Friedrich Heinrich Jacobi: Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit [1 ed.] 3787316795, 9783787316793

Ein »Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit« - mit diesem Wort hat Hegel, einer der zuvor schärfsten Kritiker Jacobis

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Friedrich Heinrich Jacobi: Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit [1 ed.]
 3787316795, 9783787316793

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W. JA E SC H K E / B . SA N DK AU L E N (HG.) Friedrich Heinrich Jacobi

ST U DI E N Z U M AC H T ZE H N T E N JA H R H U N DERT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 29

FELIX MEINER VERLAG · HAMBURG

WA LT ER JA E SC H K E / BI RGI T SA N DK AU L E N (HG.)

Friedrich Heinrich Jacobi Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit

FELIX MEINER VERLAG · HAMBURG

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V., der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-7873-1679-5

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Marcel Simon-Gadhof. Druck: Strauss, Mörlenbach. Buchbinderische Verarbeitung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DINISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XII

i. die reine fl amme des transzendentalen idealismus. probleme der transzendentalphilosophie Wilhelm Metz Die Objektivität des Wissens. Jacobis Kritik an Kants theoretischer Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Jürgen Stolzenberg Was ist Freiheit? Jacobis Kritik der Moralphilosophie Kants . . . . . . . .

19

Günter Zöller Fichte als Spinoza, Spinoza als Fichte. Jacobi über den Spinozismus der Wissenschaftslehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Marco Ivaldo Wissen und Leben. Vergewisserungen Fichtes im Anschluß an Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

ii. die reine metaphysik spinozas. eine aufgrabung mit folgen Marion Heinz Die Kontroverse zwischen Herder und Jacobi über Spinoza . . . . . . . . .

75

George di Giovanni Hen kai pan. Spinozafigurationen im Frühidealismus . . . . . . . . . . . . .

88

VI

Inhalt

Stephan Otto Spinoza ante Spinozam? Jacobis Lektüre des Giordano Bruno im Kontext einer Begründung von Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Andreas Arndt Mystizismus, Spinozismus und Grenzen der Philosophie. Jacobi im Spannungsfeld von F. Schlegel und Schleiermacher . . . . . . . . 126

iii. idealismus – skeptizismus – realismus Gottfried Gabriel Von der Vorstellung zur Darstellung. Realismus in Jacobis »David Hume«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Brady Bowman Notiones Communes und Common Sense. Zu den Spinozanischen Voraussetzungen von Jacobis Rezeption der Philosophie Thomas Reids. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Pierluigi Valenza Rationaler Realismus. Reinhold zwischen Fichte, Jacobi und Bardili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

iv. intermezzo Walter Jaeschke Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Jacobis Kritik der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Birgit Sandkaulen Daß, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen . . . . . . . . . . . . . 217

v. gemischte gefühle. transrationalität oder irrationalismus? Axel Hutter Vernunftglaube. Kants Votum im Streit um Vernunft und Glauben . . . 241 Wolfgang Bonsiepen Philosophie, Nichtphilosophie und Unphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Inhalt

VII

Oliver Koch Novalis und Jacobi – Vom Gefühl des Entzugs und Entzug des Gefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

vi. eine veränderte ansicht des logischen. versionen des idealismus Ulrich Schlösser Modifi kationen des Spinozismus. Jacobi und der spätere Fichte über Erkenntnis und Freiheit im Anschluß an die »Ethik« . . . . . . . . . . 301 Anton Friedrich Koch Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung. Hegels Wissenschaft der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Lu de Vos Unmittelbares Wissen und begriffenes Selbstbewußtsein des Geistes. Jacobi in Hegels Philosophie der Religion . . . . . . . . . . . . . 337

vii. abgesänge und neuanfänge Peter Jonkers Unmittelbares Wissen und absolutes Wissen. Göschels Aphorismen über Jacobis Nichtwissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Theo Kobusch Glaube und Vernunft. Zur Wirkung Jacobis in der Tübinger Schule und im spekulativen Theismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Klaus-M. Kodalle Salto Mortale: Kierkegaard und Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Christine Weckwerth Nachhegelsche Rekurse auf Jacobi. Feuerbachs anthropologische Aufhebung der Jacobischen Gefühlsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

Vorwor t

Der Untertitel dieses Bandes stammt von demjenigen, der zuvor einer der schärfsten Kritiker Jacobis gewesen ist: von Hegel. Anläßlich von Jacobis Tod im Jahr 1819 schreibt er an Friedrich Immanuel Niethammer, man fühle »sich immer verlassen, je mehr dieser alten Stämme, zu denen [man] von Jugend an hinaufgeschaut hat, eingehen. Er war einer von denen, die einen Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit sowie der Individuen formierten und die für die Welt, in der wir uns unsere Existenz vorstellen, einer der festen Halte waren.« Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit – treffender als mit diesem Wort läßt sich ein Unternehmen nicht charakterisieren, das sich der herausragenden Bedeutung Friedrich Heinrich Jacobis (1744–1819) im Kontext der klassischen deutschen Philosophie vergewissern will. Denn darum handelt es sich tatsächlich: um einen Wendepunkt, dem die Epoche nicht weniger als Kants transzendentalphilosophischer Revolution ihr intellektuelles Profil verdankt. Dies mag auf Anhieb immer noch seltsam klingen, nachdem eine lange philosophiegeschichtliche Tradition Jacobis Werk zu Unrecht marginalisiert und unter dem Titel »Glaubensphilosophie« begraben hat. Anders die Zeitgenossen: abwegig wäre es ihnen erschienen, die oft genug seismographischen, immer probleminventiven und zumeist provokativen Texte dieses Philosophen und Romanautors zu unterschätzen. Kein Wunder daher, daß Jacobi wie kaum ein anderer seiner Zeit mit nahezu allen bedeutenden Geistern in persönlicher Verbindung stand. Und kein Wunder auch, daß er es war, der die epochalen »Streitsachen« der klassischen deutschen Philosophie maßgeblich angestoßen und vorangetrieben hat. Im Zusammenhang des »Pantheismusstreits« (1785 / 89) hat er seinen Zeitgenossen den Rang der Philosophie Spinozas erschlossen. Er war dann auch einer der ersten Kritiker Kants, der mit seinen dem »Ding an sich« geltenden Analysen (1787) die Kant-Rezeption bis in die Gegenwart bestimmt. Durch seine Stellungnahme zum »Atheismusstreit« (1799) hat er wenig später massiven Einfluß auf das Verständnis der Transzendentalphilosophie

X

Walter Jaeschke / Birgit Sandkaulen

Fichtes genommen und zugleich den Übergang Fichtes zur Spätphilosophie inspiriert. Und nicht zuletzt bildet sein Streit mit Schelling über den Begriff des Theismus (1811 / 12), der unter anderen auch Goethe und Friedrich Schlegel involvierte, eine der letzten großen Kontroversen um die Gestalt einer philosophischen Theologie, die im Konzept der Person ihr Zentrum sieht. Daß die Forschung zu ihrem eigenen Schaden die mit diesen Bemerkungen nur angedeuteten Problemdimensionen für lange Zeit gar nicht oder nur ungenügend wahrgenommen hat, ist das eine. Das andere, um so Erfreulichere, ist, daß die Einschätzung Jacobis sich zu ändern beginnt. In diesem Kontext stehen die Edition seines Briefwechsels durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften wie auch die historisch-kritische Gesamtausgabe seiner Werke, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Bei den Symposien der »Philosophisch-literarischen Streitsachen« (1989–1992) erwies sich Jacobis Denken als der rote Faden aller Diskussionen. Neuere Auseinandersetzungen mit seinem Werk unterstreichen seine Relevanz. Auch im Ausland, insbesondere in Italien, zieht Jacobi wachsende Aufmerksamkeit auf sich. Vor diesem Hintergrund haben die Herausgeber in enger Zusammenarbeit den Plan gefaßt, Jacobi in den Mittelpunkt einer Tagung zu rücken, bei der es die ganze Breite und produktive Vernetzung seines philosophischen Wirkens zu erschließen und neue Forschungsperspektiven zu eröffnen galt. Der vorliegende Band dokumentiert das Ergebnis, für dessen Zustandekommen wir allen Autoren, aber auch allen denen, die über die Vortragenden hinaus an den intensiven Diskussionen mitgewirkt haben, sehr herzlich danken. Auf das offene Engagement und Interesse aller ist zurückzuführen, daß sich unser Konzept bis auf das Desiderat der Beiträge zu Schelling und Schopenhauer in die Tat umsetzen ließ. Besonders gefreut hat uns, daß es gelang, uns an den symbolträchtigen Orten unserer Wahl zu versammeln, nämlich im April 2002 am Ort der klassischen deutschen Philosophie in Jena und im Mai 2003 in unmittelbarer Nachbarschaft zu Jacobis Pempelfort in Düsseldorf. Der Gastfreundschaft, die uns die Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Direktor des Goethe-Museums Düsseldorf, Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Volkmar Hansen, gewährt haben, gilt deshalb unser besonderer Dank. Für die Gesamtförderung der Tagung danken wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die uns trotz karger werdender Mittel zur Realisierung unseres Unternehmens verholfen hat. Unser Dank gebührt ferner der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die die beiden Sequenzen jeweils zusätzlich unterstützt und so zum Gelingen der Tagung

Vorwort

XI

wesentlich beigetragen haben, sowie der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V., die zusammen mit den Genannten den Druck dieses Bandes ermöglicht hat. Bochum und Jena im Januar 2004 Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen

Siglen

AA

AB FGW FS

GA

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JBW

JWA

KFSA PLS SW V WW

Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1900 ff. Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel. 2 Bde., hg. von Fr. Roth, Leipzig 1825 / 1827, ND Bern 1970. Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, hg. von Werner Schuffenhauer, Berlin 1967 ff. Jakob Friedrich Fries, Sämtliche Schriften. 6 Abteilungen. Nach den Ausgaben letzter Hand zusammengestellt, eingeleitet und mit einem Fries-Lexikon versehen von G. König / L. Geldsetzer, Aalen 1967 ff. Johann-Gottlieb-Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von R. Lauth / H. Jacob / H. Gliwitzky / E. Fuchs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff. Friedrich Heinrich Jacobi, Briefwechsel. Gesamtausgabe, begründet von M. Brüggen und S. Sudhof, hg. von M. Brüggen / H. Gockel / P.-P. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 ff. Friedrich Heinrich Jacobi, Werke. Gesamtausgabe, hg. von K. Hammacher / W. Jaeschke, Hamburg, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff. Friedrich Schlegel, Kritische Ausgabe. 22 Bde, hg. von E. Behler u. a., Paderborn, München, Wien, Zürich 1957 ff. Philosophisch-literarische Streitsachen. 4 Doppelbände, hg. von W. Jaeschke, Hamburg 1990–1995. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämtliche Werke, hg. von K. F. A. Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856 ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Hamburg 1983 ff. Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, hg. von Fr. H. Jacobi / J. Fr. Köppen / Fr. Roth, Leipzig 1812–1825, ND Darmstadt 1968.

I. DIE REINE FLAMME DES TRANSZENDENTALEN IDEALISMUS. PROBLEME DER TRANSZENDENTALPHILOSOPHIE

Die Objektivität des Wissens. Jacobis Kritik an Kants theoretischer Philosophie von Wilhelm Metz

Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in vier Teile. In einem ersten Schritt wird Jacobis Kritik der theoretischen Philosophie Kants anhand seiner Beylage über den transzendentalen Idealismus dargestellt, die Jacobi seiner Schrift David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch beigefügt hat. Die Hauptstoßkraft der Jacobischen Kant-Kritik soll zweitens anhand der Schrift Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen weiter verdeutlicht werden. Während in diesen ersten beiden Teilen Jacobis negative These, der zufolge der Kantische Idealismus die Möglichkeit eines objektiven Wissens ausschließt, im Mittelpunkt steht, soll im dritten Teil Jacobis positive Darstellung des objektiven Wissens anhand seiner Schrift David Hume herausgearbeitet werden. Dieser positive Begriff bildet die Kontrastfolie, vor der die Kant-Kritik ihre Schärfe gewinnt. In einem letzten Teil gilt es, die Kantische Konzeption des objektiven Wissens zu skizzieren, die sich von Jacobis Begriff prinzipiell unterscheidet. Obwohl beide Denker einen ganz unterschiedlichen Begriff der Objektivität ihren Überlegungen zugrunde legen, trifft Jacobis Kritik etwas an Kant, das sich kantimmanent nicht auflösen läßt. Dies begründet die Bedeutung der Jacobischen Kritik für die nachkantische Philosophie der klassischen Neuzeit, auf die abschließend kurz vorgeblickt werden soll.1

Zu Jacobis Kant-Kritik sind folgende Arbeiten zu erwähnen: F. A. Schmid, Friedrich Heinrich Jacobi. Eine Darstellung seiner Persönlichkeit und seiner Philosophie als Beitrag zu einer Geschichte des modernen Wertproblems, Heidelberg 1908, 260 f.; Valerio Verra, F. H. Jacobi: Dall’ Illuminismo all’ Idealismo, Turin 1963; Günther Baum, Vernunft und Erkenntnis. Die Philosophie F. H. Jacobis, Bonn 1968, 51 f.; Klaus Hammacher, Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, München 1969, 131 f.; Karl Homann, F. H. Jacobis Philosophie der Freiheit, Freiburg/München 1973, 135 f.; Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, besonders 116 f. 1

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Wilhelm Metz

I. Die Kant-Kritik der »Beylage über den transzendentalen Idealismus« An einer berühmten Stelle seiner Beylage zum David Hume weist Jacobi auf eine innere Widersprüchlichkeit des Kantischen Systems hin. Ohne die Voraussetzung realer Eindrücke von außen sei es unmöglich, in das Kantische System hineinzukommen; mit dieser Voraussetzung jedoch könne man in diesem System nicht bleiben (JWA 2, 109). Dieser von Jacobi konstatierte Selbstwiderspruch der Kantischen Philosophie soll im folgenden noch einmal genau bestimmt werden, um von hier aus Jacobis grundsätzliche Kritik an Kant in den Blick zu bekommen. Die o. g. Voraussetzung ergibt sich für Jacobi zwangsläufig aus der Kantischen Konzeption der »Sinnlichkeit«. Denn da uns bei Kant Vorstellungen von außen gegeben werden – angefangen von den sinnlichen Empfindungen bis hin zu den besonderen Gesetzen der Natur, die wir nur empirisch in Erfahrung bringen –, muß von einer ebenso wahrhaften wie in sich strukturierten äußeren Realität und Objektwelt ausgegangen werden, die vom erkennenden Subjekt real verschieden ist und der gegenüber sich das Subjekt rezeptiv verhält. Das »Wort Sinnlichkeit ist ohne alle Bedeutung, wenn nicht ein distinctes reales Medium zwischen Realem und Realem, ein wirkliches Mittel vo n E t wa s z u E t wa s darunter verstanden werden, und in seinem Begriffe, die Begriffe von außereinander und verknüpft seyn, von Thun und Leiden, von Causalität und Dependenz, a l s r e a l e n u nd obj e c t ive n B e s t i m mu n g e n schon enthalten seyn sollen; und zwar dergestalt enthalten, daß die absolute Allgemeinheit und Nothwendigkeit dieser Begriffe als frühere Voraussetzung zugleich mit gegeben sey« (JWA 2, 109). Was Jacobi hier in bezug auf die Kantische Philosophie ausführt, läßt sich folgendermaßen weiter auslegen. Die Lehre von der Sinnlichkeit bzw. Rezeptivität besagt, daß das Gemüt durch wirkliche »Eindrücke« (JWA 2, 109) affiziert werde, die realiter eine äußere Ursache haben müssen, die letztlich im Ding an sich angesetzt werden muß. Die in der Lehre von der Sinnlichkeit gedachte Einwirkung bzw. Kausalität kann nicht aus dem Erkenntnisvermögen, etwa dem Verstande und seinen Synthesisleistungen, abgeleitet werden, sondern muß als ein realer Vorgang angesehen werden, der den Erkenntnisprozeß in Gang bringt. Die äußere Ursache der Vorstellungen ist somit realiter vom erkennenden Subjekt verschieden und getrennt, weil ›außer‹ demselben. Diese wirkliche Ursache muß weiterhin auf die Sinnlichkeit einwirken, dieselbe affizieren können, was ein ›reales Medium zwischen Realem und Realem‹ voraussetzt; somit müssen die Begriffe »außereinander« und »verknüpft seyn«, »Causalität« und »Dependenz« eine objektive, von den subjektiven Formen der Erkenntnis unabhängige, weil ihnen vorausgehende Bedeu-

Die Objektivität des Wissens

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tung und Realität haben. Indem Kant von einer Sinnlichkeit spricht, setzt er implizit jene realen und im Jacobischen Sinne objektiv gültigen Kategorien voraus, die im David Hume abgeleitet werden. Diese Ableitung ›objektiver‹ Kategorien, auf die unten näher eingegangen werden soll, setzt Jacobi bekanntlich der transzendentalen Deduktion der Kategorien, die in Kants Kritik der reinen Vernunft durchgeführt wird, entgegen (vgl. JWA 2, 57). In der Kantischen Erkenntniskonstruktion wird die Selbsttätigkeit des Vorstellungs- und Erkenntnisvermögens, d. i. das Vermögen der Spontaneität, von dem Vermögen, Vorstellungen zu empfangen, d. i. der Rezeptivität, eigens unterschieden; daher läßt sich die letztere nicht in eine Selbsttätigkeit des vorstellenden Subjekts auflösen oder aus ihr verstehen. Dank seiner Rezeptivität ist das erkennende Subjekt vielmehr auf eine reale Objektivität und Außenwelt bezogen, welcher Sachverhalt eine weitreichende Konsequenz hat. Wenn nämlich die objektive »Gültigkeit unserer Wahrnehmung von Gegenständen außer uns als Dingen an sich, und nicht als blo s subjectiver Erscheinungen« vorausgesetzt wird – welches nach Jacobi die implizite Voraussetzung der Kantischen Lehre von der Sinnlichkeit sein muß –, so liegt darin notwendig auch »die Ueberzeugung von der objectiven Gültigkeit unserer Vorstellungen vo n d e n no t hwe nd i g e n B e z i e hu n g e n dieser Gegenstände auf einander und ihrer wesent l ichen Verhält n isse , als objec t iv realer B est i m mu ngen« (JWA 2, 109). Sobald demnach überhaupt, wie wir Jacobis These umschreiben könnten, von wirklichen sinnlichen Wahrnehmungen dergestalt gesprochen wird, daß die objektiven Gehalte bzw. Gegenstände derselben nicht vom Subjekte erzeugt und bestimmt, sondern hingenommen und rezipiert werden, weil sie ihm als realiter außer ihm seiend offenbar sind, sind notwendig auch die Beziehungen und Verhältnisse, in denen sich die Gegenstände zueinander befinden, nicht als vom Subjekte bloß vorgestellt und erdacht, sondern als ›objektiv reale Bestimmungen‹ zu beurteilen. Kurz: Sowie die objektive Gültigkeit der einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen bzw. die objektive Realität der von ihnen erfaßten Gegenstände eingeräumt wird, muß folgerichtig auch der ganzen Ordnung, in der die wahrgenommenen Gegenstände erscheinen, eine objektive Realität zuerkannt werden, die vom erkennenden Subjekte unabhängig ist und die von ihm zwar erfaßt, aber keineswegs konstituiert wird. Die an sich seiende, objektive Gültigkeit der einzelnen Wahrnehmungsgehalte bzw. -gegenstände zieht die objektive Realität ihrer internen Gesamtordnung unweigerlich nach sich. Kants Lehre von der Sinnlichkeit ist somit nur in einer Position des unbedingten Realismus 2 nachvollziehbar. Zu Jacobis Theorie des »Realismus« siehe Baum (Anm. 1), 23 f. und Hammacher (Anm. 1), 38 f. 2

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Wilhelm Metz

Während man ohne die Voraussetzung eines solchen Realismus nicht in Kants Philosophie hineinkommt, weil man ohne sie der Lehre von der Rezeptivität keinen Sinn geben kann, vermag man jedoch mit dieser Voraussetzung nicht in Kants System zu bleiben, das einen entschiedenen, von Kant als transzendental bezeichneten Idealismus vertritt. Jacobis Beylage führt in ihrem Beginn längere Textpassagen aus der KrV an, die für Jacobi unmißverständlich den Kantischen Idealismus belegen, der bereits mit der Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit feststeht. Die Lehre von der Idealität bzw. Subjektivität von Raum und Zeit beinhaltet nämlich für Jacobi, daß alle Erscheinungen, die uns nur in Raum und Zeit gegeben werden, ebenfalls bloß subjektive Vorstellungen sein können. Was wir als außer uns anschauen, schauen wir in Wahrheit gemäß der Kantischen Lehre nur in der Form des äußeren Sinnes an, der durchaus in uns selbst ist. Und die Veränderungen, die wir an den Dingen bemerken und ihnen selbst zuzusprechen geneigt sind, sind in Wahrheit nur ein »Wechsel unserer eigenen Vorstellungen«, wie Jacobi aus Kant zitiert. 3 »Also«, so lautet Jacobis Befund, »was wir Realisten würkliche Gegenstände, von unseren Vorstellungen unabhängige Dinge nennen, das sind dem transscendentalen Idealisten nur innerliche Wesen, d i e g a r n i c ht s vo n d e m D i n g e , d a s e t wa au s s e r u n s s e y n , o d e r wor au f d i e E r s c h e i nu n g s i c h b e z i e h e n m ag , d a r s t e l l e n , s o nd e r n vo n a l le m w ü r k l i c h obj e c t ive n g a n z l e e r e bl o s s u bj e c t i v e B e s t i m mu n g e n d e s G e müt h s« (JWA 2, 106 f.). Weil die einzelnen Erscheinungen, die wirklichen Gegenstände des Realisten, bei Kant als bloß subjektive Vorstellungen eingestuft werden, kann auch die interne Ordnung derselben nur als etwas Subjektives, vom Subjekt lediglich Erdachtes angesehen werden. Jacobi belegt diese Konsequenz, die sich aus Kants transzendentalem Idealismus ergibt, mit einer Stelle aus der A-Deduktion der Kategorien, wo Kant schreibt: »Auch die Ordnung und Regelmäßigkeit in den Erscheinungen, die wir N at u r nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt«. 4 Sowohl die einzelnen Elemente des Wissens, die sinnlichen Wahrnehmungen bzw. Erscheinungen, als auch der geordnete Zusammenhang derselben in Jacobi bezieht sich (JWA 2, 107) auf die folgende Stelle bei Kant: »Hierauf aber kommt man bald, wenn man sich besinnt, daß Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern das bloße Spiel unserer Vorstellungen sind, die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinnes auslaufen« (KrV, A 101). 4 KrV, A 125; von Jacobi zitiert JWA 2, 107. 3

Die Objektivität des Wissens

7

der Erfahrung, durch den es für uns erst eine ›Natur‹ geben kann, stellen somit bei Kant etwas schlechthin Subjektives dar. Diese Subjektivität bzw. Bewußtseinsimmanenz wird von Kant so nachhaltig unterstrichen, daß die äußere Ursache der sinnlichen Erscheinungen, die Kants Lehre von der Sinnlichkeit voraussetzt, als völlig unbekannt und unerkennbar eingestuft werden muß. »Denn wenn […] auch e i n g e r äu m t werden kann, daß diesen blos subjectiven Wesen, die nur Bestimmungen u n s e r e s e i g e n e n We s e n s sind, ein transscendentales Etwas als U r s ac h e entsprechen m a g ; so bleibt doch in der tiefsten Dunkelheit verborgen, wo diese Ursache, und von was Art ihre Beziehung auf die Würkung sey« (JWA 2, 110). Während in Kants Erkenntniskonstruktion das apriorische und das aposteriorische Element als aufeinander abgestimmt und sich gegenseitig ergänzend dargestellt werden, ist es für Jacobis Kant-Deutung charakteristisch, die beiden Elemente der Erkenntnis scharf gegeneinander zu stellen und zwischen ihnen einen unüberbrückbaren Widerspruch aufzudecken. Die Empfänglichkeit für das aposteriorische Element setzt nämlich nach Jacobi eine realistische, die Lehre von den apriorischen Formen der Erkenntnis hingegen eine idealistische Position voraus, welche Positionen nicht gleichzeitig Bestand haben können. Während Kant, wie Jacobi selbst hervorhebt, den transzendentalen Idealismus mit dem empirischen Realismus für vereinbar hält, 5 beurteilt Jacobi den letzteren als nur scheinbaren Realismus, weil eben die tiefere (transzendentale) Ansicht jeden Realismus ausschließt; denn dasjenige, was empirisch als selbstständige und äußere Wirklichkeit anerkannt wird, weist der Transzendentalphilosoph als ein Spiel bloßer Vorstellungen nach. Der transzendentale Idealismus schneidet uns, so Jacobis Urteil, von jeder an sich seienden und in diesem (jacobischen) Sinne objektiven Wirklichkeit ab. »Aber diese Gesetze unseres Anschauens und Denkens sind, wenn man von der menschlichen Form abstrahiert, ohne alle Bedeutung und Gültigkeit, und geben über die Gesetze der Natur an sich nicht die entfernteste Weisung. Weder der Satz des zureichenden Grundes, noch selbst der Satz, daß aus Nichts Nichts werden kann, geht [sc. bei Kant] die Dinge an sich an. Kurz unsere ganze Erkenntniß enthält nichts, platterdings nichts, was irgend eine wa h rh a f t objective Bedeutung hätte.« (JWA 2, 111) Kants theoretische Philosophie ließe sich also nur dann, wie Jacobis abschließendes Resümee lautet, in eine innere Übereinstimmung mit sich selbst bringen, wenn sie ihr realistisches Element ganz über Bord werfen, den »kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist,« behaupten und dabei

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Vgl. KrV, A 28, B 44.

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Wilhelm Metz

»selbst vor dem Vorwurfe des spekulativen Egoismus sich nicht […] fürchten« würde (JWA 2, 112). Weil Fichte, wie Jacobi später urteilen wird, diesen Schritt zu einem konsequenten Idealismus getan hat, der Alles, nämlich das Ich und das Nicht-Ich, aus dem setzenden Ich allein ableitet, 6 wird Jacobi ihn als den »König« der »speculativen Vernunft« (JWA 2, 196) ansprechen, der den subjektivistisch-idealistischen Grundansatz der Transzendentalphilosophie folgerichtig durchführt und auf die Spitze treibt.

II. Die Kant-Kritik in der »Kritizismus«-Schrift In der im Jahre 1801 erstmals publizierten Schrift Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen entwickelt Jacobi eine Kritik am Kantischen System, dem er erneut eine »Uneinigkeit […] mit sich selbst, gleich in der Grundlage« (JWA 2, 269), d. i. einen fundamentalen Selbstwiderspruch vorhält. Das Grundgebrechen dieses Systems, »seine Chamäleonfarbe« besteht darin, »daß es halb a priori, halb empirisch seyn, zwischen Idealismus und Empirismus in der Mitte schweben soll«.7 Die KantKritik dieser Schrift bezieht jetzt ausdrücklich auch die zweite Auflage der KrV mit ein, in der die Frage »Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?« an die Spitze des Gesamtwerkes rückt. 8 Im Vorbericht der Kritizismus-Schrift stellt Jacobi die Kantische Lehre von den synthetischen Urteilen a priori als eine Antwort auf den Skeptizismus David Humes dar, der »sehr lehrreiche und die Wissenschaft befördernde Zweifel« gegen die Annahme der reinen synthetischen Prinzipien (JWA 2, 265) vorgebracht habe. Kant vermag den Humeschen Behauptungen nur dadurch entgegenzutreten, daß er in Bezug auf die »Erfahrung« eine Unterscheidung macht. Kant nämlich »räumt dem Gegner [Hume] ein: der Verstand könne einer w i rk l i c h e n Erfahrung, (einer Erfahrung von Gegenständen, die wirklich außer u n s e r m Subjekt vorhanden, nicht blose

Vgl. Fichtes Satz »Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen« (GA I/2, 271 f.). 7 Ebd. – Der Doppelcharakter der Kantischen Philosophie hat ihr jedoch gerade nach Jacobi »bei dem größeren Publikum« (ebd.) zu Ansehen verholfen, weil Kant auf vielfältige Weise gelesen und interpretiert werden kann, welche Interpretationen jeweils gute Belege in Kants Text finden. Dessen in sich widersprüchliches System erlaubt es jedem, sich »nach beliebigem Geschmack in demselben einzurichten« (JWA 2, 270). 8 KrV, B 19. 6

Die Objektivität des Wissens

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Erscheinungen wären,) allerdings nicht vorgreifen; einer Erfahrung blos in der Einbildung hingegen (einer durchaus subjectiven) müsse er nothwendig vorgreifen, indem das Einbilden allein durch ein solches Vorgreifen nach Gesetzen blos des Einbildens ( K at e gor i e n) möglich werde« (JWA 2, 266). Eine Antizipation der Erfahrung durch apriorische Begriffe und Urteile ist nach Kant also nur möglich, weil die letzteren sich nicht auf die Dinge an sich beziehen, sondern lediglich auf die Erscheinungen. Sie antizipieren daher auch bloß, wie die Erscheinungen von uns gedacht und bestimmt werden müssen; sie betreffen nicht, wie Jacobi formuliert, die ›wirkliche‹ Erfahrung, die Erfahrung von ›wirklichen‹ Gegenständen, sondern bloß eine Erfahrung in der Einbildung. 9 Kants Widerlegung des Humeschen Skeptizismus und seine Verteidigung eines apriorischen Systems der Erkenntnis ist allein durch die sogenannte kopernikanische Wende möglich, die der allgemein verbreiteten Ansicht, »unsere Erkenntniß müsse sich nach den Gegenständen richten«, entgegensetzt, daß »sich doch umgekehrt die Gegenstände nach unserer Erkenntniß richten müßten« (JWA 2, 267). Genau diese Wende impliziert jedoch für Jacobi, daß die wirklichen Gegenstände in ihrem Ansichsein für das Erkennen unerreichbar werden; zufolge der »zwischen dem Objekt und Subjekt vorgenommenen philosophischen Theilung« wird nämlich »das zu Erkennende dem Erkennenden ganz entrückt und auf ewig von ihm getrennt« (JWA 2, 268). Die besondere Konsequenz, die in der Kritizismus-Schrift aus diesem Befund gezogen wird, betrifft das Erkenntnisvermögen selbst. Dieses nämlich verwandelt sich, wenn es von seinem Gegenstand getrennt wird, für uns ebenfalls in ein unbekanntes und unerkennbares X. Denn wenn die natürliche (realistische) Überzeugung gebrochen wird, nach der sich unsere Vorstellungen auf wirklich außer uns liegende Gegenstände beziehen und durch sie, z. B. als Wahrnehmungen, auch inhaltlich bestimmt werden, so muß von einer idealistischen Position hingegen eine innere Quelle der Vorstellungen und ihrer Gehalte angenommen werden. Und diese Quelle ist, in Jacobis

Ganz entsprechend hatte Jacobi in der Beylage zum David Hume folgendermaßen unterschieden: »Unsere allgemeinen Vorstellungen, Begriffe und Grundsätze drücken nur die wesentliche Form aus, in welche jede besondere Vorstellung und jedes besondere Urtheil, zufolge der Beschaffenheit unserer Natur sich fügen muß, um in Einem allgemeinen oder transscendentalen Bewustseyn aufgenommen und verknüpft werden zu können, und dergestalt relative Wahrheit, oder relativ objective Gültigkeit zu erhalten. Aber diese Gesetze unseres Anschauens und Denkens sind, wenn man von der menschlichen Form abstrahiert, ohne alle Bedeutung und Gültigkeit, und geben über die Gesetze der Natur an sich nicht die entfernteste Weisung.« (JWA 2, 110 f.) 9

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Deutung, bei Kant die Einbildungskraft, die »die e i n e Grundkraft des Gemüths« ist, während »alle übrigen angeblich verschiedenen Kräfte desselben nur Modifikationen von ihr« darstellen (JWA 2, 266). Denn die produktive Einbildungskraft erzeugt Vorstellungen, die sie als reproduktive festhält und stabilisiert (JWA 2, 290f.). Auf ihr beruhen alle Erkenntnisvermögen, denn durch sie ist unser Bewußtsein überhaupt erst mit Vorstellungen versorgt. Sie selbst aber beruht auf Nichts. »Sie ist [bei Kant] die wahrhafte Schildkröte, der absolute Grund, das Wesende in allen Wesen« (ebd.). Seine Hauptfrage »Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?« hat Kant nach Jacobi nicht beantwortet und auch nicht beantworten können, weil eine reine Synthesis, die vor aller empirischen Erfahrung sich vollziehen soll und sich daher auch nicht auf sinnliche Gehalte beziehen kann, eine gleich ursprüngliche Antithesis voraussetzen müßte, um überhaupt einen reinen, apriorischen Bezugsgegenstand zu haben. »Sollte nämlich eine Synthesis a priori e rk l ä r t werden, so hätte man zugleich eine reine Antithesis e rk l är e n müssen« (JWA 2, 271). Doch bei Kant wird, inkonsequenterweise, eine reine Synthesis »ohne vorhergegangene Antithesis« gedacht. »Das Mannichfaltige für die Synthesis ward von ihm empirisch vorausgesetzt, und sollte dennoch bleiben, wenn man von allem Empirischen abstrahirte; eine solche sich selbst betrügende Voraussetzung betrog den Schöpfer des Systems samt seinem Systeme, und zeigte sich durch alle einzelnen Zweige desselben unter den verschiedensten Gestalten.« (JWA 2, 271) Ein möglicher Lösungsvorschlag dieses Problems, der den apriorischen Bezugsgegenstand für die reine Synthesis in Raum und Zeit ansetzt – dergestalt, daß sich die reine Verstandessynthesis ursprünglich auf die reinen Formen der Sinnlichkeit bezieht und vermittelst derselben die Erscheinungen einer apriorischen Ordnung einfügt 10 –, wird von Jacobi als in sich widersprüchlich zurückgewiesen, da Raum und Zeit bei Kant auf eine doppelte Weise charakterisiert werden. Zum einen sind sie »bloße Formen der äußern sinnlichen Anschauung, liefern aber als solche ein mögliches Mannichfaltiges a priori zu einem möglichen Erkenntniß. Sie können vermöge dieser Formnatur nie G e g e n s t ä nd e werden, lassen sich eben darum nicht anschauen, noch wahrnehmen, sind bloße entia imaginaria und ohne ein Reales keine Objecte.« (JWA 2, 270) Raum und Zeit als bloße Anschauungsformen sind Ermöglichungsbedingungen dafür, daß wir ein Reales anschauen können, Dieser Lösungsweg empfiehlt sich angesichts der kantischen Lehre vom Schematismus, nach der die Kategorien des Verstandes vermittelst apriorischer Zeit-Bestimmungen (Schemata) erst auf die sinnlichen Anschauungen anwendbar sein sollen (vgl. KrV, A 137 f., B 176 f.). 10

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aber nicht selber der Gegenstand eines Wissens und somit auch kein möglicher Bezugsgegenstand für die reine Synthesis. – Nach anderen Äußerungen der KrV, wie Jacobi herausstellt, sollen aber Raum und Zeit »auch G e g e n s t ä nd e , nicht bloße Formen der Anschauung, sondern A n s c h auu n g e n s e lb s t , […] sogar einzelne Vorstellungen« sein (JWA 2, 270). Wenn also die so vergegenständlichten Anschauungsformen zum Referenzpunkt der reinen Synthesis gemacht werden, so ist dies nach Jacobi erstens nur durch einen Selbstwiderspruch der Kantischen Theorie möglich, die Raum und Zeit zuerst als bloße Formen der Anschauung bestimmt hat. Zweitens aber ist der o. g. Lösungsweg für Jacobi insofern widersinnig, als Raum und Zeit, vor einer Erfüllung mit empirischen Gehalten, noch gar kein Mannigfaltiges in sich enthalten, auf das sich eine Synthesis a priori beziehen könnte. Wir stehen demnach erneut vor der Alternative, die besagte Erfüllung entweder im Sinne eines Realismus auf wirkliche, an sich seiende äußere Gegenstände beziehen und auf ihre Einwirkung auf das Erkenntnisvermögen zurückführen oder als Quelle der Vorstellungen und ihrer Gehalte das innere Vermögen der produktiven Einbildungskraft ansetzen zu müssen, welche letztere Position die These des transzendentalen Idealismus ist. Die Konsequenz dieses Kantischen Idealismus wird in der KritizismusSchrift erneut darin gesehen, »daß es überall nichts wa h rh a f t Objectives für den Menschen g i eb t noch geben k a n n ; daß er rein abgeschnitten ist von allem Wahren, in sich Subsistirenden, durch seine e i g e nt hü m l i c h e , z u f ä l l i g e , durch und durch s ubj e c t ive […] Sinnlichkeit, außer der ihm nichts, und mit der ihm nu r diese Sinnlichkeit selbst […] gegeben ist« (JWA 2, 285f.). Es gilt nun zu klären, welche Konzeption von »Objektivität« bzw. »objektivem Wissen« Jacobi zugrunde legt, wenn er in der Kantischen Erkenntniskonstruktion die prinzipielle Verunmöglichung eines objektiven Wissens erblickt.

III. Jacobis Begriff des objektiven Wissens im »David Hume« Die erstmals im Jahre 1787 erschienene Schrift David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch entwickelt eine Position, die als absoluter Realismus bezeichnet werden könnte. Der Titel »naiver Realismus«11 ist unglücklich, weil Jacobi seinen Realismus gerade in Kenntnis und ausdrücklicher Kritik anderer Positionen begründet; insbesondere 11

105 f.

Diesen Begriff verwendet Günther Baum, Vernunft und Erkenntnis (Anm. 1),

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wird Kants transzendental-idealistische Erkenntnislehre radikal kritisiert. Der von Jacobi begründete Realismus kann als eine Gegenposition zu einer neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie verstanden werden, die, wie z. B. John Locke, davon ausgeht, daß wir es unmittelbar nur mit Vorstellungen (ideas) zu tun haben und uns auf die wirklichen Gegenstände der Erkenntnis bloß vermittelst dieser Vorstellungen beziehen. Sobald nämlich eine solche Mittelbarkeit behauptet wird, legt sich die Folgerung nahe, daß das Bewußtsein, streng genommen, niemals aus sich heraustreten kann, weil Alles, worauf es sich bezieht, lediglich seine eigenen Vorstellungen sind. Denn auch der Unterschied zwischen Vorstellung und Gegenstand wird vorgestellt und wird somit innerhalb des Bewußtseins gemacht. Diese scheinbar unvermeidliche Folgerung bedeutet, »dem Idealisten in die Schlinge kommen« (JWA 2, 36). Wenn der Realist die Wirklichkeit des äußeren Objekts unmittelbar als Wirklichkeit wahrnimmt und behauptet, so nur deswegen, weil sich ihm das Wirkliche unmittelbar selber in seiner Wirklichkeit darstellt und als solches offenbart. »Denn wenn man die Gründe für den Satz: daß unser Bewußtseyn schlechterdings nichts anders als bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes zum Inhalt haben könne, gehörig ausführt, so steht der Idealismus, als mit der s p e c u l at ive n Vernunft allein verträglich, in seiner ganzen Stärke da. Bleibt nun der Realist demohnerachtet ein Realist, und behält den Glauben, daß z. B. dieses hier, was wir einen Tisch nennen, keine bloße Empfindung, kein nur in uns selbst befindliches Wesen, sondern ein von unserer Vorstellung unabhängiges Wesen ausser uns sey, das von uns nur wa h r g e no m m e n wird: so darf ich ihn kühn nach einem schicklicheren Beywort für die Offenbarung fragen, deren er sich rühmt, indem er behauptet, daß seinem Bewußtseyn sich etwas ausser ihm darstelle.« (JWA 2, 32) Wie der Idealismus uns schlechthin innerhalb der Grenzen des Bewußtseins fest hält, so eignet es dem Jacobischen Realismus, diese Grenze schlechthin zu überschreiten bzw. es gar nicht erst zu ihr kommen zu lassen, indem von vornherein das Erkenntnisvermögen als auf das äußere Objekt hin geöffnet gedacht wird, welches letztere sich selbst unmittelbar uns darstellt. Das »Ich« des philosophischen Dialogs David Hume erinnert seinen Gesprächspartner an einer späteren Stelle an diesen Hauptpunkt des Realismus: »Was Sie glaubten nie mehr vergessen, und nie mehr bezweifeln zu können, war, daß die Erkenntniß des Würklichen ausser uns, uns geradezu durch die Darstellung des Würklichen selbst gegeben werde, so daß kein andres Erkenntnismittel dazwischen eintrete. Ferner: daß alle bloße Vor s t e l lu n g e n von Gegenständen ausser uns nur Copieen der in so fern unmittelbar wahrgenommenen würklichen Dinge seyn, und darauf auch immer, als auf ihre Quellen zurückgeführt werden können.« (JWA 2, 68f.)

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Jacobi legt in seinem Dialog eine realistische Deduktion der Kategorien vor, die seinen Begriff des objektiven Wissens sowie den scharfen Kontrast zu Kant hervortreten läßt.12 Diese Deduktion sucht gegen Humes skeptizistische These, daß z. B. der Begriff der Ursache eine nur subjektive Bedeutung habe, die absolute Notwendigkeit und Allgemeinheit der Kategorien zu erweisen13 , deren Gültigkeit – in Überbietung Kants – für die Dinge an sich begründet werden soll. Eine solche Deduktion ist offenbar nur in der denkenden Hingabe an das sich selbst darstellende Wirkliche möglich; es muß gleichsam aufgezeichnet werden, wie sich uns, und zwar allen denkenden Wesen, das Wirkliche immer schon dargestellt hat. Sofern sich die so gedachten Kategorien finden und begründen ließen, hätten wir, so Jacobis Programm, die Begriffe des wahrhaft objektiven Wissens aufgefunden und als solche erkannt. Zur eigentlichen Deduktion führt Jacobi im Ausgang von dem Grundverhältnis hin, daß »zu unserm menschlichen Bewustseyn […] ausser dem empfindenden Dinge, noch ein würkliches Ding, welches empfunden wird, nothwendig sey.« (JWA 2, 57) Aus diesem Grundverhältnis, ohne das kein Erkenntnisvorgang gedacht werden kann, entwickelt Jacobi vier Sätze: »[1.] W i r mü s s e n u n s vo n E t wa s u nt e r s c h e i d e n . Also zwey würkliche Dinge ausser einander, oder Dualität. [2.] Wo zwey erschaffene Wesen, die ausser einander sind, in einem solchen Verhältnisse gegen einander stehen, daß eins in das andre würkt, da ist e i n au s g e d e h nt e s We s e n . [3.] Mit dem Bewustseyn des Menschen und einer jeden endlichen Natur, wird also ein ausgedehntes Wesen gesetzt; und zwar, nicht blos idealisch, sondern würklich. [4.] Folglich muß auch überall, wo Dinge ausser einander sind die in einander würken, ein ausgedehntes Wesen würklich vorhanden seyn; und die Vorstellung eines ausgedehnten Wesens auf diese Weise, mu ß a l l e n e nd l i c h e n e mpf i nd e n d e n N at u r e n g e m e i n s e y n , u nd i s t e i n e obj e c t iv wa h r e Vor s t e l lu n g .« (JWA 2, 57) Der nächste Schritt in dieser Deduktion wird durch den Begriff des Individuums getan, welches daraufhin charakterisiert wird, daß ihm ein selbständiges Sein und Wirken zukommt. Dem Individuum eignet demnach das Vermögen, »ausser sich zu würken« (JWA 2, 59). Denn nur in einer solchen Wirksamkeit stellen sich Individua füreinander dar und treten in

Siehe zu dieser Deduktion Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 1), 116 f. Jacobi kommt also mit Kant darin überein, daß er den Humeschen Skeptizismus widerlegen will. Auf diese Übereinstimmung zwischen Kant und Jacobi geht Schmid näher ein (vgl. Anm. 1, 268 f.). 12 13

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eine Gemeinschaft miteinander. Im Begriff »wirklich« steckt der Begriff des »wirkens«. Und der Begriff des Individuums bezeichnet dasjenige, von dem die Wirksamkeit überhaupt ausgeht. Sofern von Individuen eine »Würkung erfolgen soll«, wie Jacobi weiter ausführt, müssen sie »andre Wesen mittelbar oder unmittelbar berühren. Ein absolut durchdringliches Wesen ist ein Unding. Ein relativ durchdringliches Wesen kann, in so fern es einem andern Wesen durchdringlich ist, dasselbe weder berühren, noch von ihm berührt werden. Die unmittelbare Folge der Undurchdringlichkeit bey der Berührung, nennen wir den Widerstand. Wo also Berührung ist, da ist Undurchdringlichkeit von beyden Seiten; folglich auch Widerstand; Würkung und Gegenwürkung.« (JWA 2, 59) Der Begriff des Widerstandes spielt eine Schlüsselrolle in Jacobis Deduktion, da aus ihm erstens der Begriff der Gegenwirkung abgeleitet wird. Die ›Wirklichkeit‹ der Dinge stellt sich als diese Wirkgemeinschaft und Wechselwirkung dar, in der sich Wirkung und Gegenwirkung die Wage halten. Zweitens versucht Jacobi, vermittelst des Begriffs des Widerstandes den Wirkvorgang als eine zeitliche Sukzession offenbar zu machen. Er fährt an der betreffenden Stelle folgendermaßen fort: »Der Widerstand im Raume, Wü rk u n g u nd G e g e n w ü rk u n g , ist die Quelle des S u c c e s s ive n ; und der Z e it , welche die Vor s t e l lu n g des Successiven ist. Wo also einzelne s i c h s e lb s t of f e nb ar e We s e n [im Sinne von: für die wechselseitige Einwirkung empfängliche Wesen, die ihrerseits eine Einwirkung auf andere vollziehen], die in Gemeinschaft mit einander stehen, vorhanden sind, da müssen auch die Begriffe von Ausdehnung, von Ursache und Würkung, und von Succeßion schlechterdings vorhanden seyn. Ihre Begriffe sind also in allen endlichen denkenden Wesen no t hwe nd ige B e g r i f f e« (JWA 2, 59f.). Diese Deduktion hat, ihrem Anspruch nach, die genannten Kategorien durch die Nachzeichnung dessen entwickelt, wie sich uns die Wirklichkeit bzw. die aufeinander einwirkenden Wesen selber darstellen, weshalb wir ohne diese Kategorien auch nicht die wirklichen Dinge erkennen, sie angemessen charakterisieren und ein Erfahrungswissen erwerben können. Weil diese realistische Deduktion den Dingen selbst entnommen ist, betont Jacobi, daß die genannten Kategorien »allen endlichen sich selbst offenbaren Wesen gemein seyn müssen, und auch i n d e n D i n g e n a n s i c h ihren vom Begriffe unabhängigen Gegenstand, folglich eine wahre obj e c t ive Bedeutung haben.« (JWA 2, 60) Was bei Jacobi die objektive Bedeutung eines Begriffs und die Objektivität des Wissens besagt, ist damit scharf hervorgetreten. Objektiv ist ein Begriff, der dasjenige enthält und bezeichnet, was den Dingen an ihnen selbst in notwendiger und allgemeiner Form zukommt; die Objektivität des Wissens

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ist da erreicht, wo die Dinge schlechthin in ihrem Ansichsein enthüllt und erkannt werden, ohne jeden Abstrich. Die so gedachten Kategorien werden von Jacobi ausdrücklich auf die Dinge selbst bezogen, wobei sich Jacobi scharf von Kant abgrenzt, der die erfahrungskonstitutiven Begriffe und Urteile zu bloßen »Vorurtheilen des Verstandes« erklärt, die »sich auf nichts, was den Gegenständen a n s i c h zukommt, beziehen« und die »folglich [bei Kant auch] keine wa h r e objective Bedeutung haben« (JWA 2, 60). Weil sich bei Kant vielmehr ein durchaus subjektiver Verstand auf eine bloß subjektive Sinnlichkeit bezieht, ist bei ihm ein objektives Wissen ausgeschlossen. Und das Resultat des Kantischen Idealismus, in dem Fichte vorbereitet ist, lautet: »Ich bin alles, und ausser mir ist im e i g e nt l i c h e n Verstande Nichts.« (JWA 2, 61) Genau diese These bezeichnet Jacobi als ›spekulativen Egoismus‹14 und später als Nihilismus.

IV. Der Begriff der Objektivität bei Kant und die Bedeutung der Jacobischen Kritik Prima vista könnte es schlechthin als paradox erscheinen, daß Jacobi gegen Kants theoretische Philosophie den Vorwurf erhebt, kein objektives Wissen begründen zu können, da Kants Transzendentalphilosophie gerade die Bedingungen der Möglichkeit objektiven Erfahrungswissens systematisch erörtert. Allerdings lautet in der Tat Kants These, daß unser Erkennen es nur mit Erscheinungen zu tun hat, was bei ihm gleichbedeutend damit ist, daß wir die Grenzen der empirischen Erfahrung auf theoretischem Wege nicht überschreiten können. Wenn bei Kant das Ding an sich bzw. die Gegenstände in ihrem Ansichsein als prinzipiell unerkennbar angesehen werden und sich die Synthesisleistungen des Verstandes nur auf die Erscheinungen bzw. Vorstellungen beziehen können, so stellt sich die Frage, worauf sich bei Kant die Objektivität und intersubjektive Gültigkeit des Wissens überhaupt gründet.

JWA 2, 112. – Zum Begriff des Egoismus und Solipsismus bei Jacobi siehe Baum (Anm. 1), 45 f., und Homann (Anm. 1), 149 F. Baum versteht den von Jacobi behaupteten »Egoismus« als eine Position, nach der ich, dieses einzelne Individuum, allein übrig bleibe. Er belegt diese Interpretation mit einer Stelle aus Reid, die er als eine Hauptquelle für die Schrift Jacobis ansieht (Anm. 1, 47). Die Reid-Stelle lautet: »I am left alone, as the only creature of God in the universe, in that forlorn state of egoism […]« (Thomas Reid, Essays on the Intellectual Powers of Man, Edinburgh 1812, Bd. I, 241 f.). 14

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Die Objektivität eines Wissens, das sich nur auf Erscheinungen beziehen kann, d. h. auf die Gegenstände, insofern sie für uns sind, hat ihren Grund darin, daß die Subjektivität nicht als individuelle, sondern als schlechthin überindividuelle und universelle gedacht wird. Die Synthesisleistungen des Verstandes sind gesetzmäßig und notwendig, weil sie die Einheit des Wissens überhaupt und dem zuvor die ursprünglich synthetische Einheit des Selbstbewußtseins in Ansehung aller Vorstellungen a priori bewahren bzw. die systematische Entfaltung dieser ursprünglichen Synthesis selber sind.15 Das objektive Erfahrungswissen ist dem entsprechend von einem bloß individuellsubjektiven Meinen ebenso abzugrenzen wie von einem Wissen, das die Dinge an sich erreicht und von den einschränkenden subjektiven Bedingungen des menschlichen Verstandes unabhängig und frei ist, welches Wissen Kant nur einem göttlichen Verstande zuerkennen würde. Die Objektivität befindet sich bei Kant gewissermaßen zwischen einem bloß subjektiv-willkürlichen Vorstellen eines Individuums und einem die Dinge an sich erreichenden ›absoluten‹ Wissen. Auch wenn Jacobi der Sachverhalt nicht unbekannt ist, daß die von Kant gedachte Subjektivität eine schlechthin überindividuelle ist – wie sein Hinweis zeigt, daß bei Kant die »allgemeinen Vorstellungen, Begriffe und Grundsätze« die »wesentliche Form« ausdrücken, »in welche jede besondere Vorstellung und jedes besondere Urtheil […] sich fügen muß, um in Einem allgemeinen oder transscendentalen Bewußtseyn aufgenommen und verknüpft werden zu können«16 – so scheint er doch an vielen anderen Stellen seiner Kant-Darstellung den Unterschied zwischen einem bloß subjektiven und willkürlichen Vorstellen einerseits und dem von Kant gedachten objektiven Wissen andererseits, dessen Objektivität ihr Prinzip in dem überindividuellen Charakter der ursprünglichen Synthesis der Apperzeption hat, eher einzuebnen oder zumindest nicht eigens herauszustellen. Andernfalls könnte er in bezug auf Kant schwerlich von »einer Erfahrung blo s i n d e r E i nb i l du n g« (JWA 2, 265) oder einer »z u f ä l l i g e n , durch und durch [bloß] s ub j e c t ive n […] Sinnlichkeit« (JWA 2, 285) sprechen, welche Bezeichnungen zumindest zweideutig sind. Unabhängig von der Frage, ob Jacobi der Kantischen Transzendentalphilosophie wirklich gerecht wird oder nicht, ist aber

Vgl. zu dieser Thematik das Buch des Verf., Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, besonders das Kapitel »Die volle Bestimmtheit der ursprünglichen Synthesis«, 104 f. 16 JWA 2, 110; vgl. die Fußnote 9. 15

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erstens die Tatsache, daß Jacobi gegenüber Kant einen anderen Begriff von objektiven Wissen zugrundelegt, welches bei ihm die Dinge selbst erreicht und sie so erkennt, wie sie an sich sind und wirken. Ein so verstandenes Wissen läßt sich in der Tat bei Kant nicht finden. Zweitens bleibt bestehen – selbst wenn behauptet würde, daß die von Kant gedachte Objektivität des Wissens bei Jacobi nicht adäquat expliziert wird –, daß Kant all unser Wissen auf die Erscheinungen begrenzt und es subjektiven, einschränkenden Bedingungen unterwirft, die ein ›absolutes‹ Wissen ausschließen. Die Bedeutung von Jacobis Kritik an Kants theoretischer Philosophie zeigt sich indirekt, wenn auf die Philosophien Fichtes und Hegels vorgeblickt wird. Fichtes Transzendentalphilosophie läßt sich bereits in ihrer frühen Jenenser Gestalt als eine Antwort auf Jacobis Kant-Kritik lesen. Wenn Jacobi gegen Kant, der die Kausalität als einen reinen Verstandesbegriff bestimmt, darauf aufmerksam macht, daß in Kants Lehre von der Sinnlichkeit implizit eine an sich seiende Kausalität, nämlich die Einwirkung des Dings an sich auf unsere Rezeptivität vorausgesetzt wird, so wird Fichte die Kategorie der Kausalität gerade ursprünglich aus der Einwirkung des Nicht-Ich auf das Ich ableiten und so den von Jacobi gerügten Widerspruch vermeiden. 17 Und wenn Jacobi die »Chamäleonsfarbe« des Kantischen Systems rügt (JWA 2, 269), weil es zwischen Realismus und Idealismus selbstwidersprüchlich in der Mitte schwebe, so scheint, oberflächlich betrachtet, Fichtes Transzendentalphilosophie gleichsam einfarbig geworden zu sein. Denn Alles, das Ich und das Nicht-Ich, wird jetzt aus dem setzenden Ich abgeleitet, und die Rezeptivität bzw. das qualitative Leiden des Ich wird als Spontaneität, d. i. als ein lediglich geringeres Quantum an Tätigkeit neu bestimmt. 18 Jacobis Kritik an Kants Idealismus und Subjektivismus eröffnet ebenso eine Perspektive auf Hegel.19 Denn selbst wenn eingeräumt wird, daß Kant ein objektives Wissen in seiner relativen, weil auf die Subjektivität endlicher Vernunftwesen eingeschränkten Notwendigkeit und Allgemeinheit zu begründen vermag, bleibt unbestreitbar, daß Kant die, obgleich allgemeine und auch allgemein gültige, Grenze unserer Subjektivität für unüberschreitbar erklärt. Hegel wird diese Grundüberzeugung der neuzeitlichen

Vgl. Fichtes Satz »Das Nicht-Ich soll bestimmen das Ich« (GA I/2, 291). Vgl. die Synthesis der Substantialität in Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, GA I/2, 297 f., und den Satz »Thätigkeit und Leiden des Ich sind Eins und Ebendasselbe« (GA I/2, 327). 19 Siehe zu dieser Thematik den Aufsatz von Gerhard Höhn, »Die Geburt des Nihilismus und die Wiedergeburt des Logos. F. H. Jacobi und Hegel als Kritiker der Philo17

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Bewußtseinsphilosophie überhaupt, nämlich daß uns nur ein ›relatives‹ und kein ›absolutes‹ Wissen möglich sei, in seiner Phänomenologie des Geistes zu überwinden suchen. Während jedoch Jacobi die neuzeitliche Bewußtseinsphilosophie bzw. ihren ›Idealismus‹ schlechthin zurückweist und von ihr in den Realismus einer Philosophie des Wirklichen gleichsam springt 20 , erkennt es Hegel für notwendig an, den Wissensanspruch des natürlichen Bewußtseins und der Bewußtseinsphilosophie in seiner Stärke aufzunehmen und die Gestalten des Bewußtseins vollständig durchzugehen. Denn nach seiner Einsicht treibt das Bewußtsein selber über sich hinaus, um im Resultat seiner Bildungsgeschichte in das absolute Wissen unterzugehen. So sehr sich Hegels Wissenschaft des Absoluten von Jacobis »Wissenschaft des Nichtwissens« (IV, XLIII) unterscheiden mag, so gibt es doch zwischen beiden einen Berührungspunkt, der in Jacobis Kritik an Kants theoretischer Philosophie bereits zum Vorschein kommt.

sophie«, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit. Beiträge einer Tagung in Düsseldorf (16.–19.10.1969) aus Anlaß seines 150. Todestages und Berichte, hrsg. von K. Hammacher, Frankfurt 1971, 281–300. 20 Die bislang eingehendste Darstellung des von Jacobi gedachten »Sprunges« findet sich bei Sandkaulen (Anm.1), 11 f., und 23 f., welcher Sprung nicht nur eine Bedeutung für die theoretische Philosophie und den von Jacobi gelehrten Realismus hat, sondern, wie Sandkaulen zeigt, von Belang für Jacobis gesamtes Denken ist.

Was ist Freiheit? Jacobis Kritik der Mor alphilosophie Kants von Jürgen Stolzenberg

Weniger bekannt als Jacobis Kritik der theoretischen Philosophie Kants, aber gewiß nicht weniger bedeutsam, ist Jacobis Kritik der Moralphilosophie Kants. Das Studium von Kants Kritik der praktischen Vernunft läßt Jacobi einer brieflichen Mitteilung vom Oktober 1788 zufolge sehr bald zu der Überzeugung kommen, daß trotz des mit Kant geteilten praktischen Glaubens an Gott und trotz der Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit der Annahme der Freiheit wider den Spinozismus ein unüberwindlicher Dissens »in der Vorstellungsart und in den Prinzipien«1 bestehe. Da das Prinzip der Moralphilosophie Kants der Begriff der Freiheit ist, ist anzunehmen, daß der Dissens sich auf die Rolle des Begriffs der Freiheit für die Begründung der Moralphilosophie bezieht. Die Frage »Was ist Freiheit?« zielt somit nicht nur im Blick auf die theoretische, sondern auch auf die praktische Philosophie ins Zentrum der Streitsache »Jacobi gegen Kant«. Doch worum geht es genau und wie läßt sich dieser Streit beurteilen? Es ist bemerkenswert, daß Jacobi sich in seinen veröffentlichten Tex-

Die Briefstelle lautet im Zusammenhang: »Ich bin gegenwärtig daran, Kants Kritik der practischen Vernunft zu studieren […]. Sie können sich vorstellen, wie merkwürdig das für mich seyn muß, daß Kant mit mir den Glauben an Gott auf das factum der Causalität menschlicher Vernunft gründet und kein Mittel gegen den Spinozismus weiß, wenn man nicht Freyheit geradezu annimmt und voraussetzt. Und dennoch gehen wir in der Vorstellungsart und in den Principien so ganz voneinander ab.« (J. F. Kleuker und Briefe seiner Freunde, hg. von H. Ratjen, Göttingen 1842, Brief an Kleuker vom 13. 10. 1788, S. 118.) Jacobis Kritik der praktischen Philosophie Kants ist bisher am Rande des Forschungsinteresses geblieben. Birgit Sandkaulen hat die Auseinandersetzung Jacobis mit Kants praktischer Philosophie als erste in den systematischen Kontext der für Jacobi zentralen Frage nach dem Verhältnis von »Grund« und »Ursache« gestellt. Vgl. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 171–228, bes. S. 205 ff. Zum Problem der Freiheit vgl. die Untersuchung von Karl Homann, Jacobis Philosophie der Freiheit, Freiburg/München 1973. 1

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ten – im Unterschied zu seinen privaten, derzeit noch unveröffentlichten Aufzeichnungen 2 – auf eine direkte und argumentativ geführte Auseinandersetzung mit Kants Moralphilosophie nicht eingelassen hat. Vielmehr ist es das Sendschreiben an Fichte, in dem Jacobi seine Kritik des Kantischen »Moralprinzips der Vernunft«3 formuliert hat. Dort verweist Jacobi auch auf die Texte, in denen er seine eigene »Lehre von der Freiheit« (PLS 2/1, 27) dargelegt hat und die dem Sendschreiben als Beilagen und als Anhang mitgegeben sind. Dies sind die von Jacobi sogenannten Aphorismen über Nichtfreyheit und Freyheit (PLS 2/1, 18), die in die Vorrede zur zweiten Auflage des Spinoza-Buchs aufgenommen sind, eine Anmerkung in der Vorrede zu Allwill, 4 ein Auszug aus dem Roman selbst, 5 weiter eine Passage aus dem Roman Woldemar 6 sowie die Untersuchung Über die Unzertrennlichkeit des Begriffs der Freyheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft.7 Um Mißverständnisse hinsichtlich seiner Kant-Kritik zu vermeiden, hat Jacobi dem noch einen Auszug aus einem Briefe an einen Freund über Kants Sittengesetz beigefügt. 8 »Um dies alles zu lesen«, so empfiehlt sich Jacobi dem Wohlwollen Fichtes, »brauchen sie kaum eine halbe Stunde; die müssen sie mir opfern.«9 Ich werde mich auf Jacobis Freiheitsabhandlung und einen Blick in den Roman Woldemar beschränken. Um nur hier zur Klarheit zu kommen, braucht man doch etwas mehr als eine halbe Stunde.

Birgit Sandkaulen danke ich für die Möglichkeit der Einsichtnahme in thematisch relevante Auszüge aus Jacobis Kladden, Walter Jaeschke danke ich für die Möglichkeit der Einsichtnahme in Jacobis an Matthias Claudius gerichtete Epistel über die Kantische Philosophie. 3 Jacobi an Fichte, Hamburg 1799. Im folgenden zitiert nach dem von Walter Jaeschke besorgten Wiederabdruck mit Beilagen und Anhang in PLS 2/1, 3– 43, hier: S. 17. 4 Jacobi, Anhang. 2. Aus Allwills Briefsammlung. Vorrede, Seite XVI Anm., in: Jacobi an Fichte, PLS 2/1, 38 f. 5 Jacobi, Anhang. 3. Aus derselben Schrift, S. 295, in: Jacobi an Fichte, PLS 2/1, 39 f. 6 Jacobi, Anhang. 4. Aus Woldemar Th I., S. 138, in: Jacobi an Fichte, PLS 2/1, 40 f. 7 Jacobi, Beylage II, in: Jacobi an Fichte, PLS 2/1, 26 ff. 8 Jacobi, Anhang. 5. Auszug aus einem Briefe an einen Freund über Kants Sittengesetz, in: Jacobi an Fichte, PLS 2/1, 42 f. 9 Jacobi an Fichte, PLS 2/1, 18. 2

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I. »Der Mensch hat keine Freiheit.« Jacobis Abhandlung Ueber die Freyheit des Menschen verdient im vorliegenden Zusammenhang deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil Jacobi sie explizit als einen kritischen Kommentar zu Kants Begründung des Prinzips der Moralphilosophie verstanden hat. Im Anschluß an seine Lektüreempfehlung für Fichte stellt Jacobi seine eigene Interpretation des Kantischen Moralprinzips vor, das er als Ausdruck eines »notwendigen Triebs der Übereinstimmung mit uns selbst, [als] das G e s e t z d e r I d e nt it ät« versteht (PLS 2/1, 18). Die Möglichkeit dieses Gesetzes, so führt Jacobi weiter aus, sei »so leicht zu deduzieren« und müsse deswegen keineswegs als etwas »Geheimnisvolles oder Unbegreifliches« (PLS 2/1, 18) angesehen werden, wie Jacobi, offenbar mit Bezug auf den Schlußabschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, bemerkt, in dem Kant bekanntlich vom Begreifen der Unbegreiflichkeit eines kategorischen Imperativs spricht (AA IV, 463). Die alternative Deduktion dessen, was für Jacobi das Prinzip der Kantischen Moralphilosophie ist, findet sich, folgt man dem hier gegebenen Hinweis, in der Ersten Abteilung der Freiheitsabhandlung. Sie trägt, provokant genug, die Überschrift: »Der Mensch hat keine Freiheit«(PLS 2/1, 32). Der Beweis dieser These ergibt sich aus einem Argumentationsgang, dessen Prinzip eben jenes Konzept eines Triebs nach Selbsterhaltung ist. Als Prämisse seiner Überlegung gilt Jacobi die Annahme einer Pluralität einzelner endlicher Wesen. Der Umstand, daß Jacobi für diese Annahme keine weitere Begründung liefert, legt die Vermutung nahe, daß er sie entweder als Ausdruck eines empirischen Faktums oder als eine analytische Implikation des Begriffs eines einzelnen endlichen Wesens verstanden hat. Letzteres läßt sich dann nachvollziehen, wenn man von dem Faktum ausgeht, daß ein existierendes einzelnes endliches Wesen nicht Ursache seiner eigenen Existenz ist. Dann ergibt sich unmittelbar der Gedanke einer Pluralität endlicher Wesen, deren Existenz und Koexistenz durch das Kausalverhältnis bestimmt ist. Die von Jacobi im Folgenden denn auch kausalgesetzlich interpretierten äußeren wie inneren Beziehungen lebendiger Wesen drücken sich, dies ist die zweite These, in »Empfindungen« aus, die in zweierlei Form, als »Begierde« oder »Abscheu« (PLS 2/1, 32) auftreten. Auch diese These bleibt ohne Begründung. Es ist anzunehmen, daß Jacobi sie als eine These angesehen hat, die durch Erfahrung zu bestätigen ist. Als eine generalisierende Abstraktion läßt sich dann der dritte Schritt verstehen, mit dem der Begriff eines allen Begierden gemeinsam zugrundeliegenden Triebs nach Selbsterhaltung eingeführt wird (PLS 2/1, 32). Ein solcher Schritt leuchtet dann ein, wenn man den empirischen Sachverhalt

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berücksichtigt, daß ein lebendiges Wesen das begehrt, was für die Fortdauer seines Daseins förderlich ist und das meidet bzw. verabscheut, was ihm abträglich ist. Dann wird auch die Annahme plausibel, daß den verschiedenen Weisen, etwas zu begehren, ein allgemeiner, ursprünglicher Trieb nach Selbsterhaltung zugrundeliegt. Da dem Begriff eines solchen Triebs offenkundig nur der Status eines empirischen Allgemeinbegriffs zukommt, ist es unzutreffend und irreführend, ihn, wie Jacobi vorschlägt, einen »Begriff a priori« (PLS 2/1, 32) zu nennen, für den gilt, daß sein Gehalt unabhängig von Erfahrungsdaten gewonnen werden kann. Dies gilt für den Begriff des Triebs nach Selbsterhaltung offenkundig nicht. Damit ist der Kern des Arguments bereits erreicht. Und damit ist zugleich deutlich geworden, daß die von Jacobi beabsichtigte Deduktion des von ihm sogenannten Kantischen Sittengesetzes ein durch und durch empirisches Fundament hat. Dies bestätigt der Fortgang der Argumentation. Er zeigt, daß die weiteren begrifflichen Differenzierungen lediglich gradueller Art sind. Dies gilt bereits für den Begriff eines vernünftigen Wesens. Ein vernünftiges Wesen zeichnet sich im Unterschied zu allen anderen lebendigen Wesen dadurch aus, daß es ein Bewußtsein von seiner persönlichen Identität hat, das Jacobi als »die Folge eines hö h e r e n G r ad e s des Bewußtseins überhaupt« (PLS 2/1, 32) versteht. Dementsprechend bezieht sich der Trieb eines vernünftigen Wesens auf die Erhaltung bzw. Steigerung seiner Personalität. Diesen Trieb nennt Jacobi einen Willen (PLS 2/1, 33). Da ein vernünftiges Wesen über Gedächtnis und Reflexion verfügt, ist es in der Lage, allgemeine Begriffe auszubilden, die die Funktion von praktischen Prinzipien bzw. Grundsätzen erhalten und die den Handlungen, die der Erhaltung der personalen Identität dienlich sind, zugrundeliegen. Der letzte Schritt der Argumentation stellt die Verallgemeinerung dieser Überlegung dar und lautet wie folgt: »Das Prinzip […] der Grundsätze überhaupt, ist die ursprüngliche Begierde des vernünftigen Wesens, sein eigenes besonderes Dasein, das ist , sei ne Person zu erhalten, u nd was i h re Ident it ät verlet zen w i l l, sich zu u nter werfen.« (PLS 2/1, 34) Dies also ist das Resultat der neuen und von Jacobi als ›so leicht‹ befundenen Deduktion des Kantischen kategorischen Imperativs. Mit ihr sieht Jacobi zugleich den Beweis für die Generalthese, daß der Mensch keine Freiheit habe, erbracht: »Uns genügt«, so lautet Jacobis Fazit, »auf diesem Wege zur deutlichen Einsicht gelangt zu sein, wie jene moralischen Gesetze, welche apodiktische Gesetze der praktischen Vernunft genannt werden, zustande kommen, und nun entscheiden zu können, daß der einfache, mit Vernunft verknüpfte Grundtrieb […] lauter Mechanismus und keine Freiheit zeige.« (PLS 2/1, 34) Eine solche Art von Deduktion, so möchte man mit der Wendung, mit der

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Kant sich von Fichte distanzierte, sagen, macht einen wunderlichen Eindruck auf den Leser. Nichts könnte dem Selbstverständnis und dem theoretischen Anspruch, den Kant mit seiner Moralphilosophie und insbesondere seiner Deduktion des Prinzips der Sittlichkeit verbunden hat, unangemessener und widersinniger sein als die Meinung, daß eine solche Deduktion ohne Rekurs auf den Begriff der Freiheit und nur mit Bezug auf den Mechanismus der Natur zustande gebracht werden kann. Zwar ist es bekanntlich eine der Pointen der Ethik Kants, daß der kategorische Imperativ sich an den menschlichen Willen richtet, der den kausalen Gesetzen der Natur und insofern dem von Jacobi genannten ›Mechanismus‹ unterworfen ist, doch geschieht dies allein unter der Voraussetzung der Idee der Freiheit, unter der der Mensch sich als vernünftiges Wesen und damit auch seinen Willen nur verstehen kann. Da Jacobi auf dieses Selbstverständnis hier gar nicht Rücksicht nimmt, können jene praktischen Gesetze allenfalls als Gesetze einer technisch-praktischen Vernunft zum Zwecke der Selbsterhaltung des Daseins eines vernünftigen Wesens gelten. Gesetze der Freiheit im Sinne Kants können sie jedenfalls nicht sein. In der Meinung, daß Kants kategorischer Imperativ auf diese Weise ›so leicht‹ zu deduzieren sei, hätte sich Jacobi gründlich getäuscht. Nun wird man diesem Vorwurf sogleich mit dem Verweis auf den zweiten Teil der Abhandlung über die Freiheit des Menschen begegnen wollen, in dem der Begriff der Freiheit unter dem Begriff einer reinen Selbsttätigkeit eingebracht und für das Selbstverständnis des Menschen als unverzichtbar angesehen wird, und womit das Unzureichende des ersten Deduktionsgangs deutlich gemacht wäre. Daher könnte nicht der erste, sondern nur der zweite Teil als die von Jacobi selber vertretene neue Deduktion des kategorischen Imperativs gelten. Doch so verhält es sich nicht. Jacobis Verweis im Sendschreiben an Fichte bezieht sich eindeutig auf die Schlußpassagen des ersten Teils. Zwar räumt Jacobi ein, damit die Konzeption der Spinoza-Briefe bekräftigend, daß jener »Identitätstrieb« ihm nicht das »höchste Wesen« (PLS 2/1, 18) sei, sondern die Gewißheit der Freiheit und der daraus abgeleitete Glaube an die Existenz eines göttlichen Willens, der nur mit jenem berühmten salto mortale erreichbar sei. Doch wird der Begriff eines kategorischen Imperativs selber nicht, wie es Kant zufolge allein sinnvoll ist und seinen sowohl apriorischen als auch synthetischen Charakter begründet, aus der Verbindung des Begriffs der Freiheit mit dem der Naturkausalität der Sinnenwelt begriffen. Damit bleibt der an Jacobi zu richtende Vorwurf des Mißverständnisses des Kantischen Begriffs des kategorischen Imperativs weiterhin gültig. Umso dringlicher wird die Frage nach dem Gang der Argumentation und dem Ertrag des zweiten Teils der Freiheitsabhandlung. Er gilt dem Beweis der These: »Der Mensch hat Freiheit«.

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II. »Der Mensch hat Freiheit.« Hier sind drei Schritte zu unterscheiden. Der erste ist bereits der entscheidende. Er führt zum Begriff einer reinen Selbsttätigkeit. Ihm liegt die Überlegung zugrunde, daß der Gedanke von einem Wesen, dessen Dasein und Beschaffenheit ausschließlich durch seine Beziehung auf andere Wesen bestimmt ist, wie es der erste Argumentationsgang angenommen hatte, einen Widerspruch impliziert. Ein solches Wesen nämlich muß, so lautet Jacobis Argument, um als etwas bestimmt werden zu können, immer schon etwas sein. Diese zunächst irritierende These leuchtet dann ein, wenn man mit Jacobi davon ausgeht, daß etwas als etwas zu bestimmen nur heißt zu behaupten, daß gewisse Verhältnisse zwischen Eigenschaften bestehen. Ist der Gehalt einer Aussage aber nur das Bestehen von Verhältnissen zwischen Eigenschaften, dann werden diese Eigenschaften dadurch nicht erzeugt, sondern müssen als vorhanden vorausgesetzt werden. Damit ist zweierlei vorausgesetzt: zum einen, daß etwas auf eine unhintergehbare Weise immer schon durch Eigenschaften bestimmt ist, zum anderen, daß es als dasjenige, dem Eigenschaften zukommen, von ihnen unterschieden und insofern als eine für sich bestehende Substanz gedacht werden muß. Diese Voraussetzungen sind im Begriff eines Wesens, das ausschließlich durch Verhältnisse bestimmt ist, nicht gegeben. Daher ist »ein durchaus vermitteltes Dasein oder Wesen nicht gedenkbar, sondern ein Unding«. (PLS 2/1, 35) Dasselbe gilt mit Bezug auf den Begriff der Handlung, sofern eine Handlung eben ein Dasein oder Wesen, und das heißt, etwas substanzial für sich Bestehendes ist. Zwar wird der Begriff der Handlung an dieser Stelle der Überlegung unvermittelt ins Spiel gebracht (PLS 2/1, 35), doch ist er durch den ersten Teil der Abhandlung und den Begriff eines vernünftigen Wesens, das nach Grundsätzen handelt, vorbereitet bzw. vertraut. Eine Handlung, die ausschließlich aus einem kausalgesetzlichen, »mechanischen« Zusammenhang und insofern ›bloß vermittelt‹ begriffen werden soll, ist Jacobi zufolge also ebenfalls ein Unding. Daraus folgt, daß ein kausalgesetzlicher Zusammenhang nicht etwas sein kann, das einer Handlung notwendig zukommt. Wenn aber dies gilt, dann muß das, was einer Handlung notwendig zukommt, und das heißt, was ihren Begriff wesentlich bestimmt, der Charakter der Spontaneität sein; daraus folgt, daß eine Handlung, die einem einzelnen lebendigen Wesen zukommt, ihrem Ursprung nach als reine Selbsttätigkeit (PLS 2/1, 35) gedacht werden muß. Es ist somit der Begriff eines einzelnen endlichen lebendigen Wesens, das sich in Relation zu anderen endlichen lebendigen Wesen befindet und auf das der Begriff der Handlung angewendet werden kann, der aus logischen Gründen zu der Annahme der

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Eigenschaft einer reinen Selbsttätigkeit in seinen Handlungen führt, die diesem Wesen zukommt. Mit dieser Argumentation ist die Eingangsthese, daß der Mensch Freiheit habe, allerdings noch nicht erreicht. Der Fortgang der Überlegung zeigt, daß Jacobi zwischen dem Begriff einer reinen Selbsttätigkeit und dem der Freiheit unterscheidet. Hierfür führt Jacobi ein epistemologisches Argument an. Da eine deutliche Erkenntnis sich auf logische Verhältnisse oder Vermittlungen bezieht, eine reine Selbsttätigkeit aber alle Vermittlungen ausschließt, kann ihre Möglichkeit nicht auf dem Wege einer deutlichen Erkenntnis begriffen werden. Wohl aber können wir uns von der Wirklichkeit einer reinen Selbsttätigkeit überzeugen, sofern wir nämlich ein Bewußtsein davon haben, daß wir uns bzw. unseren Willen von unseren natürlichen Begierden distanzieren und uns davon unabhängig zum Handeln bestimmen können. Eine solche reine Selbsttätigkeit, die sich, wie Jacobi hier sagt, »durch die Tat« beweist, wird »Freiheit« genannt. Nun kennen wir aber – und damit kommt der Gedankengang in sein Ziel – »unter den lebendigen Wesen nur den Menschen«, der »mit demjenigen Grade des Bewußtseins seiner Selbsttätigkeit begabt« ist, »welcher den Beruf und Antrieb zu freien Handlungen mit sich führt.« (PLS 2/1, 35) Daraus folgt, daß der Mensch Freiheit hat und davon auch ein unmittelbares Bewußtsein hat. Hat man sich den Argumentationsgang bis zu diesem Punkt vor Augen gestellt, dann scheint es Jacobis Absicht zu sein, auf diese Weise eine prinzipielle Übereinstimmung mit Kants Annahme der Wirklichkeit der Freiheit zu demonstrieren. Denn auch für Kant ist, wenngleich aus anderen Gründen, bekanntlich der Begriff der Freiheit kein Gegenstand einer theoretischen Erkenntnis, dessen Realität sich aber, genauso wie Jacobi es formulierte, unmittelbar im Bewußtsein darstellt und durch die Tat beweist. Dieses Bewußtsein ist für Jacobi wie für Kant das moralische Bewußtsein, auf eine unbedingte Weise zum Handeln genötigt zu sein, während die Tat die daraus abzuleitende Handlungsweise des Menschen ist, der sich als frei und damit als Glied einer intelligiblen Welt verstehen kann, einer Welt, die nicht den Gesetzen der Natur, sondern Gesetzen der Freiheit untersteht. Mit Kant erkennt Jacobi daher mit der Freiheit des Willens auch »die mögliche Herrschaft des intellektuellen Wesens über das sinnliche Wesen« (PLS 2/1, 35) des Menschen an. Und so ließe sich die vorgestellte Argumentation durchaus als eine ausgeführte Demonstration für die eingangs erwähnte Übereinstimmung Jacobis mit Kants Annahme der Freiheit verstehen. Doch gilt es, hier genauer zuzusehen.

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III. Freiheit und Gesetz Zunächst ist darauf aufmerksam zu machen, daß die Argumentation für die Annahme der Wirklichkeit der Freiheit und die Anerkennung der Differenz des intellektuellen und des sinnlichen Wesens des Menschen nicht zur Revision der Interpretation des Begriffs eines kategorischen Imperativs führt, wie sie dem ersten Teil zugrundeliegt. Statt dessen erfährt der Sachverhalt, der im Kontext der Kantischen Moralphilosophie dem Begriff eines kategorischen Imperativs entspricht, sowie die Dualität des intelligiblen und sinnlichen Wesens des Menschen im folgenden eine Interpretation, die diejenige Differenz zwischen Jacobi und Kant aufbrechen läßt, die Jacobi in seiner brieflichen Mitteilung als eine Differenz der Vorstellungsart und der Prinzipien bezeichnete. Näheren Aufschluß hierüber gibt Jacobis Interpretation des Begriffs des Gesetzes. Hier sind zwei Gedanken entscheidend. Jacobis ziemlich überraschende These ist es, daß die Überzeugung, daß die dem Menschen eigentümliche Intelligenz in Gestalt eines freien Willens »für sich allein wirksam« sei und »die einzige uns wahrhaft bekannte Kraft« sei, daß diese Überzeugung »auch unmittelbar den Glauben an eine Erste allerhöchste Intelligenz« lehre, und das heißt den Glauben »an einen verständigen Urheber und Gesetzgeber der Natur, an einen Gott, der ein Geist ist.« (PLS 2/1, 36) So, wie diese Erklärung steht, scheint sie nichts anderes als eine Hypostasierung des menschlichen Freiheitsbewußtseins zu einem übermenschlichen göttlichen Wesen zu sein. Doch läßt sich ein Argument skizzieren, das diesen Schritt zumindest plausibel machen kann, und das man ein platonisierendes Argument nennen könnte. Geht man nämlich davon aus, daß der Gedanke der reinen Selbsttätigkeit nicht eine bloß subjektive Vorstellung ist, sondern etwas Objektives meint, und berücksichtigt man ferner, daß die Verfassung dieser reinen Selbsttätigkeit etwas Unvermitteltes ist, das nicht von derselben ontologischen Verfassung wie alle anderen endlichen und vermittelten Wesen sein kann, dann liegt der Gedanke nahe, daß ihm eine Wirklichkeit entsprechen muß, die die Wirklichkeit eines für sich bestehenden, höchsten und unendlichen Wesens ist, das als reiner, sich selbst zur Tätigkeit und Wirksamkeit bestimmender Geist gedacht werden kann. Als solches kann es zwar nicht zum Gegenstand einer theoretischen Erkenntnis gemacht werden, doch ist seine Existenz notwendig anzunehmen und kann insofern ein Gegenstand des Glaubens für den sein, der sich selbst als eine endliche, aber freie Intelligenz unter anderen endlichen und freien Intelligenzen versteht. Daraus läßt sich Jacobis Interpretation des Begriffs des Gesetzes verständlich machen, das dem freien Handeln der lebendigen Wesen zugrunde-

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liegt. Ein solches Gesetz drückt in der Sicht Jacobis nämlich gar nichts anderes als die Darstellung jenes Prinzips der reinen Selbsttätigkeit in concreto aus. Jedes endliche lebendige Wesen erscheint insofern als Exemplifizierung dieses Prinzips. Auch das menschliche Bewußtsein der Freiheit und die unter seiner Leitung unternommenen Handlungen erscheinen daher nur als die je verschiedenen Weisen, in denen dieses Prinzip sich realisiert und konkretisiert. Daß genau dies die Auffassung Jacobis ist, zeigt die Erklärung, daß der Ausdruck eines göttlichen Willens in der Kreatur »ihr ursprüngliches Gesetz« ist. Dieses Gesetz ist »die Bedingung des Daseins des Wesens selbst, sein ursprünglicher Trieb«, der »mit den Naturgesetzen, welche nur Resultate von Verhältnissen sind«, von denen der erste Teil handelte, »und [welche] durchaus auf Vermittelung beruhen, nicht verglichen werden kann.« (PLS 2/1, 36) Die Freiheit des menschlichen Willens besteht dann in der Fähigkeit, diesen ursprünglichen Trieb als Prinzip des eigenen Wesens zu gewahren und zur alleinigen Grundlage seines Wollens zu machen. Dementsprechend sind diejenigen Handlungen freie Handlungen zu nennen, die als Exemplifizierungen des Prinzips reiner Selbsttätigkeit begriffen und als solche gewollt werden. Bevor das Ausmaß und das systematische Gewicht der Differenz zwischen den Freiheitskonzeptionen Kants und Jacobis ausgemacht werden kann, ist noch ein weiteres Moment zu berücksichtigen. Der Wirksamkeit eines freien Willens entspricht Jacobi zufolge das Gefühl einer »reinen Liebe« (PLS 2/1, 36). Rein ist diese Liebe deswegen zu nennen, weil sie ein Streben darstellt, das von allen sinnlichen Neigungen frei ist, sie überwiegt und eine Existenzweise anstrebt, in der das Prinzip reiner Selbsttätigkeit durchgängig realisiert ist. Die reine Liebe, von der Jacobi spricht, ist daher in Wahrheit ein Streben, in dem der Mensch nur seiner intellektuellen Natur gemäß handelt, die er aber zugleich als Ausdruck jenes übermenschlichen, ›göttlichen‹ Prinzips versteht, das damit zum eigentlichen Gegenstand seiner Liebe wird. Der rationale Gehalt des Gefühls einer reinen Liebe läßt sich daher präziser als das unmittelbare Bewußtsein der Übereinstimmung der eigenen intellektuellen mit jener göttlichen Natur beschreiben.10 Freie Handlungen, die wirklich aus dem Gefühl einer reinen Liebe hervorgehen, sind Jacobi zufolge überdies mit einer ebenfalls ›rein‹ zu nennenden Dem intellektuellen Trieb ist der sogenannte sinnliche Trieb zu- und untergeordnet, der dem Prinzip natürlicher Begierden folgt. Zu bemerken ist, daß Jacobi diese Dualität als ein unhintergehbares Faktum anerkennt. Dies ist die Konstellation, die Jacobi als seine Interpretation der Kantischen Konzeption der Dualität einer intelligiblen und einer sinnlichen Welt versteht. 10

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Freude begleitet, da jenes unmittelbare Bewußtsein der Harmonie und Übereinstimmung durch empirisch-naturale Gehalte ungetrübt ist und insofern als etwas Positives erlebt wird, dem kein deutlicher Begriff, sondern vielmehr ein Gefühl entspricht. Da diese Freude aus der tätigen Realisierung jenes göttlichen Prinzips und der darin erlebten Übereinstimmung mit den Intentionen der eigenen intellektuellen Natur erwächst, kann Jacobi am Ende sagen, daß es die Freude ist, »die Gott selbst an seinem Dasein hat« (PLS 2/1, 38). Mit diesem – spinozanischen – Gedanken schließt der zweite Teil der Abhandlung über die menschliche Freiheit. Blickt man zurück, dann scheint dieser Gedanke der letzte Schritt auf einem Wege der Begründung der Moralität zu sein, auf dem Jacobi sich zunehmend von Kants Position entfernt hat. Nicht nur die Art der Begründung des Glaubens an die Existenz eines göttlichen Willens und seine Funktion, oberstes Prinzip aller freien Handlungen zu sein, auch die Idee einer reinen Liebe, die das Organ dieser Handlungen sein soll, sowie das Gefühl einer reinen, sozusagen himmlischen Freude, das sie begleitet, sind mit der Kantischen Konzeption der Begründung der Moralität schlechterdings unvereinbar. Hier muß man offenkundig den Punkt der Differenz in der Vorstellungsart und in den Prinzipien sehen, von der Jacobi in seinem Brief spricht. Aus Kants Sicht müßte diese Vorstellungsart wohl als eine »windige, überfliegende, fantastische Denkungsart« erscheinen, wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft mit nicht geringem Spott und um »einer bloß moralischen Schwärmerei« vorzubeugen, bemerkt, eine Denkungsart, die sich, so Kant, »mit einer freiwilligen Gutartigkeit des Gemüts« schmeichelt, »das weder Sporns noch Zügel bedarf [und] für welches gar nicht einmal ein Gebot nötig sei« (AA V, 151 f.) – das heißt, ein kategorischer Imperativ und das Bewußtsein der Pflicht. Genau darin sah Jacobi aber offenbar den Vorzug seiner Konzeption gegenüber derjenigen Kants, die er, das belegen Jacobis private Aufzeichnungen, über Jahre hinweg durchaus gründlich studiert hat und auch sachlich zutreffend charakterisiert. So ist noch einmal genauer nach den Gründen zu fragen, die Jacobi gegen Kant geltend machen kann, ohne den Kantischen Vorwurf einer »moralischen Schwärmerei« auf sich zu ziehen. Es läßt sich zeigen, daß dies Gründe sind, die sich in Jacobis Perspektive aus Kants eigener Konzeption der Freiheit des Willens erheben lassen, dies jedoch in Verbindung mit einer Interpretation der menschlichen Natur, die Kant sehr wohl bekannt war, deren Bedeutung für die Begründung der Moralität Kant zum Bedauern Jacobis aber verkannt hat.

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IV. Das Gefühl der Achtung und das Gefühl der Ehre Der gemeinsame Ausgangspunkt ist der Gedanke einer reinen Selbsttätigkeit, den Jacobi zum Prinzip seines Beweises von der Wirklichkeit der menschlichen Freiheit gemacht hat. Im Gegensatz zum ersten Teil seiner Abhandlung hat Jacobi im zweiten Teil nun auch den Begriff des Willens in dieser Weise bestimmt. Unter dem Begriff des Willens versteht Jacobi nun eine »reine Selbsttätigkeit«, die unter der Bedingung der Vernunft steht und als solche bewußt ist. Da die Vernunft auch für Jacobi das Vermögen allgemeiner Gesetzlichkeit ist, ist der im Begriff des Willens enthaltene Begriff einer reinen Selbsttätigkeit unmittelbar mit der Vorstellung einer allgemeinen Gesetzlichkeit verbunden, die nur seine eigene vernünftige Verfassung ausdrückt. Genau dies ist der Gehalt des Kantischen Begriffs eines reinen Willens, der zugleich ein freier Wille ist. Denn da das Prinzip der Selbsttätigkeit für Kant wie für Jacobi das Vermögen meint, von selbst etwas hervorzubringen und hierbei die Gesetzlichkeit einer Naturkausalität ausgeschlossen ist, ist der freie Wille seinem Begriff nach durch die Eigenschaft charakterisiert, sich selbst ein Gesetz zu sein.11 Das bedeutet, daß die ihn qualifizierende Form einer allgemeinen Gesetzlichkeit auch sein eigenes und einziges Prinzip ist. Und daher läßt sich schließlich sagen, daß im Begriff eines freien Willens der Begriff des Gesetzes analytisch impliziert ist, oder, was dasselbe meint, daß in diesem Fall der Begriff des Gesetzes ein analytisch-deskriptiver Begriff ist, der nur die wesentliche Verfassung eines freien Willens beschreibt. Ein solcher freier und zugleich reiner Wille kommt in der Sicht Kants bekanntlich nur einem absolut-freien und vernünftigen und insofern heiligen Wesen zu bzw. dem Menschen, sofern er sich ausschließlich als Glied einer intelligiblen Welt versteht. An diesem Punkt der Überlegung trennen sich die Wege Kants und Jacobis. Es ist genauer gesagt der Punkt der Anwendung des Begriffs eines solchen freien und reinen Willens auf die spezifische Natur des Menschen. Für Kant kann diese Anwendung bekanntlich nur in der Form eines kategori-

Vgl. hierzu die offensichtlich rhetorisch gemeinte Frage Kants im Dritten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: »Was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?« (AA IV, 447). Dies stimmt mit der sogenannten Autonomieformel des kategorischen Imperativs überein. Der kategorische Imperativ kann dieser Formel zufolge »nur gebieten, alles aus der Maxime seines Willens, als eines solchen, zu tun, der zugleich sich selbst als allgemein gesetzgebend zum Gegenstand haben könne« (AA IV, 432; vgl. auch 434, 437, 444, 447). 11

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schen Imperativs gedacht werden. Er drückt eine objektive Nötigung aus, da er sich an ein Wesen wendet, das aufgrund seiner sinnlich bedingten Natur nicht von Haus aus und notwendigerweise dem Prinzip jener allgemeinen Gesetzlichkeit folgt. Daher ist der kategorische Imperativ Kant zufolge auch kein analytischer, sondern ein synthetisch-praktischer Satz a priori. Ohne die Differenz zwischen der sinnlichen und intellektuellen Natur des Menschen zu leugnen und auch ohne die Herrschaft der letzteren über die erstere in Abrede zu stellen, macht Jacobi demgegenüber auf ein Phänomen unseres moralischen Bewußtseins aufmerksam, dessen entscheidende systematische Bedeutung für ihn darin besteht, daß es als eine direkte Anwendung und Darstellung des Begriffs jener reinen Selbsttätigkeit zu interpretieren ist. Dies ist das Prinzip bzw. Gefühl der Ehre, wie Jacobi mit Verweis auf die stoische Tradition ausführt (PLS 2/1, 37 f.). Das Prinzip der Ehre steht für ein bestimmtes praktisches Selbstbewußtsein einer Person, das für die Art und Weise ihrer Lebensführung grundlegend ist. Es besteht in einer inneren Haltung, die eine konstante Lebensform begründet und die, das ist hier die Pointe Jacobis, darauf abzielt, in einer reflektierten Distanz zu allen naturwüchsigen Neigungen und Begierden jene reine Selbsttätigkeit zum ausschließlichen Prinzip aller konkreten Handlungen zu machen. Den entscheidenden Unterschied zum Kantischen kategorischen Imperativ und dem damit verbundenen Bewußtsein der Pflicht sieht Jacobi darin, daß das Gefühl der Ehre sich in seinem phänomenalen Gehalt angemessen gar nicht durch den Gegensatz zwischen einem formalen Vernunftgesetz und natürlichen Bedürfnissen beschreiben läßt. Das Gefühl der Ehre, so ist vielmehr zu sagen, ist über diesen Gegensatz immer schon hinaus. Denn derjenige, der seine Ehre in etwas setzt und um seiner Ehre willen handelt, der versteht sich nicht im Kantischen Sinn als ein reines Vernunftwesen und als Glied einer intelligiblen Welt, sondern als diese konkrete, individuelle Person, die sich gar nicht in einem Kantischen Kampf der moralischen Gesinnung mit widerstrebenden Neigungen befindet, 12 sondern sich aus freien Stücken und mit dem unmittelbaren Bewußtsein der Übereinstimmung seiner praktischen Intentionen mit der wesentlichen Tendenz seiner geistigen Natur zu einer Handlung bestimmt. Diese wesentliche Tendenz besteht in der durchgängigen Realisierung jener reinen Selbsttätigkeit. Das Gefühl der Ehre erscheint Jacobi daher als ein phänomenologisches Zeugnis dafür, daß dem moralischen Bewußtsein einer Person gar nicht das Bewußtsein der Nötigung oder des Zwangs zugrundeliegt, sondern allein das Prinzip einer reinen SelbsttäSo versteht Kant in der Kritik der praktischen Vernunft »Tugend« als »moralische Gesinnung im Kampfe«; vgl. AA V, 151. 12

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tigkeit, das das Grundprinzip seiner geistigen Natur ist. Daraus folgt, daß das Gesetz, das dem Handeln aus dem Prinzip der Ehre zugrundeliegt, in der Sicht Jacobis auch nur den Status eines analytisch-deskriptiven Begriffs von der geistigen Natur des Menschen hat. Moralisch handeln heißt daher für Jacobi gar nichts anderes, als der wesentlichen Tendenz seiner geistigen Natur folgen. Erst damit ist der entscheidende Punkt der Differenz in der Streitsache »Jacobi gegen Kant« hinsichtlich der Begründung der Moralphilosophie in den Blick gebracht. Er besteht in der Differenz zweier Typen der Begründung, die man mit Recht als Differenz der Vorstellungs- bzw. Denkungsart bezeichnen kann. Es ist wichtig zu sehen, daß diese Differenz nicht die Prämissen beider Konzeptionen betrifft. Denn mit Kant geht Jacobi von der Prämisse der Freiheit des menschlichen Willens und dem Begriff des moralischen Gesetzes als einer analytischen Implikation dieses Freiheitsbegriffs aus. Die Differenz liegt, folgt man einmal dem Schema eines Syllogismus, im Untersatz. Er enthält zwei miteinander unvereinbare Aussagen über die menschliche Natur. Während Kant dafürhält, daß der Begriff der menschlichen Natur es ausschließt, unmittelbar als Darstellung jener Selbsttätigkeit und Freiheit gelten zu können und mit Bezug auf die das moralische Gesetz daher nur in der Form eines kategorisch nötigenden Imperativs erscheint, dem ein Gefühl der Achtung vor diesem Gesetz entspricht, ist es Jacobi zufolge das Gefühl der Ehre, das die ratio cognoscendi der Wirklichkeit der Freiheit ist. Ein Handeln aus dem Gefühl der Ehre ist daher keine Nötigung, sondern nur der Ausdruck der freien Wirksamkeit der eigenen geistigen Natur. Daraus folgt die beschriebene Differenz der Begriffe der Moralität und des moralischen Bewußtseins. Es ist deutlich, daß diese Differenz die bekannte Differenz zwischen einer Pflichten- und einer Tugendethik widerspiegelt.13 Die von Jacobi im Namen der Freiheit, aber auch, und dies ist entscheidend, im Namen des moralischen Bewußtseins einer konkreten individuellen Person vorgetragene Kritik der Moralphilosophie Kants ist daher in Wahrheit ein Plädoyer für eine Ethik der Tugend gegen eine Ethik der Pflicht. Dem entspricht, daß die Domäne, in der sich das Gesetz der Selbsttätigkeit in der menschlichen Natur darstellt oder zum Ausdruck kommt, für Jacobi der Charakter bzw. die Tugend einer Person ist. Hier ist der genuine Ort und der Hort gleichsam der Moralität: »Wo Menschen gewesen sind, haben sie eine Ehre darin gesetzt sich selbst zu Es ist hier nicht der Ort, in die aktuelle Diskussion des Verhältnisses einer Tugend- und einer Pflichtenethik einzutreten. Zur Orientierung vgl. Klaus Peter Rippe u. Peter Schaber (Hgg.), Tugendethik, Stuttgart 1998. 13

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beherrschen, einen Character zu haben, nicht das Spiel zufälliger Begierden und Leidenschaften zu seyn«, so notiert Jacobi in einer seiner Kladden in der Auseinandersetzung mit der Moralphilosophie Kants.14 Damit liegt die Vermutung nahe, daß die hier verhandelte Streitsache »Jacobi gegen Kant« in systematischer Hinsicht in Wahrheit eine Streitsache »Aristoteles gegen Kant« ist. Und wirklich hat Jacobi die Ethik des Aristoteles als grundlegenden Orientierungsrahmen für seine eigene ethische Kon zeption angesehen. Dies belegt Jacobis Roman Woldemar (WW V). Die »Darstellung der aristotelischen Moralphilosophie« rechnete Jacobi sich denn auch als das »größte Verdienst« dieses Werks an, wie er in einem Brief an Wilhelm von Humboldt bekennt. »Diese wenigen Blätter«, so heißt es weiter, »haben mich mehr Arbeit, Anstrengung und Nachdenken gekostet, als irgend etwas, was ich im philosophischen Fache geliefert habe.«15 Diesen »Blättern« wende ich mich abschließend zu.

V. Jacobi mit Aristoteles gegen Kant Hier soll und kann es nicht darum gehen, in einen Vergleich der Ethik des Aristoteles mit Jacobis Ausführungen über sie einzutreten. Es soll vielmehr, gleichsam als Fazit des bisher Entwickelten, das tugendethische Fundament der Lehre von der Freiheit des Menschen in der Weise deutlich werden, wie es sich in den Gesprächen über die Ethik des Aristoteles gegen Ende des Romans – dies sind offenbar die besagten »wenigen Blätter« –, darstellt, um zu einem Urteil über die immer noch anhängige Streitsache zu gelangen, die nun zu einer Streitsache »Jacobi mit Aristoteles gegen Kant« geworden ist. Schon sehr früh fällt in den Gesprächen über das Problem der Moralität, und nichts anderes ist das Thema dieses Romans, der Name des Aristoteles (WW V, 76 f.). Und wie ein Leitmotiv erscheint am Anfang und am Ende des Romans der Gedanke, daß die moralische Qualität einer Handlung allein aus dem Charakter des Menschen zu beurteilen sei. Dieser CharakJacobi, Kladde VI, 41. Januar 95 – November 96. – Dem entspricht Jacobis Bemerkung im Zusammenhang der Erörterung des Problems der Lüge im zweiten Teil der Freiheitsabhandlung: »Wenn auf Ehre Ve rl a ß ist, und der Mensch Wo r t h a l t e n kann, so muß noch ein andrer Geist, als der bloße Geist des Syllogismus in ihm wohnen« (Jacobi an Fichte, S. 37). 15 Brief an Wilhelm v. Humboldt vom 2. September 1794, AB II, 180. – Zu dem hier nicht zu verhandelnden zentralen Thema der Freundschaft in Jacobis Woldemar vgl. Birgit Sandkaulen, Bruder Henriette? Derrida und Jacobi: Dekonstruktionen der Freundschaft, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 5 (2001), S. 653–664. 14

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ter wird seinerseits als Äußerung eines Grundtriebs der geistigen Natur des Menschen begriffen, dessen Prinzip es ist, sich von sich aus in je bestimmten Handlungen und Taten darzustellen und zu konkretisieren. Die ungehinderte Äußerung dieses Grundtriebs gilt daher als das Kriterium des Guten. Da der Grundtrieb nicht nach mechanischen Gesetzen der Kausalität, sondern aus eigener Kraft wirkt, sind die Handlungen, die auf ihn zurückzuführen sind, als Weisen der Darstellung der ihm innewohnenden Spontaneität und Selbsttätigkeit zu begreifen. Daher sind diejenigen Handlungen gut zu nennen, in denen dieser Grundtrieb sich ungehindert äußern und realisieren kann. Daraus folgt unmittelbar die hier leitende Auffassung von der Freiheit des Menschen. Die Freiheit der Seele, wie Jacobi es ausdrückt, besteht in der ihr eigentümlichen Kraft, aus ihr selbst heraus tätig zu sein; und ihren Ausdruck erhält diese Kraft in dem besonderen Charakter des Menschen. »Gerecht, gut, edel, vortrefflich«, so heißt es gegen Ende des Romans unter Bezug auf Aristoteles, »wäre, was der gerechte, gute, edle, vortreffliche Mensch, seinem Charakter gemäß ausübte, verrichtete, hervorbrächte.« (WW V, 418) Zugleich wird deutlich – und dies ist eines der zentralen Anliegen des Romans –, daß im Begriff des moralischen Charakters nicht die empirischzufällige Beschaffenheit habitualisierter Einstellungen und Verhaltensweisen eines singulären Subjekts gemeint ist, sondern die zur dauerhaften und bewährten Grundlage eines Lebens gewordene Fähigkeit, in seinen Absichten, die man in Handlungen zu realisieren sucht, von allen empirisch-zufälligen Neigungen und Intentionen als handlungsleitenden Gründen völlig abzusehen und nur die Selbsttätigkeit der eigenen geistigen Natur ungehindert in ihnen wirksam werden zu lassen. »Die Anwendung und Entwicklung dieser Tätigkeit [ist] der eigentümliche Zweck seines [sc. des Menschen] Daseins, sein hö c h s t e s G ut ; [und] so ist diese u n g e h i nd e r t e K r a f t äu ß e r u n g s e lb s t d a s a n s i c h Wü n s c h e n s we r t e für ihn: das, was wir Glückseligkeit nennen« (WW V, 450), so heißt es an einer der zentralen Stellen am Ende der Darstellung der aristotelischen Moralphilosophie mit einer nicht zu übersehenden Spitze gegen die Kantische Lehre vom höchsten Gut. Dem kann hier nicht näher nachgegangen werden. Im vorliegenden Zusammenhang erscheint eine andere Kant-Adresse von größerem systematischen Gewicht. Sie ist geeignet, aus einer neuen Perspektive Jacobis gegen Kant gewendete These vom bloß analytisch-deskriptiven Charakter des Prinzips der Moralität zu bestätigen. Diese Perspektive ergibt sich aus einer von Jacobi hergestellten Analogie zu Kants Lehre vom Genie. Sie geht der oben zitierten Erklärung voraus. So wie Kant zufolge die Natur durch das Genie der Kunst die Regel gibt, so gibt Jacobi zufolge das sittliche Genie dem menschlichen Verhalten die Regel

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(WW V, 78, 417). Diese Regel ist aber gar nichts anderes als das Grundprinzip der geistigen Natur des Menschen, das in der durchgängigen Äußerung einer reinen, von allen natürlichen Begierden unabhängigen Selbsttätigkeit besteht (vgl. WW V, 79 f.). Dieses Prinzip ist daher das Prinzip der Freiheit zu nennen. Jacobis metaphorisches Wort, daß Freiheit der Tugend Wurzel und zugleich der Tugend Frucht sei (vgl. WW V, 447), bestätigt daher nur noch einmal den Grundgedanken seiner Lehre von der Freiheit des Willens, derzufolge ein freier Wille mit Bezug auf sich selbst ein Gesetz ist. Denn das bedeutet, daß die Freiheit des Willens genau darin besteht, daß er diese seine Verfassung in der Form konkreter Handlungen durchgängig zu realisieren bestrebt ist. Genau dies ist aber auch die Pointe der kantischen Lehre von der Freiheit des Willens, der zugleich ein reiner Wille ist. Für ihn gilt, daß er »s i c h s e lb s t als allgemein gesetzgebend zum Gegenstand« hat (AA IV, 432). Diese allgemeine Gesetzgebung besteht zufolge des hier betonten Selbstverhältnisses in der universalen Realisierung seiner selbst als eines freien Willens. Daher drückt die Aussage, daß der freie Wille sich selbst ein Gesetz ist, gar nichts anderes als die Grundverfassung eines freien Willens aus. Und dies besagt, daß der Begriff des Gesetzes ein analytisches Element im Begriff eines freien Willens ist. Wird nun gesagt, daß genau das gerecht, gut und in einem moralischen Sinn vortrefflich ist, was der gerechte und gute Mensch, seinem Charakter gemäß tut, dann wird noch einmal die Jacobische Grundidee deutlich, daß der moralische Charakter bzw. das, was dem Begriff der Tugend entspricht, der direkte Ausdruck der Selbstgesetzlichkeit eines freien Willens ist. Berücksichtigt man nun, daß auch Jacobi die Dualität der Aspekte der menschlichen Natur nicht in Abrede stellt und seinerseits von einem ›Kampf‹ gegen die natürliche Verfaßtheit des Menschen spricht, dann spitzt sich die Differenz zum Kantischen Begriff der Moralität auf die je verschiedene Interpretation des Begriffs der Tugend zu. Während Jacobi diesen Kampf als ein natürliches Geschehen begreift, in dem das Gesetz der Freiheit zwar den kleineren Teil der menschlichen Natur ausmacht, alle übrigen Teile aber »an Würde und an Kraft überwiegt« (WW V, 451), wie es mit nicht geringer Emphase am Ende der »Blätter« über Aristoteles heißt, erhält die Tugend für Kant ihre Kraft allein aus dem Bewußtsein der Anerkennung der objektiven Nötigung des Gesetzes mit Bezug auf die natürlichen Bedürfnisse des Menschen. Daß dies in der Tat der Kantische Begriff der Tugend ist, belegt die folgende Erklärung aus der Tugendlehre: »Tugend ist die Stärke der Maxime des Menschen in Befolgung seiner Pflicht.« (AA VI, 394) Daher erscheint die Tugend in der Sicht Kants denn auch als ein »Zwang«, wenngleich »nach

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einem Prinzip der inneren Freiheit«, und das heißt, »durch die bloße Vorstellung seiner Pflicht, nach dem formalen Gesetz derselben.« (AA VI, 394) In der Sicht Jacobis ist dieses formale Gesetz hingegen nicht Ausdruck einer Nötigung, sondern der Natur eines freien Willens, die sich in einem tugendhaften Charakter manifestiert. Daher ist die Anerkennung des moralischen Gesetzes auch nicht mit dem Bewußtsein einer Nötigung verbunden, sondern mit dem Bewußtsein einer überwiegenden Stärke und Kraft des eigenen freien Willens. An keiner Stelle kann man sich daher auch die Dichotomie zwischen der Kantischen und der Jacobischen Konzeption des Begriffs der Tugend deutlicher vor Augen führen, als in dem Kontext, in dem sich Kants Erörterung des Begriffs der Tugend findet. »Tugend ist eine moralische Stärke des Willens«, so heißt es am Beginn des Abschnitts »Von der Tugend überhaupt«. »Aber dies«, so fährt Kant fort, »erschöpft noch nicht den Begriff; denn eine solche Stärke könnte auch einem h e i l i g e n (übermenschlichen) Wesen zukommen, in welchem kein hindernder Antrieb dem Gesetze seines Willens entgegenwirkt; das also alles dem Gesetz gemäß gerne tut.« Da wir als Menschen diesen Vorzug nicht genießen, muß die Folgerung für Kant lauten: »Tugend ist also die moralische Stärke des Willens eines M e n s c h e n in Befolgung seiner P f l i c ht : welche eine moralische N ö t i g u n g durch seine eigene gesetzgebende Vernunft ist, insofern diese sich zu einer das Gesetz au s f ü h r e nd e n G e wa lt selbst konstituiert.« (AA VI, 405) Auch für Jacobi genießen wir Menschen, wie erwähnt, nicht den Vorzug eines heiligen Willens. Seine Folgerung lautet jedoch: Tugend ist die moralische Stärke eines Menschen in der Beförderung seiner eigenen geistigen Natur, welche keine moralische Nötigung für ihn darstellt, da sie nur die Anwendung der Kraft dieser seiner geistigen Natur ist, die sich an ihren Widerständen nur bewährt, realisiert und stärkt. Mit dem Bewußtsein dieser »überwiegenden Energie« (PLS 2/1, 38), wie Jacobi es im zweiten Teil der Freiheitsabhandlung nennt, ist jedoch nicht das Bewußtsein der Pflicht verbunden, sondern nur ein Gefühl der Kraft der eigenen Natur, die sich ungehindert zu äußern bestrebt ist und der man gerne folgt. Nimmt man daher Jacobis Bild von der Freiheit als der Wurzel der Tugend noch einmal auf, dann erscheint die Ausübung der Tugend wie das Wachstum eines organischen Wesens, das sich in der Überwindung äußerer Widerstände bildet, steigert und erhält. Wie steht aber nun die Streitsache Jacobi gegen Kant? Wer hat Recht? Einer oder keiner von beiden, und wenn dies, was dann? Kann der Streit nach dem bisher Gesagten entschieden werden? Soviel kann vorderhand wohl gesagt werden: Es erscheint mit Bezug auf

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Jürgen Stolzenberg

die Verfassung des moralischen Bewußtseins phänomenologisch nicht einleuchtend, seine Äußerung nur nach dem Modell eines lebendigen Organismus zu verstehen. Ein Charakter, der eine moralisch qualifizierte Lebensform dauerhaft begründen soll, setzt einen konstanten Willen und eine Entscheidung auf Seiten der Person voraus, dem Gesetz seiner eigenen praktischen Vernunft auch wirklich zu folgen. Für den Willen einer solchen Person wird dieses Gesetz daher zu seinem alleinigen Prinzip. Dieses Selbstverhältnis ist aber nicht mit der Selbstgesetzlichkeit eines reinen Willens identisch, sondern fällt in die konkrete Person, die jenen moralischen Charakter hat bzw. ausbildet und die darin das Selbstverhältnis eines reinen Willens auf sich bezieht und seine Anwendung auf ihre Handlungen will. Dies nicht hinreichend deutlich gemacht zu haben, wäre der Position Jacobis vorzuhalten. Daraus folgt jedoch nicht das Bewußtsein einer Nötigung bzw. Pflicht. Es folgt nur das Bewußtsein, die eigene vernünftige Natur und ihre Grundstruktur zum Prinzip seines Wollens zu machen, sich zu ihr in allen Absichten gleichsam zu bekennen. Dieses Bekenntnis und seine praktischen Folgen müssen aber nicht als das Bewußtsein einer Nötigung und eines intellektuellen Zwangs aufgefasst werden. Es kann vielmehr aus einem sich aufdrängenden Gefühl des Vertrauens auf die Kraft der eigenen geistigen Natur entstehen, dem bzw. der man sich gleichsam freiwillig und auch gerne überläßt. Das wäre mit Jacobi gegen die Position Kants zu sagen. Es ist nun nicht schwer zu sehen, daß sich damit die Umrisse einer dritten Position abzeichnen. Das, was dem hier erwogenen Gefühl des Vertrauens auf die Kraft und die Wirksamkeit der eigenen geistigen Natur entspricht, das wäre als ein unmittelbares Gefühl eines Triebs zur Selbsttätigkeit zu bezeichnen, den man sich als konstante Grundlage seines Handelns zu eigen macht. Dies ist bekanntlich der Grundbegriff der moralphilosophischen Konzeption Fichtes im Dritten Buch der Bestimmung des Menschen, das eine Hommage an Jacobi ist. Ob damit die Streitsache »Jacobi gegen Kant« entschieden werden kann, das bedarf freilich noch einer genaueren Untersuchung.

Fichte als Spinoza, Spinoza als Fichte. Jacobi über den Spinozismus der Wissenschaftslehre von Günter Zöller

Gegenstand der folgenden Ausführungen ist die Auseinandersetzung Friedrich Heinrich Jacobis mit der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. Genauerhin geht es um Jacobis Rezeption der Wissenschaftslehre vor dem Hintergrund seiner Interpretation und Kritik der Philosophie Spinozas. Im Zentrum steht Jacobis Herausarbeitung der systematischen Affinitäten zwischen dem Spinozistischen und dem Fichteschen System. Abweichend von früheren Einschätzungen, die Jacobi ein subjektivistisches Verständnis oder vielmehr Fehlverständnis der Wissenschaftslehre zuschreiben, wird gezeigt, daß Jacobi wie kaum ein anderer Zeitgenosse Fichtes spekulative Grundkonzeption zu erfassen vermochte. Insbesondere erkennt Jacobi den übergreifenden, subjektiv-objektiven Charakter der Wissenschaftslehre oder des transzendentalen Idealismus bei Fichte. Im einzelnen gelangt Jacobi zu dieser spekulativen Einschätzung Fichtes, indem er diesen systematisch an Spinoza annähert, den er seinerseits von Fichte her interpretiert. Der Grundbegriff von Jacobis wechselseitiger Assimilation von Spinoza und Fichte ist der der Verklärung des Materialismus in Idealismus, durch den dem »toten Hund« Spinoza1 eine idealistische Reanimation bereitet wird. Die Ausführungen gliedern sich in vier Teile zum allgemeinen Verhältnis zwischen Jacobi und Fichte, zu Jacobis Grundverständnis von Spinoza, zur Transformation des Spinozismus in den Idealismus bei Jacobi und zu seiner materialistischen Idealismusdeutung.

Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke, Hamburg 2000, S. 32 f. (im folgenden LS). 1

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Günter Zöller

I. Jacobi gegen Fichte Im Verlauf seines langen öffentlichen Lebens war Friedrich Heinrich Jacobi initiierend bzw. maßgeblich an drei Kontroversen im intellektuellen Deutschland seiner Zeit beteiligt, die als »Streite« in die Philosophiegeschichtsschreibung eingegangen sind: dem Pantheismusstreit über den angeblichen Spinozismus Lessings, dem Atheismusstreit über die angebliche Gottlosigkeit Fichtes und dem Streit um die göttlichen Dinge mit Schelling. Jacobis Beiträge zu den drei »Streiten« behandeln allesamt an zentraler Stelle die Funktion des Spinozismus als Grund- und Vollendungsgestalt der Metaphysik oder der spekulativen Philosophie. Jacobi selber war es, der in Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785; zweite erw. Auflage 1789) die fortschrittliche Bedeutung Spinozas für die Metaphysik als Wissenschaft erkannte und nachhaltig vertrat. Jacobi war es aber auch, dem in der wissenschaftlichen Vollendung der Metaphysik durch Spinoza deren prinzipielle methodische wie substantielle Begrenzung aufging, der gegenüber er eine alternative, nicht-wissenschaftliche Konzeption von Gewißheit und ihren Inhalten entwickelte und in den drei Streiten gegen den geltend gemachten wissenschaftlichen Fortschritt in der Philosophie vertrat. Auf der Grundlage seines im Rahmen des Pantheismusstreits entwickelten Verständnisses der Lehre Spinozas als des Inbegriffs modern-wissenschaftlicher Philosophie verfuhr Jacobi in den beiden folgenden »Streiten« dergestalt, daß er die jeweilige opponierte Position, Fichtes bzw. Schellings, als spinozistisch identifizierte, um dergestalt die Defizite des Spinozismus auf dessen angebliche Abkömmlinge zu übertragen. Von besonderem Interesse ist dabei die Identifikation Fichtes, genauer: der Wissenschaftslehre, mit dem Spinozismus. Denn die damit vollzogene Jacobische Interpretation Fichtes als eines Deterministen und Fatalisten steht konträr zur Selbstinterpretation der Fichteschen Philosophie als des ersten Systems der Freiheit überhaupt. 2 Jacobis Spinozismus-Vorwurf an Fichte scheint auch zu übersehen, daß Fichte selbst das eigene System in radikalen und exklusiven Gegensatz zu dem Spinozas stellt. Man könnte sich also fragen, wie denn überhaupt das Urteil Jacobis über den Spinozismus der Wissenschaftslehre zustandekam oder zustandekommen konnte. Es wäre zu erkunden, welche Texte oder welche Teile von Texten Fichtes denn in Jacobis spinozistische Einschätzung der Wissenschaftslehre eingingen und welche anderen Autoren Jacobis Urteil über Fichtes Philosophie beeinflußt oder geprägt haben oder doch geprägt Siehe Fichtes Entwurf eines Briefes an Baggesen vom April oder Mai 1795, GA III/2, 297–299. 2

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haben könnten. Schließlich wäre die Frage zu stellen, welches Verständnis und gegebenenfalls welches Mißverständnis der Fichteschen Lehre in deren Identifikation mit dem Spinozismus bei Jacobi vorliegt. Fragen dieser Art sind in der Tat bereits gestellt und gründlich beantwortet worden. 3 Infolgedessen kennen wir die Vorgeschichte von Jacobis Spinozismus-Vorwurf an Fichte bei Weißhuhn, Hölderlin und Schelling, die als erste – im Oktober 1794 bzw. Anfang 1795 – Fichtes Position in kolportierten bzw. eigenen schriftlichen Äußerungen als spinozistisch oder doch als einen modifizierten Spinozismus repräsentierend charakterisiert haben. Wir wissen um den Ansatz Schellings von 1795, Dogmatismus und Kritizismus (Spinozismus und Transzendentalphilosophie) als gleichursprüngliche und äquivalente Systemformen der Philosophie zu behandeln, 4 und um Schellings weitere Schritte, zunächst, ab 1797, den Dogmatismus als Naturphilosophie neu auszuführen5 und sodann, seit 1801, den Spinozismus für die prädisjunktive Grundform der Philosophie, den Indifferenzpunkt von Natur und Geist oder von Nicht-Ich und Ich, zu reklamieren. 6 Wir sind vertraut mit dem Vorwurf an Jacobi, Fichte von Schelling her verstanden, oder vielmehr: mißverstanden und darüber Fichtes dezidierten Anti-Spinozismus aus dem Blick verloren zu haben. Wir kennen den Einwand, Jacobi habe bei seiner erstmals 1799 im Sendschreiben an Fichte vorgelegten spinozistischen Interpretation Fichtes nur die Grundsatzlehre sowie den theoretischen Teil der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794) 7 berücksichtigt, und auch wohl nur diesen Teil gekannt, und weder deren praktischen Teil noch die Ausführungen zur systematischen Unzulänglichkeit des Spinozismus in den beiden Einleitungen von Fichtes Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797; GA I/4, 183–270) zur Kenntnis genommen. Aus solchen berechtigten Fragen und gerechtfertigten Antworten resultiert das Bild einer Deutung Fichtes durch Jacobi, die den Standards kritischer Rezeption philosophischer Texte kaum genügen dürfte. Insbesondere die von Jacobi vorgenommene Identifikation der Grundposition Fichtes Siehe insbesondere Reinhard Lauth, Das Fehlverständnis der Wissenschaftslehre als subjektiver Spinozismus, in: ders., Vernünftige Durchdringung der Wirklichkeit. Fichte und sein Umkreis, Neuried 1994, S. 29–54. 4 Siehe Schelling: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, SW 1, 29–124, bes. S. 50 ff. 5 Siehe Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft, Einleitung, SW 2, 1–73. 6 Siehe Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie, SW 4, 105–212. 7 GA I/2, 251–384. – Siehe auch Fichtes Brief an K. L. Reinhold vom 8. Januar 1800, GA III/4, 180. 3

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mit einem, wie auch immer modifizierten, Spinozismus verfehlt danach die Selbstpräsentation und das Selbstverständnis der Wissenschaftslehre auf geradezu groteske Weise, indem nämlich der Anti-Spinozist par excellence für einen Erzspinozisten ausgegeben wird. Doch geht es bei Jacobis Fichte-Interpretation um anderes und um mehr als Kollegen-Kritik und strategische Manöver von Vereinnahmung. Jacobis Auseinandersetzung mit Fichte ist wesentlich ein »Kulturkampf«, eine Kollision fundamentaler Wertvorstellungen, bei der es nicht nur, und sicher nicht vorrangig, um die gültige Gestalt von Philosophie geht, sondern um den Bestand wie den Wert der Philosophie als Orientierungsleistung für das menschliche Leben. Jacobi rezipiert gezielt und exklusiv all jene Momente und Aspekte von Fichtes Theorieprogramm und dessen initialer Entfaltung, die auf der Linie seiner vorgängigen Einschätzung der Lehren Spinozas einerseits und Kants andererseits liegen. So wird Fichte durch Jacobi eingespannt in eine bereits im Gang befindliche gigantomachia peri tes philosophias zwischen Jacobi und Spinoza, zwischen Wissensphilosophie und Glaubensphilosophie, zwischen Szientismus und Fideismus, zwischen Monismus und Dualismus, zwischen philosophischem Pantheismus und philosophischem Theismus, zwischen Immanenztheologie und Tranzendenztheologie, zwischen Naturalismus und Supranaturalismus. Es ist eine Ironie der Philosophiegeschichte, daß Jacobi diese spinozistische Rezeption einem Philosophen hat angedeihen lassen, der seinerseits zutiefst davon überzeugt war, mit Jacobi in der Grundeinschätzung der Philosophie als eines bloßen Mittels zu einem außerphilosophischen Zweck, dem, was Jacobi und, ihm folgend, Fichte, das »Leben« nannten, übereinzustimmen. Doch ist auch nicht zu übersehen, daß Jacobi über lange Zeit nur briefliche Beteuerungen Fichtes über dessen grundsätzliche philosophische Nähe und Verbundenheit zu ihm vorlagen. In Fichtes wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist die Philosophie dem Leben erst seit 1800 expressis verbis subordiniert, 8 und dies wohl nicht zuletzt in Antwort auf die frühere Rezeption von Fichtes Philosophie, zumal die durch Jacobi, als selbstgenügsamer Spekulation.

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268.

Siehe Fichte: Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum …, GA I/7, 185–

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II. Fatalismus und Freiheit Jacobis Assimilation der Wissenschaftslehre und ihres transzendentalen Idealismus an den Spinozismus in dessen Interpretation durch Jacobi erfolgt im Rahmen seiner Gesamteinschätzung der Philosophie im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit wie ihre möglichen Formen. Methodisch legt Jacobi die Philosophie, in ihrer Grundform als Metaphysik, auf die rigorose und universale Anwendung des Satzes vom (zureichenden) Grunde fest, unter dessen Vorgabe die Gründe von allem und jedem im Prinzip zu ermitteln sind. Inhaltlich stellt Jacobi die Wesensbestimmung von Denken und Ausdehnung, insbesondere im Hinblick auf deren mögliches Verhältnis zu einander, in den Mittelpunkt spekulativer Philosophie (LS, S. 271–293). Für Jacobi repräsentiert Spinozas Metaphysik, insbesondere deren Lehre von der einen, allumfassenden Substanz (»Deus sive natura«) nicht nur den Zielpunkt spekulativer Bemühungen, sondern auch deren allein mögliche systematische Ausgestaltung. Einzig Spinoza hat es, Jacobi zufolge, vermocht, die formale philosophische Aufgabe der Aufstellung eines umfassenden Begründungszusammenhangs der Wirklichkeit und die inhaltliche Aufgabe der positiven Verhältnisbestimmung von Sein und Bewußtsein zu lösen. Im einzelnen sieht Jacobi diese Leistung bei Spinoza erbracht mittels der Substitution pluraler Substanzen durch die Eine Substanz, im Verhältnis zu der alles andere nur Modifikation von deren (unendlich vielen) Attributen ist, durch die Restriktion der Kausalität auf Wirkkausalität (Wirkursache; causa efficiens) unter explizitem Ausschluß der Zweckkausalität (Zweckursache; causa finalis) und durch die Einschränkung der Wirkkausalität auf immanente Kausierung, bei der Inhärenz der Wirkung in der Ursache vorliegt (LS, S. 65 ff.). Speziell im Hinblick auf die philosophische Vexierfrage nach dem Verhältnis von Denken und Ausdehnung sieht Jacobi den konkurrenzlosen Vorzug der monistischen Substanzlehre im Konzept der Identität von Ausdehnung und Denken als differenter Eigenschaften, genauer: Attribute, der einen unendlichen Substanz. Wesentlicher Bestandteil der Spinozistischen Systemkonzeption ist für Jacobi dessen Naturalismus und Determinismus. Das Immanenzverhältnis zwischen der einen Substanz (Gott) und deren Attributen (darunter Denken und Ausdehnung oder Geist und Materie) impliziert, daß es nichts gibt und geben kann jenseits der allumfassenden göttlich-natürlichen Ordnung, die als Natur den Grund aller Realität (natura naturans) wie den Inbegriff aller Realität (natura naturata) darstellt. Darüber hinaus ist der universale Naturzusammenhang bei Spinoza exklusiv durch den Satz vom Grund in dessen einzig gültiger Gestalt als Prinzip der Wirkkausalität bestimmt. Die wirk-

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kausale Determination beinhaltet den Ausschluß von Finalität als genuinem Verursachungsmodus und führt so zur Ausdehnung des naturalistischen Determinismus auf Handlungen aller Art, die nur scheinbar Handlungen frei wählender Subjekte sind, während in Wirklichkeit blinde Notwendigkeit das Geschehen vollständig bestimmt (moralischer Determinismus oder Fatalismus). So bleibt dem Denken bei Jacobis Spinoza nur das Zusehen und dem Willen nur das affektive Begleiten eines anonymen Geschehensvollzugs. Alles ist Natur; Freiheit ist Schein. Um den Preis des Determinismus und Fatalismus hat Spinoza, nach Jacobis Einschätzung, ein maximal umfassendes und maximal kohärentes »System« zustandegebracht, ein non plus ultra der Spekulation. Doch ist Jacobis Auszeichnung des Spinozismus nicht uneingeschränkt. Vielmehr stellt Jacobi am Musterbeispiel Spinozas heraus, was und wieviel spekulative Philosophie vermag und woran es ihr konstitutiv mangelt. Es ist geradezu die Strategie Jacobis im Umgang mit Spinoza, diesen zunächst als das erfolgreichste Beispiel spekulativen Denkens vorzustellen, um daraufhin die Grenzen solchen Philosophierens auch und gerade in dessen gelungenster und überzeugendster Ausprägung aufzuweisen. Die Grenzen spekulativer Philosophie im allgemeinen und die des Spinozistischen Systems im besonderen werden aber nur dann sichtbar, wenn man, wie Jacobi, ein alternatives Konzept von Philosophie zugrundelegt, das dem philosophischen Kritiker einen externen Standpunkt bereitstellt, von dem her das in den Blick kommt, was die spekulative Form der Philosophie gerade ausschließt. Jacobis alternative Konzeption von Philosophie ist deshalb kein mit dem Spinozismus nach den Standards philosophischer Spekulation konkurrierendes System, sondern die Alternative zum spekulativen Systemdenken. In methodischer Hinsicht stellt Jacobi dem Wissen (der theoretischen, diskursiv gewonnenen und vermittelten Verstandesgewißheit) den Glauben (die intuitiv und affektiv gewonnene und vermittelte Herzensgewißheit) gegenüber. Aufgabe der alternativ zu Spinoza konzipierten Philosophie ist denn auch nicht das vernunftgeleitete Aufsuchen von Gründen, sondern die in unmittelbarem Gewahren sich vollziehende Enthüllung von Dasein (LS, S. 35). In inhaltlicher Hinsicht kontrastiert Jacobi dem Monismus der Alleinheitslehre einen Dualismus, bei dem es sich allerdings nicht um eine Zweiheitslehre nach Art des cartesischen Substanzendualismus samt dessen metaphysischen Folgeproblemen handelt. Vielmehr vertritt Jacobi einen Dualismus der Interaktivität von Dualem, angezeigt in der Grundformel des Dualismus von »Ich« und »Du«, bei der das »Du« für jede Art von Dialogpartner des Menschen (»Ich«) steht, sei dies nun ein anderer Mensch, Gott

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oder die Natur. Der Dualismus Jacobis ist darüber hinaus als Dualismus von Typen von Wesenheiten zu verstehen, deren es nämlich zwei gibt (Schöpfer und Geschöpfe), und er ist als solcher kompatibel mit einem Pluralismus, ja Infinitismus von Wesen (entia), die real unterschieden und dabei auch real aufeinander bezogen sind. Der primäre Realzusammenhang zwischen den Wesen ist in Jacobis Konzeption das Schöpfungs- und Offenbarungsverhältnis zwischen Gott und Mensch. Gott ist nicht nur der absolute Ursprung von allem, sondern auch dessen fortwährender Erhalter und als solcher jederzeit und überall erfahrbar, allerdings ohne daß er, wie der Gott Spinozas, in seinen Manifestationen aufginge. Aufgrund der radikalen Abhängigkeit des Geschöpfs vom Schöpfer besteht numerische und essentielle Differenz zwischen den ungleichen Partnern der dialogischen Existenz. Wesentlich für Jacobis alternative philosophische Konzeption von Gott, Mensch und Welt ist das personelle und individuelle Verständnis Gottes wie der anderen Wesen, insbesondere der anderen Vernunftwesen. Gegen die exklusive Validierung von Universalität und Identität in der spekulativen Philosophie, insbesondere bei Spinoza, stellt Jacobi die Hochschätzung von Personalität und Individualität. Gegen die Invarianz der Köpfe kommt die Eigentümlichkeit der Herzen zu stehen. Jacobis affirmativ gewählter Anthropomorphismus spricht Gott als Einzelwesen Intelligenz und Wille zu. Der methodische und metaphilosophische Hintergrund dieser scheinbar anachronistischen Option bei Jacobi ist dessen umfassendes Projekt einer Philosophie der Freiheit. In der von ihm im Hinblick auf Spinoza eröffneten grundsätzlichen Alternative von Monismus und Dualismus, die für Jacobi mit der von Determinismus und Freiheit zusammenfällt, bringt Jacobi die Position und Lehre Fichtes vom Wissen, von seinen Prinzipien und seinen Gegenständen, auf die Seite Spinozas und damit des Determinismus. Um dies zu bewerkstelligen, hat Jacobi nicht nur Fichtes Wissenschaftslehre einer Interpretation unterzogen, die diese dem Spinozismus annähert, sondern auch unter dem Eindruck der Wissenschaftslehre den Spinozismus in die Nähe seiner Auffassung der Fichteschen Doktrin gerückt. Der Lektüre des Idealismus als eines (modifizierten) Spinozismus liegt bei Jacobi die Lektüre des Spinozismus als eines (klandestinen) Idealismus zugrunde.

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III. Vom Materialismus zum Idealismus Jacobis Intervention im Atheismusstreit in Gestalt seines Sendschreibens Jacobi an Fichte (1799) leistet eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen spekulativer Philosophie in deren Vollendungsgestalt als Kantisch-Fichtescher Transzendentalphilosophie. Jacobi behandelt den Atheismus Fichtes nicht als moralischen Defekt der Person Fichtes, sondern als integralen Bestandteil der Wissenschaftslehre, die als Wissen par excellence, nämlich als Wissenswissen, von Gott, der sich für Jacobi nur dem Glauben erschließt, nicht wissen kann und darf. Zu kritisieren ist nicht der Atheismus des Wissenschaftslehrers, sondern die systematische Beschränkung Fichtes auf den Standpunkt des Wissens unter völligem Ausschluß des Standpunktes des Lebens. Fichte hat auf diesen Vorwurf auf indirekte Weise und gleich zweifach geantwortet: in methodischer Hinsicht, indem er im Sonnenklaren Bericht an das größere Publikum auf der standpunktlichen Differenz von Wissen oder Spekulation und Leben oder NichtWissen bestanden hat, und in inhaltlicher Hinsicht in Die Bestimmung des Menschen durch die Inklusion des Lebens, einschließlich des alternativen Gewißheitsmodus des Glaubens, in den Gegenstandsbereich der, in diesem Fall populär gefaßten, Wissenschaftslehre. Neben die Konfrontation von Spekulation und Leben, bei der sich die fideistische und die szientifische Grundform des Philosophierens gegenüberstehen, tritt in Jacobis Sendschreiben an Fichte die Erörterung der internen Differenzierung der Grundformen des szientifischen Philosophierens. Im Verlauf dieser Rekonstruktion möglicher spekulativer Philosophie bewerkstelligt Jacobi eine maximale Annäherung der Wissenschaftslehre an den Spinozismus. Zunächst trifft Jacobi eine fundamentale Aussage über den »Geist der speculativen Philosophie«, derzufolge die Spekulation darauf ausgeht, »die dem natürlichen Menschen g l e i c h e Gewißheit dieser zwei Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir, u n g l e i c h zu machen« ( PLS 2/1, 6). Die spekulative Distanzierung vom natürlichen Standpunkt oder dem Standpunkt des Lebens, generiert das Bestreben, die eine der beiden Grundgewißheiten des Lebensstandpunkts auf Kosten der anderen zu bevorzugen und so den Dualismus der Lebensgewißheiten durch den Monismus der spekulativen Gewißheit zu ersetzen. Zum Ziel kommt die tendenzielle spekulative Aufhebung der Zweiheit von Gewißheit eigener Existenz und Gewißheit der Existenz von Dingen außer mir in der eliminativen Reduktion einer der beiden Gewißheiten auf die andere. Jacobi stellt die Künstlichkeit solchen Verfahrens heraus, bei dem die natürlich gegebene Gleichberechtigung (»Gleichheit«) von Selbst- und

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Fremdgewißheit in die spekulativ fabrizierte Gleichmacherei ursprünglich Differenter verfälscht wird. In Übernahme der Fichteschen Terminologie identifiziert Jacobi die spekulativ uminterpretierten Gegenstände der ursprünglichen, natürlichen Gewißheit als »Ich« und »Nicht-Ich« ( PLS 2/1, 6). Gegenstand der Spekulation ist so, nach Jacobis Auffassung, nicht »das Wahre« selbst, wie es in der natürlichen Gewißheit gegeben ist, sondern »eine vollständige W i ß e n s c h a f t des Wahren«, die von der Spekulation allererst selbsttätig und selbständig hervorgebracht oder gemacht wird. Die Verfolgung des reduktiven Programms der spekulativen Philosophie im Hinblick auf die Zweiteilung von Ich-Gewißheit und Nicht-Ich-Gewißheit verläuft, so Jacobi, auf »zwey Hauptwege[n]: Materialismus und Idealismus« ( PLS 2/1, 6). Im einen Fall handelt es sich um den »Versuch, alles aus einer sich selbst bestimmenden Materie allein«, im anderen Fall darum, alles »allein aus einer sich selbst bestimmenden Intelligenz« zu erklären (ebd.). Auffällig an dieser Festlegung ist einmal die einschränkende Kennzeichnung jeder der beiden Systemoptionen als »Versuch«, sodann die Wortwahl »Materialismus« für die Position des absolut gesetzten Nicht-Ichs bzw. für die vollständige Reduktion des Ichs auf das Nicht-Ich. Jacobi wird im weiteren die Instabilität und Unzulänglichkeit des »Materialismus« herausarbeiten, aber auch die Einseitigkeit der konkurrierenden Position des »Idealismus« herausstellen und damit beide Versuche als auch in spekulativer Hinsicht defizitär erweisen. Die Appellation »Materialismus« dürfte auf Fichtes gleichlautenden Wortgebrauch in der (ersten) Einleitung des Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797) zurückgehen, der dort zur weiteren Bestimmung des Dogmatismus Verwendung findet (GA I/ 4, 197 f.). Nun ist Jacobis Grundgliederung der spekulativen Philosophie in zwei philosophische Systeme keine originelle Leistung. Sie folgt zeitlich wie sachlich der Unterscheidung von »Dogmatismus« (oder »Dogmaticismus«) und »Kriticismus« in Schellings Schrift Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus aus dem Jahr 1795 und der davon beeinflußten Erörterung in Fichtes fragmentarischer Schrift Versuch einer Neuen Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1797. Bei Schelling wie Fichte geht es um die Aufstellung und Beurteilung einer systematischen Alternative zur Systemform der Transzendentalphilosophie oder Wissenschaftslehre und ihres Standpunktes des (transzendentalen) Idealismus. Bei Schelling wie Fichte werden der Ausgang vom »Ding an sich« im Dogmatismus-Realismus (»dogmatischer Realismus«) und der Ausgang vom »Ich an sich« im Kritizismus-Idealismus (»transzendentaler Idealismus«) einander gegenübergestellt. Während aber Schelling die sachliche Ebenbürtigkeit des dogmatischen und

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kritischen Systems und die theoretische Unentscheidbarkeit ihrer Alternative vertritt, die nur praktisch, durch einen Akt der Freiheit entscheidbar sei, macht Fichte über die zunächst festgehaltene Gleichursprünglichkeit der beiden Systemansätze hinaus Gründe theoretischer wie praktischer Art gegen die Tragfähigkeit und Konsistenz des Dogmatismus geltend. Wenn auch die von Jacobi vorgenommene Gegenüberstellung von Dogmatismus und Idealismus auf Schelling und Fichte zurückgeht, so ist Jacobis spezielle Bestimmung des Verhältnisses zwischen den beiden Systemansätzen doch originell und wegweisend. Statt nämlich wie der frühe Schelling und der frühe Fichte Dogmatismus und Idealismus als entgegengesetzte Positionen aufzufassen und festzuschreiben, exponiert Jacobi die Dynamik im Verhältnis der beiden Positionen, die, so Jacobis Einschätzung, im Lauf ihrer Entwicklung durch die Fortschritte der Spekulation, nicht unverändert einander opponiert bleiben, sondern eine Annäherung und Anähnelung aneinander vollziehen. Die philosophiegeschichtliche Konvergenz von Dogmatismus und Idealismus terminiert aber nicht in einem dritten, synkretistischen System, sondern in der Selbstüberführung des Materialismus in den Idealismus. Unter Rückgriff auf den theologischen Begriff der Verklärung (Transfiguration) bestimmt Jacobi die eigene, durch spekulative Vertiefung realisierte Verwandlung (Transformation) des Materialismus in den Idealismus wie folgt: »Der speculative, seine Metaphysik ausarbeitende Materialismus, muß zuletzt sich von selbst in den Idealismus verklären« ( PLS 2/1, 6). Die von Jacobi gelieferte knappe Begründung für die einseitige, idealistische Konvergenz von Materialismus und Idealismus bringt den »Egoismus« ins Spiel, der hier als theoretischer oder spekulativer Egoismus zu verstehen ist, demzufolge nur dem Ich unabhängiges Sein zukommt und alles andere nur durch oder für das Ich ist. Für Jacobi gibt es nur ein konsistentes und konsequentes spekulatives System, den Egoismus, und zwar den Egoismus entweder »als Anfang oder als Ende« ( PLS 2/1, 6). Philosophische Spekulation kann entweder sogleich mit dem Ich als Prinzip einsetzen oder aber im Laufe der philosophiegeschichtlichen Entwicklung endlich zur Prinzipienfunktion des Ich gelangen. Die Alternative zu diesem originären oder finalen Egoismus qua Idealismus ist nicht der Materialismus, der vielmehr des Idealismus überführt werden wird, sondern der von Jacobi selbst vertretene extrasystematische (dialogische) Dualismus von Ich und Du: »außer dem Dualismus ist nur Egoismus, als Anfang oder als Ende – für die D e n k k r a f t , die au s d e n k t« ( PLS 2/1, 6). Jacobis Verweis auf die ausdenkende Denkkraft ist als argumentative Absicherung des Egoismus zu lesen; nach idealistischer Auffassung begründet, ja produziert das Denken die Gegenstände. Das Potential des Materialismus zur Autotransformation in den Idealis-

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mus wird von Jacobi illustriert, indem er zeigt, wie nahe Spinoza selbst der »Verklärung des Materialismus in Idealismus« ( PLS 2/1, 6) gekommen ist. Für Jacobi ist die den Attributen von Ausdehnung und Denken zugrundeliegende Spinozistische Substanz nichts anderes als die indirekt etablierte, konklusiv ermittelte »absolute Identität […] des Objects und Subjects, auf welche, das System der neuen Philosophie, der u n ab h ä n g i g e n P h i lo s o p h i e d e r I nt e l l i g e n z , gegründet ist«. In dieser Gleichsetzung von absoluter Substanz bei Spinoza und Subjekt-Objekt bei Fichte ist bereits die idealistische oder egoistische Grundnatur des spekulativen Prinzips angezeigt, die durch Spezifizierung des absoluten Subjekts als »Intelligenz« überdies die im wesentlichen auf das Theoretische eingeschränkte und das Praktische weitgehend ausklammernde Fichte-Rezeption Jacobis anzeigt. Nach Jacobis Auffassung hätte Spinoza die Subjektivität der Substanz dadurch realisieren können, daß er versuchsweise die relative Position von Denken und Sein umgekehrt hätte. Jacobi beschreibt dieses Spinoza im Prinzip mögliche philosophische Experiment unter Rückgriff auf das geometrische Bild vom Spinozistischen Lehrgebäude als einem soliden regelmäßigen, würfelförmig gestalteten Körper (»philosophischer Cubus«). Bei Spinoza ist dieser Körper so plaziert, das die oben liegende Fläche (»Seite«) das Denken ist und die untere Fläche das Sein. Jacobi kennzeichnet die Seite des Denkens auch, mit Spinoza selbst, als »die O bj e c t ive (sc. Seite)« und kontrastiert ihr die Unterseite, ebenfalls mit Spinoza, als das »subjektive, For m e l l e«. Mit dem Gegensatz von »objektiv« und »subjektiv« bzw. »formell« knüpft Jacobi, in der Nachfolge Spinozas, an die in der frühen Neuzeit noch vorfindliche scholastische, genauer: skotistische Unterscheidung an zwischen dem »esse objectivum« oder »vorgestellten Sein« einer Sache, dem Sein in der Vorstellung, und dem »esse formalis sive subjectivum« einer Sache oder ihrer ebenso vorstellungstranszendenten wie vorstellungsunabhängigen Eigenexistenz. Der Spinozistische Kubus ruht also auf dem »esse formalis« oder selbständigen Sein und reicht von da »nach oben« in das von der Seinsbasis her erst begründete Denken als der Objektivierung des Seins oder als dessen Aufnahme in das (vorstellende) Denken. Das von Jacobi ins Auge gefaßte philosophische Experiment mit dem Spinozistischen System beruht auf dem Spinoza nahegelegten Gedanken, »seinen philosophischen Cubus einmal umzustellen«. Diese exakte Umkehrung der geometrischen Verhältnisse bringt das Untere zuoberst und das Obere zuunterst. Es handelt sich dabei aber nicht einfach um eine arbiträr zu wählende alternative Plazierung des philosophischen Systems. Jacobi kann einen Grund geltend machen für die Inversion, und er stellt die geometrischen bzw. systematischen Konsequenzen der Umkehrung für den Spinozistischen

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Systembau heraus. Unter Rückgriff auf Jacobis unmittelbar vorausgehenden Hinweis auf die konkurrenzlose Prinzipienfunktion des Ich »für die D e n kk r a f t , die au s d e n k t« läßt sich der Grund für die umgekehrte Positionierung des Kubus wie folgt angeben. Es ist nicht der Fall, daß das Sein das Primäre und allem anderen Zugrundeliegende ist und daß das Denken sekundär und vom Sein abgeleitet ist. Vielmehr ist umgekehrt das Denken qua ausdenkende Denkkraft primär und das Sein qua Ausgedachtes sekundär. Doch nicht genug damit, daß Jacobi Spinoza die Umwertung aller metaphysischen Werte aus spekulativen Gründen nahelegt. Die Natur des nunmehr als grundlegend aufgefaßten Denkens bringt es auch mit sich, daß der Kubus des Spinozistischen Systems seine geometrische Gestalt bzw. seine dogmatische oder materialistische Verfassung verliert. Das Denken nimmt nicht einfach den vormals vom Sein okkupierten Platz ein, sondern verwandelt die vormalige solide Struktur des substanzialistisch konzipierten Spinozismus in den subjektivistisch konzipierten Idealismus. Jacobi beschreibt diesen Lage- wie Gestaltwechsel des Systems als »Verklärung«, bei der die »E i n e Materie zweyer ganz verschiedener Wesen« – gemeint ist die eine Substanz der Wesenheiten Denken und Ausdehnung – sich in immaterielle Prozesse verflüchtigt: »aufgelodert wäre […] eine reine, allein aus sich selbst brennende, keiner S t ät t e , wie keines n ä h r e nd e s S tof f e s bedürfende Flamme: Tr a n s s c e nd e nt a l e r I d e a l i s mu s !« ( PLS 2/1, 7). Die feste, stoffliche Gestalt des Materalismus (Kubus) wird transfiguriert zur gasförmigen, unstofflichen Gestalt des Idealismus (Flamme).

IV. Die Vereinigung von Idealismus und Materialismus Unter dem Bild der »Verklärung« hat Jacobi den Materialismus maximal dem Idealismus und speziell dem Idealismus der Wissenschaftslehre angenähert. Nach Jacobis eigenem Zeugnis ging dieser fichteanisierenden Deutung des Spinozismus bei ihm eine spinozistische Auffassung der Wissenschaftslehre voraus, an der er weiterhin festhält: »Ich wählte dies Bild (sc. der Verklärung des Materialismus in Idealismus), weil ich durch die Vorstellung eines u m g e ke h r t e n Spinozismus meinen Eingang in die Wißenschaftslehre zuerst gefunden habe. Und noch immer ist ihre Darstellung in mir, die Darstellung eines Materialismus ohne Materie« ( PLS 2/1, 7). Hier wird deutlich, daß der von Jacobi Spinoza zugeschriebene Materialismus nicht etwa das Verhältnis der Attribute Denken und Ausdehnung zueinander betrifft und also nicht den Primat der Ausdehnung gegenüber dem Denken beinhaltet – da wäre mit Spinoza ja vielmehr von der Gleichursprünglichkeit der (unend-

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lich vielen) Attribute in der einen Substanz auszugehen. Vielmehr besteht der Materialismus Spinozas für Jacobi im gediegenen, stofflichen Charakter der Spinozistischen Substanz, demgegenüber das idealistische Subjektsprinzip als selbstverzehrend und unstofflich erscheint. Die bei der Wissenschaftslehre vorliegende Umkehrung im Verhältnis zum Spinozismus betrifft, nach Jacobis Auffassung, denn auch nicht das Verhältnis von Ausdehnung und Denken unter den Attributen der Substanz, sondern das Verhältnis der Substanz zu ihrem Gedachtsein. Die Denkkraft mutiert vom Produkt zum Produzenten des Seins der Substanz. Doch Jacobi beläßt es nicht bei der gegenseitigen Affinisierung von Materialismus oder Spinozismus und Idealismus oder Wissenschaftslehre. In einem abschließenden Schritt seiner Naturgeschichte der Spekulation charakterisiert er die Fichtesche Position als, wenn nicht ihrer Leistung so doch ihrer Intention nach, eine »Vereinigung des Materialismus und Idealismus zu einem Wesen« ( PLS 2/1, 7). Mit dieser Kennzeichnung bringt Jacobi zum Ausdruck, daß Materialismus und Idealismus bei Fichte nicht mehr opponierte Systeme sind, sondern systematische Momente oder Standpunkte innerhalb der umfassenden und finalen Form der spekulativen Philosophie als Wissenschaftslehre. Voraussetzung für die Kompatibilität, ja Komplementarität von Idealismus und Materialismus in der Wissenschaftslehre ist allerdings die Dematerialisierung des Materialismus, dessen »Verklärung«, die nunmehr als dessen Entdogmatisierung aufzufassen ist. Die Materie des fichteanisierten Spinozismus ist kein dem Denken externer Stoff, sondern das vom Ich im Protodenken (»Setzen«) sich entgegengesetzte Nicht-Ich. Unter der Voraussetzung des verklärten Materialismus ist der Wissenschaftslehre ebensosehr ein Materialismus oder (nicht-dogmatischer) Realismus wie ein Idealismus oder (nicht-dogmatischer) Egoismus zuzuschreiben. Dann ist aber auch das Ich der Wissenschaftslehre in der Auffassung Jacobis kein Subjektives, dem, es ergänzend und vervollständigend, ein Objektives, NichtIchliches beizugesellen wäre, das allererst den Vollbegriff des absoluten Prinzips lieferte. Vielmehr ist das Ich der Wissenschaftslehre in seiner von Jacobi erfaßten Grundnatur als Subjekt-Objekt selber Grund des Ich wie des Nicht-Ich. Die Schlußgestalt spekulativen Philosophierens ist für Jacobi der absolute Egoismus und nicht ein neutraler, prädisjunktiver Monismus. In der Einschätzung der Wissenschaftslehre als (möglichem) Idealismuscum-Materialismus unterscheidet sich Jacobis spinozistisches Fichteverständnis ganz wesentlich von den eingangs referierten Einschätzungen jener seiner Zeitgenossen, die in der Wissenschaftslehre einen Subjektivismus am Werk sahen, der das Ich an die Stelle der Substanz bei Spinoza gesetzt und dadurch den Spinozismus subjektiviert habe. Doch die Zeitgenossen Jacobis,

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die an Fichte den subjektiven Spinozismus rezipieren, kommen nicht nur zu einer anderen Einschätzung Fichtes als Jacobi. Es finden sich bei den anderen Autoren auch keine Ansätze einer idealistischen Lesart von Spinoza, wie Jacobi sie durch seine Verklärungsthese zum Verhältnis von Materialismus und Idealismus vorlegt. Dies überrascht umsomehr, als bei Spinoza ja kein statischer Seinsbegriff vorliegt, sondern eine dynamische Konzeption von Seinsmächtigkeit, die auf die Fichteschen Lehren von Streben, Sehnen und Trieb vorausweisen. So hat es denn Jacobi auch verstanden, in der von seinem Fichteverständnis geprägten Spinoza-Deutung die Ichlichkeit oder doch Proto-Ichlichkeit der Einen Substanz herauszustellen. Allerdings sind diese weiterreichenden Ausführungen Jacobis zur Ichnatur der Substanz bei Spinoza nicht in das Sendschreiben an Fichte eingegangen und nur durch Einträge in seinen Denkbüchern oder Kladden zu belegen. 9 Speziell in der 7. Kladde, die hauptsächlich Jacobis Auseinandersetzung mit Kant, Fichte, Schelling und der nachkantischen Philosophie im allgemeinen dokumentiert, finden sich faszinierende Gedanken zum Ich und dessen systematischer Nähe zur Spinozistischen Substanz. So notiert Jacobi an einer Stelle: »Der Begriff Ich vereinigt in sich zwey Bestimmungen oder Merkmale: Seyn und Bewustseyn«, und zitiert unmittelbar anschließend Spinozas Definition der Ursache ihrer selbst als das, was in sich ist und durch sich begriffen wird (»per causam sui intelligo quod in se est et per se ipse concipitur«). Gleich danach heißt es: »was nicht i n s i c h s e lb s t ist, das ist nicht: in sich selbst seyn kann aber nur das Ich«. An anderer Stelle lautet der gleiche Gedanke wie folgt: »Seyn ohne Selbstbewußtseyn ist kein Seyn – Selbstseyn hat nur das Ich. Das Selbstseyn nennen wir Substantialität.« In Jacobis Gedankengang weist also die Substanz bei Spinoza schon jenes Doppelmerkmal der radikalen Selbständigkeit und Selbstgenügsamkeit auf, des Seins nur durch sich und nur für sich, das nach Fichte dem Ich als Subjekt-Objekt eignet. Allerdings ist mit dem Für(-sich)-Sein der einen Substanz wie des Ich qua Subjekt-Objekt nur deren Suisuffizienz angezeigt, nicht etwa auch deren Wissen-von-sich, das ja weder der Einen Substanz als solcher bei Spinoza noch dem Ich als absolutem Ich bei Fichte zukommt. Erkennendes Für-sich-Sein kommt erst und nur dem individuellen Bewußtsein zu. Bei aller zu verzeichnenden Fichteanisierung von Spinozas Substanzlehre beinhaltet aber die von Jacobi vollzogene Annäherung von Spinoza und Fichte insgesamt eher eine Spinozisierung Fichtes. Insbesondere führt die von Jacobi hergestellte Affinität zwischen der Einen Substanz und dem absoluten Ich danke Ives Radrizzani dafür, mir seine Transkription von Kladde 7 der Denktagebücher Jacobis zur Verfügung gestellt zu haben. 9

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Ich dazu, daß Jacobi die Grundeinschätzung des Spinozismus als Fatalismus und Naturalismus auch auf die Wissenschaftslehre als Philosophie des absoluten Ich überträgt. Allerdings ist die weiterreichende Vereinnahmung der Wissenschaftslehre durch den, wie auch immer modifizierten, Spinozismus noch nicht Gegenstand des Sendschreibens an Fichte, in dessen Mittelpunkt ja der standpunktliche Gegensatz von Spekulation und Leben steht. Doch findet sich in Kladde 7 die folgende Aufzeichnung, die den Akzent nicht auf die positive Fähigkeit des Materialismus, sich in den Idealismus zu verklären, legt, sondern auf den ernüchternden Umstand, daß der Idealismus nichts anderes ist als der emendierte Materialismus: »Der vollendete Criticismus oder Idealismus verklärt nur den Materialismus – Er läßt den Spinozismus nur seinen Cörper ablegen« – unter Beibehaltung von dessen Fatalismus und Naturalismus. So überwiegt in der Gesamteinschätzung Jacobis der Spinozismus und damit der Naturalismus in der Wissenschaftslehre, doch dies nicht in dem Sinne, als wäre die Wissenschaftslehre das auf Subjektivität kaprizierte Gegenstück zum Spinozismus (»subjektiver Spinozismus«), sondern als Ausdruck der Auffassung, daß Fichte nur das am Spinozismus modifiziert habe, was dieser selbst implicite bereits nahelegte (die Substanz als Subjekt zu denken), und dabei gerade beibehielt, was den Spinozismus, Jacobis Auffassung zufolge, wesentlich ausmacht und als Philosophie limitiert: den Fatalismus und den Naturalismus. Zwar konnte Fichte mit dieser Interpretation der Wissenschaftslehre nicht zufrieden sein. Aber dies nicht deshalb, weil es sich etwa um eine oberflächliche, entstellende oder von Unkenntnis, Unverständnis oder böswilliger Verdrehung geprägte Auffassung gehandelt hätte. In der spekulativen Grundfrage, der übersubjektiven, subjektiv-objektiven Natur des Fichteschen Ich, dürfte kaum jemand Fichte zu dieser Zeit adäquater aufgefaßt haben als Jacobi. Fichtes Ungenügen an Jacobis Sicht der Wissenschaftslehre mußte sich an den freiheitstheoretischen Implikationen der spinozistischen Deutung der Wissenschaftslehre entzünden. Jenseits der metaphilosophischen Auseinandersetzung zwischen Jacobi und Fichte um die richtige Verhältnisbestimmung von Spekulation und Leben konfrontiert Jacobis spekulative Fichte-Kritik den selbsternannten ersten Systematiker der Freiheit mit dem grundsätzlichen Einwand, in den Fatalismus zurückgefallen zu sein und so dem System die Freiheit aufgeopfert zu haben. Die ausführliche und mehr und mehr von qualifizierter Zustimmung getragene Auseinandersetzung des späten Fichte mit Spinoza10 dürfte, außer durch

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Siehe GA II/13, 51 ff. (Wissenschaftslehre 1812).

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Schellings Inanspruchnahme Spinozas, wohl auch durch Jacobis Rehabilitation Spinozas im allgemeinen und Jacobis idealistische Revision Spinozas im besonderen angeregt und beeinflußt worden sein.

Wissen und Leben. Vergewisserungen Fichtes im Anschluß an Jacobi von Marco Ivaldo1

I. »Daseyn enthüllen« Zu den bedeutendsten Leistungen Jacobis auf philosophischem Gebiet zählt die grundlegende Erörterung der Beziehung zwischen Philosophie und Leben. Im Gespräch mit Lessing zu Wolfenbüttel – und danach auch im Brief an Hamann vom 16. Juni 1783 – ist die berühmte Aussage zu lesen: »Nach meinem Urtheil ist das größeste Verdienst des Forschers, D a s e y n zu enthüllen, und zu offenbaren«. Denn – wie Jacobi hervorhebt – die Erklärung kann eigentlich nur »Mittel, Weg zum Ziele, nächster – niemals letzter Zweck« sein. Der letzte Zweck des Forschens »ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache«. 2 Damit ist die Bestimmung der Philosophie zum Ausdruck gebracht, deren Verwirklichung Jacobi zeitlebens, von den ersten Fassungen der Romane an über die Auseinandersetzungen mit Spinozismus und Idealismus bis hin zum Streit um die »göttlichen Dinge«, angestrebt hat. Die »Erklärung«, die Arbeit des Philosophen, ist nur dann berechtigt, wenn sie darauf abzielt, das »Daseyn« – und zwar das Leben selbst in seiner über alle Erklärung hinausliegenden Selbstgegebenheit – zu enthüllen. Als solches hat das Erklären erst eine ›instrumentelle Funktion‹, es steht im Dienst des Erscheinenlassens bzw. Offenbarwerdens des vom reinen Verstand letzten Endes unerklärbaren Lebens.

Ich danke Herrn Dr. Erich Fuchs für die wertvollen Sprachverbesserungen. Diese Arbeit wurde im Rahmen der Förderung durch die A.-von-Humboldt-Stiftung realisiert. 2 Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, JWA I/1, 29. Im Brief an Hamann heißt es: »Nach meinem Urtheil ist das größeste Verdienst des Forschers: D a s e y n z u e n t hü l l e n . Erklärung ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, n ä c h s t e r – niemals l e t z t e r Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Einfache, das Unauflösliche.« (JBW I/3, 163) 1

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Bemerkenswert ist, daß Fichte – dessen Transzendentalphilosophie dem Denken Jacobis ganz fern zu liegen scheint – sich dieser Vorstellung vom Zweck des Philosophierens nah erklärt; ja, er macht sich sogar Jacobis Bestimmung der Philosophie zueigen. In den zu Anfang des Jahres 1813 in Berlin vorgetragenen Tatsachen des Bewußtseins führt er aus: »[Die Wissenschaftslehre] ist eine genetische Einsicht des Daseins überhaupt, W i s s e n s c h a f t d e s D a s e i n s . […] Auch Jacobi sagt: die Aufgabe der Philosophie sei: D a s e i n z u e nt hü l l e n«. 3 Der Zweck der Wissenschaftslehre sei derselbe, den Jacobi seiner Konzeption von Philosophie zu Grunde legte, nämlich das Offenbaren des Daseins. Indem Fichte allerdings den genetischen bzw. wissenschaftlichen Charakter des philosophischen Verfahrens an der erwähnten Stelle (»genetische Einsicht«) hervorhebt, markiert er zugleich eben den Punkt, wo sich sein Weg von dem Jacobis trennt. Gewiß ist Fichte davon überzeugt, mit Jacobi dieselbe Vorstellung vom Zweck des Philosophierens als Durchdringung des Daseins zu teilen. Am 8. Mai 1806 übersendet er Jacobi seine drei »populären« Vorlesungen aus den Jahren 1804–18064 und gibt im Begleitbrief seiner Übereinstimmung mit ihm Ausdruck: »Sie forderten immer und mit Recht, von der Spekulation, daß sie das Daseyn erkläre, versteht sich aus dem Seyn; und also, daß der Widerspruch zwischen den beiden gehoben werde«. (GA III/5, 355) Dennoch ist die philosophische Verfahrensweise, mit der Fichte den gemeinsamen Zweck verfolgt, von derjenigen Jacobis durchaus verschieden. Fichte beabsichtigt, eine Lehre vom Wissen (»Wissenschafts-Lehre«), genauer: eine Transzendental-Philosophie als reflektierendes Wissen vom Wissen, zu entfalten; denn erst die genetische Selbstauslegung des Wissens führt ihm zufolge zur berechtigten Anerkennung des vom Wissen unerschöpfbaren »Urwahren«. 5 Dagegen erklärt sich Jacobi für eine »Philosophie des Nicht-Wißens«, bzw. eine »Unphilosophie, die ihr Wesen […] im NichtWißen [hat]«; 6 denn der »Grund der Wahrheit«, das »Wahre«, liegt für ihn notwendig außerhalb der »Wißenschaft des Wissens« (GA III/3, 231). Fichte hat Jacobi nicht nur hoch geschätzt, wie Briefe und öffentliche Stellungnahmen belegen; er verdankt ihm sogar zahlreiche Anregungen,

Fichtes Werke, hg. von I. H. Fichte, ND Berlin 1971, IX, S. 567. Ueber das Wesen des Gelehrten (1805), Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1804–1805, veröffentlicht 1806) und Die Anweisung zum seeligen Leben (1806). 5 Vgl. Privatissimum für G. D. [wahrscheinlich Graf Dohna: Friedrich Ferdinand Alexander, Graf von Dohna-Schlobitten], GA II/6, 341. 6 Brief an Fichte vom 3.–21. März 1799, in: GA III/3, 245, 226. 3

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vornehmlich in Anbetracht der Erörterung des Verhältnisses von Philosophie und Leben. Diese Rezeption und die Auseinandersetzung mit den Grundgedanken Jacobis haben Fichte zu einer ›Vergewisserung‹ und Vertiefung seiner Philosophie geführt, wenngleich er stets an einer Vorstellung des philosophischen Verfahrens festgehalten hat, die sich von der Jacobis grundlegend absetzt. Im folgenden geht es mir darum, einige beachtenswerte Momente dieser Rezeption und kritischen Konfrontation Fichtes mit den Grundgedanken Jacobis hinsichtlich der Beziehung Leben-Philosophie und der Funktion der Philosophie selbst zu erörtern.

