Friedrich der Große als Leser 9783050060408, 9783050049229

Friedrich der Große erweist sich in seinem schriftstellerischen Werk sowie in seinen literarisch-philosophischen Briefwe

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German Pages 231 [232] Year 2012

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung. Der Leser von Sanssouci
Fürst und Text. Die Leserevolution der Aufklärung als Herausforderung der friderizianischen Selbststilisierung
„Handlanger der Geschichtsschreibung“ Friedrich II. als Rezipient historischer Werke zur brandenburgischen Geschichte
Friedrichs Lektüren während des Siebenjährigen Krieges
Der Feldherr als Historiker Friedrich der Große und die Histoire de la Guerre de Sept Ans
„Mein Freund Lukrez.“ Friedrichs „XVIII. Epistel an den Marschall von Keith: Über die leeren Schreckens des Todes und die Angst vor einem anderen Leben“
Platon- und Aristoteles-Rezeption bei Friedrich II.
Eine Poetik in Briefen. Zur Rolle der Literatur im Briefwechsel Friedrich des Großen mit Voltaire
Spiegelungen – Friedrich II., Montezuma (1755) und Voltaire
Friedrich II. und das Berliner Hoftheater
Personenregister
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Friedrich der Große als Leser
 9783050060408, 9783050049229

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Friedrich der Große als Leser

Friedrich der Große als Leser Herausgegeben von Brunhilde Wehinger und Günther Lottes

Akademie Verlag

Abbildung auf dem Cover: Adolph Menzel, Friedrich der Große am Schreibtisch, in: Franz Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen [1840 u. ö.], Nachdruck, Köln 1926 Abbildung auf S. 5: Adolph Menzel, Skizze zu dem Bild Friedrich als Kronprinz in Rheinsberg, in: Die Graphischen Künste 19 (1896) Register: Maria Weilandt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2012 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Mischka Dammaschke Umschlaggestaltung: Ingo Scheffler, Berlin Satz: Stephanie Rymarowicz Druck und Bindung: Beltz, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-004922-9 E-Book 978-3-05-006040-8

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fürst und Text Die Leserevolution der Aufklärung als Herausforderung der friderizianischen Selbststilisierung . . . . . . . . . . . . . 24 Günther Lottes „Handlanger der Geschichtsschreibung“ Friedrich II. als Rezipient historischer Werke zur brandenburgischen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 42 Michael Knobloch Friedrichs Lektüren während des Siebenjährigen Krieges . . . . 71 Jörg Ulbert Der Feldherr als Historiker Friedrich der Große und die Histoire de la Guerre de Sept Ans . . . . . . . . . . . . . . . 99 Sven Externbrink „Mein Freund Lukrez.“ Friedrichs „XVIII. Epistel an den Marschall von Keith: Über die leeren Schreckens des Todes und die Angst vor einem anderen Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Reinhart Meyer-Kalkus Platon- und Aristoteles-Rezeption bei Friedrich II.. . . . . . . . 143 Anne Baillot



INHALT

Eine Poetik in Briefen Zur Rolle der Literatur im Briefwechsel Friedrich des Großen mit Voltaire . . . . . . . . . . . . . . . 15 Uwe Steiner Spiegelungen – Friedrich II., Montezuma (1755) und Voltaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Babette Kaiserkern Friedrich II. und das Berliner Hoftheater . . . . . . . . . . . . 202 Claudia Terne Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Einleitung

Der Leser von Sanssouci J’ai bien lu aujourd’hui et je suis heureux comme un roi (Ich habe heute viel gelesen und ich bin königlich zufrieden.) Friedrich im Gespräch mit Henri de Catt Am 8. Mai 1771 bedankte sich Friedrich bei Voltaire für zwei Briefe, auf die er nicht gleich habe antworten können, weil er innerhalb kurzer Zeit „une foule d’étrangers“, eine Menge Ausländer, zu empfangen hatte. Drei Besucher, die dem König zum Teil mit großem Gefolge ihre Aufwartung machten, werden in diesem Brief namentlich erwähnt: Friedrichs Neffe Gustav III., seit Februar 1771 König von Schweden; der russische Graf Alexis Orloff, der im Auftrag Katharina II. in diplomatischer Mission in Europa unterwegs war und auf der Rückreise nach Sankt Petersburg in Potsdam empfangen wurde; sowie eine weniger bekannte Persönlichkeit, Albert Joseph von Hoditz, auf dessen Landsitz Friedrich im September 1770 zu Gast war und dort, wie er Voltaire schrieb, mit „höchst galanten Festen“ unterhalten worden sei. Im Frühjahr 1771 war Hoditz in Potsdam. Friedrich widmete ihm zur Begrüßung eine Versepistel, die er dem Brief an Voltaire beilegte: Das Gedicht feiert Rosswalde, das Gut des österreichischen Grafen, als Tempel der Musen, der Philosophie und der Lust.1 1

Friedrichs Brief an Voltaire vom 8. Mai 1771: „Après le départ du comte Orloff, nous avons eu l’apparition d’un comte autrichien qui, lorsque j’allai me rendre en Moravie chez l’empereur, m’a donné les fêtes les plus galantes. Ces fêtes ont donné lieu aux vers que je vous envoie, où elles sont décrites avec vérité“; in: Les Œuvres complètes de Voltaire, Bd. 121: Correspondence and related documents, ed. Theodore Besterman, Banbury 1975, Bd. 37, D 17184, 390-392 (falls nicht anders vermerkt: Übersetzung im Folgenden von der Verf.). Die auf den 26. März 1771 datierte Versepistel „Au comte Hoditz. Sur Rosswalde“ in: Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. J. D. E. Preuß, Berlin 1849, Bd. 13, 67-73. Friedrich schätzte v. Hoditz (1706-1778) als Freund der Künste und der (epikureischen) Philosophie; in der zweiten Versepistel (1774) „Au comte de Hoditz. Sur sa mauvaise humeur de ce qu’il a soixante-dix ans“ (ebd., 121-124) erteilt er dem inzwischen siebzigjährigen Freund Ratschläge hinsichtlich einer philosophischen Einstellung zum Alter, in dem es, sofern man sich von der Angst

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Seit dem Frieden von Hubertusburg (15. Februar 1763), der den Siebenjährigen Krieg beendete, häuften sich Empfänge und Festivitäten am friderizianischen Hof. Seit 1769 konnte man den Staatsgästen im Neuen Palais prächtige Räumlichkeiten, darunter einen vielfach bewunderten Theatersaal, bieten. Obgleich die verheerenden Folgen des Krieges noch immer spürbar waren, befand sich Friedrich auf der Höhe seiner Macht, die entsprechend repräsentiert werden sollte: Unverzüglich nach dem Friedensschluss hatte er den Bau des neuen Schlosses am westlichen Ende des Parks Sanssouci veranlasst: Das Neue Palais, ein für preußische Verhältnisse geradezu überdimensionaler Schlossbau, diente in erster Linie der monarchischen Repräsentation und sollte die politische Rolle, die Friedrich fortan auf der europäischen Bühne zu spielen gedachte, anschaulich demonstrieren. Im erwähnten Brief an Voltaire ist von den höfischen Festen, die die Zeit des Königs im Frühjahr 1771 in Anspruch nahmen, explizit zwar nicht die Rede, das Schreiben endet jedoch mit dem Satz, der die Bedeutung konventioneller monarchischer Festivitäten für Friedrichs Selbstverständnis als roi-philosophe, König und Aufklärer, relativiert: „À mon âge, les seules fêtes qui me conviennent ce sont les bons livres“. Was das Alter anbelangt, so zählte Friedrich neunundfünfzig, Voltaire bereits siebenundsiebzig Jahre. Man könnte die Bemerkung „in meinem Alter sind die einzigen, mir genehmen Feste die guten Bücher“ der Komplimentierkunst zurechnen, die den Briefwechsel zwischen Friedrich und Voltaire vom ersten (8. August 1736) bis zum letzten Brief (1. April 1778) kennzeichnet. Man könnte auch sagen, hier kommt einmal mehr Friedrichs Bewunderung des französischen Schriftsteller-Philosophen zum Ausdruck, in Form der persönlichen, handschriftlich verfassten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Korrespondenz. Doch die von Friedrich geforderte Geheimhaltung seiner epistolarischen und literarischen Produktion war während des Siebenjährigen Krieges brüchig geworden. Den Auftakt der gegen den Willen des Autors veröffentlichten Werke bildeten die ursprünglich streng geheim gehaltenen Gedichte des Königs (Lehrgedichte, Oden, Versepisteln in den Œuvres du Philosophe de Sans-Souci, 1750/52), die seit Januar 1760 europaweit als Raubdrucke zirkulierten. Seitdem veröffentlichten auch Zeitvor dem Jenseits verabschiede, weiterhin Genuss und Vergnügen gebe, nämlich bei der Lektüre.

