben, wird besonders auf der Ebene der von Freud begründeten .Metapsychologie', also der höchsten Ebene psychoanalytischer Theoriebildung, deutlich. Hier wird sichtbar, daß derzeit kein einziger ihrer Grundpfeiler mehr steht.17 Freud nannte vier „Grundpfeiler", auf denen die psychoanalytische Theorie ruhe: „die Annahme unbewußter seelischer Vorgänge, die Anerkennung der Lehre vom Widerstand und der Verdrängung, die Einschätzung der Sexualität und des Ödipuskomplexes".18 Für eine .Metapsychologie' gelten dementsprechend nach Freud die folgenden drei Gesichtspunkte: daß „es uns gelingt, einen psychischen Vorgang nach seinen dynamischen, topischen und ökonomischen Beziehungen zu beschreiben",19 d.h. „miteinander ringende Kräfte triebhaft-organischer Art (dynamisch), nach Maßgabe des Lust-Unlust-Prinzips (ökonomisch) im psychischen Apparat (topisch) zu lokalisieren"20. Wenngleich Freud anfänglich noch in der Metapsychologie „die Vollendung der psychoanalytischen Forschung"21 sah, betonte er doch später stark deren Vorläufigkeit.22 Besonders D. Rapaport undM. M. Gill (1959) machten sich als .Systematiker' der Psychoanalyse verdient. Sie ersetzten den .topischen' durch den 15 A. Freud, in: H . T h o m ä / H . Kachele 1989, 21. 16 Vgl. H . T h o m ä / H . Kachele 1989, 41. 17 Vgl. F. Pine 1990; W . Mertens 1981b; ders. 1992h, weitere Lit. dort: 138. 18 S. Freud 1923a, 223. 19 Ders. 1915b, 281. 20 W. Mertens 1992h, 136. Vgl. auch S. Freuds Minimaldefinition, in der er die Psychoanalyse auf die beiden Säulen von Übertragung und Widerstand stellte, insofern auch die Übertragung als Widerstand aufgefaßt werden kann (1933, 74). Auch diese Begriffe werden in der Gegenwart völlig disparat gefüllt. 21 S. Freud 1915b, 280. Als metapsychologische Schriften gelten nach J. Laplanche/ J. B. Pontalis (1972, 308): Entwurf einer Psychologie (1895, veröff. 1950); ders. 1900, Kap. 7; 1911; ders. 1920; ders. 1923a; ders. 1940. 22 Ders. 1925b, 58.

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strukturellen Gesichtspunkt. Ferner fügten sie den in Freuds Schriften implizierten .genetischen' und (besonders in der Ich-Psychologie ausgearbeiteten) .adaptiven' Aspekt als Betrachtungsweisen hinzu. Die Metapsychologie existierte in der durch Rapaport und Gill überarbeiteten Fassung bis in die siebziger Jahre fort. Die Vorwürfe an die Metapsychologie aus der gegenwärtigen Debatte faßt Mertens wie folgt zusammen: „daß sie für Stagnationen in der psychoanalytischen Theoriebildung verantwortlich sei, lediglich Pseudoerklärungen bereitstelle, eine naturwissenschaftliche Basis suggeriere und damit zugleich eine hermeneutische Forschung (die Bedeutungszusammenhänge rekonstruiert und nicht nach Ursachen und Wirkungen forscht) behindere, einen interdisziplinären Austausch mit anderen Wissenschaften erschwere und aus diesen Gründen schleunigst als Forschungsparadigma aufzugeben sei".23