II. Spekulatives und Praktisches Im Brief an Jacobi vom 30. August 1795 – der letzten Lieferung der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre und dem Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre beigelegt –, kommt die Fragestellung zum Vorschein, in der Fichte stets den Schwerpunkt seiner Auseinandersetzung mit Jacobi sah. Vornehmlich mit Bezug auf die Ausgabe des Allwill von 1792 spricht er von der, allem Anschein zum Trotz bestehenden, »auffallende[n] Gleichförmigkeit« ihrer »philosophischen Ueberzeugungen« (GA III/2, 391) und geht ausführlich auf das Verhältnis der Wissenschaftslehre zur Philosophie ein, wie sie Jacobi vertritt. Er sei »transzendentaler Idealist, härter als K a nt es war«; Jacobi dagegen »Realist«. Allerdings legt Fichte auf die Feststellung Wert, daß der transzendentale Idealismus der Wissenschaftslehre sich mit dem Realismus aussöhnen läßt, indem ersterer den Standpunkt des letzteren rechtfertigt. Denn die Aufgabe der Wissenschaftslehre besteht darin, »d a s I nd iv iduu m […] au s d e m ab s olut e n I c h« zu deduzieren – und zwar: das Faktum der Individualität in seiner Genesis aus der Vernunft-Setzung her zu evidieren –, was eigentlich in der Interpersonaltheorie des Naturrechts »nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre« (wie sein Titel lautet) ausgeführt wird. Der Gesichtspunkt des transzendentalen Idealismus ist somit derjenige der Deduktion als Rechtfertigung de jure, welcher auch als Gesichtspunkt »der Spekulation« bezeichnet wird. Von ihm unterschieden, wenn auch ihm nicht widersprüchlich entgegengesetzt, ist der Reflexionspunkt, auf dem sich das konkret existierende Individuum als Individuum »i m L eb e n« betrachtet. Dies sei der »praktische« Reflexionspunkt, wo – wie Fichte sagt – »der Realismus herrscht«. Die grundlegende These Fichtes dazu lautet, daß »durch die Deduction und Anerkennung« dieses praktischen Reflexionspunktes »von d e r S p e k u l at io n s e lb s t , […] die gänzliche Aussöhnung der Philoso-

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phie mit dem gesunden Menschenverstand [erfolgt]« (GA III/2, 392). Genau das ist das Ziel der Wissenschaftslehre. Es könnte angemerkt werden, dieser Auslegung Fichtes zufolge stelle der »Realismus« keine echt philosophische Einstellung dar, sondern genaugenommen (nur) den Standpunkt der Lebenspraxis, eine Auslegung, der Jacobi nicht hätte zustimmen können, insofern für ihn der Realismus die einzige philosophische Position ist, die mit den natürlichen Erkenntnissen in Einklang steht. Indes ist es für Fichte gar keine Frage, daß der praktischrealistische Reflexionspunkt einen durchaus spezifischen Wert hat, und zwar nicht nur für das Leben, sondern auch hinsichtlich der Bestimmung der Philosophie selbst. Denn – wie er erklärt – der spekulativ-philosophische (transzendental-idealistische) Gesichtspunkt besteht nicht für sich, sondern für das Leben; er steht im Dienst des Lebens, indem es sein Zweck ist, den in der Menschheitsgeschichte entstandenen Streit zwischen Lebenspraxis und Reflexion zu bewältigen. Nachdem die Reflexion die unmittelbare Gewißheit des natürlichen Lebensstandpunktes in Zweifel gezogen hat, steht uns nur ein Heilmittel zu Verfügung, um den Streit, der im Inneren der Menschheit ausgebrochen ist, beizulegen. Nicht eine halbe Reflexion (die zuletzt lebensfeindlich ist), sondern die konsequent durchgeführte vollständige Reflexion, »bis zum höchsten Punkte, von welchem aus der spekulative und praktische vereinigt erscheinen«, ist ein solches Mittel. »Wir fingen an zu philosophiren aus Uebermuth, und brachten uns dadurch um unsre Unschuld – erläutert Fichte mit einer prägnanten Anspielung auf das erste Buch Mose (3, 7) –; wir erblickten unsere Nacktheit, und philosophiren seitdem aus Noth für unsere Erlösung« (GA III/2, 392 f.). Bedeutsam ist, daß ein ähnliches Motiv fünfzehn Jahre später, im letzten Brief Fichtes an Jacobi vom 3. Mai 1810, wieder auftritt. Fichte zufolge besteht das »Geschäft der Spekulation« im Schematisieren, wie übrigens Jacobi in seinem Brief an Fichte richtig und treffend festgestellt hatte.7 Aber warum »spekuliert« der Mensch? Warum bleibt er nicht lieber bei der »Objektivität«, und zwar bei der natürlichen Gewißheit stehen? Die Antwort Fichtes lautet: »Der Grund davon findet sich […] bald. Wir werden durch unsere natürliche Geburt keineswegs in eine Welt der Wahrheit, sondern in eine Schatten- und Nebel-Welt hineingeboren. Um diesen u n f r e i e n Schematismus abzustreifen, erhielten wir das freie Vermögen zu schematisieren, Vgl. GA III/3, 234: »Wenn daher ein Wesen ein uns vo l l s t ä n d i g begriffener Gegenstand werden soll, so müssen wir es ob j e c t i v – als für sich bestehend – in Gedanken aufheben, vernichten, um es durchaus s u b j e c t i v, unser eigenes Geschöpf – e i n b l o ß e s S c h e m a – werden zu lassen.« 7

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damit wir die Schemen, die wir nicht dafür ansehen [also: die unreflektierten Schemen des natürlichen Bewußtseins], durch andere, die wir als solche erkennen, auflösen« (GA III/6, 330). Die Entwicklung des Vermögens des selbstbewußten Reflektierens über die natürlichen, im Lebensstandpunkte mit-gegebenen Gewißheiten – die an sich nicht falsch, sondern ungesichert bzw. manchmal verworren sind und als solche einer kritischen Infragestellung kaum standhalten könnten –, gehört »zur vollständigen Entwicklung [unseres] Wesens«. Ja, jene Entwicklung ist uns sittlich aufgegeben, denn »da [der Mensch] spekuliren k a n n , so muß er wohl spekuliren s ol l e n«. In den Vorarbeiten zu einer fragmentarisch und großenteils unveröffentlicht gebliebenen Beantwortung des Jacobischen Brief an Fichte aus den Jahren 1806–1807 (unlängst von der J. G. Fichte-Gesamtausgabe in ihrer Gesamtheit zugänglich gemacht) findet sich dazu die entscheidende Maxime Fichtes: »Der Mensch soll[,] was er kann«. 8 Das Gegenteil zu denken und zu tun, wäre nicht »Hochmuth« – wie Jacobi in seinem Sendschreiben zu glauben scheint –, 9 sondern »tadelnswürdige Faulheit und Feigheit«. Die Bestimmung der Philosophie als wissendes Wissenswissen (als Transzendental-Philosophie) ist durchaus nicht, »das Wissen an die Stelle des Lebens [zu] setzen« (GA III/6, 331), sondern eher, das schematische Wesen des Wissens als solches zu durchdringen und es als bloße Erscheinung vom ursprünglichen Leben »abzuziehen«, 10 was eine mitlaufende Anerkennung und Bejahung des absoluten Lebens selbst (des »Urwahren«) mit enthält und zustandebringt.11 Der Philosoph soll »zufolge [dieser] Erkenntniß vom Vgl. [Vorarbeiten zu einer] Beantwortung des Jacobischen Schreibens von 1799, GA II/11, 35–64, Zitat S. 44. Nur ein Stück dieses zum ersten Mal in GA vollständig veröffentlichen Materials wurde von Immanuel Hermann Fichte publiziert: vgl. Fichtes Werke (Anm. 3), Bd. XI, S. 390–394. 9 Vgl. im Brief an Fichte: »Dieses Herz soll Transzendentalphilosophie mir nicht aus der Brust reißen, und einen reinen Trieb a l l e i n d e r I c h h e i t an die Stelle setzen; ich laße mich nicht befreyen von der Abhängigkeit der L i e b e , um allein durch H o c h mu t h selig zu werden« (GA III/3, 243). 10 Der Wissenschaftslehre 1807 zufolge lautet die Grundformel der Transzendentalphilosophie: »Hier [in der Wissenschaftslehre] x. [das Sehen] durchdrungen, u. sichtbar gemacht – u. drum, als bloße Erscheinung von dem reinen A. [Absoluten] abzuziehen« (GA II/10, 112). 11 Im Brief vom 3. Mai 1810 heißt es: »Dieses Verfahren der Spekulation durchgeführt kann freilich nur damit endigen, d a ß d a s h ö c h s t e f ü r s i c h b e s t e h e n d e (als das absolute Faktum der Erscheinung Gottes [d. i. die Schöpfung]) vernichtet, und in ein bloßes Schema verwandelt werde (nicht Erscheinung [Gottes] schlechtweg, schema primum [also Licht, Logos] bleibe, sondern Erscheinung der Erscheinung, schema secundum werde)« (GA III/6, 330 f.). 8

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Wesen des Wissens« leben. Damit wird in einer konkreten Tat offenbar, daß die Spekulation nicht lebensfeindlich, sondern »eine durchaus nothwendige Bestimmung des Lebens selbst« ist. Eine solche Leben gewordene Spekulation wird in der Wissenschaftslehre auch »Weißheit« genannt.

III. Der »Negative Nutzen« der Wissenschaft Aufgrund seiner Erklärungen über die Beziehungen zwischen dem »Spekulativen« und dem »Praktischen« hatte Fichte in dem erwähnten Brief vom 30. August 1795 die »Hoffnung« ausgesprochen, daß der transzendentale Idealist und der Realist (den er in der Figur des Allwill verkörpert sieht) Frieden stiften und »sogar zu einem Art Bündniß« (GA III/2, 393) kommen könnten. Diese Hoffnungen sollten aber von seiten Jacobis eine klare Absage erhalten. Im Brief an Fichte entlastet er zwar den Verfasser der Wissenschaftslehre von der Anklage des ›Atheismus‹, jedoch auf eine Weise, die jene, von Fichte beschworene Allianz entschieden infragestellt, ja sogar zurückweist. Denn wenn auch nach Jacobi zwischen seiner »Unphilosophie« und der Wissenschaftslehre »Identität« und »Differenz«, bzw. »philosophische Sympathie und Antipathie« bestehen (GA III/3, 232, auch S.231), scheint in seinem Brief gleichwohl die Seite der »Differenz« und der »Antipathie« schwerer als die andere zu wiegen. Jacobis Auslegung zufolge betrifft das Einverständnis zwischen ihm und Fichte den Wissenschaftsbegriff. Die Wissenschaft als solche besteht im »Selbsthervorbringen ihres Gegenstandes« (GA III/3, 231). Ihr Wesen sei die gedankliche Destruktion des natürlichen Gegenstandes und seine Konstruktion in Gedanken selbst, »i n b lo ß w i ß e n s c h a f t l i c h e r A b s i c ht«. »Wir begreifen eine Sache – lesen wir an einer Stelle – nur in sofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, we rd e n laßen können« (GA III/3, 233). Sowohl er als auch Fichte, so hebt Jacobi hervor, wollen, »daß die Wißenschaft des Wißens – welche in allen Wißenschaften das E i n e ; die Welt- S e e l e in der Erkenntniß-We lt ist – vollkommen werde« (GA III/3, 231). Hier herrsche Übereinstimmung zwischen ihren Gedanken. Diese Konvergenz könne jedoch den grundlegenden Unterschied zwischen den jeweiligen Perspektiven nicht tilgen. Denn nach Fichte müsse die Wissenschaft des Wissens vollendet werden, damit sich der »Grund der Wahrheit« als in ihr liegend zeige; Jacobis Überzeugung ist dagegen, wie früher angedeutet, daß »der Grund der Wahrheit«, den er das »Wahre« nennt, »nothwendig au ß e r [der Wissen-

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schaft des Wissens] vorhanden« sei. Eine tragende Rolle in diesem Gedanken spielt die Differenz zwischen der Wahrheit, als Regel des wissenschaftlichen Verfahrens, und dem Wahren. Dieses wird von Jacobi als »etwas« bezeichnet, »was vor und au ß e r dem Wißen ist; [und] was dem Wißen, und dem Ve r mö g e n des Wißens, d e r Ve r nu n f t , erst einen Werth giebt« (GA III/3, 239). Als reiner »Wissenschaftslehrer« dürfe Fichte von diesem Wahren »keine Notiz« nehmen. Im Vorbericht zur gedruckten Ausgabe des Sendschreibens hatte Jacobi erklärt, er halte »das Bewußtseyn des N i c ht w i ß e n s für das H ö c h s t e im Menschen, und den Ort dieses Bewus[s]tseyns für den der Wißenschaft unzugänglichen Ort des Wa h r e n« (GA III/3, 225 Anm.). Wenn aber Fichte mit seiner Wissenschaftslehre diesen Ort in den Bereich der Wissenschaft habe einschließen wollen, dann habe er sich an der »Majestät dieses Orts« versündigt. Denn dann habe er die Grenze der »Spekulation« nicht beachtet. Fichte hat sich mit der im Sendschreiben Jacobis aufgeworfenen Fragestellung ernsthaft auseinandergesetzt. Sein Werk Die Bestimmung des Menschen (1800) läßt die ersten (nicht die einzigen!) Spuren dieser Konfrontation zum Vorschein kommen. Man muß sich aber fragen, auf welcher Grundlage die Auseinandersetzung mit Jacobi in diesem Werk erfolgt. In einem unvollendet gebliebenen Entwurf zu einem Antwortschreiben an Jacobi aus dem Jahre 1799 taucht ein Gedanke auf, der m. E. auf diese Frage Licht wirft. Es heißt dort: »Soll der Streit [zwischen Fichte selber und Jacobi] nun nicht ein völliges Misverständniß seyn, so müste er darin seinen Sitz haben, inwiefern die Wissenschaft das Leben beschreiben könne. Es muß genau der Unterscheidungspunkt beider aus ihrem Begriff angegeben werden«. Und Fichte fährt fort: »Nutzen der Wissenschaft – sie ist Bestimmung des Menschen, der sie auch versucht hat, u[nd] durch diese Versuche in Irrthum kam. Die Vollendung schneidet diese Irrthümer ab: n e g at ive r N ut z e n« (GA II/5, 194). Nun erbringt der Dialog, der im zweiten Buch der Bestimmung des Menschen geführt wird und den Titel »Wissen« trägt, eben den Erweis dieses »negativen Nutzens« der Wissenschaft. Dieser Dialog kann demnach als eine (erste) Antwort Fichtes auf das Jacobische Schreiben angesehen werden. Aus ihm ergibt sich erstens, daß die Transzendentalphilosophie sich den Wissensbegriff, den Jacobi ihr zuschreibt, tatsächlich zueigen machen kann, wenn auch mit einer Einschränkung; zweitens, daß die Reflexion über diesen Wissensbegriff (in Jacobischer Sprache: die »Wissenschaft des Wissens«) eine dialektische und pädagogische Funktion ausübt, um zu einem höheren Standpunkt zu gelangen – worin ihr »negativer Nutzen« besteht; und drittens, daß der echte Gesichtspunkt der Wissenschaftslehre mit dem

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Standpunkt der im zweiten Buch geführten Reflexion über das Wissen nicht zusammenfällt, sondern höher liegt. In diesem Sinne kann die Ausführung der Bestimmung des Menschen auch als eine Kritik am Jacobischen Verständnis der Transzendentalphilosophie gelten, welches aus Fichtes Sicht zu kurz greift. Verfolgen wir die einzelnen Punkte. Fichte übernimmt als erstes die Gleichsetzung von »Wissen« und »Bild« (in Jacobischer Sprache: »Gestalt«, »Schema«), die Jacobi in seinem Sendschreiben zur Geltung bringt. Er behauptet: »Ein System des Wissens ist nothwendig ein System bloßer Bilder« (GA I/6, 252). Die Erfahrung eines Dinges außer uns ist im eigentlichen Sinne immer eine spezifische »Bestimmung unseren Bewusstseins«. Von einem Ding an sich, vom Bewußtsein abgetrennt, können wir gar kein Wissen gewinnen. Deshalb ist das Wissen seinem Wesen nach »Vorstellung«, nicht Realität. Wenn Jacobi in seinem Sendschreiben vom Erkennen behauptet, daß es die »Sache in bloße Gestalt« verwandle, und »G e s t a lt z u r S ac h e , S ac h e z u N i c ht s« (GA III/3, 233) mache, so kann dem die Wissenschaftslehre zustimmen. Mit Äußerungen, die auf Jacobis Formulierungen zurückweisen, sagt das »Ich« des Dialogs seinem Gesprächspartner, dem philosophischen »Geist«, daß das Wissenskonzept, das letzterer dargelegt hat, ihn »in Nichts, und alles um [ihn] herum, wovon [er] abhängen könnte, in Nichts [verwandelte]« (GA I/6, 247). Daß das Wissen bildhafter Natur ist, heißt allerdings überhaupt nicht, daß es ohne jeden Realitätsbezug wäre (sonst wäre das Wissen Bild von Nichts, also kein Bild). Es bedeutet vielmehr: Das Wissen als Vorstellen – also, der Gesamtkonzeption der Wissenschaftslehre zufolge, das theoretische Wissen – ist seinem Wesen nach Geistesbildung (»Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens«), die durch eine faktisch offene Reihe miteinander zusammenhängender Bewußtseinsleistungen vollzogen und entfaltet wird. Um den Realitätsbezug des Wissens zu fassen, muß man seine schematische (bildhafte) Natur reflexiv durchdringen und über die bloß theoretische Dimension des Vorstellens hinausgehen. In diesem Sinne habe ich oben hinzugefügt, das zweite Buch der Bestimmung des Menschen mache sich das von Jacobi im Brief an Fichte vorgestellte Wissenskonzept nur ›mit Einschränkung‹ zueigen. Denn mit dem bloß theoretischen Wissensbegriff ist die gesamte Dimension des Wissens qua Bild noch nicht ausreichend erfaßt. Im Zuge der (philosophischen) Reflexion über das Wissen – und das ist der zweite Punkt – verschwinden ein »System der [vom Ich unabhängigen] Dinge«, bzw. »eine unabhängig von [uns] vorhandene Sinnenwelt«, denn »diese ganze Sinnenwelt entsteht [uns] nur durch das Wissen« (GA I/6, 252). Im Lichte dieses Bewußtseins können wir uns nicht mehr als bloß durch die Dinge determiniert ansehen (wie es sich aus der im ersten Buch der Bestim-

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mung des Menschen ausgeführten, deterministisch-spekulativen Betrachtung noch ergab). Unser Freiheitsbedürfnis wird somit in seiner Möglichkeit legitimiert (man beachte: nur in der Möglichkeit; die Wirklichkeit der Freiheit wird erst in drittem Buch auf der Grundlage des praktischen Prinzips gesichert werden können). Die Wissenschaft des Wissens »zerstört und vernichtet den Irr thum« (ebd.) des ›dogmatischen‹ Gesichtspunktes, dem gemäß das Wissen für die Realität selbst gehalten wird, und eröffnet dem Freiheitsgefühl einen Verwirklichungsraum. Ihr negativer Nutzen besteht also sowohl in der dialektischen Funktion, die sie ausübt, indem sie den dogmatischen Schein widerlegt, als auch in ihrer pädagogischen Tragweite, indem sie sich als Anweisung zur wahrhaften und zuverlässigen Erfassung der Realität auszeichnet. Hierzu sei eine Bemerkung zum berühmten Nihilismus-Thema eingefügt. Als Anspielung auf Jacobis Überzeugungen ist die Aussage am Ende des zweiten Buches anzusehen, der gemäß das System des Wissens die »Wahrheit [nicht] geben kann«. Fichte gibt auf der einen Seite Jacobi recht, daß die Wahrheit als solche außerhalb des Kreises des Wissens liege, und behauptet, daß er selbst eine ähnliche Position vertrete. Das »Organ« der Wahrheit ist für ihn kein vorstellendes Wissen, sondern wurzelt in der praktischen Sphäre des Bewußtseins. Auf der anderen Seite hebt Fichte aber hervor, die Wissenschaft des (theoretischen) Wissens entbehre einer Beziehung auf die außerhalb ihrer liegende Wahrheit durchaus nicht, da die transzendentale Durchdringung des Wissens und die Vergewisserung seiner bildhaften Natur der Weg zur Wahrheit seien. Wenn also Jacobi im Brief an Fichte dem Idealismus vorwirft, »Nihilismus«12 zu sein, so antwortet Fichte, z. B. in der Wissenschaftslehre 1807, auf diesen Einwand: »Nur durch den gefürchteten Nihilismus [d. i. die wissenschaftliche Erkenntnis des schematischen Wesens des Wissens] hindurch geht der Weg zur Realität, durch den verhaßten Tod [der bloßen Theorie] der zum Leben« (GA II/10, 137). Fichte kann sich den Terminus ›Nihilismus‹ zueigen machen, weil dieser Terminus (richtig verstanden) für ihn das Ziel selbst der wissenschaftlich-philosophischen Auslegung bezeichnet, und zwar dergestalt, daß das theoretische Wissen in sich nur Vorstellung (Erscheinung) und überhaupt nicht das Sein selbst ist. In der Einleitung in die Wissenschaftslehre 1813 ist die in dieselbe Richtung gehende kühne Aussage zu lesen: »Nihilismus sey [die] strenge Nachweisung des

Vgl. GA III/3, 245: »Wahrlich, mein lieber Fichte, es soll mich nicht verdrießen, wenn Sie, oder wer es sey, C h i m ä r i s mu s nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich N i h i l i s mu s schelte, entgegensetze.« 12

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absoluten Nichts [der Erscheinung], außer dem Einen, unsichtbaren Leben, Gott genannt«.13 Der dritte Punkt der Fichteschen Stellungnahme ist, daß mit dem Erweis des Vorstellungscharakters des theoretischen Wissens und mit der Anerkennung seiner Differenz zur Realität eine Transzendentalphilosophie noch nicht am Ende ist. Die Lehre vom »Wissen« im zweiten Buch erschöpft keinesfalls die (vollständige) Wissenschafts-Lehre als wissendes Wissenswissen. Im Dialog antwortet der »Geist« dem angesichts der Entdeckung des ›Nihilismus‹ des bloß theoretischen Wissens erschrockenen »Ich«, daß man mit dieser Entdeckung allein von der »wahren vollständigen Denkart« (GA I/6, 248) noch weit entfernt ist, die erst im dritten Buch, »Glaube« betitelt, aufgezeigt wird. Diese Entwicklung kann nun den Eindruck erwecken, als ob sich Fichte mit der Glaubenslehre in der Bestimmung des Menschen der Jacobischen Position, die im »natürlichen Glauben«14 wurzelt, annähere. Dieser Eindruck ist allerdings nur zum Teil richtig. In der Bestimmung des Menschen bedeutet »Glaube« grundsätzlich Bewußtsein der moralischen Bestimmung des Menschen und ihrer Gesetze. Mit Fichtes eigenen Worten: Der Glaube ist das »freiwillige Beruhen bei der sich uns natürlich darbietenden Ansicht, weil wir nur bei dieser Ansicht unsere [moralische] Bestimmung erfüllen können« (GA I/6, 257). Die »Ansicht«, von der hier die Rede ist, ist das ursprüngliche Gefühl unseres Triebes zur Selbstständigkeit, das sich in dem Gedanken äußert, daß unsere Bestimmung »nicht bloßes Wissen, sondern nach [unserem] Wissen T hu n« sei (GA I/6, 253). Als solche führt diese Ansicht – und ihre willentliche Anerkennung und Bejahung, also der Glaube – auf den »Punkt, an welchen das Bewußtseyn aller Realität sich anknüpft« (GA I/6, 255). Die Realität dessen, was sich das theoretische Wissen bloß vorstellt, wird demzufolge erst durch jenes praktische Bewußtsein der Realität unseres Triebes nach Selbstständigkeit vermittelt, das sich im moralischen Glauben ankündigt. Dieses reale Bewußtsein allein gibt dem vorstellenden Wissen objektive Geltung: »Durch diese Gebote des Gewissens allein – vermerkt Fichte – kommt Wahrheit und Realität in meine Vorstellungen« (GA I/6, 261). Mit einer Anspielung auf eine berühmte Aussage Jacobis im Brief an Mendelssohn vom 21. April 1785, 15 behauptet Fichte: »Wir werden alle im GlauVgl. Ultima Inquirenda. J. G. Fichtes letzte Bearbeitungen der Wissenschaftslehre. Ende 1813 / Anfang 1814, Textband, hg. von R. Lauth, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 50. 14 Vgl. den Brief an Fichte, GA III/3, 225 Anm. 15 Vgl. Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, 13

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ben gebohren« (GA I/6, 259). Und in der Schrift Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche WeltRegierung (1798), führt er, auf eine andere grundlegende Aussage Jacobis hinweisend, 16 aus: »das Element aller Gewißheit ist Glaube« (GA I/5, 351). Hier kommt m. E. der Übereinstimmungspunkt zwischen beiden Philosophen deutlich zum Ausdruck. Die im Glauben erreichte Gewißheit ist »Element«, also Grundlage und Grundbestandteil jeder anderen Gewißheit, einschließlich der theoretischen. In ihr – erklärt Fichte – liegt der »Punkt, der Denken und Wollen [d. i. Theoretisches und Praktisches] vereiniget, und Harmonie in [unser] Wesen bringt« (ebd.). Auf der anderen Seite kann jedoch diese Übereinstimmung den Differenzpunkt zwischen dem Fichteschen und dem Jacobischen Glaubensbegriff nicht tilgen. Zum ersten: Während bei Jacobi der Glaube die unmittelbare Gewißheit der »mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmenden Vorstellung«17 ist – und in diesem Sinne scheint der natürliche Glaube18 bei ihm vornehmlich eine Grunddimension des fühlenden und erkennenden (also des theoretischen) Geistes zu sein –, wird der Glaube in der Bestimmung des Menschen und in den anderen zu dieser Zeit verfaßten Schriften Fichtes hingegen als Bewußtsein der praktischen Natur des Menschen verstanden. Nicht daß Jacobi seinerseits die praktischen Konstitutiva des Geistes übersehen hätte

JWA 1, 115: »Lieber Mendelssohn, wir werden alle im Glauben gebohren, und müssen im Glauben bleiben.« 16 Vgl. ebd. 125: »Das Element aller menschlichen Erkenntniß und Würksamkeit, ist Glaube«; vgl. auch David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, JWA 2, 31: »Glaube [ist] das Element aller Erkenntniß und Würksamkeit.« 17 Ueber die Lehre des Spinoza, JWA I/1, 115. Vgl. ebd. 116: »Durch den Glauben wissen wir, daß wir einen Körper haben, und daß außer uns andre Körper und andre denkende Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung!« 18 Was Jacobi in diesem Zusammenhang über den religiösen, christlichen Glauben in seiner Replik an Mendelssohn sagt, kann hier unberücksichtigt bleiben. Siehe immerhin die grundlegende Aussage: »Einen andern Glauben [als den natürlichen] lehrt die Religion der Christen – sie befiehlt ihn nicht. Einen Glauben, der nicht ewige Wahrheiten, sondern die endliche zufällige Natur des Menschen zum Gegenstande hat« (JWA I/1, 116 f.). Im dritten Buch der Bestimmung der Menschen beschäftigt sich Fichte ausführlich auch mit der spezifisch religiösen Dimension des praktischen Glaubens. Dieses Werk kann rechtens als die adäquateste Darstellung der Religionslehre für den Jenaer Zyklus der Wissenschaftslehre angesehen werden. Vgl. Ives Radrizzani, Place de la Destination de l’homme dans l’oeuvre fichtéenne, in: Revue Internationale de Philosophie 206 (1998), S. 665–696.

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– man denke beispielsweise an die grundlegende Unterscheidung zwischen dem (logischen) Grund-Folge-Verhältnis und dem (praktischen) UrsacheWirkungs-Verhältnis, die er wirkungsvoll zur Geltung gebracht hat. Jacobis Beitrag zur Aufklärung des praktischen Bereichs ist dem Verfasser der Wissenschaftslehre auch nicht entgangen. Nur: Der in der Bestimmung des Menschen dargelegte Glaubensakt gehört ursprünglich zum praktischen Vollzug des Geistes als das elementare Bewußtsein jenes Freiheitsstrebens, welches das theoretische Objektbewußtsein selbst gewährleistet, während der Glaube bei Jacobi ursprünglich das elementare Bewußtsein des Vorstellungsverhältnisses zwischen Subjekt und Objekt zum Ausdruck bringt. Glaube ist bei ihm – wie es z. B. in David Hume heißt – die unmittelbare Gewißheit der »zweifachen Offenbarung«19 des Gegenstandes für das Bewußtsein und des Bewußtseins für sich selbst. Zum zweiten: Während Fichte sich den Unterschied zwischen Wissen (genauer: theoretischem Wissen) und Glauben zueigen macht, weist er gleichzeitig jeden prinzipiellen Gegensatz von Glauben und Transzendentalphilosophie zurück. Aus transzendentaler Sicht kann man durchaus auf der einen Seite behaupten – um auf die Jacobischen Äußerungen des Briefes an Fichte zurückzugreifen –, daß der »Ort des Wahren« der »Wissenschaft« »unzugänglich« sei; denn es gehört zur ureigensten Aufgabe der Wissenschaftslehre nachzuweisen, daß das »Urwahre« mit dessen »Erscheinung«, und somit mit der Philosophie selber als reflexiv-wissenschaftlicher Komponente der Gesamterscheinung, nicht zusammenfällt, sondern daß es beide ›transzendiert‹. Auf der anderen Seite muß jedoch die Transzendentalphilosophie jenes Bewußtsein der praktischen Beziehung zum Urwahren, das der Glaube selbst ist, in dessen Genesis aufklären. In der Schrift Ueber den Grund unsers Glaubens heißt es, die Transzendentalphilosophie habe »die Causalfrage zu beantworten: wie kommt der Mensch [zum] Glauben« (GA I/5, 348). Das Faktum des Glaubens, von dem Jacobi ausgeht, darf von einer ›zu Ende geführten‹ Philosophie nicht einfach konstatiert, sondern muß in seiner Genesis innerhalb des Bewußtseins durchdrungen bzw. erhellt werden. Nicht daß der Glaube zum Kunstprodukt des Philosophierens werde; noch weniger daß die Philosophie die Aufgabe hätte, den Glauben spekulativ ›aufzuheben‹: Fichte zufolge ist der Glaube ursprünglicher Lebensakt des Ich. Seine Autonomie respektierend muß die Transzendentalphilosophie jedoch jene vor-bewußte Handlungsweise des menschlichen Geistes zutage fördern, auf deren Grund und durch die der Lebensakt des Glaubens als solcher entsteht. 19

Vgl. David Hume, JWA 2, 37.

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IV. Die positive Funktion der Philosophie Wie früher angedeutet, lassen sich die Spuren der Konfrontation Fichtes mit den Jacobischen Grundgedanken nicht nur in der Bestimmung des Menschen feststellen. Zum Schluß meines Beitrags möchte ich einige Stellen aus der Wissenschaftslehre 1804 (2. Darstellung) in Betracht ziehen, wo sich Fichte erneut mit den »Prinzipien« Jacobis ausführlich beschäftigt und mithin zu einer weiteren Aufklärung seiner eigenen Auffassung von Philosophie gelangt. Im 18. Vortrag der Wissenschaftslehre 1804 wird die philosophische Position Jacobis auf drei Grundsätze zurückgeführt und in der Form eines Syllogismus aufgestellt. Der erste Grundsatz, der, Fichtes Rekonstruktion zufolge, die Rolle einer ersten Prämisse bei Jacobi übernimmt, heißt: »Wir können nur nachconstruiren das ursprünglich Seiende«. Der zweite Grundsatz (bzw. die zweite Prämisse) lautet: »Die Philosophie soll S e i n i n s i c h , und a n s i c h offenbaren und entdecken«. Der Schluß: »Darum können Wir nicht philosophiren, und es kann keine Philosophie geben« (GA II/8, 282–284). Offensichtlich gibt Fichte damit nicht den ›Buchstaben‹ wieder, sondern das, was ihm zufolge als der ›Geist‹ oder die innere Logik der Jacobischen Position bezeichnet werden kann (spricht er doch in diesem Zusammenhang vom Jacobischen »System«). Nun, wie der Verfasser der Wissenschaftslehre deutlich macht, sind die ersten beiden Grundsätze zu akzeptieren (obwohl er dem ersteren nur mit einer Präzisierung zustimmen kann, wie wir gleich sehen werden); der Schluß jedoch müsse zurückgewiesen werden. Zum ersten Grundsatz: Wenn Jacobi behauptet, daß wir – nämlich das Ich (wir lesen: »Wir oder Ich«) – das »ursprünglich Seiende« überhaupt nicht schaffen (in der Sprache des Brief[es] an Fichte: »hervorbringen«), sondern nur nachkonstruieren können, so sieht er dies richtig. Allerdings wird das, was Jacobi in seinem Denken »fast nur als Postulat« aufstellt, in der Transzendentalphilosophie genauer bestimmt. Denn letztere durchdringt das Sehen (=Wissen) in seiner Genesis und zeigt, daß dieses in Beziehung »auf den wahrhaft ursprünglichen Inhalt« nur nachkonstruierend, in Beziehung auf »die faktisch hinzugefügten Glieder« aber konstruierend ist. Der Wissenschaftslehre zufolge ist demnach das Ich-Prinzip zugleich nachkonstruierend und konstruierend, bzw. es ist Bild und bildend. Das Ich ist Erscheinung (Bild) des Ursprünglichen und erweist sich in eins damit als bildendes Prinzip der Erscheinung des Faktischen. Letzteres kommt im Sehen nur dann zustande (erscheint also nur dann), wenn es durch ursprüngliche (vor-bewußte bzw. bewußte) Geistesleistungen gestaltet wird, welche die Transzendentalphilosophie in ihrem organischen Zusammenhang herauszustellen hat.

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Daß Jacobi diese bildende Dimension des Sehens (welches dessen ursprüngliches Bild-Sein aktualisiert) nicht zureichend bzw. nicht richtig erkennt, bringt die Konsequenz mit sich, daß er – wie Fichte vermerkt – dem Faktischen »das Sein zugesteht«. Dies bedeutet aber, daß ihm die Einsicht in das einzig wahrhaft lebendige Sein verloren geht bzw. verloren zu gehen droht. Interessanterweise taucht ein ähnlicher Einwand in der oben erwähnten, unveröffentlicht gebliebenen Beantwortung des Jacobischen Schreibens aus den Jahren 1806–1807 auf, wo Fichte sich notiert, Jacobi wolle »die Selbstständigkeit Gottes« »erst durch Aussonderung von sich aus der zweiten Hand habe[n]« (GA II/11, 43). Ein derartiges Verfahren impliziert jedoch, daß hier ein »wirkliches, substantielles Ich« (GA II/11, 63) vorausgesetzt wird, von dem her die Selbstständigkeit des Absoluten erst sekundär, ›aus zweiter Hand‹, aufgestellt wird. Den Anhängern dieser Position wirft Fichte vor: »[Gott wird] ihnen also das zweite selbstständige, durch den Gegensatz entstanden, um ihretwillen da, mittelbar zu erfaßen: sie selbst aber sind das u n m it t e lb a r e […]. S i c h fühlen sie, Gott nicht, in sich leben sie[,] nicht in ihm« (GA II/11, 43). Im Gegensatz dazu macht die Transzendentalphilosophie deutlich, daß »der eigentliche Beginn des Ich« nicht in einem faktisch fertigen ›Sein‹, sondern in der Freiheit besteht, und daß letztere »ein H i n g eb e n an das sie ergreifende R e a l e der absoluten Erscheinung [des Absoluten]« (GA II/11, 63) ist. Erst die Anschauung dieses Sichhingebens der Freiheit erschließt von sich aus das, was Fichte an einer anderen Stelle seiner Bemerkungen die »Anschauung Gottes« nennt. »Es giebt in der That – führt er aus – eine A n s c h auu n g G o t t e s , u[nd] zwar eine unendliche, in der Anschauung des [freien] Ich, das […] als handelnd angeschaut wird. [K]einesweges aber ist der leere Begriff Gottes, diese Anschauung« (GA II/11, 57). Das Absolute wird somit nicht »durch Gegensatz« als ein zweites Selbstständiges erfaßt, vielmehr wird es – so möchte ich sagen – in der ›Vertiefung‹ bzw. ›Verinnerlichung‹ der praktischen Selbstanschauung der Freiheit als das wahrhaft Reale der absoluten Erscheinung anerkannt. Das Denken ›be-weist‹ das Absolute nicht (hier teilt Fichte die Meinung Jacobis), sondern es ›erhebt‹ es sich zu ihm. »D e n ke nd e s L eb e n – hat sich Fichte in seinen Bemerkungen notiert – ist Offenbarung Gottes«( GA II/11, 59). Mit dem zweiten Grundsatz seiner Rekonstruktion des Jacobischen Gedankenganges – die Philosophie soll das Sein »offenbaren und entdecken« – schließt sich Fichte eindeutig und zustimmend der zu Beginn meines Beitrags angeführten, grundlegenden Aussage Jacobis über das Ziel des philosophischen Forschens an. Obwohl Jacobi dort tatsächlich von »Daseyn« redet, und Fichte hier von »Sein i n s i c h , und a n s i c h« spricht, will letzterer mit

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seiner Formulierung des zweiten Grundsatzes hauptsächlich hervorheben, daß er und Jacobi durch unterschiedliche Wendungen hindurch dieselbe Idee des Zwecks der Philosophie als Darstellung des eigentlichen Realen vertreten, und zwar dessen, was Jacobi als das »Einfache« bezeichnet und Fichte als das erscheinende absolute Leben gefaßt hat. Der Ort, wo Fichte zufolge die Differenz zwischen ihm und Jacobi deutlich zutage tritt, liegt im dritten Grundsatz: Wir können »nicht philosophieren, und es kann keine Philosophie geben«. Nun findet sich diese Aussage als solche m. W. bei Jacobi nicht. Jedoch setzt dieser im Brief an Fichte seine »Unphilosophie« sehr wohl der »Philosophie aus Einem Stück« entgegen, welche »auf die Fichtische Weise allein möglich« (GA III/3, 233) ist. Mit dem dritten Grundsatz – so darf man sagen – will Fichte vorzüglich die notwendige Konsequenz aus dieser Einstellung Jacobis ziehen: Folge man streng seinen Aussagen, so sei uns als rekonstruierenden Intelligenzen keine Philosophie im eigentlichen Sinne gestattet, sondern bestenfalls nur eine »Unphilosophie«. Wenn Jacobi in seinem Brief nicht von der Philosophie im Allgemeinen, sondern von einer »Philosophie aus einem Stück« redet, und wenn er verneint, daß diese uns gestattet sei, erwidert ihm Fichte, daß wenn es »keine Philosophie aus Einem Stücke [gebe], so [könne es] überhaupt keine Philosophie, sondern etwa andächtige Betrachtungen auf alle Tage im Jahre« (GA II/8, 284) geben. Die Philosophie muß wesensnotwendig ein System bilden, und jeder philosophische Satz – wenn er ein philosophischer ist – hat seinen Ort prinzipiell in einem systematischen, auf einem Grundsatz fußenden und mit anderen philosophischen Sätzen eine Einheit bildenden Zusammenhang. Bezüglich des dritten, die Konsequenz des Jacobischen Gedankenganges offenlegenden Grundsatzes gilt Fichtes Strategie dem Nachweis, daß dieser Grundsatz als solcher auch von ihm anerkannt werden kann, wobei sich aus dieser Akzeptanz jedoch eine Verleugnung der prinzipiellen Möglichkeit der Philosophie durchaus nicht ergibt. 20 Denn zwischen dem ersten Teil des Grundsatzes (Wir können nicht philosophieren) und dem zweiten (Es kann keine Philosophie geben) besteht überhaupt kein notwendiger Zusammenhang. Richtig ist, vermerkt Fichte, daß »Wir, die Wir, die [laut dem ersten Grundsatz] nur nachconstruiren können«, »nicht philosophiren [können]«. Das heißt: Im aktuellen Wissensakt des Ich, welcher eigentlich ein Nachkonstruieren ist, erfolgt weder eine philosophische Reflexion, noch kann Mit Fichtes eigener Formulierung: »Ich gebe [Jacobi] den ganzen Satz, so wie er aufgestellt ist, nur denselben noch strenger nehmend, als sein eigener Urheber zu« (GA II/8, 284). 20

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sie erfolgen, wenn wir einfach bei ihm stehen bleiben (müßten). Wenn also Jacobi im Brief an Fichte gesagt hatte, »meine und meiner Vernunft Losung« sei »nicht: I c h ; sondern, M e h r als Ich! B e ß e r als ich! – ein ganz A nd e r e r« (GA III/3, 241), kann Fichte dem teilweise zustimmen: »Vom Wir oder Ich [als bloß Nachkonstruierendem] aus – sagt dieser – giebt’s keine Philosophie; es giebt nur eine über dem Ich« (GA II/8, 284) (ich sage: ›teilweise‹ zustimmen, weil nach Fichte die ›Überschreitung‹ des nachkonstruierenden Ich nicht auf die »Unphilosophie«, sondern auf eine vollendete Philosophie abzielt). Somit kommen wir zum zweiten Teil der Fichteschen Stellungnahme. Damit die Philosophie als solche möglich wird – erklärt der Verfasser der Wissenschaftslehre – muß »das Ich zu Grunde gehen, und die Vernunft rein zum Vorschein kommen«. Das Hervortreten der Vernunft über dem nachkonstruierenden Ich, aber nicht ohne es, 21 ist demnach Möglichkeitsbedingung der Philosophie selber. Auf welche Weise ist aber das Hervortreten der Vernunft transzendental zu legitimieren? Anders formuliert: Wie können wir wissen, daß im Nachkonstruieren des Ich der Akt der Vernunft selbst, mit deren transzendentalen Gesetzen, gegenwärtig und tätig ist bzw. sein muß? Fichtes Argumentationsverfahren besteht darin zu zeigen, daß derjenige, der behauptet, daß wir bloß nachkonstruieren können, ipso facto mehr als bloßes Nachkonstruieren leistet und folglich, wenn er von dieser Tatsache nicht Kenntnis nimmt bzw. nicht adäquate und konsequente Kenntnis nehmen will, in einen performativen bzw. pragmatischen Widerspruch gerät zwischen dem, was er sagt (wir können nur nachkonstruieren), und dem,

In der Beantwortung des Jacobischen Schreibens aus den Jahren 1806–1807 ist beispielsweise folgende Behauptung zu lesen: »[Es] muß zur Nachkonstruktion kommen, um zur Wahrheit zu kommen« (GA II/11, 47). Das Nachkonstruieren, bzw. das »Wir oder Ich«, darf – transzendental angesehen – erst besinnend, also im Akt des Reflektierens selbst, ›überschritten‹ werden. Vgl. dazu die Überlegung in der ersten Darstellung der Logik aus dem Jahre 1812 (Vom Verhältniss der Logik zur wirklichen Philosophie, als ein Grundriss der Logik, und eine Einleitung in die Philosophie), die sich gerade auf das Sendschreiben Jacobis bezieht: »Das Ich soll allerdings sich vernichten, u[nd] opfern; aber sich mit Freiheit, Besonnenheit, u[nd] Klarheit, drum muß es vor allen Dingen sich f i n d e n . Nicht vor seiner Geburt sich entrissen werden, u[nd] zerfliessen. Drum darin ganz recht: ein höheres Selbst, denn das Ich: größer denn Ich, besser denn Ich: – freilich. Nur dieses s e l b s t g e w i n n e n , durch eignes Opfer des vorher gewonnenen, u[nd] fest gehaltenen Ich. Inwiefern es unser ist, unser Produkt durch Freiheit, eben in der f r e i e n Vernichtung u[nd] Hingebung der Freiheit (darin besteht die absolute Freiheit) an das ewige Gesez des gött[lichen] Willens« (Bl. 21r; Manuskript Nr. IV,9 im J. G. Fichte-Nachlaß der deutschen Staatsbibliothek zu Berlin). 21

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was er wirklich tut. Denn er kann seinen Satz nicht einmal ausformulieren, ohne zugleich über ihn reflektiert bzw. – mit Fichtes eigenen Worten – »sich zum Nachconstruiren des Nachconstruirens selber« erhoben zu haben. Außerdem hätte er seiner Aussage nicht sinnvoll »Allgemeinheit« zuschreiben können – wie er andererseits zu tun beansprucht, indem er »[dem] Wir ein absolutes Gesetz [des bloßen Nachkonstruierens] vorschreibt«–, wenn er das Niveau des reinen Nachkonstruierens in das Reflektieren über dessen Faktizität nicht schon überschritten hätte. Fichtes Grundannahme ist, daß es kein Nachkonstruieren ohne einen es tragenden Akt des Sehens gibt bzw. geben kann, und daß das Sichverstehen des Sehens eben den Standpunkt der (transzendentalen) Philosophie zustande bringt. Die Möglichkeit – aber sinnvollerweise könnte man hinzufügen: die Notwendigkeit, wenn man über seine eigenen Aussagen konsequent reflektiert – dieses Standpunktes kann nicht legitim geleugnet werden. Zum Schluß der Fichteschen Überlegungen tritt ein gewichtiger Gedanke auf, der uns die Nähe und den Abstand zwischen beiden Philosophen noch einmal bedenken läßt. Fichte führt aus, daß der Begriff des Nachkonstruierens (nämlich des »Wir oder Ich«) nicht zu verstehen ist ohne »ein Ursprüngliches, schlechthin von aller Construction Unabhängiges vorauszusetzen«, und daß die Aufgabe eines philosophischen Systems eben darin besteht, »dieses Ursprüngliche […] zu fassen, und aus ihm das Nachconstruieren […] als absolut wesentliches Gesetz des Wir, als solchem, abzuleiten« (GA II/8, 286). Nun, daß das Ich ein Ursprüngliches voraussetzt, ist gerade die Grundüberzeugung Jacobis, die Leitidee, die der Düsseldorfer Philosoph in seiner Epoche entschieden vertrat und aus der Fichte selbst grundlegende Gedanken schöpfte. Daß es aber die Aufgabe der Philosophie sei, aus diesem Ursprünglichen das Wissen als Nachkonstruieren in dessen Gesetzen reflexiv und systematisch abzuleiten, ohne jedoch das erstere auf das letztere zu reduzieren, dies macht das Eigentümliche der Fichteschen Transzendentalphilosophie aus. In Bezug auf die Frage des Systems in der Philosophie ist allerdings Jacobis Position eine andere gewesen: Der systematischen Deduktion zieht dieser, wie wohl bekannt ist, den Weg einer auf natürliche Überzeugung gründenden und vom ›Salto mortale‹ begleiteten Kritik der Systeme ohne weiteres vor. 22 Abstand und Nähe zwischen ihren jeweiligen Perspektiven finden demnach ihren aufrichtigen und aussagekräftigen Ausdruck in den Worten, die Fichte im Brief an Jacobi vom 26. April 1796 niederlegte, Worte, in denen Vgl. dazu Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 22

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sich das helle Bewußtsein der Grenzen jedes systematischen Unternehmens wie aber auch des Ernstes der eigenen, in diesem Bereich liegenden Aufgabe ausspricht: »Ja, theurer edler Mann, wir stimmen ganz überein; und diese Uebereinstimmung mit Ihnen beweist mir mehr als irgend etwas, daß ich auf dem rechten Wege bin. Auch Sie suchen alle Wahrheit da, wo ich sie suche, im innersten Heiligthum unsres eigenen Wesens. Nur fördern Sie den Geist als G e i s t , so sehr die menschliche Sprache es erlaubt, zu Tage: ich habe die Aufgabe, ihn in die Form des Systems aufzufassen, um ihn, statt jener Afterweisheit, in die Schule einzuführen. Was geht auf dem langen Wege vom Geist zum System nicht alles verloren! Sie gehen gerade ein in den Mittelpunkt; ich habe es jetzt größtenteils mit den Elementen zu thun, und will erst den Weg ebnen« (GA III/3, 18). ›Den Weg ebnen‹, und zwar zu einer Wahrheit, die nicht einfach jenseits des Weges selbst liegt, sondern sich in unserem Wissensakt als praktischer und theoretischer Geltungsgrund desselben bewährt, ist gerade der methodos und die entscheidende Leistung der Transzendentalphilosophie. 23

Zum Thema ›Jacobi und Fichte‹ vgl. die folgende Fachliteratur: Rolf Ahlers, Fichte, Jacobi und Reinhold über Spekulation und Leben, in: Fichte-Studien 21 (2003), S. 1–25; George Di Giovanni, From Jacobi’s Philosophical Novel to Fichte’s Idealism. Some Comments on the 1789–1799 »Atheism Dispute«, in: Journal of the History of Philosophy 27 (1989), S. 75–100; Erich Fuchs, Texte zu Jacobi und Fichte im Brinkman-Archiv, Trolle Ljungby, Schweden, in: Fichte-Studien 1 (1990), S. 205–227; Klaus Hammacher, Jacobis Brief »An Fichte« (1799), PLS 2, 72–84; Ders. (Hg.), Fichte und Jacobi, Tagung der Internationalen J. G. Fichte-Gesellschaft (25.–26. Oktober 1996) in München in der Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung, in: Fichte-Studien 14, Amsterdam-Atlanta 1998 (Texte: Klaus Hammacher, Vorwort, S. 11–20; Günter Zöller, »Das Element aller Gewissheit«. Jacobi, Kant und Fichte über den Glauben, S. 21– 41; Ives Radrizzani, Jacobis Auseinandersetzung mit Fichte in den ›Denkbüchern‹, S. 43–62; George Di Giovanni, The Jacobi-Fichte-Reinhold Dialogue and Analytical Philosophy, S. 63–86; Hartmut Traub, Über die Grenzen der Vernunft. Das Problem der Irrationalität bei Jacobi und Fichte, S. 87–106; Marco Ivaldo, Fichte zu Jacobi in der ersten Transzendentalen Logik von 1812, S. 107–119; Angelica Nuzzo, Nachklänge der Fichte-Rezeption Jacobis in der Schrift »Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung« (1811), S. 121–137; Walter Jaeschke, Zwischen Wissen und Wissenschaft. Ein Beitrag zur Nachgeschichte des Streits um die Göttlichen Dinge, S. 139–152; Peter L. Oesterreich, »Was geht auf dem langen Wege vom Geist zum System nicht alles verloren!«. Jacobi und die Angewandte Philosophie Fichtes, S. 153–169; Klaus Hammacher, Dialektik und Dialog, vornehmlich bei Jacobi und Fichte. Eine methodologische Studie, S. 171–194); Alberto Iacovacci, Jacobi interprete di Fichte: una nuova fonte, in: Passaggi 3 (1991), S. 70–84; Ders., Idealismo e nichilismo. La lettera di Jacobi a Fichte, Padova 1992; Marco Ivaldo, Vita e sapere tra Jacobi 23

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e Fichte, in: Annuario filosofico 9 (1993), S. 219–251; Susanna Kahlefeld, Standpunkt des Lebens und Standpunkt der Philosophie. Jacobis Brief an Fichte aus dem Jahr 1799, in: Fichte-Studien 21 (2003), S. 117–130; Reinhard Lauth, Fichtes Verhältnis zu Jacobi unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Friedrich Schlegels in dieser Sache, in: K. Hammacher (Hg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit. Beiträge einer Tagung in Düsseldorf (16.–19. 10. 1969) aus Anlaß seines 150. Todestages und Berichte, Frankfurt a. M. 1971, S. 165–208; Reinhard Look, Gefühl und Realität. Fichtes Auseinandersetzung mit Jacobi in der Grundlage der Wissenschaft der Praktischen, in: Fichte-Studien 10 (1997), S. 219–237; Wolfgang Müller-Lauter, Über die Standpunkte des Lebens und der Spekulation. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung zwischen Fichte und Jacobi unter besonderer Berücksichtigung ihrer Briefe, in: H.-J. Gawoll / Ch. Jamme (Hgg.), Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift um 65. Geburtstag von Otto Pöggeler, München 1994, S. 47–67; Giuliano Sansonetti, Einleitung zu: F. H. Jacobi, Fede e nichilismo. Lettera a Fichte, ital. Übersetzung, Brescia 2001, S. 7–19; Daniela Toti, Le metafore nella »Lettera verde« di Jacobi a Fichte, in: Archivio di filosofia 1–3 (1996), S. 833–853.

II. DIE REINE METAPHYSIK SPINOZAS. EINE AUFGRABUNG MIT FOLGEN

Die Kontroverse zwischen Herder und Jacobi über Spinoza von Marion Heinz

I. Bereits zwei Jahre nach Erscheinen der Spinoza-Briefe Jacobis trat Herder 1787 mit der kategorisch Gott betitelten Schrift als Verteidiger Spinozas in die öffentliche Debatte ein, was für Herder als Inhaber des obersten Kirchenamtes in Weimar kein unbrisantes Unterfangen war. Wie dem Briefwechsel zwischen Herder und Jacobi zu entnehmen ist, war Herder von Anfang an in die Auseinandersetzung Jacobis mit Mendelssohn einbezogen worden: Am 22. November 1783 sandte Jacobi seinen ersten Brief an Mendelssohn in Abschrift an Herder, 1 und er hielt ihn von da an kontinuierlich über den Fortgang der Diskussion auf dem laufenden. Daß Herder in der Sache kompetent war, ohne allerdings die Position Jacobis zu teilen, konnte dieser mit guten Gründen annehmen: Herders 1778 erschienene (ungekrönte) Preisschrift Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele enthielt bereits ein emphatisches Bekenntnis zu Spinoza (vgl. VIII, 202) und bot der Sache nach in nuce ein Spinoza und Leibniz verbindendes Systemprogramm. 2 Diese Schrift ist keineswegs das erste Zeugnis von Herders Affinitäten zu Spinoza. Um nur einige wesentliche Dokumente zu erwähnen, sei auf Herders philosophische Erstlingsschrift Versuch über das Sein von 1763 und die Schrift Grundsätze der Philosophie von 1769 verwiesen, 3 die allerdings bei-

Vgl. J. G. Herder, Briefe, Gesamtausgabe 1763–1803, hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar unter der Leitung von K. H. Hahn, bearbeitet von W. Dobbek und G. Arnold, Weimar 1977 ff., Bd. 5, Brief Nr. 17, S. 27 ff. bzw. JBW I/3, 255 f. (Nr. 973). 2 Vgl. M. Heinz, Sensualistischer Idealismus. Untersuchungen zur Erkenntnistheorie und Metaphysik des jungen Herder (1763–1778). Studien zum 18. Jahrhundert, Bd. 17, Hamburg 1994, S. 170 ff. 3 Vgl. ebd., S. 24, 88 ff. 1

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de unveröffentlicht blieben. Seit 1769 beschäftigte sich Herder intensiv mit Spinoza. 4 Zu verweisen ist natürlich auch auf den ersten und zweiten Teil der »Ideen …«, die 1784/85 erschienen und die von Kant rezensiert worden waren (AA VIII, 43–67). Aber erst der öffentlich ausgetragene Spinoza-Streit provozierte Herder, seine Version des Spinozismus als eine Ontotheologie des Lebens philosophisch auszuarbeiten und öffentlich explizit gegen Jacobi und Mendelssohn zur Geltung zu bringen. Bedauerlicherweise ist Hegels Rezension dieser Schrift verloren, wir wissen aber u. a. aus den Frühschriften Hegels, wie großen Einfluß diese Arbeit auf die Entstehung der Philosophie des deutschen Idealismus gehabt hat. 5 Herders Gott hat nicht nur überhaupt der Akzeptanz Spinozas in der nachfolgenden Generation der Philosophen des deutschen Idealismus vorge-

Vgl. dazu auch H. Timm, Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit, Bd. 1: Die Spinozarenaissance, Frankfurt 1974; D. Bell, Spinoza in Germany from 1670 to the Age of Goethe, London 1984; C. Friedrich, Herders Schrift »Gott« als Fazit der Spinozadebatte, in: Th. Höhle (Hg.), Lessing und Spinoza. Wissenschaftliches Kolloquium veranstaltet von der Martin-Luther-Universität, HalleWittenberg 1982, S. 76–84, sowie M. Heinz, Existenz und Individualität. Untersuchungen zu Herders »Gott«, in: K. Held und J. Hennigfeld (Hgg.), Kategorien der Existenz. Festschrift für Wolfgang Janke, Würzburg 1993, S. 159 ff. und K. Hammacher, Herders Stellung im Spinozastreit, in: M. Heinz (Hg.), Herder und die Philosophie des deutschen Idealismus (Fichte-Studien Supplementa Bd. 8), Amsterdam u. a. 1997, S. 166 ff. Die Arbeiten von H. Clairmont und E. Schürmann wurden mir erst nach Abschluß dieser Arbeit zugänglich. (Vgl. H. Clairmont, »Die Leute wollen keinen Gott, als in ihrer Uniform, ein menschliches Fabelthier«. Herders anthropologisch fundierte Gnoseologie und seine Spinozadeutung in »Gott«, S. 329 ff., und E. Schürmann, »Ein System der Freiheit und der Freude« – Herder auf den Spuren von Spinoza. Die beiden Auflagen der Schrift »Gott« in ihrem Verhältnis zur »Ethica«, S. 357 ff. (Beide in: E. Schürmann, N. Waszek und F. Weinreich (Hgg.), Spinoza im Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts. Spekulation und Erfahrung II, 44, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002.)) Ältere Forschungsarbeiten sind: A. Tumarkin, Herder und Kant, Bern 1896, W. Vollrath, Die Auseinandersetzung Herders mit Spinoza. Eine Studie zum Verständnis seiner Persönlichkeit, Darmstadt 1911, J. A. Dietterle, Die Grundgedanken in Herders Schrift »Gott« und ihr Verhältnis zu Spinozas Philosophie, in: Theologische Studien und Kritiken 87 (1914), S. 505–555, E. Hoffart, Herders »Gott«. Bausteine zur Geschichte der deutschen Literatur, 16, Halle a. d. S. 1918, E. J. Schaede, Herders Schrift »Gott« und ihre Aufnahme bei Goethe, Germanische Studien 149, Berlin 1934. 5 Vgl. M. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986; zu Schelling vgl. R. Haym, Herder nach seinem Leben und seinen Werken, Berlin 1954, Bd. II, S. 328 ff. 4

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arbeitet, Herders spezifische Transformation der Philosophie Spinozas in eine Ontotheologie des Lebens enthält überdies durch die Verteidigung einer monistischen Position nach Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft bereits wichtige Präfigurationen nachkantischer Versuche von Vereinigungsphilosophie. 6 Entscheidend ist hierbei die durch Herder vollzogene Dynamisierung des spinozistischen Substanzmonismus, in der Polarität und Entwicklung zu entscheidenden Strukturmomenten werden, deren Integration Herder durch eine Hegels spekulativen Begriff vorbereitende Form von Einheit zu leisten versucht, die Gegensätze in sich zu versöhnen beansprucht.7 Die folgenden Untersuchungen, welche die Auseinandersetzung zwischen Herder und Jacobi als wesentlichen Strang der vielschichtigen und vielseitigen Spinozadebatte thematisieren, zielen darauf, die Hauptstreitpunkte und die dafür ins Feld geführten Argumentationen zu rekonstruieren und gegeneinander abzuwägen. Dabei wird sich zeigen, daß die Spinozas Philosophie betreffenden Differenzen und die an deren Verständnis sich scheidenden Auffassungen über die Konzeption Gottes sich nicht zuletzt aus einer unterschiedlichen Bezugnahme auf die vorkritische Metaphysik Kants, wie sie in der 1763 erschienenen Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes niedergelegt ist, erklären lassen. Diese Schrift wird nur von Jacobi explizit erwähnt; 8 für Herders Gott kommt ihr – obwohl ungenannt – eine in der Forschung bisher kaum beachtete eminente Bedeutung zu, die im folgenden zumindest in einigen entscheidenden Aspekten aufzuhellen ist. II. Herders Anstrengungen, Spinoza und Lessings Spinozismus zu verteidigen, sind indirekt von Anfang an – zumindest im Subtext – auch Stellungnahmen gegen deren Angreifer Jacobi. Aber erst im vierten sog. »Lessingschen Gespräch« seiner Schrift Gott wird Jacobi mit Namen erwähnt, um das

Vgl. J. Zammito, Herder, Kant, Spinoza und die Ursprünge des deutschen Idealismus, in: M. Heinz (Hg.), Herder und die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 4), S. 107 ff.; M. Walther (Hg.), Spinoza und der deutsche Idealismus, Würzburg 1991. 7 Vgl. M. Heinz, Herders Metakritik, in: M. Heinz (Hg.), Herder und die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 4), S. 89–106. 8 Zu Jacobis Bekanntschaft mit dieser Schrift vgl. seine Schrift: David Hume über den Glauben. JWA 2, 46 ff. Vgl. auch K. Hammacher, Herders Stellung im Spinozastreit (Anm. 4), S. 175. 6

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Strittige, aber auch das Unstrittige zwischen ihnen klar herauszustellen. 9 Danach bestehen Differenzen in zwei Punkten: Jacobis Konzept einer ›persönlichen, supra- und extramundanen Gottheit‹ kann Herder ebenso wenig zustimmen wie Lessing.10 Dissens besteht außerdem hinsichtlich des Begriffs, »den ich [Herder] jetzt von Spinoza’s System habe und in welchem Wir beide uns doch Punkt für Punkt verstanden. Auch Mendelssohns Morgenstunden nahm ich zur Hand und sah, daß wir über das historische Factum, was Spinoza’s System sei? ziemlich Eins waren. Also, sehen Sie leicht, kann ich in die Conclusionen nicht einstimmen: ›Spinozismus ist Atheismus. Die Leibnitz-Wolfische Philosophie ist nicht minder fatalistisch als die Spinozistische. Jeder Weg der Demonstration gehet in den Fatalismus aus‹ u. f. Denn nach meiner Überzeugung ist Spinozismus, wie ihn sich Spinoza dachte, kein Atheismus; auch ist in den harten Ausdrücken des Spinoza die Leibnitz-Wolfische Nothwendigkeit mit der Spinozischen nicht einerlei; und dann muß man sich von dem Wort Fatalismus, dünkt mich, so wenig schrecken lassen als von irgend einem Worte« (XVI, 508). Sachlich verbunden aber weiß sich Herder mit Jacobi in einer Position, die jedoch mit Jacobis eigener Rubrizierung als Glaubensphilosophie – so Herder – ein Sinn entstellendes Etikett erhalten habe; deren wesentlichen Gehalt kennzeichnet er wie folgt: »Ohne Existenz und eine Reihe von Existenzen dächte der Mensch nicht, wie er denket, folglich müßte es auch der Zweck seiner Gedanken seyn, nicht, sich Hirngespinste zu erträumen und mit Scheinbegriffen und Scheinworten, wie mit einer selbstgemachten Wirklichkeit zu spielen; sondern wie ers [Jacobi es] nennt, Daseyn zu enthüllen, solches als etwas Gegebnes oder (nach seinem Ausdruck) als eine Offenbarung Gottes anzunehmen, über welche und hinter welche man nicht hinauskann« (XVI, 512). Ungeachtet der Differenzen bezüglich der Natur Gottes und des Begriffs von Spinozismus besteht also Herder zufolge essentielle Übereinstimmung mit Jacobi in Bezug auf eine solche Philosophie des Daseins oder der Existenz, bzw. in Bezug auf einen solchen Realismus. Die von Herder benannten Streitpunkte greift Jacobi in der IV. und V. Beilage der zweiten Auflage seines Spinozabuches auf, und zwar in durchaus

Herablassend destruktiv ist freilich die einleitende, noch ohne Namensnennung erfolgende Kennzeichnung Jacobis als eines schwachen Sektenmachers, der dem großen, verstorbenen Lessing von vornherein nichts anhaben könne (vgl. XVI, 507). 10 XVI, 508. – Die Werke Herders werden zitiert nach der Ausgabe von B. Suphan, Herders Sämtliche Werke, Berlin 1877 ff. (Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1967 f.), unter Angabe der Bandnummer in römischen Zahlen und der Seitenzahl in arabischen Zahlen. 9

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unversöhnlicher, die Konfrontation bis zum Äußersten zuspitzender Weise (vgl. JWA 1, 219–231): Herders Versuch der Rettung Spinozas vor dem Vorwurf des Atheismus laufe auf eine »Zusammensetzung des Herderischen, und Läuterung des Spinozistischen Gottes« (JWA 1, 228) hinaus, die noch nicht einmal die Bedingung, als solche möglich zu sein, erfülle. Unter Herders Reformulierung des Spinozanischen Gottes als einer Intelligenz, der das Personsein abgesprochen wird, lasse sich »schlechterdings NICHTS« verstehen, »nicht einmal soviel als zu einem Hirngespinst erfordert« werde; es bleibe also »nur ein Wort ohne Sinn, ein bloßer leerer Schall übrig« (JWA 1, 221). Damit hat Jacobi Herder – ähnlich wie zuvor Kant in der Rezension der Ideen … – aus der Sphäre ernstzunehmender Philosophie ausgeschlossen. Daß es sich bei Herders Versuch der Rettung des Spinozismus um eine in sich widersprüchliche, daher unmögliche Konzeption einer »dichterischen Philosophie« (JWA 1, 221) handelt, 11 erweist sich Jacobi zufolge im Ausgang von dem Problem, »ob die Ursache der Welt, das ist, das höchste Wesen, blos eine ewige unendliche Wurzel aller Dinge, eine natura naturans, eine erste Springfeder; oder ob sie eine Intelligenz sey, die durch Vernunft und Freyheit wirke« (JWA 1, 219 f.). Entgegen der Meinung Jacobis, »diese erste Ursache sey eine Intelligenz« (JWA 1, 220), suche Herder mit Spinoza und Lessing die Auffassung eines nicht-persönlichen Gottes zur Geltung zu bringen. Wenn Herder allerdings im Unterschied zu diesen Gott gleichwohl als höchste Denkkraft preise, komme nichts als eine »Vernunft- und Sprachverwirrende – Predigt« (JWA 1, 222) heraus. Ansatzpunkt von Herders Überlegungen zu der Frage, ob Spinozas Gott Verstand und Wille zukommen könne, ohne ihn als Persönlichkeit auffassen zu müssen, sei folgender Einfall ganz in Lessings Laune: »›Es gehört zu den menschlichen Vorurtheilen, daß wir den Gedanken, als das erste und vornehmste betrachten, und aus ihm alles herleiten wollen; da doch alles, samt den Vorstellungen, von höheren Prinzipien abhängt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke, sind offenbar in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit erschöpft ist. Sie muß unendlich vortrefflicher seyn, als diese oder jene Wirkung; und so kann es auch eine Art des Genusses für sie geben, der nicht allein alle Begriffe übersteigt, sondern völlig ausser dem Begriffe liegt. Daß wir uns nichts davon gedenken können, hebt die Möglichkeit nicht auf‹« (JWA 1, 223). Für Herder nun ist diese Äußerung, anders als Mendelssohn gemeint hatte, durchaus keiner Laune, sondern sachlicher Notwendigkeit geschuldet.

Jacobi initiiert also Kants Strategie, Herder als blühendes Genie zu rühmen, um ihn als Philosophen zu diskreditieren. Vgl. z. B. Kants Rezension, AA VIII, 55. 11

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Allerdings sei Lessing – so Herder – bei Spinoza nur auf halbem Wege stehen geblieben (JWA 1, 224): es sei ihm nämlich nicht gelungen, den Begriff zu entwickeln, der alle Begriffe übersteige und der eine Art des Genusses gebe, die zwar nicht außer, aber über und vor jedem Begriff liege, und dies sei der Begriff des Daseins. Aber auch Spinoza selbst sei bloß durch eine falsche Cartesische Erklärungsweise daran gehindert worden, die unendliche Denkund Wirkungskraft so zu verbinden, daß die Einsicht folge, die höchste Macht sei notwendig auch die weiseste. Gegen diese vorerst zweifellos noch kryptischen Deutungen Lessings und Spinozas durch Herder wendet Jacobi ein: 1. Gott Verstand und Gedanken zuzuschreiben, bedeutet einen eklatanten Widerspruch zu Spinozas Lehrmeinung, derzufolge diese nur der erschaffenen Natur zukommen können. Denn: »Wirkliche Gedanken, ausdrückliches Bewußtseyn, Verstand, ist eine gewisse bestimmte Art und Weise, eine Modification (modificatione modificatum) des absoluten Denkens. Das absolute Denken selbst, unmodifiziert, (infinita cogitationis essentia) wird von der Substanz unmittelbar hervorgebracht; alle die verschiedenen Arten des Denkens aber, nur mittelbar; das heißt, sie alle können, unmittelbar, nur aus dem Endlichen fließen, und müssen zur erschaffenen, keineswegs aber zur unerschaffenen Natur gerechnet werden« (JWA 1, 226 f.). 2. Herder verbreitet wortreich nichts als Nebel, der die Härte der durch Spinoza aufgezwungenen strikten Alternative zwischen Final- und Kausalsystem bloß verschleiert, um eine klare Stellungnahme zu vermeiden. Denn einerseits konstatierte Herder: »›Das Daseyn ist vortrefflicher, als jede seiner Wirkungen; es giebt einen Genuß, der einzelne Begriffe nicht nur übersteigt, sondern mit ihnen auch gar nicht auszumessen ist: denn die Vorstellungskraft ist nur EINE seiner Kräfte, der viele andere Kräfte gehorchen‹«. Und demzufolge könne diese Kraft nicht die leitende Kraft sein, wenn anders sie eben dem Urgrund aller Wirklichkeit selbst entspringt. Sie könne bloß »›Bewußtseyn dessen [sein], was allem, auch dem Denken seine Gesetze bestimmt, nicht von ihm sie sich bestimmen läßt‹« (JWA 1, 227). Andererseits aber ist es Herder um nichts mehr zu tun als darum, gerade auch gegen Jacobi die ursprüngliche höchste Kraft, die Ur-Kraft selbst, als weiseste Macht, die sich selber kennt, zu erweisen (vgl. JWA 1, 225). M. a. W. widerspricht Herder sich selbst; sein Versuch der Rettung Spinozas vor dem Vorwurf des Atheismus erfüllt nicht einmal die Mindestbedingung der Konsistenz: »die Zusammensetzung des Herderschen, und Läuterung des Spinozistischen Gottes [müßte] wenigstens eine mögliche Zusammensetzung und Läuterung seyn, welches sie mir nicht zu seyn scheint« (JWA 1, 228). Aber selbst wenn von diesem vernichtenden Ergebnis aus Gründen her-

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meneutischer Billigkeit abgesehen würde, ließe sich Herder nicht retten. Das von ihm angezielte »Mittelsystem« zwischen dem System der Finalursachen und dem System der bloß wirkenden Ursachen, 12 erweist sich Jacobi zufolge bei näherem Zusehen als fauler Kompromiß, als bloß scheinbare Versöhnung der Gegensätze. Nimmt man konziliant nämlich nur den einen Strang der Herderschen Argumentation auf und sieht von dem widersprechenden anderen ab, stellt sich dieses Mittelsystem so dar: Die Vorstellungskraft folgt dem Dasein, das aber heißt: »daß Vorstellung und Begierde eine blos mechanische Verkettung begleiten, in, und mit und bey ihr seyn können«. So wird »jedes harmonische Resultat, eine Erscheinung zuwege bringen, deren Vorstellung den Begriff einer Wirksamkeit nach Zwecken, einer Kunst, Weisheit, Güte usw. mit sich führen wird« (JWA 1, 229). Dieses »Mittelsystem« läßt sich leicht als bloßer Schein einer Verbindung des Gegensätzlichen, das der Entscheidung lediglich aus dem Wege zu gehen sucht, durchschauen. Denn ob es sich in Wahrheit um einen Finalnexus handelt, macht sich nach Jacobi daran fest, daß der Begriff dem Resultat der Wirkung vorhergeht. Entscheidend ist eben nicht die Qualität der Wirkung – Geordnetheit, Harmonie –, sondern die Art der Ursache. Wo eine aus dem »Bedürfniß jener dichterischen Philosophie« (JWA 1, 221) entstandene Version von Spinozismus die Illusion der Vereinbarkeit des Gegensätzlichen zu erzeugen sucht, insistiert Jacobi auf der Notwendigkeit der Entscheidung zwischen Alternativen. Läßt sich Herder gegen diese scharfen Vorhaltungen überhaupt verteidigen? Oder ist es – ungeachtet aller philosophiegeschichtlichen Fruchtbarkeit seines lebensphilosophisch dynamisierten Spinozismus – doch so, daß Jacobis boshafte Diagnose zutrifft, es handle sich um eine Predigt, d. h. um ein Konsistenz und Konsequenz mißachtendes Stück erbaulichen Gottesdienstes?13 Wie immer erweist sich Jacobi als zuverlässiger Seismograph philosophischer Problempunkte: Zweifellos erscheint Herders Konzeption als widersprüchlich. Herder selbst ist einer solchen Unvereinbarkeit allerdings

Vgl. zu diesem Komplex Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 13 Da Jacobis Angriff zunächst dieses Problem der Konsistenz der Herderschen »geläuterten« Version des Spinozismus betrifft, werde ich nur dieser Frage, ob Herder in diesem Punkt zu verteidigen ist oder nicht, nachgehen. Die Frage, ob Herders Spinozismus überhaupt noch mit der Doktrin Spinozas vereinbar ist, was Jacobi bestreitet, ohne daraus jedoch einen Herder vernichtenden Einwand zu machen, soll im folgenden nicht untersucht werden. Eine Diskussion über diesen Punkt würde im übrigen die 12

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überhaupt nicht gewahr, jedenfalls findet sich keine Spur ihrer Thematisierung. Daraus kann nun entweder mit Jacobi gewissermaßen a fortiori auf die Ignoranz Herders im Feld professioneller Philosophie geschlossen werden, oder man folgt der billigen Unterstellung, die Gesichtspunkte, die das gegensätzlich Scheinende als vereinbar zu denken ermöglichen, seien für Herder so naheliegend und selbstverständlich gewesen, daß sie nicht einmal expressis verbis artikuliert werden mußten.

III. Der von Jacobi angezeigte Widerspruch ergibt sich – genauer besehen – durch die Konfrontation von Aussagen aus dem dritten Gespräch, in dem es insbesondere um die Frage geht, welcher Art die von Spinoza behauptete Notwendigkeit sei, mit Aussagen aus dem vierten sog. »Lessingschen Gespräch«, in dem – vereinfacht gesagt – die Art der göttlichen Selbstpräsenz oder Selbstwahrnehmung thematisiert wird. In beiden Gesprächen wird in der Tat von Gottes Denken im weitesten Sinne gehandelt, und zwar in zunächst widersprüchlicher Weise: Im dritten Gespräch ist von Gott als höchster Denkkraft die Rede, aus der alles Mögliche folgt (vgl. XVI, 482, 488, 499 Anm.); im vierten Gespräch hingegen wird die Vorgängigkeit des Daseins vor der Vorstellungskraft und vor allem Begriff behauptet (vgl. XVI, 502 f.). Schon allein durch eine sorgfältige Beachtung des Kontextes wäre der Anschein des Widerspruchs aufzulösen. Anstelle einer solchen »Rettung« Herders durch hermeneutische Verfahren, 14 soll hier der Versuch gemacht werden, Kants Einzig möglichen Beweisgrund … als die die Kontroverse zwischen Herder und Jacobi fundierende Tiefenschicht herauszuarbeiten. Auf dieser Folie kann Herders Unbekümmertheit um Vereinbarkeitsanstrengungen systematisch und philosophiegeschichtlich rekonstruiert werden als Versuch, die Philosophie Spinozas mit Mitteln von Kants vorkritischer Ontotheologie zu transformieren. Desweiteren ließe sich zeigen, daß sowohl die gegensätzliche Profilierung beider Positionen Herders und Jacobis als auch die einseitig von Herder konstatierte Gemeinsamkeit aus der Rezeption dieses Lehrstückes erwachsen sind.

Berücksichtigung der durchaus verschiedenen hermeneutischen Prämissen beider Spinozainterpretationen verlangen. 14 Vgl. dazu M. Heinz, Existenz und Individualität (Anm. 4), S. 159 ff., insbes. S. 163–173.

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Während Jacobi Herder durch die Berufung auf den Einzig möglichen Beweisgrund … in die Entscheidung für eines der beiden ein tertium ausschließenden Gegensatzglieder, Kausal- bzw. Finalsystem, zwingen will (vgl. JWA 1, 228 f.), versucht Herder, durch Rekurs auf dieselbe Autorität darzutun, daß Jacobis Alternative verfehlt ist. Für Jacobi unterscheidet sich das Kausal- vom Finalsystem – wie gesagt – danach, ob der Begriff dem Resultat des Mechanismus vorausgeht oder nicht. Ein Drittes ist unmöglich, es sei denn, man setze zwei Urwesen, ein verständiges und ein unverständiges, voraus. Unter Verweis auf Kants Einzig möglichen Beweisgrund … macht Jacobi klar, daß die Annahme eines Urwesens als großer Grund aller Dinge erst dann als Vorstellung eines Gottes gelten kann, wenn diesem Urgrund »eigene Erkenntniß und Entschließung« (JWA 1, 229) zugesprochen werden. Nach Kants Lehre vom Einzig möglichen Beweisgrund …ist aber durchaus vereinbar, was Jacobi für unvereinbar erklärt: die Vorgängigkeit des Daseins und die Behauptung des Urwesens als Gott, d. h. als ein mit Verstand und Willen begabtes Wesen: Dieser neue Gottesbeweis vorkritischer Philosophie hat sein Fundament in dem hier zuerst entwickelten Begriff von Existenz. Auf der Grundlage dieses Existenzbegriffs wird der klassische ontologische Gottesbeweis unhaltbar. Für den hier relevanten Zusammenhang liegt das Besondere dieses neuen Gottesbeweises darin, daß dieser Beweis nicht darauf gründet, daß etwas wirklich ist, sondern bloß darauf, daß etwas möglich ist (vgl. AA II, 77 ff.). Vermittelst des zentralen Gedankens »die innere Möglichkeit aller Dinge setzt irgendein Dasein voraus« (AA II, 78) beweist Kant zunächst die Existenz eines schlechterdings notwendigen Wesens. Dessen Dasein ist der höchste Grund aller Wesen, d. h. das ens realissimum, durch dessen Existenz erst alle Möglichkeit gegeben ist (vgl. AA II, 85). 15 In einem zweiten Schritt erst demonstriert Kant, daß dieses Urwesen ein Gott ist, d. h. daß ihm Verstand und Wille zukommen (vgl. AA II, 87 ff.). Für die Rekonstruktion der Herderschen Version von Spinozismus ist zunächst diese Auffassung Kants, daß es ein Wirkliches gibt, das aller Möglichkeit, sogar seiner eigenen (vgl. AA II, 86), vorhergeht, von Bedeutung. Zum entscheidenden Vorbild für seine Rettung Spinozas aber konnte Kants

Vgl. K. Reich, Kants »Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes« (1937), in: K. Reich, Gesammelte Schriften, hg. von M. Baum, U. Rameil und G. Scholz, Hamburg 2001, S. 166 ff., und K. Reich, Einleitung in »Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes« (1963), ebd. S. 287 ff. 15

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Ontotheologie nur darum werden, weil diese Vorgängigkeit der Wirklichkeit vor der Möglichkeit – anders als von Jacobi unterstellt – gerade keinen blinden Mechanismus und keinen gedankenlosen Urgrund aller Wesen impliziert. Von Kant her – der sich dieses Problem natürlich nicht selbst in der von Jacobi gegebenen Fassung stellt – wird die Vereinbarkeit einer allem Denken vorgängigen Wirklichkeit mit göttlicher Weisheit und Güte wie folgt einsichtig: Formal gesehen ist das göttliche Urwesen als ein doppeltes Grund-Folge-Verhältnis aufzufassen. Zum einen ist Gottes unendliche Natur als Beziehung eines Grundes auf alle Wesen der Dinge konzipiert (vgl. AA II, 91); die Existenz des schlechterdings notwendigen Wesens ist der Grund alles Realen der Möglichkeit oder aller inneren Möglichkeit. Und diese Beziehung der mannigfaltigen Möglichkeiten der Dinge auf Gott als ihren einheitlichen Grund ist der Grund für die Möglichkeit des göttlichen Verstandes und der göttlichen Begierde. Dies erhellt wie folgt: indem die Möglichkeiten der Dinge alle mit Einem, Gott als Grund, übereinstimmen, stimmen sie auch untereinander überein (vgl. AA II, 91 f.). Damit ist der für den Einzig möglichen Beweisgrund …und für Herders dadurch ermöglichte spezifische Transformation der Spinozanischen Ontotheologie entscheidende Gedanke gewonnen, daß die harmonische Zusammenstimmung der Naturdinge nicht auf göttlicher Willkür beruht, sondern in den Wesen der Dinge selbst gründet. »Es bietet nämlich die innere Möglichkeit der Dinge demjenigen, der ihr Dasein beschloß, Materialien dar, die eine ungemeine Tauglichkeit zur Übereinstimmung und eine in ihrem Wesen liegende Zusammenpassung zu einem auf vielfältige Art ordentlichen und schönen Ganzen enthalten« (AA II, 100). Sofern Gottes unendliche Natur diese »Beziehung eines Grundes auf alle Wesen der Dinge hat«, ist diese Natur auch Grund der Weisheit und Grund der »höchsten Begierde« Gottes (AA II, 91). Denn: Die höchste Begierde ist Grund größtmöglicher Folgen (vgl. AA II, 91); nun setzt aber »aller Entschluß eines Willens die Erkenntniß der Möglichkeit des zu Beschließenden voraus« (AA II, 101). Eine der höchsten Begierde entsprechende Erkenntnis, d. i. »Weisheit setzt [ihrerseits] voraus: daß Übereinstimmung und Einheit in den Beziehungen möglich sei« (AA II, 125 Anm.). So ist das Wesen Gottes qua Grund der Möglichkeit mit seinem Willen in größter Zusammenstimmung (vgl. AA II, 91). Und insofern Gottes Weisheit und Begierde eben durch seine eigene Natur qua Grund der Wesen bedingt sind, bleiben seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit untangiert (vgl. AA II, 125 Anm.). Anhand der Lehren des vorkritischen Kant erweist sich also, daß die von Jacobi aufgestellte Alternative keine ausschließende Alternative ist. Zu prüfen ist im folgenden, inwieweit Herders Gott diese vorkritische Ontotheologie einholt. Insbesondere das dritte Gespräch beweist die Abhängigkeit

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seines Neuspinozismus von Kant. Vorbildlich für Herder ist hier zunächst Kants Ansatz, die Einheit und Ordnung der Natur als notwendig im strikten Sinne zu erweisen, d. h. sie aller göttlichen Willkür zu entziehen, und doch nicht als blinden Mechanismus, sondern als der göttlichen Weisheit entsprechende und entspringende Verfaßtheit zu begreifen. Herder beurteilt Spinoza im dritten Gespräch als fortgeschrittener gegenüber Leibniz: dessen Vorstellung einer göttlichen Wahl der zu verwirklichenden Welt aus einer Vielzahl bloß möglicher Welten nach dem Prinzip des Besten sei mit der Natur Gottes als eines Wesens, das von vornherein auch nur das Beste denkt, unvereinbar (vgl. XVI, 474, 478, 485). Demgegenüber verhalte es sich bei dem überlegenen Spinoza so: »Gott muß das Beste, nicht durch eine schwache Willkühr, sondern seiner Natur nach, ohne langsame Vergleichung mit dem Schlechtern, das ohne ihn ein Nichts ist, vollständig einsehen und wirken« (XVI, 485). Daß Herder Kants Vorbild folgt, wenn er Spinozas Gott vindiziert, sein Denken sei durch seine Natur so bestimmt, daß nur das »Beste« konzipiert werden könne, liegt auf der Hand: indem Gott seiner Natur als Grund der Wesen der Dinge in seinem Denken folgt, kann er nur dasjenige denken, was von sich her schon zu maximaler Zusammenstimmung taugt. Und selbst Formulierungen wie die, Gott schaffe die Möglichkeiten der Dinge (vgl. XVI, 482, 488), implizieren kein Votum für die eine Seite der von Jacobi eröffneten Alternative, das Denken bzw. der Begriff gehe jedem Dasein vorher. Denn gerade das Schaffen der Möglichkeiten ist als göttliches an die Natur Gottes als Grund aller Wesen und an ihre dadurch bedingte Zusammenstimmung gebunden. Auf diese Weise wird im dritten Gespräch von Herders Gott Spinozas genuine Lehre mit Mitteln der Kantischen Philosophie überformt, um zwei scheinbar unvereinbaren Anliegen ohne Widerspruch Rechnung tragen zu können: Zum einen soll Spinoza vor dem Vorwurf, er denke Gott als blinden Polyphem, gerettet werden (vgl. XVI, 478), indem Gott als Intelligenz begreifbar gemacht wird. Zum anderen soll – wie bei Kant – die Ordnung der Natur aller göttlichen Willkür entzogen werden, um eine empirische Naturerkenntnis ontologisch zu fundieren, die auf alle Teleologie Verzicht tut. Spinoza und Kants vorkritische Ontotheologie sind für Herder aus dieser Perspektive konvergent zu machen und zugleich von Leibniz abzusetzen. Anders als bei Leibniz ist schon Gottes Denken an ontologische, und nicht bloß an logische Regeln gebunden: an das nämlich, was sich als aus Gottes Natur folgend ergibt. Und das sind nach Kant eben nur bestimmte, zur harmonischen Ganzheit taugliche, in der natura naturans gründende Wesen der Dinge, die ihrerseits die durchgängige Einheit der geschaffenen Natur in ihrer mathematischen und dynamischen Ordnung begrün-

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den.16 Die Lehre göttlicher Wahl also entfällt, ohne damit die der göttlichen Weisheit und Begierde aufgeben zu müssen. Die von Jacobi als Gegensatz zur Auffassung des dritten Gesprächs präsentierte Hauptthese des vierten Gesprächs von Herders Gott, das Dasein gehe allem Begriff vorher (vgl. XVI, 502), läßt sich in der jetzt eröffneten Sicht als konsequente Fortsetzung des dritten Gesprächs lesen. Allerdings ist hier eine genuin Herdersche Reformulierung der Philosophie Spinozas zu beachten: Herder will die von ihm abgelehnte Lehre von den Attributen ersetzen durch seine Theorie organischer Kraft. Gott als die Urkraft bringt mannigfaltige Kräfte hervor, die ihrerseits Darstellungen oder Ausdruck der Eigenschaften oder Bestimmungen dieser Urkraft sind. Das Ganze von einheitlichem Grund und mannigfaltigen Kräften als Wirkungen, in denen dieser Grund sich zur Erscheinung bringt und realisiert, faßt Herder mit dem Begriff Dasein. Diese Verwendung des Begriffs Dasein als Begriff, der die Einheit von Grund und Kräften als den geoffenbarten Eigenschaften des Grundes zu denken erlaubt, gründet sich auf den neuen Begriff von Existenz des Einzig möglichen Beweisgrundes …, indem er Existenz qua Setzung eines Dinges zusamt allen seinen Prädikaten ontologisch deutet und so interpretiert, daß diese Prädikate als kausal hervorgebrachte, äußere Darstellungen innerer Bestimmungen der Causa aufgefaßt werden; diese dynamisierte und ontologisierte Einheit von »Ding« und »Prädikat« ist für Herder Dasein. Wenn nun in dieser Hinsicht spezifischer Aneignung Spinozas im vierten Gespräch behauptet wird: »Das Daseyn ist vortrefflicher als jede seiner Wirkungen: es gibt einen Genuß, der einzelne Begriffe nicht nur übersteigt, sondern mit ihnen auch gar nicht auszumessen ist: denn die Vorstellungskraft ist nur eine seiner Kräfte, der viele andere Kräfte gehorchen …« (XVI, 502 f.), dann handelt es sich nicht um einen Widerspruch zu der im dritten Gespräch

Dies ist ausgeführt im zweiten Teil des Einzig möglichen Beweisgrundes … Vgl. dazu K. Reich, Einleitung in »Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes« (Anm. 15), S. 297 ff. In einer gesonderten Untersuchung wäre zu zeigen, daß Herders Versuch der Fundierung empirischer Naturerkenntnis in seiner spinozistischen Ontotheologie weitestgehend mit Kants Programm des zweiten Teils des Einzig möglichen Beweisgrundes … übereinstimmt; darin nämlich, daß auf dem Erkenntnisweg a posteriori aus der zweckmäßigen Zusammenstimmung der Dinge nicht wie üblich »auf die Einheit der Ursache ihres Daseins, sondern auf die Einheit der Bedingungen a priori ihres Daseins, d. h. eben der Möglichkeiten der Dinge« und weiter auf deren Bedingung, d. i. auf ein schlechterdings notwendiges Wesen zu schließen ist. Vgl. K. Reich, Einleitung in »Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes« (Anm. 15), S. 297 ff. 16

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behaupteten göttlichen Denkkraft als Quell aller Möglichkeit: Daß der göttlichen Denkkraft alle Möglichkeit entspringt, widerspricht erstens nicht der Möglichkeit, daß diese Denkkraft an eine Wirklichkeit und an deren »Gesetzmäßigkeit« gebunden ist. Zweitens aber widerspricht dies nicht der später behaupteten Vorgängigkeit des Daseinsgenusses vor allem Begriff (vgl. XVI, 502, 521). Unter Genuß versteht Herder die unmittelbare Selbsthabe, die der Einheit des hen kai pan, d. i. von Gott als Grund und seinen vielen Folgen als existierender Ganzheit, entspricht. Daß diese intuitive Selbsthabe allem Begriff vorhergeht, bzw. daß die Vorstellungskraft nur eine der Kräfte des Daseins ist, ist eine Behauptung, die das Verhältnis der einen lebendigen Gesamtwirklichkeit zu unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Selbstpräsenz oder subjektiven Gegebenheit betrifft. Dagegen ist im dritten Gespräch nicht von der einen Gesamtwirklichkeit von Gott als Urkraft und den geschaffenen Kräften die Rede. Hier geht es bloß um eine Bestimmung von Verhältnissen innerhalb dessen, was Gott als Grund ausmacht, wonach nämlich der göttliche Verstand an die göttliche Natur gebunden ist. Wie massiv Herders Gott von Kants vorkritischer Ontotheologie Gebrauch macht, zeigt auch der Schluß des vierten Gesprächs: »Daß es z. B. eine Wahrheit d. i. etwas Denkbares giebt, daß dieses Denkbare nach innern Regeln verknüpft werden kann und bei unzählbaren Verknüpfungen dieser Art sich Harmonie und Ordnung zeiget; schon das ist mir die innigste Demonstration von Gott« (XVI, 516). Im Anschluß an den Einzig möglichen Beweisgrund … vertritt Herder die Auffassung, das Denkbare, d. i. mit Kants Worten das Materiale der Möglichkeit, sei nach unwandelbaren inneren Regeln verknüpft, durch die sich Harmonie und Ordnung der Natur ergeben. Unter diesen inneren Regeln der Verknüpfung sind die den Wesen der Dinge zufolge ihrer Zusammenstimmung in einem, in Gott, zukommenden notwendigen Beziehungen auf Ordnung und Harmonie zu verstehen (vgl. AA II, 92, 100). Die Bezeichnung »innere Regel der Verknüpfung« spielt auf den Kantischen Begriff der inneren Möglichkeit bzw. des Materialen der Möglichkeit im Unterschied zum Formalen der Möglichkeit als Übereinstimmung des Materialen nach dem Satz des Widerspruchs (vgl. AA II,77) an. Letztendlich aber nutzt Herder die Philosophie des vorkritischen Kant als Waffe gegen die kritische Philosophie, die sich ihm als »Hyperkritik des gesunden Verstandes […], wo man ohne Materialien bauet, ohne Existenz ist, ohne Erfahrungen weiß und ohne Kräfte kann« (XVI, 521), darstellt. Und zweifellos konnte Herder glauben, in der Frontstellung gegen Kants transzendentalen Idealismus auf der Basis eines Realismus vorkritischer Provenienz ungeachtet aller Differenzen mit Jacobi ganz einig zu sein.

Hen k ai pan. Spinozafigur ationen im Frühidealismus von George di Giovanni

Die erste Ausgabe von Jacobis Spinoza-Briefen enthielt zwei Gedichte Goethes. Das erste folgte mit Angabe des Autors unmittelbar auf die Titelseite. Das zweite war der Anlaß für Jacobis berühmtes Gespräch mit Lessing in Wolfenbüttel gewesen. Es wurde jetzt ohne Angabe von Titel und Autor an Jacobis Aufzeichnungen des Gesprächs angefügt – also auf die gleiche anonyme Weise, in der es zunächst Lessing präsentiert worden war. Beide Gedichte rufen die Götter, die Unsterblichen, an, jedoch auf völlig entgegengesetzte Art. Im ersten werden sie gelobt, weil sie für das Großartige im Menschen stehen: Und wir verehren Die Unsterblichen, Als wären sie Menschen, Täten im Großen, Was der Beste im Kleinen Tut oder Möchte. Im zweiten Gedicht werden dieselben Götter erbärmlich genannt (»Ich kenne nichts ärmers unter der Sonn’ als Euch Götter«), weil sie, wie die Menschen, von höheren Mächten beherrscht werden, jedoch anders als diese keine Möglichkeit haben, gegen diese Kräfte zu rebellieren – zu genießen und sich zu freuen, als ob sie frei wären im gleichzeitigen Wissen um die eigene Begrenztheit: Hier sitze ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich!

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Die ersten Leser der Spinoza-Briefe – Mendelssohn eingeschlossen – muß die Gegenüberstellung der zwei Gedichte, ja sogar die Präsenz Goethes im Buch, verblüfft haben. Die Öffentlichkeit wußte nicht, daß Goethe der Autor nicht nur des ersten Gedichts, sondern auch des zweiten war. Vor allem aber war auch nicht bekannt, daß Jacobi seinen jüngeren und als Dichter bereits berühmten Zeitgenossen 1774 getroffen hatte, und daß während dieses Treffens Spinoza der Gegenstand einer leidenschaftlichen Diskussion zwischen den beiden gewesen war. Im nachhinein und im Wissen um die stürmische Beziehung zwischen Jacobi und Goethe sind die beiden Gedichte für uns jedoch im Gegenteil höchst aufschlußreich. Schon ihr bloßes Vorhandensein in den Spinoza-Briefen bezeugt, daß die Aufgrabung Spinozas schon begonnen hatte, lange bevor Jacobi sie zum Gegenstand philosophischer Überlegung machte. Die Aufgrabung hatte im literarischen Klima des Sturm und Drang begonnen. Dies war Jacobi bekannt. Auch wenn er Gegenteiliges erreichen sollte, so war seine Absicht dennoch die, mittels seiner Schrift den von den Dichtern wiederbelebten Geist des Philosophen zu exorzieren und ihn begrifflich erneut zu begraben. Es könnte gut sein – und diese Frage steht natürlich zur Diskussion –, daß Goethes Pantheismus der unausgesprochene Gegenstand von Jacobis Angriff auf die Philosophie in seiner ursprünglichen Unterhaltung mit Lessing gewesen war; und daß er nach Lessings Tod, als er vor aller Augen den angeblichen Spinozismus des Verstorbenen enthüllte, den Hintergedanken hatte, Goethe zusammen mit Lessing des Pantheismus zu bezichtigen. Mendelssohn sollte als Instrument für diese Intrige dienen. Noch aufschlußreicher als diese Vermutung ist die merkwürdig nuancierte Botschaft, die uns die beiden Gedichte zusammen vermitteln. Dem ersten Gedicht zufolge transzendieren die von den Menschen erahnten und in den Bildern der Götter aufbewahrten mysteriösen Kräfte die Natur. Der Mensch hat eine Ahnung von ihrer Gegenwart, weil er weiß, daß er selbst über der von einer blinden und gefühllosen Natur kontrollierten Kette der Ereignisse zu stehen vermag. Dem zweiten Gedicht zufolge sind es eben diese Kräfte, die Götter und Menschen gleichermaßen fesseln. Und obwohl der Mensch in beiden Gedichten als nobler Urheber von Taten porträtiert wird, ist die einzige Tat, die ihn sowohl von den Göttern als auch von der Natur unterscheidet, sein Prometheischer Beschluß, so zu existieren, als ob er frei wäre, in der vollen Einsicht, es nicht zu sein. Das erste Gedicht ist in eine gelassene Stimmung getaucht, die inspiriert ist von dem Glauben, daß der Mensch, obwohl wie alle anderen Dinge in der Natur in den Zyklus des Seienden eingeschlossen, dennoch fähig ist, selbst zu urteilen und zu wählen, und im Gegensatz zur Natur nach dem, was »nicht sein kann«, zu streben. Im zweiten Gedicht ist die Stimmung düster und beherrscht von der quälenden Einsicht des

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Menschen, daß sein Wissen ihn nicht vor den unverrückbaren Gesetzen der »allmächtigen Zeit« rettet. Der einzige Sinn des Strebens kann daher nur das Streben selbst sein. Beide Stimmungen sind vollkommen vereinbar mit einer Vision, die den Platz des Menschen in einem als hen kai pan definierten Universum sieht, jenem von Spinoza inspirierten Motto gemäß, das Jacobi Lessing zuschreibt.1 Goethe setzte mit seinem Humanismus auf die Fähigkeit eines Individuums, zwischen diesen beiden Stimmungen hindurchzusteuern, die Richtigkeit beider Stimmungen zu erkennen und sich dennoch keinem der beiden Extreme zu überlassen. Jedem um die Autorenschaft der beiden Gedichte wissenden Leser würden die beiden in Jacobis Text einander gegenüberstehenden Gedichte diesen Balanceakt lyrisch vermittelt haben. In einer späteren Lebensphase sollte Goethe in seinem klassischen Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre derselben zwiespältigen Vision einen intellektuelleren Ausdruck geben, dieses Mal durch eine ironische Behandlung des Protagonisten Wilhelm und seines Versuchs, sich eine gesellschaftliche Persönlichkeit zu schaffen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, da Individualität nur eine Illusion ist – letztlich kann ein Mensch nur damit spielen, »jemand« zu sein, ohne dieser »jemand« tatsächlich zu sein. 2 Dies war jedoch entschieden nicht die von Jacobi beabsichtigte Botschaft. Sein Interesse für das erste Gedicht – das er übrigens in allen späteren Ausgaben der Spinoza-Briefe wegließ – beruhte auf dem edlen Bild des Menschen, das aus diesem Gedicht herauspräpariert werden konnte, um es sozusagen als Prämisse für die darauffolgenden Argumente zu verwenden. Zu diesem Zweck bediente sich Jacobi des vielleicht nicht ganz redlichen Kunstgriffs, im Text jene Worte hervorzuheben, die zusammen genommen eine impressionistische Skizze seiner Position ergaben. Durch die Dinge, die er kennt, kommt der Mensch zum Glauben an höhere Kräfte, er kann aufgrund dieses Glaubens nach dem, was nicht sein kann, streben und sich dadurch vom Glück, den blinden Zufällen der Natur, befreien. Wissen führt zum Glauben, und der Glaube befreit den Menschen. Dies ist Jacobis Eingangsthese. Die bewußte Hervorhebung der Worte ließ nichts von der poetischen Vielschichtigkeit in Goethes Bild der höheren Wesen übrig. Die in Goethes Gedicht

Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Breslau 1785, S. 12. Eine englische Übersetzung von Jacobis Hauptwerken, einschließlich eines Kommentars, kritischen Anmerkungen und in originaler Paginierung findet sich in Jacobi, The Main Philosophical Writings and the Novel Allwill, ed. tr. George di Giovanni, Montréal/Kingston 1994. 2 Vgl. Margarethe Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption und ihre Bedeutung für die Konzeption des »Hyperion«, Tübingen 1990, S. 250 ff. 1

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poetisch offen gelassene Möglichkeit, daß die vom Menschen erahnten Kräfte und der daraus resultierende Freiheitssinn eine Illusion sein könnten, ist damit ausgeschlossen. Während diese Möglichkeit aber in inhaltlicher Verbindung zum zweiten Gedicht steht, konfrontiert Jacobi dieses mit dem ersten. Ohne daß es die ersten Leser der Spinoza-Briefe – mit Ausnahme Goethes – wußten, spielte Jacobi den Dichter gegen sich selbst aus. Damit beging er einen schweren strategischen Fehler. Denn indem er die Spielwiese des Poeten betrat, setzte er sich der Vision des Dichters aus, ohne daß klar war, ob er in der Lage sein würde, die verführerische Kraft, die von dieser Vision auf andere ausgehen könnte, zu kontrollieren. Schlimmer noch, Jacobi sollte dieselbe Strategie mit Spinoza wagen, dessen hen kai pan gleich unter der Oberfläche von Goethes Gedicht greifbar ist. Einerseits bezichtigte er den Philosophen des Nihilismus, andererseits verteidigte er ihn gegen die zu seiner Zeit kursierenden groben Fehlinterpretationen seines Denkens und lobte ihn für seinen intuitiven Wahrheitssinn. Mit gutem Grund hatte Lessing während seiner Unterhaltung mit Jacobi verwundert gefragt, ob letzterer nicht ein Spinozist sei. 3 Mendelssohn und andere erste Leser von Jacobis Spinoza-Briefen dachten das gleiche. In der Tat ging Jacobi in seinem David Hume von 1787 und dann erneut in der zweiten Ausgabe der Spinoza-Briefe so weit, aus dem, was er bei Spinoza für richtig und tiefsinnig hielt, explizit Gewinn zu schlagen und auf dieser Basis zu versuchen, eine eigene Theorie der Erkenntnis und der Freiheit gegen Kant ins Feld zu führen. Dies war, um es zu wiederholen, ein strategischer Fehler. Denn das hen kai pan hat seine eigene unerbittliche Logik, die sogar noch stärker als die poetische Verführungskraft ist. Es gab keine Möglichkeit, mit ihm zu spielen, ohne dabei zu riskieren, selbst als der Getriebene zu enden. Tatsächlich war die Folge die, daß Jacobi mit seiner Diskussion Spinozas unfreiwillig den Entwurf für den Frühidealismus formulierte. Ich werde auf Goethes Gedichte am Ende zurückkommen. Es ist jedoch letztere These, die ich nun entwickeln möchte. Obwohl sie nirgends systematisch ausgearbeitet ist, hat Jacobi eine schlüssige und sogar überzeugende Theorie der Erkenntnis. (Ich spreche vom frühen Jacobi). Diese Theorie bietet darüber hinaus die klarste Illustration von Jacobis Beziehung zu Spinoza und Kant. In dieser Theorie erhält die »Vernunft « eine komplexe, eine einfache Definition ausschließende Bedeutung. Laut Jacobi ist es zumindest auf einer Bedeutungsebene die Funktion der Vernunft, durch Bilder und Begriffe eine Wirklichkeit »vor-zu-stellen«, die für den Erkennenden schon als

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Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 28.

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unmittelbar präsent angenommen werden muß. Erkenntnis durch Vernunft ist daher lediglich Bekanntschaft aus zweiter Hand – nicht Erkenntnis, sondern im besten Fall Anerkennung. Daraus folgt, daß rationale »Kenntnis« (wenn man sie so nennen kann) oder »Wissenschaft« eine Regression von einer Vorstellung zur nächsten ist, in einer Richtung, die sich tatsächlich auf die Wirklichkeit zu bewegt, sie aber nirgendwo erreicht. Weil sich der Grund für die Verbindung zweier Vorstellungen außerhalb, in einer vorausgesetzten Wirklichkeit befindet, ist das daraus entstehende Weltbild notwendigerweise mechanistisch. Es wird von rein externen Beziehungen zusammengehalten. Es gibt keinen Raum für Subjektivität bzw. Freiheit und Spontaneität. Ein Subjekt, das sich selbst als Teil dieses Bildes denkt, muß daher auf die gleiche Distanz zu seinen eigenen Aktivitäten gehen, die jede Vorstellung von der intendierten Wirklichkeit trennt. Es muß zum Beobachter seiner eigenen, vermuteten Taten werden – nicht mehr Subjekt, sondern reines Objekt seiner selbst sein. 4 Soweit steht diese Definition der »Vernunft« noch in der Tradition der rationalistischen Metaphysik. Sie ist vergleichbar mit Spinozas mens, verstanden als Prinzip der Ideation, oder mit Kants Verstand. Nun ist es aber so, daß Jacobi die Konsequenzen aus einer exklusiv auf diese Weise verstandenen »Vernunft« ablehnte. Nicht, daß er die Legitimität dieser Bedeutungsebene abstritt. Ganz im Gegenteil folgt eine derartige Funktionsweise der Vernunft (zumindest auf einer gewissen Ebene der Erfahrung) aus der einen Annahme, die Jacobi in der Tat mit Spinoza und Kant teilte: der Überzeugung nämlich, daß die Existenz der Reflexion des Denkens vorausgeht – und daß das letztere deshalb einer autonomen Funktionsweise ermangelt. Es bedarf einer Kontrolle durch Anschauung. 5 Was Spinoza betrifft, so fand Jacobi den Beweis für diesen Vorrang der Existenz vor dem reflexiven Denken in dessen Einsicht, für die er ihn am meisten bewunderte und lobte, daß die Wahrheit ihr eigenes Kriterium ist; sie wird intuitiv verstanden. 6 Spinoza hatte daher nicht nur die Existenz als ein Attribut von Gottes Essenz aufgenommen, sondern vielmehr die Existenz Gottes zu seiner Essenz gemacht. Man kann die Existenz Gottes nicht mit einer Inferenz beweisen, sondern man muß statt dessen mit der alles erfüllenden Gegenwart Gottes beginnen, von der dann alles andere seine Bedeutung erhält. Was Kant betrifft, so hatte Vgl. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 162 f.; ders., David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, Breslau 1787, S. 140– 144; Jacobi an Fichte, Hamburg 1799, S. 24, 200–202. 5 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 180–187. 6 Ebd., S. 29. 4

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Jacobi einen frühen Beweis für dieselbe Tendenz in dessen Essay über den einzig möglichen Beweis der Existenz Gottes gefunden.7 Unter der Prämisse, daß Möglichkeit Aktualität voraussetzt, war Kants einzige Schlußfolgerung selbstverständlich die, daß wir, insofern wir uns mit Möglichkeiten befassen, ständig eine notwendige Wirklichkeit voraussetzen müssen. Anders als Spinoza hatte Kant jedoch bestritten, daß wir dieser vorausgesetzten notwendigen Wirklichkeit irgendwelche Attribute zuweisen können. Dennoch besteht bei beiden Denkern eine klare Tendenz, jeweils der Existenz vor der Essenz, der Wirklichkeit vor der Möglichkeit und der Anschauung vor der Reflexion den Vorrang zu geben. Und Jacobi hatte definitiv eine Vorliebe für diese Tradition. Genau wie Spinoza und Kant wußte er, daß das Denken nicht reflexiv seinen eigenen Ursprung wiedererlangen kann, und er war sich auch der daraus resultierenden Grenzen der reflexiven Begriffsbildung bewußt. Sein einziger Vorwurf an diese beiden Philosophen war, daß sie diese Konsequenzen des reflexiven Denkens nicht zu beschränken gewußt, sondern statt dessen die Beziehung der Reflexion auf die vorausgesetzte Wirklichkeit mit Abstraktionen definiert hatten, die selbst ein Produkt der Reflexion waren. Sicher hatte Spinoza die Möglichkeit eines intuitiven Verständnisses der Dinge sub specie aeternitatis zugelassen. Aber er war dann ein Opfer des traditionellen metaphysischen Denkens geworden, indem er die intuitiv verstandene Wahrheit reflexiv durch den Begriff der Substanz ausgedrückt hatte, der selbst ein Produkt reflexiver Abstraktion ist. Auf diese Weise stellt dieser Begriff ein Extrem reflexiver Objektivierung dar, die die dem Denken Spinozas eigentlich zu Grunde liegende Einsicht in die dynamische Natur der Realität völlig verfälscht. 8 Kant hingegen hatte für die Menschen die Möglichkeit einer »intellektuellen Intuition« ausgeschlossen, letztere nur als eine regulative Idee zugelassen und sich statt dessen auf eine angebliche sinnliche Anschauung als Treffpunkt von Reflexion und vor-reflexiver Existenz verlassen. Da aber die sinnliche Anschauung selbst ein subjektiver Gemütszustand ist, fand sich Kant in der paradoxen Situation, sich (einerseits) auf die idealisierende Funktion der Vernunft zu stützen, um die reflexive Objektivierung zu vervollständigen, und (andererseits) gleichzeitig behaupten zu müssen, daß eine solche Idealisierung ein rein subjektiver Prozeß ohne intrinsischen Wahrheitsgehalt ist. Nach Jacobis Meinung bedeutet dies nichts anderes, als eine Form der Subjektivität gegen eine andere Form der Subjektivität ausJacobi, David Hume (1787), S. 84–87, und die Fußnote auf S. 84; Über die Lehre des Spinoza (1789), S. 354, Fußnote. 8 Vgl. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 14 ff., 30. 7

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zuspielen und dabei die Illusion der Objektivität zu erzeugen. 9 Letztendlich hängt sowohl für Spinoza als auch für Kant der Bereich der individuellen Erfahrung sozusagen in der Luft – als eine Reihe unbestimmbarer (und daher am Ende illusionärer) Einzelfälle, deren Erfahrung unerklärlich bleibt, wenn nicht ein endlicher Intellekt angenommen wird. Aber das Vorhandensein eines solchen Intellekts war für Kant genauso wie für Spinoza ein letztendlich irrationales Faktum. Jacobi wies wiederholt auf die von ihm entdeckte Affinität zwischen Kant und Spinoza hin.10 Tatsächlich hätte er 1790 seine Behauptungen bezüglich dieser vermuteten Affinität weiter untermauern können, wenn er auf die §§ 75–78 der Kritik der Urteilskraft hingewiesen hätte – jene Paragraphen, deren besonderen philosophischen Reichtum der junge Schelling hervorhob.11 Kant argumentiert hier, daß das diskursive Vermögen der Vernunft auf der menschlichen Endlichkeit beruht. Falls wir, per impossible, den Standpunkt eines intuitiven Intellekts einnähmen, würden alle Unterscheidungen zwischen Allgemeinem und Besonderem – und noch bedeutsamer, sogar die Unterscheidungen, die die modalen Kategorien zum Ausdruck bringen – verschwinden, und uns bliebe nichts als ein ist ist. Daraus folgt offensichtlich (auch wenn Kant selbst diese Schlußfolgerung nicht zieht), daß die Natur, so wie sie die theoretischen Wissenschaften erklären, und genauso jegliche auf dem moralischen Gesetz beruhende Teleologie menschlichen Handelns (da diese ja auch auf dem diskursiven Vermögen der Vernunft beruht), reine Epiphenomena genannt werden müßten. Auch wenn Kant jegliche Beziehung zwischen sich und Spinoza lächerlich fand, so bestand mit anderen Worten, wenn der von ihm vorgestellte Inhalt der menschlichen Erfahrung (einschließlich der Bereiche der natürlichen Ereignisse und der menschlichen Handlungen) an den idealen Normen eines möglichen intuitiven Verstandes gemessen wird, wenig oder überhaupt kein Unterschied zwischen jenem Inhalt und der Welt von Spinozas Modi. Beides waren Produkte eines begrenzten menschlichen Intellekts. Es war nun Jacobis Absicht, sowohl Spinoza als auch Kant von dem in beiden Positionen implizit enthaltenen Nihilismus zu befreien. Dieser Art war seine komplexe Beziehung zu beiden Philosophen. Und die einzige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, bestand darin, einen Weg zu finden, der die von beiden Philosophen seiner Meinung nach offengelassene Kluft zwischen Vgl. Jacobi, David Hume (1787), S. 223–226. Z.B. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 123, Fußnote. 11 Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie (1795), in: Werke, Stuttgart 1971 ff., Bd. II, S. 175. 9

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Realität und Reflexion überbrücken könnte. Doch wie sollte ein solches Kunststück vollbracht werden? Man mag versucht sein, an dieser Stelle unverzüglich Jacobis berühmten salto mortale ins Spiel zu bringen und auf seine Glaubenssprache zurückzugreifen. Dieser Zug würde tatsächlich eine schnelle Lösung – besser, Auflösung – des Problems erlauben. Doch der Preis dafür wäre das Porträt Jacobis als eines irrationalen Fideisten, womit wir von Anfang an seine wiederholten Behauptungen (die meiner Ansicht nach Ernst genommen werden sollten) ignorieren würden, daß die Irrationalisten die Philosophen seien, und daß das, was er mit »Glaube« meinte, tatsächlich das wahre Wissen sei.12 Es ist angebracht, an dieser Stelle eine weitere Seite des komplexen Vernunft-Begriffs des frühen Jacobi einzuführen. Jacobi hat diese Seite explizit, jedoch vermutlich nicht im vollen Bewußtsein ihrer Bedeutung, in seinem David Hume entwickelt. Ich beziehe mich natürlich auf die Fassung des Dialoges von 1787, die weder die 1815 hinzugefügten ablenkenden Notizen enthält, noch durch die wenigen, jedoch bedeutsamen Veränderungen des Textes selbst korrumpiert ist. Man kann aus den vielen Drehungen und Wendungen des in Dialogform verfaßten Texts folgenden Verlauf von Jacobis Überlegungen herausdestillieren. Ausgangspunkt ist eine Absage an die fundamentale Annahme des klassischen Empirismus – nämlich, daß die Erfahrung mit rein subjektiven Vorstellungen beginnt und der Glaube an externe Gegenstände durch Inferenz erreicht wird, die auf der Passivität einiger dieser Vorstellungen beruht. Diese Vermutung führt unvermeidlich in Humes Skeptizismus.13 Jacobi lehnt diese Annahme aus dem Stand ab, weil sich ein Subjekt nicht seiner selbst bewußt sein könne – und sich damit auch nicht der angeblichen Subjektivität einiger seiner Vorstellungen bewußt werden könne –, ohne sein eigenes »Selbst« im Gegensatz zu als extern erkannten Objekten zu definieren, d. h. nicht ohne sich unmittelbar auf etwas anderes als es selbst zu beziehen. Die Möglichkeit der Subjektivität bringt die Möglichkeit der Objektivität mit sich. In Jacobis klassischer Formulierung dieser Position heißt dies: »Kein ›Ich‹ ohne ›Du‹.«14 (Das Du, um dies in Klammer anzumerken, ist doppeldeutig, da es sowohl für ein anderes Ich stehen kann, das das erste Ich begrenzt, aber gleichzeitig durch es begrenzt wird, als auch für ein transzendentes Du, d. h. Gott, das begrenzt, ohne selbst begrenzt zu sein. Mehr dazu in Kürze.) Hume hatte das Bewußtsein eines bestimmten »Selbst« abgestritten. Dies ist jedoch (und ich sollte hinzufügen, selbst laut Hume) nur dann möglich, 12 13 14

Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 31 f.; (1789), S. 422 ff. Jacobi, David Hume (1787), S. 59–65. Ebd., S. 65; Über die Lehre des Spinoza (1785), S. 163.

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wenn man von einem rein theoretischen Standpunkt in Bezug auf das eigene »Selbst« ausgeht. Dagegen betont Jacobi, im Versuch, die existentielle Bedeutung der Ursache-Wirkungs-Relation zu bewahren, daß wir handeln: Wir sind Handelnde und werden uns unserer selbst bewußt, indem wir handeln.15 Selbstbewußtsein hat seinen Ursprung in einem alle Handlungen begleitenden Gefühl der Kraft im Subjekt, das nur dann bedeutsam wird, wenn es sich entlädt und Widerstand findet. Dieser Widerstand impliziert unmittelbar die Gegenwart eines externen Etwas, das in sich selbst existieren muß – denn sonst gäbe es keinen ernsthaften Widerstand – und das eine Wirklichkeitskontrolle für das ursprüngliche Gefühl der Kraft bietet. Nun wird die Vorstellungskraft als der reflexive Versuch des Subjekts ins Spiel gebracht, um den Unterschied zwischen dem eigenen Selbst und den externen, der eigenen Kraft widerstehenden Hindernissen zu klären. In dieser Formel werden die drei Bestandteile des Bewußtseins in ursprünglicher Einheit zusammengefaßt, nämlich das Gefühl, die sinnliche Vorstellungskraft und das reflexive Begreifen, die Kant statt dessen in einer externen Synthesis zu verbinden versucht hatte.16 Dies ist kein zufälliger Bezug auf Kant, da Jacobi, nachdem die Bestandteile seiner Formel ihren Platz gefunden haben, den Dialog mit einer Serie von Argumenten fortführt, die zeigen sollen, wie man zu allen Kategorien, die Kant seinerseits als a priori vorgeschlagen hatte, gelangen kann, indem man statt dessen die grundlegenden Bedingungen identifiziert, die die Distanz zwischen »Selbst« und »Anderem« beschreiben.17 Daraus folgt, daß die Vernunft nach der von Jacobi entwickelten Annahme tatsächlich ein reflexives Vermögen, aber nicht notwendig ein abstrahierendes Vermögen ist (wie dies den oben erwähnten anderen Definitionen der »Vernunft« zufolge der Fall wäre). Denn ihr Vorstellen ist immer noch ein Teil und in einem Kontinuum mit dem ursprünglichen Versuch des Selbst, seine eigenen Grenzen in Konfrontation mit einer ihm transzendenten Realität handelnd zu definieren. Die Vernunft ist daher nicht ein die Sinne a priori notwendig übersteigendes Vermögen, sondern eine verfeinerte, überlegte Form einer ansonsten fundamental sinnlichen Vorstellungskraft. In Jacobis Worten: Je größer die Sensibilität eines Subjektes, desto größer seine Rationalität.18 Die »Sinne« und die »Vernunft« sind unlösbar miteinander verbunden. Die Vernunft, wie Jacobi im Woldemar sagen wird, hätte niemals aus Jacobi, David Hume (1787), S. 102. Ebd., S. 106–109. 17 Ebd., S. 111–120; vgl. die Fußnote zu S. 120 der Ausgabe von 1787 (S. 215 der Ausgabe von 1815). 18 Ebd., S. 127–134. 15 16

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einer stummen Sinnlichkeit erwachsen können: Die Sinne besitzen Sinn, d. h. sie müssen von Anfang an implizit rational gewesen sein. Wenn wir seinen David Hume ernst nehmen, dann ist Jacobis Beitrag zu dem Problem, die Kluft zwischen (sinnlicher) Unmittelbarkeit und Reflexion zu überbrücken, der einfache Griff zu einem Phänomen der Erfahrung, in dem ein ansonsten unmittelbarer mentaler Zustand, der selbst keine besondere Bestimmung vorweist (nämlich ein unbestimmtes Gefühl der Kraft), sowohl durch einen externen Faktor gestört als auch intern vorgestellt wird (d. h. reflexiv durch diese Störung bestimmt wird), und dabei die Form eines genau bestimmten, aber dennoch residuell (in seinen Grundzügen) unmittelbaren Selbsts annimmt, das sich in seiner Aktivität mit einem Hindernis konfrontiert sieht. Dies war ein brillanter Zug Jacobis. Im Dialog wird das »Gefühl der Kraft« rhetorisch mit Hume assoziiert.19 An anderer Stelle habe ich auch auf die unausgesprochene Präsenz von Thomas Reid in diesem Teil des Dialoges hingewiesen. 20 Der eindeutige Einfluß dieser beiden britischen Philosophen sollte jedoch nicht von der Tatsache ablenken, daß es Spinoza war, der immer noch den überwältigenden Einfluß auf Jacobis Denken hatte. (Es zeigt lediglich, wie ich in Klammern anmerken möchte, die kreative Flüssigkeit des philosophischen Denkens in dieser späten Periode der Aufklärung). Im Dialog macht uns Jacobi selbst auf die Gegenwart Spinozas aufmerksam, wenn er Spinozas Begriff der »Vorstellung« demjenigen Humes gegenüberstellt. Man wird keinen Skeptizismus in Spinoza finden, weil, ich zitiere: »Denn wenn auch, nach Spinoza, die Vorstellungen die Handlungen nur b e g l e it e n , so ist doch beides i n einander; beydes in Einem und demselben untheilbaren Wesen und Bewustseyn unzertrennlich verknüpft. […] [D]asselbige Individuum will und handelt zugleich, in demselben untheilbaren Augenblick […] gemäß den Erfordernissen und Verhältnissen seiner besonderen Natur; welches alles sich, minder oder mehr verworren oder deutlich, in seinem Bewustseyn darstellt. Wie sehr nun auch das Individuum von aussen her bestimmt werden mag, […] muß [es] selbst würken können, weil es sonst unmöglich wäre, daß irgend eine Würkung durch dasselbe geschähe, fortgesetzt würde, oder nur in ihm erschiene.«21 Es ist schwierig, auf irgendeinen bestimmten Text Spinozas zu verweisen, an den Jacobi hier gedacht haben könnte. Wenn wir aber Spinozas conatus Ebd., S. 107. Hume, Jacobi, and Common Sense: An Episode in the Reception of Hume in Germany at the Time of Kant, in: Kant-Studien 88 (1997), S. 44–58, besonders Fußnote 28. 21 Jacobi, David Hume (1787), S. 108 f. 19

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– ein Streben, das auf Widerstand stoßen kann – als ein physikalisches Ereignis interpretieren, das trotzdem ein psychisches Moment nicht ausschließt (in Jacobis Sprache wird dieses zur »Ansicht« gestellt), wird Jacobis Beziehung zu Spinoza klar. Im David Hume unternahm Jacobi, vom Standpunkt eines erfahrenden Subjekts ausgehend, eine Analyse all dessen, was das ZuSich-Selbst-zur-Sicht-Bringen eines ansonsten natürlichen Ereignisses ausmacht. Dieses »Sehen« besteht in einem »Gefühl« – beziehungsweise einem mentalen Zustand, in welchem ein Subjekt in dem Maße, als es sich selbst erfaßt, gleichzeitig die Präsenz eines sich aufdrängenden anderen anerkennen muß. Auf dieser Basis kann es dann die eigene Distanz zum »Anderen« definieren. Dies war, um es zu wiederholen, ein brillanter Zug Jacobis. Doch an dieser Stelle beginnen auch seine Schwierigkeiten. Dazu müssen wir unsere Aufmerksamkeit nun den zwei Reihen von Propositionen zuwenden, mit denen Jacobi die zweite Ausgabe der Spinoza-Briefe einleitete – in einer Reihe wird die Freiheit des Menschen abgestritten, in der anderen wird sie behauptet. Damit schien Jacobi eine Antinomie im Gegensatz zu Kants eigener Antinomie der menschlichen Freiheit aufzustellen. Allerdings kam es in seinem Fall zu keiner Antinomie, da beide Reihen von einer einzigen These kontrolliert wurden – der Behauptung nämlich, daß Wesen (zumindest erschaffene Wesen) in bestimmenden Beziehungen stehen, die von beiden Seiten ein irreduzibles Element an Passivität und Aktivität enthalten. Jacobi argumentiert, daß so wie im bestimmenden Zusammenspiel endlicher Wesen auf jeder Seite eine Quelle der »Passivität« angenommen werden muß, die jedem erlaubt, sich durch den anderen begrenzen zu lassen, genauso auch eine entsprechende Quelle der »Aktivität« angenommen werden muß, die der Begrenzung widersteht und dadurch ihre Bestimmung ermöglicht. Es folgt, daß zwar ein Mechanismus sowohl möglich als auch notwendig ist, wann immer Dinge sich gegenüberstehen, eine vollständige mechanistische Organisation dieser Dinge aber, wie sie in der ersten Propositionen-Reihe vorgestellt wird – das heißt eine Organisation, die alle Dinge zu einem unendlichen Teppich externer Relationen zusammenfügt und sie damit zuletzt auf bloße Passivität reduzieren würde –, eine Unmöglichkeit ist. 22 Jacobis Argument ist hier natürlich eine weitere Anwendung seiner Formel »Kein Ich ohne Du«. Es ist jedoch anzumerken, daß das eben angeführte Zusammenspiel von Passivität und Aktivität für Jacobi nicht aus zwei in einer symmetrischen Beziehung stehenden Spielen bestehen kann. Während Jacobi, Über die Freiheit des Menschen, in: Über die Lehre des Spinoza (1789), S. xxxv–xxxvi. 22

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es einerseits Passivität nicht ohne Aktivität geben kann, muß andererseits die Aktivität in zumindest einer Hinsicht ihrer Begrenzung durch Passivität voll und ganz entkommen können. Denn wäre dies nicht der Fall, dann wäre das Verschwinden der Dinge in endlosen externen Beziehungen im Prinzip nicht zu vermeiden. Bestenfalls wäre an begrenzte Bereiche im Universum zu denken, wo Aktivität durch eine größere Intensität die Passivität überwiegt – wo daher abstrakt und komparativ eine Art Freiheit eingeräumt werden kann, wie ja die erste Reihe der Propositionen Jacobis in der Tat bestätigt. Damit wäre vielleicht die Absurdität eines rein mechanistischen Universums fern gehalten. Jedoch wäre diese Absurdität weder vollständig zerstreut noch der mit dem Mechanismus einhergehende Naturalismus überwunden. Jacobi war sich dieser Konsequenz bewußt. In der zweiten PropositionenReihe begibt er sich daher folgerichtig daran, die Realität einer »Freiheit« zu behaupten, die als eine ursprüngliche Quelle aller Aktivität verstanden wird, aber (ausnahmslos) alle natürlichen Relationen transzendiert. 23 Als Beweis für seine Behauptung führt er das Phänomen des »Gewissens« an. 24 Und Jacobi assoziiert die Realität dieser »Freiheit« mit der Realität eines unendlichen und absolut transzendenten Wesens – Gott –, dessen Präsenz sich laut Jacobi weder leugnen noch begrifflich fassen läßt. 25 Wie ich oben in Klammern angemerkt habe, ist das »Du« in Jacobis Formel »Kein Ich ohne Du« doppeldeutig. In Jacobis zweiter Propositionen-Reihe (»Der Mensch ist frei«) wird klar, daß das Du nicht ein anderes endliches Ich meinen kann, das begrenzend selbst von einem anderen Ich begrenzt ist, sondern ein transzendentes Du meinen muß, das alle menschlichen Ich begrenzt – sie positiv begrenzt, indem es sie auf eine Weise beschränkt, die ihre Absorption in ein Netzwerk endlicher Beziehungen verhindert. Genau hier liegt jedoch Jacobis Problem. Es hätte scheinen können, als ob er mit seinem Begriff der Vernunft als einer höheren Form der Sinnlichkeit – einem Begriff, der die Unmittelbarkeit des Gefühls mit dem in Bezug auf ein Hindernis Sich-Selbst-Zur-Sicht-Bringen des Gefühls verbindet –, als ob er mit diesem Begriff, der Jacobi (um diese Geschichte zu Ende zu erzählen) 26 von Anfang an nicht gänzlich zufrieden stellte, die Reflexion endlich wieder mit einer Unmittelbarkeit verbunden und so Spinozas und Kants Problem gelöst hätte. Aber es war nun auch klar, daß, falls das beschränEbd., S. xxxvi, Proposition xxvii. Ebd., S. xl. 25 Ebd., S. xliii, Proposition xl. 26 Jacobi, David Hume, vgl.die Fußnote zu S. 123 der Ausgabe von 1787 (S. 221 der Ausgabe von 1815). 23 24

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kende Hindernis nicht ein transzendentes, das Subjekt der Erfahrung positiv bestimmendes »Anderes« war, die Gefahr bestand, daß das Subjekt erneut im unbestimmten Netz der endlichen Beziehungen gefangen wäre. Die Lösung war daher nur von kurzer Dauer. Ich habe »positiv« betont, weil im Falle einer lediglich negativen Bestimmung – wenn das transzendente »Andere« lediglich für das Nichts des Subjekts stünde – die wesentlich illusionäre Natur aller individuellen Realität als notwendige Konsequenz resultieren würde. Dies wäre ein Rückfall auf Spinoza oder auf den Kant der §§ 75–78 der Kritik der Urteilskraft. Aber wie könnte Jacobi seine ursprüngliche Analyse des Gefühls der Kraft so revidieren, daß sich dieser Rückfall vermeiden ließ? Wie könnte er sie so revidieren, daß das Gefühl nicht irgendeine Grenze ins Gesichtsfeld bringt, sondern eine Absolute Grenze, vor der das »Selbst« unwiderruflich auf sich selbst zurückgeworfen wird und ihm damit keine andere Wahl bleibt, als Verantwortung für sich selbst zu übernehmen? Wie ich gerade erwähnte habe, hatte Jacobi mit der zweiten Propositionen-Reihe tatsächlich begonnen, den Mechanismus, der, wie er anerkannte, eine unvermeidliche Dimension der endlichen Existenz ist, dadurch zu beschränken, daß er das »Gewissen« und den mit ihm assoziierten Sinn für ein absolut Anderes ins Spiel brachte. Doch mußte er dieses »Gewissen« und seine angebliche Zeugenschaft näher erklären, wenn er verhindern wollte, daß es, anstatt als Zeuge für Transzendentes, als Symptom eines kranken Organismus interpretiert werden würde. Spinoza seinerseits erklärte dieses Phänomen genau auf diese Art. Wenn man darüber hinaus wie Jacobi an gleicher Stelle behauptet, daß es unmöglich, ja sogar selbst-widersprüchlich sei, solche Absoluten wie die Freiheit oder Gott wissen zu wollen, da sie per definitionem der begrifflichen Erfassung entgingen, 27 bedeutete dies lediglich, für ein weiteres Problem gesorgt zu haben. Was war die Bedeutung des hier behaupteten Nicht-Wissens? Kann man die Freiheit und Gott in dem gleichen Sinne nicht wissen, in dem Kant behauptet hatte, daß man das Ding-an-sich nicht wissen könne? Wenn dies der Fall wäre, würde Jacobi sich genau den Einwänden ausgesetzt haben, die er so geschickt gegen Kant in der Beilage zum David Hume erhoben hatte. Oder war dieses »Nicht-Wissen« eher als eine Form des Quietismus zu verstehen? Behauptete Jacobi mit anderen Worten, daß wir in der Tat ein intuitives Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (1789), S. xxxvi–xxxvii, Propositionen xxviii, xxix. Jacobi sagt hier, daß sich das Phänomen unmittelbar zeigt. Aber diese Behauptung entbindet Jacobi nicht von der Notwendigkeit, begrifflich zu belegen, daß das Phänomen in der Tat so ist, wie er (Jacobi) behauptet, und nicht, wie für Spinoza, eine geistige Krankheit ist. 27

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Wissen von Gott haben, daß ein solches Wissen aber begrifflich nicht erfaßt werden könne; daß ein Zuwachs an Weisheit daher grundsätzlich einen Prozeß mentaler Askese erfordere, in dem man sich von dem für die begriffliche Erfassung notwendigen endlichen Standpunkt befreie? Dies wäre in der Tat eine philosophisch kohärente Position gewesen. Leider war dies jedoch im Wesentlichen die Position Spinozas, während Jacobi sein philosophisches Debüt mit einer Attacke auf Spinozas Monismus und auf den von Jacobi behaupteten Nihilismus dieser Position gemacht hatte. Kurz, die Logik des hen kai pan, die er hatte widerlegen wollen, hatte Jacobi besiegt. Darum sagte ich zu Beginn, es sei eine gefährliche Strategie, Spinoza auf seinem eigenen Feld anzugreifen. Um nun zu sehen, wie Jacobi, wie ich oben auch behauptet habe, durch seine Kritik an Spinoza unfreiwillig den Entwurf für den frühen deutschen Idealismus formulierte, reicht ein Blick zum frühen Fichte – insbesondere zu § 2 des Versuchs einer Kritik aller Offenbarung, den Fichte in die zweite Ausgabe von 1793 eingefügt hat. 28 Dieses Addendum war Fichtes Beitrag zur aktuellen Debatte zwischen C.C.E. Schmid und Reinhold über die Natur der Freiheit und des Willens 29 und baute zum Teil auf den Definitionen des Begehrungsvermögens und des Triebes auf, die Reinhold in seinem Versuch von 1789 skizziert hatte. 30 Außerdem war es eine Reflexion auf Kants Essay über das radikal Böse. Viele Aspekte der in diesem Paragraphen entwickelten Theorie des Willens würden ein sorgsames Studium verdienen, können aber hier nicht diskutiert werden. Für uns ist dieser Paragraph nur wichtig, weil Fichte, indem er zum ersten Mal seine Theorie skizzierte, seinen Finger genau auf das Problem legte – das Problem der Beziehung von reflexiver Begriffsbildung und unmittelbarer Intuition –, das Jacobi ständig entweder in die Richtung Spinozas oder in die Kants drängte. Das Problem besteht darin, daß eine völlig selbständige Handlung, wie sie ein Akt des freien Willens sein müßte, sich ihrer selbst nicht bewußt sein kann – denn Bewußtsein erfordert Objektivierung, und letztere, wenn sie J. G. Fichte, Versuch einer Critik aller Offenbarung, Königsberg 1793, GA I/1, 15–162. 29 Vgl. zu diesem Thema George di Giovanni, Rehberg, Reinhold und C.C.E. Schmid über Kant und moralische Freiheit, in: Vernunftkritik und Aufklärung. Studien zur Philosophie Kants und seines Jahrhunderts, hg. v. Michael Oberhausen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 93–113. 30 K.L. Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag/Jena 1789, 560–579: Grundlinien der Theorie der Begehrungsvermögen. Mit diesem Abschnitt beschließt Reinhold seinen Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermögens. 28

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mehr als bloßer Schein sein soll, die Kontrolle eines »anderen«, zu dem der Geist in einer passiven Beziehung stehen kann. Erforderlich ist daher mit anderen Worten die Sensibilität. Daher müßte ein Willensakt, um sich selbst bewußt zu werden, in einer passiven Beziehung zu sich selbst stehen, womit er aber die erforderliche Unbedingtheit verlöre. Anders gesagt besteht das Problem darin, daß unser Freiheitssinn ein Bewußtsein der Freiheit erfordert; doch dieses Bewußtsein (und das dazugehörige Selbstbewußtsein) ist durch die Passivität der Sinne begrenzt, wohingegen diese Passivität eine unbedingte, sich selbst erzeugende Aktivität ausschließt. Die Gefahr einer Illusion, der jedes angebliche Freiheitsbewußtsein ausgesetzt ist – die Möglichkeit, daß Freiheit nur eine Idee und das Gewissen lediglich ein pathologisches Phänomen ist –, beruht auf diesem Nebeneinander zweier entgegengesetzter Erfordernisse. Es würde daher auch nicht helfen, die intellektuelle Intuition einzuführen, denn, wie Fichte einige Jahre später zeigen wird, eine solche Intuition stellt im Bezug auf das Bewußtsein vor die gleichen Probleme wie das Bewußtsein der Freiheit. Gewißheit, daß es eine solche Intuition gibt, erfordert Glaube. 31 Nun hatte Fichte aber auch weiter oben im selben Paragraphen den Begriff des Triebes eingeführt (GA I/1, 136.1–5). Dies ist ein Schlüsselbegriff, da er für einen Gemütszustand steht, der sowohl passiv als auch aktiv ist. Er ist eine aktive, unausgeformt reflexive Besitznahme eines ansonsten passiv aufgenommenen Einflusses. Er ist das Äquivalent zu Spinozas conatus und zu Jacobis ursprünglich objektivierendem Gefühl der Kraft. Fichte zeigt, daß es mit Hilfe des reflexiven Verstandes möglich ist, eine ganze Skala unterschiedlicher und verfeinerter Formen dieses Triebes zu entdecken und auf dieser Basis die ganze Welt menschlichen Fühlens zu errichten, ohne dabei auch nur einmal die Grenzen der Natur zu transzendieren. Schmids Naturalismus – derselbe Naturalismus, der Jacobi schon in seinem David Hume bedroht hatte –, bezog seine Stärke genau aus dieser Möglichkeit (GA I/1, 138.10 ff.29 ff.). Die Frage ist deshalb, ob dieser Trieb so modifiziert werden kann, daß er eine Form des Selbstbewußtseins ermöglicht, die in sich die für unser Freiheitsbewußtsein erforderlichen entgegengesetzten Extreme der Aktivität und der Passivität vereinigen und sich damit von dem Naturalismus befreien kann, der dieses Bewußtsein ansonsten gefangen hält. Für seine Antwort wendet Fichte sich dem »Gefühl der Selbstachtung« zu. 32 Das »Gefühl« gehört tatsächlich zum Sinnes-Haushalt unseres BewußtFichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, Zweite Einleitung (1797/98), GA I/4, 217 f. 32 Ich rekonstruiere hier Fichtes ansonsten sehr dichten Text. Fichte stellt einfach 31

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seins und ist damit ein geeignetes Objekt des Bewußtseins. Im »Gefühl« ist das Bewußtsein jedoch selbst-gesteuert. Natürlich spielt auch das Material der Sinne weiterhin eine Rolle, das im »Gefühl« als anziehend oder abstoßend interpretiert wird. In dieser Hinsicht ist das »Gefühl« immer noch eine Form des Triebes. Das Gefühl stellt jedoch nicht einfach eine de facto natürliche Reaktion in Bezug auf eine Situation dar, indem es sie zu einem subjektiven Zustand der »Attraktion« oder der »Abstoßung« transformiert. So etwas geschieht im Trieb, wie sehr auch immer er durch den Verstand verfeinert wurde. Im Gegenteil dazu schafft das »Gefühl« eine neue Distanz in Bezug auf das vorausgesetzte Material der Sinne, denn es ist nicht mehr nur eine bloß subjektive Reaktion, sondern auch eine Reflexion auf die eigene Reaktion – d. h. ein Ausdruck davon, ob die Reaktion angebracht oder unangebracht ist. Selbst wenn sich eine bestimmte Situation nicht vermeiden läßt, kann man sich in ihr dennoch wohl oder unwohl fühlen. Obwohl noch auf der Seite der Sinne befindlich, weist der Trieb in der Form des »Gefühls« die für die Vernunft typische reflexive Struktur auf. Das »Gefühl« ist normativ (GA I/1, 142.23–25). Dieses Ergebnis wird nicht überraschen. Schließlich versucht Fichte in diesem Paragraphen explizit, eine stufenweise Beziehung zwischen Verstand und Sinnlichkeit aufzuzeigen – genau wie dies Jacobi in seinem David Hume versucht hatte. Wo findet Fichte den radikalen Bruch mit der Natur in dieser neuen Form des Bewußtseins, der den Kronzeugen für die Authentizität unseres Freiheitsbewußtseins abgeben könnte? Fichte wendet sich an dieser Stelle der »Achtung« zu, d. h. dem als »Achtung« qualifizierten Gefühl (vgl. GA I/1, 142.1–19). »Achtung« ist immer »der Respekt für den Anderen« – für einen »anderen«, dessen Anwesenheit sich im Gefühl als Affektion bemerkbar macht. Und »Affektion« weist die Passivität der Sinnlichkeit auf. In diesem Fall wird die Passivität jedoch nicht als ein Produkt der Anwesenheit des »Anderen« erlebt, sondern viel eher als eine selbst-induzierte Passivität vor einer Anwesenheit, die dem Grund jeglicher von uns angenommenen Haltungen immer schon zuvorgekommen ist – vor der daher die Frage, wer wir sind und wo wir uns befinden, erst wirklich bedeutsam wird. Dies »Andere« ist nicht transzendent im Sinne einer unüberbrückbaren Distanz, sondern im Sinne einer Unausweichlichkeit. Die »Achtung« schließt die »Selbst-Achtung« daher wesentlich ein, da sie in der aktiven Annahme einer angebrachten Einstellung der Passivität im Bezug auf dieses unausweichliche

»Impuls« und ein »Gefühl« der Achtung einander gegenüber, bezieht sie aber auch aufeinander. Vgl. GA I/1, 142.1–19.

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»Andere« besteht. 33 Dies »Andere« wird in der Tat als ein externer Zwang empfunden, doch die Externalität dieses Zwanges ist lediglich das Produkt einer »akustischen Illusion« (wenn ich diesen Ausdruck Kierkegaards hier zur Hilfe nehmen darf). Sie ist in Wirklichkeit selbst-induziert. Laut Fichte nimmt sie die Gestalt eines Interesses dafür an, die Sache des »Anderen« zu befördern. Aber was ist dieses »Andere«? Fichtes Antwortet lautet: Die Vernunft. 34 Der Einfluß der Vernunft auf die Sinne offenbart sich in der Erfahrung. Nur mit diesem »Gefühl der Achtung« und wegen ihm erweist sich die ursprüngliche Beziehung zwischen der Vernunft und den Sinnen als eine Tatsache. Die Sinne werden von der Vernunft nicht wie von einem »Ding an sich« als positiver Beeinflussung durch eine externe Ursache affiziert, sondern auf eine interne und negative Weise, als ob die mit der Vernunft konfrontierten Sinne ein schon besetztes Gebiet betreten würden. Und wegen dieser einzigartigen, intern erfahrbaren Passivität wird das Bewußtsein »frei zu sein« – das wirklich die Fähigkeit ist, normativ Stellung zu nehmen in Bezug auf das, was der Mensch von Natur aus ist –, als »Bewußtsein« möglich und als Bewußtsein »frei zu sein«, wenn auch nicht unproblematisch, so doch zumindest glaubwürdig. Man sollte hier einen Moment innehalten, um die analytischen Fähigkeiten Fichtes zu bewundern. Mit seiner genetischen Rekonstruktion des Ursprungs des Gefühls der Selbstachtung hat Fichte einen Weg gefunden, vom Standpunkt des subjektiven Bewußtseins aus – d. h. ohne jemals den Bereich des Begriffes zu verlassen – in diesem Bewußtsein die Anwesenheit eines radikal begrenzenden »Anderen« zum Ausdruck zu bringen, das noch für Kant und Spinoza nur durch ein Überschreiten der Grenzen des Bewußtseins verstanden werden konnte. Ebenso hat er innerhalb dieser Begrifflichkeit den Ort im Bewußtsein aufgezeigt, an dem sich das letztere buchstäblich von der Natur losgerissen auffindet. Indem er Spinoza eine subjektive Dimension hinzufügt, hat Fichte schon den wichtigen Schritt getan, der das Programm des postkantianischen deutschen Idealismus bis zu seinem Ende definieren sollte. Das Konzept der »Achtung«, das Fichte so gewinnträchtig einsetzt, kommt sicher von Kant. Aber es war Jacobi, der auf das Problem

Vgl. GA I/1, 143.18 ff. Es fragt sich, ob Achtung in erster Linie auf die Menschheit im allgemeinen oder aber je auf uns selbst gerichtet werden soll. Es ist natürlich so, daß in der Gerichtetheit auf einen selbst die universale Gültigkeit des eigenen (und dadurch moralischen) Selbsts gründet. 34 Tatsächlich sagt Fichte »Gesetz«, aber das macht hier keinen Unterschied. GA I/1, 143.5–13. 33

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aufmerksam gemacht hatte, daß die Reflexion scheinbar unfähig ist, ihre eigene unmittelbare, existentielle Basis zurückzugewinnen; es war Jacobi, der das Problem in Bezug auf Spinoza formuliert und sehr hellsichtig eine Verbindung zwischen Spinoza und Kant gesehen hatte; und es war wiederum Jacobi, der die Trope »Ich-Du« eingeführt und ein Schema für die Konstruktion des Gefühls als einer reflexiven Inbesitznahme des »Anderen« zur Verfügung gestellt hatte. Auf Kant aufbauend situierte Fichte die kritische Philosophie in dem von Jacobi definierten (in der Tat spinozistischen) begrifflichen Kontext. Das soll nicht heißen, daß Fichte Jacobi zufrieden gestellt hätte. Er wies vielmehr unzweifelhaft auf die Gefahr hin, der sich Jacobi durch seinen philosophischen Streifzug auf spinozistischem Terrain ausgesetzt hatte. Es war nun klar, daß das »Andere« nicht als Person verstanden werden konnte – das »Du« insofern es ein »Ich« begrenzt, ist nur ein reflexiv konstruiertes Ideal, eine Art unpersönliche Person. All dies war Anathema für Jacobi. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Fichte, 35 als er versuchte, die genaue Beziehung der von ihm angenommenen reinen Aktuosität des Denkens mit der reflexiven Begriffsbildung zu definieren, sagte, daß es so sei, als ob die »Aktuosität sich selbst ein Auge einsetze«, und er damit (aber auf positive Weise) eine Trope Jacobis übernahm, die dieser in einer Beilage zur zweiten Ausgabe der Spinoza-Briefe als eine reductio ad absurdum gegen Herders unpersönlichen Gott verwendet hatte. 36 Doch diese Trope war zunächst von Jacobi selbst in seinem David Hume für die Schematisierung des »Gefühls der Kraft« entwickelt worden. In der Konfrontation mit Fichte sah sich Jacobi daher gezwungen, auf die in seinem Gespräch mit Lessing verwendete erste Bedeutung seines salto mortale zurückzugreifen. Man muß sich der Grenzen des Philosophierens bewußt sein. Oder in den Worten Reinholds, der später in einer direkt von Jacobi beeinflußten Phase sagen sollte: der Philosoph »würde nothwendig Atheist seyn, wenn er nichts weiter als Philosoph seyn könnte«. 37 Ich habe über den ganz frühen Fichte gesprochen. Und Fichte sollte sogar schon in seiner ersten Periode seine Position ständig verfeinern. Zunächst Hölderlin, und dann auch Schelling, werden sich von Kant auf eine ganz

»Es werden A u g e n eingesetzt dem Einem.« Fichte notierte diese pointierte Anmerkung in seinem System der Sittenlehre (Jena/Leipzig 1798), Randbemerkung zu § 2, S. 29. Vgl. GA I/5, 48 (Anm.). Vgl. auch Darstellung der Wissenschaftslehre aus den Jahren 1801/1802, GA II/6, 150, 157, 167 ff., 231, 251, 311. 36 Über die Lehre des Spinoza (1789), S. 352. 37 Reinhold, Über die Paradoxien der neuesten Philosophie, Hamburg 1799, S. 93. 35

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andere Art als Fichte lossagen und damit Spinozas geistiger Präsenz sogar noch mehr Raum geben. Phänomenologisch beginnen beide nicht mit einem »Gefühl der Selbstachtung«, und daher ist ihr Vernunftbegriff auch ein anderer. Doch ist dies nicht der Ort, um über die verschiedenen Entwicklungen des frühen Idealismus zu sprechen. Eine letzte Bemerkung möchte ich jedoch noch hinzufügen – sie bringt uns zu Goethe zurück und erhellt damit Spinozas Präsenz nochmals aus einer anderen Perspektive. Denken Sie an Goethes Balanceakt zwischen zwei Visionen der Menschlichkeit; an seine spätere, ironische Sichtweise auf das menschliche Selbst; an den alten Hyperion, dessen Erinnerungen an die Ereignisse seines Lebens diese jeglicher ursprünglichen Unmittelbarkeit berauben, ihnen aber auch eine neue und transzendente Unmittelbarkeit und Schönheit verleihen. Denken Sie an Fichtes Schuldgefühl, als er heiligen Boden betrat. Dies sind alles subjektive Ausdrucksweisen der Beziehung endlicher Wesen zu Spinozas causa sui. Jacobi hielt nicht viel von dem Humanismus, der in diesen Konstruktionen impliziert ist. Seiner Ansicht nach stand der Mensch vor Gott wie eine Person vor einer anderen. Dennoch befand er sich in einer fundamentalen Hinsicht auf der Seite Spinozas. Er war, wie alle anderen, und wie Spinoza – der Bene-dictus – von Gott trunken. Sie alle dachten sich das wahrhaft Wirkliche außerhalb des menschlichen Daseins. Vielleicht wären sie besser beraten gewesen und hätten so den Ausgangspunkt für einen besseren Humanismus geboten, wenn sie statt dessen nach dem wahrhaft Wirklichen innerhalb der menschlichen Situation selbst ausgeschaut hätten und damit einer Logik gefolgt wären, die einem historischen Sinn den Boden bereitet.

Spinoza ante Spinozam? Jacobis Lektüre des Giordano Bruno im Kontext einer Begründung von Metaphysik von Stephan Otto

I. Der Philosophie des Giordano Bruno ist es nicht gelungen, »den höchsten Punkt der Indifferenz […] mit durchgängiger Klarheit zu gewinnen« – so urteilte Schelling im Anhang zu seinem Bruno-Gespräch vom Jahre 1802 (SW 4, 331). Immerhin beließ er dem historischen Bruno das Verdienst, »den Grund und Boden« bereitet zu haben, auf dem jetzt die »wahre« Philosophie »erbaut und aufgeführt werden müsse«, die monistische Systemkonstruktion der Indifferenz des Endlichen und Unendlichen im Ewigen, verankert in einem zugleich »göttlichen und natürlichen Prinzip der Dinge« (SW 4, 235). Diese Identitätsphilosophie sollte die Philosophie des Nolaners überbieten, die Jacobi in der Beilage I zur zweiten Auflage der Spinozabriefe sehr genau vorgestellt hatte. In diesem Auszug aus Giordano Brunos Dialogen De la causa, principio ed uno hatte Schelling nämlich gelesen, daß erstens das »göttliche Prinzip« mit natürlicher philosophischer Vernunft nur äußerst mühsam, auf der Fährte gleichsam einer lediglich »zurückgelassenen Spur«, »entdeckt« werden kann, und daß es zweitens eines Nachdenkens über den Begriff der »Ursache« bedarf, wenn über das Dasein der Dinge der Natur Rechenschaft gegeben werden soll (JWA 1, 185). Schelling gedachte nicht nur diesen Überlegungen sich zu verweigern, sondern zudem zeigte er sich davon überzeugt, daß dem Gedanken einer »Verursachung« der endlichen Welt nur »der Pöbel der jetzt Philosophierenden« noch anhange (SW 4, 308 f.). Seine Lektüre des Jacobischen Bruno-Exzerpts war mithin durchaus strategisch geführt, in seltsamer Weise sich abhebend von dem Sachinteresse, mit dem Jacobi die philosophia nolana studiert hatte. Jacobi hielt es nämlich nicht nur »für ungemein nützlich«, sondern »beynah für nothwendig«, daß man die Lehre Brunos »so deutlich und vollständig wie möglich einsehe« und dann »genau den Punkt wisse, worauf es ankommt« (JWA 1, 152 f.). Darum vertiefte er sich im Frühjahr 1789 – nach seiner folgenreichen Analyse der Ethik des Spinoza – nicht nur in das Werk

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De la causa, sondern ersteigerte im folgenden Jahr noch weitere Schriften des Nolaners.1 Die Beilage I sollte nun mit aller Deutlichkeit den »Punkt, auf den es ankommt« markieren, das heißt: die Basis schaffen für eine endgültige Widerlegung der von Bayle in Umlauf gebrachten Rede über Bruno als einen Spinoza ante Spinozam (JWA 1, 152). Deshalb ist dieser Text auch keine nebensächliche Caprice im Oeuvre Jacobis. Er ist vielmehr ein Vorspiel zu den Reflexionen über »die Möglichkeit des Daseins eines Weltalls« in der Beilage VII, und zusammen mit einem Gedanken, den Jacobi noch 1811 aus dem Buch De l’infinito universo des Nolaners aufgreift, gehört er sogar in den Kontext der Schrift Über die Göttlichen Dinge und ihre Offenbarung. Denn hier beschreibt Jacobi mit deutlichen Worten, warum Schellings Systematik des »höchsten Punktes« der Indifferenz den »Punkt, auf den es ankommt«, verfehlen mußte: weil der Identitätsphilosoph ihn unsichtbar machte auf der geradenwegs durchgezogenen Linie »zwischen Grund und Folge« oder »Subjekt und Prädikat«, auf einer Geraden, die das ungerade Gefälle zwischen verursachendem Schöpfer und verursachter Schöpfung modo spinozistico einebnet – und weil Schellings »verklärter Spinozismus« es ihm nun auch verbot, die »Voraussetzung des Unbedingten«, des ersten und göttlichen Prinzips also, als eine »unbegreifliche« Voraussetzung anzuerkennen (JWA 3, 131, 121 f.). Seine Bekundung, er wolle »durch die Zusammenstellung des Bruno mit dem Spinoza die Summa des hen kai pan« ziehen (JWA 1, 152), bleibt darum schlecht verstanden, wenn man jene kurze Bemerkung in der Vorrede zu den Spinozabriefen übersieht, in der Jacobi festhält, er werde über das Buch De l’infinito universo des Nolaners »bey einer anderen Gelegenheit« noch »umständlich reden« (JWA 1, 152). Der Forschung ist bis heute entgangen, daß Jacobi dies auch wirklich tat – nach 22 Jahren, als er schrieb: »Die Voraussetzung des Unbedingten ist eine unbegreifliche Voraussetzung deswegen, weil sie eine Beziehung alles Bedingten auf ein Unbedingtes zwar apodictisch behauptet, den wirklichen Zusammenhang zwischen beyden aber keinesweges offenbaret« (JWA 3, 106). Dieser Satz in den Göttlichen Dingen steht nicht allein in unverkennbarer Nähe zu der These Brunos in den Dialogen De la causa, daß zwischen den Dingen der Welt einerseits

Am 27. April 1790 schreibt Jacobi an Johann Friedrich Kleuker, er habe eine »voll ständige Ausgabe« der Schriften Brunos ersteigert (H. Ratjen (Hg.), Johann Friedrich Kleuker und Briefe seiner Freunde, Göttingen 1842). Daß Jacobi im Besitz fast aller wichtigen Werke des Nolaners war, ist nunmehr auch belegt, s. Die Bibliothek F. H. Jacobis, bearbeitet von Konrad Wiedemann unter Mitwirkung von PeterPaul Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, Bd. 1, Nummer 593–602. 1

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und der ersten Ursache sowie dem ersten Prinzip andererseits »keine derart notwendige Beziehung besteht, daß mit der Erkenntnis der einen auch eine Erkenntnis der anderen gegeben wäre«; 2 Jacobis Rede vom Unbedingten als »unbegreiflicher Voraussetzung« weist trotz des Fehlens einer Namensnennung zweifellos auch auf Brunos Werk De l’infinito zurück, wo zu lesen steht: weder die erste Ursache noch das erste Prinzip des unendlichen Universums werden jemals durch vernünftiges Schlußfolgern »erkannt« – gerade als Voraussetzungen dieses Universums werden sie vielmehr und lediglich »anerkannt«. 3 Der Monismus der philosophia nolana hält mithin, anders als

Dialoghi italiani, a cura di Giovanni Aquilecchia, vol. I: Dialoghi metafisici, Firenze 31958, S. 226. – Der Terminus relazione taucht in De la causa lediglich zweimal auf (S. 226; 328), denn für Bruno ist das Universum nicht relational, sondern modal verfaßt: »moltimodo e moltiforme e moltifigurato […], viene ad avere raggione absoluta e non respettiva« (S. 323), und sein Prinzip »concorre intrinsecamente alla constituzione della cosa« (S. 230–231). Jacobi hat in der Beilage I die Denkweise des Nolaners korrekt wiedergegeben; er hebt die Konzepte Modifikation und Figuration hervor und hält fest, daß zum Universum »keine Verhältnisse passen« (JWA 1, 200). Seine Rede von einer »unbegreiflichen Voraussetzung« entspricht dem Diktum des Nolaners, daß wir von der ersten Ursache und dem ersten Prinzip bestenfalls »eine zurückgelassene Spur entdecken können« (Dialoghi metafisici, S. 225; JWA 1, 185), sie zielt dezidiert auf den Problemtitel Grund und Ursache, keineswegs lediglich auf ein »unhintergehbares Sein«, wie Dieter Henrich vermeint (Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken 1794–1795, Stuttgart 1992, S. 50). Daß Henrich seine Jacobi-Exegese von vornherein an einer nachkantischen Bestimmung von Sein festzurrt, hat bereits Birgit Sandkaulen kritisiert (Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 79, Anm. 1); am Beispiel Henrichs wird zudem empfindlich, daß eine Interpretation Jacobis, die dessen intensive Befassung mit Bruno außeracht läßt, zu kurz greift. 3 Dialoghi metafisici, S. 384–385: »conosciuto«, erkannt werden kann einzig eine causa efficiens, die ein endliches Universum hervorbringt und mithin nur endliche Schöpferkraft besitzt. Ein unendliches Universum setzt hingegen eine causa efficiens mit unendlicher Potenz voraus, die vom endlichen Verstand anerkannt, »riconosciuto«, werden muß – und dies auch lediglich wie eine Ursache und wie ein Prinzip, »come causa e principio«; denn jede Rede von ihr ist bedingt durch die »condizione del modo nostro de intendere« (S. 380). Für die Epistemologie des Nolaners bedeutet das: »Dieu a cessé d’être un objet de reference pour la pensée, il devient un hypothèse sur l’universe, au sens où il ne désigne désormais que la limite d’une démarche spéculative« (Tristan Dagron, Unité de l’être et dialectique. L’idée de philosophie naturelle chez Giordano Bruno, Paris 1999, S. 177). Wenn Jacobi, der bereits 1789 in der Beilage VII notiert hatte: »unser philosophischer Verstand reicht über sein eigenes Hervorbringen nicht hinaus« (JWA1/1, 249), jetzt in den Göttlichen Dingen erklärt: »der Schluß aus der Unergründlichkeit der Natur auf eine Ursache außer ihr, welche sie hervorgebracht 2

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der Spinozismus, an dem kleinen aber folgenreichen Unterschied fest, der zwischen einem vernunftschlüssig erkannten und einem als unbegreiflich anerkannten Absoluten besteht. Der Punkt also, »auf den es ankommt«, den die Beilage I in den Blick nimmt und der es allererst erlaubt, den Pantheismus Brunos in einen »reineren und schöneren Umriß« zu rücken als denjenigen Spinozas (JWA 1, 152), fungiert im Denken Jacobis als Scheitelpunkt einer Perspektive aus drei Gedankenlinien, deren erste auf die Problematik des höchsten Prinzips oder Grundes, deren zweite auf das Thema Ursache des Daseins der Welt, und deren dritte auf die Frage nach einer unbedingten Voraussetzung in ihrer mit bloßer Vernunft nicht zu »erschließenden« Unbegreiflichkeit zielt – oder, wie es in der Beilage VII heißt: auf einen »wirklichen Anfang, ein reelles Prinzip« jedweden »objectiven Daseyns« (JWA 1, 259).

II. Bereits 1787, im Gespräch über Idealismus und Realismus, hatte Jacobi die Differenz aufgezeigt zwischen dem principium compositionis, dem Prinzip einer »Verknüpfung von Grund und Folge«, und dem principium generationis, dem Prinzip des verursachten »objektiven Werdens der Dinge« (JWA 2, 48-51). Diese Unterscheidung, geschärft an der spinozischen Formel ratio sive causa, an dieser Vermischung von Grund und Ursache, 4 wird auch die Kritik an Schellings Identitätsphilosophie tragen. 1789 entdeckt Jacobi nun, daß schon der Nolaner eine solche Unterscheidung getroffen hatte, und in der Beilage I übersetzt er Giordano Brunos Überlegungen äußerst sinngenau: »Prinzip ist der innerliche Grund eines Dinges, die Quelle seines möglichen Daseins; Ursache der äußerliche Grund desselben, die Quelle seines wirkliund angefangen haben müsse, war, ist und bleibt ein fehlerhafter, philosophisch nicht zu rechtfertigender Schluß«, um sodann hinzuzufügen, die Wahrheit, daß »alles Bedingte zuletzt ein nicht bedingtes Absolutes voraussetze«, werde von allen Philosophen »anerkannt« (JWA 3, 105), dann bekundet er mit diesen Sätzen eine Affinität zur philosophia nolana, welche der Vermutung Raum gibt, daß er hier tatsächlich sein Versprechen einlöst, er werde über Brunos Werk De l’infinito »bey einer anderen Gelegenheit umständlich reden« (JWA 1, 152). Den bislang bekannten Texten und Briefen Jacobis ist freilich eine ausdrückliche Bestätigung dieser Vermutung nicht zu entnehmen. 4 Zu den Differenzen zwischen den Formeln ratio veluti causa, ratio sive causa, ratio seu causa, ratio aut causa oder ratio vel causa vgl. die Studie von Vincent Carraud, Causa sive ratio. La raison de la cause de Suarez à Leibniz, Paris 2000.

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chen gegenwärtigen Daseins«. 5 Ebenso wie die spinozische Ethik liest Jacobi die Dialoge De la causa nicht mit den starren Augen eines Doxographen, sondern – und das ist das unerhört Neue – strukturinventiv; darum bleibt ihm auch nicht verborgen, daß das Binnengefüge der philosophia nolana auf dem Modalgefälle möglich-wirklich beruht, 6 und im Blick auf dieses Modalgefälle gelingt es ihm, den Diskurs des »aufgeklärten« Jahrhunderts über Bruno als Spinoza ante Spinozam noch einmal mehr in eine kritische Optik zu bringen. Hinreichend informiert über die summarischen Doxographien zum Thema »Spinozismus und Brunismus« erinnert Jacobi nicht nur an Bayle, den Urheber der zählebigen These, die Philosophie Brunos sei »au fond semblable au Spinozisme«; überdies verweist er auf Mathurin Lacroze de la Veyssière, den königlichen Bibliothekar in Berlin, auf Christoph August Heumann, den Herausgeber der Acta philosophorum, und auf Jakob Brucker, die drei zeitgenössischen Meinungsführer im Disput über Spinoza ante Spinozam – aber höflicherweise spricht er nicht von den recht verschieden bunten Brillen, durch die hindurch diese Gelehrten den Nolaner in ihr Gesichtsfeld bringen wollten. Dem Lacroze nämlich galt Bruno als Atheist und Spinozist; 7 für Heumann war er weder das eine noch das andere, sondern lediglich ein »Schwärmer«, »im Kopffe nicht richtig«, dafür jedoch ein »heiliger Christe«; 8 und der hoch angesehene Brucker erkannte zwar, daß die philosophia nolana kein »systema spinozisticum« ist, glaubte jedoch entdeckt zu haben, daß sie ein Emanationssystem darstellt 9 – eine noch einmal neue, aber deshalb nicht minder irreführende Interpretation. Was das Verständnis des Giordano Bruno in der ersten Hälfte des »age of reason and sentiment« betrifft,

JWA 1, 185. – In De la causa heißt es: »quando diciamo Dio primo principio e prima causa, intendiamo una medesima cosa con diverse raggioni: […]diciamo Dio primo principio, in quanto tutte le cose sono dopo lui, secondo certo ordine di priore e posteriore […], diciamo Dio prima causa, in quanto che le cose tutte son da lui distinte come lo effetto da l’efficiente« (Dialoghi metafisici, S. 229–230). 6 JWA 1, 185, 187 f., 194 f., 196, 201 (mit Verweis auf Spinoza). 7 Mathurin Lacroze de la Veyssière, Dissertation sur l’athéisme et sur les athées modernes, in: Entretien sur divers sujets d’Histoire, de Litterature, de Religion et de Critique, Cologne 1711, S. 303: »la Philosophie de cet Italien […] ne s’éloignoit pas beaucoup du Spinosisme«. 8 Christoph August Heumann, Jordani Bruni Nolani De monade, numero & figura, in: Acta Philosophorum III (1715) S. 513. – Ders., Jordani Bruni Nolani De innumerabilibus, immenso & infigurabili, in: Acta Philosophorum V (1816) S. 870. 9 Jakob Brucker, Historia critica philosophiae, 5 Bde., Leipzig 1742 (hier: Bd. IV, 1. Teil, S. 52). 5

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dürfte mithin ein gewisser Johann Christoph Wolf der unbefangenste Mann in der ganzen Forscherzunft gewesen sein, gestand er doch im Jahr 1719 dem Herrn Lacroze in einem Brief: »Jordani Bruni scripta non intelligo«.10 Und was die Spinozarezeption vor dem Erscheinen der Jacobischen Spinozabriefe anlangt, trifft zweifellos zu, was der italienische Historiker Saverio Ricci 1990 in einem gründlich recherchierten Werk festhält: »Si discuteva Spinoza […]senza conoscerne, spesso, direttamente il pensiero«.11 Karl Heinrich Heydenreich – selber Autor einer Studie über Gott und Natur nach Spinoza – konnte darum, zwei Jahre nach Drucklegung der Beilage I, mit Fug und Recht notieren: »Herr Jacobi hat sich um die Geschichte der Metaphysik Brunos […] verdient gemacht«, er hat »die Verfasser ähnlicher Versuche über Brunoische Schriften vor ihm sehr beschämt«. Und im Rückblick auf Brukkers langes Kapitel über den Nolaner in der Historia critica philosophiae kommentierte Heydenreich: »Welch ein Unterschied!« Beim Brucker findet sich »keine Spur von der innern Combination« des brunonischen Denkens, Jacobi dagegen »stellt die Harmonie der Sätze in das schönste Licht der Evidenz«.12 Heydenreich deutet hier auf eben das, was man die »strukturinventive« Spinoza- und Brunolektüre Jacobis nennen darf. Daß die Spinozabriefe auf der Kehrseite ihrer Analyse der spinozischen Ethik tatsächlich auch ein scharfes Licht auf die »innere Kombination« der philosophia nolana werfen, ist sogar da noch unbestreitbar, wo sie auf namentliche Hinweise verzichten. So erwähnt Jacobi ja weder die Bruno-Studien Christian Wolffs noch die des Hallenser Philosophenkreises. Aber er urteilt: »Die Leibnitz-Wolfische Philosophie, ist nicht minder Fatalistisch, als die Spinozistische«. (JWA 1, 123) Dieser Satz korrespondiert jenem Vorwurf, den Joachim Lange bereits 1723 erhoben hatte: daß nämlich Wolff seine Axiomatik des »zureichenden Grundes« mit dem Notwendigkeitsgedanken des Spinoza verknüpft.13 Jacobi Zitiert nach Saverio Ricci, La fortuna (s. folgende Anm. 11), S. 372, Anm. 113. Saverio Ricci, La fortuna del pensiero di Giordano Bruno 1600 –1750, Firenze 1990, S. 240. – Zu vermerken ist die Fortsetzung seiner Studie: La ricezione del pensiero di Giordano Bruno in Francia e in Germania da Diderot a Schelling, in: Giornale critico della filosofia italiana 70 (1991) S. 431– 465. 12 Karl Heinrich Heydenreich, Anhang zur deutschen Übersetzung von Appiano Buonafede, Della restaurazione di ogni filosofia nei secoli XVI, XVII, XVIII, 2 Bde., Leipzig 1791 (hier: Bd. I, S. 265–266). 13 Saverio Ricci, La fortuna (s. Anm. 11), S. 385, Anm.160. – Vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Frankfurt 1720, § 928: »Wir sind. Alles, was ist, hat seinen zureichenden Grund, warum es vielmehr ist als nicht ist: und also müssen wir einen zurei10 11

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ist mit der Lehre von der ratio sufficiens als hinreichender metaphysischer Begründungsinstanz aber durchaus nicht ohne weiteres einverstanden. Dem Nolaner zustimmend, unterscheidet er 1789 in der Beilage I zwischen Grund und Ursache, um in der Beilage VII hinzuzufügen: eine »Vereinigung« von Grund und Ursache, wie sie »in dem Satz des zureichenden Grundes geschieht«, sei zwar »nicht unzulässig«, erlaubt aber ist sie einzig dann, wenn die Differenz zwischen dem Satz des Grundes und dem Satz der Ursache im Blick bleibt. Der erste besagt nämlich lediglich, daß »alles Abhängige von etwas abhängig ist«, der zweite indes meint, daß »alles, was getan wird, durch etwas getan wird« (JWA 1, 256). In dieser Stoßrichtung auf das Thema »Handlung« und damit auf den in allem Handeln implizierten Problemtitel »Zeit«14 liest Jacobi die Unterscheidung des Nolaners zwischen einer »innerlichen« und einer »äußerlichen Quelle« des Daseins der Dinge nicht vorbehaltlos. Denn was Jacobis Brunolektüre tatsächlich erbringt, ist weder von seiner Spinoza-Analyse noch von seiner Kritik an der Wolffischen Philosophie abtrennbar. Ebenso wie er in der Beilage VII Spinozas »unendliche Endlichkeit« oder »ewige Zeit« kritisiert (JWA 1, 251), stellt er in der Beilage I Giordano Brunos zeitlose Unendlichkeitsidee vor – dergemäß nicht die Dinge selber, sondern nur ihre äußerlichen Formen »dem Wandel und dem Untergange unterworfen sind« (JWA 1, 191) –, um diesen Unterschleif zeitlicher Kontingenz umgehend zum Anlaß zu nehmen, in einem Schreiben an Windisch-Graetz den Nolaner einen »Docteur Diabolique«15 zu nennen. Die Reflexion auf die Begriffe des Grundes und der Ursache soll ja kein logisches Exerzitium bleiben, sondern die Perspektive auf die Kontingenzbedingungen zeitlichen Handelns eröffnen: eine durch die Axiomatik des »zureichenden« Grundes geradezu verstellte Perspektive. Wenn Salomon Maimon, die Spinozabriefe samt der Beilage I vor Augen, den Nolaner von neuem der »höheren Schwärmerei« zieh, weil er »das Unbestimmbare« – einen ersten chenden Grund haben, warum wir sind. Haben wir nun einen zureichenden Grund, warum wir sind; so muß derselbe Grund entweder in uns, oder außer uns anzutreffen seyn. Ist er in uns zu finden; so sind wir nothwendig: ist er aber in einem anderen zu finden; so muß doch das andere seinen Grund, warum es ist, in sich haben, und also nothwendig sein. Und demnach gibt es ein nothwendiges Wesen«. 14 JWA 1, 257. – Zur ewigen Zeit Spinozas s. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (s. Anm.2), S. 133 ff. 15 Am 9. Februar 1789 schreibt Jacobi an Windisch-Graetz, er studiere neben dem Nolaner auch Thomas von Aquin: »[…] votre manuscrit m’a trouvé entre le Docteur Angélique et le Docteur Diabolique […]« (Staatl. Gebietsarchiv Pilsen, Zweigstelle Klatovy, Inv.-Nr. 1462, Sign. 162/I, Karton Nr. 246, Brf. 3). – Ich danke der JacobiForschungsstelle Bamberg für die Überlassung dieses Briefes und anderer Dokumente.