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schriften, wie es im 18. Jahrhundert gang und gäbe war, unautorisiert einzelne Briefe, Prosastücke oder Gedichte aus der Feder des Philosophen von Sanssouci, allen voran die Correspondance littéraire, die an der Zensur vorbei, in Form handschriftlicher Kopien von Paris aus an die Abonnenten geschickt wurde, nicht zuletzt an die zahlreichen, der Aufklärung wohlgesonnenen Fürstenhöfe außerhalb Frankreichs. Den formvollendeten Briefen, die sich Friedrich und Voltaire im Laufe von gut vier Jahrzehnten schrieben und denen sie regelmäßig Gedichte beifügten, ist anzusehen, dass beide Autoren davon ausgingen, dass ihre Briefe früher oder später veröffentlicht werden. In Anbetracht der voluminösen persönlichen Korrespondenz, in der von Büchern stets die Rede ist, und der friderizianischen Bibliotheken, deren Kataloge Einblick in die persönliche Büchersammlung des Königs gewähren, ist davon auszugehen, dass es Friedrich durchaus darauf ankam, sich in der Rolle des Lesers wirkungsvoll in Szene zu setzen und seine Partizipation an der Lesekultur des Aufklärungszeitalters zu demonstrieren. Dadurch konnte er sich von anderen gekrönten Häuptern seiner Zeit klar unterscheiden. Friedrichs Profil des Bücherfreundes, des Lesers und Autors ist im zeitgenössischen Denken der Aufklärung verankert. Sein Lob der „guten Bücher“ und der Lektüre, die er mehrfach als ein Glücksversprechen bezeichnet, die Äußerungen zu seinen Lese-Erfahrungen, die ihm Vergnügen bereiteten und Erkenntnisse vermittelten, ziehen sich wie ein Leitmotiv durch seinen literarisch-philosophischen Briefwechsel mit den französischsprachigen Korrespondenten, die ihrerseits als Aufklärungsphilosophen und Akteure der modernen République des lettres auf dem Buchmarkt präsent waren. Auch die seit März 1758 mit Henri de Catt, dem Vorleser des Königs, geführten „Gespräche“ vermitteln einen Eindruck von der Bedeutung, die Friedrich der Lektüre zukommen ließ. Vor allem in den Winterquartieren während des Siebenjährigen Krieges, in denen es kaum Anlass für höfische Feste gab, nahmen die Lektüre und die Unterhaltungen mit de Catt über die gelesenen Bücher und die von Friedrich verfassten Texte (Briefe, Dichtungen, literatur- und kulturkritische Abhandlungen) viel Zeit in Anspruch. Der König las damals seine Lieblingsautoren zum wiederholten Mal; gelegentlich hatten manche Texte ihren Reiz jedoch verloren; dann schenkte er sie seinem Vorleser. Henri de Catt berichtet von einer

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Unterhaltung darüber im Winterquartier zu Freiberg (Jan.-April 1760) und lässt Friedrich folgendermaßen zu Wort kommen: „‘Ich wollte mir ein Fest damit bereiten, diese Bücher wieder zu lesen. Sie hatten mir in Rheinsberg ausnehmend zugesagt, und nun missfallen sie mir. So verändert das Alter oder vielleicht auch die Lage eines Menschen seine Art, die Dinge zu betrachten und Geschmack an ihnen zu finden.‘ Er schenkte mir diese […] Werke.“ Anschließend habe der König dann Vergil, Horaz, Ovid, Racine, Voltaire, Gresset u.a. gelesen.2 Seit Friedrich sich in Rheinsberg von der Lektüre des philosophischen Werkes Christian Wolffs, das er sich ins Französische übersetzen ließ, verabschiedet hatte, standen deutschsprachige Werke nicht mehr auf dem königlichen Lektüreprogramm.3 Seinem schriftstellerischen Werk ist die aktive Leserrolle Friedrichs auf eindrucksvolle Weise eingeschrieben: Unübersehbar dicht sind die intertextuellen Bezüge und Verweise auf seine Referenztexte. Die erste, unter tatkräftiger Mitwirkung Voltaires publik gewordene philosophische Schrift, Der Antimachiavel oder: Widerlegung des Fürsten von Machiavelli (1739/40), ist als Streitschrift konzipiert, in der eingangs am Beispiel des Principe (1513/1532) dargelegt wird, warum die Wirkung eines Textes gefährlich werden kann. Aus Friedrichs Sicht entfaltet Machiavellis politischer Traktat seine verführerische Wirkung 2

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Friedrich der Große, Gespräche mit Henri de Catt, übers. u. hg. v. Willy Schüßler, München 1981, 453. Zu Friedrichs Lektürepensum während des Siebenjährigen Krieges vgl. den Beitrag von Jörg Ulbert, Friedrichs Lektüren während des Siebenjährigen Krieges, in diesem Band. Im Katalog der friderizianischen Schlossbibliotheken werden in der Abteilung „Deutsche Literatur“ folgende Titel aufgeführt: Gessners Idyllen in französischer Übersetzung; eine „Sammlung erbaulicher Briefe“ (1774/76), eine Shakespeare-Übersetzung: „Schauspiele. Neue Ausgabe von Joh. Joach. Eschenburg. IX. Zürich 1777“; eine esoterische (freimaurerische?) Schrift: „Hermetsches A. B. C. derer ächten Weisen alter und neuer Zeiten vom Stein des Weisen. Ausgegeben von einem wahren Gottes- und Menschenfreunde. III. Teil. Berlin 1779“; eine „Geheime Selbstbeschäftigung“ von Johann Korbet (Minden 1778) sowie eine „Ode an die Feinde des Königs.“ Berlin 1761; cf. Bogdan Krieger, „Gesamtkatalog der Bibliotheken Friedrichs des Großen“, in: ders., Friedrich der Große und seine Bücher, Berlin, Leipzig 1914, 129-181, hier: 171. In der Abt. „Kriegswissenschaft“ werden einige deutschsprachige Titel aufgeführt, auch in der Abt. „Rechtsund Staatswissenschaft, Volkswirtschaft und Politik“ (vor allem Titel aus den frühen 1780er Jahren).

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vor allem, wenn er von einem ambitionierten, in seinem Urteil noch nicht gefestigten jungen Fürsten gelesen wird: „Ich habe Machiavellis Fürsten immer als eines der gefährlichsten Werke betrachtet, die in der Welt verbreitet sind. Es liegt in der Natur dieses Buches, dass es den Fürsten und den Liebhabern der Staatskunst in die Hände fallen muss. Und da es sehr leicht geschieht, dass ein ehrgeiziger junger Mann, dessen Herz und Verstand noch nicht reif genug sind, um Gut und Böse zu unterscheiden, durch Maximen verdorben wird, die seinen ungestümen Leidenschaften schmeicheln, muss man jedes Buch, das dazu beitragen kann, als ganz und gar schädlich und dem Wohl der Menschen abträglich betrachten.“4 Der Autor des Antimachiavel, selbst ein leidenschaftlicher, allerdings kritischer Leser vorzugsweise kontrovers diskutierter und entsprechend wirkungsvoller Texte, unternimmt es, die offenbar „verführerischen“ Thesen des Principe zu widerlegen, indem er ihnen ihre Widersprüche nachweist, mit dem Ziel, die (fürstlichen) Leser davor zu warnen. Immer wieder griff Friedrich zur Feder, um sich mit den publikumswirksamen, französischsprachigen Texten seiner Zeit, die er sich von seinen Literaturagenten aus Paris schicken ließ, mit Verve auseinanderzusetzen. So beginnt seine Polemik gegen den Essai sur les préjugés (1770), eine Kampfschrift der Pariser Aufklärer aus der Feder des Baron d’Holbach, folgendermaßen: „Ich habe soeben ein Buch mit dem Titel Versuch über die Vorurteile gelesen. Bei näherer Betrachtung stellte ich zu meiner größten Überraschung fest, dass es selbst voller Vorurteile ist. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Wahrheiten und falschen Schlussfolgerungen, bitterer Kritik und aberwitzigen Projekten, vorgetragen von einem schwärmerischen und fanatischen Philosophen. Um Ihnen einen genauen Eindruck verschaffen zu können, […] werde ich auf die eine oder andere Einzelheit [eingehen]. Da ich keine Zeit zu verlieren habe, werde ich mich auf einige Bemerkungen über die wichtigsten Punkte beschränken.“5 Wenig später sei ihm ein weiteres Buch eines Pariser Philosophen, zu dem es viel zu sagen gebe, in die 4

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Friedrich der Große, L’Antimachiavel ou Réfutation du Prince de Machiavel / Der Antimachiavel oder: Widerlegung des Fürsten von Machiavelli, übers. v. Brunhilde Wehinger, hg. v. A. Baillot, B. Wehinger, in: ders., Œuvres philosophiques / Philosophische Schriften. Potsdamer Ausgabe, Bd. 6, Berlin 2007, 47. Ebd., 341.