Hauptkritikpunkte richten sich gegen Freuds mechanistisches Modell, in das er das physikalistische Energiemodell (und damit Energie-Metaphern) aus einer inzwischen veralteten Neurophysiologie einbettete. Bei der Suche nach Alternativen zur herkömmlichen Metapsychologie bot auch die Systemtheorie auf Dauer kein befriedigendes Ersatzmodell. In der Gegenwart herrscht in der psychoanalytischen Gemeinschaft Uneinigkeit über den Status und die wissenschaftliche Angemessenheit der Metapsychologie. Auch wenn sie in ihrer überkommenen Form in Verruf geraten ist, bleibt eine Theorie über das Unbewußte im Sinne eines Corpus von Hypothesen nötig, damit die Psychoanalyse nicht „zu einer rein geisteswissenschaftlichen Hermeneutik oder zu einer flachen empirischen Theorie" degeneriert.24 Mit F. Pine (1990) läßt sich innerhalb der gegenwärtigen Psychoanalyse von vier Theorieperspektiven sprechen: (1) der triebtheoretischen, (2) der objektbeziehungstheoretischen, (3) der ichpsychologischen und (4) der selbstpsychologischen. Ihr Verhältnis zueinander ist bislang weitgehend ungeklärt.25 Mertens plädiert mit Pine dafür, diese vier theoretischen Perspektiven nach wie vor miteinander zu verbinden: „Dann würde die triebpsychologische Dimension menschlichen Erlebens und Handelns und ihrer konflikthaften Äußerungen nicht notwendigerweise an Erklärungskraft verlieren, sondern nur durch Betrachtungsweisen ergänzt werden, die auch die verinnerlichten, gesellschaftlich, familial und individuell geformten Interaktionsrepräsentanzen (die immer mit Affekten verbunden sind), den Organisationsgrad der mehr oder weniger konflikthaft eingeschränkten Ich-Funk-

tionen und die Regulationsmodi des Selbstsystems mit einbeziehen."26

23 W. Mertens 1992h, 136, vgl. dort genannte Literatur und ders. 1921. 24 A.a.O., 137. 25 Vgl. H. Wahls Vorschläge für eine Verhältnisbestimmung zwischen selbstpsychologischer und triebtheoretischer Perspektive (1985a, 193ff). - Zur Kritik und neueren Entwicklungen vgl. W. H. König 1983. 26 W. Mertens 1981a, 262.

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Zusammenfassend sei zu einem ersten Überblick über die gegenwärtige Situation der Psychoanalyse, wie sie als Dialogpartnerin für das hier zu entwickelnde aszetische Projekt gewählt wird, festgehalten: Eine Definition der Psychoanalyse findet ihre Grenzen darin, daß Psychoanalyse ein interaktionales Geschehen ist und sich im Wechselspiel zwischen analytischer Praxis und Theoriebildung ständig weiterentwickelt. Eine Definition muß ferner die Staffelung unterschiedlicher Theorieebenen berücksichtigen (im Setting erhobene Daten, deren Interpretation, Generalisierungen dieser Interpretationen, klinische Theorie, Metapsychologie). Das Setting, die .unterste' Theorieebene, bleibt die grundlegende Ebene für die psychoanalytische Theorie. Die Metapsychologie als die höchste Theorieebene ist derzeit am stärksten umstritten. Sie weist die vier Hauptansätze von triebtheoretischen, ichpsychologischen, objektbeziehungstheoretischen und selbstpsychologischen Überlegungen auf, deren Beziehung zueinander derzeit weitgehend ungeklärt ist. Für den hier zu entwickelnden pastoralpsychologischen Ansatz einer evangelischen Aszetik sind die metapsychologischen Perspektiven der Objektbeziehungs- und Selbstpsychologie grundlegend, die auch derzeit im Zentrum gegenwärtiger psychoanalytischer Forschung stehen. Damit verschiebt sich die Aufmerksamkeit der gegenwärtigen Psychoanalyse und einer mit ihr im Dialog stehenden Pastoralpsychologie von den klassischen ödipal strukturierten Neurosen mit sogenannten Trieb- und Über-Ich-Konflikten auf Funktionsweisen (und Störungen) der Objektbeziehungen in der frühen Kindheit und auf daraus resultierende Neigungen, Beziehungsszenen in bestimmter Form zu gestalten und in ihnen auf spezifische Form als Person Ansehen zu gewinnen (das Selbstwertgefühl zu konsolidieren). Gegenstand der Psychoanalyse sind interpersonale vorbewußte und unbewußte Prozesse von Übertragungen und Gegenübertragungen. Der methodische Zugang zu ihnen geschieht im Setting über eine beobachtende Teilnahme an einem szenischen Dialog. - In diese metapsychologischen Ansätze der Objektbeziehungs- und Selbstpsychologie und in die Übertragungsformen als ihren wesentlichen Untersuchungsgegenstand soll das folgende Kapitel näher einführen.