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Grund und eine erste Ursache nämlich – »zu bestimmen« wagte, obwohl sie zu Gegenständen des »reellen Denkens« doch nie werden könnten, dann bewies er damit nur, von der Brisanz der philosophia nolana genauso wenig begriffen zu haben wie von dem Realitätsbezug des Jacobischen Denkens. 16

III. Keiner hat den Spinoza begriffen, »dem in der Ethik Eine Zeile dunkel blieb«, mußte Jacobi seinem Gastgeber Lessing bedeuten (JWA 1, 27); denn der »Geist des Spinozismus«, der das Jahrhundert durchwehte, war weniger von dem scharfen Atem der spinozischen Metaphysik getragen, sondern kam eher auf den luftigen Wolken der antiken Vorstellung von der Weltseele daher – diese Reiseroute hatten schon die Hallenser Autoren Franz Budde und Johann Friedrich Werder festgeschrieben, letzterer in seiner Dissertatio philosophica de Spinozismo ante Spinozam von 1706. Vom Nolaner hinwiederum – obwohl in ganz Europa im Gespräch – waren nur wenige Schriften bekannt, und gelesen wurden sie gemäß dem Bayleschen Motto: Spinoza und Bruno, »ces deux Ecrivans sont unitaires«. Daß die Gelehrten des 18. Jahrhunderts sich diesen irrigen Befund zu eigen machten, ist vornehmlich daraus zu erklären, daß ihnen einerseits tatsächlich sehr viele Zeilen im Spinoza dunkel blieben und sie andererseits die Schriften Brunos nicht vor deren Hintergrund zu studieren vermochten – vor dem Horizont nämlich der Philosophien Plotins, des Thomas von Aquin, des Marsilio Ficino, des Nicolaus Cusanus und Duns Scotus: dem Saeculum der Aufklärung galt dieser Horizont als versunken. Die Ahnungslosigkeit, die hinter der Rede von Bruno als Spinoza ante Spinozam sich verbirgt, tritt am deutlichsten zutage in der Dissertation sur l’athéisme et sur les athées modernes, die der von Jacobi zitierte Herr Lacroze 1711 veröffentlichte und die über Deutschland hinaus Verbreitung fand.

Salomon Maimon, Magazin für Erfahrungsseelenkunde, Berlin 1793, Nachdruck in: Gesammelte Werke, hg. von Valerio Verra, Hildesheim 1970, Bd. 4, S. 613: »Die Krankheiten der höheren Seelenkräfte […] äußern sich […] hauptsächlich in dem Trieb unseres Erkenntnisvermögens, das seiner Natur nach Unbestimmbare zu bestimmen, Ideen als reelle Objekte darzustellen«. Zu der von Jacobi in der Beilage I referierten Unterscheidung des Nolaners zwischen principio und causa heißt es dementsprechend: »Die Erklärung von Prinzip und Ursache und ihre Unterscheidung voneinander […] hat mehr das Gepräge der Schwärmerei und einer Ahndung als einer gründlichen Einsicht der Wahrheit« (S. 620). 16

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Auf der Suche nach den »principes généraux de cet Athée« stößt Lacroze in Brunos Spätwerk De immenso auf ein Ensemble von Leitsätzen, die den Umriß der philosophia nolana skizzieren sollen17 und in denen der ketzerjagende Bibliothekar »une grande conformité avec ceux de Spinoza« erblicken will.18 Da heißt es zum Beispiel bei Bruno: »Das göttliche Wesen ist unendlich«, und die Begründung lautet: »Gott ist von zuhöchst einfachem Wesen, in welchem es weder irgendeine Zusammensetzung noch eine intrinsische Differenz geben kann«. Dem Brunoleser Lacroze war offensichtlich entgangen, daß Spinoza unter dem unendlichen Gott eine Trias aus Substanz, Wesen und Attributen verstanden hatte, keineswegs also ein zuhöchst einfaches Wesen, und daß in der Ethik an die Stelle solcher Einfachheit die Unteilbarkeit einer Dreiheit gerückt wird19 – wie dann erst die Spinozabriefe es deutlich machen, in denen klar gesagt ist: »Spinozas Gott schließt eine Mehrheit nicht aus«, oder wie Jacobi es in seinen Kladden formuliert: der Gott der Ethik ist lediglich »ein Einziger, aber nicht Einer«. 20 Und das ist nur ein erster, wenngleich fundamentaler Unterschied zwischen Spinoza und Giordano Bruno. Sodann schreibt der Nolaner: »Der Modus des Könnens (modus possendi) folgt dem Modus des Seins (modus essendi)« und: »Damit folgt auch der Modus des Handelns (modus operandi) dem Modus des Könnens«. Das ist die Axiomatisierung eines Grundzuges der philosophia nolana, nämlich ihres modalen Aufbaues. Er kommt in den Dialogen De la causa ebenso wie in Jacobis Exzerpt zu ausführlicher Darstellung: weil unendlich, ist das Universum alles, was es sein kann; die einzelnen Dinge in ihm hingegen sind nicht alles, was sie sein könnten, in ihrer Wirklichkeit schöpfen sie nicht jegliche Möglichkeit aus, weder hinsichtlich ihres Seins noch hinsichtlich ihres Könnens und dessen tätiger Realisierung. 21 Diese modale Triade strukturiert die Unendlichkeit des Universums, welches aber selber eine Abschattung seines göttlichen Ursprungs bleibt, in dessen absoluter Unendlichkeit – die die Infinität des Universums noch übersteigt – alle Weisen von Sein, Können und Handeln »eingefaltet« sind, um dann in der Welt und ihren Dingen

Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta, Stuttgart-Bad Cannstatt Bd. I/1, 1962, S. 242–244. 18 Dissertation (s. Anm. 7), S. 311. 19 Baruch de Spinoza, Ethica I, defin. 6; vgl. I, prop.13. 20 Kladde VII, zitiert bei Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (s. Anm.2), S. 248, Anm. 61; vgl. JWA 1, 39: «Die Einheit dieses Gottes beruhet auf der Identität des nicht zu unterscheidenden, und schließet folglich eine Art der Mehrheit nicht aus.« 21 Dialoghi metafisici, S. 322–324; JWA 1, 200–202. 17

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ihre »Ausfaltung« zu erfahren. Complicatio und explicatio fungieren als Strukturgesetze aller Unendlichkeit, sie lassen ein Differenzgefälle denkbar werden zwischen dem infiniten Gott und dem infiniten Universum; sie sind indes aus sich heraus nicht begründbar, ihr sie begründendes Prinzip ist erst in Gottes höchst einfachem Wesen aufzusuchen, in dem die Grundbedingungen aller modalen Einfaltung und Ausfaltung von Unendlichkeit, nämlich absolute Potentialität und Aktualität, miteinander identisch sind. 22 Das bedeutet: Für die philosophia nolana bleibt die simplicissima essentia divina ein prinzipiierender Fluchtpunkt, der als solcher sich von allen seinen Prinzipiata unterscheidet; oder einfacher gesagt: Gott erschöpft sich nicht in der Welt – er bleibt das Prinzip seiner von ihm prinzipiierten Immanenz im Universum. Von einem schlichten Pantheismus Brunos darf man deshalb gar nicht reden – und wieder war es Jacobi, der das als erster durchschaute, sprach er doch von des Nolaners »Pantheismus im weitesten Verstande«, nicht vergleichbar dem Pantheismus Spinozas mit seiner These von einer notwendigen Immanenz der absoluten Substanz in ihren Modifikationen oder, wie Jacobi prägnant formulierte, einer Philosophie »des Seyns in allem Daseyn« (JWA 1, 152, 39). Jacobi bemängelt an der Ethik nicht allein die Vermischung von ratio und causa. Mit untrüglichem Blick entdeckt er, wiederum als erster, daß Spinoza auch die Differenz von potentia und possibilitas, von absolutem Vermögen und modaler Möglichkeit unterläuft: den Unterschied nämlich zwischen dem Begriff für eine uneingeschränkte göttliche Wirkmacht als einem »unendlichen Vermögen« einerseits und einem »deutlichen Begriff« von der »Möglichkeit des Daseyns unserer Welt« andererseits – einem Begriff, den die Beilage VII zu den Spinozabriefen den »Bemühungen der Vernunft« jetzt abfordert (JWA 1, 257 f.). Denn mit seiner Metaphysik einer göttlichen Substanz, aus deren potentia agendi das Endliche notwendig hervorgeht, vermochte Spinoza »keine Rechenschaft« mehr zu geben von der »inneren Möglichkeit« der wirklichen endlichen Dinge selber (JWA 1, 234); seiner Ethik ist deshalb eine Unterwerfung der kontingenten Possibilität des Endlichen unter die absolute Potenzialität des Unendlichen anzulasten – ein Defizit, das im »verklärten Spinozismus« der Schellingschen Identitätsphilosophie seine Wiederkehr feiern wird. In dem Schreiben an Hemsterhuis, das er in den Spinozabriefen abdruckt, stellt Jacobi dieses Defizit dar, indem er den Spinoza sprechen läßt: »Ich begreife nichts […] von einem können, würken zu können auf das, was in der Sphäre des Wesens liegt«(JWA 1, 68), mit anderen Worten:

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Dialoghi metafisici, S. 281 f.

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in Anbetracht des göttlichen Vermögens, alles Seiende als notwendige Folge aus dem unendlichen Wesen der absoluten Substanz zu bewirken, bleibt mir die Rede von einer Möglichkeit des Wirkens ebenso unverständlich wie die Annahme eines im Modus der Möglichkeit Bewirkten. Die Ethik darf mithin gar keine Differenz eintragen zwischen der substanzialen Macht zu wirken und einem modalen Wirken-Können. In einem ganz anders gearteten Denkgefälle als dieses Metaphysikmodell Spinozas steht die philosophia nolana, weil sie die absolute Einfachheit des göttlichen Wesens abzuheben weiß von der modalen Vielfalt der Welt. Darum kann sie unterscheiden zwischen absoluter Potenzialität auf der einen Seite und modaler Possibilität auf der anderen. Ein von Lacroze wiederum mißverstandener Leitsatz aus der Schrift De immenso lautet: »In Gott ist seine potentia« – sein Vermögen, nicht nur zu wirken, sondern ursächlich zu handeln – »identisch mit seinem Sein und Wesen, mit seinem Wollen und Können«. Und in den Dialogen De la causa werden die Possibilitäten oder Möglichkeiten der Welt differenziert: das unendliche Universum »ist alles, was es sein kann«, die endlichen Dinge in ihm hingegen »sind nicht alles, was sie sein können«. 23 Zwischen der Möglichkeit der Dinge und ihrem wirklichen Dasein schließlich vermag der Nolaner deshalb zu unterscheiden, weil er von allem Anfang an die Begriffe »Prinzip« und »Ursache« nicht vermischt hatte. Die Spinozabriefe samt ihren Beilagen halten fest, was Bruno trotz einiger Ähnlichkeiten von Spinoza trennt, und Jacobi überbietet jetzt die Rede der philosophia nolana von Gottes kausalem Handeln mit der These, daß einzig der Begriff der Ursache es ist, »durch welchen der Begriff einer Handlung nothwendig gesetzt wird« (JWA 1, 257). Wenn Lacroze vermeinte, der Philosophie Giordano Brunos Spinozismus unterstellen zu dürfen, beweist das lediglich, daß er weder Bruno noch Spinoza aufmerksam gelesen hatte. »Gott ist von zuhöchst einfachem Wesen – folglich sind in ihm das Sein, das Können, das Handeln und das Wollen, das Wesen und die Kraft zu wirken, die Tat, der Wille und überhaupt alles, was von ihm in wahrer Weise ausgesagt werden kann, identisch; denn er ist die Wahrheit selbst«, so hatte Bruno geschrieben. Dem preußischen Bibliothekar Lacroze, dem selbst die römische Inquisition zu nachlässig war, galt dieser Satz, man mag es nicht glauben, als »atheistisch« und deshalb, man höre und staune, als »spinozistisch«. Doch gerade letzteres kann er schon deshalb nicht sein, weil die Ethik jeglichen Willen und damit alle Finalität des Handelns aus dem gött-

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Dialoghi metafisici, S. 322–323.

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lichen Wesen ausschließt. Für eine strukturinventive Korrektur des Kampfrufes »Bruno – ein Spinoza ante Spinozam« bleibt desungeachtet der zitierte Leitsatz des Nolaners in noch anderer Hinsicht entscheidend. Zu fragen ist nämlich, wie endliche philosophische Vernunft, für Bruno die Vernunft des »filosofo naturale«, 24 zu Aussagen über die Identität Gottes mit allen ihm »in wahrer Weise« zugesprochenen Prädikaten überhaupt kommt. Die These des Nolaners transportiert somit ein aussagenlogisches Problem – und zwar eines, das sich für Spinoza gar nicht stellt. Eine berühmte Proposition der Ethik lautet ja: »Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist identisch mit der Ordnung und Verknüpfung der Dinge«. 25 Behauptet wird hier eine Identität der Ordnung des Denkens und der Ordnung des Seienden, und alle Aussagen Spinozas über die absolute Substanz und ihre Modi folgen diesem Grundsatz einer übergreifenden Ordnungsidentität. 26 Giordano Bruno ist jedoch alles andere als ein Verfechter solcher Ordnungsisonomie und vermutlich auch deshalb für Jacobi, den Verfechter des methodologisch unmethodischen »Sprunges«, interessant. Philosophien »aus einem Stück«27 – einer durchgehenden Ordnung vom summum ens bis zum ens contingens – kannte Bruno aus dem Mittelalter. Wenn er selber das erste Prinzip und die erste Ursache in eine »schwer zu entdeckende« Transzendenz rückt und überdies die Überzeugung äußert, daß »es genügt, vom ersten Prinzip, so wie es offenbart ist, moralisch und theologisch Kenntnis zu haben«, 28 dann verbietet er sich damit nicht nur einen methodologisch geordneten Überstieg aus der Welt zum Wesen Gottes; er darf dann auch fordern, daß die Kenntnis von einer »anerkannten« ersten Ursache und von einem »anerkannten« ersten Prinzip »nicht in ein und dieselbe Wissenschaft e i n g e ord n e t werden«, 29 der Wissenschaft von der verursachten Natur also nicht zugehören – und beides steht in harschem Gegensatz zu Spinozas auf einer Identität der Ordnungen errichteten Ethik. Mutatis mutandis tritt Jacobi auf die Seite des Nolaners. Nachdem er in der Beilage I Brunos These referiert hat: »unsere ganze Erkenntniß ist nur eine Erkenntniß der Aehnlichkeit und des Verhältnisses, welche bey dem Uner-

Zu Brunos Programm einer »Naturphilosophie« s. Tristan Dagron, Unité de l’être (s. Anm. 3), S. 176 ff. 25 Ethica II, prop.7. 26 Zu diesem Thema vgl. Gilles Deleuze, Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie, München 1993, S. 96 ff.; 101–102. 27 So Jacobi im Blick auf Fichte, JWA 2, 200. 28 Dialoghi metafisici, S. 226; 228. 29 Dialoghi metafisici, S. 226. 24

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meßlichen, Unvergleichbaren, schlechterdings Einzigen auf keine Weise kann angewendet werden«30 , betont er für sich selber in der Beilage VII: »unser philosophischer Verstand reicht über sein eigenes Hervorbringen nicht hinaus«31 – eben darum muß seine eigene »Unphilosophie« ja auch »springen«, wenn sie zur ersten Ursache hingelangen will. Doch jetzt spricht Bruno, als wäre das selbstverständlich, von einer Identität Gottes mit seinen Prädikaten oder Attributen, dem »Können, Handeln und Wollen«. Widerspricht er damit nicht seiner eigenen Überlegung, daß wir, da wir doch »nicht einmal dieses Universum vollständig übersehen, noch weit weniger das oberste Prinzip und die oberste Ursache erkennen«? 32 Hier stoßen wir auf einen neuralgischen Punkt, um dessentwegen ich auch von einer ganz modernen Brunolektüre reden muß. Gilles Deleuze behauptet: Giordano Bruno »dehnt die Identität Gottes auf das simulacrum aus, auf das Universum oder die Natur.«33 Das ist schlicht ein Rückfall hinter die Einsichten der Spinozabriefe samt ihren Beilagen, von denen Deleuze keine Notiz nimmt, und es ist die Wiederkehr einer Brunolektüre durch spinozistisch gefärbte Augengläser. Denn ebensowenig wie entlang der von Spinoza gezogenen Führungslinie einer Identität der in absoluter Notwendigkeit gegründeten Ordnungen operiert der Nolaner gemäß der Wegweisung der Ethik, derzufolge schlechthin alles, was existiert, ein »Ausdruck« des göttlichen Wesens ist. Nicht einmal im unendlichen Universum findet für Bruno die Identität des »zuhöchst einfachen« göttlichen Wesens ihren Ausdruck, denn seine Philosophie weiß zwischen »Identität« und »Einfaltung« sehr wohl zu unterscheiden. Einfaltung und Ausfaltung, complicatio und explicatio, versteht sie nämlich als Aussagen über ein Modalgefälle im Unendlichen. In diesem Sinne definiert Bruno in der Schrift De l’infinito: »Gott ist in eingefalteter Weise und gänzlich unendlich« – »complicatamente e totalmente«; das Universum demgegenüber ist unendlich »in ausgefalteter Weise und nicht

Dialoghi metafisici, S. 285; JWA 1, 196. JWA 1, 249. Die Fortsetzung lautet: »Alles Verstehen geschiehet aber dadurch, daß wir Unterschiede setzen und wieder aufheben ; und auch die aufs höchste ausgebildete menschliche Vernunft ist, explicite, keiner andern Operation, als dieser, worauf alle übrige sich zurückführen lassen, fähig. Wahrnehmen, Wiedererkennen und Begreifen, in steigenden Verhältnissen, macht die ganze Fülle unseres intellectuellen Vermögens aus.« – Vgl. auch JWA 1, 124: »Wir können nur Aehnlichkeiten demonstriren«. 32 Dialoghi metafisici, S. 228. 33 Gilles Deleuze, Spinoza und das Problem des Ausdrucks (s. Anm. 26), S. 84, Anm. 24. 30 31

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gänzlich« – »explicatamente e non totalmente«. 34 Aussagen über Unendlichkeit sind Aussagen über Gott, insofern und nur insofern auch er unendlich ist; sie können indes, als Aussagen über eine modale Differenz im Unendlichen, niemals zugleich Aussagen sein über die absolute und differenzloseinfache Identität Gottes. Ähnlich wie Duns Scotus arbeitet Bruno mit zwei »Ordnungen« oder Logiken der Prädikation: gilt die eine einzig für Gott in seiner Wesensidentität, so hat die andere Gültigkeit nur für modale Differenzen im Unendlichen und damit für das »in ausgefalteter Weise unendliche« Universum. Scotus – den Bruno als »Kuttenträger« zwar nicht liebte, dessen Scharfsinn er aber schätzte – hatte Identitätsaussagen strikt von Differenzaussagen unterschieden: »praedicatio per identitatem habet locum in divinis[…], non habet locum in creaturis«. 35 Das ist der ordnungstheoretische und prädikationslogische »dualistische« Hintergrund des brunonischen Monismus; und weil das aufgeklärte Jahrhundert, zum Beispiel, den Duns Scotus nicht mehr las, konnte es um so leichtfertiger den Spinoza in den Giordano Bruno hineinlesen, wie das mißlicherweise auch Deleuze wieder tut. Hinzu kommt: Gottes wesentliche Identität kann zwar ausgesagt werden, aber »aussagbar« heißt noch längst nicht »erkennbar«. Auch deshalb muß Bruno zwischen einem »erkannten« und dem »anerkannten« ersten Prinzip eine Differenz eintragen. Jacobi ist ganz gewiß kein Anhänger des Nolaners; aber sein Grundgedanke einer »unbegreiflichen« Voraussetzung intensiviert ein fundamentales Theorem der philosophia nolana im streitigen Disput der klassischen deutschen Philosophie und opponiert damit noch einmal mehr der spinozistischen Idee der Identität der Ordnungen und Aussagen. Trotz alledem hat es den Anschein, als behielte Lacroze doch recht, wenn er beim Nolaner Spinozistisches entdecken möchte. Denn einer der letzten Leitsätze in Brunos Schrift De immenso lautet ja nun tatsächlich: »Der göttliche Wille ist nicht nur notwendig, sondern die Notwendigkeit an sich« – »non modo necessaria, sed etiam ipsa necessitas«; mithin sind in Gott »Notwendigkeit und Freiheit eins«, würde er doch »überhaupt nicht frei handeln, wenn er anders handelte als die Notwendigkeit seiner Natur es fordert«. 36 Und Spinoza wird erklären, daß Gott »allein aus der Notwendigkeit seiner Natur zum Wirken bestimmt ist« und dabei eine bestimmende,

Dialoghi metafisici, S. 381 f. Reportata Parisiensia I, distinctio 8, quaestio 5, n.6 (zitiert nach Etienne Gilson, Johannes Duns Scotus, Düsseldorf 1959, S. 599, Anm. 1). Vgl. auch Tristan Dagron, Unité de l’être (s. Anm. 3), S. 138, Anm. 5. 36 Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta (s. Anm. 17): Bd. I/1, S. 243. 34 35

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also »freie Ursache« bleibt. 37 Bis heute will eine an Formeln sich festmachende doxographische Forschungsliteratur in solchem »Nezessitarismus« eine grundlegende Übereinstimmung Brunos mit Spinoza erblicken. Hinter den gleichlautenden Sätzen beider Philosophen verbergen sich indes höchst verschiedene Denkmotive und Problemlagen. Spinozas Gott bringt sich in seinen Attributen und Modifikationen mit einer Macht oder Potenz »zum Ausdruck«, die der Führung durch einen göttlichen Willen gar nicht bedarf 38 und die alles Seiende mit einer derartigen Notwendigkeit sich unterwirft, daß nichts sich ihr zu widersetzen vermag: In diesem Sinne ist der Gott der Ethik eine »freie« Ursache. Diese Freiheit ist gewissermaßen eine Konsequenz aus der Notwendigkeit der göttlichen potentia agendi – sie ist keineswegs identisch mit einer eminenten Einfachheit des göttlichen Wesens, wie die philosophia nolana sie voraussetzt. Man darf ja nicht außeracht lassen, daß Spinozas hen kai pan den christlichen Gedanken einer Eminenz Gottes ausschließt und seine Ethik folglich von einer mit sich identisch bleibenden simplicissima essentia divina nicht ausgehen darf. Brunos Gottesidee hat demgegenüber erstens im göttlichen Willen ihren Brennpunkt und opponiert zweitens einem Theorem, für das Spinoza sich nicht mehr interessiert: der nominalistischen Unterscheidung nämlich zwischen göttlicher potentia absoluta und potentia ordinata – einer Unterscheidung, die erdacht war, um die »geordnete« Erschaffung der finiten Welt mit der infiniten Macht Gottes vereinbaren zu können. Nach Brunos Überzeugung zerstört dieses Theorem die Natur der ersten Ursache, 39 würde sie doch durch eine auf Endlichkeit zielende »ordinatio« eingeschränkt, und die Ineinssetzung des göttlichen Willens mit Gottes Freiheit und einer »Notwendigkeit an sich« folgt für den Nolaner zwingend aus der Einfachheit des göttlichen Wesens. Weil diese von der Ethik bestritten wird, muß auch der Nezessitarismus Spinozas andere Konturen annehmen als jener der philosophia nolana.

IV. Ich denke, daß die Dissertation sur l’athéisme des Mathurin Lacroze aus mehreren Gründen die Ausführlichkeit verdient, mit der ich sie vorgeführt und befragt habe. Nicht, weil sie selber von philosophischem Belang wäre,

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Ethica I, prop. 17 dem. und coroll. 2. Ethica I, prop. 32 dem. und coroll. 2. Vgl. hierzu auch Tristan Dagron, Unité de l’être (s. Anm. 3), S. 123–126.

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denn in metaphysicis war der Berliner Bibliothekar eher schwach auf der Brust. Von Gewicht ist sie vielmehr erstens, weil sie Jakob Brucker zu der kritischen Feststellung herausforderte, Bruno sei weder Atheist noch Spinozist, denn die res creatae der nolanischen Philosophie dürften mit den Modifikationen der spinozischen Substanz durchaus nicht verglichen werden. 40 Wenn Dietrich Tiedemann noch 1796 erneut behauptete, Bruno sei ein Vorläufer Spinozas, 41 dann fiel er damit schlicht hinter den Debattenstand zurück – schon mit Brucker war das Gerücht vom Spinoza ante Spinozam widerlegt. Zweitens kann das Buch Lacrozens deshalb Beachtung verlangen, weil es einen Brunotext in Umlauf brachte, der die Binnenstruktur des philosophia nolana vorstellt: ihre, wie Bruno sie nennt, principia communia – denen Jacobi auf die Spur kommt. Und drittens ist das Werk des bibliothecarius regius deshalb von sogar höchstem Interesse, weil an ihm sich zeigen läßt, wie man auch vor dem Beginn einer textkritischen Brunoforschung und auf der Basis der dem 18. Jahrhundert bekannten Schriften des Nolaners diesem hätte Gerechtigkeit widerfahren lassen können, wenn man denn nun auch die spinozische Ethik genau studiert hätte, wie Jacobi es tat, um damit die ganze Problematik vor einen völlig neuen Horizont zu rücken. Aus dem an die Spinozabriefe sich anschließenden philosophischen Diskurs greife ich deshalb nur noch einen Text des Johann Gottlieb Buhle heraus. Mit der zweiten Auflage der Spinozabriefe und mit Jacobis Brief an Fichte von 1799 im Rücken schreibt Buhle im Jahr 1800: »Der Pantheismus des Bruno ist ein objectiver Realismus, sofern er ein objectiver Idealismus, und ein objectiver Idealismus, sofern er ein objectiver Realismus ist. Es ist das objective unendliche Ich, in welchem Denken und Seyn einerley sind, das allein wahre Wirklichkeit hat, und die Mannichfaltigkeit der Ideen oder Formen nur als sein Bild, seine Spur, seinen Schatten in’s Unendliche ausdrückt. Das subjective Ich hat kein wahrhaftes Seyn, ausser sofern es in dem objectiven ist. Das wandelbare Seyn des subjectiven Ich ist nur eine Spur des wahrhaften. Die gesunde philosophierende Vernunft wird allemal sich mit dieser Vorstellungsart des Bruno eher vertragen, als mit der des neuen Wissenschaftslehrers in Deutschland, Joh. Gottlieb Fichte, die auf subjectiven Pantheismus hinaus läuft«. 42 Mit dieser

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Historia critica philosophiae (s. Anm. 9), Bd. IV, 2. Teil, Leipzig 1744, S. 47– 49,

52 f. Dietrich Tiedemann, Der Geist der spekulativen Philosophie, Marburg 1791– 1797, Bd. V, S. 570–583. 42 Johann Gottlieb Buhle, Geschichte der Künste und Wissenschaften, 6. Abteilung: Geschichte der Philosophie, Göttingen 1800, Bd. 2, S. 854. Zur Beilage I be41

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auf das Fichtesche System zielenden und die philosophia nolana lediglich als Hintergrundfolie benutzenden Brunolektüre ist der Punkt erreicht, von dem auch Schellings Fichtekritik ihren Ausgang nimmt, um im Bruno-Gespräch und im Abstoß von Jacobis Bruno-Exzerpt ihre identitätsphilosophische Kontur zu gewinnen. V. Schellings Bruno ist seiner Textur nach eine Auseinandersetzung mit Fichte; gleichwohl spielt Jacobis Beilage I eine konstitutive Rolle in dieser Schrift. 43 Denn im Duktus seiner neuen Identitätsphilosophie setzt Schelling alles daran, den gebrochenen Modalismus des Nolaners zu überwinden: die von Jacobi dargestellten Gedanken Giordano Brunos über die Differenz zwischen modaler Möglichkeit und Wirklichkeit einerseits und den Begriff des höchsten übernatürlichen Prinzips in seiner Wesensidentität andererseits. Diese Zielsetzung kommt sowohl in dem Untertitel des Gesprächs Über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge als auch in der Idee absoluter Indifferenz zum Ausdruck. Von größtem Interesse ist deshalb der Anhang zu dieser Schrift, in welchem Schelling erklärt, sich »am meisten« der brunonischen Lehre vom unendlichen Universum »anzunähern«, während er die Prämissen der philosophia nolana – die absolute Einfachheit des göttlichen Wesens ebenso wie die Unterscheidung von Grund und Ursache – mit Schweigen übergeht (SW 4, 300). Im Bruno-Gespräch selber operiert Schelling ausschließlich mit dem Modell von Grund und Folge, und nur mit diesem kann es ihm ja auch gelingen, die »Verknüpfung« von Endlichem, Unendlichem und Ewigem (SW 4, 228) zu einer monistischen Totalität zur Darstellung zu bringen, zu einer Totalität, die strukturell der spinozischen Allheit aus Substanz, Attributen und Modi entspricht. Die Debatte mit Fichte ist in dieses Denkmodell eingeflochten, sie bewegt sich auf seiner mittleren Stufe, der des merkt Buhle: »Vor wenig Jahren hat Jacobi, einer der tiefsinnigsten, edelsten und liebenswürdigsten neueren Weltweisen, einen Auszug aus ihr (d. i. der Schrift De la causa) geliefert, der den Geist derselben auf eine unübertreffliche Weise wiedergibt« (S. 768–769). 43 Vgl. Stephan Otto, Das »Symbolum der wahren Philosophie«. Die nolana philosophia und ihre Vermittlung durch Jacobi an Schelling, in: Rainer Adolphi / Jörg Jantzen (Hg.), Das antike Denken in der Philosophie Schellings, Schellingiana Bd. 11, Stuttgart-Bad Cannstadt 2004, 545–578. Französische Übersetzung: Le »symbole de la vraie philosophie«. La nolana philosophia et sa transmission à Schelling par Jacobi, in: Mondes, formes et société selon Giordano Bruno, Textes réunis par Tristan Dagron et Hélène Védrine, Paris 2003, S. 177–195.

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Stephan Otto

Unendlichen. Denn die »wahre« Philosophie will den Standpunkt der Wissenschaftslehre widerlegen, demgemäß bereits das absolute Ich als Prinzip des Wissens fungiert und insofern auch fungieren darf, als jeder im Bewußtsein artikulierte Begriff »eine Unendlichkeit mit sich führt«, die eine unendliche Reihe von endlichen Dingen sich anmißt – aber eben lediglich derart, wie Schelling kritisiert, daß diese bloße Verstandesunendlichkeit »nur die unendliche Möglichkeit aller Wirklichkeit« enthält, nicht jedoch auch »die Wirklichkeit der Dinge« selber (SW 4, 242, 244). Die Verstandesunendlichkeit der Fichteschen Philosophie gelangt mithin nicht zu jenem Absoluten, in welchem Endliches und Unendliches, Wirkliches und Mögliches zu einer ewigen Einheit kommen; sie verharrt auf einem »abgeleiteten Bewußtsein« und stößt zum »absoluten Bewußtsein« nicht vor (SW 4, 253), sie erreicht nicht jenes Absolute, in dem das »Wissen« mit dem »Seyn« ebenso unmittelbar verknüpft ist wie das »Seyn« mit dem »Nicht-Seyn« (SW 4, 251, 255). Für den Identitätsphilosophen gilt hingegen, wie schon für Spinoza: »Nichts existiert, was nicht im Ewigen endlich und unendlich ausgedrückt ist« (SW 4, 302). Die Folge muß dann lauten, daß weder Endliches noch Unendliches »für sich« sind (SW 4, 247) – sie sind endlich und unendlich einzig »in Ansehung« des Ewigen, oder: sie sind dessen »Reflex«. Schelling bedient sich dieser Spiegelmetaphorik, um darzutun, daß die Indifferenz von Möglichem und Wirklichem, die im Absoluten statthat, vom Endlichen und Unendlichen auf jeweils verschiedene Weise reflektiert wird, wobei zwischen dem Endlichen und Unendlichen jeweils verschiedene Relationen herrschen: das Unendliche enthält Endliches nur als Möglichkeit, während das Endliche »die unendliche Möglichkeit aller Wirklichkeit« in sich trägt (SW 4, 244). Um nicht nur Wissen zu begründen, sondern »Seyn« zur Anschauung zu bringen, ist es also notwendig, daß die Relationen zwischen »endlich« und »unendlich« ebenso wie die zwischen »möglich« und »wirklich« ihre Indifferenz im Ewigen finden; denn erst im Ewigen sind »Seyn« und »NichtSeyn«– also Wissen – »unmittelbar zusammengeknüpft« (SW 4, 247). Man braucht den überanstrengten Gedankengang des Bruno-Gesprächs nicht weiter zu verfolgen, um erstens zu bemerken, daß Modalität und Relation die Operationsbegriffe der Identitätsphilosophie sind, und um zweitens festzustellen, daß Schelling zur Durchführung seines Projekts des von Jacobi erstellten Bruno-Exzerpts dringend bedurfte – als einer Vorlage nämlich, die er einerseits glaubte überbieten zu müssen und in der er andererseits den »Grund und Boden« für eben diese Überbietung erblicken wollte. Denn aus dem von Jacobi berichteten Satz des Nolaners: »Den Punkt der Vereinigung zu finden ist nicht das Größte, sondern aus demselben auch sein Entgegengesetztes zu entwickeln: dieses ist das eigentliche und tiefste Geheimnis der

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Kunst« las Schelling ja ein »Symbolum der wahren Philosophie« heraus (SW 4, 251). Hinter den identitätsphilosophisch gewendeten Konzepten Möglichkeit, Wirklichkeit, Sein, Nichtsein und Relation steckt mithin nicht einzig und allein – wie man oftmals lesen kann – die von Schelling in der Formschrift und in der Ichschrift vorgetragene Kantkritik. Zwar hatte die erstere schon dekretiert, »daß die Formen der Relation […] identisch mit der Urform« sind, 44 und die andere kreiste um eine Bereinigung der »Formen der Modalität« (SW 1, 221 ff.) in der Absicht, die »materialen« Modalbegriffe – Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit – aus den »reinen Formen der Modalität«, nämlich den »Urformen des Seyns und Nicht-Seyns«, abzuleiten; und ebenso wie das in der Formschrift erörterte Thema »Relation« im Bruno-Gespräch seinen Niederschlag findet, in dem Axiom nämlich: »Das Seyn also ist eine relative Einheit, wie das Wissen« (SW 4, 255), genau so folgt das Bruno-Gespräch der in der Ichschrift gezogenen Linie »reiner« Modalität, nicht hingegen »materialen« (und zeitlichen Bedingungen unterworfenen) Begriffen von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit. Muß man folglich einerseits die Textur des Bruno-Gesprächs entlang den Kettfäden der Kant- und Fichtekritik Schellings ausbuchstabieren, so hat man damit andererseits noch längst nicht das Motiv freigelegt, dem dieses Werk aufruht. Dieses Motiv erklärt sich erst aus Schellings Lektüre der Spinozabriefe Jacobis. In deren erster Beilage stieß Schelling nicht allein auf die ihn faszinierende Idee einer »Einheit, welche das Ganze umfaßt«, einer Idee zumal, die »höchste Vollkommenheit und Seeligkeit« versprach (JWA 1, 205); sondern hier sah er sich außerdem noch einmal mit einer Metaphysik konfrontiert, die ihm als »dogmatisch« gelten mußte: arbeitete sie doch mit »materialen« Modalfiguren, die einer Ontologie endlicher Dinge abgenommen waren – einer Ontologie, die vom ewigen Absoluten »nur mit äusserster Mühe Etwas, das man eine zurückgelassene Spur nennen könnte, entdecken« ließ (JWA 1, 185). Die Identitätsphilosophie ist mit solcher metaphysischen Nüchternheit nicht zu vereinbaren. Aber Schelling unterschlägt auch nicht die Differenzen zwischen Spinoza und Giordano Bruno, die Jacobi aufgezeigt hatte – während Hegel, noch nach und trotz seiner Lektüre der Spinozabriefe, den Irrtum Bayles wiederholen und schreiben wird: das »System des Bruno ist […] objektiver Spinozismus«. 45

SW 1, 107. Vgl. hierzu Birgit Sandkaulen, Ausgang vom Unbedingten. Über den Anfang in der Philosophie Schellings, Göttingen 1990, S. 26–28. 45 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Theorie-Werkausgabe, Frankfurt am Main 1971, Bd. 20, S. 28. 44

Mystizismus, Spinozismus und Grenzen der Philosophie. Jacobi im Spannungsfeld von F. Schlegel und Schleiermacher von Andreas Arndt

Friedrich Schlegel und Friedrich Schleiermacher – in der Berliner Frühromantik symphilosophierende (und »symmenschende«) Weggefährten, später Repräsentanten entgegengesetzter politischer und konfessioneller Lager, des habsburgisch-katholischen und des preußisch-protestantischen Deutschlands –, beide kommen darin überein, in Jacobi einen – um mit Schlegel zu sprechen – »elastischen Punkt« (KFSA II, 69) ihres eigenen Philosophierens zu finden. Es ist sicher nicht übertrieben, zu sagen, daß ihre Übereinstimmungen, Differenzen und Gegensätze sich jeweils in ihrem Verhältnis zu Jacobi artikulieren und daran festmachen lassen. Friedrich Schlegel beginnt in seiner Rezension des Woldemar (1796) als Kritiker der Jacobischen Vernunftkritik, die er als »unversöhnliche[n] Haß gegen die philosophierende Vernunft« (KFSA II, 72) charakterisiert und die nach seiner Auffassung bekanntlich »mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit« endet (KFSA II, 72). Diesen Absprung scheint indessen auch Schlegel selbst später gemacht zu haben, wenn er im Streit um die göttlichen Dinge die Vernunft preisgibt.1 Schleiermacher dagegen suchte, solange dieser lebte, die Nähe und die Anerkennung Jacobis, kritisierte aber auch durchgehend, daß dieser philosophische Vernunft und Glauben entgegengesetzt habe. Sofern auch Schlegel – wenn auch mit wechselnden Vorzeichen – an dieser Entgegensetzung partizipiert, liegt darin zugleich ein durchgängiger sachlicher Gegensatz Schleiermachers zu diesem beschlossen. Hingegen kommen beide wiederum darin überein, Jacobis Rekonstruktion des Spinozismus in die Auseinandersetzung mit Kant einzuführen, wobei jedoch im Unterschied zu Jacobi der Spinozismus grundsätzlich affirmiert wird, allerdings im Rahmen einer negativen philosophischen Theologie, welche wiederum positiv an Jacobis Affirmation des Glaubens als Grundlage des Wissens anknüpfen kann. 1

30.

Friedrich Schlegel, Jacobi-Rezension (1812), PLS 3/1, 328–339. – Vgl. JWA 1,

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Ich will es zunächst bei diesen Hinweisen bewenden lassen, die wohl ohnehin einen verwirrenden Eindruck hinterlassen. Offenbar konnte Jacobis Philosophie sowohl Übereinstimmung als auch Distanz zwischen den Positionen Schlegels und Schleiermachers motivieren. Ob dabei Jacobi selbst auf der Strecke bleibt oder aber eine ihm eigene Zweideutigkeit auf unterschiedliche Weise produktiv zum Austrag gebracht wird, möchte ich hier nicht entscheiden, denn zunächst ist das Spannungsfeld genauer auszuleuchten, in dem sich Affirmation und Kritik der Jacobischen Philosophie vollziehen. Dieses Feld ist indessen als ein Problemfeld wesentlich durch Jacobis Philosophie selbst vorgegeben, nämlich durch seine Überzeugung von der Unzulänglichkeit der philosophischen Vernunft, sich des Unbedingten als ihres eigenen Grundes im Modus reflektierten Wissens vergewissern zu können. Es geht – vielfach verschlungen in die Auseinandersetzungen mit Kant – um Anspruch und Grenzen der Vernunft und das Verhältnis der rationalen Philosophie zu dem, was bei Jacobi als unmittelbare Glaubensgewißheit firmiert und was die Frühromantiker als ›Mystizismus‹ oder ›Enthusiasmus‹ identifizierten. Im folgenden möchte ich dieses Spannungsfeld näher erkunden, wobei ich mich auf das beschränke, was man im Anschluß an Kant die theoretische Seite nennen könnte – nämlich die Fragen nach Vernunft und Wissen – und die Fragen der Freiheitsperspektive und Begründung von Moralität weitgehend beiseite lasse.

I. Friedrich Schlegel Wer Friedrich Schlegel und Jacobi miteinander in Verbindung bringen soll, denkt wohl zunächst an die berühmte Rezension des Woldemar, die 1796 in der von Reichardt herausgegebenen Zeitschrift Deutschland bei Unger in Berlin erschienen war. Jacobi selbst hatte sich durch diese Rezension nicht nur mißverstanden, sondern auch böswillig verleumdet gefühlt, 2 und noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt sie Manchem als berüchtigtes Dokument mutwilliger Frechheit. 3 In diesen Reaktionen wird die Zwiespältigkeit des Schlegelschen Urteils ausgeblendet, auf die Hans Eichner zurecht verwiesen hat: am Anfang der Rezension werde dem Mystizismus das Wort Vgl. Jacobi an Fichte, Hamburg 1799, S. 8 f. Vgl. Reinhard Lauth, Fichtes Verhältnis zu Jacobi unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Friedrich Schlegels in dieser Sache, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit, hg. von K. Hammacher, Frankfurt/M 1971, S. 165–208. 2

3

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geredet, »am Ende der Rezension aber Jacobis Mystizismus verdammt.«4 Hierbei handelt es sich jedoch um verschiedene Spielarten des Mystizismus. Positiv bewertet wird ein polemischer Mystizismus, der »Sinn, Herz und Urteil« gegen eine »Abgötterei der Vernunft« geltend mache, welche eine »gänzliche Trennung und Vereinzelung der menschlichen Kräfte« zur Folge habe (KFSA II, 58). Kritisiert wird dagegen Jacobis Akkommodation an die »vornehme […] Mystik einiger genialischen Christianer« nicht nur in der Terminologie, sondern auch in der »ernstliche[n] Tendenz auf eine unbedingte Hingebung in die Gnade Gottes.« (KFSA II, 77) Schlegels Position erschließt sich erst vor dem Hintergrund seiner in den Notizen der philosophischen Lehrjahre dargelegten Auffassung, daß die wahre, kritische Philosophie drei »Abarten« (KFSA XVIII, 4, Nr. 6) der Philosophie synthetisieren müsse, nämlich den Mystizismus, den Empirismus und den Skeptizismus. 5 Schlegel unterscheidet also nicht nur den wahren vom falschen Mystizismus, sondern bestimmt den Mystizismus insgesamt als aufzuhebendes Moment, als Gestalt der »p h i lo s op h i r e nd e [ n] U np h i lo s op h i e« (KFSA XVIII, 13, Nr. 101). Die frühromantische Rehabilitierung der »Schwärmer«, wie die Mystiker seit dem 18. Jahrhundert genannt werden, bedeutet daher nicht bloße Affirmation, sondern Aufhebung durch Kritik. So zitiert die polemische Rede vom Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit ja nicht nur Jacobi selbst aus seinem Gespräch mit Lessing (JWA 1, 20), sondern auch Kants Kritik des Mystizismus aus seinem im Mai 1796 erschienenen Aufsatz Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, worin es heißt, der mystische Takt sei »ein Übersprung (salto mortale) von Begriffen zum Undenkbaren« in »Erwartung von Geheimnissen, oder vielmehr Hinhaltung mit solchen.«6 Dieses Urteil gilt aber sicherlich nur für den falschen Mystizismus, und soweit Schlegel Jacobi einen solchen vorwirft, begibt er sich – wie er es ja als Kritiker überhaupt wollte und worauf Hans Eichner nachdrücklich hingewiesen hat – in die Rolle Lessings, um dessen »anti-Goezischen Feldzug auf das Gebiet der Hans Eichner, Einleitung zu KFSA II, XXII. Eichner bezeichnet dies als nur scheinbaren Widerspruch und verweist in diesem Zusammenhang auf den aus den Aufzeichnungen der Philosophischen Lehrjahre (KFSA XVIII) rekonstruierbaren Kontext der Schlegelschen Jacobi-Kritik. 5 Vgl. Andreas Arndt, Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel 1796–1801. in: Archiv für Begriffsgeschichte 35 (1992), S. 257–273. 6 AA VIII, 398. – Die Rezension des Woldemar, die Reichardt Schlegel wohl erst im Juli 1796 angetragen hatte (vgl. Friedrich Schlegel, Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hg. v. O. F. Walzel, Berlin 1890, S. 288), entstand erst nach dem Erscheinen des Kantischen Aufsatzes. 4

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Philosophie zu übertragen« (KFSA II, XXIII). Dessen Aufgabe ist es, die Rücksichtslosigkeit philosophischer Kritik, den »lo g i s c h e n E nt hu s i a s mu s«, das »reine[] Interesse an Erkenntnis und Wahrheit« (KFSA II, 6), gegenüber allen interessierten Vorurteilen, den subjektiven Wünschen und Zwecken, zur Geltung zu bringen. Jacobis Glaube an »eine verständige persönliche Ursache der Welt« (JWA 1, 20), der ihn nach seinem eigenen Bekunden zum salto mortale und »Kopf-unter« veranlaßt, gilt Schlegel darum auch nur als »ein individueller Optativ« (KFSA II, 69). Die Personalisierung seiner Jacobi-Kritik ist aus Schlegels Sicht nur die notwendige Folge einer Bindung der Philosophie an das subjektiv Gewollte bei Jacobi selbst. Dagegen kommt es darauf an, dem theologisch interessierten Vorurteil die philosophischen Krücken zu entwinden, um letztlich beiden – Philosophie und Religion – zu ihrem Recht zu verhelfen. In diesem Sinne atmet auch Friedrich Schleiermachers Aufkündigung jeder Bindung von Religion an die Philosophie von Seiten der Religion in seinen Reden über die Religion (1799) Schlegelschen Geist. Was aber ist nun der positive Begriff des Mystizismus, und wiefern ist auch dieser unzureichend und daher aufzuheben? Der Mystiker ist »Meister in der Urwissenschaft des Absoluten« (KFSA XVIII, 7, Nr. 39) und die obersten Meister sind keine Geringeren als Spinoza und Fichte.7 Sie sind aber durch das Absolute »ganz absorbirt«, was sie in Bezug auf die empirische Welt »durchaus unfähig macht und ungeschickt«, und so ist der Mystizismus als ausschließliche Beschäftigung mit dem Absoluten »der A b g r u nd in den alles versinkt« (KFSA XVIII, 3, Nr. 4). Im gleichen Sinne wird Hegel später in bezug auf Spinozas Substanz sagen, sie sei »die Negation alles Besonderen«. 8 Von den Mystikern müsse man »jetzt die Philosophie lernen« (KFSA XVIII, 5, Nr. 11), sofern die wahre Philosophie eine Philosophie des Absoluten sein müsse, aber das Wesen und der Anfang des Mystizismus sei »das willkührliche Setzen des Absoluten« (KFSA XVIII, 4, Nr. 7), dessen philosophische Annahme vielmehr, wie Schlegel betont, »analytisch gerechtfertigt und erwiesen werden« müsse. 9 Hier kommt, trotz Schlegels Abneigung gegen Vgl. KFSA XVIII, 5, Nr. 12: »S p i n o s a der beste uns bekannte Mystiker vor Fichte.« 8 »Die Seele muß sich baden in diesem Äther der einen Substanz, in der alles, was man für wahr gehalten hat, untergegangen ist. Es ist die Negation alles Besonderen, zu der jeder Philosoph gekommen sein muß« (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke, Bd. 20, Frankfurt/M 1970, S. 165). 9 KFSA XVIII, 512, Nr. 71. Vgl. Birgit Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus. Friedrich Schlegels philosophischer Grundgedanke zwischen 1796 und 1805, Würzburg 2001, S. 40 ff. 7

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den Empirismus, die Empirie ins Spiel, denn analytisch ist – im Unterschied zum deduktiv-synthetischen Verfahren der Wissenschaftslehre (und wohl auch der Ethik Spinozas, KFSA XVIII, 13, Nr. 100) – dasjenige Verfahren, welches Schlegel auch als »Totalisazion von unten herauf« beschreibt (KFSA XVIII, 68, Nr. 84). Für sich genommen, ohne Richtung auf das Absolute, ist der Empirismus jedoch nur »das willkührliche Vernichten des Absoluten Unbegränzten – das willkührliche Setzen einer absoluten Gränze.«( KFSA XVIII, 4, Nr. 7) Anzumerken bleibt noch, daß die Überwindung beider (willkürlichen) Einseitigkeiten – der empirischen Mannigfaltigkeit ohne Einheit und der leeren mystischen Einheit ohne Vielheit – in einem polemischen Verfahren erfolgt, welches mit dem Skeptizismus identifiziert wird. Im »Setzen einer unendlichen Menge von Widersprüchen« (KFSA XVIII, 4, Nr. 9) konstituiert er die Gegensätze zu einer »polemischen Totalität« (KFSA XVIII, 13, Nr. 98, 101), in der sich die »regulative Idee« der Mitteilbarkeit alles Wissens in einer potentiellen Allheit verschiedener Meinungen realisiert. Diese ist Bedingung des dialektischen Verfahrens im Schlegelschen Sinne, in welchem der Widerstreit kritisch zum Austrag gebracht und dadurch auch die zerstörerische Tendenz des Skeptizismus als einer »permanente[n] Insurrektion« (KFSA XVIII, 12, Nr. 94) überwunden wird. Hierfür nimmt Schlegel den Titel einer »kritischen Philosophie« in Anspruch, welche als »Synthesis der drei falschen (und einseitigen) Philosophien« auftritt (KFSA XVIII, 14, Nr. 112). In diesem Schlegelschen Tableau philosophischer Positionen nimmt Jacobi nun eine merkwürdige Zwischenstellung ein; er sei »ein empirischer Mystiker« (KFSA XVIII, 3, Nr. 3) bzw. mystischer Sophist (KFSA XVIII, 6, Nr. 26). Dies betrifft zunächst den subjektivistischen Ausgangspunkt, seinen »individuellen Optativ«: »J a kob i geht aus von einer empirischen Foderung und Aufgabe, von einem besondern O p t at iv ; ist also ein Empiriker, aber ein mystischer. Er verdient den Namen eines Mystikers nicht.« (KFSA XVIII, 9, Nr. 60) Es ist aber nicht nur der Ausgangspunkt bei der empirischen Subjektivität, der »Fr i e d r i c h - H e i n r i c h - J ac ob i h e it« (KFSA II, 68), der Jacobi in Schlegels Augen zum Empiriker stempelt, sondern ebenso die von ihm geforderte Anerkennung eines personalen Gottes, welche die Philosophie nicht zu befriedigen vermag: »Seltsamer Haß in J a kob i gegen den Spinosism. Dieß ist Unvermögen, ein empirisches Bedürfniß, Furcht. Er ist nicht zufrieden mit dem my s t i s c h e n G o t t ; sondern will noch einen empirischen. Er ist nicht einmahl ein rechter Mystiker.« (KFSA XVIII, 7f, Nr. 41) An anderer Stelle heißt es, ihm sei »Spinosa bloß nicht anthropomorphistisch genug.« (KFSA XVIII, 91, Nr. 744) Für Schlegel hat Jacobi also eine empiristische Auffassung der Vernunftgegenstände, die aber eben keine Gegenstän-

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de der Erfahrung sein können. Weil also die Philosophie ihm die individuell gewünschte Vorstellung eines personalen Gottes nicht zu geben vermag – so wenig, wie sie Romeo seine Julia verschaffen kann –, handele Jacobi wie Shakespeares Romeo: »Hang up philosophy! / Unless philosophy can make a Juliet« (KFSA II, 70). Jacobi ist derjenige, der seine Julia – und nicht die Sophia – »von ganzer Seele« liebt und sich »nichts aus der Wahrheit« macht: »so darf er nur durch einen dreisten Machtspruch den Zweifeln Stillschweigen gebieten; er wird glücklich, u nd h ä n g t d i e P h i lo s o p h i e .« (KFSA II, 71) Diese Hinrichtung, so wird man annehmen müssen, bleibt jedoch letztlich nur ein frommer Wunsch: in Wahrheit versucht Jacobi nach Schlegels Ansicht wohl nur die Selbstvernichtung als Philosoph, indem er sich in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit stürzt. Aber nicht einmal bis zu dieser Konsequenz bringt es Jacobi, denn blind vor Liebe erblickt er zwar nicht in jedem Weib die Helena, wohl aber in der Sophia auch seine Julia: »Er trennt die Philosophie von der herabgesetzten Vernunft, und behauptet, Philosophie überhaupt sei nichts anders als was die seinige wirklich ist: der in Begriffe und Worte gebrachte Geist eines individuellen Lebens.« (KFSA II, 71) In einer 1797 niedergeschriebenen Notiz resümiert Schlegel: »J a kob i’s Salto mortale ist nur ein blinder Lerm. Er bleibt immer da wo er ist, ob er gleich nie ruhig sein kann, in der Klemme.« (KFSA XVIII, 116, Nr. 1049) Wie aber läßt sich diese vernichtende Kritik, die von Jacobi nur Inkonsequenz und Unvermögen übrig läßt, mit den Berichten über Schlegels intensive Jacobi-Lektüre unmittelbar vor Ausarbeitung der WoldemarRezension zusammenbringen? Nach einem Bericht Novalis’, den Jean Paul am 27. Januar 1800 Jacobi brieflich mitteilte, habe Schlegel alle dessen Werke »auf einmal studiert, verschlungen, gepriesen, gesagt, er werde in seinem Leben keine solche Zeile machen können; darauf sich immer tiefer hineingearbeitet«.10 Ähnliches berichtete bereits 1798 Herder.11 Tatsächlich aber hatte sich durch die intensive Lektüre von 1796 nur Schlegels bereits Jahre vorher gebildetes Urteil verfestigt. 1792/93 war er durch die Lektüre des Allwill fasziniert, dessen »einziger Inhalt« die Vernunft sei, verstanden

Vgl. Novalis, Schriften, hg. von R. Samuel in Zusammenarbeit mit H.-J. Mähl und G. Schulz, Darmstadt 1975, Bd. 4: Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse, S. 653 (Nr. 104). Jean Paul bezieht sich auf ein Gespräch, das er wohl im Oktober 1798 in Leipzig mit Novalis geführt hatte. 11 Herder an Jacobi, 10. 12. 1798, in: Oscar Fambach, Das grosse Jahrzehnt in der Kritik seiner Zeit, Berlin 1958 (ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik, Bd. 4), S. 73. 10

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als »Grundtrieb […] nach dem Ewigen.«12 Freilich vermißte er schon damals die Einigkeit der Jacobischen Vernunft mit dem Verstande, dem »Triebe nach deutlichen Begriffen, nach klarer Einsicht«, weshalb er es auch verzeihen wollte, Jacobi einen »Feind der Vernunft« zu nennen.13 Weshalb aber konnte trotz dieser durchgängigen Kritik Jacobi immer wieder die Aufmerksamkeit Schlegels beanspruchen und ihn sogar faszinieren? Offenbar deshalb, weil sich seine Philosophie, jenseits aller Kritik, in ein produktives Verhältnis zu einer philosophischen Problemlage bringen ließ, die Schlegel allererst und am meisten beschäftigte: nämlich die Vollendung der Kantischen Philosophie, in deren Zentrum für ihn die Kritik der reinen Vernunft stand und aus der er sein Programm einer kritischen Philosophie herleitete. Jacobi sollte dabei helfen, dort weiter zu gehen, wo Kant »au f h a lb e m We g e s t e h e n g ebl i eb e n« war (KFSA XVIII, 59, Nr. 398). Auch bei ihm sind nach Schlegel, wenn auch auf andere Weise als bei Jacobi, spekulativer Geist – dialektischer Vernunftgebrauch – und Buchstabe – Verstandesbegriffe14 – nicht zur Einheit gebracht: »Kant hat mehr Verstand als Vernunft, versteht mehr die Vernunft, als daß er sie selbst schöpferisch hätte.« (KFSA XVIII, 60, Nr. 400) Für Schlegel käme es offenbar darauf an, die Vernunft nicht nur zu verstehen – d. h. unter Verstandesbegriffe zu bringen –, sondern dieses begriffliche Verständnis für den Umgang der Vernunft mit ihren Gegenständen produktiv zu machen. Ein entscheidendes Vehikel hierfür ist Jacobis rein rationale Rekonstruktion der Philosophie Spinozas, die er implizit gegen den Verdacht eines schwärmerischen Mystizismus in Schutz nimmt.15 Der Generalvorwurf des Fatalismus besagt ja, daß Spinoza das Ganze als in sich vollständig kausal vermittelt und daher auch rational erklärbar ansieht. Hiergegen richtet sich Jacobis grundlegender Einwand, den Schlegel in seiner Rezension des Woldemar auch (wenn auch unvollständig) anführt: »Wir können nur Aehnlichkeiten demonstriren; und jeder Erweis setzt schon Erwiesenes zum voraus, wovon das Prinzipium Offenbarung ist.«16 Dies gilt aber nach Schlegel »nur An A. W. Schlegel, 16. 10. 1793, KFSA XXIII, 143. – Zur Entwicklung des Verhältnisses Schlegels zu Jacobi vgl. zusammenfassend die Einleitung von Ernst Behler in KFSA VIII, XXX–XXXVII. 13 An A. W. Schlegel, 17. 11. 1793, KFSA XXIII, S. 158. 14 Vgl. KFSA XVIII, 5, Nr. 15: »Der Mystiker […] haßt nicht nur den Buchstaben sondern auch den B e g r i f f . A p o l o g i e d e s B u c h s t ab e n s , der als einziges ächtes Ve h i ke l d e r M i t t h e i lu n g s e h r e h r w ü rd i g i s t .« 15 Vgl. Susanna Kahlefeld, Dialektik und Sprung in Jacobis Philosophie, Würzburg 2000, S. 30 ff. 16 JWA 1, 124; vgl. – auch zum folgenden – KFSA II, 72: »Was Jacobi dafür 12

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wider diejenigen Denker, welche von einem einzigen Erweis ausgehn«, also nach seiner Terminologie deduktiv-synthetisch statt analytisch verfahren und – wie Spinoza und Fichte – das Absolute als Prinzip willkürlich setzen. Damit widerspricht Schlegel zugleich Jacobis These, daß jede konsequent rationale Philosophie in Spinozismus, verstanden als Fatalismus (und Atheismus), münde. Für ihn gibt es vielmehr eine rationale Alternative, die er als Wechselerweis bezeichnet: »Wie wenn nun aber ein von außen unbedingter, gegenseitig aber bedingter und sich bedingender We c h s e l e r we i s der Grund der Philosophie wäre?« (KFSA II, 72) Der endlose Regreß des Bedingens wird hier nicht – und dies setzt Schlegel zugleich in schärfsten Gegensatz zu Fichte und aller Grundsatzphilosophie – durch ein außerhalb dieser Reihe liegendes Unbedingtes unterbrochen, sondern Schlegel greift den spinozistischen Gedanken der Inhärenz des Bedingten bzw. Endlichen im Unbedingten so auf, daß die Totalität des Bedingten das Unbedingte selbst ist. Der Wechselerweis ist nichts anderes als die Form des Begründens im kritisch-dialektischen Verfahren als einer »Totalisazion von unten herauf«. Diese Begründung wäre erst vollständig in einer »A l l h e it der Wechselerweise« (KFSA XVIII, 505, Nr. 2), die nach Schlegels Auffassung unmöglich erreicht werden kann, weil sie (wie auch ein vollständiges Verstehen) eine tote, nicht mehr progressiv im Werden begriffene Welt voraussetzen würde. Hierin liegt für Schlegel eine Grenze der Philosophie, nämlich die Unerkennbarkeit des Unbedingten an und für sich als der Totalität des Bedingten, auf die das Wissen doch notwendig abzielt. Er bringt dies in eine Entsprechung zu dem, was Kant als dialektischen Vernunftgebrauch bezeichnet. Während aber bei Kant die Vernunft darin immer wieder auf den Verstand zurückgeworfen wird, will Schlegel eine solche bloß verstehende Vernunft vermeiden. Auch an diesem Punkt greift er auf Jacobi zurück, und zwar ausgerechnet auf die Figur des willkürlichen Sprunges: »Jacobi kennt den Idealismus nicht, weil er nicht einsieht, daß der willkührliche Sprung zugleich ein nothwendiges Aus sich herausgehn der Philosophie ist, was allemal ein In sich zurück gehen zur Folge haben muß.« (KFSA XVIII, 358, Nr. 459) In Schlegels kritischer Philosophie ist dieser Sprung die dialektische Ironie als ein provisorisches Totalisieren aller Gegensätze zu einer Einheit, die sich aber als solche nicht festhalten läßt, sondern auf das erneute Durchdringen des Bedingten zurückverweist.17 Der Sprung aus der Verstandesrationalität

anführt: ›daß jeder Erweis schon etwas Erwiesenes voraussetze‹ (Spin. S. 225)«; Schlegel zitiert die 2. Auflage. 17 Vgl. Andreas Arndt, Dialektik und Hermeneutik. Perspektiven einer frühroman-

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ist nur legitim, wenn er als Orientierung für den Verstand vollzogen wird und die Rückkehr zu den Verstandesbegriffen einschließt. Dies ist, wie eingangs erwähnt, nicht das letzte Wort Schlegels in Sachen Jacobi. Noch 1802 wiederholt er jedoch seine Kritik: »Jakobi ein eben so grosser Feind der M or a l als der P h i lo s op h i e – Seine Moral setzt P f l i c ht – und W i l l k ü h r so lange entgegen bis es reißt, und Ergebung an die Gottheit entsteht, d. h. die Moral aufhört und der Mensch sich in die Religion stürzt.« (KFSA XVIII, 474, Nr. 30) Wenig später wird Schlegel selbst sich in die Religion stürzen und der Vernunft abschwören, um die er mit Jacobi gerungen hatte. Sein Verhältnis zu ihm wird jedoch auch unter veränderten Vorzeichen zweideutig bleiben, denn Jacobis Sprung in den Glauben erscheint ihm noch immer als Ergebnis eines individuellen Optativs, jetzt freilich nicht mehr im Gegensatz zu den objektiven Imperativen des Wissens, sondern zur Positivität der geoffenbarten Religion.18

II. Friedrich Schleiermacher Schleiermachers Auseinandersetzung mit Jacobi und – durch Jacobi vermittelt – mit Spinoza fand lange vor der Begegnung mit Friedrich Schlegel 1797 statt und datiert auf 1793/94. Schleiermacher studierte sowohl das SpinozaBuch (in der 2. Auflage) als auch Jacobis David Hume. Seine im Nachlaß erhaltenen Aufzeichnungen betreffen nicht nur den Spinozismus und eine Kurze Darstellung des Spinozistischen Systems, sondern auch »dasjenige in Jakobis Briefen und Realismus was den Spinoza nicht betrift, und besonders […] seine eigene Philosophie«.19 Zwar läßt sich hieraus eine eigene Stellungnahme zu Jacobis Philosophie nicht direkt entnehmen, das Manuskript bezeugt jedoch in jedem Falle, daß Schleiermacher Jacobi mehr war als nur ein Vermittler Spinozas. Hingegen veranlaßt die Lektüre Schleiermacher zu tischen Konzeption, in: Philosophie – Geschichte – Reflexion, hg. v. Thomas Rentsch, Dresden 2004, S. 65–85. 18 Vgl. Walter Jaeschke, Die hohle Nuß der Subjektivität oder: Über die Verklärung der Philosophie ins Positive, in: Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, hg. von A. Mues, Hamburg 1989, S. 483– 496. 19 KGA I/1, 585; vgl. ebd. S. 513–597. – Eine starke Betonung der Bedeutung Jacobis für Schleiermachers eigene Position findet sich bei Eilert Herms, Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher, Gütersloh 1974, indem er der Lektüre von 1793 das Resultat einer Konzeption des unmittelbaren Realitäts- und Selbstbewußtseins zuspricht (vgl. S. 224, 229, 235, 251) und damit Schleiermachers weiterer Entwicklung eine auf Jacobis Philosophie gründende Konti-

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einer systematischen Konfrontation der Spinozistischen Metaphysik mit der Kantischen Vernunftkritik, in der er – völlig unabhängig von den Jenaer Debatten – auf Positionen geführt wird, die weitgehend mit den frühromantischen Positionen übereinkommen. 20 In dem Manuskript Kurze Darstellung des Spinozistischen Systems heißt es hierzu, der Kantianismus scheine, »wenn er sich selbst versteht, auf Spinozas Seite zu seyn« (KGA I/1, 570). Begründet wird dies damit, daß das Verhältnis des Unendlichen zum Endlichen bei Spinoza insoweit mit dem Verhältnis von Noumenon und Phainomenon bei Kant zusammenstimme, als beide in dem Bedürfnis übereinkommen, »den Dingen unsrer Wahrnehmung ein anderes Daseyn unterzulegen welches außer unserer Wahrnehmung liegt« (KGA I/1, 573). Spinozas Fehler, auf dem »die einzige Differenz zwischen ihm und Kant« (KGA I/1, 575) beruhe, bestehe darin, »eine positive Einheit und Unendlichkeit zu behaupten« (KGA I/1, 574), obwohl die uns einsehbaren Attribute Gottes oder des Unendlichen auch bei ihm letztlich nur unserem eigentümlichen Vorstellungsvermögen entsprächen. Diese Konfrontation läuft auf eine wechselseitige Korrektur beider Positionen aneinander hinaus: Spinoza macht dem kritischen Idealismus Kants die unabdingbare Voraussetzung eines bewußtseinstranszendenten Seins und damit einer objektiven Philosophie deutlich; Kant hingegen macht dem Spinozismus deutlich, daß dieses Sein für uns nur im Rahmen begrenzter subjektiver Erkenntnisvermögen und nicht an und für sich thematisierbar ist. 21 Jacobis eigene Sicht Spinozas spielt in dieser Konstruktion keine Rolle, jedoch hat Schleiermacher hierzu im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Mystizismus später auch Stellung genommen. Im Unterschied zum frühen Friedrich Schlegel ist der Mystizismus für Schleiermacher keine Abart der Philosophie, sondern das Andere zur Philosophie. »Der scheinbare Streit der neueren PopularPhilosophie gegen den Mysticismus«, so heißt es in einem Brief an C.G. v. Brinckmann vom 19. 7. 1800, habe Jacobi »die falsche Meinung beigebracht, als ob es in der That einen Streit zwischen der Philosophie und der Mystik geben könne, da doch im Gegentheil jede nuität unterstellt. Vgl. hierzu kritisch und korrigierend Günter Meckenstock, Deterministische Ethik und kritische Theologie. Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789–1794, Berlin / New York 1988, v. a. S. 13–15. 20 Vgl. Andreas Arndt, Gefühl und Reflexion. Schleiermachers Stellung zur Transzendentalphilosophie im Kontext der zeitgenössischen Kritik an Kant und Fichte, PLS 2, 105–126. 21 Zum Verhältnis Schleiermachers zu Spinoza in der weiteren Entwicklung vgl. Andreas Arndt, Schleiermachers Spinoza, in: Kontexte. Spinoza und die Geschichte der Philosophie, hg. v. H. Pisarek u. M. Walther, Wroclaw 2001, S. 203–220.

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Philosophie denjenigen der soweit sehen kann und soweit gehn will auf eine Mystik führt.«22 Dies ist aber für Schleiermacher schon ein Überschreiten der Philosophie, denn der »Schein« des Zusammenhanges von Philosophie und Mystik komme nur daher, »weil sie sich in der Tangente berühren«. Weil Jacobi dies nicht erkannt habe, polemisiere er gegen die Philosophie, wenn er in Wahrheit eine andere als seine eigene Mystik meine. 23 Dieses Verfahren habe »Schlegeln auf den Gedanken gebracht daß Jacobis Wesen in einem unauslöschlichen Haß gegen alle Philosophie bestände.« Auch in Bezug auf Spinoza glaubt Schleiermacher, daß Jacobi »mehr dessen Mystik als dessen Philosophie angegriffen habe, in deren Eigenthümlichkeit er vielleicht gar nicht recht eingedrungen zu sein scheint.« Damit wird implizit Jacobis rein rationale Rekonstruktion des Spinozismus verabschiedet, denn offenbar ist Schleiermacher der Ansicht, daß jede Philosophie letztlich auf einer individuellen, mit philosophischen Mitteln nicht zwingend zu machenden mystischen Anschauung beruhe, die ihr das Gepräge gebe. In Bezug auf Schlegels JacobiKritik bedeutet dies, daß Schleiermacher so etwas wie einen individuellen Optativ affirmiert, der sich in der mystischen Ansicht ausspricht, ihn aber keineswegs als Gegensatz zu den objektiven Imperativen des philosophischbegrifflichen Denkens verstanden wissen will. Spinozas Mystik ist die, welche in den Reden über die Religion beschworen wird: die Anschauung des Universums, Sinn und Geschmack für das Unendliche. Jacobis Mystik ist die des personalen Gottes. Er täuscht sich für Schleiermacher aber darin, daß beide Formen der Mystik als philosophische Alternativen verhandelt werden könnten bzw. die Abwehr der einen Anlaß zum Ausstieg aus der philosophischen Rationalität geben könnte, denn in Wahrheit befinden sich beide schon immer jenseits der Grenzen der Philosophie. Zur Beförderung dieser Einsicht erwartete Schleiermacher, wie er es im Juni 1801 brieflich formulierte, auch »Gutes« vom Schellingschen Identitätssystem und dessen Gegensatz zu Fichte: »Ich denke, es wird nun einmal über die Grenze der Philosophie gesprochen werden müssen, und wenn

KGA V/4, 169; die folgenden Zitate S. 169 f. Schleiermachers Argumentation ist an dieser Stelle unklar. Einerseits unterstellt er, daß zwischen Philosophie und Mystik kein Zusammenhang bestehe, andererseits will er Jacobi nahelegen, nur gegen diejenige Philosophie zu polemisieren, »welche nicht auf seine [sc. Jacobis] Mystik führt; er polemisirt aber gegen jede die nur irgendwo aufdukt« (KGA V/4, 169). Unklar bleibt, in welchem Sinne eine bestimmte Philosophie auf eine bestimmte Mystik führen kann (denn dies unterstellt Schleiermacher offenbar), und unklar bleibt weiterhin, was es heißen soll, wenn eine Philosophie nicht nur gegen Jacobis Mystik, sondern überhaupt »irgendwo« aufduckt. 22 23

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die Natur außerhalb derselben gesezt wird, so wird auch Raum gewonnen werden auf der andern Seite jenseits der Philosophie für die Mystik. Fichte muß sich freilich während dieser Operation mit seiner bornirten Virtuosität im Idealismus sehr übel befinden; aber was schadet das.«24 In der Folge verschiebt sich dann freilich Schleiermachers Präferenz von Spinoza zu Platon. Bereits in den Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803) wirft er Spinoza Mangel an poetischem Sinn vor und kritisiert dessen Auffassung der höchsten Wissenschaft als zu logisch ausgerichtet – eine deutliche Annäherung an Jacobis Charakteristik des Spinozismus: »Ob aber die höchste Wissenschaft selbst so logisch, als Spinoza sie aufbaut, oder so wie Platon sie nur nach einer poetischen Voraussetzung des höchsten Wesen hinzeichnet, einen festen Grund habe, dieses zu beurtheilen, ist nicht des gegenwärtigen Orts.« (KGA I/4, 66). Das poetische Element der Philosophie ist wohl mit dem »Mystizismus« zu identifizieren, den Schleiermacher weiterhin vor allem gegenüber Fichte, seinem philosophischen Hauptgegner, einforderte. »Es ist doch nichts lieber Freund«, so heißt es 1803 in einem Brief an den Verleger Georg Andreas Reimer, »mit einer Philosophie die so bloß auf dialektischem Grunde ruht ohne allen Mysticismus wie es mit dem Idealismus in Fichte der Fall ist.«25 Im Einklang mit dieser Auffassung fordert Schleiermacher im Brouillon zur Ethik (1805/06) ein Gleichgewicht »zwischen der Gesinnung und dem wissenschaftlichen Triebe. Jenes Uebergewicht giebt Religion, die aber beim wissenschaftlichen Beginnen in falsche Mystik ausartet. Dieses Uebergewicht giebt dialektische Virtuosität, die aber beim Ausfüllen des wissenschaftlichen Fachwerkes das Rechte nicht finden kann.«26 »Mystik«, »Poesie« und »Gesinnung« bezeichnen somit das Andere zur Philosophie, welches deren Rationalitätsanspruch begrenzt. Mit der schleichenden Abwertung des Spinozismus zugunsten des Platonismus begibt sich Schleiermacher dabei auch in der Abwehr einer rein rationalen Philosophie immer mehr in die Nähe Jacobis: mit ihrer Ausrichtung auf das Logische bzw. Dialektische erscheinen Spinoza und Fichte jetzt geradezu als die Anti-Mystiker par excellence; noch in Vorarbeiten zu der späten Einleitung zur Dialektik (1833) wird Spinozas Ethik als Muster für ein philosophisches System angeführt, das – wie auch Fichtes Wissenschaftslehre – »eine Wissenschaft des Wissens aufzustellen bestimmt ist.« (KGA II/10, 371) Statt An Ehrenfried von Willich, 25. 6. 1801, KGA V/5, 159. An Reimer, Juni 1803, in: Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, hg. von L. Jonas und W. Dilthey, Berlin 1861, Bd. 3, S. 350. 26 Schleiermacher, Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, in: Werke, Auswahl in vier Bänden, hg. von Otto Braun, Leipzig 1913, Bd. 2, S. 81. 24

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eine »Wissenschaft des Wissens aufzustellen in der Hoffnung, dadurch von selbst dem Streit ein Ende zu machen«, komme es aber darauf an, »eine Kunstlehre des Streitens aufzustellen in der Hofnung, dadurch von selbst auf gemeinschaftliche Anfangspunkte für das Wissen zu kommen.« (KGA II/10, 372) Auf diesem Wege, welchen Schleiermacher mit seiner Dialektik geht, behalte die »Wissensliebe« das letzte Wort und nicht ein liebeleeres Wissen (vgl. KGA II/10, 373). Schleiermachers eigene philosophische Prinzipienlehre, die Dialektik, beruht darauf, daß der philosophischen Rationalität Grenzen derart gesetzt werden, daß der Grund des Wissens diesem absolut entzogen wird. Die Idee Gottes bezeichnet als der transzendentale Grund alles Wissens und Handelns das Unbedingte, von dem alles Bedingte abhängt und seinen Ausgang nimmt. Sie ist Idee der Gewißheit im Wissen und des Gewissens im Handeln, 27 die wir im Gefühl als der »relativen Identität des Denkens und Wollens« »haben« (KGA II/10, 142, § 215). Sie läßt sich aber nicht als ein Wissen vollziehen, weil der Begriff Gottes an sich leer bleibt, da ihm keine organische Affektion entspricht, d. h. weil er – Kantisch gesprochen – kein möglicher Gegenstand von Erfahrung ist. Einen solchen leeren, gleichwohl aber notwendigen Begriff bezeichnet Schleiermacher als (indirektes) Schema, wie z. B. die Termini »Absolutes«, »höchste Einheit«, »Identität des Idealen und Realen« (KGA II/10, 145, § 216, 8). Für Schleiermacher ist die Idee der Gottheit gleichwohl »das charakteristische Element des menschlichen Bewußtseins überhaupt«, welches in jedem seiner Akte auf gleiche Weise – nämlich unmittelbar – präsent ist (KGA II/10, 148, § 221). Korrelat der Gottesidee als der Idee des Unbedingten ist die Idee der Welt als Idee der Totalität des Bedingten, in der alles »unter der Form des Gegensazes« steht. 28 Als Totalität des Endlichen bestimmt sie, Schleiermacher zufolge, »auch die Grenze unseres Wissens. Wir sind an die Erde gebunden. Alle Operationen des Denkens, auch das ganze System der Begriffsbildung muß darin gegründet sein.«29 Schon aufgrund der Endlichkeit unseres Erfahrungsbereichs aber liegt die »Idee (der problematische Gedanke) der Welt d. h. der Totalität des

Vgl. KGA II/10, 141 (§ 214) und S. 143 (§ 216, 1). Ebd., S. 49 (Aufzeichnungen zum Kolleg 1811). – Zu den Wandlungen in der Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Welt vgl. Heinz Kimmerle, Schleiermachers Dialektik als Grundlegung philosophisch-theologischer Systematik und als Ausgangspunkt offener Wechselseitigkeit, in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. von K.-V. Selge, Berlin / New York 1985, S. 39–59. 29 KGA II/10, 148 (Kolleg 1811). – Vgl. zur Problematik der Denkgrenze in Schleiermachers Dialektik Peter Weiß, Einige Gesichtspunkte zur Problematik der Denk27

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Seins als Vielheit gesezt, […] ebenfalls außerhalb unseres realen Wissens.« (KGA II/10, 147, § 218) Daher ist die Idee der Welt auch »transcendental auf eigne Weise« (KGA II/10, 148, § 221); sie markiert die Grenze einer Totalität des Wissens, die nie erreicht wird, die aber dem Wissenwollen zugrunde liegt und vom werdenden Wissen angestrebt wird. Sie ist somit der »transcendentale terminus ad quem und das Princip der Wirklichkeit des Wissens in seinem Werden.« (KGA II/10, 149, § 222) Daß Gott und Welt Korrelate seien, besagt, daß sie weder (im Sinne des deus sive natura) identifiziert noch im Sinne einer »schlechten Mystik«30 entgegengesetzt werden dürfen; dies hat auch Konsequenzen für das Verhältnis von Philosophie und Religion bzw. Theologie, sofern die religiöse Besetzung der Gottesidee nicht weniger adäquat ist als ein mystischer Transzendentalismus, auf den die Philosophie führt. Hieran macht sich nun für Schleiermacher die einzige noch verbleibende große Differenz zu Jacobi fest, den er im übrigen bereits 1803 für prädestiniert hielt, der »olympische Jupiter« der Philosophie (in Analogie zu Goethes Rolle in der Poesie) zu sein31 und um dessen Anerkennung und Liebe er immer wieder warb. 1818 kam es dann in München zu einer Begegnung zwischen Schleiermacher und Jacobi, die auch literarische Folgen hatte. Jacobi hatte Schleiermacher den Text seines Briefes an Reinhold vom 8. 10. 1817 zukommen lassen, in dem sich die bekannte Aussage findet: »durchaus ein Heide mit dem Verstande, mit dem ganzen Gemüthe ein Christ, schwimme ich zwischen zwei Wassern, die sich mir nicht vereinigen wollen so, daß sie gemeinschaftlich mich trügen; sondern grenze in den verschiedenen Entwürfen der Dialektik Schleiermachers, in: Schleiermacher in Context, hg. von R. D. Richardson, Lewiston, Queenston, Lampeter 1991, S. 203–226. 30 Vgl. hierzu bereits eine 1802 niedergeschriebene Notiz: »Das höhere Leben ist ununterbrochen fortgehende Beziehung des Endlichen aufs Unendliche. Dieses in Verbindung gesezt mit dem Beziehen des Endlichen auf einander ist das wahre Philosophiren. Diese lezten Beziehungen um jener willen aufheben, das ist was man im schlechten Sinne Mystik nennen kann« (KGA I/3, 322). – Vgl. hiermit die Formulierung in der ersten Dialektik-Vorlesung 1811: »In dem Maaß als die Weltanschauung mangelhaft ist bleibt die Idee der Gottheit mythisch. Oder wenn sie doch abgesondert von jener unter die strenge Form des Denkens gebracht werden soll, wird sie unhaltbar« (KGA II/10, 38). 31 Vgl. an C. G. v. Brinckmann, 26. 11. 1803, in: Aus Schleiermacher’s Leben (Anm. 25), Bd. 4, S. 83: »In der Philosophie sind Gott sei Dank die Revolutionen gar zu schnell gewesen, als daß man von einer S e k t e reden könnte. Auch giebt es da leider keinen olympischen Jupiter. Jacobi hätte es zu sein verdient, und hätte es werden können, wenn es ihm gefallen hätte, tüchtige ganz unpolemische Darstellungen seiner Philosophie zu geben, und sich dann weiter in nichts zu mischen«.

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wie das eine mich unaufhörlich hebt, so versenkt zugleich auch unaufhörlich mich das andere.«32 Hierauf erwidert Schleiermacher unter Bezug auf seine Dialektik: »Sie sind mit dem Verstand ein Heide mit dem Gefühl ein Christ. Dagegen erwiedert meine Dialektik Heide und Christ sind als solche einander entgegen gesezt auf demselben Gebiet, nämlich dem der Religion; haben auf dieses Verstand und Gefühl so gleiche Ansprüche, daß sie sich theilen könnten in die entgegengesezten Formen? Die Religiosität ist die Sache des Gefühls; was wir zum Unterschiede davon Religion nennen, was aber immer mehr oder weniger Dogmatik ist, das ist nur die durch Reflexion entstandene Dolmetschung des Verstandes über das Gefühl. […] Mein Saz dagegen ist also der ich bin mit dem Verstande ein Philosoph, denn das ist die unabhängige und ursprüngliche Thätigkeit des Verstandes und mit dem Gefühl bin ich ganz ein Frommer und zwar als solcher ein Christ«. 33 Schleiermacher möchte Jacobi auf eine Position verpflichten, von der aus der Streit über Spinozismus und Personalität Gottes als philosophisch gegenstandslos erscheint: »Wir können einmal aus dem Gegensaz zwischen dem idealen und dem realen oder wie Sie ihn sonst bezeichnen wollen, denn das gilt mir gleich, nicht heraus. Können Sie Gott als Person irgend besser anschauen als sie ihn als natura naturans anschauen können?« (PLS 3/1, 397) Schleiermacher sah sich einer endgültigen Verständigung mit Jacobi so nahe, daß er erwog, diesem seine im Entstehen begriffene Glaubenslehre zu widmen. 34 Jacobis Tod verhinderte jedoch eine endgültige Klärung dieses Verhältnisses und damit auch dieses Vorhaben. Wahrscheinlich hätte Jacobi sich Schleiermachers Widmung zwar nicht ausdrücklich verbeten, sie aber doch nicht als Zeichen einer Übereinstimmung in der Sache anerkennen können. Denn im Unterschied zu Schleiermacher hatte Jacobi wohl eher ein Gespür dafür, daß Religion und Philosophie sich nicht mehr in einer Art prästabilierter Harmonie im Gleichgewicht halten ließen, wie es in Schleiermachers Brief mit dem Bild kommunizierender Röhren versinnlicht wird. Wenn Jacobi sich gegen sein Herz mit dem Verstand als Heide bekennt, so ahnt er zumindest, daß die Philosophie sich in ihrem Begründen unwiderruflich auf sich selbst gestellt hatte und keiner Rücksicht auf Glaubensinhalte unterworfen werden konnte. Diese Situation, die Jacobi an der Philosophie verzweifeln läßt und ihn allererst zum Sprung nötigt, um seine Integrität als Person wahren zu können, hat Schleiermacher PLS 3/1, 393. An Jacobi, 30. 3. 1818, auf der Grundlage der Handschrift neu ediert von A. Arndt und W. Virmond, PLS 3/1, 395. 34 Vgl. die Einleitung von Hermann Peiter zu KGA I/7, XXVI. 32 33

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so wenig in ihrer Härte ernstgenommen wie andere Entgegensetzungen der Moderne. Für ihn ist die Moderne vielmehr gerade durch ein »schlechthin unmittelbares« Verhältnis zur Idee der Gottheit 35 gekennzeichnet, wodurch jede Entgegensetzung prinzipiell schon immer relativiert ist, denn diese Idee ist dialektisch nichts anderes als die Idee der absoluten Identität. Der frühe Schlegel indessen steht hier quer zu Jacobi und Schleiermacher, denn für ihn führt philosophisch kein Weg aus den Entgegensetzungen heraus. Selbst der dialektische Sprung in die Totalität ist nicht der Sprung auf den festen Grund der Identität, sondern in etwas absolut Widersprüchliches und darum auch nicht Festzuhaltendes: »Eine Idee ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen«. 36 Indem dieser absolute Widerspruch gleichwohl rational thematisiert werden kann, scheint bei Schlegel erstmals der Gedanke einer rational nachvollziehbaren Selbstvermittlung des Ganzen als des Absoluten auf. Vor der Konsequenz dieses Gedankens bewahrt dann in der Tat nur noch die Flucht in die Unmittelbarkeiten.

Vgl. Schleiermacher, Ästhetik, hg. von Th. Lehnerer, Hamburg 1984, S. 49. Athenaeum-Fragment 121; KFSA II, 184; vgl. auch KFSA XVIII, 123, Nr. 4: »Ideale sind erreichbar, denn sie beruhen alle auf Synthesis und Widerspruch, Schweben, Schwanken.« 35

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III. IDEALISMUS – SKEPTIZISMUS – REALISMUS

Von der Vorstellung zur Darstellung. Realismus in Jacobis »David Hume« von Gottfried Gabriel

Das Thema meines Beitrags ist Jacobis Verteidigung des Realismus im Sinne der Anerkennung einer materiellen Außenwelt. Jacobis Realismus ist demnach metaphysischer Art. Festzuhalten ist, daß es in der Geschichte der Philosophie niemanden gegeben hat, der nicht wenigstens die Existenz einer empirischen oder phänomenalen Außenwelt anerkannt hat; auch der gute Bischof Berkeley ist hier – ungeachtet wiederholter Unterstellungen – keine Ausnahme. Bestritten hat Berkeley allerdings die Existenz der Materie. Als fraglich gilt in der Diskussion zwischen Realisten und Idealisten nur die Seinsweise der Außenwelt, ob diese ontologisch als materiell zu bestimmen ist oder nicht. Als weiteres Problem schließt sich an, worauf sich die Anerkenntnis der Außenwelt gründet. So hat Kant es für einen »Skandal der Philosophie« gehalten, die Realität der Außenwelt »bloß auf G l aub e n annehmen zu müssen« (KrV, B XXXIX), und folgerichtig einen Beweis versucht. Heidegger hat gegen Kant und die Tradition geltend gemacht, daß der Skandal nicht darin bestehe, keinen Beweis zu haben, sondern einen solchen überhaupt zu erwarten und zu versuchen.1 Heidegger zufolge ist der Cartesische methodische Zweifel, der mit seinem Rückgang auf die Ideen des einsamen solipsistischen Subjekts zu einer Trennung von res cogitans und res extensa, von Vorstellungen der Dinge und den Dingen selbst, führt, von Anfang an zu verwerfen. Das Unternehmen einer Letztbegründung ist der philosophische Sündenfall, der den Menschen durch eine Spaltung zwischen Subjekt und Objekt aus dem ›Paradies‹ lebensweltlicher Einheit vertrieben hat – in die Fremde, in die Entfremdung. Charakteristisch für die Behandlung des Realitätsproblems in der neuzeitlichen Philosophie ist somit nicht nur die Frage der Existenz selbst, sondern auch die Frage des epistemischen Modus ihrer Anerkennung, ob dieser ein solcher des Wissens oder des Glaubens ist. Nach geläufiger philosophischer und auch alltäglicher Auffassung (›Glauben heißt nicht Wissen‹) steht 1

Martin Heidegger, Sein und Zeit, 15. Aufl. Tübingen 1979, S. 205.

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das Wissen über dem Glauben: Glauben ist ›bloß‹ ein defizienter Modus des Wissens. Diesem Verständnis entspricht die Standarddefinition von Wissen als begründeter wahrer Glaube (justified true belief). Glaube wird dabei mit Meinung (doxa) auf eine Stufe gestellt, der es im Unterschied zum Wissen an einer Begründung mangele. Dies ist die Perspektive der Wissenschaft. Autoren, die im Gegensatz zu dieser seit Platon üblichen Hierarchie den Glauben über das Wissen stellen, betonen demgegenüber die Perspektive des Lebens und stellen den Aspekt des Vertrauens heraus, der den Glauben auszeichne. Nun hat auch Kant das theoretische Wissen einer Beschränkung unterworfen, um in praktischer Absicht »zum G l aub e n Platz zu bekommen« (KrV, B XXX). Dabei unterschied er bereits den Glauben positiv von der Meinung: Während Meinen ein Fürwahrhalten ist, das weder subjektiv noch objektiv zureichend begründet ist, ist der Glaube zwar nicht objektiv, aber doch subjektiv zureichend begründet, d. h. ihm kommt das Moment der »Überzeugung« zu. 2 Allerdings bleibt er (im Verhältnis zum subjektiv und objektiv zureichend begründeten Wissen) epistemisch gesehen ›bloß‹ Glaube mit Blick darauf, was wir nicht »wissen« können, sondern allenfalls »hoffen« dürfen. Dieser Kantische Hintergrund, vor dem die Einlassungen Jacobis zu sehen sind, läßt es historisch verständlich erscheinen, daß jemand, der den Glauben nicht dem religiösen Hoffen beläßt, sondern als Grundlage des Wissens selbst reklamiert und damit über das Wissen stellt, in den Verdacht des Fideismus gerät. Betrachten wir die Sache losgelöst von dieser historischen Situation, so finden wir Jacobi zusammen mit Hume, Hamann, Fichte, Fries, Kierkegaard, Weininger und Wittgenstein in einer gewiß ›bunten‹ Gesellschaft von ›Männern des Glaubens‹, deren Zusammensetzung einen solchen pauschalen Verdacht zumindest bedenklich erscheinen läßt. Gemeinsam ist allen diesen Autoren der Gedanke, daß das Moment der Überzeugung nicht dem objektiven Wissen, sondern gerade dem subjektiven Glauben eignet. Der Glaube wird nicht mehr negativ in der Weise bestimmt, daß ihm die objektive Begründung zum Wissen fehlt, sondern positiv dadurch charakterisiert, daß ihn die subjektive Gewißheit gegenüber dem Wissen auszeichnet. Anders als bei Kant wird dem objektiven Wissen nicht eo ipso Gewißheit zugebilligt. 3 Das Junktim von Wissen und Gewißheit wird gesprengt und Gewißheit an den Glauben gebunden. Dies ist das zentrale Thema von Wittgensteins Über Gewißheit.

KrV, B 850. Vgl. auch Kants Logik, AA IX, 66 ff. Kant unterscheidet noch die subjektive »Ü b e r z e u g u n g (für mich selbst)« und »die objektive G e w i ß h e i t (für jedermann)«, KrV, B 850. 2

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Von der Vorstellung zur Darstellung

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Das Interesse an Jacobi, das die folgenden Überlegungen veranlaßt hat, ist von daher ein abgeleitetes. Es wurde geweckt durch die Feststellung von überraschenden Parallelen zwischen Wittgensteins und Jacobis Erörterungen zum Begriff des Glaubens. Für jemanden, der die Trennung zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie ohnehin für eine unglückliche Entwicklung hält, bietet sich hier ein willkommener Anlaß, Gemeinsamkeiten hervorzuheben, und dies bei Autoren, von denen man es vorderhand nicht erwarten würde. Wittgenstein hat nicht viele philosophische Autoren gelesen, Texte Jacobis mit Sicherheit nicht. Wenn zwei Autoren, die, wie man zu sagen pflegt, nichts miteinander zu tun haben, zu ähnlichen Ergebnissen kommen, so muß dies zumindest zu denken geben. Heuristisch läßt sich eine solche Übereinstimmung – positiv betrachtet – als Anzeichen von Wahrheit oder – negativ gesehen – als Hinweis auf einen Grundirrtum bewerten. In beiden Fällen lohnt sich eine problemorientierte Analyse. Mir ist nicht bekannt, ob die Gemeinsamkeiten in der Sekundärliteratur zu dem einen oder zu dem anderen Autor bemerkt worden sind. Vermutlich nicht, da die Welten ihrer Leser und Interpreten (bislang noch) zu weit auseinander liegen. Die heimliche Verwandtschaft findet indirekt auch in den analogen Kontroversen um die Einschätzung beider Autoren ihren Ausdruck. Für Jacobi und Wittgenstein gilt, daß ihre jeweiligen Kritiker sie der Gegenaufklärung zurechnen, während ihre Verteidiger sie ganz im Gegenteil als radikale Aufklärer sehen, die die Aufklärung über sich selbst aufgeklärt haben. 4 Die Argumentationslage, die ich hier nicht im einzelnen nachzeichnen kann, ist in beiden Fällen kompliziert und unterschiedlich gelagert. Der Verdacht, daß Jacobi und Wittgenstein der Gegenaufklärung zuzurechnen sind, wird insbesondere dadurch genährt, daß sie den Glauben über das Wissen stellen bzw. das Wissen auf dem Glauben aufruhen lassen. Die Übereinstimmung reicht so weit, daß sie das Verhältnis von Glauben und Wissen exemplarisch mit Blick auf die erkenntnistheoretische Frage nach der Existenz der Außenwelt erörtern. Aus der Sicht Jacobis geht es darum, wie jemand von der »Vorstellung« von Gegenständen in seinem Bewußtsein zu der Behauptung kommt, »daß seinem Bewußtseyn sich etwas ausser ihm darstelle.« (JWA 2, 32) Hierauf spielt der Titel meines Beitrages an. Demgemäß will ich meine Ausführungen auch auf dieses Thema beschränken. So (im Falle Jacobis) Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 38 ff.; ferner (im Falle Wittgensteins) Friedrich Kambartel, Wittgensteins späte Philosophie. Zur Vollendung von Kants Kritik der wissenschaftlichen Aufklärung, in: ders., Philosophie der humanen Welt, Frankfurt a. M. 1989, S. 146–159. 4

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Dabei bin ich mir über die bloß exemplarische Rolle des Außenweltproblems durchaus im Klaren. Beiden Autoren geht es darum, den Glauben grundsätzlich über das Wissen zu stellen, wobei Jacobi unter anderem die glaubende Anerkennung der Existenz eines persönlichen Gottes im Blick hat. Für Wittgenstein ist ein solcher Glaube dagegen lediglich eine mögliche Option. Seine Argumentation ist weniger gezielt auf bestimmte Glaubensinhalte bezogen, sondern kategorialer Art. Er legt sich nicht auf ein bestimmtes »Weltbild« fest, sondern versucht zu zeigen, daß für jedes Weltbild, auch das wissenschaftliche, gilt: »Am Grunde des begründeten Glaubens [des Wissens, G. G.] liegt der unbegründete Glaube.«5 Bevor ich mich den sachlichen Fragen zuwende, möchte ich zunächst eine genealogische Aufklärung der Gemeinsamkeiten vorlegen, die einen Vergleich nicht nur systematisch interessant, sondern auch historisch plausibel erscheinen läßt. Auf den ersten Blick liegt es nahe, in Humes Philosophie eine gemeinsame Quelle zu vermuten. Kommen doch in Wittgensteins Überlegungen Humesche Argumente ganz offensichtlich ins Spiel, auch wenn der Name nicht fällt. Jacobi bezieht sich ausführlich auf Hume und führt dessen Namen sogar im Titel seiner Schrift auf. 6 Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß er sich vor allem aus rhetorischen Gründen auf Hume beruft. Nachdem er in Reaktionen auf die Veröffentlichung des Briefwechsels mit Mendelssohn (1785) bezichtigt wurde, er würde »einen blinden Glauben lehren, und die Vernunft herabwürdigen« (JWA 2, 18), versuchte er in seiner Verteidigungsschrift, mit der wir es hier vorwiegend zu tun haben, nachzuweisen, daß sein Verständnis des Ausdrucks ›Glaube‹ sogar von einem Atheisten wie Hume geteilt werde. In dem Wortstreit mit seinen Kritikern bedient sich Jacobi lediglich, wie er in ironisch-polemischer Absicht selbst erklärt, der »Autorität« Humes (JWA 2, 24). Dabei verweist er (in der Anmerkung) auf Descartes’ Begründung für dessen Strategie, sich bei Veröffentlichungen der Autorität der Sorbonne zu versichern: »weil die Wahrheit an sich so wenig gilt.« Und Jacobi fügt ausdrücklich hinzu: »Daß die Sorbonne für den Cartesius selbst keine Autorität war, bedarf wohl keiner Erinnerung.« Analoges gilt demnach für sein Verhältnis zu Hume, der also aus strategischen und weniger aus inhaltlichen Gründen als Instanz angeführt wird. Die inhaltlichen Unterschiede werden von Jacobi zum Teil selbst benannt. Gemeinsam ist beiden Autoren, daß sie den Glauben an eine Außenwelt Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit, in: Werkausgabe, Bd. VIII, Frankfurt a. M. 1989, § 253. 6 Vgl. Günther Baum, Vernunft und Erkenntnis. Die Philosophie F. H. Jacobis, Bonn 1969, S. 17–22. 5

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lebensweltlich als unhintergehbar erachten. Bei Hume handelt es sich dabei allerdings um ein aus der Skepsis erwachsenes Zugeständnis an den gesunden Menschenverstand. Bei ihm bleibt dieser Glaube bloß Glaube, über den wir nicht hinauskommen. Diesem Verständnis entspricht auch Kants Formulierung des »Skandals der Philosophie«. Für Jacobi ist der Glaube dagegen eine eigene positive Instanz des Fürwahrhaltens, die dem Fürwahrhalten aus Vernunftgründen zudem notwendig vorausgeht, und zwar nicht nur psychologisch-genetisch, sondern auch geltungstheoretisch mit Blick auf Begründungsfragen. Eine solche epistemische Aufwertung des Glaubens findet sich nicht bei dem Skeptiker Hume, sondern bei seinem Kritiker Thomas Reid, dem Klassiker der Philosophie des Common Sense. Insbesondere Jacobis Deutung der Erkenntnis von Dingen der Außenwelt entspricht paßgenau dem direkten Realismus der unmittelbaren Wahrnehmung, wie er von Reid vertreten wird. Jacobi ist viel stärker von Reid abhängig als sein eher beiläufiger Hinweis auf ihn vermuten läßt.7 Die Philosophie Reids bietet sich auch als genealogischer Ursprung der Gemeinsamkeiten zwischen Jacobis und Wittgensteins Behandlung des Realitätsproblems an. Bei Wittgenstein wird Reid zwar nicht erwähnt, es verläuft aber eine Rezeptionslinie über George Edward Moore. Den kritisierten Bezugspunkt von Über Gewißheit liefern Moores Aufsätze Defense of Common Sense und Proof of the External World, 8 deren Argumentation auf zentrale Überlegungen Reids zurückgreift. Da Moore jedoch Reid namentlich nicht erwähnt, dürfte Wittgensteins Bekanntschaft mit diesem lediglich eine indirekte sein. 9 Um so überraschender ist es, daß Wittgensteins Kritik an Moore Züge der ursprünglichen Auffassung Reids trägt, dergemäß die Anerkennung der Existenz von Außendingen im Modus eines unbegründbaren, aber unerschütterlichen Glaubens und nicht (wie bei Moore) im Modus eines unbegründbaren, aber gewissen Wissens erfolgt. Auffällig ist,

JWA 2, 22. Vgl. hierzu die maßgebliche Untersuchung von Manfred Kuehn, Scottish Common Sense in Germany, 1768–1800, Kingston 1987, S. 158–166; ferner George di Giovanni, Hume, Jacobi, and Common Sense. An Episode in the Reception of Hume in Germany at the Time of Kant, in: Kant-Studien 89 (1998), S. 44–58. Den Einfluß Reids auf Jacobi betont bereits Baum, Vernunft und Erkenntnis (Anm. 6), S. 17. Vgl. die Ausführungen S. 42– 49. 8 Abgedruckt in: George Edward Moore, Philosophical Papers, London/New York 1959. Dt. in: Ders., Eine Verteidigung des Common Sense. Fünf Aufsätze aus den Jahren 1903–1941. Mit einer Einleitung von Harald Delius, Frankfurt a. M. 1969. Seitenangaben beziehen sich auf die dt. Ausgabe. 9 Vgl. Keith Lehrer, Thomas Reid, London / New York 1991, S. 6. 7

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daß Wittgenstein sogar die Beispiele Reids (»I feel a pain; I see a tree«) 10 variiert, wenn er zu zeigen versucht, daß es unbezweifelbare Gewißheiten gibt, von denen wir aus kategorialen Gründen nicht sagen können, daß wir sie wissen. Es ist bekannt, daß Wittgensteins Philosophie fortlaufend im Wandel begriffen war. Nicht ohne Grund spricht man von Wittgenstein I und Wittgenstein II. Trotz grundlegender Änderungen gibt es aber auch durchgehende Stränge in Wittgensteins Denken. Dazu gehört von Anfang an die Ablehnung einer auf Wissen gegründeten Weltauffassung, wie sie etwa der Wiener Kreis zu seinem Programm erhoben hat. (Insofern ist es ein grundlegendes Mißverständnis, Wittgenstein diesem Positivismus zuzurechnen.) Dabei ist Wittgenstein kein Feind des Wissens und der Wissenschaft, er besteht aber darauf, daß unsere Lebensorientierungen nicht in wissenschaftlichen Erklärungen ihren Abschluß finden können. Hier sehe ich – bei allen Unterschieden, die es im folgenden noch zu betrachten gilt – die wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen Jacobi und Wittgenstein. Wenn Wittgenstein Reid gar nicht gelesen hat, so stellt sich natürlich die Frage, ob es unabhängig von der genannten britischen Genealogie noch eine kontinentale Querverbindung von Jacobi zu Wittgenstein gibt. Dies ist tatsächlich der Fall. Wittgensteins Philosophie des Glaubens geht eindeutig auf Otto Weininger zurück. Da Weininger in seine Überlegungen Fichte einbezieht, 11 führt somit auch ein direkterer Weg von Jacobi zu Wittgenstein, ohne den ›Umweg‹ über Reid. Insbesondere spricht sich Weininger ausdrücklich dagegen aus, »daß das Vermuten mit dem Glaubenstitel bekleidet wird« und betont: »Die letzten Sätze der Logik, der Satz des Widerspruchs und der Identität, können nicht mehr g e w u ßt , sondern müssen geglaubt werden.«12 Hier ist an Fichtes Erklärung zu erinnern: »Der Hauptgrund aller Irrungen dieser Gegner [seiner Wissenschaftslehre, G. G.] mag wohl der sein, dass sie sich nicht recht deutlich gemacht, was b e we i s e n heisse, und daher nicht bedacht, dass aller Demonstration etwas schlechthin Undemonstrierbares zu Grunde liege. Auch darüber hätten sie sich bei Jacobi belehren können, welcher diesen Punkt, so wie noch viele andere Punkte, von denen sie gleichfalls nichts wissen, völlig ins reine gebracht.«13 Weininger deutet an, daß der

Thomas Reid, An Inquiry Into the Human Mind, On the Principles of Common Sense, hg. von Derek R. Brookes, Edinburgh 1997, S. 167. 11 Otto Weininger, Über die letzten Dinge, Wien 1904, ND München 1980, S. 149, 152. 12 Ebd., S. 144. 13 Johann Gottlieb Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), in: Fichtes sämmtliche Werke, hg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. I, S. 508. 10

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Rückgang auf den Glauben aus transzendentalen Gründen erfolgt, weil jeder Versuch, solche letzten Sätze zu beweisen oder zu widerlegen, sie bereits als wahr voraussetze.14 Als »Resultat von höchster Wichtigkeit« hält er sodann fest, »daß alles W i s s e n auf dem G l aub e n beruht«.15 Doch nun zu den inhaltlichen Fragen von Jacobis Verteidigungsschrift David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, die den Ausgangspunkt meiner Überlegungen darstellt. Ungewöhnlich, wenn auch nicht außergewöhnlich, ist bereits die im Untertitel genannte literarische Form des »Gesprächs«, das freundschaftlich (und nicht als kontroverser Dialog) zwischen dem Jacobischen »Ich« und einem kantianisch gesonnenen »Er« geführt wird. Diese Form ist sicher nicht nebensächlich, kommt in ihr doch bereits die für Jacobi grundlegende Anerkennung des ›fremdseelischen‹ Du durch ein Ich zum Ausdruck, das sich durch dieses Gegenüber allererst selbst erfährt, gemäß der Auffassung, wie sie Jacobi bereits in seinen Briefen an Mendelssohn geltend gemacht hatte: »denn ohne Du, ist das Ich unmöglich«.16 In der Ausgabe seiner Werke, die noch von ihm selbst veranlaßt worden ist, stellt Jacobi dem Gespräch eine umfangreiche »Vorrede« voran, deren Untertitel »zugleich Einleitung in des Verfassers sämmtliche philosophische Schriften« den besonderen Stellenwert dieser Schrift hervorhebt. Gleich zu Beginn der Vorrede heißt es dementsprechend: »Die in dem Werke über die Lehre des Spinoza von dem Verfasser aufgestellte Behauptung: A l l e m e n s c h l i c h e E rke n nt n i ß g e h e au s vo n O f f e nb a r u n g u nd G l aub e n , hatte in der deutschen philosophischen Welt ein allgemeines Aergerniß erregt. Es sollte durchaus nicht wahr seyn, daß es ein Wissen aus der ersten Hand gebe, welches alles Wissen aus der zweyten (die W i s s e n s c h a f t) erst bedinge, ein Wissen oh n e B e we i s e , welches dem Wissen au s B e we i s e n nothwendig vorausgehe, es begründe, es fortwährend und durchaus beherrsche.« (JWA 2, 375) Im weiteren Verlauf der Vorrede wird deutlich, daß das Problem der Realität der Außenwelt eher ein Nebenschauplatz des Jacobischen Denkens ist, ein willkommener Anlaß, um ganz andere Realitäten zur Anerkennung zu bringen. Letztlich geht es ihm nicht um das Problem der Wahrnehmung sinnlicher, sondern »übersinnlicher« Dinge, und zwar im wörtlichen Sinne eines Wahr-nehmens. So müsse es »befremden«, daß es ein »Skandal der Weininger, Über die letzten Dinge (Anm. 11), 145. Ebd., S. 149. 16 JWA 1, 116. – Vgl. dazu Klaus Hammacher, Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, München 1969, S. 38– 48. 14

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Philosophie« sein solle, keinen Beweis für die Realität der äußeren Dinge zu haben, während es dagegen nicht als Skandal angesehen werde, »daß wir uns unvermögend bekennen müssen, die Realität der Gegenstände der Vernunftbegriffe, oder die objective Gültigkeit der I d e e n : Gottes Daseyn, Freyheit, Substantialität und Unsterblichkeit des eigenen Geistes wissenschaftlich wahr zu machen oder zu b e we i s e n .« (JWA 2, 394) Damit zielt Jacobi nicht auf eine Rehabilitierung der von Kant kritisierten metaphysischen Beweise der Existenz solcher Vernunftgegenstände, sondern auf die Anerkennung eines unmittelbaren Zugangs zu ihnen gemäß der folgenden Analogie: »Wie es eine sinnliche Anschauung gibt, eine A n s c h auu n g durch den S i n n , so giebt es auch eine rationale Anschauung durch die Ve r nu n f t .« (JWA 2, 402) Anzumerken ist hier, daß sich Jacobis Ansichten in der Vorrede in einem wichtigen Punkt von seiner früheren Auffassung unterscheiden. Während er ursprünglich für die Erkenntnis der (von Kant so genannten) noumenalen Gegenstände einen besonderen »Sinn« als »das Vermögen der unmittelbaren Gewißheit« annahm, sieht er nun die Vernunft als dieses Vermögen an (JWA 2, 64 Fußnote). Jacobis Strategie scheint es zu sein, die Erkenntnis der Sinnesgegenstände als ein Analogon zu der Erkenntnis von Vernunftgegenständen zu präsentieren. Wenn man bereits im ersteren Fall auf den Glauben angewiesen bleibt, so hat man im zweiten Fall erst recht keinen Grund, eine solche Erkenntnisquelle zurückzuweisen. Dieses Motiv erklärt, warum Jacobi so nachdrücklich darauf besteht, daß wir es »unbegreiflich« finden müssen, das Dasein von Dingen »ausser uns« erkennen zu können, so daß sich unsere »Überzeugung« hier auf nichts anderes »als gerade zu auf eine Offenbarung« stütze (JWA 2, 33). Wenn ich es richtig sehe, funktionalisiert Jacobi das Realitätsproblem mit dem Ziel, die Fähigkeit zu intellektueller Anschauung zur Anerkennung zu bringen. Mit diesem Versuch, der für jeden Kantianer eine Zumutung darstellt, werde ich mich im folgenden nicht weiter beschäftigen. Sagen wir, weil dies nicht mein Thema ist. Was nun die Frage anbelangt, ob unser epistemisches Verhältnis zu den Dingen der Außenwelt als Wissen oder als Glaube zu bestimmen ist, habe ich mit Jacobi weniger Probleme und ›glaube‹ mich auf seiner Seite zu ›wissen‹, wobei ich allerdings das metaphysische Realitätsproblem in dem Sinne für ein Scheinproblem halte, als es argumentativ nicht zu lösen ist.17 Von einer materiellen Außenwelt kann danach nur im Sinne des Vgl. Gottfried Gabriel, Das Realitätsproblem. Ein »Skandal der Philosophie«?, in: Rationalität, Realismus, Revision. Vorträge des 3. internationalen Kongresses für Analytische Philosophie, hg. von Julian Nida-Rümelin, Berlin/New York 1999, S. 816–823. 17

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empirischen Begriffs der Materie die Rede sein, und der einzige Realismus, dessen es bedarf, ist Jacobi zum Trotz (vgl. JWA 2, 20) der empirische Realismus im Sinne Kants, der nicht so heißt, weil er empirisch begründet ist, sondern weil er ein Realismus im Felde des Empirischen ist. Um die Pointe von Jacobis Argumentation herauszuarbeiten, ist ein Blick auf seine ursprüngliche Mitteilung an Mendelssohn, die die ganze Kontroverse ausgelöst hat, hilfreich: »Lieber Mendelssohn, wir alle werden im Glauben gebohren, und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft gebohren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen: […] Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Ueberzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus der zweyten Hand […], entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen seyn.« (JWA 1, 115) Dieses Zitat macht deutlich, daß der Glaube nicht naturalistisch wie bei Hume verstanden wird, sondern als Grundzug des gesellschaftlichen Lebens, geradezu als ein Existential unseres »In-der-Welt-seins« (Heidegger) aufzufassen ist. Mit der Anerkennung einer Gewißheit aus erster Hand, welche »keiner Beweise bedarf« und »alle Beweise ausschließt«, 18 verwendet Jacobi eine Charakterisierung, wie sie von Aristoteles über Leibniz bis zu Frege übereinstimmend für die unmittelbar gewissen oder ›evidenten‹ Grundgesetze oder Axiome der Logik und der Wissenschaft geltend gemacht worden ist, daß diese nämlich »eines Beweises weder fähig noch bedürftig« seien. Dabei bewegt sich die anschließende terminologische Festlegung, daß »jedes F ü r wa h rh a lt e n , welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist,« (JWA 1, 116) noch im Rahmen des Üblichen. Die logische Tradition reserviert den Terminus ›Glaube‹ allerdings für ein unbegründetes Fürwahrhalten, das der Begründung bedürftig ist, während sie im Falle der Axiome von einem unmittelbaren ›Wissen‹ spricht. Diese Umbenennung, die den Glauben zur Grundlage des Wissens erhebt, darf als das eigentliche »Ärgernis« gelten und nicht die Anerkennung eines Wissens »ohne Beweise«, wie Jacobi nachträglich in der Vorrede zum David Hume meint.19 Die ProvokaVgl. hiermit den abweichenden Wortlaut der beiden ersten Auflagen, JWA 1, 115: Dort steht »Gründe« statt »Beweise«. 19 Vgl. (die bereits zitierte Stelle) JWA 2, 375. 18

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tion bestand nicht darin, einer unmittelbaren Gewißheit das Wort zu reden, sondern darin, diese Gewißheit epistemisch dem Modus des Glaubens und nicht des Wissens zuzuweisen. Dabei zählt Jacobi zu den gewissen Grundeinsichten die Existenz der Außenwelt und des Fremdseelischen: »Durch den Glauben wissen wir, daß wir einen Körper haben, und daß außer uns andere Körper und andere denkende Wesen vorhanden sind.« (JWA 1, 116) Die größte Provokation dürfte aber darin bestanden haben, daß Jacobi diese Glaubenseinsicht emphatisch als eine »wahrhafte, wunderbare Offenbarung« darstellt (ebd.). Sie sei eine Offenbarung, die alle Menschen »zwingt zu glauben und durch den Glauben ewige Wahrheiten anzunehmen« (ebd.). Die hier vollzogene Übertragung des Status der Axiome der Mathematik auf die Wahrnehmung geht auf Reid zurück, der dadurch der Wahrnehmung von Außendingen, wie z. B. der Wahrnehmung eines Baumes, den Status eines (unmittelbaren) epistemischen Objektsehens zuweist. 20 Mit dem Stichwort ›Offenbarung‹ scheint Jacobi die Grenze zur Religion zu überschreiten. Gleichwohl, wenn die Unterscheidung zwischen epistemischem und religiösem Glauben (von ›belief‹ und ›faith‹ bei Hume) auch deutlicher hätte hervorgehoben werden können, vermengt hat Jacobi die beiden Bereiche nicht. Ausdrücklich nennt er den religiösen einen »andern Glauben« (JWA 1, 116). Hinzukommt, daß beiden Formen des Glaubens tatsächlich etwas gemeinsam ist, nämlich das Moment der subjektiven Gewißheit, das sich in der von Jacobi betonten Perspektive des Lebens als Vertrauen äußert. In diesem Sinne verwendet sogar Hume den Ausdruck ›faith‹ auch im epistemischen Kontext des Glaubens an eine Außenwelt: »It seems evident, that men are carried, by a natural instinct or prepossession, to repose faith in their senses; and that, without any reasoning, or even almost before the use of reason, we always suppose an external universe, which depends not on our perception, but would exist, though we and every sensible creature were absent or annihilated.«21 Es ist dieses Moment des Vertrauens, welches bereits von Reid (engl.

Thomas Reid, An Inquiry Into the Human Mind (Anm. 10), S. 172. Vgl. auch Reid, Essays On the Intellectual Powers of Man, hg. v. Derek R. Brookes, Edinburgh 2002, S. 96–101. Bekannt war Jacobi wohl eher mit diesem Werk. Auszüge in deutscher Sprache sind erschienen in: Philosophische Bibliothek von J. G. H. Feder und Chr. Meiners, Bd. I, Göttingen 1788, S. 43–62. 21 David Hume, Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals, hg. von L. A. Selby-Bigge, 3. Aufl. hg. von P. H. Nidditch, Oxford 1975, S. 151, Hervorhebung G. G. – Die Stelle wird auch bei Jacobi zitiert (JWA 2, 25 Anm.), ohne daß dieser sie sich zunutze macht. 20

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›trust‹) herausgestellt wird, 22 das Jacobi letztlich im Blick zu haben scheint, wenn er im Leben den Glauben über das Wissen stellt. Von hier aus läßt sich die Brücke zu Wittgenstein schlagen. Dessen Analysen zum Verhältnis von Glauben, Wissen und Gewißheit werde ich nun entfalten, um diese dann zum besseren Verständnis und zur Verteidigung von Jacobis Position in der Realitätsfrage einzusetzen. 23 Wissen verlangt für Wittgenstein die Möglichkeit des Irrtums. Wo dieser ausgeschlossen ist, bleibt auch der Zweifel unsinnig. Und wenn der Zweifel unsinnig ist, gibt es zwar Gewißheit, aber kein Wissen. Wissen ist gerade nicht, wie z. B. bei Descartes, mit Gewißheit verbunden. Pointiert und scheinbar paradox formuliert: Gewisses ist nicht Gewußtes. Der Tractatus liegt terminologisch noch nicht ganz auf dieser Linie, insofern hier noch ein Zusammenhang zwischen (apriorischem) Wissen und Gewißheit hergestellt wird. 24 Der Unterschied ist aber eher terminologischer Art. Die spätere Auffassung ist der Sache nach dadurch vorbereitet, daß alles Apriorische im eigentlichen Sinne nicht bewiesen werden kann. Der Unterschied zwischen dem frühen und dem späten Wittgenstein betrifft lediglich die Bestimmung dessen, was den unbegründeten und unbegründbaren Grund ausmacht, auf dem wir stehen. An die Stelle der idealen Logik (im Tractatus) tritt nun (in den Philosophischen Untersuchungen) das reale Leben. So wie wir früher nicht hinter die Logik, so kommen wir nun nicht hinter das Leben zurück. Gegenstand von Wittgensteins Kritik in der Spätphilosophie ist (ähnlich wie bei Heidegger) die bewußtseinsphilosophische Tradition, die von den Ideen und nicht den Dingen ausgeht und dem Wissen vom Eigenpsychischen eine methodische Vorrangstellung als unbezweifelbar einräumt. Danach stellt sich nicht nur das Wissen von der physischen, sondern auch von der psychischen Außenwelt, also das Wissen, das ich von meinen Mitmenschen (vom Fremdpsychischen) habe, als ein abgeleitetes Wissen dar. In seiner Privatsprachenkritik 25 versucht Wittgenstein sprachanalytisch darzulegen, daß es ein Mißbrauch des Wortes ›wissen‹ sei, es ausgerechnet auf Eigenpsychisches zu beziehen. Wenn damit das Eigenpsychische als Paradigma von Wißbarem ausgeschlossen wird, so freilich nicht, um es skeptisch in Zweifel zu ziehen, sondern um es vor dem Zugriff einer wissenden Verobjektivierung in Sicherheit zu bringen. Seine Überlegungen weitet Wittgenstein schließlich Reid, An Inquiry Into the Human Mind (Anm. 10), S. 169 f. Die folgenden Ausführungen sind zum Teil übernommen aus: Gottfried Gabriel, Grundprobleme der Erkenntnistheorie, 2. Aufl. Paderborn 1998, Abschn. 5.6 f. 24 Vgl. Wittgenstein, Tractatus 6.3211–633. 25 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 243 ff., besonders § 246. 22 23

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zu einer allgemeinen Kritik wissenschaftlicher Weltvergewisserung aus, die in Über Gewißheit zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Glauben und Wissen führt. Ausgangspunkt ist das Realitätsproblem, so daß hier ein direkter Vergleich mit den Ausführungen Jacobis möglich wird. Über Gewißheit bietet uns nun so etwas wie eine Explikation des Begriffs ›unbegründetes Wissen‹ oder, da Wittgenstein die Rede von ›Wissen‹ für unangemessen hält, des Begriffs ›unbegründete Gewißheit‹ bzw. ›unbeweisbare Gewißheit‹. Den Anstoß für seine Überlegungen geben G. E. Moores Begriffe des Wissens und Beweisens. In dem Aufsatz Beweis einer Außenwelt findet sich die folgende Passage: »Ich kann jetzt z. B. beweisen, daß zwei menschliche Hände existieren. Wie? Indem ich meine beiden Hände hochhebe, mit der rechten Hand eine bestimmte Geste mache und sage ›Hier ist eine Hand‹, und dann hinzufüge, wobei ich mit der linken Hand eine bestimmte Geste mache, ›Hier ist noch eine‹. Und wenn ich, indem ich dies tue, ipso facto die Existenz von Außendingen bewiesen habe, werden Sie alle einsehen, daß ich es auch auf eine Vielzahl von anderen Weisen tun kann: es ist überflüssig, noch weiter Beispiele anzuhäufen.«26 Zum richtigen Verständnis dieser Passage gehört es, sich die beschriebenen Gesten in einer ›Performance‹ rhetorisch zu vergegenwärtigen. Propositional ist deren Überzeugungskraft nur schwer einzuholen. Moore selbst beschreibt seinen »Beweis« so, daß er aus der Prämisse »Hier ist eine Hand und hier ist noch eine« den Schluß ziehen könne »Es existieren in diesem Augenblick [mindestens] zwei menschliche Hände« und damit auch (»ipso facto«) bewiesen habe »Es existieren [mindestens zwei] Außendinge«. Der Beweis besteht formal betrachtet in den folgenden Schritten: Aus der Konjunktion zweier (singulärer) Elementaraussagen der Form »a ist eine Hand« und »b ist eine Hand«, wobei a und b verschieden sind, wird zunächst auf die folgende Existenzaussage geschlossen: »Es gibt ein x und es gibt ein y, wobei x und y verschieden sind, für die gilt: x ist eine Hand und y ist eine Hand« (kürzer: »Es gibt mindestens zwei Hände«). Unter Verwendung der Allaussage »Für alle x gilt: wenn x eine Hand ist, so ist x ein Außending« wird sodann geschlossen, daß es mindestens zwei Außendinge gibt. Wir werden uns hier nicht mit der Klärung der Begriffe ›Existenz‹, ›Außendinge‹ usw. aufhalten, denen Moore seine Analysen widmet. Der eigentliche Aufhänger für Wittgensteins Kritik ist nur die Prämisse, und zwar in dem Sinne, daß Moore betont, daß sein Beweis nicht als Beweis anzuerkennen sei, wenn die Prämisse »nicht etwas gewesen wäre, von dem ich w u ßt e , daß es

26

Moore, Eine Verteidigung des Common Sense (Anm. 8), S. 178.

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der Fall ist«. 27 Von Wittgenstein wird nun bestritten, daß man solche Sätze überhaupt wissen könne. Wichtig ist dabei wiederum, die Verneinung des Wissens nicht im Sinne des Skeptizismus zu deuten, wie Moore dies getan hätte: »Wie absurd es wäre, anzunehmen, daß ich es nicht wußte, sondern nu r glaubte, und daß es vielleicht nicht der Fall war!«28 Daß Glauben für Moore (wie für die erkenntnistheoretische Tradition) ein defizienter Modus des Wissens ist, geht hier aus dem »nur« hervor. Genau diese Vorrangstellung des Wissens gegenüber dem Glauben wird von Wittgenstein ›umgedreht‹. In einem wichtigen Punkt stimmen Moore und Wittgenstein allerdings überein, daß nämlich ein Satz wie »Hier ist eine Hand« nicht beweisbar, aber gewiß sei. Trotzdem, und darauf besteht Moore, wisse er Sätze dieser Art: »Ich kann Dinge wissen, die ich nicht beweisen kann.«29 Damit setzt Moore Wissen und Gewißheit gleich. Bei Wittgenstein sind dagegen Wissen und Gewißheit getrennt. Wissen könne man nur etwas, was man auch sinnvoll bezweifeln könne. Gewißheit bestehe dagegen dann, wenn ein solcher Zweifel ausgeschlossen sei. Anders als Moore bringt Wittgenstein Wissen mit Beweisen, Gewißheit dagegen mit Glauben in Verbindung. Die prinzipiellen Unterschiede werden deutlich in Wittgensteins Bewertung des epistemischen Status von Sätzen des Typs »Hier ist eine Hand«, die man heute geradezu »Mooresche Sätze« nennt. Da es nicht sinnvoll sei, einen solchen Satz zu bezweifeln, habe auch die positive Aussage, daß man deren Wahrheit wisse, keinen Sinn. 30 Aussagen über die Unbezweifelbarkeit der Mooreschen Sätze sind ihrerseits kategorialer Art. Kategoriale (logische, grammatische) Erläuterungen haben nicht »sagenden« (beweisenden), sondern »zeigenden« (aufweisenden, aufdeckenden) Charakter. Aufgedeckt werden Voraussetzungen, die unausgesprochen unserem Reden und Handeln ›immer schon‹ als transzendentale Bedingungen zugrunde liegen. Diese Transzendentalität besteht für Wittgenstein relativ zu bestimmten Lebensformen. Sie ist also – anders als bei Kant – nicht lebensforminvariant. Eine Begründung ist vielmehr eine Begründung auf gemeinschaftlichem Boden. Jemandem, der uns diesen Boden streitig machen wollte, d. h. seine Verläßlichkeit bestreiten würde, widerlegen wir durch das transzendentale Argument, daß er auf dem bestrittenen Grund in seinem Bestreiten bereits steht, d. h. wir machen ihn darauf aufmerksam, wir zeigen ihm, daß sein Zweifel »sinnlos« ist. 27 28 29 30

Ebd. Ebd., S. 179. Hervorhebung G. G. Ebd., S. 184. Wittgenstein, Über Gewißheit, § 58.

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Von hier aus gilt es nun abschließend den Bogen zurück zu Jacobi zu schlagen. Wichtige Unterschiede bleiben bestehen: Jacobi geht durch die Metaphysik hindurch und treibt sie bis in Konsequenzen, die im Widerspruch zum Leben stehen, um dann selbst den Sprung ins Leben des Glaubens zu wagen. Wittgenstein läßt sich dagegen nicht auf die Metaphysik ein, sondern bemüht sich, die Wörter von ihrer metaphysischen Bedeutung auf die des alltäglichen Lebens zurückzuführen. Gemeinsam bleibt beiden die indirekte, aufdeckende Methode, 31 die nicht zuletzt in literarisch-rhetorischen Darstellungsformen zum Ausdruck kommt. Der aufweisende Charakter der kategorialen Erläuterungen Wittgensteins entspricht Jacobis Bemühen, das »Dasein zu enthüllen«, 32 zu offenbaren. In diesem Sinne läßt sich Jacobis umstrittener Begriff der Offenbarung durch Wittgensteins Begriff des Sich-Zeigens übersetzen und neutralisieren. Wittgensteins Analysen zu den Begriffen ›Wissen‹, ›Glauben‹ und ›Gewißheit‹ bieten sich als Folie an, vor der Jacobis bedenkenswerte Einwürfe argumentative Konturen annehmen können. Nicholas Wolterstorffs Bemerkung, die traurige Geschichte der Fehlinterpretation von Reids Lehre des Common Sense zeige, daß es erst möglich geworden sei, diese zu verstehen, nachdem Wittgensteins Über Gewißheit veröffentlicht worden sei, 33 möchte analog auch auf Jacobi zutreffen: Erst mit Wittgensteins Aufweis des transzendentalen Charakters der Ansichten des Common Sense, wie sie in der Zustimmung zu den Mooreschen Sätzen zum Ausdruck kommen, läßt sich Jacobi so stark machen, daß die Angriffe gegen ihn nicht mehr greifen.

Vgl. bereits Reid: Auszüge aus Thomas Reids Essays on the intellectual powers of man, S. 45 f.: »Grundwahrheiten« können »nicht eigentlich, d i r e k t e , bewiesen, doch durch die Aufdeckung aller Absurditäten, die aus der ihnen sich widersetzenden Meinung folgen, indirekte, bewiesen oder unterstützt werden. Letzteres auch dadurch, daß man dem Gegner bemerklich macht, wie Anderes, was er für Wahrheit und Grundwahrheit annimmt, auf keinem besseren, sondern demselben Grund beruhe«. 32 WW I, 364. – Vgl. dazu Otto Friedrich Bollnow, Die Lebensphilosophie F. H. Jacobis, Stuttgart 1933, ND Stuttgart u. a. 1966, § 26. 33 Nicholas Wolterstorff, Thomas Reid and the Story of Epistemology, Cambridge 2001, S. 232. Zum Vergleich zwischen Reid und Wittgenstein siehe ausführlich S. 231–244. 31

Notiones Communes und Common Sense. Zu den Spinozanischen Vor aussetzungen von Jacobis Rezeption der Philosophie Thomas Reids* von Brady Bowman

Spinoza machte einen großen Unterschied zwischen gewiß sein und nicht zweifeln. 1

I. Entgegen der verbreiteten Forschungsmeinung hat Jacobi die in seinem David Hume (JWA 2, 7–112) vorgestellte Erkenntnistheorie nicht vom Common-Sense-Philosophen Thomas Reid, sondern von Spinoza übernommen. 2 Für diese These lassen sich vier Argumente vorbringen. Das erste Argument ist eigentlich negativ und besagt, daß eine Reid-Rezeption Jacobis zum Zeitpunkt der Abfassung seines David Hume (1786/87) nicht hinreichend belegt werden kann. Das zweite Argument ergänzt das erste um die positive These, daß die Kernbestimmungen von Reids Theorie der Wahrnehmung in Spinozas

* Dieser Aufsatz entstand im Rahmen der Forschungsarbeiten des an der Friedrich-

Schiller-Universität Jena bestehenden Sonderforschungsbereichs »Ereignis WeimarJena. Kultur um 1800«, Teilprojekt C5 »Skeptizismus – Realismus – Idealismus. Die Jenaer Skeptizismus-Debatte 1801–1806«. – Für die aufschlußreichen Diskussionen, die ich im Zuge der Konzeption und Niederschrift dieses Aufsatzes mit ihr führen durfte, weiß ich mich Birgit Sandkaulen zu Dank verpflichtet. Für anregende und hilfreiche Gespräche bedanke ich mich an dieser Stelle auch bei Oliver Koch. Selbstredend trage ich allein die Verantwortung für etwaige Mißverständnisse oder Irrtümer. 1 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke, Hamburg 2000, S. 33, Anm. 1. 2 Vgl. dagegen den einflußreichen und noch immer unverzichtbaren Aufsatz von George di Giovanni: Hume, Jacobi, and Common Sense. An Episode in the Reception of Hume in Germany at the Time of Kant, in: Kant-Studien 89 (1998), S. 44–58. Als erster wies Günther Baum auf einen vermeintlich bestimmenden Einfluß Reids auf Jacobi hin; vgl. unten Anm. 5.

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berühmtem Parallelismus-Theorem bereits enthalten und überdies ontologisch fundiert sind: »Die Ordnung und Verknüpfung von Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung von Dingen.«3 Anders als eine etwaige Reid-Rezeption, steht Jacobis intime Kenntnis der Spinozaschen Lehre außer Frage. Das dritte Argument weitet sodann den Umfang des zweiten aus: Der Glaubensbegriff, den Jacobi in den Spinoza-Briefen vorträgt und im David Hume gegen Vorwürfe des Irrationalismus und des religiösen Obskurantismus verteidigt, ist nach Jacobis eigener Auskunft auf Spinozas Begriff der adäquaten Idee zurückzuführen. Insbesondere die Anmerkung zum Lehrsatz 43 des zweiten Teils der Ethik ist hier von Relevanz. »Wer kann wissen«, fragt Spinoza dort, »irgendeiner Sache gewiß zu sein, wenn er nicht vorher dieser Sache gewiß ist? Ferner, was kann es geben, das klarer und gewisser wäre, um als Norm der Wahrheit zu dienen, als eine wahre Idee? Wahrlich, wie das Licht sich selbst und die Finsternis manifest macht, so ist die Wahrheit die Norm ihrer selbst und des Falschen.«4 Spinozas Lehre der adäquaten Idee enthält die zentrale Bestimmung der Selbstevidenz, wie sie auch in Reids Theorie zugrundegelegt wird. Das vierte Argument ergibt sich wiederum aus der Einsicht, daß und wie Jacobis Herleitung der Begriffe substanziale Individualität, Raum, Zeit und Kausalität von Spinozas Theorie der adäquaten Idee und der notiones communes abhängt. Bei Reid ist keine vergleichbare deduktive Strategie festzustellen. Zusammen ergeben diese vier Argumente m. E. eindeutig, daß die Quelle von Jacobis Erkenntnistheorie bei Spinoza liegt. Dies erlaubt, die negative These schließlich dahingehend positiv umzuformulieren, daß Jacobis intime Kenntnis von Spinozas Theorie des Geistes seine Rezeption von Reids Philosophie in bestimmender Weise vorstrukturiert hat, und zwar dergestalt, daß Reid unmöglich als Quelle dienen konnte, obzwar Jacobi in ihm einen bedeutenden Mitstreiter erblickte. Hierbei ist die Frage unerheblich, ob Jacobi Reid aus den Quellen oder nur aus zweiter Hand rezipierte. Anders als bei Reid bleibt die Stoßrichtung durchweg spekulativ und auf die Einheit der menschlichen Erfahrung gerichtet. Im Vordergrund steht nicht der Common Sense, sondern die notiones communes. Freilich ergeben sich aus diesen Argumenten zugleich beunruhigende und schwer zu beantwortende Fragen. Jacobis Insistenz auf Personalität, persönlicher Freiheit, sowie auf der Pluralität individueller Substanzen und letztlich auf dem Dualismus ist mit der Lehre Spinozas nicht zu vereinbaren. Die Baruch de Spinoza, Ethik, pars 2, prop. 7. Hier und im folgenden zitiert auf der Grundlage der Ausgabe Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt (lateinisch/ deutsch), neu übersetzt und herausgegeben von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 1999. 4 Spinoza, Ethik, pars 2, prop. 43, schol. 3

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paradoxe Lage von Jacobis Philosophieren insgesamt ist dadurch charakterisiert, daß er einerseits in den Fundamenten soviel von Spinoza übernimmt, um andererseits auf dieser Grundlage gegen Spinoza anzudenken. Auf diese Fragen kann ich hier nicht eingehen, geschweige denn beginnen, ihre Lösung zu suchen. Eines aber hoffe ich noch zeigen zu können: Der Empirismus von Jacobis Spinoza-Auslegung und -Aneignung ist durch Spinozas Philosophie des Geistes selbst durchaus gerechtfertigt. Damit ist die Argumentationslinie thetisch und, wie ich hoffe, mit hinlänglicher Deutlichkeit bezeichnet. Um ihr etwas mehr Überzeugungskraft zu verleihen, als bloßen Thesen allein zukommen kann, sollen die Argumente in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden.

II. Das Argument gegen die These, Jacobis Erkenntnistheorie beruhe auf Reids Philosophie des Common Sense, ist im wesentlichen philologischer Natur und läßt sich schnell vortragen. Günther Baum hat als erster von der »außer Zweifel stehenden Abhängigkeit Jacobis von Thomas Reid« gesprochen und den bestimmenden Einfluß von Reids Essays on the Intellectual Powers of Man (1785) während der Abfassung des David Hume behauptet. 5 Die Belege für diese These sind jedoch nicht nur nicht hinreichend; es spricht im Gegenteil einiges gegen sie. So z. B. die Tatsache, daß keine eindeutige Äußerung Jacobis beizubringen ist, derzufolge er Reid zum Zeitpunkt der Abfassung des David Hume tatsächlich schon aus den Quellen rezipiert hätte; daß die Belege »verhältnismäßig spärlich«6 sind und Jacobis Bezugnahmen auf Reid eher »incidental« und indirekt seien, wird nicht bestritten.7 Jacobi pflegt zudem im David Hume wie in den Spinoza-Briefen eine Praxis ausführlicher

Siehe Günther Baum, Vernunft und Erkenntnis. Die Philosophie F. H. Jacobis. Bonn 1969, S. 80 und 75; siehe auch S. 42– 49 und 69–83. 6 Ebd., S. 74. 7 Siehe George di Giovanni, Hume, Jacobi, and Common Sense (Anm. 2), S. 49. Sowohl Baum als auch di Giovanni verweisen auf einschlägige Aufzeichnungen aus Wilhelm von Humboldts Reisetagebuch des Jahres 1788 (in: Briefe von Wilhelm von Humboldt an Friedrich Heinrich Jacobi. Hg. und erläutert von Albert Leitzmann, Halle a. d. S. 1892, S. 91–96; zitiert bei Baum S. 75 f., bei di Giovanni S. 47 ff., bes. S. 49, Anm. 28), auf Jacobis Lob auf Reid im Woldemar (WW V, 70; vgl. Baum, S. 74, Anm. 21, di Giovanni, ebd.) und auf den Brief an Neeb vom 18. 10. 1814 (Baum, ebd., di Giovanni, ebd.). Di Giovanni beruft sich zusätzlich auf Hammacher als Quelle für 5

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Zitation. Möglichst in der Originalsprache, mitunter durch eigene Übersetzung ergänzt, zitiert er aus den Werken von Cicero, Pascal, Bruno, Leibniz, Hume, Kant, usw. usw. Von Reid findet sich jedoch – auffälligerweise – kein einziges direktes Zitat. Jacobi nennt ihn lediglich als Autorität neben Hume für den eigenen Gebrauch des Wortes »Glaube« und zitiert aus einer Rezension in der ALZ. 8 Dies kann nicht die Folge einer besonderen Raffinesse Jacobis oder des Wunsches gewesen sein, die Spur zu Reid zu verwischen. Dafür ist sein Lob wiederum zu eindeutig. Vor allem aber haben wir Jacobis eigenes Zeugnis in Gestalt einer brieflichen Äußerung an Hamann; die Stelle belegt in eindeutiger und wohl konklusiver Weise, daß Jacobi zum Zeitpunkt der Abfassung des David Hume keine Kenntnis von Reids Schriften hatte: »Reids Essais [sic!] findest Du bey mir«, schreibt Jacobi: »Du hast mich daran erinnert, daß ich dies Buch lesen wollte. Während ich mein Gespräch [sc. Über Realismus und Idealismus] schrieb, war ich sehr ungeduldig darauf, u[nd] konnte es weder geliehen noch zu Kauf bekomen. Ich schrieb nach England; aber das Buch kam erst da das Gespräch gedruckt war.«9 Nun muß man gewissermaßen der Philologie zum Trotz einen gewichtigen Einwand gegen dieses negative Argument erwägen: Philologisch gesehen mögen die Belege gegen eine intensive Reid-Rezeption durch Jacobi zum Zeitpunkt des Hume-Buches sprechen. Gleichwohl, könnte man einwenden, sind die inhaltlichen Übereinstimmungen so viele, so verblüffende, so zentrale, daß man auf die These einer maßgeblichen Rezeption Reidscher Gedanken nicht verzichten mag. Um diesen Einwand zu entkräften, gilt es nun zu zeigen, daß sich erkenntnistheoretische Sätze aus Spinoza herleiten lassen, die denen Reids genau analog sind und dieselbe realistische Funktion erfüllen. Jacobi verfolgt im David Hume – das muß man betonen – eine Vielzahl von Zwecken. Als Streit- und Verteidigungsschrift ist das Buch durchsetzt von Anspielungen, offenen und indirekten Erwiderungen und Angrifweitere Belege aus unveröffentlichten Briefen, demzufolge sich Jacobi 1786 erstmals mit der Philosophie Reids vertraut gemacht habe, während Baum aus einem Brief Hamanns an Jacobi vom 15. 01. 1786 zitiert: »Reid, dessen Inquiry into the Human Mind ich Französisch besitze, hat Essays on the Intellectual Power [sic!] of Man herausgegeben, die meine ganze Aufmerksamkeit rege machen …« (J.G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, hg. von Gildemeister, Gotha 1868, S. 196; hier zitiert nach Baum, (Anm. 5), S. 75, Anm. 24). 8 JWA 22, 22; siehe auch Allgemeine Literaturzeitung, April 1786, S. 181–183. 9 Jacobi an Hamann, 22. 06. 1787, in: Arthur Henkel (Hg.), Johann Georg Hamann. Briefwechsel, Bd. 7 (1786–1788), Frankfurt am Main 1979, S. 238 (Brief 1072). Den freundlichen Hinweis auf diese Briefstelle verdanke ich Birgit Sandkaulen.

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fen. Eingepaßt in die Logik der Gesprächsdarstellung, bestimmen solche Bezugnahmen häufig genug Übergänge, Vorwegnahmen, ja die Wahl von zitierten Quellen und verknüpften Problemstellungen. Einen Hauptzweck in philosophischer Hinsicht bildet indes zweifellos die Exposition von Jacobis These, der Zusammenhang von Selbst und Welt wie unsere Gewißheit dieses Zusammenhangs seien ursprünglich praktischer Natur. Der Realismus ist für Jacobi in der Grunderfahrung des Handelns verwurzelt. Zu diesem übergeordneten Zweck gehört nun auch (besonders in der ersten Hälfte des Werks) der Erweis, daß jede theoretizistische Konzeption der Erkenntnis scheitert, indem sie einseitig von der theoretischen Vernunft ausgeht, um die Möglichkeit der Gewißheit einer selbständigen Wirklichkeit außer mir deduktiv zu sichern. Diese Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie soll im Mittelpunkt der nun folgenden Überlegungen stehen. Wohlgemerkt: Auch innerhalb dieser Auseinandersetzung verfährt Jacobi noch mehrgleisig. Es kommt ihm dabei auf die Kritik an theoretizistischen Auffassungen von Erkenntnis und Kausalität an. Zu diesem Zweck schließt er in einem ersten Schritt den Begriff der Ursache und die Struktur der GrundFolge-Beziehung aus dem Begriff der sinnlichen Evidenz aus. In einem weiteren Schritt wendet er sich dem Kausalitätsbegriff zu und reinigt ihn wiederum von der Vermengung mit dem Begriff des Grundes. Von Jacobis Analyse des Ursachenbegriffs und seiner Beziehung zum Begriff des Grundes wird noch zu sprechen sein. Verweilen wir aber zunächst noch bei Jacobis Auseinandersetzung mit verschiedenen Konzeptionen sinnlicher Evidenz. Mit Argumenten, die zu rekapitulieren hier nicht nötig ist, zeigt Jacobi die Defizite in den Erklärungen auf, die sein fiktiver Dialogpartner für die Gewißheit der Realität seiner sinnlichen Erkenntnis anbietet. Diese Konzeptionen haben alle eines gemeinsam: Sie fassen die Wahrnehmung als einen kausalen Vorgang auf, bei dem äußere Gegenstände auf den Geist einwirken, und erklären die Gewißheit der Realität, Objektivität, Gegenständlichkeit der Wahrnehmung entweder durch eine zweite, zusätzliche direkte Wahrnehmung des Gegenstands als verursachend oder durch einen Schluß von der bewirkten Vorstellung auf ihre externe Ursache (JWA 2, 20). Obwohl sich einiges für die Triftigkeit von Jacobis kritischen Betrachtungen über diese und verwandte Auffassungen sagen ließe, braucht uns hier nur die aus ihnen resultierende Konzeption sinnlicher Evidenz zu interessieren. Denn hier liegt eine Erkenntnistheorie vor, die (1) die kausale Interaktion von physikalischen Gegenständen und wahrnehmendem Geist leugnet, d. h. ihren simultanen Parallelismus behauptet; (2) die Beziehung von Wahrnehmung und Wahrnehmungsgegenstand als unmittelbare Beziehung ohne Medium auffaßt; und (3) die primäre Tätigkeit des Geistes nicht in das bloße Vorstel-

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len (JWA 2, 20) legt, sondern in das aktive Affirmieren oder Negieren von Bestimmungen als wahr oder falsch, also in das Urteilen. Das sind nun freilich gerade die Aspekte von Jacobis Erkenntnistheorie, aufgrund derer seine Abhängigkeit von Reid angenommen worden ist. Auch Reid – obzwar aus ganz anderen Überlegungen heraus – weist die Auffassung von Wahrnehmung als kausaler Einwirkung von Gegenständen auf den Geist als irrig zurück.10 Auch für Reid ist die »conviction [sc. of the existence of external objects] not only irresistible, but it is immediate; […] it is not by a train of reasoning and argument that we come to be convinced of what we perceive […].«11 Auch Reid lehnt die These als idealistisch präjudiziert ab, der Geist beziehe sich ursprünglich auf »bloße Vorstellungen« (bei ihm »simple apprehension« oder »bare conception« genannt), um sie erst in der Folge zu beurteilen.12 Aber worin besteht der Kern dieser Theorie der Wahrnehmung? Die richtige Unterscheidung zwischen »sensation« und »perception« bezeichnete Reid selbst als den »Schlüssel«13 zum Verständnis seiner Theorie, und in einem »Abstract« der Inquiry into the Human Mind, das er im Rahmen seines Briefwechsels mit Hume verfaßte, ging Reid so weit, folgendes »Experimentum Crucis« vorzuschlagen, »by which these Systems [sc. of empiricist idealism] must stand or fall«: »If what we call Extension, Figure, Motion, Hardness or Softness, Roughness or Smoothness have any Resemblance to the Sensations that correspond to them, then I must Subscribe to Mr Humes Creed and cannot avoid it.«14 Diese »No-Resemblance-Thesis«, wie ich es nennen möchte, die Behauptung der gänzlichen Verschiedenheit zwischen sensation und den Gegenständen der Wahrnehmung bildet das Fundament des Reidschen Realismus. Die Tatsache, daß nichts in oder an den Empfindungen die geringste Ähnlichkeit mit den primären Eigenschaften der Materie hat, die sich gleichwohl unmittelbar als diese Empfindungszeichen mit der allergrößten Klarheit und Deutlichkeit vergegenwärtigen, ist Reids stärkster phänomenologischer Beleg für den Realismus. Eindeutig gibt er zu verstehen, daß er unter »sensation«

Thomas Reid, Essays on the intellectual powers of man, ed. A. D. Woozley, London 1941, S. 69. 11 Ebd., S. 81. 12 Ebd., S. 316. 13 Ebd., S. 155. 14 Thomas Reid, »Abstract of the Inquiry«, in: Ders., An Inquiry into the human mind on the principles of common sense, ed. Derek R. Brookes, Edinburgh 2000, S. 257–262, hier: S. 260; Vgl. Thomas Reid, Essays on the intellectual powers of man (Anm. 10), S. 152. 10

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eine schwer zu isolierende Schicht rein phänomenalen Bewußtseins versteht, bevölkert von einer unendlichen Mannigfaltigkeit kaum augenblicklich dauernder Wesen.15 Ihre Eigenart ist, zugleich eine Sphäre ausgedehnter, miteinander mechanisch interagierender Entitäten und einen sich in ihnen selbst offenbaren Geist zu vergegenwärtigen, zu dem sie gehören und der in ihnen die Sphäre der res extensa unmittelbar gewahr wird. Die Ähnlichkeit zwischen dieser Schilderung und Jacobis Beschreibung des »Glaubens« ist in der Tat verblüffend: »Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung! Denn wir empfinden doch nur unseren Körper, so oder anders beschaffen; und indem wir ihn so oder anders beschaffen fühlen, werden wir nicht allein seine Veränderungen, sondern noch etwas davon ganz verschiedenes, das weder bloß Empfindung noch Gedanke ist, andre würkliche Dinge gewahr, und zwar mit eben der Gewißheit, mit der wir uns selbst gewahr werden«.16 Der Punkt indes, auf den meine Argumentation hinaus will, liegt in einer anderen Aussage Jacobis beschlossen, die mit der eben zitierten aufs engste zusammenhängt. »Die eigentliche große philosophische That« Spinozas, heißt es, »ist die von ihm zuerst vorgenommene r e i n e Scheidung ohne Tr e n nu n g , des denkenden von dem ausgedehnten Wesen.«17 Damit ist das Spinozanische Parallelismus-Theorem gemeint.18 Wir werden sehen, daß dieses Theorem die von Reid als »suggestion« bezeichnete Ausdrucksbeziehung zwischen res cogitans und res extensa in sich schließt und zugleich ontologisch fundiert. Das Parallelismus-Theorem versperrt sich gegen eine einfache Einordnung als entweder ontologisch oder epistemologisch, und zwar nicht einfach nur deshalb, weil es die Identität zweier Reihen behauptet, die man sonst gewohnt ist, einander als Sein und Denken entgegenzusetzen. Denn auch schon die Rede von der Idee erfolgt unter zwei Gesichtspunkten, die bei Spinoza formal und objektiv heißen19 und die vielleicht nur unzulänglich durch die Bezeichnungen Ontologie und Epistemologie wiederzugeben sind. »Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge« – und zwar sowohl der Gedanken-Dinge (res cogitans) als auch der ausgedehnten Dinge (res extensa). Behauptet wird

Ebd. S. 258 f.; Vgl. ebd. S. 58, 60, 62 f., 175 f. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza (Anm. 1), S. 114. 17 JWA 3, 120. Vgl. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 123. 18 Spinoza, Ethik, pars 2, prop. 7. 19 Vgl. ebd., pars 2, prop. 15 und 20 ff. 15 16

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nämlich die innere Identität nicht von zwei, sondern von drei Reihen: (1) der res extensa, (2) der Ideen in ihrem formalen Sein und (3) der Ideen in ihrem objektiven Sein. Anders formuliert: Es wird eine innere Identität behauptet zwischen (1) der materiellen Welt primärer mechanischer Eigenschaften, (2) dem phänomenalen Bewußtsein oder der Empfindung in ihrem unausgedehnten Sein an sich und (3) demselben Bewußtseins in seinem Sein-Für, d. h. der Empfindung oder den Ideen als von einem Geist unterhaltenen und ihm zugehörigen. Es erhellt sogleich, daß diese Einheit dreier Momente komplexere Relationen zu denken nötigt – aber auch erlaubt! – als eine duale Gegenüberstellung. Je nachdem, wie man die Momente gruppiert und betrachtet, treten andere Verhältnisse in den Vordergrund. In ihrem formalen Sein betrachtet, stehen Ideen und res extensa zueinander in der Beziehung des Ausdrucks. Die »denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz« sind, wie Spinoza lehrt, »ein und dieselbe Substanz, die bald unter diesem, bald unter jenem Attribut aufgefaßt wird. Dann gilt auch, daß ein Modus von Ausdehnung und die Idee dieses Modus ein und dasselbe Ding sind, aber in zwei Weisen ausgedrückt.« 20 Die formalen Ideen sind m.a.W. in ihrem phänomenalen oder Ausdruckscharakter gänzlich verschieden von den ausgedehnten Dingen, deren substanziales Sein sie gleichwohl zum Ausdruck bringen. An denselben Ideen läßt sich auch die Beziehung zwischen dem formalen und dem objektiven Moment betrachten. Dabei muß betont werden, daß diese Relation die Relationalität selbst ist, welche die Ideen in ihrem formalen Sein bereits charakterisiert. Das will sagen, daß den Ideen in ihrem formalen Sein als Ideen bereits zukommt, Ideen-für zu sein. Sie weisen an sich diese innere Relation oder Unterscheidung auf, kraft deren sie in einer ursprünglichen Beziehung auf sich als geistige Entitäten stehen – eine Beziehung, die man vielleicht als »Inhabe« oder »ownership« bezeichnen könnte. Der Gedanke dabei ist einfach, daß es keine Ideen gibt, die nicht von einem Geist unterhaltene Ideen wären. Dieses Für-Sein ist eine notwendige Bedingung für die Rede von Geist. Mit seiner Unterscheidung zweier Aspekte der Ideen – des formalen und objektiven Seins derselben – vermeidet Spinoza die Schwierigkeit, den Geist von seinen Gehalten (eben den Ideen in ihrem formalen Sein) substanziell unterscheiden zu müssen. Es stellt sich zugegebenermaßen sofort die Schwierigkeit ein, das Verhältnis des Für-Seins zugleich als ein Vieles-zu-Einem-Verhältnis denken zu können, dergestalt, daß über die Selbstbewußtheit hinaus auch die numerische Identität und die Privat-

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Ebd., pars 2, prop. 7, schol.

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heit eines denkenden Selbst garantiert wären; 21 denn diese sind zweifellos ebenso unverzichtbare Momente des Geistbegriffs wie das Selbstbewußtsein. Auf die Individuierungsfrage werden wir im Zusammenhang mit Jacobis »Deduktion« in David Hume zurückkommen. An dieser Stelle kommt es aber nicht auf die vollständige Rekonstruktion und Prüfung des Spinozanischen Modells an, sondern lediglich auf die Erkenntnis der relevanten Strukturähnlichkeit zwischen ihm und zentralen Bestimmungen der Philosophie Thomas Reids. So gesehen, liegt der springende Punkt der Beziehung zwischen der formalen und der objektiven Idee darin, daß die Beziehung zwischen phänomenalem Bewußtsein und Selbstbewußtsein, die Reid »consciousness« nennt, 22 bei Spinoza eine ontologische Auszeichnung der formalen Idee als solcher ist. Man könnte es auf die Identitätsformel bringen: Sein = bewußtes Sein = Bewußtsein seiner selbst. Oder wie Jacobi es formuliert: »Ich erfahre, daß ich bin, und daß etwas ausser mir ist, in demselben untheilbaren Augenblick« (JWA 2, 37). Betrachten wir abschließend das Verhältnis der Momente res extensa / objektive Idee, so fällt ohne weiteres ins Auge, daß die Frage nach einer etwaigen externen Beziehung zwischen Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein, wie sie für den Idealismus charakteristisch wäre, hier von vornherein durch das Modell ausgeschlossen ist. Die repräsentationale Beziehung ist ontologisch vorgeschrieben und somit fundiert. Der »nihilistische« Wegfall von »Dingen außer mir« ist im System der Immanenz ganz einfach nicht denkbar. Auf diese Weise sind die realistischen Überzeugungen des Common Sense, für den ein solcher Wegfall praktisch undenkbar bleibt, hier gleichsam unendlich theoretisch vindiziert. Und das heißt in Hinsicht auf die hier vertretene Hauptthese, daß Jacobis Kenntnisnahme von Reid in bestimmender Weise schon durch seine Kenntnis von Spinoza vorstrukturiert, vorweggenommen und systematisch aufgehoben ist.

Spinoza scheint diese Individuierung über den Körper einzuführen, »in dem« die Affektionen stattfinden, die der Geist wahrnimmt und die seine Gehalte ausmachen (vgl. ebd., pars 2, prop. 13 einschließlich coroll. und schol.); es scheint, als wolle Spinoza die Privatheit, also die Tatsache, daß nur ich meine geistigen Gehalte, sofern sie meine sind, »einsehen« kann, ebenfalls durch Rückgang auf die körperliche Individuation erklären: siehe ebd. pars 2, prop. 17, schol. 22 Reid, Essays on the intellectual powers of man (Anm. 10), S. 7 f. und S. 41 ff. 21

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III. Spinozas dominierende Rolle wird weiter deutlich, wenn man Jacobis Begriff des Glaubens auf seinen konzeptuellen Hintergrund hin untersucht. (Wir kommen hier zum dritten der eingangs skizzierten Argumente, welches beweisen soll, daß Jacobi seinen Glaubensbegriff in den für uns relevanten Hinsichten nach Spinozas adäquater Idee konzipiert.) Denn dieser Begriff hatte Jacobi die zum Teil harsche Kritik eingetragen, auf die er mit dem David Hume antwortete. 23 Mendelssohn hatte die Differenzen zwischen sich und Jacobi als religiöse Differenzen artikuliert und Jacobis Position als nicht vollgültig rational abgetan, indem er erklärte, es sei völlig im Geiste von Jacobis Religion, »die Zweifel durch den Glauben niederzuschlagen«, ja dies sei sogar des Christen Pflicht; Mendelssohns Religion dagegen sehe vor, Zweifel allein »durch Vernunftgründe zu heben«. 24 Aus Jacobis Antwort auf diesen Vorwurf wurde vorhin zitiert; es ist die Stelle, in der er so emphatischen Gebrauch von den Termini »Glauben« und »Offenbarung« macht und die oben in Verbindung mit Spinozas Parallelismus-Theorem gebracht worden ist. Solche Äußerungen provozierten auch Herders Bedenken, 25 auf die Jacobi in folgender denkwürdiger Weise antwortete: Deine Zweifel, schreibt er, »m a g D i r Spinoza nehmen, denn es sind s e i n e Grundsätze. Die Definition der Gewißheit ist wörtlich und der ganze erste Absatz beinahe wörtlich aus ihm übersetzt; nur daß er des Wortes G l aub e n sich nicht bedient« 26 Man vergleiche die Stelle in den Spinoza-Briefen mit derjenigen aus dem zweiten Teil der Ethik, auf die sich Jacobi bezieht: »Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt sein, als durch etwas, das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriff einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein d i e m it d e m vor g e s t e l lt e n D i n g e üb e r e i n s t i m m e nd e Vor s t e l lu n g s e lb s t i s t . Die Überzeugung aus Zur Auseinandersetzung um Jacobis Gebrauch des Begriffs Glauben siehe George di Giovanni: Hume, Jacobi and Common Sense (Anm. 2), S. 44–58. 24 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (Anm. 1), S. 112 f. 25 Siehe Herders Brief an Jacobi vom 6. Juni 1785, JBW I/4, 109 f. 26 Jacobi an Herder, 2. 09. 1785, JBW I/4, 165. – Jacobi fährt erklärend fort, er selbst habe sich des Wortes »Glauben« ebenfalls »nur in so fern bedient, […] als man jedes Fürwahrhalten, das nicht aus Gründen erfolgt, Glauben nennen will.« Auch zitiert bei Hermann Timm, Die Bedeutung der Spinozabriefe Jacobis für die Entwicklung der idealistischen Religionsphilosophie, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit, hg. von Klaus Hammacher. Frankfurt am Main 1971, S. 42. 23

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Gründen ist eine Gewißheit aus der zweiten Hand. […] Wenn nun jedes für Wahr halten, welche nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die Überzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen.« 27 Die Stelle bei Spinoza, aus der Jacobi seine Definition schöpft, befindet sich in der Anmerkung zum Lehrsatz 43 des zweiten Teils der Ethik. Diese genaue Angabe wird uns in kurzem wieder näher interessieren, wenn wir uns der Deduktion der »Grundbegriffe« im David Hume zuwenden. Lesen wir zunächst die Stelle: »[N]iemand, der eine wahre Idee hat, ist unwissend darüber, daß eine wahre Idee die höchste Gewißheit in sich schließt. Eine wahre Idee haben bedeutet nämlich nichts anderes, als eine Sache vollkommen oder bestens erkennen; und hieran kann sicherlich niemand zweifeln, es sei denn, er glaubte, eine Idee sei etwas stummes wie ein Gemälde auf einer Tafel und nicht ein Modus des Denkens, nämlich der Akt des Einsehens selbst [ipsum intelligere]. Und ich bitte: Wer kann wissen, irgendeiner Sache gewiß zu sein, wenn er nicht vorher dieser Sache gewiß ist? Ferner, was kann es geben, das klarer und gewisser wäre, um als Norm der Wahrheit zu dienen, als eine wahre Idee? Wahrlich, wie das Licht sich selbst und die Finsternis offenbart [manifestat], so ist die Wahrheit die Norm ihrer selbst und des Falschen.« 28 Da unser Zweck hier der bescheidene ist, Jacobis vermeintliche Anleihen bei der Common-Sense-Philosophie auf seine Rezeption von Spinozas »geistreicher und würklich erhabener Theorie, von den wahren Vorstellungen, den gemeinen und vollständigen Begriffen, der Gewißheit, überhaupt des menschlichen Verstandes« 29 zurückzuführen, darf man sich mit einigen knappen Bemerkungen begnügen. (1) Jacobis und Spinozas Bestimmungen zufolge ist der »Glaube« bzw. die unmittelbare Gewißheit kein Gefühl oder besondere Einstellung, die zu der Vorstellung hinzukäme oder von ihr abzutrennen wäre. 30 Die Gewißheit ist vielmehr die Vorstellung selbst, wie Jacobi Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (Anm. 1), S. 113 (1785: 162 f.). Den Hinweis auf die betreffende Stelle bei Spinoza entnehme ich dem Aufsatz von Timm, Die Bedeutung der Spinozabriefe (Anm. 26), S. 54. 28 Spinoza, Ethik, prop. 43, schol. (Übersetzung gegenüber Bartuschat leicht modifiziert.) Vgl. Jacobis Äußerungen in dem von ihm wiedergegebenen Gespräch mit Lessing, Über die Lehre des Spinoza (Anm. 1), S. 33 (man beachte auch die dazugehörige Anmerkung) und Spinozas Brief an Albert Burgh in: Baruch de Spinoza, Briefwechsel, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Carl Gebhardt, Hamburg 1986, S. 286. 29 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza (Anm. 1), S. 110 (1785: 158). 30 In dieser Beziehung weicht Spinozas und infolgedessen auch Jacobis Position hinsichtlich des innerlichen Beifalls oder der Zustimmung zu Erkenntnissen entschei27

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betont – die »wahre Idee« selbst, wie Spinoza sagt. (2) Diese Bestimmung der Gewißheit als eine klare und deutliche Idee, in der rationalistischen Theorie der Wahrheit zutiefst verwurzelt, wird hier ausdrücklich als der »Akt des Einsehens selbst« gekennzeichnet und somit dem idealistischen Primat einer »bloßen Vorstellung« oder »bare conception« explizit entgegengesetzt. Aus dem skeptischen Blickwinkel Humes betrachtet, für den »belief« nichts anderes »als eine stärkere, lebendigere, mächtigere, festere, anhaltendere Vorstellung eines Gegenstandes«31 ist, mögen diese Bestimmungen als eine unzulässige Epistemisierung des Wahrheitsbegriffs erscheinen; eine realistische oder nicht-epistemische Auffassung von Wahrheit jedenfalls müßte eine solche Identifizierung entschieden ablehnen. Die Frage ist es allerdings, ob Spinozas Ontologie nicht gerade die Weltkonstruktion ist, die man braucht, um fundamentalistische Intuitionen über die Struktur menschlicher Überzeugungen mit realistischen Intuitionen über die Wahrheit unserer Erkenntnisse miteinander auszusöhnen. Wie dem aber sei, die Intention ist unverkennbar: Das Parallelismus-Theorem liefert die ontologische Fundierung für eine Theorie adäquater Ideen, die als solche wahre und zugleich evidente Ideen sind. (4) Jacobi kann deshalb aus einem viel weiter gespannten Theorierahmen schöpfen, um in einer Weise gegen Humes skeptischen Idealismus zu argumentieren, die mit Kernbestimmungen der Prinzipien des Common Sense bei Reid bis zur (äußeren) Ununterscheidbarkeit übereinstimmt. Nehmen wir die Bestimmung der wahren Idee nach Lehrsatz 43 der Ethik: »Wer eine wahre Idee hat, weiß zugleich, daß er eine wahre Idee hat, und kann an der Wahrheit der Sache nicht zweifeln.« Diese eigentümliche, aber

dend von Descartes’ Lehre ab. Anders als bei Descartes bedarf es Spinoza zufolge keines besonderen, willentlichen Aktes der Zustimmung, um von der Objektivität einer Erkenntnis überzeugt zu sein (vgl. Spinoza, Ethik, pars 2, prop. 49 einschließlich des coroll. und des schol.). Dies hängt aufs engste mit der Lehre zusammen, wonach das Wahrnehmen selbst ein Urteilen ist (siehe Ethik, bes. S. 211). Vgl. in dieser Hinsicht auch Reid, Essays on the intellectual powers of man (Anm. 10), S. 7 f. und S. 9 ff., besonders S. 313–329. William P. Alston hat unterstrichen, daß Reids Psychologie als Theorie geistiger Akte verstanden werden muß und nennt ihn einen »resolute act psychologist«, siehe W.P. Alston, Reid on perception and conception, in: Melvin Dalgarno and Eric Matthews (Hgg.), The Philosophy of Thomas Reid, Dordrecht / Boston / London, 1989, S. 35– 47. 31 Zitiert nach Jacobis eigener Übersetzung in Jacobi, David Hume, S. 162; vgl. David Hume, Enquiries concerning human understanding and concerning the principles of morals. Reprinted from the 1777 edition with introduction and analytical index by L. A. Selby-Bigge. Third edition with text revised by P. H. Nidditch, Oxford/ New York/Athens 1975, S. 49.