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Hände gefallen, teilte er am 7. Juli 1770 d’Alembert mit. Die beißende Kritik am Système de la nature (1770), ebenfalls von Holbach, beginnt Friedrich mit dem Satz: „Das System der Natur ist ein Werk, das bei der ersten Lektüre besticht; seine mit viel Kunst verhüllten Mängel entdeckt man erst, wenn man es mehrfach gelesen hat.“6 Keinerlei Mängel, sondern ausschließlich kritischen Geist, scharfsinniges Räsonnement und schlüssige Argumente entdeckte Friedrich schon in jungen Jahren in einem seiner bevorzugten Meisterwerke des vernünftigen Denkens: in Pierre Bayles Historisch-kritischem Wörterbuch, das er 1765 in einer handlichen Auswahlausgabe neu herausgab und mit einem Vorwort versah, in dem er vor allem junge Leser und alle, „die etwas Weltkenntnis besitzen“, dazu aufruft, Bayles Wörterbuch, „dieses kostbare Monument unseres Jahrhunderts“, immer wieder zur Hand zu nehmen und darin zu lesen. Es sei das „Brevier des gesunden Menschenverstandes und die nützlichste Lektüre für Personen jedes Ranges und Standes“. Für den Menschen des 18. Jahrhunderts gebe es nämlich „kein wichtigeres Studium als die Bildung seiner Urteilskraft“.7 Bayles Dictionnaire historique et critique befand sich bereits in der Bibliothek des Kronprinzen; er besaß insgesamt vier Ausgaben des monumentalen Werks: zwei Ausgaben der 4. Auflage aus dem Jahre 1730 (eine davon befindet sich noch heute in der Bibliothek von Schloss Sanssouci) sowie zwei Ausgaben der 5. Auflage von 1740. Noch im hohen Alter ließ er sich (vom 19. Dezember 1785 bis 9. Januar 1786, täglich) aus Bayles Wörterbuch von A (wie „Adamites“) bis Z (wie „Zénon l’Épicurien“) vorlesen.8 Der letzte Text, den Charles Dantal vorlas, bevor er seinen Dienst als letzter Vorleser des Königs für immer beendete, stammt – wie könnte es anders sein – von Voltaire: Précis du siècle de Louis XV (1768, 1775). Diese Lektüre fand am Sonntag, den 30. Juli 1786, von 8 bis 9.15 Uhr im Schloss Sanssouci statt. Wenig später, am 17. August 1786, 6 7 8

Ebd., 383. Ebd., 309. Françoise Waquet, Le Prince et son Lecteur. Avec l’édition de Charles Dantal, Les délassements littéraires ou heures de lecture de Frédéric II, Paris 2000, 67-68. Der Vorleser Charles Dantal hat akribisch notiert, was und wo er dem König zwischen dem 16. Nov. 1784 (Stadtschloss Potsdam) und dem 30. Juli 1786 (Sanssouci) vorlas; cf. Les délassements littéraires, 4876.

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starb der König. Das Kapitel aus Voltaires Jahrhundert Ludwig XV., das sich Friedrich sozusagen zum Schluss vorlesen ließ, behandelt das gescheiterte Attentat auf seinen Zeitgenossen Ludwig XV. und endet mit dem Verhör des Attentäters Robert Damiens (das am 16. März 1757 stattfand).9 Lesen war für Friedrich schon früh zu einer unverzichtbaren, alltäglichen Beschäftigung geworden, und nicht nur in Friedenszeiten, sondern, wie wir den Memoiren Henri de Catts entnehmen können, auch in Kriegszeiten. Die Lektüre vermittelt sich in Friedrichs Briefen und in den von de Catt protokollierten Gesprächen oftmals als eine Leidenschaft, der er sein Leben lang treu blieb. „Sie sehen“, schrieb er am 25. November 1769 an Voltaire, „ich bewahre mir meine alten Schwächen; ich liebe die Literatur wie ein Besessener; nur sie verzaubert unsere Mußestunden und spendet wahre Freude“.10 Dem Lob des Studiums, und das bedeutet bei Friedrich Lesen, widmete er mehrere philosophische Gedichte. Im April 1740, also kurz vor dem Antritt des Herrscheramtes, verfasste er eine Versepistel „Über die Notwendigkeit, die Leere der Seele durch das Studium zu füllen“.11 Das programmatische Gedicht, in dem der Autor seine eigene Lektüreerfahrung bilanziert, preist die literarisch-philosophische Bildung und die (schönen) Wissenschaften, Kenntnisse und Lebensart, die durch das in jungen Jahren erfolgte Studium, das Bücherlesen und das Nachdenken über das Gelesene, erworben werden. Die Lektüre vertreibe die Langeweile, verheiße individuelles Glück und menschheitsgeschichtlichen Fortschritt, der den Aberglauben besiege, der Aufklärung zum Durchbruch verhelfe und dem Gemeinwohl förderlich sei. Wie so oft adressiert der Autor 9 Ebd., 76. In der Schlossbibliothek zu Sanssouci, wo Dantal dem König zum letzten Mal vorlas, befindet sich die Erstausgabe des Précis du siècle de Louis XV (Genf 1768); cf. Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 3), 166. Die Berliner Staatsbibliothek besitzt ein Exemplar der Ausgabe des Siècle de Louis XV (Dresden 1769), das auf die Sammeltätigkeit Friedrichs zurückgeht; cf. Siegfried Detemple, Voltaire. Die Werke. Zum 300. Geburtstag. Ausstellungskatalog der Staatbibliothek zu Berlin 1994, 202-204. 10 Friedrich an Voltaire (Potsdam, 25. Nov. 1769), in: Voltaire – Friedrich der Große. Briefwechsel, hg. u. übers. v. Hans Pleschinski, 2. Aufl., München 1995, 441-443, hier: 442. 11 „Épître sur la necessité de remplir le vide de l’âme par l’étude“, in: Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. J. D. E. Preuß, Berlin 1846, Bd. 14, 94-101.

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auch diese Epistel implizit an einen jungen Prinzen, dem er die eigenen Erfahrungen als begeisterter Leser vergegenwärtigt, die allerdings nur jenseits von Hofintrigen und den auf Dauer langweiligen höfischen Festivitäten zu machen sind. Adolph Menzel hat um 1850 in einer wenig bekannten Skizze den jungen Fürsten in der Rolle eines solchen Lesers gezeichnet: Nur die Kleidung der Figur suggeriert, dass es sich um einen Prinzen handelt, der – so könnte man sich beim Betrachten der Zeichnung vorstellen – gerade dem Trubel des höfischen Lebens entflohen ist und sich zurückgezogen hat, um ungestört zu lesen. Nur das Buch scheint den ernsten, aufmerksamen Leser zu interessieren. Sein Blick ist wie gebannt auf das aufgeschlagene Buch gerichtet, das den Mittelpunkt der Zeichnung bildet – ein einziges Buch, in handlichem Format, wie Friedrich es bevorzugte. Es hatte sich herum gesprochen, dass Friedrich großformatige Bücher und respektheischende Folianten, die so schwer sind, dass man sie nur am Pult lesen kann, nicht leiden konnte. „J’ai hais les gros ouvrages“, heißt es in einem Brief, den Friedrich am 25. Februar 1742 an seinen Privatsekretär und literarischen Berater, Charles-Étienne Jordan schrieb.12 Menzel verzichtete auf die Darstellung von gelehrten Requisiten ebenso wie auf fürstliche Symbolik. Nüchtern und umso eindrucksvoller erfasst der geniale Zeichner mit seinem Stift etwas vom Geheimnis eines Lesers, der, sobald er den letzten Satz seines offensichtlich fesselnden Buches gelesen hat, aufstehen, ans Schreibpult eilen und zur Feder greifen könnte, um im Dialog oder Disput mit dem eben gelesenen Autor selbst ein Buch zu schreiben.13 12 „Ich hasse dicke Wälzer“; ebd., Bd. 17, 165. Menzel hatte nach dem Erfolg der Geschichte Friedrichs des Großen den Auftrag erhalten, die Prinzenausgabe der von J. D. E. Preuß anlässlich des hundertjährigen Thronjubiläums (1840) herausgegebenen Œuvres de Frédéric le Grand zu illustrieren; zu Friedrichs Éloge de M. Jordan (1745/46, Gedächtnisrede auf Jordan) zeichnete Menzel „Jordans Arbeitszimmer“ als das eines Gelehrten, mit dem verlassenen Stuhl vor dem Schreibtisch, Bücherschrank und Regal, beide übervoll mit Büchern, darunter verzierte Folianten; in: Friedrich der Große, Die Werke in deutscher Übersetzung, hg. v. Gustav Berthold Volz, Berlin 1913, Bd. 8, 214. 13 Adolph Menzel, Skizze zu dem Bild „Friedrich als Kronprinz in Rheinsberg“ in: Die Graphischen Künste 19 (1896). Ich danke Hans-Ulrich Seifert (Univ. Trier) für den Hinweis auf Menzels Skizze.

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Für Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen (1840) hatte Menzel bereits den „jungen König“ am Schreibtisch gezeichnet (Kap. 21.), mit der Feder in der Hand, umgeben von einem Stapel Papieren. Auch dem „alten König“ in der Rolle des Lesers widmete Menzel eine Zeichnung: Diese zeigt den Lesenden am Schreibtisch, das Buch, in dem er – wie der junge Friedrich in der oben erwähnten Skizze – mit höchster Aufmerksamkeit zu lesen scheint, liegt auf dem Tisch.14 Der alte König scheint nur noch zwei treue Begleiter zu haben: das Buch und seinen Hund, ein Windspiel, das der Künstler dem Leser zugesellt. Bei genauer Betrachtung kann man erkennen, dass Menzels lesender König einen ganz zufriedenen Eindruck macht. Die Zeichnung suggeriert, dass die Lektüreszene in der Schlossbibliothek zu Sanssouci stattfindet; der Schreibtisch und die von Menzel mit wenigen Strichen angedeutete Porträtbüste, rechts oben, bestärken diesen Eindruck. Friedrich hatte in der Bibliothek zu Sanssouci auf vier Konsolen die antiken Marmorporträtbüsten von Apollo, Homer, Sokrates und eines unbekannten Philosophen aufstellen lassen; diese sind Teil der mehr als 300 antike Marmorskulpturen umfassenden Antikensammlung des Kardinals Melchior de Polignac, die Friedrich 1742 aus dem Nachlass des Kardinals erwarb. Menzels Leser von Sanssouci bezieht sich auf den Text des vorletzten Kapitels der Geschichte Friedrichs des Großen, das „Friedrichs häusliches Leben im Alter“ behandelt. Kugler hebt hier vor allem die Einsamkeit des alten Königs hervor: „Immer stiller ist es in Sanssouci geworden. Das heitere Gespräch, das einst von Geist und Laune übersprudelte, ist allgemach verhallt; Flöte und Saitenspiel erklingen schon geraume Zeit nicht mehr […]. Aber eins schwindet nicht; eins ist es, was diesen unbesieglichen Geist […] immer aufs neue frisch und jugendlich macht: es ist die unausgesetzte Beschäftigung mit der Wissenschaft. Fort und fort saugt er, wie in den Zeiten des jugendlichen Wissensdranges, neue lebenskräftige Nahrung aus den Schriftwerken des griechischen und römischen Altertums und aus denen, welche die Heroen der französischen Literatur hinterlassen haben. Seine Begeisterung bleibt immer neu, mit immer wiederkehrender Liebe erfreut und 14 Franz Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen. Gezeichnet von Adolph Menzel. Mit 378 Holzschnitten des Meisters [1840], Köln 1955 [Nachdruck der Ausgabe von 1926], der junge König am Schreibtisch: 260; der alte König, lesend: 602.