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2. Psychoanalyse in Beziehung zur christlichen Religion 2.1. Der objektbeziehungstheoretische Ansatz Mit Ana-Maria Rizzutos Buch „The Birth of the Living God" (1979) begann eine neue Ära in der psychoanalytischen Religionspsychologie. Rizzuto war die erste Analytikerin, die die Anwendungsmöglichkeiten der Objektbeziehungspsychologie auf religiöse Sachverhalte systematisch reflektierte. Zugleich legte sie ausführliche klinische Studien auf dieser Ebene vor.1 Der objektbeziehungstheoretische Ansatz ermöglicht gegenüber dem triebtheoretischen Verstehensmodell der .klassischen' psychoanalytischen Religionspsychologie ein neues Verständnis von religiösen Phänomenen.2 Darstellungsversuche der objektbeziehungstheoretischen Strömung stehen vor der Schwierigkeit, daß sich lediglich auf einer Theorieebene eine spezifische Aussagengruppe konstruieren läßt, während auf der Sozialebene differente Gruppierungen und Einzelvertreterinnen und -Vertreter sichtbar werden, die jeweils unterschiedliche Termini prägten und in Einzelaussagen mitunter stark voneinander abweichen.3 Inzwischen ist verschiedentlich S. Freuds implizite Objektbeziehungspsychologie herausgearbeitet worden. Dennoch bleibt festzuhalten, daß zwar der Begriff der „Objektbeziehungen" bei Freud auftaucht, jedoch keinen systematisierenden Stellenwert in seiner klinischen Theorie oder gar Metapsychologie erhielt.4 Die Anfänge der Objektbeziehungstheorie liegen 1 Zur Einschränkung: Überlegungen hierzu gab es bereits vorher: vgl. J. McDargh 1983, 3f; W. W. Meissner (vgl. dazu hier: Literaturverzeichnis); P. W. Pruyser 1974. 2 Zu Beiträgen auf Ich-psychologischer Ebene vgl. J. McDargh 1983, 145, dort ist weitere Literatur genannt. 3 Vor dem Problem ihrer Disparatheit stand bereits Edward Glover in den vierziger Jahren am Anfang dieser Strömung, als er als Vorsitzender eines Ausbildungskomitees (für ein Memorandum) um einen Namen für diese Gruppe rang: „The (Pmiddle, Pmoderate, Pcompromise, Pcomposite, Premaining) Group (title uncertain)" (Memorandum vom 21. September 1942; zitiert bei R. L. Sorenson 1994, 643). - Die Theorienfülle läßt sich als verschiedene Narrative bzw. als „verschiedene rhetorische .sets of metaphors' lesen, die komplementär statt konkurrierend verschiedene Perspektiven auf menschliche Beziehungsgenese bieten" (vgl. H. Wahl 1994, 125). 4 Z.B. in S. Freud 1917b. Zum Stellenwert in der Theoriebildung vgl. J. Laplanche/ J.-B. Pontalis 1972, 340-344. - Aus den US-amerikanischen objektbeziehungs- und selbstpsychologisch orientierten Religionspsychologinnen und -psychologen arbeiteten besonders A.-M. Rizzuto (1979) und J. McDargh (1983) Freuds implizite Objektbeziehungspsychologie heraus und knüpften an diese an, während J. W.Jones (1991)