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essentielle Verdopplung des Wissens von der Wahrheit der Idee präfiguriert geradezu Reids eigene Bestimmung der Natur von Common-Sense-Überzeugungen: »Perhaps evidence, as in many other respects it resembles light, so in this also – that, as light, which is the discoverer to all visible objects, discovers itself at the same time, so evidence, which is the voucher for all truth, vouches for itself at the same time.«32 Der Reid-Kenner Keith Lehrer hat diesen Vergleich erläutert: »[C]ommon sense beliefs are not merely evident, their evidence is evident to us. If there are some beliefs whose evidence is evident to us, we have no need for a criterion to pick them out as evident. […] There are some beliefs whose evidence is evident to us from our very constitution. They are both general and particular beliefs of common sense.«33 Aus diesen Erläuterungen der eigentümlichen Doppelung der Evidenz, die bei selbstevidenten Erkenntnissen bzw. adäquaten oder wahren Ideen stattfindet, geht die Verwandtschaft zwischen Reid und Spinoza deutlich hervor. Damit dürfte aber zugleich die Priorität der spinozanischen Konzeption für Jacobis Artikulation seiner eigenen Konzeption von »Glauben« bzw. »unmittelbarer Gewißheit« von selbst einleuchten. – Verweilen wir dennoch einen Augenblick bei der zuletzt zitierten Bemerkung Lehrers, denn sie enthält einen wichtigen Hinweis zum Verständnis der Jacobischen »Deduktion« der bereits erwähnten »Grundbegriffe« Realität, Individualität, Raum, Zeit und Kausalität. Hiermit gehen wir also zum vierten und letzten Argument für die These über, daß Jacobis Erkenntnislehre auf durchaus spinozanischer Grundlage beruht. Lehrer betont, daß die eigentümlich selbstanzeigende, sich selbst bezeugende Struktur der Evidenz für allgemeine wie für einzelne CommonSense-Überzeugungen gleichermaßen gilt. Er antwortet mit dieser Konzeption einer spezifischen Gleichheit zwischen allgemeingeltenden Grundsätzen und Einzelerkenntnissen auf ein systematisches Problem, das Roderick Chisholm ihm gestellt hat: 34 Wo lokalisiere ich mein Common-Sense-Kriterium der Wahrheit? Erhalten einzelne Erkenntnisse beispielsweise des Daseins dieses oder jenes materiellen Einzeldings außer mir ihre Gewißheit vermittels der Gewißheit einer prinzipiellen Erkenntnis des Daseins einer Außenwelt? Oder beruft man sich auf die Common-Sense-Gewißheit einzelner Fälle von Erkenntnis, die ihre Evidenz auf den aus ihnen verallgemeinerten Grundsatz The Works of Th. Reid, ed. Sir William Hamilton, Edinburgh 81985, S. 448. Zitiert nach Keith Lehrer: Chisholm, Reid and the Problem of the Epistemic Surd, in: Philosophical Studies 60 (1990), S. 39– 45, hier: 41. 33 Ebd. 34 Ebd., S. 33–38. 32

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übertragen? 35 Reids und Lehrers Antwort auf diese Frage lautet: Weder noch. Diese Art von Stufung zwischen – sagen wir – transzendentalen Grundsätzen und ihrer Anwendung auf einzelne sinnliche Inhalte wird zurückgewiesen. Der Charakter der sich selbst bezeugenden oder sich reflektierenden Selbstevidenz verläuft quer zur Dichotomie zwischen Einzelerkenntnissen und allgemeinen Prinzipien, zwischen Gesetzen der ganzen Sphäre der Erscheinungen und Aussagen über ihre isolierten Teile. In dieser Weise wird die Integrität des Common Sense oder vielmehr des Evidenzerlebnisses als solchen vor der künstlichen Auftrennung in allgemeine und einzelne Fälle von Evidenzialität behauptet und damit zugleich der Erfahrungstatsache Rechnung getragen, daß Wahres uns nicht einmal so und einmal anders einleuchtet. Mit diesen wichtigen Sätzen ausgerüstet, steigen wir nun wieder in die Argumentation von Jacobis David Hume ein. Die »Deduction« der aus Jacobis Sicht grundlegenden Erfahrungsbegriffe, insbesondere des Kausalitätsbegriffs, der wir uns jetzt zuwenden, ist der schwierigste und auch in ihrem Gehalt fragwürdigste Teil des Werkes. Trotz des Gestus des strengen und evidenten Herleitens (der fiktive Dialogpartner findet anschließend gegen die Deduktion »nichts einzuwenden«, JWA 2, 60) bleiben dennoch die meisten Prämissen unausgesprochen. Obzwar Jacobi im weiteren Verlauf des Werks einige Prämissen nachträglich einführt, bleibt die Liste bis zum Schluß unvollständig. Ja, die eigentlich operativen Prämissen spricht er nirgends explizit aus. Erst in der Werkausgabe drei Jahrzehnte später versieht Jacobi den Text mit einer Anmerkung, in der er bekennt, die »Ethik des Spinoza« habe ihm die »Haupt- und Grundgedanken« zur »Deduction der apriorischen oder allgemeinen und nothwendigen Begriffe und Grundsätze […] an die Hand« gegeben (JWA 2, 61). Dabei verweist Jacobi mit einer Seitenangabe auf die Lehrsätze 38 bis 43 des zweiten Teils der Ethik, also einschließlich just des Lehrsatzes 43 samt zugehöriger Anmerkung, mit der wir uns schon eingehend beschäftigt haben. 36 Dieser Spur wollen wir gleich nachgehen. Zunächst soll jedoch noch einmal die Stelle in Jacobis Argumentation charakterisiert werden, an der sich die Deduktion befindet. Die Gesamtgestalt dieser Argumentation habe ich zu Beginn meiner Ausführungen so skizziert, daß Jacobi zuerst theoretizistische Konzeptionen der sinnlichen Evidenz mit der Intention angreift, eine GegenVgl. ebd., S. 39. Jacobi verweist (ebd.) auf »opp. posth. pag. 74–81«, d. i. B. d. S. Opera Posthuma, o. O. [Amsterdam], o.V. [Rieuwerts] 1677. Das entspricht etwa den Seiten 173–189 der Übersetzung der Ethik (Anm. 4). Einsicht in die Originalausgabe durfte ich in der Abteilung für Handschriften und seltene Bücher der Universität Jena nehmen. 35

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konzeption zu entwerfen, aus der sowohl inferentielle Beziehungen als auch kausale Interaktion zwischen Geist und Wahrnehmungsgegenstand ausgeschlossen sind. Das spinozanische Vorbild dieser Operation und die wahlverwandte Position Reids haben wir bisher betrachtet. In einem zweiten Schritt, sagte ich, würden dann die inferentiellen Beziehungen vom Typ Grund-Folge und der Begriff kausaler Interaktion für sich zum Gegenstand der Reflexion gemacht. An diesem Punkt der Jacobischen Argumentation sind die Überlegungen nun angelangt. Der Stellenwert der Deduktion bestimmt sich dadurch, daß sie erstens eine Alternative zur theoretizistischen Identifizierung von Kausalität mit der logischen Grund-Folge-Beziehung bietet und zweitens – entscheidend – auf den Einwand reagiert, daß Jacobis Widerlegung von Humes sensualistischer Reduktion des Kraftbegriffs um den Preis geschähe, daß der Begriff der Ursache um seine unbedingt universelle Geltung gebracht wird. – Jacobis Argumente gegen Hume sind zugegebenermaßen schon für sich genommen problematisch; sie scheinen teils auf Mißverständnissen, teils auf verkürzter Wiedergabe der Humeschen Argumente zu beruhen, und ein vollständiger argumentationsanalytischer Vergleich würde sich sicherlich lohnen. Aber selbst wenn wir annehmen, Jacobis Argumente reichen gegen Hume aus, bergen sie doch noch eine systematische Schwierigkeit, auf die Jacobis fiktiver Dialogpartner aufmerksam macht: Nach Jacobis Darstellung »beruht der Begriff von Ursache und Würkung […] auf einem Facto, dessen Gültigkeit nicht geläugnet werden kann […]. Indessen ist der Begriff von Ursache und Würkung hiemit noch nicht, als schlechterdings zum Begriffe der Möglichkeit der Dinge überhaupt gehörig, dargethan. Da Sie ihn aus der Erfahrung herleiten, werden Sie seine absolute Allgemeinheit oder Nothwendigkeit wohl im Stiche lassen müssen.« (JWA 2, 56) Schon dieses begriffliche Setting unterscheidet Jacobis Zugang zum Problem des kausalen »cement of the universe« (Mackie) von Reids Verständnis desselben. Spricht doch Reid vom »metaphysical principle […] That whatever begins to exist must have a cause«, 37 und somit von eben dem Prinzip des zureichenden Grundes in seiner empirischen Anwendung, wie es Jacobi im David Hume (JWA 2, 49-53) ausdrücklich kritisiert. Überdies sucht Jacobi den Begriff von Wirkung und Gegenwirkung mit den anderen Begriffen Äußerlichkeit, Ausdehnung und sich selbst bewußter Individualität in einer Weise systematisch zu verknüpfen, die Reid ganz fremd ist. Betrachten wir diese Verknüpfung bei Jacobi etwas näher. Er schließt zunächst von einem sich von anderem außer sich unterscheidenden Bewußtsein auf eine Dualität reeller Wesen. Wesen, die aufeinander wirken, schließt 37

Reid, Essays on the intellectual powers of man (Anm. 10), VI, Ch. 6, S. 398.

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er weiter, sind ausgedehnt (JWA 2, 57). An dieser Stelle schaltet Jacobi eine Betrachtung über das Gefühl der Individualität ein, die in die Reihe seiner Schlüsse auf den ersten Blick nicht zu passen scheint und sehr zum Eindruck der relativen Desorganisation seiner Folgerungen beiträgt (JWA 2, 58ff.). Sodann nimmt er den Faden der Wirkung und Gegenwirkung wieder auf, um eine weitere primäre Eigenschaft materieller Körper einzuführen, die Undurchdringlichkeit (JWA 2, 59). Mit dem Widerstand im Raume, d. h. mit der kausalen Interaktion ausgedehnter, undurchdringlicher Körper verknüpft Jacobi schließlich die Sukzession, welche durch die fälschliche Identifizierung von Ursache mit Grund verloren gegangen war (ebd.). Bei allem Wohlwollen: Die Gestalt, in der Jacobi seine Folgerungen präsentiert, ist in hohem Grad verwirrend. Hegel meinte, »diese Jacobische Deduction […] verdient so wenig den Namen einer Deduction, daß sie nicht einmal eine gemeine Analyse des Vorausgesetzten, nemlich des Begriffs der Gemeinschaft einzelner Dinge, genannt werden kann«. 38 Die Begriffe, fährt er fort, würden »aus dem gemeinsten Empirismus heraus, vorausgesetzt; durch überflüssige Mittelbegriffe werden sie endlich zur Wirkung und Gegenwirkung zusammen analysirt, und d i e ß ist, hier geht auch das Analysiren aus – die Q u e l l e des Successiven. Man sieht gar nicht, wozu solch hohes Kunststück nützlich seyn soll«. 39 Der Zustand von Jacobis Schlüssen macht es schwer, Hegels Kritik abzuwehren. Der von Jacobi selbst gelegten Spur zu Spinoza folgend, müßte man jedenfalls als erstes die Hintergrundkonzeption unterscheiden, die der sogenannten Deduktion zugrunde liegt. Es wurde vorhin schon auf das Problem der Individuierung des (menschlichen) Geistes hingewiesen, welches im Kontext des Parallelismus-Theorems entsteht. Spinoza scheint das Problem lösen zu wollen, indem er den Geist über das »Objekt«, dessen Idee er ist, individuiert; und dieses Objekt ist eben der menschliche Körper. 40 Folgerichtig macht Spinoza das Selbsterkennen des Geistes von der Wahrnehmung der sich verändernden Beschaffenheiten seines Körpers abhängig. »Der Geist erkennt sich selbst«, heißt es, »lediglich insofern, als er die Ideen der Affektionen des Körpers wahrnimmt«. 41 Hieraus folgt unmittelbar, daß in der Konzeption

Hegel, Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie, GW 4, 338. 39 Ebd., S. 350. 40 Siehe Spinoza, Ethik, pars 2, prop. 12 und 13 einschließlich des corroll., sowie prop. 21; vgl. insbesondere auch prop. 17, schol. 41 Ebd., pars 2, prop. 23. 38

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Spinozas der Geist sich immer schon als verkörperter Geist erkennt, der sich von anderen Körpern unterscheidet, mit denen er in Gemeinschaft steht. In diesem Zusammenhang ist dann auch Jacobis exkursartig in den David Hume eingeschaltete Betrachtung über das Gefühl der »reinen Einheit« zu sehen, in dem »das Mannigfaltige unseres Wesens« unzertrennlich verknüpft sei (JWA 2, 58). In einem Geist, der den von Spinoza herangezogenen Axiomen, Hilfssätzen und Postulaten42 verwandt ist, scheint Jacobi des weiteren anzunehmen, daß Unterschiede innerhalb der res extensa, dergleichen eine Pluralität einzelner Körper darstellt, Kräftewirkungen erfordert. Dies macht er später explizit, indem er seinen Dialogpartner sagen läßt: »wo mehrere einzelne Dinge in Verbindung stehen, da muß Würkung und Gegenwürkung […] seyn, oder es wären nicht mehrere einzelne Dinge, sondern nur Ein einzelnes Ding« (JWA 2, 60). Diese Annahme bildet die Grundlage, auf der Jacobi schließen kann, daß die Bestimmungen Ausdehnung und Kräftewirkung immer schon gesetzt sind, wenn ein Geist sich selbst erkennend sich von etwas anderem unterscheidet. Die beschriebene Konzeption schließt m.a.W. für Jacobi ein, daß Selbstbewußtsein die kausale Interaktion unter physikalischen Gegenständen impliziert, von denen mein Körper einer ist. Das scheint nun in etwa die spinozanische Hintergrundkonzeption zu sein, auf der Jacobis etwas wacklige Folgerungen beruhen. Für seinen »Schluß« auf die Sukzession, den Hegel besonders rügt, läßt sich dennoch nicht viel machen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, auf welche Frage Jacobi mit seiner Herleitung eigentlich reagiert. Sein Dialogpartner hatte eingewendet, daß die Herleitung des Ursachenbegriffs aus der Erfahrung seine unbedingte Allgemeinheit »im Stiche« lasse. Jacobis Deduktion beansprucht, diesen Einwand unter der Prämisse zu entkräften, daß jedes Prädikat unbedingt allgemein und notwendig sei, wenn es »in allen einzelnen Dingen so gegeben ist, daß die Vorstellung dieses Prädikats allen endlichen mit Vernunft begabten Wesen gemein seyn, und j e d e r ihrer Erfahrungen zum Grunde liegen muß« (JWA 2, 57). Hier hilft Jacobis vorhin zitierter, direkter Verweis auf die Lehrsätze 38 bis 43 weiter. Die dort formulierten Bestimmungen adäquater Erkenntnis und näher der notiones communes, d. h. »Gemeinbegriffe«, leiten diese aus den Gemeinsamkeiten ab, worin der menschliche Körper mit anderen, ihn affizierenden Körpern übereinkommt 43 – nach Jacobis Prämissen also wenigstens Ausdehnung und kausale Interaktion. Solche Ideen

42 43

Vgl. ebd., pars 2, prop. 13, S. 127–139. Ebd., pars 2, prop. 38, 39 und lemma 2.

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heißen nach Spinoza notiones communes 44 und sind notwendig wahr45 und selbstevident. 46 Diese Bestimmungen erlauben Jacobi, von dem partikularen, aber »unleugbaren«, also selbstevidenten »Faktum« (JWA 2, 56) seiner Erfahrung, demzufolge er in sich das Gefühl der Kraft findet, auf die universelle Geltung dieser Erfahrung als Gemeinbegriff im spinozanischen Sinn zu schließen. Ohne diese Bestimmung hätte es weder Sinn, eine systematische Verknüpfung solcher Gemeinbegriffe gerade an die Behauptung anzuschließen, der »Glaube« siege über Humes skeptische Betrachtungen (JWA 2, 55), noch wäre es im mindesten denkbar, die Evidenz seiner Gedanken in einer Weise zu behaupten, die quer steht zu der Dichotomie zwischen Einzelerfahrung und allgemeiner Regel. Jacobis »Deduction« bleibt freilich äußerst problematisch, und sie leistet bei weitem nicht alles, was sie verspricht – zumal in der Gestalt nicht, in der Jacobi sie präsentiert. Es steht dennoch außer Zweifel, daß sein Gedankengang so rekonstruiert werden muß, wie ich es im Rückgang auf Spinoza skizziert habe, und daß seine Argumentation unmöglich auf Reids Gedanken zurückgeführt werden kann. Für Jacobis Argumentation im David Hume insgesamt leitend ist eine Konzeption von notiones communes, nicht eine Philosophie des Common Sense. – Ich hoffe hierbei auch den Rahmen aufgezeigt zu haben, von dem her sich Jacobis affirmativer Bezug auf die Sinnlichkeit verstehen läßt. Anders als Hegel unterstellt, beruhen seine zentralen Bestimmungen nirgends auf »gemeinstem Empirismus«. Es ist vielmehr ein von Spinoza herkommender, spekulativ fundierter Empirismus, der sich in Behauptungen äußert, wie »daß die Vernunft, als auszeichnender Character des Menschen vor den Thieren, nur der Character seiner besondern Sinnlichkeit sey.« (JWA 2, 66) Wie die Tatsache seiner so weitgehenden Übernahme Spinozanischer Theoreme mit den spezifischen Zielen von Jacobis Philosophie – seiner Insistenz auf der Personalität und Freiheit des menschlichen Individuums – vereinbart werden könne, ist ein Problem, welches über diesen Beitrag hinausweist. Weiterer Ausführung bleibt es daher vorbehalten, auf Herders Frage Antwort zu finden: »Du […] giebst einen Lehrbegrif des Spinoza, ohne Dir den Rücken frei zu halten, wiefern dies Dein System sei oder nicht? […] in weßen Namen redest Du also jetzt? für wen fichst Du?«47

44 45 46 47

Ebd., prop. 40, schol. 1. Ebd., prop. 41 und 42. Ebd., prop. 43 einschließlich schol. Herder an Jacobi, 6. 6.1785, JBW I/4, 109.

R ationaler Realismus. Reinhold zwischen Fichte, Jacobi und Bardili von Pierluigi Valenza

»Sei über die Revolution, die Fichte in meinem Innern veranlaßt hat, ruhig. Sie ist freilich total, aber betrifft nur die wissenschaftliche Form meiner Überzeugungen, die freilich bei einem Menschen meines Handwerks tief eingewurzelt und in seinem Ideenkreis weit um sich greifend ist – die ich aber zumal seit zwei Jahren her von gewisser Überzeugung, die ich die des gemeinen und gesunden Verstandes nenne, sorgfältig abzusondern gesucht habe. Als ob ich gerechnet hätte, was erfolgt ist, habe ich, seit ich über Moralphilosophie lese – die moralischen Wahrheiten von allen theoretischen wissenschaftlichen Voraussetzungen unabhängig mir darzustellen gesucht – es ist mir zu meiner eigenen Befriedigung gelungen«.1 So drückt sich Reinhold am 21. Februar 1797 in einem Brief an den dänischen Dichter Jens Baggesen über die neue Revolution in seiner Philosophie aus, nachdem er die Wissenschaftslehre Fichtes akzeptiert hat. Mittels dieser Erklärung versucht er, den Freund zu beruhigen, der durch Reinholds Wende zu Fichte schmerzlich erschüttert worden war. Kurz zuvor, und zwar im Brief vom 3. desselben Monats, hat Reinhold Baggesen gestanden, daß er nunmehr gegenüber Fichtes Wissenschaftslehre seine Elementarphilosophie unhaltbar beurteile: »kein Stein des Gebäudes […] bleibt über dem andern« – so lautete die erste Ankündigung, die Reinhold, tief erschüttert, über seine Abkehr von seinem bisherigen System gegeben hat. 2 Baggesen sah also Reinhold als einen Verbündeten Fichtes, während er bis dahin meinte, mit dem Freund die Überzeugung gemein zu haben, derzufolge die Philosophie unfähig sei, das Prinzip der menschlichen Überzeugung vom Leben zu fassen. 3

Karl Baggesen / August Baggesen, Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi, 2. Theil, Leipzig 1831, S. 166 f. 2 Ebd., S. 158. 3 Vgl. ebd., S. 163 f., insbesondere 164: »Wovon ich am Ende allein ganz überzeugt bin, ist, daß das gesuchte Prinzip, welches jede Überzeugung unerschütterlich begründen soll, nicht gefunden werden kann.« 1

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Mit dieser Erklärung erwidert Reinhold auf die Klagen des Freundes, daß die neue spekulative Bekleidung nur die theoretischen Wahrheiten betrifft, während die praktischen Überzeugungen davon getrennt sind und fest bleiben. In dieser Rekonstruktion von Reinholds Weg zum rationalen Realismus möchte ich versuchen, diese Erklärung Reinholds als Schlüssel zum Verständnis seiner plötzlichen Abkehr vom Idealismus zum Realismus zu benutzen, die zweieinhalb Jahre später, Ende 1799, stattfindet. Solche Trennung von theoretischen Wahrheiten und praktischen Überzeugungen – so meine These – könnte erklären, wie Reinhold es am Anfang seiner realistischen Phase für möglich hält, Fichtes Idealismus mit Bardilis Realismus versöhnen zu können. Gleichzeitig fühlt Reinhold eine starke menschliche und auch philosophische Affinität zu Jacobi, der in dieser Zeit Fichte stark kritisiert und keinen Zugang zur realistischen Philosophie Bardilis findet. Dies werde ich mittels einer dreiteiligen Darstellung deutlich machen. Im ersten Teil werde ich mit der Rechenschaft über den eigenen philosophischen Weg anfangen, die Reinhold selbst in zwei Abhandlungen des 5. Bandes der Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie gibt. Im zweiten und dritten Teil werde ich einen Blick auf Reinholds Deutung des Idealismus Fichtes und des Realismus Bardilis in ständiger Beziehung auf Jacobi werfen, um meine Hauptthese und damit Reinholds Rekonstruktion seines Weges vom Idealismus zum rationalen Realismus nachzuprüfen.

I. Im fünften Band der Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie (1803) gibt Reinhold in zwei Abhandlungen weitere Rechenschaft über seine philosophische Migration und seine Stellung zur zeitgenössischen Philosophie. Ich beziehe mich auf die Abhandlungen Nr. II, Rechenschaft über mein Systemwechseln, und Nr. IV, Briefe an F. H. Jacobi. Über das Wesen der Jacobischen, Fichteschen, Schellingschen und Bardilischen Philosophie. 4 Was Reinhold zwingt, noch einmal von seinem Systemwechseln zu reden, ist vielleicht die allgemein kritische und oft stark polemische Reaktion auf den rationalen Realismus, den besonders Fichte und Schelling mit ihren Vgl. Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts – im folgenden: Beyträge –, Bd. 5, Hamburg 1803, S. 23– 46 und 69–114 bzw. PLS 2/1.315–333. 4

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polemischen Schriften kräftig angegriffen haben. 5 Wenn man jedoch diese Rechenschaft mit der Rundschau über die Geschichte der Philosophie und über die zeitgenössische Philosophie in den ersten Heften der Beyträge vergleicht, dann fällt auf, daß inzwischen das polemische Hauptziel Reinholds nicht Fichte, sondern Schelling geworden ist. Die Vorstellungen der neuesten Entwicklung der Philosophie entsprechen also einer ständig revidierten Auffassung der letzten Tendenzen der deutschen Spekulation. Reinhold zufolge läßt ein Systemwechsel eine grundlegende Schwierigkeit der philosophischen Hermeneutik entdecken, und zwar diese: Wenn zwei Philosophen über ein System übereinstimmen, meinen sie folgerichtig, daß ihr Einverständnis ganz und gar lückenlos sei. Wenn dann ein Philosoph seine Überzeugungen ändert, wird er sich die Kritik zuziehen, das vormalige System falsch verstanden zu haben. Reinhold meint, daß sowohl solche Kritik als auch deren Erwiderung gerechtfertigt sind, weil es anfänglich offenbar eine nur oberflächliche und scheinbare Übereinstimmung gegeben hat. 6 Daher hat die philosophische Gesellschaft die Wendungen Reinholds kaum akzeptiert; das gilt auch für diejenige philosophische Partei, die die systematische Form der Philosophie kritisch einschätzt und die Stellung Jacobis auch einschließen könnte, obwohl Reinhold ihn nicht erwähnt.7 Die Gründe für das Verlassen des Kritizismus und folglich seiner eigenen Elementarphilosophie erzeugen nichts Neues im Vergleich mit vorausgehenden geschichtlichen Erklärungen: Die Elementarphilosophie kann sich des Verdienstes rühmen, die zwei Fundamente des Kritizismus, d. h. die Erfahrung und das moralische Selbstbewußtsein, einheitlich aus dem Prinzip des Bewußtseins deduziert zu haben, aber sie hat darin gefehlt, sich von der

Fichte polemisiert gegen den rationalen Realismus in der Rezension von Bardilis Grundriß der ersten Logik, die im Oktober 1800 in der Erlanger Litteratur-Zeitung, Nr. 214 und 215, erscheint, und in dem Antwortschreiben an Herrn Professor Reinhold, das im Frühling 1801 folgt; vgl. PLS 2/1, 115–123 bzw. 148–167. Der ausführlichste Angriff Schellings gegen Reinhold und Bardili ist der Aufsatz Über das absolute Identitäts-System, und sein Verhältnis zum neuesten (Reinholdischen) Dualismus. Ein Gespräch zwischen dem Verfasser und einem Freund, der im Januar 1802 im ersten Heft des Kritischen Journals, der neuen Zeitschrift Schellings und Hegels, veröffentlicht wird; vgl. PLS 2/1, 261–269. 6 Vgl. Beyträge 5, 25, 26, 28. 7 »Auf den Beifall aller derjenigen, die sich als Philosophen ohne System behelfen können, oder wohl gar die Systemlosigkeit für ein Kennzeichen der Wahrheit der Philosophie anzusehen gewohnt sind, habe ich sehr frühzeitig, nämlich von der Zeit an Verzicht tun müssen, als ich einsah, daß Philosophie ohne System ein viereckiger Zirkel ist« (Beyträge 5, 24). 5

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Empirie loszureißen. Darin hat die Wissenschaftslehre Fichtes dank einer strengeren Deduktion die Elementarphilosophie überzeugend überwunden. 8 Einerseits könnte man diesen Weg von Kant zu Fichte als eine geradlinige Entwicklung ansehen, wobei Fichte endlich die »von Kant bloß geahnete reine Subjektivität« (Beyträge 5, 35) entdeckt hat, was die Wendung zu einer realistischen Philosophie noch unverständlicher werden läßt; andererseits beurteilt Reinhold die Philosophien Kants und Fichtes als Koalitionen von Idealismus und Realismus, und zwar die erste als »Vereinigung des empirischen Realismus mit dem transcendentalen Idealismus« und die zweite als »Vereinigung des theoretischen Idealismus mit dem praktischen Realismus« (Beyträge 5, 27). Nach diesen Definitionen stellt sich die Frage der Aufnahme des rationalen Realismus Bardilis anders. Bei einem Rückblick auf die Fichtesche Phase gibt Reinhold einen Leitfaden für die Deutung seiner Philosophie, der wieder zu dem von mir gewählten Schlüssel führt. Reinhold weist nämlich auf eine »Ahnung des an sich selbst Absoluten, des schlechthin Ersten, des Urwahren am Wahren«, hin, die er ständig, eben in der Zeit seiner Übereinstimmung mit Fichte, beibehalten habe, und folgenderweise erklärt: »Schon vorher hatte ich jener Ahnung zufolge zwischen der spekulativen Erkenntnis der philosophirenden Vernunft, und der natürlichen Erkenntnis des gesunden Verstandes unterscheiden zu müssen geglaubt; und diese Unterscheidung wurde nun dadurch, daß die Wissenschaftslehre den Glauben an Gott als eine nur für den Standpunkt der praktischen Erkenntnis im wirklichen Leben, fürs Gewissen, als solches, allein gültige Ueberzeugung aus dem reinen Wissen deducirte, für mich vollends bestätigt und aufs reine gebracht« (Beyträge 5, 37). Diese Deutung des Verhältnisses zwischen spekulativer und praktischer Erkenntnis entspricht Reinholds Annahme der Hauptpunkte des Fichteschen Systems in Über die Paradoxien und scheint auch der Perspektive der Fichteschen Wende in der Bestimmung des Menschen zu folgen. Reinhold hat sich inzwischen davon überzeugt, daß es eigentlich keinen Mittelpunkt zwischen Jacobi und Fichte, den er noch am Anfang seiner realistischen Phase suchte, gibt; statt dessen haben Schellings Identitätssystem und das bessere Verständnis des Realismus Bardilis ihn dazu geführt, jenen in der Bestimmung des Menschen dargestellten Glauben als Zeichen einer Inkonsequenz zu deuten. 9 Seiner damaligen Deutung der Jacobischen Philosophie Über das Verlassen des Kritizismus vgl. Beyträge 5, 33 f.; über die Gründe für die Aufnahme der Wissenschaftslehre vgl. ebenda S. 34–36. 9 Im ersten Heft der Beyträge identifiziert Reinhold jenen Mittelpunkt mit dem Glauben, den Fichte im dritten Buch der Bestimmung des Menschen darstellt, und 8

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zufolge mündete Jacobi parallel auf einen Glauben, den er dank einem theoretischen Skeptizismus erreichte; inzwischen hat Reinhold verstanden, daß die Zurückführung eines solchen Glaubens auf den praktischen Glauben Kants und Fichtes unhaltbar ist (vgl. Beyträge 5, 38). Das Festhalten am praktischen Glauben erlaubt den Zugang zu einem sonst unverständlichen metaphysischen Werk, d. h. zum Werk Bardilis. In seiner Abhandlung betont Reinhold, daß das größte Hindernis zu solchem Zugang darin bestand, die »intellektuelle Anschauung« als Erstes im Erkennen und Wissen zu sehen, denn die Identität des Subjekts und Objekts zeigte sich im subjektiven Tun in ihrer Reinheit (vgl. Beyträge 5, 36, 39 f.). Darin kann man auch eine Änderung im Vergleich mit vorausgehenden Darstellungen derselben Tat bemerken, denn die Betonung wird vom subjektiven Charakter des Denkens auf die intellektuelle Anschauung verschoben, die Schelling am besten benutzt.10 Ich lasse jedoch die Kritik an Schelling unberücksichtigt, die den letzten Teil dieser Abhandlung ausmacht. Was mir am Herzen liegt, ist, die Trennung zwischen theoretischen Wahrheiten und praktischem Glauben im Leben als von Reinhold selbst hervorgehobenen roten Faden seiner philosophischen Einsicht zu betonen. Die vier Briefe, die Reinhold im September 1802 an Jacobi schreibt, stellen eine parallele Rechenschaft über seine philosophische Entwicklung dar, worin Reinhold sich in eine Debatte mit einer unsystematischen Philosophie einläßt. Daraus folgt, daß es für Reinhold ebensowohl wichtig war, seine Philosophie noch mit dem Nicht-Wissen Jacobis zu messen, obwohl er im Rückblick auf den eigenen philosophischen Weg die unsystematischen Formen der Philosophie beiseite gestellt hatte. Solche Konfrontation ist hochwichtig, denn sie ist Reinhold zufolge ein Mittel für eine wechselseitige Erklärung mit Jacobi.11 Inwieweit Reinhold solche Aufgabe ernst nimmt, will in dieser Stellungnahme Fichtes keine Herablassung »zur populären Denkart« sehen (vgl. Beyträge 1, Hamburg 1801, S. 121 f.). Schon im zweiten Heft wird der Glaube in der Bestimmung des Menschen als Zeichen einer Inkonsequenz, und zwar als Mischung der unterschiedenen Standpunkte des gemeinen und philosophischen Bewußtseins, beurteilt (vgl. Beyträge 2, Hamburg 1801, S. 64). Auf diese Inkonsequenz verweist Reinhold auch in der vorliegenden Abhandlung (vgl. z. B. den Schluß, Beyträge 5, 45 f.). 10 Über den Wandel in Schellings Verständnis der intellektuellen Anschauung vgl. Beyträge 5, 42 f. 11 »Jemehr ich dich verstehen lerne, desto größer wird mein Wunsch, von dir verstanden zu sein« (Beyträge 5, 70). Im Sendschreiben an Fichte von 1799 hatte Reinhold geschrieben, daß seine Stellung zu Jacobi entscheidend war, um sich selbst verstehen zu können.

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kann man daraus erschließen, daß er eine Entbindung vom Prorektorat verlangt hat, um sich einer solchen Schrift zu widmen (vgl. Beyträge 5, 69 f.). Die Anregung dazu ist Hegels Kritik an Jacobi in der Abhandlung Glauben und Wissen, die einen Monat zuvor im Kritischen Journal erschienen war. Reinhold will in einem Brief Jacobis einen Anstoß dazu gelesen haben, sich damit zu beschäftigen.12 Kurz zusammengefaßt: Reinhold begreift den Gegensatz zwischen Glauben und Wissen bei Jacobi als eine Konsequenz davon, daß Jacobi den echten Charakter des Denkens mißverstanden habe, während er das mit verschiedenen Mitteln angestrebte Ziel mit ihm gemein habe. Falls das Denken nur menschliches Denken wäre, d. h. ein Denken, das von einer relativen Identität von Subjekt und Objekt ausgeht, diese Identität aber als eine absolute ausgibt, so hätte Jacobi damit ganz recht, Gott jenseits aller menschlichen Auffassung zu stellen (vgl. Beyträge 5, 75–77). Jacobi hat richtig verstanden, daß die intellektuelle Anschauung als höchstes Organ der menschlichen Erkenntnis, die sowohl Fichte als auch Schelling, der letzte aber in kohärenterer Weise, benutzt haben, eine Selbsttäuschung war (vgl. Beyträge 5, 76 f., 81 f., 85, 92, 94 f.). Er hat die Grenzen des menschlichen Wissens erläutert, die darin bestehen, daß das Wissen, indem es sein Objekt auf Gründe zurückführt, alles als etwas bedingtes setzt. Darum benutzt Jacobi die Anschauung in einem ganz anderen Sinne, denn er identifiziert sie mit dem Glauben, so daß die Anschauung die Wirklichkeit Gottes, Gott als Urheber aller Wirklichkeit, als eine Gewißheit bringt, ohne Gott und die von ihm zwar abhängige, aber von ihm getrennte Wirklichkeit miteinander zu verschmelzen (vgl. Beyträge 5, 83 f.). Gerade solche Verschmelzung, durch die der eigentliche Sinn Gottes und der Natur verloren geht, ist das Ergebnis der Fichteschen und Schellingschen intellektuellen Anschauung. In der Kontrastierung von Fichtes und Schellings Identitätssystem mit Jacobis Nicht-Wissen stellt Reinhold also Pantheismus und Dualismus, Immanenz und Transzendenz gegenüber. Reinhold gibt jedoch Hegel teilweise recht, indem auch er Jacobi beschuldigt, sich auf den Glauben zu beschränken, statt den geglaubten Gott vermöge der Erkenntnis zu erreichen. Reinhold erhebt diese Kritik aus der Perspektive eines Realismus, der, ihm zufolge, das Denken keineswegs als menschliches Denken, sondern als absolutes Denken auffaßt. Was Jaco»Ich glaube in deinem Vorletzten den Wunsch, daß ich dir meine Gedanken über die neue Darstellung deiner Philosophie in Schellings kritischem Journale mitteile, gefunden zu haben« (Beyträge 5, 69): so Reinhold in seinem ersten Brief vom 9. September 1802. 12

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bi glaubt, erkennt Reinhold mit Bardili als vernünftig: »Ich weiß, daß in deinem Genusse des Denkens, in dem, was du dein Nichtwissen, und dein Glauben nennst, mehr Wahrheit enthalten ist, als in allem dem angeblichen Wissen, das du verwirfst, und bestreitest. Aber ich weiß auch, daß es eine Erkenntnis des Denkens gibt, die mit jenem Wissen durchaus nichts gemein hat, die durch deine Einwendungen nicht getroffen werden kann, und von der du nur darum entfernt bist, weil du bereits glaubend für wahr hältst, was durch dieselbe gewußt wird« (Beyträge 5, 71). Jacobi teilt mit seinen Gegnern die Idee, das Denken sei notwendigerweise menschlich, wobei alle davon befangen sind, daß der Gemeinsinn gerade solche Einsicht in ihrer Augenscheinlichkeit vertritt. Bardili hat gezeigt, daß es möglich ist, sich über den Gemeinsinn zu erheben und zu einem jenseits der Subjektivität liegenden, unwandelbaren, absoluten Denken überzugehen. Im dritten und vierten Brief versucht Reinhold vor allem, seinen neuen Lehrer vor dem Verdacht, sein Denken als Denken sei letzten Endes eine weitere Version der Schellingschen Identität, zu schützen, denn Schelling selbst hatte in seinem Aufsatz Über das absolute Identitätssystem viele Ähnlichkeiten zwischen seinem System und dem Realismus Bardilis hervorgehoben und seiner Naturphilosophie den zeitlichen Vorrang zugesprochen, was Reinhold und Bardili als Nachahmer erscheinen ließ (SW 5, 18, 61 ff.). Der Scheidepunkt liegt nach Reinhold in der Auffassung der Identität: Schelling abstrahiert von der Differenz und begreift demzufolge eine nur relative Identität; Bardili und Reinhold erfassen eine absolute Identität, die jenseits jeder Differenz liegt, und postulieren dann die Differenz nur zum Ziel der Anwendung des Denkens auf die Materie, wobei die Trennung unbestritten ist (vgl. Beyträge 5, 91 f.). Solche Anwendung ist als Verhältnis der Möglichkeit zur Wirklichkeit begreifbar: Die Materie wird als zweiter Terminus postuliert und dann in der Erkenntnis des angewandten Denkens in die Form des Denkens aufgelöst, so daß nur das Rationale in der Materie das Unveränderliche, das Absolute ist. Dadurch entzieht sich der rationale Realismus dem Vorwurf Jacobis, eine Art Spinozismus zu sein.13 Im Brennpunkt des Reinholdschen Interesses in dieser Phase seiner Auffassung des rationalen Realismus liegt der Begriff der Analysis,

Am Anfang des dritten Briefs an Jacobi erwähnt Reinhold auch das System Spinozas neben denjenigen Fichtes und Schellings als Identitätssystem, mit dem der rationale Realismus verwechselt werden könnte. Damit solche Verwechselung vermieden wird, muß man klarstellen, daß die Identität im rationalen Realismus weder Gott noch die Natur noch Gott in der Natur, sondern die Offenbarung Gottes in der Natur ist (vgl. Beyträge 5, 90 f.). Dafür ist es grundlegend, die Differenz zwischen Denken und Materie beizubehalten, die sich auf die Vertilgung der Materie gründet. Das läßt dann 13

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die Reinhold als »Vereinigung der Thesis und der Hypothesis als Antithesis und Synthesis zugleich« definiert.14 Obwohl Reinhold im rationalen Realismus Bardilis die gelungene Fassung der Analysis erkennt, bezieht er sich auf alte Modelle, was Hinweise auf seine Grundinspiration gibt: Er erwähnt die »Verknüpfung des Entgegengesetzten unter dem Einen« bei Pythagoras und die Dialektik Platos (vgl. Beyträge 5, 102 f.). Wir werden sehen, daß der letzte Bezug, nämlich derjenige auf Plato, bedeutsam ist, denn Reinhold, wenngleich er bei dieser ziemlich neuen Aufmerksamkeit auf die griechische Philosophie von Bardili abhängig zu sein scheint, hatte schon vor seiner Begegnung mit Bardili ein starkes Interesse für die Ontologie Platos gezeigt. Für die Auseinandersetzung Reinholds mit Jacobi ist auch die Argumentation gegen die Einwände von Heinrich Paulus im vierten Brief wichtig. Paulus kritisiert das Denken als Denken aufgrund der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes »Denken«, womit man normalerweise einen Gemütsakt meint.15 Reinhold erwidert, daß es die Aufgabe der Philosophie ist, auf dem Standdas Vernünftige in der Materie erkennen (vgl. ebenda, S. 96 f.). Am Schluß des Briefs kehrt Reinhold noch zum Unterschied zwischen dem Denken und der sinnlichen Natur zurück (Beyträge 5, 99). 14 Beyträge 3, Hamburg 1801, S. 133. Ich übernehme diese Definition aus Abhandlung Nr. III im dritten Heft der Beyträge, einer von Reinholds zahlreichen Darstellungen des Realismus: Neue Darstellung der Elemente des rationalen Realismus. Im vierten Brief an Jacobi bemerkt Reinhold, daß die Analysis bisher in der Geschichte der Philosophie nicht völlig erfaßt worden sei. Solche Schätzung schließt Bardili selbst ein: Weiter schreibt Reinhold, daß die Analysis selbst »durch ihren letzten Entdecker, Bardili, den Erfinder ihres einfachsten Ausdrucks, durch besondere und eigenthümliche Zeichen […] mehr nur vorläufig angedeutet als rein systematisch« dargestellt worden ist (Beyträge 5, 103). Hier bezieht Reinhold sich auf die algebraischen Formeln, wodurch Bardili das Denken, die Materie und ihr Verhältnis behandelt: vgl. Christoph Gottfried Bardili, Grundriß der ersten Logik gereiniget von den Irrthümern bisheriger Logiken überhaupt, der kantischen insbesondere; keine Kritik sondern eine Medicina mentis, brauchbar hauptsächlich für Deutschlands kritische Philosophie, Stuttgart 1800, S. 4, 68, 79. 15 Paulus drückt seine Einwände in einem Brief an Reinhold vom 3. April 1802 aus. Auf der Basis des gemeinen Sprachgebrauchs bemerkt er: »Nicht das Denken ist demnach Identität; es bringt nicht einmal Identität hervor; es ist nur der Akt des Bewußtseins, durch welchen der Geist zwei Vorstellungen gewissermaßen, d. h. in einer gewissen Betrachtung als Eines vorstellbar findet« (Beyträge 5, 108). Gerade darum würde die Betrachtung der Identität in der realistischen Perspektive Bardilis und Reinholds dennoch wenig nützlich sein. Im Brief an Jacobi erwähnt Reinhold Paulus nicht: Zu Paulus’ Brief insgesamt vgl. Robert Keil (Hrsg.), Wieland und Reinhold. Original Mittheilungen als Beiträge zur Geschichte des deutschen Geisteslebens, Leipzig 1885, S. 353–356.

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punkt des gemeinen Verstandes keineswegs stehenzubleiben, sondern sich von dessen Bedingungen, die vor allem aus dem Sprachgebrauch herkommen, ganz loszureißen, denn es kann ihr nur dadurch gelingen, ihr eigenes Resultat mit den Überzeugungen des gemeinen Verstandes in Übereinstimmung zu bringen (vgl. Beyträge 5, 102 f.). Nach Reinhold trifft diese Argumentation auch Jacobis Glauben, weil dieser Glaube ein empirisches, unter den Vorurteilen des gemeinen Verstandes liegendes Wissen ist: Jacobi verzichtet ganz bewußt darauf, die Implikationen dieses Glaubens zu entfalten, um eher eine im Gegensatz dazu rationale Auffassung zu erreichen. Sonst würde auch Jacobi aus seinem Glauben eine Intelligenz und dann ein Denken, das nicht subjektiv ist, und endlich eine absolute Identität ableiten; das Ergebnis dieser Deduktion wäre das Denken des rationalen Realismus, das Reinhold sowohl gegen die gewöhnliche Auffassung des Denkens wie gegen diejenige der neuesten Philosophie folgenderweise beschreibt: »Das Denken, worin ich suche, ist mehr als mein Gemütsakt, denn ich suche nur die Wahrheit und ich kann und will sie nicht selbst machen. Das Denken, worin ich suche, ist so wenig bloßes Wirken oder Handeln meines Ichs, als das Licht bloßes Wirken oder Handeln meines Auges beym Sehen. Das Denken, worin ich suche, ist auch wirklich nicht dasselbe, was wir uns beym Worte Denken vorzustellen gewohnt sind« (Beyträge 5, 110).

II. Im Jahre 1797 wendet Reinhold sich der Wissenschaftslehre Fichtes zu. Davon legt er öffentlich Rechenschaft in der zweiten Fassung der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik seit den Zeiten von Leibniz und Wolff ab, die er im zweiten Teil der Auswahl vermischter Schriften veröffentlicht. Er gibt dafür dieselben Gründe an, die wir in seiner Rechenschaft im fünften Band der Beyträge gesehen haben.16 Da Reinhold wiederholt die Trennung zwischen theoretischen Wahrheiten und praktischen Überzeugungen als hermeneutischen Schlüssel zu seiner philosophischen Laufbahn anbietet,

In der Vorrede zum zweiten Teil der Auswahl vermischter Schriften weist Reinhold darauf hin, daß der in der Voraussetzung des materiellen Grundes und in dem Zirkelschluß von empirischer und transzendentaler Seite bestehende entscheidende Widerspruch ihn dazu geführt habe, die Elementarphilosophie zu verlassen. Dieselben Rücksichten nimmt Reinhold bei der Bilanz des Zustandes der Philosophie nach Fichtes Wissenschaftslehre zurück; vgl. Reinhold, Auswahl vermischter Schriften, Bd. 2, Jena 1797, S. V–XII, 338–342. 16

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können wir versuchen, solche Trennung in ihren theoretischen und praktischen Seiten zu überprüfen und dadurch zu ermessen, inwiefern Reinhold den Idealismus angenommen hat. Die totale Unabhängigkeit der moralischen und religiösen Überzeugungen von der Kritik des philosophischen Standpunkts erklärt Reinhold schon in der Vorrede der ersten dem Atheismusstreit gewidmeten Schrift, Über die Paradoxien der neuesten Philosophie, die er im März 1799 erscheinen läßt.17 Aber solcher Standpunkt läßt die Frage stellen, wozu man dann philosophieren solle; die Frage ist noch passender, weil die neueste Philosophie dank dem Prinzip der Freiheit dem gesunden Verstand begreiflicher wird, aber darum noch paradoxer (vgl. Paradoxien, S. 41 ff.). Reinhold sieht die Lösung in der Rückführung der Philosophie auf den Gemeinsinn als ihren Ausgangspunkt, der nach ihm der Fähigkeit der Philosophie zu einer totalen Abstraktion von der Erfahrung keineswegs schadet. Daß die Philosophie eine Tat des Subjekts und in diesem Sinne subjektiv ist, hat eine nebensächliche Bedeutung, wenn nicht für den Mechanismus der Abstraktion, so doch zweifellos für die Resultate: Nach Reinhold ist die Benennung »Ich« für den Stützpunkt der Abstraktion irreführend, und so trägt die Philosophie Fichtes den Namen »Idealismus« eher unberechtigt. Reinhold nennt Fichtes Philosophie eine »Philosophie ohne Beinamen«, d. h. mit demselben Namen, den er später dem Realismus Bardilis verleiht. »Idealistischen Dogmatismus« nennt Reinhold die Abstraktion, welche die innere Erfahrung keiner Prüfung unterstellt, und »realistischen Dogmatismus« diejenige, die auf dieselbe Weise die äußere Erfahrung betrachtet; dagegen abstrahiert Fichte von jeder Erfahrung, so daß seine Philosophie weder Idealismus noch Realismus ist (vgl. Paradoxien, S. 50 f.) und idealistische und realistische Denkart miteinander vereinigt. Darum deutet Reinhold die Benennung »transzendentaler Idealismus« als eine »philosophische Paradoxie«, womit die Trennung zwischen der Philosophie und dem gemeinen Verstand klarer ist (vgl. Paradoxien, S. 94). Eigentlich braucht der gemeine Menschenverstand keine Philosophie. Zur Philosophie gelangt das Individuum, das aufgrund einer freien Tat philosophiert und mittels der Philosophie dieselbe Gewißheit seiner praktischen Überzeugung erreichen will. Das Gebiet der Philosophie ist also Spekulation, d. h. eine künstliche Tat: Wiederholt bezeichnet Reinhold die Philosophie als eine »Kunstoperation« und ihr Resultat als ein »Kunstwerk« Reinhold, Über die Paradoxien der neuesten Philosophie, Hamburg 1799 – im folgenden: Paradoxien –, S. 6 f., 9 f. Zur Erscheinungszeit der Paradoxien vgl. Reinhold, Sendschreiben an J. K. Lavater und J. G. Fichte über den Glauben an Gott, Hamburg 1799, S. 76. 17

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(Paradoxien, S. 54). Die Erfahrung ist unabhängig von der Philosophie und daher selbstgenügsam: »alle Überzeugung, auch die der Erfahrung, ist nur durch Selbstdenken möglich« (Paradoxien, S. 48), womit Reinhold keine durch Philosophie erworbene Ansicht meint, sondern vielmehr ein moralisch geprägtes Selbstbewußtsein, denn er führt alle Gewißheit der Erfahrung auf das »Gewissen« zurück. Das Gewissen ist eine Überzeugung, die aus dem »Selbstdenken der Freiheit« entsteht und die zum Gegenstand hat, was »Erfahrung sein soll«; 18 das Gewissen bildet die Individualität eines jeden Menschen, wodurch jeder Mensch »Person« ist, und ist dann ursprünglich und Quelle aller übrigen Gewißheit. Darauf weist Reinhold hin, wenn er »Überzeugung« allgemein definiert: »Überzeugung überhaupt […] ist ihrem inneren Wesen nach nur durch ein notwendiges, und auf Freiheit sich beziehendes Selbstdenken möglich. In der natürlichen Überzeugung, als solcher, bezieht sich zwar das Selbstdenken einerseits durch die Wahrnehmung, auf das Wirkliche, was das Ich durch seinen Willen frei zu behandeln, und durch seine Denkkraft zu erforschen hat. Aber dieses Selbstdenken wird nur durch ein Anderes, das damit unzertrennlich verbunden ist, das sich unmittelbar auf Freiheit bezieht; und zunächst das Selbstbewußtsein bedingt, erst zur Überzeugung erhoben«.19 Solche unmittelbare Gewißheit ist auch das Muster für die Philosophie, wenn sie nach der begrifflichen Erklärung der Gewißheit strebt, und rechtfertigt als vollendete Gewißheit die freie Tat der philosophischen Abstraktion, die auf das reine Wissen abzielt, und zwar auf ein Wissen, das im Vergleich zur theoretischen Überzeugung der Erfahrung als vollendet zu betrachten ist. Nachdem man sich auf die Ebene der philosophischen Abstraktion gestellt hat, könnte man grundsätzlich mit der Reihe der philosophischen Akte bis ins Unendliche weitergehen. Der Philosoph ist jedoch in der Tat ein konkreter Mensch, der mit seinem Gemeinsinn in der wirklichen Erfahrung zweifeln kann, bis er dank der philosophischen Erklärung seine Zweifel gelöst hat. Der Philosoph als Mensch unterbricht die Reihe der philosophischen Akte, um zum Leben zurückzukommen, was keine willkürliche Tat des Philosophen ist, denn nach Reinhold zwingt die Freiheit selbst als gemeinsames Prinzip der natürlichen und der philosophischen Überzeugung dazu, beide zu vereinigen (vgl. Paradoxien, S. 77 f.). Im Sendschreiben an Lavater und Fichte weist Reinhold der Spekulation Paradoxien, S. 53. Zur Definition des Gewissens als »Selbstdenken der Freiheit« vgl. ebd., S. 54. 19 Ebd., S. 78 f. – Über den Vorrang des Gewissens in expliziter Beziehung auf Fichtes Aufsatz Über den Grund unsers Glauben an eine göttliche Weltregierung drückt Reinhold sich auch im Sendschreiben an Lavater und Fichte, S. 16, aus. 18

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die Funktion zu, die Zweifel zu lösen, die in der notwendigen Distanz zwischen dem göttlichen Glauben, d. h. der dem Menschen unmöglichen direkten Schau Gottes, und dem menschlichen Glauben entstehen. 20 Auch in diesen zwei Briefen hält Reinhold an einer positiven Funktion der Spekulation fest. Wie bekannt, beginnt Reinhold den Brief an Fichte in Eutin bei Jacobi und in enger Verbindung mit dem Freund. Solche Verbindung beweist auch die aus einem Brief Jacobis an Reinhold stammende Nachricht, daß Reinhold kurz zuvor den Dialog Idealismus und Realismus wieder gelesen hat. 21 Die steigende Wichtigkeit des Jacobischen Standpunkts bezeugt Reinhold selber, wenn er im Sendschreiben über die Suche nach einem Mittelpunkt zwischen Jacobi und Fichte sagt: »Ich bin seit einigen Tagen persönlich in Eutin, und es wird mir durch jede Unterredung mit Jacobi einleuchtender, daß ich meinen Standpunkt zwischen Ihm und Ihnen nehmen müsse, wenn ich Sie, und zugleich mich selbst, völlig verstehen soll. Er hat meine Einbildungskraft, die zum Teil noch immer durch den Buchstaben des kantischen, von mir so lange bewohnten und so mühsam bearbeiteten, Lehrgebäudes gefesselt war, vollends in Freiheit gesetzt. Durch Ihn habe ich den Geist Ihrer Philosophie, so wie durch Sie, den Geist der kantischen inniger kennen gelernt; und ich hoffe nun auf der, mir von Ihnen geöffneten Bahn des spekulativen Wissens desto freier und fester fortzuschreiten, seitdem ich das, was er sein Nichtwissen nennt, verstehe, und von ganzem Herzen daran Teil nehme«. 22 Der allgemeine Rahmen dieser Suche ändert sich nicht gegenüber den Paradoxien: Der Glaube ist unabhängig von der Philosophie, aber die Philosophie behält eine erklärende Funktion, die Reinhold im Sendschreiben noch bestimmter beschreibt. Wichtiger ist für Reinhold inzwischen geworden, daß die Spekulation bis zur höchsten Abstraktion gelangen könne. Während dieser Zielpunkt für Jacobi zum Grund dazu wird, die nihilistische Bedeutung des Idealismus zu zeigen und dem lebendigen Standpunkt des Nicht-Wissens gegenüberzustellen, meint Reinhold, daß die Spekulation in ihrer extremen Abstraktion die Fähigkeit behält, das Wirkliche zu reproduzieren. 23 In diesem Sinne deutet er Fichtes Identifizierung Gottes mit der

Vgl. Sendschreiben an Lavater und Fichte, S. 21, 33 f. Vgl. Jacobis Brief an Reinhold vom 26. Februar 1799: »Daß Sie mein Gespr. ü. Id. u. Real. noch einmal und mit so großer Zufriedenheit haben lesen können, freut mich ungemein« (Ernst Reinhold (Hrsg.), Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s, Jacobi’s und andrer philosophirender Zeitgenossen an ihn, Jena 1825, S. 244). 22 Sendschreiben an Lavater und Fichte, S. 78 f. – Vgl. GA III/3, 308. 23 In der nachfolgenden Diskussion zwischen Jacobi und Reinhold scheint dieser 20 21

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moralischen Weltordnung als Objektivierung des philosophischen Gottes, d. h. als den aus dem Wissen deduzierten Glauben. Dieser Glaube und seine Teile bilden den Gegenstand der »Religionswissenschaft«. 24 Reinhold erläutert die oben erwähnte erklärende Funktion dieser Religionswissenschaft für den menschlichen Glauben im Brief an Lavater: Es handelt sich um eine kritische Funktion, denn sie kann die verschiedenen Formen des Theismus und Supernaturalismus überwinden und dadurch den Glauben vor der Gefahr eines mehr oder weniger expliziten Atheismus schützen. Den Vergötterungen, die aus diesen Standpunkten erwachsen, werde »durch den Begriff ein Ende gemacht, durch welchen die n e u e s t e P h i lo s op h i e […] Gott – s o we it d e r U nb e g r e i f l i c h e d e n kb a r ist – als die mor a l i s c h e Weltordnung gedacht wissen will«. 25 Solches Verständnis Reinholds von der Denkbarkeit des Unbegreiflichen trifft auch die grundlegende Überzeugung Jacobis, wonach Gott ein persönliches Wesen ist. Das göttliche Du ist ein unverzichtbarer Glaubensartikel, den Jacobi im Sendschreiben an Fichte dem leeren Willen opponiert, so wie er ihn auch dem Begriff der causa sui in den Spinozabriefen gegenüberstellt hat (JWA 2, 218 ff). Da Reinhold dem philosophischen Standpunkt Jacobis so nahe scheint und das Thema des zum freien Leben rufenden Wesens aufgreift, ist es noch bedeutsamer, daß er die Persönlichkeit Gottes nur als eine menschliche Darstellungsart begreift, ohne ihr eine entscheidende Funktion im Streit über den Atheismus zuzuschreiben. 26 Aus dieser Stellungnahme Reinholds könnte man erwarten, daß Fichtes neue Darstellung der letzten Bedeutung seiner Philosophie in der Bestimmung des Menschen zu einer engeren Übereinstimmung zwischen Reinhold und Fichte führen könne, da Fichte dort die Leere eines Wissens zeigt, das

Punkt strittig sein: Die Einwände Jacobis betreffen die Allgemeinheit und Unklarheit des Glaubens, so wie Reinhold ihn in dieser Zeit auffaßt. Das Streben der Philosophie nach der Erklärung der Widersprüche im Glauben ist Jacobi zufolge zum Scheitern verurteilt. Vgl. Jacobis Brief an Reinhold vom 30. August 1800 in Reinhold’s Leben (Anm. 21), S. 255–257, insbesondere S. 256. Jacobi hat jedoch Reinholds Suche nach einem mittleren Standpunkt zwischen ihm und Fichte mit Interesse aufgenommen und die Winke hierzu in den Briefen an Lavater und Fichte sehr geschätzt (vgl. ebd. S. 248 f.). 24 Vgl. Sendschreiben an Lavater und Fichte, S. 106, 112. 25 Ebd., S. 68. 26 Vgl. Sendschreiben an Lavater und Fichte, S. 73: Gott »nimmt für uns die Predikate der Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit, Freiheit, Vernünftigkeit, Persönlichkeit, Heiligkeit an, weil Er uns nur durch unser Streben nach diesen Charakteren zu sich führen kann.«

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alle Erkenntnis auf das Subjekt beschränke. Dagegen verlangt Fichte die grundlegende Rolle des Glaubens als praktische Verbindung mit dem Willen, der mit der moralischen Ordnung identifizierbar ist: Der Wille wird hier als die Gemeinschaft begriffen, die zur Freiheit ruft und daher das Einzelne konstituiert. Eine Bestätigung für solche mögliche Übereinstimmung findet man in einem Brief Reinholds an Fichte, den er dann im ersten Heft der Beyträge veröffentlicht. In der Bestimmung des Menschen sieht Reinhold einen Schritt genau in die Richtung auf jenen dritten Standpunkt, von welchem er im Sendschreiben an Lavater und Fichte gesprochen hat, und er schließt aus, daß es sich nur um eine populäre, taktische Version dieser Philosophie handle. 27 Inzwischen hat Reinhold aber im Grundriß der ersten Logik von Bardili eine mögliche neue Lösung der noch offenen Probleme gefunden und auch aus Schellings transzendentalem Idealismus einen neuen Blick auf die Gefahr der neuesten Philosophie geschöpft, auf die er schon im ersten Heft der Beyträge reagiert. Aber in den Paradoxien (S. 111) hat Reinhold neben dem Bezug auf das den Menschen konstituierende göttliche Wesen als Stimme, die zur Freiheit ruft, ein alternatives Modell gezeichnet, wofür die Ontologie Platos das Muster bildet: »Der Unterschied und der Zusammenhang zwischen dem spekulativen Wissen und der natürlichen Überzeugung, der nur in der Vergleichung von beiden miteinander, und für diese Vergleichung gilt und gelten kann, scheint mir in der platonischen Lehre von den Ideen und den Verhältnissen derselben zu den endlichen, materiellen, Dingen nicht bloß angedeutet, sondern mit einer mehr als prophetischen Bestimmtheit und Umständlichkeit vorgebildet – vorausgesetzt, daß unter der reinvernünftigen Seele die sich selbstdenkende und anschauende Freiheit, die philosophierende Vernunft, verstanden werden könnte«. Darin und in der nachfolgenden Darstellung einiger der wichtigsten Themen der Ontologie und der Erkenntnistheorie Platos (vgl. Paradoxien, S. 101 ff.) finden wir den Kern der realistischen Wende Reinholds, wobei der Realismus nicht mehr im Sinne des gesunden Verstandes, sondern als Gewinn einer metaphysischen Erkenntnis zu verstehen ist. III. Wenn Reinhold im Herbst 1799 von Bardilis Grundriß der ersten Logik so gefesselt wird, daß er ihn wochenlang wiederholt liest, versteht er die darin gehaltene Auffassung nicht als Realismus, im Sinne des Verfassers. In der Logik Bardilis findet Reinhold die Darstellung und die Lösung von alten 27

Vgl. Beyträge 1, S. 121 f.

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logischen Problemen und die Entdeckung, daß die formale Logik von Aristoteles falsch verstanden worden war, als man sie für die endgültige Logik hielt. Diese Hinweise können wir schon im ersten Brief an Bardili vom Dezember 1799 lesen, den Reinhold zusammen mit dem Briefwechsel mit Bardili bis Mai 1801 in einem Band veröffentlicht. 28 Aus methodischem Gesichtspunkt ist für Reinhold die Verbindung von Logik, Metaphysik und Mathematik attraktiv (vgl. Briefwechsel, S. 6). Dies trägt zur Lösung der Frage bei, die Reinhold den »Streit über den Inhalt der sogenannten Realphilosophie« (ebd.) nennt. Inhaltlich aber sind die Anspielungen Reinholds auf die »Ahnung des An sich selbst Wahren, und schlechthin (nicht bloß Subjektiv – oder Objektiv – oder auch in beiderlei Rücksicht) Absoluten« (Briefwechsel, S. 3), wofür er auf seine Schriften von 1799 hinweist, noch bedeutender, weil sie die metaphysische Inspiration der Reinholdschen Wende hervorheben. Trotzdem bleibt Reinhold davon überzeugt, daß er mit einer neuen Fassung der Lehre Fichtes zu tun hat. In den Briefen an Bardili und Fichte vom Januar 1800 glaubt Reinhold, beide Systeme vereinigen zu können. In der ersten Darstellung des Denkens als Denken versteht Reinhold darunter die Abstraktion und Reflexion (vgl. Briefwechsel, S. 73–79). Obwohl das Denken die Wahrheit ist, kann die Philosophie es nur mittelbar, und zwar dank des Begriffs des Denkens, auffassen. Die Anwendung des Denkens ist also ursprünglicher als die philosophische Auffassung, die »idealistisch« genannt werden kann: »Der Philosoph – schreibt Reinhold –, in wie ferne er von der ursprünglichen Anwendung des Denkens, in welcher allein die Wahrheit am Wahren gegeben ist, die allein reelle Überzeugung enthält, und ohne welche die philosophische, als künstliche, Anwendung des Denkens nicht möglich sein würde, – abstrahieren muß: ist notwendig Idealist, und die Philosophie ist in so ferne Idealismus, als sie nicht die ursprüngliche Anwendung des Denkens ist, welche allein der Realismus ist, und heißen kann«. Der Idealist – fügt Reinhold hinzu – »kennt die Wahrheit nur im Abstrakten, der Realist nur im Konkreten« (Briefwechsel, S. 81 f.). Im Brief an Fichte vom 23. Januar 1800 besteht Reinhold weiter auf solcher Überzeugung: Die neue Logik des Grundrisses sei letzten Endes Idealismus (GA III/4, 198). Der Realismus Bardilis ist für Reinhold »Idealismus« in dem eben erwähnten Sinne, obwohl Reinhold in einem Anhang zum Brief an Fichte das Denken als Denken als Ausdruck eines »Wesens aller Wesen« und die Anwendung des Denkens als Bezug auf ein Objekt überhaupt, d. h. als Ausdehnung, objektiven Raum, Reinhold (Hrsg.), C. G. Bardilis und C. L. Reinholds Briefwechsel über das Wesen der Philosophie und das Unwesen der Spekulation, München 1804; im folgenden: Briefwechsel; zu den Hinweisen auf die Logik vgl. S. 5 f. 28

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objektive Zeit darstellt. Auf den zwei Ebenen der Auffassung des Wirklichen außer dem Subjekt und der Offenbarung Gottes erreicht diese neue Philosophie ihr Ziel. 29 Es ist bekannt, daß weder Fichte noch Bardili diese Koalition akzeptieren. Nach Bardili ist die Philosophie Fichtes Idealismus, weil Fichte das Allgemeine »an die palpabelste Individualität, an die Ichheit« anknüpft, was aber für Bardili heißt, die Philosophie »mit einem Faktum ohne ein Tätiges, mit einem Faktum, ohne einem Sein« zu beginnen. Gegen solches Verständnis erklärt sich Bardili als »Realist im strengsten Sinne des Wortes«. Diese Erklärung hat mit der oben erwähnten Definition Reinholds gar nichts zu tun, denn Bardili kehrt das von Reinhold festgestellte Verhältnis zwischen Idealismus und Realismus um, da die »natürliche Erkenntnis« unreif und künstlich ist (vgl. Briefwechsel, S. 91–93). Solche Erkenntnis braucht einen Grund, der in der Logik, im Denken als Denken liegt, woran das menschliche Denken teilnimmt, ohne es produzieren zu können. Man muß die Identität von A in A, A, A, die Wiederholbarkeit von dem Einem und Selben, das ursprüngliche Rechnen denken, ohne sich auf ein Ich zu beziehen. 30 Eigentlich gibt es ein Subjekt des Denkens als Denken, und dieses Subjekt ist nach Bardili Gott selbst (vgl. Briefwechsel, S. 153). Fichte seinerseits lehnt ebenso die Identifizierung von transzendentalem Idealismus und Realismus ab: In diesem letzten entfalle jede methodische Sorge, denn das Denken als Denken werde nur aufs Wort Bardilis erreicht (GA I/6, 438). Meine letzten Hinweise gelten den Einwendungen Reinholds gegen den Realismus, die am meisten die Prägung Jacobis erkennen lassen. Reinhold verzichtet sofort darauf, den Idealismus Fichtes und den Realismus Bardilis zu parallelisieren (vgl. Briefwechsel, S. 114). Hartnäckiger bleibt er hinsichtlich des Verhältnisses zwischen natürlicher Erkenntnis und Philosophie und hinsichtlich der Überzeugung, daß der Realismus eigentlich keine letzte Lösung der philosophischen Fragen sei. In seiner Antwort auf Bardilis Erklärung wendet Reinhold ein, es könne zwischen den beiden Erkenntnissen keineswegs bloß einen Grad von Unterschied geben (vgl. Briefwechsel, S. 118). Und indem er auf die notwendige Vermittlung vermittels des Begriffes von Denken hinweist, stellt er auch noch den Charakter der Reflexivität

Vgl. die Darstellung in 17 Paragraphen, mit der Reinhold den Brief vom 23. Januar begleitet, insbesondere §§ 5 f. (über das Objekt, den Raum, die Zeit), § 7 (über die Verbindung von Möglichkeit und Wirklichkeit), §§ 14–16 (über Gott und Moral). Was Reinhold oben »das Wesen aller Wesen« genannt hat, bezeichnet er in § 17 als »das schlechthin Gute« nach Plato und als den Vater bei Christus; vgl. GA III/4, 200–205. 30 Vgl. Bardili, Grundriß der ersten Logik (Anm. 14), S. 1– 4. 29

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vor Augen, auf dem auch Fichte in seiner Kritik besteht (vgl. Briefwechsel, S. 121 f.). Im Brief vom 17. Mai 1800 erhebt Reinhold dieselben Einwände, aber diesmal vermittels der sprachlichen Natur des menschlichen Denkens. In diesem Brief unterscheidet Reinhold den Gegenstand, den Begriff, der sich als »Sachbedeutung« direkt auf den Gegenstand bezieht, und das Wort, das als »Wortbedeutung« dazu beiträgt, die »Sachbedeutung« festzustellen. Das Wort hat also eine vermittelnde Funktion für die begriffliche Auffassung. Hier erwähnt Reinhold Jacobi: »Jacobis Behauptung, ›daß die Wissenschaft, als Wissenschaft, als bloßes Wissen, keinen andern Geist habe als den Geist des Buchstabens‹, scheint mir durch die oben angeführte Stelle Ihres Schreibens vielmehr bestätiget als widerlegt«. 31 Nach Reinhold ist das Objekt der Philosophie die Anwendung des Denkens, und eben deshalb besteht die Philosophie aus einem Bewußtsein des Objekts, das durch die Sprache bedingt ist (vgl. Briefwechsel, S. 176) – in diesem Fall durch die Bedeutung des Wortes »Denken«. Die Philosophie Bardilis bleibt auf der Ebene des Buchstabens, denn sie enthält »den Geist des wahren Buchstabens, dasselbe Verdienst, das […] Jacobi durch diesen Ausdruck so treffend bezeichnet, aber unstreitig zu voreilig der Fichteschen Wissenschaftslehre eingeräumt hat«. 32 Gott als Grund bleibt »das ursprüngliche Realwahre«, das ohne philosophisches Zutun durch sich selbst wahr und gewiß ist. Reinhold wiederholt also implizit, daß die Philosophie Bardilis kein strenger Realismus sein kann (vgl. Briefwechsel, S. 178). Gott bleibt jenseits jeder Erkenntnis, die jedenfalls mit dem Wort »Gott« und mit dessen Bedeutung zu tun hat und folglich nur das Erkennbare in Gott erkennen kann. Dem Wort stellt Reinhold das Gefühl entgegen: »Was im Wissen, als solchen, das Wort ist, das ist im wahren lebendigen Glauben, das Gefühl […]. Jenes Gefühl aber ist im Glauben an Gott – Gottes Wort, göttliche Offenbarung Gottes. Das mir gegebene Denken, als Denken, in meinem Bewußtsein, ist als Denken allerdings die Wahrheit, aber es ist nicht das Wahre« (Briefwechsel, S. 179). Die Gegenüberstellung von Wort und Gefühl, von Wahr-

Briefwechsel, S. 175 f. – Reinhold zitiert in seinem Brief eine Stelle eines Briefes Bardilis: »Daß der Gebrauch der Form, zum Formgeben für allen und jeden beigehenden Stoff, sich daran äußere, daß der Mensch Alles zur Sprache bringen, und ins Rechnen ziehen kann« (Briefwechsel, S. 173). Er kommentiert diese Stelle folgendermaßen: »Sollte nicht eben in diesem ›zur Sprache bringen‹ die eigentümliche Funktion des Denkens bestehen, welche die im engsten Sinne, im Sinne der Logik als Verstandeslehre, logische heißt?« (ebd., S. 173 f.). 32 Briefwechsel, S. 177. – Vgl. Beilage II des Jacobischen Sendschreibens an Fichte, GA III/3, 258 f. 31

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heit, als untergeordneter Ebene, und Wahrem, und der explizite Bezug auf die Vereinigung der Naturnotwendigkeit und der Freiheit, die Jacobi in der zweiten Beilage zum Sendschreiben an Fichte ein »Geheimnis« nennt, lassen hinter diesen Einwänden eine Jacobische Inspiration erkennen. 33 Bis zu diesem Zeitpunkt finden wir keine expliziten Einwände Jacobis gegen den rationalen Realismus. Nachdem er auf Reinholds Anregungen begonnen hat, den Grundriß zu studieren, hat er nur Schwierigkeiten beim Verständnis zugegeben. Die erste Kritik finden wir im Briefwechsel mit Reinhold erst im Brief vom 3. März 1801, wo Jacobi seine Übereinstimmung mit Bouterwek erklärt, der die logische Bedingung des Rechnens als noch begrenzt einschätzt (Reinholds Leben, S. 263). Jacobi will sich das Absolute anders als Denken, nämlich unendlich jenseits des Denkens und deshalb mit einem anderen Namen vorstellen. Er schreibt, er könne nicht begreifen, »wie Bardili dem Fatalismus ausweichen will« (Reinholds Leben, S. 264), und er schätze den intellektuellen Fatalismus nicht mehr als den materiellen. Obwohl das persönliche Verhältnis zu Reinhold ausgezeichnet bleibt, drückt dieses Urteil die grundlegende Distanz zu dem Freund aus, denn Reinhold hat schon früh die Argumente Bardilis gegen seine Einwände angenommen. Den die Rolle der Sprache geltenden Vorbehalten erwidert Bardili, der Sinn einer Sprache liege in der gegenseitigen Beziehung ihrer Elemente, d. h. in einer Struktur, die aus Subjekt, Prädikat, Kopula usw. bestehe und in allen Sprachen anwesend sei (Briefwechsel, S. 196–205). Nachdem Bardili die grundlegende Rolle des Denkens wiederum behauptet hat, kann er auch dem Realismus die Fähigkeit einräumen, Gott zu beweisen, wie er schon im Grundriß versichert hat (ebd. S. 208 f.). Im Brief an Bardili vom 1. September 1800 gesteht Reinhold, daß er sich in seinen Jacobi folgenden Einwänden geirrt hat: »Ich sehe nun aber auch ein, daß ich durch meine Behauptung, die Philosophie sei als Wissenschaft, eine durch Worte bedingte Anwendung des Denkens, mehr den Worten, als den Begriffen nach, mit Jacobi einig gewesen bin«. Reinhold anerkennt nun, daß das Denken im Menschen, wenn es nur die Manifestation Gottes in der Natur und in ihm selbst begreift, das Denken an sich selbst als notwendige Bedingung voraussetzt. Der Glaube ist der Genuß des Objekts der Erkenntnis, aber als Erkenntnis falsch. Er schreibt jetzt, daß »der Glaube des Gewissens, als bloßer Glaube, immer mehr oder

Über den Unterschied zwischen »Wahrheit« und dem »Wahren« im Jacobischen Denken dieser Zeit vgl. dessen Sendschreiben an Fichte, JWA 2, 199; zum Geheimnis der Vereinigung von Naturnotwendigkeit und Freiheit vgl. JWA 2, 234; GA III/3, 259. 33

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weniger Schein der Wahrheit, und überhaupt, nur in so ferne, Wahrheit enthalten könne« (ebd. S. 248 f. bzw. 251). Wir können zum Schluß fragen, ob die starke Trennung von Überzeugungen des gesunden Verstandes und wissenschaftlicher Form der Wahrheit, von moralischen und theoretischen Wahrheiten, mit der Annahme der Position Bardilis nun ganz und gar weggefallen ist. Auf diese Frage würde ich negativ antworten, denn diese Trennung ist jetzt in der Philosophie selbst eingeschlossen. Das Verhältnis zwischen dem Urwahren und dem Wahren und der Grundbegriff der Analysis zeigen, daß die Philosophie diese Trennung aufzubewahren vermag. Darum kann sie den Glauben einschließen, wie Reinhold dies von Jacobi in den Briefen von 1802 verlangt. Ob diese platonische Ontologie, die nach Reinhold von Plato durch Leibniz hindurch bis zu Bardili reicht, als Alternative zur neuesten Philosophie die praktische Instanz, die er mit Jacobi gemein hat, preisgibt, bleibt meines Erachtens fraglich.

IV. INTERMEZZO

Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Jacobis Kritik der Aufklärung von Walter Jaeschke

(1) Jacobi ein Kritiker der Aufklärung – diese Nachricht hat wenig Neuigkeitswert. Sie ist seit nunmehr gut zwei Jahrhunderten opinio communis der Philosophiehistorie. Es bedürfte nicht eigens einer Fachtagung, und schon gar nicht eines öffentlichen Vortrags in ihrem Umkreis, um diese bedenkliche Rolle Jacobis erneut ins Bewußtsein zu rufen. Viele haben dazu beigetragen, seinen zweifelhaften Ruf zu kanonisieren – auch solche, die, wie er sich ausgedrückt hätte, »mit seinen Kälbern gepflügt haben«.1 Sein übler Leumund als Aufklärungskritiker – oder drastischer: als greinende »Marketenderinn« einer bunt zusammengewürfelten »Glaubensarmee«2 – ist hinreichend gefestigt, und allenfalls dies ist als eine Zeitungsneuigkeit der letzten Monate zu vermelden, daß Jacobi nunmehr auch um den Titel »Scharlatan« konkurriert, den Schopenhauer doch eigentlich Hegel zugedacht hat. Bei der Festsetzung seines Strafmaßes ist erschwerend zu berücksichtigen, daß Jacobi diese Aufklärungskritik in Tateinheit mit einem anderen Delikt begangen hat: mit der Schmähung der Vernunft. Auch dies kann man schon bei einem anderen Düsseldorfer nachlesen. 3 Wir alle haben zwar nicht mehr die einschlägigen Invektiven seiner Hauptgegner, der Berliner Aufklärer, im Ohr, aber doch die beschwörenden Worte des Königsbergers, die auch auf Jacobi zielen: »Männer von Geistesfähigkeiten und von erweiterten Gesinnungen! […] habt Ihr auch wohl überlegt, was Ihr thut, und wo es mit Euren Angriffen auf die Vernunft hinaus will? […] streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probirstein der Wahrheit zu sein.«4 Jacobi an Goethe, 7. Juni 1794. In: Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi, hg. von Max Jacobi. Leipzig 1846, 138. 2 Heinrich Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Düsseldorfer Heine-Ausgabe 8/1. Hamburg 1979, 62. 3 Ebenda. 4 Kant: Was heißt: Sich im Denken orientiren? AA VIII, 131–148, Zitate 144 bzw. 147. 1

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Diesen Worten Kants ist nicht viel hinzuzufügen – nur dies, daß man sie wörtlich übereinstimmend auch bei Jacobi lesen kann. Denn auch er betont – mit Spinoza gegen Wieland –, »daß die Vernunft das höchste Gut des Menschen sei«. 5 Sie sei »das eigentliche wahre Leben unserer Natur, des Geistes Seele, das Band all unserer Kräfte, ein Bild der ewigen unwandelbaren Ursache alles Wahren«. 6 Ungeachtet aller gegen sie erhobenen Vorwürfe sei ihr doch unerschütterlich und auch völlig zurecht das Ansehen verblieben, »nicht nur für das höhere und höchste Vermögen in dem Menschen, sondern für ein durchaus allerhöchstes unbedingt anerkannt, und damit außer alle Vergleichung mit anderen Kräften, Eigenschaften und Gaben gesetzt zu werden, als ein überschwengliches Wesen.« (WW VI, 85) Und diese Belege ließen sich reichlich vermehren – aus der frühen wie aus der späten Zeit.7 In der Hochschätzung der Vernunft also kann die Differenz zu Kant nicht liegen. Andererseits finden sich bekanntlich gerade bei Kant Wendungen, die nicht eben vermuten lassen, daß er die Vernunft als das höchste Gut auf Erden preisen werde – im Gegenteil. Dem läßt sich eines entnehmen: Die Hochschätzung der Vernunft schließt deren Kritik nicht schon aus. Vielleicht verleiht ja sogar erst diese Kritik die Berechtigung zu jener Hochschätzung – bewahrt sie doch vor einem Dogmatismus der Vernunft. Dann aber sollte, was für Kant recht ist, für Jacobi billig sein. In einem Punkt allerdings unterscheiden sich beide, Kant und Jacobi: Kants Aussagen auch über zentrale Bestimmungen der Vernunft lassen sich zwar nicht problemlos mit einander vereinigen. Sie lassen sich aber – auch in ihren Spannungen – überschauen, und neuerdings sind sie sogar in ihrer geschichtlichen Entwicklung rekonstruiert worden. 8 Erheblich aufwendiger ist es, die vielfältigen Dimensionen und Nuancen der Position Jacobis adäquat in den Blick zu nehmen. Deshalb beschränke ich mich hier darauf, die Entstehungsphase seiner Vernunftkritik zu beleuchten – und dies ausdrücklich nicht in Konkurrenz, sondern als Komplement zu anderen Interpretationen, Jacobi: Ueber Recht und Gewalt, oder philosophische Erwägung eines Aufsazes von dem Herrn Hofrath Wieland, über das göttliche Recht der Obrigkeit, im deutschen Merkur, November 1777. WW VI, 419– 464, Zitate 446 bzw. 541. 6 Jacobi: Etwas das Leßing gesagt hat. Ein Commentar zu den Reisen der Päpste nebst Betrachtungen von einem Dritten. WW II, 343. 7 Jacobi: Etwas das Leßing gesagt hat, WW II, 348, nennt als »Folgen« der Vernunft: wahre Einsicht, Mäßigkeit, Gerechtigkeit, Gesundheit der Seele, dauerndes Vergnügen und schließlich »Tugend selbst«. Siehe ferner ebd. 372: Die Vernunft zeige sich zwar im Menschen als unvollkommen, und dennoch sei sie »das Beste, was er hat, das Einzige was ihm wahrhaftig hilft und frommet.« 8 Siehe hierzu jetzt Axel Hutter: Das Interesse der Vernunft. Kants ursprüngliche 5

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und deshalb auch nicht mit dem Anspruch, alle Aspekte der Rede Jacobis von »Vernunft« zu erfassen. Ich thematisiere lediglich den Zusammenhang seiner Vernunftkritik mit seiner Aufklärungskritik – und somit diejenige Phase der Formung seines Denkens, die seiner Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie zeitlich wie auch sachlich vorausliegt.

I. Zur Diagnose der Vernunft, welche nicht die Vernunft ist (1) Schwerlich würde Jacobi so geschraubt von einer Vernunft reden, welche nicht die Vernunft ist, wenn diese sich nicht selber als Vernunft ausgäbe und anstaunen ließe. Deshalb ist seine Kritik, soweit sie auf diese »Vernunft« zielt, keine Kritik der Vernunft, sondern die Entlarvung eines nicht-vernünftigen oder gar widervernünftigen Denkens, das jedoch mit der Prätention, Vernunft zu sein, auftritt. Deshalb ist aber Kritik dieser Vernunft, welche nicht die Vernunft ist, kein Anlauf zu dem berüchtigten Salto mortale in den abgründigen Schoß der göttlichen Barmherzigkeit, 9 sondern das Bemühen darum, allererst derjenigen Vernunft ansichtig zu werden, die wirklich die Vernunft und nicht bloß ein unter diesem ehrwürdigen Namen ausgestellter Popanz ist. Doch dann bedarf es eines Kriteriums, um die eine Vernunft von der anderen, die wahre von der unwahren zu unterscheiden – und es läßt sich leichter finden als erwartet. Zu erkennen ist die unvernünftige Vernunft am Schiboleth der »Herrschaft der Vernunft«. Diese unschuldig-schuldige Programmformel der Aufklärung steht im Zentrum der Kritik Jacobis. Ihre Verfechter verleihen ihr eine geradezu religiöse Dignität – und dies ironisiert Jacobi im David Hume in seiner Rede vom Evangelium der Herrschaft der Vernunft (JWA 2, 94). Doch wo vom Evangelium die Rede ist, liegt – historisch korrekt – die Naherwartung des Heils nicht fern: Nach dem Worte ihrer Berliner Propheten steht die Herrschaft der Vernunft kurz bevor – gleich dem Gottesreich, das nahe herbei gekommen ist. Und wie das Kommen des Gottesreiches bekanntlich vom Heulen und Zähneklappern derer begleitet sein wird, die es sich zuvor verscherzt haben, so wird sich auch die Basileia der reinen Vernunft nicht ohne Gewalt gegen ihre Widersacher errichten lassen. Was bedeutete denn die Rede von einer »Herrschaft der Vernunft«, wenn nicht Einsicht und ihre Entfaltung in den transzendentalphilosophischen Hauptwerken. Hamburg 2003 (= Kant-Forschungen. 14). 9 Friedrich Schlegel: Recension von Jakobi’s Woldemar nach der Ausgabe von 1796. PLS I/1, 270.

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ihre Gewalt über das, was sie sich unterworfen hat? Und die Rolle des Antichristen, der sich dem Kommen des Gottesreiches entgegenstemmt, ist hier gleich doppelt besetzt: Kryptokatholizismus und Jesuitismus teilen sich in sie, um durch ihre Machenschaften gleichsam in der allerletzten Stunde des alten Äons den Anbruch des Vernunftreichs zu hintertreiben. (2) Man braucht aber gar kein apokalyptisches Szenarium zu entwerfen, um der Vernunft, welche nicht die Vernunft ist, ansichtig zu werden. Sie zeigt sich zunächst in säkularen und weit weniger auffälligen, ja unschuldig erscheinenden Formen – überall dort nämlich, wo die »Herrschaft der Vernunft« mit Gewalt aufgerichtet werden soll. Kein Denker dieser Zeit ist so sensibel gegenüber dem Problemfeld »Herrschaft, Gewalt und Zwang« wie Jacobi – und a fortiori gegenüber einer Herrschaft, die im Namen der Vernunft aufgerichtet und legitimiert werden soll. Es bietet sich an, den Grund dieser, robusteren Charakteren unbekannten Sensibilität in der Empfindsamkeit der schönen oder gar weibischen Seele Jacobis zu suchen. Doch diese Suche ginge fehl. Erfolgreich wird sie vielmehr auf einem anderen, zunächst wohl überraschenden Feld: dem der Nationalökonomie. Auch hier findet sich nämlich die strukturelle Differenz zwischen der Vernunft, welche nicht die Vernunft ist, und derjenigen, die mit gutem Recht so genannt wird. Die Sensibilität gegenüber der Gewalt der Vernunft zeigt sich geschichtlich sogar zuerst in der Kritik des im Gebiet der Kameralistik ausgebildeten und auch tätigen Geheimrats Jacobi am wirtschaftspolitischen Dirigismus und Despotismus seiner Tage. Seine Politischen Rhapsodien reichen ja bis in die frühen siebziger Jahre zurück – auch wenn er sie erst nach der Veröffentlichung von Adam Smith’ großem Werk10 – und mit zahlreichen »Plagia« aus ihm – publiziert.11 Wegen dieser Differenz zwischen der unvernünftigen und der vernünftigen Vernunft zielt Jacobis Kritik primär auf den Merkantilismus, weniger auf die Physiokraten. Denn im Merkantilismus der Aufklärung sieht er diejenige Wirtschaftsform, die sich (über verfehlte volkswirtschaftliche Prämissen hinaus) die Sache entgegen deren interner Logik dirigistisch und in der Folge despotisch zu unterwerfen sucht – ein System also, das die »Herrschaft der Vernunft« auch in der Volkswirtschaft aufzurichten, nämlich ökonomische Prozesse durch politische Absichten zu reglementieren sucht. Adam Smith: An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations. London 1786 (Katalog der Bibliothek Jacobis, Nr. 1384). 11 Jacobi: Eine politische Rhapsodie. Aus einem Aktenstock entwendet; Noch eine politische Rhapsodie, worin sich verschiedene Plagia befinden; betitelt: Es ist nicht recht, und es ist nicht klug. WW VI, 345–362 bzw. 363– 418. 10

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Doch damit setzt sie lediglich ihrer Unvernunft ein Mahnmal – und zudem ein Schandmal, das aus Verarmung, Hungersnot und Tod erbaut ist. Die Signatur der unvernünftigen Vernunft liegt in der Gewalt, mit der sie die Wirklichkeit subjektiven Zwecken zu unterwerfen sucht – seien diese Zwecke ihrer Absicht nach auch die besten. So ist es etwa höchst widervernünftig, den Getreidepreis durch staatliche Verordnungen zu manipulieren, um dadurch vermeintlich vernünftige volkswirtschaftliche Wirkungen zu erzielen. Ein Indiz der wirklichen Vernunft wäre es hingegen, in Korrespondenz mit der Notwendigkeit der Sache zu agieren, die hier in den Gesetzen des freien Handels liegt. Jacobis Kritik der Wirtschaftspolitik der – absolutistischen – Aufklärung arbeitet somit ein wichtiges Charakteristikum derjenigen Vernunft heraus, welche nicht die Vernunft ist: ihre subjektivistische Einseitigkeit. Dieser Subjektivismus mag zwar harmlos oder gar als Ausdruck eines guten Willens erscheinen. Dennoch liegt in ihm die Wurzel des Übels. Denn er provoziert notwendig den Widerstand der Sache, gegen die er gerichtet ist – welche sie auch sei. Und um diesen Widerstand zu überwinden, greift er zur Gewalt, um die Herrschaft der Vernunft über das widerstrebende Objekt aufzurichten. Selbst das, was als Verwirklichung ehrenwerter, ja menschheitsbeglückender Absichten begonnen haben mag, wird – sowie es der Natur der Sache entgegengesetzt ist –, seiner immanenten Logik zufolge im Despotismus enden. (3) Deutlicher noch als in der Wirtschaftspolitik zeigt sich diese Gewalt zu Jacobis Zeit fraglos in Gestalt der absoluten Herrschaft – und gerade des aufgeklärten Absolutismus. Allein dieser macht ja auf Vernunft Anspruch und will sie zur Herrschaft führen. Daß »menschlicher Eigendünkel, mit der Gewalt verknüpft andere nach sich zu zwingen«, 12 den Gegenpol zu einer Vernunftordnung bilden, ist ohnehin nicht strittig. Aber auch die prätendierte Vernunft des aufgeklärten Absolutismus ist nicht die Vernunft. Es ist Jacobis neue, damals überraschende und unverstandene Einsicht, daß eben in der prononcierten Verwirklichung von Vernunft die Tendenz zu ihrem Umschlag in Unvernunft liege. »Der große Hauffe unserer denkenden« – also Vernunft beanspruchenden – »Köpfe«, so Jacobi, »will das wesentlich Wahre und das wesentlich Gute ausgebreitet sehen – m it G e wa lt , und m it G e wa lt jeden Irrthum unterdrückt« sehen. Doch wenn das Licht »auf dem Wege der Gewaltthätigkeit und der Unterjochung« verbreitet wird, so senkt sich dichte Finsternis herab. Denn selbst die auf das »höchste Wohl

Jacobi: Erinnerungen gegen die in den Januar des Museums eingerückten Gedanken über eine merkwürdige Schrift. WW II, 401. 12

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auf Erden« gerichtete Gewalttätigkeit erzeugt »ungebundene willkührliche Gewalt«, Despotie.13 Man kann sehr lange suchen, auch unter den »ersten Geistern« der deutschen Aufklärung, um einen Einspruch gegen den politischen Despotismus zu finden, der dem massiven Protest Jacobis vergleichbar wäre – und gleichwohl wird die Suche erfolglos bleiben. Ich erinnere insbesondere an seine Bemerkungen über die Lettres de Cachet und an seinen scharfen Angriff auf Wielands Rechtfertigung des Rechts des Stärkeren als eines Rechtes, das die Natur und ineins damit Gott verliehen haben. Diesem vermeintlichen Recht hält Jacobi entgegen, »d i e Ve r nu n f t s e i d i e e i n z i g e Q u e l l e d e s R e c ht s« – und zwar darin, daß das Recht von den Rechtsgenossen »selbst gesezt, gemeinschaftlich gesucht, erkannt, und gewiesen« wird und sich der Gewalt entgegenstemmt.14 Man kann eine Analogie zwischen dem Recht und der Vernunft darin sehen wollen, daß beide herrschen und zwingen. Doch eine solche Vernunft wäre nur die unvernünftige Vernunft, welche eben gar nicht die Vernunft ist. Jacobi sieht die wahre Vernünftigkeit des Rechts vielmehr in der Korrespondenz der Freiheit. Deshalb ist ein Verstoß gegen das Recht ein Verstoß auch gegen die Vernunft, aus der das Recht entspringt und die es verwirklicht. Und eben deshalb ist es bestenfalls gut gemeint – aber gleichwohl ein Indiz einer Vernunft, welche nicht die Vernunft ist –, sich über das Recht hinwegzusetzen, um die »Herrschaft der Vernunft« zu errichten. Die Vernunft zu Lasten des Rechts zur Herrschaft bringen zu wollen, führt zu Gewalt und endet in Despotismus – sei es im Namen des göttlichen Rechts der Könige oder, im aufgeklärten Despotismus, im Namen einer vormundschaftlichen Durchsetzung von Vernunft und Freiheit – und schließlich und vor allem: in den geheimen Umtrieben der Illuminaten, die gegen die Finsternis und doch zugleich in der Finsternis agieren.15 Eine Vernunft aber, die herrschen will und herrscht, mutiert notwendig zu Gewalt. Die vernünftige Vernunft hingegen liegt im Einklang der subjektiven Absicht mit der vorhandenen Rechtsordnung. Korrespondenz also, und nicht Herrschaft, zeichnet diejenige Vernunft aus, die wirklich die Vernunft ist.

Jacobi: Etwas das Leßing gesagt hat, WW II, 336 f. Jacobi: Über Recht und Gewalt, WW VI, 419– 464, Zitate 436 bzw. 451. – Zu Jacobis Auseinandersetzung mit dem Thema »Gewalt« vgl. Klaus Hammacher: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis. München 1969, 96–114. 15 Vgl. u. a. Hans-Jürgen Schings: Die Brüder des Marquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten. Tübingen 1996, insbesondere 45, 165, 178–180. 13 14

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(4) Die nämliche Struktur wie in der Wirtschaft und im Recht zeigt sich auf dem Gebiet der »Meinung«: Indem die Aufklärung die »Gewalt der Meinung« als das Hindernis diagnostiziert, das der »Herrschaft der Vernunft« im Wege steht, sucht sie es zu beseitigen – wiederum mit Gewalt. Doch so dupliziert oder potenziert sie vielmehr die Gewalt, die zu vertilgen sie angetreten ist. Nichts ist weniger vernünftig, als die Meinung zu unterdrücken, auf daß die Vernunft herrsche – oder, wie Jacobi gern sagt: als die Lichter auszulöschen, »voll kindischer Ungeduld, d a m it e s Ta g we rd e« (WW II, 337). Und diese Selbstermächtigung, den Irrtum mit Gewalt zu unterdrükken, prangert Jacobi als ein Spezifikum der Aufklärung an. Ihr Pathos, als Inkarnation erleuchteter Vernunft in eine Welt der Finsternis hineinzustrahlen, führt sie unvermeidlich in die Vermessenheit, aus ihrer Diagnose des ubiquitären Irrtums das Recht zu usupieren, ihn allenthalben aufzuspüren und auszumerzen, um die unumschränkte »Herrschaft der Vernunft« aufzurichten. Sie legitimiert die Gewalt als im Interesse der Vernunftherrschaft erforderlich, somit als vernünftig – und eben damit zerstört sie die Vernunft, die sie doch zu verwirklichen prätendiert. Jacobi flankiert seine Analyse dieses zerstörerischen Mechanismus durch eine ebenfalls als anti-aufklärerisch verdächtige Apologie der Meinung. Die Meinung sei jedem Menschen »mit Recht, die Wahrheit; und er behauptet sie mit Recht, weil die Wahrheit jedes Menschen sein Leben ist. Hierin: d a ß j e d e r M e n s c h i n d e m wa s i h m Wa h rh e i t i s t s e i n L eb e n h at , hat die Gewalt der Meynung ihren Ursprung.« Ihre »ursprüngliche Energie« sei »die Energie des Lebens selbst; ihre Gewalt die Gewalt der Wahrheit«.16 Doch diese »Gewalt der Wahrheit« ist offensichtlich nicht im gleichen Sinne »Gewalt« wie diejenige, die daraus entsteht, daß die Vernunft ihre Herrschaft durch Unterdrückung der Gewalt der Meinung aufrichten will. Man muß sich Jacobis Apologie der Meinung nicht zu eigen machen. Das Band, das meine Meinung zu dem Meinen macht, dürfte sehr viel loser sein als er manchmal nahelegt – und oft genug nur vom Zufall geknüpft. Wir wissen heute recht gut, wie oft die Meinung weniger Ausdruck eines inneren Mein oder Dein als vielmehr Resultat einer äußeren Manipulation ist. Und es ist auch kein Eigentumsdelikt, jemanden um das Seine – in Gestalt seiner Meinung – zu bringen. Doch an anderer Stelle läßt auch Jacobi keinen Zweifel daran, wieviel Kontingenz in den Meinungsbildungsprozeß eingeht – und vor allem: Er kennt einen Prozeß fundamentaler Meinungsänderung,

Jacobi: Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde. WW I, 254–305, Zitate 275 bzw. 274. 16

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der erhebliche politische Folgen nach sich ziehen kann.17 Zudem bleibt seine Analyse des Umschlags von Vernunft in Gewalt ohne jeden Zweifel in Kraft: Wenn die Vernunft ihre Herrschaft über die Meinung aufrichtet, wird die Gewalt, die zunächst zur Signatur der Meinung zu gehören schien, zur Gewalt der Vernunft selber. Hiermit entlarvt diese sich selbst als eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Und einer solchen Vernunft gegenüber ist die Meinung allemal im Recht.

II. Zwischenbetrachtung (1) Nach diesen drei Beispielen der Wirkungsweise einer verfehlten Vernunft in Wirtschaft, Recht und Meinung oder Religion ist eine vorläufiges Resümee an der Zeit. Denn sie zeigen eine übereinstimmende Struktur derjenigen Vernunft, welche nicht die Vernunft ist: Sie setzt sich über die gegebenen Verhältnisse hinweg, um ihre eigene subjektive Ansicht unter dem prätentiösen Titel der Vernunft durch Zwangsmaßnahmen zu etablieren – und darin manifestiert sich die Unvernunft dieser Vernunft. Im Namen der Vernunft macht sie Abstraktionen gegen die Wirklichkeit geltend – »und Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören«. Ich greife hier nicht zufällig eine Hegelsche Wendung auf.18 Indem die Aufklärung die Formel von der »Herrschaft der Vernunft« nicht als Widerspruch in sich selbst erkennt, verfehlt sie deren Begriff und betreibt das Gegenteil dessen, was sie ihren Erklärungen zufolge anstrebt. Indem sie den Ehrentitel »Vernunft« ausschließlich für sich reklamiert, sieht sie sich von Meinung und Unvernunft umstellt – doch indem sie diese vermeintliche Bedrohung mit Gewalt zu beseitigen sucht, ist sie »mehr bedrohend als bedrohet«, wie Jacobi noch Jahrzehnte später im Rückblick auf diese Epoche notiert.19 (2) Die Analyse dieses Mechanismus legt somit eine »Dialektik der Aufklärung« frei. Jacobi dürfte der Entdecker dieser »Dialektik der Aufklärung« sein – auch wenn ihre späteren Wiederentdecker ihn nicht als den ersten Entdecker entdeckt, sondern ihn eben so undialektisch wie unvernünftig als Aufklärungskritiker abgeurteilt haben. 20 Eine andere Frage aber ist es,

Hierauf hat Birgit Sandkaulen mich eindringlich hingewiesen. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. In: Hegel: Sämtliche Werke. Bd. XV, 553. 19 Jacobi: Einige Betrachtungen über den frommen Betrug und über eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist (1788). »Vorerinnerung« (1815). WW II, 458. 20 Vgl. Harry Kunnemann und Hent de Vries (Hgg.): Die ›Dialektik der Aufklä17

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ob diese »Dialektik der Aufklärung« in einer dialektischen Struktur der Vernunft selbst fundiert sei. Zahlreiche Äußerungen Jacobis lassen sich als Entdeckung eines geradezu repressiven Charakters von Vernunft lesen: Die Vernunft, so heißt es etwa, »übermannt die sinnlichen Vorstellungen und Empfindungen«; der Gedanke »verwandelt« und »verschlingt sie«. 21 Gegen solche Fundierung der »Dialektik der Aufklärung« in einer »Dialektik der Vernunft« spricht jedoch Jacobis Unterscheidung derjenigen »Vernunft, welche nicht die Vernunft ist«, von der anderen, die sie ist. Auch die Vernunft, die »übermannt« und »verschlingt«, muß vielmehr als diejenige Vernunft identifiziert werden, die nicht die Vernunft ist. Im Blick auf Jacobis Vernunftkritik stellt sich eine ähnliche Frage wie im Blick auf Kant. Auch in Kants Werk finden sich ja etliche Aussagen, in denen er die von ihm so nachdrücklich behauptete Dialektik der Vernunft gerade nicht der Vernunft, sondern ihrem Mißbrauch zuschreibt. 22 Und obgleich »Dialektik der Vernunft« im Kontext der Vernunftkritik Jacobis fraglos etwas anderes bedeutet als im Kontext der Vernunftkritik Kants, ist auch an Jacobi die Frage zu richten, ob die Dialektik der aufklärerischen Vernunft, die er – im Unterschied zu Kant! – analysiert, nicht ebenfalls auf einem Mißbrauch der Vernunft beruhe, statt auf derjenigen Vernunft, welche nun wirklich die Vernunft ist. (3) Der Begriff dieser – sit venia verbo – »vernünftigen Vernunft« läßt sich nun etwas näher andeuten. »Vernunft« bezeichnet nicht ein eigentümliches »Vermögen« – etwa das formale Vermögen zu schließen oder das materiale Vermögen der Bildung von Ideen. Man muß es wohl als ein Indiz für die Armut, ja für die Unvernunft der Sprache werten, daß wir das eine Wort »Vernunft« in so vielerlei Bedeutung verwenden. Für Jacobi bezeichnet sie – im David Hume – weder ein Vermögen noch etwas »Apriorisches«. Absolut reine Vernunft setzte eine absolut reine Persönlichkeit voraus, die allein Gott wäre (JWA 2, 63). Absolut reine Vernunft wäre reine Selbstbestimmung – aber: »Eine reine S e lb s tb e s t i m mu n g ist […] geschaffenen Wesen unmöglich. Ein veranlassendes Objectives muß dazu gegeben werden.« (JWA 2, 94) Abgesehen vom schwierigen Sonderfall Gottes ist die Reinheit der Vernunft, die von einem solchen Gegebenen abstrahieren zu können glaubt, ein unwiderlegliches Indiz ihrer Unvernunft. Vielleicht darf ich ja nochmals an Hegel erinnern: Selbst in seinem Naturrechtsaufsatz, also noch zur Zeit seiner eher blinden als sehenden Polemik rung‹. Frankfurt am Main 1989; Heidrun Hesse: Vernunft und Selbstbehauptung – Kritische Theorie als Kritik der neuzeitlichen Rationalität. Frankfurt am Main 1984. 21 Jacobi: Zufällige Ergießungen, WW I, 277. 22 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 366, 671, 697, 771.

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gegen Jacobi, insistiert er darauf, daß die Vernunft, die Gesetze gebe, keine apriorische Vernunft sei, sondern nichts als die lebendige Individualität eines Volkes. 23 Zumindest auf diesem Gebiet der Gesetze wäre eine apriorische Vernunft eine äußerst unvernünftige Vernunft. Und weil wir schon einmal bei Hegel sind, sei auf einen weiteren, wenn auch nur ephemeren Berührungspunkt zwischen ihm und Jacobi hingewiesen: auf den exemplarischen Rekurs beider auf die bekannten vierbeinigen Naturzwecke. Reine Vernunft schreibt Jacobi auch dem Hunde zu, denn auch dieser vollziehe auf der Jagd nach der Wurst eine ganze Sequenz von Akten einer ursprünglichen Synthesis (JWA 2, 63) – offensichtlich eine gewagte Antizipation von Hegels Jahrzehnte späterer Invektive gegen Schleiermacher. 24 Sie hat wohl nur deshalb weniger Entrüstung in der philosophiegeschichtlichen Zunft ausgelöst, weil Jacobi sie in der zweiten Auflage seines David Hume eben noch rechtzeitig getilgt und vor den Augen der Kenner und Liebhaber Kants verborgen hat. Diese Frage, ob Hunden nun tatsächlich reine Vernunft innewohne, scheint innerphilosophisch schwer entscheidbar zu sein – jedoch nur so lange, als man sie nicht prinzipiell angeht. Dann aber zeichnet sich eine plausible Lösung ab: Vernunft kann überhaupt nicht »reine Vernunft« sein, weil Vernunft eine duale Struktur hat. Sie beruht auf der Korrespondenz zwischen einem Innen und einem Außen, zwischen Intention und Sachverhalt, ja zwischen »subjectiver« und »objectiver Vernunft« – auch wenn dies wiederum nach einer hegelianisierenden Verfälschung klingen mag. Präziser ist es ohnehin, nicht von »objectiver« und »subjectiver Vernunft« zu sprechen, sondern von den beiden Seiten, deren Korrespondenz allererst die Eine Vernunft ausmache. Das Maß dieser Korrespondenz ist dann gleichsam das Maß der Vernunft. Sie ist jedoch nicht eine Korrespondenz von Gleichen und Gleichberechtigten: Der objektiven, unwandelbaren Vernunft schreibt Jacobi den Primat und die Aufgabe zu, auch die subjektive im Gleise zu halten, so »daß sie nicht vollends umwerfen« könne (JWA 2, 94). Überraschender Weise entspringt diese Forderung nach Korrespondenz zwischen einer »subjectiven« und einer »objectiven Vernunft« nicht erst als willkürliches Produkt einer arglistig-hegelianischen Emendation der Texte Jacobis. Sie mag in Jacobis Werk marginal erscheinen, doch findet sie sich immerhin und sehr nachdrücklich in der Klimax des David Hume. Ich halte

23

Hegel: Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, GW 4,

481. Hegel: Vorrede zu Hinrichs: Die Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft, GW 15, 137. 24

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sie für systematisch nicht minder wichtig als die für Jacobi fundamentale Unterscheidung zwischen substantivischer und adjektivischer Vernunft in der Beilage VII zu den Spinozabriefen (JWA 1, 259 f.), auf die sie sich übrigens abbilden läßt: Denn die objektive Vernunft hat – gleichsam – mehr die subjektive, als daß diese jene hätte. Noch im Erscheinungsjahr der Beilage VII, am 16. November 1789, schreibt Jacobi an Kant, nach dessen Lehre nehme »die Natur; überhaupt d a s Vor g e s t e l lt e , die Form unseres einmahl innerlich und unerforschlich so und nicht anders bestimmten Vorstellungsvermögens […] an: wodurch denn nicht allein aller Widerstreit der Vernunft mit sich selbst gehoben, sondern auch ein durchaus zusammenhangendes System reiner Philosophie möglich wird. Ich im Gegentheile bin geneigter, die Form der menschlichen Vernunft in der allgemeinen Form der Dinge zu suchen« (AA XI, 104). Auch hier steht der Korrespondenzgedanke im Hintergrund 25 – und an der systematischen Fruchtbarkeit dieses Korrespondenzbegriffs der Vernunft möchte ich auch dann festhalten, wenn Jacobi ihn später, in der Auseinandersetzung mit Schelling und Hegel, nicht allein wieder zurückgezogen, sondern sogar dementiert hat, daß er je so gedacht oder gar geschrieben habe: »In keiner meiner philosophischen Schriften findet sich die mit meiner Vorstellungsart unverträgliche Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Vernunft, wohl aber eine, wenn man will, ähnliche zwischen adj e k t ive r und s ub s t a nt ive r ; zwischen einer Vernunft, we l c h e d e m Menschen, und einer, we l c h e r d e r Mensch angehört.« (JWA 2, 370) Von dieser Korrespondenzstruktur der Vernunft her erhellt auch eine andere Metapher im David Hume. Jacobi verwirft das Bild der Aufklärung, die Vernunft sei eine Fackel, geeignet, die herrschende Finsternis zu erhellen (JWA 2, 87). Denn die Metapher »Fackel der Vernunft« unterliegt einer ähnlichen Dialektik wie die Aufklärung insgesamt: Eine Fackel erhellt wohl den Gegenstand, auf den sie gerichtet ist – allerdings um den Preis, daß seine Umgebung nur um so tiefer ins Dunkel getaucht wird. Doch die Vernunft, so Jacobi, ist keine Fackel – eher schon ist sie ein »Schein des Himmelslichts«, wie sie wenig später von kompetenter Seite genannt wird. 26 Ihm ist die Vernunft das Auge der menschlichen Seele – und da die Seele keine Teile habe, so sei die Vernunft nichts als die Seele selbst, insofern sie deutliche Begriffe

Einen weiteren vor dem Hintergrund des Korrespondenzmodells zu diskutierenden Aspekt betont Wizenmann gegen Kant: Vernunft sei das Vermögen, Verhältnisse sowohl zwischen Dingen als zwischen Begriffen wahrzunehmen und – doch wohl miteinander – in Verbindung zu bringen. S. den Kommentar zu JWA 2, 92, 27–30. 26 Goethe: Faust, Vers 284 f. 25

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habe. Dies gilt offensichtlich nur von der subjektiven Vernunft. Doch unterstreicht die Metapher des Auges die Verweisung der subjektiven Vernunft auf eine Objektivität, auf den gesehenen Gegenstand. Ohne ihn ist das Auge nichtig – es ist nicht einmal ein Auge, denn es sieht nichts. Wie aber das Auge auf den Gegenstand, so ist die subjektive Vernunft auf die objektive gerichtet. Und nur dort, wo Auge und Gegenstand, subjektive und objektive Vernunft zusammentreffen, nur dort ist auch diejenige Vernunft wirklich, die wirklich die Vernunft ist. (4) Erst im Licht dieser Einsicht in den Korrespondenzcharakter der Vernunft erhellen letztlich Unvernunft und Unsinn der Rede von einer »Alleinherrschaft der Vernunft« – verstanden als Herrschaft einer sich zum Prinzip aufwerfenden subjektiven Vernunft. Auch das Verhältnis von Auge und Gegenstand ist ja kein Herrschaftsverhältnis. Das Programm der »Alleinherrschaft der Vernunft« lebt hingegen vom Dementi der Korrespondenzstruktur, in der doch die Signatur der Vernunft liegt. Indem es alles der subjektiven Absicht übereignet, zerstört es eben die Vernunft, die es doch eigentlich zur Herrschaft bringen will. »Alleinherrschaft der Vernunft« gäbe es nur, wenn das Auge der Seele geschlossen bliebe und nichts mehr sähe und gleichwohl den Gegenstand bestimmte. Doch eben deshalb wäre solche Herrschaft nicht die Alleinherrschaft »der Vernunft«, sondern deren »Einschränkung« oder gar »Verstümmelung« (JWA 2, 95). Warum aber erscheint es der Aufklärung als ein plausibles, als »vernünftiges« Programm, die Vernunft zur Alleinherrschaft zu bringen, wenn dies doch deren ureigenem Charakter, ihrer Korrespondenzstruktur, widerstrebt? Was verklärt den in sich widersprüchlichen Gedanken einer »Alleinherrschaft der Vernunft« gar zum philosophischen Evangelium vom Goldenen Zeitalter? Im gleichen Kontext, in dem Jacobi die Metapher vom »Auge der menschlichen Seele« einführt, sucht er auch den Grund dieser Fehlentwicklung aufzuzeigen: »Was im Menschen das I c h d e ut l i c h au s s pr ic ht , das h e i ßt er seine Vernunft, und das ist seine Vernunft.« Die Korrespondenzstruktur der Vernunft wird hierdurch verkürzt zur Übereinstimmung des Ich in seinen Handlungen mit sich selbst und tendenziell zu seiner Selbstregierung – und damit zur (idealistischen) Abkehr nicht allein von der Natur, sondern auch von göttlichen Dingen. Denn das nur noch sich selbst regierende Auge könne Gott nicht sehen – und so höre es schließlich auf, nach einem leeren Ort aufzublicken. Man kann versucht sein, diese Entwicklung vom »Auge der Seele« zur Rückwendung seines Blicks allein auf sich selbst und zum Erlöschen dieses Blicks als eine der Vernunft immanente Dialektik zu lesen. Doch erlaubt schon die Metapher keinen Zweifel daran, daß eine derartige Verkürzung

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der Vernunft auf das sich selbst Sehen und Regieren des Auges eben die Struktur der Vernunft zerstöre: Das Auge muß sich schon schließen, um nichts mehr zu sehen. Die »Herrschaft der Vernunft« wäre deshalb eine blinde Herrschaft. Auch hier handelt es sich somit nicht um eine immanente Dialektik der Vernunft, sondern um deren Zerstörung – und zwar unter den Bedingungen einer Philosophie der Subjektivität, des »absoluten Subjekts«. Denn dieses weiß von keinem Objekte und keiner Korrespondenz; es sieht und regiert nur sich selbst. Damit aber erweist es sich als im höchsten Maße unvernünftig – gemessen nämlich an derjenigen Vernunft, welche wirklich die Vernunft ist.

III. Zur Diagnose der Vernunft, welche die Vernunft ist Nach dieser Zwischenbetrachtung bleibt mir nun noch übrig, die Konsequenzen dieses Gedankens einer Korrespondenzstruktur der Vernunft wenigstens anzudeuten: in Richtung auf Natur, Geschichte und Freiheit. (1) Die Vernunft muß »mit der sinnlichen Empfindung anfangen, und beständig darauf gestützt bleiben.« (JWA 2, 92) Ein so weiter Vernunftbegriff erregt zumindest den Verdacht mangelnder Prägnanz. Doch andererseits: Eine Vernunft, die nicht von der sinnlichen Empfindung anfinge, könnte sich schwerlich je mit ihr vermitteln – und dies zu ihrem eigenen Schaden. Wie den geschaffenen Wesen für ihre Selbstbestimmung stets zumindest ein »veranlassendes Objectives« gegeben sein muß – und für eine gelingende Selbstbestimmung ohnehin noch entschieden mehr –, so auch für ihre Erkenntnis. Eine Vernunft, die sich gegenüber der Natur isolierte, sich über die Natur zu ihrer vermeintlichen Reinheit erhöbe, wäre vielmehr jene Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Sie wäre eben diejenige Vernunft, die das Menschengeschlecht lieber »du rc h e i n e n ve r nü n f t i g e n D i s k u r s« fortpflanzte (JWA 2, 92 f.), von dem sie meint, er könne vom Rekurs auf die Natur getrennt werden. Die vom Korrespondenzbegriff der Vernunft geforderte Rückbindung an die Natur beschränkt sich jedoch nicht auf Alternativen zur diskurstheoretisch-sterilen Fortpflanzung. Sie hat weitreichende Konsequenzen für die Erkenntnistheorie – denn sie schließt, um ein drittes Mal mit Hegel zu sprechen, den »albernen Idealismus« aus, der das Subjekt als »absolutes Subjekt« mißversteht: der es zwar als die eine Seite der Erkenntnisbeziehung bestimmt, aber gleichwohl von der Bestimmtheit durch das Objekt als einer ihm unzumutbaren Äußerlichkeit befreien will und dabei nicht bemerkt, daß außer dieser Beziehung auch das Subjekt kein Subjekt mehr, und Erkenntnis

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somit unmöglich ist. 27 Aus dem gleichen Grunde ist jedoch auch die realistische Erkenntnistheorie als einseitig, als dem Korrespondenzbegriff der Vernunft nicht genügend aufzugeben. Im Lichte des Korrespondenzbegriffs ist ein bloßer Realismus ebenso unvernünftig, ein ebenso »alberner Realismus«, wie vorhin der bloße Idealismus. Denn wie dieser das Objekt der Erkenntnis einsparen zu können hofft, so jener ihr Subjekt. Dies wäre ein Argument gegen Jacobis prononcierten Realismus – allerdings nur dann, wenn das Spezifikum seiner Position nicht in dem »Zugleich« von Bewußtsein und Gegenstand liegt, das er im David Hume als entscheidend heraushebt (JWA 2, 37 f.). Damit allerdings wäre ein einseitiger Realismus in ähnlicher Weise überwunden, wie Hegel dies mit seiner Kritik der einseitigen Albernheiten beabsichtigt. (2) Eine Vernunft, die nicht in Relation zur Natur stünde, wäre eine höchst unvernünftige Vernunft – und wenn sie auf diese Natur oder gar »auf das Ganze der Gesellschaft« einwirken könnte, so wäre ihr Produkt keineswegs eine vernünftige, sondern eine »unsinnige Welt« – im Erkennen wie im Handeln (JWA 2, 94). Gleiches macht Jacobi für das Verhältnis von Vernunft und Geschichte geltend – für ein Verhältnis also, das erst damals nicht bloß im Sinne des traditionellen »Entweder-Oder« gedacht – und damit verfehlt wird. Angeregt durch Herder deutet Jacobi die Korrespondenz von Vernunft und Geschichte zumindest an: Wie Vernunft auf Natur bezogen sein muß, so auch auf Geschichte. Denn die Vernunfterscheinungen entsprechen genau den Welterscheinungen. Wir müssen einsehen, »daß es der Lauf der Welt sey, der die jedesmalige Beschaffenheit der Vernunft bestimmt; und daß die jedesmalige Beschaffenheit der menschlichen Vernunft nie durch die Vernunft an sich bestimmt werde.« Deshalb sind die Menschen »nur so einsehend und vernünftig, als sie Gott an diesem Ort und in dieser Zeit will seyn lassen« (JWA 2, 93 f.). Man wird diese religiöse Wendung nicht überbetonen dürfen. Entscheidend ist die hier ausgesprochene Korrespondenz zwischen der – im Wandel der Weltbegebenheiten wirklichen – »objectiven Vernunft« der Geschichte und der subjektiven Vernunft der Menschen – auch wenn dies relativistisch und unvernünftig und obendrein hegelianisch klingen mag. (3) Wenn aber – drittens – Vernunftverhältnisse Korrespondenzverhältnisse sind, so enthält die Rede von der »Herrschaft der Vernunft« einen Widerspruch in sich – dies ist ja Jacobis Haupteinwand gegen die Aufklärung: Sie will die »Herrschaft der Vernunft« – und somit einen Unbegriff – verwirklichen. Nicht mit dem Begriff »Herrschaft« ist der Vernunftbegriff verbunden, sondern mit dem Begriff »Freiheit«. Die Korrespondenz liegt hier 27

Hegel: Jenaer Systementwürfe I, GW 6, 291 ff.

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im Verhältnisse der freien, sich selbst bestimmenden Willen zu einander. Vernunft setzt Freiheit voraus; vernünftige Verhältnisse können nur Verhältnisse der freien Selbstbestimmung in der Korrelation von Subjekt und Gegenstand sein. Und im Verhältnis von Vernunft und Freiheit kommt dieser der Primat zu: Gesellschaftliche Verhältnisse sind nicht freiheitliche Verhältnisse, weil sie vernünftige Verhältnisse sind, sondern sie sind vernünftige Verhältnisse, weil und insoweit sie freiheitliche Verhältnisse sind. Vernunft im besten Sinn ist moralische Selbstbestimmung 28 – aber fraglos nicht unter Ausblendung der Situation, in der sie erfolgt. Jacobi setzt den »Urgeist der Freyheit« in Parallele mit »dem ewig regen Triebe der Vernunft sich selber zu vermehren und über alles ihre Einsicht zu verbreiten.« (WW II, 338) Nur darf dieser Vermehrungstrieb der Vernunft nicht zur Gewalt pervertieren. Die Aufklärung hat einen falschen Begriff des Verhältnisses von Vernunft und Freiheit: Nötigenfalls will sie den Menschen dazu zwingen, frei zu sein. Doch anders als für das Reich des Himmels gilt für das Reich der Freiheit kein »cogite intrare«. 29 (4) In einer Hinsicht hält Jacobi seine Kritik an der Verbindung des Herrschaftsbegriffs mit dem Vernunftbegriff allerdings nicht durch: im Blick auf die – im Theoretischen dementierte – Kluft zwischen Vernunft und Sinnlichkeit. So sehr er sonst unermüdlich einschärft, Vernunftverhältnisse seien keine Herrschaftsverhältnisse, und Zwang und Gewalt seien nur als Abwehrmittel gegen Zwang und Gewalt berechtigt, also gegen das Verbrechen, so selbstverständlich gesteht er der praktischen Vernunft die Herrschaft über Sinnlichkeit und Leidenschaften zu: Hier darf, ja hier muß sie ihren Zwang entfalten – und sie wäre nicht die Vernunft, wenn sie sich die Leidenschaften nicht unterwürfe. 30 Zu mächtig sind hier offenbar die beiden Traditionen, die auf ihn einwirken – die christliche nicht anders als die Ethik Spinozas. Und das nachkantische Programm der Vereinigung von Vernunft und Sinnlichkeit, von Pflicht und Neigung liegt noch fern. Jacobi legitimiert diesen Kampf zwischen Sinnlichkeit und Vernunft mit dem Hinweis auf die »Entzweyung des Menschen in ihm selbst«. 31 Zu

Jacobi: Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck. Eine Abhandlung vorgelesen bey der feyerlichen Erneuung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München von dem Präsidenten der Akademie (1807), WW VI, 40 ff. 29 Lk 14,23. 30 Siehe hierzu auch Jacobis Aphorismen in der Minerva; siehe Jacobi: Fliegende Blätter, WW VI, 143–145: Es sei »ein unbedingtes Gesetz für den Menschen, daß der Gedanke in ihm herrsche«. »Wo Sitte ist, da herrscht über die Sinnlichkeit Vernunft.« 31 Jacobi: Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck, WW VI, 50. 28

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welchem Mittel, könnte man fragen, ließe sich denn in dieser Entzweiung greifen, wenn nicht zum vernünftigen Zwang? Doch zieht er wenigstens einmal in Erwägung, daß das sonst unvernünftige Repressionsmodell auch hier untauglich sein könne. Und so fordert er einen »Vertrag« – allerdings nicht zwischen den »Leidenschaften«, sondern zwischen unseren Begierden. Diese Vertragstheorie der Begierden ist in der Tat ein seinem Vernunftbegriff adäquates Modell – selbst wenn die Nachrichten über derartige Vertragsschlüsse bislang spärlich eintreffen. Den Begierden erkennt Jacobi hier den »gerechtesten Anspruch« auf ihre Befriedigung zu – und die Aufgabe der Vernunft bestehe eben darin, die »möglichste Vereinigung« dieser Begierden zu bewerkstelligen. Die Vernunft schlägt sich somit nicht auf die eine Seite der diagnostizierten »Entzweyung«, sondern sie bewirkt, »was dem g a n z e n M e n s c h e n gut ist.« (WW II, 343 f.) Deshalb fordert Jacobi auch von Nicolai, man dürfe nicht »über dem Raisoniren und Imaginiren Natur, Geschichte und Erfahrung aus der Acht« lassen. 32 Der Antrieb der Vernunft sei freilich niemals schädlich – doch dies liegt nicht daran, daß sie ein Organ wäre, das mit schlafwandlerischer Sicherheit stets die jeweils richtigen Instruktionen erteilte, sondern daß sie eben darin besteht, die »gerechtesten Ansprüche« in Korrespondenz zu einander zu setzen. Anders könnte sie ja gar nicht gerecht sein. (5) Daß Jacobi allzu bereitwillig, ja bedenkenlos der Vernunft die Herrschaft über die Leidenschaften zugesteht, gefährdet allerdings sowohl seinen Vernunftbegriff als auch den Erfolg seiner Aufklärungskritik. Denn wenn es eine Vernunft gäbe, die das Recht hätte, gegen die Leidenschaften Zwang anzuwenden, und die sich gerade in diesem Griff zum Zwang als Vernunft erwiese, so brauchte man dieses Modell nur noch vom Individuum auf die Gesellschaft zu erweitern, um Zug um Zug jeden Zwang und somit auch jede Despotie als vernünftig zu rechtfertigen. Und all seiner Kritik der Gewalt zum Trotz scheint Jacobi auf diesen Abweg zu geraten: »Wo Tugend und Religion nicht mehr empfunden, ja wohl offenbar geläugnet werden«, da bleibe kein anderer Weg, als die Leidenschaften der Menschen ins Lot zu bringen, und: »Dieses kann nur mit der äussersten Gewalt erzwungen werden«. Entgegen allen Lippenbekenntnissen zur Freiheit wäre dies ein Freibrief für die ebenso äußerste Despotie – wie ja Jacobi an Nicolai, 18. 7. 1788. – Denn der Mensch werde »durch Triebe, Leidenschaften, allgemeines Beispiel geformt und regiert, nicht durch Räsonnement und Imagination a priori« – oder gar durch »reine Vernunft« (Jacobi an Johannes v. Müller, 3. 10. 1787, AB I, 433). – Den Hinweis auf diese beiden Passagen verdanke ich Carmen Götz. 32

Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist

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schon an der individuellen Lebensführung oder an gut gemeinten pädagogischen Maßnahmen mit Händen zu greifen ist. Doch an diesem riskanten Punkt, an dem seine Aufklärungskritik auf dem Spiel steht, bei der Übertragung des individuellen Zwangs auf gesellschaftliche Verhältnisse, bleibt Jacobi sich selbst treu. Und so vollendet er den Satz, daß das gesellschaftliche Gleichgewicht »nur mit der äussersten Gewalt erzwungen werden« könne, durch das realistische Eingeständnis, solches Erzwingen könne »nur auf eine äusserst mangelhafte Weise« erfolgen. Denn die zur gesellschaftlichen Unterdrückung der Leidenschaften erforderliche »ungemessene Gewalt« führe zu Irrtum, Mißbrauch und »Unterdrückung aller Rechte«. Durch diese, vermeintlich im Interesse einer »Herrschaft der Vernunft« erforderliche Repression werde das Übel »immer nur vergrößert und zuletzt aufs allerhöchste getrieben«. Und so läßt sich Jacobi auch hier nicht zur Rechtfertigung von Gewalt hinreißen. Dies erscheint mir doppelt beachtlich, weil er nämlich für eine solche Situation weitgehender gesellschaftlicher Desintegration kein alternatives Remedium aufzubieten weiß: Gute Gesetze können nicht helfen, weil sie stets die Folge guter Zustände sind, und nicht die Instrumente, diese erst hervorzubringen. Selbst der Religion sei es in Jahrhunderten und Jahrtausenden nicht gelungen, die Leidenschaften zu unterjochen. So bliebe allein das eine Mittel, das allerdings nicht zur Disposition steht: Um die Völker wirklich zu ihrem Besten zu zwingen, müßte »schlechterdings ein G o t t herniederkommen […], ein vollkommenes Wesen das nicht sterben könnte.« (WW II, 357–359) In diesem singulären Fall wäre sogar der Zwang mit der Vernunft vereinbar oder wohl gar identisch – und somit nicht inkriminierbar. Doch ist der Irrealis zu beachten, in dem dieser fromme Wunsch formuliert ist. *** So erlaubt Jacobi der individuellen Vernunft zwar zumeist, die Herrschaft über die Sinnlichkeit auszuüben – und wie man weiß, auch auf dem Felde der Pädagogik nicht eben mit dem glücklichsten Erfolg. Der gesellschaftlichen Vernunft aber verweigert er dies generell: Die Vernunft, die zwingt – sei es auch um das Beste durchzusetzen –, ist eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Seine Aufklärungskritik bleibt somit unvermindert in Kraft. Wichtiger jedoch als die Beharrlichkeit dieser Einsicht ist es, daß er im Zuge ihrer Ausbildung die Einsicht in die Korrespondenzstruktur derjenigen Vernunft gewinnt, die nun wirklich die Vernunft ist. Später, in seinem Sendschreiben Jacobi an Fichte, charakterisiert er die Vernunft durch die bekannte Wendung, »Vernunft« sei von »Vernehmen«

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her zu verstehen (JWA 2, 201, 208). Doch was bedeutet »Vernehmen«? Im selben Jahr leitet auch Herder in seiner Metakritik »Vernunft« von »Vernehmen« ab – doch er versteht dieses »Vernehmen« trotz der verbalen Identität gänzlich anders – nämlich analog zum »Vernehmen« vor Gericht. Wie immer es um die Etymologie bestellt sein mag: Auch Jacobis neuer Begriff des »Vernehmens« weist weiterhin die Korrespondenzstruktur der Vernunft auf. Das »Vernehmen« stellt ja eine ähnliche Korrespondenz zwischen einer subjektiven und einer objektiven Seite her, wie zuvor die Vernunft als »Auge der Seele«; strukturell ist es ein Gerichtetsein auf ein vorausgesetztes Wahres. Man muß sich nur von den ebenso fatalen als hartnäckigen Assoziationen losmachen, als handle es sich bei diesem Vernehmen um ein Empfangen überirdischer Direktiven. »Vernehmen« aber kann nur subjektive Vernunft – ob man sie nun substantivisch oder adjektivisch versteht. Wenn man – über die Wendungen des Sendschreibens an Fichte hinaus – das »Vernehmen« als ein sich Einlassen nicht lediglich auf »das Wahre schlechthin«, sondern auf die objektive Vernunft der in sich selbst strukturierten Wirklichkeit versteht, dann erhellt wiederum, daß diejenige Vernunft, welche die Vernunft ist, eine Korrespondenzstruktur hat. 33 Und dann wird schließlich offenbar, daß der Korrespondenzbegriff der Vernunft einem anderen Begriff eng benachbart ist, den wir – trotz aller angestrengten Revisionsversuche – mit einer langen Tradition primär durch die Struktur der Korrespondenz bestimmt sehen.

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Dies bestätigen auch noch Jacobis Fliegende Blätter; vgl. WW VI, 148 f.

Dass, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen von Birgit Sandkaulen

I. Am 4. Februar 1795 schreibt Schelling seinem Freund Hegel einen enthusiastischen Brief. Hegel, im fernen Bern von den jüngsten Entwicklungen isoliert, soll erfahren, was die Welt bewegt; er soll sich mitreißen lassen von den sonnenüberglänzten Aussichten einer Philosophie, die Freiheit als das »A und O« auf ihre Fahnen heftet und sich deshalb im »absoluten Ich« als dem schlechthin »Unbedingten« begründet. Der Brief endet abrupt, beinahe atemlos – und auf diesen Schluß möchte ich die Aufmerksamkeit lenken. »G o t t ist nichts als das absolute Ich«, notiert Schelling da und setzt im Stakkato hinzu: »Persönlichkeit entsteht durch Einheit des Bewußtseins. Bewußtsein aber ist nicht ohne Objekt möglich; für Gott aber, d. h. für das absolute Ich gibt es g a r ke i n Objekt, denn dadurch hörte es auf, absolut zu sein. – Mithin gibt es ke i n e n persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unserer Persönlichkeit, Übergang in die absolute Sphäre des Seins, der aber in Ewigkeit nicht mö g l i c h ist; – daher nur pr a k t i s c h e Annäherung zum Absoluten, und daher – U n s t e rbl i c h ke it . Ich muß schließen. Lebe wohl. Antworte bald Deinem Sch[elling]. «1 Die Philosophie der Moderne ist eine Philosophie der Subjektivität – sie ist keine Philosophie der Person: das machen Schellings Sätze paradigmatisch kenntlich. Zwar sind wir alle als endliche Wesen Personen, aber ein Anlaß, uns deshalb so etwas wie eine »Würde« zuzuschreiben, besteht durchaus nicht. Personsein heißt Schelling zufolge vielmehr, an Objekte gebunden, also in Abhängigkeiten, in Unfreiheit verstrickt zu sein. Nur so bildet sich das Bewußtsein, das eine Person charakteristischerweise von sich selber hat. Wenn dem aber so ist, dann muß man daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Brief Schellings an Hegel vom 4. 2. 1795, in: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, hg. von M. Frank und G. Kurz, Frankfurt/M. 1975, S. 125 ff. 1

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Es gilt erstens, daß es absurd wäre, die Bestimmung der Person auf das Absolute zu übertragen. Worauf hier als Prinzip aller Orientierung ausgegriffen wird, ist ein »absolutes«, sich als »Ich bin Ich« setzendes Ich, wie Schelling in Anlehnung an Fichte sagt. Keinesfalls aber ist dieses Ich Person, weil es eben nicht durch ein Ausgeliefertsein an die Welt der Objekte, sondern als »absolute Sphäre des Seins« definiert ist. Die Absolutheit dieser Sphäre erlaubt es nicht nur, sondern erzwingt geradezu, das, was vormals »Gott« genannt wurde, nunmehr mit dem Ich-Sein zu identifizieren. Einen »persönlichen Gott« jedoch, der sich seiner selbst bewußt wäre, kann es aus den genannten Gründen nicht geben. Die zweite Konsequenz betrifft uns selbst. Absurd wäre es hier, unser Personsein zu kultivieren. Es zu zerstören, auf seine Zerstörung wenigstens hinzuarbeiten, darauf kommt es im Gegenteil an. Allein diese Haltung uns selbst gegenüber wird dem Orientierungsprinzip des »absoluten Ich« gerecht, und allein diese Haltung realisiert die Vision der Freiheit, die dieses die Stelle Gottes einnehmende »Ich« allumfassend garantiert. Der Brief Schellings ist bekannt und viel zitiert. Noch bis vor kurzem aber wäre es höchst seltsam erschienen, das Augenmerk insbesondere auf diesen Schluß zu lenken. Welches Interesse hätte man der Person entgegenbringen sollen, wenn doch ausgemacht war, daß sie nichts als eine defizitäre Bestimmung darstellt, mit der man weder hinsichtlich einer transzendentalen oder metaphysischen Prinzipienreflexion noch hinsichtlich einer Verständigung über uns selbst etwas Sinnvolles anfangen kann? Nicht die Person, sondern das Paradigma der Subjektivität stand deshalb im Mittelpunkt zahlloser Untersuchungen und Debatten. Was es auf sich hat mit dieser absoluten Auszeichnung eines »Ich«, das zuerst Descartes, der sogenannte »Vater« der modernen Philosophie, mit seinem berühmten »cogito ergo sum« aus der Taufe hob, das später zu Kants »Ich denke« mutiert und von hier aus ins Zentrum der Systeme Fichtes, Schellings und Hegels eingewandert ist, wo es schließlich unter mancherlei Transformationen den Raum des Absoluten selber erobert hat: das galt es dem Anspruch und der Genealogie nach zu klären, als wesentliches Erbe unseres Denkens zu verteidigen oder aber als einen Irrweg der Moderne schlicht zu verwerfen. Inwieweit die zuletzt heftig umstrittene Frage, ob das Subjekt endgültig tot oder ob es noch zu retten ist, sich inzwischen erledigt hat, wage ich nicht zu entscheiden. Festzuhalten ist aber, daß sich der Fokus der Diskussionen in jüngster Zeit merklich verschoben hat. Unversehens ist die in den Hintergrund abgedrängte Person zur Hauptperson avanciert, um die sich der philosophische Diskurs nun intensiv bemüht. 2 Die Gründe für diese Verschiebung 2

Vgl. Theo Kobusch, Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und

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sind vielfältiger Art. Primär ist es gewiß die unter den gegenwärtigen Bedingungen von Wissenschaft und Technik verschärfte ethische Problematik, die der Frage nach der Person ihre Relevanz verschafft. Aber auch sprachphilosophische, insbesondere aus der analytischen Tradition stammende Überlegungen gehören hierher, 3 was damit zu tun haben mag, daß die angelsächsische Genealogie ausgehend von Locke über ein prominentes Personkonzept stets verfügte. In jedem Fall geht aus dem Gesagten hervor, daß das beträchtliche Interesse an der Person systematische Problemlagen spiegelt – einer genuinen Auseinandersetzung mit der klassischen deutschen Philosophie entstammt es nicht. Jedoch ist auch hier nun eine auffällige Veränderung zu verzeichnen. Im Zuge der neuen Diskussionssituation scheint es nicht länger irrelevant zu sein, was die bedeutenden Texte dieser Tradition über die Person zu sagen haben. Vor allem die praktische Philosophie Kants rückt nun anstelle seines »Ich denke« in den Blick, aber auch die Transzendentalphilosophie und Metaphysik Fichtes und Schellings werden einer erneuten Lektüre unterzogen. Mein Interesse zielt darauf auch, in der Hauptsache gilt es indes jemand anderem. Denn könnte es unter den skizzierten Umständen eine bessere Gelegenheit geben, das Denken Jacobis ins Spiel zu bringen?

II. Es bietet sich an, auch hier mit einem Brief zu beginnen. Aus Düsseldorf schreibt Jacobi am 14. November 1787 an Lavater folgende Zeilen: »Kleuker hat mir einen Brief, den Du ihm, vornehmlich über Herders Gott, geschrieben hast, mitgetheilt. In diesem Briefe sagst Du: der persönliche Mensch müsse personificiren, dieß gehöre zum K i nd e r zustand und K i nd e r sinn der Menschheit. Das versteh’ ich nicht. Mir ist Personalität α und υ; und ein lebendiges Wesen ohne Personalität scheint mir das Unsinnigste, was man zu denken vorgeben kann. Seyn, Realität, ich weiß gar nicht, was es ist,

modernes Menschenbild, Freiburg/Basel/Wien 1993; Robert Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ›etwas‹ und ›jemand‹, Stuttgart 1996; Dieter Sturma, Philosophie der Person. Die Selbstverhältnisse von Subjektivität und Moralität, Paderborn/München/Wien/Zürich 1997; Person. Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Martin Brasser, Stuttgart 1999; Dieter Sturma (Hg.), Person. Philosophiegeschichte – Theoretische Philosophie – Praktische Philosophie, Paderborn 2001; Ian Kaplow, Analytik und Ethik der Namen, Würzburg 2002. 3 Vgl. Peter F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt (Individuals), (1959), dt. Übers. Stuttgart 1972.

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wenn es nicht Person ist. Und nun gar Gott! Was für ein Gott wäre das, der nicht zu sich selbst sagen könnte: Ich bin, der ich bin! Die Ichheit endlicher Wesen ist nur geliehen, von Andern genommen, e i n g eb ro c h e n e r S t r a l des transscendentalen Lichts, des a l l e i n L eb e nd i g e n .« 4 Der Kontrast zu den Äußerungen Schellings könnte größer nicht sein. Dem Paradigma einer Philosophie der Subjektivität tritt hier die Skizze einer Philosophie der »Personalität« gegenüber. Verblüffend ist zugleich, daß sich Jacobis Stellungnahme, obwohl an die acht Jahre früher geschrieben, doch so lesen läßt, als sei sie in unmittelbarer Reaktion auf Schellings Brief verfaßt. Um diesen anachronistischen Eindruck der Nähe, die trotz größter Differenzen besteht, aus guten Gründen, wie sich zeigen wird, zu unterstreichen, erlaube ich mir, die Diskussionslage zunächst einmal frei zu reformulieren. Und das klingt dann fürs erste etwa so: Wo du, Schelling, vom »A und O« der Freiheit sprichst, um sie auf ein reines, absolutes, durch Freiheit gesetztes »Ich bin Ich« zurückzuführen, da spreche ich, Jacobi, wie du siehst, vom »α und υ« der »Personalität«. Im Rahmen deines Ansatzes hältst du diese Bestimmung für defizient. Ich halte sie aber im Gegenteil für entscheidend, weil ich nämlich ohne sie nicht verstehen kann, was »Sein« oder »Realität« eigentlich ist – sofern hier von lebendigem Sein und nicht vom toten Sein der Materie die Rede sein soll. Auch du sprichst ja vom Sein, von der »absoluten Sphäre des Seins« sogar, und meinst damit gewiß nicht materielles Sein. Dem steht ja schon das Ich entgegen, auf das du so großen Wert legst. Was ich mir nun aber bei diesem absoluten Ich-Sein zu denken habe – erlaube, daß ich darauf später zurückkomme. Im Moment gehe ich von deiner Behauptung aus, daß das Sein einerseits und das Bewußtsein der »Persönlichkeit« andererseits nichts miteinander zu tun haben können. Ist das denn aber wahr? Kommt es denn nicht darauf an, was wir hier unter Bewußtsein verstehen wollen? Das gebe ich dir also zu: auch nach meiner Überzeugung hat Personsein allerdings mit Bewußtsein zu tun. Aber was du sogleich auf ein durch Objekte vermitteltes theoretisches Bewußtsein beziehst, das verstehe ich in einem ursprünglichen Sinne als etwas ganz anderes, nämlich als ein existentielles Bewußtsein: als das lebendige Bewußtsein, ich selber zu sein und nicht dieser oder jener. Würde ich dieses Bewußtsein meiner Person zerstören oder seine Zerstörung auch nur fordern, würde ich nicht, wie du meinst, meine Verstricktheit in die Welt der Objekte zerstören, sondern mich selbst. An der Freiheit liegt mir im übrigen so viel wie dir. Aber genau deshalb insistiere ich ja auf der Personalität, weil ich hier die Freiheit verankert sehe, die mir 4

Brief Jacobis an Lavater vom 14. 11. 1787, AB I, 435 f. (Nr. 157).

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auch als einem endlichen Wesen zugehört. Auf das bloße Wort »Person« oder »Persönlichkeit« kommt es hier also nicht an, sondern darauf, was wir damit meinen. Daß dein Konzept nicht weit trägt, sehe ich wohl. Aber wer sagt, daß dies das einzige und richtige ist? Nach meinem Verständnis eines primären, existentiellen Bewußtseins von mir selbst ist es jedenfalls gar nicht absurd, emphatisch auf dem Personsein zu bestehen. Und absurd ist es nun ebenfalls nicht, auch Gott die Bestimmung des Personseins zuzuschreiben. Denn wie du siehst, geht es nicht darum, eine endliche Bestimmung auf das Absolute zu übertragen. Das wäre nur dann der Fall, wenn Bewußtsein ausschließlich, wie du meinst, theoretisches, durch Objekte vermitteltes Bewußtsein wäre. Aber wie kämen wir dazu, dem göttlichen Sein den Fall von Bewußtsein abzusprechen, den ich im Auge habe? »Was für ein Gott wäre das, der nicht zu sich selbst sagen könnte: Ich bin, der ich bin!«? Dieser Gott wäre in Wahrheit nicht absolut, er vermöchte weniger als wir. Anstelle einer fälschlichen Übertragung von Endlichem auf das Absolute liegen die Dinge vielmehr umgekehrt. Sofern wir nicht Gott, sondern in der Tat verstrickt in Abhängigkeiten und Unfreiheiten sind, aber als endliche Wesen dennoch zu uns selber »Ich« sagen können, müssen wir einsehen, daß diese »Ichheit«, die wir uns zuschreiben, nur »geliehen« ist. Wie ein Lichtstrahl sich bricht, so ist auch unser Personsein als endliches Personsein stets nur ein gebrochenes. Ein gebrochenes Sein aber ist gleichwohl etwas ganz anderes als die Zerstörung der Person, auf die du ausgehst. Alles hängt mithin daran, daß wir uns um Haaresbreite treffen und uns doch ganz verfehlen. Daß es nicht um irgendwelche begrifflichen Spielereien geht, darin sind wir uns einig. Deshalb sprechen wir beide vom Sein. Und weil wir uns, wenn ich deinen Enthusiasmus recht verstehe, auch darin einig sind, daß wir, wenn wir Sein sagen, Frei-Sein meinen, sprechen wir auch beide von einem Ich, von der Identität des Ich-Seins: ich bin. Was ist das aber für ein Gott genanntes Ich, das sich deiner Meinung zufolge zwar setzt als »Ich bin Ich«, aber nicht zu sich selber sagen kann: Ich bin, der ich bin? Ist das wirklich ein Ich – oder ist es nicht vielmehr doch nur ein »bloßes IST«?5 Und wer sind wir, wenn alles, was unser konkretes Personsein ausmacht, durch Objekte vermittelt ist, während das, was in solcher Vermittlung nicht aufgeht, stets nur mit dem absoluten Ich identisch sein soll?

Vgl. Jacobi, Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, JWA 3, 75; vgl. auch JWA 3, 112. 5

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III. Wer oder was ist eine Person? Auf alle angesprochenen Punkte komme ich im weiteren zurück. Zunächst aber mag meine kleine Inszenierung deutlich machen, daß der Streit, in den Jacobi die Protagonisten der klassischen deutschen Philosophie nicht fiktiv, sondern tatsächlich verwickelt, trivial wäre, wenn es lediglich darum ginge, daß der eine affirmiert, was der andere bestreitet. Dann könnte man die Bedeutung des Ausdrucks »Person« ebensogut in einem Lexikon nachlesen und seine positive oder negative Verwendung zur Kenntnis nehmen. In Wahrheit gibt es aber so etwas wie eine allgemeingültige Definition der Person bis heute nicht. Was es gibt, sind ausschließlich Verwendungsweisen dieses Ausdrucks, die abhängig vom Kontext der jeweiligen erkenntnistheoretischen, ontologischen, sprachphilosophischen und ethischen Grundannahmen festlegen, was das Wort »Person« je bedeuten soll. Über diese außerordentlich komplizierte Lage täuschen wir uns alltagssprachlich glücklicherweise hinweg. Wenn wir etwa Personenwagen von Lastwagen unterscheiden, glauben wir zu wissen, was wir mit dieser Unterscheidung meinen: Personen sind keine Sachen. Inwiefern aber Personen keine Sachen sind, das ist mit dieser alltäglichen Rede noch längst nicht gesagt. Genau davon aber, von diesem »inwiefern«, handeln die philosophischen Debatten – und wenn es jüngst in einem Beitrag heißt, daß der Begriff Person »so schwer zu explizieren« sei »wie kaum ein anderer in der Philosophie«, so ist dies unbestreitbar wahr. 6 Und verständlich ist sogar, daß in der erwähnten aktuellen Ethik-Diskussion inzwischen Zweifel darüber bestehen, ob es klug war, die Person in den Mittelpunkt zu rücken. Denn anstatt sich auf die Bedeutung dieses Begriffs schlicht verlassen zu können, um ihn dann nur noch auf ethische Konfliktsituationen anzuwenden, ist jetzt vielmehr grundsätzlich zu klären, um welches Verständnis der Person es eigentlich geht. Nachvollziehbar wird so aber auch, warum das gegenwärtige Interesse mit einer Vergewisserung der Philosophiegeschichte einhergeht: nicht weil man sich erhoffte, hier nun endlich zu eindeutigen Lösungen zu kommen – dazu gibt es angesichts der unendlich verwickelten Geschichte des Personbegriffs wahrhaftig keinen Anlaß –, sondern weil es aufschlußreich ist zu sehen, unter welchen Umständen, mit welchen Implikationen und Konsequenzen die Rede über Personen jeweils geführt worden ist. Wer oder was ist eine Person? Die Auskünfte, die Schelling und Jacobi auf diese Frage geben, sind völlig disparat. Entsprechend unterschiedlich fallen 6

Ian Kaplow, Analytik und Ethik der Namen (Anm. 2), S. 230 f.

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die Bewertungen wie auch die Folgerungen aus. Wenn »Persönlichkeit« ein Fall theoretischen Bewußtseins ist, dann verbietet sich seine Anwendung auf das Absolute. Wenn »Personalität« hingegen ein Fall existentiellen Selbstseins ist, dann darf man, unter Beachtung metaphysischer Brechungsverhältnisse, auch von einem persönlichen Gott sprechen. Hätte Schelling dieser Option folgen können, wenn er sie denn rezipiert hätte? Tatsächlich setzt mit Schellings Freiheitsschrift ein fundamentaler Prozeß des Umdenkens ein, bei dem er seine Ansicht ändert und zugleich auch nicht ändert, wie sich zeigen wird. Um so wichtiger ist sein früher Brief an Hegel. Er verdeutlicht, was man einen epochentypischen Befund nennen kann: mit seiner Option einer Philosophie der Personalität bleibt Jacobi hoffnungslos isoliert. Daß er ein in seiner Zeit vollständig neues Personverständnis entwickelt, das dem Grundgedanken nach manche Einsicht etwa der französischen Phänomenologie des 20. Jh. vorwegnimmt, bleibt verdeckt. Warum ist das so? Es liegt nahe zu sagen, daß das dominierende Paradigma der Subjektivität dafür verantwortlich ist. Und in der Tat ist es ja kein Zufall, daß Jacobi seine eigene Position zeitlebens in ausdrücklicher Kritik dieses Paradigmas vertritt. Von der auf Descartes zurückweisenden Genealogie distanziert er sich schon 1789, indem er betont, »daß ich kein C a r t e s i a n e r bin«. Man »dürfe schlechterdings nicht das sum dem cogito nachsetzen« (JWA 1, 157). Die Debatten mit Kant, Fichte und Schelling legen von dieser Opposition fortgesetztes Zeugnis ab. Dennoch liegt der Fall auch hier komplizierter als die bloße Gegenüberstellung von Subjektivität und Personalität auf Anhieb zu erkennen gibt. Denn zu beachten ist erstens, daß, wie schon angedeutet, die praktische Philosophie Kants, obwohl auf der Basis einer Philosophie des Subjekts errichtet, die Hinsicht auf Personen durchaus integrieren kann. Die diesbezügliche Formel des kategorischen Imperativs stellt das heraus: »H a nd l e s o , d a ß d u d i e M e n s c h h e i t , s owo h l i n d e i n e r Pe r s o n , a l s i n d e r Pe r s o n e i n e s j e d e n a nd e r n , j e d e r z e i t z u g l e i c h a l s Zwe c k , n i e m a l s b lo ß a l s M it t e l b r au c h e s t .« 7 Jenseits einer planen Opposition muß die Frage hier also präziser lauten, inwiefern die Person, die Jacobi im Auge hat, mit der »Menschheit« in der Person, auf die Kants Sittengesetz zielt, tatsächlich nichts zu tun hat. Zu bedenken ist zweitens, was einschlägigerweise die nachkantische Philosophie betrifft und die Lage hier noch verwirrender erscheinen läßt. In meiner Inszenierung hatte ich darauf schon angespielt: auf die Nähe, die Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Werkausgabe, hg. von W. Weischedel, Bd. VII, Frankfurt/M. 1968, BA 66 f. 7

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trotz aller Differenz zwischen Jacobi und Schelling besteht und sich in der fundamentalen Auszeichnung des Seins manifestiert. »Ich bin« – dies wird auf beiden Seiten gesagt. Somit gilt aber, daß sich das Paradigma der Subjektivität in der nachkantischen Philosophie offenkundig, nämlich unter dem Einfluß von Jacobi, verwandelt hat. Jacobis anticartesianische Umstellung des sum vor dem cogito, des »ich bin« vor dem »ich denke«, ist hier selber in das Subjekt eingewandert und hat es gleichsam eingefärbt. 8 Die Frage, die man sich zu stellen hat, verschärft sich so: wie kommt es, daß die Protagonisten der klassischen deutschen Philosophie, Schelling wie Fichte und Hegel, das sum sehr wohl beachten, aber nicht das persönliche sum darunter verstehen, das Jacobi meint? Zu berücksichtigen ist drittens schließlich Herder, der in Jacobis Brief ja schon erwähnt war. Auffällig ist hier, daß Herder, wie seine Kant-Kritik wenig später explizit unterstreichen wird, mit dem Subjekt ebenfalls nichts im Sinn hat und dennoch die personale Option Jacobis nicht teilt. »Lieber, bester, extramundaner Personalist«, so seine Adresse an Jacobi: »Eingeschränkte Personalität paßt aufs unendliche Wesen [nicht], da Person bei uns nur durch Einschränkung wird, als eine Art modus oder als ein mit einem Wahn der Einheit wirkendes Aggregat von Wesen.«9 Man sieht, daß seine Einrede ganz wie diejenige Schellings argumentiert. Weil Personalität eine defiziente Bestimmung, eine endliche »Einschränkung« darstellt, paßt sie nicht aufs absolute Sein. Wobei Herder so weit geht, die personale Einheit nicht lediglich als objektvermittelt, sondern überdies als einen »Wahn« zu bezeichnen. Eine höchst seltsame Situation ist es demnach, die sich hier bietet. Denn in einen ernsthaften Diskurs über Personen könnte Jacobi so besehen allein und ausgerechnet mit Kant eintreten, während alle diejenigen, die ihm angesichts der emphatischen Auszeichnung des Seins viel näher stehen, von diesem Thema allesamt nichts wissen wollen. Auf Kant komme ich später zurück. Was aber die beiden zuletzt genannten Punkte betrifft, so gilt es hier nun einen Umstand zu erwähnen, der drastisch vor Augen führt, wie kontextabhängig die Rede über Personen tatsächlich ist, und daß es, mehr noch, kontextgebundene Präferenzen gibt, die mit binnenphilosophischen Grundannahmen allein nicht zu erklären sind, sondern die im weitesten Sinne auf Dispositionen mentalitätsgeschichtlicher Art verweisen. Vgl. § 1 von Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre: »man denkt nicht nothwendig, wenn man ist, aber man ist nothwendig, wenn man denkt. Das Denken ist gar nicht das Wesen, sondern nur eine besondere Bestimmung des Seyns« (in: Fichtes Werke, hg. von I. H. Fichte, Bd. I, ND Berlin 1971, S. 100). 9 Brief Herders an Jacobi vom 6. 2. 1784, JBW I/3, 281 (Nr. 992). 8

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IV. Gemeint ist der Umstand, daß die Metaphysik Spinozas in der Epoche Furore macht: eine Metaphysik, der es weder um das Subjekt noch und schon gar nicht um die Person geht, sondern die auf der Basis des Konzepts der Substanz die göttliche Alleinheit zur Orientierung alles Denkens und Lebens erhebt. Daß Jacobi selber es war, der an diesen Monismus des »S e y n s in allem Daseyn« (JWA 1, 39) erinnert hat, ist das eine. Daß er seine eigene Philosophie der Personalität ursprünglich im entschiedenen Widerspruch zu Spinoza entwickelt, ist das zweite. Das dritte ist, daß das berühmt gewordene Εν και παν den Zeitgenossen anders als Jacobi nicht wie das anonyme Schreckgespenst eines radikalen Selbstverlusts, sondern wie eine Zauberformel erscheint, mit der sich ein neues Lebensgefühl erschließt. Gewiß wird Spinozas Metaphysik für Schelling, Fichte und Hegel sogleich auch zum Inbegriff einer wissenschaftlichen Systemphilosophie, womit sie den Vorgaben Jacobis wiederum folgen.10 Um sich aber verständlich zu machen, warum alle und somit auch die, die ihrerseits gar keine Systeminteressen hegen, die Alleinheitsformel so enthusiastisch begrüßen und eben deshalb an Jacobis Position nur das sum beachten, um es als Freisein in Spinozas Substanzmetaphysik zu integrieren, nicht aber das persönliche sum bedenken, hat man auf eine basalere Schicht der Selbstverständigung zurückzugehen. Das hier maßgebliche Wort stammt von Lessing: »Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen.« (JWA 1, 16) Eben das bekräftigt Schelling in seinem Brief an Hegel: »Auch für uns sind die orthodoxen Begriffe von Gott nicht mehr. […] Wir reichen we it e r noch als zum persönlichen Wesen.«11 Mit anderen Worten: woran sich die Leser Jacobis einzig und allein orientieren, wenn sie vom Thema Person nichts wissen wollen, was sie geradezu als ein Skandalon perhorreszieren, ist dessen Rede von einem persönlichen Gott. Aus heutiger Sicht – schließlich leben wir bekanntlich in postmetaphysischen Zeiten – ist diese Kritik leicht mißzuverstehen. Dann wirkt sie wie die Kritik an einem Denken, das sinnloserweise auf eine metaphysische Dimension ausgreift, die wir weder erkenntnistheoretisch noch sprachphilosophisch bearbeiten können, auf deren Thematisierung wir also höchstens noch, um das Wort Lavaters zu variieren, wie auf den »Kinderzustand der Menschheit« zurückblicken können. Das ist Vgl. dazu von Verf.: »Was geht auf dem lange Wege vom Geist zum System nicht alles verloren«. Problematische Transformationen in der klassischen deutschen Philosophie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 50 (2002), S. 363–375. 11 A. a. O. (Anm. 1), S. 126. 10

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jedoch hier nicht gemeint. Es geht nicht darum, ob man überhaupt, sondern es geht allein darum, wie man vom Absoluten spricht. Nicht daß Jacobi von Gott spricht, sondern daß er von Gott als Person spricht, ist das Problem, und dies deshalb, weil er damit den orthodoxen Gott zu restituieren scheint: den Gott der Theologen und der Kirche, »das persönliche individuelle Wesen, das da oben im Himmel sitzt«, wie wiederum Schelling an Hegel schreibt, 12 – wo doch der Gedanke der Alleinheit von diesem Gott endlich befreit. Man müßte von diesen mentalitätsgeschichtlichen Kontexten nicht handeln, wenn sie philosophisch irrelevant blieben. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Die gewissen Schieflagen, in die nicht zuletzt auch die Philosophie Spinozas angesichts solcher religiös-theologisch motivierter Emanzipationsinteressen gerät, sind hier nicht zu erörtern. Entscheidend festzuhalten ist hier, daß die Fixierung der Debatte auf den persönlichen Gott den Diskurs über Personen buchstäblich blockiert. Inwiefern Jacobi diese Rede führt, aufgrund welcher Prämissen er sie führt, wie und warum er basalerweise von uns als Personen spricht, die ganze Anlage seiner Philosophie der Personalität mit einem Wort: all das verschwindet hinter der zwischen Alleinheit und Orthodoxie aufgespannten Szene, während parallel dazu ein Personkonzept auf die Bühne gerufen wird, das immer schon als defizient gefaßt die kritische Absicht mühelos trägt. Bei Herder wird das ganz besonders deutlich. Einzig und allein mit dem Zweck, die metaphysische Unbrauchbarkeit der Person zu demonstrieren, hat er sich nämlich in der Zweitauflage seiner Schrift Gott die Mühe gemacht, einen ganzen Katalog des, wie er sagt, »vestgestellten Gebrauch[s]« dieses Ausdrucks zusammenzutragen. Nachdem die theologische Rede von der Trinität der göttlichen Personen als hier nicht einschlägig ausgeschieden ist, ergibt die Musterung des philosophischen und allgemeinen Sprachgebrauchs, daß Person in allen möglichen Spielarten die ursprüngliche Bedeutung, nämlich »L a r ve« oder »M a s ke«, beibehalten hat. Bei Locke und Leibniz ist das nicht anders, wie Herder durch Zitate belegt. So ist Locke zufolge Person ein »forensick term«, ein juristischer Terminus, der es erlaubt, jemanden vor Gericht zu identifizieren, um ihm Verdienst oder Strafe für seine Taten zuzumessen. Dem entspricht, daß Leibniz auf den Spuren Lockes die persönliche Identität eine »apparence du soi« nennt, eine Erscheinung des Selbst, die von realer Identität zu unterscheiden ist. Kurz und gut, so Herder zuletzt: man schlage »Wörterbücher auf, welche man will«, überall steht, daß die Worte Person und Persönlichkeit »ein Brief Schellings an Hegel vom 6. 1. 1795, a. a. O. (Anm. 1), S. 119. Die Auseinandersetzung mit der sogen. Tübinger Orthodoxie tut hier ein übriges dazu. 12

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Eigenthümliches oder Besondres unter einer gewissen Apparenz bezeichnen«. Mit dem Unendlichen aber hat das alles ersichtlich nichts zu tun. 13 In der Tat nicht, so könnte man hier mit Jacobi replizieren. Gleichwohl ist Herders Einlassung, die von Personen nur spricht, um sie aus dem Diskurs herauszuhalten, außerordentlich interessant. Denn dergestalt erfährt man nicht allein, welches das in der Epoche gängige, in Wörterbüchern »festgestellte« Personverständnis ist, sondern man erfährt so zudem, vor welchem Hintergrund folglich auch Jacobis Überlegungen stehen, wovon sie sich absetzen müssen, um ihre eigenen Intentionen zur Geltung bringen zu können. Bezieht man in diesem Sinne die Herdersche Liste auf Jacobis Einsatz, dann gilt ex negativo formuliert: was Jacobi mit dem α und υ der Personalität im Auge hat, folgt nicht dem üblichen Sprachgebrauch; es läßt sich nicht etymologisch auf die antike Theatersprache, auf die persona als Maske, zurückführen; und vor allem läßt es sich nicht im Rekurs auf die philosophische Autorität Lockes erläutern. Das ganze orthodoxe Aufgebot, das Herder gleichsam neben das Skandalon des orthodoxen Gottes stellt, um den Weg zur Alleinheit freizuräumen, paßt hier nicht. Worum geht es stattdessen?