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erwärmt er sich an den Schönheiten, durch die ihm einst das Auge des Geistes geöffnet ward.“15 Doch des Königs intellektuelle Beschäftigung habe auf „eigentümliche“ Weise etwas „Tragisches“ an sich, und, so Kugler in seinem Bestseller des 19. Jahrhunderts, es falle schwer, sich der „tiefsten Wehmut zu erwehren“, wenn man darauf zurückblicke: Der König habe sich der deutschen Literatur verschlossen und, was noch trauriger sei, nichts getan, um ihre Sprache zu verstehen. Er habe Voltaire überschätzt und es nicht vermocht, „über die Schranken hinauszublicken, welche die höfische Etikette der französischen Poesie um sich und um ihn gezogen“. Die Einsamkeit des alten Königs, die Leere, die ihn umgeben haben soll, setzt Kugler schon in den Jahren nach dem Siebenjährigen Krieg an. Er profiliert diese Einsamkeit so stark, dass sie zu einem Topos der Friedrich-Biographien wurde. Die Ursache dafür sieht Kugler im Leseverhalten des Königs, der sich geweigert habe, die deutschen Dichter zu lesen, so dass er nichts von der „Kraft und Schönheit unserer Sprache und Poesie“ ahnen konnte. Und voller Indignation erinnert Kugler an Friedrichs vielfach kolportierte Reaktion auf das Nibelungenlied: Auf die „große Sammlung der schönen Gedichte des deutschen Mittelalters“ habe er nichts weiter zu antworten gewusst als „die Gedichte seien keinen Schuss Pulver wert“.16 „So musste er, weil er dem deutschen Sinne sich abgewandt, darben mitten im Überflusse; so vereinsamte er mitten unter den Zeugnissen eines reichen heitern Lebens, die vorzugsweise durch die großen Taten seines Lebens hervorgerufen waren; so ging der tröstende, der erhebende Zuspruch der deutschen Muse an seinem Ohre unvernommen vorüber.“17 Und darin liegt aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts das Tragische: Der zum ‚deutschen Nationalhelden‘ stilisierte König, der „dem deutschen Volke seine alte Würde zurückgegeben“ habe (Kugler), nahm die deutsche Nationalliteratur nicht zur Kenntnis. Die zeitgenössischen Schriftsteller fühlten sich missachtet, und die spätere Germanistik, die die Literatur des Jahrhunderts der Aufklärung, die für Friedrich europäisch war, auf 15 Ebd., 601. 16 Ebd., 604. Zu Friedrichs Reaktion auf das Nibelungenlied Gerhard Knoll, Friedrich der Große und die „vaterländischen Altertümer“, in: B. Wehinger (Hg.), Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte, Berlin 2005, 83-95, bes. 91-95. 17 Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen (wie Anm. 14), 604.

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die deutschsprachige einengte, bekam ein Problem.18 Anders die Philosophie: In der Kritik der Urteilskraft (1790) zitiert Kant eines der Gedichte „des Großen Königs“, um den Begriff der „ästhetischen Idee“ zu veranschaulichen und die „Vernunftidee, von weltbürgerlicher Gesinnung“ im Denken des Philosophen von Sanssouci hervorzuheben.19 Wie die Einsamkeit des Philosophen von Sanssouci, die sich laut Schilderung Franz Kuglers über mehr als zwei Jahrzehnte erstreckt haben soll, zu bewerten ist, sei dahingestellt. Die deutsche Literatur nahm er nicht zur Kenntnis, das lässt sich in seinem Essay De la littérature allemande nachlesen, der 1780 im französischen Original sowie in einer autorisierten deutschen Übersetzung erschien und in der zeitgenössischen Öffentlichkeit höchst kontrovers diskutiert wurde.20 Auch die Bibliotheken, die Friedrich in allen Schlössern, die er seit der Rheinsberger Zeit bewohnte, als fürstliche Privatbibliotheken einrichten ließ, verfügten über einen Buchbestand fast ohne nennenswerte deutschsprachige Titel. Die friderizianischen Büchersammlungen entsprachen den persönlichen Vorgaben und Vorlieben des Königs. Komplette Sammlungen wurden nicht erworben. Der König nutzte seine Bibliotheken als Autor und Leser; es waren seine Handbibliotheken, deren Kernbestand in allen Bibliotheken identisch war. Seine Schlossbibliotheken waren keine Repräsentationsräume für die bibliophilen Kostbarkeiten eines ambitionierten fürstlichen Sammlers. Die Bibliothek in Sanssouci war Teil seines persönlichen Rückzugsraums, sozusagen das Tusculum des 18 So 1986 Horst Steinmetz in seinem Nachwort zu Friedrich II., König von Preußen und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts. Texte und Dokumente, hg. v. Horst Steinmetz, Stuttgart 1986, 352: „Friedrichs Konzept [der Kulturgeschichte, B.W.] aber muss uns erschrecken, weil der ‚größte Mann seines Jahrhunderts‘, zumindest in seiner Schrift über die deutsche Literatur bezeugt, von seinem eigenen Jahrhundert […] nichts begriffen zu haben. Selbst wenn er es gewollt hätte, der deutschen Literatur hatte er nichts zu sagen.“ 19 Vgl. den Beitrag von Reinhart Meyer-Kalkus, „Mein Freund Lukrez“. Friedrichs XVII. Epistel an den Marschall von Keith: Über die leeren Schrecken des Todes und die Angst vor einem anderen Leben“, in diesem Band. 20 Die einschlägigen Debattenbeiträge in: Friedrich II. und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts, hg. v. Horst Steinmetz (wie Anm. 18); insgesamt dazu auch Eberhard Lämmert, Friedrich der Große und die deutsche Literatur, in: Wehinger (Hg.), Geist und Macht (wie Anm. 16), 13-21.

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„Philosophen von Sanssouci“, wie Friedrichs Selbstbezeichnung in der Rolle des Autors und Lesers seit der Fertigstellung der Sommerresidenz auf dem Weinberg lautete. Die Konzeption der Bibliothek in Sanssouci, an der der junge König mitgewirkt hatte und die heute noch durch ihre Eleganz besticht, befolgt die klassischen Regeln der antiken Bibliotheksarchitektur: Nach Osten ausgerichtet erinnert der rotundenförmige Bibliotheksraum an das Pantheon, wobei in Sanssouci nicht die Götter auf die Besucher herabblicken, sondern Dichter-Philosophen in Form der hoch aufgestellten antiken Porträtbüsten. Für die Allgemeinheit ließ Friedrich im Zentrum Berlins eine neue öffentliche Bibliothek erbauen: 1775 beauftragte er seinen damaligen Baumeister Georg Friedrich Boumann mit dem 1780 fertig gestellten Bibliotheksbau. Die von den Berlinern alsbald ‚Kommode‘ genannte Bibliothek war von Beginn an für das städtische Publikum bestimmt. Damit bekräftigte der König seine ungebrochene Wertschätzung der Buchkultur und ihres aus seiner Sicht wirkungsmächtigsten Vertreters: Voltaire.21 Für die „Bibliothèque publique“ wurde auf königliche Anordnung alles, was von Voltaire auf dem internationalen Buchmarkt erhältlich war, beschafft.22 Friedrich gehörte bekanntlich zu den eifrigsten Voltaire-Lesern seiner Zeit. Seinen ersten Brief an den „größten Dichter unserer Tage“ schrieb er am 8. August 1736, um direkt an die neuesten Werke Voltaires heranzukommen, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, dies auf offiziellem Wege über den französischen Gesandten zu erreichen. Den Bucherwerb und die bibliothekarische Pflege der Privatbibliotheken des Königs gehörte zur Aufgabe seiner Vorleser. Diese hatten, neben ihren zahlreichen Tätigkeitsbereichen, eine Vertrauensposition inne, die ihnen viel abverlangte. Nur der erste und der letzte Vorleser des Königs, Charles-Étienne Jordan und Charles Dantal, beide franzö21 Vgl. Friedrichs Brief an Voltaire vom 25. Nov. 1769 (wie Anm. 10) sowie vom 9. Nov. 1777, in dem er mitteilt, dass er in Berlin (am heutigen Bebelplatz) eine neue Bibliothek erbauen lasse, um endlich Voltaires Werke, die bislang in der Berliner Schlossbibliothek so ungünstig untergebracht gewesen seien, dass man bei ihrem Anblick schlechte Laune bekommen habe, gebührend aufzubewahren; nun gebe es in Berlin „das denkbar schönste Etui“ für „die Werke des Homers unserer Tage“. 22 Die außergewöhnlich dichte Sammlung von Erst- und Frühausgaben Voltaire’scher Werke in der heutigen Staatsbibliothek zu Berlin geht auf Friedrich II. zurück; vgl. Detemple, Voltaire (wie Anm. 9), 10.