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in den dreißiger Jahren in Diskussionen zwischen orthodoxen Wiener (um A. Freud) und nichtorthodoxen Londoner Schulrichtungen der Psychoanalyse (um Melanie Klein [1882-1960] als prominenter Gegenspielerin Anna Freuds),5 wobei sich in London eine Mittelgruppe konstituierte. Letztlich wurde das Konzept von ichpsychologisch orientierten Analytikerinnen bzw. Analytikern nach und nach in die Theoriebildung eingeführt.6 Melanie Klein beeinflußte die vier führenden britischen Objektbeziehungstheoretiker der ersten Generation, wiewohl aufgrund der Differenzen nicht von Schülerschaft gesprochen werden kann: Michael Balint, Ronald Fairbairn, Harry Guntrip sowie Donald W. Winnicott.7 Fairbairns wichtige Revisionsthese gegenüber dem triebtheoretischen Ansatz bestand „in der Anerkennung des Prinzips, daß Libido primär objektsuchend ist; alle anderen Änderungen folgen direkt daraus".8 Das Verlangen des .Triebes' nach den Anderen verweist uns in Abhängigkeitsbeziehungen innerhalb eines sozialen Netzes und macht uns zu .ekstatischen Wesen'. Es ist erstaunlich, daß gerade der objektbeziehungspsychologische Ansatz in der deutschsprachigen theologischen Diskussion erst spät zur Wirkung kam, zumal diese Richtung in ihrer Entstehungsgeschichte auf theologische Anregungen zurückgegriffen hatte.9 Ronald Fairbairn studierte vor dem Ersten Weltkrieg, vor seiner medizinischen Ausbildung, Philosophie und Theologie an der Edinburger Universität. Von den theologischen Lehrern beeinflußte ihn besonders John MacMurray, der in seinen Gifford Lectures „The Form of the Personal" darum bemüht war, ein relationales Denkmodell in die Dogmatik einzuführen. Exemplarisch mag für seinen Ansatz folgende Aussage stehen: „That capacity for communion, that capacity for entering into free and equal personal relations is the thing that makes us human. ... the personal life demands a relationship with one another in which we can be our whole selves and have complete freedom to express everything that makes us what we are." 10

seinen selbstpsychologisch orientierten Entwurf alternativ zur klassischen Psychoanalyse Freuds versteht. In einen Dialog mit dem klassischen Modell tritt auch W. W. Meissner 1984. Vgl. auch N. Goldenberg: „Object relations theory itself has its source in Freud's work" (1992, 348, vgl. dort ihre Kritik an J. W. Jones' Distanzierung von Freud: 348). 5 Vgl. einführend zu M. Kleins Theorie H. Wahl 1994, 125ff. 6 Vgl. H. Thomä/H. Kachele 1989, 38ff; W. Mertens 1983, 11-18. 7 Vgl. J. D. Sutherland 1980; G. v. Minden 1988, 44ff.l36ff sowie den Textband von P. Kutter 1982. 8 R. Fairbairn 1982 [1946], 71, vgl. 79. 9 Vgl. zum Folgenden J. McDargh 1983, 206ff. - Zur Rezeption in den neunziger Jahren s.u. 345ff. 10 J. MacMurray, in: J. McDargh 1983, 206f. Zu MacMurrays Rezeption von M. Buber und zu dessen dialogischem Personalismus vgl. ebd.

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Fairbairn fand hierin eine wichtige Anregung dazu, seine klinische Aufmerksamkeit weniger auf blockierte Triebe zu konzentrieren und stattdessen zunächst seine psychoanalytische Theorie und Arbeit auf entwicklungsbedingte Blockaden in der Fähigkeit zur Gemeinschaft zu richten. Fairbairn spricht im Zusammenhang mit der Sehnsucht von Patientinnen und Patienten nicht nur von „health", sondern direkt von „salvation" aus dem Zustand eines „spiritual death". Die Not, von der Erlösung gesucht werde, sei die Bindung an schlechte innere .Objekte'11. „I consider further that what is sought by the patient who enlists psychotherapeutic aid, is not so much health as salvation from his past, from bondage to his (internal) bad objects, from the burden of guilt and from spiritual death."12 Bei Fairbairns Schüler13 und wichtigstem Interpreten Harry Guntrip wird der theologische Hintergrund noch offenkundiger, insofern Guntrip ein nicht-amtierender Pfarrer in England war.14 Er hatte sich der Psychoanalyse zugewandt, da er mit den rein kirchlichen Seelsorgemitteln und deren Wirksamkeit unzufrieden geworden war. Wie Fairbairn war auch er in seinen psychoanalytischen Auffassungen wesentlich von John MacMurray und Martin Buber beeinflußt. Guntrip setzt in seiner (impliziten) theologischen Anthropologie eine zentrale Annahme der Objektbeziehungspsychologie voraus: das menschliche Angewiesensein auf ein die Person wertschätzendes Gegenüber: „human beings have an absolute need for a personal environment that values us as persons".15 Er versteht das Wesen religiöser Erlösung als Bindung an ein gutes .Objekt'·. „Religion has always stood for the saving power of the good object relationship. Religion is distinguished from science as the historical form under which the therapeutic factor for personality ills has been recognized and cultivated.