V. Im Handstreich läßt sich das nicht erläutern. Denn das Muster, das sich aus allen bisher ausgespannten Fäden ergibt, ist offenbar höchst kompliziert. Kompliziert ist die Thematik der Person selber, kompliziert ist die Rolle, die Jacobi im zeitgenössischen Kontext spielt, und dementsprechend komplex ist auch seine Philosophie der Personalität, um die es hier geht. Dazu gehört, daß man Jacobis Position, wie sich gezeigt hat, nur im Vollzug einer doppelten Abgrenzung verstehen kann. Einerseits profiliert sich die Bedeutung der Person im Kontrast zur Philosophie der Alleinheit, deren Monismus Jacobi zwar als rational zwingend exponiert, in der praktischen Konsequenz jedoch als die anonyme Vollstreckung eines totalen Selbstverlusts verwirft. Damit

Herder, Gott. Einige Gespräche, in: Sämtliche Werke, Bd. XVI, hg. von B. Suphan, ND Hildesheim 1967, S. 497 ff. Vgl. zur Auseinandersetzung Jacobis mit Herder insbesondere die Beilagen IV und V der Spinozabriefe nebst der späteren Bemerkung, daß auch die Zweitauflage von Herders Gott nichts enthalte, »das mich hätte nöthigen mögen, etwas von dem […] Gesagten zurück zu nehmen« (JWA 1, 219). Allerdings hat Jacobi im Zusammenhang der späteren Werkausgabe der Spinozabriefe in der Beilage IV verdeutlichende Ergänzungen angebracht, die ich im folgenden berücksichtige. 13

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aber die Person die ihr zugedachte Rolle auch wirklich übernehmen kann, ist es andererseits erforderlich, eine Alternative zu dem bisher »festgestellten« Personkonzept Lockes zu entwickeln. Beide Hinsichten kulminieren in dem, was ich das existentielle Bewußtsein des Selbstseins genannt habe. Angesichts der Komplexität der Lage aber mag es nun auch nicht überraschen, daß Jacobi eine spezielle Abhandlung über den Begriff der Person im allgemeinen und des personalen Selbstseins im besonderen nicht vorgelegt hat. Personalität ist hier der in wechselnden Perspektiven zu beleuchtende Fluchtpunkt eines Denkens, dem überhaupt nicht an der exklusiven Explikation von Begriffen, sondern an der Erschließung von Erfahrungen liegt. Die basalste aller Erfahrungen, die wir machen, ist Jacobi zufolge das Handeln: nur indem wir ursächlich Handelnde sind, haben wir ein Verständnis von uns selbst und von der Welt.14 In diesem Handlungskontext hat die Rede von der Person ihren Ort, und hier ist auch die Auseinandersetzung zu verorten, die Jacobi in doppelter Weise führt. Denn das Problem, das sich in Gestalt der Person insbesondere stellt, ist ein Problem, das sich sowohl in Hinblick auf die Philosophie der Alleinheit als auch in Hinblick auf Lockes Theorie der Person zuspitzt: worum es geht, ist das Problem der Identität. Ein »jedes Wesen«, so heißt es bei Jacobi, »welches das Bewußtseyn seiner Identität hat: e i n e s bl e ib e nd e n , i n s i c h s e ye nd e n und vo n s i c h w i s s e nd e n I c h , ist eine Person.«15 Inwiefern, so ist zu fragen, darf man diesen Satz als Alternative zur Identität der Alleinheit verstehen? Und inwiefern geht diese Identität zugleich über das hinaus, was Lockes »forensick term« über die Identifizierung einer Person zu sagen hat? Ich beginne mit der zweiten Frage, da sie den Zugang auch zur ersten am besten bahnt. Auffällig ist hier zunächst, daß Jacobi, anders als im Falle Kants und der Philosophie der Alleinheit, eine explizite Auseinandersetzung mit Locke nicht betrieben hat. Er betreibt sie implizit, und zwar so, daß hier nicht der Blick ins »Wörterbuch« über das gängige Verständnis der Person orientiert, sondern der Vollzug einer Argumentation, die, der fundamentalen Hinsicht auf das Handeln gemäß, nach der »Freyheit des Menschen« fragt.16 Wenn wir voraussetzen, so geht die Überlegung des ersten Teils, daß wir als endliche Wesen nicht autonom sind, vielmehr unweigerlich verstrickt sind in die Abhängigkeit von unserer natürlichen und sozialen Umwelt; wenn wir Vgl. zu diesem entscheidenden, an der Distinktion der Begriffe von Grund und Ursache zum Ausdruck gebrachten handlungsphilosophischen Fundament bei Jacobi von Verf.: Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 15 Jacobi, Spinozabriefe, JWA 1, 220. 16 Jacobi, Ueber die Freyheit des Menschen, in: Spinozabriefe, JWA 1, 158 ff. 14

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weiter annehmen, daß dieser Situation entsprechend unser ganzes vitales Interesse darauf zielt, im Geflecht der unvermeidlichen Abhängigkeiten nicht zugrundezugehen; und wenn wir schließlich noch annehmen, daß wir als rationale Wesen in der Lage sind, unser Überlebensinteresse bewußt zu gestalten: dann ergibt die Rede von der Person einen guten Sinn. Personsein meint dann, über das stabilisierende Bewußtsein einer Identität zu verfügen, die wir als endliche aber rationale Wesen im Kontext jeweiliger Umwelt und jeweiliger Erfahrungen ausbilden und an der wir dann auch unsere zukünftigen Handlungen orientieren. Die weiteren Schritte, die Jacobi hier anschließt, lasse ich beiseite. Wichtig im gegenwärtigen Zusammenhang ist dreierlei. Der erste Punkt ist, daß Jacobi auf engstem Raum, in einer höchstmöglich verdichteten Argumentation ein Konzept von Personalität entwickelt, das auf der Basis einer Analyse unserer endlichen, aber durch Rationalität zu bewältigenden Lebensbedingungen höchst aktuell anmutet. Spielarten dieser – dann naturalistisch genannten – Überlegung kann man derzeit in allen einschlägigen Debatten finden. Dabei ergibt sich die Pointe der gedanklichen Schrittfolge insbesondere daraus, daß Jacobi impliziterweise zwei Theorien kombiniert. Er kombiniert das Streben nach Selbsterhaltung, das Spinoza zum basalen Grundtrieb allen Handelns erklärt hat, mit dem, was Locke über die persönliche Identität sagt: daß sie nämlich, wie Jacobi hier formuliert, »auf Gedächtniß und Reflexion« beruht.17 Das ist in der Tat der Kern der Lockeschen Theorie: die Identität der Person reicht so weit, wie das »Bewußtsein rückwärts auf vergangene Taten oder Gedanken ausgedehnt werden kann«.18 Worauf es hier ankommt, ist also, daß persönliche Identität einer Leistung des Bewußtseins entspringt. Eingelassen in den Kontext der Erfahrung wird sie gestiftet durch die rückblickende Leistung bewußter Identifikation. Einer Unterscheidung folgend, die Jacobi an anderer Stelle gebraucht, die aber auch in den gegenwärtigen Diskussionen um die Person höchst virulent ist, 19 werde ich diese Identität im weiteren die Was-Identität nennen. Der zweite Punkt ist, daß Jacobis Analyse dieser Was-Identität offenkundig genau dem Verständnis der Person entspricht, das Schelling und Herder als defizient vor Augen steht. Schellings objektvermittelte wie auch Herders als »Wahn« auf ein »Aggregat« bezogene Einheit des personalen BewußtEbd., S. 159. John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. I, Kap. XXVII, Hamburg 1981, S. 420. 19 Vgl. dazu insbes. Ian Kaplow, Analytik und Ethik der Namen, a. a. O. (Anm. 2), S. 185 ff. u. ö. 17

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seins heben darauf ab, daß diese Identität stets nur in Auseinandersetzung mit und durch Integration von Fremdem zustandekommt. Was ich bin, als was ich mich identifiziere, das ergibt sich aus einer letztlich nicht überschaubaren Verkettung raum-zeitlicher Umstände. Jacobi bekräftigt das, indem er diesen Teil seiner Überlegung unter den Titel der Unfreiheit rückt. Der dritte Punkt zielt auf die Konsequenz, die er aus seiner Analyse der Was-Identität der Person zieht. Defizient ist sie nach seiner Überzeugung auch. Aber daraus folgt hier keineswegs, daß sie zugunsten eines anzustrebenden Übergangs in die »absolute Sphäre des Seins« sogleich für nichtig erklärt werden müßte. In einem ganz basalen Sinne, der dem Faktum unserer Endlichkeit und Zeitlichkeit Rechnung trägt, muß dieser Was-Aspekt unserer selbst vielmehr festgehalten werden, wie Jacobi immer wieder betont. Denn was wären wir ohne ihn? »Gehe nur gerade in dich selbst zurück; entäußere dich für einen Augenblick aller der Erkenntnisse, welche dir im Gebrauch des Lebens und durch ihn geworden sind; lasse für diesen Augenblick dein Gedächtniß ausgelöscht seyn: – was bleibt dir nach einer solchen Ausleerung von deinem Wesen übrig?«20 Auch der prominente Satz Jacobis, den Martin Buber als erste Anzeige seiner eigenen Dialogphilosophie lesen wollte, 21 der Satz, daß »ohne D u […] das I c h unmöglich« sei, 22 hat hier seinen Ort. Indessen kann man hier nicht stehenbleiben, weil sich bei näherem Hinsehen zeigt, worin das entscheidende Defizit der personalen Was-Identität liegt. Und dieser Einwand Jacobis ist nun hochinteressant. Anders als es auf Anhieb den Anschein hat, vermag sich nämlich die durch »Gedächtnis und Reflexion« vollzogene Leistung der Identitätsstiftung nicht selber zu begründen, vielmehr dreht sie sich zirkulär im Kreis. Denn wenn mein Bewußtsein personaler Identität durch Identifizierung entstehen soll, so muß ich über dieses Bewußtsein zugleich immer schon verfügen, weil ich sonst nicht wüßte, als was ich mich identifizieren kann. »Was nicht schon etwas ist«, so beginnt Jacobi den zweiten Teil seiner Überlegungen zur »Freiheit des Menschen«, »kann nicht zu etwas blos b e s t i m m t werden; und was an sich keine Eigenschaft hat, in dem könnten durch Verhältnisse keine erzeugt werden, ja es ist nicht einmal ein Verhältniß in Absicht seiner möglich.«23 Die Kritik am zirkulären Reflexionsmodell des Bewußtseins ist unter dem Jacobi, Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers, WW I, 276. Martin Buber, Das dialogische Prinzip, Gerlingen, 6., durchges. Auflage 1992, S. 301 ff. 22 Jacobi, Spinozabriefe, JWA 1, 116. 23 Jacobi, Ueber die Freyheit des Menschen, in: Spinozabriefe, JWA 1, 163. 20 21

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Namen Fichtes bekannt geworden. 24 Es gibt dringenden Anlaß zu der Vermutung, daß Fichte sie von Jacobi übernommen hat. Jacobis »ursprünglicher Einsicht« gemäß sieht die Lösung indes ganz anders als dann bei Fichte aus. Es geht nicht darum, den Zirkel durch den Überstieg des Bewußtseins in die unpersönliche Identität des absoluten »Ich bin Ich« zu sprengen. Bei Jacobi kommt es vielmehr darauf an, genau an dieser Stelle freizulegen, worauf sein eigenes Personverständnis zielt: das existentielle Bewußtsein persönlicher Identität also, das Bewußtsein jeweiligen konkreten Selbstseins, das seinerseits nicht durch Identifikation entsteht, sondern das als »bleibendes und in sich seiendes« die wesentliche Voraussetzung dafür darstellt, daß ich eine Was-Identität reflexiv überhaupt ausbilden kann. Im Unterschied zum Was meint Personsein in diesem Sinne und entscheidenderweise die freie Identität eines Wer. Wer jemand ist: das geht in dem, was er ist, nicht auf – und zugleich ist es auch etwas anderes als nur die Anzeige eines nackten Daß, eines bloßen unbestimmten Seins, das sich zu den Bestimmungen des Was wie die Voraussetzung eines Substrats verhielte. Warum der Begriff der Person der früher zitierten Bemerkung zufolge »so schwer zu explizieren ist wie kaum ein anderer in der Philosophie«, wird jetzt vollends manifest. Denn die entscheidende Hinsicht auf dieses »Wer jemand ist« ist nicht nur nicht mit den modernen Mitteln einer Reflexionstheorie des Bewußtseins zu bearbeiten, aus deren eigenen Problemen sie ja im Gegenteil herausführen soll. Sie ist auch nicht mit den alten Mitteln einer Substanzontologie zu bearbeiten, wonach man ein Ding einerseits und seine Eigenschaften andererseits unterscheiden kann. Jacobi selber ist sich über diesen Punkt völlig im klaren. Indem er das existentielle Selbstsein der Person den »e i g e nt hü m l i c h e n« »Geist« eines Menschen nennt, »durch welchen er d e r ist, der er ist, d i e s e r E i n e u nd ke i n a nd e r e r«, betont er, daß die Identität des Wer auf eine wesentlich singuläre, durch und durch individuelle Existenz zielt und in dieser Singularität des »Unvergleichbare[n]« schlechthin anzuerkennen ist. 25 Von der Würde der Person darf man hier also sprechen. Zugleich ist hier nun auch zu sehen, inwiefern sich Jacobis Philosophie der Personalität von Kants kategorischem Imperativ nicht nur unterscheidet, sondern ihm widerspricht. Denn wenn

Dieter Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt / M. 1967. Auch Henrichs eigener Ansatz verbleibt innerhalb des Rahmens einer Philosophie der Subjektivität, insofern die Person als raumzeitliche Entität dem »ich« als Subjekt gegenübergestellt wird. Vgl. ders., Fluchtlinien. Philosophische Essays, Frankfurt / M. 1982, S. 137 f. 25 Jacobi, Ueber eine Weissagung Lichtenbergs, JWA 3, 26. 24

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Kant zufolge in der Person eines jeden die »Menschheit« zu achten ist, dann wird hier eine in Raum und Zeit bestimmte empirische Person vom universalen Aspekt der »Persönlichkeit« getrennt. 26 Das Sittengesetz verlangt, allein diese universale Dimension zu berücksichtigen, deshalb ist es streng formal. Über das individuelle und als solches nicht raum-zeitlich bestimmte Wer-Sein einer jeden einzelnen Person jedoch sieht Kant dabei in dem Maße hinweg, wie er dieses Sein gar nicht kennt. Weiter gilt, um wieder auf den Gedankengang zurückzukommen, daß diese Wer-Identität der Person »nicht erst hintennach durch Selbstvergleichung« zustandekommt. Denn, so lautet die Kritik am Reflexionszirkel hier, »worin geschähe die Vergleichung und Einbildung; worin würde das Selbst dem Selbste gleich? und was wäre das noch nicht gleichgesetzte Selbst, das Selbst noch ohne eigenes Seyn und B l e ib e n , das durch gleich- ungleich- und zusammensetzen, durch verknüpfen erst zu einem Selbste m it eigenem Seyn und Bleiben, mit S e lb s t s e y n würde? Was endlich verübte alles dieses?«27 Die Folge dieses Scheiterns der Reflexion aber ist, daß sich die freie Identität des Wer, die dem Was vorausgesetzt ist, durch »Erkenntniß« nicht aufschließen läßt. Das Bewußtsein, dieser und kein anderer zu sein, ist darum konsequenterweise nur ein Gefühl, »ein u n m it t e lb a r e s , von Erinnerung vergangener Zustände unabhängiges We s e n h e it s g e f ü h l«. 28 Daß der Verdacht des Irrationalismus hier völlig in die Irre geht, kann man, wenn man will, zum wiederholten Male vermerken. Ein letztes bleibt an dieser Stelle zu bedenken. Jacobi insistiert darauf, so hatte ich vorher gesagt, daß es unsinnig wäre, unser Gedächtnis auszulöschen, also den Versuch zu unternehmen, uns von der stets vermittelten Dimension des Was befreien zu wollen. Das bleibt festzuhalten. Über diese

Vgl. Kants Bemerkung, wonach die »Person […] als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist«. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in: Werkausgabe, a. a. O. (Anm. 7), A 154 ff. 27 Jacobi, Weissagung Lichtenbergs, JWA 3, 26. 28 Ebd. Dem entspricht, daß das Konzept der Substanz transformiert und nun als »Substantivität« mit dem »Geist« bzw. der »Selbstheit« ineinsgesetzt wird (ebd., S. 27). Noch deutlicher formuliert Jacobi diesen Sachverhalt in seinem Brief an Jean Paul vom 16. 3. 1800, wo Individualität die Auszeichnung einer Basalbestimmung erhält: »Also liegt der Identität Substanzialität, der Substanzialität Individualität schlechterdings zum Grunde.« (PLS 2/1, 78 f.). Von der Sache her bietet sich ein Vergleich zu Richard von St. Viktor an, der mit dem Ziel, das individuelle und unmitteilbare »quis« der Person vor dem »quid« zu profilieren, das Konzept der Substanz durch das der Existenz ersetzt hat. Vgl. den Artikel »Person« v. Brigitte Kible im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Basel 1989, Sp. 285 f. 26

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Dimension hinauszugehen, heißt also nicht, so etwas wie einen Zustand anzusteuern, wo das personale »Wesenheitsgefühl« exklusiverweise herrschte. Hätte Jacobi solches behauptet, könnte man ihn mit Recht fragen, was man sich darunter vorstellen soll. Indessen geht es um derlei nicht. Unter Bedingungen unserer Endlichkeit gilt vielmehr, daß es einerseits das Was nicht ohne die Voraussetzung des Wer gibt und umgekehrt das Wer nicht ohne die Beziehung auf das Was. Wir erfahren ursprünglich, so Jacobi, daß sowohl unsere »S e lb s t s t ä nd i g ke it« als auch unsere »A b h ä n g i g ke it eingeschränkt« sind. Für jeden von uns gilt also, »daß er eben so nothwendig Einer nu r seyn kann u nt e r A nd e r e n , unmöglich ein E r s t e r und E i n z i g e r ; als er, um zu seyn Einer unter Anderen, no t hwe nd i g seyn muß Einer und ke i n Anderer; ein selbständiges, ein w i rk l i c h e s , ein p e r s ö n l i c h e s Wesen«. 29 Die personale Hinsicht des Wer-Seins gibt es nicht solitär, sondern nur als eine, die sich unter den Bedingungen des Andersseins zur Darstellung bringt. Und das schließt ein, daß man das »i nwe nd i g e« Bewußtsein der Person im Kontrast zum »au s we nd i g e n« Bewußtsein unserer zeitlichen Existenz zwar »au ß e r z e it l i c h« nennen muß, aber mit dem Ausgriff auf zeitlose Ewigkeit nicht verwechseln darf. 30 Gemeint ist vielmehr eine »identity over time«, eine Identität, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich »bleibend« übergreift und insofern überhaupt ermöglicht, daß ich mich als dieser im Rückblick auf mein Leben, im Kontext der Anderen und mit Plänen für die Zukunft identifizieren kann. 31 Unterdessen betrifft diese wechselseitige Verschränkung der Hinsichten auf das Was und das Wer der Person zwar notwendig unsere Existenz, aber auch nur und ausschließlich diese unsere Existenz. Soll also mit anderen Worten unter dem »Nahmen G o t t« 32 von einem Wesen die Rede sein, dem wir nicht als Einem unter Anderen in unserer Welt begegnen, das kein Teil dieser Welt ist, das sich vielmehr von ihr absolut unterscheidet, dann ist es unsinnig, auf diese »Vol l ko m m e n h e it des Seyns«33 die Perspektive unseres Was-Bewußtseins zu übertragen. In dem Maße aber, wie hier die unsere eigene personale »Selbständigkeit« notwendig einschränkende Hinsicht auf das Anderssein absolut wegfällt und die göttliche Existenz eben deshalb die eines »ausschließlich in sich selbst genugsame[n] unbedingt

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Jacobi, Weissagung Lichtenbergs, JWA 3, 27 f. Ebd., S. 27 Anm. Vgl. Jacobi, Göttliche Dinge, JWA 3, 113. Jacobi, Weissagung Lichtenbergs, JWA 3, 26. Ebd., S. 26.

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selbstständige[n]« Wesens ist, 34 in dem Maße ist es nicht unsinnig, dieser Existenz das Personsein zuzuschreiben: das Bewußtsein der absoluten Identität des Wer, des »Ich bin, der Ich bin«. Von dieser absoluten Person, die nicht wie wir »Individuum nur au s und u nt e r einer Gattung ist«, 35 haben wir allerdings notwendigerweise keinen Begriff. Bereits wir selber sind uns in unserer eigenen personalen Wer-Identität weder von außen noch von innen reflexiv zugänglich und bezeichnen Personen daher nicht mit einem Begriff, sondern mit einem Namen. 36 Die metaphysische Rede von Gott, die Jacobi einzig und allein erlaubt, ist mithin die von einem absoluten Eigennamen. 37 Was wir mit ihm bezeichnen, ist lediglich die weiter nicht erklärbare Voraussetzung eines ursächlich handelnden Wer: eine Voraussetzung, die nun aber nicht wie bei Kant nur den Status einer regulativen Idee hat. Vielmehr stoßen wir auf sie in unserm Personsein konstitutiv, weil wir die personale Identität des Wer – anders als die des Was – nicht nachträglich selber erzeugen und sie als Voraussetzung des Was schon gar nicht aus dem raum-zeitlichen Geflecht der Welt herleiten können. VI. Bei diesen Bemerkungen zu Jacobis Metaphysik, die im Namen der Person den Typus einer Begründungsmetaphysik durch den einer Handlungsmetaphysik ersetzt, muß ich es hier bewenden lassen. Jedoch sollten sie genügen, um die zweite Frage zuletzt noch anzuschließen. Inwiefern darf man diese Philosophie der Personalität, so wie sie jetzt expliziert ist, der Philosophie der Alleinheit entgegenstellen? Oder anders gefragt: ist es denn wirklich zwingend, die Unterscheidung des Absoluten von der Welt so wie Jacobi in Gestalt einer personalen Transzendenz zu fassen? Ist es nicht einleuchtender und im übrigen auch fruchtbarer, diese absolute Unterscheidung als eine der Welt immanente Unterscheidung zu begreifen? Dann ist das Absolute ebenfalls kein Teil der Welt und selbstverständlich auch nicht nur die Summe ihrer Teile, sondern es ist dann diejenige Totalität, die dem Zusammenhang des Endlichen als seine innere Struktur zugrundeliegt, um sich folglich an jedem einzelnen Punkt zu manifestieren, wo ein Selbstsein im Verhältnis zum Anderssein steht. Die jahrzehntelange Mühe, die Jacobi in seine SpinoEbd., S. 28. Ebd., S. 28. 36 Vgl. von Verf.: »Bruder Henriette? Derrida und Jacobi: Dekonstruktionen der Freundschaft«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 49 (2001), S. 653–664. 37 Vgl. Jacobi, Spinozabriefe, JWA 1, 261. 34 35

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za-Studien investiert hat, spricht dafür, daß diese Frage das »punctum saliens« seines eigenen Denkens gewesen ist. Und so, wie man den Aufriß seiner Philosophie der Personalität im Ganzen allerdings nicht aus der Abgrenzung gegenüber Locke, sondern genetisch nur aus der intimen Auseinandersetzung mit dem Werk Spinozas verstehen kann, so evident ist zugleich, daß Jacobi die Alternative seiner eigenen Position in höchstmöglicher Nähe zu derjenigen Spinozas entwickelt hat. Worin besteht das Faszinosum dieser Philosophie? Es besteht genau darin, wie Jacobi als erster überhaupt begriffen hat, daß die Struktur der Alleinheit das Denkmuster reflexiver Identifizierung ihrerseits sprengt. Die Identität, um die es hier geht, ist nicht ein ens rationis, ein allein im Begriff identifiziertes Was, sondern ein Daß, ein unvordenkliches Sein, und als solches ein Ganzes, »dessen Theile nur in und nach ihm seyn, nur in und nach ihm gedacht werden können«. 38 Und wenn man sich nun erinnert, daß Jacobi selber im Namen unseres Personseins auf die Freilegung einer ursprünglichen Identität zielt, die der nachträglichen Synthetisierung in »Gedächtnis und Reflexion« vorausliegt, dann ist es so verwunderlich nicht, daß er sowohl auf der Seite Spinozas als auch auf der Seite seines »Antispinoza« jeweils denselben Satz in Anwendung bringt: »totum parte prius necesse est«. 39 Notwendigerweise ist das Ganze vor seinem Teil. Und doch trennt diese beiden strukturell verwandten Identitäten ein Abgrund, über den man nur mit einem »Salto mortale« hinwegspringen kann. Die alles entscheidende Differenz besteht in der personalen Identität des Wer. Sie ist es, die genau in dem Maße verschwindet, wie das Absolute – rational durchaus einleuchtend – als interne Struktur der Welt gedacht wird. Wo immer dieses Absolute sich dann nämlich manifestiert, entzieht es dem Selbstsein das »selbständige« Personsein und macht es stattdessen zu einer bloßen Bestimmung seines eigenen Daß. Mit anderen Worten: aus dem Wer der Person wird hier ein Was – eine Eigenschaft, in der das absolute Daß das »idem est idem« seines Seins intern nur modifiziert. Die von Jacobi markierte Konsequenz des »Fatalismus«, daß im Horizont der Alleinheit zusammen mit der Freiheit der Person auch die Zeit und somit in Wahrheit alles verschwindet, was zur Erfahrung des Handelns gehört, kann ich hier nicht ausführen. 40 Worauf es jetzt allein ankommt, ist, daß die Logik der Ebd., S. 96. Vgl. JWA 1, 111, 115, David Hume, JWA 2, 50, 82, den Brief Jacobis an Herder vom 30. 6. 1784, JBW I/3, 329 (Nr. 1052) und die »Zugabe an Erhard O« im Anhang zum Allwill, WW I, 239. 40 Vgl. dazu die genannte Studie von Verf. (Anm. 14). 38 39

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Alleinheit, so wie sie Jacobi bei Spinoza paradigmatisch analysiert, sich zwar nicht in der reflexiven Identifizierung des Was begründet. Insofern sie aber das Wer weder denken kann noch will, bezieht sie alles, was sie sagt, aus dem »alleinen« Fall eines Daß, das die Bestimmtheit seines Was nun selber generiert und in einem anonymen Intellekt vergegenwärtigt.

VII. Mit einer letzten Überlegung komme ich zum Schluß. Hat Jacobi unrecht, wenn er diese Logik, bei der es nur um das Verhältnis von Daß und Was, nirgends aber um das Wer geht, auch in den Systemen der klassischen deutschen Philosophie am Werke sieht? Vorderhand mag das so sein. Schließlich soll es hier ja nicht einfach um eine Reproduktion Spinozas gehen, sondern um eine Philosophie, die Jacobis Insistieren auf dem Freisein in sich aufnimmt. Und dazu gehört, daß sich in der Folge der Beiträge das Problem der Individualität zunehmend deutlich bemerkbar macht: bei der einigermaßen forschen Aufforderung Schellings, die Persönlichkeit approximativ zu zerstören, bleibt es also nicht. Und dazu gehört weiter, daß auf die Länge sogar das Tabu fällt, vom Absoluten als einem persönlichen Gott zu sprechen. Schelling nennt seine Philosophie nun einen »wissenschaftlichen Theismus«, weil er sich dieser Hinsicht verpflichtet. Und selbst Hegel, gegen dessen Logik der späte Schelling seine positive Philosophie in Stellung bringt, selbst Hegel attestiert Jacobi später, daß er mit Recht gegenüber Spinoza die »Persönlichkeit« Gottes eingeklagt habe. 41 Nun war es mir allerdings in all meinen Überlegungen um den Punkt zu tun, daß es auf das Wort allein hier nicht ankommt. Hätte Jacobi selber sich nur an den Ausdruck Person gehalten und nicht über die Struktur personaler Identität nachgedacht, dann hätte er seine Philosophie der Personalität schwerlich entwerfen können. Prüft man aber in diesem Sinne die Struktur der späteren Philosophien, dann muß man feststellen, daß sie wie zu Anfang so auch bis zuletzt in Opposition zu Jacobi stehen. Denn anstatt auf das personale Wer stößt man hier überall auf die Bestimmung des Daß durch sein ihm eigenes Was. Was mit Fichtes absoluter Tathandlung beginnt, wonach gilt: »I c h b i n s c h l e c ht h i n , d . i . i c h b i n s c h l e c ht h i n , we i l i c h b i n ; u nd bi n s c h l e c ht h i n , wa s ic h bi n ; b e id e s f ü r d a s I c h« 42 – das setzt Hegel, Friedrich Heinrich Jacobis Werke. Dritter Band, in: Werke, hg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt/M. 1970 ff., Bd. 4, S. 435. 42 Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, a. a. O. (Anm. 8), S. 98. 41

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sich fort bis zum späteren Vorwurf Hegels, daß Jacobi nur wisse, »d a ß Gott ist, nicht wa s Gott ist«, 43 und das bewegt schließlich auch noch die theistische Philosophie Schellings, wenn sie die immanente Unterscheidung zwischen dem Unendlichen und Endlichen jetzt in Gott selbst hineinverlegt und in diesem Zusammenhang festhält, daß vom »reinen Daß« zum »Begriff, dem Was« fortgegangen wird, um das »Existierende« als »persönlichen, wirklichen Gott« zu erweisen. 44 Daß die Hinsicht auf das Was Erklärungen erlaubt, selbst wenn sie wie im Falle des Wissenschaftsentwurfs des späten Schelling nur noch »Erweise« sind, ist allerdings wahr. Und so ist es zuletzt verständlich, warum Jacobis Position trotz ihrer ungeheuren Wirkung ein Stein des Anstoßes bleibt, wie er selber in all seinen Debatten sehr genau wußte. Denn eine Wissenschaft war hier von jeher storniert, wenn denn im Namen der Person ihr Selbstsein respektiert sein soll. »Darum fragt meine Philosophie: we r ist Gott; nicht: wa s ist er?«45 Daß dies einer der letzten Sätze ist, die Jacobi notiert hat, wird ein Zufall nicht sein.

Hegel, Enzyklopädie § 73, in: Werke, a. a. O. (Anm. 41), Bd. 8, S. 163. Schelling, Philosophische Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder Darstellung der reinrationalen Philosophie, SW XI, 564, 565. 45 JWA 1, 342. 43

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V. GEMISCHTE GEFÜHLE. TRANSRATIONALITÄT ODER IRRATIONALISMUS?

Vernunftglaube. Kants Votum im Streit um Vernunft und Glauben von Axel Hutter

I. Der philosophische Streit um Vernunft und Glauben gewinnt eine seiner prägnantesten Ausprägungen im sogenannten »Pantheismusstreit«, der durch die fast gleichzeitige Veröffentlichung zweier Schriften von Jacobi und Mendelssohn im Jahr 1785 ausgelöst wurde.1 Auf diesen Streit reagiert Kant schon ein Jahr später mit seinem Aufsatz Was heißt: Sich im Denken orientiren? und den beschwörenden Sätzen: »Freunde des Menschengeschlechts und dessen, was ihm am heiligsten ist! Nehmt an, was Euch nach sorgfältiger und aufrichtiger Prüfung am glaubwürdigsten scheint, es mögen nun Facta, es mögen Vernunftgründe sein; nur streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probirstein der Wahrheit zu sein« (AA VIII, 146). Es bietet sich also an, im Ausgang von Kants Orientierungsaufsatz eine erste, freilich noch ganz vorläufige Orientierung über den Streit um Vernunft und Glauben zu gewinnen. Gleich zu Beginn seines Orientierungsaufsatzes deutet Kant seine Parteinahme im Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn an, wenn er schreibt, er wolle in seinen Überlegungen »zeigen: daß es in der That bloß die Vernunft, nicht ein vorgeblicher geheimer Wahrheitssinn, keine überschwengliche Anschauung unter dem Namen des Glaubens, worauf Tradition oder Offenbarung ohne Einstimmung der Vernunft gepfropft werden kann, sondern, wie Mendelssohn standhaft und mit gerechtem Eifer behauptete, bloß die eigentliche reine Menschenvernunft sei, wodurch er es nöthig fand und anpries, sich zu orientiren« (AA VIII, 134). Damit sind – so scheint es zumindest – die entscheidenden Begriffe bereits vollständig aufgezählt und Jacobi sendet seine Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn am 30. September 1785 an Mendelssohn; am 4. Oktober sendet Mendelssohn seine Schrift Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes an Jacobi. 1

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näher bestimmt worden, an denen sich das genauere Verständnis des fraglichen Streites primär zu orientieren hat. Das systematische Koordinatensystem, in dem sich das Verständnis des philosophischen Streites um Vernunft und Glauben zu bewegen hat, scheint nämlich durch die polemische Opposition der beiden Leitbegriffe hinreichend definiert zu sein: auf der einen Seite steht die bereits genannte Vernunft als letzter »Probierstein der Wahrheit«; auf der anderen Seite steht ein »geheimer«, d. h. der Vernunft unzugänglicher »Wahrheitssinn« unter dem Namen des Glaubens. Das Charakteristikum dieser Opposition von Vernunft und Glauben ist ganz offensichtlich die strenge Ausschließlichkeit der Alternative: das Wesen der hier angesprochenen Vernunft besteht gerade darin, daß sie sich strikt vom Glauben abzugrenzen vermag; und das Wesen des hier angesprochenen Glaubens besteht umgekehrt gerade darin, daß er sich strikt von der Vernunft abzugrenzen vermag. Tertium non datur. Innerhalb dieses ziemlich simplen Koordinatensystems steht nun Kant – so scheint es zumindest – ganz unzweideutig auf der Seite der Vernunft, Jacobi hingegen ebenso unzweideutig auf der Seite des Glaubens. Schließlich schreibt Jacobi in seinen Spinozabriefen: »wir alle werden im Glauben gebohren, und müssen im Glauben bleiben«. Denn wie »können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist«? Wenn nun aber »jedes für Wahr halten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die Ueberzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen« (JWA 1, 115 f.). Daraus zieht Jacobi am Ende die pointierte Schußfolgerung: »Das Element aller menschlichen Erkenntniß und Würksamkeit, ist Glaube«. (JWA 1, 125). Wären damit tatsächlich die wesentlichen Orientierungspunkte in systematischer wie in historischer Hinsicht gekennzeichnet, von denen her der Streit von Vernunft und Glauben verstanden werden muß, so könnte freilich eine abermalige Betrachtung dieses Streits sachlich kaum etwas Neues zu Tage fördern. Denn die eben angeführten Orientierungspunkte sind nur allzu bekannt; sie sind sogar so vertraut, daß sie das heute gängige Verständnis des »Vernunftphilosophen« Kant und des »Glaubensphilosophen« Jacobi ganz maßgeblich bestimmen. Ein neues und womöglich angemesseneres Verständnis läßt sich also nur dann gewinnen, wenn es gelingt, das starre Schema einer strikten Entgegensetzung von Vernunft und Glauben aufzubrechen und die fixierten Begriffe in Bewegung zu bringen.

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II. Wenn man sich nicht damit begnügt, in Kants Orientierungsaufsatz nur das bestätigt zu finden, was man ohnehin wußte; wenn man also die spezifische Gedankenbewegung des Textes betrachtet und auf den Zielpunkt seiner Argumentation achtet, dann wird sehr schnell klar, daß der Aufsatz ein wahres »Bravourstück« ist. 2 Ein Bravourstück ist der Text nämlich deshalb, weil es Kant in ihm gelingt, die schon zu seiner Zeit völlig verfestigte Opposition zwischen den »fixierten« Begriffen der Vernunft und des Glaubens erneut in Bewegung zu bringen, indem er die Vernunft nicht länger durch eine strikte Abgrenzung gegenüber dem Glauben, sondern ganz im Gegenteil durch eine ganz spezifische Vermittlung mit dem Begriff des Glaubens bestimmt. Hierdurch gerät aber nicht nur der Begriff der Vernunft in Bewegung, sondern ebenso der Begriff des Glaubens. Die eigentümliche Gedankenbewegung Kants, die sich innerhalb des Oppositionsschemas von Vernunft und Glauben überhaupt nicht angemessen verstehen läßt, kann besonders gut an einem zentralen Begriff des Orientierungsaufsatzes verdeutlicht werden: am Begriff des Vernunftglaubens. 3 Denn dieser Begriff, wie immer er des näheren zu verstehen sein wird, will sich ganz offenkundig nicht »bequem« in das einfache und vertraute Schema einer ausschließlichen Alternative von Vernunft und Glauben fügen, in der die zwei Seiten klar getrennt bleiben, so daß man sich gedanklich schlicht für die eine oder andere Seite zu entscheiden hat. Die »Verstörung«, die Kants Begriff des Vernunftglaubens provozieren muß, läßt sich unschwer an der folgenden Erläuterung ablesen: »der reine Vernunftglaube«, so Kant, kann »durch alle natürliche Data der Vernunft und Erfahrung niemals in ein Wissen verwandelt werden, weil der Grund des Fürwahrhaltens hier bloß subjectiv, nämlich ein nothwendiges Bedürfniß der Vernunft, ist (und, so lange wir Menschen sind, immer bleiben wird)« (AA VIII, 141). Ein Verständnis, das sich in der gängigen Begriffsopposition von Vernunft und Glauben bewegt, muß hier unmittelbar aufschrecken. Wie kann der »Vernunftphilosoph« Kant einem Vernunftglauben das Wort reden, der »niemals in ein Wissen verwandelt werden kann«? Ist ein »bloß subjektives« Fürwahrhalten nicht eo ipso aus der Philosophie zu verbannen, weil ihr

Vgl. Bernhard Jensen, Was heißt sich orientieren? Von der Krise der Aufklärung zur Orientierung der Vernunft nach Kant, München 2003, S. 19. 3 Der Begriff »Vernunftglauben« wird von Kant in dem kurzen Text elfmal verwandt (AA VIII, 140 ff.). 2

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alleiniges Thema das »objektive Wissen« ist? Muß die Annahme eines »notwendigen Bedürfnisses« der Vernunft nicht unweigerlich die »interesselose« Rationalität der Vernunft zerstören? Diesen Fragen will meine folgende Überlegung nachgehen, indem sie schrittweise aufzuklären versucht, was Kants Begriff »Vernunftglauben« des näheren bedeutet und wie er sich in den systematischen Gesamtzusammenhang der transzendentalen Vernunftkritik einfügt. Zugleich soll aber auch eine bemerkenswerte systematische Verwandtschaft zwischen der »Vernunftphilosophie« Kants und der »Glaubensphilosophie« Jacobis in den Blick gerückt werden – eine Verwandtschaft, die Jacobi und Kant, je auf ihre Weise, sehr wohl bemerkt und ausdrücklich festgehalten haben. 4

III. Am 13. Oktober 1788 schreibt Jacobi an Johann Friedrich Kleuker: »Ich bin gegenwärtig daran, Kants Kritik der practischen Vernunft zu studieren und werde Ihnen seiner Zeit allerhand darüber zu sagen haben. Sie können sich vorstellen, wie merkwürdig das für mich seyn muß, daß Kant mit mir den Glauben an Gott auf das factum der Causalität menschlicher Vernunft gründet, und kein Mittel gegen den Spinozismus weiß, wenn man nicht Freyheit geradezu annimmt und voraussetzt« (JWA 1, 481). Hier wird von Jacobi – und zwar durchaus nicht zufällig im vergleichenden Hinblick auf Kant – der entscheidende Begriff genannt, der in der im bisherigen Gedankengang exponierten Begriffskonstellation noch fehlt: der Begriff der Freiheit. Und es wird sich zeigen, daß der Freiheitsbegriff nicht bloß zu den bislang genannten Begriffen hinzukommt, sondern daß er vielmehr das systematische Zentrum bezeichnet, um das herum sich die anderen Begriffe anordnen und von dem her sie ihren philosophischen Sinn erhalten. 5 Jacobi konnte gleich auf den ersten Seiten von Kants Kritik der praktischen Vernunft den programmatischen Satz lesen: »Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude

Am Ende wird freilich auch auf die – gerade vor dem Hintergrund einer gewissen Verwandtschaft besonders deutlich hervortretende – Differenz zwischen den Positionen Kants und Jacobis einzugehen sein. 5 Die zentrale Bedeutung einer Kritik des Fatalismus für die Gesamtanlage der Philosophie Jacobis hat Birgit Sandkaulen herausgestellt: Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 54 ff. 4

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eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus« (AA V, 3 f.). Dieser Satz mußte für Jacobi in der Tat »merk-würdig«, d. h. bemerkenswert sein, da er dem Freiheitsbegriff nicht nur eine bedeutende, sondern unumwunden die systematisch entscheidende Stelle im philosophischen Denken einräumt – ein Programm, das Jacobi selbst immer wieder für sein eigenes Denken formuliert hat. So schreibt er in einem Brief an Jean Paul: die »Freiheit« ist der »Fundamental-Artikel meiner Lehre«; 6 und noch in seinem Todesjahr bekennt sich Jacobi zu »meiner Lehre von der Freyheit, welche die Grundlage meiner Philosophie ist« (JWA 1, 349).7 Es kann daher nicht überraschen, daß auch Kant die Gemeinsamkeit mit Jacobi – das systematisch grundlegende Interesse an der Freiheit – eigens vermerkt. In einem Dankbrief für die Zusendung der zweiten Auflage der Spinozabriefe schreibt er am 30. August 1789 an Jacobi: »Der die Klippen zeigt, hat sie darum doch nicht hingestellt, u. ob er gleich gar die Unmöglichkeit behauptet, zwischen denselben m it vol l e n S e g e l n (des Dogmatismus) durchzukommen, so hat er darum doch nicht alle Möglichkeit einer glücklichen Durchfarth abgeläugnet. Ich finde nicht daß Sie hiezu den Compas der Vernunft unnöthig, oder gar irre leitend zu seyn, urtheilen. Etwas, was über die Speculation hinzukommt, aber doch nur in ihr, der Vernunft, selbst liegt u. was wir zwar (mit dem Nahmen der Freiheit […]) zu benennen, aber nicht zu begreifen wissen, ist das notwendige Ergänzungsstück derselben« (AA XI, 76). Kant macht hier nicht nur erneut die fundamentale Bedeutung der Freiheit für seine Philosophie deutlich, sondern er bezeichnet auch sehr präzise das systematische Grundproblem, das die Freiheit für das philosophische Nachdenken aufwirft und das dazu führt, daß wir die Freiheit zwar »zu benennen, aber nicht zu begreifen wissen«. Die Aufgabe, vor die sich das Denken bei Kant wie bei Jacobi gestellt sieht, besteht des näheren darin, das Verhältnis von Vernunft und Freiheit zugleich als Nichtidentität und als Identität zu verstehen, insofern die Freiheit etwas ist, was einerseits zur »Spekulation« als notwendiges »Ergänzungsstück« hinzukommt, was aber andererseits »nur in ihr, der Vernunft, selbst liegt«. Dieses systematische Grundproblem prägt aber nicht nur in je verschiedener Weise das Denken Jacobis und Kants; es bestimmt auch noch jenen übergreifenden systematischen Zusammenhang, der, wie Dieter Henrich es einmal formuliert hat, »von dem Doppelstern

An Jean Paul am 11. Mai 1817, AB II, 463 (Nr. 359). Vgl. Karl Homann, F. H. Jacobis Philosophie der Freiheit, Freiburg / München 1973. 6

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Jacobi und Kant durch die Problemlage der jüngeren Stiftler bis zur Ausbildung ihrer reifen Lebensleistungen hinüberführt«. 8 Die hier an den Anfang gestellten Überlegungen haben bereits gezeigt, daß der vom »Doppelstern Jacobi und Kant« seinen Ausgang nehmende Problemzusammenhang überhaupt nicht in den Blick kommen kann, solange sich der deutende Nachvollzug innerhalb einer verfestigten Opposition von »Vernunft« und »Glauben« bewegt. Deshalb soll im Nachfolgenden ein Zugang zu einem angemessen Verständnis des genannten Problemzusammenhangs eröffnet werden, indem verfolgt wird, wie Kant bei der Durchführung seiner Vernunftkritik ganz pointiert einen spezifischen Begriff des »Glaubens« in Anspruch nimmt, der sich am Leitfaden eines genuin praktischen Vernunftgebrauchs zum Begriff eines Vernunftglaubens fortbestimmen läßt. Denn in dem Maße, wie das Verständnis des »Vernunftphilosophen« Kant aus dem verfestigten Schema der gängigen Auffassung befreit wird, gerät auch das Oppositionsschema von »Vernunft« und »Glaube« insgesamt in Bewegung.

IV. In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft steht ein Satz, der von den Interpreten zwar häufig angeführt, aber nur selten wirklich ernst genommen wird. Der Satz lautet in der leichten Verkürzung, in der er typischerweise zitiert wird: »Ich mußte […] das W i s s e n aufheben, um zum G l aub e n Platz zu bekommen« (KrV B XXX). Dieser Satz ist abermals geeignet, die gängigen Deutungsschemata zu verstören und in Bewegung zu bringen. Denn er scheint darauf hinzuweisen, daß die leitende Absicht der Kritik der reinen Vernunft nicht darin besteht, Wissen zu begründen, sondern ganz im Gegenteil darin, Wissen aufzuheben, und zwar, »um zum Glauben Platz zu bekommen«. Sollte man deshalb Kants Vernunftkritik am Ende als eine »Glaubensphilosophie« verstehen müssen? Vor dieser verstörenden Frage weichen die meisten Kantinterpretationen aus, indem sie den fraglichen Satz als eine ganz isolierte Äußerung Kants darstellen, die folglich nichts mit den methodischen Grundlagen seiner Vernunftkritik zu tun hat. Vollständig lautet der Satz jedoch: »Ich mußte also das W i s s e n aufheben, um zum G l aub e n Platz zu bekommen«. Das häufig ausgelassene »also« zeigt aber an, daß der Satz durchaus nicht isoliert zu

Dieter Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795), Stuttgart 1991, S. 212. 8

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verstehen ist, sondern auf den voranstehenden Satz zurückverweist, aus dem er eine zusammenfassende Konklusion zieht. Damit zeichnet sich der für ein angemessenes Verständnis der Kantischen Vernunftkritik entscheidende Sachverhalt ab, daß Kants Satz über Wissen und Glauben keineswegs eine zu vernachlässigende Randglosse ist, sondern ganz im Gegenteil in das methodische Zentrum der Vernunftkritik verweist. Dies wird vollends außer Zweifel gesetzt, wenn dem Satz aus der Vorrede das einschlägige Kapitel aus der »Transzendentalen Methodenlehre« zur Seite gestellt wird, das die Überschrift trägt: Vom Meinen, Wissen und Glauben. 9 Hier unterscheidet Kant zunächst »drei Stufen« des Fürwahrhaltens: »Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjectiv, als objectiv unzureichendes Fürwahrhalten. Ist das letztere nur subjectiv zureichend und wird zugleich für objectiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjectiv als objectiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen« (KrV B 850). Erst im Anschluß an diese für sich genommen eher unauffällige Dreiteilung formuliert Kant den entscheidenden Satz, durch den einer »Transzendentalen Methodenlehre« die Richtung gewiesen wird und der zugleich den Bogen zum bereits angeführten Satz aus der Vorrede schlägt: »Im transscendentalen Gebrauche der Vernunft« ist »Meinen freilich zu wenig, aber Wissen auch zu viel« (KrV B 851). Dieser Satz muß in den Ohren vieler »Kantianer«, die ganz genau wissen, was es mit dem »transzendentalen Gebrauch der Vernunft« auf sich hat, ungeheuerlich klingen, weil er einer irrationalistischen Ermächtigung des »Glaubens« gegenüber dem »Wissen«, der »subjektiven« Schwärmerei gegenüber der »objektiven« Vernunft gleichzukommen scheint. Dem ist nicht nur entgegenzuhalten, daß der Satz immerhin in der Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft zu finden ist. Es wird darüber hinaus zu zeigen sein, daß der Satz durchaus keine irrationalistischen Konsequenzen haben muß, sondern eine sehr präzise anzugebene Einsicht Kants umschreibt, die dem Projekt seiner transzendentalen Vernunftkritik zu Grunde liegt. Hierfür ist es allerdings unerläßlich, den Satz über Wissen und Glauben aus der Vorrede in seinem Kontext zu verstehen. Der ihm unmittelbar vorausgehende Satz lautet: »Ich kann also G o t t , Fr e i h e it und U n s t e rbl i c h ke it zum Behuf des nothwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal a n n e h m e n , wenn ich nicht der speculativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung überschwenglicher Einsichten b e n e h m e , weil sie sich, um Vgl. zur Bedeutung der »Transzendentalen Methodenlehre« für das Verständnis der Kritik der reinen Vernunft: Manfred Riedel, Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprüngliche Fragestellung, Frankfurt am Main 1989. 9

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zu diesen zu gelangen, solcher Grundsätze bedienen muß, die, indem sie in der That bloß auf Gegenstände möglicher Erfahrung reichen, wenn sie gleichwohl auf das angewandt werden, was nicht ein Gegenstand der Erfahrung sein kann, wirklich dieses jederzeit in Erscheinung verwandeln und so alle pr a k t i s c h e E r we it e r u n g der reinen Vernunft für unmöglich erklären« (KrV B XXX). Die übliche Rangfolge der Stufen des Fürwahrhaltens (Meinen, Glauben, Wissen) gilt also nur für eine Erkenntnis, die sich »auf Gegenstände möglicher Erfahrung« bezieht, weil durch diesen objektivierenden Gegenstandsbezug der Gedanke eines »objektiv zureichenden Fürwahrhaltens« überhaupt erst sinnvoll wird. Im objektivierbaren Gegenstandsbereich möglicher Erfahrung »verdienen« also Kant zufolge subjektive Gründe des Fürwahrhaltens durchaus »keinen Beifall« (KrV B 851). Das ändert sich jedoch von Grund auf, sobald die Erkenntnismöglichkeit der genuinen Vernunftideen (Gott, Freiheit und Unsterblichkeit) in Frage steht, da diese nicht Gegenstand einer möglichen Erfahrung und somit aus prinzipiellen Gründen nicht objektivierbar sind. Hier ist der Gedanke eines objektiv zureichenden Fürwahrhaltens demnach sinnlos, ja irreführend, da jeder objektivierende, d. h. »spekulative« Erkenntnisversuch die zu erkennende Idee von vornherein verfälschen und verfehlen muß. Hieraus ergibt sich der spezifische Doppelsinn der »Kritik«, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft leisten will. Der kritisch-polemische Sinn bezieht sich auf die kritische Zurückweisung des Monopolanspruchs einer spekulativen Vernunft, die alles Erkennbare als objektivierbar und dergestalt einem objektiv zureichenden Wissen zugänglich versteht. Der kritisch-unterscheidende Sinn bezieht sich hingegen auf die kritische Differenzierung zwischen einem spekulativen und einem praktischen Vernunftgebrauch.10 Denn ein genuin praktischer Gebrauch der Vernunft bildet bei Kant den systematischen Leitfaden, um dasjenige, was wir mit den Vernunftideen zwar benennen, aber spekulativ nicht begreifen können, angemessen thematisieren zu können. Deshalb kann strenggenommen, so Kant in der »Transzendentalen Methodenlehre«, allein »in praktischer Beziehung das theoretisch unzurei-

Das, wie Kant sagt, »demütigende« Resultat der Kritik der reinen Vernunft lautet ganz eindeutig, daß die spekulative Vernunft »in ihrem reinen Gebrauche nichts ausrichtet« (KrV B 823). Die Vernunft, so Kant, »ahndet Gegenstände, die ein großes Interesse für sie bei sich führen. Sie tritt den Weg der bloßen Spekulation an, um sich ihnen zu nähern; aber diese fliehen vor ihr. Vermutlich wird auf dem einzigen Wege, der noch übrig ist, nämlich dem des p r a k t i s c h e n Gebrauchs, besseres Glück für sie zu hoffen sein« (KrV B 824; vgl. B XXI und B 832). 10

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chende Fürwahrhalten Glauben genannt werden«.11 Im Ausgang von diesem ganz spezifischen Begriff eines genuin praktischen Glaubens wird Kant seinen Begriff des Vernunftglaubens gewinnen.

V. Kants Kritik der praktischen Vernunft führt das Programm konkret durch, das die Kritik der reinen Vernunft vermittels der kritischen Unterscheidung zwischen spekulativem und praktischem Vernunftgebrauch vorgezeichnet hat. Ihre leitende Absicht besteht, so Kant, darin, »die Begriffe von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, für welche die Speculation nicht hinreichende Gewährleistung ihrer Möglichkeit findet, in moralischem Gebrauche der Vernunft zu suchen und auf demselben zu gründen« (AA V, 5). Die konkrete Durchführung wird demnach das im Vorstehenden exponierte Programm präzisieren und dergestalt die Begriffe bereitstellen, die es erlauben, Kants Begriff eines Vernunftglaubens so genau zu fassen, daß sein systematischer Ort im Gesamtzusammenhang der Kantischen Vernunftkritik deutlich wird. Die erste und zugleich wichtigste Präzisierung betrifft den Begriff der Freiheit, der für Kant nunmehr der einzige der drei Vernunftbegriffe ist, der sich unmittelbar »im moralischen Gebrauche der Vernunft« begründen läßt. Denn der moralische Gebrauch der Vernunft läßt sich nur begreifen, wenn er als Vollzug der Freiheit verstanden wird, so daß Moral und Freiheit wechselseitig aufeinander verweisen, ohne identisch zu sein. Kant findet für dieses eigentümliche Wechselverhältnis die Formulierung, »daß die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit« ist (AA V, 4 Anm.). Genau dieses einzigartige Verhältnis von (praktischer) Vernunft und Freiheit macht den Freiheitsbegriff zum Schlußstein »eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft«, an den sich die anderen »Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit)« mittelbar anschließen und erst »mit ihm und durch ihn Bestand« bekommen (AA V, 5). Der Dreh- und Angelpunkt der Kantischen Kritik des praktischen Vernunftgebrauchs ist daher eine prinzipiell nicht objektivierbare Selbsterfahrung der Vernunft, die sich zugleich als eine Erfahrung der (moralischen) KrV B 851. – Die Rangfolge Meinen, Glauben, Wissen ändert sich demnach allein in praktischer Hinsicht zur Abfolge der Kapitelüberschrift: Meinen, Wissen, Glauben. 11

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Freiheit verstehen läßt. Kant bezeichnet diese ausgezeichnete Selbsterfahrung der Vernunft als Achtung. Von ihr heißt es in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: »Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt A c ht u n g , so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als Ursache desselben angesehen wird […] Alles moralische so genannte I nt e r e s s e besteht lediglich in der A c ht u n g fürs Gesetz« (AA IV, 401 Anm.). Die reine praktische Vernunft ist somit für Kant praktisch, weil sie ein eigenes, genuin praktisches Interesse besitzt; sie ist aber zugleich rein, weil dieses Interesse von allen natürlichen Interessen spezifisch unterschieden ist.12 Kant ist sich völlig bewußt, daß hiermit das systematische Zentrum seiner Kritik des praktischen Vernunftgebrauchs und damit auch das seiner ganzen Vernunftkritik angesprochen ist. Daher wendet er sich mit Bedacht und sehr sorgfältig gegen den Verdacht, er suche »hinter dem Worte Achtung nur Zuflucht in einem dunklen Gefühle, anstatt durch einen Begriff der Vernunft in der Frage deutliche Auskunft zu geben«. Denn wenn Achtung auch »ein Gefühl ist, so ist es doch kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, spezifisch unterschieden« (ebd.). Das spezifische Interesse der Vernunft ist also weit davon entfernt, einen »Fremdkörper« in den Begriff der »reinen« Vernunft einzuführen. Vielmehr ist es das durch die Vernunft »selbstgewirkte« Interesse, durch das die Vernunft selbst praktisch wird, und zwar in der Achtung für das unbedingte Sittengesetz. In jedem anderen Fall würde die Vernunft bloß fremdes Interesse »administriren« (AA IV, 441).13 Von dem in der Grundlegung von 1785 entwickelten Begriff eines spezifischen Interesses der Vernunft führt nun ein gerader Weg zum Begriff des Vernunftglaubens in Kants Orientierungsaufsatz von 1786. Denn die auf den ersten Blick ganz unverständliche Bestimmung, daß der Vernunftglaube

Vgl. hierzu vom Verf.: Das Interesse der Vernunft. Kants ursprüngliche Einsicht und ihre Entfaltung in den transzendentalphilosophischen Hauptwerken, Hamburg 2003. 13 Für Kant »erklärt sich« mit den beiden Begriffen der Achtung und des genuin praktischen Interesses der Vernunft »auch allererst das Räthsel der Kritik, wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne; denn vorher muß dieses nothwendig inconsequent aussehen, so lange man einen solchen praktischen Gebrauch nur dem Namen nach kennt« (AA V, 5). 12

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»niemals in ein Wissen verwandelt werden« könne, weil ihm »ein notwendiges Bedürfnis der Vernunft« zu Grunde liegt, kann jetzt am Leitfaden des reinen Gefühls der Achtung aufgeklärt werden. Das »notwendige Bedürfnis der Vernunft« ist nämlich genau jenes reine, durch die Vernunft selbst gewirkte Interessenmoment, durch das reine Vernunft sich im Denken und Handeln zu orientieren vermag. Mit dem reinen, prinzipiell nicht objektivierbaren Vernunftbedürfnis, das dem Vernunftglauben zu Grunde liegt, ist es demnach Kant zufolge genau »wie mit dem moralischen Gefühl bewandt, welches […] durch die Vernunft verursacht oder gewirkt wird« (AA VIII, 139 f. Anm.). Ein »Vernunftglaube« ist somit ein Glaube, »welcher sich auf keine andere Data gründet als die, so in der reinen Vernunft enthalten sind« (AA VIII, 140 f.). In der Kritik der praktischen Vernunft von 1788 heißt es dann ganz entsprechend, ein »reiner Vernunftglaube« sei der, bei dem »bloß reine Vernunft (sowohl ihrem theoretischen als praktischen Gebrauche nach) die Quelle ist, daraus er entspringt« (AA V, 126). Der genuin kritische, d. h. an einem reinen Vernunftglauben orientierte Vernunftbegriff kann allerdings für Kant durch die »Maxime der Unabhängigkeit der Vernunft von ihrem e i g e n e n B e dü r f n i ß« verfehlt werden. Diese »Verzichtthuung auf Vernunftglauben« heißt nun – so Kant – »Unglaube«, und zwar »nicht ein historischer«, »sondern ein Vernunftunglaube« (AA VIII, 146). Dabei kann der »Vernunftunglaube« das angemessene Selbstverständnis der Vernunft des näheren nach zwei Seiten hin verfehlen. Das dogmatische Vernunftverständnis nimmt, wie Kant sagt, das »Bedürfnis für Einsicht« (AA VIII, 137 Anm.), d. h. es reduziert das vernünftige Interesse auf eine angeblich uninteressierte Vernunft. Umgekehrt reduziert ein skeptisches Vernunftverständnis die interessierte Vernunft auf ein vermeintlich unvernünftiges Interesse, d. h. auf ein reines Naturbedürfnis. Beide Formen des Vernunftunglaubens kommen also darin überein, daß sie den kritischen Weg nicht zu gehen verstehen, der Kant zufolge angesichts des ewigen Streites zwischen Vernunftdogmatismus und -skeptizismus »allein noch offen« ist (KrV B 884). VI. Kants Votum im Streit von Vernunft und Glauben gewinnt noch an Kontur, wenn man die Kantische Position mit derjenigen Jacobis vergleicht. Denn so sehr es zu Beginn der Überlegungen geraten schien, eine systematische Verwandtschaft zwischen Kant und Jacobi hervorzuheben, um die Begriffe der Vernunft und des Glaubens aus einem erstarrten Oppositionsschema zu befreien, so sehr ist es jetzt an der Zeit, auf die Unterschiede der beiden

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Positionen zu achten. Wer nämlich »zwischen zwei entschlossenen Denkern« ausschließlich »vermitteln will«, so Nietzsche, der »hat das Auge nicht dafür, das Einmalige zu sehen; die Aehnlichseherei und Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Augen«.14 Einer solchen Aufmerksamkeit auf die Differenzen weist Jacobi selbst den Weg, indem er die bereits zitierte Passage aus dem Brief an Kleuker mit dem Satz fortsetzt: »Und dennoch gehen wir in der Vorstellungsart und in den Principien so ganz voneinander ab« (JWA 1, 481). Der hier verfolgte Gedankengang kommt daher erst dann an sein Ziel, wenn es ihm am Ende gelingt, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Kant und Jacobi herauszuarbeiten. Hierfür kann zunächst Jacobis eigene Darstellung der Kantischen Philosophie verfolgt werden, da es ein charakteristischer Wesenszug und zugleich eine Stärke des Jacobischen Denkens ist, die eigene Position vermittels einer genauen und zugleich kritischen Darstellung der Gegenposition zu gewinnen und dergestalt nachvollziehbar zu exponieren. Jacobi beginnt seine Darstellung mit dem Hinweis auf eine eigentümlich distanzierte Verwandtschaft mit Kant, indem er daran erinnert, »wie Kant […] zugleich mit mir, aber aus andern Zwecken und durch andere Mittel, die Nichtigkeit jeder speculativen Anmaßung, übersinnliche Wahrheiten demonstriren, d. h. sie auch objectiv begründen, und dem Verstande, gleich den mathematischen, durch logische Mechanik aufnöthigen zu können, in seiner Kritik der reinen Vernunft gründlich erwies«. Des weiteren erinnert Jacobi daran, wie Kant »dessen ungeachtet die allgemeine Ueberzeugung beybehielt, und sie gleich im Eingange eben dieser Kritik auf das Bestimmteste äußerte: Es habe die Philosophie nur übersinnliche Begriffe zum Gegenstande: drey Ideen, nämlich: Fr e yhe it , U n s t e rbl i c h ke i t und G o t t« (JWA 3, 73). Man wird Jacobi nicht bestreiten können, daß er hier mit sicherem Griff den systematischen Dreh- und Angelpunkt der Kantischen Vernunftkritik kennzeichnet: die kritische Unterscheidung zwischen reinen Verstandesbegriffen, die sich objektiv ausweisen lassen, und reinen Vernunftideen, bei denen dieser Ausweis aus prinzipiellen Gründen unmöglich ist. Zugleich wird aber auch schon deutlich, nach welcher Richtung hin sich Jacobi von Kant distanziert. Die »Objektivität« der Verstandeserkenntnis wird nämlich von Jacobi nicht – wie bei Kant – mit den empirischen Gegenständen möglicher Erfahrung zusammengedacht, sondern der »logischen Mechanik« einer »Demonstration«, die dem Verstand bestimmte Begriffe »aufnötigt«.

Nietzsche, Sämtliche Werke (Kritische Studienausgabe), hrsg. von G. Colli und M. Montinari, München/Berlin 1980, Bd. 3, S. 511. 14

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Bemerkenswerterweise hebt Jacobi in seiner weiteren Darstellung mit großem Nachdruck auf die Bedeutung des Begriffs eines Vernunftglaubens bei Kant ab. Um nämlich »der Philosophie zu helfen, daß sie nicht ihren Zweck, und mit diesem sich selbst einbüße, ersetzte Kant den Verlust der theoretischen Beweise durch nothwendige Postulate einer reinen praktischen Vernunft. Dieser, der praktischen Vernunft eignete er den Primat über die theoretische zu, d. h. er zeigte, wie alle Sätze, die einem a priori unbedingt praktischen Gesetze unzertrennlich anhiengen, von der theoretischen Vernunft als bewährt angenommen werden müßten, und nannte diese Annehmung reinen Vernunftglauben« (JWA 3, 75). Auch hier trifft Jacobi einen zentralen Punkt im systematischen Gesamtzusammenhang der Kantischen Vernunftkritik (den die vorstehenden Überlegungen auf ihre Weise darzustellen suchten). Es muß allerdings auffallen, wie Jacobi allein an dem Umstand interessiert ist, daß Kant den Vernunftglauben durch einen genuin praktischen Gebrauch der Vernunft rechtfertigen will, nicht aber daran, wie er ihn des näheren rechtfertigt. Dementsprechend bleiben die einzigartige Stellung der Freiheit innerhalb der drei Vernunftideen und das reine Gefühl der Achtung unerwähnt. Der eigentliche Kritikpunkt Jacobis wird deshalb, so läßt sich schon hier vermuten, nicht erst die spezifische Rechtfertigung der Vernunftideen bei Kant betreffen, sondern bereits den allgemeinen Anspruch, sie überhaupt auf philosophischem Wege rechtfertigen zu wollen. In diesem Sinne wird der Ton Jacobis in der folgenden Passage merklich skeptischer. Kant wußte nämlich, so Jacobi, »jene, d i e Ve r nu n f t s e lb s t b e d i n g e nd e n G r u nd wa h rh e it e n in die philosophische W i s s e n s c h a f t , welche durchaus Beweise« fordert, nur »auf jenem Umwege einzuführen, d. h. sie aus unmittelbaren Erkenntnissen in mittelbare umzuschaffen, indem er der praktischen Vernunft den Primat über die theoretische einräumte. Dergestalt konnte wenigstens der Schein einer wissenschaftlichen Erfindung jener Wahrheiten hervorgebracht werden, während im Grunde durch die Einführung des besagten Primats doch nur das unmittelbare Gefühl des Wahren und Guten, die positiven Offenbarungen der Vernunft über alle wissenschaftliche Beweise […], so wie es sich gebührt, erhoben wurden« (JWA 3, 85). Einig weiß sich also Jacobi mit Kant im gemeinsamen Ausgangspunkt: der Nichtidentität von Verstandesbegriffen und Vernunftideen. Vor dieser Gemeinsamkeit hebt sich aber der grundsätzliche Unterschied »in der Vorstellungsart und in den Prinzipien« nur umso deutlicher ab. Kant versucht der genannten Nichtidentität durch eine Selbstdifferenzierung der Vernunft in einen theoretischen und praktischen Gebrauch gerecht zu werden, um dergestalt eine in sich vermittelte Vernunfteinheit denken zu können, die sich

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nicht trotz, sondern aufgrund der Nichtidentität von Verstand und Vernunft konstituiert. Für Jacobi hingegen erzeugt Kants Versuch, Nichtidentität und Identität in einem kritischen Vernunftbegriff zu vermitteln, nur den »Schein einer wissenschaftlichen Erfindung«, der den eigentlichen Sachverhalt verschleiert, daß das unmittelbare Gefühl des Wahren und Guten über alle philosophischen Beweise erhoben wurden muß. Kants »kritischer« Weg gegenüber Dogmatismus und Skeptizismus ist deshalb im Verständnis Jacobis kein Ausweg, sondern ein Irrweg, der sich zwischen zwei klaren Alternativen nicht zu entscheiden weiß: »Kant hatte z we y m a l Recht, und darum Unrecht. Daß er nicht sein zwiefaches Recht in ein einfaches und vol l s t ä nd i g e s verwandelte, sondern zwiespaltig blieb und zweydeutig, und voll Doppelsinn bis ans Ende seiner Tage, gehört zu den lehrreichsten Ereignissen in der Geschichte der Philosophie« (JWA 3, 85; vgl. 88). VII. Das »einfache und vollständige« Recht, das Jacobi seiner eigenen Lehre zuschreibt, läßt sich exemplarisch an der von ihm selbst aufgeworfenen Frage studieren: »ob die Tugend mehr den Glauben gebäre, oder der Glaube mehr die Tugend?« Jacobis Antwort lautet: »Ich denke, der Glaube habe unbedingten Vorrang; das religiöse Gefühl ist die Grundlage der Menschheit. Müssen wir nicht persönlich vorstellen, das ist, vergeistigen, was uns zu Herzen gehen soll? Wenige Menschen erwägen, was ihnen Alles mit dem Glauben an einen persönlichen Gott verloren geht. Unsre sittlichen Ueberzeugungen gehen alle unter, wenn uns das sittliche Urwesen als ein sittliches, das heißt persönliches Wesen, welches das Gute will und wirkt, verschwindet« (JWA 1, 350). Zweifellos wird hier von Jacobi ein wesentlicher Aspekt von dem artikuliert, für das er »das unmittelbare Gefühl des Wahren und Guten« in Anspruch nimmt, das über »alle wissenschaftlichen Beweise« erhoben ist. Bei Jacobis Explikation muß freilich auffallen, daß sie zwar – konsequenterweise – keine »wissenschaftliche« Argumentation unternimmt, daß sie aber gleichwohl einer gewissen Eigenlogik folgt. Denn es gilt Jacobi zufolge durchaus zu »erwägen«, was »Alles mit dem Glauben an einen persönlichen Gott verloren« geht. Eine solche gleichsam »übersinnliche« Verlust-Erwägung verweist dann im Umkehrschluß auf den Gewinn, der dem Glaubenden aus seinem Glauben an einen persönlichen Gott erwächst. Diese Eigenlogik der Explikation kann sich aber, wie jede Logik, gegen die ursprünglich mit ihr verbundene Absicht wenden.

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Jacobis übersinnliche Gewinn- und Verlusterwägung provoziert nämlich geradezu den kritischen Gegengedanken Nietzsches: »ein starker Glaube, der selig macht, ist ein Verdacht gegen Das, woran er glaubt, er begründet nicht ›Wahrheit‹, er begründet eine gewisse Wahrscheinlichkeit – der Täu s c hu n g«. 15 Die radikale Eindeutigkeit, mit der Jacobi das »Übersinnliche« vom »Sinnlichen« scheidet, gewinnt von hier aus einen zutiefst zweideutigen und zwiespältigen Charakter. Denn Jacobis übersinnliche Gewinnerwägung könnte ihrem sinnlichen Gegenstück sehr viel verwandter sein, als es sein Insistieren auf der unmittelbaren Evidenz ihrer Unvergleichbarkeit wahrhaben will. In diesem Fall würde aber das eindeutige Entweder-Oder, das die »wissenschaftliche« Argumentation und das »unmittelbare Gefühl des Wahren und Guten« einander schroff entgegensetzt, nur dazu führen, daß das (sich selbst) täuschende Gefühl gegen vernünftige Aufklärung immunisiert wird.16 Es ist daher kein Zufall, daß sich bei Kant die genaue Antithese zu dem von Jacobi formulierten Vorrang des religiösen Gottesglaubens vor der Tugend findet: »Wir werden, so weit praktische Vernunft uns zu führen das Recht hat, Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind« (KrV B 847). Für Kant muß sich somit dasjenige, was vernünftigerweise zu glauben ist, auch als vernünftig rechtfertigen lassen, und zwar gerade deshalb, weil – wie Kant und Jacobi gleichermaßen wußten – die Vernunft selbst ein ganz spezifisches Glaubensmoment in ihrer eigenen, praktisch verfaßten Binnenstruktur aufweist; ein in Freiheit begründetes Glaubensmoment, das – als Vernunftglauben – die Vernunft erst zu dem macht, was sie ist. Gegenüber der Kantischen Anstrengung, der Nichtidentität von Vernunft und (moralischer) Freiheit mit den Vernunftmitteln der philosophischen

Nietzsche, Werke (Anm. 14), Bd. 5, S. 398. Dem Wahrheitsgehalt des Jacobischen Denken wird man daher wohl am ehesten gerecht, wenn man es vor dem »Tertium non datur« in Schutz nimmt, mit dem es selbst argumentiert. So verfährt Hegel, wenn er schreibt: in Jacobis »Entweder, Oder: es gibt kein Drittes, ist das principium exclusi tertii zu Grunde gelegt und anerkannt, ein Verstandesprinzip der vormaligen Logik, welche sowohl in ihrem übrigen Umfange als insbesondere nach diesem höchsten Grundsatze der Einseitigkeit des Verstandes gerade das Erkenntnisgesetz der vormaligen Metaphysik ausmachte – ein Erkenntnisgesetz, das ausdrücklich zu verwerfen ein Hauptgedanke und […] ein Hauptverdienst Jacobis ist« (Jacobi-Rezension, in: Hegel, Berliner Schriften, hrsg. von W. Jaeschke, Hamburg 1997, S. 37). 15 16

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Argumentation gerecht zu werden, hat Jacobi jedoch immer wieder darauf bestanden, daß solch ein Vermittlungsversuch von vornherein die fragliche Nichtidentität zur Identität verfälschen muß. Er hat deshalb seine eigene Position konsequenterweise als »Unphilosophie« bezeichnet. Die Frage bleibt somit bis heute so aktuell wie dringend: welche Position im Streit um Vernunft und Glauben verdient es, »zwiespältig« genannt zu werden?

Philosophie, Nichtphilosophie und Unphilosophie von Wolfgang Bonsiepen

Im Folgenden werde ich auf Jakob Friedrich Fries’ Abhandlung Wissen, Glaube und Ahndung (1805) und Adolph Karl August Eschenmayers Schrift Die Philosophie in ihrem Uebergang zur Nichtphilosophie (1803) eingehen, die gleichsam das Kontrastprogramm zu Fries’ Abhandlung darstellt.

Wissen In seiner Abhandlung Wissen, Glaube und Ahndung will Fries1 nicht einen weiteren Kommentar zu Kants Schriften liefern, sondern dessen System selber ausbilden (vgl. FS 3, 424). Mit Kant geht er davon aus, daß unsere sinn-

Zunächst möchte ich einige biografische Daten zu Fries nennen. Sohn eines Beamten der Herrnhuter Brüdergemeinde, wächst Fries in deren Erziehungsanstalten auf. Nach Abschluß des Theologie-Studiums im Jahr 1795 trennt er sich von der Brüdergemeinde und beginnt seine juristischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Studien in Leipzig und Jena. Von 1798 bis 1799 geht er als Hauslehrer in die Schweiz. Im Jahr 1800 kehrt er nach Jena zurück, wo er 1801 promoviert und sich habilitiert – im gleichen Jahr wie Hegel. Er hält in Jena philosophische und mathematische Vorlesungen und verfaßt mehrere Schriften, zu denen die zu besprechende Abhandlung Wissen, Glaube und Ahndung gehört. Mit Hegel wird er Anfang 1805 zum a. o. Professor ernannt. Im gleichen Jahr erhält er einen Ruf nach Heidelberg auf eine ordentliche Professur der Philosophie (Vgl. Ernst Ludwig Theodor Henke, Jakob Friedrich Fries. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß dargestellt, Berlin 21937, S. 3 ff., 19 ff., 39 ff., 52 ff., 70 ff., 91 ff.). In der Heidelberger Zeit erscheinen Hauptwerke wie die Neue Kritik der Vernunft (1807) und das System der Logik (1811). Im Streit Friedrich Heinrich Jacobis mit Schelling ergreift er für Jacobi in mehreren Schriften Partei. Es ist hier besonders die Kritik an Schellings Naturphilosophie, die ihn mit Jacobi verbindet. Im Sommer 1812 übernimmt er zusätzlich zu seiner Philosophie-Professur die frei gewordene Professur für Physik. Doch das Physik-Kolleg wird ihm schon bald lästig. Die politischen Ereig1

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lichen Anschauungen gegebener Objekte ursprünglich nur subjektiv gültig sind und unsere Erkenntnisse a priori von bloß subjektiven Bestimmungen des Gemüts abhängen. Von einer Erkenntnis von Dingen an sich kann inso-

nisse (Napoleonische Kriege) richten sein Interesse mehr auf die praktische Philosophie, der er sich in den nächsten Jahren verstärkt widmet. Er hält Vorlesungen über Ethik, verfaßt einen politischen Roman und veröffentlicht politische Streitschriften. Obwohl er durch dieses Engagement großen Einfluß auf die Studenten erhält, zieht es ihn von Heidelberg fort. In Berlin steht er 1816 als Nachfolger von Fichte neben Hegel an erster Stelle auf der Berufungsliste, Hegel für spekulative, Fries für praktische Philosophie. Es kommt zwar der Ruf nach Berlin nicht zustande, jedoch ein Ruf nach Jena, wo er im Herbst 1816 als Professor der Philosophie seine Lehrtätigkeit aufnimmt. Sein Nachfolger in Heidelberg wird Hegel (vgl. Henke, Jakob Friedrich Fries, S. 113 ff., 133, 137 f., 141 ff., 154 ff.). In Jena wird ihm sein politisches Engagement zum Verhängnis. Seine Teilnahme am Wartburgfest und briefliche Äußerungen führen dazu, daß er im Zuge der sogenannten Demagogenverfolgung Ende 1819 entlassen wird. Sein Landesherr Großherzog Karl August in Weimar beläßt ihm zwar großzügig sein Gehalt, muß ihm aber seine Lehrtätigkeit untersagen. Im Jahr 1824 kann er diese wieder aufnehmen, jedoch nur als Professor für Physik und Mathematik. Ende 1827 wird er zwar in die philosophische Fakultät und den akademischen Senat wieder aufgenommen, aber erst im Jahr 1837 fallen alle Beschränkungen seiner philosophischen Vorlesungstätigkeit (vgl. Henke, Jakob Friedrich Fries, S. 202, 207 f., 209 f., 239 f.). Zu den größeren Veröffentlichungen der letzten Zeit gehören das Handbuch der Religionsphilosophie und philosophischen Ästhetik (1832), dessen »Magerkeit« er seiner Professur für Physik zuschreibt, die Geschichte der Philosophie (2 Bde 1837– 40), die sich einer rein historisch-philologischen Behandlung des Stoffs entgegenstellt, und der Versuch einer Kritik der Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung (1842). Am 10. 8. 1843 stirbt er an einem Schlaganfall, fast 70 geworden (vgl. Henke, Jakob Friedrich Fries, S. 250 f., 257 ff., 263, 271). Wie dieser kurze biografische Überblick zeigt, handelt es sich bei der zu besprechenden Schrift um eine frühe Abhandlung. Für ein vollständigeres Verständnis des Friesschen Gedankengangs wären vor allem hinzuzunehmen: die Neue Kritik der Vernunft (1807), die Ethik (1818) und das Handbuch der Religionsphilosophie und philosophischen Ästhetik (1832). Fries gesteht denn auch, daß Wissen, Glaube, Ahndung besser als Teil der Neuen Kritik der Vernunft veröffentlicht worden wäre (vgl. Henke, Jakob Friedrich Fries, S. 119 f.). Fries interessiert sich von seinen ersten Studien in der Herrnhuter Brüdergemeinde an für Jacobis Schriften. Pietistische Erziehung und Gefühlsphilosophie begegnen sich (vgl. Henke, Jakob Friedrich Fries, S. 24, 27 f., 30, 34 f.). Seine Streitschrift Reinhold, Fichte und Schelling (1803) weckt Jacobis Interesse, so daß dieser ihn im Jahr 1805 bei einer Durchreise in Heidelberg besucht. Die daraufhin erfolgende Korrespondenz zwischen beiden zieht sich fast bis zu Jacobis Tod hin. Überraschend ist, daß beide Männer trotz freundschaftlichen Umgangs nicht zueinander finden können.

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fern keine Rede sein. Kant weicht von dieser Konzeption jedoch ab, wenn er eine Affektion unserer Sinnlichkeit durch Dinge an sich annimmt. Hiergegen richtet sich Jacobi im David Hume. 2 Auch Fries sieht in dieser Einführung des Ding an sich einen Fehler Kants. (vgl. FS 3, 471 f.) Dessen Standpunkt hat allerdings den Vorteil, durch die Abgrenzung der Erscheinung von Dingen an sich den Erscheinungsbegriff wenigstens negativ klar definieren zu können. Wenn wir nun gar nicht mehr von Dingen an sich reden können, bleibt ganz unbestimmt, was unter Erscheinung zu verstehen ist. Es könnte sein, daß wir es nur mit Schein und nicht mit Erscheinung von etwas an sich Gegebenen zu tun haben. Jacobi sieht diese Konsequenz. Da wir die Rede von Dingen an sich ganz beiseite lassen müssen, können wir keinen Anspruch auf objektive Erkenntnis mehr erheben. Statt Affektion durch Dinge an sich besitzen wir als Grundlage unserer Erkenntnis nur Empfindung und Einbildungskraft. Die Begriffe, Urteile und Sätze, die auf diese Weise entstehen, haben nur Gültigkeit in Beziehung auf unsere Empfindungen. Die Spontaneität der Verarbeitung dieses empirischen Materials durch kategoriale Formen, auf die sich Kant beruft, ist für Jacobi ein ganz unbekanntes Wesen (vgl. JWA 2, 110). Diese Konsequenz zieht Fries nicht. Für ihn bedeutet die Einschränkung auf den subjektiven Standpunkt keineswegs die Isolierung in einer leeren Subjektivität ohne eigentlichen Realitätsbezug. Dies setzt allerdings erkenntnistheoretische Überlegungen voraus, die er zwar schon in seiner frühen Schrift ausgeführt, aber erst in der Neuen Kritik der Vernunft breiter expliziert hat. Er nennt jede nicht nur problematische, sondern affirmativ behauptete Vorstellung eine Erkenntnis, die eine anschauliche und nichtanschauliche sein kann (vgl. FS 3, 449 ff.). Während wir uns einer anschaulichen Erkenntnis unmittelbar bewußt sind, benötigen wir das Denken, um uns einer nicht-anschaulichen Erkenntnis bewußt zu werden. Das Urteilen ist immer nachträglich, es setzt eine anschauliche oder nicht-anschauliche Erkenntnis voraus. 3 Fries tritt einer Verabsolutierung des diskursiven Ver-

Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 522; Prolegomena, A 104 f, A 110 sowie JWA 2, 390 f., 108 f. 3 Diese Friessche Konzeption bereitet erhebliche Interpretationsschwierigkeiten. Hilfreich in diesem Zusammenhang ist Gottlob Freges Unterscheidung zwischen Inhalt meines Bewußtseins (Vorstellung) und dem Gegenstand meines Denkens, der ein Gedanke, d. h. ein unabhängig von meinem Urteilen vorliegender Sachverhalt ist. Das Erfassen des Gedankens würde dann in Fries’ Sinne eine unmittelbare nichtanschauliche Erkenntnis voraussetzen. Vgl. Gottlob Frege, Der Gedanke, in: ders., Logische Untersuchungen. Hrsg. und eingeleitet von G. Patzig, Göttingen 21976, 2

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standes entgegen. Ein Urteil kann zwar auf ein anderes Urteil zurückgeführt werden, muß sich aber letztlich auf eine unmittelbare Erkenntnis stützen. Er sieht es als Verdienst Jacobis an, im Streit mit Mendelssohn auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht zu haben. Die Leibniz-Wolffische Philosophie ist für Jacobi nicht minder fatalistisch als die Spinozistische, da auch sie den Weg der Demonstration einschlägt. Diese Philosophen sehen nicht, daß alle Demonstration etwas schon Erwiesenes voraussetzt, ein Prinzip der Offenbarung, einen Glauben (vgl. JWA I/1, 115, 123 ff.). Fries bemängelt jedoch die unscharfe Bestimmung dieses Sachverhaltes durch Jacobi: »[…] er benennte diesen unmittelbaren Quell der Wahrheit aber zu unbestimmt mit den Worten Glaube und Offenbarung, und ihm war der Weg noch nicht bekannt, auf dem man sich näher in Rücksicht dieser unmittelbaren Erkenntniss der Vernunft orientiren kann.« (FS 3, 455) Die unmittelbare Erkenntnis, auf die wir uns gewöhnlich stützen, ist die der sinnlichen Anschauung. Wie Jacobi nimmt Fries eine Unmittelbarkeit der sinnlichen Wahrnehmung an, die Jacobi als eine wunderbare Offenbarung bezeichnet (vgl. JWA I/1, 116). Diese Position ergibt sich auch aus der genannten Ablehnung einer Affektion durch Dinge an sich durch Jacobi. Die sinnliche Wahrnehmung stellt eine unmittelbare Erkenntnis insofern dar, als wir immer erst nachträglich fragen, wie die Vorstellung des Gegenstandes durch Affektion von etwas zustande kommt. Das Affizierende ist nicht der Gegenstand der in der Empfindung enthaltenen Anschauung, sondern dieser ist für uns primär gegeben. 4

S. 48 ff. Der Fries-Schüler Leonard Nelson knüpft denn auch an Freges Unterscheidung zwischen Inhalt und Gegenstand an, grenzt sich aber gleichwohl von Freges ›dogmatischer Methode‹ ab. Vgl. Leonard Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, in: ders., Geschichte und Kritik der Erkenntnistheorie. Gesammelte Schriften. Hrsg. von P. Bernays u. a., Bd. 2, Hamburg 1973, S. 169 f. Vgl. auch die Darstellung von Fries’ und Nelsons Lehre bei Andreas Brandt, Ethischer Kritizismus. Untersuchungen zu Leonhard Nelsons ›Kritik der praktischen Vernunft‹ und ihren philosophischen Kontexten, Göttingen 2002, S. 59 ff., 111 f. 4 Vgl. FS 3, 472 f.; FS 4, 153. – Vgl. Wolfgang Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel. Mathematische versus spekulative Naturphilosophie, Frankfurt/M. 1997, S. 357 ff. Daß diese Behauptung der Unmittelbarkeit und Rationalität der sinnlichen Wahrnehmung keine Selbstverständlichkeit ist, machen neuere Diskussionen in der analytischen Philosophie deutlich. Donald Davidson argumentiert ähnlich wie Fries und Jacobi; für ihn sind im Gegensatz zu Quine die kausalen Beziehungen zwischen der Welt und unseren Überzeugungen nicht primär. Vgl. ders., Bedeutung, Wahrheit und Belege, in: Donald Davidson, Der Mythos des Subjektiven. Philosophische Essays. Übers. und mit einem Nachwort

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Neben der anschaulichen besitzen wir eine nicht-anschauliche Erkenntnis der Vernunft, welche erst Erkenntnisse a priori liefert. Denn die anschauliche Erkenntnis hat den Nachteil, daß aus ihr keine Allgemeinheit und Notwendigkeit entspringt (vgl. FS 3, 452). Irrtum entsteht erst bei dem Bewußtmachen der unmittelbaren Erkenntnisse durch die Reflexion. Die unmittelbare Erkenntnis der Vernunft kann so wenig irren wie die Sinnesanschauung; nicht die Sinne betrügen, sondern der Verstand. Wahrheit besteht dann nicht in der Übereinstimmung der Vorstellung mit ihrem Gegenstand, sondern in der Übereinstimmung des Urteils mit der vorausgesetzten unmittelbaren Erkenntnis. Diese Wahrheit nennt Fries die innere oder empirische Wahrheit, um die es uns erst einmal allein zu tun ist. Allerdings kann man noch weiter fragen, nämlich nach der Übereinstimmung des ganzen Systems unserer Erkenntnis mit dem Sein des Gegenstandes. Diese Übereinstimmung betrifft nach Fries die transzendentale Wahrheit, die auf Kants Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich führt, denn das unabhängig gedachte Sein der Gegenstände wäre das Ding an sich. 5 Wenn uns keine Erkenntnis von Dingen an sich möglich ist – wie Kant in der Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft darlegt, wird es problematisch, überhaupt von Erscheinung zu sprechen, da Fries mit Jacobi eine Affektion durch Dinge an sich ausschließt. Von Erscheinung können wir sprechen, wenn die Gegenstände zwar an sich sind, aber nach einer subjektiv beschränkten Erkenntnis erkannt werden. Nun können wir aber nicht beweisen, daß die Gegenstände unserer Erkenntnis an sich seien, allerdings auch nicht das Gegenteil (vgl. FS 3, 455–465). Würden sich die Gegenstände unserer Erkenntnis nicht auf eine Realität an sich beziehen, wäre unsere Welt Schein, ein bloßer Traum. Dafür daß wir es mit Erscheinungen und nicht Schein zu tun haben, spricht die Möglichkeit, daß wir der gesamten Sinnenwelt noch die Idee des Ewigen entgegensetzen können. Der positive Zugang zu dieser Welt der Dinge an sich ist nun nach Fries nicht mehr das Wissen, sondern der Glaube (vgl. FS 3, 481 f.). Ihm geht es also wie Jacobi um den Übergang vom Wissen zum Glauben, den er aber anders konzipiert: »Dieser Uebersprung vom Wissen zum Glauben, ist für jede faule und für jede dogmatische Philosophie ein salto mortale von der Philosophie zur Unphilosophie, von dem Stolze des sich selbst genugsamen Wissens, zur hrsg. von J. Schulte, Stuttgart 1993, S. 59 ff. Vgl. ferner den Beitrag von Gottfried Gabriel im vorliegenden Band. 5 Fries wirft Kant vor, nicht zwischen empirischer und transzendentaler Wahrheit unterschieden zu haben, vgl. FS 3, 466 sowie Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel (Anm. 4), S. 329.

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Resignation eines bloss gegebenen, nicht zu schützenden Glaubens, den man durch Sehnsucht und Liebe wohl über das gemeine, bloss wahrscheinlicher Meinungen zu erheben, aber nicht mit Vernunft, sondern nur mit dem Arme zu verfechten vermag.« (FS 3, 482 f.) Offensichtlich bezieht sich Fries hier auf Jacobis Sendschreiben an Fichte aus dem Jahr 1799, in dem Jacobi Fichtes Philosophie die seinige als Unphilosophie entgegenstellt, die sich mit einem salto mortale vom Wissen loslöst, das alles Sein in eine Konstruktion der Wissenschaft und damit in Nichts verwandelt. Fichtes Philosophie wird als Ausdruck des logischen Enthusiasmus der Allein-Philosophie vorgestellt, als umgekehrter Spinozismus und Idealismus, der dadurch zum Nihilismus und Atheismus führt, daß er den Grund der Wahrheit in der Wissenschaft selber sucht, anstatt das Wahre als außerhalb der Wissenschaft liegend anzuerkennen. In dieser Gegenüberstellung erscheint die Wissenschaft als bloßes Weben eines Webens, als Spiel des menschlichen Geistes mit sich selbst, als Organisation seiner Unwissenheit. Die Wissenschaft und die Philosophie des Wissens der Wissenschaft träumen letztlich nur, haben es mit Erscheinungen von Nichts zu tun, wenn sie nicht ahndungsvoll das außerhalb der Wissenschaft liegende Wahre wahr-nehmen, als Vernunft ver-nehmen (vgl. JWA 2, 194, 214ff., 201, 195 f., 199, 205 f., 208 f.). Diese Fichte-Kritik Jacobis stimmt mit seiner Kant-Kritik überein. Beide Philosophien verlieren sich nach Jacobis Ansicht in einem bloß subjektiven Standpunkt. Für Jacobi sind Kants transzendentale Kategorien bloß subjektive Formen, mit denen wir wie eine Auster oder ein Gespenst leben. 6 Eine solche Darstellung der Transzendentalphilosophie ist mit Fries’ positiver Bewertung der Kantischen Philosophie nicht vereinbar. Fries schließt sich denn auch ausdrücklich in seiner Konzeption des Übergangs vom Wissen zum Glauben an Kants kritische Philosophie an, die er im Sinne einer Glaubensphilosophie zu erweitern sucht: »Dagegen die kritische Philosophie ihren Eingeweihten hell und deutlich zeigt, wie dieser Glaube in dem Wesen der Vernunft entspringe, wie zwar alles unser Wissen an das Endliche gebunden sey, der Glaube aber, das Ewige fasse, und die Ahndung, das Ewige mit dem Endlichen verbinde, und das Endliche mit dem Ewigen vereinige.« (FS 3, 483)

Vgl. JWA 2, 61, sowie Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 116. 6

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Glaube Wie gelangt man nun zum Glauben an das Ewige, der für Fries die erste Voraussetzung in jeder endlichen Vernunft darstellt und sichert, daß wir es mit Erscheinungen und nicht Schein zu tun haben? Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es einer genaueren Begriffserklärung. Was versteht man gemeinhin unter Glaube, läßt sich das Alltagsverständnis übernehmen und wie ist Jacobis Glaubensbegriff einzuordnen? Mit den Worten Meinen und Glauben benennen wir nach Fries in der Regel keine vom Wissen unterschiedenen Überzeugungen, sondern nur verschiedene Grade der Gewißheit im Fürwahrhalten. Unter Meinung verstehen wir ein unvollständiges Fürwahrhalten nach Wahrscheinlichkeit. Von der Meinung grenzen wir den Glauben als eine nur subjektiv begründete Überzeugung ab, die durch ein Interesse bestimmt wird. Dieses veranlaßt uns, eine unvollständige Erkenntnis, die uns eigentlich noch gar kein Urteil erlaubt, zu behaupten. So wagt ein Kaufmann ein Geschäft, er spekuliert, weil ihn das Gewinnstreben treibt, obwohl er über keine vollständigen Informationen verfügt. Auch gibt es ein Fürwahrhalten des Glaubens aus Furcht oder Neigung. Ein solcher Glaube beruht aber auf Überredung, nicht auf Überzeugung (vgl. FS 3, 493 ff.). Diese Formen des Glaubens kommen letztlich wieder auf Meinung, eine defiziente Form des Wissens, zurück. Ein spezifischer, vom Wissen unterschiedener Glaube scheint dagegen Kants reiner Vernunftglaube an Gott zu sein, dessen Existenz zur Verwirklichung des höchsten Gutes (Übereinstimmung von Moralität und Glückseligkeit) postuliert wird. Nach Kant läßt er sich mit einem Glauben als Fürwahrhalten nach Wahrscheinlichkeit gar nicht vergleichen, da es sich nicht um einen theoretischen Glauben handelt.7 Für Fries stellt sich die Sache aber anders dar. Die Annahme des höchsten Gutes ist nicht notwendig mit dem Pflichtgebot verknüpft; sie und die daraus entspringenden Postulate entspringen vielmehr einem subjektiven Bedürfnis. Kants Vernunftglaube beruht für Fries auf einem subjektiven Interesse, das uns veranlaßt, eine bloße Meinung zu behaupten (vgl. FS 3, 495–498). In einem andern Sinn verwendet Jacobi den Begriff Glaube. Alles Wissen beruht nach Jacobi auf ersten Annahmen, die nicht weiter begründbar sind, sondern geglaubt werden müssen. Glaube ist also eine unmittelbare ÜberVgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 227; Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, A 405 f. Zu Kants allmählicher Umbildung seiner Theorie des höchsten Gutes vgl. Bernhard Milz, Der gesuchte Widerstreit. Die Antinomie in Kants ›Kritik der praktischen Vernunft‹ (Kantstudien. Ergänzungsheft 139), Berlin, New York 2002, S. 306 ff. 7

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zeugung ohne beweisenden Schluß. An diesem Wortgebrauch tadelt Fries, daß er zu allgemein ist, denn unmittelbare Überzeugungen leiten auch unser Wissen, so daß das Spezifische eines vom Wissen unterschiedenen Glaubens nicht in den Blick kommt (vgl. FS 3, 498 f.). Man kann also festhalten, daß alle angeführten Verwendungen des Begriffs Glaube unzureichend sind. Allerdings weist Kants reiner Vernunftglaube den richtigen Weg, wenn wir von seiner Postulatenlehre abstrahieren. Der Glaube an Gott, Unsterblichkeit und Freiheit entspringt rein aus der Vernunft, wenn diese die in der Antinomienlehre aufgezeigte Beschränktheit unserer Naturerkenntnis negiert, also eine Negation der Negation 8 vollzieht: »Durch die logischen Ideen des Unbeschränkten, wird aber doch wenigstens das Ding gedacht, welches nicht Erscheinung ist, welches nicht unter den Naturgesetzen steht, und diese Idee, verbunden mit dem ursprünglichen Bewustseyn der Vernunft, welches durch die Naturerkenntniss erweckt wird, kann sich an der Idee des Seyns an sich realisiren. Dies ist denn auch die einzige spekulative Grundlage des Glaubens, welche ihrer Entstehung nach durchaus negativ bleiben muss, und eigentlich keinen positiven Inhalt hat, als den der Negation aller Negation, oder der Verneinung der Schranken.« (FS 3, 550, vgl. 500) Der Glaube kann sich nicht wie das Wissen auf eine Anschauung – die sinnliche der Wahrnehmung oder die reine der Mathematik – stützen. Er entspringt rein aus der Reflexion und hat nur die Idee der Vernunft selbst zur Grundlage (vgl. FS 3, 548 ff.). Alles kommt nun darauf an, diese Form der Negation der Negation richtig zu verstehen: »Wir können nicht dadurch zum Ewigen gelangen, dass wir unser Wissen zum Absoluten steigern, dadurch überheben wir uns unsrer Kraft; und verlieren uns in die absolute Leere; im Gegentheil ist das einzige Mittel zum Ewigen der Glaube, für den wir gerade nur dadurch Platz gewinnen, dass wir unser Wissen auf seine wahren Verhältnisse herabwürdigen; dass wir zeigen, wie hier geschehen ist, unser Wissen um das Endliche der Natur ist nur Erscheinung, darüber hinaus aber ist die Idee des Ewigen, und der Glaube an das Ewige in uns.« (FS 3, 487) Die endliche Welt der Erfahrung bleibt die einzige Welt unserer Erkenntnis. Darüber hinaus liegt unserem Auge keine andere Welt offen (vgl. ebd.).

Möglicherweise liegt in dieser Terminologie eine Beeinflussung durch Hegel vor, der sie in einer frühen Jenaer Schrift (1802) verwendet. Vgl. GW 4, 450, auch S. 358 f. Allerdings hat der Terminus ›Negation der Negation‹ eine lange Vorgeschichte, vgl. Hans Friedrich Fulda, Artikel ›Negation der Negation‹, in: Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Basel, Stuttgart 1984, Sp. 686–692. 8

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Wir können uns zwar im Glauben über diese endliche Welt erheben, der aber »ohne das Endliche weder Leben noch Farbe hat, und so eigentlich vor dem Wissen um das Endliche, und ohne dasselbe gar nichts besagt, auch keinesweges eine höhere Anschauung enthält, sondern sich nur durch die Reflexion, dem Verstand […] kund gibt.« (FS 3, 485 f.) Auch ist es nicht so, daß wir durch die Negation der Negation etwas beweisen, wieder ein Wissen erlangen können, sondern entscheidend ist, daß wir des Glaubens, der rein aus der Vernunft selbst entspringt, inne werden und die Ideen der Freiheit und Ewigkeit nur als Ausdruck dieses Glaubens interpretieren: »wir entwerfen uns nicht willkührlich die Ideen der Freyheit und Ewigkeit, und glauben nachher an die Realität des Phantoms, welches wir selbst geschaffen haben, sondern die Vernunft glaubt rein aus ihrem Wesen an die höchste Realität, und entwirft sich nachher jene Ideen nur, um ihren Glauben aussprechen zu können. Jenen Glauben der Vernunft aber selbst rein und deutlich mit Nothwendigkeit aus einer Theorie der Vernunft abzuleiten, wäre das Meisterstück aller Philosophie. Es ist in unsrer Gewalt, aber hier nicht der Ort, um es bekannt zu machen.« (FS 3, 557 f.) Genaueren Aufschluß wird man also erst aus Fries’ späteren Schriften – Neue Kritik der Vernunft (1807), System der Metaphysik (1824), Handbuch der Religionsphilosophie und philosophischen Ästhetik (1832) – erhalten, obwohl die Grundrichtung der Argumentation klar erkennbar ist. Wesentlich für den so verstandenen Glauben ist es, daß er mit einer praktischen Philosophie verbunden ist. Der Glaube der Vernunft enthält das Bewußtsein der Freiheit, das wiederum an das Bewußtsein moralischer Verpflichtung gebunden ist, denn diese hat nur eine Bedeutung, wenn Freiheit vorausgesetzt wird. Es eröffnet sich eine intelligible Welt, ein Reich der Zwecke, in dem jeder Person ein absoluter Wert zukommt. Eine Welt, in der alles geschieht, wie es geschehen soll, wäre das höchste Gut. In diesem Ideal des höchsten Gutes wird Gott als heilige Allmacht angenommen, als ewiger Urgrund der Dinge, der das Reich der Zwecke geltend macht. Das Ideal des höchsten Gutes dient nicht dazu, den Anspruch auf Glück zu sichern, ist also nicht mit Kants Begriff des höchsten Gutes zu verwechseln, der für Fries auf einem falschen Verständnis des Vernunftglaubens beruht. Freiheit bedeutet Negation der Natur, Freisein von natürlichen Bedürfnissen und dem damit verbundenen Glücksstreben (vgl. FS 3, 589 f., 573 f., 576, 587 f., 579 ff.). Die Ethik hat es aber zunächst nur mit der psychologischen Freiheit, dem Vermögen der Wahl, nicht der freien Wahl, zu tun. Tugend ist eine endliche Kraft der Natur, die jederzeit durch eine stärkere überwunden werden kann. Dagegen ist ein freier Wille, der nur sich selbst das Gesetz gibt und jeder endlichen Kraft überlegen ist, in der Natur nicht möglich. Gleichwohl werden

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wir durch das Gewissen dazu geführt, eine solche Überlegenheit über alle Natur anzunehmen (vgl. FS 3, S. 712 f., 722 f., 714 f., 718 f.). Dieser Zwiespalt, als endliche, bedürftige Wesen zu existieren und doch ein Bewußtsein von Freiheit als Negation der Natur zu haben, bleibt bestehen. Aus diesem Zwiespalt befreit nun teilweise die Ahndung.

Ahndung Erst durch den Glauben erfahren wir, daß unsere endliche Welt nicht nur Schein, sondern Erscheinung ist. Von Erscheinung sprechen wir, wenn die Gegenstände zwar an sich sind, aber in einer subjektiv beschränkten Weise erkannt werden. Es muß also etwas – Kants Ding an sich – vorhanden sein, was erscheint (vgl. FS 3, 501 f., 559, 461). Diesen Bezug vermittelt nach Fries die Ahndung. Er rühmt sich, den Begriff der Ahndung, der sonst den Dichtern und Schwärmern überlassen wurde, erstmals in die Philosophie eingeführt zu haben. Wie er jedoch im Briefwechsel mit Jacobi eingestehen muß, hat er nicht Jacobis frühere philosophische Verwendung dieses Begriffs beachtet. 9 In der Ahndung wird uns die Natur zur Erscheinung des Ewigen. Die Ahndung des Ewigen im Endlichen ist eine Erkenntnis durch reines Gefühl, das von der Empfindung zu unterscheiden ist. Es geschieht nicht eine Subsumtion des Endlichen unter das Ewige durch Begriffe, sondern durch eine frei reflektierende Urteilskraft, durch eine willkürliche Kombination der Einbildungskraft im reinen Gefühl. Der Glaube setzt der Beschränktheit unserer Naturerkenntnis das Sein an sich entgegen, negiert, ohne jedoch eine positive Vorstellung zu entwickeln (vgl. FS 3, 601, 603 f., 647 f.). Die Ahndung vermittelt demgegenüber zwar positive Vorstellungen, verbleibt aber in einem unaussprechbaren Gefühl: »Hier wird also eine Erkenntnissweise durch blosses Gefühl als Ahndung des Ewigen im Endlichen philosophisch in Schutz genommen, welche bisher nur Dichtern, Andächtigen, und Schwär-

Vgl. FS 3, 492; FS 28, 368 f., 374. – Auch hätte Fries Eschenmayers Gebrauch dieses Begriffs nennen müssen (vgl. dazu unten). Jacobi verwendet den Begriff Ahndung in seinem Sendschreiben an Fichte (1799), vgl. JWA 2, 208: »Mit seiner Vernunft ist dem Menschen nicht das Vermögen einer W i ß e n s c h a f t des Wahren; sondern nur das Gefühl und Bewustseyn seiner U nw i ß e n h e i t desselben: A h n d u n g des Wahren gegeben.« Zur damaligen Verbreitung des Begriffs Ahndung (in der Aufklärung, bei Jacobi, Kant, Schleiermacher und in der Dichtung) vgl. Wolfram Hogrebe, Ahnung und Erkenntnis. Brouillon zu einer Theorie des natürlichen Erkennens, Frankfurt/M. 1996. 9

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mern überlassen, und als der Tod aller Philosophie angesehen wurde. Man wird dagegen einwenden, dass durch eine solche Ahndung dem Mysticismus und der Schwärmerey durchaus nachgesehen werde, und die Philosophie damit selbst in eins von diesen beyden verfalle. / Das gerade Gegentheil! Eben dadurch, dass wir alle positive Erkenntniss des Ewigen auf ein blosses unaussprechliches Gefühl zurückführen, machen wir aller schwärmerischen Geheimniskrämerey ein Ende, welche eine wirkliche Erkenntniss des Ewigen durch Anschauung oder Begriff zu besitzen vorgibt, wir zeigen, dass das geheime innere Licht einem jeden leuchte, aber jedem nur in den ästhetischen Ideen der Schönheit und Erhabenheit der Natur, dass man aber auch diese nicht etwa in dichterischer Begeisterung zum Wahrsagen, oder einer andern Erkenntniss des Ewigen anwenden könne, sondern dass wir uns hier bloss auf das unaussprechliche Gefühl beschränken müssen.« (FS 3, 606 f.) Der Ahndung ist gestattet, was der naturwissenschaftlichen Betrachtung verboten ist, eine Teleologie in der Natur anzunehmen.10 Wenn wir die Natur, insbesondere das Organische, als ein System von Zwecken deuten, bringen wir eine Idee zu der Natur hinzu, schöpfen sie nicht aus ihr selber. Es handelt sich um eine rein ästhetische Beurteilung, die Zweckmäßigkeit ohne alle Vermittlung, Schönheit vorstellt. Auch die Geschichte der Menschheit können wir ästhetisch nach Zwecken beurteilen, obwohl eigentlich nur das Handeln der Menschen selbst zweckmäßig ist. Die ästhetische Beurteilung hat nun nach Fries noch eine tiefere Bedeutung, insofern Schönheit und Erhabenheit in Natur und Geschichte die Ahndung einer ewigen Ordnung der Dinge in uns wecken (vgl. FS 3, 615 ff., 621 ff., 627 ff., 634 ff., 646). Religion stützt sich nicht nur auf den Glauben, sondern auch auf die Ahndung. Denn Religion hat es wesentlich mit Gefühlen zu tun, insbesondere mit der Andacht, die durch die Ahndung des Ewigen im Endlichen hervorgerufen wird. Die Ahndung kann den Glaubensideen zwar einen positiven Inhalt verschaffen, hat aber auch ihre Grenzen, sie ahndet eben nur. Dasjenige, was wir in der Ahndung erkennen, bleibt uns doch immer ein notwendiges Geheimnis (vgl. FS 3, 663–666, 678 f.). Zu Fries’ Ablehnung der Teleologie in der Naturphilosophie vgl. Bonsiepen, Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel (Anm. 4), S. 106, 441 f.; Helmut Pulte, Von der Physikotheologie zur Methodologie. Eine wissenschaftstheoriege schichtliche Analyse der Transformation von nomothetischer Teleologie und Systemdenken bei Kant und Fries, in: Wolfram Hogrebe / Kay Herrmann (Hrsg.): Jakob Friedrich Fries. Philosoph, Naturwissenschaftler und Mathematiker. Verhandlungen des Symposions ›Probleme und Perspektiven von Jakob Friedrich Fries’ Erkenntnislehre und Naturphilosophie‹ vom 9.–11. Oktober 1997 an der Friedrich–Schiller–Universität Jena, Frankfurt/M. u. a. 1999, S. 339 f. 10

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Es ist noch genauer zu sehen, in welcher Weise die Ahndung auf die beiden Grundideen des Glaubens, die Idee der Freiheit und die Idee Gottes, bezogen ist. Fries knüpft an Kants Theorie des ästhetischen Urteils an. Dieses sieht die schöne Natur mit Gunst an, weil es an ihren Formen ein freies, uninteressiertes Wohlgefallen hat.11 An diese Vorstellung eines Zwecks in sich selbst schließt sich nach Fries die Ahndung des Ewigen in der Natur an (vgl. FS 3, 648 f.). Für eine solche Erweiterung des ästhetischen Urteils kann er sich insofern auf Kant stützen, als dieser ein intellektuelles Interesse am Schönen annimmt. Das Gemüt kann über die Schönheit der Natur nicht nachdenken, ohne in ihr zugleich eine Spur der moralischen Welt zu finden. Allerdings muß es Natur sein oder von uns dafür gehalten werden, damit wir am Schönen ein intellektuelles Interesse nehmen. An der schönen, vom Menschen erzeugten Kunst nehmen wir nur dann Anteil, wenn sie die Natur nachahmt.12 Kants intellektuelles Interesse am Schönen bedeutet nun für Fries ein religiöses Interesse am Schönen, insofern Religion es mit der Idee des Reichs der Zwecke (Freiheit, Gott, beste Welt) zu tun hat (vgl. FS 3, 652– 657).13 Im Unterschied zu Kant wertet er das Kunstschöne auf, denn dieses erreicht die Macht des Naturschönen, wenn es eine schöne Seele darstellt, in der das Vernünftige realisiert ist. Hier kann er sich wiederum insofern an Kant anschließen, als dieser einen Menschen als Ideal der Schönheit bezeichnet, der den Zweck seiner Existenz in sich selbst hat und mit Vernunft seine Zwecke selbst bestimmt.14 Höchste Aufgabe der Kunst ist es nach Fries, nicht Schönes zu machen, sondern innere Schönheit (Stärke, Lebendigkeit, Reinheit der Seele) in Dichtung, Plastik und Malerei darzustellen. So werden wir dazu geführt, in der Schönheit der Seele die Idee des Reichs der Zwecke zu ahnden, wodurch wir zur Nachahmung, zur Tat angeregt werden (vgl. FS 3, 658–661). Mit dem so ästhetisch vermittelten Glauben an unsere transzendentale Freiheit ist der Glaube an ein vollkommenes Sein, das wir Gott nennen, und der Glaube an die beste Welt verbunden (vgl. FS 3, 555; FS 12, 154). Die in der Ahndung mögliche ästhetische Vorstellung der Glaubensideen ist hier aber besonders schwierig. Wollen wir mehr als das bloße Gefühl der Andacht in der Ahndung aussprechen, gebrauchen wir anthropomorphe Bilder, Symbole von Gott. Wir stoßen hier besonders hart an die GrenVgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 303. Vgl. ebd., B 169–173. 13 Auch für diese Erweiterung des ästhetischen Interesses zum religiösen Interesse lassen sich Stellen bei Kant finden, vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 478. 14 Vgl. ebd., B 54 f. 11

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zen der Ahndung, an unauflösbare Geheimnisse. So können wir nicht die Frage beantworten, warum Gott das Böse in der Welt zugelassen hat, auch ist uns keine Einsicht in den Verlauf der Weltregierung möglich (vgl. FS 3, 738 f., 678 f., 747 f.). Obwohl Fries die Ethik mit ihrer Annahme einer transzendentalen Freiheit eng mit Glaube und Ahndung, also mit Religion verknüpft, betont er die Eigenständigkeit der Ethik gegenüber der Religion. Ethik hat es mit unserem zeitlichen Dasein zu tun; sie hat eine Antwort darauf zu geben, was wir in dieser Welt zu tun haben. Zwischen Ethik und Religion kann nun ein Streit entstehen, der das Verhältnis von Tatkraft und Gefühl betrifft. Wir können den Glaubensideen durch die Ahndung zwar einen begrenzten positiven Vorstellungsinhalt verschaffen, doch geht es in erster Linie darum, die Ideen in unserem Handeln zu verwirklichen. Jedes Gefühl erhält seinen Wert erst durch das Handeln; freie Handlung ist das einzige, in dem wir einen absoluten Wert finden. Andererseits ist das Bewußtsein der Tugend auch von religiöser Ahndung begleitet (vgl. FS 3, 691, 669–671). Fries versucht den Streit folgendermaßen zu schlichten: »Es ziemt jedem, der Schönheit der Seele sucht, dass er Andacht habe, und lebendiges religiöses Gefühl. Dies kann jedem wohlthun, und ihm einen Enthusiasmus geben, der ihn im Leben fester und besser macht, als er sonst wäre. Der Enthusiasmus der Andacht, in welchem Thatkraft das Gefühl überwiegt, ist es eigentlich, welcher der Religion den Werth gibt, indem er der Stärke des guten Charakters zugleich Lebendigkeit mittheilt. Es ist freylich ein Zeichen von Schwäche, je mehr man Enthusiasmus braucht, um zu handeln, und sich für Pflicht und Recht zu interessiren, aber es ist Mangel an Leben, wenn jemand dieses reinsten Enthusiasmus nicht empfänglich ist.« (FS 3, 676) Nichtphilosophie Fries sieht die Gefahr, durch seine Unterscheidung zwischen Wissen, Glaube und Ahndung in Verdacht zu geraten, der Schwärmerei das Wort zu reden, und von falscher Seite Beifall zu erhalten. Er nennt direkt Eschenmayers Schrift Der Eremit und der Fremdling (1805), »wo die Vernunft den Degen an die intellektuelle Empfindung abgibt«. Auch sieht er in Schellings neuesten Schriften – gemeint ist wohl Philosophie und Religion (1804) – eine »energielose Geheimniskrämerey« am Werke. Er will dagegen das Verhältnis von Religion und Schönheit zur Philosophie in einer besonnenen Sprache geltend machen (vgl. FS 3, 418 f., 423). Im Folgenden soll auf Eschenmayers Standpunkt eingegangen werden.

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Die Auseinandersetzung mit seiner Philosophie des Glaubens und Ahndens kann dazu beitragen, Fries’ Position noch deutlicher zu machen.15 Eschenmayer unterscheidet im Vorbericht seiner Schrift zwischen einer notwendigen und zufälligen Nichtphilosophie. Letzterer fehlt der Entschluß zu philosophieren oder philosophisches Talent, für erstere entrückt sich der Gegenstand von selbst der Spekulation, so daß die Grenze des Erkennens dadurch bezeichnet ist. Höchste Aufgabe der Philosophie ist es, die Grenze ihrer selbst zu finden, über die nicht wieder im Erkennen hinausgegangen werden kann. Diese Grenze im Übergang der Philosophie zur Nichtphilosophie ist die Grenze zwischen Spekulation und Glaube. Fichte und Schelling anerkennt Eschenmayer in diesem Zusammenhang als unsere philosophischen Gesetzgeber. Was sie für die Philosophie geleistet haben, will er jetzt für die Nichtphilosophie leisten. Kants Philosophie wird hingegen eher negativ beurteilt. Dies überrascht, da Eschenmayer sich eng an Kants Naturphilosophie anschloß. Nun erklärt er, daß es Kant nicht gelang, konstitutive Prinzipien für die Wissenschaften aufzustellen. Kant blieb auf dem Standpunkt der bloßen Reflexion und des Verstandes stehen, auf dem der Gegensatz von Ich und Ding an sich nicht aufgelöst wird (vgl. Übergang, S. 13, 6 f.). Er sah zwar, daß das Erkennen zum Glauben übergehen muß, »aber diesen Punkt fixirte er auf seinem Standpunkt viel zu tief. Ihm sind die Ideen blos regulative Principien, uns sind sie die konstitutiven der Wahrheit selbst.« (Übergang, S. 7) In Fichtes Philosophie wurde das Ding an sich als Nicht-Ich eine bloße Negation des Ich. Darin sieht Eschenmayer einen großen Fortschritt, weil die Notwendigkeit der Gesetze nun nicht mehr von außen begründet wird, sondern von

Adolph Karl August Eschenmayer (1768–1852) war Mediziner und Philosoph. Das Interesse für Philosophie erwuchs aus seiner Beschäftigung mit Naturphilosophie, insbesondere Kants Naturphilosophie. Sein Versuch, Kants dynamische Materietheorie neu zu formulieren, beeinflußte die frühen naturphilosophischen Schriften Schellings, der sich dann aber von Eschenmayers Materiekonstruktion distanzierte. Diese Wende rief wiederum Eschenmayers Kritik hervor, auf die Schelling im Anhang zu dem Aufsatz des Herrn Eschenmayer betreffend den wahren Begriff der Naturphilosophie, und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen (1801) antwortete. In Reaktion auf Schellings Ausarbeitung des Identitätssystems begann Eschenmayer mit seiner Schrift Die Philosophie in ihrem Uebergang zur Nichtphilosophie (1803) eine neue Debatte, die die Möglichkeit einer Philosophie des Absoluten betrifft. – Zu Eschenmayer vgl. die neueren Arbeiten von Ralph Marks, Konzeption einer dynamischen Naturphilosophie bei Schelling und Eschenmayer, München 1982 und Jörg Jantzen, Eschenmayer und Schelling. Die Philosophie in ihrem Übergang zur Nichtphilosophie, PLS 3, 74–97. – Eschenmayers Schrift wird im folgenden zitiert als: Übergang. 15

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innen konstruiert werden kann. Gleichwohl wird in Fichtes Indifferenz von Ich und Nicht-Ich weder Ich noch Nicht-Ich aufgehoben. Fichte ging nicht zur Idee der höheren Identität von Notwendigkeit und Freiheit über, dies war Schelling vorbehalten. Erst bei ihm findet sich eine ausgebildete Ideenlehre. Seine Philosophie ist die der absoluten Identität bzw. des Ewigen, der intellektuellen Anschauung bzw. der Spekulation und Vernunft, die jenseits der Verstandesreflexion steht. Eschenmayer ist nun der Auffassung, daß Schelling in der Bezeichnung dieses Standpunkts im Grunde bereits über ihn hinausging, vom Erkennen zum Glauben, vom Diesseits zum Jenseits des Absoluten (vgl. Übergang, S. 13 f., 8, 46). Daß Schellings Philosophie der absoluten Identität in sich nicht ganz konsistent ist, zeigt Eschenmayer, wenn er die Frage aufwirft: Wie kann das Absolute des Schellingschen Systems aus sich herausgehen, wie kann in die absolute Identität Differenz kommen? Diese Frage wird nach Auffassung Eschenmayers von Schelling nirgends befriedigend beantwortet; sie kann nach seiner Meinung auch gar nicht vom Standpunkt der Spekulation beantwortet werden (vgl. Übergang, S. 73–76). Im Zuge der Vereinnahmung von Schellings Philosophie für seine Glaubensphilosophie deutet Eschenmayer Schellings Begriff der intellektuellen Anschauung um. Sie unterrichtet uns einerseits von den Ideen, vermittelt eine Anschauung des Ewigen der Vernunft, andererseits repräsentiert sie das Gewissen, das uns von dem Jenseits des Absoluten unterrichtet. So führt die intellektuelle Anschauung, die Besitz nur weniger ausgebildeter Menschen ist, in Verbindung mit dem Gewissen, über das alle Menschen verfügen, zu Glaube, Ahnden, Andacht, d. h. zur Nichtphilosophie. Im Übergang zur Nichtphilosophie läßt der Philosoph die einsame Spekulation hinter sich und gliedert sich in eine brüderliche Gemeinschaft ein (vgl. Übergang, S. 9 f., 1 f., 35, 38, 87, 30, 44 f.). Während Schellings Vernunft die Potenz des Ewigen darstellt, ist die Seele die Potenz des Seligen. Die Seele ist über die Vernunft unendlich erhaben; ihr gehören Frömmigkeit, Andacht, Glaube an. Seligkeit ist erfüllte Ewigkeit, Vorgefühl der Nähe des Göttlichen. Mit den Mitteln der Spekulation, mit Begriffen und Ideen, läßt sich die Totalität der Seele nicht erfassen. Die Seele ist eine Erscheinung in Gott, und die ganze Philosophie ist eine Erscheinung der Seele (vgl. Übergang, S. 30, 50, 78 ff.). Es gibt eine unsichtbare Gemeinschaft der Seelen, ihr Gespräch sind die Ahndungen: »Ahndungen ist der reinste von aller Sinnlichkeit und mit keiner Einbildung vermischte Ausdruck der Seele. Ihr wahrer Charakter ist ihre Beziehung auf Tod und Unsterblichkeit und auf die unsichtbare Gemeinschaft der Geister.« (Übergang, S. 81) Der Übergang vom Erkennen zu Ahnden und Andacht ist der Übergang

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zur Religion. Wenn Eschenmayer betont, daß Religion nicht aus Moral ableitbar und nicht durch einen Vernunftglauben zu begründen ist, bezieht er sich vermutlich auf Kants Postulatenlehre, die für ihn zur Begründung einer Glaubenslehre offenbar nicht in Frage kommt. Statt dessen fordert er eine strikte Absonderung des Glaubens vom Erkennen, so daß es zu einem letztlich nicht mehr aufhebbaren Gegensatz zwischen Diesseits und Jenseits der Vernunft kommt. Dieser Gegensatz ist als durch Offenbarung gegebener hinzunehmen (vgl. Übergang, S. 35, 42 f., 54 f., 77). Was aber ist Offenbarung? Aus Eschenmayers Angaben geht nicht hervor, daß er sich auf eine historische Offenbarung bezieht. Vielmehr wird ganz allgemein behauptet, daß durch das Licht der Offenbarung die unsichtbare Welt in die sichtbare hinübergesendet wird. Durch die Offenbarung Gottes wird die sichtbare Welt mit der unsichtbaren in ein unendliches Verhältnis gesetzt. Die Offenbarung verkündet uns unsere Unsterblichkeit, den Tag der Offenbarung ahnden wir hier in der sichtbaren Welt (vgl. Übergang, S. 104, 53, 42). Eschenmayer geht auch auf die Bedeutung des Schönen ein. Er unterscheidet nicht wie Fries streng zwischen der Teleologie des Organischen und der des Schönen, sondern läßt beide Formen von Teleologie ineinander fließen. Vorausgesetzt ist ein bestimmter Begriff des Organismus, nämlich Organismus als Übergang vom Sinnlichen zum Übersinnlichen, von Materie zu Geist. Der so verstandene Organismus gehört zur Ästhetik, d. h. zur Plastik (vgl. Übergang, S. 94 f., 97, 101). Daß Eschenmayer trotz aller Kritik an Schellings Identitätsphilosophie keineswegs zu Kants transzendentalem Idealismus zurückkehrt, macht er durch seine Erklärung, daß Ethik, Ästhetik und Physik die Dinge darstellen, wie sie an sich sind, unmißverständlich deutlich (vgl. Übergang, S. 100). Eschenmayers Schrift wird in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung und der (Halleschen) Allgemeinen Literatur-Zeitung rezensiert.16 Auch findet sich eine briefliche Stellungnahme Jacobis. Die beiden Rezensionen machen in unterschiedlicher Weise auf die Unvereinbarkeit der Schellingschen und Eschenmayerschen Position aufmerksam. Der Jenaer Rezensent wirft Eschenmayer vor, Schellings absolute Identität wieder in Subjektivität verwandelt zu haben. Die vermeinte Potenzierung des Absoluten zum Seligen, zu Glauben und Andacht sei ein Rückfall in einen subjektiven Standpunkt, den Schelling längst überwunden habe. Eschenmayer verstehe schlicht das Vgl. Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 142, 14. 6. 1804, Sp. 505–512; Nr. 143, 15. 6. 1804, Sp. 513–515. – Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr 106, 6. 4. 1804, Sp. 41– 46; Nr. 107, 7. 4. 1804, Sp. 49–55. 16

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Wesen der intellektuellen Anschauung nicht. Dies habe auch zur Folge, daß er die Bedeutung von Schellings Naturphilosophie verkennt bzw. diese in eine subjektiv-ideelle Ansicht hinüberzieht (Sp. 505–508, 511). Der Hallesche Rezensent wundert sich darüber, daß Eschenmayer überhaupt nicht auf Jacobi verweist, denn kein neuerer deutscher Philosoph habe wie dieser auf die Armut der Spekulation verwiesen und dem Glauben sein Recht gesichert. Eschenmayers Schrift ist seiner Meinung nach eine Vermischung entgegengesetzter Lehrsätze, nämlich der Schellingschen und Jacobischen Philosophie, und »am Ende müssen beide philosophische Häupter, J ac ob i wie S c h e l l i n g und S c h e l l i n g wie J ac ob i , mit der Zusammenmischung ihrer Ideen unzufrieden seyn« (Sp. 41). Auf diese Rezension hat Eschenmayer in seinem Buch Der Eremit und der Fremdling (1805) geantwortet.17 Zunächst versichert er, daß ihm die diesbezüglichen Äußerungen Jacobis bei Abfassung seiner Schrift nicht bekannt waren. Erst nachher habe er festgestellt, »daß ich mehrere Gedanken von ihm wie aus seiner Seele abgeschrieben hatte« (Antwort, S. 111). Gegenüber Schelling betont er seine Selbständigkeit: Er sei kein Jünger Schellings; zwar nach Anleitung Schellings, habe er doch eigenständig seine Gedanken entwickelt. Später erklärt er, daß Schellings System innerhalb der Grenzen unserer Erkenntnis vollkommen wahr sei. Aber warum könne ein System nicht wahr sein und doch sein Prinzip von einem Höheren erhalten? Den Vorwurf der Vermischung entgegengesetzter philosophischer Lehrsätze, welche allerdings der Unphilosophie18 sehr geläufig sei, weist er entschieden zurück. Er habe gerade die Spekulation vom Glauben absondern wollen (vgl. Antwort, S. 112, 126, 114). Allerdings stützen intellektuelle Anschauung und Glaube einander. Er ist bereit, in diesem Punkt eine Differenz zu Jacobi anzunehmen: »Wenn dieß wirklich der Sinn von Jacobi seyn soll, daß der Ort des Bewustseyns eines Nichtwissens der dem Wissen unzugängliche Ort des Wahren sey, so muß ich gerade hier eine Differenz zwischen ihm und mir bemerken.« (Antwort, S. 129) Die intellektuelle Anschauung bleibt gültig, weil sie an der Idee der Wahrheit, die vollkommenes Eigentum der Vernunft ist, vom Standpunkt des Absoluten aus festhält (vgl. Antwort, S. 130).

Vgl. Carl August Eschenmayer, Der Eremit und der Fremdling. Gespräche über das Heilige und die Geschichte, Erlangen 1805, S. 107–146: Beantwortung der Einwürfe, welche ein Recensent in der allgemeinen Literatur-Zeitung gegen meine Schrift: Philosophie und Nicht-Philosophie gemacht hat. – Im Folgenden zitiert als: Antwort. 18 Eschenmayer bezieht sich hier kaum auf Jacobi, sondern versteht unter Unphilosophie wohl ganz allgemein eine unreflektierte Philosophie, eine Popularphilosophie. 17

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Ein weiterer Einwand des Halleschen Rezensenten betrifft Eschenmayers Gebrauch von Potenz und Potenzierung. Er macht darauf aufmerksam, daß man von Potenz entweder im scholastischen Sinn der Bedeutung von potentia oder im mathematischen Sinn sprechen könne. Welche Bedeutung Eschenmayer bevorzuge, werde nicht klar. Potenz im mathematischen Sinn sei jedenfalls nicht für die Explikation philosophischer Begriffe verwendbar (vgl. Sp. 43–46). Aus Eschenmayers Erwiderung wird deutlich, daß er nur an den mathematischen Begriff der Potenz denkt. Er weiß, daß sein Verständnis von Potenzierung für den Mathematiker keine Bedeutung hat. Die Begründung für seine Verwendung mathematischer Ausdrücke in der Philosophie bleibt aber unklar (vgl. Antwort, S. 115–118). Jacobi nimmt in einem Brief an Bouterwek vom 8. 1. 1804 zu Eschenmayers Schrift Die Philosophie in ihrem Uebergang zur Nichtphilosophie Stellung. Er fragt sich, wie Schelling auf die Schrift reagieren werde, und bemerkt zu Eschenmayers Verhältnis zu Schelling: »Wirklich hat Eschenmayer an diesem seinen geistlichen Vater gethan, was ehemals die Töchter Pelias an dem leiblichen: anstatt ihn gesund und unsterblich zu baden, hat er ihn zerhackt und zu Tode gekocht. Eine wahre Köcherei ist’s, was er mit den Differenzen vornimmt; und weder Schelling noch sonst jemand kann das Angerichtete geniessen.«19 Wie der Hallesche Rezensent, mit dem er übrigens auch in anderen Kritikpunkten übereinstimmt, kritisiert er den Gebrauch der Potenzierungsmethode. Schelling geht in Philosophie und Religion (1804) auf Eschenmayers Schrift ein. Die Frage: Wie kann das Absolute aus sich herausgehen? beantwortet er mit seiner Theorie des Abfalls des Endlichen vom Unendlichen, der in der Freiheit des Endlichen begründet sei und nicht weiter erklärt werden könne (SW 6, 38–42). Keineswegs akzeptiert er die Relativierung seiner Philosophie des Absoluten durch Eschenmayers Nichtphilosophie. Vielmehr will er die Gegenstände, »welche der Dogmatismus der Religion und die Nichtphilosophie des Glaubens sich zugeeignet haben«, der Philosophie zurückgeben. Diese besitzt durch das Wissen eine viel klarere Erkenntnis, »als welche für Eschenmayer aus dem Glauben und der Ahndung hervorgegangen ist« (SW 6, 20, 18). Aufschlußreich ist auch der folgende Briefwechsel zwischen beiden, der die Differenzen weiter hervortreten läßt. Eschenmayer betont dann abschließend in seiner Schrift Einleitung in Natur und Geschichte (1806), daß dem Philosophen nur eine teilweise Anschauung des Absoluten gelinge. Eine Totalanschauung der Vernunft wäre nur möglich, wenn die Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen. Hrsg. von Xavier Tilliette, Bd. 1, Turin 1974, 135 f. 19

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philosophische Vernunft mit der Vernunft selbst gleich würde. Das bedeutete aber, daß der Philosoph seine Existenz selber aufheben, eine Existenz außerhalb seiner selbst haben müßte. 20 Damit spricht Eschenmayer eine Frage an, die von Schelling als das Problem der Unvordenklichkeit der Existenz thematisiert werden wird.

Abschließende Überlegungen Will man Eschenmayers und Fries’ Glaubensphilosophie vergleichen, so ist vor allem auf den unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt hinzuweisen. Fries’ Glaubens– und Ahndungslehre hat den Kantischen Kritizismus zur Voraussetzung, Eschenmayers Nichtphilosophie Schellings Philosophie der absoluten Vernunft. Eine solche ist für Fries mit dem transzendentalen Idealismus unvereinbar. Fries’ Unterscheidung zwischen transzendentaler und empirischer Wahrheit besagt, daß wir transzendentale Wahrheit, d. h. die Übereinstimmung von Sein und Denken, nur glaubend und ahnend voraussetzen, aber nicht wissen können. Spinozas und Schellings Substanzphilosophie werden damit für ihn hinfällig. Für Fries ist gar kein Wissen des Absoluten, keine intellektuelle Anschauung möglich. In der Negation der Schranken unserer Erkenntnis können wir zwar die Idee der Freiheit und des Absoluten denken, ohne dadurch aber zu einem Wissen zu gelangen. Der Vernunftglaube spricht sich in jenen Ideen lediglich aus (vgl. FS 3, 473 f., 442 f., 484 ff.). Eschenmayers Kritik an Schellings intellektueller Anschauung ist somit für Fries noch nicht radikal genug. Auch ein teilweises Wissen des Absoluten, das Eschenmayer Schelling zugestehen will, ist nicht möglich. Eschenmayers Verständnis von Ahndung und Religion ist von dem Friesschen zu unterscheiden. Religion als Ahndung des Ewigen im Endlichen gehört für Fries zur Ästhetik, während Ahndung für Eschenmayer der »mit keiner Einbildung vermischte Ausdruck der Seele« ist (Übergang, S. 81). Aus Fries’ Sicht verwechselt Eschenmayer hier Ahndung mit Vernunftglauben, der sich in der Tat nicht auf Einbildung, sondern auf das logische Verhältnis der Negation der Negation stützt. Ein solches Verständnis von Glaube fehlt aber ganz bei Eschenmayer. Dadurch, daß bei diesem Religion nicht mit Ästhetik verbunden wird, erhält die Religion – und der sie begründende Begriff der Seele – eine esoterische Stellung, wie dies insbesondere in der Schrift Der Eremit und der Fremdling deutlich wird. 21 20 21

Vgl. Jantzen, Eschenmayer und Schelling (Anm. 15), S. 94. Vgl. Eschenmayer, Der Eremit und der Fremdling (Anm. 17), S. 25: »Das Schöne

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Fries’ ästhetisch-religiöse Weltansicht hingegen führt zu einer gewissen Entmythologisierung der Religion und Aufwertung der Ästhetik, wie dies seine späteren religionsphilosophischen Schriften deutlich machen. Die Ästhetik wird aufgewertet, insofern in der Dichtung bereits religiöse Inhalte gefunden werden. In Epos und Lyrik z. B. kommen religiöse Begeisterung und Andacht zur Darstellung. Daneben kämpft Fries gegen die Ansprüche der historischen Religionen. Mit Lessing und Kant ist er der Meinung, daß es keine historische Legitimierung religiöser Überzeugungen geben kann. Die Geschichte vom erlösenden Gottmenschen muß als Dichtung verstanden werden. Die religiösen Lehren von Sündenfall, Erbsünde, Bekehrung und Erlösung besitzen nur bildliche Wahrheit. In diesem Punkt ist Fries mit seinem Freund, dem Theologen De Wette, nie ganz einig geworden. 22 Über sein Verhältnis zu Jacobi hat sich Fries deutlich geäußert. Er betont, daß er seine Ansichten ganz unabhängig von Jacobi entwickelt habe. Wie gezeigt, kritisiert er in Wissen, Glaube und Ahndung Jacobi – sein Verständnis von Glaube und seinen Übersprung von der Philosophie zur Unphilosophie. Die Hauptdifferenz sieht er in ihrer unterschiedlichen Einschätzung der Kantischen Philosophie: »Mein Verhältniß zu Jacobi ist von den meisten Darstellern der Geschichte der Philosophie ganz falsch gefaßt worden. Mit seiner Philosophie, wenn von einer solchen zu sprechen ist, habe ich mich früher gar nicht befaßt, denn sein Spinoza hat für mich gar keine Bedeutung; nur die Klarheit seiner Rede gegen Mendelssohn’s demonstrative Methode mußte ich anerkennen; in seinem Streit gegen Kant meinte ich Jacobi’s Fehler sogleich einzusehen. So erhielt er auf die Ausbildung meiner philosophischen Ansichten gar keinen Einfluß. Als er mich aber nachher in Heidelberg wiederholt besuchte und mit mir über Philosophie verhandelte, lernte ich erst seine außerordentlich klare Auffassung fremder Ansichten und die scharfe Beziehung derselben auf die höchsten Zwecke der Philosophie einsehen und

ist es also nicht, was Andacht erregt«. – S. 29: »Das Geheimnisvolle und Mystische ist daher die wesentliche Seite der Religion«. 22 Vgl. FS 12, 167, 124, 257 ff.; FS 28, 331, 322, 338 f. – Zu Fries’ und De Wettes differierenden Bewertung der christlichen Dogmatik vgl. Henke, Jakob Friedrich Fries (Anm. 1), S. 251 f, 289 f. Laut Henke war De Wette einer der bedeutendsten und einflußreichsten Schüler von Fries (S. 126). Dessen Religionsphilosophie wurde vor allem von Rudolf Otto positiv aufgenommen, vgl. Rudolf Otto, Jakob Friedrich Fries’ Religionsphilosophie, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 19 (1909), S. 32. Eine kritische Würdigung findet sich dagegen bei Georg Weiß, Fries’ Lehre von der Ahndung in Ästhetik, Religion und Ethik unter Berücksichtigung von Kant, Schiller und Jacobi, Göttingen 1912, S. 127 ff.

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wurde dadurch geneigt gern für ihn zu sprechen. In der Hauptsache konnte ich mich aber doch nie mit ihm vereinigen, weil es mir durchaus nicht gelang ihm Kant’s transscendentalen Idealismus verständlich zu machen.«23

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Henke, Jakob Friedrich Fries (Anm. 1), S. 107.

Novalis und Jacobi – Vom Gefühl des Entzugs und Entzug des Gefühls von Oliver Koch

I. Der Kreisamtmann August Coelestin Just, väterlicher Freund Friedrich von Hardenbergs, berichtet in seinem Nekrolog auf den jung verstorbenen Dichter, daß Jacobis Brief an Fichte »laut« zu Novalis’ Herzen gesprochen habe.1 Und es gibt sogar einen weiteren offenbar direkten Zeugen für diese Reaktion; denn bereits am 27. Januar 1800 schreibt Jean Paul an Jacobi, daß Herr von Hardenberg »entzückt« über dessen Fichte-Brief gewesen sei. 2 – Diese beiden Zeugnisse überraschen nicht wenig, muß man andererseits doch feststellen, daß direkte Erwähnungen Jacobis oder seiner Schriften durch Novalis sehr spärlich und dann höchstens ›lauwarm‹, aber keinesfalls emphatisch sind. Genau genommen sind es nur fünf Fragmente, in denen Jacobi eine Rolle spielt, und alle drei von diesen, in denen Novalis auch wertend Stellung bezieht, sind durchweg kritisch. Ja ausgerechnet dasjenige dieser Fragmente, das eindeutig auf Jacobis Brief an Fichte referiert, ist von allen Äußerungen die kritischste. Novalis spricht hier – natürlich nicht ohne Anklänge an Friedrich Schlegels Woldemar-Rezension – Jacobi »Kunstsinn« und damit den Sinn für die Wissenschaftslehre ab. Statt »Freude am bloßen Philosophieren – am h e it e r n Philosophischen Bewußtsein – Wirken und Anschauen« zu haben, suche dieser vielmehr nur »derbe, nützliche Realität« (3, 572/121). Von Entzückung findet sich bei Novalis keine Spur. August Coelestin Just, Friedrich von Hardenberg [1805], in: Novalis. Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. v. Paul Kluckhohn/Richard Samuel, Bd. 4, Stuttgart 1960, S. 549. – Im weiteren werden alle Zitate Hardenbergs nach dieser von Kluckhohn und Samuel besorgten Ausgabe unter Angabe von Band und Seite sowie ggf. Fragmentnummer direkt im Text nachgewiesen. – Wenn nicht anders vermerkt, bilden eventuelle Hervorhebungen in Zitaten die originale Textgestalt ab. 2 Jean Paul an Jacobi am 27. 01. 1800, in: Jean Pauls Sämtliche Werke, historischkritische Ausgabe, hg. von Eduard Berend, Abteilung III: Briefe, Bd. 3, Berlin 1959, S. 282. 1

Novalis und Jacobi

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Was läßt sich also mit den Zeugnissen von Just und Jean Paul anfangen? Worauf soll man sie beziehen? – Folgt man hier den Spuren, die beide selbst noch zur Aufklärung des Bezuges legen, verkompliziert sich die Lage indes noch einmal, weisen sie doch scheinbar in verschiedene Richtungen. Jean Paul berichtet Jacobi nämlich etwas spöttisch von den »Fichtianern«, zu denen er ausdrücklich auch Hardenberg rechnet, die »schon Deinen [d. i. Jacobis] ungedrukten Brief freudig, zumal über dein Lob«, herumgetragen hätten. Novalis’ ›Entzücken‹ bezöge sich demnach wohl auf Jacobis Anerkennung des Verdienstes der kritischen Philosophie, »Unwissenheit und Anmaßung« in Hinsicht auf das »Wahre« ein Ende bereitet zu haben (JWA 2, 207), sowie auf die damit verbundene vermeintliche Höherschätzung Fichtes im Vergleich zu Kant – und wirklich finden sich bei Novalis zahlreiche Belege, daß er in einer zugleich philosophiehistorischen wie auch systematischen Stufenfolge Fichte über Kant setzt, daß Fichte ihm »der 2te Kant – das höhere Organ [ist], insofern Kant das niedre Organ ist« (3, 335/463). Außerdem sollte Novalis mit Jacobis Beurteilung der Fichteschen Wissenschaftslehre als eines »u m g e ke h r t e n S p i no z i s mu s« (JWA 2, 195) sehr einverstanden gewesen sein, hatte er selbst doch auch schon 1798 im Allgemeinen Brouillon für sich ihre große Ähnlichkeit festgestellt: »E i n e rl e y« sei es, »ob ich das Weltall in mich, oder mich ins Weltall setze. Spinotza sezte alles heraus – Fichte alles hinein. So mit der Freiheit« (3, 382/633); und etwas später: »Fichtens Ich ist die Vernunft – Sein Gott und S p i no t z a s Gott haben große Aehnlichkeit« (3, 469/1098). Nur fehlt Hardenbergs Identifizierung dieser beiden Denker gerade die für Jacobi damit verbundene kritische (oder besser: widersprechende) 3 Intention. Erinnert man sich außerdem an Novalis’ vehementes Eintreten für Fichte im Atheismusstreit, mag man drittens auch die Stellen von Jacobis Fichte-Brief ins Auge fassen, an denen dieser zumindest den Menschen Fichte gegen die Atheismusvorwürfe in Schutz nimmt. 4 – Novalis’ ›Entzücken‹ hätte jedenfalls bei einer solchen Lesart große Ähnlichkeit mit Fichtes eigenem ersten Urteil über Jacobis Brief, der in ihm ein »trefliches Schreiben« für seine eigene Sache sieht. 5 Zum »Widerspruch« im Gegensatz zur argumentativen »Widerlegung« vgl. u. a. JWA 1, 290, sowie Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 31 ff. 4 Wie Friedrich Schlegel steht Novalis im ›Atheismusstreit‹ nicht nur ganz auf Seiten Fichtes (vgl. u. a. den Brief an Dietrich von Miltitz vom 6. Februar 1799 (4, 277)), sondern er scheint sich für diesen sogar am Dresdner Hof und wohl auch in Berlin eingesetzt zu haben (vgl. Dennis F. Mahoney, Friedrich von Hardenberg (Novalis), Stuttgart 2001, S. 104 f.). 5 Brief Fichtes an Jacobi vom 22. April 1799. GA III/3, 334. 3

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Justs insinuierte Deutung der Hardenbergschen Affirmation des Fichte-Briefes weist indes weiter. Hier wird sie nämlich in Zusammenhang mit einer Relativierung der spekulativen Philosophie gebracht. Diese sei – so Just – Novalis nie »Zweck, nur Mittel« gewesen, ja er habe der »Speculation ihre Grenzen« gesetzt (4, 548 f.). Und in der Tat berichtet Novalis dem Kreisamtmann in einem Brief im Februar 1800 davon, wie froh er sei, »durch diese Spitzberge der reinen Vernunft« hindurch zu sein; zwar gehöre die Philosophie, die »Uebung des Scharfsinns und der Reflexion«, in die »Lehrjahre der Bildung«, doch dürfe man nicht »über die Grammatik die Autoren vergessen; über das Spiel mit Buchstaben die bezeichneten Größen« (4, 321). Daß hiermit auch Fichte mitgemeint und -kritisiert sein könnte, dieser Gedanke legt sich einem zunächst nahe, bedenkt man, daß Novalis dessen Philosophie schon 1797 in einem Brief an Schlegel als ein »furchtbares Gewinde von Abstractionen« bezeichnet hatte (4, 230). Und auch Hardenbergs berühmte Ende 1799 entstandene Rede Die Christenheit oder Europa wird von einem ähnlichen Gedanken getragen. Dem »kalten, todten Spitzbergen« des »Stubenverstandes« (3, 520), der Logik des »Wissens und Habens« (3, 510), die Novalis in der wissenschaftlichen Naturauffassung der modernen Philosophie walten sieht und die er in Bildern zu charakterisieren sucht, die deutlich an Jacobis Fichte-Brief erinnern, 6 wird eine Haltung von »Glauben und Liebe« gegenübergestellt. Folgt man demnach der Spur Justs zur Aufklärung des Novalisschen ›Entzückens‹ über Jacobis Fichte-Brief, gelangt man erstens zu der These, daß es eben die kritische Perspektive auf die spekulative Philosophie ist, die Novalis darin sehr begrüßt, und wird zweitens durch eine auf den ersten Blick ganz ähnliche Struktur sogar auf die Vermutung geführt, daß sich auch in den positiven Alternativentwürfen zur bloßen Philosophie möglicherweise größere Übereinstimmungen mit Jacobi aufzeigen lassen. Vielleicht ist also das »bunte erquickende Lande der Sinne« (4, 321), in das Novalis nach dem Dies betrifft nicht allein Hardenbergs Vergleich des modernen Wissens mit »einer Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller«, die damit »eigentlich ein ächtes Perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Mühle« sei (3, 515) – ein Vergleich, der große strukturelle Ähnlichkeit mit Jacobis ›Strickstrumpf‹ als Bild für die Fichtesche Ich-Konstitution (JWA 2, 203 f.) aufweist, sondern ebenso die Rede von der »Gespensterherrschaft« »in den Wüsten des Verstandes«. Heißt es bei Novalis: »Wo keine Götter sind, walten Gespenster« (3, 520), so lesen wir bei Jacobi: »Eine solche Wahl aber hat der Mensch; diese Einzige: das N i c h t s oder einen G o t t . Das Nichts erwählend macht er s i c h zu Gott; das heißt: er macht zu Gott ein G e s p e n s t ; denn es ist unmöglich, wenn kein Gott ist, daß nicht der Mensch und alles was ihn umgiebt blos G e s p e n s t sey.« (JWA 2, 220) 6

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bereits oben erwähnten Brief an Just endlich zurückgekehrt ist, letztlich gar nicht so verschieden von Jacobis Ort des ›Nicht-Wissens‹, zu dem dieser keck springen zu müssen glaubt? – Wieviel Vorsicht, ja Skepsis, in dieser Frage dann aber doch angebracht ist, dafür mögen hier zunächst nur drei Indizien stehen: Erstens ist der Ort, den Fichte in der Europa-Rede einnimmt, eben doch nicht bei dem »Spitzbergen« des Verstandes. Obwohl nicht namentlich erwähnt, stellt ihn Novalis offenbar sich und seinem eigenen Projekt der Enzyklopädistik, d. i. einer »höheren Wissenschaftslehre«, zur Seite (vgl. 3, 521 f.). Zweitens verdient der Ort Aufmerksamkeit, den Hardenberg im Gegenzug Jacobi innerhalb eines siebenstufigen historisch-systematischen Philosophiemodells zuweist. Hier findet Jacobi als »Transscendenter Empiriker« nämlich auf der zweiten Stufe seinen Platz – gleich nach den bloßen »Empirikern«, während Fichte wiederum die sechste und vorletzte Stufe bildet unmittelbar vor Novalis’ eigenem »magischen Idealismus« (2, 605/375). Und nun denke man daran, daß sowohl der späte Fichte 7 als auch Hegel, 8 vor allem aber der Schelling 9 der ›positiven Philosophie‹ in ihren Modellen der Jacobischen Position jeweils die zweithöchste Stufe zuerkannten, d. h. die höchste vor der je eigenen. Und als drittes Indiz sei noch einmal an das sehr Jacobi-kritische Fragment erinnert, in dem Novalis diesem – durchaus im Einklang mit der Einordnung als »Empiriker« – bloße Nützlichkeits- und Realitätssuche vorwarf. Interessant war aber vor allem, was Novalis dem entgegensetzte, nämlich »Freude am bloßen Philosophieren – am h e it e r n philosophischen Bewusstsein«. Nimmt man hier noch ein Notat Hardenbergs hinzu, das nur: »Jacobis Vorurtheile« (3, 394/668) heißt, und behält zugleich im Blick, daß eine Novalissche Kritiklinie gegen Fichte auf die auch bei diesem noch übrigen (und zu überwindenden) Vorurteile zielt, so deutet sich auch hierdurch eine Position an, die letztlich weit von Jacobi wegführt (und – nebenbei bemerkt – Jean Pauls Einordnung Hardenbergs als eines ›Fichtianers‹ und der darin liegenden Spur zugleich auch wieder einiges Recht geben könnte). – Wie es sich mit dieser Vermutung wirklich verhält, soll Gegenstand der weiteren Überlegungen sein. Dazu ist es sinnvoll, sich schon dem Einsatz

Vgl. J.G. Fichte, Die Anweisung zum seeligen Leben, sowie Fichtes Brief an Jacobi vom 8. Mai 1806 (GA I/9, 168 ff. bzw. III/5, 354 ff.) 8 Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Teil 1: Die Wissenschaft der Logik: Mit mündlichen Zusätzen [Werke in 20 Bänden: Band 8], Frankfurt/M: 1999, S. 148 ff. (§§ 61 ff.). 9 Vgl. Schelling, Münchner Vorlesungen. Zur Geschichte der neueren Philosophie, SW 10, 165 ff. 7

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des Novalisschen Philosophierens in den Fichte-Studien von 1795/96 zuzuwenden, denn bereits hier läßt sich der spannungsreiche Versuch einer realistischen Korrektur Fichtes beobachten – eine Korrektur, die nicht nur die Übernahme vieler Motive bis hin zu fast wörtlichen Formulierungen Jacobis erkennen läßt, ohne diese dann aber letztlich – so die These – in dessen Sinne einlösen zu können oder zu wollen, sondern die auch eine Grundspannung offenbart, die Hardenbergs Philosophieren strukturell bis zu seinem Tode bestimmt. Die philologische Frage nach den Quellen dieser von Beginn an hochgradig Jacobi-ähnlichen Terminologie werde ich dabei im übrigen übergehen – nur soviel: Die Lektüre Jacobis durch den jungen Novalis ist nicht direkt bezeugt und manches Motiv ist sicherlich auch über Dritte, z. B. Fichte selbst, vermittelt worden. II. Der erste Gedanke der Fichte-Studien erinnert an Hölderlin und dessen eigene Kritik an Fichtes als Grundsatz verstandenem ›Ich bin Ich‹ aus § 1 der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre. So wie im Satz ›a ist a‹ das eigentliche A verfehlt werde, indem dies wesenhaft Ungeteilte, Identische, nunmehr geteilt und dann erst wieder auf sich bezogen werde (geteilt in Gehalt, Form und ihre Einheit bzw. These, Antithese und Synthese), stellt auch das ›Ich bin Ich‹ für Novalis einen bloßen »Scheinsatz« (2, 104/1) dar, der die wahre Einheit, für die er stehen soll, nicht trifft. Und auch dem ›Ich bin‹ ergeht es offenbar nicht besser, denn dieses heißt nichts anderes als: »ich befinde mich in einer allgemeinen Relation, oder i c h we c h s l e« (2, 247/ 455); es ist also bloße Form und gerade kein Gehalt, das ›Sein‹ letztlich bloße Kopula und gerade keine absolute Position (2, 247/454 f). Der vermeintliche Grundsatz verfehlt als Grundsatz den absoluten Grund. Zugleich schränkt Novalis die Verwendung des Begriffs ›Ich‹ in zunehmendem Maße auf das endliche, auf das bewußte bzw. selbstbewußte Ich ein; und Bewußtsein bedeutet Intentionalität, Reflexion, Wissen, Darstellung – gehört damit also im Vergleich zum »Grund«, zur »Wahrheit« oder zum »Seyn« in die Welt des Scheines, des Nicht-Seins. Das Ich als bestimmtes setzt wie in § 3 der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre – omnis determinatio est negatio – ein entgegengesetztes Nicht-Ich voraus, die höhere Ich und Nicht-Ich umschließende Sphäre bezeichnet Novalis zwar auch selbst noch zumeist als »absolutes Ich«, doch wie sein programmatischer Anspruch, der in der Steigerung: »Spinotza stieg bis zur Natur – Fichte bis zum Ich, oder der Person. Ich bis zur These Gott« (2, 157/151) seinen Aus-

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druck findet, wie dieser Anspruch also zeigt, ist Novalis auf der Suche nach passenderen Begriffen. Neben dem Begriff »Gott« verwendet er so auch den der »Sfäre« oder der »Gattung«, auch den des »Chaos«, am weitaus häufigsten jedoch gebraucht Hardenberg anfänglich die Begriffe »Seyn« bzw. »Nur-Seyn«. – Ich und Nicht-Ich setzen also »Seyn« voraus; m.a.W.: der Ausdruck »Ich« kann bei Novalis im Gegensatz zu Fichte nicht mehr für eine suisuffiziente Struktur stehen. Zwar ist etwas für das Ich nur durch dessen setzende (freie) Tätigkeit, d. h. nur als Bewußtsein bzw. als ein Gewußtes (2, 293 f./654); der zu setzende Gehalt des Bewußtseins, das »Was« des Wissens (2, 105/2 u. vgl. 271 f./ 567) muß dem Ich jedoch gegeben werden, gegeben werden vom »(Nur-)Seyn« durch das »Gefühl« im Modus des »Glaubens« (2, 113 f./15). Dies trifft ebenso für das Selbstbewußtsein und für die Philosophie zu, die Hardenberg analog zu Fichte als Selbstbelauschung der Ich-Konstitution versteht und von den philosophischen Wissenschaften unterschieden wissen will: jenen muß ihre Einheit bzw. ihr Gehalt, die grundlegende Struktur des Selbst, bereits nicht-thetisch, d. h. als nicht-gesetzte, nicht konstruierbare, nicht gewußte, im bzw. als »Selbstgefühl« (ebd.) gegeben sein und vorausgehen. In dem Maße, wie das nicht-thetische Sein bzw. Selbst für Novalis die notwendige Voraussetzung von Wissen und Selbstbewußtsein ist, kann – ganz analog zu Jacobi – der Gewißheitsmodus des Glaubens natürlich auch kein bloß defizientes Wissen sein, sondern muß vielmehr dessen Ermöglichungsbedingung und Garanten bilden.