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sische Muttersprachler, Mitglieder der hugenottischen Gemeinde und preußische Landeskinder, fielen nicht in Ungnade oder quittierten den Dienst vorzeitig. Der von d’Alembert vermittelte Vorleser, Abbé Jean Martin de Prades, „Theologe, der nicht an Gott glaubt“ (Voltaire), der in Frankreich als Häretiker verfolgt wurde und in Preußen Asyl erhielt, stand von 1752 bis 1757 im Dienst des Königs; zu Beginn des Siebenjährigen Krieges wurde ihm Spionage für Frankreich vorgeworfen, was mit einer den ganzen Krieg andauernden Festungshaft in Magdeburg bestraft wurde.23 Zu den Aufgaben der Vorleser des Königs gehörte es, aktuelle literarische Nachrichten aus Paris und die gewünschten französischsprachigen Neuerscheinungen zu besorgen. Die Vorleser erfüllten auch die Funktion des königlichen Privatsekretärs, setzten Briefe auf, vermittelten zwischen der Akademie der Wissenschaften und dem König, korrigierten Friedrichs Manuskripte, schrieben sie ins Reine etc. Die Anforderungen, die der König an seine Vorleser stellte, waren ernorm, wobei die exzellente französische Sprachkompetenz entscheidend war. Den Vorlesern, die fast täglich Dienst in den Privatgemächern des Königs taten, kam schließlich die Rolle eines Vertrauten, Gesellschafters, Gesprächspartners zu. Henri de Catt, der zweiundzwanzig Jahre (1758 bis 1780) als Vorleser tätig war, schien die vielfältigen Aufgaben besonders gut gemeistert zu haben, obgleich auch er in Zusammenhang mit einer Hofintrige entlassen wurde. In seinen nachträglich, d.h. nach dem Tod des Königs redigierten und erst sehr viel später (1884) edierten „Gesprächen mit Friedrich dem Großen“ vermittelt er Einblicke in seine Tätigkeit als Vorleser eines höchst aktiven ‚Selbst-Lesers’: „An jedem Abend sprach er [der König, B. W.] mit mir über die Abschnitte, die er tagsüber gelesen hatte.“ Es folgt eine Anmerkung des Königs in direkter Rede – „’Bei den Unterhaltungen mit Ihnen [d. i. de Catt, B.W.] über das Gelesene muß ich mich in die Dinge versetzen, die ich gelesen habe; ich gelange dadurch zu erhöhter Klarheit der Gedanken und zu größerer Gewandtheit in ihrer Wiedergabe.‘“24 Es ist bemerkenswert, dass de Catt nicht nur Vorleser und Gesprächspartner, sondern ebenso oft Zuhörer des Königs war, der ihm vorlas. Friedrich legte großen Wert auf die Kunst des Vortrags. Henri de Catt berichtet, es sei oft vorgekom23 Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 3), 97-105. 24 Friedrich der Große, Gespräche mit Henri de Catt (wie Anm. 2), 29.

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men, dass er tagelang keine einzige Zeile vorgelesen habe, weil der König, der es liebte, laut zu lesen, selbst die Rolle des Vorlesers übernahm. Mit großem Vergnügen habe er ganze Passagen aus den Werken seiner Lieblingsautoren auswendig vorgetragen – Verse aus den klassischen Tragödien Racines, die ihre ästhetische Wirkung erst bei der Deklamation voll entfalten, Dialoge aus Molières Komödien, deren Sprachkomik beim Vortrag umso stärker wirkt. Auch die berühmten Oraisons funèbres („Leichenpredigten“) der bedeutendsten Kanzelredner Ludwig XIV. und Vorleser an dessen Hof, Bossuet und Fléchier, kannte Friedrich auswendig. Er besaß ihre Predigten, die sich der antiken Rhetorik bedienten, um mit ihrer wortgewaltigen Kanzelberedsamkeit die Zuhörer zu fesseln, in unzähligen Ausgaben und las sie immer wieder.25 Theaterstücke, Gedichte, Prosa aus der Feder Voltaires waren ihm so vertraut, dass er die aus buchhändlerischem Kalkül heraus zu Unrecht Voltaire zugeschriebenen Neuerscheinungen auf den ersten Blick als Fälschungen erkannte: „Voltaire lässt sich nicht imitieren, es sei denn, man wäre Voltaire.“26 Die Kunst des Vortrags faszinierte den König, der das Zusammenspiel von rationaler Klarheit und sprachlichem Wohllaut in den Werken der französischen Klassik, der er auch Voltaire zurechnete, schätzte. Auch diesbezüglich erweist sich der Leser von Sanssouci und Liebhaber der literarischen Vortragskunst als ganz und gar der französischen Kultur des 18. Jahrhunderts verpflichtet. Anders die deutschen Aufklärer: Sie hielten die Rhetorik für ein Mittel zur Überredung und Täuschung des Publikums, kritisierten die Kunst der Beredsamkeit, die auch die französische Literatur prägte, als artifizielle, höfische Verhaltensform, die politisch und ästhetisch in Misskredit geraten sei. Friedrich hingegen hielt an der Rhetorik fest und erwartete von der Literatur im weiten Sinn des Wortes stets Klarheit, Verständlichkeit, Gefälligkeit – Eigenheiten, die beim Vortrag in besonderer Weise zur Geltung kommen.27 25 Ebd., 291, 318-320, 328-329; sowie Krieger, „Gesamtkatalog der Bibliotheken“ (wie Anm. 3), 133-134. 26 Friedrich an Voltaire am 8. Aug. 1736, in: Briefwechsel (wie Anm. 10), 10; sowie den Brief vom 8. Mai 1771 (wie Anm. 1), 390. 27 Zur „Redekunst“ im späten 18. Jahrhundert cf. Reinhart Meyer-Kalkus, „Die Sprechkunstbewegung um 1800“, in: ders., Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, 223-250.

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Die Beiträge in diesem Band beleuchten insbesondere das Spannungsverhältnis von Lektüre, literarischer Autorschaft und Selbststilisierung der Herrscherrolle Friedrich des Großen. günther lottes erörtert die Funktion der Selbststilisierung des Intellektuellen auf dem preußischen Thron hinsichtlich einer von Friedrich in Angriff genommenen Modernisierung der monarchischen Repräsentationsformen und deren Anpassung an die Erfordernisse der Aufklärung. Friedrich als Leser und Historiker ist Gegenstand der Beiträge von MIchael KnoBloch und sven externBrInK: Den Umgang des Lesers historischer Werke und zugleich Geschichtsschreibers mit den Quellen zur brandenburgischen Geschichte analysiert MIchael KnoBloch am Beispiel des ersten historiographischen Werkes Friedrichs, den Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg. sven externBrInK untersucht die Argumentationsstruktur und die Funktion der Geschichte des Siebenjährigen Krieges und rekonstruiert die historiographischen Vorbilder Friedrichs. Jörg ulBert stellt eindrucksvoll die nachweislich von Friedrich während des Siebenjährigen Krieges gelesenen Texte zusammen. reInhart Meyer-KalKus stellt in seiner Gedichtinterpretation am Beispiel einer Versepistel aus den Œuvres du Philosophe de Sanssouci (um 1750) Friedrichs Lukrez-Lektüre dar. anne BaIllot beleuchtet Friedrichs Platon- und Aristoteles-Rezeption im Kontext der französischen Antikenrezeption des frühen 18. Jahrhunderts. uWe steIner vergegenwärtigt den literarisch-philosophischen Dialog zwischen Voltaire und Friedrich, wie er in ihrem Briefwechsel Form annimmt. BaBette KaIserKern entdeckt in Friedrichs Libretto für die Oper Montezuma einen höchst ambitionierten, innerliterarischen Dialog mit dem Drama Alzire von Voltaire, in dem Friedrich seinem Vorbild subtil widerspricht und seine politische Position als Monarch gegen Voltaire stark macht. Neue Einblicke in die friderizianische Hofkultur bietet claudIa terne in ihrem Beitrag zum Theater an den Berliner und Potsdamer Spielstätten während der Regentschaft Friedrich II. Ich danke den Autorinnen und Autoren dieses Bandes für die gute Zusammenarbeit und die anregenden Gespräche, stephanIe ryMaroWIcz und MarIa WeIlandt für die Mitwirkung bei der Erstellung des Manuskriptes. Brunhilde Wehinger

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Die Leserevolution der Aufklärung als Herausforderung der friderizianischen Selbststilisierung Günther Lottes Die Inszenierung des Fürsten als des uneingeschränkten Besitzers des öffentlichen Gewaltmonopols und als des Gravitationszentrums des gesamten öffentlichen Lebens nahm unter den Machtstrategien des Absolutismus den ersten Rang ein.1 Ludwig XIV. hatte diese Herrschaftstechnik in Versailles bis zur Perfektion entwickelt und die Symbolsprache des Absolutismus ganz Europa aufgenötigt. Die französische Kulturhegemonie des 18. Jahrhunderts manifestierte sich nicht nur in der Dominanz des Französischen als lingua franca der europäischen Adelsgesellschaft, sondern auch in der Verbreitung und Geltung des in Versailles kreierten Herrschaftsidioms. Louis Réaus programmatischer Titel L’ Europe française au siècle des Lumières trägt diesem Doppelsinn Rechnung.2 Natürlich kannte das Zeichensystem des Absolutismus Nuancen. So gab etwa die Pietas Austriaca dem habsburgischen Absolutismus eine besondere konfessionelle Note, die dem französischen Absolutismus – ungeachtet der konfessionellen Einheitsbestrebungen Ludwigs XIV. – fehlte.3 Entsprechende Stilvarianten bewegten sich indes nur innerhalb einer gewissen Bandbreite. Diese Inszenierungsstrategie setzte in wachsendem Maße auf die Indienstnahme des kulturellen Lebens. Der Fürst beanspruchte nicht nur das Monopol der legitimen Gewalt, sondern zugleich auch eine Kulturhoheit, die seinen Machtanspruch verkündete. Der princeps war nicht nur princeps legibus solutus, sondern, wenn diese Variation in der Wortbildung erlaubt ist, auch der princeps elegantiarum. Er beherrschte die 1 2 3

Peter Burke, Die Inszenierung des Sonnenkönigs, übers. v. Matthias Fienbork, Berlin 2001. Louis Réau, L’ Europe française au siècle des Lumières, Paris 1938. Anna Coreth, Pietas Austriaca, Wien, 2. Aufl. 1982.

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kulturellen ganz so wie die politischen Ausdrucksmittel und bestimmte den kulturellen Habitus der Adelsgesellschaft. Das absolutistische Kulturmonopol geriet in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts jedoch zunehmend unter Druck – weniger weil sich während der Régence die Kontrollmechanismen des Staates lockerten, sondern weil sich nicht nur in Frankreich, sondern überall in West- und Mitteleuropa die wissens- und mediengeschichtlichen Rahmenbedingungen der kulturellen Produktion veränderten. Nunmehr traten kulturelle Kräfte an die Oberfläche, die seit Jahrzehnten den Boden für ein neues kulturelles System bereitet hatten. Einerseits war die Wissensrevolution der Aufklärung mit ihren neuen Wahrheitskriterien nahezu abgeschlossen.4 Die neue Wissensordnung musste sich nur noch konsolidieren und gegenüber den überwundenen Denkmilieus ihren Hegemonialanspruch durchsetzen. Andererseits war mit der Aufklärung der Siegeszug einer Textkultur einhergegangen, die sich der auf Objekte und symbolische Praktiken gerichteten Herrschaftssprache des Absolutismus entzog.5 Diese Medienrevolution hatte im 15. Jahrhundert mit der Erfindung des Buchdrucks begonnen, aber erst mit der Reformation ihre durchschlagende Wirkung entfaltet. Denn der Buchdruck hatte Gottes Wort für jeden zugänglich gemacht und damit die Glaubensweise grundlegend verändert. Der einzelne Gläubige stand von nun an in einem unmittelbaren Verhältnis zu seinem Gott, der ihm Rechtfertigung aufgrund seines Glaubens zuteil werden ließ. Dieser Glaube setzte den freien Zugang zum Wort voraus, der den rechtfertigenden Glaubensakt vom Schauen und von der Teilnahme an der Ritualhandlung in den Akt des Lesens beziehungsweise Zuhörens verlagerte. Die Folgen dieser medialen Verschiebung des Glaubensgeschehens hatten die christliche Religion von Grund auf verändert. Die Kirche als sakraler Ort, der Priester als sakrale Person und die Sakramente als sakrale Handlungen waren auf einmal radikal entwertet.6 Zwar setzte sich die Reformation 4 5 6

Günther Lottes, Die Geburt der europäischen Moderne aus dem Geist der Aufklärung, in: Die Kunst der Aufklärung. Ausstellungskatalog National Museum of China, Peking 2011, 20-30. Hierzu sowohl als Fallstudie zu Deutschland als auch grundsätzlich Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1994. Zur medien- und kommunikationsgeschichtlichen Perspektive Marcus

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nicht überall in Europa durch. Mit dem Tridentinum begann dann die mediale Gegenoffensive der katholischen Kirche. Und auch die protestantischen Länder etablierten schließlich obrigkeitlich kontrollierte Formen des kirchlichen Lebens. Doch schlug die Dynamik des protestantischen Prinzips immer wieder durch. Die Lese- und Textrevolution, mit welcher der Protestantismus so innig verbunden war, war von dieser Entwicklung in doppelter und partiell widersprüchlicher Weise betroffen. Einerseits machte die Alphabetisierung Fortschritte, auch wenn diese quantitativ nicht zu fassen sind.7 Andererseits lernten die Obrigkeiten schnell, die Druckerpresse zu kontrollieren und in ihrem Sinne zu nutzen. Solange das Angebot an Druckwerken konfessionell geprägt war oder auf den gelehrten Leser zielte, wurde diese Balance nur in Extremsituationen während der Konfessions- und Verfassungskonflikte der Mitte des 17. Jahrhunderts in Frage gestellt.8 Dies änderte sich, als im Laufe des 18. Jahrhunderts neue säkulare Inhalte und neue Präsentationsweisen den Markt für Druckerzeugnisse

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Sandl, Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation, Zürich 2011; Günther Lottes, Medienrevolution, Reformation und sakrale Kommunikation, in: Stephan Kronenburg, Hort Schichtel (Hg.), Die Aktualität der Geschichte. Historische Orientierung in der Mediengesellschaft. Siegfried Quandt zum 60. Geburtstag. Gießen 1996, 13-28. Hans Erich Bödeker, Ernst Hinrichs unter Mitarbeit von Andrea Hofmeister, Reiner Prass, Jens Riederer, Norbert Winnige (Hg.), Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit (Wolfenbüttler Studien zur Aufklärung, Bd. 26), Tübingen 1999; Reiner Prass, Alphabetisierung in Frankreich und Deutschland. Überlegungen zu differierenden Grundlagen scheinbar gleicher Entwicklungen, in: Hans Erich Bödeker, Martin Gierl (Hg.), Jenseits der Diskurse. Aufklärungspraxis und Institutionenwelt in europäisch komparativer Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 225), Göttingen 2007, 25-48; ders., Signierfähigkeit und Schriftkultur. Methodische Überlegungen und neuere Studien zur Alphabetisierungsforschung in Frankreich und Deutschland, in: Francia 25 (1998), 175-197; Ernst Hinrichs, Alphabetisierung im 17. und 18. Jahrhundert, in: Peter Wieckenberg (Hg.), Einladung in das 18. Jahrhundert, München 1988, 81-87; Roger Chartier, Lectures et lecteurs dans la France de l’Ancien Régime, Paris 1987; zur weiteren Fragestellung Dorothea Kraus, Appropriations et pratiques de la lecture. Les fondements méthodologiques et théoriques de l‘approche de l‘histoire culturelle de Roger Chartier, in: Labyrinthe 3 (1999), 13-25. Hierzu (mit wichtigen Einzelnachweisen) Dieter Breuer, Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland, Heidelberg 1982.

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Schritt für Schritt eroberten. Eine Fülle spannender Nachrichten aus einer nunmehr entgrenzten Welt, neue Formate wie Zeitschriften, neue literarische Gattungen wie der Roman zogen die Aufmerksamkeit auf sich und eröffneten Denkmöglichkeiten, die das barocke Fürstentum und die Kirche zutiefst erschreckten. Diesen neuen Texten war anders als den konfessionellen mit den Mitteln der Vor- und Nachzensur nicht ohne Weiteres beizukommen, weil das ihnen möglicherweise innewohnende Gefahrenpotential für den obrigkeitlichen Leser schwer auszumachen und zu benennen war. Es trifft sicherlich zu, dass viele Protagonisten des neuen Denkens sich auf einem schmalen Grat wähnten und etliche auch tatsächlich verfolgt wurden. Aber solche Grenzüberschreitungen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Kategorien für die Verurteilung der neuen Inhalte weithin fehlten und sich das neue Wissen der Aufklärung diesseits der dramatischen Schlussfolgerungen, die sich daraus ziehen ließen, in einer Grauzone formierte. Weder die Ergebnisse der wissenschaftlichen Revolution noch die Erkenntnisse über die neue Welt, die der absolutistische Staat und die stetig wachsende Handelsgesellschaft zu erschließen und zu nutzen entschlossen waren, ließen sich ignorieren. Im Grunde wiederholte sich im Laufe des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts nun im säkularen Bereich, was im Zeitalter der Reformation das geistliche Monopol der Kirche zerstört hatte, als das objekt- und ritualbezogene Frömmigkeitsangebot der Kirche über die neue textbezogene Frömmigkeit der Glaubensdissidenten die Kontrolle verloren hatte. Der kulturelle Monopolanspruch des Fürsten ging, kurz nachdem er erhoben worden war, auch schon wieder verloren. Die kulturelle Definitionsmacht wurde zunehmend auf einem wachsenden literarisch-publizistischen Markt in einer je nach Kunstgattung unterschiedlichen Weise zwischen Mäzenen, großen und kleineren Kulturunternehmern und Konsumenten verhandelt. Der Monarch konkurrierte mit einem nach neuem Wissen, neuen Weltdeutungen und ebenso preiswerter wie gefälliger Zerstreuung gierigen Lesepublikum, dem angehören konnte, wer an der neuen Textkultur teilnahm.9 9