III. Allein mit dem Problem der Gegebenheit, für die »Gefühl« und »Glaube« stehen, ist ein heikler Punkt der Novalisschen Überlegungen berührt, denn die »Voraussetzung des Seins« zeigt sich – wie im weiteren deutlich werden wird – auch in seiner Konzeption vor allem als Voraus-Setzung, Gefühl als bloß subjektive und immanente Empfindung. »Der Mensch fühlt die Grenze die alles für ihn, ihn selbst, umschließt, d i e e r s t e H a nd lu n g ; er muß sie glauben, so gewiß er alles andre weiß. Folglich sind wir hier noch nicht transscendent, sondern im Ich und für das Ich« (2, 107/3). Das, was wir bisher zumeist »Seyn« nannten und dessen durch Jacobi geleitete Assoziation mit Spinozas Substanz so nahelag, erscheint in diesem Zitat offenbar als »erste Handlung«. Ihrer philosophischen Versicherung in einem hochkomplizierten und terminologisch verwirrenden Spiegelspiel von Handlungen gilt Novalis’ weiteres Hauptinteresse. In diesen wohl nicht

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durchgehend konsistenten Überlegungen läßt sich eine von Novalis gelegentlich als ›ordo inversus‹ bezeichnete wiederkehrende Grundstruktur erkennen, die vor allem durch die Studien von Manfred Frank in ihrer grundlegenden Bedeutung herausgearbeitet wurde.10 Im Gefühl werde (so sahen wir bisher) etwas – von Hardenberg jetzt auch »Urhandlung« (2, 114/17) genannt – gegeben. Aufgrund der Identifizierung von Bewußtsein, Reflexion, Wissen und Darstellung kann für uns dieses Gefühl aber nur mit Hilfe der Reflexion existieren, d. h. ebenso, wie das ›a ist a‹ das A als Eines verfehlt, haben wir auch das Gefühl nur in einem Modus, aus dem der »Geist des Gefühls« und damit das Gegebene als Gegebenes bereits verschwunden ist, so daß nunmehr – so Novalis weiter – »aus dem Produkt nach dem Schema der Reflexion« auf den »Producenten« geschlossen werden müsse und könne (2, 114/15). In einer ersten Reflexion haben sich also die Verhältnisse verkehrt: das ideale Resultat, das Bewußtsein, erscheint hier als Ausgangspunkt; und erst eine zweite Reflexion, eine Reflexion auf die verkehrende Wirkung des Reflektierens, soll auf die ursprünglichen Verhältnisse, auf das Gefühl bzw. das Gegebene als Ursprüngliches und Voraus-zusetzendes zurückführen. Daß indes das als Resultat des Resultats erschlossene Voraus-gesetzte keineswegs identisch sein kann mit dem ursprünglichen Grund, liegt in der Funktionsweise der Reflexion begründet, da diese nicht nur wie ein Spiegel seitenverkehrt darstellt, sondern eben auch grundsätzlich ur-teilt; etwas wiederholt teilen ergibt jedoch, wie jeder weiß, gerade nicht das ungeteilte Ganze. Die Reflexion der Reflexion, die notwendig in der Logik des Teilens verbleibt, kann für die ursprüngliche Einheit, die sie zerteilt, also nicht selbst einstehen; übrigens bleibt auch der Spiegel des Spiegels natürlich immer nur die Darstellung eines etwas, das er nicht selbst hervorbringen kann. Wie Novalis trotzdem letztlich konsequent auf Reflexionsimmanenz zu setzen, bedeutet dann notwendig die Verwandlung des realen Grundes in ein Postulat bzw. eine Idee, für Jacobi wohl wiederum die Verwandlung von Sein in Nichts, in einen »Lückenbüßer ohnmächtiger Phantasie« (WW I, 250). Dieselbe Schwierigkeit bestimmt ebenso die eigentliche Analyse der

Vgl. vor allem: Manfred Frank, Das Problem ›Zeit‹ in der deutschen Romantik. Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantischen Philosophie und in Tiecks Dichtung, München 1972, S. 130 ff; ders. zus. mit Gerhard Kurz, Ordo inversus. Zu einer Reflexionsfigur bei Novalis, Hölderlin, Kleist und Kafka, in: Geist und Zeichen. Festschrift für Artur Henkel, hg. von Herbert Anton / Bernhard Gajek / Peter Pfaff, Heidelberg 1977, S. 75 ff., sowie ders.: ›Unendliche Annäherung‹. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt/M. 1997, S. 814 ff. 10

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»Urhandlung« wie auch die der »intellectualen Anschauung«, die Hardenberg in ihrer zentralen Beziehung zur »Urhandlung« intensiv erforscht und so als weiteren Zentralbegriff für seine Überlegungen entdeckt: (1) Anschauung überhaupt, aber speziell und vor allem auch die »intellectuale Anschauung«, faßt Novalis dabei – der Zwitternatur, die allein schon im Begriff der letzteren liegt, nachspürend – als Synthese von Gefühl als der subjektiven, Stoff gebenden Seite und Reflexion als dem objektiven und Form beisteuernden Moment auf. Indem der Stoff der »intellectualen Anschauung« also aus dem Gefühl stammt (2, 116/19), scheint diese damit selbst offenbar keineswegs ursprünglich und unmittelbar zu sein. Andererseits sind Gefühl und Reflexion ihrerseits bloß abstrakte Unterscheidungen durch die Reflexion. Als solche sind sie für die Reflexion überhaupt nur dadurch, daß sie dieser durch eine sogenannte »Mittelanschauung« (2, 115/17) bzw. die »Intellectuale Anschauung« gegeben werden (2, 116/19), wobei selbige wiederum durch ein ursprünglicheres Gefühl und eine ursprünglichere Reflexion »hervorgebracht« (2, 115/17) sein soll, die freilich unbewußt bleiben. Würde man hier nun weiter – Novalis selbst tut es an dieser Stelle nicht – auf die Gegebenheitsweise dieses ›ursprünglicheren‹ Gefühls reflektieren, das nach Hardenbergs Konzept als Unbewußtes gerade überhaupt nicht für das Ich sein könnte, würde sich das Spiel der Vermittlungen offensichtlich fortsetzen. (2) Das dabei im Gefühl zu gebende Etwas, den Stoff also, hatte Novalis zunächst noch als »Urhandlung« bezeichnet, nur um diese wenig später als »blosse Form des Stoffs« (2, 116/19), als die reine Form der Reflexion und damit als die Form der ursprünglichen Teilung zu charakterisieren und auf diese Weise ebenso mit in den verkehrenden Strudel der Reflexion zu reißen. Die »Urhandlung« setzt danach zwar als Form des Stoffes Stoff natürlich noch irgendwie voraus; doch ist es nunmehr gerade nicht mehr der Stoff im eigentlichen Sinne, der nach Novalis hier im Gefühl gegeben wird. Gefühlt wird scheinbar vielmehr der Verkehrungscharakter der Reflexion selbst, »daß alles durch Reflexion Dargestellte nach den Regeln der Reflexion dargestellt ist und von diesen abstrahirt werden muß um das Entgegengesezte zu entdekken« (ebd.). Im Gefühl offenbart sich hier also nicht etwas als Reales, sondern es ist die Präsenz des Entzuges, die Notwendigkeit des Rückschlusses. – Und zum Realen, zum Sich-in-der-Reflexion-Entziehenden erklärt Novalis in einer weiteren Überlegung wiederum die »intellectuale Anschauung«; sie soll demnach der ursprüngliche Grund der »Urhandlung« sein. Während die »Urhandlung« bloß »die Einheit des Gefühls und der Reflexion in der Reflexion« ist, ist die »intellectuale Anschauung ihre Einheit außer der Reflexion« – und eben damit die ursprünglichere, ja offenbar die ursprüngliche (2, 119/ 22). Doch natürlich unterliegt dieser Gedanke letztlich ebenso dem Gesetz

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der Reflexion, also der Zerteilung und Verkehrung, wie die Unterscheidung von »Urhandlung« und »intellectualer Anschauung« als Wechselwirkende überhaupt selbstverständlich bloß »in der Reflexion« erfolgt (ebd.). Novalis ist sich sehr wohl bewußt, daß das Erklären der »Intellectualen Anschauung« zum Grund außer dem Bewußtsein die Abstraktion davon erfordert, daß auch sie »nur in den Formen der Urhandlung gedacht« (ebd.) werden kann, ein Anhalten bei ihr als dem vermeintlichen Urgrund also eigentlich willkürlich ist. IV. In immer neuen Deduktionen und Terminologien – so läßt sich vorläufig zusammenfassen – versucht Novalis mit der Reflexionsstruktur des ›ordo inversus‹ für das Problem von idealer und realer Seite, letztlich des realen Grundes bzw. der realitätsgebenden Handlung, eine Lösung zu finden, die erstens der von der idealistischen Bewußtseinsphilosophie übernommenen Einsicht Jacobis Rechnung trägt, daß Letztbegründung im Modus der Reflexion unerreichbar ist, daß also der regressive Gang vom Bedingten zu seinen Bedingungen stets nur auf neues Bedingtes, nie aber auf ein Unbedingtes, eine causa prima, führt – und die zweitens an der Novalis mit Jacobi und Fichte ebenso noch verbindenden Überzeugung festhält, daß trotzdem oder gerade darum auf ein Unbedingtes nicht verzichtet werden kann, weshalb es die einfache Reflexion zu übersteigen gilt. Drittens aber – und hier liegt ein Unterschied sowohl zu Jacobi als auch zu Fichte – möchte Novalis offenbar zugleich im Feld der theoretischen Philosophie – oder, da sich auch hier die Rolle der Willkür, demnach letztlich des Willens, bereits andeutete, genauer: in der Praxis der Theorie – verbleiben; er versucht dies durch die Figur einer Reflexion der Reflexion – des ›ordo inversus‹ –, die wenigstens ex negativo auf die zugrundeliegende Einheit verweisen soll. Hierdurch wird der Grund zur bloßen Idee, der – wie Novalis weiß – als bloßem »Gesetz der Vorstellung«, als »schematischem Begriff« (2, 252/466) jegliche Wirklichkeit mangelt (vgl. 2, 253 ff./472 u. 479). Zugleich erfordern das Hardenbergsche Konzept und seine realistischen Intuitionen aber eben auch, daß der Grund doch Grund bleibt, auf dem alles real ruht. Diesen m.E. unerfüllbaren Anforderungen scheint auch der merkwürdig doppelte Gebrauch vieler Begriffe im Novalisschen Text geschuldet: »Intellectuale Anschauung« und »Gefühl« begegnen uns so als das Ursprüngliche ebenso wie als das bloß Vermittelte: als Unmittelbarkeit des Gegebenen, als Unmittelbarkeit des Entzuges, als bloß rückerschlossene vorauszusetzende Unmittelbarkeit, ja sogar als Rückschließen selbst, wodurch

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es gerade Nicht-Gefühl, Entzug des Gefühls, ist. Daher steht auch der Begriff des »Glaubens« für ursprüngliches Wissen (vgl. 2, 263/536) genauso wie für ein bloßes Meinen im Sinne von Hypothesenbildung (2, 199 f./282). Und auch der Begriff des »Lebens«, den Novalis zwischenzeitlich noch zur höheren Sphäre als der des Seins und zum nun wirklich »Unaussprechlichen« und aller Philosophie Transzendenten erklärt hat (2, 106/3) – waren doch »Gefühl« und »Reflexion« als die den Ausdrücken »Seyn« und »Nicht-Seyn« bzw. »Wahrheit« und »Schein« (2, 177 ff./234) korrespondierenden Begriffe ihrerseits als bloß abstrakte Momente erkannt worden –, auch der Begriff des Lebens wird augenblicklich dadurch, daß er weiter als ein »Schweben« zwischen »Seyn und Nicht-Seyn« bestimmt wird und »Schweben« klarerweise auf die Einbildungskraft als das Organ der Erscheinung des Transzendenten in der Bewußtseinsimmanenz (vgl. 2, 271/567) verweist, zur bloßen Idee, die eben nicht im selben Sinne unaussprechlich und real ist. – Ich glaube nicht, daß Novalis die Rechtfertigung dieser doppelten Bedeutung oder Intention, mit der er zentrale Begriffe verwendet, in seinem Reflexionsmodell gelingt oder auch nur gelingen kann; m.a.W.: wie er zwischen bloß idealer Realität und realer Realität ex negativo philosophisch überzeugend unterscheiden will – oder noch einmal anders: wie es Novalis erreichen soll, den Platonischen und den Kantischen Ideenbegriff zu synthetisieren (vgl. 2, 290 ff./651), bleibt geheimnisvoll. Und doch – und dies ist immer wieder gegen eine zu rasche postmoderne Vereinnahmung zu sagen – hält Hardenberg zugleich an der ontologischen Dimension fest und will sie eben nicht einfach ganz im Spiel der Bilder oder Zeichen aufgehen lassen. Das Problem, das im Zentrum seiner Überlegungen steht, ist zwar in allererster Linie ein epistemologisches, doch ist es dabei nichts anderes als die gleichzeitige Fundierungsfunktion und Transzendenz der Ontologie für die Epistemologie bzw. für die Reflexion. Novalis affirmiert ausdrücklich die Berechtigung der Philosophie, sich als Suche nach dem absoluten (Real-)Grund zu verstehen, und beschränkt sie doch angesichts der Unerreichbarkeit bzw. prinzipiellen Unmöglichkeit dieses absoluten Grundes für uns, d. i. für das Bewußtsein überhaupt, auf die Realisierung der gleichsam ›zweitbesten Fahrt‹ bzw. »des Einzig möglichen Absoluten, was uns gegeben werden kann« (2, 270/566). Novalis’ Angriff richtet sich daher gegen eine Philosophie, die – verkennend, daß sie den Grund in keiner Form positiv in sich aufnehmen kann – versucht, aus einem materialen, den Grund vorgeblich präsentierenden Grundsatz ein System des Wissens zu deduzieren. Der Grundsatz als Ausgangspunkt wird dabei auch nicht allein durch einen »Wechselbestimmungssatz« (2, 177/234) zweier Momente, wie bspw. Gefühl und Reflexion, ersetzt, sondern letztlich durch eine Totalvermittlung aller Momente, die freilich nur

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das unerreichbare Ziel einer unendlichen Approximationsbewegung darstellt. Die Aufgabe ist das »Ganze«, das sich selbst trägt, »wie die spielenden Personen, die sich ohne Stuhl, blos Eine auf der andern Knie kreisförmig hinsetzen« (2, 242/445). Und zugleich gilt dabei Hardenbergs Aufmerksamkeit nicht nur dem Ganzen selbst, sondern in mindestens gleichem Maße auch der Bewegung der »Verganzung«, der »unendlichen freyen Thätigkeit in uns« (2, 270/566), deren Organ die Einbildungskraft, die Fantasie, ist. Zum Ideal wird ihm die größtmögliche Mannigfaltigkeit in maximaler Einheit, d. h. in maximaler Verknüpfung untereinander. »Je verknüpfter, je Ganzer es ist, je wircksamer, anschaulicher, e rk l ä r t e r, ist der absolute Grund alles Begründens, die Freyheit, darinn« (ebd.). Die so in jedem relativen Ganzen symbolisierte absolute »Freyheit« ist die Freiheit Gottes und nicht die des (endlichen) Ichs; auch die freie Tätigkeit der Einbildungskraft bleibt so noch Symbol. Ihre Spontaneität bleibt nur frei als ein Abhängiges, das Ich ist »ewiger Mangel«. Diese Abhängigkeit und Mangelhaftigkeit der Verganzungstätigkeit wird von Novalis im weiteren als ihre Zeitlichkeit gedeutet; sie realisiert das Ewige in der Zeit, »ohnerachtet Zeit der Ewigkeit widerspricht« (ebd.), eben als Ideal, als Symbol. Der Grund wird damit zur realitätsverbürgenden Vergangenheit, deren Realität selbst erst durch und in der Zukunft gesichert werden kann. Die Gegenwart kann demnach verstanden werden als aufgespannt zwischen der Vergangenheit als realer Vorausgesetztheit, wirklichem Goldenen Zeitalter, und der Zukunft als idealer Aufgegebenheit, der Idee der Goldenen Zeit.11 – Daß Novalis mit diesem Konzept nicht allein in einer ›Logik des Grundes‹ verbleibt, sondern auch in der von All-Einheit als einem ontologischen Modell à la Spinoza, sollte aus den bisherigen Überlegungen bereits deutlich geworden sein.12 Das der Reflexion aufgegebene Ganze ist als das zugleich eigentlich Reale nun einmal dasjenige, das »in jedem Augenblicke, in jeder Erscheinung wirkt« – dasjenige, von dem Novalis redet, wenn er behauptet: »das Ewige ist allgegenwärtig« – oder: »wir sind, wir weben, wir denken in Gott« (2, 249/462). Dabei stellt Novalis dieses Reale eben auch dort, wo er es ausdrücklich als Reales »außer der Reflexion« thematisiert, als Einheit

Vgl. u. a. 2, 290 ff./651. Zur Deutung der Endlichkeit als Zeitlichkeit sei vor allem auf die Studien Manfred Franks verwiesen, besonders auf seine Dissertation: Das Problem ›Zeit‹ in der deutschen Romantik (Anm. 10). 12 Vgl. auch »Die Welt wird ihrem Grunde entgegengesetzt. Der Grund ist die Eigenschaft der Welt und die Welt die Eigenschaft des Grundes. Gott heißt Grund und Welt zusammen« (2, 236/425). 11

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von Momenten eines Ganzen dar. M. a. W.: Wenn Novalis »Grund« gegen »Ursache im eigentlichen Sinne« abgrenzt und als »innre Beschaffenheit – Zusammenhang mit dem Ganzen« versteht (2, 269/566) und zum Zentralbegriff der Philosophie erklärt, ist dies in gleicher Weise eine Charakterisierung des von der Reflexion gebildeten bzw. in unendlicher Approximation zu bildenden (idealen) Grundes wie des ihr unerreichbaren Realgrundes. – Die Ontologie der ›causa immanens‹ bleibt somit grundsätzlich auch Hardenbergs Modell, demgegenüber Transzendenz allein ein Problem des Bewußtseins ist, dessen Funktionsweise notwendig dazu führt, daß sich für uns der reale Grund in ein bloßes Postulat verwandelt, daß wir es anstelle einer Grundsatzphilosophie mit einem Konzept immanenter Transzendenz innerhalb einer immanenten Seins-Struktur zu tun bekommen. »Unsre Natur ist immanent – unsre Reflexion transscendent. Gott s i nd wir – als Individuum denken wir.« (2, 168/218) – V. Die Bewegung des Verganzens als Handlung der Einbildungskraft, deren freie Tätigkeit darin das uns einzig mögliche Absolute realisiert, bildet nun die Grundlage für Novalis’ Überlegungen zur Poesie, die mitnichten aufs ästhetische Feld im engeren Sinne beschränkt ist. Vielmehr geht es um das Bilden überhaupt, inneres und äußeres, Theorie und Praxis, Philosophie, Kunst und Moral – Projekte, wie »Romantisieren«, »Mittlerglaube«, »Magie«, »Enzyklopädistik«, die alle über die Fichte-Studien hinausweisen auf Hardenbergs späteres Werk. Alles dies dient dem Bemühen, uns klarzumachen und darzustellen, daß wir, daß alle Dinge, »in Verhältnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit« stehen (2, 455/92); dieses Bemühen, d. i. die verknüpfende Tätigkeit der Einbildungskraft, wird als freie Handlung dabei eben selbst zum Symbol der göttlichen Freiheit. Zunächst geht es also um ein inneres Bilden, eine Befreiung von der Macht der Welt, der Macht des Objektes auf uns, durch ihre Verdopplung in der Innerlichkeit, durch ihre Neuschaffung in der Reflexion (vgl. 2, 272 ff./ 568 u. 287 f./647) – nichts anderes war oben mit sukzessiver Totalreflexivität bzw. zunehmender »Verganzung« gemeint. Ziel ist die willkürlichste Verknüpfung, das spontane In-Beziehung-Setzen des noch so Heterogenen – letztlich »Magie« als die »Kunst, die Sinnenwelt willkührlich zu gebrauchen« (2, 546/109). Die Poesie ist dabei der »Held der Philosophie« (2, 590/ 280) – der Dichter der gesteigerte Philosoph, »der höchste Grad des Denkers, oder Empfinders« (3, 406/717), denn er verfügt ebenso über mannigfaltige-

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re Methoden wie über ein wesentlich weiteres Themenfeld. Er ist derjenige, der die All-Einheit der Welt, den unendlichen Zusammenhang der Dinge viel augenscheinlicher und sinnenfälliger, viel ›bunter‹ zu symbolisieren, der letztlich sogar »aus J e d e m Alles zu machen« weiß (ebd.) und »die Wahrheit überall vergegenwärtigen« kann (3, 445/924). Oder negativ beschrieben: Er vermag den steten Entzug viel plastischer darzustellen, indem die romantische Ironie jedem Darstellungsversuch als dessen Relativierung bereits im Rücken sitzt. Daß der Dichter dies alles noch besser zu tun vermag als der Philosoph, ergibt sich für Novalis vor allem aber auch daraus, daß es allein die Kunst ist, die das Einzelne – und zwar gerade in seinem Bezug zum Ganzen (vgl. 2, 533/31) – zum Gegenstand machen kann im Gegensatz zur Philosophie, die stets nur auf das Allgemeine geht (vgl. 2, 193 f./276 u. 228/357). Daher hält Novalis auch Fichte vor, die Individualität mißverstanden, ihr »Geheimniß« nicht erkannt zu haben (3, 433/843) – und so einseitig geblieben zu sein. »Das Individuum lebt im Ganzen und das Ganze im Individuum« (2, 533/31). Das Individuum kann daher zum Symbol des Ganzen werden – und genau dies geschieht in der Kunst. »Durch Poesie entsteht die höchste Sympathie und Coactivität, die innigste G e m e i n s c h a f t des Endlichen und Unendlichen« (ebd.). Die nicht zu erschöpfende Bedeutungsfülle des Kunstwerkes wie seine Fähigkeit, einen langen Prozeß scheinbar zu einem Augenblick zusammenzuschmelzen, lassen in ihm das Ganze aufscheinen, ohne jedoch die Differenz, den Entzug aufzuheben. Genau so wenig aber, wie die Idee des Ganzen als Idee das Ziel des Hardenbergschen Konzeptes ist, sondern es eigentlich um das reale Ganze geht, darf nun bei der Kunst als einer bloß gleichsam universelleren (und aufs Einzelne gehenden) Reflexion13 stehengeblieben werden. »Halbe Theorie führt von der P r a x i s ab – Ganze zu ihr z u r ü c k« (3, 359/537). Es geht damit um wirkliche Praxis, letztlich um Moral. Dies zeigt sich bspw. bereits in Novalis’ Bestimmung des Glaubens als eines »Illudirens« (3, 372/601) bzw. als eines »Repraesentativen Glaubens« (3, 421/782), d. h. das Nicht-Gegenwärtige soll schon als gegenwärtig, das Ideal als erfüllt, vorgestellt werden – und so nach Novalis schon hier und jetzt praktische Wirksamkeit entfalten können. Die »Supposition des Ideals – des Gesuchten – ist die Methode es zu finden.« Der Übergang vom Philosophen zum Dichter, von der engeren Novalisschen Auseinandersetzung mit der Wissenschaftslehre Fichtes zum Enzyklopädieprojekt, besteht im Lichte dieses Gedankens in eben nichts anderem als der fiktiven Konstruktion aller möglichen Grenzbegriffe und Ideale, dem ewigen Frieden, der Magie, dem Stein der Weisen, dem Menstruum universalis etc. (vgl. 3, 420 f./782). 13

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»Wenn ein Mensch plötzlich wahrhaft glaubte – er sey moralisch so wird er es auch sein« (3, 373/603).14 Und das Medium der Dar- oder Herstellung dieses Als-ob ist natürlich kein anderes als die Poesie. Sie soll so die Last tragen, aus dem idealen Grund einen realen zu machen, aus dem Zweck einen Grund. Das Konzept des »repräsentativen Glaubens« ist damit sprechender Ausdruck eines von Novalis auch explizit formulierten Gedankens, der noch einmal sein Festhalten am All-Einheitsdenken anzeigt: »Zweck und Grund sind eins – nur jener heraus und dieser hineingesehen. A n f a n g u nd E nd e sind Eins. Ich kann den Grund im vorh e r i g e n oder n ac h h e r i g e n s u c h e n« (3, 401/701). VI. In dem Maße, wie die Kunst oder auch der »repräsentative Glauben« noch auf etwas Höheres, nämlich auf die Moral oder den »moralischen Glauben« (3, 286/260) bzw. »das Gewissen« (3, 448/934) verweisen, gilt es einen letzten Schritt zu unternehmen und die bisher hier entwickelte Novalis-Interpretation, die sich ausschließlich auf das Konzept einer unendlichen poetischen Annäherung festlegte, mit einer möglicherweise notwendigen Korrektur zu konfrontieren: in den Fichte-Studien heißt es nämlich vom »einfachen Wesen des Ich« bspw. eben auch: »Da unsre N at u r aber, oder die Fülle unsers Wesens unendlich ist, so können wir nicht i n d e r Z e it dieses Ziel erreichen – Da wir aber auch in einer Sfäre außer der Zeit sind, so müssen wir es da in jedem Augenblick erreichen, oder vielmehr, wenn wir wollen, in dieser Sfäre reine einfache Substanz seyn können. Hier ist Moralität und Beruhigung für den Geist, den ein endloses Streben ohne es zu erreichen, was ihm vorschwebt, unerträglich dünkt.« (2, 288/647) – Doch bevor wir uns dieser vielleicht alles entscheidenden Pointe bei Novalis zuwenden, bietet sich zur Schärfung der bisherigen Rekonstruktionsarbeit ein Vergleich mit der Grundstruktur des Jacobischen Konzeptes an. In den in den Horen veröffentlichen Briefen Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers findet sich Jacobis eigenes Lob der »Meinung«. Sie ist ihm – zunächst wie Novalis – das notwendige Komplement der Wahrheit; beide – Wahrheit und Meinung – beziehen sich wechselseitig aufeinander: »Alle Analoges gilt übrigens auch für die Philosophie: »Fichtens Forderung des Zugleich Denkens, Handelns und Beobachtens ist das Ideal des Philosophierens – und indem ich dies zu leisten suche – fange ich das Ideal an zu realisieren. […] Indem Fichte glaubt, daß er philosophiren kann, und diesem Glauben gemäß handelt f ä n g t e r a n zu philosophiren« (3, 373/603). 14

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Meinungen wurden im Schooße der Wahrheit empfangen; alle Wahrheiten im Schooße der Meinung« (WW I, 274). Die Meinung ist die Erscheinung der Wahrheit; die Wahrheit ist der Garant, die Kraft, die der Meinung ihre Rolle für das Leben gibt. Alle Beweise, alles Wissen gründet daher letztlich auf höchsten Grundsätzen, die nichts anderes sind als »bloße Machtsprüche, denen wir […] glauben«, auf »ursprünglichen, allgemeinen, unüberwindlichen Vorurtheilen«. Auch das »Gefühl unseres Daseyns« zählt Jacobi zu diesen Vorurteilen, ja es ist sogar das ursprünglichste, auf das alle anderen bezogen sind (WW I, 280). Meinungen sind also Erscheinungen der Wahrheit, ihr zwar nicht vollständiges und reines, dafür aber dem Menschen gerade angemessenes und mögliches Bild. Sie sind als Erscheinungen der Wahrheit ihr adäquatester individueller Ausdruck angesichts der Verhältnisse »gegen Gott, Welt und Mitmenschen«, die jeden Meinenden mitkonstituieren – ein Ausdruck, der daher durch die Veränderung der Umstände und Verhältnisse weniger adäquat, und in diesem Sinne ›falsch‹, 15 werden kann. Und Jacobi gibt sogar ein Kriterium an, wie man falschen von wahrem Glauben, solchen, der aus (nunmehr) willkürlichen Verknüpfungen entstand, von solchem, der wirklich »notwendiges Resultat der Verhältnisse« und damit zugleich der »Natur der Dinge gemäß« ist, unterscheiden können soll (WW I, 282 f.): durch »Zergliederung«, was auf den ersten Blick wohl heißt: Er muß sich bei der Analyse als logisch kohärent erweisen, seine Glieder müssen untereinander und damit zugleich mit dem ›ursprünglichsten Vorurteil‹, »Gewißheit unseres Daseyns« genannt (WW I, 280), zusammenstimmen. Nun ist es keineswegs Jacobis Absicht, substantielle Wahrheit, Wahrheit als Korrespondenz mit einem absolut Realen, durch Kohärenz zu ersetzen. Es gilt vielmehr der Vorrang des Gehaltes, des Stoffes, des Seins vor der Darstellung, der Form, dem Bewußtsein: »Eine Form und Gestalt müssen alle Dinge haben, und einem Dinge alle Gestalt nehmen, hieße so viel als es vernichten. Doch ist es nicht die Gestalt was die Sache hervorbringt, sondern es ist allemal die Sache, die irgend eine Gestalt nur annimmt«. – Aber auch Jacobi muß sich fragen lassen, was diese Behauptung zu mehr als einer bloßen Versicherung macht, zu mehr als einem Postulat des Vorranges des Realen wie bei Novalis, denn reflektiert man auf den eigenen Status dieser Aussage angesichts der von Jacobi der Meinung zugesprochenen Rolle, so scheint die Konsequenz letztlich wiederum die Verwandlung der TranszenWenn es auch an sich keine wirklich falsche Meinung geben kann (vgl. WW I, 286 ff.), da alles Ausdruck der Wahrheit ist. Falsch heißt also nur, nicht mit dem Kontext übereinzustimmen, fremd zu sein. 15

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denz in Immanenz, von Voraussetzung in Voraussetzung, von Meinung als dem vorgeblich intimsten Ausdruck der Wahrheit in bloße Meinung. Und mit dem von Jacobi noch gegebenen »Wink«, daß »aus unmittelbaren Eingebungen der Natur […] alles Dichten und Trachten der Menschen hervor[geht]« (WW I, 289), ist nicht mehr gewonnen als mit Novalis’ Festhalten am Gegebenen. – Und zeigt sich nicht ganz und gar auch noch, daß angesichts solcher Vorstellungen, wie, daß die Wahrheit in allem, in allen Meinungen wirkt, daß das immer Gleiche im bloß Zufälligen als Verschiedenes erscheint, die Struktur bei Jacobi ebenso diejenige des All-Einheitsdenkens ist, wir uns noch immer im Paradigma ›Spinoza‹ befinden (vgl. WW I, 285 f.)? Eine ähnliche Konstellation findet sich auch in Jacobis David Hume. Da Bewußtsein als Aktivität verstanden wird, ist für es nur dasjenige, was es selbst hervorbringt; für alle Erkenntnis gilt, »daß sie nicht durch die Sinne gegeben, sondern allein durch das lebendige und thätige Vermögen der Seele bewürkt werden könne« (JWA 2, 91). Doch muß dem Bewußtsein – wie bei Novalis – wenigstens sein Was, sein Stoff gegeben werden, gegeben werden durch Sinne und Gefühl. Und auch im Fichte-Brief hält Jacobi an der Bedeutung der Aktivität des Bewußtseins fest und spricht daher nicht nur von der Vernunft als dem Vermögen des Vernehmens des Wahren, sondern als dem »Vermögen der Vor au s s e t z u n g des Wahren«.16 In der Schrift Ueber eine Weissagung Lichtenbergs könnte sogar der Eindruck entstehen, daß das Gegebene auch bei Jacobi nur als Präsenz des Entzuges da ist – Zitat: »Nur wer auszulegen weiß verstehet. Immer ist etwas zwischen uns und dem wahren Wesen: Gefühl, Bild, oder Wort. Wir sehen überall nur ein Verborgenes; aber, als ein Verborgenes, sehen wir und s pü r e n wir dasselbe.« (JWA 3, 14) Um beide Gedanken – Aktivität und Passivität, d. i. Angewiesenheit auf Gegebenes – vereinigen zu können, ersetzt Jacobi indes schon im David Hume die Vorstellung einer vorgängigen Bewußtseinsimmanenz mit anschließendem Rückschluß auf das Gegebene, das bewußtseinstranszendente Reale, durch eine unmittelbare Begegnung, ein Zugleich von »innerem Bewußtseyn und äusserlichem Gegenstand« »in der Seele« (JWA 2, 38) – und weiß auch, daß er damit etwas wahrhaft Wunderbares gesagt, eine »wa h r h a f t w u nd e rb a r e« »Offenbarung« behauptet hat (JWA 2, 32). – Ebenso treten zudem Symbol und Handlung ins Mittel, doch mit einer noch ungleich radikaleren Intention als der bisher bei Novalis beobachteten. Es geht um die gänzliche Sprengung des Immanenzmodells selbst. Wenn das vorauszusetzende Reale, Wahre, als Vorausgesetztes, d. i. als gedachter Grund und 16

JWA 2, 208. – Hervorhebung von mir, O. K.

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gedachte Einheit, verfehlt wird, muß diese ganze Logik transzendiert werden – schon die Rede von der »wahrhaft wunderbaren« »Offenbarung« war Indiz dieses Anliegens. Hierzu zählt auch das kräftigste ›Anthropomorphisieren‹, 17 das zur Beschreibung des Verhältnisses von Unbedingtem und Bedingtem, Unendlichem und Endlichem, Einem und Vielem verwendet wird. Doch die Frage an Jacobi steht auch hier noch immer: reden wir dabei wirklich von dem, von dem wir zu reden meinen; oder verwandeln sich die Worte nicht doch wieder unter der Hand zu einem bloß negativen Bezug, zu einem Postulat, zu Nichts? Jacobi meint in der Tat, daß wir diese Rede als eine Rede von einem wirklich transzendenten Realen verstehen, wenn wir – oder besser: weil wir – wie es im David Hume heißt – auch »h a nd e l n« können (JWA 2, 53). In der Erfahrung des eigenen persönlichen Handelns, das vor allem ein moralisches Handeln und intimst mit Phänomenen wie dem des Gewissens oder dem Vermögen des Freundschafthaltens sowie des Versprechengebens und -vertrauens verbunden ist, sei uns ein Selbst- und Weltbezug gegeben, der mit All-Einheit und einer ›Logik des Grundes‹ nichts zu tun hat, der damit selbst das Wunderbare und Geheimnisvolle ist und doch zugleich, wie jeder an sich erfahren könne, nicht weniger Realität besitzt; 18 ja, wie Jacobi meint, ist er sogar das Realste überhaupt. Dieses als real von uns erfahrene Wunderbare ist so Ausgangspunkt und Garant einer anderen Weltauffassung, einer neuen Metaphysik, einer alternativen ›Logik‹, d. i. einer ›Logik der Ursache‹, die eine ›Logik des Zweckes‹ ist. –

»Hat er [Gott] mich mit Händen gemacht, dieser Geist und Gott? Dem Frager mit diesen Worten antwortet die Vernunft, ein festes Ja! Denn hier, wo jeder, auch der entfernteste Versuch, durch Analogien einer wirklichen Einsicht näher zu kommen, dem Irrthum entgegen schreitet, ist der hart anthropomorphisirende Ausdruck, als offenbar symbolisch, der Vernunft – die entgegengesetzte Wirkungsarten nie kann assimiliren wollen – der liebste. Nie habe ich begreifen können, wie eine maschinistische Vorstellungsart der Schöpfung – das ist der Möglichkeit des Weltalls – vernünftiger, erhabener, dem höchsten Wesen, das wir alle, auf irgend eine Weise, vorauszusetzen genöthigt sind, annähernder, als eine anthropomorphistische seyn sollte« (WW I, 250 f.). 18 Vgl. »Ich liebe den Spinoza, weil er, mehr als irgend ein andrer Philosoph, zu der vollkommenen Ueberzeugung mich geleitet hat, daß sich gewisse Dinge nicht entwickeln lassen: vor denen man darum die Augen nicht zudrücken muß, sondern sie nehmen, so wie man sie findet. Ich habe keinen Begriff der inniger, als der von den Endursachen wäre; keine lebendigere Ueberzeugung, als daß ich thue was ich denke; anstatt, daß ich nur denken sollte was ich thue. Freylich muß ich dabey eine Quelle des Denkens und Handelns annehmen, die mir durchaus unerklärlich bleibt.« JWA 1, 28) 17

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Auch Novalis war es um eine ›neue Logik‹, zumindest um eine Aufhebung der Logik gegangen, ebenso unter dem Stichwort des ›Zweckes‹ (3, 418 f./775 u. 570/101). Allein ihm verschmolzen Grund und Zweck dann doch wieder, indem er sie an sich für ein und dasselbe erklärte. Eben darum wird bei Novalis auch die Gattung wieder zum eigentlichen Handlungsträger; und eben darum finden wir bei ihm eine Kritik an einer Grundsatz- bzw. einer als vollendbar gedachten Systemphilosophie bei gleichzeitigem Festhalten an der Idee von All-Einheit und Systemphilosophie überhaupt, während bei Jacobi Kritik an Grundsatzphilosophie und am All-Einheitsparadigma nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Im übrigen war die unphilosophische Logik Jacobis auch jederzeit in den oben referierten Überlegungen zur Rolle der Meinung präsent, denn sie bestimmte schon den Aufhänger der gesamten Betrachtungen: Thema dieses Briefes ist nämlich die »Macht der Meinung«, ihre Rolle in unseren Daseinsvollzügen; die Logik des Grundes ist damit hier von vornherein schon unter die Perspektive der Ursache gestellt. Es geht nicht allein um die Frage, wie Beweise und Urteile begründet sind, sondern immer auch darum, wie sie für uns handlungsleitend werden können. Oder genauer: die erste Frage weist für Jacobi selbst immer schon auf die zweite; und damit auf den Begriff des »Daseyns« und der »Person«, der konkreten zeitlich verfaßten Person (WW I, 276 f.). Diese ist erst das »lebendige Leben«, das in einem die Aktivität der Seele, die durch Wahrnehmung und Gefühl gegebene »Anregung von außen«, den Stoff gleichsam, und zudem eine Anwendung bzw. Gebrauch, einen »Gegenstand, Zweck und Inhalt« des Lebens vereint. Mit dem Verweis auf das Dasein als ursprünglichster Meinung war also bereits das Modell gesprengt und eine ganz andere Struktur eröffnet als die von Novalis, Fichte und Spinoza. Die Gewißheit der Meinungen ist auf die Gewißheit des konkreten persönlichen Daseins (vgl. WW I, 280) – nicht eines unpersönlichen Selbsts/Ichs/Seins etc. – zurückgekommen, Grund auf Ursache, Wissen auf moralisches Handeln. »Zusammenstimmen« mit dem »Daseyn« und ›logische Kohärenz‹ könnten damit verschiedener nicht sein. –

VII. Auch Novalis war zuletzt auf moralisches Handeln und moralische Gewißheit gekommen. »Die höchste Filosofie ist Ethik« (2, 267/556) können wir bei ihm 1796 ebenso lesen wie um 1800: »Das System der Moral hat große Anwartschaft auch das einzigmögliche System der Philosophie zu seyn« (3, 666/605). Das Gewissen ist »der ächte D iv i n at io n s s i n n« (3, 250/61), die

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»Übergangsmöglichkeit mit einer andern Welt« (3, 448/934), auch ausdrücklich der »Sinn für D a s e y n« (3, 250/61). Und »Daseyn« meint durchaus auch das Dasein eines »schätzenswerthen Mannes«, denn das »Handeln nach Grundsätzen« ist für Novalis nur »der Beschaffenheit der Seele wegen, die es voraussetzt«, »schätzenswerth«. »Wer nach Grundsätzen handeln kann, muß ein schätzenswerther Mann seyn – aber seine Grundsätze machen ihn nicht dazu, sondern nur das, was sie bey ihm sind – Begriffe seiner wircklichen Handlungsweise – Denkformen seines Seyns« (2, 258 f./497). Novalis weiß ebenso wie Jacobi von der absoluten Differenz, die zwischen dieser eigentlichen moralischen Praxis und der Theorie, auch der Theorie der Praxis – zwischen Unbedingtem und Bedingtem – besteht. Die Vorstellung des Gesetzescharakters in der Moral, d. i. das Handeln aus Grundsätzen, gehört schon zur bloß theoretischen Praxis (2, 147 f./88 f.), die ihren unverfüglichen Grund im wirklichen Handeln des ›schätzenswerten‹ Mannes hat. Wie aber bei den epistemologischen Überlegungen des Anfangs die ›JacobiSeite‹ in Novalis, die dort in der notwendigen Gegebenheit des Stoffs durchs Gefühl bestehen sollte, sich aufzulösen begann, so bewirkt die Struktur des ›ordo inversus‹ auch hier letztendlich eine gravierende Verschiebung dessen, was noch unter Moral verstanden werden kann. Das praktische Ich tritt ein in ein Wechselverhältnis mit dem theoretischen (2, 151/99 u. 3, 361 f./552) und wird schließlich von einem präsenten realen zu einem zu erstrebenden und nur approximando realisierbaren. Zwar ist »Moralität Kern unseres Daseyns«, doch für uns ist Moralität zunächst das »Streben«, »immer mehr zu Seyn« (2, 266 f./556). In diesem Sinne ist Gott weder frei noch moralisch (2, 143/121 u. 126). Die Differenz zu Jacobi war indes bereits im scheinbar noch Gemeinsamen verborgen – also gleichsam noch vor dem Wirken des ›ordo inversus‹ präsent. Die »wirkliche Handlungsweise des schätzenswerten Mannes« ist für Novalis grundlegend nur wegen ihrer Wirklichkeit; ihre Zeitlichkeit und Konkretheit scheint dagegen nur lästiges Akzidenz. »In der Tugend verschwindet die lokale und temporelle Personalität. Der Tugendhafte ist als solcher kein historisches Individuum – Es ist Gott selbst« (3, 670/610). – Kehren wir nun ganz zuletzt noch einmal kurz zu Novalis’ ›Entzücken‹ über Jacobis Fichte-Brief zurück. Welchen Grund des ›Entzückens‹ konnte Novalis nach all dem Gesagten nun wirklich haben? Wir haben gesehen, daß er sicherlich nicht in den je eigenen positiven Philosophiekonzepten begründet lag, nicht in einer Übereinstimmung von »Unphilosophie« und »Höherer Wissenschaftslehre«. In dem Maße, wie Novalis Jacobi als »transzendenten Empiristen« verstand oder mißverstand, muß es sich in seinen Augen Jacobi viel zu leicht gemacht haben, hat sich dieser augenscheinlich bei viel zu vielen

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Vorurteilen einfach beruhigt. Es geht Novalis zwar um eine Verbesserung Fichtes durch Ernstnehmen von Motiven, die auch Motive Jacobis sind – ebenso wie Fichte bereits Kant mit Rekurs auf Jacobi überbot –, doch bleibt es eine Verbesserung in der von Fichte vorbereiteten Sphäre selbst. Für Novalis affirmierbar ist demnach Jacobis Fichte-Lob ebenso wie einzelne seiner ›unphilosophischen‹ Motive, nicht aber sein Konzept als Ganzes. – Und wie würde wohl Jacobi umgekehrt über Novalis geurteilt haben? Wahrscheinlich ähnlich wie über Kant: Er ist wenigstens der »Vornehmere« (JWA 2, 192) im Vergleich zu Fichte.

VI. EINE VERÄNDERTE ANSICHT DES LOGISCHEN. VERSIONEN DES IDEALISMUS

Modifik ationen des Spinozismus. Jacobi und der spätere Fichte über Erkenntnis und Freiheit im Anschluss an die »Ethik« von Ulrich Schlösser

I. Jacobis Spinoza 1. Nach Jacobi kann sich zwischen der Tatsache, daß ich von etwas eine lebendige Überzeugung habe, und der Möglichkeit, es zu wissen, ein Abgrund auftun. So kann ich von demjenigen, auf das ich mein Handeln letzthin ausrichte (JWA 2, 210, 218), von meinem unmittelbaren Bezug nicht auf Empfindungen, sondern auf wirkliche Gegenstände, von dem Du, dem ich von ihnen Mitteilung mache und das in seiner Gegenwart Ansprüche an mich stellt 1 und auch von mir selbst und von meiner Freiheit, 2 d. h. der Möglichkeit, selbst eine Handlung vollziehen zu können, nicht wirklich etwas wissen, sofern wissen heißt, etwas in die Kette der Bedingungen einzuordnen und darin entweder unter notwendige Gesetze zu subsumieren oder in seiner funktionalen Rolle für ein System durchsichtig zu machen. Denn betrachte ich z. B. einen mir letzten und damit für mich unhintergehbaren Zweck oder auch meine Selbsttätigkeit darin, ihn anzustreben, so ist unmittelbar deutlich, daß die Angabe von Bedingungen oder Kontexten das Gesuchte als solches entweder verstellt oder zumindest nichts zu seinem Verständnis beiträgt. Um ein weiteres Beispiel aufzunehmen: Die Annahme, auf wirkliche Gegenstände bezogen zu sein, wird stets im Ganzen schon vorausgesetzt und nur durch die Wirklichkeit des Gegenstands selbst beglaubigt, nicht aber durch Überlegungen, die eine Kette von Verhältnissen oder eine Auflistung bestimmter Kontexte erst zu durchlaufen hätten. Diese aus Jacobi gewonnene Eingangsthese stellt nun nicht nur für sich betrachtet eine Herausforderung dar. Wenn sie zutrifft, trübt sich auch die 1 2

163 f.

Zu beiden letzten Stichpunkten: Jacobi, David Hume, JWA 2, 36–38. Jacobi, Über die Freiheit des Menschen (besonders XXVI–XXVII); JWA 1,

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Aussicht, zu so etwas wie einem einheitlichen Gesamtzusammenhang in unseren Überzeugungen gelangen zu können. Daß wir bei der Suche nach diesem Zusammenhang stets auf die eine Seite der genannten Dichotomie gezogen werden, zeigt sich in Jacobis Augen noch deutlicher, wenn wir das Bild der Welt betrachten, auf das die Annahme, ein solcher Zusammenhang sei berechtigt möglich, führt. Zunächst muß, als eine notwendige Bedingung, gewährleistet sein, daß die Wirklichkeit, in Bezug auf die ich etwas zu erkennen beanspruche, oder – wie wir in Jacobis Diktion formulieren dürfen – das Sein, nicht seinerseits in zusammenhanglose Teile zerfällt, sondern wesentlich Eines und als solches umfassend ist. Es muß also in spezifischer Weise als ein Ganzes (JWA 1, 96) auftreten und kann gerade deshalb als weitester Bezugsrahmen unserer wahren Zuschreibungen fungieren. Darin liegt nun weiterhin, daß es nicht von außen beeinflußt oder modifiziert werden kann. Und es wird angenommen, daß es nicht durch eine Kraft oder ein ihm vorgängiges Denken bewirkt oder auf eine noch grundlegendere Realität, der es selbst zugeschrieben würde, zurückgeführt werden kann (JWA 1, 59 f., 98). Von Wirkungen sagen wir, daß sie in ihm stattfinden, während wir zugleich annehmen, daß es selbst in seinem Wirklichsein, wenn schon nicht hinsichtlich des Einzelnen in ihm, keinem Wandel unterliegt. Und vor diesem Hintergrund muß von dem Einzelnen dann gelten, daß es in einer intelligiblen und in Schritten aufzuschlüsselnden Ordnung von Abfolge und Kopräsenz steht, denn ein Erkennen, das auf einen Zusammenhang der Überzeugungen zielt, kann nicht darin bestehen, etwas nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern muß dieses in seinem Entstehen nachvollziehen können; denn nur dann kann das Erkennen zu den Vermittlungen gelangen, die den Zusammenhang stiften können. Diese Ausgangsannahmen zeitigen weitere Folgerungen: So dürfen beide, das für sich betrachtet unwandelbare Sein und der Ordnungszusammenhang der sich wandelnden Einzeldinge, auch selbst nicht als voneinander getrennt und insbesondere der letztere gegenüber dem ersteren nicht als selbständig gedacht werden. Denn wenn die Ordnung der Abfolge als selbständig gedacht würde, wäre sie entweder nicht wirklich oder als so etwas wie eine »zweite Realität« angenommen – oder es müßte einen Übergang von dem Sein zu ihr geben. Dies ist aber nach der Jacobischen Darlegung im Schreiben an Mendelssohn unmöglich: »das Bestehende in sich selbst, das Ewig-Unveränderliche, das Beharrende im Wandelbaren, wenn es je, ohne Wandelbares, für sich allein gewesen wäre, würde nie ein Werden hervorgebracht haben, weder in sich noch außer sich, indem beydes auf gleiche Weise ein Entstehen aus dem Nichts voraussetzt.« (JWA 1, 93 f.) Und hierin liegt: Wenn ein Gesamtzusammenhang in unseren Überzeugungen möglich ist, so sind

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die Gegenstände, auf die sich die Überzeugungen beziehen, in zumindest zweifacher Weise relationiert: Einerseits sind sie auf ihre Vorbedingungen und Folgezustände in der Ordnung der Abfolge bezogen und durch diese vermittelt. Andererseits ist jenes Ganze des Seins, das, weil es umfassend ist, auf sich selbst beruht, in jedem Einzelnen in der Ordnung und nicht jenseits von ihm, unmittelbar gegenwärtig. Oder anders formuliert: Alles gehört dem Ausdruck des Seins an. Bedenken wir nun noch, daß auch das Erkennen selbst nicht die Grenze der Wirklichkeit bildet, sondern ihr selbst zugehört und damit nach der soeben angestellten Überlegung den Ordnungszusammenhang nicht nur abbilden, sondern ihm zugleich auch selbst unterliegen muß, so ergibt sich ein erster Durchblick zu Jacobis These, daß die Annahme eines Zusammenhanges in den Überzeugungen – wir können jetzt auch mit Jacobi von einer »Philosophie aus einem Stück« sprechen – auf einen Spinozismus führt. Denn wir befinden uns schon in unmittelbarer Nähe zu dem spinozanischen Gedanken von der einen Substanz, die eine causa sui ist und durch die einander entsprechenden Ordnungen der ausgedehnten Dinge und des erkennenden Denkens als ihren eigenen Attributen bestimmt wird, zugleich aber in jenen stets so enthalten ist, wie diese und das, was ihnen unterliegt, ihr immanent sind. In unserer Überlegung ist aber noch nicht deutlich, inwiefern die eine Seite der Ordnungsverhältnisse innerhalb des entworfenen Bildes nicht nur, gleich dem Ausgedehnten, ein Geschehen ist, sondern als wahrheitsfähiger Bezug interpretiert werden kann und wie dies in einer Vertiefung des Bezuges zu Spinoza durchzuführen ist, der Erkennen und Ausgedehntes einander parallel ordnet und nicht zu einer Reduktion im Sinne eines idealistischen oder naturalistischen Standpunktes tendiert, die beide Perspektiven in eine Ordnungsreihe auflöst. Erst dann wird deutlich, inwiefern die Annahme der Einheit unserer Überzeugungen, indem sie mit dem Weltbild des Spinozismus assoziiert wird, in Jacobis Augen diskreditiert sein soll – was wiederum zu der These von der Heterogenität der Überzeugungen zurückführt.

2. Zunächst gilt, daß unser Einsehen primär begrifflich und damit als Form des Denkens zu verstehen ist. Ein begriffliches Einsehen zerfällt wiederum in das, was das Denken für sich genommen ausmacht, d. i. die logische Form, und die kontingente Relation zu einem Gehalt, kraft deren es seine Bestimmtheit erhält. Nun ist nach Jacobi zu bedenken, daß das Unterhalten

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gerade dieses Begriffes und der Begriff selbst nicht nur nicht bewirken, daß ein Gegenstand so ist und nicht anders. Wir bringen auch den bestimmten Begriff nicht hervor, insofern er die Relation zu einem Inhalt enthält, den wir mit dem einzelnen Vollzugsfall eines Gedankens nicht allererst schaffen. Andererseits kann ein Gegenstand in seiner Form als Inhalt betrachtet weder das Nachdenken ursächlich herbeiführen, noch bewirken, daß wir diesen Begriff denken und nicht einen anderen (JWA 1, 60 f., 104). Mit anderen Worten: Begriffliches Denken ist nach der Seite des Gehaltes objektiv; deshalb können wir uns über unsere Gedanken austauschen. Zugleich ist es aber doch – und dies muß im Folgenden noch genauer erkundet werden – das Denkende, welches nachdenkt. Wenn die Gedanken aber objektiv sind, so heißt dies nicht nur, daß unser Denken nicht aus dem Vermögen der Einbildung hervorgegangen sein oder in einer von uns im Falle des Nachdenkens willkürlich durchgeführten Konstruktion der Gehalte bestehen kann. Gefordert ist vielmehr, daß die Abfolge der Gedanken durch eine zweite Instanz ergänzt wird, die die Unabhängigkeit der Gehalte gewährt. Und hier kann Jacobi auf das Vermögen der Rezeptivität unseres dem Denken korrespondierenden Leibes zurückgreifen, denn diese scheint ja auf alle Fälle selbst mit etwas Unabhängigem durch ihren Bezug verbunden. – Man sieht deutlich, wie sich an diesem Punkt Jacobis auf Spinoza ausgerichtete Überlegung mit seinen Thesen im David Hume berührt; denn wir befinden uns hier im Umfeld des Begriffs des »Sinnes« (JWA 2, 67 ff.), der nicht nur für Vernünftigkeit, sondern für die Einheit von Bedeutungsgehalt und Erfahrbarkeit steht. Dieses empiristische Sinnkriterium ist nun nach Jacobi gerade nicht in einer Weise restriktiv, die in einen Skeptizismus führen könnte. So ist in ihm die Annahme der notwendigen Geltung der Kausalrelation nicht vor, sondern in der Erfahrung enthalten: 3 Denn wenn die Gedanken nur dann einen objektiven Gehalt haben, insofern sie mit einer Erfahrung verbunden sind, so ist damit ipso facto auch ein Verhältnis äußerer Gegenstände, darunter mein Leib, und eine Wirkungsrelation zwischen ihnen gesetzt. Und es kann hier nicht argumentiert werden, daß diese Relation nur meinen Bezug auf die Gegenstände, nicht aber deren Beziehung untereinander betrifft, denn mein Leib gehört in einer auf keine Art ausgezeichneten Weise dem Ordnungszusammenhang der Dinge an. Diese bis jetzt noch in einer relativ allgemeinen Form gehaltene Überlegung differenziert Jacobi dann in nunmehr engerer Anbindung an den historischen Spinoza weiter aus und spitzt sie damit noch zu. Ein Schlüssel dazu gibt uns jene Unterscheidung an die Hand, die Jacobi als die zwischen direk3

Dies ist eine Implikation der Deduktionsskizze im David Hume, JWA 2, 57 ff.

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ten, bzw. unmittelbaren und indirekten Begriffen wiedergibt: »Der unmittelbare, directe Begriff eines würklich vorhandenen einzelnen Dinges, wird der Geist, die Seele (mens) desselben einzelnen Dinges genannt; das einzelne Ding selbst, als der unmittelbare directe Gegenstand eines solchen Begriffes, heißt der Leib.« Unter Verwendung der hier eingeführten Terminologie wird dann geltend gemacht: »Hingegen kann die Seele auch ihren Leib nicht gewahr werden, sie weiß nicht, daß er da ist, und erkennet auch sich selbst nicht anders, als mittels der Beschaffenheiten, die der Leib von Dingen, die sich ausser ihm befinden, annimmt, und mittels der Begriffe von denselben.« (JWA 1, 106) Bedenken wir, daß Jacobi sich mit der Rede von Seele und Leib an dem Fall geistiger Wesen orientiert und nehmen wir seine akzentuiert gesetzte Verwendung des Begriffs »Begriff« (als Übersetzung von »idea«) ernst. Dann ergibt sich in unserem Kontext wiederum die Frage, was wir über die Bedingungen des Gehalts dieses Begriffstyps erfahren: Wir müssen beachten, daß, wenn nur ein direkter Begriff und sein Bezug isoliert gegeben wären, nach dem zweiten Zitat dem Begriff zufolge nicht nur nicht klar wäre, ob tatsächlich ein Gegenstand unter ihn fällt. Folgen wir der Gleichsetzung von Seele und dem, was sie gewahr wird, mit dem Begriff und seinen Gehalten, so wird deutlich, daß dieser direkte Begriff auch nicht einen Gehalt hat, der nur unterbestimmt wäre, sondern für sich genommen inhaltsleer ist und allenfalls zu einem Schnittpunkt unterschiedlicher Beziehungen anderer Begriffe werden kann. Mehrere Fälle direkten Bezuges können diese inhaltliche Auffüllung nicht leisten, weil für alle dasselbe gilt. Damit zeigt sich deutlich, daß auch direkte Begriffe paradoxerweise nur dann sinnvoll sind, wenn die Anwendungsbedingungen indirekter Begriffe erfüllt sind, was selbst wieder an die Bedingung gebunden ist, daß ihr Gegenstand entweder auf den Leib wirkt oder auf einen Gegenstand, der auf ihn wirkt. Indem der unmittelbare Gegenstand für den direkten Begriff durch die Einwirkung zugleich wirklich und zugänglich wird, haben wir es auch hier mit einem objektiven Gehalt zu tun. Beide Begriffsarten haben also nur dann einen Gehalt, wenn in der Welt geeignete Wirkungsverhältnisse vorliegen und eine Verkörperung gegeben ist. Trotz dieser Kontextualisierung dürfen wir aber weder annehmen, der Gehalt könnte in einer Input-Outputanalyse vollständig festgelegt werden oder das betrachtete Wesen wäre gar ein dem entsprechender Automat: Das Zweite gilt nicht – und dies ist für uns entscheidend – wegen der oben formulierten Unabhängigkeitsbedingung, derzufolge Begriffe zwar nur unter dem geeigneten äußeren Wirkungsverhältnis gehaltvoll, durch dieses aber nicht verursacht sind. Suchen wir nach deren Ursache, so müssen wir uns in

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derselben Sphäre bewegen. Dies heißt aber nichts anderes, als daß wir durch andere Begriffe auf einen Gedanken geführt werden, die dann wiederum nur in Bezug auf ein ihnen entsprechendes Einwirkungsverhältnis und ihnen gegebene Gegenstände sinnvoll sind. Dies führt uns zu dem präzisen Sinn der noch ausstehenden spinozanischen These vom Denken und Ausgedehnten als zwei parallel laufenden Prozessen: Nicht nur steht der Gegenstand in einem Geflecht von Wirkungsbeziehungen zu anderen. Der Begriff der Sache muß diese Wirkungsbeziehungen zu anderen auch enthalten, was zu reziproken begrifflichen Beziehungen der ihnen entsprechenden Gedanken führt. Und diese begrifflichen Beziehungen sind selbst genau wie im Ausgedehnten wiederum Wirkungsbeziehungen, die die anderen Gedanken und Begriffe herbeiführen. Erst mit diesem letzten Schritt wird die Parallelität vollständig. Dieser Parallelismus wird im übrigen nicht durch die Rückbindung des Gehaltes an eine Einwirkung durch einen von meinem verschiedenen Körper gefährdet, denn der Differenz der Körper entspricht jene ihrer Begriffe, so daß nicht ausgeschlossen ist, daß auch jener Körper wiederum mit seinem Begriff zusammenfällt. Die parallele Struktur im Ausgedehnten sichert dann ab, daß es dieser Begriff ist, der von mir unterhalten wird. Und von einer Differenz zwischen dem Begriff und seinem Unterhaltenwerden muß ich ausgehen, weil sonst nicht deutlich werden kann, wie ein Begriff von mehreren Einzelnen gedacht, d. i. in ihren direkten Begriffen als anderes enthalten sein kann. 3. Mit der Rekonstruktion dieser Vermittlungsstruktur im Denken ist aber Jacobi nicht nur ein vertiefter Blick auf die »Philosophie aus einem Stück« gelungen; er hat auch die Basis für seine Kritik an ihr in dem ersten der Briefe an Moses Mendelssohn gelegt. Denn hier zieht Jacobi die problematischen Konsequenzen, die sich aus diesen Überlegungen für das Weltbild ergeben. In der zentralen Passage expliziert Jacobi, warum die vorgetragenen Überlegungen die Annahme eines intelligenten Wesens im Grund der Welt ausschließen: »Diese inwohnende unendliche Ursache hat, als solche, explicite, weder Verstand noch Willen, weil sie, ihrer transcendentalen Einheit und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge keinen Gegenstand des Denkens und des Wollens haben kann, und ein Vermögen einen Begriff vor d e m B e g r i f f e hervorzubringen, oder einen Begriff der vor seinem Gegenstande und die vol l s t ä nd i g e U r s ac h e s e i n e r s e lb s t wäre, so wie auch ein Wille, der das Wollen würkte und du rc h au s sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge sind.« (JWA 1, 19)

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In Anschluß an eine Überlegung, die geltend macht, daß eine Reihe von Wirkungen stets unendlich sein muß, fügt Jacobi dann noch einmal zu demselben Thema hinzu: »Und daraus folgt dann wieder, daß da jeder einzelne Begriff aus einem anderen einzelnen Begriff entspringen, und sich auf einen w ü rk l i c h vorh a nd e n e n G e g e n s t a nd u n m it t e lb a r beziehen muß, daß in der ersten Ursache, die unendlicher Natur ist, weder einzelne Gedanken, noch einzelne Bestimmungen des Willens – sondern nur der innere, erste allgemeine Urstoff davon angetroffen werden kann«. (JWA 1, 19) Konzentrieren wir uns auf die Bestimmung des Verstandes und nicht die des Willens, so ergibt sich als erstes Argument, daß die »unendliche Ursache«, d. h. das schrankenlose Sein, das nicht mit einem Einzelnen in ihm verwechselt werden darf, deshalb über keinen Verstand verfügt, weil es gerade aufgrund seiner Schrankenlosigkeit »keinen Gegenstand des Denkens« haben kann. Und von diesem Gegenstand erfahren wir dann in dem zweiten Zitat, daß auf ihn »unmittelbar« ein Bezug erfolgt sein muß. Haben wir es aber mit einem Fall unmittelbaren Bezugs zu tun, so heißt dies, daß jenem Denken die Verkörperung in einem bestimmten Einzelnen, das in Relationen zu anderen steht, fehlt. Da dies aber eine Bedingung des Gehalts von konkreten Gedanken war, folgt, daß jene Ursache nur über den »Urstoff« des Denkens, nicht aber über einzelne Gedanken verfügen kann. Und es hilft hier nicht, anzunehmen, das Ganze der Wirklichkeit entspräche diesem Denken. Denn dann wäre dieses sein direkter Gegenstand. Direkt bezogene Begriffe haben aber nur dann einen Gehalt, wenn die Erfüllungsbedingungen indirekter Begriffsverwendung, d. i. äußere Einwirkungen, gewährt sind, was bei dem umfassenden Sein gerade nicht der Fall sein kann. Aus denselben Gründen könnte auch ein Gott vor der Schöpfung der Welt keine konkreten Gedanken unterhalten. Und schließlich kann auch die Realität der Begriffe im Denken nicht erklärt werden, denn mit der Ablösung des Begriffs von seinem Gegenstand wird der Begriff aufgrund der Parallelanordnung auch aus der Kette der Gedanken herausgelöst, die ihn als Wirkungszusammenhang aber doch erst herbeiführen soll. Jacobis Vorbehalte erschöpfen sich aber nicht in dem Nachweis, daß es in diesem System der Einheit keine göttlichen Gedanken geben kann, es sei denn in Bezug auf die stets verwirklichte Welt. Er will – zweitens – nachweisen, daß in strenger Konsequenz auch der Begriff des Endzwecks seine Anwendbarkeit verliert, und zwar sowohl als Zweck in der Natur wie als Zweck, den wir Menschen verfolgen (JWA 1, 19 f.). Das Erste ist der Fall, weil es keinen göttlichen Verstand gibt, der die Zwecke setzen könnte. Das Zweite ist der Fall, weil auch der gedachte Zweck ein Begriff ist, von dem man zwar annehmen könnte, daß er durch einen Denkmechanismus bewirkt

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ist, dessen Bedeutung aber nicht durch die Wirkungsverhältnisse der schon wirklichen Gegenstände abgesichert ist. Nicht nur die Annahme eines letzten Zweckes, wie zu Beginn angenommen, sondern schon die Annahme der Zwecke als solcher fällt also aus der Ordnung des Verstehbaren hinaus. Dies führt auf die Annahme, das Wirkliche sei allein ein einheitlicher Kausalzusammenhang. Insofern ich diesem angehöre, verliert – drittens – nicht nur das Bild von mir selbst als frei (JWA 1, 21 f.) und damit auch das von einem Du, bei dem ich dasselbe in einem Gegenüber annehme, an Geltung, sondern auch meine Orientierung an Zwecken wird zu einer nur subjektiven Perspektive auf die Realität meines kausal bestimmten Lebens. Was wir erhalten, ist das Bild eines einigen Seins, das in einer kausalen Ordnung besteht. Diese Ordnung geht nicht aus dem Sein erst hervor und ist insofern immer schon gegenwärtig. Sie zeitigt die Abfolge des Einzelnen und stets und nur zugleich mit diesem auch der Gedanken, entsteht aber selbst in keiner Weise aus einem Denken. »Der B l i nd e«, so Jacobi, »gehet voran, weiset den Weg, und der S e h e nd e folgt«. 4 Ist es nun aber dieses Bild, das mit der Einheit unserer Erkenntnisansprüche wirkungsmächtig assoziiert ist und das diese auch in ihrem Anspruch, objektiv gehaltvoll und gültig zu sein, zu rekonstruieren erlaubt, so wird damit die eingangs erwähnte Dichotomie nur noch deutlicher, und für unsere lebendigen Überzeugungen und ihren Gehalt ist noch weniger Raum als bisher. Und dem stellt Jacobi nun seine Parteinahme für diese Überzeugungen gegenüber – und zwar so, daß dieser Standpunkt nicht nur im Absprung von Spinoza gewonnen, sondern auch als intern fragmentiert anerkannt wird.

II. Fichtes spätere Wissenschaftslehre als modifizierter Spinozismus Es ist offensichtlich, daß diese Analyse nicht nur bei Denkern, die das überkommene theologische Bild der Wirklichkeit und der Stellung des Menschen in ihr mit dem Anspruch der Vernunft versöhnen wollen, Anstoß erregen mußte, sondern auch bei einem Systematiker des Wissens – und zwar insbesondere dann, wenn er ineins damit auch Theoretiker der Freiheit sein will, wie es bei Johann Gottlieb Fichte der Fall ist. Für den Anspruch des Wissens ist es nun aber bezeichnend, daß wir möglicherweise im Leben, keinesfalls aber im Nachdenken aus ihm herausgelangen können. Das Nachdenken ist intern durchgängig auf den Wissensanspruch bezogen. Und hierin liegt unter anderem: Auch das, was ich in einer erfolg4

So Jacobi in der Beilage II des Sendschreibens an Fichte, GA III/3, 260.

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reichen Betrachtung des Wissens selbst aktualisiere, ist nur ein Fall eben desselben. Diese Tatsache muß in das Nachdenken über das Wissen mit einbezogen werden können, was nur dann möglich ist, wenn man dem Wissen, das Objekt der Betrachtung ist, bereits eine reflektierende Struktur zuschreibt. Dies erfolgt nicht, um ein letztes Begründen zu erzielen, sondern um über die Möglichkeit unseres eigenen Nachdenkens als Philosophen Rechenschaft ablegen zu können. Bezieht der spätere Fichte sich nun seinerseits auf Spinoza – und hierbei mußte er auch die Darstellung des Jacobi deutlich vor Augen haben – , so geschieht dies stets unter dem Vorbehalt, daß bei Spinoza der Rekurs auf diese reflektierende Wendung fehlt. So fragt Fichte Spinoza in der Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1801/2 in Hinblick auf die schon in Jacobischer Manier als »Seyn« reformulierte Substanz und ihre Aufteilung in die Attribute: »wie k[annst] du denn zum Denken desselben, als Einem heraus, und welche Wahrheit hat denn dieses dein Denken [?]«. 5 In der zweiten Vortragsreihe von 1804 moniert Fichte, daß Spinoza »seines eigenen Einsehens sich nicht bewußt wurde« (GA II/8, 116 f.). Und in der Wissenschaftslehre von 1812, die Fichte mit dem Bezug auf Spinoza sogar eröffnet, macht er gerade an diesem Differenzpunkt das Eigentümliche seiner Wissenschaftslehre fest. 6 Dieser Vorbehalt betrifft nun nicht nur Spinoza selbst, sondern wird noch einleuchtender, wenn wir die soeben entwickelte jacobische Rekonstruktion des Spinoza betrachten. Es muß allerdings genau beachtet werden, worin der Vorbehalt besteht: Es geht nicht nur darum, daß bei Spinoza (und Jacobis Darstellung von ihm) zwar das Denken von Gegenständen im Bild des Wirklichen berücksichtigt ist, nicht aber das eigene Denken eben dieses Bildes selbst in dem Sinn, daß es eben nicht beachtet wurde. Auch geht es nicht darum, von welchem Standpunkt eine solche Reflexion, die Reflexion des Ganzen sein will, überhaupt möglich ist: von innerhalb desselben, was die Frage aufwirft, wie das Ganze in sich selbst noch einmal dargestellt werden kann, oder von außerhalb, was ausgeschlossen zu sein scheint. Eher scheint Fichte den sehr viel spezielleren Punkt in den Blick zu nehmen, daß, wenn jenes einige Sein stets in die Reihen von Ausgedehntem und Denken gespalten ist und ein Gedanke diesem Ansatz zufolge nur dann sinnvoll ist, wenn er in eine Reihe eingebunden und auf einen wirklichen Gegenstand bezogen ist, eine Spannung zwischen dem Sein in seiner Einheit und der Möglichkeit, es mit den bereitgestellten Erkenntnismitteln zu den5

Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre aus den Jahren 1801/02, GA II/6,

228. Fichte, Die Wissenschaftslehre (1812), in: Fichtes Werke Bd. 10, hg. von Immanuel Hermann Fichte, Bonn 1834/35, insbesondere S. 326 ff. 6

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ken, auftreten kann. Dies kann wiederum entweder so gedeutet werden, daß, wenn ein reflektierter Standpunkt eingenommen wird, sich die Konzeption als unmöglich erweist oder daß die Konzeption eine vollständige reflexive Einholung der Erkenntnismittel gerade ausschließt. Nach Fichte muß aber noch ein Zweites beachtet werden: Gemeinhin gehen wir davon aus, daß, wenn diese reflektierende Einstellung möglich ist, in ihr nicht nur eine Selbstreflexion eines Wissenszusammenhanges erfolgt, der sich auch anonym bleiben könnte, sondern vielmehr das Wissen als eigenes gewußt wird; es geht um die Möglichkeit der Selbstzuschreibung von Seiten des Subjektes. Und wiederum scheint es so, daß der (rekonstruierte) Spinoza diese uns vertraute Annahme nicht nur übersieht, sondern sogar unmöglich macht: Denn zum einen kann es kein absolutes Subjekt der Zuschreibung geben; so wurde ja die Möglichkeit eines für sich bestehenden und mit Verstand begabten göttlichen Wesens ausgeschlossen. Und das umfassende Sein selbst sollte ja nur über den »allgemeinen Urstoff« des Denkens verfügen, konkrete Gedanken sind nur bei dem, was in ihm ist, zu suchen, also bei dem, was nach Teil I, Lehrsatz 29 der spinozanischen Ethik selbst der »natura naturata« zugehört. Kommt dem Sein als tragendem Grund ein Denken zu, so nur im Modus der Inhärenz eines Merkmals kraft der Tatsache, daß alles in ihm ist, nicht aber als etwas, zu dem es selbst in einem geistigen oder auffassenden Verhältnis stünde. Streng genommen gibt es aber auch kein endliches Subjekt der Zuschreibung, denn die Seele wird ja selbst mit einem Begriff identifiziert. Ist sie aber ein Begriff, so scheint sie nicht zugleich eine Instanz sein zu können, die sich Begriffe zuschreibt. Zudem ist es etwas anderes, einen Begriff von einem Begriff zu haben und etwas – und sei es auch ein Begriff – als sich selbst zu verstehen, was die Selbstzuschreibung aber gerade erfordert. Wenden wir uns in einem nächsten Schritt Fichtes eigenem Beitrag zu dieser Themenstellung zu, so müssen wir beachten, daß auch Fichte, trotz seiner Insistenz auf dem reflektierten Standpunkt, natürlich die Möglichkeit, in dem Vollzug einer Aktivität des Einsehens und damit in ihrem Gegenstand ganz aufzugehen, zugesteht.7 Indem wir diese Aktivität in einer nachfolgenden Überlegung im Stufengang der Einsichten aber nicht nur einholen, sondern auch als eigene erfassen, verändert sich in seinen Augen das ganze Spiel; Die im Folgenden dargestellten Überlegungen entwickelt Fichte in eindrücklicher Weise z. B. im 16. Vortrag der ersten Vortragsreihe des Jahres 1804, dort allerdings an einem schon komplexeren Fall, in dem uns das Kollektivsubjekt eines »wir« zunächst als ein uns gleichsam entfremdeter objektiver Gehalt und dann als Einsichtsvollzug gegenübertritt. GA II/7, 149 ff. 7

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denn von dem Ich gilt ja, daß es nicht gleichsam hinter dem Rücken des Einsehens vollumfänglich wirklich gewesen sein kann. Denn wenn eine Aneignung dadurch geschieht, daß etwas mit mir selbst in Beziehung gebracht wird, so darf dieses ›ich selbst‹ nicht wiederum in einer Weise verstellt sein können, die seinerseits eine Aneignung – nun eben meiner – erforderlich machen würde. Deshalb weist Fichte darauf hin, daß die Formulierung, daß »w i r s e lb e r« uns in das Intelligieren, d. i. die Einsicht »verlohren«, »nur in Beziehung auf die nachmalige Möglichkeit einer Reflexion gesagt wird«8 und nicht in Bezug auf eine Wirklichkeit schon im Vollzug des Einsehens selbst. Und das heißt: Im Akt der Reflexion wird der Standpunkt des Ich ineins mit der Aneignung des Einsehens allererst eingenommen, wodurch die Aneignung selbst den problematischen Zug einer Ermächtigung zu erhalten droht, die die Frage nach den Kriterien ihrer Berechtigung ins Leere laufen läßt. Fichte geht in seiner Analyse aber noch einen Schritt weiter: Auch der Akteur der Reflexion darf von dem Ich, das in der Reflexion in den Blick kommt, nicht verschieden sein, denn andernfalls müßte unter der Prämisse des soeben erfolgten Schrittes wieder eine erneute Reflexion angesetzt werden, kraft derer der Akteur wieder ich selbst bin usf. Aufgrund der Engführung dieser beiden Standpunkte kann man aber sagen, daß, wo immer im Wissen die Möglichkeit der Selbstzuschreibung enthalten ist, zugleich auch das Vermögen einer Selbstinduktion gegeben ist. In dieser liegt nun ein Sinn inneren Freiseins. Er entspricht jenem Sinn des Freiseins, von dem wir alltagssprachlich auch dort noch Gebrauch machen, wo wir von Zwang reden, um zu verdeutlichen, in Beziehung worauf ein Zwang vorliegt. Nun muß uns diese intrikate Konzeption der Selbstzuschreibung gar nicht für sich genommen interessieren. Von Gewicht ist aber, daß mit ihr ein Aspekt im Wissen eingeführt wird, der den Kriterien der Sinnhaftigkeit, die Jacobi in Anschluß an Spinoza formuliert hat, geradezu entgegenläuft. So wird das Eintreten des Ich-Gedankens nicht durch das Vorliegen anderer Begriffsgehalte als seiner bindenden Bedingungen herbeigeführt. Und er bezieht sich auf einen Gegenstand; dieser ist aber nicht unabhängig von dem Bezug auf ihn gegeben und kann weder mit dem umfassenden Sein als erster Substanz noch mit einem spezifischen einzelnen Körper ohne weiteres identifiziert werden. Gerade dieser Aspekt ist es, den Fichte als gehaltvoll in Anspruch nimmt und in die Philosophie des Spinoza einführt, um sie überhaupt erst zu einer konsistenten philosophischen Systematik zu machen. Dabei ist das, was hier ergänzt wird, das Selbst der Zuschreibungen. Daraus folgt nach Fichte, daß beide vormaligen Attribute nicht mehr unmittelbar dem Sein, 8

Fichte, Die Wissenschaftslehre 1804 (1), ebd. 149.

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sondern als gewußte dem Subjekt zuzuschreiben sind. Zugleich wendet er sich gegen die von Jacobi in seinem Sendbrief unterstellte Annahme, daß dies schon heiße, das Ich trete in seinem Ansatz an die Stelle des Seins oder – mit Spinoza selbst formuliert – der Substanz: »Jacobis Mißverständniß liegt darin«, so Fichte in seinen Skizzen zur Beantwortung des Schreibens, »daß er ein wirkliches, substantielles Ich voraussetzt, in das er die Absolutheit nicht gelegt wissen will, und meint, ich lege sie darein« (GA II/11, 63). Tatsächlich erschließt sich das Projekt der späteren Wissenschaftslehre, wenn man versteht, daß das Ich zwischen dem umfassenden Sein und den in den Attributen gefaßten Ordnungen des Endlichen als inneres Bindeglied einzuschieben ist. Weil das Ich, das die Reflexion enthält, einem Denken im Prozeß der Notwendigkeit verschlossen bleibt, gelangt Fichte in Anschluß an seine Spinozakritik zu folgender Formel, mit der er verbessernd in dessen Theoriegebäude interveniert: »Die Wissenschaftslehre aber sezt diese formale Freiheit gleich als Uebergangsglied; u. sagt: das absolute Seyn bestimmt, nur unter Bedingung, nicht unbedingt; und sein A c c id e n s ist n i c ht i n i h m , wodurch es ja die Substantialität verlöre, sondern ausser ihm, in dem formaliter freien.« (GA II/6, 228)

III. Unbedingtes Sein und endliches Wissen: Zwei Fallstudien zu Jacobischen Zügen im modifizierten Spinozismus Fichtes Die zwei vorangegangenen Skizzen ergaben das Bild zweier unterschiedlicher Modifikationen des Spinozismus: Jacobi entnimmt Spinoza neben dem Gedanken vom einigen Sein vor allem die Annahme einer notwendigen Gebundenheit des Ausgedehnten wie der Gedanken und stellt dieser Annahme die Gültigkeit unseres unmittelbaren Bewußtseins, darunter gerade das unserer eigenen Freiheit, gegenüber. Fichte folgt Jacobis Darstellung zwar in wichtigen Zügen der Terminologie, schreibt dann aber Selbstsein und Freiheit in die Konzeption des Spinoza als deren übergangenes inneres Bindeglied ein. Durch die Mittelstellung des Selbstseins bei Fichte ergeben sich dann zwei Fragerichtungen: von dem Selbstsein zu dem vorausgesetzten einigen Sein sowie zu den bestimmten Gehalten, die unter der Bedingung der Selbstzuschreibung stehen. Beide Fragerichtungen führen selbst wieder zu einer Auseinandersetzung mit Jacobi zurück.

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Sein und Einsehen a. Anders als dies bei dem einigen Sein und auch in der Verlaufsform unter den Attributen nach Spinoza und Jacobi der Fall ist, tritt mit dem freien Vollzug der Subjektivität etwas auf, das nicht in seinem Bestand gebunden ist. Er ist, in Fichtes Worten gesprochen, »seyn könnend, oder auch nicht« (GA II/6, 184), und weil er auf diese »Unentschiedenheit des d a ß« (ebd. 184) bezogen ist, wird er auch in seiner internen Verfassung geradezu als »Kampf des Seyns und Nichtseyns« (ebd. 226) beschrieben. Ist aber schon mit seinem Auftritt und auch mit seinem Verlauf eine Veränderung gegeben, so gilt auch in diesem Fall der Schluß auf das einige Sein, den wir schon in der Spinozarekonstruktion des Jacobi finden: »Allem Werden muß ein Seyn, welches n i c ht geworden ist, zum Grunde liegen«9 – ohne das Sein wäre die Veränderung als Veränderung gar nicht möglich. Dem kann und muß sich auch Fichte anschließen. Nur ist die Veränderung und Bewegung in Fichtes Fall nicht eine in das Unendliche zurückreichende Kette, in Bezug auf die das Sein als immer zugleich gegenwärtig und in ihr wirklich gedacht wurde. Weil das Sein auf einen Vollzug bezogen ist, der spontan ist, geht das Sein ihm sowohl der Sache wie auch der Abfolge nach partiell voraus und dieser stößt sich von ihm ab. b. Indem sich das Selbstsein im Vollzug von dem Sein abstößt, müßte es, sofern es dieses als ihm zuvorliegend ergreifen wollte, gleichsam hinter sich zurücktreten können. Dies führt auf die Frage, wie es das Verwiesensein an das vorgängige Sein selbst erfassen kann, was unsere Aufmerksamkeit auf seine Erkenntnissituation zurücklenkt: Als veränderlich muß es einen Sinn von Anschauung enthalten. Als Selbstbestimmen verfügt es aber zugleich über Begriffe. Dennoch dürfen wir nicht annehmen, daß es allein auf der Basis des begrifflichen Wissens von sich schon zu der Annahme eines vorauszusetzenden Seins, die dann die Form eines notwendigen, aber doch bloßen Gedankens hätte, gelangen würde. Denn aus seiner Perspektive ist es sich selbst, wann immer es erkennend aktiv wird, stets schon gegeben, so daß es sich gerade so, wie von Jacobi in seinem Sendbrief unterstellt, tatsächlich für eine letzte und unhintergehbare Instanz halten könnte. Dies führt Fichte dazu, einen noch anderen Sinn des Wissens ins Spiel zu bringen, der in Folge nicht mit den Erkenntnisformen, die mit dem Selbstsein als Aktivität verbunden sind und mit ihm anheben, identifiziert werden darf, wenn dessen Grenzen deutlich werden sollen. Vielmehr soll es gerade in der Selbstzurücknahme an einem geistigen Schauen partizipieren, das nicht durch es, wohl 9

JWA 1, 93; vgl. dazu in Fichtes Darstellung… (1801/02), GA II/6, 214.

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aber in ihm als Weise des Widerfahrens ist und in einem Blick nicht nur das schrankenlose Sein als ein sich verschließendes, sondern auch die Begrenztheit der endlichen Standpunkte in einem übersieht.10 Gerade darin führt das Schauen über die Individualität hinaus. Mit dem Motiv des geistigen Sehens rückt Fichtes Position aus seinem modifizierten Spinozismus heraus nun doch entschieden an Jacobis eigenes Denken heran. Denn bei Jacobi finden wir nicht nur die Dichotomie zwischen einem geistig sehenden und einem endlichen Erkennen deutlich ausgesprochen. Er erwähnt auch ein »Auge der Seele, womit sie Gott und sich selbst ersiehet« (JWA 1, 30), was den Gegenständen des Fichteschen ›Blicks‹ entspricht, und führt dieses Sehen, ganz genau wie Fichte, mit dem Festhalten an einer Grenzbestimmung zusammen, die das jenseits der Grenze Gelegene trotz des Sehens nicht in ein Begreifen auflösen will, sondern nur »wissen, wo es anfängt und erkennen, daß es da ist.« (JWA 1, 29) c. Gerade diese Nähe erfordert nun eine noch genauere Betrachtung. In ihr zeigt sich eine komplexe Beziehung zwischen den Positionen von Jacobi und Fichte, die sich vielleicht am besten mit Hilfe des Bildes entschlüsseln läßt, das sie wählen: Nicht nur Jacobi, auch Fichte bedient sich der Metapher des Auges. Formuliert Jacobi seine Parteinahme für ein unmittelbares Wissen aber als Forderung, unser zweites, geistig sehendes Auge anzuerkennen, 11 so kann die Vielzahl der entsprechenden Bilder Fichtes in nicht weniger als dem Anspruch ausgedrückt werden, sich ganz in das Sehen eines höheren Auges zu versenken.12 In beidem, dem Sehen wie dem Sichversenken in ein Sehen, ist das Moment der Passivität, der Charakter des Widerfahrens betont, der die gesuchte Erkenntnisart oder zumindest den Eintritt in sie von dem absichtsvoll-willkürlichen Vorgehen im Nachdenken unterscheidet. Jacobi bezieht dieses Widerfahren aber unmittelbar auf einen wirklichen Gegenstand, was dann die Möglichkeit gibt, daß wir uns an ihn als ein Du adressieren können. Fichte konzipiert hingegen ein Zurücktreten zugunsten von etwas, das in uns selbst von uns verschieden ist, aber doch zugleich ganz eine Dieser Aspekt steht aus Gründen, auf die ich hier nicht vertieft eingehen kann, insbesondere in der Wissenschaftslehre von 1804 im Mittelpunkt; vgl. hierzu die bündige Zusammenfassung im 26. Vortrag der zweiten Vortragsreihe dieses Jahres, insbesondere GA II/8, 386 ff. 11 Vgl. hierzu beim späteren Jacobi, Vorrede, zugleich Einleitung …, JWA 2, 377 ff. 12 Hier ist insbesondere an das Sichversenken in das Auge der Urania in Fichtes Sonett (GA II/9, 452 f.) zu denken, das in seiner Struktur dem kurz zuvor in der Fußnote erwähnten Zusammenhang im 26. Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 (2) entspricht. 10

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Weise des Wissens, die dann auf das Sein nicht wie ein äußerer Gegenstand bezogen werden kann, sondern selbst nichts anderes ist, als die Selbstdarstellung desselben – und zwar eine Darstellung von sich als etwas, das sich in der Äußerung zugleich verschließt und darin Sein bleibt. Und hier tritt eine weitere Differenz hervor. Denn in der Darstellung betrachten wir zugleich das endliche Selbstsein und Erkennen nicht nur gleichsam sub specie aeternitatis – es geschieht nach Fichte auch so, daß in diesem Sehen an einem Fall dessen Grenzen definitiv zur Deutlichkeit gelangen. Entscheidend ist hier nicht allein, daß Fichte Jacobi die zuletzt genannte Einsicht nicht zugestehen will.13 Nach Fichte hat Jacobi stets nur gezeigt, daß ein Erkenntnisvollzug de facto noch nicht vollzogen wurde, nicht aber, warum er unmöglich ist. Von größerem Gewicht ist ein anderer Punkt, der in die Lektüren von Spinoza zurückführt: Was hier im Hintergrund steht, ist nichts anderes als dessen scientia intuitiva, 14 die sich gerade auf diese doppelte Bestimmung – Betrachtung sub specie aeternitatis und Erfassen in einem Blick – gründet. Für den Erkenntnistheoretiker Fichte stellt sie die eigentliche Wahrheitsquelle in Spinoza dar. Damit ist aber zugleich ein problematischer Aspekt in Jacobis Spinozalektüre bloßgelegt: Dieser kennt und erwähnt die scientia intuitiva, nimmt sie aber in seine systematische Rekonstruktion des Spinoza als zu destruierenden nicht auf. Zugleich stützt er sich in seinem eigenen Ansatz auf sie, exploriert aber ihre Leistungsfähigkeit gerade nicht. Dies zeigt sich insbesondere darin deutlich (hier treffen sich der systematische und der historische Vorbehalt), daß Jacobi durchgängig vermeidet, die innere Klarheit der Einsicht zu explizieren und sie damit von anderen Formen des geistigen Lebens wie Ahnen und Fühlen deutlich genug zu unterscheiden. Genauer betrachtet sind die Überbetonung der empiristischen bzw. naturalistischen Züge in der Rekonstruktion des Objektivitätsanspruches in der spinozanischen Konzeption des erkennenden Bezuges und die gleichzeitige Zurücknahme desselben bei der geistigen Einsicht nur zwei Seiten derselben Sache. Diesen Vorbehalt macht Fichte an vielen Stellen, wo er auf Jacobi zu sprechen kommt, geltend, um den Differenzpunkt zwischen der späteren Wissenschaftslehre und Jacobis Ansatz zu verdeutlichen; so z. B. in dem Brief vom 31. 3. 1804 an Jacobi (GA III/5, 235 ff.) und im 18. Vortrag der zweiten Vortragsreihe der Wissenschaftslehre im selben Jahr (GA II/8, insbesondere S. 284 ff.). 14 Vgl. Lehrsatz 40, Anm. 2 des zweiten Teils der Ethik und Eckart Förster, »Die Bedeutung von § 76 und § 77 der Kritik der Urteilskraft für die Entwicklung der nachkantischen Philosophie«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 56 2/3 ( 2003). Die Festsetzung und das Beispiel des Spinoza ergeben auch eine Perspektive auf § 1 der Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1801/02 und alle folgenden Abschnitte, die das dort vorgetragene Theorem aufnehmen. 13

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Endliches Wissen, Handeln und Zeit Blicken wir nun weiter in einer Umwendung der Perspektive auf die Beziehung des Selbstbewußtseins zu den endlichen, veränderlichen Erkenntnisgegenständen, so zeigt sich, daß Fichte durch das Einbeziehen der aktivischen Instanz des Selbst noch in anderer Weise auf Jacobi reagiert: Nach Jacobi sind in Spinoza nicht nur das Sein selbst und die Attribute keinem Wandel unterworfen, sondern auch die Art und Weise, wie unter den Attributen das Veränderliche als solches erfaßt werden soll, trägt in Wahrheit zu dem Verständnis seiner Sukzession nichts bei.15 Dem korrespondiert Jacobi zufolge in der kantischen Philosophie, daß dort mit der Konzeption der Zeit als reiner Anschauungsform eine »Einheit aller Zeit«16 angenommen werde, in der es qua Einheit keine Relation des »von … zu« und damit kein Verlaufen gebe. Dies soll zuletzt auf den paradoxen Gedanken der Notwendigkeit eines Handelns vor aller Sukzessivität führen. Dem stellt Jacobi so wie zuvor die Freiheit nun seinen Ansatz bei dem Bewußtsein der Aktivität gegenüber. Fichte spitzt diesen Gedanken entgegen Jacobis Realismus zu der These zu, daß wir uns ohne Bezug auf das handelnde Subjekt zudem weder Umriß und Bestand der Erkenntnisgegenstände noch die Ordnungen, denen sie unterliegen, verständlich machen können. Und er bettet diesen Ansatz ein in eine Konzeption von Subjekthandeln und Zeit, die ihn weder auf das Ansetzen bei einer abgelösten und ruhenden Zeit noch auf die problematische Annahme eines Handelns vor oder außer aller Sukzessivität verpflichtet. Vielmehr gehen wir stets von konkreten Fällen des in einer Richtung orientierten Handelns aus und schließen von dort in einem Konditionalschluss auf das Bestehen der Zeit, ebenso wie in einem noch grundlegenderen Argument auch des Raumes, als dessen Bedingung. Dabei liegt in dem Konditional mehrerlei: So kommt nur in Bezug auf Fälle des Handelns die Zeit (wie auch der Raum) überhaupt erst in den Blick. Und dies heißt nicht nur, daß die Zeit nicht als leere Form gedacht wird. Die Zeit, die auf diese Weise erschlossen wird, ist zudem stets schon eine sukzessive. Und schließlich liegt in dem Konditional, daß die Konzepte von Handlung und Zeit sowie von Handlung und Raum nur zusammen zu beherrschen sind. Vgl. hierzu: Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache, München 2000, insbesondere das Kapitel »Woran die Metaphysik scheitert«. Zudem: JWA 1, 20 und JWA 2, 49 f. 16 Jacobi, Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen, JWA 2, 301. Der einschlägige Zusammenhang wird ab S. 294 entwickelt. 15

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In Folge dieser auf Jacobi eingehenden Umordnung des Theorieaufbaus kann nun aber auch an Fichte die Forderung gestellt werden, zuletzt auch die Einheit der Zeit verständlich zu machen. Und dies scheint jetzt deutlich erschwert: Denn Fichte will ja weder bei ihr in ihrer im Subjekt für sich betrachtet angesiedelten Reinheit ansetzen, noch kann er zu ihr aus dem Mannigfaltigen der verlaufenden Zeit kraft einer synthetisierenden Handlung übergehen, ohne in das Handlungsparadox zurückzufallen. Und hier greift Fichte erneut auf Spinozas scientia intuitiva, welche nicht auf ein Handeln, sondern ein instantanes Erfassen zielt, zurück; denn diese soll es erlauben, in einem Moment die Zeit als solche zu durchblicken.17

IV. Schluß Bezieht sich Fichte also vor dem Hintergrund Jacobis auf Spinoza, so geschieht dies stets so, daß er zum einen das Moment der Reflexion, und mit dieser dann auch die von Jacobi eingeklagte Freiheit in den spinozanischen Denkrahmen zu integrieren sucht, zugleich aber auf die Lehre der uns bindenden intuitiven Einsicht des Spinoza selbst zurückgreift, die er nicht angemessen verstanden sieht. Diese besteht nun aber gerade darin, an einem Fall etwas kategorisch zu begreifen, was wiederum dem Bemühen um Integration der Freiheit widerstreiten kann. Spricht Fichte in seinen Skizzen zu einer Antwort auf das Jacobische Sendschreiben davon, daß die »Freiheit der Freiheit« nur ein »Hingeben an das sie ergreifende Reale der absoluten Erscheinung« sei (GA II/11, 63), so kann dies vor dem gegebenen Hintergrund in zweierlei Weise gelesen werden. Bedenken wir, daß das ›Reale der absoluten Erscheinung‹ gerade die Gegenwart des Seins in der bindenden geistigen Einsicht ist, könnte der Sinn des Freiseins, ohne weitere Qualifikation genommen, gerade darin bestehen, diese noch einmal willentlich zu akzeptieren. Dadurch wäre die angezeigte Spannung in einer Weise gelöst, die zuletzt doch noch in den Spinozismus des Spinoza zurückführt. Es könnte dies aber auch so gelesen

Meine Skizze stützt sich auf den zweiten Teil der Darstellung der Wissenschaftslehre aus den Jahren 1801/02. Auch in bezug auf den Raum wird der Rückgang zu dem Überschauen in einem Blick dargestellt (§ 2, insbesondere S. 230 f.). Bei der Zeit ist die Argumentation aber voraussetzungsreicher, insofern nicht nur der Raum, sondern auch ein materieller Aspekt in ihm, den Fichte an die Aktivität des Lebens und Wissens bindet (S. 245), bereits in Anspruch genommen ist. Von dort ausgehend wird ein Zeitverständnis entwickelt, das Aktivitätsbezug, Sukzessivität und in letzterer diskrete Abfolge ebenso wie Einheit verständlich machen will (§ 3). 17

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werden, daß eine Zurücknahme und Hingabe erforderlich ist, insofern wir die Bedingungen erschließen wollen, unter denen der freie Vollzug des Selbst allererst möglich ist. In diesem Sinn ist die Einheit des Seins gerade so Bedingung für jene Aktivität, in der das Selbst besteht, wie die Einheit der Zeit für die Sukzessivität im Handeln, die mit ihm anhebt. Und hierin könnte der Grund für eine Parteinahme für Spinoza gerade aus dem Interesse der Freiheit heraus liegen. Dieser Spinoza ist dann nicht länger jener der kausal wirksamen Gedankenketten, sondern der Philosoph der klaren geistigen Einsicht im Augenblick. Denn was sich aus und von einem nur Dunklen her vollzieht, kann, so Fichte gegen Jacobi, nicht wirklich Freiheit sein.18

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»Kein Mensch ist f r e i : der nicht klar ist«. GA II/11, 46.

Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung. Hegels Wissenschaft der Logik von Anton Friedrich Koch

I. Das Desiderat einer veränderten Ansicht des Logischen In der Aufgabenstellung, die mir freundlich zugedacht ist, wird Jacobi nicht erwähnt. Aber er ist im Hintergrund präsent; denn für die Hegelsche Logik ist er in mindestens drei Rollen von Bedeutung: (1) als Repräsentant der Lehre vom unmittelbaren Wissen, (2) als Kritiker der Methode der Metaphysik und (3) als Denker, der über die Substanzlehre Spinozas in einem Salto mortale hinaussprang. Ad (1). Im »Vorbegriff« der enzyklopädischen Logik behandelt Hegel unter dem Titel »Unmittelbares Wissen« die »dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität«, die er durch Jacobi repräsentiert sieht. Er zieht folgendes Fazit: »Es ist hiermit als f a k t i s c h falsch aufgezeigt worden, daß es ein unmittelbares Wissen g eb e , ein Wissen, welches ohne Vermittlung, es sei mit Anderem oder in ihm selbst mit sich, sei. Gleichfalls ist es für faktische Unwahrheit erklärt worden, daß das Denken nu r an durch A nd e r e s ve r m it t e lt e n Bestimmungen – endlichen und bedingten – fortgehe und daß sich nicht ebenso in der Vermittlung diese Vermittlung selbst aufhebe. Von dem Fa k t u m aber solchen Erkennens, das weder in einseitiger Unmittelbarkeit noch in einseitiger Vermittlung fortgeht, ist die L o g i k selbst und die g a n z e P h i lo s op h i e das Beispiel.«1 Als unzutreffend werden hier die beiden Hauptsätze der Lehre vom unmittelbaren Wissen zurückgewiesen. Sie besagen in Hegels Rekonstruktion, (1) daß alles vermittelnde Denken je Endliches und Bedingtes aus Endlichem und Bedingten begreift und (2) daß wir ein vermittlungsfreies Wissen vom Unendlichen und Unbedingten, d. h. von Gott, besitzen. Es würde uns, meint Hegel, wenn wir es besäßen, im übrigen nichts als die Existenz Gottes zu Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), hg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler, Hamburg 71969, § 75 (fortan zitiert mit Paragraphenzahl). 1

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erkennen geben, der dann ebensogut »der Dalailama, der Stier, der Affe usf.« sein könnte (§ 63). Daß Hegel hier einen »Popanz«2 aufbaut, um das unmittelbare Wissen zu ridikülisieren, ist offenkundig. Achten wir indessen auf etwas anderes. Hegel erklärt seine Philosophie und insbesondere die Logik zum Gegenbeispiel: Sie sei Erkenntnis des Unendlichen und Unbedingten, die weder in einseitiger Unmittelbarkeit noch in einseitiger, endlicher Vermittlung fortgehe. In ihr sollen Unmittelbarkeit und Vermittlung vielmehr miteinander vermittelt (und zu neuer Unmittelbarkeit aufgehoben) werden. Allerdings muß die Logik mit einem abstrakten Un mittelbaren beginnen, und in diesem Zusammenhang erinnert Hegel zu Beginn der Seinslogik (von 1832) an die »beredtesten, vielleicht vergessenen Schilderungen über die Unmöglichkeit, von einem Abstrakten zu einem Fernern und zu einer Vereinigung beider zu kommen«, die Jacobi gemacht habe. 3 Noch an einer anderen Stelle wird Jacobi in der Wissenschaft der Logik genannt. Im vorletzten Kapitel der Begriffslogik hält Hegel ihm und Kant zugute, daß durch sie »die ganze Weise der vormaligen Metaphysik und damit ihre Methode über den Haufen geworfen worden« sei. 4 Hegel bemerkt zugleich einen Unterschied: »Wenn Kant mehr der Materie nach die vormalige Metaphysik angriff, so hat sie J ac ob i vornehmlich von seiten ihrer Weise zu demonstrieren angegriffen und den Punkt, worauf es ankommt, aufs Lichteste und Tiefste herausgehoben, daß nämlich solche Methode der Demonstration schlechthin in den Kreis der starren Notwendigkeit des Endlichen gebunden ist und die Fr e i h e i t , d . i . d e r B e g r i f f und damit A l l e s , wa s wa h rh a f t i s t , jenseits derselben liegt, und von ihr unerreichbar ist. […] In der Tat, indem das Prinzip der Philosophie der u n e nd l i c h e f r e i e B e g r i f f ist und aller ihr Inhalt allein auf demselben beruht, so ist die Methode der begrifflosen Endlichkeit nicht auf jenen passend.«5 Dies betrifft auch schon die beiden Folgepunkte (Methodenkritik der Metaphysik und Überwindung Spinozas). Konzentrieren wir uns vorläufig auf den Schluß des Zitats. Bezieht man ihn auf die zuvor angeführten Stellen, so wird deutlich, daß Hegel sich von Jacobi zwei Beweisziele vorgeben läßt: Er muß (a) zu Beginn der Logik zeigen, daß vom unmittelbaren Sein

Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 235. 3 Hegel, Wissenschaft der Logik. Teil I, hg. von G. Lasson 1932, ND Hamburg 1971 (= WdL I), S. 81 ff. 4 Hegel, Wissenschaft der Logik. Teil II, hg. von G. Lasson 1934, ND Hamburg 1969 (= WdL II), S. 475. 5 WdL II, 476. 2

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zu etwas Weiterem fortgegangen werden kann, und er muß (b) im Fortgang zeigen, daß der Begriff die freie Selbstvermittlung und das Prinzip des vermeintlich unmittelbaren Seins des Anfangs ist. Ad (2). Die Begriffslogik, aus der zuletzt zitiert wurde, erschien 1816. In seiner Jacobi-Rezension vom Jahr darauf äußert sich Hegel ähnlich, nur rückt er jetzt Kant enger an Jacobi heran: »Es wird nicht leicht in Abrede gestellt werden, daß es das gemeinsame Werk J’s und Kants ist, der vor m al i g e n M e t ap hy s i k nicht so sehr ihrem Inhalte nach, als ihrer We i s e d e r E rke n nt n i ß , ein Ende gemacht und damit die Nothwendigkeit einer völlig veränderten Ansicht des L o g i s c h e n begründet zu haben.« (GW 15, 25) Die Notwendigkeit einer neuen Ansicht des Logischen zu begründen, ist eines, die Ansicht selber zu begründen, ein anderes. Dieses Desiderat sieht Hegel erst durch seine Wissenschaft der Logik erfüllt. Die Logik der vormaligen Metaphysik, ihre »Methode der Demonstration«, war »in den Kreis der starren Notwendigkeit des Endlichen gebunden«, die Freiheit (»d . i . d e r B e g r i f f und damit A l l e s , wa s wa h rh a f t i s t«) für sie unerreichbar. Bis heute faßt die – neue alte – Metaphysik den logischen Raum statisch, etwa als die Gesamtheit der möglichen Welten. Dagegen ist die Hegelsche Logik eine Evolutionstheorie des logischen Raumes bzw. eine Theorie, die das Unbedingte als Prozeß, die Substanz als Subjekt begreift. Sie kann dies sein, weil sie das reine Denken, dessen Theorie sie unmittelbar ist, in Inkonsistenz beginnen läßt, aus welcher es sich über Rückfälle hinweg zur Transparenz des Begriffes befreit. Ad (3). Statt eine neue Ansicht des Logischen zu entwickeln, die es ihm erlaubt hätte, die starre Notwendigkeit der Metaphysik philosophisch zu überwinden, stellt sich Jacobi – aus Hegelscher Sicht – auf den Standpunkt derjenigen Metaphysik, die Hegel zwar für die entwickeltste und systematisch letzte hält, diejenige Spinozas, weiß dann aber, da er nicht auf logisch geregelte Weise (über Vorgängertheorien) in sie hineingelangt ist, auch nicht auf logisch geregelte Weise über sie hinauszukommen, sondern hält sie für die konkurrenzlos konsequente Theorie des logischen Raumes, aus der kein Weg mehr, sondern allein ein intellektueller Sprung hinausführt. Immerhin weiß Hegel sich mit Jacobi als einem Denker einig, der, am Endpunkt der Metaphysik angekommen, nicht stehenbleiben, sondern zu einem Absoluten übergehen will, das frei und persönlich ist. 6 Aber während Jacobi die Philosophie auf den starren logischen Raum als ihr vermeintliches Absolutes fixiert sieht und den freien und persönlichen Gott nur durch einen Sprung ins unmittelbare Wissen für erreichbar hält, stellt sich Hegels veränderter 6

Vgl. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 2), S. 233–235.

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Ansicht der logische Raum als von Anbeginn an wandelbar und als zuletzt sich aufklärend zum freien, unendlichen und – in uns – personalen Begriff dar. In dem Maße, wie es Hegel gelingt, die beiden durch Jacobi gesteckten Beweisziele zu erreichen, wird er die Diagnose eines Fatalismus der demonstrierenden Philosophie von seinem Denken abwenden und zugleich Jacobis theoretischen Motiven Rechnung tragen können, ohne sich auf die Lehre vom unmittelbaren Wissen festlegen zu müssen. Ob es ihm gelingt, kann hier nicht entschieden werden. Es soll aber in den folgenden Abschnitten der generelle Beweisplan skizziert werden, dessen erfolgreiche Ausführung Hegel in jene komfortable theoretische Lage versetzen und die völlig veränderte Ansicht des Logischen begründen würde, die Kant und Jacobi als Desiderat aufgewiesen haben.

II. Unmittelbarkeit und Vermittlung am logischen Anfang Über den Anfang der Logik sagt Hegel u. a. folgendes: »Soll aber keine Voraussetzung gemacht, der Anfang selbst u n m it t e lb a r genommen werden, so bestimmt er sich nur dadurch, daß es der Anfang der Logik, des Denkens für sich, sein soll. Nur der Entschluß, den man auch für eine Willkür ansehen kann, nämlich daß man das D e n ke n a l s s ol c h e s betrachten wolle, ist vorhanden. So muß der Anfang ab s olut e r oder was hier gleichbedeutend ist, abstrakter Anfang sein; er darf so n i c ht s vor au s s e t z e n , muß durch nichts vermittelt sein, noch einen Grund haben; er soll vielmehr selbst Grund der ganzen Wissenschaft sein. Er muß daher schlechthin ein Unmittelbares sein, oder vielmehr nur d a s U n m it t e lb a r e selbst. Wie er nicht gegen Anderes eine Bestimmung haben kann, so kann er auch keine in sich, keinen Inhalt enthalten […]. Der Anfang ist also das r e i n e S e i n .« 7 Die Logik wird hier doppelt bestimmt: als reines Denken und als unsere Theorie des reinen Denkens. Am Anfang fallen das Denken und seine Metatheorie aber noch auseinander, erst am Ende, in der absoluten Idee, sollen sie konvergieren. Die Erkenntnis, mit der das reine Denken anhebt, ist strukturlos, prädiskursiv; sie kann nicht ausgesagt, sondern allenfalls genannt werden. 8 Hegel legt dem reinen Denken dazu den Einwortsatz »Sein« in den WdL I, 54. Zur Differenz von Aussagen und bloßem Sagen im Zusammenhang mit dem Erfassen asynthetischer, prädiskursiver Sachverhalte vgl. Aristoteles, Metaphysik Θ 10, besonders 1051 b 23–25. 7

8

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Mund, bevor er als Theoretiker das Wort ergreift und seine ersten Erkenntnisse üb e r das reine Denken formuliert, indem er dessen Gegenstand, das Sein, charakterisiert: Es ist unmittelbar, unbestimmt, unvergleichlich, leer: das leere Anschauen oder Denken seiner selbst (im Prädiskursiven gibt es keinen Unterschied zwischen Anschauen und Denken). 9 Es fällt insofern also nicht erst am Ende, als seine Metatheorie, mit seinem Gegenstand zusammen, sondern schon am Anfang, wenn auch noch auf unartikulierte und unmittelbare Weise. Das Sein ist unmittelbar, aber kein Unmittelbares unter anderen; sonst wäre das reine Denken endliches Wissen, Bewußtsein, und seine Anfangsgestalt die der sinnlichen Gewißheit. Das Unmittelbare der Logik muß ein alternativloses Unmittelbares sein: »nur d a s U n m it t e lb a r e selbst«, wie Hegel sagt, also das Gemeinsame der vielen Unmittelbaren, die es sonst geben mag. Nun sind die vielen Unmittelbaren allesamt Seiende, gleichviel ob veritativ Seiende (Tatsachen) oder existential Seiende (Sachen). Das Unmittelbare selbst ist demnach das Seiende selbst. Hegel nennt es das reine Sein. Für das reine Denken ist es unmittelbar gegeben (oder erscheint am Beginn der Logik so), aber für den Theoretiker ist es nur zu erreichen auf dem Weg einer totalen Abstraktion: Wir müssen, um seinen Begriff zu bilden, von allen Bestimmungen, empirischen wie kategorialen, der vielen Seienden abstrahieren, selbst noch von dem Unterschied zwischen veritativem und existentialem Sein.10 Nun ist die Abstraktion im allgemeinen ein legitimes Mittel des Denkens. Aber diese besondere Abstraktion könnte doch zu weit gehen. Erinnern wir uns der Aristotelischen These, daß das Sein kein Gattungsmerkmal ist.11 Wäre das Seiende eine Gattung – und dann die allgemeinste, allumfassende –, so gäbe es keine Ausdifferenzierung, also keine niederen Gattungen, Arten, Individuen; nur das eine, reine Sein; denn jede Bestimmtheit, die differenzierend zum Sein hinzuträte, wäre ihrerseits ein Seiendes und würde die WdL I, 66 f. Im Prädiskursiven fallen veritatives Sein (Bestehen als Tatsache) und existentiales Sein anfangs zusammen. Daher ist die prädiskursive Negation zunächst Vernichtung: Verdrängung eines Anwesenden aus dem logischen Raum. Der Spruch des Anaximander bringt die Logik prädiskursiver Sachverhalte auf den Punkt: »Woraus die Seienden ihr Entstehen haben, dahinein geschieht auch ihr Vergehen, wie es in Ordnung ist; denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht [am jeweiligen Vorgänger], gemäß der zeitlichen [bzw. logischen] Ordnung.« (DK 12 A 9, B1). Am Ende der Seinslogik aber wird das Apeiron siegen: das Unbestimmte in der Gestalt des »allseitigen Widerspruchs« bzw. der »absoluten Indifferenz«. 11 Metaphysik B 3, 998 b 22 ff. Vgl. schon Platon, Sophistes, 243 d–244 a. 9

10

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Differenzierung voraussetzen, die sie erklären soll. Wir müssen diese Schwierigkeit im Auge behalten, weil Hegel sie nutzen wird. Freuen wir uns vorerst des Seins als des gesuchten Unmittelbaren. Wie steht es nun mit der logischen Vermittlung? Dazu Hegel: »[…] Vermittlung ist ein Anfangen und ein Fortgegangensein zu einem Zweiten, so daß dies Zweite nur ist, insofern zu demselben von einem gegen dasselbe Anderen gekom men worden ist.« (§ 12 Anm.) Dies ist noch ganz im Sinne Jacobis gesprochen; denn Vermittlung wird hier als Fortgehen von einer Bestimmung zu einer anderen gefaßt; von Selbstvermittlung ist nicht die Rede. Das reine Denken fängt an beim reinen Sein und geht fort zu einem Zweiten. Aber das Denken schreitet nicht fort nach Art der Wahrnehmung, die zunächst eines, dann ein anderes fokussiert, die beide gleichermaßen unmittelbar gegeben bleiben, sondern so, daß das Zweite kein neues Unmittelbares, sondern dadurch bestimmt ist, daß es vom ersten aus erreicht wurde. So ist das Zweite die bestimmte Negation des Ersten. Hat aber das reine Sein eine bestimmte Negation? Es ist selber unbestimmt (für das reine Denken; für uns ist es bestimmt als unbestimmt); und ebenso unbestimmt ist seine Negation, das Nichts. Mit dem Nichts ist noch kein Theoriefortschritt verbunden: Das Sein ist das Nichts – und zugleich unterschieden vom Nichts. Das reine Denken bewegt sich nicht, geht nicht über vom Sein zum Nichts, sondern ist immer schon übergegangen.12 Hier zeigt sich, daß etwas nicht in Ordnung war mit unserer Art, das Sein durch Abstraktion zu gewinnen. Aber lassen wir das noch beiseite. Das wirkliche Zweite nach Sein und Nichts ist das Werden. Ist also das Werden die bestimmte Negation des Seins? Ja und nein. Nein, denn das Werden ist weniger das Vermittelte als die Vermittlung, das Übergehen, die Bewegung des reinen Denkens von (…) zu (…). Und doch ist es auch Thema der Logik, zweites Thema nach dem Sein bzw. Nichts. Daß es Thema werden muß, leuchtet auch ein; denn die gesuchte Vermittlung darf nicht als ein zweites Unmittelbares neben dem Sein aufgefunden werden. Also kann sie nur als Ergebnis der Vermittlung, als Ergebnis ihrer eigenen Operation am Sein, eintreten. Sofern sie als ein Unmittelbares einträte, wäre sie vom Sein, dem singulären logischen Unmittelbaren, ununterscheidbar und mit ihm identisch. Genau das sagt Hegel vom Nichts. Als reine, schiere Negativität ist das Nichts die logische Vermittlung pur und unmittelbar. Doch in ihrer Unmittelbarkeit ist sie von dem logischen Unmittelbaren, dem reinen Sein, ununterscheidbar und dasselbe wie es. Das Werden also ist das Zweite, selbst schon Vermittelte, der Logik, aber nicht in der Form eines Zweiten, zu dem 12

WdL I, 67.

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übergegangen wird, sondern in der Form des Übergehens selber. Methode und Inhalt sind in der Logik nicht getrennt, wie sich eben nicht erst am Schluß zeigt, wenn die absolute Methode zum krönenden Gegenstand wird, sondern schon hier. Die Logik als Hegels und unsere Hintergrundtheorie ist die Metatheorie des reinen Denkens. Um ihrer Konsistenz willen müssen wir fordern, daß diesem, nicht ihr, die Widersprüche angehören, auf die wir stoßen. Zwar werden Objekttheorie und Hintergrundtheorie am Ende konvergieren; aber bis dahin sollte sich das reine Denken aus der Inkonsistenz befreit haben. Um die Hintergrundtheorie dem Verdacht zu entziehen, sie sei von der Inkonsistenz infiziert, treten wir vom Hegelschen Wortlaut etwas zurück und gehen die Sache äußerlicher an. Wir haben einen Anfangs- oder Nullgehalt des reinen Denkens, das reine Sein. Dabei kann es in der Theorie nicht bleiben, weil es faktisch nicht beim reinen Sein bleibt. Also brauchen wir eine Operation, die vom reinen Sein zu etwas Neuem führt. Und nun mogeln wir ein wenig und tun so, als dürften wir die Operation als etwas Unmittelbares vorfinden; nicht als irgendein Unmittelbares, versteht sich, sondern als einen alternativlosen Kandidaten. Etwa so: Das reine Sein ist unartikuliert, ein Gehalt ohne prädikative Struktur, für den die Prädikatenlogik folglich irrelevant ist. Bleibt die Aussagenlogik. Da es aber nur ein singuläres logisches Unmittelbares gibt, können wir die mehrstelligen aussagenlogischen Operationen vernachlässigen. Von den einstelligen gibt es rein kombinatorisch vier: Gleichsagen, Wahrsagen, Falschsagen und Entgegensagen. Gleichsagen führt zu keinem Zweiten, Wahrsagen auch nicht, wenn schon das Erste wahr war. Falschsagen führt in pragmatische Inkonsistenz, denn das reine Denken erhebt qua Theorie Wahrheitsansprüche für seine Gehalte (»Theoreme«). Bleibt das Entgegensagen, die Verneinung. Diese also ist unser alternativloser Kandidat. Doch nun droht dem reinen Denken statt pragmatischer Inkonsistenz ein sachlicher Widerspruch bei seinem zweiten »Theorem«: zwischen diesem und dem ersten »Theorem«; denn das zweite ist ja die Negation des ersten. (Wird das erste durch »Sein!« angedeutet, so muß das zweite durch »NichtSein!« angedeutet werden.) Wir behelfen uns, indem wir feststellen, daß nicht nur das reine Denken prozessual ist, sondern zugleich sein Gegenstand; denn mit diesem fällt es ja zusammen. Die »Theoreme« des reinen Denkens sind »Gelegenheitssätze«, deren Wahrheitswert sich im Fortgang ändert. Also wandelt sich auch sein Gegenstand, der logische Raum. Erst gilt von ihm »Sein!«, dann gilt von ihm »Nicht-Sein!«. Der logische Raum entwickelt sich, das Absolute ist Prozeß.13 13

Hier mag sich der Verdacht regen, daß alle Metaphysik, auch die Hegelsche

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Doch die kaum gelöste Schwierigkeit holt uns wieder ein. Mit dem Einwortsatz »Sein!« soll nur dasjenige Minimum explizit gemacht werden, das in jedem Aussagen implizit mitgesagt wird. Das zweite »Theorem« sagt also explizit das Gegenteil dessen, was es implizit mitsagen muß; es widerspricht sich selbst. Diesmal besteht die Abhilfe in der Maßnahme, den Nichtwiderspruchssatz für das (Der-Fall-)Sein zu reservieren, und da, wo der Widerspruch sich nicht vermeiden läßt, auf ein bloßes (Der-Fall-)Werden zu erkennen. Das Werdende als solches ist kein Seiendes. Sowie wir es als Seiendes nehmen, zwingt es uns zu einer inkonsistenten Beschreibung seiner und zeigt damit an, daß es irreduzibel Werdendes ist. Demnach wäre das zweite »Theorem« des reinen Denkens wahr nur als ein Augenblickssatz: für das infinitesimale Umschlagen vom reinen Sein zu etwas Neuem. Das Neue aber wäre seinerseits das Negative des Werdens und somit wieder Sein, doch jetzt vermittelt und bestimmt durch das Werden: das Sein als Dasein. Allerdings haben wir hier die Negativität zum Sein äußerlich hinzugenommen, während das Sein doch das singuläre Unmittelbare der Logik ist. Unsere Schwierigkeit ist: Die Negativität muß hinzutreten zum reinen Sein, auf daß eine logische Entwicklung in Gang komme, und sie kann nicht hinzutreten, weil neben dem Sein kein Unmittelbares auftreten darf. Dieses paradoxe methodische Postulat spiegelt sich in der sachlichen Inkonsistenz, daß die reine Negativität – das Nichts – einerseits absolut unterschieden vom reinen Sein, ein Zweites, und andererseits dasselbe wie es ist. Solange aber nur dies gesagt wird, könnte der Anfang der Logik als ein bloßes Artefakt der Methode erscheinen: Wenn ein reines Denken bzw. eine Theorie des reinen Denkens möglich sein soll, so muß die Vermittlung zur Unmittelbarkeit sowohl als ein Zweites hinzukommen als auch mit ihr identisch sein. Wünschenswert wäre es, die Inkonsistenz des reinen Seins auch an diesem selber, ohne Rücksicht auf die Methode, nachzuweisen; und dabei hilft die Aristotelische Lehre, daß das Seiende keine Gattung ist. Denken wir zum Vergleich daran, wie etwa reines Gelb für den Gesichtssinn durch Rot oder Grün modifiziert werden kann zu Orange bzw. Zitrone.

Logik, zuletzt am »Geheimnis der Zeit« scheitert. (Ich zitiere Birgit Sandkaulen, die ihrerseits Jacobi zitiert, vgl. die Überschrift zu Kapitel VI ihres Buches: Grund und Ursache (Anm. 2): »Woran die Metaphysik scheitert. Das ›Geheimnis der Zeit‹«.) Diesem Verdacht kann ich hier nicht wirksam entgegentreten. Die Zeit hat Hegel zufolge ein logisches Fundament (zu dem mehrere Schichten gehören, die an verschiedenen Stellen der logischen Entwicklung zutage treten). Also darf umgekehrt die prätemporale logische Entwicklung im nachhinein zeitlich vorgestellt werden. Ob dies das letzte Wort in der Sache sein kann, bleibe dahingestellt.

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Was orange ist, ist sowohl gelb (jedenfalls gelblich) als auch rot (bzw. rötlich). Die Gattung des Gelben ist also ausdifferenzierbar durch das Rote und seinen Gegensatz, das Grüne, in verschiedene Arten des Gelblichen. Wenn in Beziehung auf eine Mannigfaltigkeit von Orange- und Zitronetönen nun jemand von allem Nichtgelben – Rot und Grün – abstrahierte und in Gedanken reines Gelb übrigbehielte, so wäre dies eine legitime Abstraktion. Nicht so im Falle des Seienden. Wenn wir in Beziehung auf eine Mannigfaltigkeit des Seienden von allem Nichtseienden abstrahieren, so behalten wir die Mannigfaltigkeit in ihrer ganzen konkreten Fülle unverändert übrig: Wir haben ja nur von dem abstrahiert, was nicht der Fall ist bzw. nicht existiert. Nichts spricht gegen die Annahme eines Gelben, das reines Gelb und die gemeinsame Grundlage aller Modifikationen von Gelb ist. Ein Seiendes hingegen, das reines Sein wäre, ist unmöglich, gegeben verschiedene Seiende. Das Gelbe kann nicht durch Gelbes qua Gelbes differenziert werden; das Seiende hingegen kann nur durch Seiendes qua Seiendes differenziert werden. Also muß das Seiende als solches bereits von sich unterschieden und muß insbesondere das reine Sein absolut von sich unterschieden, reines Nichts sein. Nur auf diese Weise kommt, um Hegels Jacobi-Zitat aus der Seinslogik zu zitieren, des Denkens »reiner Vokal zum Mitlauter« und wird »die reine Spontaneität zur Oszillation« gebracht.14 Das erste durch Jacobi vorgegebene Beweisziel wäre also erreicht, wenn auch um den Preis (oder die Pointe) einer Inkonsistenz, in der das reine Denken beginnen und aus der es sich herausarbeiten muß. Diese Anfangsinkonsistenz ist der Motor der logischen Entwicklung, der sich in ihr selber mitentwickelt. Die veränderte Ansicht des Logischen gewinnt Kontur.

III. Vom Sein zum Wesen In der Seinslogik erweist sich jeweils ein Gehalt des Denkens als inkonsistent, demnach als Werden, Übergehen zu seinem Anderen; d. h. er macht sich zur Eingabe in die Operation der Verneinung, die als Ausgabe das Negative der Eingabe liefert. Auch die Ausgabe erweist sich sodann als inkonsistent und wird zu einer neuen Eingabe in die Operation. Da aber die Operation sich im Operieren modifiziert (denn Gegenstand und Methode der Logik sind verflochten), entsteht im allgemeinen kein enger Zirkel: von A zu Nicht-A und zurück zu Nicht-nicht-A, also A; sondern es gibt eine Richtung der Ent14

290.

WdL I, 81. Vgl. Jacobi, Über das Unternehmen des Kritizismus, …, JWA 2,

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wicklung: von A zu B (= Nicht1-A) und weiter zu dessen bestimmter Negation C (= Nicht 2-nicht1-A) usw. Allerdings kommen im Großen schließlich doch Zirkel vor. So geht die Qualität in Quantität über und diese wieder in Qualität zurück, im Maß. Am Ende der Maßlogik ist das wechselseitige Übergehen von Qualität und Quantität schließlich gesetzt als ein enger Zirkel von wechselnden »Zuständen« am Sein als indifferentem »Substrat«. Und da die Zustände nicht als unterschiedene festgehalten werden können, wird das Substrat zur »absoluten Indifferenz«. Mit ihr erreicht die seinslogische Vermittlung einen Fixpunkt, an dem Eingabe und Ausgabe strikt identisch werden, was einen weiteren seinslogischen Fortgang ausschließt. Dabei wäre ein Fortgang dringend nötig; denn der erreichte Fixpunkt ist »der allseitige Widerspruch«.15 Und da er nicht durch abermalige seinslogische Negation behoben werden kann, sondern bereits seine eigene seinslogische Negation ist, erweist er sich als antinomisch und als unbehebbar in der Sphäre des Seins. Man denke zum Vergleich an die diskursive Antinomie des Lügners, also an einen Satz, der seine Nichtwahrheit aussagt und insofern seiner Negation äquivalent ist. Wir können uns von ihm nicht distanzieren, indem wir ihn negieren, weil er das bereits selber tut und wir ihn, indem wir es ihm nachtun, nur bekräftigen. Faktisch distanzieren wir uns von ihm durch Inkonsequenz und Abwendung unserer Auf merksamkeit. Die gleiche, nur prädiskursive, Antinomie herrscht am Ende der Seinslogik. Doch stehen dem reinen Denken die Hilfsmittel der Inkonsequenz und Abwendung der Aufmerksamkeit nicht zur Verfügung. Es geht denkend auf im alternativlosen Sein, dem Substrat der ganzen seinslogischen Entwicklung, das hier, zusammengezogen in eine besondere Denkbestimmung, sein eigener kontradiktorischer Gegensatz ist. Da wir nicht mehr auf Werden erkennen können, liegt nun ein Sein vor, das seine immerwährende Selbstzerstörung ist. Die Inkonsistenz dieses seinslogischen Schlußsachverhaltes ist insofern »allseitig«, als sie nicht nur zwischen seinen Seiten (den Zuständen des Substrats) besteht – so daß man versucht sein könnte, eine Seite gegen die andere durchzusetzen –, sondern ebenso auf jeder Seite für sich und wiederum auf jeder Seite jeder Seite usf. ins Unendliche. Darin liegt einerseits die Antinomie. Wird eine Seite, etwa »p«, verneint, so wird ihre ebenfalls inkonsistente Gegenseite, »¬p«, bekräftigt, und ebenso für Verneinung von »¬p«. Darin liegt andererseits die Überwindung der Antinomie. Das unmittelbare Sein baut sich auf seinen beiden Seiten, auf den Seiten seiner Seiten, den Seiten der Seiten der Seiten usf. ins Unendliche restlos ab. Übrig bleibt allein die Operation der Negation, angewandt auf sich selbst. 15

WdL I, 392.

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Gewöhnlich geraten wir in einen Widerspruch, wenn wir uns unabhängig auf zwei Sachverhalte festlegen, die einander entgegengesetzt sind. Der Widerspruch erscheint dann als das Zweite, Nachträgliche zu zwei unmittelbaren Seiten. Nicht so im gegebenen Fall. Hier lösen sich beide Seiten ihrerseits auf in nichts als schiere Inkonsistenz; das Unmittelbare selber löst sich auf, in Beziehung auf welches Negation und Widerspruch erst möglich schienen. So verzehrt die seinslogische Schlußantinomie den unmittelbaren Gehalt ihrer Seiten und entpuppt sich als reine, selbsttragende Selbstbeziehung der Negation. Diese in nichts Unmittelbarem mehr fundierte Antinomie hat die »in ihr selbst immanent negative absolute Einheit zum Resultate und Wahrheit […], welche das Wesen ist«.16 So ist das Wesen einerseits das affirmative Resultat der Selbstauflösung des Seins. Andererseits ist es, unbeschadet dieses affirmativen Charakters, absolute Negativität. Folglich wird die Antinomie an ihm wieder aufbrechen (ausdrücklich in der Reflexionsbestimmung des Widerspruchs). Für die gesuchte genuin wesenslogische Negation ist zu fordern, daß sie leistet, was für den Übergang zum Wesen spezifisch ist: die Antinomie des Seins von ihrer Unmittelbarkeit zu befreien, sie zu entkernen, zu defundieren. In einer Mengenlehre mit geeignetem Antifundierungsaxiom gibt es die Einermenge ihrer selbst, Ω, für die gilt: Ω = {Ω} = {{Ω}} = … {{{…}}} 17 Ebenso wird die wesenslogische Negation die unfundierte Negation sein müssen, die nicht als ein Zweites zu einem gegebenen Unmittelbaren hinzutritt, sondern als das Erste ein allfälliges »Unmittelbares«, an dem sie operieren könnte, selber setzt: α / ¬(α) / ¬(¬(α) / … ¬(¬(¬(…))) Die unendliche Folge dieser Äquivalenzen, deren letzte ihrerseits einen unendlichen sprachlichen Ausdruck verlangen würde (und die demnach in unserer endlichen Sprache nur indirekt durch semantischen Aufstieg, als Lügnersatz, formulierbar ist), repräsentiert die absolute Negativität. Diese ist von bloß selbstbezüglicher Negativität noch zu unterscheiden, die bereits in der Sphäre des Seins auftrat und die immer dann vorliegt, wenn ein Inhalt 16 17

1988.

WdL II, 392. Vgl. Peter Aczel, Non-Well-Founded Sets. CSLI Lecture Notes 14, Stanford

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des Denkens seiner eigenen Negation logisch äquivalent und daher bis auf logische Äquivalenz seine eigene Negation (das Andere seiner selbst) ist. Von einem unmittelbaren Inhalt, an dem die Antinomie aufträte und der von ihr in Bewegung versetzt würde, kann aber nun keine Rede mehr sein; und in diesem Sinn erweist sich im Übergang vom Sein zum Wesen die selbstbezügliche Negation des Seins als die absolute Negativität, welche das Wesen ist. Um die defundierte Inkonsistenz des Wesens für die weitere logische Entwicklung fruchtbar zu machen, zerlegen wir sie nun in zwei Seiten, deren jede prima facie konsistent ist. Denken wir uns die absolute Negativität durch eine nach rechts unendliche Kette von Negationszeichen ausgedrückt: ¬(¬(¬( …))) so haben wir zugleich die Option, die Negationszeichen paarweise zusammenzufassen und als Zeichen der doppelten Negation, also der Affirmation zu lesen: ¬¬(¬¬(¬¬( …))) Diese Lesart ergibt den Gedanken absoluter, unfundierter Affirmation als Resultat des Selbstbezugs der absoluten Negativität. Aber natürlich liegt ihr eine Einseitigkeit zugrunde; denn für unendlich viele Negationszeichen dürfen wir nicht unterstellen, daß wir sie paarweise zusammenfassen können, so als gäbe es eine gerade Anzahl von ihnen. Um unsere Einseitigkeit zu korrigieren, müssen wir daher die Möglichkeit, daß ein Negationszeichen übrigbleibt, gesondert in Rechnung stellen und erhalten so das Negative der absoluten Affirmation: ¬[¬¬(¬¬(¬¬( …)))] Die absolute Negativität hat demnach ein doppeltes Resultat: zwei Ansichten vom Wesen, zwei Wesenheiten, wie Hegel pluralisierend sagt, oder Reflexionsbestimmungen. Das Wesen zeigt sich als Kippbild zwischen (a) sich selbst und (b) seiner Negativausgabe, in der es sich verneint und sich von sich unterscheidet. Diese beiden Ansichten des Wesens sind die Identität und der Unterschied. In ihnen ist die Antinomie der absoluten Negativität auseinandergelegt, verteilt auf zwei Seiten und damit vorläufig entschärft. Obwohl das Wesen absolute Negativität ist, kann die logische Entwicklung weitergehen. Doch Identität und Unterschied sind beide jeweils das ganze Wesen, sie

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gehen nicht ineinander über, sondern sie bleiben in sich, »scheinen« aber »ineinander«, weil sie insgeheim zusammenhängen und nur verschiedene Ansichten des einen Wesens sind. Wenn aber an sich, sichtbar nur für uns, noch nicht für das reine Denken, jede der selbständigen Reflexionsbestimmungen die andere einschließt, dann ist insgeheim auch jede widerspruchsvoll: die ganze absolute Negativität. Die weitere wesenslogische Entwicklung besteht zunächst darin, diese Inkonsistenz zu setzen, und dies geschieht in der Reflexionsbestimmung des Widerspruchs. In ihr wird der Motor der logischen Entwicklung zum logischen Inhalt bzw. nimmt der logische Raum die Gestalt dessen an, was seine Evolution antrieb und was an seinen bisherigen Gestalten jeweils versteckt oder offen vorkam. Aber dies ist natürlich nicht das Ende und endgültige Scheitern des logischen Unternehmens. »Der Widerspruch löst sich auf«, verkündet Hegel vielmehr, und: »Das Wesen bestimmt sich selbst als Grund«.18 Wie es das tut, ist hier nicht näher zu untersuchen. IV. Vom Wesen zum Begriff Nehmen wir zugunsten Hegels einmal an, daß wie die Schlußantinomie des Seins so auch der reflexionslogische Widerspruch sich überwinden läßt, so daß ein Fortgang des Denkens möglich wird. Dieser wird zwar weiterhin von Inkonsistenzen heimgesucht werden und insbesondere in eine Schlußantinomie des Wesens münden. Aber deren Überwindung soll, wenn alles gutgeht, vergleichsweise unproblematisch – kein Salto mortale – sein und den unendlichen freien Begriff zum Resultat haben, dessen Freiheit Jacobi an der vormaligen Metaphysik und an der starren Notwendigkeit ihrer Methode vermißt hatte. Das erste Unmittelbare ist das Undurchschaute, Hinzunehmende. Ich finde mich ihm konfrontiert und weiß nicht, von woher und warum. Es ist opak für das Denken. Mit dem bloßen Sein als undurchschautem Rest, der übrigbleibt, wenn wir von allen Bestimmungen des Seienden abstrahieren, begann die Seinslogik. Ihren Fortgang verdankte sie der Negativität, die aus dem Sein neben das Sein trat, es ausdifferenzierte und wieder in das Sein zurücktrat. In gewissem Sinn war sie ein zweites Unmittelbares. Aber sie fiel nicht als ein solches auf, weil sie Operation war, nicht Operandum oder Resultat. In der Wesenslogik wird sie zum Prinzip des Seins: als absolute Negativität, die kein Unmittelbares neben sich hat, sondern aus sich heraus den Schein einfacher Unmittelbarkeit und im übrigen vermittelte Unmit18

WdL II, 51 bzw. 63.

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telbarkeit erzeugt. Das Sein ist damit transparent geworden für das reine Denken. Für uns als seine Theoretiker bildet es keinen theoretischen Einsatz mehr, den wir investieren müssen, sondern Reingewinn. Opak fürs Denken und Einsatz für uns ist nur noch die vermittelnde Negativität. Die Wissenschaft der Logik aber ist das Versprechen, daß selbst das Vermittelnde nicht opak bleiben, sondern sich vollständig in sich vermitteln und aufklären wird. Das Unmittelbare und Opake begrenzt das Denken, macht es zu einem Endlichen. Die Auflösung des Unmittelbaren und Aufklärung des Opaken, die restlose Vermittlung der Vermittlung mit sich würde das Denken entgrenzen, unendlich machen, befreien. Auf dem Weg zur Einlösung dieses Versprechens kommt der Wesenslogik die entscheidende Rolle zu. Denn wenn in ihr die Operation alles ist, die ihre Operanda und Resultate aus sich heraus erzeugt, dann ist deren Transparenz de facto schon ihre eigene Transparenz, und dies müßte »nur noch« an ihr bzw. ihnen gesetzt werden. Gesetzt wird es in der Wechselwirkung. Zu ihr gestaltet sich das Wesen, kurz gesagt, indem es sich als Substanz refundiert und so die Höhe desjenigen Denkens erreicht, welches nach Jacobis Diagnose nicht mehr philosophisch überboten, sondern nur in einem Salto übersprungen werden kann – obschon Jacobi vermerkt hat, daß Hegel auf den Sprung verzichtet.19 Was es Hegel erlaubt, statt des Sprunges selbst hier noch einen logisch geregelten Schritt zu vollziehen und zugleich sein zweites Beweisziel gegen Jacobi zu erreichen, ist nun gerade der Sachverhalt, daß das reine Denken ab ovo in Inkonsistenz befangen war und daß diese Inkonsistenz auch noch das Spinozanische Substanzdenken prägt, bei dem daher kein Halten ist, sowenig wie auf früheren Stufen der logischen Entwicklung.

Vgl. den Brief Jacobis an Neeb vom 30. 5. 1817 (AB II, 467 f.): »Der Unterschied zwischen Hegel und mir besteht darin, daß er über den Spinozismus […], welcher Spinozismus auch ihm das letzte, wahrhafte Resultat des Denkens ist, auf welches jedes consequente Philosophiren führen muß, hinauskommt zu einem System der Freiheit, auf einem nur noch höheren, aber gleichwohl demselben, (also im Grunde auch nicht höheren) Wege des Gedankens – ohne Sprung; ich aber nur mittelst eines Sprunges, eines voreiligen, von dem Schwungbrette aus des bloß substantiellen Wissens, welches zwar auch Hegel annimmt und voraussetzt, aber anders damit umgegangen haben will, als es von mir geschieht, dessen Methode ihm Aehnlichkeit zu haben scheint mir der, welche wir als lebendige Wesen befolgen bei der Verwandlung von Nahrungsmitteln in Säfte und Blut durch bewußtlose Verdauung, ohne Wissenschaft der Physiologie. Er mag wohl recht haben, und gern wollte ich mit ihm noch einmal alles durchversuchen, was die Denkkraft allein vermag, wäre nicht der Kopf des Greises zu schwach dazu.« (Ich danke Walter Jaeschke für diesen Hinweis). 19

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Die Substanz ist Ursache und hat eine Wirkung, die wiederum Substanz und sie selber, somit Ursache ihrer selbst ist. Die Ursache ist daher nicht erst im Sonderfall des Spinozanischen Gottes, sondern, wie Hegel in der enzyklopädischen Logik betont, »an und für sich c au s a s u i« (§ 153 Anm.). Hegel fährt fort: »J ac ob i , fest in der einseitigen Vorstellung der Ve r m it t lu n g , hat (Briefe über Spinoza, 2te Ausg. S. 416) die causa sui (der effectus sui ist dasselbe), diese absolute Wahrheit der Ursache, bloß für einen Formalismus genommen. Er hat auch angegeben, daß Gott nicht als Grund, sondern wesentlich als Ursache bestimmt werden müsse; daß damit nicht das gewonnen sei, was er beabsichtigte, würde sich aus einem gründlichern Nachdenken über die Natur der Ursache ergeben haben.« (Ebd.) Jacobi ordnet den Begriff der Ursache der realen, empirischen Ordnung, den des Grundes der logischen, begrifflichen Ordnung zu und tadelt ihre Vermischung. 20 Damit dürfte er gegen Hegel (und Spinoza, an dessen »causa seu ratio«21 hier zu denken ist) unsere begrifflichen Intuitionen auf seiner Seite haben. Andererseits würde Hegel sich gegen Jacobi und unsere Intuitionen auf seine Theorie des reinen Denkens berufen können, die den Grund zwar als eine – die letzte – Reflexionsbestimmung (und insofern als der begrifflichen Ordnung besonders nahestehend) dargetan hat, die aber die geläufige Differenz des Realen und des Begrifflichen systematisch unterläuft, indem sie, ihrer veränderten Ansicht des Logischen zufolge, die Denkbestimmungen als prädiskursive Sachverhalte entwickelt, die als Gestalten des logischen Raumes oder des Absoluten den empirischen Objekten im logischen (und physikalischen) Raum in puncto Realität gewiß nicht unterlegen sind. 22 Freilich ist aus eben diesem Grunde Hegels Polemik zurückzuweisen: Bloßes Nachdenken, und sei es noch so gründlich, über die Natur der Ursache kann hier nicht weiterhelfen. Es ist vielmehr Hegels sehr spezifische Theorie, welche die Ursache als eine (entfernte) Nachfolgerbestimmung des Grundes und An der von Hegel genannten Stelle in der Beilage VII; vgl. JWA 1, 255–257. Vgl. Baruch de Spinoza, Ethik, Teil I, Lehrsatz 11, 2. Beweis. 22 Dem teleologischen Aspekt unseres Redens von Gründen versucht später die Begriffslogik im Teleologie-Kapitel mittels der Bestimmung des Zweckes Rechnung zu tragen (vgl. WdL II, 383– 406). Es ist charakteristisch für die Hegelsche Logik, daß sie grundlegende Begriffsbildungen systematisch als vielschichtig erweist, indem sie ihre verschiedenen Schichten an verschiedenen Stellen der logischen Entwicklung abhandelt. Unsere Begriffe des Grundes, der Ursache und des Zweckes werden auf diese Weise gründlich entmischt. Wenn die idealistische Rezeption Jacobis es versäumt hat, seinen Reflexionen über die Begriffe von Grund und Ursache die gehörige Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 2), S. 79), so hat dies Versäumnis für Hegels eigene Konzeption also keine negativen Folgen gehabt. 20 21

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als an und für sich Ursache ihrer selbst dartut 23 und zugleich die Nachfrage, ob diese Bestimmung der realen oder der begrifflichen Ordnung angehört, als fehlgeleitet abweist. In der Symmetrie der Wechselwirkung nun wird die aktive Substanz oder die Ursache von der passiven Substanz, auf welche die Wirkung geschieht, ununterscheidbar. Doch nicht nur dies. Die Substantialität der Substanzen ist ihre Ursächlichkeit. Somit sind nicht nur die beiden Seiten der Wechselwirkung voneinander, sondern ist auch diese selber von jeder ihrer Seiten ununterscheidbar: Das Wirken ist Substanz, das Wirkende ist Substanz, und das Rückwirkende ist dieselbe ununterscheidbare Substanz. Und dies ist der Fall nicht nur an sich oder für uns, sondern es ist gesetzt (für das reine Denken). Denn die Wechselwirkung ist selbst das Setzen der Ununterscheidbarkeit der beiden Substanzen, die sich darin und nur darin unterschieden, daß eine die aktive und eine die passive war. Die Wirkung der aktiven auf die passive kann dort nichts modifizieren als ihren Status, passive Substanz zu sein. So wird die passive zur aktiven Substanz und ipso facto die aktive zur passiven, und dieser neue Unterschied ist so wenig stabilisierbar wie der alte. Dies führt also allererst zur Wechselwirkung, die sich somit als ihr eigenes Prinzip erweist, da sie das Setzen der Ununterscheidbarkeit der Substanzen und darin das selbstgenügsame Setzen ihrer selbst ist. Es bedarf nun keiner externen Maßnahmen mehr, um den Übergang zum Begriff zu verstehen, sondern nur der Anerkennung, daß der Widerspruch der Wechselwirkung zugleich mit allen Resten unvermittelter Unmittelbarkeit entfällt. Der Begriff ist die Wechselwirkung minus deren Widerspruch, daß zwei Ununterscheidbare zugleich numerisch verschieden sein sollen. Er erbt von ihr, daß er ist, als was er sich setzt, und sich setzt, als was er ist. Anundfürsichsein und Gesetztsein sind im Begriff ein und dasselbe. Ferner erbt er von ihr, daß das Setzen, die vermittelnde Tätigkeit, mit jedem ihrer Relata identisch ist. Dies definiert den Begriff. Er ist die Operation, die ihr Operandum und ihr Resultat, oder die Relation, die jedes ihrer Relata ist. Freilich kann diese äußerliche Redeweise den Begriff nicht offiziell definieren; denn sie zehrt von der vorausgesetzten Kategoriendifferenz zwischen Operation hier und Operandum und Resultat dort bzw. zwischen Relation

Spinoza selbst nimmt die causa sui de facto für einen Formalismus, d. h. er läßt die spekulative Seite dieses Begriffs in seinen Beweisen brachliegen. Sofern Jacobi als Interpret Spinozas auftritt, ist ihm also kein Vorwurf zu machen. Es ist aber gerade die Inkonsistenz der spekulativ gefaßten causa sui – ihre Unfundiertheit als causa sui bei gleichzeitiger (Selbst-)Fundiertheit als effectus sui –, die als Schlußantinomie der Wesenslogik (in der Wechselwirkung) über Spinoza hinaustreibt. 23

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und Relata. Sie deutet insofern die offizielle Definition des Begriffs nur defizitär an, welche die ganze seins- und wesenslogische Entwicklung selber ist. Wer den Anspruch für überzogen hält, daß im Begriff des Begriffes alle unmittelbaren Voraussetzungen abgebaut sind und ein transparenter, selbstvermittelter, in seiner Selbstvermittlung entspannt negativer und daher widerspruchsfreier Gedanke erreicht ist, möge bedenken, daß wir uns in der Logik befinden. Vom Logischen nämlich sollten wir erwarten, daß es sich in der Tat in Transparenz auflöst, ohne ein fixes Begriffsschema zurückzulassen. Als opake, harte Struktur sollte allein die kontingente Struktur des materiellen Raum-Zeit-Systems übrigbleiben, die in den exakten Wissenschaften beschrieben wird. Es gibt kein undurchsichtiges und hartes logisch-metaphysisches Gerüst der Welt – kein Begriffsschema –, welches unser Denken einschränken könnte. Dennoch ist das Logische nicht nichts, sondern Hegel zufolge das Allerrealste, ja Absolute. Die exakte Wissenschaft beschreibt in einem unendlichen Progreß von Nachfolgertheorien nur die faktische Struktur des Kontingenten; und die philosophische Wissenschaft zeigt, daß dem so sein muß, indem sie die logisch-metaphysische Struktur des Notwendigen zum Gegenstand hat und diese einerseits aufbaut und andererseits zugleich abbaut. Die objektive Logik ist, wie oft bemerkt wurde, eine kritische Darstellung der Metaphysik: Aufbau und Abbau der Metaphysik in einem. 24 Die subjektive oder Begriffslogik ist demgegenüber affirmativ, weil gleich zu ihrem Beginn der Abbau vollendet und die Transparenz des Begriffes erreicht ist, auch wenn innerhalb ihrer ein Rückfall in eine sozusagen gezähmte und umhegte Dunkelheit eintritt, die als Motor der begriffslogischen Entwicklung fungiert. Das Logische macht sich als Quasistruktur des Denkens und der Welt nur bemerkbar, indem es sich als kategoriale Struktur abbaut, nachdem es sich zuvor aufgebaut hat, bzw. indem es sich zugleich auf- und abbaut. Dieses Ineinander von logischem Aufbau und Abbau ist die eigentliche logische Selbstvermittlung: die des Begriffes. Es gilt also gegen Jacobi, wie im übrigen gegen den Naturalismus, daß ohne Metaphysik keine Erkenntnis des Absoluten möglich ist, dies aber nicht, weil die Metaphysik die wahre Theorie des Absoluten wäre – es kann die Metaphysik als die Theorie des Absoluten gar nicht geben, weil jede vorgeschlagene metaphysische Theorie inkonsistent ist und über sich hinaustreibt zu einer sie überbietenden Alternative und alle metaphysischen Alternativen zusammen zum Abbau der Metaphysik als solVgl. Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 1978, und Hans-Peter Falk, Das Wissen in Hegels »Wissenschaft der Logik«, Freiburg / München 1983. 24

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cher in der Selbstvermittlung des Begriffs. Diese ganze Bewegung der Logik, die an ihrem Ende in Form eines binnenlogischen Sachverhaltes hervortritt als die absolute Idee, ist die philosophische Erkenntnis des Absoluten. Ein unmittelbares Wissen vom Absoluten aber ist unmöglich. Transparenz gleich am Anfang wäre die unbestimmte Helligkeit des reinen Seins, die von der unbestimmten Dunkelheit des Nichts nicht zu unterscheiden wäre. Soweit Hegels Programm, das eine Ausführung erhalten hat, von deren Einzelheiten wir noch zu wenig verstehen, um kompetent über ihren Erfolg oder ihr Scheitern urteilen zu können. Der späte Schelling, Experte aus nächster Nähe, war von ihrem Scheitern überzeugt: davon, daß Unmittelbarkeit und Vermittlung sich nicht restlos und nicht so vermitteln lassen, daß eine transparente Form der Negation gewonnen werden kann, deren Selbstbezug und Absolutheit nicht mehr antinomisch, sondern die Unendlichkeit des freien Begriffs ist. Die veränderte Ansicht des Logischen, deren Notwendigkeit Kant und Jacobi begründet haben, stünde dann noch aus. Oder ein anderer als Hegel hätte sie in der Zwischenzeit entwickelt. Aber wer?

Unmittelbares Wissen und begriffenes Selbstbewußtsein des Geistes. Jacobi in Hegels Philosophie der Religion von Lu de Vos

Es ist eine Eigentümlichkeit Hegels, daß er kritisierten und abgelehnten Positionen nachher wieder beschränkte Geltung verschafft. Auch Jacobis Position wird nach Glauben und Wissen in dieser Art und Weise aufgehoben. Nicht nur in der Wissenschaft der Logik, sondern auch in der Religionsphilosophie wird sie zunehmend mehr als unverzichtbare Leistung gewürdigt. Ob Jacobi selbst diese Würdigung in Dankbarkeit anerkannt hätte, steht auf einem andern Blatt. In diesem Beitrag werde ich die endgültige Darstellung Jacobis in der Religionsphilosophie von 1827 erörtern, 1 in der Hegel Jacobi als einen religiösen Denker betrachtet, dem es um ein Verhältnis zum Unbedingten geht. Die Hauptthese dabei lautet: Das von Jacobi formulierte unmittelbare Wissen Gottes wird von Hegel als ›Zeugnis des Geistes von sich‹ gedeutet, dessen er sich bei der Entfaltung der Gedanken der Religion und damit oder darüber hinaus ebenso zur Entwicklung des Gedankens schlechthin bedient. In dieser Hinsicht geht es um die genaue Bestimmtheit des Wissens der reinen Freiheit des Geistes. In einem ersten einleitenden Punkt stelle ich die Beziehung der Religionsphilosophie Hegels zu Jacobi her (I.). Danach zeige ich, wie Hegel sich bemüht, das unmittelbare Wissen sowohl in den Begriff der Religion überhaupt als auch in den der vollendeten oder offenbaren Religion zu integrieren (II.). Dies provoziert die Frage, inwiefern Jacobis Philosophie in dieser Weise aufgehoben werden kann (III.). Das Thema ›Pantheismus‹ verdeutlicht schließlich die Relevanz der Diskussion (IV.). In einem kurzen Resultat versuche ich am Ende, den Gegenstand der Diskussion hinsichtlich der aufs Absolute bezogenen Begriffe ›Grund – Ursache – freier Begriff‹ zusammenzufassen (V.).

Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse wird nach den drei Auflagen (E, E², E³) nach dem Text der GW mit §. zitiert. 1

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I. Ansatz Hegels ausführliche Diskussion Jacobis findet sich 1827 innerhalb einer kritischen Darstellung in der Religionsphilosophie. Was heißt nun Religion bei Hegel? Sie ist das theoretische und kultische Wissen von Gott: »Der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selbst weiß, dies Wissen ist Selbstbewußtsein Gottes, aber ebenso ein Wissen desselben vom Menschen, und dies Wissen Gottes vom Menschen ist Wissen des Menschen von Gott« (GW 18, 302). Damit faßt Hegel seine Bestimmungen über Religion zusammen. Deutlich ist, daß die Religion sowohl mit dem Selbstbewußtsein des Menschen zu tun hat als auch mit demjenigen Gottes. Bei der Entwicklung solcher Gedanken betrachtet Hegel Jacobi als einen religiösen Denker – was ja mit Jacobis eigenen Aussagen nicht unverträglich ist, insofern er sich in religiösen Termen, z. B. als Heide und Christ versteht (vgl. JWA 1, 351, 116). Die Beziehung Hegels zu Jacobi wird schon in der Einleitung zur Vorlesung von 1827 deutlich. Die Religionsphilosophie betrachtet Gott als Gegenstand schlechthin, der durch sich selbst und für sich selbst ist. Vor diesem Hintergrund ist nach ihrem Verhältnis zu den Bedürfnissen der Zeit zu fragen. Mit der von Anfang an angesetzten Bestimmtheit Gottes wird als spezifisches Thema die causa sui (durch sich) als Geist (für sich) exponiert, worin bereits eine Differenz zu Jacobi liegt. Bei den Zeitbedürfnissen faßt Hegel das unmittelbare Wissen als die unmittelbare Offenbarung des Geistes, der dadurch Zeugnis von sich gibt. Allerdings eignet diesem Wissen eine polemische Seite, und insofern ist es nicht unbefangen. Seine wesentliche Beschränktheit besteht in seiner ausschließlichen Unmittelbarkeit. Wichtig hingegen ist die Übereinstimmung: »Dies Wissen von Gott und diese Untrennbarkeit des Bewußtseins von diesem Inhalt ist gerade, was wir Religion überhaupt nennen« (V 3, 72). Damit ist gesichert: Der absolute Gegenstand ist einerseits auch noch (oder wiederum) für das gegenwärtige Bewußtsein eine – philosophisch legitimierbare – Idee und nicht dem philosophischen Begreifen überhaupt entgegengesetzt. Und andererseits bezeugt das Zeugnis des Geistes von sich, daß der ›Geist für den Geist‹ ist. Diejenigen, die von diesem Zeugnis ausgehen, manifestieren dadurch die Übereinstimmung mit dem, was sie bekämpfen. Deshalb zeigt der absolute Geist ein Wissen an, zu dessen endlichen Formen die Unmittelbarkeit gehört, die aber selbst Vermittlung enthält und deren Notwendigkeit als die vernünftige Legitimation der Sache selbst aufgewiesen werden kann. So weit Hegels Programm.

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II. Selbstbewußtsein des Geistes Gelingt es Hegel nun, die vorgelegten Thesen, zentriert um das Selbstbewußtsein des Geistes, genauer um das ›Zeugnis des Geistes von sich‹, einleuchtend darzustellen? Zu solcher Erklärung gehört nicht bloß die kritische Vorführung des Begriffs der Religion (a), sondern auch die Überprüfung der vollendeten Religion (b). a. Begriff der Religion Für den Begriff der Religion ist – spezifisch für 1827 – derjenige Gottes entscheidend. Gott ist, so Hegel, alle Wahrheit, wie sie – methodisch – als behauptetes Resultat der vorhergehenden Philosophie vorgetragen worden ist. So ist er das Sein aller Dinge, ihre wesentliche Selbständigkeit oder ihr Bestehen. Alle Dinge haben gegen ihn nur den Schein eines Seins; mit einem Wort, das hier noch nicht fällt: Er ist das »Sein in allem (Da)Sein« (V 3, 268ff, vgl. V 4a, 471). Damit wird Gott Substantialität zugeschrieben, die Totalität der Akzidentien, die er als Reichtum seines Inhalts offenbart. Dergestalt wäre – Jacobi zufolge – ein möglicher Pantheismus angesprochen, den Hegel zu Unrecht auch Jacobi unterstellt, und dem er an dieser Stelle auch nicht zu begegnen versucht. Hegel selbst betrachtet die Substanz indes bloß als notwendige, aber unzureichende Bestimmung des absoluten Geistes. Der ›absolute‹ Geist beansprucht – seinem Wesen oder Begriff nach – solche Allgemeinheit, daß er Beziehung auf sich ist, die nicht ohne die causa sui, das ›durch sich sein‹, wie es auch von Jacobi angenommen wird, aufgefaßt werden kann. 2 Mit der Substanz ist aber lediglich ausgesagt, daß der Gegenstand der Religion sich auf sich in der Weise des durch sich bezieht. Solche Beziehung ist minimal, insofern darin noch keine besonderen Selbständigen zu ihrer Bestimmung kommen. Denn mit der Substanz ist nur ein einziges, erfülltes Bestehen ausgesagt, mit dem besondere Wesen als Form in Beziehung gesetzt werden. So kann das Absolute als durchgängiges einziges Thema einer Religion überhaupt gedacht werden, ohne daß hier schon von weiteren Hinsichten des Glaubens die Rede und ein Kultus vorgesehen wäre. Nur die vom Thema selbst hergestellte Beziehung auf sich, ohne welche das Absolute überhaupt Daß Gott ›durch sich‹ ist, kann nur negativ bestimmt werden, denn wir sind nicht durch uns selbst (JWA 1, 144). Ob damit Etwas in Gott, der ja die höchste und gesonderte Ursache ist, erkannt wird, ist für Jacobi unbestimmbar; für Hegel ist es wenigstens unbestimmt. 2

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nicht das allgemeine Thema des Glaubens oder des Kultus sein könnte, ist ›abstrakt‹ gesichert, insofern die Beziehung nur ›durch sich‹ und noch nicht ›für sich‹ ist. Erst die Fragen, wieso dies Thema einer Betrachtung sein kann und für wen es Thema sein dürfte, führen weiter. Das religiöse Thema als solches, ›Gott‹, ist in konkreter Hinsicht Gott für den Menschen. Und, so fügt Hegel schnell hinzu, da das eigentlich Menschliche des Menschen das Denken ist, ist Gott ein Begriff des spezifisch menschlichen Denkens. Im Denken, so spezifiziert Hegel, denkt der Mensch nicht so sehr Gott, als er sich zu Gott erhebt. Dies ist seine Erhebung zum Reinen, zu derjenigen Allgemeinheit, die ohne Schranken ist. Ohne Schranken sein ist durch sich sein und dies durch sich sein heißt Substanz. Das Inhaltliche selbst ist Substanz, die aber in ihrer Auseinandersetzung auch für etwas, deshalb Entwicklung ihrer selbst und so Geist ist. – In solcher Entwicklung faßt Hegel in einer Bewegung sowohl den Übergang von der Substanz zum spekulativen Begriff als auch die interne Darstellung des Begriffs zusammen. Infolge dieser Entwicklung ist aber nicht mehr der Begriff der Substanz thematisch, sondern das Auffassen des Begriffs Gottes, das Wissen von Gott. Von Gott ausgehend, kann Gott Gegenstand des Bewußtseins werden. Er zeigt sich dann als Urteil oder als sich offenbarend: so heißt er ›schaffend‹. Er verliert nichts, wenn er sich mitteilt, aber er zeigt sich in dieser seiner Handlung der Mitteilung als auf Andere bezogen. Er stellt eine Beziehung des Fürsichwerdens, und dies heißt des Geistes zum Geist, dar. Gott zeigt ›sich‹ als Geist, während die Substanz bloß in der Manifestation der Akzidentien besteht. – Die Frage Jacobis, inwieweit Hegel auf seinem »hö h e r e n […] Wege des Gedankens« nicht vielmehr nur »d e n s e lb e n« Weg des Spinozismus reproduziert, 3 wäre so von Gott selbst und durch ihn erledigt, sofern er sich in der Mitteilung einigen mitteilt, die ihn als Geist anerkennen. – Mit einer solchen ersten Entfaltung wären jedoch auch für Hegel zunächst einmal nur rein metaphysische Urteile ohne religiöse Erscheinungsweise oder ohne Singularisierung des religiösen Begriffs dargeboten. Dagegen wird ausgehend von unserem Wissen aufgezeigt, was das religiöse Bewußtsein ausmacht, indem wir uns schon als – subjektiv und objektiv – konstituiert betrachten. Die erste Form des Wissens von Gott ist das unmittelbare Wissen. 4 Damit Vgl. Jacobis Brief an Neeb, 30. 5. 1817, zitiert in JWA 1/2, 593 f. Die Beschreibung und Kritik sehen derjenigen der E² §§ 65 ff. ähnlich, wo das unmittelbare Wissen als dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität eingeführt wird. 3

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wird die Position Jacobis in die Bestimmung des Begriffs der Religion aufgenommen. Das unmittelbare Wissen (Gottes) ist nun so zu beschreiben, wie es als Bewußtsein von Gott vorgefunden wird. Dabei wird von Hegel nicht untersucht, wie es zustandekommt oder genau vorgestellt wird. Solches Bewußtsein ist eine subjektive Gewißheit oder ein unmittelbares Wissen vom seienden Gott. Diese Gewißheit bestätigt dem Wissen, daß Gott Gegenstand seiner Gewißheit ist und daß er ist. Mit dieser Gewißheit, so analysiert Hegel, wird der Inhalt ›Gott‹ als mein Inhalt ausgesagt, aber so, daß er nicht nur der meinige ist. »Gott ist diese an und für sich seiende Allgemeinheit, außer mir, unabhängig von mir, nicht bloß für mich seiend« (V 3, 282). Deshalb sind hier zwei Bestimmungen miteinander verbunden: Gott ist absolut an und für sich; und dies an und für sich Seiende gegen mich ist zugleich das Meinige, im Ich. Sowohl Gott als auch das wissende Subjekt einschließend, ist die Gewißheit die ungetrennte unmittelbare Einheit von beiden. – Damit referiert Hegel auf Jacobis Vorstellung des Unbedingten, wonach dieses – unabhängig von der Vorstellung – eine realistische Tatsache ist. »Du wirst […] Gottes inne werden, wie Du Deiner selbst inne bist.« (JWA 1, 138; vgl. ebd. 117, 342). Hegel fragt sich dann als Philosoph, ob solche Gewißheit wahr sei, indem aus der Gewißheit nicht eo ipso Wahrheit folgt. Mit dieser Frage zeigt Hegel, daß es ihm um eine skeptisch-kritische Darstellung der vorhandenen ›realphilosophischen‹ Bestimmungen geht. Zugleich wird damit die Wahrheitsfrage gegen Jacobi ausgespielt, als Frage nach dem Glaubensgrund, nach der Wahrheit der Gewißheit, und als Frage nach der Autorität des wahren Wissens der Zeugen. Dieses Problem der ›Rechtfertigung‹, das Jacobi in Beziehung auf den Glauben zwar in erster Instanz ablehnt (vgl. JWA 1, 115–117), scheint er zumindest hinsichtlich der Bedeutung der Freiheit seinerseits gekannt zu haben. Denn seine Philosophie ist die Darstellung und Verteidigung seiner unmittelbaren Überzeugung von der Freiheit, wenn nicht für die Schule, so doch fürs Publikum: Er gesteht, (Bewußtsein von) Freiheit zu haben, dies(e) aber nicht anders vertreten zu können, als nur in Form einer bezeugenden und hinweisenden Sprache. 5

Vgl. JWA 2, 424 f., aber auch JWA 1, 339. – Gerade in dieser Hinsicht wird eine unterschiedene Auffassung von Philosophie deutlich: Die kritische Überprüfung von Wahrheitsansprüchen einerseits, damit – gesicherte und für Alle (auch für die Schule) einsehbare – Wahrheit sei, und andererseits die Darstellung einer nicht in der Philosophie als denkender Betrachtung, sondern schon anderswo (realistisch) gesicherten Wahrheit. 5

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Sofern die Gewißheit kritisch überprüft wird, sind, so Hegel, Formen der Gewißheit zu unterscheiden. Erstens ist sie ein Glaube, der einen unbestimmten oder leeren Gegensatz gegen das Wissen in sich hat. Denn wenn Wissen einen Inhalt meines Bewußtseins anzeigt, dann stellt sich das Wissen nicht gegen den Glauben. So weiß man unmittelbar, daß Gott ist. Zweitens ist die Gewißheit ein Glaube in dem Maße, wie sie weder unmittelbare sinnliche Gewißheit noch Wissen der Notwendigkeit ist. In neuerer Zeit (und dies schließt Jacobi ein) wird lediglich die Frage nach der Einsicht in die Notwendigkeit hervorgehoben, denn Wissen ist Kenntnis der Notwendigkeit, wogegen der Glaube eine unmittelbare Gewißheit meint. Wenn kein Grund für Notwendigkeit vorliegt, ist die Gewißheit, daß ein Gott ist, ohne Einsicht. Man glaubt nun ja an Gott. Solcher Glaube ist subjektiv (gegen die objektive Einsicht), oder in abwertender Bedeutung ist er eine Sache des privaten Geschmacks oder der persönlichen Präferenz. Glaubensgründe gibt es also eigentlich auf Seiten der Gewißheit nicht, insofern es sich um ›objektive Gründe oder verbindende Vernunftgründe‹ handeln müßte. Man glaubt schlicht an Gott und ist dessen gewiß. Dennoch spricht man, so Hegel (V 3, 350), vom Glaubensgrund, denn der Glaube kommt nicht von nirgendwo. Habe ich eigentliche, objektive Gründe, dann ist die Sache erwiesen; dies trifft aber auf die Gewißheit nicht zu, die keiner hinzukommenden Gründe bedarf. Dennoch gibt es subjektive Gründe: der Hauptgrund ist die Autorität des Vertrauens auf die Tugend oder das Zeugnis von Personen. Der Glaube basiert also auf der subjektiven Autorität des Zutrauens zu solchen Personen, die selbst wissen (oder darüber gewiß sind), was wahr sei. Damit glaubt man aufgrund eines Zeugnisses. Der ›absolut‹ genannte Grund des Glaubens ist aber, so Hegel mit Blick auf die Heilige Schrift, das Zeugnis des Geistes selbst. Dieses Zeugnis bezeugt, daß der Inhalt der Religion dem Wesen meines Geistes gemäß oder entsprechend sei. Mein Geist weiß von sich selbst, nicht seiner persönlichen Individualität nach, sondern er weiß von seinem Wesen oder in einer ›absolut‹ zu nennenden Bedeutung. Dieses wesentliche religiöse Wissen von sich ist ›auch‹ ein unmittelbares Wissen; gerade dieses Wissen ist die Beglaubigung des ewigen und wirklichen, wesentlichen Wahren selbst, durch ›göttliches Leben‹. Als Gewißheit ist sie einfach und wahrhaft, weil das Wahre selbst sich an dieser Wissensbestimmtheit individualisiert oder mir ›inne wird‹. Sofern das Zeugnis eine (unmittelbare) Selbstbeziehung meines Wissens zum Wesen des (religiösen) Wissens ist, ist dem unmittelbaren Wissen entsprochen. Wenn dies nicht der Fall wäre, wenn der Geist sich nicht (ebenso) in mir offenbarte, wäre überhaupt keine Offenbarung und keine Anerkennung desselben möglich. Das unmittelbare

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Wissen zeigt also auf, was in der Religion immer auch, aber nicht vollständig geschieht, daß sich das (religiöse) Wissen des religiösen Inhalts bereits in dem Maße vergewissert hat, wie es sich auch am Inhalt findet. 6 Das ›Zeugnis des Geistes von sich‹ ist fundamentales und basales (religiöses) Wissen, für welches Gott oder der Geist als solcher ist (vgl. E² § 554).7 So ist ein Moment der Unmittelbarkeit im religiösen Wissen aufgewiesen, ohne die Religion darauf zu restringieren und ohne daß Hegel Jacobis Philosophie-Begriff des Entweder-Oder übernähme. Aber als Gewißheit zeigt und weiß dies Wissen unmittelbar nicht, was es bedeutet. Deshalb wird es veranlaßt, in weiteren gegensätzlichen Formen aufzutreten. Gerade diese Form der Gegensätzlichkeit wird im Anschluß an Jacobi nicht mehr in der Darstellung, sondern in der Rekonstruktion der Gewißheit vorgeführt. Eine weitere, subjektive Modifikation des Unmittelbaren ergibt sich im Gefühl (V 3, 289). Damit ist das Herz des Individuums in Anspruch genommen, aus dem dessen relative, eingehüllte Ursprünglichkeit (oder sollte man sagen: die eigene ›zufällige Natur‹?) entspringt und in dem sich insofern die individuelle Persönlichkeit manifestiert, die ihrerseits auf den Willen und die Freiheit verweist. Das Herz ist zwar betätigend, aber nicht selbst die Beglaubigung des Inhalts. 8 Solche Beglaubigung nimmt in der Religion vielmehr auf die Vorstellung Bezug, was Jacobi selbst auch implizit in der Behauptung der spezifisch doppelten Vorstellung des (Un)Bedingten vorführt (JWA 1, 260). Das philosophische Problem ist nun aber nach Hegel, ob die Vorstellung im Zuge ihrer philosophischen Umwandlung in Denkbestimmungen – in Wahrheit – erhalten bleibt oder nicht. Hegel erläutert dies an Beispielen, wo die Tradition Gott bestimmte Begriffe zuspricht, wie Reue oder Rache, während sie auch Liebe, Freundschaft oder Treue heißen können. All dies sind Bilder Mit seinen Argumenten nimmt Hegel auf eine aufklärerische Kontroverse Bezug, die das Verhältnis von historischer und innerer oder Vernunftwahrheit (dem eigenen Zeugnis des Geistes) thematisiert hat (vgl. Lessing, Werke in sechs Bänden, Bd. 6, Köln 1965, S. 285, 380, 388). Herrn K.-R. Meist sei für den Hinweis herzlich gedankt. 7 Hegel übernimmt Jacobis mögliche Verschiebungen von einfachem Glauben zu ›sittlich-religiösem‹ Gefühl, Glaube oder Vernunftanschauung. Nicht übernommen wird, daß die unmittelbare Beziehung zu sich selbst in Beziehung zu einem hinzunehmenden Faktum gesetzt sein soll, denn das Denken als individuelles zeigt sich wesentlich auch als absolutes. 8 Hinsichtlich des Problems der Beglaubigung ergeben sich in Diskussion mit Jacobi verschiedene Möglichkeiten: Wird das Herz vom Gesetz (Kant), von der Handlung selbst (Jacobi), oder von der (gemeinsamen) Handlung, die das sittliche Gesetz integriert (Hegel), beglaubigt? 6

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(V 3, 293). Weil die Bilder den Geist vor Augen führen, können sie vom Geist erfaßt werden. Die Leistung des vernünftigen Denkens besteht darin, den Inhalt für das Bewußtsein herauszubilden, der als geistig geglaubt und vorgestellt wird. Das Problem ist nicht, ob, sondern wie sich der Geist für den Geist entwickelt. Wenn alle geistigen Inhalte Vorstellungen sind, wie sind sie in Begriffe umzuwandeln? Ist es so, daß der Begriff ihnen nur die Form der Zufälligkeit abstreift (selbst des Vaters, wenn man keinen oder einen schlechten Vater gekannt hat), oder ist dem unmittelbaren Bewußtsein Recht zu geben, daß das Wesentliche nicht erhalten bleibt? Sofern Wahrheit behauptet wird, ist das Denken doch – auch – gefordert, denn nur in ihm ist die zureichende Beglaubigung und Berechtigung des Objektiven (als des für Alle Gültigen) garantiert. Das Denken verlangt, die begriffliche Notwendigkeit (i. e. die Wahrheit) der Vorstellung, daß ›Gott ist‹, zu wissen. Dieser Notwendigkeit zufolge ist in der Aussage ›Gott ist‹ das Zusammengehören von mehreren Bestimmungen involviert, ›durch sich‹ einerseits und ›Sein‹ andererseits, oder sie verdeutlicht, wie die ›Nominaldefinition‹ sich zum wirklichen Verständnis, zur sogenannten Realdefinition, verhält. Weil ›das ist‹ nur endlich ist – denn es kann auch vom Tisch ausgesagt werden –, erfordert es selbst ein anderes, da es sonst nicht sein Fürsichsein herausstellen kann, das in Beziehung auf das je anders bestimmte Andere desselben steht. Unmittelbares zeigt sich als Hauptbestimmtheit der Vorstellung, die vom Denken in deren Einseitigkeit nicht übernommen werden kann. Zur Denkbarkeit der Vorstellung gehört vielmehr zwingend, das Verhältnis des unmittelbaren zum vermittelten Wissen zu wissen, insofern nämlich die Aussage ›Gott ist‹ zwar eine des unmittelbaren (religiösen) Wissens ist, die zusätzliche Behauptung aber, weitere Vermittlungen seien auszuschließen, selber schon Vermittlung impliziert. Im voraus weist Hegel schon darauf hin, daß beide Wissensformen in ihrer Einseitigkeit Abstraktionen sind. Im Begreifen sollen beide zusammengehören, wie es sich schon an der Aussage ›Ich bin mir Gottes gewiß‹ ablesen läßt: So gewiß ich bin, so gewiß ist Gott. Oder: »j’établis […] la liberté de Dieu sur cette [celle ?] de l’homme« (vgl. Jacobis Brief an Windisch-Graetz vom 30. 11. 1788). 9 Sofern das unmittelbare Wissen Unterschiede entfernt, gelangt es lediglich zum ›(es) ist‹. In dieser Form erreicht das Wissen kein spekulatives (oder religiöses), sondern bloß ein empirisches Wissen. Das Wissen findet in sich Das Zitat findet sich bei Karl Homann, Jacobis Philosophie der Freiheit, Freiburg / München 1973, S. 189. 9

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die Vorstellung Gottes. – Doch ist dies durchaus keine Sackgasse, wie sich später in der vollendeten Religion herausstellen wird. Die Vorstellung selbst gibt Anlaß zur Frage, ob es ein solches unmittelbares Wissen gibt. Dies verneint Hegel. Er fügt hinzu, was notwendig ist, die Wahrheit, hat – keinen Grund, sondern – ›eine Ursache‹, die die Unterschiede zusammensetzt (V 3, 303). Die Vermittlung kann entweder endlich sein, wobei das eine vom anderen abhängig ist, oder sie ist die höhere Vermittlung: Diese ist die Vernunft, die sich ›mit sich‹ vermittelt. Solche Vermittlung wird beim unmittelbaren Wissen ausgeschlossen, denn dies ist nur Sein überhaupt, 10 das keinem zukommt ohne Vermittlung und nur in der Entfernung von Vermittlung eine Unmittelbarkeit ist. Unmittelbares Wissen ist solches Wissen, bei dem das Bewußtsein der Vermittlung nicht erhalten bleibt. Wissen selbst ist zwar einfach, aber beim Wissen muß Etwas gewußt werden, sei es in Beziehung auf sich oder etwas anderes. Deshalb ist es nur der sich selbst nicht verstehende Verstand, der meint, es gebe eine Unmittelbarkeit ohne Vermittlung, und die Unmittelbarkeit sei selbständig. Beim religiösen unmittelbaren Wissen ist dies besonders evident: Keiner hat seine Religion aus sich ohne Unterricht, ohne äußere positive Offenbarung oder ohne religiöse Sprache (›Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‹).11 Zugleich lehrt die betonte Unmittelbarkeit des Wissens: Nur im Selbstverhältnis, das das Selbstbewußtsein vollzieht, existieren religiöses Wissen und Religion, aber solche Religion existiert nicht ohne Vermittlung. Nur in unserem Wissen selbst offenbart sich Gott, und wir wissen selbst unmittelbar von Gott, ohne äußere, mechanische Hervorbringung unserer Gedanken. Diese Offenbarung ist deshalb da, weil der Geist oder die Wahrheit, die im (menschlichen) Geist liegt, sich selbst in ihm zum Bewußtsein bringt. – Der Geist zeugt vom eigenen Geist, der die wesentliche Natur des Geistes ist. In der Freiheit des Selbstvollzugs zeigt er sich der Vernunft. Das religiös vollzogene Wissen zeigt sich als vermittelte Unmittelbarkeit oder unmittelbare Vermittlung. Gott ist unmittelbar im Selbstbewußtsein vorstellbar vermittelst dieses Gegenstandes ›Gott‹, weil ich selbst ihn so als Gott weiß. Ich und Gott sind nicht ununterschieden. Das religiöse Wissen ist die sich zum Bewußtsein bringende Erhebung zu Gott, weil das Wissen keine bloße Beziehung Selbständiger ist, sondern eine konkretere Vertiefung meiner in Das unmittelbare Wissen wäre reines Wissen, wenn es sich als leere Abstraktion faßt oder weiß. Reines Wissen ist dabei nicht Nichts, sondern die Aktivität des Wissens selbst, die nie bloß passiv ist; reines Wissen wäre nur dann Nichts, wenn es vom Gegenstand den Inhalt und die Form seines Wissens entlehnen müßte. 11 Damit referiert Jacobi in JWA 1, 117 auf die Bibel. 10

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mein Wesen oder in meine Wahrheit. Hegel zeigt – gegen das Vernunftwidrige der Gottesbeweise nach Jacobi (vgl. JWA 1, 262) –, wie diese Beweise keinen äußerlichen, mechanischen Zusammenhang bilden, sondern die zweckmäßige Notwendigkeit der Sache selbst in der Darstellung auch wirklich vollziehen. Selbst wenn sie also keine (religiöse) Überzeugung stiften, erheben sich dennoch das (religiöse) Wissen und das damit verbundene Wollen als eigenes (erhebendes) Tun des Geistes zu Gott. Die Haupteinwände gegen die Gottesbeweise bestehen darin, daß man das Unendliche nicht fassen könne, weil Vernunft, Geist und Wissen endlich seien. Diese Einwände sind aber schon deshalb überwunden, weil mit dem Gedanken der Endlichkeit die Endlichkeit selbst in Gedanken überwunden ist. Wesentlich ist in solchen Gedanken der Gedanke der Selbstbestimmung gedacht. Dieser unterstellt das aktive Setzen des Unterschieds und das Aufheben desselben. Die Vernichtung des notwendigen Unterschieds vollzieht sich als das Affirmative des Geistes, indem das Endliche in der Philosophie zum Bewußtsein kommt, keine eigene Wahrheit zu besitzen. Genau besehen läuft der Beweis vom Endlichen wie folgt: Es gibt endliche Geister, aber die Wahrheit derselben ist ›nur‹ der absolute Geist. Selbst die Lebendigkeit des lebendigen Gottes als eine von der Welt unabhängige Ursache ist nicht hinreichend für den Begriff Gottes, der in der erhebenden Bewegung wesentlich Geist ist. Dieser Beweis gehört nicht zu den klassischen Beweisen. Er entspricht aber den enzyklopädischen Ausführungen: Der Weltgeist ist zwar in der Lage, sich in der Reinigung von Subjektivität und Objektivität zu erheben, aber er selbst zeigt diese ›absolute‹ Reinheit nicht als für sich oder in Wahrheit vollzogene Bestimmung in ihrer eigenen spezifischen Gestalt.12 Mit diesen letzten Überlegungen sind die klassischen Beweise auf den endgültigen Begriff gebracht, der ontologische aber noch nicht. Dieser gibt Anlaß zur erneuten Präzisierung des Seinsbegriffs. Das Sein ist Unmittelbarkeit, die – nach Hegels vorausgesetzter Logik – immer im Begriff gefaßt ist, weil der Begriff ohne Sein gar nicht gedacht werden kann. Alle Unmittelbarkeit ist deshalb wahr in der Vermittlung, wie umgekehrt die Vermittlung, sofern sie die Unmittelbarkeit in sich schließt. Wenn man dieser Logik nicht folgt, wird das ›ist‹ gleichfalls als eine TatsaDies ist die Form, in der nur ausgesagt wird, was Jacobi vertritt, das ›établir‹ der Freiheit Gottes auf die Freiheit des Menschen. – Zugleich ist die erste von Hegel mit dem religiösen Bewußtsein vollzogene Behauptung die Wirklichkeit eines Geistes, dessen wirkliche Instantiierung als subjektive zur endgültigen, ›absoluten‹ notwendig, aber nicht hinreichend ist. 12

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che beglaubigt: Wenn man unmittelbar weiß, dann ist mit der Vorstellung zugleich das Sein gegeben. Jacobi vollzieht darin selbst den ontologischen Beweis! Die gesuchte Verknüpfung von Begriff und Sein ist im – damals zeitgenössischen – Glauben schon realisiert. Die Erhebung des Geistes zu Gott als dem einzigen und wahrhaften Gegenstand ist ein Faktum. Wo bis jetzt im religiösen Wissen, das das Wissensmoment der theoretisch-praktischen religiösen Dimension darstellt, das unmittelbare Wissen gegeben und vorhanden scheint, fordert der Kultus die Hervorbringung der vorausgesetzten Einheit. Der Kultus zielt auf den höchsten absoluten Genuß: Ich muß mich als solcher mit Gott zusammengeschlossen wissen, so daß ich Gottes teilhaftig werde. Obwohl seine Zeit, wie Hegel meint, diese praktische Relevanz nicht mehr anzuerkennen scheint – weil sie Gott unmittelbar vorzufinden glaubt –, ist Gott doch im Menschen durch ein göttliches Leben zur Anerkennung zu bringen. Der Glaube muß lebendig werden. Selbst das edle Herz muß Gott geopfert werden. Dieser Selbstverzicht kann als Verzicht auf die einfachen Formen verstanden werden, so daß man sich seiner eigenen Subjektivität entschlage, der subjektiven, zufälligen Einfachkeit der Eitelkeit entsage und sich positiv dem rein objektiven Denken der Religion und Philosophie übergebe, um sich wahrhaft – im tätigen Wissen – zu Gott zu erheben. (Allerdings scheint Hegel hier – erneut – gegen seine Zeit zu polemisieren, die in Jacobi zwar die göttliche, tugendhafte Lebensführung vor sich sieht, aber sich (genauso wie Hegel selbst) dabei – so weit ich sehe – vom Gedanken des Opfers distanziert.) b. Die vollendete Religion Während Hegel am Anfang der Vorlesung erst nur den Begriff der Religion als solchen herausstellt, wiederholen sich in der Einleitung zur Darstellung der vollendeten Religion die gleichen Themen, aber jetzt ›in ihrer Wahrheit‹, d. h. sie werden jetzt als genau zu explizierende, von einer bestimmten Religion aus verstehbare, eigene Erscheinungen des religiösen Begriffs dargelegt. Realisiert werden so die Bestimmungen des Zeugnisses, der sinnlichen (religiösen) Gewißheit und der eigenen Offenbarung des Geistes für sich. Das Zeugnis kann verschieden, manchmal unbestimmt, manchmal bloß eine anklingende sympathetische ›Erregung‹ des Herzens sein, im Wesentlichen aber ist es Denken. Die Erregung kann nicht stehen bleiben bei der unmittelbaren Versicherung: ›Ja, dies ist Wahrheit‹; jedoch ist sie eine erste unmittelbare Gewißheit, die in dem Maße ›fest‹ sein kann, wie sie sich einer Form des Positiven (des Hörens auf den Lehrer, der Achtung für dessen

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Tugend) verdankt. Das Zeugnis trifft zwar auf unmittelbare Weise den Menschen, aber im Geiste, so daß es auch auf wissenschaftliche Weise begriffen werden kann. Deshalb ist die Bibel selbst erklärbar. Hingegen besteht das zeitgenössische Vorurteil darin, daß Gott nicht erkannt werden kann (V 5, 186, vgl. JWA 2, 193 und JWA 1, 261ff.). Nun ist aber das Auffassen der Botschaft zugleich eine Tätigkeit des Menschen. Ist das Denken zufällig und passiv, dann ist es endlich und unfähig, das Göttliche zu begreifen, so wie der unmittelbare Geist nur ein empirisches Bewußtsein ist. Wenn das Denken aber die Grundlehren der Religion wesentlich zu seinem Inhalt macht, dann kommt der (vormaligen) Theologie und vornehmlich die Philosophie ihre Aufbewahrung zu. Im ersten Element der vollendeten Religion zeigt sich schon, wie Gottes Trinität die abstrakte Unmittelbarkeit in sich aufhebt. Dadurch entsteht ein zugleich aufgehobener Unterschied. Die Trinität der Personen heißt unbegreiflich, weil die Personen in der abstrakten auf sich bezogenen Identität des Verstandes schlechthin selbständig sind und in dieser Selbständigkeit unüberwindlich scheinen, zumal sie in sinnlicher Form als Vater und Sohn bezeichnet werden. In der Idee der Liebe jedoch hebt sich diese Unüberwindlichkeit auf, insofern sich die Persönlichkeit auf eine ihr gleiche Freiheit im Andern bezieht. Das Wahre realisiert sich so vorerst als das Versenktsein im Andern: Das Besondere wird in der Allgemeinheit gewußt, wie im einfachen Erkennen; es ist in seiner aufgehobenen Bestimmtheit da. Diese bleibt abstrakt, sofern sie nicht fürs Bewußtsein erscheint. Die Form des Bewußtseins bildet das zweite Element, denn nur dasjenige, wovon ich sagen kann: ›das Ist‹, hat unmittelbare Gewißheit für das Subjekt. Dieses, was ins Bewußtsein tritt, ist nicht die Natur, denn diese ist Nicht-Wissen, sondern Gott als Geist, der aus der natürlichen Unmittelbarkeit hinausgeht. Die Gewißheit ›das ist‹ stellt nur eine empirische Gestalt dar. In der Form der sinnlichen Gewißheit regt sich (religiöses) Empfinden; fürs unmittelbare, sinnliche Anschauen erscheint das Wahre. In Jesus zeigt sich die Unmittelbarkeit, das Leben, das Gott selbst unmittelbar ist. Dieser Mensch weist das Reich Gottes in seinem Herzen auf, so daß Gott sich darin aufschließt und die Wahrheit eine unmittelbare Gewißheit nach der Weise der Erscheinung erhält. In Jesu Leben, Tod und Herrlichkeit ist zudem gesagt, daß Gott als ›eigenes‹ Gefühl im Menschen präsent ist, der dessen Gegenwart nicht bloß sinnlich gewiß ist. Dadurch ist das dritte Element erreicht. Der Glaube an diese Geschichte ist einerseits ein unmittelbares Wissen (der Zwölf); andererseits ist jeder in der entstandenen Gemeinde an ihm selbst der Prozeß der allgemeinen Idee, das Unmittelbare der ›empirischen‹ Präsenz zur geistigen Bestimmtheit

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umzuwandeln. In der Gemeinde zeigt sich der Geist in ihm selbst als objektiv zur Wahrheit kommend. Das Zeugnis des Geistes, die Autorität des ›es ist‹, ist unmittelbar vorhanden, weil der Geist bei und mit uns ist, wo der Mensch immer schon in ein durch die religiöse Lehre geprägtes Umfeld geboren wird. So erreicht jeder Mensch den Genuß der Aneignung: es regt sich das Gefühl der unmittelbaren Gegenwart Gottes im Subjekt, das Selbstgefühl Gottes. Sofern die Gemeinde die Gewißheit des Geistes von sich ist, hat das Herz sich in der Religion versöhnt. Diese Versöhnung erscheint in verschiedenen Formen, wenn betrachtet wird, wie sie ihre möglichen Widersprüche mit der sittlichen Welt auflöst. Die Aufklärung tilgt alles Konkrete in Gott, mit der Folge, daß man Gott nicht nach seinen Bestimmungen erkennen kann und dem frommen Gefühlsleben nach dieser Abstraktion nur seine innere Empfindung erhalten bleibt.13 Solche Frömmigkeit wie die (mögliche) Eitelkeit der Subjektivität und das Gefühl richten sich polemisch gegen die Philosophie, die das Göttliche erkennen will. Hegel kennzeichnet sie als die formelle Bildung der Zeit: weder die leere Subjektivität noch der Pietismus erkennen einen Inhalt und eine Wahrheit an. Die unbefangene Frömmigkeit hingegen bedarf keiner denkenden Wahrheit: das Herz bezeugt den Geist und nimmt die es befriedigende Wahrheit auf, die durch Autorität (der Zeugen) zu ihm kommt. Der Begriff aber als subjektive Freiheit produziert die Wahrheit, er erkennt jedoch diese Wahrheit als an und für sich seiendes Wahres oder als ein zugleich nicht subjektiv Produziertes an, weil es das (absolute) Denken seiner selbst ist. Dieser objektive Standpunkt ist nach Hegel allein fähig, das Zeugnis des Geistes auf gebildete, denkende Weise abzulegen. So weit Hegel. III. Jacobi? Die Beantwortung der Frage, was Jacobi gegen Hegels argumentative Vereinnahmung anzubringen hätte, erfordert die Verhandlung eines doppelten Problems. Könnte Jacobi das Zeugnis des Geistes in der Hegelschen Form akzeptieren und die Differenzierungen als Entwicklung der Sache selbst, also des Begriffs Gottes in der Religion, übernehmen? Mit der ersten Frage geht es um Hegels Interpretation, mit der zweiten schon um die Sache selbst. Bei der ersten Frage ergibt sich gleich die Schwierigkeit, daß es Hegel überhaupt nicht um die Motive Jacobis, sondern nur um die ausgeführten ›Empfindung‹ ist der Terminus, womit 1821 im Begriff der Religion die Position Jacobis bezeichnet wurde und der hier stehengeblieben ist (V 3, 122 ff., vgl. 392). 13

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Argumente gegangen ist. Hegel legt Jacobi auf eine Position der (faktischen, religiösen) Unmittelbarkeit fest, nicht auf eine der persönlichen oder personalen, namentlichen Freiheit.14 Dazu gehört, daß er Jacobis Insistieren auf der praktischen und als solche für die Vergewisserung Gottes fundamentalen Freiheit nach vorhergehenden kritischen Bedenken in den Vollzug der Erhebung und den Kultus einordnet und in dieser Bedeutung eigentlich schätzt. Insofern nimmt Hegel die Motive Jacobis doch ernst: es geht auch ihm um die Freiheit und um Gott, der für Alle (nicht nur für die Schule oder für die Religionsgemeinschaft allein) als reine Freiheit erscheint. Zur Frage der Interpretation kann die wohlwollende Antwort heißen, daß Jacobi Recht getan worden ist. Hegel versteht Gott als Gott, als Ursache und Lebendigkeit, mehr noch als Geist. Auch mit den Beschreibungen des unmittelbaren Wissens als Wissen des Unmittelbaren, des Gefühls und der Vorstellung scheint Jacobi nichts wesentlich Falsches oder Verzerrendes unterstellt worden zu sein. Aber gibt es Anhaltspunkte dafür, dies unmittelbare Wissen als Zeugnis des Geistes zu betrachten? Hegel mag sich hier auf eine Stelle wie diese stützen: »Nur das höchste Wesen i m Menschen zeugt von einem A l l e rhö c h s t e n au ß e r ihm; der G e i s t in ihm allein von seinem G o t t« (JWA 3, 65). Damit ist zwar nicht das Wissen von Seiten Jacobis in der Funktion des personalen Zeugens betrachtet, aber die Freiheit wird sehr wohl als Zeugnis Gottes verstanden. Was die zweite Frage nach der religiösen, wenngleich nicht positiv-religiösen Gotteskonzeption betrifft, so ist hier schon mehr an Differenzierung nötig, insofern auch das »außer ihm« im obigen Zitat Jacobis von Hegel nicht übernommen wird. Hinsichtlich des Problems, ob Gott substantieller Geist ist und sich zu seinem Fürsichsein in der Religion entwickeln kann, meldet Jacobi wenigstens in der Entfaltung Bedenken an. Denn hier kommt sein Hauptbedenken voll zum Tragen, ob in solcher Entwicklung – die Behauptungen Hegels dahingestellt – die Freiheit Gottes (außer ihm) und der menschlichen Seite gewährleistet sei. Problematisch scheint es um die Freiheit in Hegels vorgeführtem weitergehenden Vollzug des differenzierten unmittelbaren Wissens insofern zu stehen, als dieses für Jacobi selbst überhaupt keine Notwendigkeit integriert, sondern sich davon abschließt. Wenn die Freiheit der Individualität immer endlich ist und sich in Handeln, Anfang und Person gliedert, 15 dann entscheidet sich die Frage der mögVgl. Homann, Jacobis Philosophie der Freiheit (Anm. 9) und Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache, München 2000, sowie im Vortrag »Daß, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen« (in diesem Band). 15 Vgl. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 14), S. 216, Fußnote 98. 14

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lichen Entfaltung am Geistbegriff der Person als eines sich selbst bestimmenden Wesens. Geist wird ja bei Jacobi sowohl dem Menschen als auch Gott zugeschrieben: Gott wie auch jede einzelne Person werden »Geist« genannt (vgl. Werke II: 315 und JWA 3: 29, 102–104). Damit ergibt sich das Gliederungsproblem der Personen als einer Gattung des Geistes, wie es in der alten Metaphysik als Substanz- und Individuationsproblem präsent ist, wogegen Jacobi sich im Blick auf Gott, den Lebendigen, wenigstens verwahrt hat.16 Hegels Geistbegriff dagegen, der dem Begriff des absoluten Geistes zugrunde liegt, löst das Problem, insofern der Geist sich in sich differenziert. Der absolute Geist faßt in sich jede Form der Freiheit und integriert die Handlungsstruktur derselben, soweit sie als mit Menschen (in Erfahrung und Geschichte) verbunden ausgewiesen wird.17 Dieser Geist ist nicht ohne Singularität (oder Individualität), aber er existiert nicht als bloß endliche Singularität und stellt keinen abgesonderten wesentlich anderen, unendlichen Geist ›außer sich‹. Unverträglich mit dieser Hegelschen Konzeption ist ein Personbegriff, der auf eine eigene individuelle Substanz hinwiese, denn diese ist für Hegel nur ein realistisches aufklärerisches (verstandesmäßiges) Vorverständnis Jacobis. Ein solcher Personbegriff behauptet die Unvergleichbarkeit der Personen, weil und sofern diese Namen haben, differenziert die Personen graduell und transformiert – spezifisch bei Jacobi – das begriffliche Problem in ein religiöses Wunder. Ganz gegen Jacobis Verstandesform sind also Hegels Gedanken der begrifflichen und geistigen Notwendigkeit des Beweisens, das unter dem Aspekt des Glaubensgrundes in der Religion und für alle im reinen Denken der Philosophie vorgeführt wird. Hegel versteht Notwendigkeit dabei nicht als bloße Naturnotwendigkeit, Glaubensgrund nicht als Grundsatz, Beweisen nicht als Fatalismus und reines Denken nicht als logisches formales Nichts. Gerade die Hauptschwierigkeit dieser Debatte um den Gottesbegriff soll nun gesondert als Betrachtung des Pantheismus dem Begriff und der Sache nach herausgestellt werden.