Zum Aspekt der Zensur Wilhelm Haefs, York-Gothart Mix (Hg.), Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte – Theorie – Praxis, Göttingen 2006; Helmuth Kiesel, Paul Münch, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzung und Entstehung des literarischen Marktes in Deutschland, München 1977; Roger Chartier, L’Ordre des livres. Lecteurs, auteurs, bibliothèques en Europe entre XIVe et XVIIIe siècle, Aix-en-Pro-

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Dieses Lesepublikum unterschied sich in einem wichtigen Punkt von dem Glaubenspublikum der Reformationszeit. Die Lektüre des Gotteswortes war ein Akt der Andacht und des Gebets gewesen, ein individuelles Glaubenszeugnis, das sich in einen gegebenen theologischen Rahmen einordnen mochte oder nicht. Kontroverstheologische Schriften mochten für das Verständnis der Botschaft hilfreich sein, entscheidend waren sie letztlich nicht. Dagegen zwang der literarisch-publizistische Markt, der das neue Wissen anbot, den Leser im Hinblick auf seine Kaufentscheidungen ebenso wie im Hinblick auf das Gespräch über seine Lektüre zur Ausbildung von Urteilsfähigkeit und zur Formulierung von begründeten Meinungen auf der Grundlage der Wahrheitskriterien, welche die Wissensrevolution der Aufklärung durchgesetzt hatte. Dadurch änderten sich der Charakter des Lesens und der Habitus des Lesers. Lesen wurde vom meditativen zum diskursiven Akt; an die Stelle des Gottsuchers trat der Wahrheitssucher, der Aussagen prüfte und Begründungszusammenhänge nachvollzog. Wer sich unter den neuen medialen Bedingungen als Leser behaupten wollte, der musste schnell wahrnehmen und flexibel reagieren können. Hierzu bedurfte es eines Referenzhorizontes in Gestalt des Bildungswissen, auf das sich alle bezogen, eines Verortungssystems für neue Publikationen auf der Grundlage von schnell verfügbaren Personen- und Werkkenntnissen und erprobter, wenngleich nicht notwendigerweise neutraler Verarbeitungs- und Bewertungskategorien, die den Leser zu einem schnellen Urteil gelangen ließen. Friedrich wurde in die Schlussphase der hier zugegebenermaßen holzschnittartig skizzierten Umbruchsperiode in der Doppelrolle als Fürst und als kritischer Leser hineingeboren und versuchte zeitlebens, diese beiden über weite Strecken widersprüchlichen Anforderungsprofile miteinander zu vereinbaren.10 Hier setzt mein Beitrag an. Mein vence, 1992; Robert Darnton, Literaten im Untergrund. Lesen, Schreiben und Publizieren im vorrevolutionären Frankreich, übers. aus dem Englischen v. Henning Ritter, München 1985; ders., The Corpus of Clandestine Literature in France 1769-1789, New York 1995; zu einem aufschlussreichen Teilaspekt: ders.: Die Wissenschaft des Raubdrucks. Ein zentrales Element im Verlagswesen des 18. Jahrhunderts, übers. aus dem Amerikanischen v. Wiebke Meier, München 2003; vgl. ferner für England, aber mit grundlegender Perspektive: Karl Tilman Winkler, Wörterkrieg. Politische Debattenkultur in England 1689-1750, Stuttgart 1998. 10 Vgl. die Horizontabschreitung in Brunhilde Wehinger (Hg), Geist und

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Thema ist nicht der lesende Friedrich, sondern Friedrich als Leser im Sinne eines Betroffenen und späten Protagonisten der Leserevolution der Aufklärung, welche die Entstehung des Gutenberg-Universums abschloss. Friedrich blieb stets ein selbstbewusster Herrscher, der keine Zweifel an seinem Herrscherrecht und Herrscheramt aufkommen ließ. Aber er verlor auch nicht den kritischen Sinn des ebenso selbstbewussten, ja manchmal widerwillig selbstkritischen Lesers, auch wenn dieser sein Urteil nur über eine gedruckte Welt sprach. Über sein Erbe als Herrscher konnte er sich wenigen Illusionen hingeben. Während sein Großvater das von ihm faute de mieux durch einen Akt der Selbstbezeichnung geschaffene Königreich Preußen mit enormem Kostenaufwand auf der kulturpolitischen Landkarte eingetragen hatte, hatte sein Vater mit seiner Selbststilisierung als Soldatenkönig den für seinen Sohn bisweilen wohl eher peinlichen Versuch gemacht, sich dem Versailler System zu entziehen. Das Motto Nec soli cedit auf den preußischen Regimentsfahnen mochte als programmatische Antwort auf den Herrschaftsstil des Sonnenkönigs einen gewissen Anspruch formulieren. In der Berliner Praxis wirkte diese Verweigerungshaltung eher etwas linkisch, was Friedrich sehr wohl bewusst war. Es war indes nicht die Sorge um das brandenburgisch-preußische Repräsentationspotential, das Friedrich beschäftigte. Die exhibitionistische Selbstveröffentlichung seiner Person und seines Körpers war seine Sache ohnehin nicht. Zeit seines Lebens bemühte er sich zu signalisieren, dass er sich von dieser Art Prachtentfaltung und solchem Imponiergehabe ohnehin nicht beeindrucken ließ. Stattdessen nahm der Kronprinz, der sich in die Welt der französischen Literatur und Philosophie geflüchtet und sich im idyllischen Rheinsberg in einer Äquidistanz zu den Vorstellungen des Großvaters und des Vaters eine höfisch-intellektuelle Gegenwelt geschaffen hatte, sehr sensibel wahr, wie sich die kulturellen terms of trade in Europa veränderten. Der Siegeszug der Aufklärung und des Lesepublikums installierten einen neuen diskursiven Begriff von Legitimität, der auf lange Sicht die politische Kultur verändern sollte. So weitgehende Schlussfolgerungen zog Friedrich fürs Erste sicherlich nicht. Er erkannte jedoch klarer als jeder andere Fürst seiner Zeit, dass Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte, Berlin 2005.

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die Selbstinszenierung des Herrschers als Kernelement der absolutistischen Herrschaftspraxis in ihrer bisherigen Form überholt war und den neuen Rahmenbedingungen angepasst werden musste. Aus diesem Geflecht von Prägungen, Wahrnehmungen und Selbstfindungsexperimenten erwuchs schließlich das Modell des roi-philosophe, das man im Hinblick auf die französische Bedeutung des Wortes philosophe als das des aufgeklärten, kritischen Königs bezeichnen könnte. Ich möchte dieses Modell im Folgenden aus zwei Blickwinkeln näher betrachten: 1. unter dem Gesichtspunkt der Anpassung der Legitimitätsvorstellungen an die veränderten kulturellen Rahmenbedingungen, 2. unter dem Aspekt des Aufbaus eines Philosophenhofes als Bühne für die Inszenierung des roi-philosophe, welche die Grundsatzfrage der Kompatibilität der höfischen und der philosophischen Kultur der aufgeklärten Intelligenz aufwarf. Friedrich nahm diese Herausforderung der Erneuerung des absolutistischen Herrschaftsanspruchs im Zeichen der Aufklärung ebenso ernst wie seinerzeit Ludwig XIV. diejenige der barocken Repräsentation. Es zeugt von seiner Konsequenz und von seinem Selbstbewusstsein, dass er gleich Voltaire, den Star der zeitgenössischen Philosophenszene, als Meister und Lehrer, ja in gewisser Weise gar als Ersatzvater adoptierte.11 Voltaire war Mitte der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts, als Friedrich sich an ihn wandte, in Frankreich und auch schon in Europa bereits ein berühmter Mann, ein Grenzgänger zwischen den Gattungen, der kein Genre ausließ, mit dem Ruhm zu erwerben war. Es war nicht zuletzt diese Vielseitigkeit, diese intellektuelle Omnipräsenz, die seine Leser, darunter auch Friedrich, faszinierte. Aber seine Erfolge waren Publikumserfolge, die das Macht- und Kulturestablishment nicht daran hinderten, ihm, von der Gewährung einer kleineren Pension durch den Regenten Philippe von Orléans einmal abgesehen, immer wieder die kalte Schulter zu zeigen und ihn sogar zeitweise zu verfolgen. Voltaire hat das, was ich seine prekäre Integration in das kulturelle System nennen möchte, sehr wohl empfunden und beklagt. Umso bereitwilliger wandte er sich deshalb einem Fürsten zu, der ihn zu verehren und sei11 Die Studien zu diesem Thema sind Legion. Ich beschränke mich auf Christiane Mervaud, Voltaire et Frédéric II: une dramaturgie des Lumières 17361778, Oxford 1985 sowie Hans Pleschinski, Friedrich und Voltaire. Eine europäische Beziehung, in: Friedrich der Große und Voltaire. Ein Dialog in Briefen. Ausstellungskatalog, Potsdam 2000, 13-16.