Vgl. das gleiche Problem, das von Jacobi bei Leibniz in der Rede von Individualität aufgezeigt ist (JWA 1, 234). 17 Der Geist ist ja Freiheit, und diese ist sowohl theoretisch wie abstrakt, als auch praktisch als Wille, Ausführung derselben und vertraute Gemeinschaft da. Nur das Anfangsproblem muß in dieser Konzeption aus dem Absoluten ausgeschlossen bleiben, sofern es nicht als Begriffsbestimmung ausgewiesen werden kann. 16

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IV. Pantheismus? Die erste Bestimmung Gottes als der Wahrheit von allem und des bleibenden Bestehens aller, d. h. der subjektiven und objektiven Geister, nennt Hegel die Substanz des absoluten Geistes. Dabei erwähnt er gleich, wie solche Substanz dem Jacobischen Vorwurf ausgesetzt ist, der sie als Pantheismus versteht oder verschreit, weil die ausgesagte Allgemeinheit die Allgemeinheit ist, die zwar konkret in sich ist, aber diese Konkretion nicht herausgestellt hat. Solcher Vorwurf ist für Hegel deshalb abstrakt. Er versucht ihn zu entkräften, indem er auf Begriffsunterschiede aufmerksam macht (V 4, 469). Der Ausdruck ›Pantheismus‹ gibt wie die Allgemeinheit Anlaß zu Zweideutigkeit. Entweder ist diese die Allheit oder sie ist Einheit mit sich, in der die Einzelheit kein wahrhaftes Sein hat. Selbst ohne Hegels eigene logische Begriffslehre kann man dem Vorwurf, das Absolute als substantielle Einheit sei pantheistisch, schon entgegenhalten, daß die Einheit Gottes als kollektive, diejenige der Dinge und der bösen Ereignisse hingegen als distributive gefaßt wird. Die Allvergötterung findet sich in keiner Philosophie. Aber es ist mehr zu finden in Hegels Differenzierung der Allgemeinheit und der Mannigfaltigkeit der einzelnen Dinge. Das Endliche ist nicht das Absolute, denn das Endliche muß in Gott gesetzt werden, damit es Bestehen erhält. So wird es gesetzt als das, was wir am Geist vor uns haben, daß alles ideell wird oder das Endliche nur sein sich selbst Aufheben zeigt. Mit der Behauptung, daß die Geister ihre Wahrheit in der erhebenden ›Selbstvernichtung‹ der (endlichen) Geister im absoluten Geist finden, erneuert und verstärkt sich der Pantheismus-Vorwurf. Aber die religiöse (oder herausgestellte) Unangemessenheit der Einzelnen zu ›Gott‹ (wir sind ja nie ›Gott‹) kann nicht verschwinden, denn dann verschwände zugleich das Urteil des Geistes, der darin Gott erkennen und anerkennen muß; die vorhergehend begrifflich oder mystisch zu fassende substantielle Identität zeigt nur, daß beide, der endliche und der unendliche Geist, nicht bloß inkommensurabel sind. Mehr, die Inkommensurabilität der Elemente, die jetzt besondere Einzelne sind, stellt das Subjekt – obwohl Substanz – als nicht auf die bloße unzureichende Substanz reduzierbaren Geist heraus. In diesem Geist, der konkrete Allgemeinheit zu sein beansprucht, ist die Substanz als die Identität mit sich integriert und das Moment der (abstrakten) Allgemeinheit aufbewahrt. Weil diese Allgemeinheit nicht ohne Identität definiert wird, erneuert sich bei der logischen Theorie der Substanz die Möglichkeit, diese als Einheit schlechthin zu betrachten. Mit diesem Begriff der Einheit sind mehrere

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Einheitsbegriffe verträglich, wie Einheit der Unterschiedenen oder Einheit jenseits von Unterschiedenen. Deshalb ist, so Hegel, nicht so sehr die Einheit als vielmehr die genaue, bestimmte Konzeption der Einheit wichtig.18 Damit kritisiert Hegel jede Rede von der Gleichheit, die sich immer wieder zeigt, wobei jede Einheit auf eine vorhergegebene Gleichheit der dann auch Ununterschiedenen reduziert wird. Insgesamt gibt es für das Einheitsproblem keine wirkliche Lösung, weil die Einheit von Gut und Böse ja nicht bloß schrecklich ist, sondern so gar nicht denkbar. Deshalb wird ›Einheit‹ von Hegel durch Affirmation ersetzt. Dann ist das Gute nur dasjenige, was ›sich‹ herstellen kann oder, wie Wahrheit, ›sich‹ aufweisend zeigt. Solches Affirmieren kann auch die praktische Bezugnahme als handelnde Beziehung zu sich, wie sie sich als Freundschaft oder Versprechen kundtut, aufnehmen.19 Insofern scheint Hegel nicht unter Jacobis mögliche Kritik der Naturvergötterung zu fallen, weil der Geist nicht auf die von der Natur vorgeprägte Gleichheit zurückgeführt werden kann. Weil er Einheit durch Affirmation ersetzt, kann Hegel Spinoza zu retten versuchen. Die Kritik an Spinoza ist ja, daß Gott zuviel Gott sei, daß keine von ihm abhängige Natur und kein ihn selbst offenbarender Geist da seien. Insofern sieht Hegel bei Spinoza einen strikten Monotheismus oder Akosmismus dargestellt, weil das Endliche keine wahrhafte Wirklichkeit hat. Denjenigen, die demgegenüber von Pantheismus sprechen, fehlt es an den einfachsten Gedankenbestimmungen, denn auch jetzt ist die Pointe für Hegel nur die, ob das Absolute Substanz oder Subjekt sei, d. h. ein intern undifferenziertes oder durch die endlichen Geister differenziertes Bestehen hat. Als nur scheinbare Alternative zum Pantheismusvorwurf weist Jacobi indessen die Version des Akosmismus zurück, indem er erneut auf die (immer gleiche) Identität des Alls mit sich in ›fatalistischer‹ Bestimmung rekurriert (vgl. JWA 1, 346). Aber ist mit der logischen Notwendigkeit des sich Fortbestimmens schon Fatalismus gemeint? Dies wäre nur dann der Fall, wenn die begriffliche Bestimmung bloß eine Naturbestimmung wäre; in diesem Fall aber wäre auch die Zweckbestimmung nicht denkbar, denn selbst wenn sie aus Freiheit

Vgl E² und E³ § 573 A. Damit ist die Einheitskonzeption der Substanz ersetzt durch einen Begriff, der als Begriff das Programm der Vernünftigkeit im Auftreten seiner selbst realisieren kann. Der Ausweis eines solchen Begriffs kann nur begrifflich sein, kann also nicht erneut auf eine ›vorgegebene‹ Ebene zurückgeführt werden. Deshalb ist es unmöglich, die Logik einer pantheistischen Bedeutung zu überführen, weil das Denken selbst im Denken des Denkens je involviert ist. 18

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hervorginge, wären ihr gestecktes Ziel und die dazu notwendigen Stufen mit ›freier Notwendigkeit‹ vorgegeben. Im Fortbestimmen verwirklicht sich Etwas. Dieses Fortbestimmen meint nicht das reduktive Gleiche, sondern die Affirmation der Eigenheit. Die Behauptung, daß das Gleiche in seiner Entwicklung gleich sei, oder das Fortentwickelte dennoch gleich bleibe, ist reduktiv; demgegenüber ist Gott vor oder nach seiner Offenbarung im Dornbusch oder in Jesu schon für das religiöse Wissen nicht gleich. Denn im ersten Moment gibt er sich einen Namen, im zweiten selbst eine einzelne Gestalt (mit Namen), die sich dann im Geist auch aufhebt. In dieser Selbstdarstellung kommt das Argument der Affirmation erneut zum Zuge, das dem Pantheismus begegnet. Für solche Affirmation ist aber nur unter der Voraussetzung zu argumentieren, daß Jacobi (und die Kritiker) mit Hegel das Denken selbst, das über die einzelnen Gedanken übergreift, einer Prüfung unterziehen wollen. Gerade der Status des Übergreifens der Idee, wofür Hegel auf seine Logik verweist, wäre zu überprüfen, weil dann und nur dann der Gedanke einer Affirmation im Denken gesichert werden kann. Diese logische Idee selbst könnte aber von Jacobi als Fiktion betrachtet werden, die nach dem Strickmuster des bloßen Denkens hervorgebracht wäre. Dies wäre dann aber keine Pantheismuskritik mehr, sondern sie wäre eine Verschärfung dieser Kritik, weil sie überhaupt jede Gültigkeit des Denkens kritisierte. De facto wäre damit der mögliche Pantheismus zum faktischen Atheismus degeneriert. Aber ist der Gedanke eines Geistes selbst nicht das Gegenbeispiel in actu zu einem solchen Atheismus? 20 Wer sich als Geist bejaht, der muß doch kein Wunder mehr in Anspruch nehmen, sondern er vollzieht selbst eine Allen gemeinsame Vernunft.

V. Resultat Nicht zur Diskussion steht zwischen Hegel und Jacobi das von beiden geteilte Bedürfnis der Religion und der Philosophie. Zur Diskussion stehen die Auffassung und der Inhalt der Wahrheit. Was Jacobi von Gott aussagt, er habe keine Vernunft, weil er die Vernunft selber ist, ist gerade das, was Hegel von der Idee (und nachher vom absoluten Geist) bekräftigen möchte. Wenn ein solcher Gottesgedanke für Menschen Umgekehrt, wie eine Pluralität der Substanzen vertretbar ist, welche Definition Jacobi von der Substanz gibt, so daß sie in Pluralität wirklich bestehen können, und 20

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nicht unvernünftig ist, dann muß er (im Selbstbewußtsein) zugänglich sein, wie auch Jacobi in der Bestimmung der ›praktischen‹ und ›vernehmenden‹ Vernunft annehmen will. Daß damit Gott inhaltlich vollkommen ›in sich Sein‹ und ›von sich Wissen‹ (JWA 2, 378, 419 f.) sei, weil er Geist sei, kann Hegel bestätigen, wie er es in der Einleitung zur Religionsphilosophie von 1827 tut. Daß aber diese Zugänglichkeit auch einen Schritt in den Begriff oder zum reinen Denken ist, wird von Hegel eigens herausgestellt. Deshalb argumentiert er, daß die Idee des Geistes nicht bloß in persönlicher Präferenz, selbst nicht nur in tugendhafter Anwesenheit besteht, sondern für alle die Vernunft und Wahrheit selbst ist und so den Gottesgedanken in eine zu denkende Wahrheit überführt. Die völlige Unabhängigkeit Gottes in seiner religiösen Bedeutung schließt sich aus Gründen des ›Wissens von sich‹ für Hegel aus. Das entscheidende Argument in der Zugänglichkeit ist ja gerade das Zeugnis des Geistes von sich. Darin muß mein Geist dem Geist überhaupt, wie wenigstens Ich und Du, entsprechen und umgekehrt, sonst wäre das Zeugnis für das sich darin vollziehende Selbstbewußtsein des Menschen bedeutungslos. Dies Zeugnis ist religiös wahr und vernünftig. Für die Sache entscheidend ist der Schritt in das für alle sich darstellende Denken, das den Übergang nicht nur vom Grund zur Ursache durch einen Sprung, sondern von der Substanz oder Notwendigkeit zur Freiheit in einer Weise macht, die sich in einer für Alle einsichtigen und deshalb annehmbaren Gültigkeit als begriffliches Denken strukturiert, insofern alle sich als Geist manifestieren oder wissen. Ist solches gültige und immer vollzogene Denken dann doch noch Fiktion und übertriebene Erwartung? »Der Unterschied zwischen Hegel und mir [Jacobi] besteht darin, daß er über den Spinozismus […], welcher Spinozismus auch ihm das l e t z t e , wa h rh a f t e Resultat des D e n ke n s ist, auf welches j e d e s consequente Philosophiren führen muß, hinauskommt zu einem System der Fr e i h e it , auf einem nu r no c h hö h e r e n , aber gleichwohl d e m s e lb e n […] Wege des G e d a n ke n s – o h n e S pr u n g ; ich aber nur mittelst eines Sprunges, eines voreiligen, von dem Schwungbrette aus des bloß s ub s t a nt i e l l e n W i s s e n s […]. Er mag wohl recht haben«. 21 Ja, aber was dann…?

ob es zur Explikation und zum Ausweis genügt, zu behaupten, daß sie solche Entitäten sind, die den eigenen Grund des Bestehens in sich haben: all diese Fragen der möglichen Interdependenz von Substanzen untereinander sind dann – wie in der alten Metaphysik – wieder virulent, aber –soweit ich sehe – bei Jacobi nicht beantwortet. 21 Jacobi an Neeb, 30. 5. 1817, zitiert in JWA 1, 593 f.

VII. ABGESÄNGE UND NEUANFÄNGE

Unmittelbares Wissen und absolutes Wissen. Göschels Aphorismen über Jacobis Nicht wissen von Peter Jonkers

I. Einleitung Der Titel von Carl Friedrich Göschels Buch, Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntnis. – Ein Beitrag zum Verständnisse der Philosophie unserer Zeit, gibt schon einige Hinweise auf Charakter und Orientierung seiner Schrift. Das aphoristische Element besteht darin, daß »wir für dießmal die Präcision der Schule verlassen, […] und dem Strome des Lebens folgen.«1 Das bedeutet, daß vor allem gewisse religiöse Lebensfragen, wie ›was ist Gott im Verhältnisse zum Menschen?‹ und ›was ist der Mensch im Verhältnisse zu Gott?‹, die Perspektive bilden, aus der Göschel die Philosophie seiner Zeit, insbesondere diejenige Jacobis und Hegels, kommentiert. Dies geht jedoch keineswegs auf Kosten seines Interesses für die Philosophie. Schon in der Einleitung zeigt sich vielmehr der Zusammenhang beider Interessen. »[U]nser Verlangen ist, die Philosophie unserer Zeit, welche sich als das absolute Wissen ankündigt, nach ihren letzten Resultaten, das heißt in ihren Verhältnissen zum Christenthume, näher und gründlicher kennen zu lernen« (Aphorismen, S. 11). Die Haltung derjenigen Christen, die »diese wissenschaftlichen Bestrebungen […], ohne nähere Kenntniß davon zu nehmen«, mit »Argwohn« ansehen, betrachtet Göschel demnach als ›gefährlichen Abweg‹ und sogar als ›Sünde‹ (Aphorismen, S. 1, 2), um sich damit auch von seinen pietistischen Glaubensbrüdern zu distanzieren, die den Rationalismus im allgemeinen und die Philosophie Hegels im besonderen für eine Bedrohung des Christentums hielten. Demgegenüber besteht sein eigenes Anliegen darin, zwischen dem Pietismus und der Philosophie Hegels zu vermitteln – in einer Zeit, in der sich das religiöse Carl Friedrich Göschel, Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntnis. Ein Beitrag zum Verständnisse der Philosophie unserer Zeit, Berlin 1829, S. 12. In der Folge wird auf dieses Werk im Haupttext verwiesen durch (Aphorismen, S. …). 1

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Mißtrauen gegenüber der spekulativen Philosophie vorläufig noch zurückhaltend äußerte, bald danach aber, nach dem Halleschen Streit (1830), immer offener zu Tage trat. 2 Bekanntlich hat sich auch Göschels Position später entscheidend geändert. Vor allem unter dem Einfluß der Schrift von D. F. Strauß über Das Leben Jesu (1835) wird der Vermittler von einst zum entschiedenen Vertreter einer Seite. »Göschels politische Christologie markiert den Übergang von der im wesentlichen religionsphilosophischen Diskussion der beginnenden 1830er Jahre zu den rechtsphilosophischen und politischen Auseinandersetzungen um 1840.«3 Damit avanciert er jetzt zum unbestrittenen Führer der Rechtshegelianer. Die durchaus positive Grundhaltung Göschels gegenüber der spekulativen Philosophie zeigt sich u. a. in der Tatsache, daß er die Leitfrage von Hinrichs Religionsphilosophie, die Hegel in seiner Vorrede zu dessen Schrift beifällig zitiert, als Kernfrage seiner Aphorismen übernimmt. »Kann ich das, was im Christenthume als die absolute Wahrheit vorliegt, nicht durch die Philosophie in der reinen Form des Wissens begreifen, so dass die Idee selber diese Form ist, so will ich nichts mehr von aller Philosophie wissen.« (Aphorismen, S. 5, vgl. GW 15, 142). Der Beifall, den Göschel der spekulativen Philosophie im allgemeinen und Hegels Philosophie insbesondere zollt, geht jedoch mit einem gewissen Vorbehalt einher. Denn anders als bei Hegel gründet sich seine Zustimmung zur spekulativen Philosophie auf deren Übereinstimmung mit der absoluten Wahrheit des Christentums und nicht umgekehrt. »Hegel unterstellt also der Religion den philosophischen Inhalt, Göschel hingegen der Philosophie den religiösen.«4 Er beurteilt die Übereinstimmung beider demnach aus einer christlich-religiösen, insbesondere an die pietistische Erweckungsbewegung anschließenden Sicht: 5 »Es ist nicht zu übersehen, daß hier, wie überall, das Christenthum die Probe ist, an der die geheimsten Gedanken der Seele offenbar werden und – zerschellen« (Aphorismen, S. 21). Wesentlich für seine religiöse Grundhaltung ist, was er in der Vorerinnerung Arndt Haubold, Karl Friedrich Göschel (1784 –1861). Ein sächsisch-preußisches Lebensbild des Literaten, Juristen, Philosophen, Theologen zwischen Goethezeit und Bismarckära (Unio und Confessio, Bd. 14), Bielefeld 1989, S. 49–50. 3 Walter Jaeschke, Urmenschheit und Monarchie. Eine politische Christologie der Hegelschen Rechten, in: Hegel– Studien 14 (1979), S. 73–107, Zitat S. 102. 4 Wolfgang Heise, Hegel und die Julirevolution. Vom Niedergang der ›klassischen‹ Philosophie, in: H. Bock / W. Heise (Hgg.), Unzeit des Biedermeiers. Historische Miniaturen zum Deutschen Vormärz 1830 bis 1848, Leipzig u. a. 1985, S. 58. 5 Trotzdem bleibt auch Göschels Distanz zu dieser Bewegung erkennbar, die sich vor allem in seiner positiven Grundhaltung zur Bildung, Wissenschaft und Kunst der Zeit zeigt. Vgl. Arndt Haubold, Karl Friedrich Göschel (Anm. 2), S. 38. 2

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der Aphorismen notiert: »Wer […] über die Wahrheit zu speculieren sucht, ohne mit dem Jünger der Liebe in der Wahrheit zu leben, wer sich in Begriffen bewegt, ohne das erneuernde Wort des Lebens an seinem Herzen zu erfahren, dem fehlt trotz alles äußerlichen Begreifens mit dem Leben im Christenthume auch das wirkliche Wissen, welches nicht einen Theil des Geistes, sondern den Geist selbst betrifft, ja dieser Geist selbst ist« (Aphorismen, S. IV). 6 Persönlich im Lager des Pietismus stehend, von der Sache her aber zugleich die Partei Hegels vertretend,7 kennzeichnet Göschels Position somit eine Doppelperspektive, die für seine Interpretation der Philosophie Jacobis von maßgeblicher Bedeutung ist. Einerseits versucht er, in engem Anschluß an Hegels spekulative Denkweise, in Jacobis Schriften immer wieder Widersprüche aufzuzeigen, die dialektisch hätten auf einander bezogen werden sollen, wozu Jacobi aber offensichtlich, so seine These, nicht imstande war. Andererseits vergleicht er im Laufe seiner Darstellung die Aussagen Jacobis regelmäßig mit der Heiligen Schrift und kritisiert sie damit auch aus einer christlichen, genau genommen theistischen Sicht. In diesem Beitrag werde ich zunächst den Folgen dieser Doppelperspektive für die Interpretation von Jacobis Philosophie nachgehen. Darüber hinaus stellt sich aber die grundsätzliche Frage, ob Jacobis Denken überhaupt in diesem Sinne interpretiert werden darf. Darf man seine Philosophie als eine im Grunde genommen spekulative oder dialektische deuten, die sich nur eigensinnig weigert, dies anzuerkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen? Daran knüpft sich schließlich die noch prinzipiellere systematische Frage an, ob eine Philosophie des Sprunges, des Salto mortale, überhaupt möglich ist, oder ob jede Philosophie letzten Endes dialektisch sein muß. Auf diese wichtige Frage werde ich im letzten Abschnitt zurückkommen.

II. Göschels Aphorismen über Jacobis Nichtwissen In der Einleitung seiner Aphorismen kennzeichnet Göschel die unterschiedlichen Reaktionen seiner Zeit auf die neuzeitliche Trennung von Glauben und Wissen folgendermaßen: »[W]irklich zerfallen […] die durch den Gedanken

Vgl. S. VII: »[D]en gefährlichen, aber unvermeidlichen Weg einer alles auflösenden, alles zersetzenden und zermalmenden Dialektik bestehet nur – der s p e c u l at i ve Geist, welcher dem Subjecte gegeben wird, wenn es im Gebete und im Glauben anhält, und in allen seinen Nöthen bey der Schrift, als dem Worte Gottes, Zuflucht sucht.« 7 Arndt Haubold, Karl Friedrich Göschel (Anm. 2), S. 50. 6

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zum Bewußtseyn erwachten Menschen in solche, die auf die Wissenschaft Verzicht leisten, und in solche, welche der Philosophie auch in ihren dunkeln, dialectischen, den Tod des Glaubens jammernd verkündigenden Stationen nicht untreu werden wollen« (Aphorismen, S. 8). Er nennt diejenigen, die der Philosophie die Treue halten wollen, ohne deswegen mit ihrem Glauben zu zerfallen, die Immanenten, weil sie »in der Form des Wissens das wirklich wieder finden, was sie vorher im Glauben, d. h. in der Form der Vorstellung, als absolute Wahrheit gehabt haben, so doch, daß die Wissenschaft den Glauben nicht sowohl ersetzt, als in sich hat« (Aphorismen, S. 8). Hier bezieht sich Göschel offensichtlich auf die Position Hegels. Demgegenüber ist es sehr viel schwieriger, die Position Jacobis in diesem antinomischen Rahmen zu verorten. Denn dessen Philosophie leistet nicht ohne weiteres auf das Wissen und die Wissenschaft Verzicht; wo sie es aber schließlich tut, kommt sie Göschel zufolge nicht nur zu spät, sondern bleibt außerdem auf halbem Wege stehen. Dies hat erhebliche Konsequenzen sowohl für den Glauben als auch für das Wissen. Zum einen verabschiedet der Glaube die Wissenschaft allererst dann, nachdem sie in Zerstörung seiner Objektivität den Schaden bereits angerichtet hat. Weil aber, was im Zuge der wissenschaftlichen Reduktion aller Objektivität auf etwas Endliches geschehen ist, nicht wieder ungeschehen gemacht werden kann, muß jetzt auch die gegebene Objektivität des Glaubens als Götze und grober Materialismus erscheinen, so daß dasjenige, was dann noch im positiven Sinne für das Nichtwissen übrig bleibt, »ein subjectiver, reingeistiger, idealer, selbstgemachter Glaube« ist, »welcher sich […] in die allgemeine Idee verflüchtigt« (Aphorismen, S. 9). 8 Deshalb bezeichnet Göschel diese Position als eine innerliche oder inwendige, wobei ihn seine These vom Verlust der Objektivität des Glaubens und der Realität überhaupt zu dem merkwürdigen Schluß führt, daß Jacobis Nichtwissen im Grunde genommen mit der Philosophie des Nichts und dem Pantheismus zusammenfällt, ohne daß er selbst dies zu erkennen vermochte (Aphorismen, S. 9). Damit hängt zum zweiten zusammen, daß die Wissenschaft, die Ursache des Verlustes der Objektivität des Glaubens, nicht vollständig verabschiedet worden ist, sondern noch immer im Nichtwissen umhergeistert: ist doch der verbleibende Glaube gar nicht imstande, seine subjektive Reinheit zu bewahren. Denn wenn der Gläubige den Inhalt seines Glaubens an Gott bestimmen will, bleibt ihm nichts anderes übrig, als wieder zum endlichen Wissen und seinen der Welt entnommenen Bestimmungen zu flüchten. Deswegen ist Diese Analyse stimmt mit Hegels Darstellung des verunreinigten Charakters von Jacobis Glauben in Glauben und Wissen überein; vgl. GW 4, 378 f. Im Text Göschels gibt es aber keine Hinweise, daß er diese Schrift Hegels gelesen hat. 8

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diese Verzichtleistung nur eine halbe und die daraus hervorgehende Philosophie des Nichtwissens eine solche, die es nur zum halben Nichtwissen bringt. Nach Göschels Ansicht ist nur eine völlige und konsequente Verzichtleistung auf die Wissenschaft in der Lage, die Reinheit und Objektivität des Glaubens zu erhalten, und insofern bietet auch nur sie einen Ausweg aus dem Nichtwissen. In diesem Fall besteht der Glaube »als die Treue des unbedingten Vertrauens auf die geoffenbarte Wahrheit«, und »die Vernunft [wird] im Dienste des Glaubens und unter der Zucht des Wortes, als der Wahrheit, gebraucht […], um die gegebene Vorstellung mehr und mehr zum Leben und zum Verständniße zu bringen« (Aphorismen, S. 10). Indem hier der Wissenschaft ihr einseitiger negativer Einfluß auf den objektiven Glauben genommen ist, kann das Wissen positiv dem Glauben dienen, ihm aber nicht mehr gebieten. Daraus ergibt sich eine Glaubenserkenntnis, in der der Glaube vom Gedanken durchflochten, jedoch nicht von ihm durchdrungen wird. Diese Glaubenserkenntnis, die als Göschels eigene Position bezeichnet werden kann und die er eine auswendige nennt, muß mit der immanenten Erkenntnis des absoluten Wissens »zu einer vollständigen Ausgleichung und Durchdringung kom[men]« (Aphorismen, S. 11). Das bedeutet, daß Göschel seine Glaubenserkenntnis weitgehend mit dem immanenten Standpunkt Hegels gleichsetzt. Vor dem Hintergrund dieser zwei Grundansichten kommentiert Göschel die Folgen des ›Nichtwissens‹ Jacobis, d. h. seiner Verzichtleistung auf die Wissenschaft, für die Gotteserkenntnis des Menschen. Er konzentriert sich zuerst auf dessen Antwort auf die Frage ›was ist Gott?‹. Dabei geht er von der Überzeugung aus, daß für Jacobi die ›Aseitas‹ Gottes grundverschieden ist von allem außer ihm, d. h. von seiner Offenbarung. »G o t t i s t ; das ist das Erste. G o t t i s t G o t t ; das ist das Zweite und Letzte. Er ist allein Sich Selbst gleich, und außer Ihm ist Ihm Nichts gleich« (Aphorismen, S. 14). Daß Gott ist, sein reines in und durch sich selbst Sein, ist eine unmittelbar gewisse Wahrheit, die dem vermittelnden Wissen grundsätzlich entzogen ist. In diesem Sinne ist sie grundlegend verschieden von dem, was Gott ist, von seinem geoffenbarten Wesen. Der Schluß, den Jacobi Göschel zufolge aus diesem Dualismus zieht, ist, »daß Gott unbegreiflich, unaussprechlich, unsichtbar ist. […] Er ist uns nach seinem Wesen unbekannt, aber nicht nach seinem Daseyn. Als transscendent und außerweltlich kann Er nicht gewußt werden; als binnenweltlich kann Er nach seinen Wirkungen nur gefühlt werden« (Aphorismen, S. 14). Göschel illustriert diese Darstellung Jacobis mit Bezug auf manche Stellen der Schrift Über eine Weissagung Lichtenbergs, wie zum Beispiel: »Gott allein ist der Eine der nur Einer ist, der A l l e i n i g e ; Er ist das E i n e o h n e A nd e r e s im ausnehmenden, im höchsten Sinne; in keinem

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Sinne Einer nu r unter anderen, kein einzelnes, du rc h Vor - u nd M it d as e y n bedingtes Wesen, sondern das ausschließlich in sich selbst genugsame u nb e d i n g t selbstständige […] Wesen.« (JWA 3, 28) In christlich-religiöser Hinsicht hält Göschel die Position Jacobis für äußerst problematisch: zwar stimmt sie mit der Heiligen Schrift insofern überein, als nach Paulus Gott in einem unzugänglichen Licht wohnt, aber sie verkennt, daß Gott sich der Welt offenbart hat und sein offenbares Wesen folglich der Erkenntnis zugänglich sein muß. »Er weiß, ja er ist das Wissen seiner Selbst, wie Er das Seyn ist, aber Er kann nicht gewußt werden. So weit reichet die Beglaubigung des innern Sinnes, aber nicht weiter; denn w i e Gott siehet, höret, liebt und will und weiß und ist, wa s Er ist, kannst du nicht denken, ohne daß du Ihn aus Seiner Höhe, Seiner Allgemeinheit herabziehest« (Aphorismen, S. 15). Die grundsätzliche Differenz zwischen dem transzendenten und verborgenen Sein Gottes und seinem immanenten und geoffenbarten Wesen führt in Göschels Sicht also unumgänglich dazu, daß der objektive Glaube an Gott zu einem subjektiven und innerlichen wird. Denn weil die Objektivität dem endlichen Wissen vorbehalten wird, kann der Mensch sich Gott nur im innerlichen Gewissen nähern. Diese Subjektivität des Glaubens bildet den Grund für Göschels Vorwurf, daß dieser Glaube ein ›selbstgemachter‹ Glaube ist oder eine Konstruktion des Menschen: die Innerlichkeit des Menschen wird auf Gott projiziert. »Wir sehen schon hier, daß dieser Gott, so groß Er auch sei, aus dem Menschen selbst geboren wird, nur daß diesem nichts als Endlichkeit, jenem nichts als Unendlichkeit zukommt« (Aphorismen, S. 15). Weil es auf dem Wege der Offenbarung keinen Zugang zum verborgenen Wesen Gottes gibt, »entzieht [der Mensch] sich der bestimmten Vorstellung Gottes, um in der unbestimmten Idee sich seinen Gott selbst zu machen« (Aphorismen, S. 26). Dieselbe Projektion zeigt sich nach Göschel auch in Jacobis Darstellung von Christus, indem er »einem einzelnen Menschen das zuschreibt, was aus dem eigenen Herz stammt, und jedem Menschen angehört, aber auch nur der Idee, nicht der Wirklichkeit angehört« (Aphorismen, S. 20). Diese Kritik am rein subjektiven und innerlichen Charakter des Nichtwissens von Gott wird im zweiten Abschnitt seiner Aphorismen näher ausgearbeitet, wo Göschel Jacobis Antwort auf die Frage ›was ist der Mensch?‹ oder genauer ›wie gelangt der Mensch zu Gott?‹ erörtert. Ist der Mensch imstande, durch »Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis« zu gelangen (Aphorismen, S. 30)? Für die Philosophie des Nichtwissens ist das Verhältnis zwischen Mensch und Gott sowohl ein Verhältnis der Unähnlichkeit und sogar der Scheidung als auch der Ähnlichkeit und unmittelbaren Gemeinschaft. Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Gott ist der Mensch »Alles, was er seyn kann,

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Gott im Kleinen! Gott ähnlich! und eben darum Gott im Großen zu Ahnen, aber nicht zu erkennen vermögend« (Aphorismen, S. 31). Die Gemeinschaft des Menschen mit Gott »erweiset sich in der unverwüstlichen Gewißheit des Glaubens, mittelst des Gefühls,« die Scheidung zwischen beiden hingegen »in dem Unvermögen und der Nichtigkeit alles Wissens, welches dem Wesen Gottes, wie das Endliche dem Unendlichen, widerstrebt« (Aphorismen, S. 31 f.). Hieraus schließt Göschel, daß nach Jacobi »uns Gott u n m it t e lb a r gegenwärtig ist durch sein Bild in unserem innersten Selbst« (Aphorismen, S. 32). Zum Beweis dieser These zitiert er Jacobis Von den göttlichen Dingen, worin dieser die unmittelbare Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch nachdrücklich hervorhebt: »Gott lebet in uns, und unser Leben ist ve rb or g e n in Gott. Wäre er uns nicht auf diese Weise gegenwärtig, u n m it t e lb a r gegenwärtig durch sein Bild in unserm innersten S e lb s t : was außer Ihm sollte Ihn uns kund thun?« (JWA 3, 41) Dies bedeutet aber zugleich, daß dem Menschen jegliche Annäherung an Gott auf dem Wege objektiver, äußerer Offenbarung verwehrt ist. In der unmittelbaren Gegenwärtigkeit Gottes im innerlichen Selbst des Menschen zeigt sich für Göschel wieder der Grundirrtum des Nichtwissens, »daß statt des objectiven Gottes ein selbstgemachter sich auf den Thron setzt, und in diesem Irrthume ist wieder dieses der Grundirrthum, daß dieser Gott dennoch als objectiver Gott angebetet wird, weil das Bedürfnis des Herzens einen solchen Gott verlangt« (Aphorismen, S. 32 f.). 9 Dieses vom Nichtwissen aus dem Selbst des Menschen auf Gott projizierte Bild könne man mit der Verehrung des von Menschenhänden gemachten goldenen Kalbes durch die Juden vergleichen. Angesichts solcher Folgen, die das subjektive, innerliche Nichtwissen Jacobis für die objektive Gegebenheit des Glaubens hat, stellt Göschel die Frage, »ob sich das Nichtwissen auch ferner treu bleib[e]« (Aphorismen, S. 16). Die Scheidung zwischen dem Selbstsein Gottes und seiner Offenbarung in der Welt, zwischen seinem Wesen und seinen Wirkungen, bringt die Gefahr mit sich, daß die Realität und Selbständigkeit Gottes sich »in das unendliche Wesen auflöset, das allem Seyn, aller Individualität und Wirklichkeit zum Grunde liegt, ohne selbst für sich, ohne wirklich zu seyn« (Aphorismen, S. 17). Wie oben schon gezeigt wurde, ist die radikal transzendente Existenz Gottes allem vermittelnden Wissen entzogen und nur einem subjektiven Glauben zugänglich. Demzufolge müßte Gott auch jeder WisIn diesem Zusammenhang zitiert Göschel Jacobi, Von den göttlichen Dingen, vgl. JWA 3, 42: »So wenig ein f a l s c h e r Gott außer der menschlichen Seele für sich daseyn kann, so wenig kann der Wa h r e außer ihr e r s c h e i n e n . Wie der Mensch sich selbst fühlt und bildet, so stellt er sich, nur m ä c h t i g e r, die Gottheit vor.« 9

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sensbestimmung seiner Eigenschaften, wie Einzelheit und Personsein, transzendent sein.10 Indessen ist Gott auch in und mit uns, also doch Person, ja die Persönlichkeit selbst. Im Rahmen eines konsequenten Nichtwissens hieße das offenbar, daß die Persönlichkeit Gottes nur auf Kosten des Verstandes zu retten ist, also auf Kosten eines sacrificium intellectus. Jedoch sind der Philosophie des Nichtwissens zufolge, die Jacobi nach Meinung Göschels vertritt, die Persönlichkeit und die Wirklichkeit Gottes nur denkbar, insofern Gott sich offenbart, d. h. denkbar nur in seinem Verhältnis zur Welt. Die Welt gehört aber zum Bereich des endlichen Wissens, welches das Personsein Gottes und seine absolute Realität gerade auflöst. Um also »Gottes Persönlichkeit retten [zu können], ohne Ihm etwas von seiner abstrakten Unendlichkeit zu entziehen, komm[t Jacobi] unversehens auf den Standpunkt des gemeinen Pantheismus, dem [er] eben entgehen wollte […]« (Aphorismen, S. 17). Wie kommt Göschel dazu, ausgerechnet Jacobi des Pantheismus zu beschuldigen, während dieser alles andere als ein Pantheist sein will? Nach Göschel ist dieser Pantheismus das paradoxe Ergebnis einer unglücklichen Seele, welche den verhängnisvollen Konsequenzen ihrer Verzichtleistung auf den Verstand für die Persönlichkeit und Realität Gottes ins Auge sieht und ihnen zu entfliehen versucht. Um das Personsein Gottes retten zu können, läßt sie eben den Verstand wieder zum Vorschein kommen, den sie vorher verabschiedet hatte. So werden innerlicher, subjektiver Glaube und äußerliches, objektives Verstandeswissen, Unendliches und Endliches, Gott in uns und Gott außer uns, auf eine problematische Weise miteinander vermittelt – mit der Konsequenz des Pantheismus. In Bezug auf das Nichtwissen bedeutet dies, daß es in dem Maße, wie es am Ende nicht auf den Verstand und dessen Wissen der Offenbarung Gottes verzichten kann, sich selbst auch nicht treu ist. Als halbes Nichtwissen leistet es selber dem Nihilismus Vorschub: »Und doch sehen wir diejenigen, welche auf diese Weise das Nichtwissen deduciren, wenn sie dabei stehen bleiben, in gleichen Nihilismus verfallen. […] Dieses Schicksal hat […] J ac ob i erfahren, sosehr er auch dagegen gerungen, gekämpft, und geschwärmt hat, denn wer seinem Verstande gegenüber eben nur sein Herz zum Gegenpole hat, der muß erliegen« (Aphorismen, S. 18).11 Göschel referiert in diesem Zusammenhang auf Jacobi, Von den göttlichen Dingen, vgl. JWA 3, 15: »Dieses auszumachen [nämlich daß D u b i s t ! ] – der Einzige, der Erste – Nicht ich, daß ich kein e r s t e s Maaß, kein e r s t e s Gewicht, keine e r s t e Zahl bin], zu erfinden m i t d e r T h at , war eines A n d e r e n ; war jenes geheimnißvollen Wo r t e s , aller Wesen B e g i n n , das bey Gott war, und Gott selbst dieses Wort; das, au s g e s p r o c h e n , erschaffenes Licht, erschaffenes Leben, diese wundervolle GottesSchöpfung wurde.« 11 Göschel zitiert in diesem Zusammenhang Jacobi, Von den göttlichen Dingen, 10

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Nach Göschel zeigt sich das pantheistische Element besonders augenfällig, wo Jacobi seinen subjektiven Glauben mit dem objektiven Glauben der Kirche vergleicht, vor allem mit der Gottheit Christi. Von besonderem philosophischen Interesse ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen dem Wesentlichen, der Idee, dem reinen Geist, und dem Unwesentlichen, der Einkleidung, dem äußerlichen Buchstaben, oder zwischen der Sache und ihrer Gestalt. Im Falle Christi läuft das darauf hinaus, daß Jacobi »gegen die Gottheit Jesu Christi [kämpft], indem er die Idee als das Wesentliche und Höchste in Schutz nimmt, und dieser Idee den geoffenbarten, im Fleische geoffenbarten Gott, als das Unwesentliche, als die Einkleidung unterordnet« (Aphorismen, S. 20). Der Realismus der geoffenbarten Religion wird so des Materialismus bezichtigt. Jacobis Unterordnung der Menschwerdung Gottes unter die abstrakte Allgemeinheit der philosophischen Idee ist nach Göschel nicht nur in religiöser Hinsicht problematisch, insofern ihr die Niedrigkeit und Knechtsgestalt des Sohnes Gottes zum Ärgernis werden muß, sondern sie zeigt auch, daß der Verstand und dessen Ideen die reelle Herrschaft über das objektive Wort Gottes gewinnen. Hieraus ergibt sich im übrigen wiederum, daß das Nichtwissen nur ein halbes Nichtwissen ist. Dementsprechend notiert Göschel: »[W]as fehlet hier noch an pantheistischem Idealismus, wenn wir dem ersten Gedanken dieses Nichtwissens treu bleiben wollen? Jesus Christus ist der äußere Buchstabe, das unwesentliche Bild, an dem ich meine Idee, als das Wesentliche, werden lasse, auf das ich mein Ideal übertrage; die Idee selbst ist höher und mehr als dieser Jesus Christus« (Aphorismen, S. 23).12 Am Ende des ersten Abschnitts faßt Göschel seine Kritik an Jacobi zusammen. Er sei inkonsequent in seiner Beantwortung der Frage ›was ist Gott?‹. Hätte er sich, den Glauben an Gott betreffend, mit der Zurückweisung des abstrakt sinnlichen Verstandes begnügt, hätte er die Beeinträchtigung des Glaubens durch das endliche Wissen verhindern und dem Glauben seine subjektive, innerliche Reinheit bewahren können. Statt dessen ist Jacobi jedoch, so Göschel, einem abstrakt übersinnlichen Verstand verfallen. Denn um bestimmen zu können, was Gott ist, wie etwa sein Personsein und

vgl. JWA 3, 96: »Es ist demnach das Interesse der W i s s e n s c h a f t , daß kein Gott sey, kein übernatürliches, außerweltliches, supramundanes Wesen.« 12 Göschel zitiert in diesem Zusammenhang Jacobi, Von den göttlichen Dingen, vgl. JWA 3, 46: »Was Christus außer dir, für sich gewesen, ob deinem Begriffe in der Wirklichkeit entsprechend, ja ob nur in dieser je vorhanden, ist in Absicht der w e s e n tl i c h e n Wahrheit deiner Vorstellung, und der Eigenschaft der daraus entspringenden Gesinnungen gleichgültig. Was Er i n D i r ist, darauf allein kömmt es an.«

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seine Wirklichkeit, kann der Mensch sich nur seines endlichen Verstandes bedienen, dessen Anwendungsbereich damit vom Sinnlichen zum abstrakt Übersinnlichen ausgedehnt wird. Das halbe Nichtwissen macht also Platz für ein endliches Wissen vom Übersinnlichen, das Göschel als Nihilismus und Pantheismus identifiziert. Unterdessen beleuchtet er die Inkonsequenz dieses Nichtwissens auch noch von einer anderen Seite. Wäre Jacobi bei der unmittelbaren, in der unmittelbaren Gemeinschaft des Menschen mit Gott gegründeten Gotteserkenntnis stehengeblieben, die sich etwa in der Ansicht zum Ausdruck bringt, daß Gott aus der Brust des Menschen hervorgeht, dann hätte er auch dem übernatürlichen Charakter dieser Gemeinschaft Rechnung tragen können. Auf diese Weise wäre auch eine natürliche Gotteserkenntnis möglich gewesen, insofern die Rede vom ›Übernatürlichen‹ die Notwendigkeit einer Vermittlung mit dem Natürlichen impliziert. Jacobi jedoch ist dieser Ansicht nicht treu geblieben, »weil sich ihm im Wahne unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott die Nothwendigkeit der Vermittlung entzog« (Aphorismen, S. 28). Die Inkonsequenz oder die Halbheit des Nichtwissens führt also entweder zu einem endlichen, nihilistischen Wissen vom Übersinnlichen oder zur Schwärmerei einer unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott. Im zweiten Abschnitt seiner Aphorismen, der die Frage nach dem Menschen behandelt, kritisiert Göschel das naiv optimistische Menschenbild Jacobis und seine Folgen für die (Un)erkennbarkeit Gottes. Im Zentrum steht hier das Problem des Bösen. Da nach Göschel das Nichtwissen zweideutig ist in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gott, kann es demzufolge auch keine klare Antwort auf dieses Problem geben. Einerseits sind die endlichen Wesen immanent in Gott, und insofern gibt es von ihm ein unmittelbares Bewußtsein; andererseits aber ist Gott auch ein transzendenter, der Welt und dem Menschen gegenüber Anderer. Das bedeutet, daß das Endliche nicht im Unendlichen sein kann, ohne es zu verendlichen bzw. umgekehrt, ohne daß sich eine endliche Erkenntnis der Unendlichkeit Gottes als unmöglich erweist. Diesbezüglich fragt Göschel, ob die Ursache dieser Unwissenheit darin liegt, daß Gott den Menschen oder daß der Mensch Gott verlassen hat. Der Ansicht des Nichtwissens gemäß liegt »die Unbegreiflichkeit Gottes eben so sehr an Gott und in Gottes Wesen, als an uns« (Aphorismen, S. 33). Das heißt jedoch, daß das Nichtwissen das Böse ignoriert, das neben oder hinter dem Guten im Herzen des Menschen zu liegen scheint. »Das Böse wird nicht als eine verschuldete Trennung von Gott, ja nicht einmal bestimmt als Trennung von Gott angesehen, sondern es bleibt unverrückt dabey […] daß der Mensch nach dem ihm anerschaffenen Maaße seiner Endlichkeit in Gemeinschaft mit Gott stehe, folglich e i g e nt l i c h nicht böse sey« (Aphorismen, S. 34). Natürlich kann Jacobi nicht leugnen, daß es

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zugleich Böses und Gutes im Menschen gibt und der Mensch somit auch seinem Herzen nicht unbedingt vertrauen kann, um Gott zu finden, aber er ist außerstande, vom Verhältnis zwischen beidem Rechenschaft zu geben. Göschel zitiert längere Passagen aus Woldemar und Allwill, die zeigen sollen, daß Jacobi einerseits »dieser Schönheit des Herzens, als der einigen Richtschnur des Lebens [traut]« (Aphorismen, S. 35), andererseits aber bekennt: »Wer sich auf sein Herz verläßt, ist ein Thor« (Aphorismen, S. 36), ohne daß er die Beziehung zwischen diesen beiden entgegengesetzten Behauptungen zu klären vermöchte. Am Ende setzt das Nichtwissen das Sein und damit die Güte des Menschen schlicht als unmittelbar gewiß voraus. Im metaphysischen Bereich fällt auf, daß das Nichtwissen »das Böse in die Natur des endlichen Wesens, als natürliche Folge der Endlichkeit versetzt« (Aphorismen, S. 41). Damit wird das Böse seiner moralischen Dimension entledigt und lediglich als weniger gut oder als eine natürliche Unvollkommenheit betrachtet, woraus folgt, daß Jacobi dem schlechthin Bösen nicht gerecht werden kann. Für ihn ist das Böse identisch mit dem Endlichen. Sowohl die Endlichkeit der Erkenntnis (die sich im Nichtwissen zeigt) als auch die Endlichkeit des Willens (die sich in der Sinnlichkeit zeigt) sind nur Mängel des göttlichen Wissens und der göttlichen Güte, welche die Möglichkeit menschlicher Erkenntnis und Güte nicht ausschließen. »Mit einem Federzuge sind wir so weit, daß wir […] über das Böse uns nicht mehr verwundern, nicht mehr darüber uns beunruhigen, sondern vielmehr unserer Endlichkeit eingedenk, über das Gute im Menschen uns verwundern und darüber uns freuen müssen« (Aphorismen, S. 42). Diesem Gedankengang zufolge deutet das Nichtwissen den Ursprung des Bösen und Guten in dem Sinne, daß das Gute aus unserem Herzen entspringt, während der Hang zum Bösen eine moralisch indifferente Folge unserer Endlichkeit und Sinnlichkeit ist, nicht aber unserer Freiheit zugeschrieben werden kann. Am Schluß seiner Darstellung von Jacobis Nichtwissen kommt Göschel auf das zurück, was er für den Grundwiderspruch dieser Philosophie hält. Wie kann der subjektive Glaube, der Gott (das Urbild) ohne weiteres aus dem Gefühl und der Brust des Menschen (dem Abbilde) hervorgehen läßt, überhaupt die absolute Realität und Objektivität Gottes außer und über uns, mithin auch über unseren Begriffen behaupten? Hier zeigen sich die Folgen der radikalen Trennung zwischen dem objektiven, begrifflichen Wissen der endlichen, sinnlichen Welt und dem subjektiven, unmittelbaren Glauben an den unendlichen, übersinnlichen Gott. Dem begrifflichen Wissen ist der Bereich der Abstraktion und der Konstruktion exklusiv vorbehalten. Es ist nicht imstande, die objektive Realität Gottes zu denken, weil es nicht hinausgeht über »die Begriffe, die nichts begreifen, nichts als real gelten lassen,

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was nicht endlich ist« (Aphorismen, S. 46). Demgegenüber ist unser Glaube auf die unvernünftige Basis des Gefühls und Gewissens gegründet. »Unser N i c ht w i s s e n von Gott besteht demnach in der Unmittelbarkeit unseres W i s s e n s von Gott, worüber wir uns keine Rechenschaft geben können, und woran wir um so fester halten, je mehr sich ihm die Vermittlung durch den Begriff widersetzt« (Aphorismen, S. 46). Aufgrund seiner Unmittelbarkeit ist dieses nicht-begriffliche Wissen gewiß, aber gerade deswegen muß es auch unbestimmt bleiben; es kann sich nicht auf die objektive Realität beziehen, so daß es letzten Endes ein Nichtwissen ist. »Das Wissen, welches hier zugegeben wird, bezieht sich auf Gottes Daseyn, welches ich wie irgend ein Daseyendes a n e rke n n e n muß, wenn ich es auch nicht erkennen kann; das Wissen, welches geläugnet wird, [bezieht sich] auf Gottes Unbegreiflichkeit, die der Gedanke nicht antasten darf« (Aphorismen, S. 47). Das Nichtwissen hat also nur ein unmittelbares Wissen vom reinen Sein Gottes (daß Gott ist), aber es kann dieses reine Sein auf keine Weise inhaltlich näher bestimmen. Was Gott ist, seine objektive Realität, ist ihm notwendig entzogen, während die so entstehende Leere vom innerlichen Gewissen und schwärmerischen Gefühl ausgefüllt wird. Hiermit schließt Göschel sich der Kritik Hegels an Jacobis unmittelbarem Wissen an. In der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, die Göschel in diesem Zusammenhang auch zitiert, schreibt Hegel, daß Jacobi »sich nicht damit [begnügt], von dem ve r m it t e lt e n Wissen gezeigt zu haben, daß es, i s ol i e r t genommen, für die Wahrheit ungenügend sei«. Vielmehr besteht seine »Eigentümlichkeit« darin, »daß das u n m it t e lb a r e Wissen nur i s ol i e r t genommen, mit Au s s c h l i e ßu n g der Vermittlung, die Wahrheit zum Inhalte habe. – In solchen Ausschließungen selbst gibt sich sogleich der genannte Standpunkt als ein Zurückfallen in den metaphysischen Verstand kund, in das E nt we d e r – O d e r desselben.« (GW 19, 81 (§ 65))

III. Probleme einer dialektischen Deutung von Jacobi Wir haben im vorigen Abschnitt gesehen, daß Göschel in seinen Aphorismen Jacobi eben das anlastet, wovon dieser sich mit seinem Salto mortale hatte befreien wollen. Jacobis Philosophie stelle sich als Nihilismus und Pantheismus dar, sein Nichtwissen sei auf halbem Wege steckengeblieben, was bedeute, daß sein Salto mortale letztendlich gescheitert sei. Wie müssen wir diese radikale Kritik verstehen? Hat Göschel uns die Augen dafür geöffnet, daß Jacobi alles in allem ein philosophischer Scharlatan ist? Oder ist er selber einfach blind geblieben für die Eigenart von Jacobis Schriften?

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Zuerst eine historische Bemerkung. Wenn wir uns die oben skizzierten religiösen und politischen Hintergründe der Aphorismen Göschels in Erinnerung rufen, ist klar, daß er mit seinen harten Vorwürfen gegenüber Jacobi vor allem seine pietistischen Glaubensbrüder überzeugen will. Auf der Basis seiner religiösen Grundhaltung, die er mit ihnen teilt, will er nachweisen, daß eine religiös motivierte Ablehnung des Rationalismus und der spekulativen Philosophie paradoxerweise keineswegs im Interesse der Religion selbst liegt. Das ist der Grund, weshalb Göschel sich einerseits bemüht, zwischen absolutem Wissen und Christentum zu vermitteln und ihre Übereinstimmung aufzuzeigen, während er andererseits deutlich macht, daß ein Verzicht auf die (Hegelsche) Philosophie zu religiösen Konsequenzen führt, die den Absichten des Pietismus selbst entgegengesetzt sind. Vor diesem Hintergrund wendet Göschel sich nicht direkt gegen die pietistische Kritik am Rationalismus, sondern benutzt statt dessen Jacobis Kritik der Alleinphilosophie gewissermaßen zu seinen eigenen Zwecken. Deswegen stellt er auch zunächst das Nichtwissen Jacobis (analog zum Nichtwissen des Pietismus) heraus, um in einem nächsten Schritt dessen für das Christentum unannehmbare Konsequenzen hervorzuheben: außer zum Nihilismus führe es dazu, daß der Mensch sich selber einen Gott konstruiert, sein Sündenbewußtsein aufgibt und die lebendige Realität Christi den abstrakten Begriffen seines Denkens unterwirft. Zusammenfassend könnte man sagen, daß nicht die spekulative Philosophie, sondern vielmehr das Nichtwissen eine Bedrohung für den wahrhaften Glauben darstellt. Fraglich ist aber, ob Göschels Deutung der Philosophie Jacobis als eines inkonsequenten Nichtwissens eigentlich berechtigt ist. Dabei ist ein Unterschied zu bedenken, der grundlegend für die gesamte Philosophie Jacobis ist: der Unterschied zwischen der adjektiven und der substantiven Vernunft.13 Es handelt sich hier um die prinzipielle Frage: »H at d e r M e n s c h Ve r nu n f t ; oder h at Ve r nu n f t d e n M e n s c h e n ?« Im ersten Fall geht es um die instrumentelle Vernunft: »Versteht man unter Vernunft die Seele des Menschen, nu r in so fern sie deutliche Begriffe hat, […] so ist [sie] eine Beschaffenheit des Menschen, […] ein Werkzeug, dessen er sich bedient, s i e g e hör t i h m z u .« (JWA 1, 259) Im anderen Fall ist die Vernunft »das Prinzip der Erkenntnis überhaupt; so ist sie der Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie b e s t e ht der Mensch; er ist eine Form, die sie angenommen hat.« (JWA 1, 260) In Hinblick auf die Vergewisserung Vgl. Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 229 ff. Zum Unterschied zwischen der ›adjectiven‹ und ›substantiven Vernunft‹ vgl. ferner JWA 2, 232. 13

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Gottes besagt diese Unterscheidung, daß er an einem Ort wohnt, der nur der substantiven, nicht aber der instrumentellen Vernunft zugänglich ist. Daraus folgt erstens negativ, daß Jacobis Nichtwissen nicht ohne weiteres als subjektives, schwärmerisches Gefühl verstanden werden darf, wie Göschel vorgibt, obwohl damit noch nicht geklärt ist, was diese substantive Vernunft positiv bedeutet. Zweitens fällt der Unterschied zwischen substantiver und instrumenteller Vernunft auch nicht unbedingt zusammen mit dem von Göschel aufgestellten Gegensatz zwischen dem unmittelbaren Wissen vom reinen Dasein Gottes (daß Gott ist) und der inhaltlichen, einem konstruierenden, nihilistischen Wissen entspringenden Bestimmung seines Wesens (was er ist). Denn nach Jacobi ist es unmöglich, daß der Mensch von sich aus einen Gott, der außer ihm ist, als ein lebendiges, für sich seiendes Wesen konstruieren könne; er kann seiner nur gewahr werden, indem er ihn von außen her vernimmt. Es wäre durchaus möglich, noch viele andere Stellen aufzuführen, an denen Göschel die Philosophie Jacobis aufgrund seiner spezifischen, politisch-religiösen Interessen verzerrt darstellt. Statt dessen möchte ich mich in diesem Zusammenhang auf meine eingangs aufgeworfene grundsätzliche Frage konzentrieren. Kann man die Philosophie Jacobis als eine im Grunde genommen spekulative oder dialektische deuten, die sich nur eigensinnig weigert, dies anzuerkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen? Die dialektische Grundorientierung in Göschels Denken erhellt folgendes Zitat: »Alle Geistesthätigkeit erweiset sich eben dadurch als Geist, daß sie das ihr entgegengesetzte ruhige Seyn in sich aufzunehmen, und hiermit den Dualismus, welcher sie von dem Seyn trennt, aufzuheben das Streben und die Aufgabe hat« (Aphorismen, S. 48). Demnach versucht er, überall in Jacobis Schriften Widersprüche aufzuzeigen, deren Aufhebung sich aufdrängt, von Jacobi aber eigenwillig zurückgewiesen wird. Dabei handelt es sich insbesondere um den Gegensatz zwischen der Einsicht des Nichtwissens, daß Gott ist, außer und über uns, und dem Unvermögen zu bestimmen, was er ist, oder um den Dualismus zwischen dem subjektiven, unmittelbaren, aber zugleich unbestimmten Glauben und den objektiven Bestimmungen des vermittelnden Wissens. Insofern es Göschel zufolge eben die Aufgabe der Philosophie ist, diese Entgegensetzung dialektisch zu vermitteln, was der inneren Notwendigkeit des Denkens und der Wirklichkeit entspricht, kommen wir hier zum zentralen Problem des Jacobischen Denkens, nämlich zu der Frage, was er mit seinem Salto mortale meint.14 Insbesondere läßt sich fragen, ob dieser

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Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 13), S. 13.

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Sprung womöglich nichts anderes ist als ein verfehlter dialektischer Übergang. Jacobi deutet seinen Salto mortale auf folgende Weise: »Bei mir ist gar nicht die Rede von einem Kopfunter hinabstürzen von einem Felsen in einen Abgrund, sondern von einem, von ebenem Boden aus, sich über Felsen und Abgrund hinwegschwingen und jenseits wieder fest und gesund auf die Füße zu stehen kommen.«15 Das bedeutet erstens, daß er sich mit seinem Sprung keineswegs ins Bodenlose des Irrationalismus wirft, sondern einen neuen, festen Boden erreicht. Zweitens konterkariert er hiermit die in der Philosophie gängige Praxis der logischen Widerlegung, die eben davon ausgeht, daß beide Positionen auf derselben Ebene liegen. Für Jacobi ist evident, daß die Alleinphilosophie logisch unwiderlegbar ist. Sein Sprung aus dieser Alleinphilosophie ist also keine immanente Widerlegung, sondern ein grundloser Widerspruch. Dieser kommt gerade nicht nach dem Satz des Grundes zustande, sondern rückt eine Wahrheit vor Augen, die jenseits des logischen Enthusiasmus liegt.16 Deshalb charakterisiert Jacobi seine eigene Position gegenüber der Alleinphilosophie auch nicht als die eines bloßen Kritikers, sondern als die eines privilegierten Ketzers. Hierin zeigt sich der Grundunterschied seines Denkens zur dialektischen Philosophie, insofern jenes auf eine jenseits des logischen, begrifflichen Wissens situierte Wahrheit verweist. Wie ich oben schon bemerkt habe, muß die Philosophie nach Göschel und Hegel hingegen die ursprüngliche Einheit des Wissens mit der Wahrheit darstellen. Demzufolge gibt es hier keine Wahrheit, die prinzipiell außerhalb des wissenschaftlichen Wissens liegen könnte, und dementsprechend ist die dialektische Philosophie auch eine Philosophie aus einem Stück, während ein Salto mortale, mit dessen Hilfe ein Zugang zu einer Wahrheit jenseits der Wissenschaft gewonnen werden soll, für sie vollkommen sinnlos sein muß. Denn nach ihrer Überzeugung verlangt jede scheinbar außerhalb des Wissens liegende Wahrheit nach ihrer Aufhebung. Ist eine nicht-dialektische Philosophie als Philosophie, d. h. nicht als erbauliche und gefühlvolle Literatur oder als Autobiographie, überhaupt möglich?17 Im Falle Jacobis läuft diese Frage auf die nach der Vernünftigkeit des Bodens hinaus, auf dem der Mensch nach dem Sprung aus der

AB II, 466 (Nr. 360), zitiert in Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 13), S. 14. 16 Birgit Sandkaulen, Grund und Ursache (Anm. 13), S. 23 ff. 17 Die Ausdrücke ›erbauliche Literatur‹ und ›Autobiographie‹ sind gewissermaßen eine Zusammenfassung von Schlegels bekannter Charakterisierung der Schriften Jacobis in seiner Woldemar-Rezension, vgl. JWA 1, 585. 15

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instrumentellen Vernunft heraus landet. Ist der Mensch als Vernunftwesen imstande, nach seiner Landung aufrecht zu stehen und nicht im Irrationalismus zu versinken? Entscheidend dafür ist erstens, daß die Wahrheit jenseits des begrifflichen Wissens ihren Ursprung in einer Wirklichkeit hat, die der konstruierenden Tätigkeit der instrumentellen Vernunft notwendig vorhergeht und sie übersteigt, die aber zugleich in ihr als unmittelbare, innere Sicherheit anwesend ist. Aber wie kann der Mensch diese Wirklichkeit in ihm und außer ihm auf eine vernünftige Weise ausdrücken? Damit komme ich zum zweiten entscheidenden Punkt von Jacobis Auffassung der substantiven Vernunft: sie hat den Charakter eines Zeugnisses. Deshalb drängt sich das Überzeugtsein von ihrer Wahrheit und das Vertrauen zu ihr mit einer viel größeren Kraft auf als irgendein Schluß der instrumentellen Vernunft. Zudem ist dieses Bezeugen nicht auf eine rein innerliche, subjektive Überzeugung beschränkt, sondern ist die Veräußerung einer geoffenbarten Wahrheit. Im Zusammenhang mit dem wichtigen Topos der Freiheit sagt Jacobi dazu: »so behauptet die Realität und Wahrheit deßelben Geheimnißes und Wunders […] der inwendige g e w i ß e G e i s t , und nöthiget uns seinem Zeugniße zu glauben mit einer Gewalt des Ansehns, dem kein Vernunftschluß gewachsen ist. Er bezeuget was er behauptet m it d e r T h at« (JWA 2, 235). Auch in seiner Schrift Über eine Weissagung Lichtenbergs deutet er das Wissen des Menschen von seinem eigenen Dasein und vom Dasein der von ihm unabhängigen Wesen als ein ursprüngliches Bezeugen. (JWA 3, 27) In seinen Spinozabriefen, an der Stelle, an der Jacobi die Geschichte von Spertias und Bulis erzählt, spielt ein Synonym von ›bezeugen‹, nämlich ›bekennen‹, eine wichtige Rolle, um das Vertrauen zu einer Wahrheit jenseits der instrumentellen Vernunft auszudrücken: »Spertias und Bulis mochten leicht weniger Fertigkeit im Denken und im Schließen haben, als die Perser. Sie beriefen sich auch nicht auf ihren Verstand, auf ihr feines Urtheil, sondern nur auf Dinge, und auf ihre Neigung zu diesen Dingen. Sie rühmten sich dabey auch keiner Tugend; sie b e k a n nt e n nur ihres Herzens Sinn, ihren Affect.«18 Und schließlich und am deutlichsten schreibt Jacobi im Vorbericht zur dritten Auflage seiner Spinozabriefe (1819): »Die wahre Wissenschaft ist der von sich selbst und von Gott zeugende Geist.« (JWA 1, 349) ›Bezeugen‹ oder ›Bekennen‹ sind also wichtige Schlüsselwörter, um die Eigenart der wahren Wissenschaft und der substantiven Vernunft zum Ausdruck zu bringen. Eigentlich sind sie dazu besser geeignet, als das von Jacobi in diesem Zusammenhang zumeist verwendete Wort ›Glaube‹. Was läßt sich weiter über diese Schlüsselwörter sagen? Obwohl ›Bezeugen‹ und ›Beken18

JWA 1, 132; Hervorhebung P. J.

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nen‹ für Jacobi eine viel weitere Bedeutung haben als die eines religiösen Bekennens, ist der Vergleich mit der Religion aufschlußreich. Gott bekennen bedeutet, daß derjenige, von dem man Zeugnis ablegt, eine unbedingte, geistige Wirklichkeit ist, die die des Menschen so sehr übersteigt, daß er sie mit seinem begrifflichen Wissen niemals erreichen kann. Deswegen kann die Wahrheit, welche die substantive Vernunft bekennt, eben nicht auf dialektische Weise im Wissen aufgehoben werden. Zugleich ist sie aber auch grundlegend verschieden von einer rein innerlichen, subjektiven Gefühlswahrheit. Die Wahrheit Gottes, von der der Mensch Zeugnis ablegt, ist nicht weniger, sondern unendlich viel mehr, als er je mit seinem Wissen fassen kann. Auf der anderen Seite sagt das Wort ›bekennen‹ auch etwas darüber aus, wie die Offenbarung dieser unbedingten Wahrheit im Menschen wirksam ist, ohne ihm nur in einem dualistischen Verhältnis gegenüberzustehen: sie beeindruckt ihn so sehr, daß er sich ihrer auf unmittelbare, intuitive Weise sicher ist und in seinem Reden davon Zeugnis gibt. Deswegen ist die Sicherheit der substantiven Vernunft eine völlig andere als die, die mit den notwendigen Schlüssen des rationalen Erkennens einhergeht. Zeugnis ablegen von etwas setzt eine Einheit der geistigen Wirklichkeit außer dem Menschen und ihrer unmittelbaren Anwesenheit in ihm voraus, obwohl diese Einheit niemals adäquat im Wissen ausgedrückt werden kann. Das ist der Kern der substantiven Vernunft; sie ist der Geist, der sowohl innerhalb als außerhalb des Menschen wirklich und wirksam ist. In diesem Sinne ›hat die Vernunft den Menschen‹ statt umgekehrt. Diese bekennende oder bezeugende Dimension der Philosophie Jacobis steht im übrigen auch im Zusammenhang mit einem praktischen Lebensvollzug, in dem sich dieses Zeugnis bewährt: »Der Mensch wird, durch ein göttliches Leben, Gottes inne.« (JWA 1, 117) Inwiefern diese Philosophie nicht dialektisch ist, ohne deshalb der Schwärmerei oder dem Irrationalismus zu verfallen, wird damit deutlich. Systematisch betrachtet heißt das, daß Jacobi einen wichtigen Versuch unternimmt, das Verhältnis von Wissen und Wahrheit auf eine nicht-identische Weise zu denken. Es ist demnach kein Wunder, daß seine Philosophie in einer Zeit wie der unsrigen, in der die Schattenseiten der instrumentellen Vernunft immer deutlicher hervortreten, wiederum höchst aktuell ist.

Glaube und Vernunft. Zur Wirkung Jacobis in der Tübinger Schule und im spekulativen Theismus von Theo Kobusch

Die Wirkungsgeschichte des Denkens von Friedrich Heinrich Jacobi ist noch nicht geschrieben. Wollte sie einigermaßen lückenlos sein, so müßte sie den Einfluß auf Gottlob Ernst Schulze, Friedrich Ancillon, Friedrich Bouterwek, Christian A. H. Clodius, Jakob Friedrich Fries, Friedrich Köppen, Jakob Salat, Cajetan Weiller und Christian Weiss des näheren verfolgen, die man zur Jacobischule zählen kann.1 Auch Karl Leonhard Reinhold war, wie bekannt ist, phasenweise Anhänger der Jacobischen Philosophie und hat auch in der Zeit kurz vor dem Jahrhundertwechsel besonders intensiv den persönlichen Verkehr mit Jacobi gepflegt. 2 Jacobi war auch, wie man weiß, mit dem Münsteraner Kreis um die Fürstin Amalie von Gallitzin verbunden. Eine wichtige Epoche dieses Kreises fand ihren Abschluß durch den Tod Johann Georg Hamanns in Münster, wo er ein Jahr verweilt und auch Jacobi von dort aus in Düsseldorf besucht hatte. Auch nach dem Tod Hamanns zeitigte der Münsteraner Kreis bedeutende Früchte seiner Wirksamkeit, unter anderem auch in der vielbändigen Geschichte der Religion Jesu Christi von

G. E. Schulze, Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie, Berlin 1911; Fr. Ancillon, Ueber Glauben und Wissen in der Philosophie, Berlin 1824; Fr. Bouterwek, Religion der Vernunft, Göttingen 1824; C. A. H. Clodius, Grundriß der allgemeinen Religionslehre, Leipzig 1818; ders., Von Gott: in der Natur, in der Menschengeschichte und im Bewußtsein, Leipzig 1818–1820; Fr. Köppen, Darstellung des Wesens der Philosophie, Nürnberg 1810; J. Salat, Ueber den Geist der Philosophie mit kritischen Blicken auf einige der neuern und merkwürdigern Erscheinungen im Gebiet der philosophischen Literatur, München 1803; ders., Vernunft und Verstand, Tübingen 1808; C. Weiller, Ideen zur Geschichte der Entwicklung des religiösen Glaubens, 3 Bde., München 1808–1814; Chr. Weiss, Vom lebendigen Gott und wie der Mensch zu ihm gelange, Leipzig 1812. 2 Vgl. M. Zahn, K. L. Reinholds Position in der Phase seiner größten Annäherung an die Wissenschaftslehre, in: Philosophie aus einem Prinzip. Karl Leonhard Reinhold, hg. von R. Lauth, Bonn 1974, S. 160–201, hier: S. 165, 185 ff. 1

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F. L. von Stolberg, der zum Auftakt der »romantischen Konversionen« im Jahr 1800 zum katholischen Glauben übergetreten war. Schließlich setzt sich Jacobis Einfluß fort durch die Vermittlung des Kreises bis hin zu Johann Michael Sailer, J. C. Passavant, J. A. Möhler und den Brüdern Christian und Clemens Brentano. Jacobi hat auch auf das Denken des frühen Franz von Baader bestimmend eingewirkt. Nach seiner Rückkehr aus England im Jahr 1796 ist Franz von Baader mit Jacobi und Matthias Claudius in Hamburg zusammengetroffen. Doch bald schon kühlen die Beziehungen merklich ab, ehe Franz von Baader 1807 in dem dreiseitigen Aufsatz Über die Behauptung, daß kein übler Gebrauch der Vernunft sein könne, den offenen Bruch mit Jacobi vollzieht. Das Verhältnis Jacobis zu Friedrich Schlegel wäre einer eigenen Untersuchung wert. Die Rezensionen des Woldemar (1796), der Schrift Von den göttlichen Dingen (1812) und Über Jacobi (1822) zeigen, wie gut Schlegel mit dem Denken Jacobis vertraut war. Jacobi erkannte darüber hinaus etliches aus seiner eigenen Philosophie in der Schlegelschen Schrift Über die Sprache und Weisheit der Inder (1808) wieder. Daneben gibt es auch einen Kreis von – wie sie genannt worden sind – »Amateurphilosophen«, die wie z. B. Brinkmann, der schwedische Gesandte in Berlin, Bettina Brentano oder Gentz begeisterte Jacobianhänger waren. Es gibt keinen Theologen, der sich in den Jahren 1800 bis 1830 nicht ernstlich mit dem Grundproblem der theologischen Erkenntnis auseinandergesetzt hat und nicht von der Glaubensphilosophie Jacobis positiv beeinflußt worden ist. Dieser Einfluß ist auch dort vorhanden, wo er – wie bei Sebastian Drey und Johann Adam Möhler – äußerlich (in Zitaten usw.) nicht stark hervortritt. 3 Vermittelt wird dieser mächtige Einfluß des Jacobischen Denkens aber durch Johann Michael Sailer, den »bayerischen Kirchenvater«, wie er genannt wird, der, zunächst Hochschullehrer in Ingolstadt, Dillingen und Landshut, dann Bischof von Regensburg, in engem Kontakt mit Clemens Brentano, Jacobi, Lavater, später auch Baader und Schelling stehend, sehr wichtig geworden ist für die Entwicklung der Münchener Romantik. Er war ein aufgeklärter Romantiker. 4 Sailer hat die These Jacobis von dem im Glauben implizierten Wissen aufgenommen: »Da nun in der deutschen Sprache

K. Eschweiler, Johann Michael Sailers Verhältnis zum deutschen Idealismus, in: Wiederbegegnung von Kirche und Kultur in Deutschland. Eine Gabe für Carl Muth, München 1927, S. 292–324. 4 Über J. M. Sailer vgl. J. Schreier, Die katholisch-deutsche Romantik, in: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. von E. Coreth / W. M. Neidl / G. Pfligersdorfer, Graz / Wien / Köln 1987, Bd. I, S. 127–149, hier: S. 137 ff. 3

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Gewißsein und Wissen einerlei ist, so kann man sagen, daß der Glaube ein unbewußtes Wissen des Göttlichen sei, dagegen das Wissen ein Bewußtsein des Wissens mit sich führt«. 5 In der Glückseligkeitslehre scheint noch kein Einfluß Jacobis erkennbar zu sein, 6 aber dann in der 1791 erschienenen Vernunftlehre wird Jacobi auch namentlich erwähnt: »Die Abneigung gegen die Wissenschaften wird […] immer tiefer gegründet, wenn man sieht, daß ein J ac ob i , dessen anerkannte Rechtschaffenheit und Scharfsinnigkeit dem deutschen Vaterland soviel Ehre macht, bloß deswegen, weil er sein Ei niederlegte und Herr Mendelssohn seinen Plan, den Vernunfthelden Lessing zu verewigen, verrückte, als Proselytenmacher verlacht oder gar als Schuldiger an Mendelssohns gar natürlichem Tod angegeben wird«.7 Die Vernunft wird von Sailer im Anschluß an Jacobi als das das Wahre, Gute und Schöne Vernehmende verstanden, allerdings offenbar im Sinne eines bewußtlosen Vernehmens. Denn Sailer sagt, nachdem er darauf hingewiesen hat, daß das Wahre des Verstandes, das Schöne des Geschmacks und das Gute des Gewissens nichts ohne das wirklich Wahre, Schöne und Gute sind, folgendes: »Was ihr also alle drei (ohne Bewußtsein) voraussetzt und voraussetzen müßt, wenn […] ihr drei selber […] nicht nichts sein wollt, sehet, das vernehme ich in mir – deshalb heiße ich Vernunft […]. Ich bin nichts als das Vermögen, das Urwahre, das Urschöne und das Urgute zu vernehmen und mein Wesen ist kein anderes als das Urwahre, Urschöne und Urgute vernehmen zu müssen«. 8

J. M. Sailer, Handbuch der christlichen Moral, in: Gesammelte Werke Bd. V, Grätz 31818, S. 157. 6 Vgl. G. Fischer, Johann Michael Sailer und Friedrich Heinrich Jacobi, Der Einfluß evangelischer Christen auf Sailers Erkenntnistheorie und Religionsphilosophie in Auseinandersetzung mit Immanuel Kant, Freiburg 1955, S. 147 ff. 7 J. M. Sailer, Vernunftlehre, Gesammelte Werke Bd. V, Grätz 31818, S. 64. 8 J. M. Sailer, Grundlehren der Religion, ein Leitfaden zu Vorlesungen aus der Religionslehre, Gesammelte Werke Bd. IX, Grätz 1819, S. 71 f. – Zu Sailers Vernunftbegriff und der Abhängigkeit von Jacobi vgl. W. Dürig, J. M. Sailer, Jean Paul, Fr. H. Jacobi. Ein Beitrag zur Quellenanalyse der Sailerschen Menschauffassung, Diss. Breslau 1941, S. 60 ff. 5

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I. Unmittelbarkeit und Geschichte: Die Tübinger Schule 1. Johann Sebastian Drey Jacobis Lehre von dem von der Vernunft unmittelbar vorausgesetzten Unbedingten (JWA 3, 106) wird in der Tübinger Schule breit aufgenommen. Was schon J. M. Sailer, dann aber auch J. S. Drey, J. H. Möhler und J. Kuhn an Jacobis Philosophie so attraktiv erschien, war der Grundgedanke einer für das Übersinnliche empfänglichen Vernunft. Denn darin ist impliziert – und das ist für die Tübinger von zentraler Wichtigkeit –, daß, wenn Gott allein durch die Vernunft vernehmbar ist und sich durch sie offenbart, das von Gott Offenbarte seinerseits vernunftgemäß sein muß, »weil diese nur für das ihr Gemäße Empfänglichkeit hat«. Offenbarung und Vernunft sind also keine Gegensätze und daher auch nicht Offenbarungsglauben und Rationalismus. 9 Jacobis Lehre von der Vernunftoffenbarung wird rezipiert, aber nur als ein Moment eines Erkenntnisprozesses. Während nach Jacobi das in der Vernunftanschauung Wahrgenommene in alle Ewigkeit nicht in einem wissenschaftlichen Wissen aufgehoben werden kann, ist es für die Tübinger gerade der Anstoß zum Begreifen des bisher Unbegriffenen. Denn das bloße Hinnehmen des unbegriffenen Geheimnisses als eines solchen ist der Vernunftglaube. »Ich nenne den Glauben die natürliche Stellung der Vernunft, weil diese das Geheimnis nicht anders ergreifen kann als im Glauben«.10 Was der Begriff des Glaubens besonders beinhaltet, ist das Moment der Unmittelbarkeit. Mit dem Charakter der Unmittelbarkeit der Gottesidee haben sich insbesondere Sebastian Drey, das Haupt der Schule, und sein Schüler Franz Anton Staudenmaier auseinandergesetzt. Wie S. Drey in einem berühmten Aufsatz deutlich gemacht hat, liegt die Annahme einer unmittelbaren Anschauung Gottes darin begründet, daß die Idee Gottes, wie jede Idee, ein Unendliches enthält und als solches nicht vom endlichen Geist des Menschen erfaßt werden kann, sondern »uns nur dunkle Ahnung bleiben muß«, bis sie sich in einer endlichen Offenbarung zu einer bestimmten Anschauung läutert und so auch erst die Bezeichnung der Idee verdient. Da aber das Unendliche in überhaupt keiner Erscheinung aufgehen kann und als solches »in der Tiefe des Gemütes« bleibt, so muß die Idee selbst immer und notwendig als vorexistierend und vorangehend, wie das Urbild vor dem Nachbild, angeJ. S. Drey, Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christentums in seiner Erscheinung, Bd. 1, Mainz 1838 (ND Frankfurt am Main 1967), S. 250. 10 Ebd., S. 299. 9

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nommen werden, und das, obwohl das Bewußtsein vom Urbild erst nach der Erscheinung, d. h. nach dem Nachbild und als seine scheinbare Wirkung zustande kommt. Die Idee von Gott ist also ursprünglich in der Natur der Vernunft gegründet, aber nicht als solche, sondern in der Form »dunkler Ahnung«, so wie das Wissen von Gut und Böse oder vielmehr nur von dem Unterschied zwischen Gut und Böse ursprünglich als dunkle Ahnung im Menschen liegt.11 Was diese Offenbarung in Form einer Ahnung der Vernunft offenbar macht, ist aber nichts, was der Vernunft absolut fremd wäre. Im Gegenteil: sie bringt die Vernunft eigentlich erst zu sich selbst. Denn indem »sie uns das Wesen Gottes aufdeckt, deckt sie uns auf das Wesen der Vernunft«. In der berühmten Einleitung in das Studium der Theologie heißt es ganz in diesem Sinne: »Die Vernunft, wie sie nur überhaupt anfängt etwas zu vernehmen, vernimmt Gott zuerst, durch ihn erst sich selbst und alles andere«.12 Im Hintergrund solcher Anschauung steht die alte Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Sie besagt nach S. Drey, daß das Innere der Vernunft ein Ebenbild des Inneren in Gott ist: »der Mensch, ein endlicher, unvollkommener, irdischer Gott«. Doch das erkennt die Vernunft nicht durch die Ahnung, die ja per definitionem konfus und unklar ist. Vielmehr gilt es nach S. Drey ernstzunehmen, was die Aufklärung und besonders Lessing der Theologie einzuhämmern versucht haben, nämlich daß die Offenbarung zugleich auch immer eine Erziehung des Menschengeschlechts ist. Damit aber kommt Erfahrung und somit die Geschichte ins Spiel. Hier ist am deutlichsten das durchgehende Anliegen der »Tübinger« zu erkennen, gegenüber den Kant folgenden Entwürfen über die Prinzipien einer reinen Vernunft die Geschichtlichkeit derselben und damit ihre Unreinheit bewußt zu machen. Gegenüber den verschiedenen Kritiken der Offenbarung – und S. Drey meint sicher auch die Fichtesche – muß nämlich darauf hingewiesen werden, daß »der Begriff der Offenbarung selbst ein durch Erfahrung eigentlich gegebener« ist. Man errichtet ein kritisches Gebäude mit philosoJ. S. Drey, Aphorismen über den Ursprung unserer Erkenntnisse von Gott – ein Beitrag zur Entscheidung der neuesten Streitigkeiten über den Begriff der Offenbarung, in: Theologische Quartalschrift 8 (1826), S. 237–284, hier: S. 251. Vgl. auch den berühmten Anfang der Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht auf den wissenschaftlichen Standpunkt und das katholische System, hg. von F. Schupp, Darmstadt 1971, § 1, 1: »Aller Glaube und alles Wissen ruht in der dunkel gefühlten oder deutlich erkannten Voraussetzung, daß alles Endliche, was da ist, aus einem ewigen und absoluten Grunde nicht nur hervorgegangen, sondern auch mit diesem seinem zeitlichen Sein und Leben noch in jenem Urgrunde wurzelt und von ihm getragen wird«. 12 Ebd. § 8, 4. 11

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phischen Prinzipien der reinen Vernunft, aber bedenkt nicht, daß der Boden dieser Vernunft ursprünglich durch die Strahlen der Offenbarung beleuchtet wird und daß somit die Prinzipien der neueren Philosophie im Christentum gründen und daraus abstrahiert sind durch die Künste der Reflexion.13 Was also S. Drey und mit ihm die anderen Tübinger der Kantisch-Jacobischen Vorstellung einer ungeschichtlichen reinen Vernunft entgegenhalten, ist: Sie ist – ohne daß diese Richtung der Philosophie es mitbekommen hätte – durch die Geschichte längst eingeholt worden. Zuletzt läuft das gesamte Programm der Tübinger dem Jacobischen Ansatz zuwider. Denn das eigentliche Ziel des Entwurfs ist, »an die Stelle einer unmittelbaren Gewißheit in der Anschauung eine durch Reflexion vermittelte, an die Stelle des schlichten Glaubens ein Wissen« zu setzen.14

2. Johann Adam Möhler Johann Adam Möhler, der Schüler Dreys, deutet schon in seinem frühesten Werk den Glaubensbegriff der Kirchenväter im Sinne des Vernunftglaubens Jacobis. Glauben, das ist die der Vernunft eigene »Sehnsucht nach dem Göttlichen«, eine Ahnung, ein Bedürfnis, aber auch die Grundlage und innere Fähigkeit, die wahre Gotteserkenntnis aufzunehmen. Wenn Möhler dann jedoch hinzufügt: »Der Vernunftglauben aber bedarf des OffenbarungsGlaubens«, setzt er sich schon in Gegensatz zur Jacobischen Philosophie und drückt das der Tübinger Schule eigene Anliegen aus.15 Auch Anselms Konzeption, die ja die patristische nicht verändert, sondern nur auf einen gewissen Höhepunkt führt, wird an solchem Maßstab gemessen. Das »credo, ut intelligam« ist Ausdruck dafür, daß es eine »objektive Einheit« der Vernunftwahrheiten mit der Wahrheit der (äußeren) Offenbarung gibt.16 Noch deutlicher ist der Einfluß Jacobis in dem bedeutenden, kleinen Sendschreiben an Bautin zu erkennen. Hintergrund dieses Schreibens ist der Streit Drey, Aphorismen über den Ursprung unserer Erkenntnisse von Gott (Anm. 11), S. 270–272, 273 ff. 14 Drey, Kurze Einleitung in das Studium der Theologie (Anm. 11), § 45, 27. 15 J. A. Möhler, Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus, hg. von J. R. Geiselmann, Darmstadt 1957, §§ 37/38, S. 119–124. Dazu J. R. Geiselmann, Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung, Freiburg/Basel/Wien 21966, S. 26. 16 J. A. Möhler, Anselm, Erzbischof von Canterbury, ein Beitrag zur Kenntnis des religiös-sittlichen, öffentlich-kirchlichen und wissenschaftlichen Lebens im XI. und XII. Jahrhundert, in: Gesammelte Schriften und Aufsätze, Bd. I, hg. von J. I. Döllinger, Regensburg 1839, S. 32–176, hier: S. 139. 13

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zwischen Louis-Eugène Bautin, der 1817 den philosophischen Lehrstuhl an der ›Faculté des Lettres‹ der Universität Straßburg übernommen hatte, und dem Straßburger Bischof J. Fr. M. Le Pappe de Trévern. Bautin hat den Deutschen Idealismus, hat die Schriften Kants und Jacobis gut gekannt, darüber hinaus auch Schelling und Hegel persönlich kennengelernt, und Jacobi erwähnt in seinem wohl letzten Briefe, Bautin habe im September 1818 vier Wochen in München verbracht, »fast allein in der Absicht, die zwei deutschen Philosophen, Jacobi und Schelling, zu hören, sie zu erforschen und zu erfahren.«17 Als der Bischof ihm die Vollmachten zu entziehen droht, sucht Bautin Unterstützung bei den Tübinger Theologen. Das Sendschreiben Möhlers aus dem Jahr 1835 ist die durchaus kritische Antwort auf Bautins fideistische Position, die er in La Philosophie du Christianisme (1835) vertreten hat. In Möhlers Antwort erscheint die Position Jacobis im Gewand der kirchlichen Lehre. Aufgrund der Gottesebenbildlichkeit des Menschen kommt auch dem gefallenen Menschen der unmittelbare Vernunftglaube zu, während nach Bautin es schon dazu der Gnade Gottes bedarf. Der unmittelbare Vernunftglaube ist aber auch nach dieser Schrift die notwendige Voraussetzung des Offenbarungsglaubens. Möhler deutet die thomanisch-mittelalterliche Lehre von den praeambula fidei, zu denen auch der Vernunftglaube an Gottes Dasein gehört, in diesem Sinne des dem eigentlich inhaltlichen Glauben vorausgehenden Vernunftglaubens.18 Noch deutlicher als Möhler hat wenig später sein Schüler Kuhn den Gegensatz zu Bautin hervorgehoben: Die Jacobische Ansicht, wonach alle Erkenntnis ohne Ausnahme auf einem Unmittelbaren (Vernunftglauben) beruht, ist zunächst ausdrücklich oder implizit sowohl in der kirchlichen Lehre wie auch in der Theorie Bautins enthalten. Doch während die Idee Gottes, d. h. die der natürlichen Gotteserkenntnis unterlegte unmittelbare Wahrheit, nach Bautin sich göttlicher Offenbarung und Gnade verdankt, ist sie nach katholischer Lehre ein von der göttlichen Offenbarung und Gnade unabhängiges, reines Produkt der menschlichen Vernunft.19 Worin sich Möhler aber am meisten sowohl von Bautin als auch von Jacobi unterscheidet, ist einmal mehr die Einschätzung des beweisenden Jacobi an Friedrich Perthes, 5. Dezember 1818, AB II, 493 f. Jacobi berichtet weiter, er habe sowohl von Cousin als von Bautin viel Erfreuliches »über den guten Geist vernommen, der sich allmählig in Frankreich bildet und mehrt.« 18 J. A. Möhler, Sendschreiben an Herrn Bautin, Professor der philosophischen Fakultät zu Straßburg, in: Theologische Quartalschrift 17 (1835), S. 421– 453, hier: S. 450. 19 J. Kuhn, Über Glauben und Wissen, mit Rücksicht auf extreme Ansichten und Richtungen der Gegenwart, in: Theologische Quartalschrift 21 (1839), S. 382–503, hier: S. 469. 17

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Denkens. Durch den Vernunftglauben ist dem Menschen zwar eine unmittelbare Erkenntnis Gottes gegeben. Aber das ist die Erkenntnis des gefallenen Menschen. »Durch den Fall aber ist die unmittelbare und von selbst sich darbietende Gewißheit verschwunden, mühselig und jammervoll muß der Mensch sein Innerstes beobachten und genau aufmerken, ob der ihm von Außen entgegentönende Name ›Gott‹ einen Anklang in ihm finde und nicht ein leerer Schall sei.«20 Das beweisende Denken, das dem Bewußtsein lediglich neue Zusammenhänge von Wahrheiten präsentiert, ist die Kompensation dieses miserablen Zustandes. Es bringt das im Vernunftglauben angelegte, aber unter den Wirkungen des Sündenfalls verdunkelte Gottesbewußtsein in den Stand des vermittelten Wissens und damit zu einer neuen Form der Gewißheit. 21 3. Franz Anton Staudenmaier Nach F. A. Staudenmaier ist selten etwas in seinem Wesen und seinen Beziehungen gröber mißdeutet worden als die Unmittelbarkeit des Gottesbewußtseins im Denken Jacobis. Vermittlung ist ausgeschlossen. Jeder Versuch, das Licht der Unmittelbarkeit durch die Kraft des Geistes wissenschaftlich zu erhellen, wird als Verfinsterung zurückgewiesen. Im Begriff der Unmittelbarkeit liegt auch, so glauben die Jacobianer, daß es einer äußeren Anregung nicht bedürfe, um sie für das Leben fruchtbar zu machen. Auf diese Weise verband Jacobi mit dem Gedanken der Unmittelbarkeit des Gottesbewußtseins sowohl die Verwerfung der Wissenschaft als auch die der Offenbarung im Sinne einer äußeren Offenbarung. Denn die Wissenschaft verunsichere allenfalls das unmittelbar Gewisse, und die Offenbarung ist unnötig, da die Unmittelbarkeit selbst schon die höchste Gottesoffenbarung ist. 22 Was Staudenmaier an Jacobis Lehre von der unmittelbaren Idee Gottes im menschlichen Bewußtsein kritisiert, ist nicht die Lehre selbst, sondern ihr Ausschließlichkeits- und Absolutheitsanspruch. Daß dieses Unmittelbare keine weiteren Vermittlungen mehr zulasse, das ist es, was Staudenmaier zum Widerspruch anregt. Denn die unmittelbare Offenbarung ergreift zwar, wie Staudenmaier sagt, den Geist unmittelbar, »aber sie läßt es bei

Möhler, Sendschreiben an Herrn Bautin (Anm. 18), S. 438. Vgl. L. Scheffczyk, Die Tübinger Schule, in: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts (Anm. 4), Bd. I, S. 86–108, hier: S. 98. 22 F. A. Staudenmaier, Encyklopädie der theologischen Wissenschaften als System der gesamten Theologie I, Mainz 21840 (ND Frankfurt am Main 1968), § 106, S. 141. 20 21

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dieser Unmittelbarkeit nicht bewenden, sondern erregt den Geist zur Vermittlung seiner mit ihr, indem sie zugleich selbst diese Vermittlung einleitet, fortsetzt und vollendet«. 23 Das Lehrstück von dem unmittelbaren Gottesbewußtsein entspricht als solches ganz Jacobischer Lehre. »Das unmittelbare Gottesbewußtsein stellt sich nach dem Bisherigen dar als stille Ahnung des Übersinnlichen, als verborgenes Gefühl der Gottheit und ist in diesem Sinne Voraussetzung oder Vorausnahme, Prolepsis oder Anticipation des Daseins Gottes«. 24 Aufgewiesen wird dieses Unmittelbare im menschlichen Bewußtsein im Rahmen einer Selbstbewußtseinstheorie, die – methodologisch einer Kombination von regressiv-analytischer und apriori-synthetischer Methode folgend – die Idee Gottes als Grund und Voraussetzung des endlichen Selbstbewußtseins erweist. Freilich erfaßt der endliche Geist die Gottesidee in sich nicht durch Erkenntnis, auch nicht durch Reflexion oder Spekulation, sondern durch ein »unmittelbares Gefühl«, das nach Staudenmaier das »Erste und Tiefste« des menschlichen Geistes ist, durch das er sich in seiner Beziehung zu Gott erfaßt. Dieses Gefühl ist der »Naturglaube des Geistes« oder »ein natürlicher Glaube«, der dem menschlichen Geist die Garantie der Wahrheit, Ausgangs- und Endpunkt allen Denkens ist. 25 Staudenmaier nennt dieses Unmittelbare auch den Vernunftglauben – »der im Offenbarungsglauben nur seine weitere Bestätigung erhält« –, weil es eine unmittelbare und sogar »evidente« Gewißheit der Vernunft ist, im absoluten Urgrund gegründet zu sein, deren Notwendigkeit ebenso groß ist wie das Selbstbewußtsein selbst und die diesem vorhergeht. Denn wir »vermögen uns selbst in unserem Bewußtsein nicht zu erfassen als das, was wir sind, außer wir begreifen zuvor Gott als den Absoluten in diesem Bewußtsein«. 26 Wie Kant vom kategorischen Imperativ als der ersten Quelle des höheren Erkennens ausging, so hat nach F. A. Staudenmaier Jacobi eine unmittelbare innere Offenbarung der Vernunft als die erste und alleinige Quelle des göttlichen Erkennens angesehen. 27 Da das Göttliche sich dem Menschen durch die F. A. Staudenmaier, Geist der göttlichen Offenbarung oder Wissenschaft der Geschichtsprincipien des Christentums, Gießen 1837, S. 79. 24 Staudenmaier, Encyklopädie der theologischen Wissenschaften (Anm. 22), § 129, S. 152 f. 25 Zu den Zitaten s. die gute Darstellung der Selbstbewußtseinstheorie Staudenmaiers von A. Franz, Franz Anton Staudenmaier (1800–1856), in: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts (Anm. 4), Bd. I, S. 109–126, hier: S. 114–119. 26 F. A. Staudenmaier, Johannes Scotus Eriugena und die Wissenschaft seiner Zeit, Frankfurt am Main 1834 (ND Frankfurt am Main 1966), S. 315 f. 27 F. A. Staudenmaier, Die Lehre von der Idee, in Verbindung mit einer Entwick23

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Vernunft auf schlechthin unmittelbare Weise offenbart, nennt Jacobi diese Offenbarung auch Vernunftoffenbarung. Die Vernunft ist zugleich Offenbarungsorgan des Göttlichen und das menschliche Aufnahmeorgan. Deswegen wird es auch Gefühl oder Glaube, übersinnliche Wahrnehmung, geistiges Auge, heiliger Instinkt oder noch anders genannt. Staudenmaier kritisiert an der Position Jacobis, daß sie über die Kantische nicht hinausgekommen sei. Exemplifiziert wird das an dem Christusverständnis. Jacobi spricht wie Kant nur von dem inneren Christus. In der Tat nimmt Jacobi an einer berühmten Stelle der Schrift Von den göttlichen Dingen die alte, erstmals von Origenes entfaltete, hundertfach wiederholte Lehre von der Gottesgeburt im Herzen des Menschen auf, wenn er sagt: »Und so muß, ich wiederhole es, Gott im Menschen selbst geboren werden, wenn der Mensch einen lebendigen Gott – nicht bloß einen Götzen – haben soll« und bald darauf: »Was Christus außer dir, für sich gewesen, ob deinem Begriffe in der Wirklichkeit entsprechend oder nicht entsprechend, ja ob nur in dieser je vorhanden, ist in Absicht der wesentlichen Wahrheit deiner Vorstellung, und der Eigenschaft der daraus entspringenden Gesinnungen gleichgültig. Was Er in dir ist, darauf allein kömmt es an«. (JWA 3, 42, 46) Was Jacobi hier im Blick auf das Lehrstück der Gottesgeburt sagt, gilt aber auch allgemein von jeder Art von Offenbarung, sei es die Natur, sei es die Geschichte. Denn die Natur, für sich genommen, gibt »nur stumme Buchstaben an«. Die »heiligen Vokale«, durch die sie allein gelesen werden können, sind »im Menschen«. 28 Staudenmaier klagt gegen solche Vereinseitigung des Inneren die eigene Würde des Äußeren, des Historischen, des Kontingenten ein. Bei Jacobi aber ist zu beobachten, daß der äußere historische Christus dem inneren, der Vernunftoffenbarung weichen muß. Was Jacobi der Aufklärungsphilosophie entgegenhält, ist eine Philosophie des inneren Menschen, wie das frühe Christentum sie in den ersten Jahrhunderten entwickelt hatte, aber es ist eine enthistorisierte Form des Christentums. Jacobis Philosophie lebt vom Christentum, aber er entkleidet es eines seiner wichtigsten Merkmale: der Geschichtlichkeit seiner Idee. Jacobi hat diese innere Zerrissenheit, wie Staudenmaier das nennt, gegen Ende seines Lebens selbst gespürt, indem er in einem Brief an Dohm bemerkt: »In Deine Klagen über die Unzulänglichkeit alles unsers Philoso-

lungsgeschichte der Ideenlehre und der Lehre vom göttlichen Logos, Gießen 1840 (ND Frankfurt am Main 1966), S. 753–760. 28 JWA 3, 66. Es mutet wie eine kritische Antwort Staudenmaiers an, wenn er in Johannes Scotus Eriugena (Anm. 25), S. 332, sagt: »Jeder ist für sich der Selbstlauter, Christus nur der Mitlauter; der Mitlauter aber kann nicht ausgesprochen werden ohne den Selbstlauter.«

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phirens stimme ich leider von Herzen ein, weiß aber doch keinen andern Rath, als nur immer eifriger fort zu philosophiren.« »[G]ern [vertauschte ich] mein gebrechliches philosophisches Christentum gegen ein positives, historisches«. 29 Vernunftphilosophie und Geschichte – das geht nach Jacobi eigentlich nicht zusammen. Gegenüber M. Claudius bestand er darauf, daß nicht das historische Faktum der Erscheinung des Gottessohnes, sondern das Gewissen und Selbstfühlen die Hauptsache in der Religion ausmache. In diesem Sinne sagt er seinem Sohn: Trotz aller Unzulänglichkeit der Philosophie muß man doch »immerfort philosophieren, dies oder katholisch werden – es gibt kein Drittes!«30 Der Mensch ist dazu verurteilt – in einer neuen Art von Erbsünde – jetzt fortphilosophieren zu müssen, oder – wie das J. G. Fichte in einem ähnlichen Gedanken ausdrückt – »Wir fingen an zu philosophiren aus Uebermuth, und brachten uns dadurch um unsre Unschuld; wir erblickten unsere Nacktheit, und philosophiren seitdem aus Noth für unsere Erlösung«. 31 Ähnliches scheint die Bemerkung in einem Brief an Reinhold auszudrücken, wo Jacobi bekennt, mit dem Verstand ein Heide, mit dem ganzen Gemüte aber ein Christ zu sein, der zwischen zwei Wassern schwimme, die »sich mir nicht vereinigen wollen«. (AB II, 458 f., 478)

4. Johannes Evangelist von Kuhn: Vernunft und Wissenschaft Möhlers Schüler Johannes Kuhn gilt gemeinhin als der spekulativste Kopf der Tübinger Schule. Sein Jacobi-Buch, das 1834 erschien, war seine Promotion, die 1830 den ersten Preis unter vier Bewerbern erhielt. 32 Hier unternimmt Kuhn eine erste Standortbestimmung der Jacobischen Philosophie im großen Stil, d. h. es ist eine kritische Würdigung Jacobis im Vergleich zum System Kants, Fichtes, Schellings, auch zum Skeptizismus und manch anderer historischen Position. In diesem Werk geht es, wie auch in allen anderen Auseinandersetzungen mit Jacobi, um das Verhältnis von Philosophie oder Vernunft und Wissenschaft. Kuhn faßt das Denken Jacobis selbst in zwei Thesen zusammen: die eine Behauptung Jacobis besteht darin, daß der Philosophie der Charakter der Wissenschaft »(in der herkömmlichen Bedeutung

Brief vom 24. 4. 1817, AB II, 458 f. Vgl. H. M. Chalybäus, Historische Entwicklung der speculativen Philosophie von Kant bis Hegel, Dresden / Leipzig 1843, S. 74. 31 GA III/2, 392 f.; zitiert auch von J. Kuhn, Jacobi und die Philosophie seiner Zeit, Mainz 1834 (ND Frankfurt am Main 1967), S. 323 f. 32 Kuhn, Jacobi und die Philosophie seiner Zeit (Anm. 31). 29

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dieses Wortes (Skepticismus))« abgesprochen wird, die andere, daß die der Philosophie eigentümlichen Ideen keine bloßen Vorstellungen sind, deren Wahrheit erst nachgewiesen, also durch ein Anderes vermittelt werden müßte, sondern daß sie unmittelbare, subjektiv und objektiv gewisse Wahrheiten sind. 33 Was den ersten Punkt betrifft, so muß man sich die Bedeutung der Kehrtwende Jacobis klar machen. »Cartesius, Spinoza, Leibnitz und Wolf setzten den letzten Endzweck der philosophischen Wissenschaft als solcher darein, ihren Gegenständen die höchste Gewißheit und mathematische Evidenz durch Demonstration zu geben«. Jacobi erhebt genau dagegen Einspruch nach Kuhn, weil so gerade die Gegenstände der Philosophie verloren gehen. Dem demonstrativischen, bloß mittelbaren Wissen, also jener berühmten »Gewißheit aus zweiter Hand«, von der Jacobi spricht, entspricht nämlich kein reell objektiver Gegenstand. Deswegen hat Jacobi auch, als Kritik am Leibniz-Wolffianismus, seinen Philosophiebegriff konzipiert – wobei sich Kuhn besonders auch auf den Allwill und Woldemar beruft –, nach dem das eigentliche Verdienst des Philosophen darin besteht, nach dem zu forschen, aufzusuchen und schatzzugraben, »was da ist, was wirklich sich vorfindet, ob auch verborgen in den innersten Winkeln des Herzens und des Geistes oder in den Eingeweiden der Natur« und so »Dasein zu enthüllen«. 34 Das ist der Verzicht auf das demonstrativische Wissen. Kuhn sieht zunächst durchaus eine Parallele zur Kantischen Selbstbescheidung. Denn indem Kant zu zeigen suchte, daß alle Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch niemals über die Erfahrung hinaus zu einer objektiv gültigen Erkenntnis der übersinnlichen Ideen gelangen könne, hat er dasselbe gesagt, was Jacobi auch hatte sagen wollen, nämlich daß die spekulative Vernunfterkenntnis niemals für mittelbare oder demonstrativische Erkenntnis könnte gehalten werden. 35 Gleichwohl steht die Jacobische Philosophie doch auch in Gegensatz zur Kantischen, insofern sie – angesichts der Misere der spekulativen Vernunft – ganz darauf verzichtete, die Philosophie demonstrativ machen zu wollen, während in der Tranzendentalphilosophie Kantischer Prägung das angegebene negative Resultat für die wahre Philosophie gehalten und vielleicht noch eine Art Kompensation durch die Stärkung der praktischen, auf Glauben sich stützenden Vernunft angestrebt wurde. Die neueste Philosophie endete so mit einem »wissenschaftlichen Bankerott«. Hier rächt sich nach Kuhn, Ebd., S. 61. Ebd., S. 129, 131. 35 Ebd., S. 282. Vgl. auch Fischer, Johann Michael Sailer und Friedrich Heinrich Jacobi (Anm. 6), S. 182: »Jacobi erkannte mit Spinoza und Kant an, daß man Gott nicht demonstrieren könne«. 33

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daß sie vorher schon viel zu lange »auf einem für sie viel zu vornehmen Fusse gelebt hatte«. Doch wenn angesichts des genannten Dilemmas zwischen Kant und Jacobi gewählt werden müßte, so wäre die Entscheidung für die Position Jacobis eindeutig, bzw. für dessen höchsten Lehrsatz, der besagt, daß die Philosophie nie Wissenschaft werden könne. Das hieße, lieber in »Armut leben wollen, die weiß, daß sie nichts hat, als in einer flotten Täuschung, die auch nichts hat und es nicht einmal inne wird«. 36 Was Kuhn damit auch sagen will, ist, daß eine solche Situation, in der zwischen diesen beiden Positionen entschieden werden müßte, real nicht besteht. Kuhn schwebt selbst eine Position vor, die die Idee als das unmittelbare Wissen und den Begriff als das mittelbare im Sinne von Momenten am Bewußtsein begreift oder, wie er in einem frühen Aufsatz erklärt, nach der die Philosophie nicht nur, wie Jacobi meinte, mit dem bloß Unmittelbaren unserer Erkenntnis beschäftigt ist, sondern »vom Bedingten und Mittelbaren ausgehend, den Zusammenhang des Unbedingten mit ihm, die beiderseitige Scheidung und die Beschaffenheit der gemeinschaftlichen Grenze und somit einen beinahe stetigen Übergang von dem einen zum anderen […] ausfindig zu machen«. 37 Die Philosophie ist also in Wirklichkeit die Lehre von den Grenzen des menschlichen Wissens und heißt als solche spekulative Erkenntnis. Gerade in dieser Hinsicht ist aber auch die spekulative Theologie nach Kuhn ausdrücklich eine »philosophische Disziplin«, die die Geschichte und das Höchste in der Geschichte, nämlich das Christentum, zum Gegenstand hat. 38

II. Spekulativer Theismus: Ursprüngliche Vernunftanschauung Fast parallel zu den Tübingern wurde Jacobi auch im spekulativen Theismus, bei I. H. Fichte und H. M. Chalybäus aufgenommen. Besonders intensiv hat sich I. H. Fichte mit Jacobis Lehre vom philosophischen Glauben auseinandergesetzt. Obwohl der Spekulative Theismus sich philosophisch im wesentlichen

Kuhn, Jacobi und die Philosophie seiner Zeit (Anm. 31), S. 313 f. Zur Kritik Jacobis an Kant vgl. auch A. Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriß (Neue Ausgabe durchgesehen und ergänzt von I. Stern), Leipzig o. J., S. 353 ff. 37 J. Kuhn, Ueber den Begriff und das Wesen der speculativen Theologie oder christlichen Philosophie, in: Theologische Quartalschrift 14 (1832), S. 253–304, hier: S. 279; vgl. ders., Jacobi und die Philosophie seiner Zeit (Anm. 31), S. 424 f. 38 Kuhn, Ueber den Begriff und das Wesen der speculativen Theologie (Anm. 37), S. 263, 283. 36

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an Schellings Denken, besonders seiner mittleren Phase, anschließt, hat er sich doch auch immer mit den Hauptthesen Jacobis rezeptiv und kritisch auseinandergesetzt. Das ist weniger bei C. H. Weiße als vielmehr bei I. H. Fichte zu bemerken. Schon in seiner frühen »Charakteristik der neueren Philosophie« hat I. H. Fichte die Anfrage an das Denken Jacobis gestellt, die ihn auch fürderhin in diesem Zusammenhang immer bewegen sollte. Ausdrücklich hält Fichte zunächst es als die »große Entdeckung« Jacobis fest, daß das Bewußtsein des Ewigen ein ursprüngliches, nicht aufgrund eines Schlusses oder einer vermittelten Begriffsreflexion hervorgegangenes ist, so daß das Endliche und die es bedingende »Anerkenntnis des Ewigen« wieder zu einem bewußten Eigentum der spekulativen Philosophie geworden sei. 39 Was Fichte jedoch in Zweifel zieht, ist der wissenschaftstheoretische Standort, den Jacobi diesem Bewußtsein des Ewigen zuzuordnen scheint. Wenn der Erkenntnis eines persönlichen Gottes tatsächlich – wie Jacobi ja fordert – der Charakter unmittelbarer Vernunftanschauung zukäme, dann müßte sie nach älterer Sprache zu den »eingeborenen Ideen« oder den absoluten Axiomen der Vernunft gerechnet werden, wie es z. B. der Satz der Identität oder des Widerspruchs ist. Axiome solcher Art sind aber immer von höchster Abstraktheit, so daß jeder bestimmte Inhalt ausgeschlossen bleibt. »Und so steht es fest, daß die Idee Gottes, auch nur als des Absoluten, Ewigen, in keinem Sinne eine axiomatische sein könne«. 40 Deswegen kann dieser Vernunftanschauung auch nicht der Charakter des Unmittelbaren zukommen. Jacobi hat es mit dem Ursprünglichen verwechselt. Fichte zögert nicht, diese Verwechslung unter den neueren Philosophen überhaupt, besonders aber auch bei Jacobi, dem »Wiederentdecker der Lehre von der Ursprünglichkeit der göttlichen Idee«, mit deutlichen Worten zu rügen. Das, was Jacobi für unmittelbar hält, ist in Wirklichkeit eine Reflexion von ganz philosophischem Gepräge und höchst vermittelter Argumentation. Hält man sich nämlich den Ausgangspunkt derer vor Augen, die die Unmittelbarkeit des religiösen Bewußtseins lehren, eben die Ursprünglichkeit des Übersinnlichen im Geiste, also die Ideen des Guten, Wahren und Schönen, dann sieht man deutlich, daß Jacobis »Glaube« in Wirklichkeit ein »unentwickelter Schluß«, eine Reflexion ist. Zudem ist das wahrhaft Ursprüngliche in der Jacobischen Fassung der unmittelbaren Gottesidee verloren gegangen. Denn hätte man diese vermeintliche Unmittelbarkeit einer gründlichen Analyse unterworfen, so wäre auch das wahrhaft Unauflösliche und Ursprüngliche ans Tageslicht I. H. Fichte, Beiträge zur Charakteristik der neuen Philosophie, Sulzbach 21841 (ND Aalen 1968), S. 329. 40 Ebd., S. 286. 39

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getreten, nämlich die Idee eines Göttlichen und Ewigen überhaupt, die »schlechthin unabtrennlich ist von dem Bewußtsein eigener Endlichkeit und in jedem Akte dieses Bewußtseins, als stillschweigende Grundprämisse und Beziehung, mitgesetzt wird«. 41 Jacobi hatte darüber hinaus seine Theorie von der unmittelbaren Vernunftanschauung auch gegen den traditionellen Wissenschafts- und Gewißheitsbegriff entworfen. Berühmte Sätze wie »Jeder Weg der Demonstration geht in Fatalismus aus« oder »daß ein Gott, der gewußt werden könne, kein Gott sei«, daß Reflexion und Beweis nur eine Gewißheit aus zweiter Hand sind u. a. m. belegen das aufs Deutlichste. Was Jacobi damit implizit, an anderen Stellen aber auch expressis verbis hatte sagen wollen, ist, daß das in der unmittelbaren Vernunftanschauung Wahrgenommene niemals durch das wissenschaftliche Denken eingeholt werden könnte. I. H. Fichte stimmt dem mit Blick auf die Tradition des logischen und abstrakten Denkens ausdrücklich zu. Wo die Jacobische Argumentation jedoch nicht mehr greift, das ist das, was I. H. Fichte das spekulative Denken nennt. Denn dieses ist nach Fichtes einschlägiger Bestimmung dem Glauben, der Ahnung, der Religion nicht entgegengesetzt, sondern innerlich eins mit ihnen, das Erkennen des Wahren aus göttlicher Sicht. 42 Fichte hat deswegen den Grundgedanken der Jacobischen Philosophie in seinem »System« fest verankert, und zwar in Form der nicht unmittelbar zum Bewußtsein kommenden, ursprünglichen oder absoluten Vernunftanschauung. In der Form der Vernunftanschauung verwirklicht sich eigentlich erst, was am Anfang des »Systems« als Philosophieren bestimmt worden war: die Besinnung auf den absoluten Gedankenanfang, das Zurückgehen auf das Ursprünglich-Gegebene. 43 Denn nach Fichte kommt die ursprüngliche Vernunftanschauung nicht durch ein beweisendes Schließen zustande, sondern indem sich der Geist »aus der Zerstreuung über sein einzelnes Erkennen auf seine ursprüngliche Erkenntnis und Wahrheit besonnen hat«. Diese Besinnung aber, diese Selbsterkenntnis ist eine Form der Vermittlung für ein »dennoch Ursprüngliches, der Erweis eines doch schlechthin Unerweisbaren«. Was so durch die Besinnung auf die eigene ursprüngliche Erkenntnis geleistet wird, ist das Auffinden der Wurzel des Bewußtseins, der Aufweis seines Grundes, die Offenbarung eines »schlechthin in ihm sich Offenbarenden«. 44 Mag Jacobi auch mit der Ebd., S. 293. I. H. Fichte, Grundzüge zum System der Philosophie, Heidelberg 1833 (ND Aalen 1969), § 218, S. 299. 43 Ebd., § 5, S. 6 f. 44 Ebd., § 212, S. 292. 41

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Annahme einer realen Offenbarung des Göttlichen oder einer »inneren Stimme Gottes in uns« in unachtsamer Weise weiter gegangen sein, als er philosophisch eigentlich verantworten konnte, so bleibt doch das Verdienstliche seiner Philosophie, die ursprüngliche, zugleich wahre und unentbehrliche Bedeutung des Wortes »Vernunft« »uns aufbewahrt zu haben«. Diese aber drückt in ihrer Wurzel so etwas wie »Vernehmen« aus, d. h. ursprüngliches Innewerden des Übersinnlichen und Ewigen in unserem Geist. Wenn nun die Vernunftanschauung die Besinnung auf das ursprünglich Erkannte in unserem Bewußtsein ist, dann muß der Vernunft auch der Charakter des Unbewußten zukommen. Deswegen unterscheidet I. H. Fichte den Verstand als das bewußte Wirken und Leisten unseres Denkens von jenem Denken, das einen »vorbewußten Ursprung« hat, der selbst den Antrieb zu den Leistungen des Verstandes enthält. »Und eben diesen geheimen Antrieb werden wir, mit einem Wort von sinnreich etymologischer Hindeutung auf jenes Verborgene, Vorbewußte ›Vernunft‹ (inneres ›Vernehmen‹) nennen können«. 45 Vernunft ist daher nach dem jüngeren Fichte beides: sowohl jener tiefliegende vorbewußte Antrieb für das bewußte Denken, in allem Bedingten das Unbedingte zu suchen, wie auch die dem Denken als Grundvoraussetzung vorschwebende Urüberzeugung von einem Unbedingten. In summa, und es ist eine Quintessenz im Jacobischen Geiste: Auf dem Gipfel seines die Tiefe seines eigenen Wesens erforschenden Selbstbewußtseins gelangt der Geist zu der Einsicht, daß die apriorischen Inhalte des Wahren, Guten und Schönen nicht von ihm selbst erworben, sondern von ihm nur vernommen sind. Auch J. Sengler hat die Philosophie Jacobis als zwar notwendige Ergänzung der Kantischen Philosophie, aber auch als ebenso einseitig wie diese selbst verstanden. Denn indem Kant die Vernunft zu einem »nur potenzierten Verstand« degradierte, obschon er eine wesentliche Verschiedenheit beider behauptet, ist er nach Sengler den Anforderungen des inneren Menschen nicht gerecht geworden. Dieses Defizit mußte ausgeglichen werden. »Die substanzielle Vernunft mußte gegen den bloß formellen Verstand mit ihrem ganzen Inhalt treten und ihn in seiner ganzen Bedeutung gegen denselben geltend machen«. Das genau geschah durch Jacobis Lehre von der unmittelbaren Erkenntnis, die er in seiner frühen Periode Glaube, später Vernunft oder Vernunftanschauung genannt hat. Auf diese Weise aber ist der Zwie-

Gedankengang und Zitate nach I. H. Fichte, Psychologie. Die Lehre vom bewußten Geiste des Menschen, oder Entwicklungsgeschichte des Bewußtseins, begründet auf Anthropologie und innerer Erfahrung in zwei Teilen, Leipzig 1864–1873 (ND Aalen 1970), Teil II, §§ 65/66, S. 115–119. 45

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spalt des menschlichen Geistes zwischen Kopf und Herz so deutlich wie nie zuvor hervorgetreten, und das »eben ist das bedeutende Moment, welches er [= Jacobi] in der Geschichte der Philosophie einnimmt und wodurch sein System unsterblich ist«. Was Jacobi unübertrefflich klar durch die Offenbarung dieses Zwiespalts bewußt gemacht hat, konnte er aber selbst nicht miteinander vermitteln. Seine Einseitigkeit ist eine andere als die Kantische, aber eine vergleichbare: Wie Kant den Verstand ohne Erfahrung für leer und die Erfahrung ohne Verstand für blind hielt, so sah Jacobi den Verstand für leer und die Erfahrung als blind an, solange sie nicht durch das Licht der unmittelbaren Offenbarung der Vernunft erleuchtet würden. Kann aber, so fragt Sengler kritisch, das ein wahrer Gott sein, der sich in seinen eigenen Offenbarungen, wie sie ja Verstand und Vernunft darstellen, widerspricht? In Wirklichkeit sind sie beide Offenbarungen Gottes. Also müssen sie miteinander in Übereinstimmung stehen. »Was die Vernunft unmittelbar vernimmt, das muß der Verstand verstehen, entwickeln und zum Bewußtsein bringen«. 46

III. Spekulativer Theismus: Philosophie des Nichtwissens Im Brief an Fichte aus dem Jahre 1799 charakterisiert Jacobi seine Philosophie bzw. seine »Unphilosophie« als eine Philosophie des Nichtwissens. Philosophie ist das Bewußtsein des Nichtwissens, insofern das Wahre nicht gewußt werden kann, ist »Ahndung des Wahren«, und das ist das »Höchste im Menschen«. Die Wissenschaften als solche sind bloße Spiele, die der Geist, zeitvertreibend, sich ersinnt. Sie sind nicht etwa deswegen hervorgebracht worden, weil es uns an Wissen gebricht, sondern weil wir zu viel, weil wir Überflüssiges wissen. Sie sind, genauer gesagt, ein Überflüssiges aus dem eigentlich Überflüssigen, dem Jacobis Rettungsversuch auch eigentlich gilt, d. i. dem rein Überflüssigen im Verstande, also der Metaphysik.47 Man muß wissen, daß Jacobi damit ein von der Antike her bekanntes Motiv der Kritik an der Metaphysik (als etwas Überflüssigem) aufgreift und höchst originell

J. Sengler, Ueber das Wesen und die Bedeutung der speculativen Philosophie und Theologie in der gegenwärtigen Zeit, mit besonderer Rücksicht auf die Religionsphilosophie, Mainz 1834, S. 36– 47, hier (in der Reihenfolge der Zitate) S. 41, 42, 43. 47 Jacobi an Fichte, JWA 2, 192, 194, 206, 208, 215. Zum Begriff des Überflüssigen vgl. Vorrede zu einem überflüssigen Taschenbuche für das Jahr 1800, JWA 2, 176 f. 46

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zur Ehrenrettung derselben modifiziert.48 Gerettet werden soll freilich nicht die Metaphysik vergangener Tage im Sinne eines göttlichen Wissens, sondern als Philosophie der Ahndung oder des Nichtwissens. Während F. A. Staudenmaier Jacobis philosophische Lehre vom Nichtwissen (im Sinne einer docta ignorantia) parallel zum theologischen Nichtwissen des Supernaturalismus einer eingehenden Kritik unterzieht,49 macht I. Sengler diesen Gedanken zum Dreh- und Angelpunkt seiner Deutung Jacobis. Nachdem mit Fichte die durch Descartes begründete Subjektivitäts- oder Reflexionsphilosophie ihren absoluten Kulminationspunkt erreicht hatte, kommt durch Jacobi die Nichtigkeit dieser sich allein aus der Subjektivität begründenden Philosophie zu ihrem Selbstbewußtsein und damit auch ihre Not und Verzweiflung. 50 Denn es war das primäre Ziel der neueren Philosophie seit Descartes, das subjektive Ich als das sich selbst und alles Sein Hervorbringende zu denken. Das Endliche wurde zum Absoluten gemacht. Aber statt der Inbegriff aller Realität zu werden, erfährt das Endliche in ironischer Distanz zu sich selbst seine ganze Nichtigkeit, indem es alles im Erkennen, Wollen und Wirken in bloßen Schein verwandelt und vernichtet. Zugleich aber will es ja Realität und bringt sie so autonomisch nur aus sich hervor. Das moderne autonome Subjekt erleidet, wie Sengler plastisch ausführt, die Tantalusqualen eines endlosen, vergeblichen Strebens, das Wahrheit hervorbringen will, zugleich aber erkennt, daß es nur Schein ist. Die Philosophie, die schon Aristoteles als die Wissenschaft der Wahrheit bezeichnete, ist damit an ihr Ende gekommen. Da aber der Mensch nicht ohne Wahrheit sein kann, hat sie Jacobi versucht durch den »Glauben« zu retten. »Aber mit dem beginnt sie nicht und sucht sich in ihm zu begründen durch die Wissenschaft, sondern er ist Resultat der Wissenschaft, die wissenschaftliche Verzweiflung: das Nichtwissen, die philosophische Verzweiflung«, d. h. das unendliche Streben ohne Ziel und Ende. 51 Dem spekulativen Theismus ist Jacobi also auch der Repräsentant Vgl. Kobusch, »Gegen die maßlosen Ansprüche menschlicher Vernunft.« Spätantike und frühmittelalterliche Denker über die Grenzen der Vernunft, in: Information Philosophie 31, Heft 3 (2003), S. 11–22. 49 Staudenmaier, Johannes Scotus Erigena (Anm. 26), S. 323 ff. 50 J. Sengler, Ueber das Wesen und die Bedeutung der speculativen Philosophie und Theologie in der gegenwärtigen Zeit, mit besonderer Rücksicht auf die Religionsphilosophie, Bd. 2, Heidelberg 1837, S. 126. Später freilich, nämlich in: Die Idee Gottes, Zweiter Teil, Heidelberg 1847, S. 96ff. deutet Sengler die Ideen, die Tatsachen des Vernunftbewußtseins, sehr stark im Sinne Platons als die Realprinzipien unserer Vernunftanschauung. 51 Sengler, Wesen und die Bedeutung der speculativen Philosophie und Theologie (Anm. 50), 121–124. 48

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der philosophischen Not und Verzweiflung, der Philosoph des Nichtwissens, der zwischen den Sphären des Endlichen und Unendlichen und der subjektiven und objektiven Begründung schwebt, das Bild der ganzen modernen Zeit und einer sich selbst verzehrenden, sentimentalen Subjektivität. Das Stichwort »Verzweiflung« leitet gewissermaßen automatisch über zu dem Autor, der auch von Jacobi tiefgreifend beeinflußt worden ist und zugleich als der Philosoph der Verzweiflung gilt: das ist S. Kierkegaard. Es war keineswegs irgendeine Kleinigkeit, zu der Jacobi den dänischen Philosophen angeregt hatte, sondern gerade der bei beiden im Zentrum stehende Begriff des Glaubens. Das Gute, Schöne und Wahre, die Jacobi »Ideen« nennt, sind nach Kierkegaard Ideen, die die Not gefunden hat, d. h. sie sind »Kategorien der Verzweiflung«. Auch der Glaube, und der in Wahrheit, ist daher eine Notidee, eine solche Kategorie der Verzweiflung. 52 Was das Verständnis des Glaubensbegriffs betrifft, so ist es mehr als nur ein Zufall, daß beide Autoren sich auf Hugo von St. Viktor berufen, den Jacobi durch die Philosophiegeschichte Tennemanns, Kierkegaard aber durch die »Christliche Mystik« Adolf Helfferichs kennengelernt hatte. 53 Während Augustinus den Glauben als den vorauslaufenden Herold der Vernunft begriff, die ihn alsbald einholt, steht Hugo von St. Viktor für eine historische Wende in der Sache des Glaubens. 54 Denn der Glaube ist in Wirklichkeit das auch von der Vernunft respektierte Organ für das Paradox, welches von der Vernunft weder enträtselt noch als Unsinn aufgewiesen werden kann. Aus dem Vernunftglauben ist der Glaube als das Paradox des Daseins geworden.

S. Kierkegaard, Papirer V A 40 = Sören Kierkegaard’s Journals and Papers, Vol. II, ed. H. V. Hong / E. H. Hong, Bloomington/London 1970, n. 1113, p. 8 = Die Tagebücher, Bd. 1, übersetzt von H. Gerdes, Düsseldorf/Köln 21975, S. 331. 53 Gotha 1842. 54 Zu Jacobis Würdigung der Rolle Hugos vgl. JWA 3, 124. – S. Kierkegaard, Papirer X2 A 354 = Die Tagebücher (Anm. 51), Bd. 4, S. 82 f. 52

Salto Mortale : Kierkega ard und Jacobi von Klaus-M. Kodalle

I. Bewunderung und Kritik: Wie sich Kierkegaard Jacobi ›zurechtlegt‹ »So wie sich Kierkegaard hochachtungsvoll und doch fundamental-kritisch zum Hegel-Heibergschen System verhielt, so Jacobi zu Spinoza und seiner Weiterbildung bei Fichte. Ein großer Unterschied zwischen Jacobi und Kierkegaard besteht ganz gewiß darin, daß Kierkegaard mit einem Hegelianismus sich konfrontiert sah, der seinerzeit die Szene machtvoll beherrschte, während Jacobi sich die Aufgabe gestellt hatte, die Absprungstelle des Sprunges, Spinozas Philosophie, überhaupt erst einmal als die einzig konsequente metaphysische Position zu rekonstruieren und in den Vordergrund zu schieben!«1 Werfen wir zunächst 2 einen Blick auf jene zentralen Passagen der Unwissenschaftlichen Nachschrift, die in einem Vortrag zu Jacobi-Kierkegaard nicht fehlen dürfen, auch wenn wir gar nicht genau wissen, welche Jacobi-Texte – außer dem Jacobi-Lessing-Gespräch – Kierkegaard studiert hat. Letztlich lege ich in dieser Untersuchung mehr Wert auf die tatsächlichen Übereinstimmungen und Differenzpunkte – weniger auf die spielerisch-ironischen Abgrenzungsbemühungen Kierkegaards. Hören wir also Kierkegaard: »Ich leugne nicht, daß mich Jacobi des B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000, S. 34. 2 Zur Vorgehensweise in dieser Abhandlung: Zunächst stelle ich heraus, wie Kierkegaard selbst sein Verhältnis zu Jacobi gesehen hat. Es folgt ein Hinweis auf die Impulsgeber Martensen und Mynster mit einem Abschnitt, der die Aufnahme des Desdemona-Motivs bei Jacobi und Kierkegaard behandelt. Danach schließt sich eine Darstellung des Sprungs und der Umgebung des Absprungfeldes bei Sören Kierkegaard an. Im letzten Teil werden jene zentralen Aspekte vorgestellt, in denen sich – aus einer von Kierkegaard her eingestellten Optik – zwischen Jacobi und Kierkegaard starke sachliche Affinitäten abzeichnen. Unterschiede werden dabei ebenfalls verdeutlicht. 1

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öfteren begeistert hat, … er ist der Protest der Beredsamkeit eines edlen, unverfälschten, liebenswerten, reichbegabten Geistes gegen das systematische Einklemmen des Daseins, das siegreiche Bewußtsein und das begeisterte Kämpfen für die Überzeugung, daß die Existenz längere und tiefere Bedeutung haben muß als die paar Jahre, in denen man sich selbst vergißt über dem Studium des Systems.« (I.243) 3 Jacobi wird von Kierkegaard in der Nachschrift immer wieder im Zusammenhang mit Lessing ins Spiel gebracht. Kierkegaard legt sich Jacobis Bemühung, Lessing von dem Erfordernis des Sprunges zu überzeugen, so zurecht, als ginge es diesem um die Gemeinsamkeiten in der Ausführung des Sprunges. Jacobi achte Lessing, ja liebe ihn, und deswegen liege ihm so daran, ihn für den Sprung zu gewinnen. Kierkegaard unterstellt Jacobi mithin eine gewisse Unsicherheit, als ob er die Zustimmung anderer zu seiner begeisterten Überzeugung bräuchte. »Der Zwang der Isolation, der gerade im Sprung gegeben ist, kann einen Jacobi nicht zwingen; er muß etwas verraten, er schäumt beständig über in jener seiner Beredsamkeit, die an Standhaftigkeit und Inhalt und lyrischem Wallen und Sieden bisweilen im Range mit Shakespeare steht, die aber doch andere in ein direktes Verhältnis zum Redner bringen« (I.94). Jacobi hat demnach keinen Sinn für das, was Kierkegaard »indirekte Mitteilung« nennt. Insofern müsse man Lessings »Urbanität und seine besondere Liebe für Jacobi bewundern, und die Unterredungskunst, die so höflich sagt: ›Nehmen Sie mich mit – wenn es angeht.‹« (I.94) Anders gesagt: Kierkegaard unterstellt Jacobi, dieser wolle gleichsam einen Übergang zum Sprung bahnen. Das führt weiter zu der Behauptung, Jacobi sei sich »eigentlich nicht klar darüber, wo der Sprung im wesentlichen hingehört. Sein salto mortale dürfte wohl nur der Akt der Subjektivierung, bezogen auf die Objektivität Spinozas, sein, nicht der Übergang vom Ewigen zum Historischen. Ferner ist er sich dialektisch auch nicht klar über den Sprung, daß dieser sich nämlich nicht direkt dozieren oder mitteilen läßt, eben weil er der Akt der Isolierung ist und für das, was sich gerade nicht denken läßt, es dem einzelnen anheim stellt, ob er sich kraft des Absurden entschließen will, es gläubig anzuneh-

Die Schriften Søren Kierkegaards werden zitiert nach der Ausgabe: Gesammelte Werke, hg. von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes, H. M. Junghans. 36 Abteilungen in 36 Bänden. Düsseldorf / Köln 1950ff., und zwar mit folgenden Siglen: Br (Philosophische Brocken, 10. Abt.), A (Der Begriff Angst, 11./12. Abt.), I bzw. II (Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift, Teil I bzw. Teil II, 16. Abt.), LA (Eine literarische Anzeige, 17. Abt.), Aug (Der Augenblick. Aufsätze und Schriften des letzten Streits, 34. Abt.), T (Die Tagebücher, hg. von H. Gerdes, Düsseldorf / Köln 1962, Bde I–V). 3

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men. Jacobi will einem vermittels der Beredsamkeit dazu verhelfen, den Sprung zu machen. Aber … alles direkte Anspornen ist gerade eine Hinderung, um wirklich dazu zu kommen, ihn zu machen,…« (I.93).

II. Die Anstoßgeber für Kierkegaards Jacobi-Interesse Zum besseren Verständnis des Folgenden sei hier eine Szene aus Shakespeares Othello (Akt 5, Szene 2) in Erinnerung gerufen, die offensichtlich für beide, für Jacobi und für Kierkegaard, besonders aussagekräftig war. Desdemona, niedergestreckt von der Hand ihres Ehemannes, läßt sich wie folgt vernehmen, als Emilia, gleichsam als der »Dritte«, die Szene betritt: Emilia: O, who hath done this deed? Desdemona: Nobody. I myself. Farewell. Command me to my kind lord O, farewell. Othello: Why? How should she be murdered? Emilia: Alas, who knows? Othello: Your heard her say herself it was not I. Emilia: She said so. I must needs report a truth. Othello: She’s like a liar gone to burning hell: ‘Twas I that killed her. Emilia: O, the more angel she, and you the blacker devil! Desdemona lügt, um ihren Mann zu decken, den sie liebt, ihren Mann, der »durchgedreht« ist. – Nicht von ungefähr wird hier Desdemonas Lüge ins Spiel gebracht. 1799, als Jacobi sein Verständnis von Christentum und Glaube in dem berühmten Brief an Fichte beschrieb, ging er auf den Vorwurf ein, selber mit dieser Art von Denken »gottlos« zu sein. Und in diesem Kontext insistiert er, dann sei es eben besser, sich als Atheist zu bekennen – und damit im Grunde zu lügen, wie Desdemona es tat! Der Lobpreis Desdemonas ob ihrer Lüge steht hier also im Zusammenhang mit Jacobis Übernahme der Zuschreibungen »Atheist« und »gottlos«. Die Lüge wird mithin aufgewertet: Es ist besser zu lügen wie Desdemona, es ist besser, sich als Atheist zu bekennen – wenn es einem denn vorgeworfen wird –, als sich mit einem Ichzentrierten, im Grunde pantheistischen System einverstanden zu erklären. Nachdrücklich hatte den Studenten Kierkegaard schon Hans L. Martensen in seinen Vorlesungen im Akademischen Jahr 1838-1839 auf Jacobi gestoßen, als er »Geschichte der Philosophie von Kant bis Hegel« las. In Kierkegaards Papieren finden sich eine ganze Reihe von Mitschriften aus Martensens Vorlesungen. Martensen hat ziemlich ausführlich Jacobi behan-

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delt. 4 Wir dürfen annehmen, daß Kierkegaard dadurch angeregt wurde, Jacobi zu lesen. Ausgaben der Werke Jacobis fanden sich in Kierkegaards Bibliothek. Dennoch wissen wir nicht sicher, wie gründlich Kierkegaard sich tatsächlich mit Jacobi befaßt hat. Vermutlich hat er erst um 1844, nicht zuletzt angestoßen durch Bemerkungen Bischof Mynsters, Jacobi näher zur Kenntnis genommen. Freilich: wie gründlich – das steht in den Sternen … Bruce H. Kirmmse weist auf das ironische Faktum hin, daß ausgerechnet Martensen und Mynster, die eine so wichtige Rolle in der Provokation Kierkegaards zum letzten Angriff auf die Kirche spielten, es waren, die Kierkegaard auf Jacobi hinwiesen. Als nämlich Furcht und Zittern im Oktober 1843 erschienen war, würdigte Bischof Mynster kurz darauf diese Schrift in einer Besprechung, und er stellte darin ausdrücklich eine Beziehung zu Jacobi her. Mynster griff Jacobis Hinweis auf Desdemonas Lüge auf – im Zusammenhang mit Jacobis Behauptung, er sei ein Atheist, eine gottlose Person: »Ich will lügen wie es Desdemona tat, als sie starb.« Mynsters Bezugnahme auf Desdemona und Jacobi fiel bei Kierkegaard auf fruchtbaren Boden. Vielleicht wurde Kierkegaard erst durch Mynsters Bemerkung auf diese spezielle Passage bei Jacobi aufmerksam. Auf jeden Fall hat Kierkegaard 1844/45, als er Stadien auf des Lebens Weg schrieb (publiziert Ende April 1845), sich ausdrücklich auf Jacobi und dessen Erwähnung Desdemonas bezogen und Desdemona wegen ihrer erhabenen Lüge gepriesen: »Wir müssen sie bewundern.« Erstaunlich ist diese Bemerkung über eine erhabene Lüge insofern, als Jacobi selbst diese Wendung ebenso wenig gebraucht wie Bischof Mynster. Allemal, in der Nachschrift, geschrieben unmittelbar nach der Publikation von Stadien auf des Lebens Weg und publiziert Ende Februar 1846, spielt Kierkegaard erneut auf die Jacobi-Desdemona-Passage an – diesmal unter ausdrücklicher Erwähnung von Mynsters Besprechung der Schrift Furcht und Zittern: Wenn die authentische Vertiefung des Selbstverhältnisses zum Ausdruck gebracht werden solle, so könne dies nur in Form einer Täuschung geschehen. Das berühmte Problem der indirekten Kommunikation steht hier also zur Debatte. Wir müssen feststellen: Kierkegaard benutzt einfach die Desdemona-Anspielung Jacobis, verleiht ihr aber eine Bedeutung, die von den Überlegungen hinsichtlich seiner eigenen Strategie geprägt ist: den anderen in die Wahrheit hineinzubetrügen, um ihn nicht durch die eigene Autorität zu übermächtigen und ihm so die Freiheit zu nehmen. Wer keine Autorität für sich in Anspruch nimmt und doch Anstoß geben will, damit der Andere sich ermutigt fühlt, den eigenen Weg der Wahrheit zu suchen, der Außerdem war Kierkegaard natürlich durch seine Hegelstudien und die Vorlesungen Schellings in Berlin auf Jacobi gestoßen. 4

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muß Zuflucht nehmen zur indirekten Kommunikation und darf sich nicht scheuen, als Lügner dazustehen, wenngleich als ein erhabener. 1855, in einem Artikel des letzten Streits mit der Überschrift Meine Aufgabe, kombiniert Kierkegaard jene beiden Aussagen, die uns schon bekannt sind: Erstens »Ihr Leute nennt Euch selbst Christen, aber im ernsthaften Sinne seid Ihr gar keine« und zweitens »ich bin kein Christ!«. Dort heißt es dann ausdrücklich: Diese Leute lügen sich in das Christentum hinein. Und so formuliert er dann auch in diesem Text: Ich nenne mich nicht einen Christen, und deshalb ist es unmöglich, mich loszuwerden. »Es ist vollkommen wahr, ich bin kein Christ.« (Der Augenblick Nr. 10) Kierkegaard stellt ausdrücklich die Parallele zu Sokrates her, der ja behauptet hatte, er sei in entscheidenden Dingen unwissend. Und wahrscheinlich hat Kirmmse, auf den ich mich hier in diesen Darlegungen ausgiebig beziehe, recht, wenn er formuliert, die beiden Statements seien eben wahr und falsch zugleich. Denn Kierkegaard war ganz gewiß kein Christ, wenn man sein Christsein mäße an den Standards der »Christenheit des Neuen Testaments«, wie er sie in seinem Buch Einübung im Christentum dargelegt hatte. Sinngemäß: Ich bin kein Christ – aber ich weiß es wenigstens. Ihr hingegen seid auch keine Christen, aber Ihr wißt das nicht einmal! »Wenn Ihr fortfahrt zu behaupten, Ihr wäret Christen, so seid Ihr Lügner.« So verstanden war Kierkegaards Feststellung überhaupt keine Lüge. Auf der anderen Seite brachte gerade diese Einsicht bezüglich der Inadäquatheit der eigenen Existenz Kierkegaard den christlichen Idealen näher, verglichen mit der Lauheit seiner christlichen Mitbürger. Sinngemäß: »Wenn Christentum das ist, was I h r b e h aup t e t u nd leb t , dann bin ich wirklich nicht ein Christ – dann will ich gar nicht so genannt werden.« So verstanden könnte man auch behaupten, Kierkegaard habe gelogen, als er so kategorisch ablehnte, sich Christ nennen zu dürfen. Auf jeden Fall aber waren seine Mitbürger verlogener in einem tieferen Sinne als er, denn er hatte sich ja nur einer erhabenen Lüge befleißigt, eben in Form der Ironie. Nach Kirmmse war Kierkegaards Behauptung so etwas wie eine Parallele zu Jacobis Bekenntnis, gemessen an Fichtes Pantheismus bleibe ihm nur, sich zum Atheismus zu bekennen. Kirmmse konstatiert: »Sometimes it is better to lie – and die – like Jacobi, Desdemona, Sokrates or Kierkegaard”. 5 Wie weit Kierkegaard dieses Spiel ins Ernsthafte trieb, wissen wir ja: Er weigerte sich, auf dem Sterbebett das Abendmahl aus der Hand eines kirchBruce H. Kirmmse, »›I am not a Christian‹ –›A sublime lie‹? ›Or Without Authority‹. Playing Desdemona to Christendam’s Othello«, in: Anthropology and Authority. Essays on Sören Kierkegaard, ed. by Poul Houe, Gordon D. Marino and Sven Haakon Rossel, Amsterdam/Atlanta, GA 2000, S. 129–136; S. 136. 5

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lichen Regierungsbeamten zu empfangen. Noch angesichts des Todes und in dieser Art provozierenden Verhaltens wollte er, analog zu Sokrates, das Gewissen seiner Mitbürger aufrütteln, bei ihnen ein Gespür dafür hervorrufen, daß das so leicht zu lebende Kulturchristentum eben eine einzige Lüge ist. Und gegen eine Lüge, so meinte er, kommt man offensichtlich nur mit einer Lüge an. Einen solchen – erhabenen – Lügner wird man, wie an der Resonanz Kierkegaards bis heute zu sehen ist, einfach nicht mehr los. 6

III. Kierkegaards Verständnis des Sprunges »Die Beschreibung des kierkegaardianischen Sprungfeldes läßt sich fokussieren mittels des Schlagwortes »nutzlose Leidenschaft des Glaubens«. Dem Leser Kierkegaards wird nämlich der folgende Grund-Satz angesonnen: Das Gottesverhältnis ist für Lebenszwecke nicht in Dienst zu nehmen. Gründlicher formuliert: Das Absolute ist zwecklos.«7

III. 1 Individuelle und kollektive Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte sind damit beileibe nicht denunziert; ihnen ist im Rahmen humaner Problemlösungsstrategien Rechnung zu tragen. Ihre Verfilzung mit der Gottesidee jedoch soll zersetzt werden. Das Absolute ist demnach primär insofern ›absolut‹ als es losgelöst gedacht wird von aller angeblichen oder wirklichen lebensimmanenten Teleologie und aller gesellschaftlich immanenten Zweckrationalität. Die (z. B. von Max Weber freigelegte) Verzahnung von Zweckrationalität und Heilszielen verfällt der zersetzenden Kritik. Während die Ratio eine semantische Identität von ›überflüssig‹ und ›sinnlos‹ suggeriert, ergreift die Existenz im Sprung ihre höchste Freiheitsgestalt als Freiheit-im-Überfluß. Die Selbst-Verschwendung triumphiert über das Kalkül der expansiven Selbstbehauptung. In dieser Freiheit ist das Absolute von allen Legitimationsleistungen, von aller Verwertung als ›Sinn-Ressource‹, entbunden.

In diesem Abschnitt habe ich mich kontinuierlich an den zitierten Aufsatz von Bruce H. Kirmmse gehalten. 7 Dieser Teil meiner Ausführungen basiert auf meinem Buch: Die Eroberung des Nutzlosen. Kritik des Wunschdenkens und der Zweckrationalität im Anschluß an Kierkegaard. Paderborn [u. a.] 1988. 6

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Das alles widerspricht elementar der leibhaftigen Dynamik des Wünschens, die unsere Denkkonstrukte infizierend durchdringt, und es opponiert den diversen Bewegungen der ›Kontingenzflucht‹ Existentielle Disfunktionalität – als Spiegel des absoluten Sinns der Freiheit – versetzt in Angst und Schrecken; nur durch abgründige Unsicherheit hindurch, sich bewegend am Rand der Verzweiflung, mag dem Ich der Mut zu einem bodenlosen Leicht-Sinn zuwachsen – zu einem Sprung in die absolute Souveränität Gottes selbst. Kierkegaard, der zuweilen den ›Seiltänzer‹ als Metapher für diese Gestalt des Existenzverhältnisses bemüht, sieht es so: »Wer es dagegen in Wahrheit gelernt hat, sich zu ängstigen, der wird wie im Tanze schreiten, wenn der Endlichkeit Ängste aufzuspielen beginnen« (A 168). Wo Apathie, religiöse Gleichgültigkeit und die Spielsucht des (später von Nietzsche plastisch beschriebenen) ›letzten Menschen‹ dominieren, muß eigentlich einleuchten, daß der Glaube für Kierkegaard primär Leidenschaft ist. Verglichen mit einem Christentum der Lauen ist sogar eine entschiedene Gegnerschaft zur Religion vorzuziehen, denn »entschieden, bestimmt, entschlossen keine Religion zu haben, hat bereits etwas Leidenschaftliches und ist damit nicht die gefährlichste Art der Gleichgültigkeit. Sie kommt deshalb auch seltener vor. Nein, die gefährlichste Art Gleichgültigkeit und die ganz gewöhnliche ist folgende: eine bestimmte Religion zu haben, aber diese Religion ist verwässert und verhunzt zu einem reinen Geschwätz« (Aug 206). Dummheit und Lauheit pflegen sich in der typischen Sprachwendung »bis zu einem gewissen Grade« zu verraten (vgl. I.221). Ein Denken, welches leidenschaftlich der weltbemächtigenden Intentionalität und der Verzweckung des Absoluten entspringt, mutet dem Ich zu, sich auch noch ›dem Allgemeinen‹ gegenüber absolut zu wissen: Ausnahme-Existenz – wenn’s drauf ankommt. Daß dieser Sinn von Freiheit so dezidiert überhaupt zugänglich geworden ist, liegt an der geschichtsmächtigen Ausdifferenzierung einer durchrationalisierten Lebensform. Erst auf diesem Boden der (wenigstens nachträglich gewollten) Säkularisierung sind die mannigfachen Sekundärfunktionen der Religion ebenso wie ihre metaphysischen Voraussetzungen fortschreitend durchschaubar geworden – und der Glaube kann sich endlich authentisch als jene zwecklose Exposition begreifen und ausdrücken, in welcher der Mensch auf das große Umsonst der Gnade antwortet und zur ›Stätte‹ der souveränen Geistesgegenwart Gottes wird. Das neue Verhältnis von Absolutheit und Kontingenz ist für Kierkegaard in der Christologie erschlossen. Um Endliches, Vergängliches in seinem unweigerlichen Vergehen als sinnvoll zu erfahren, ja, um noch das Mißlingende und Böse des eigenen Daseins als verziehen zu ›wissen‹, muß das Ich

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nicht mehr darauf dringen, das Widerfahrnis in seinen Hintergründen und Ursachen zu durchschauen – als sei es nur zu ›bewältigen‹, wenn man ihm eine letzte Absicht unterstellt. Diese Rationalisierungen haben ein Ende. Verabschiedet also wird die aus der Tradition so vertraute Gottesimago einer Allmacht, die sich im Modus der Herrschaft durchsetzt. Auf diesen Despotismus des Herrseins verzichtet Gott, »denn er teilt schaffend mit in der Weise, daß er durch das Schaffen sich selbst gegenüber Selbständigkeit gibt« (I.254). Allmacht im Kierkegaardschen Sinn bewährt sich in der Gewährung einer selbständigen Freiheit für das endliche Dasein. Um dies zu verdeutlichen, greift Kierkegaard auf die Vorstellung der contractio Dei (die bekanntlich auch in der kabbalistischen Tradition begegnet) zurück. Das endlich-frei-eigenständige Wesen tritt nur in dem Maße als eigenständig aus der Kontinuität der All-Macht Gottes hervor, wie diese sich selbst zurücknimmt. Das Nichts der creatio ex nihilo ist der durch diesen Rückzug freigesetzte Raum des Daseins endlicher Freiheit im umfassenden Sein Gottes (vgl. LA 124 f.). Wir sagten: nur in der Leidenschaft erhebe sich der Mensch zur geistigen Existenz des Glaubens; dem entspricht die Bestimmung Gottes als Leidenschaft allmächtiger Liebe, die die alten Herrschaftsprädikationen als unernste Phantasieprodukte endgültig hinter sich läßt (T V.316-XI2 A 98). Wie sich geistvolle Selbstbezüglichkeit im Mut zur Ohnmacht konkretisiert, so konkretisiert sich die Allmacht der Liebe, die sich dem Menschen in dessen Freiheit ausliefert und in dieser Zuwendung unveränderlich ist, als das Leiden Gottes am Menschen. Religiös ist die größte Ohnmacht die größte Macht (vgl. T IV.305-X.4 A 209). Eine logisch zwingende Demonstration der Gottesgewißheit wird in diesem post-metaphysischen Horizont allemal überflüssig. Zumal eine begründungsbeflissene instrumentelle Wissenschaft den Bedarf, alle Positionen im Diskurs mit Gründen zu bestücken, bereitwillig abdeckt. Eine intersubjektiv überprüfbare und kontrollierbare und insofern angemessene, ›Versprachlichung des Sakralen‹ ist also weder wünschbar noch möglich, weil es hier um eine wahrlich luxurierende Dimension der Freiheit geht. Dieser Aufbruch ereignet sich bei jedem Menschen in anderer Gestalt. Die Mitte der Existenz des Einzelnen bleibt ein Geheimnis, wird geradezu strategisch den Blicken der anderen entzogen. Würde sie mitteilbar gemacht, gefährdete das die Möglichkeit der Nichtidentität des Anderen, der seinen unverwechselbaren Weg zu suchen hat. Nichts also ist hier vorbildhaft. Bezüglich der Weigerung, die eigene Sinnmitte zum Gegenstand einer mitteilbaren Geschichte zu machen, hat Kierkegaard mit seiner ›Theorie der indirekten Mitteilung‹ das Ausschlaggebende gesagt.

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III. 2 Es ist ein eigener, theologisch begründeter Entschluß, die Tatsächlichkeit eines Ereignisses der Gottesbetroffenheit, meinen Kairos, der Mitteilung und damit auch dem Gerede zu entziehen. Gerade die Mitte der Existenz bleibt dem Inkognito vorbehalten, denn zu groß wäre die Verführung, die im öffentlichen Beifall und in der Verwertung als Leitbild für Halbherzige und Laue liegt. Jeder muß je selbst seine eigene Integrität entdecken. Die Nichtidentität der individuellen Transzendenzbewegung läßt sich mit Prozessen kommunikativer Verständigung unter Menschen nicht harmonisieren. Der ›zwischenmenschliche Austausch‹ über das, was mich allein unbedingt angeht, wird als Ausweichmanöver dessen sichtbar, der vor dem Zu-GrundeGehen, als Eingehen in die Macht Gottes, zurückschreckt (vgl. T IV.264-XJ A 659). Wo Freiheit radikal gedacht wird, kann »der eine Mensch dem anderen überhaupt nicht helfen«, denn »die Bedingung zur Seligkeit ist für jeden Einzelnen […] das Verschiedenartige« (T V.236 f.-XI.1 A 296). Das Unvordenkliche der Selbstwerdung im Handeln vollzieht sich im Zeitsprung des Augenblicks. Auf solches Handeln zugunsten standardisierter Handlungsmaximen zu verzichten, ist natürlich bequemer; deshalb begnügen sich ja auch die meisten mit einem Leben aus zweiter Hand. In der von Wissenschaft und Technik geprägten Lebenswelt sind die wuchtigen Entscheidungen schon vorgestanzt; die in der konzentrierten Handlungsentscheidung sich aktualisierende Ursprünglichkeit ist weitgehend eliminiert: »es ist nichts mehr zu erleben, nichts mehr zu erfahren, alles ist fertig« (II.48). An die Stelle der Erfahrung tritt Wissen als Ersatzhandlung: »Man liebt nicht, glaubt nicht, handelt nicht, aber man weiß, was Liebe, was Glaube ist« (II.48) – wobei »beschränkte und geschäftige Menschen sich einbilden, daß sie handeln und handeln und handeln«, während hinwiederum einer gewissen Art von Intellektuellen nachzusagen sei, sie entwickelten geradezu eine gewisse »Virtuosität, mit der sie verstehen, das Handeln zu vermeiden« (II.318).

III. 3 Kierkegaard beschreibt den Impuls des christlichen Glaubens als unnatürliche Brechung der kreatürlichen Machtbehauptung des Selbst. »Das Unglück der meisten Menschen ist keineswegs dies, daß sie schwach sind, sondern daß sie zu stark sind – um eigentlich Gottes gewahr zu werden« (T III. 170X1 A 50). Im Gewahrwerden der eigenen Stärke lauert die Gefahr und die Illusion, den Prozeß des eigenen Vergehens aufhalten, ihn zumindest auf

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Zeit umgehen oder entkräften zu können. Eine geschichtliche Variante, die Schwäche und Begrenztheit der eigenen individuellen Mächtigkeit zu überwinden, ist die Selbstauflösung in den ›sterblichen‹ Gott des KollektivIchs. Denn die Menschen ängstigen sich zutiefst davor, ›Einzelne‹ zu werden; sie suchen ständig Alibis, sich hinter anderen (Menschen, Institutionen, Ideen) zu verbergen, um nicht in eine riskante Verantwortung zu geraten, in welcher auch die Gefahr der Selbst-Verfehlung steigt (vgl. T IV.206-XJ A 275). Die Angst vor der riskanten Odyssee der Ichwerdung ist nur ein Treibsatz für die geheime Lust an der Kollektivierung. Der andere ist, in der gefallenen Natur, die auf Herrschaft geradezu angelegte dynamische Struktur unserer Rationalität. Traditionell vorgegebene oder neu konstruierte geschlossene, also Totalität des Erklärungszusammenhangs suggerierende Sinngebilde verhelfen dazu, die elementare Unsicherheit der Existenz zu kaschieren. Sicherheit nämlich zieht das Ich aus der Vorstellung, einen Sachverhalt wirklich zu beherrschen. Diese Dynamik der Ratio ist nur der Umschlag eines das Denken infizierenden sinnlichen Impulses! Der Mensch »fühlt doch ständig den Drang, etwas Fertiges zu haben, aber dieser Drang ist vom Übel und man muß ihm absagen« (I.78). Im Glauben soll sich das Ich dazu durchringen, »die Ungewißheit aller Dinge unendlich zu denken« (I.79)! – Dies ist deshalb ein so aberwitziges Ansinnen, weil Kierkegaard zufolge der Verstand gar nicht anders kann, als immer erneut jegliches Phänomen, mit dem sich ein Anspruch auf Bedeutsamkeit verbindet, in ganzheitliche (Re-)Konstruktionen der sinnhaften Gesamtwirklichkeit zu integrieren. Das Denken ist sozusagen ›immer schon‹ einer utilitaristischen Verführung anheim gefallen, die ihm dazu, verhilft, sich über das Fragmentarische der Existenzverfassung hinwegzumogeln. Das Denken erliegt so dem »allerfeinsten Betrug« (I.247). Sich auf das Glaubenswagnis einzulassen, heißt darum, in einem ersten Schritt das »Mißtrauen der Unendlichkeit« gegen sich selbst zu mobilisieren! »… eben darin liegt die Leidenschaft des Göttlichen, in dem entschiedensten Haß gegen alles, was auch nur im entferntesten menschlicher Wahrscheinlichkeit und Berechnung ähnelt« (T V.230-XI1 A 268). Es gelte, gegen die quasi-natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Verstandes und seine offenen oder verdeckten zweckrationalen Konstruktionen anzudenken: »Der Glaubende hat von seinem Verstand gar keinen Nutzen« (I.217). Noch am ehesten dürfte man sich das Gottesverhältnis wie jene vertraute Szene vorstellen, in der ein Älterer, um ein Kind zu erfreuen, das kindliche Spiel wirklich mitspielt (vgl. T V. 109-X4 A 640). So gipfelt der Kierkegaardsche existentielle Ernst in letzter Hinsicht in göttlich-spielerischer Scherzhaftigkeit.

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III. 4 In der Paradox-Christologie geht es darum, die punktuelle Verschränkung von Absolutheit und kontingenter Geschichtlichkeit so zum Ausdruck zu bringen, daß alle Projektionen von Geschichtskontinuität und ›sanfter‹ Immanentisierung des Göttlichen zerbrechen müssen: Der dynamische Sinn-Bemächtigungswille wird durch diesen Block des Absurden auf sich zurückgeworfen. Kierkegaard spricht von einer Kreuzigung des Verstandes, der jedwede Realität, auch die des Sinngrundes aller Wirklichkeit, dem eigenen Deutungszugriff verfügbar zu machen trachtet. Durch das Paradox angestachelt und abgestoßen, geht dem Ich auf, daß diese Wirklichkeit nun wahrlich nicht sein eigenes Denk-Gebilde sein kann – denn solange das Ich diese abstoßende Verfremdung im Grenzgebiet des Denkens auszuhalten vermag, so lange hält es auch die paradoxal verschärfte Ungewißheit im Gottesverhältnis aus. So wird faßbar, was Kierkegaards These meint, Nonsens könne gegen den Verstand gar nicht geglaubt werden (II.280). Was ist lächerlicher, als »im Verhältnis zu etwas, was verstanden werden kann, abergläubische und schwärmerische Reden von dessen Unverständlichkeit zu hören« (II.273). ›Gegen den Verstand glauben‹ kann darum nicht heißen, mit religiös verklärter Willkür den Verstand in irgendwelche offenbarungspositivistisch verordnete Grenzen zu weisen – »just als ob das Christentum ein gefundenes Fressen für Dummköpfe wäre, weil es nicht gedacht werden kann« (II.268). Soweit die kategoriale Kraft des Verstandes reicht, ist sie auch zur Geltung zu bringen. Im leidenschaftlichen Sprung wird der Verdacht, gegen den der Verstand aus sich heraus keine Mittel hat, ausgehebelt: daß noch in der tiefsten Gottesfurcht vor dem »Ganz Anderen« das Ich einen Gott bekennt, den es selbst erdacht hat (Br 43). Der Gedanke der absoluten Differenz ist schließlich ein verstandes-immanenter. Mit »Paradox« ist also ein negativer Begriff im Grenzbereich der menschlichen Vernunft gemeint. Was die Ratio als Paradox erkennt, »ist derart zusammengesetzt, daß die Vernunft es keineswegs aus eigener Kraft in Unsinn auflösen und zeigen kann, es sei Unsinn; nein, es ist ein Zeichen, ein Rätsel« (T IV.83-X2 A 354) – eben für den Verstand. Die Reflexivität als Gegenkraft verstärkt die Innerlichkeit. Die Reflexion ist das Mittel, »dem Christentum die Sprungfeder wieder einzusetzen, und zwar so, daß es gegenhalten kann gegen die Reflexion« (T III.62-IX. A 248). Damit es überhaupt zu der »mit Reflexion bewaffneten Einfalt« des Glaubens kommt, muß die Auseinandersetzung gerade »innerhalb der schärfsten Bestimmungen der Reflexion geführt werden« (II.320). Die Leidenschaft des Glaubens reißt den Verstand mit in ihre unendliche Bewegung; sie stößt

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ihn an seine Grenze, während sie sich an eben dieser Grenze ständig regeneriert. In dieser Grenze erfährt das Ich die provozierende, die herausrufende Macht des für den Verstand Absurden. Im abstoßend-anziehenden Absurden verspricht sich die Fülle eines Sinnes, zu dem es von der Funktionalität der Selbsterhaltungsvernunft her keinen Übergang gibt Auch in den schwierigsten theoretischen Zuspitzungen unterdrückt Kierkegaard nicht seinen Sarkasmus: »Aber laß uns niemals vergessen, daß nicht jeder, der seinen Verstand nicht verloren hat, dadurch unbestreitbar beweist, daß er ihn hat« (T 1I.238-VII A 236). Ziel dieses Selbst-Transformationsprozesses ist die glückende Selbstpreisgabe, die »glückliche Selbstverlorenheit«, als Transzendenzbewegung in die reine, nämlich zweckfreie Kommunikation mit Gott. Im Sprung des Glaubens werden die endlichen Bindungen riskiert und die gepflegten Vorlieben ebenso sistiert wie die angeblich letzten Verbindlichkeiten: Was der Glaube »ewige Seligkeit« nennt, erschließt sich nur in dem gegen-utilitaristischen Vollzug. Der Weg einer leidenschaftlichen, dem Leiden also nicht ausweichenden Nachfolge ist hier – im Unterschied zu jedem anderen Gut, das man »erwerben« kann – konstitutiv (vgl. II.134-136): »… s o i s t d i e ab s olut e S c hw i e r i g ke i t d e s E r we rb s d a s e i n z i g e M e r km a l d a f ü r, d a ß m a n s i c h z u m ab s olut e n G ut ve rh ä lt« (II.135). »Im Unbedingten erlischt alle Zweckhaftigkeit. […] Nur wenn jedes ›weshalb‹ in der Nacht des Unbedingten verstummt, nur dann kann ein Mensch alles wagen; ahnt er ein ›weshalb‹, so wird er […] geschwächt« (T V.96 f.-X« A 613). Weil sich der Glaube auf diese Weise radikal der Ungewißheit ausliefert, kann er nicht mehr als frommes Tauschverhältnis entlarvt werden (vgl. II.132). Inhalt des Glaubens sind also nicht kommunikative Verhaltensmuster wie Sorge oder Trost, die nur in die Ewigkeitsperspektive verlängert werden, sondern ist die allmächtige Souveränität selbst. Der Glaube ist ein Prozeß, in dem das Ich seine endliche, von Natur aus utilitaristisch ausgerichtete Seinsstruktur mit der Erhabenheit des Unendlichen durchdringt und sich damit der Wirklichkeit Gottes einbildet. Insofern ist das Christliche nicht ein eigener Inhalt, sondern eine bestimmte Intensitätsform der individuellen Selbst-Werdung, deren Begeisterung gerade sich in jener Unbedingtheit des ethischen Einsatzes zeigt, der mit pragmatischen Gründen überhaupt nicht erklärbar wäre (vgl. T V.124 f.-X5 A 18). Das Sein-Gottes-für-mich ist mein eigenes Gottesverhältnis als Selbstverhältnis, die Freiheit Gottes also meine Freiheit in gespannter Anstrengung des Geistes. Darum kann Kierkegaard formulieren, es sei »das Gottesverhältnis, das einen Menschen zum Menschen macht« (I.237). Denn »Gott« ist ja in diesem Transformationsprozeß nichts Äußeres, »sondern die Unend-

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lichkeit selbst« oder, wie Kierkegaard auch sagt, die »unendliche Ichheit« (T IV.306-X4 A 212). Auf dem Gipfel äußerster Anstrengung, auf dem die »Ähnlichkeit mit Gott« sich zeigt (vgl. I.168), schlägt der existentielle Ernst um in den Scherz einer krampflosen Nachfolge. Weil der Mensch aber die Dichte dieses Augenblicks nicht dauerhaft bewahren kann, er also wieder in die Abständigkeit zu Gott zurücksinkt, wächst dem Humor eminente theologische Bedeutung zu.

IV. Nach dem Kierkegaard-»Durchgang«: zurück zu Jacobi Die sachlichen Affinitäten zwischen Kierkegaard und Jacobi sind zahlreicher, als Kierkegaard selbst – vielleicht aus Originalitätssucht – es wahrhaben wollte. Sie betreffen durchaus zentrale Anliegen beider Denker. Diese Gemeinsamkeiten herauszustellen, bedeutet nicht, die Differenzen zu verschleiern. IV. 1 Am Anfang steht die Tat Trifft es zu, daß Kierkegaard die personale Identität des Fürsichseins als solche, wie Jacobi sie faßt, zu isolieren versucht hat? Sehen wir genauer zu, wie Birgit Sandkaulen sich zwischen Jacobi und Kierkegaard plaziert. Die Argumentation geht wie folgt: Kierkegaard fixiere Jacobi auf den Dreiklang von Innerlichkeit – Gefühl – Begeisterung. Unterstellt wird nun, daß Kierkegaard den Fundamentalartikel der Freiheit auf das Motiv existenzieller Innerlichkeit projiziere und mit entsprechender Begeisterung versehen möchte. Nach Sandkaulen kreisen Jacobis Überlegungen »anstatt um das Motiv der Innerlichkeit weit mehr um das der Äußerung«, 8 und Kierkegaard übersehe demnach, daß es ja um das gehe, was durch das Ich ursächlich getan werde. Indem er Innerlichkeit und Begeisterung akzentuiere, bringe er »genau gesehen« »im selben Moment die Ursache um ihre W i rk u n g und folglich den Akteur des Handelns um nichts Geringeres als seine Tat«. »Es hieße also, genau das denken zu wollen, was Jacobi selbst einen ›Ungedanken‹ nennt, insofern dann eben auch die Ursache keine Ursache und der Akteur des Handelns kein Handelnder mehr wäre.« – Diese Auseinander-Setzung der beiden Denker erscheint mir etwas künstlich. Sie beruht wohl darauf, daß der Denker Kierkegaard von Sandkaulen in erster Linie als Denker der Innerlichkeit gefaßt wird und seine Ausführungen dementsprechend zugeordnet werden. 8

So Sandkaulen (FN 1), S. 195, mit Verweis auf Beilage VII.

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Nun fiele es nicht schwer, von den Texten des frühen Kierkegaard bis zu den Schriftstücken des letzten Streits Kierkegaard als einen darzustellen, der nicht im Traum daran gedacht hätte, die Entäußerungsgestalt der Innerlichkeit – wie man weiß: gegebenenfalls in geradezu explosiver Manier – zu vernachlässigen! Wenngleich ihm daran lag, daß die freiheitliche Ursächlichkeit des handelnden Ich auch nicht von den Tatfolgen aus, von außen, einer identifizierenden Bestimmung unterzogen würde! Den anderen ist das Ich insofern immer auch verborgen in seiner Freiheitlichkeit. Aber das hat Jacobi ja auch nicht übersehen: daß sich der Täter von seiner Tat allein schon durch die Realdifferenz der Zeit unterscheidet und sich dem Identifiziertwerden auch wiederum entzieht. Nein – ich denke: Kierkegard hätte begeistert zugestimmt: Am Anfang steht die Tat. Jede Wirkung ist That-Ausdruck einer persönlichen Kraft (JWA 2, 54). So möchte Jacobi die Ursache, die ja nur im Handlungskontext ihr Profil gewinnt, als »Wu r z e l a l l e r A n s c h auu n g e n u nd B e g r i f f e« ausweisen. 9 Daß aber auszugehen ist von dieser ursprünglichen Vernunft einer Selbsterschließung des Ich als des Handelnden, führt Jacobi selbstverständlich auf ein Gefühl zurück – nämlich auf das Gefühl des »Ich bin, ich handle, schaffe, bringe hervor.« (JWA 3, 110) Von hier aus kann man sich auf einen »Geist« einlassen, der »keine wissenschaftliche Behandlung verträgt, we i l e r n i c ht B u c h s t a b e werden kann« (JWA 2, 233). Das Dasein in seiner Unmittelbarkeit läßt sich nicht erklären, sondern nur »enthüllen und offenbaren«. Das je für sich eine ist immer ein »Unvergleichbares« – das Gefühl, d i e s e r e i n e u nd ke i n a nd e r e r« zu sein (JWA 3, 26). Daß Jacobi die Grunderfahrung freien Handelns, also die praktische Selbsterfahrung, einen neuen Anfang setzen zu können, zum Ausgangspunkt nimmt, um die »Vorstellung des Unbedingten«, des Anfangs überhaupt, mit der Gottesidee zu verbinden, das hätte Kierkegaards Beifall durchaus gefunden. Wohnt doch dieser personal bestimmten Selbsterfassung freien Handelns zweifellos ein existenzielles Moment inne. Schließlich betont Jacobi ausdrücklich, er habe seinen Theismus »überall nur aus dem allgegenwärtigen Facto menschlicher Intelligenz, aus dem D a s e y n von Vernunft und Freyheit«, hergeleitet (WW III, 529). Von Gott als absolut Unbedingtem zu reden, heißt danach eben: von einer absoluten ersten Handlungsursache zu reden. Dessen Faktizität ist so unstrittig, wie es für Jacobi unstrittig ein Ding der Unmöglichkeit ist, diese Erst-Ursächlichkeit spekulativ ergründen zu wollen. Gott »als ein JBW I,3.118: »Alle Begriffe der Menschen beziehen sich zuletzt auf eigene Erfahrungen, das ist – wenn ich streng philosophisch reden darf – auf eigene Handlungen«. 9

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durchaus u n ab h ä n g i g e s , supramundanes und persönliches Wesen« (JWA 1, 263) anzunehmen, folgt also aus der vernünftigen Erfassung des Prinzips allen freien Handelns. Es geht Jacobi also um »Seyn« als »Personalität«.10 In dieser Fassung des Handlungsprinzips ist mithin die absolute Differenz gerade gesetzt und in diesem absoluten Differenzbewußtsein ist dann auch die Anerkennung des fremden anderen freiheitlichen Fürsichseins, also die Anerkennung des Anderen als Anderen, eingeschlossen.11 Kierkegaard hätte deswegen auch mit Emphase die Überzeugung mit-ausgesprochen, daß wir »das Unbedingte nicht erst zu suchen« haben, sondern »von seinem Daseyn dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit« haben als »von unserem eigenen b e d i n g t e n Daseyn« (JWA 1, 260).

IV. 2 Lauheit versus Leidenschaft Jacobi hat – angeblich – keine Schwierigkeiten, sich »auf Fichtens Standpunkt [zu] versetzen« (JWA 2, 200) – nur: seine ganze Leidenschaft gilt dem Anderen der Vernunft. Er konfrontiert die Endlichkeit aller Wissenschaft, ihr Sich-Selbst-Beschränken im Allgemeinen, mit der konstitutiven Beschränktheit, in der das Ich sich als einer unbegreiflichen, weil nicht rekonstruierbaren Beschränkung vorfindet (JWA 2, 202; GA III/3, 234). Das Andere der Vernunft evoziert die existentielle Leidenschaft. Und – so könnte man folgern – wo einer mit Leidenschaft den Standpunkt der Wissenschaftslehre vertritt, da speist sich mit Sicherheit dieser logische Enthusiasmus nicht aus der Wissenschaftslehre und ihren Erkenntnissen selbst. Die Wissenschaftslehre für sich betrachtet gleiche eher einem Spiel mit leeren Zahlen (JWA 2, 207; GA III/3, 238). Wenn sich Vernunfterkenntnis mit Schwärmerei verbindet, ist das nach Jacobi irgendwie deplaziert (JWA 2, 208; GA III/3.239). Der wiederholt betonte Faktor »Leidenschaft« läßt es wohl nachvollziehbar erscheinen, daß Kierkegaard auch im Kampf gegen die Lauheit und Mittelmäßigkeit in Jacobi einen Bundesgenossen hätte sehen können, wenngleich auch hier wieder gilt, daß Jacobi die Dinge nicht so zugespitzt hat wie Kierkegaard. Immerhin lesen wir bei Jacobi, »daß es um den zu weitgetriebenen Tolerantismus, der allemahl eine z u a l l g e m e i n e Sympathie voraussetzt, eine sehr gefährliche Sache sey, indem dadurch alle Triebfedern der Seele losgerollt, u[nd] zu tanzenden Schnirkeln würden« (JBW I,1, 191). Sandkaulen (FN 1), S. 259, Fn 79. Sandkaulen (FN 1), S. 258, verweist darauf, daß eben wegen dieser Personaldifferenz bei Jacobi schließlich das Verzeihen an die Stelle von »Versöhnung« trete. 10 11

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Bedenkenswert ist auch diese Zuspitzung, gerichtet gegen einen relativistischen, an nichts wirklich leidenschaftlich Interesse nehmenden Tolerantismus: »Wer … jedem seiner Mitmenschen, wie sich selbst – d i e B e f u g n i ß d e r I ntol e r a n z zugesteht – der allein ist wa h rh a f t tolerant; und auf eine andere Weise s ol l es niemand seyn; denn eine wirkliche Gleichgültigkeit in Absicht aller Meinungen, da sie nur aus einem durchgängigen Unglauben entspringen kann, ist die schrecklichste Entartung menschlicher Natur.« (JWA 3, 60) IV. Der Vorrang der Wahrhaftigkeit Die Nähe Kierkegaards zu Jacobi wird noch deutlicher wahrnehmbar, wenn man Jacobis starke Behauptung bedenkt, daß man sich auch zu Begriffen und Theoriekonstrukten in der Praxis so verhalten kann, daß diese sich als Ideologien, als Postulate falschen Bewußtseins herausstellen (JWA 2, 221 f.; GA III,3.252). Die Welt der durch die Dynamik der Einbildungskraft hinausgesetzten endlichen Produktionen des Absoluten fällt mithin unter die Kategorie ›selbstgemachte Götter‹. Kurz gesagt: man kann mit ›angemessenen‹ Begriffen ein unwahrhaftiges Leben führen und mit einer Fixierung auf unwahre Symbole/Begriffe oder Theorien ein authentisches! Dem entspricht genau Kierkegaards berühmtes Diktum über die Einstellung zur Wahrheit: »wenn nur das Wie dieses Verhältnisses in Wahrheit ist, so ist das Individuum in der Wahrheit, selbst wenn es sich so zur Unwahrheit verhielte.« (I.190) »Der eine betet in Wahrheit zu Gott, obgleich er einen Götzen anbetet; der andere betet in Unwahrheit zu dem wahren Gott und betet daher in Wahrheit einen Götzen an.« (I.192) Die analoge Schlußfolgerung Jacobis gegenüber Fichte lautete: »Nicht der G ö t z e macht den Götzen- D i e n e r ; nicht der wa h r e Gott den wa h r e n A nb e t e r« (JWA 2, 238). Jacobi bringt diesen Gedanken auf eine weitere Formel: »Wie der Mensch ist so liebt er, und wie er liebt so ist er« (ebd.). Hatte Fichte den metawissenschaftlichen Entscheidungsrahmen für oder gegen sein System mit ›Erniedrigung‹ oder ›Erhebung‹ angezeigt, so setzt Jacobi dem die Alternative »Liebe oder Hochmut« entgegen (JWA 2, 213). – Kierkegaard hat das später so gefaßt: »Leidenschaft ist … das Höchste der Subjektivität.« (I.190) Irrtümer bezüglich der Zeichen/Symbole können mithin die Integrität der Person gar nicht tangieren. – Auf dieser Ebene der verständnisvollen Einsicht stellt sich humane Kommunikation mithin nicht zuletzt dadurch ein, daß die Beteiligten sich finden im Geist einer gewissen Nachsichtigkeit, gepaart mit Humor: »und entschuldigen sie mich, wie ich sie entschuldige« (JWA 2, 224).

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IV. 4 Der salto mortale Der salto mortale Jacobis hat viele Mißverständnisse provoziert. Die einen redeten vom Sprung ins Bodenlose der Barmherzigkeit Gottes, die anderen sahen darin nichts als einen Sturz in den Abgrund usw. usw. Da ist es wohl angebracht, darauf zu beharren, daß es schließlich darum geht, von einem Ort A zu einem Ort B zu springen und dort auch wieder sicher zu landen. Und natürlich ist der Kopfüber-Sprung auch nicht »Selbstzweck«: als käme es darauf an, dann wieder auf der selben Stelle zu landen, von der aus man gesprungen ist. Gegenüber solchen Klarstellungen12 würde Kierkegaard nur darauf beharren, daß ein solcher Sprung sich dadurch von einem bloßen Hopser unterscheidet, daß man selbstverständlich im Vollzug dieses Sprungs Gefahr läuft abzustürzen! Seine ganze Aufmerksamkeit als Regisseur des Sprunges würde er darauf legen, dem Sprungbereiten klarzumachen, wie gefährlich es ist, sich auf diesen Sprung einzulassen, weil tatsächlich der Fall ins Bodenlose droht – oder aber eine extrem lächerliche Bauchlandung. Und er würde nicht zögern, den, der nur halbherzig zum Sprunge antreten möchte, mit starken Worten vor dem Wagnis zu warnen und ihm zu raten, lieber zu bleiben, wo er ist und die elastische Absprungstelle gar nicht erst zu betreten! An Jacobi selbst aber würde er vielleicht die Frage richten, warum der Sprung über den Abgrund – ohnehin extrem gefährlich – auch noch mit einem Umschwung in der Luft verbunden sein müsse … Man könnte folgendes vermuten: Die spekulative ebenso wie die szientifische Expansion der Verstandeskategorien, ihre grenzenlose und deshalb unbillige Anwendung auf alle Fragestellungen, wie sie etwa in der Vermischung von freiheitlichen Handlungsperspektiven mit Begründungsfragen zum Ausdruck kommt, muß im Kopf gelockert werden! Durch die gewaltsame Prozedur des »Kopfunten« werden die verfestigten Denkraster durcheinandergewirbelt und nach der Landung am anderen Ufer kann dann sozusagen die Neustrukturierung in Angriff genommen werden … Zum Beispiel kann dem Subjekt dann ›aufgehen‹, daß eine Argumentation, die unwiderleglich anmutet, nicht deswegen schon unwidersprochen bleiben muß (JWA 1, 290). So könnte man auch sagen, der Sprung ist der Vollzug dieses Widerspruchs, inspiriert von ›unphilosophischem‹ Eigensinn! Und mit seinem salto mortale ging Jacobi natürlich nicht darauf aus, seine eigene Philosophie der Öffentlichkeit gegenüber und der scientific community gegenüber zu begründen, sondern er legte es darauf an, »seinen unphilosophischen Eigensinn, der Welt, tollkühn, vor Augen zu legen« (JWA 2, 214). 12

Vgl. Sandkaulen (FN 1), S. 23 f.

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Auch dies scheint mir in kierkegaardianischer Perspektive beachtenswert: Das Absprungfeld ist nicht allein und ausschließlich charakterisiert durch das intellektuelle Gebilde der Allein-Philosophie, sondern durch die lebensweltliche Verdichtung in einem »Gesammtgeiste des Jahrhunderts« (JWA 1, 352)! Wer weiß, ob ohne diese Verdichtung in einem Gesamtgeist qua Zeitgeist sich Jacobi veranlaßt gesehen hätte, in gewisser Weise Kierkegaard-analog öffentlicher Schriftsteller zu werden anstelle eines akademischwissenschaftlichen Philosophen. Kierkegaard hätte mithin wohl kritisch angefragt, wie weit der Sprung selbst als ein Demonstrationsmittel aufzufassen ist und wie weit als ein existenzieller ungesicherter Vorgang. Der Springende sollte, bevor er abspringt, nicht dessen gewiß sein, daß er jenseits wieder fest und gesund auf die Füße zu stehen kommen wird. Kierkegaard, der Jacobi als »Erfinder des Sprungs« gepriesen hatte, scheint insofern über Jacobi hinausgegangen zu sein, als es ihm darum ging, »das, was Skandalon ist, in seiner ›Unvermeidlichkeit‹ auch möglichst skandalös auszuführen«! 13

IV. 5 Paradox oder kein Paradox? Nebeneinander von Allein-Philosophie und Unphilosophie? Daß man sich einfach auf den Boden der Unphilosophie stellen oder auf ihm beharren könnte – diese Position hielt Kierkegaard für nicht mehr lebbar, weil auch die Korruption der Religion im Grunde bis an die Wurzeln geht und sich deshalb ›heile Welt‹ nicht mehr spielen läßt. Wer also ein authentisches Leben im Glauben zu führen gedenkt, der muß springen. Aber – auch wenn es bei Jacobi zuweilen etwas anders klingt – ich vermute, daß es sich bei Jacobi doch nicht so viel anders verhält; es könnte doch stimmen, daß auch er »den Ressourcen des nicht-philosophischen Bewußtseins nicht mehr unmittelbar vertraut« hat. Der Dialog mit Hamann, der bezweifelt hatte, ob es denn wirklich der »Grübeley« bedürfte, ist dafür wohl aufschlußreich. Und bekanntlich hatte auch Herder eingewandt: »Wenn man keinen salto mortale zu thun nöthig hat; warum braucht man ihn zu thun? u[nd] gewiß, wir dörfens nicht: denn wir sind in der Schöpfung auf ebnem Boden.« (JBW I,3.280) 14 Einer Kierkegaard-Perspektive entspricht es jedenfalls, »Allein-Philoso-

So formuliert es Sandkaulen (FN 1), S. 22 – wie ich denke – zutreffend. Daß Jacobi bei seinem Springen überhaupt nicht von der Stelle kommt, hatte ihm auch Schelling vorgehalten. 13 14

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phie« und »Unphilosophie« nicht als parataktisch nebeneinandergestellt aufzufassen, sondern als »durch den höchsten Grad der Antipathie miteinander in Berührung« kommend, und zwar so, daß sie sich »im Moment der Berührung … gewissermaßen durchdringen«. – Jacobi hat offensichtlich Umschreibungen vorgenommen, die das Konzept des Paradoxes zumindest streifen. »Wer vermag von einem freyen Thun oder Denken sich nur die dunkelste Vorstellung zu machen; von einem Begriff, den nicht ein G e g e n s t a nd bestimmte; von einem Begriff der vor ihm wäre; von einem Begriffe vor dem Begriffe – von einem willkürlichen Denken, Handeln u Seyn.« (JBW I,3.13.)

IV. 6 Vernunftkritik: »Hat der Mensch Vernunft, oder hat Vernunft den Menschen?»15 Kierkegaard hat immer wieder die radikal-konsequente Reflexion als die unerläßliche »Sprungfeder« des Glaubens bezeichnet, weil er befürchtete, daß sonst jeder abergläubische Nonsens dem Ach-so-Glaubensbereiten angesonnen würde. Und wie bei Kierkegaard ist die reflexive Durchdringung des immanenten Vermittlungszusammenhangs, wie ihn das spekulative Wissen rekonstruiert, auch bei Jacobi als die entscheidende »Springfeder« freigelegt (JWA 1, 219). An anderer Stelle wird die »geistlose Nothwendigkeit« als »Schwungfeder, welche mich hebt«, charakterisiert (JWA 1, 348). Aber natürlich bedarf es »eines festen und kräftigen Auftretens« auf jene elastische Absprungsstelle. Man muß das Terrain des Absprungs so genau zu beschreiben versuchen, weil – so Sandkaulen16 – »der Sprung seinen spezifischen Sinn allein im Akt eines A b s p r u n g s gewinnt, um sich folglich u n m it t e lb a r g e g e n das abzustoßen, von wo au s er unternommen wird. «

IV. 7 Konstruktion – Verblendung der Ratio Die Ratio – sprich: die systematische Verstandesreflexion – zögert nicht, das Absolute und Notwendige in Möglichkeit zu übersetzen, denn das ist die Voraussetzung dafür, daß es sich konstruieren läßt (JWA 1, 260 f.). In Kierkegaardianischer Perspektive ist Jacobis Gedanke einer Verblendung der Ratio natürlich besonders hervorzuheben. Dieser Gedanke taucht ja 15 16

JWA 2, 232. Sandkaulen (FN 1), S. 54.

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schon im Gespräch mit Lessing auf. Die szientifische Dynamik, »alles schlechterdings erklären, nach deutlichen Begriffen mit einander reimen« zu wollen (JWA 128 f.), führt unweigerlich diese Blendung – darf man mit Adorno auch sagen: diesen Bann? – herauf. »… wer in gewisse Erklärungen sich einmal verliebt hat, der nimmt jede Folge blindlings an, die nach einem Schlusse, den er nicht entkräften kann, daraus gezogen wird, und wär’ es, daß er auf dem Kopfe gienge.« (JWA 1, 29) So entsteht nach Jacobi »ein gewisser Schein in der Seele, der sie mehr verblendet als erleuchtet« (JWA 1, 30). Bildhaft gesprochen: Ehe es zum Sprung kommt, ist eine Rotation fällig – vom Gang auf dem Kopf wieder auf die Füße zu geraten … Gegen die rationale Verblendung lautet die Aufgabe: »Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren« (JWA 1, 29). Keine Frage: Jacobi spricht hier immer noch so, als sei diese Verblendung gleichsam okkasionell, höchstens ein Trend; sollte man aber nicht fragen dürfen, ob dieser Bann womöglich – inzwischen – konstitutionell für die Lage des Vernunftwesens Mensch in der Moderne geworden ist? Der »Radikalinski« Kierkegaard, ebenso wie der »Radikalinski« Adorno, mit ihrer verschärfenden Optik würden natürlich Letzteres behaupten – und damit die Frage nach den Perspektiven eines Aufbrechens dieses Bannes nachdrücklich erschweren. Die Frage scheint sich damit zuzuspitzen, »ob man es hier mit einer natürlichen oder künstlichen Verblendung zu tun hat«: »Aber wie kommt überhaupt die Vernunft dazu, daß sie etwas Unmögliches, das ist, etwas unvernünftiges unternimmt. Ist es die Schuld der Vernunft, oder ist es nur die Schuld des Menschen? Ist die Vernunft mit sich selbst im Mißverstande, oder sind wir nur in einem Mißverstande in Absicht der Vernunft?« (JWA 1, 259) Kant hatte bekanntlich die Vorstellung, hier gerate irgendeine Schuld des Menschen ins Spiel, in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft zurückgewiesen (A VIIff.). Jacobi setzt der Vernunft als Werkzeug des Menschen (JWA 1, 259) eine geistige umfassende Vernunft gegenüber, die auch alle Rekonstruktionsbemühungen des Verstandes überragt, eben als unbedingte Vernünftigkeit. Indiz dieser Unbedingtheit ist das unmittelbar präsente »Bewußtseyn unserer eigenen Causalität« (JWA 1, 263). Wie aber hängt diese Vernunftdimension mit dem zusammen, was »Glaube« heißt? »Das Element aller menschlichen Erkenntniß und Würksamkeit, ist Glaube.« (JWA 1, 125) Was Jacobi hier artikuliert, führt auf die Logik des Findens und damit auf die Logik der Gabe zurück. Insgesamt also: Mit der »Unphilosophie« stoßen wir auf jene unmittelbare Gewißheit, »welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt« (JWA 1, 115). »Überzeugung aus Gründen« erscheint Jacobi demgegenüber als eine »Gewißheit aus zweiter Hand«.

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»Alle meine Überzeugungen ruhen auf der e i n e n von der Freiheit des Menschen« (WW V, 231). Von dieser Grundüberzeugung aus entwickelt Jacobi seine Vernunftkritik. »Von Vernunft ist die Wurzel, Ve r n e h m e n .« (JWA 2, 201) Vernehmen aber »sezt ein Vernehmbares; Vernunft das Wa h r e zum voraus: sie ist das Vermögen der Voraussetzung des Wahren.« (JWA 2, 208). Vernunft ist demnach das »Organ der Vernehmung des Uebersinnlichen« (JWA 2, 377). Vernehmen also statt Konstruktion. Finden versus Erklären und Konstruieren.

IV. 8 Das Motiv der Lüge Das Motiv der Lüge wird bei der Klärung des Konzepts einer vernehmenden Vernunft in den Göttlichen Dingen als Verdeutlichungshilfe herangezogen. Schließlich will ja die Vernunft nicht eine Lügnerin von Anfang an sein. »Ist die Vernunft aber keine Lügnerin, so hat sie den Begriff des Absoluten nicht aus sich, sondern sie selbst w i rd erst aus ihm und durch ihn; er ist ihr g e g eb e n , und sie ist sich selbst gegeben mit ihm. Wie sie der Realität dieses Begriffes unbedingt vertraut, so vertrauet sie sich selbst.« (JWA 3, 125) Wenn also der konstruierende Verstand nur den Zusammenhang des Bedingten und von sich aus schon Vermittelten auf den Begriff bringen kann, so folgt, daß die Vernunft, die sich nach dem Unbedingten ausstreckt, sich darüber im Klaren ist, daß alles, was außerhalb der Sphäre unserer deutlichen Erkenntnis liegt, »durch Begriffe nicht verstanden werden kann: so kann das Uebernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist; nehmlich, a l s T h at s ac h e – e s i s t!« (JWA 1, 261) Nicht nur eröffnet sich hier die fundamentale Differenz zwischen dem Natürlichen / Bedingten und dem Übernatürlichen / Absoluten, sondern die vernehmende Vernunft ist sich auch der absoluten Differenz zwischen dem Vernehmen und dem Vernehmbaren bewußt! Würde letztere Differenz zugunsten irgendeiner Unmittelbarkeitseuphorie gleichsam übersehen, müßte man dem Vernehmen ja im Grunde nachsagen, daß es nur sich selbst vernimmt (JWA 2, 201). Wenn also Jacobi aus solchem Grundansatz folgern muß, das Sein des Werdens oder der Zeitlichkeit bleibe dem menschlichen Verstande so unbegreiflich, »als das We rd e n d e s We rd e n s , oder das E nt s t e h e n einer Zeitlichkeit«, 17 so artikuliert er auch hier bereits Einsichten, die später Kierkegaard wieder aufgreifen wird.

17

JWA 3, 106. – Sandkaulen (FN 1), S. 88, faßt es so zusammen: »Weder ist der

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IV. 9 Negative Dialektik und die Konstellation von Versprechen-Verzeihen Einem Programm negativer Dialektik gemäß – ob wir an Kierkegaard oder an Adorno denken, tut momentan nichts zur Sache – stellt Jacobi die Herrschaft des Identitätsprinzips in der Metaphysik wie in der Moral in Frage: »der nothwendige Trieb der Uebereinstimmung mit uns selbst, das G e s e t z d e r I d e nt it ät« (JWA 2, 214), ist für ihn beileibe nicht das Höchste. Wer, wie Jacobi, den Sinn für das Andere der Vernunft kultivieren will, wird ganz konsequent auch die starre, in den Gehorsam nötigende Regelhaftigkeit eines Denkens in Frage stellen, das für die Ausnahme von der Regel kein Organ hat (JWA 2, 212). Das Absolute, das in diesem Denken umkreist wird, ist das Nicht-Identische. Folge: der berühmte Salto mortale ›unphilosophischen Eigensinns‹ an der Grenze des philosophisch-strengen Diskurses (JWA 2, 214). An dieser Grenze verweisen ›Bilder, Töne, Zeichen‹ auf jenes X, das sich dem Gestus des Schon-Immer-Erschlossenseins entzieht (JWA 2, 219). Der humane Sinn dieses Entzuges spiegelt sich in der These, der Mensch, dessen Dasein in Gott, als einem schlechthin Unergründlichen, gründet, sei eben deshalb sich selbst unergründlich. An dieser Stelle legt es die Kierkegaard-Optik nahe, auf die Konstellation Versprechen/Verzeihen einzugehen. Von unserem eigenen Dasein haben wir keinen ›angemessenen‹ Begriff, wenngleich wir uns gefühlsmäßig als ein Bestimmtes gegeben sind (JWA 2, 230; Fichte, GA III/3, 257). Wer in letzter Hinsicht darauf dringt, nur deutliche Begriffe dürften verwandt werden, verfängt sich im Bann instrumenteller Vernunft. Die auf das Identitätsprinzip verpflichtete Metaphysik der Eindeutigkeit und Deutlichkeit muß unweigerlich »das Wunder und Geheimniß des Vernünftigen Daseyns selbst, oder des Selbstseyns endlicher Wesen« verfehlen (JWA 2, 233). Daß an einem noch dunklen Sprachspiel etwas ›dran‹ ist, bezeugt sich allein im Handeln, in einer entsprechenden Lebensform (JWA 2, 235; vgl. Fichte GA III/3, 260). (Erkennbar rücke ich Jacobi

Sprung an den Ort der ›Unphilosophie‹ als ein Sprung aus der Vernunft in den Glauben noch auch als ein Sprung aus dem Verstand in die Vernunft zu begreifen. Der entscheidende Gewinn des ›Übersetzens aus dem Verstandesgleise‹ besteht vielmehr im Gegenteil darin, gerade am Ort der ›Unphilosophie‹ beides, sowohl die Vernunft als auch den Verstand, sowohl das ›Übernatürliche‹ als auch das ›Natürliche‹ explizit zur Geltung bringen und im selben Moment auch ins Verhältnis zueinander rücken zu können.« – Damit soll vor allem die These von einer Art schwärmerischer Abqualifizierung des Verstandes, der Verstandesreflexion, zurückgewiesen werden.

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damit nicht nur in die Nähe Kierkegaards, sondern auch Wittgensteins. Aber die beiden gehören ja ohnehin zusammen.) Jacobi relativiert mithin den Anspruch des Denkers, ganz und gar mit seinem System identisch zu sein, dadurch, daß er genau diesen Anspruch aus Gründen der Humanität nicht ganz ernst nimmt, indem er eben – in Konsequenz seiner Kritik des Identitätsprinzips – den Denker nicht vollständig mit der Artikulation seines philosophischen Entwurfs identifiziert: Er löst den performativen Vorgang einer leidenschaftlichen ernsthaften Motivik vom System selbst ab, indem er dem Systemdenker höchste »sittliche Veredlung« nicht nur konzediert, sondern rühmend nachsagt und ihm zuspricht, selbstverständlich auf dem Weg zu einem »würdigen Begriff des höchsten Wesens« zu sein (JWA 2, 219) – denn, System hin oder her: »Es gibt keinen andren Weg« als diese Selbst-Transformation im Modus praktischer Ernsthaftigkeit der Lebensführung – und die sei auch einem Denker wie Fichte nicht abzusprechen. In diesem praktischen Vollzug ereignet sich die Inkarnation, wird »Gott im Menschen selbst geboren« (ebd.). Auf die Einstellung, auf den Habitus kommt es an; die Priorität der Praxis – was es mit Weisheit, Gerechtigkeit, Wohlwollen, Liebe-in-Freiheit auf sich hat – erschließt sich nur im selbst-haften Handeln; wir erwerben eine Vorstellung von diesen Kräften »nur im Gebrauch« (ebd.). Das gibt Jacobi die Möglichkeit, einem System-Denker innere lebendige Realität zuzusprechen unabhängig von den Theorie-Konstrukten mit Allgemeingültigkeitsanspruch.18 Das nicht-identische Dasein, die unverwechselbare individuelle Verschiedenheit der Existenz, ist auf Vernunft, »da sie in allen Menschen E i n e u nd d i e s e lb e ist«, gar nicht zurückzuführen (JWA 2, 253). Was die Kommunikation prägt, was zum Beispiel im gemeinsamen Handeln jemanden zu so etwas wie Vertrauensvorschuß veranlaßt, ist die unterschwellige Geistesgegenwart: »Ich verlaße mich auf eine geheime Kraft in ihm, welche stärker ist als der Tod.« Die in diesem Vertrauen artikulierte Zukunftsorientiertheit ist – eben wiederum wegen des Gedankens anfänglicher Freiheit – als Zukunftsoffen-

JWA 2, 222; Fichte GA III/3, 252 f. – Jacobis emphatische Anerkennung, der Fichte »den wahren Messias der spekulativen Vernunft« nennt (JWA 2, 196), ist in ihrer Mehrdeutigkeit von W. Jaeschke in dem Buch »Fichtes Entlassung« gründlich beleuchtet worden (wobei es mir übrigens schwer fällt, Jaeschkes These beizupflichten, hinter dem Hosianna auf den Messias lauere im Text das »kreuziget ihn«). Vgl. W. Jaeschke, Der Messias der spekulativen Vernunft, in: K.-M. Kodalle und M. Ohst (Hrsg.), Fichtes Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie Bd. 4), Würzburg 1999, 143–157. 18

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heit zu begreifen. Jacobi verdeutlicht die personale Differenz zwischen Ich und Anderem sowie die sittlich gestaltete Koexistenz von Ich und Anderem exemplarisch am Versprechen. Das macht natürlich deswegen Sinn, weil hier gar nicht mehr zu unterstellen ist, es ginge um die Koexistenz reiner Vernunftsubjekte, deren Handlungskoordinierung ja geradezu berechenbar wäre. Hingegen: »Wenn ich auf das Wort eines n a m e nt l i c h e n Mannes fuße, so bringe ich dabey seine reine Vernunft nicht mehr, als die Bewegung seiner Lippen und den Schall aus seinem Munde in Anschlag. Ich traue dem Worte um des Mannes, und dem Manne um s e i n S e lb s t w i l l e n . Was in ihm mich gewiß macht, ist seine Sinnesart, sein Geschmack, sein Gemüth und Charakter. Ich gründe meinen Bund mit ihm auf dem Bund, den er m it s i c h s e lb s t hat, wodurch er ist der er seyn wird.« (WW I, 237) An dieser Koexistenz der Nichtidentität vernunftbegabter Subjekte scheitert die Applikation universaler Vernunftregeln. Was wir freilich mit besonderer Aufmerksamkeit an diesem Beispiel verfolgen müßten, das ist die Möglichkeit der wirklichen Unberechenbarkeit, die sich auch als Unzuverlässigkeit manifestieren kann. Jacobi legt ja so viel Gewicht auf den Sachverhalt, daß »der Mensch Wor t h a lt e n kann« (JWA 1, 166). Daß ich mich im Vertrauen an das Wort des Anderen halte, ja mich an sein Wort binde, geschieht ja im vollen Bewußtsein, daß der Andere Wort halten wird oder zumindest bemüht ist, dies zu tun. Zur Freiheit gehört, daß natürlich nichts im platten Sinne garantiert ist. Also beruht alles hier auf Vertrauen – bis hin zu den spezifischen Modalitäten der Einlösung eines gegebenen Versprechens. Man kann nur festhalten: Das Versprechen als »Manifestation der causa finalis« sei gerade durch die Form einer ihm eigentümlichen Verbindlichkeit ausgezeichnet – eben durch »ein Wort, das man gibt, um es zu halten«.19 Dem Charakter des Versprechens ist es eben eigentümlich, an konkrete Personen, an namentliche Personen »in je konkreten Konstellationen und Handlungssituationen«, gebunden zu sein, »denen die Verläßlichkeit des Wortes im selben Moment eine Orientierung abgewinnt«. Birgit Sandkaulen, deren Formulierung ich hier aufgegriffen habe, streicht besonders den »spezifischen Zusammenhang von Fr e i h e it u nd Z e it heraus, der den ›wirklichen Anfang‹ des Versprechens eo ipso charakterisiert«. 20 Will sagen: Die Subjekte wissen um die Bedingungen zeitlichen Geschehens, der inkludierten Unsicherheiten und Unberechenbarkeiten, und sichern sich dennoch die Orientierung einer persönlich verantworteten Verbindlichkeit zu, indem sie das bloß Kontingente des faktischen Zeitverlaufs überschreiten. 19 20

Sandkaulen (FN 1), S. 216. Ebd., S. 217.

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Nun ist es gar nicht erforderlich, irgendeinen genius malignus zu beschwören, ein Täuschersubjekt, welches Versprechen gibt ohne die Absicht, sie auch zu halten und einzulösen. Wir können uns darauf einlassen, daß jeder, der einen Bund des Versprechens zusagt, auch im Bund mit sich selbst bleiben will. Sandkaulen 21 hebt hervor, daß die Unbedingtheit, die sich »in der zeitbezüglichen und zugleich zeitübergreifenden Verbindlichkeit des Versprechens« äußert, eine Unbedingtheit sei, »die sich auch dann geltend macht, wenn man ihr nicht oder nur lässig folgt«. – Hier indessen halte ich inne: Wie ist die Unbedingtheit denn zu fassen, sofern einer dann schließlich doch diese Verbindlichkeit nicht oder nur lässig in die Tat umsetzt. Kann man die Korrelation von Unbedingtheit und Versprechen so aufrechterhalten, ohne auf die Negativität des möglichen Vertrauensbruches und auch auf die Antizipation eines möglichen Vertrauensbruches gründlich einzugehen? Womöglich haben wir bei Jacobi einen unterschwelligen Optimismus zu konstatieren, der ihn trotz aller Erosion traditioneller Sittlichkeit sagen läßt: »Ich sehe die nothwendige Entwickelung einer neuen Epoche der Menschheit. Gesetzmäßige Kinder der Zeit stehen in der Geburt, drängen sich zur Geburt, dem Scheine nach, in sehr verkehrten Lagen.« (WW I, 270) Wie ist ohne eine solche Hoffnungsperspektive der »Othem Gottes« unter kommunikativen Verhältnissen fehlbarer Freiheitssubjekte zu vernehmen? Reicht es aus, nur festzuhalten, die Praxis des Versprechens sei »an die zukünftige Offenheit konkreter Handlungsumstände verwiesen«? 22 – Man ahnt vermutlich schon, worauf ich hinaus will: Das Verzeihen, von dem Birgit Sandkaulen an einer ganz anderen Stelle und nur in einer Fußnote spricht, 23 müßte – wenn man die abgründige Nichtidentität der im Versprechen einen Bund schließenden Subjekte radikal bedenkt – gleich-ursprünglich mit dem Versprechen genannt werden. Handelt es sich im verschuldeten und verschuldungsanfälligen Dasein doch um ein Vermögen, das – womöglich noch komplexer als das Versprechen – die schwierige Freiheitsherausforderung des Neuanfangs zu bedenken aufgibt. 24 Hannah Arendt hat bekanntlich genau in diesem Kontext des Nachdenkens über die Logik des Versprechens ausdrücklich darauf bestanden, daß

Ebd., S. 219. Ebd., S. 221. 23 Ebd., S. 258 FN 78. 24 Sandkaulen verweist ebd. 216 FN 98 ausdrücklich auf Hannah Arendt, die (in Vita Activa) nicht nur selbst eindringlich über das Versprechen nachgedacht hat, sondern die behauptete, erst Nietzsche habe auf die Bedeutung des Versprechens hingewiesen. Das sei mit Blick auf Jacobi natürlich zu korrigieren. 21

22

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es ein verhängnisvolles Defizit der neuzeitlichen Philosophie- und Politikgeschichte ist, das komplexe Phänomen der Verzeihung vernachlässigt zu haben, wo es doch lebenspraktisch gleichen Ranges mit dem Versprechen sei. Ich habe den Verdacht, Jacobi sei – trotz des Woldemar – diese Blindheit auch nachzusagen. Ich betone dies hier so nachdrücklich, weil das zum Bezugsfeld »Kierkegaard« hinzugehört, denn von allen Denkern des 19.Jahrhunderts hat keiner so eindringlich und differenziert-nuanciert das Verzeihen als kommunikativen Vorgang durchsichtig zu machen versucht wie dieser dänische Schriftsteller. 25

V. Rückblick und Schluß Jacobi hat alle Anstrengung darauf gerichtet, der systemlogischen Rationalität, die auch das freiheitlich motivierte Handeln und dessen eigene ›Logik‹ zu integrieren und zu absorbieren sucht, entgegenzutreten und den Eigensinn der freiheitlich handelnden Subjektivität herauszuarbeiten. Kierkegaard hätte keinen Grund, dieses Unternehmen zu kritisieren. Freilich sah er die Gefahr für die Freiheit an ganz anderer Stelle. Zwar stellte er sich gegen das Hegelsche System, so wie Jacobi gegen das Spinoza-Fichtesche Stellung bezogen hatte, aber – so scheint es mir jedenfalls – für ihn hatte sich diese Systemlogik zu einem lebensweltlichen Bann verdichtet. Die Emanzipation der Bourgeoisie hatte in seiner Wahrnehmung zu einer Lebensform geführt, die schleichend alle individuelle Eigenständigkeit zu untergraben drohte. Seine Sicht dieser Lebenswelt könnte man am besten charakterisieren mit all jenen Attributen, die Heidegger in Sein und Zeit dem »Man« beilegt, der Verfallsgestalt des Daseins, in der wir uns nach Heidegger immer schon vorfinden und der gegenüber Heidegger seine Vision der »Eigentlichkeit« profiliert. (Das ›Man‹ Heideggers heißt bei Kierkegaard »Nivellierung«.) In dieses ›Man‹ ist für Kierkegaard auch das etablierte Christentum als bloße Apologie eines mediokren durchschnittlichen Existierens voll integriert. Da ich das andernorts dargelegt habe, verzichte ich hier darauf, dies näher auszuführen: K.-M. Kodalle, Diesseits der Logik des Moralismus: Vom ›Geist‹ der Verzeihung bei Kierkegaard, Nietzsche-Scheler, Dostojewski und Camus, in: Kierkegaard Revisited (Kierkegaard Studies – Monograph Series 1), Berlin / New York 1997, S. 387– 409, sowie in: MUT. Forum für Kultur, Politik und Geschichte, Nr. 306 (Februar 1998), S. 76–95.); Gabe und Vergebung. Kierkegaards Theorie des verzeihenden Blicks, in: Subjektiver Geist. Reflexion und Erfahrung im Glauben (Festschrift Traugott Koch), hg. von Klaus-M. Kodalle und Anne Steinmeier, Würzburg 2002, S. 71–86. 25

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Kierkegaard sah keine andere Möglichkeit, diesen Bann aufzusprengen, als eine Verschärfung der christlichen Herausforderung. Dem diente seine Paradox-Theologie und die exemplarische Attacke im letzten Streit, in dem er alle Maskeraden abwarf und ein Exempel statuierte. Anders als Jacobi hat Kierkegaard, der ja eine persona publica im Städtchen Kopenhagen war, seine ganze Personalität – in ihren jeweils gesplitteten Facetten der unterschiedlichen Pseudonyme – eingesetzt, um anstößig zu sein und Anstoß zu geben und in dieser Anstößigkeit alles daran zu setzen, keinem eine Chance zur Nachahmung zu lassen. Wenn ich die Zuspitzung, die Exaltiertheit des letzten Streits mit seinem abschließenden Zusammenbruch auf der Straße, also in der Öffentlichkeit, bedenke – bis hin zur Unversöhnlichkeitsgeste der Ablehnung, auf dem Sterbebett das Abendmahl aus den Händen eines Kirchenvertreters mit staatlicher Besoldung zu empfangen, komme ich nicht umhin, in dem Springer Kierkegaard den lebenspraktischen Vollzieher eines Salto mortale zu sehen.

Nachhegelsche Rekurse auf Jacobi. Feuerbachs anthropologische Aufhebung der Jacobischen Gefühlsphilosophie von Christine Weckwerth

Jacobi, der Initiator des Spinozastreits, und der Vormärzdenker Feuerbach bilden zwei Eckpunkte in der philosophischen Entwicklung; sie stehen am Beginn und am Ende der idealistischen Rationalitätstheorie des Subjekts, wie sie sich von Kant bis Hegel herausgebildet hat. Trat der Frühere als ein Vorwarner oder auch unfreiwilliger Prophet 1 dieser Entwicklung auf, zielt der Spätere auf einen generellen Bruch mit der idealistischen Metaphysik und Theologie, um die Theorie des die Welt strukturierenden Subjekts in Anthropologie aufzuheben. Der Ausgang aus der klassischen deutschen Philosophie vollzieht sich nicht als einfache Rückkehr zum Anfang, im Sinne einer Rückkehr Feuerbachs zur Unmittelbarkeit des Lebens der Individualität, wie sie beim Früheren, Jacobi, zu allgemeiner Geltung gelangte, obgleich es in der Rezeptionsgeschichte auch anders gesehen wurde. 2 Der Hegelschüler Feuerbach strebt in seiner Überschreitung der idealistischen Subjekttheorie vielmehr eine Synthese an, die den reellen Gehalt von Hegelschem Geistkonzept, neuzeitlichem Pantheismus, vermittelt auch von christlicher Religion und Gefühlsphilosophie, wie er sie bei Herder, Jacobi oder Schleiermacher rezipierte 3 , vereinen soll. Hinter seiner späteren metaphorischen Forderung,

Vgl. Schelling, Zur Geschichte der neueren Philosophie, SW 10, 182. K. Löwith z. B. entwickelte die Auffassung, daß Feuerbach in Umkehrung der Hegelschen Spekulation einen Sprung aus dem Gefängnis der Reflexion ins Freie vollzogen hat, was Löwith als eine Hinwendung zur Unmittelbarkeit der Natur wie zur sinnlichen Welterfahrung interpretierte. Vgl. ders., Vermittlung und Unmittelbarkeit bei Hegel, Marx und Feuerbach, in: Ludwig Feuerbach, hg. von E. Thies, Darmstadt 1976, S. 153. 3 Rousseau als theoriegeschichtliche Quelle bleibt Feuerbach zunächst verschlossen. Eine Verwandtschaft mit der Person Rousseaus wie dessen Schriften entdeckt er erst in späten Jahren. Vgl. seinen Brief an Wilhelm Bolin, 5. März 1867, im Auszug vorveröffentlicht durch U. Reitemeyer, Feuerbach und die Aufklärung, in: Ludwig Feuerbach und die Geschichte der Philosophie, hg. von W. Jaeschke und F. Toma1

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Kopf und Herz zu vereinen, 4 steht die Programmatik, die rational-methodische Theorie der geschichtlich-kulturellen Objektivationen mit dem Standpunkt des bedürftigen, fühlenden Subjekts genetisch zusammenzudenken. Entwickelte der junge Feuerbach diese Synthese auf der Basis des pantheistisch gewendeten Geistbegriffs Hegels, geht er nach seiner anthropologischen Wende der Philosophie dazu über, den geschichtlich-kulturellen Prozeß auf dem Ich-Du-Verhältnis zu fundieren, das er als Elementarzelle aller sozialen Bezüge und Gegenstandsbildungen und damit als neues Strukturprinzip objektiver Ordnung begreift. Feuerbachs Intention einer Synthese heterogener theoriegeschichtlicher Linien prägt den hier zu hinterfragenden Jacobi-Bezug, der sich unter der Hand als ein doppelter erweist: als Rekurs auf die Philosophie Jacobis wie als Rekurs auf die sich anschließende Jacobi-Kritik. Die Auseinandersetzung mit dem Pempelforter Philosophen geht bei Feuerbach bezeichnenderweise durch das Nadelöhr der Hegelschen Kritik. Die Jacobi-Kritiker Fichte und Schelling erhalten ebenfalls seine Zustimmung. 5 Im Schatten von Hegels objektiver Strukturtheorie des Geistes bleibt Jacobis Gefühlsmetaphysik in seinen Augen nur ein unentfalteter Standpunkt. Diese Einstellung findet sich exemplarisch in seiner Rezension der Jacobi-Monographie von Kuhn, die in dem zentralen Organ der Hegelianer, den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik, 1835 erscheint. 6 Seine Opposition zum zeitgenössischen Christentum wie zu religiöser Innerlichkeit und Transzendenz führt gegenüber Hegel zu einer Verschärfung der JacobiKritik. Feuerbach wendet sich gegen Jacobis Rückgriff auf einen personalen Gott, den dieser als Garanten einer von wissenschaftlicher Rationalität wie kultureller Vermittlung unabhängigen, erlebnishaften Subjektivität und Intersubjektivität eingesetzt hatte. Der junge Feuerbach nimmt in Jacobis glaubenstheoretischer Begründung der Unmittelbarkeit des Subjekts den doppelt gerichteten Prozeß einmal einer Moralisierung und Ästhetisierung

soni, Berlin 1998, S. 274, 276 (erscheint in: Feuerbach: Gesammelte Werke, hg. von W. Schuffenhauer [künftig: FGW], Bd. 21. 4 Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, FGW 9, 338, und ders., Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9, 254. 5 Vgl. Feuerbach, Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie. [Von G. Bruno bis G. W. F. Hegel], hg. C. Ascheri und E. Thies, Darmstadt 1974, S. 131, 167 (erscheint in: FGW 15). 6 Vgl. Feuerbach [Rezension zu:] Jacobi und die Philosophie seiner Zeit. Ein Versuch, das wissenschaftliche Fundament der Philosophie historisch zu erörtern. Von J. Kuhn […], FGW 8, 14–23. Zu dieser Rezension ist Feuerbach vom Hegelianer v. Henning aufgefordert worden; vgl. FGW 17, 195.

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der religiösen Einstellung wie zum anderen einer Theologisierung der modernen Kultur wahr, eine Tendenz, die sich auch bei Hamann, Herder oder Schleiermacher findet.7 Vor dem Hintergrund einer aufziehenden gesamtgesellschaftlichen Krise sieht der Vormärzmann Feuerbach in diesem Ansatz ein Theoriemodell, das als Hemmschwelle im erwarteten Epochenumbruch zu einer autonomen, sich selbst bestimmenden Menschheit auftritt. Sein Verhältnis zu dieser Theorielinie bleibt entsprechend gebrochen. Einen affirmativen Bezug stellt Feuerbach erst im Zuge seiner Hegelkritik und anthropologischen Entschlüsselung der Religion heraus. Er deutet seine Religionsanthropologie nunmehr als eine Konsequenz des Gefühlsstandpunktes, wie er in der Philosophie von Jacobi und Schleiermacher realisiert ist. Er nimmt in seinen anthropologischen Ansatz damit bewußt Aspekte der Gefühlsphilosophie auf, die darin in modifizierter Form wiederkehren. Zu einem detaillierten Rekurs auf Jacobi wie auf die gefühlsphilosophische Linie im deutschen Idealismus kommt es allerdings nicht; tritt Feuerbach im Bewußtsein einer notwendigen Generalreformierung der Philosophie doch in ein Oppositionsverhältnis zur vormaligen idealistischen Philosophie insgesamt. 8 Unter das Verdikt, daß die geistige Suprematie der Metaphysiker ihre Endschaft erreicht hat, wie Bruno Bauer den Standpunkt der Vormärzgeneration plastisch zum Ausdruck brachte, 9 fällt nunmehr auch Jacobis platonisierende Philosophie. Auf eine philosophiehistorische Legitimierung im positiven Sinn verzichtet Feuerbach in seinen programmatischen Entwürfen. Der Einfluß des Pempelforter Philosophen bleibt, im Ganzen gesehen, damit ein vermittelter, indirekter. Offensichtlich hat vor allem der Stachel seines theoretisch fixierten Dualismus gewirkt, womit auch Jacobi auf Feuerbach noch eine positive Fehlwirkung ausübte.10 Im Wissen um die Vermitteltheit ihres Verhältnisses soll im folgenden ausgemessen werden, welche besonderen Vgl. E. Müller, Ästhetische Religiosität und Kunstreligion. Zur Doppeldeutigkeit des Ästhetischen und Religiösen in den Philosophien von der Aufklärung bis zum Ausgang des deutschen Idealismus. Habilitationsschrift, Berlin 2001, bes. S. 105–139. 8 Ein letztes Mal wurde Feuerbach mit Jacobi wohl bei der Herausgabe des väterlichen Nachlasses konfrontiert, der 1852 erschien. Jacobi begegnete ihm hier als vertrauter Freund und Briefpartner seines Vaters, des Rechtstheoretikers Paul Johann Anselm von Feuerbach. Vgl. P. J. A. Ritter von Feuerbachs Leben und Wirken, veröffentlicht von seinem Sohne L. Feuerbach, FGW 12, bes. 112–121, 124–127, 144, 189. 9 Bruno Bauer, Rußland und das Germanentum, Charlottenburg 1853, S. 45. 10 Von positiver Fehlwirkung Jacobis hat Hermann Timm bezogen auf Lessing, Herder, Goethe wie auch auf die nachfolgende Generation der Romantiker und Idealisten gesprochen. Vgl. Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit. Bd. 1: Die Spinozarenaissance, Frankfurt am Main 1974, S. 137. 7

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Aspekte und Problemstellungen Feuerbach bei Jacobi sowohl negativ als auch positiv aufgreift, und zwar im Hinblick auf dessen Philosophie wie auf ihre Kritik. In welcher Weise hebt er in seiner Religionsphilosophie wie in seinen programmatischen Entwürfen den Gefühlsstandpunkt anthropologisch auf?

Pantheismus und Gattungsgeschichte versus Personalismus und Metaphysik der Individualität – Jacobi in der Kritik des jungen Feuerbach Vom Geist der Hegelschen Philosophie angezogen, bricht Feuerbach sein Theologiestudium ab und wechselt zur Seite der Allumfasser, wie der Romancier Jacobi die Philosophen seiner Zeit einst bezeichnete.11 Mit dem Übergang zu Hegels idealistischem Subjektkonzept knüpft der junge Feuerbach an die Problematik, die objektiven Strukturen der kulturellen und sozialen Welt genetisch aus der Aktivität des Subjekts zu begründen, und zwar im Sinne einer Vermittlung von subjektiver Strukturierung und gegenständlicher Welt. Diese Wegrichtung hatten bereits Kant, Fichte und Schelling eingeschlagen.12 Auf Basis des transzendentalen Subjektbegriffs unternahm Kant den Versuch, die kulturellen Prozesse in Wissenschaft, Recht, Moral und Politik sowie Kunst auf drei heterogene Urteilsformen des Subjekts zurückzuführen, welchen Ansatz Fichte in eine genetische Theorie der Akte des reinen Selbstbewußtseins überführte. Dahinter stand die Intention, die natürliche und geschichtlich-kulturelle Welt vollständig aus den Handlungsformen des Subjekts zu konstruieren – eine Methode, die sein Opponent Jacobi zwar dem kausal-wissenschaftlichen Wissen, nicht aber dem das Wahre, Gute und Schöne erschauenden Einheitsbewußtsein zuerkannte.13 Hielten sich sowohl Kant als auch Fichte an intelligible Formprinzipien im Subjekt, ging Hegel auf dem Standpunkt des Geistbegriffs dazu über, diese Prinzipien als geschichtlich-realisierte Objektivationsformen der menschlichen Gattung zu evolvieren. Aufbauend auf seine Jenaer Entwürfe entwik-

Vgl. Jacobi, Allwills Briefsammlung, WW I, 70. Die Zitatnachweise erfolgen anhand dieser frühen Werkausgabe, weil sie auch Feuerbach zugrunde lag. 12 Vgl. G. Irrlitz, Kants Gedanke vom intelligiblen Substrat der Menschheit und die Bewegung der idealistischen Denkform bis zu ihrer Aufhebung durch Feuerbach, in: Berliner Schelling Studien 2. Vorträge zur Philosophie Schellings. Xavier Tilliette zum 80. Geburtstag gewidmet, hg. im Auftrag der Schelling-Forschungsstelle Berlin von E. Hahn, Berlin 2001, S. 51–104. 13 Jacobi an Fichte, JWA 2, 194–213. 11

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kelte er den Bildungsprozeß der Individuen in seiner ersten Systemschrift, der Phänomenologie des Geistes, über verschiedene Gegenstandsbildungen, über alltagspraktische, systematisch rationale, gegenständlich praktische, ästhetische, religiöse, moralische usw. Realisierungen, denen er die Funktion von Sozialisierungs- und geschichtlichen Weltbildungskomponenten gab. In seiner Logik hat Hegel den Zusammenhang der gegenständlichen Formen in ein genetisch erzeugtes System logischer Begriffe gebracht, womit er die verschiedenen Sozialisierungs- und Vergegenständlichungsprozesse als einen geschlossenen Kreis von Kreisen idealsynthetisch entwickelte. Das phänomenologische, logische und auch enzyklopädische System waren seine Antwort auf das Problem, die philosophischen Kategorien auf der Basis des geschichtlich tätigen Subjekts zu begründen. Einheits- und Totalitätsbewußtsein waren für Hegel somit nur über einen begrifflichen Vermittlungsprozeß zu erreichen. Der junge Feuerbach schließt an diese Programmatik im deutschen Idealismus an, wobei er Hegels logisch fundierte Idealsynthese der kulturellen und sozialen Objektivationen in Richtung einer reellen Synthese weiterdenkt. Sein Ziel ist eine Verwirklichung, Verweltlichung der Ideen, um auf diese Weise eine Epoche erneuter Einheit der Menschheit zu begründen. Zu diesem Schritt leitet ihn seine Einsicht, in der Zeit einer grundlegenden gesellschaftlichen Krise zu leben, in der sich ein kultureller Umbruchsprozeß bereits ankündigt. Um die Hegelschen Ideen zu verwirklichen, blickt Feuerbach zunächst zurück: Er arbeitet in den dreißiger Jahren an einer Neufassung der modernen Philosophiegeschichte bis auf Hegel. Im Vergangenen liegt für ihn eingehüllt das Potential des Kommenden.14 Feuerbachs zugleich philosophiegeschichtliches und emanzipatorisches Interesse steckt den theoretischen Rahmen ab, in dem er sich auch Jacobi zuwendet. Nachweisbar bezieht er sich auf dessen Philosophie seit seiner Erlanger Universitätszeit.15 Der Privatdozent aus Erlangen studiert den Pem-

Bis zu seiner Hegelkritik 1839 versteht sich Feuerbach selbst als Philosophiehistoriker. Vgl. ders., Verhältnis zu Hegel, in: W. Schuffenhauer, »Verhältnis zu Hegel« – ein Nachlaßfragment von Ludwig Feuerbach, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 30,4 (1982), S. 511, und FGW 17, 311. Die zeitlich umfassendste Darlegung der modernen Philosophiegeschichte bildet Feuerbachs im Wintersemester 1835/36 an der Erlanger Universität gehaltene philosophiegeschichtliche Vorlesung. Sie erstreckt sich von der italienischen Renaissance und Naturphilosophie bis zu Kant, Fichte, Jacobi, Schelling und Hegel. Vgl. Feuerbach, Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie (Anm. 5). 15 Feuerbach erwähnt Jacobi bereits in seiner Habilitationsschrift von 1828, wo er aus dem Woldemar und den Briefen Ueber die Lehre des Spinoza zitiert. Vgl. FGW 1, 14

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pelforter Philosophen dabei aus erster Hand, wovon zahlreiche überlieferte Exzerpte zeugen.16 Im Unterschied zur parteiischen Deutung der Linkshegelianer Ruge und Echtermeyer urteilt er über Jacobi in einem sachlichen Ton.17 Er interpretiert dessen Philosophie allgemein als Standpunkt selbstbezogener Subjektivität, die im Gegenpol zu Fichtes intellektuell agierendem Ich als konkrete Individualität, Persönlichkeit gefaßt wird.18 Bereits Hegel

130 f., 145 f. Seine 1830 anonym publizierten Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, in denen er sich, wenn auch nicht namentlich, mit Jacobi auseinandersetzt, weisen ebenfalls auf eine Beschäftigung mit demselben. Dem Ausleihverzeichnis der damaligen Universitätsbibliothek Erlangen ist zu entnehmen, daß sich Feuerbach Ende 1829 die Bände I bis IV der Jacobischen Werkausgabe (Leipzig 1812–1819) entliehen hat. Vgl. UB Erlangen-Nürnberg, AUBE XXVI, Bd. 21 Ausleihbuch 1826–33. 16 Überliefert sind u. a. Exzerpte aus Jacobis Ueber die Lehre des Spinoza, aus David Hume, aus Von den Göttlichen Dingen sowie aus Jacobis Fichte-Brief. Vgl. UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4. Diese Exzerpte sind als Materialien im Nachlaß Feuerbachs den »Erlanger Vorlesungen« zugeordnet. 17 Ruge und Echtermeyer sahen in ihrem Manifest gegen die Romantik in Jacobi einen »Progonen der Romantik«, dessen Philosophie zu »ewiger Selbstbespiegelung« und »innerem Götzendienst« führt, nach ihrer Darstellung die »Schmutzfliege des Glaubens und der Hemmschuh der Seligkeit, gegen den aller gute Wille des edlen Mannes vergeblich ankämpft.« Th. Echtermeyer / A. Ruge, Der Protestantismus und die Romantik. Zur Verständigung über die Zeit und ihre Gegensätze. Ein Manifest, PLS 4/1, 203. 18 »Fichte geht mit Jacobi vom Begriffe der Freiheit aus, aber Jacobi giebt demselben zum Substrat und Unterlage, die Persönlichkeit o d e r I n d i v i d u a l i t ät ; d[ie] Fr e i h e i t e x i s t i r t nu r a l s I n d i v i d uu m , und i m I n d i v i d uu m ; das Reelle und Wirkliche ist allein die freie von sich wißende, über die Natur erhabne, in sich seiende Individualität und diese hat wieder Dasein und Wirklichkeit als unendliches Individuum und als endliche, außer einander existirende freie, endlich[e] Individuen; indem Jacobi von der Substanzialität des Individuums ausgeht, alles auf diese concentrirt, so ist begreiflich, daß Jacobi gegen alle objective Gestaltung in der Wißenschaft nur ein negatives Verhältniß haben konnte, daß sowohl im Charakter des Jacobi selber als in s[einem] geistigen Princip nicht das Princip eines Systems, einer Wißenschaft liegt, kurz, daß er den Begriff der Freiheit nur s u b j e c t i v faßte, nur in der Gestalt und Form der Subjectivität festhielt, den / in seiner Wahrheit und Objectivität erfaßte, und daher [sich] in Fichte das Princip der Spontaneität und Freiheit, das sich in Kant und Jacobi aussprach, zu einem System, einer applicirten Gestaltung, einer Wissenschaft ausbreiten konnte.« UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Beilage 1, Bl. [1–1a] – Bl. entstammt einem auf dem ersten Bl. o. r. mit »Joh[ann] Gottl[ieb] Fichte geb. 1762 bei Bischofswerda in der Lausitz, † 1814 zu Berlin« überschriebenen Faszikel. Die Seitenangabe in diesem wie den weiteren Zitaten aus dem Nachlaß erfolgt, soweit vorhanden, nach Feuerbachs ursprünglicher Paginierung, Rückseiten eines Blattes wurden durch

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hatte Jacobi neben Kant und Fichte als Metaphysik der Subjektivität ausgewiesen. Ausdrucksform einer geschichtlichen Epoche, der Epoche des in protestantische Innerlichkeit und äußere Objektivität zerrissenen Geistes, ist die Jacobische Philosophie für Hegel die theoretische Festschreibung der Dualität von Subjektivität und Objektivität. Als Instinkt, Trieb, Individualität gefaßt, bleibt das Unendliche für ihn darin von Subjektivität affiziert. Jacobi umgeht nach Hegel die zentrale Syntheseproblematik bzw. verlegt diese auf die Sinnesebene.19 Das Deutungsschema seines Lehrers voraussetzend, bestimmt der junge Feuerbach Jacobis Philosophie allgemein als Persönlichkeitsphilosophie. 20 Er hebt damit einen Aspekt hervor, den der Pempelforter Philosoph selbst in den Mittelpunkt gerückt hatte. Die Personalität, wie dieser gegenüber Lavater bemerkte, ist ihm »das α und υ; und ein lebendiges Wesen ohne Personalität scheint mir das Unsinnigste, was man zu denken vorgeben kann. Seyn, Realität, ich weiß gar nicht, was es ist, wenn es nicht Person ist.«21 Die konkrete Persönlichkeit in den Rang eines Seins- und Erkenntnisprinzips gehoben bedeutet für Feuerbach, die natürliche und geschichtlich-kulturelle Welt als Realisierungen eines willkürlichen Tätigkeitsprinzips, d. h. nicht in ihrem Ansichsein, zu begreifen. Als weitere Konsequenz stellt er heraus, daß die philosophische Erkenntnis an eine sub-

a ergänzt; eckige Klam mern bedeuten Ergänzungen von der Verfasserin, »u.« wurde in »und« aufgelöst, Unterstreichungen sind durch Sperrungen wiedergegeben. Für die Ermöglichung einer Einsichtnahme in die Jacobi-Exzerpte aus dem Nachlaß wie die freundliche Unterstützung möchte ich mich bei Prof. Dr. W. Schuffenhauer, dem Herausgeber der Gesammelten Werke von L. Feuerbach an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, und bei S. Kohlmann von der UB Erlangen-Nürnberg bedanken. Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. C. Töpelmann, UB München, die sämtliche Zitationen aus dem »Nachlaß L. Feuerbach« überprüft und korrigiert hat. 19 Vgl. Hegel, Glauben und Wissen, GW 4, 319–324, 346 f., 361–363, 368–386. Vgl. auch Hegels Jacobi-Rezension, in: ders., Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, XVI. Bd., Berlin 1834, bes. S. 203–205, 211–214. Feuerbach hat sich auf Hegels Jacobi-Kritik im Aufsatz Glauben und Wissen nachweisbar bezogen, vgl. FGW 2, 422 (Anm.). Ob er ebenfalls Hegels Jacobi-Rezension kannte, läßt sich nicht nachweisen. 20 Vgl. Feuerbach, [Rezension zu:] Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. Von Friedr. Jul. Stahl […], FGW 8, 33. 21 Brief an Lavater vom 14. November 1787, AB I, 436, Nr. 157. Unter Person, persönlichem Dasein versteht Jacobi Einheit des Selbstbewußtseins, das Bewußtsein seiner besonderen Identität, welches nur vernünftigen Naturen zukommt. Dieses Bewußtsein ist nach Jacobi nur durch innere Anschauung, durch ein unmittelbares Gefühl erreichbar. Ders., Ueber die Lehre des Spinoza, JWA 1, 159, 219 f.

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jektive Einsicht, an das Fühlen und Sehnen des Individuums, gebunden wird, was sprachlich weder einzuholen noch kommunizierbar ist. Philosophische Erkenntnis verbleibt, wie Feuerbach konstatiert, im Status des primitiven, d. h. natürlichen, vorwissenschaftlichen Bewußtseins. 22 Im Anspruch auf vorreflexive Ganzheits- und Totalitätserkenntnis nimmt er zugleich ein religiöses Formmoment wahr; Persönlichkeitsphilosophie schlägt unter diesen Voraussetzungen in eine »sich selbst annihilierende Philosophie«, in der Konsequenz in Theologie um. »Alle Tendenzen, die die Persönlichkeit an die Spitze der Philosophie setzen, sind theologischer, un-, ja, antiphilosophischer Natur.«23 Einen solchen Umschlag in Nichtphilosophie hatte Jacobi selbst angestrebt, allerdings nicht in positive Theologie, sondern in individuelle Offenbarung. 24 Die Unzulänglichkeiten des Jacobischen Ansatzes gehen für Feuerbach aus einem abstrakten Subjektverständnis hervor, bei dem Wahrheit, wie er an Fichte angelehnt festhält, allein im »innersten Heiligthum unseres eigenen Wesens« gesucht wird. 25 Gott als absolute Person, als ein bloßes Wer ohne Was verstanden, ist für ihn eine Person ohne Wesen; faßt man Gott nur unter den Bestimmungen von Selbstbewußtsein, Freiheit, Wille, Entschluß und Absicht, so Feuerbach, begreift man Gott nur als ein oberflächliches Wesen. 26 Der Hegelschüler bezieht sich hier auf Passagen, die er aus dem Vorbericht Jacobis zum Spinozabuch der dritten Auflage exzerpiert hatte. Dort heißt es: »Darum fragt meine Philosophie: wer ist Gott; nicht: was ist er? Alles Was gehört der Natur an.«27 Der kritisierte Jacobi hatte die Natur, das wirkliche, äußere Dasein wie auch das Dasein anderer als

Jacobi generalisiert den Standpunkt des Individuums, »wo unmittelbar mit dem Ich ein Du, ein Objekt gesetzt ist«, wodurch er gegenüber Fichte den »primitiven Standpunkt« als den alleinigen anerkennt. Feuerbach, Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie (Anm. 5), S. 131. Fichte steht für Feuerbach in dieser Hinsicht auf theoretisch höherem Standpunkt. 23 Feuerbach, Geschichte der neuern Philosophie. Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibnizschen Philosophie, FGW 3, 122. 24 In dem von Feuerbach rezipierten Fichte-Brief bezeichnet Jacobi seine Philosophie selbst als »Unphilosophie«, die ihr Wesen im Nicht-Wissen hat; vgl. JWA 2, 194. Sich gegen eine historisch überlieferte Offenbarung wendend, verweist Jacobi in einem Brief an Kleuker auf die individuelle Offenbarung. Vgl. JBW I/3, 19, Nr. 766. 25 Vgl. Feuerbach, Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie (Anm. 5), S. 131. 26 Vgl. Feuerbach, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, FGW 1, 210, 207. 27 Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, XLVI f. (JWA 1, 350, Vorbericht, 1819). Der vernünftige Urheber der Welt, wie Jacobi dort weiter ausführt, »läßt sich nur unter dem Bilde menschlicher Vernünftigkeit und Persönlichkeit vorstellen, 22

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Bestimmungsmomente des Menschen nicht negiert. Der sich selbst gewisse Geist des Menschen bedarf nach ihm zu seinem Selbstlaute der Mitlaute Gott, Natur und, läßt sich ergänzen, der Mitmenschen, um sein Dasein auszusprechen. In unmittelbarer Geist-Gewißheit, da, wo er zum eigentlichen Wesen gelangt, ist der Mensch jedoch ein »Unvergleichbares, ein Eines für sich und ohne anderes«, sein Wesenheitsgefühl ist unabhängig von der Erinnerung vergangener Zustände, »er weiß, er ist dieser Eine und derselbe, der kein anderer ist noch werden kann«. 28 Der ideale Personenkern des Menschen bleibt von der Natur, Geschichte wie der Mitwelt folglich unberührt. Er sorgt zugleich dafür, daß Individualität nicht in die Allgemeingültigkeit von Individualismus umschlägt. Der wirkliche, existierende Mensch gehört folglich zwei Seinsbezirken, einem intelligiblen und einem realen, an, welche Einsicht Jacobi veranlaßte, den Menschen als Bürger zweier verschiedener Welten zu bestimmen – eine Wendung, die sich Feuerbach aus dessen Streitschrift Von den Göttlichen Dingen notierte. 29 Der bewußte Verzicht, Geist und Natur zu synthetisieren, bleibt für Feuerbach auch praktisch inakzeptabel. Jacobis Ausblick auf eine unsichtbare Kirche der Philosophie wie der Gemeinschaft der Gläubigen, wie er ihn im Bewußtsein der stagnierenden Verhältnisse in Deutschland gegeben hatte, 30 konnte dem Vormärzdenker in Erwartung einer reellen Gattungseinheit nicht mehr genügen. In Jacobis Persönlichkeitsphilosophie nahm er vielihm müssen die Eigenschaften, welche ich im Menschen als die höchsten anerkenne, beygemessen werden: Liebe, Selbstbewußtseyn, Verstand, freyer Wille.« Zitate bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. [1a], [2a] – Blätter entstammen einem auf erstem Bl. o. r. mit »Fried[rich] H[ein rich] J a c ob i , Vorbericht zu den Briefen über d[ie] Lehre des Spinoza, IV. B[d]. I. Abth.« überschriebenen Faszikel. Feuerbachs Gegenargument lautet, daß Gott zwar Person, Sich-Wissen ist, »aber das, wovon er weiß, ist nicht wieder Wissen, ist nicht er selbst als Person; das, wovon er weiß, ist sein Wesen, seine Seele, in seinem Wissen ist er in sich und für sich, aber in seiner Seele und seinem Wesen ist er alles.« Vgl. Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, FGW 1, 212. 28 Jacobi, Ueber eine Weissagung Lichtenbergs, WW III, 234 f. (JWA 3, 26 f.). 29 Vgl. Jacobi, Von den Göttlichen Dingen, WW III, 398 (JWA 3, 102). Diese Wendung bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 6a – o. r. auf Bl. 6 »von d[en] göttl[ichen] Dingen«; Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Friedr[ich] H[einrich] Jacobi, Beilagen zu den Briefen über d[ie] Lehre d[es] Spinoza, Beilage VII, Jac[obi]. Werke IV. B[d]. II. Abtheil. 1819« überschriebenen Faszikel. 30 Vgl. Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, LIII (JWA 1, 353, Vorbericht, 1819). Feuerbach exzerpierte den Jacobischen Gedanken einer unsichtbaren Kirche. Vgl. UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. [2a–3]

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mehr die Tendenz wahr, den Prozeß der sozialen Atomisierung zu bestärken, d. h. einen Zustand zu provozieren, wo »alles massakriert, in seine Teile aufgelöst, zertrennt, sein-, einheits-, geist-, seelenlos gemacht ist«, wo »das Individuum auf den Trümmern der zerstörten Welt die Fahne des Propheten auf[pflanzt – C. W.], das heilige Sandschak[-i-]Scherif des Glaubens an seine Unsterblichkeit und das gelobte Jenseits.«31 Jacobis personalen Gott hinter der Welt, der für individuelle Freiheit und Autonomie, unabhängig von der Sphäre notwendiger Seinsverkettung und Selbsterhaltung, bürgen soll, deutet Feuerbach im Sinne einer Sublimierung moderner Subjektivität. Die makellose, unendliche Person ist für ihn eine Schöpfung des partikularen Individuums, das sich in idealer Weise vom Beschränkten und Fragmentarischen der empirischen Welt befreit. Die Jenseitsvorstellung entschlüsselt er in diesem Zusammenhang als »die verkannte, miß- und unverstandne wirkliche Welt«. 32 In Gestalt der positiven Philosophie seiner Zeit sieht er die Persönlichkeitsphilosophie schließlich in eine bewußte Stütze der feudalchristlichen Ordnung umschlagen, exemplarisch beim Rechtsphilosophen Stahl. 33 In der Option auf eine reelle Geist-Natur-Synthese greift der junge Feuerbach bezeichnenderweise nicht nur auf Hegels Geistkonzept, sondern ebenfalls auf den Pantheismus von Spinoza, Bruno und Böhme zurück. Diese Linie der neuzeitlichen Philosophie hatte Jacobi durch seine Spinozabriefe, wenn auch unter negativem Vorzeichen, selbst publik gemacht. 34 Es ist der hier zugrunde gelegte Einheitsgedanke, die Einheit von Gott und Welt, von Materie und Geist wie der endlichen Individuen untereinander, der auf den jungen Feuerbach wirkt. 35 Gott, wie er im pantheistischen Duktus festhält, gelangt nur in der Natur und Weltgeschichte zu wirklicher Existenz und

– Blätter entstammen einem auf erstem Bl. o. r. mit »Fried[rich] H[einrich] J a c ob i , Vorbericht zu den Briefen über d[ie] Lehre des Spinoza, IV. B[d]. I. Abth.« überschriebenen Faszikel. 31 Feuerbach, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, FGW 1, 195. 32 Ebd., S. 196. 33 Vgl. Feuerbachs Rezensionen in den dreißiger Jahren zu Stahls Rechtsphilosophie sowie zur positiven Philosophie bei Sengler, FGW 8, 24– 43, 181–207. 34 Feuerbach hat sich auf Jacobis Spinozadarstellung sowohl negativ als auch positiv bezogen. Vgl. FGW 2, 396, 422; FGW 4, 235; FGW 9, 6 u. a. – Jacobis Auszug aus Brunos Von der Ursache, dem Princip und dem Einen in Beylage I. seiner Spinozabriefe benutzte Feuerbach als Materialquelle für seine Darlegung der Brunoschen Philosophie. Vgl. ders., Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie (Anm. 5), S. 41 ff. 35 »Der Gedanke nun, der Br[uno] beseelte und begeisterte, ist und bleibt der höch-

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Selbstbewußtsein. 36 Der Schlüssel zu einer reellen Synthese im Gattungsprozeß liegt für ihn in einer allgemeinen Erhebung ins (philosophische) Denken, wodurch der Bildungsprozeß der menschlichen Gattung systematisch ins Bewußtsein geholt wird. Die begriffene Geschichte, nach Hegel Erinnerung und Schädelstätte des absoluten Geistes (GW 9, 434), wird bei dem Schüler zum Ausgangspunkt erneuter Einheit und Gemeinschaft im Endlichen. Erst im gegenseitig mitteilbaren Denkakt, wie er bemerkt, sind alle Menschen einander gleich. »Im Denken nämlich sind die ansonsten gesondert bestehenden Individuen aufgehoben, die Vernunft ist folglich allgemein.«37 Das rational erzeugte, philosophische Einheitsbewußtsein birgt für Feuerbach ein solidarisches, gemeinschaftsbildendes Potential, das sich über die kulturellen und sozialen Differenzen der Realwelt hinwegsetzt. Das subjektive Gefühl beläßt das Individuum seiner Auffassung nach dagegen in einem ausschließenden Einzelsein. 38 Auch die Liebe bedarf in seinen Augen noch sprachlicher und theoretischer Fixierung, um die Individuen in den Status objektiver, mitteilbarer Allgemeinheit zu erheben. Zur Begründung dieses Ansatzes greift er, Hegels Begriff der objektiven Sittlichkeit überschreitend, ebenfalls auf Spinozas Ethik, auf dessen amor Dei intellectualis, zurück. Mit Spinoza sieht er in der Erhebung ins Bewußtsein der Substanz – ins Bewußtsein des geschichtlichen Bildungsprozesses des Geistes – den Ursprung einer umfassenden, intellektuellen Liebe zu Gott wie auch zum Menschen. Feuerbach deutet diese Erkenntnis als einen intellektuellen wie religiösen und sittlichen Akt zugleich, mit der das Individuum seine selbstbezogene, eudämonistische Existenz durchbricht und sich zu einer unmittelbaren Gattungseinheit erhebt. 39 »Pantheismus verbindet«, wie er später in seinen Vorlesungen zur neueren Philosophie festhält, »der Monotheismus – die ausschließliche Hin-

ste Gedanke des Menschen, d e r Gedanke, mit dem die Philosophie steht und fällt, der Gedanke der E i n h e i t . D i e E i n h e i t z u e r ke n n e n , sagt er, ist der Zweck aller Philosophie und Erforschung der Natur.« Ebd., S. 42. Dieses Bruno-Zitat bei Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/2, 32 (JWA 1, 198 f.). 36 Feuerbach, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, FGW 1, 195. 37 Feuerbach, Über die eine, allgemeine, unendliche Vernunft. Philosophische Inaugural-Dissertation. Erlangen 1828, FGW 1, 19, 81. 38 In seiner Habilitationsschrift, ebd., S. 17, bemerkt Feuerbach, daß ich als Fühlender für meine Gefühle wie »für mein Selbst eine unüberschreitbare Begrenzung« bin. 39 Spinozas amor Dei intellectualis ist nach ihm ein »Akt der reinsten Hingebung seiner selbst mit dem ganzen Anhang, mit der langen Schleppe aller seiner besondern Angelegenheiten und Partikularitäten, die den Menschen vom Menschen trennen, den einen dem andern entgegensetzen und in dieser Trennung und Entgegensetzung die Quellen alles Bösen und Unsittlichen sind, die aber eben in dem Gedanken der Sub-

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gebung an Ein herrschsüchtiges Princip – trennt und isolirt.«40 In Paraphrasierung einer Jacobischen Wendung merkt er vergleichbar an, daß »außer dem Pantheismus […] alles Egoismus«41 ist. Feuerbachs Polemik gegen den Monotheismus kann man als einen späten Ausläufer des Spinozastreits sehen, der damit in die Diskussion des frühen Hegelianismus wie der aufkommenden Vormärzphilosophie eingeht. Im Gegensatz zu Jacobi sieht der Hegelschüler die Linie der immanenten Allein-Philosophie nicht auf Naturalismus und Egoismus hinauslaufen; in ihrer Orientierung an der Einheit von Geist und Natur überschreitet sie für ihn vielmehr den naturalistischen Standpunkt, der das unvermittelte Individuum auf Begierde und Selbsterhaltungstrieb beschränkt. Letzter Bürge für die Wesenseinheit der Welt ist im Verständnis des Hegelschülers die »eine, allgemeine, unendliche Vernunft»42 , die er als ideelles Tätigkeitsprinzip dem natürlichen und geschichtlich-kulturellen Prozeß zugrunde legt. Hinsichtlich der Fundierung des menschlichen Gattungsprozesses steht er damit noch auf idealistischem Boden.

Feuerbach als Leser Jacobis – im Spannungsfeld zwischen Idealismuskritik und Theismus, unmittelbarer Ich-Du-Beziehung und Offenbarungsglauben Ein Exzerpt ist ein mittelbarer Zeuge, spricht darin doch die eigene mit der Stimme eines anderen. Allein die Auswahl verrät das Interesse des Exzerpierenden, das wiederum Ablehnung wie auch Zustimmung bedeuten kann. Feuerbachs Notationen aus den Jacobischen Schriften geben entsprechend nur indirekt Auskunft über seinen Bezug zu dessen Philosophie. Der Hegelschüler liest Jacobi zweifellos in kritischer Intention. Er exzerpiert Passagen, die als Belege für seine theoretischen Einwände dienen. 43 Bezeichnend ist, daß stanz als nichtige, eitle verschwinden.« Feuerbach, Geschichte der neuern Philosophie von Bacon von Verulam bis Benedict Spinoza, FGW 2, 441. 40 Feuerbach, Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie (Anm. 5), S. 18. 41 Feuerbach, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, FGW 1, 216. Jacobi hatte Fichte gegenüber bemerkt: »denn außer dem Dualismus ist nur Egoismus«. Jacobi an Fichte, WW III, 11 (JWA 2, 195). 42 Vgl. Feuerbachs gleichnamige Habilitationsschrift Über die eine, allgemeine, unendliche Vernunft, FGW 1, 1–173. 43 Als exemplarische Texte dienten Feuerbach hierfür die Schrift Von den Göttlichen Dingen, die Beylage VII. sowie der Vorbericht zur dritten Auflage der Schrift Ueber die Lehre des Spinoza.

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er sich aus den Schriften des Pempelforter Philosophen mehr herausschreibt, als in den Sichtkreis seiner damaligen Opponentenrolle fällt. Er trägt hier, wenngleich noch unkommentiert, ein theoriegeschichtliches Material zusammen, das in seinem Problemgehalt durchaus Berührungspunkte mit seinem späteren Ansatz besitzt. Das betrifft zum einen die Idealismuskritik Jacobis. In der von Feuerbach studierten Einleitung zum David Hume hatte Jacobi den Idealismus sowohl im subjektiven Sinne, wo die Materie unserer Vorstellung nur als Empfindung, als »eine Modification unseres Selbstes« begriffen wird, als auch in Gestalt einer »Metaphysik aus bloßer Logik« kritisiert. 44 Gegen den Ansatz, Empfinden und Denken mit Sein zu identifizieren, richtete Jacobi sein Augenmerk auf das Nichtidentische, womit der Gegenstand ebenfalls in seiner Eigenbestimmtheit hervortrat. 45 Sich von der rationalen Ontologie abgrenzend, war er mit Kant eins, daß die logische Konstruktion der Wirklichkeit immer nur zu einem möglichen, nicht zu wirklichem Sein führt. Die innere Möglichkeit setzt nach ihm ein Wirkliches, Materiales bereits voraus. Jedes innere Mögliche, wie Jacobi, Kant zitierend, festhält, hat seinen Realgrund im Dasein der Sache. 46 Sowohl Jacobi als auch der angeführte Kant waren auf diese Problematik im Horizont der theologischen Fragestellung nach dem Beweis für die Existenz Gottes gestoßen. Ein theoretischer Fehlschluß entsteht nach Jacobi, wenn das Werden des Begriffs für das Werden der Dinge selbst gehalten wird, wenn wir »glauben die wirkliche Folge der Dinge eben so erklären zu können, wie sich die ideale Folge der Bestimmungen unserer Begriffe, aus ihrer nothwendigen Verknüpfung in Einer Vorstellung erklären läßt.« Ein solcher Vernunftbegriff »ist aus dem Verhältnisse des Prädicats zum Subject, der Theile zu einem Ganzen genommen, und enthält gar nichts von einem Hervorbringen oder Entstehen, das

Vgl. Jacobi, David Hume, WW II, 39, 31 (JWA 2, 392, 388). Vgl. ebd., S. 170 ff., 204 ff. Feuerbach notierte sich u. a. folgende Stelle: »Der Gegenstand trägt eben soviel zur Wahrnehmung des Bewußtseins bei, als d[as] Bewußts[ein] zur Wahrnehmung des Gegenstands. Ich erfahre, daß ich bin, und daß etwas außer mir ist, in demselb[en] untheilb[aren] Augenblick«. UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 2 – Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Jacobi Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, es erschien dieß Gespräch im Frühjahr 1787, schließt sich dem Werke über die Lehre des Spinoza an. Die in diesem Werke aufgestellte Behauptung: Alle menschliche Erkenntniß gehe aus von Offenb[arung] und Glaube, hatte in der deutsch[en] philos[ophischen] Welt allgem[eines] Ärgerniß erregt. Dieses Gespräch schrieb er zu s[einer] Vertheidigung.« überschriebenen Faszikel. Vgl. WW II, 175 (JWA 2, 37). 46 Ebd., S. 190. Vgl. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, AA II, 78 f. Jacobi zitiert Kant in abgewandelter Form. 44 45

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objectiv, oder außer dem Begriffe wäre.« Zwischen dem Principio compositionis und dem Principio generationis besteht nach Jacobi eine unüberbrückbare Kluft. 47 Feuerbach hat sich diese Passagen wörtlich exzerpiert. 48 Auf eine ähnliche Kritik war er auch beim Hegel-Kritiker Bachmann gestoßen. Der von Jacobi und Bachmann ausgehende anti-idealistische Stachel bleibt auf Feuerbach zu dieser Zeit noch ohne Wirkung; hat er in seiner Rezension des Kuhnschen Jacobi-Buches doch ausdrücklich die Identität von Idee und Realität bzw. Objektivität, von idealem Wesen und reeller Existenz verteidigt. 49 Feuerbach bricht mit der rationalen Identitätsphilosophie erst im Zuge seiner Hegel-Kritik Ende der dreißiger Jahre, in der er Hegels reine logische Vernunft als einen geschlossenen Formenkreis interpretiert, wo nicht zum Anderssein des Gedankens gekommen wird. In ähnlicher Weise hatte Jacobi vormals gegen Fichte eingewendet, daß die reine Vernunft ein Vernehmen ist, »das nur sich selbst vernimmt«. 50 Ist diese Kritik bei beiden vergleichbar, fällt ihre Antwort darauf doch verschieden aus. Feuerbach löst den Hegelschen Vernunftidealismus in Anthropologie auf, Jacobi hält dem Rationalismus den gefühlstheoretischen Standpunkt entgegen, den er auf einem transzendenten Gottesbegriff begründet. Mit dieser theistischen Abschirmung war der Jacobischen Kritik in Feuerbachs Augen zweifelsohne die Spitze abgebrochen – ein möglicher Grund, warum der Idealismus-Kritiker Jacobi in seinen offiziellen Stellungnahmen kein Gehör findet.

Jacobi, David Hume, WW II, 194, 196, 199 (JWA 2, 50–52). Vgl. UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 2a–3 – Blätter entstammen einem auf erstem Blatt o. r. mit »Jacobi Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, es erschien […]« überschriebenen Faszikel. Aus der Beylage VII. der Spinozabriefe exzerpierte Feuerbach eine ähnliche Passage: »Die gesammte Natur aber, der Inbegriff aller bedingten Wesen, kann dem forschenden Verstande mehr nicht offenbaren als was in ihr enthalten ist; nämlich mannigfaltiges Dasein, Veränderungen, Formenspiel; nie einen w i r k l i c h e n Anfang, nie ein r e e l l e s Princip / irgend eines ob j e c t i ve n Daseins.« UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 1a–2 – Blätter entstammen einem auf erstem Bl. o. r. mit »Friedr[ich] H[einrich] Jacobi, Beilagen zu den Briefen über d[ie] Lehre d[es] Spinoza. Beilage VII, Jac[obi]. Werke IV. B[d]. II. Abtheil. 1819« überschriebenen Faszikel. Vgl. Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/2, 151 (Beylage VII, JWA 1, 259). 49 Vgl. Feuerbach, [Rezension zu:] Jacobi und die Philosophie seiner Zeit. Ein Versuch, das wissenschaftliche Fundament der Philosophie historisch zu erörtern. Von J. Kuhn […], FGW 8, bes. 16 ff.; vgl. auch ders., Kritik des »Anti-Hegels«. Zur Einleitung in das Studium der Philosophie, FGW 8, bes. 75 ff. 50 Feuerbach, Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, FGW 9, 25, 45, und Jacobi an Fichte, WW III, 19 f. (JWA 2, 200 f.) 47

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Neben der Idealismuskritik interessiert sich der Jacobi-Leser Feuerbach ebenfalls für den Realismus des Pempelforter Philosophen. Er schreibt sich einschlägige Passagen heraus, in denen die Thematik des Individuums in seinem unmittelbaren Bezug zur reellen Welt zur Sprache kommt. Feuerbach stößt hier auf eine Auffassung, wonach Dasein, eingeschlossen das menschliche Dasein, in einem unaufhebbaren Bezug zum Mitdasein zu begreifen ist. 51 Das daseiende Individuum wird nicht als abgeschlossene, rein aus sich produzierende Monade, sondern als ein dem Materialen und Welthaften geöffnetes Wesen verstanden. Selbst eine körperliche, undurchdringliche Entität, steht es ursprünglich in reeller Wechselwirkung mit anderen daseienden Dingen der Welt. 52 Feuerbach exzerpierte hierbei den folgenreichen Gedanken: »Da nämlich für uns ohne Aeußeres kein Inneres; ohne Du kein Ich, weder vorhanden, noch möglich ist: so sind wir des Andern wie unseres Selbstes gewiß, und lieben es, wie das Leben, welches mit demselben uns zu Theil wird.»53 Jacobi schlug hiermit den Weg ein, menschliches Dasein allgemein im Horizont eines reellen Subjekt-Subjekt-Verhältnisses zu begreifen, von dem aus der Bezug zur gegenständlichen Welt gedacht wird. Mit der Einführung der Du-Perspektive überschritt er tendenziell seinen eigenen, substantial gefaßten Personenbegriff. Seine Bemerkung aus dem Woldemar, die Feuerbach in seiner Habilitationsschrift zitierte, daß Mitgefühl höher schwingt als eigenes, der Mensch sich mehr im Anderen als in sich fühlt, 54 zeigt, daß er die Ich-Du-Relation als eine Grundkonstante auch in praktischer Hinsicht

»Daß sich das Daseyn aller endlichen Dinge auf Mitdaseyn stütze, und wir nicht im Stande sind, uns von einem schlechterdings für sich bestehenden Wesen eine Vorstellung zu machen, ist unläugbar«. Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, 25 (JWA 1, 163). 52 Vgl. z. B. Jacobis Ausführungen zur reellen Wechselwirkung endlicher Naturen im David Hume, WW II, 208 ff. (JWA 2, 57 ff.), woraus Feuerbach einzelne Passagen exzerpierte. Vgl. UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 3– 4a – Blätter entstammen einem auf erstem Blatt o. r. mit »Jacobi Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, es erschien […]« überschriebenen Faszikel. 53 Jacobi, Von den Göttlichen Dingen, WW III, 292 (JWA 3, 49); dasselbe Zitat bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 10a – o. r. auf Bl. 10 »Ja[cobi,] v[on den] göttl[ichen] Ding[en]; Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Friedr[ich] H[einrich] Jacobi, Beilagen zu den Briefen über d[ie] Lehre d[es] Spinoza. Beilage VII, Jac[obi]. Werke IV. B[d]. II. Abtheil. 1819« überschriebenen Faszikel. 54 Vgl. Feuerbach, Über die eine, allgemeine, unendliche Vernunft, FGW 1, 131; Jacobi, Woldemar. Eine Seltenheit aus der Naturgeschichte, Bd. 1, Flensburg / Leipzig 1779, S. 17 f. 51

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dachte. Die Thematik der reellen Gegenstandsbezüge wie der Intersubjektivität wurde ebenfalls in der rationalistischen Linie des deutschen Idealismus, bei Kant, Fichte Schelling oder Hegel, behandelt, die diese Thematik unter der übergreifenden Form eines Verhältnisses von Denken und Sein – Subjekt und Objekt – reflektiert haben. Die Gefühlsphilosophie zeichnet die Tendenz aus, Intersubjektivität und Objektbezüge, zumindest nach der endlichen Seite, aus erlebnishaften, emotionalen Bezügen zwischen existierenden Individuen in ihrer unmittelbaren Lebenswelt zu begründen. Jacobi sah im Gefühl dabei nicht lediglich ein Sinnesdatum, das als Material zur theoretischen Erkenntnis dient, sondern ein Medium, in dem Schönes und Gutes, das Dasein in seiner Individualität wahrgenommen wird. Darin kam er mit Aspekten der späteren Kritik der Urteilskraft Kants überein. Insbesondere die Liebe wie das ästhetisch-moralische Gefühl erlangen in seinen Schriften eine systematische Bedeutung. Eigens Passagen über die Liebe sind es, die die Aufmerksamkeit des Jacobi-Lesers Feuerbachs hervorgerufen haben. 55 Neben der Philosophie des common sense wie dem Sensualismus, etwa bei Hume, sind in Jacobis Philosophie in diesem Zusammenhang Rousseausche Auffassungen wie die pietistische Herzenstheologie eingeflossen. 56 In der alltagspraktischen Einstellung und dem ästhetisch-moralischen Gefühl wie Feuerbach exzerpierte etwa aus den Göttlichen Dingen folgende Stelle: »In ihr, der Liebe selbst, ist lauter Wahrheit: sie siehet nur was gut und schön ist; so wie Gutes und Schönes, wie wesentliche Wahrheit nur mit ihr und durch sie – gesehen werden. […] Die Elemente der Liebe sind reines Wohlgefallen, Achtung, Bewunderung: sie ist die Wahrnehmung selbst des Guten und Schönen, mit ihr geht es in den Menschen ein, theilet sich ihm mit, macht ihn selbst gut und schön. Da also überall, wo eigentliche Liebe entsteht, nothwendig Gutes und Schönes angeschaut wird und Wahrheit in die Liebe kömmt; da in dieser Anschauung – in ihr allein – die Liebe wohnt: so kann sie durch das, was der Gegenstand, der sie vielleicht nur zufällig erweckte, unabhängig von ihrer Vorstellung für sich selbst seyn mag, so wenig an innerer Tugend etwas gewinnen als verlieren. Die wahre schöne Liebe ist ganz in dem Menschen, von welchem sie Besitz genommen; der Irrthum in Absicht des Gegenstandes ist ganz außer ihm und läßt seine Seele unbefleckt. Nicht der Götze macht den Götzendiener; nicht der wahre Gott den wahren Anbeter: denn des wahren Gottes Gegenwart ist nur Eine Allgemeine.« Jacobi, Von den Göttlichen Dingen, WW III, 300 f. (JWA 3, 53); dasselbe Zitat bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. [9a–10] – o. r. auf Bl. [9] »S. 277«, o. r. auf Bl. 10 »Ja[cobi,] v[on den] göttl[ichen] Ding[en]; Blätter entstammen einem auf erstem Bl. o. r. mit »Friedr[ich] H[einrich] Jacobi, Beilagen zu den Briefen über d[ie] Lehre d[es] Spinoza. Beilage VII, Jac[obi]. Werke IV. B[d]. II. Abtheil. 1819« überschriebenen Faszikel. 56 Zu diesen theoriegeschichtlichen Quellen Jacobis vgl. u. a. H. Timm, Gott und die Freiheit (Anm. 10), S. 143 ff., 160 ff., und K. Christ, F. H. Jacobi. Rousseaus 55

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der Liebe sah der Pempelforter Philosoph zugleich eine Sphäre, die, obwohl nicht auf demonstriertem, wissenschaftlich-methodischem Wissen fundiert, dennoch Allgemeingültigkeit und Objektivität beanspruchte. In seiner Opposition zum Rationalismus erhob er die Gefühlssphäre zum allgemeinen Ausgangspunkt der Vernunft und Philosophie. Feuerbach exzerpierte: »Und so gestehen wir denn ohne Scheu, daß unsere Philosophie von dem Gefühle, dem objectiven nämlich und reinen, ausgeht; daß sie seine Autorität für eine allerhöchste erkennt, und sich, als Lehre von dem Uebersinnlichen, auf diese Autorität allein gründet.»57 Ohne Sinn und Gefühl ist für Jacobi keine Erkenntnis, weder naturwissenschaftliche noch philosophische, möglich. Philosophie ist nach ihm entsprechend aus den Handlungen der Menschen herzuleiten, wie die Denkungsart eines Zeitalters allgemein auf die wirkliche Lebensweise zurückzuführen ist, nicht umgekehrt. 58 Kam dem Hegelianer Feuerbach ein solcher Realismus zweifellos entgegen, konnte er auch hier nicht die Doppelbödigkeit des Jacobischen Ansatzes übersehen. Eine doppelte Bestimmtheit zeigte sich exemplarisch an dessen Glaubensbegriff. Jacobi gebrauchte Glauben einmal für die natürliche Einstellung der Individuen, die vom Dasein der äußeren Welt sowie der Mitwelt unmittelbar überzeugt sind, zum anderen für eine übersinnliche Ganzheitsempfindung. 59 Dieser Begriff stand damit einmal für sinnliches Anschauen und Fühlen, zum anderen deutscher Adept. Rousseauismus in Leben und Frühwerk Friedrich Heinrich Jacobis, Würzburg 1998. 57 Jacobi, Vorrede zu David Hume, WW II, 61 (JWA 2, 403); dasselbe Zitat bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 7 – o. r. auf Bl. 7 »David Hume über d[en] Glauben oder Idealism[us] und Realism[us], e[in] Gespräch. Vorrede zugleich Einleitung in d[es] Verfassers sämmtl[iche] philos[ophische] Schriften«; Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Jacobi Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, es erschien […]« überschriebenen Faszikel. Dort auch folgendes Zitat: »Es gehet uns das, was wir Vernunft nennen und über den bloßen, der Natur allein zugewandten Verstand erheben, aus dem Vermögen der Gefühle einzig und allein hervor. Wie die Sinne dem Verstande in der Empfindung weisen, so weiset ihn die Vernunft im Gefühle.« 58 Vgl. Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, 237 f. (JWA 1, 133). 59 Im Hinblick auf den Glauben an äußere Gegenstände stützte sich Jacobi auf Humes Glaubensbegriff. Vgl. ders., David Hume, WW II, 153 (JWA 2, 25 f.). Feuerbach bemerkte dazu: »Ja[cobi] vertheidigt den Gebrauch des Wortes Glaube (wir glauben e[inen] Körper zu hab[en]) als ein Wißen, das Gewißheit durch keine Vernunftgründe vermittelt; [Folgt gestrichen: stützt sei] zeigt auch bei Dav[id] Hume, daß er das Wort so braucht.« UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 1 – o. r. auf Bl. 1 »Jacobi Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, es erschien […]«; Bl. entstammt dem gleichlautenden Faszikel.

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bedeutete er eine reine Vernunftanschauung, die Jacobi als »Abschattung des göttlichen Wissens und Wollens in dem endlichen Geiste des Menschen« bestimmte. 60 Eine zweifache Bestimmung trat ebenfalls bei der Beziehung von Ich und Du zutage, die Jacobi der Mensch-Gott-Beziehung unterordnete. »Ohne göttliches Du sey kein menschliches Ich«, 61 wie es der Autor der Spinozabriefe formulierte und Feuerbach exzerpierte, mußte in den Ohren des letzteren als ein Residuum der alten Zeit klingen, das es zu überwinden galt. Öffnete Jacobi die Philosophie auf der einen Seite der alltagspraktischen Erfahrungssphäre und der sinnlichen, gefühlshaften Subjektivität wie Intersubjektivität, führte er die philosophische Erkenntnis auf der anderen Seite auf ein vorreflexives, religiös ausgelegtes Einheitsbewußtsein zurück. Eine solche Tendenz bedeutete für den Vormärzdenker Feuerbach letztlich, auf Philosophie als Rationalitätsform zu verzichten und damit ihre kulturelle Synthesefunktion preiszugeben. Dem Jacobischen Realismus war auch hier der reelle Boden entzogen.

Feuerbachs religionsanthropologische Deutung der Persönlichkeitsphilosophie Jacobis – Die Opposition von Religion und Philosophie / Wissenschaft Aus der Philosophiegeschichte erwächst Feuerbach das systematische Problem, Religion und Philosophie als zwei differente Realisierungs- und Erfahrungssphären des Menschen aufzuzeigen. Einen äußeren Anstoß dazu gab die zeitgenössische Diskussion in Deutschland, die, wie im Leo-HegelschenStreit Ende der dreißiger Jahre, zu einer Konfrontation von Christentum und Philosophie geführt hatte. Hegels inhaltliche Identifizierung von Religion und Philosophie, wie er sie auf der Basis seiner kulturellen Idealsynthese entwickelt hatte, konnte seinen Schülern nicht mehr genügen. In der Verschmelzung von Religion, Theologie und Philosophie erkennt Feuerbach geradezu

Jacobi, Vorrede zu David Hume, WW II, 59, 55 (JWA 2, 402, 400). Letzteres Zitat bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. 8 – o. r. auf Bl. 8 »Vorrede«; Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Jacobi Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, es erschien […]« überschriebenen Faszikel. 61 Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, XLII (Vorbericht, 1819, JWA 1, 349). Vgl. UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. [2] – Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Fried[rich] H[einrich] J a c ob i , Vorbericht zu den Briefen über d[ie] Lehre des Spinoza, IV. B[d]. I. Abth.« überschriebenen Faszikel. 60

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den Grund für die »Barbarei der Jetztwelt«62 – einer Welt, in der der Klerus in Verbindung mit dem absolutistischen Königtum Staat und Gesellschaft beherrschte. Wie andere kritische Hegelianer richtete Feuerbach sein Augenmerk nunmehr auf die Differenzen und Antinomien von Religion und Philosophie. Dahinter stand das Bestreben, in der Philosophie den Ballast der theologischen Prämissen abzuwerfen. Unter der Hand entsprang für Feuerbach daraus die Aufgabe, Religion in ihrer spezifischen Eigenbestimmtheit aufzuzeigen. Eine Bezugsquelle für ihn ist die Aufklärungstradition, insbesondere der Frühaufklärer Bayle, den er als einen Kulminationspunkt im Zwiespalt von Glauben und Vernunft ansieht. 63 Seine Darlegungen aus den dreißiger Jahren zeigen, daß er zur Auslotung des Differenzverhältnisses von Philosophie und Religion ebenfalls auf den Vernunftkritiker Jacobi zurückgreift. Den theologischen Standpunkt der Leibnizschen Theodizee kritisierend, geht Feuerbach in seiner Leibniz-Monographie bestimmter auf das Verhältnis von Religion und Philosophie ein. Die theologische (religiöse) Einstellung charakterisiert er in diesem Zusammenhang als eine Äußerungssphäre, mit der die Welt als eine Tat eines freien, beliebigen Willens erscheint; entsprungen einer Absicht, einem Entschluß, existiert sie nur in Beziehung auf das sie verursachende Wirkprinzip, d. h. nicht an und für sich. 64 Auf Seiten des endlichen Individuums erweist sich Religion als eine unmittelbare, gefühlshafte Erhebung zum Weltganzen, Unendlichen. 65 Es ist der Standpunkt, »auf dem ich mich als Individuum oder Person zu den Objekten und den Subjekten oder andern Personen außer mir verhalte. Der Inbegriff dieser Verhältnisse ist selbst das Leben.«66 Religion erscheint danach als Realisierungssphäre, die dem praktischen Erfahrungshorizont der unmittelbaren Lebenswelt des Individuums entspringt; religiöse Vorstellungen bilden sich in Analogie zum alltäglichen, praktischen Handeln heraus. Ein Gegenmodell zu dieser Sphäre bilden nach Feuerbach Philosophie und Wissenschaft, die

Feuerbach, Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit, FGW 4, 341. 63 Ebd., S. 5. 64 Feuerbach gebraucht hierfür die Bestimmung der Relation, die er als Grundkategorie des theologischen Standpunkts herausstellt. Vgl. ders., Geschichte der neuern Philosophie. Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibnizschen Philosophie, FGW 3, 111. 65 Ebd., S. 120: Die »Religion ist die Anschauung des Unendlichen und das Verhältnis zu ihm vom Standpunkt der Endlichkeit, des Lebens aus, daher das Gefühl ein absolut notwendiges und wesentliches Moment der Religion ist.« 66 Ebd., S. 118. 62

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gerade aus einer Distanznahme von der praktischen Lebenswelt hervorgehen. Das kontrolliert-methodische, rationale Verhalten, worauf die Wissenschaft fußt, ist nach ihm die absolute Indifferenz gegen alle Individualität, welche die Unterschiede der Personen, hiermit ihre Realität auslöscht. 67 Ziel ist hier, den Gegenstand in seiner Substantialität, d. h. durch sich selbst bestimmt, zu begreifen. 68 Die Welt erscheint auf diesem Standpunkt nicht mehr als Willkürprodukt oder unerforschliches Geschick, sondern als ein Seinsbezirk notwendiger, homogener Zusammenhänge. In Feuerbachs Gegenüberstellung von philosophischem und theologischem (religiösem) Standpunkt fließen neben Auffassungen von Bayle, Leibniz, Kant, Hegel und Schleiermacher offensichtlich auch Jacobische Bestimmungen ein, so auch dessen allgemeine Scheidung von Philosophie und Religion anhand der Kategorien Grund und Ursache. 69 Gegenüber einer Harmonisierung beider Sphären ist Feuerbach bestrebt, religiöses – praktisches – Verhalten der Seite der rational operierenden Vernunft zu entziehen und in den Horizont der Lebenswelt der konkreten Individuen zu stellen. Darin folgt er einer Intention der Gefühlsphilosophie. Sein Ziel ist allerdings ein anderes als das Jacobis, der die unmittelbare Lebenswelt wie den vorreflexiven Glauben als philosophischen Standpunkt schlechthin setzte. Jacobis Forderung an den Forscher, »Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren«, überführt Feuerbach in die Aufgabe, das »Wesen der Dinge« zu ergründen und erforschen, Wesen gefaßt, wie es in seinem Ansichsein der objektivierend rationalen Erkenntnis und nicht den interessierten Individuen im praktischen Umgang erscheint.70 Die Religion wird von Feuerbach nicht einfach als Aberglauben abgetan, wie es in Teilen der französischen Aufklärung praktiziert wurde. Der Hegelschüler strebt vielmehr einen Mittelweg an, wonach sich Philosophie auf Religion in Form einer genetisch-historischen Phänomenologie beziehen soll. Eine solche Wissenschaft ist nach Feuerbach weder theologisch, d. h. erhebt nicht die Norm des Religiösen zur Norm der theoretischen Erkenntnis, noch bloß logisch, wodurch Religion am Richtmaß allein theoretischer Erkenntnis entwickelt würde.71 Er schlägt auf dem Ebd., S. 119. Ebd., S. 111. 69 Zu dieser Problematik vgl. B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 70 Vgl. Feuerbach, Geschichte der neuern Philosophie. Darstellung, Entwicklung und Kritik […], FGW 3, 120. Zu Jacobis Forderung an den Forscher vgl. Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, 72 (JWA 1, 29). 71 Vgl. Feuerbach, Geschichte der neuern Philosophie. Darstellung, Entwicklung und Kritik […], FGW 3, 121. 67 68

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Gebiet der Religionsphilosophie damit einen Weg ein, den Hegel in seiner Phänomenologie allgemein vorgezeichnet hatte. Das Wesen der Religion ist danach nur phänomenologisch, anhand der positiven, geschichtlich realisierten Religionsgestalten wie der sie begleitenden theologischen Wissenschaften zu erschließen. Jacobis Persönlichkeitsphilosophie avanciert auf diese Weise selbst zu einem das »Normal-Religiöse« aufschließenden Typus moderner Religiosität. Feuerbachs nächster Schritt ist, vermittels dieser Methode das Christentum in seinem Wesen zu bestimmen. Er kommt in diesem Zusammenhang ein letztes Mal namentlich und in allgemeinerer Form auf Jacobi zurück. Religion als Objektivierungssphäre des fühlenden, phantastisch-symbolisierenden Individuums – Zum Problem der Verkehrung der Religion bei Feuerbach und Jacobi Die Kritik der Theologie geht bei Feuerbach Ende der dreißiger Jahre in Kritik der spekulativen Philosophie über. Hatte er Gott unter Berufung auf Hegel als Gattungsbegriff der Menschheit entschlüsselt,72 deutet er das Geist-System seines Lehrers im Anschluß selbst als »absolute Selbstentäußerung der Vernunft«73 . In Theologie und spekulativer Logik erkennt er nunmehr zwei vergleichbare Scheinformen von menschlichem Wissen. Ein Wegbereiter dieser Auffassung war offenkundig David Friedrich Strauß. Hegels logische Idealsynthese der kulturellen Sphären aufsprengend, beabsichtigt Feuerbach, den kulturell-geschichtlichen Prozeß auf dem tätigen Gattungswesen des Menschen zu begründen. Ein erstes Bewährungsfeld seiner anthropologischen Ausrichtung ist Religion, speziell christliche Religion. Ein wiederkehrendes Motiv bei ihm lautet: Theologie in Anthropologie auflösen.74 In seinem religionsphilosophischen Hauptwerk bestimmt er Religion als Verhalten des fühlenden, partikularen Individuums zu seinem unbeschränkten Gattungswesen, das, befreit von den Grenzen der Individualität, als ein anderes, von ihm unterschiedenes Wesen angeschaut und verehrt wird. Die religiösen Empfindungen und Erlebnisse werden nach Feuerbach vermittels der Phantasie in anschauliche Vorstellungen und Symbole vergegenständlicht. Den Unterschied der Religion zur Philosophie setzt

Feuerbach, Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit, FGW 8, 254. 73 Feuerbach, Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, FGW 9, 33. 74 Feuerbach, Das Wesen des Christentums, FGW 5, 18, 25 u. a. 72

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er jetzt spezifisch ins Bild.75 Um seinen religionsphilosophischen Ansatz zu rechtfertigen, verweist Feuerbach im Vorwort zur zweiten Auflage auf die allgemeine geschichtliche Entwicklung. Das zentrale erste Kapitel, wo er das Wesen der Religion bestimmt, stellt er als eine notwendige Konsequenz des Gefühlsstandpunktes von Jacobi und Schleiermacher heraus.76 Der kritisierte Jacobi erscheint neben Schleiermacher damit als eine grundlegende theoriegeschichtliche Quelle der anthropologischen Religionsphilosophie. Feuerbachs Anknüpfungspunkt liegt in dem Rückbezug auf das fühlende konkrete Individuum in seiner Unmittelbarkeit, das als subjektiver Ausgangspunkt der religiösen Vorstellungen und Symbolisierungen begriffen wird. Die phantastische, wunderbare Weise, in der sich hier zur Ganzheit des Seins erhoben wird, zeichnet Religion nach Feuerbach als einen Ort des Wunsches und der Sehnsucht aus, als einen Optativ des menschlichen Herzens, wie er formuliert.77 Auch in diesem Punkt stimmt er grundlegend mit der Gefühlsphilosophie überein. Auf das fühlende Subjekt rekurrierend, dechiffriert Feuerbach die christliche Religion in ihrem reellen Gehalt als eine Sphäre intimer persönlicher, moralischer und auch ästhetischer Beziehungen.78 Die eigentlichen Konsequenzen von Jacobis und Schleiermachers Gefühlsstandpunkt liegen für ihn entsprechend auf ethischem und ästhetischem Gebiet. Diese Tendenz war in Jacobis Philosophie offensichtlich angelegt. Jacobi hatte im unmittelbaren Gefühl einen Zugang zum Wahren, Guten und Schönen gesehen, welches Gefühl sich bei ihm mit dem Glauben an Gott verschränkte. Dieser schloß für ihn ebenfalls das Prinzip der Liebe ein.79 Gott zu ehren, wie Jacobi festhält, bedeutet gegen den Nebenmenschen nach dem Prinzip der Liebe zu handeln. Diese moralische Wendung seines Glaubensbegriffes konnte Feuer-

Zu diesen Bestimmungen vgl. ebd., S. 6, 46 ff. Feuerbach, Vorwort zur 2. Aufl., ebd., S. 24. 77 Ebd., S. 220. 78 Im Wesen des Christentums steht spezifisch der moralische Kerngehalt der Religion im Vordergrund. Die moralischen Verhältnisse sind nach Feuerbach »per se wahrhaft religiöse Verhältnisse« – und umgekehrt, ebd., S. 445. Die christlichen Dogmen entschlüsselt er in dieser Option als Versinnbildlichungen moralischer Handlungen, so von uneigennütziger Nächstenliebe, von Liebe zwischen Vater und Sohn, Mutter und Sohn usw. In späteren Analysen der Religion geht er bestimmter auch auf deren ästhetischen Gehalt ein. Vgl. ders., Vorlesungen über das Wesen der Religion, FGW 6, 203 ff. 79 Vgl. z. B. Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/1, 32 ff. (JWA 1, 166 ff.) 75

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bach etwa in den Endpassagen des David Hume studieren. 80 Auch in Jacobis Romanen begegnete ihm die Thematik von (nichtreligiöser) Freundschaft und Liebe. Begründete Jacobi das moralisch-ästhetische Gefühl letztlich auf dem Glauben an einen personalen Gott, ist sein anthropologischer Nachfolger Feuerbach bestrebt, den religiösen Glauben als eine Realisierungsform des fühlenden und mitfühlenden Individuums zu bestimmen. Die Kantsche Ethik, in der moralisches Handeln aus der Selbsttätigkeit des endlichen Subjekts begriffen wird, stand Feuerbach zweifelsohne näher. 81 Der Unterschied zwischen Anthropologie und Gefühlsphilosophie liegt nicht allein in einer solchen Umkehr von (transzendenter) Religion und (immanenter) Moral. Im Anschluß an Hegels Phänomenologie-Konzept deutet Feuerbach Religion vielmehr als eine geschichtlich-realisierte Vergegenständlichungsform, womit er die Theorie des reinen Gefühls überschreitet. Sein theoretisches Interesse verlagert sich spezifisch auf den Prozeß der religiösen Objektivierung bzw. auf die realisierten positiven Lehren, Symbole und kultischen Handlungen, vermittels derer er das Wesen der religiösen Äußerungssphäre erschließen will. Eine exemplarische Modellform erkennt er in dieser Hinsicht im frühen Christentum, später auch in den Naturreligionen. Jacobi orientierte sich dagegen ausdrücklich am wortlosen, unmittelbaren Gefühl des Unendlichen. Dahinter stand seine allgemeine Auffassung, daß wir uns das Universum zueignen, »indem wir es zerreissen, und eine unseren Fähigkeiten angemessene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder-

Jacobi, David Hume, WW II, 287 f. (JWA 2, 100). Kant ist der erste, wie Feuerbach positiv hervorhebt, der eine »Grammatik der Ethik« schrieb, die auf dem nichttheologischen »Standpunkt der autonomischen Ethik« steht. Feuerbach, Pierre Bayle, FGW 4, 103. Die Tendenz einer Säkularisierung wurde Jacobi selbst zugesprochen. In seinem Ansatz sah man eine Überführung des christlichen Glaubensbegriffes in ein philosophisches Prinzip wie auch eine Emanzipation des Gefühls, in der sich paradigmatisch der Säkularisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts spiegelte. Trifft diese Tendenz unstreitig zu, hat Jacobi unter Voraussetzung seines am religiösen Einheitsgefühl ausgerichteten Erkenntnisbegriffes auf der anderen Seite zu einer theologischen Neubegründung der Philosophie beigetragen. Diese zweite Tendenz haben die damaligen Zeitgenossen bewußt registriert, so auch Hegel. Schelling handelte Jacobis Philosophie unter dem allgemeinen Stichwort »Theosophismus« ab, vgl. SW 10, 165 ff. Zur ersten Tendenz vgl. E. Kinder, Natürlicher Glaube und Offenbarungsglaube. Eine Untersuchung im Anschluß an die Glaubensphilosophie Fr. H. Jacobis, München 1935, S. 121–128; H. Nicolai, Goethe und Jacobi. Studien zur Geschichte ihrer Freundschaft, Stuttgart 1965, S. 58 f.; M. M. Olivetti, Der Einfluß Hamanns auf die Religionsphilosophie Jacobis, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit, hg. von K. Hammacher, Frankfurt am Main 1971, S. 88. 80 81

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Ideen- und Wort-Welt erschaffen.«82 Dem kulturellen Objektivierungsprozeß wird damit nur eine negative Funktion zugesprochen. In wahrer, geistiger Gestalt kommen Religion, im weiteren auch Liebe, Moral oder Kunst, nach Jacobi allein in der Innerlichkeit der Person zur Geltung. Er hielt in diesem Zusammenhang u. a. fest: »Der wahren Religion, behaupten wir, kann so wenig irgend eine äußere Gestalt, als einzige und nothwendige Gestalt der Sache, zugeschrieben werden, daß es im Gegentheil zu ihrem Wesen gehört, keine solche Gestalt zu haben.« Auch dieses Zitat hat Feuerbach exzerpiert. 83 Die positive Gestaltwerdung der Religion barg für Jacobi die latente Tendenz zu religiösem Materialismus, Bilder- oder auch Götzendienst. Alle (religiöse) Vergegenständlichung bedeutete auf dem gefühlstheoretischen Standpunkt letztlich eine Verkehrung, Privation. Auch der Anthropologe Feuerbach bestimmte die religiöse Objektivation im Sinne eines Verkehrungsprozesses: Der Mensch vergegenständlicht sein Wesen in der Religion und »macht dann wieder sich zum Objekt dieses vergegenständlichten, in ein Subjekt verwandelten Wesens; er denkt sich, ist sich Objekt, aber als Objekt eines Objekts, eines andern Wesens.«84 Feuerbach bezieht sich hierbei nicht nur auf die positive Religion, sondern auf die religiöse Objektivierungssphäre insgesamt. Er gesteht der religiösen Äußerungsform allerdings eine geschichtliche Berechtigung zu, insofern sich die Menschen in bestimmten Epochen nach ihm nur auf eine ideale, phantastische Weise zur Ganzheit und Einheit erheben können. Der Grund hierfür liegt seiner Darstellung nach im Bruch zwischen partikularem Individuum und menschlicher Gattung bzw. im bewußt wahrgenommenen »Gefühl dieses Bruches«. 85 Das Individuum erfährt sich als ein endliches, nichtiges. Ein solches Unglücksbewußtsein zeichnet für Feuerbach insbesondere die sozial atomisierte bürgerliche Epoche aus. Zu einer positiven, überlebten Form wird eine Religion in seinen Augen erst, wenn sie in Widerspruch zur allgemeinen kulturellen und sozialen Entwicklung tritt, so wie das Christentum in seiner Zeit. 86 Den Ausweg sieht Feuer-

82

Vgl. Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, WW IV/2, 132 (Beylage VII, JWA 1,

249). Jacobi, Von den Göttlichen Dingen, WW III, 287 (JWA 3, 46); dasselbe Zitat bei Feuerbach, UB München, Nachlaß L. Feuerbach (4° Cod. ms. 935) c, 4, Bl. [9] – o. r. auf Bl. [9] »S. 277«; Bl. entstammt einem auf erstem Bl. o. r. mit »Friedr[ich] H[einrich] Jacobi, Beilagen zu den Briefen über d[ie] Lehre d[es] Spinoza. Beilage VII, Jac[obi]. Werke IV. B[d]. II. Abtheil. 1819« überschriebenen Faszikel. 84 Feuerbach, Das Wesen des Christentums, FGW 5, 71. 85 Ebd., S. 455 f. 86 Im Vorwort zur 2. Auflage hält Feuerbach polemisch fest, »daß das Christen83

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bach nicht wie Jacobi in einer Rückkehr zu einem unbeschadeten, göttlichen Ursprung, ebenfalls nicht in einer Transformation der positiv gewordenen Religion, sondern in einer Zurücknahme der religiösen Entäußerung. An die Stelle der Einheit in Gott tritt seiner Auffassung nach eine erneute Gemeinschaft der Menschen, deren Welt- und Selbstverständnis auf Wissenschaft und Philosophie, nicht mehr auf Glauben beruht. Am Ende seines Wesens des Christentums antizipiert er in dieser Hinsicht eine allgemeine Wende zur Liebe und Moral, die zur domi nierenden sozialen Integrationskraft werden sollen. 87 Hier stößt man bei dem Vormärzdenker unstreitig auf ein illusorisches, idealisierendes Moment. Soziale und kulturelle Verselbständigungsprozesse werden allein als eine Funktion religiöser Verkehrung aufgefaßt; ökonomische, juridische oder politische Versachlichungsprozesse spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Wird die Religion negiert, sind Entfremdung wie der Dissoziationsprozeß der Gesellschaft aufgehoben. Eine solche Konzeption geht in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk letztlich auf das Konto eines abstrakten Gattungsbegriffs zurück, bei dem das menschliche Gattungswesen im Sinne eines durchgehenden, idealen Einheitskerns verstanden wird. Aus der Perspektive der Einheitsproblematik bleiben geschichtlich-kulturelle Versachlichungsprozesse marginal; sie tangieren nicht wirklich das einheitliche Gattungswesen des Menschen. Nicht zuletzt die Kritik Stirners, der seiner Anthropologie vorgeworfen hatte, anstelle Gottes nur die menschliche Gattung als neuen Substanzbegriff zu setzen, 88 veranlaßte Feuerbach, die substantiale und unhistorische Bestimmung der menschlichen Gattung zu überwinden. Eine Problematik, die ihn bis in seine späten Schriften beschäftigt.

tum längst nicht nur aus der Vernunft, sondern auch aus dem Leben der Menschheit verschwunden, daß es nichts weiter mehr ist als eine fixe Idee, welche mit unsern Feuer- und Lebensversicherungsanstalten, unsern Eisenbahnen und Dampfwägen, unsern Pinakotheken und Glyptotheken, unsern Kriegs- und Gewerbsschulen, unsern Theatern und Naturalienkabinetten im schreiendsten Widerspruch steht.« Das Wesen des Christentums, FGW 5, 26. 87 »Die Liebe zum Menschen darf keine abgeleitete sein; sie muß zur ursprünglichen werden. Dann allein wird die Liebe eine wahre, heilige, zuverlässige Macht.« Ebd., S. 444. 88 Vgl. Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, mit einem Nachwort hg. von A. Meyer, durchges. und verb. Auflage, Stuttgart 1981, S. 34, 51 f., 62 u. a.

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Das fühlende Subjekt im Horizont von Ich und Du als genetischer Ausgang der Anthropologie – Zur Aufhebung des Gefühlsstandpunktes in Feuerbachs programmatischen Entwürfen In Verallgemeinerung seiner Religionsphilosophie vollzieht Feuerbach in seinen Entwürfen zur neuen Philosophie in den vierziger Jahren den Schritt, Philosophie allgemein anthropologisch zu begründen. Anthropologie erhält bei ihm den Rang einer neuen Fundamentalwissenschaft. Die neue Philosophie, wie er bemerkt, »ist keine abstrakte Qualität mehr, keine besondere Fakultät – sie ist der denkende Mensch selbst – der Mensch, der ist und sich weiß als das selbstbewußte Wesen der Natur, als das Wesen der Geschichte, als das Wesen der Staaten, als das Wesen der Religion – der Mensch, der ist und sich weiß als die wirkliche (nicht imaginäre) absolute Identität aller Gegensätze und Widersprüche, aller aktiven und passiven, geistigen und sinnlichen, politischen und sozialen Qualitäten«. 89 Mit dieser Programmatik schließt Feuerbach an die Grundproblematik des deutschen Idealismus an, die geschichtlich-kulturelle Welt aus der Tätigkeit des Subjekts zu begreifen. Er beabsichtigt, die Theorie des tätigen Subjekts nicht zu negieren, sondern diese auf der Beziehung des Menschen zum Menschen zu fundieren. In ihrer elementaren Form begreift Feuerbach diese Relation als unmittelbare Beziehung von Ich und Du, in welcher Bestimmtheit er sie zur Fundamentalbeziehung aller sozialen und kulturellen Akte erhebt. 90 Mit dem Rückgang auf das Prinzip der Intersubjektivität will er sowohl das intelligible Tätigkeitsprinzip des Idealismus als auch das natürliche Subjekt als Inbegriff möglicher subjektiver Potenzen überwinden. Um diese Aufgabe zu realisieren, hat die Philosophie »nicht mit sich, sondern mit ihrer Antithese, mit der Nichtphilosophie, zu beginnen.»91 Die Wissensformen gehen aus den Lebensformen der Menschen hervor, nicht umgekehrt; eine Einsicht, die er mit dem Realisten Jacobi teilt. Die philosophischen Kategorien sind entsprechend aus den sozial erzeugten, heterogenen Objektivierungs- und Erfahrungssphären zu bezie-

Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9, 259 f. »Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt.« »Das höchste und letzte Prinzip der Philosophie ist daher die Einheit des Menschen mit dem Menschen. Alle wesentlichen Verhältnisse – die Prinzipien verschiedener Wissenschaften – sind nur verschiedene Arten und Weisen dieser Einheit.« Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, FGW 9, 339 f. 91 Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9, 254. 89

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hen, die einem reflektierten Selbstbezug vorausgehen. Das »Übersinnliche, d. i. Geist und Vernunft«, wie ein Grundsatz in Feuerbachs neuer Philosophie lautet, ist genetisch »im Sinnlichen zu finden«. 92 Auch seine Anthropologie beschreitet damit einen phänomenologischen Weg. Reeller und methodischer Ausgangspunkt sind in seinen programmatischen Entwürfen die sinnlich-emotionalen Nahbeziehungen wirklicher, existierender Individuen wie ihre gegenständlichen Bezüge. Die Welt erscheint den Individuen auf dieser Ebene zunächst als eine durch menschliches Dasein und Tun durchwobene Wirklichkeit. Der Begriff des Objekts, wie Feuerbach festhält, ist ursprünglich auf den Begriff des Du zurückzuführen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die reelle Widerstandserfahrung, die zunächst durch die Aktivität eines anderen Menschen hervorgerufen wird – die Gewißheit vom Dasein äußerer Dinge ist für ihn durch Gewißheit vom Dasein eines anderen Menschen vermittelt –, wie auch auf die Entwicklung des Menschen, der in seiner Kindheit ursprünglich alle Dinge als freitätige, willkürliche Wesen – als ein ebenbürtiges Du – auffaßt. Das wichtigste, wesentlichste Sinnenobjekt des Menschen, wie er im Anklang an einen Ausspruch Popes bemerkt, ist der Mensch selbst. 93 Zur Explikation der sinnlichen Ausgangsebene greift Feuerbach offenbar auf Aspekte der vormaligen Gefühlsphilosophie zurück, wie an diesen Bestimmungen bereits zutage tritt. 94 Der Jacobische Gedanke, daß ohne sinnlich erfahrbares Du kein wirkliches Ich – wie auch ohne äußere Welt keine innere – ist, weitet sich in seiner Anthropologie zu einem allgemeinen Systematisierungsprinzip aus. Vergleichbar mit der Gefühlsphilosophie begreift Feuerbach das Subjekt in seiner Unmittelbarkeit nicht lediglich als passives Medium äußerer Eindrücke oder Umstände; der Mensch besitzt nach ihm vielmehr ästhetischen (künstlerischen), sittlichen (religiösen) und wissenschaftlichen (philosophischen) Sinn. Ein solcher emotionaler Sinn ist seiner Darstellung nach von den Augen des Anatomen und Chemikers, d. h. einem objektivierend naturwissenschaftlichen Weltzugang, wohl zu unterscheiden. 95 In ihrer entfalteten Form erweist sich die Sinnesebene für ihn als Realisierungssphäre von Kunst

Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, FGW 9, 325. Vgl. ebd., S. 316, 324. 94 Eine Erwähnung finden Vertreter des Gefühlsstandpunktes in Feuerbachs programmatischen Entwürfen nicht mehr. Namentliche Bezüge im positiven Sinn entfallen darin; versteht sich ihr Autor im Pathos des Neuerers doch als positive Aufhebung aller vorangegangenen Philosophie, einschließlich des Jacobischen Personalismus; vgl. Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9, 260. 95 Vgl. Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, FGW 9, 337, 324. 92 93

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(Schönheit) und Liebe. Kunst erscheint als »Wahrheit des Sinnlichen»96 , die Liebe avanciert auf der Ebene der unmittelbaren Lebenswelt weitergehend zu einem Kriterium von Existenz und Wahrheit. »Wo keine Liebe, ist auch keine Wahrheit«97, wie eine Feuerbachsche Antithese zur rationalistischen Wahrheitsauffassung lautet. Die Liebe (Empfindung) ist nach Feuerbach das Organ, wodurch die Person – ein Ding – zu unendlichem Wert gelangen. 98 Die Sinnessphäre erscheint somit als der ausgezeichnete Ort, an dem die Individuen in ihrer Individualität und Besonderheit zur Geltung gelangen. In dieser Auffassung kehrt in anthropologischer Überschreibung nicht nur die Tradition der Gefühlsphilosophie, sondern ebenfalls der christliche Liebesbegriff wie die mystisch-pantheistische Erostradition wieder. Der emotionale Sinn fungiert bei Feuerbach als ein elementares Handlungs- und auch Erkenntnisschema miteinander agierender Subjekte. Er geht in die moralischen, künstlerischen, im Weiteren auch politischen, religiösen und wissenschaftlichen Aktivitäten des Individuums auf der alltagspraktischen Ebene ein. Wie der vormalige Gefühlsstandpunkt und auch die Commonsense-Philosophie hebt sich Feuerbach damit bewußt von der Konzeption des natürlichen Subjekts wie auch vom physiologischen Sensualismus ab. Allerdings steht er vor der Aufgabe, die Geltung des Sinnes für das Wahre, Gute und Schöne nicht mehr aus einem intelligiblen, außer Raum und Zeit stehenden Prinzip, sondern aus der sozialen Bezogenheit des Menschen zu erklären. Wenn er von »gebildeten Sinnen« spricht, die von rohen, pöbelhaften Sinnen abzuheben sind, 99 deutet sich an, daß er diese Problematik in den Horizont des geschichtlich-kulturellen Bildungsprozesses der Menschen stellt, der auch die sinnlich-emotionale Konstitution betrifft. Eine Übereinstimmung mit der Gefühlsphilosophie besteht schließlich in der Anerkennung eines nicht zu eliminierenden, objektiven Erfahrungsgehalts der Sinnessphäre. Feuerbach hebt die sinnliche Erfahrungsebene wie Jacobi ausdrücklich von dem methodisch-operationalen, rationalen Wissen ab. Bezugspunkt auf dieser Ebene ist die konkrete, individuelle Existenz, nicht die allgemeinen Seinsbestimmungen. Wahr ist hier, wie er in einer These formuliert, »was keines Beweises bedarf, was unmittelbar durch sich selbst gewiß ist, unmittelbar für sich spricht und einnimmt […]. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit.«100 Die sinnlich-emotionale Überzeugung entsteht

96 97 98 99 100

Ebd., S. 322. Ebd., S. 318. Ebd., S. 317. Vgl. ebd., S. 324. Ebd., S. 321.

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für Feuerbach dabei nicht in einem monologischen Selbstbezug, sondern in einem dialogischen Prozeß. »Was ich allein sehe, daran zweifle ich; was der andere auch sieht, das erst ist gewiß.«101 Unmittelbarkeit bedeutet hier kein passives Einstreichen der Wahrheitssubstanz, sondern wird in Richtung einer unmittelbaren – ursprünglich sprachlosen – Interaktion bzw. eines dialogischen Prozesses von Ich und Du gedacht. Die Nähe zur Gefühlsphilosophie läßt zugleich nicht die Kluft übersehen, die Feuerbachs Anthropologie von dieser Richtung trennt. Seine früheren Einwände verlieren nach der anthropologischen Wende nicht ihre Gültigkeit. Im Unterschied zu Jacobi erkennt Feuerbach im bedürftigen, fühlenden Individuum auf dem Standpunkt der unmittelbaren Lebenswelt nur eine Ausgangsform, nicht bereits eine reelle und methodische Endstufe im Erhebungsprozeß des partikularen Individuums zu einem kulturell und sozial erfüllten Dasein. Am Ende seiner Thesen verweist Feuerbach auf die Vermittlungsebene des Staates, in der die Individuen erst zu einem reellen Dasein gelangen. Der Staat ist nach ihm die »realisierte, ausgebildete, explizierte Totalität des menschlichen Wesens«.102 Ebenso ist der Prozeß des Wissens für ihn nicht mit der Erfahrungsstufe von Anschauung, Empfindung und Liebe erschöpft, sondern geht in rational-begriffliches Wissen über. Philosophie ist hinsichtlich ihrer genetischen Ausgangsbasis »das zum Bewußtsein erhobene Wesen der Empfindung«, 103 Empfindung an sich bildet in dieser Hinsicht noch keine eigenständige Wissensform. Damit weist Feuerbach zugleich den Gedanken ab, philosophisches Einheitsbewußtsein auf der Basis eines unmittelbaren Anschauens und Fühlens zu gewinnen. Erst aus dem Differenzverhältnis von Denken und Anschauung, Kopf und Herz, weitergehend von innerer und äußerer, aktiver und passiver, selbstgenugsamer und gesellschaftlicher Existenz, ist nach ihm die Einheit des Menschen mit dem Menschen überhaupt erklärbar. Die Philosophie hat unter dieser Voraussetzung nicht lediglich auf die stumme Gefühlsbasis, sondern ebenfalls auf die geschichtlich realisierten Objektivierungen des Menschen zu rekurrieren. Sie muß sich, wie

Ebd., S. 324. »Der Mensch ist das ‘Εν καì παν [Ein und alles] des Staates. Der Staat ist die realisierte, ausgebildete, explizierte Totalität des menschlichen Wesens.« Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9, 262. 103 Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, FGW 9, 319. Nur »die durch das Denken beschränkte Anschauung« ist eine wahre, wie Feuerbach im Kantschen Sinne festhält, umgekehrt ist »nur das durch die Anschauung erweiterte und aufgeschlossene Denken das wahre, dem Wesen der Wirklichkeit entsprechende Denken«. Ebd., S. 331 f. 101

102

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eine These Feuerbachs lautet, wieder mit Naturwissenschaft, wie die Naturwissenschaft mit Philosophie verbinden.104 – Auch Jacobi beschränkte den Menschen bekanntlich nicht auf die Gefühlssphäre; um sich als Naturwesen zu behaupten, benötigt der Mensch nach ihm ebenso den rational-operierenden, instrumentellen Verstand.105 Auf dieser Basis konstituiert sich nach ihm die durchdeterminierte Welt von Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Staat qua Gewaltherrschaft. Im Unterschied zum Anthropologen Feuerbach faßt er diese Vermittlungsebenen allerdings nicht als Einzugsgebiete der Philosophie auf. Als Lehre vom Übersinnlichen bleibt Philosophie bei ihm auf die Autorität des unmittelbaren Gefühls angewiesen. Diese Auffassung fußte letztlich auf seiner dualistischen Metaphysik, auf deren Basis die Wirklichkeit in zwei verschiedenwertige Seinsbezirke, einen durch Unfreiheit gekennzeichneten endlichen und einen übergeordneten, Freiheit, Wahrheit und Einheit verbürgenden, unendlichen Bezirk aufgespalten wurde. Vom anthropologischen Standpunkt aus erkennt Feuerbach darin nunmehr eine abstrakte Gegenüberstellung differenter Äußerungs- und Vermittlungsebenen des Menschen, die unzulässig zu ontologischen Prinzipien generalisiert werden. Jacobis dualistische Zwei-Welten-Lehre anthropologisch aufheben heißt nach Feuerbach, die beiden entgegengesetzten Seinsbezirke als heterogene Realisierungs-, Vermittlungs- und auch Erfahrungssphären der sozial agierenden Individuen durchsichtig zu machen sowie sie in den Gesamtzusammenhang des geschichtlich-kulturellen Bildungsprozesses der menschlichen Gattung zu stellen. Eine solche Aufhebung sprengt zweifelsohne den metaphysischen Kern der inneren Person auf, wie er Jacobis Gefühlsphilosophie zugrunde lag. Insofern ist es nicht der ehemalige Hegelianer Feuerbach, sondern eher der Zeitgenosse Kierkegaard, der in Ausrichtung auf Subjektivität, Innerlichkeit, subjektive Wahrheit und Glauben den ursprünglichen Jacobischen Ansatz in die nachhegelsche Philosophie überführt. Später hat auf den Jacobischen Ansatz ebenfalls die Lebensphilosophie zurückgegriffen.106 Gemäß der pantheistischen Tradition sucht der Vormärzdenker Feuerbach Unendlichkeit, Einheit und auch Freiheit nicht in einem aparten Ursprung, sondern innerhalb der existierenden Welt auf, im unaufhaltsamen Fortschreiten der

Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9, 262. Zu Jacobis Auffassung vom Menschen als natürlichem Wesen vgl. u. a. Von den Göttlichen Dingen, WW III, 396 ff. (JWA 3, 101 ff.). 106 Die spätere, an Dilthey ausgerichtete Lebensphilosophie hat in Jacobis Ideal der Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Lebens offensichtlich einen Vorgriff auf ihren eigenen Ansatz gesehen. Vgl. z. B. O. F. Bollnow, Die Lebensphilosophie F. H. Jacobis, Stuttgart 1933, bes. 1– 42. 104 105

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menschlichen Gattung. Ermöglicht wird dieser Prozeß durch das zu »unendlicher Bestimmung fähige Wesen« des Menschen.107 An die Stelle des NichtWissens, wie es Jacobi kultivierte, tritt bei ihm der Progreß des Wissens auf allen Erfahrungsebenen, der wiederum dem unbegrenzten Wissenstrieb des Menschen entspringt. Hier teilt er augenscheinlich den aufklärerischen Optimismus von Kant bis Hegel. Feuerbachs Entwürfe zur neuen Philosophie bleiben Programmschriften. Sie weisen den Weg, stellen jedoch keine systematisch ausgearbeitete Theorie der neuen Philosophie dar. Mit der anthropologischen Wende war das Problem, die geschichtlich-kulturellen Objektivierungen genetisch auf Basis von Ich-Du-Beziehungen, d. h. auf dem Prinzip der Intersubjektivität, zu entwickeln, erst aufgegeben. Feuerbach hat diese Problematik in seinen späteren Schriften auf dem Gebiet der Religionsphilosophie, fragmentarisch auch auf ethischem Gebiet zu lösen versucht. Im unentwickelten Charakter seiner Anthropologie, die er in Opposition zur vormaligen Schulphilosophie in antithetischer Darstellungsform entworfen hat, liegt ein letzter Berührungspunkt mit dem Pempelforter Philosophen. Auf der Grenze zweier Zeiten stehend, 108 hatte auch Jacobi seine »Unphilosophie« in einer fragmentarischen Form belassen. Eine bevorzugte Form waren bei ihm der Roman, die Briefform oder die Streitschrift. Die philosophische Programmatik Jacobis und Feuerbachs überschreitet bei beiden ihre jeweilige positive Umsetzung. Beide Ansätze wirken so über ihre Zeit hinaus.

107

Vgl. Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, FGW 9,

260. Schelling hat Jacobi als Philosophen bezeichnet, der auf der Grenze zweier Zeiten steht. Vgl. SW 10, 182. 108

Personenverzeichnis

Das Verzeichnis erfaßt die in den einzelnen Beiträgen genannten historischen Personen. Nicht berücksichtigt sind Namen, die Bestandteile eines zitierten Titels bilden (z.B. Spinoza und Mendelssohn in »Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn«). Aczel, Peter 329 Adolphi, Rainer 123 Adorno, Theodor Wiesengrund 414, 416 Ahlers, Rolf 70 Alston, William P. 170 Anaximander 323 Ancillon, Friedrich 376 Anton, Herbert 284 Aquilecchia, Giovanni 109 Aquin, Thomas von 113 f. Arendt, Hannah 419 Aristoteles 32–34, 153, 191, 322 f., 326, 393 Arndt, Andreas 128, 133, 135, 140 Arnold, Günter 75 Ascheri, Carlo 423 Baader, Franz Xaver von 377 Bachmann, Carl Friedrich 435 Baggesen, August 177 Baggesen, Jens 38, 177 Baggesen, Karl 177 Bardili, Christoph Gottfried 177–181, 183 f., 186, 190–195 Bartuschat, Wolfgang 160, 169

Bauer, Bruno 424 Baum, Günther 3, 5, 11, 15, 148 f., 159, 162 Baum, Manfred 76, 83 Bautin, Louis–Eugène 381–383 Bayle, Pierre 108, 111, 114, 125, 440 f. Behler, Ernst 132 Bell, David 76 Berend, Eduard 278 Berkeley, George 145 Bernays, Paul 260 Bock, Helmut 360 Böhme, Jakob 431 Bolin, Wilhelm 422 Bollnow, Otto Friedrich 158, 451 Bonsiepen, Wolfgang 260 f., 267 Bouterwek, Friedrich 194, 274, 376 Brandt, Andreas 260 Brasser, Martin 219 Braun, Otto 137 Brentano, Bettina 377 Brentano, Clemens 377 Brentano, Christian 377 Brinckman, Carl Gustav von 135, 139

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Personenverzeichnis

Brookes, Derek R. 150, 154, 164 Brucker, Jakob 111 f., 121 f. Bruno, Giordano 107–125, 162, 431 f. Buber, Martin 230 Budde, Franz 114 Buhle, Johann Gottlieb 122 f. Buonafede, Appiano 112 Burgh, Albert 169 Carraud, Vincent 110 Chalybäus, Heinrich Moritz 386, 388 Chisholm, Roderick 171 Cicero, Marcus Tullius 162 Clairmont, Heinrich 76 Claudius, Matthias 20, 377, 386 Clodius, Christian A. H. 376 Colli, Giorgio 252 Coreth, Emerich 377 Cousin, Victor 382 Cusanus, Nicolaus 114 Dagron, Tristan 109, 118, 120 f., 123 Dalgarno, Melvin 170 Davidson, Donald 260 Deleuze, Gilles 118 f. Delius, Harald 149 Descartes, René 148, 155, 170, 218, 223, 387, 393 Dietterle, Johannes August 76 Dilthey, Wilhelm 137, 451 Dobbek, Wilhelm 75 Dohm, Christian Wilhelm von 385 Dohna-Schlobitten, Friedrich Ferdinand Alexander, Graf 54 Döllinger, Johann Joseph Ignaz 381 Drey, Johann Sebastian 377, 379– 381 Duns Scotus, Johannes 114, 120 Dürig, Walter 378

Echtermeyer, Theodor 427 Eichner, Hans 127 f. Eschenmayer, Adolf Karl August 257, 269–275 Eschweiler, Karl 377 Falk, Hans-Peter 335 Fambach, Oscar 131 Feder, Johann Georg Heinrich 154 Feuerbach, Ludwig 422–426, 428–451 Fichte, Immanuel Hermann 388–391 Fichte, Johann Gottlieb 8, 15, 17, 20 f., 23, 36–40, 43–47, 49–51, 53–69, 71, 101–106, 118, 122– 125, 129, 133, 136 f., 146, 150, 177–182, 185–194, 215 f., 218 f., 223–225, 231, 236, 258, 262, 270 f., 278–283, 286, 289–291, 293, 295–297, 301, 308–318, 380, 386, 392 f., 395, 397, 399, 409 f., 417, 420, 423, 425, 427–429, 433, 435, 437 Ficino, Marsilio 114 Fischer, Gerhard 378, 387 Förster, Eckart 315 Frank, Manfred 217, 284, 288 Franz, Albert 384 Frege, Gottlob 153, 259 Friedrich, Cäcilia 76 Fries, Jakob Friedrich 146, 257– 270, 272, 275 f., 376 Fuchs, Erich 53, 70 Fulda, Hans Friedrich 264 Gabriel, Gottfried 152, 155, 261 Gajek, Bernhard 284 Gallitzin, Amalia Fürstin 376 Gawoll, Hans-Jürgen 71 Gebhardt, Carl 169 Geiselmann, Josef Rupert 381 Gentz, Friedrich von 377

Personenverzeichnis

Gerdes, Hayo 394, 396 Gildemeister, Karl Hermann 162 Gilson, Etienne 120 Giovanni, George di 70, 90, 101, 109, 149, 159, 161, 168 Goethe, Johann Wolfgang 88–91, 106, 139 Goeze, Johann Melchior 128 Göschel, Carl Friedrich 359–373 Götz, Carmen 214 Gründer, Karlfried 264 Hahn, Elke 425 Hahn, Karl-Heinz 75 Hamann, Johann Georg 53, 146, 161 f., 376, 412, 424 Hamilton, William Sir 171 Hammacher, Klaus 3, 5, 18, 37, 70 f., 76 f., 127, 151, 159, 161, 168, 204, 444 Haubold, Arndt 360 f. Haym, Rudolf 76 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 17 f., 76 f., 125, 129, 174–176, 179, 182, 199, 206–209, 211 f., 217 f., 223–226, 236 f., 255, 257 f., 264, 281, 319–327, 330–333, 335–347, 349–355, 359–363, 370 f., 373, 382, 395, 397 f., 420, 422–429, 431–433, 435, 437–442, 444, 451 f. Heidegger, Martin 145, 153, 155, 420 Heine, Heinrich 199 Heinz, Marion 75–77, 82 Heise, Wolfgang 360 Held, Klaus 76 Helfferich, Adolf 394 Henke, Ludwig Theodor 257 f., 275, 277 Henkel, Arthur 162 Hennigfeld, Jochem 76 Henning, Leopold von 423

455

Henrich, Dieter 109, 231, 245 f. Herder, Johann Gottfried 75–87, 105, 131, 168, 176, 212, 216, 219, 224, 226 f., 229, 235, 412, 422, 424 Herms, Eilert 134 Herrmann, Kay 267 Hesse, Heidrun 207 Heumann, Christoph August 111 Heydenreich, Karl Heinrich 112 Hinrichs, Hermann Friedrich Wilhelm 208, 360 Hirsch, Emanuel 396 Hoffart, Elisabeth 76 Hogrebe, Wolfram 266 f. Höhle, Thomas 76 Höhn, Gerhard 17 Hölderlin, Friedrich 39, 105, 282 Homann, Karl 3, 15, 19, 245, 344, 350 Hong, Edna H. 394 Hong, Howard V. 394 Houe, Poul 399 Hugo von St. Viktor 394 Humboldt, Wilhelm von 32, 161 Hume, David 8 f., 13, 95, 97, 146, 148 f., 153 f., 162, 164, 170, 173, 437 f. Hutter, Axel 200 Iacovacci, Alberto 70 Irrlitz, Gerd 425 Ivaldo, Marco 70 Jacobi, Max 199 Jaeschke, Walter 20, 70, 134, 255, 332, 360, 417, 422 Jamme, Christoph 71 Jantzen, Jörg 123, 270, 275 Jean Paul 131, 232, 245, 278 f., 281 Jensen, Bernhard 243 Jesus von Nazareth (Christus) 348, 354, 364, 367, 371, 385

456

Personenverzeichnis

Jonas, Ludwig 137 Junghans, Hans Martin 396 Just, August Coelestin 278–281 Kahlefeld, Susanna 71, 132 Kambartel, Friedrich 147 Kant, Immanuel 3–13, 15–23, 25–36, 40, 44, 50, 55, 76 f., 79, 82–87, 91–94, 96, 98–101, 104 f., 125–128, 132 f., 135, 138, 145 f., 149, 152 f., 157, 162, 180 f., 199 f., 207 f., 218 f., 223 f., 228, 231 f., 234, 241–255, 257, 259, 261–266, 268, 270, 272, 275–277, 279, 287, 297, 320–322, 336, 343, 380–382, 384–388, 391 f., 397, 414, 422, 425–428, 434, 437, 441, 444, 450 Kaplow, Ian 219, 222, 229 Karl August, Großherzog von Weimar 258 Keil, Robert 184 Kible, Brigitte 232 Kierkegaard, Sören 104, 146, 394–417, 420 f., 451 Kimmerle, Heinz 138 Kinder, Ernst 444 Kirmmse, Bruce H. 398–400 Kleuker, Johann Friedrich 19, 108, 219, 244, 252, 429 Kluckhohn, Paul 278 Kobusch, Theo 218, 393 Kodalle, Klaus-Michael 417, 420 Kohlmann, Sigrid 428 Köppen, Friedrich 376 Kuehn, Manfred 149 Kuhn, Johann Evangelist 379, 382, 386–388, 423, 435 Kunnemann, Harry 206 Kurz, Gerhard 217, 284 Lacroze de la Veyssiere, Mathurin 111 f., 114 f., 117, 120–122 Lange, Joachim 112

Lasson, Georg 320 Lauschke, Marion 37, 159 Lauth, Reinhard 39, 62, 71, 127, 376 Lavater, Johann Caspar 189, 219 f., 225, 377, 428 Le Pappe de Trévern, Jean François Marie 382 Lehnerer, Thomas 141 Lehrer, Keith 149, 171 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 75, 78, 85, 112, 153, 162, 185, 195, 226, 260, 351, 387, 440 f. Leitzmann, Albert 161 Lessing, Gotthold Ephraim 38, 53, 77–80, 82, 88–91, 105, 114, 128, 169, 225, 276, 343, 378, 380, 395 f., 414, 424 Locke, John 12, 219, 226–229, 235 Look, Reinhard 71 Löwith, Karl 422 Mackie, John L. 173 Mähl, Hans-Joachim 131 Mahoney, Dennis F. 279 Maimon, Salomon 113 f. Marino, Gordon D. 399 Marks, Ralf 270 Martensen, Hans L. 395, 397 f. Matthews, Eric 170 Meckenstock, Günter 134 Meiners, Christoph 154 Meist, Kurt Rainer 343 Mendelssohn, Moses 62 f., 75 f., 78 f., 89, 91, 148, 151, 153, 168, 241, 260, 276, 302, 306, 378 Meyer, Ahlrich 446 Michel, Karl Markus 236 Miltitz, Dietrich von 279 Milz, Bernhard 263 Möhler, Johann Adam 377, 379, 381–383, 386 Moldenhauer, Eva 236

Personenverzeichnis

Montinari, Mazzino 252 Moore, George Edward 149, 156–158 Mues, Albert 134 Müller, Ernst 424 Müller, Johannes v. 214 Müller-Lauter, Wolfgang 71 Mynster, Jakob Peter 395, 398 Neeb, Johann 161, 332, 340, 355 Neidl, Walter M. 377 Nelson, Leonhard 260 Nicolai, Friedrich 214 Nicolai, Heinz 444 Nicolin, Friedhelm 319 Nida-Rümelin, Julian 152 Nidditch, Peter H. 154, 170 Nietzsche, Friedrich 252, 255, 401, 419 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 131, 278–293, 295–297 Nuzzo, Angelica 70 Oberhausen, Michael 101 Oesterreich, Peter L. 70 Ohst, Martin 417 Olivetti, Marco Maria 444 Otto, Rudolf 276 Otto, Stephan 123 Pascal, Blaise 162 Passavant, Johann Carl 377 Patzig, Günther 259 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 184 Paulus (der Apostel) 364 Perthes, Friedrich 382 Pfaff, Peter 284 Pfligersdorfer, Georg 377 Pisarek, Henryk 135 Piske, Irmgard-Maria 37, 159 Platon 137, 146, 184, 190, 192, 195, 287

457

Plotin 114 Pöggeler, Otto 319 Pope, Alexander 448 Pulte, Helmut 267 Pythagoras 184 Quine, Willard Van Orman

260

Radrizzani, Ives 50, 63, 70 Rameil, Udo 83 Ratjen, Henning 19, 108 Rehme-Iffert, Birgit 129 Reich, Klaus 83, 86 Reichardt, Johann Friedrich 127 f. Reid, Thomas 15, 97, 149 f., 154 f., 158–162, 164 f., 167, 169–173, 176 Reimer, Georg Andreas 137 Reinhold, Carl Leonhard 101, 105, 139, 177–195, 376, 386 Reitemeyer, Ursula 422 Rentsch, Thomas 134 Ricci, Saverio 112 Richard von St. Viktor 232 Richardson, Ruth D. 139 Richter, Jean Paul Friedrich s. Jean Paul Riedel, Manfred 247 Rippe, Klaus Peter 31 Ritter, Joachim 264 Rossel, Sven Haakon 399 Rousseau, Jean-Jacques 422 Ruge, Arnold 427 Sailer, Johann Michael 377–379 Salat, Jakob 376 Samuel, Richard 131, 278 Sandkaulen, Birgit 3, 13, 18–20, 32, 69, 81, 109, 113, 115, 125, 147, 159, 162, 165, 206, 217, 244, 262, 279, 316, 320 f., 325, 333, 350, 371–373, 395, 407, 409, 411–413, 415, 418 f., 441

458

Personenverzeichnis

Sansonetti, Giuliano 71 Schaber, Peter 31 Schaede, Ernst Joachim 76 Scheffczyk, Leo 383 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 38 f., 45 f., 50, 52, 76, 94, 105, 107 f., 110, 112, 116, 123–125, 136, 178–183, 190, 209, 217–220, 222–226, 229, 236 f., 260, 269– 275, 281, 336, 377, 382, 386, 389, 398, 412, 422 f., 425 f., 437, 444, 452 Schings, Hans Jürgen 204 Schlegel, Friedrich 71, 126–136, 141, 278, 280, 377 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 126 f., 129, 134–141, 208, 422, 424, 441, 443 Schmid, Carl Christian Erhard 101 f. Schmid, Friedrich Alfred 3, 13 Schneider, Peter-Paul 108 Scholz, Gertrud 83 Schopenhauer, Arthur 199 Schreier, Josef 377 Schuffenhauer, Werner 423, 426, 428 Schulte, Jochen 261 Schulz, Gerhard 131 Schulze, Gottlob Ernst 376 Schupp, Franz 380 Schürmann, Eva 76 Schwegler, Albert 388 Selby-Bigge, Lewis A. 154, 170 Selge, Kurt-Victor 138 Sengler, Jakob 391–393, 431 Shakespeare, William 131, 396 f. Smith, Adam 202 Sokrates 399 f. Spaemann, Robert 219 Spinoza, Baruch de 37 f., 40–43, 47–52, 73, 75–86, 88–94, 97–102, 104–108, 110–122, 124 f., 129 f.,

132–137, 151, 159–162, 165–172, 174–176, 183, 189, 200, 209, 213, 225 f., 229, 235 f., 242, 245, 275 f., 279, 282 f., 288, 293–295, 301, 303 f., 308–313, 315–321, 332–334, 353, 374, 387, 395 f., 420, 422, 429–435, 439 Stahl, Friedrich Julius 428, 431 Staudenmaier, Franz Anton 379, 383–385, 393 Steinmeier, Anne 420 Stern, Jakob 388 Stirner, Max 446 Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu 377 Strauß, David Friedrich 360, 442 Strawson, Peter F. 219 Sturma, Dieter 219 Suphan, Bernhard 78, 227 Tennemann, Wilhelm Gottlieb 394 Theunissen, Michael 335 Thies, Erich 422 f. Tiedemann, Dietrich 122 Tilliette, Xavier 274 Timm, Hermann 76, 168 f., 424, 437 Tomasoni, Francesco 422 f. Töpelmann, Cornelia 428 Toti, Daniela 71 Traub, Hartmut 70 Tumarkin, Anna 76 Unger, Johann Friedrich 127 Védrine, Hélène 123 Verra, Valerio 3, 114 Virmond, Wolfgang 140 Vollrath, Wilhelm 76 Vries, Hent de 206 Walther, Manfred 77, 135 Walzel, Oskar 128

Personenverzeichnis

Waszek, Norbert 76 Weber, Max 400 Wegenast, Margarethe 90 Weiller, Cajetan 376 Weininger, Otto 146, 150 f. Weinreich, Frank 76 Weischedel, Wilhelm 223 Weiss, Christian 376 Weiß, Georg 276 Weiß, Peter 138 Weiße, Christian Hermann 389 Weißhuhn, Friedrich August 39 Werder, Johann Friedrich 114 de Wette, Wilhelm Martin Leberecht 275 Wiedemann, Konrad 108

459

Wieland, Christoph Martin 200, 204 Willich, Ehrenfried von 137 Windisch-Graetz, Joseph Nicolaus 113, 344 Wittgenstein, Ludwig 146–150, 155–158, 417 Wizenmann, Thomas 209 Wolff, Christian 71, 78, 112 f., 260, 387 Wolf, Johann Christoph 112 Wolterstorff, Nicholas 158 Woozley, Anthony D. 164 Zahn, Manfred 376 Zammito, John H. 77