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nen Rat als Literat und kritischer Denker zu suchen schien. Die Verbindung mit dem preußischen Kronprinzen und späteren König bedeutete für Voltaire, der viele Jahre sozusagen in der Fluchtzone an der französischen Grenze zugebracht hatte, im Notfall materielle Absicherung samt Zufluchtsmöglichkeit, vor allem aber einen erheblichen Prestigegewinn, der seinen publizistischen Marktwert mittelfristig steigerte. Zwar konnte sich Friedrich als Kronprinz, wenn auch nur eines aufstrebenden deutschen Mittelstaates wie Preußen, sicher sein, dass sein Werben um Voltaires Gunst nicht ohne Resonanz bleiben würde. Gleichwohl trat er ihm nicht als Kronprinz, sondern als ein ebenso bewundernder wie verdeckt selbstbewusster Leser gegenüber. Er weist sich zu Beginn seines ersten Briefes an den bewunderten Autor als Kenner nicht nur der deutschen Aufklärungsphilosophie aus, distanziert sich von der Vertreibung Christian Wolffs aus Halle als einem barbarischen Akt und demonstriert Voltaire seine Werkkenntnis, um schließlich auf den neuralgischen Punkt der Legitimitätsverschiebung unter den neuen politisch-kulturellen Rahmenbedingungen zu sprechen zu kommen: Vos poésies ont des qualités qui les rendent respectables et dignes de l’admiration et de l’étude des honnêtes gens. Elles sont un cours de morale où l’on apprend à penser et à agir. La vertu y est peinte des plus belles couleurs. L’idée de la véritable gloire y est déterminée; et vous insinuez le goût des sciences d‘une manière si fine et si délicate, que quiconque a lu vos ouvrages respire l’ambition de suivre vos traces. Combien de fois ne me suis-je pas dit: Malheureux! laisse là un fardeau dont le poids surpasse tes forces; l’on ne peut imiter Voltaire, à moins que d’être Voltaire même. C’est dans ces moments que j’ai senti que les avantages de la naissance, et cette fumée de grandeur dont la vanité nous berce, ne servent qu’à peu de chose, ou pour mieux dire à rien. Ce sont des distinctions étrangères à nous-mêmes, et qui ne décorent que la figure. De combien les talents de l’esprit ne leur sont-ils pas préférables! Que ne doit-on pas aux gens que la nature a distingués par ce qu’elle les a fait naître! Elle se plaît à former des sujets qu’elle doue de toute la capacité nécessaire pour faire des progrès dans les arts et dans les sciences; et c‘est aux princes à récompenser leurs veilles.12 12 Friedrich an Voltaire (Brief vom 8. August 1736), in: Œuvres de Frédéric

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Die rhetorische Struktur des Briefes bestätigt den Inhalt. Friedrich hat die Regalia des neuen Leser-Souveräns angelegt und demonstriert damit den Wandel, den die Legitimitätsvorstellung im Zuge der Textrevolution durchlaufen hat. Zugleich aber lässt seine Voltaire-Panegyrik, die das klassische Fürstenlob gleichsam umkehrt, aber noch einen weiteren Aspekt hervortreten: In einer Welt der Leser wächst dem Autor eine ungeahnte neue Macht zu, auf die Friedrich nicht als Fürst, aber als selbstbewusster Intellektueller auch schon, wenngleich versteckt hinter dem Bescheidenheitstopos, Anspruch erhebt. Die über vier Jahrzehnte aufrechterhaltene Korrespondenz zwischen Meister und Fürst zeugt davon, dass Voltaire die ihm zugewiesene Rolle des Mentors erstaunlich ernst nahm und Friedrichs intellektuelle Sozialisation entscheidend prägte. Er vermittelte ihm sein Verständnis von Aufklärung und wies ihm als vorsichtig kritischer, manchmal auch dissimulierender Begleiter seiner Texte den Weg zur Autorenschaft, die ihm unter den Monarchen seiner Zeit eine Sonderstellung verschaffte und ihn schon für die Zeitgenossen zu einer Ikone der Aufklärung werden ließ.13 le Grand, hg. v. Johann D. E. Preuss, Berlin 1853, Bd. 21, 6 f. (Übersetzung: Walter Mönch, Voltaires Briefwechsel mit Friedrich dem Großen und Katharina II., Berlin 1944, 28-29): „Ihre Gedichte besitzen Vorzüge, die sie dem Studium und der Bewunderung aller honnêtes gens empfehlen. Sie sind ein Lehrbuch der Philosophie und praktischen Moral. Die Tugend ist darin mit leuchtenden Farben dargestellt. Die Idee des wahren Ruhmes wird fest darin umrissen. Und Sie gewinnen den Wissenschaften so feine und zarte Reize ab, daß jeder, der Ihre Werke liest, ehrgeizig ihren Spuren folgen möchte. Wie oft habe ich mich selbst von dieser Verlockung verleiten lassen und mir dann gesagt: Unseliger laß‘ ab! Die Bürde übersteigt Deine Kräfte. Man kann Voltaire nicht nachahmen, wenn man nicht selber Voltaire ist. In solchen Augenblicken habe ich empfunden, daß die Vorzüge der Geburt und das eitle Wahngebilde nur wenig oder nichts bedeuten. Sie sind Auszeichnungen, die unser Inneres nicht berühren, und nur zum äußeren Schmuck gereichen. Wie sehr sind Ihnen die Geistesgaben vorzuziehen, und was verdanken wir nicht alles den Menschen, die die Natur bei der Geburt mit einem glücklichen Genie begabt hat. Sie formt Menschen und bildet sie mit allen Fähigkeiten aus, die für den Fortschritt in den Künsten und Wissenschaften nötig sind. Sache der Fürsten ist es dann, ihren Schweiß und ihre Mühen zu belohnen.“ 13 Hierzu auch Brunhilde Wehinger, Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg. Friedrich der Große als Autor der Geschichte seiner Dynastie, in: Günther Lottes (Hg.), Vom Kurfürstentum zum „Königreich der Landstriche“. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklä-

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Voltaires Rolle im System des Preußenkönigs beschränkte sich indes nicht auf die des Meisters, Ratgebers und Gesprächspartners. Er lieferte als seinen Teil des Geschäfts darüber hinaus kulturelle Anerkennung gemäß den Standards des Aufklärungszeitalters. Seine Briefe waren – unabhängig davon, womit sie sich im Einzelnen beschäftigten – Zertifikate, dass Friedrich in der Gesellschaft der Aufklärer akzeptiert und angesehen war, dass seine Selbststilisierung zum roi-philosophe mehr war als bloße Legitimationspropaganda, dass der Philosophe de Sans-Souci und der Roi des philosophes auf Augenhöhe miteinander kommunizierten. Der Autor legitimierte den Herrscher für den Leser. Es ist bezeichnend, dass Voltaire sein Legitimierungsgeschäft schließlich auch auf die russische Zarin Katharina II. ausdehnte. Voltaire lieferte darüber hinaus Insiderwissen über die aufgeklärte Intelligenz in Frankreich, das Friedrich selbst das Gefühl gab dazuzugehören und das sich bei dem Versuch, Berlin zu einem Grenzfort und Brückenkopf der Philosophie auf die kulturelle Landkarte Europas zu setzen, nützlich erweisen sollte. Denn der einzige Schönheitsfehler dieses Arrangements bestand darin, dass Friedrich in Berlin beziehungsweise Potsdam und nicht in Paris beziehungsweise Versailles residierte. Voltaires und Friedrichs Geschäftsbeziehung in Sachen Legitimität hielt über den Tod beider hinaus und hat einen geradezu ikonographischen Charakter angenommen, auch wenn das persönliche Verhältnis der beiden bei Voltaires zweitem Besuch in Berlin empfindlich gestört wurde. Friedrich blieb, nachdem sein Interesse, seinen Hof zu einem Zentrum der europäischen Aufklärung französischer Observanz zu machen, deutlich nachgelassen hatte, bemüht, das Legitimitätszertifikat als aufgeklärter Monarch auch weiter durch seinen Briefwechsel, unter anderem mit d’Alembert, und durch Einladungen an führende Aufklärer zu erneuern.14 Mit Diderot, der aufklärerischen Leitfigur der zweiten Jahrhunderthälfte, gelang ihm dies bekanntlich nicht. Dessen anfängliche Bewunderung für den Preußenkönig schlug in harsche Kritik des Tyrannen um, der ihm auf der Reise nach St. Petersburg dann auch keinen Besuch in Potsdam wert war. Friedrichs zynische Einschätzung der rung, Berlin 2004, 137-174. 14 Brunhilde Wehinger, Geist und Macht. Zum Briefwechsel zwischen d’Alembert und Friedrich II. von Preußen, in: Günter Berger, Franziska Sick (Hg.), Französisch-deutscher Kulturtransfer im Ancien Régime, Tübingen 2002, 241-261.

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Reichweite der Aufklärung war für Diderot wenig mehr als ein selbst ausgestellter Freibrief, sich der Verantwortung zur Aufklärung und einem kritischen Publikum zu entziehen. In der Schlusspassage seiner Pages contre un tyran riss er Friedrich den Mantel des Aufklärers nach einer vernichtenden Kritik des Examen de l’Essai sur les préjugés herunter: „Qu’ai-je donc appris dans ce livret? […] que Dieu nous préserve d’un souverain qui ressemble à cette sorte de philosophe-ci“.15 Diderot überreichte das begehrte und von Friedrich beanspruchte Zertifikat stattdessen Katharina II., wenn auch nur für kurze Zeit. Schon auf der Rückreise von St. Petersburg ging er in seinen Observations sur le Nakaz mit Katharinas Aufklärungskonzept ins Gericht, das die Aufklärung von oben auf eine Aufklärung an der Oberfläche reduzierte.16 Diderots Kritik darf uns indes nicht darüber täuschen, dass Friedrich seine Mission als Aufklärer zumindest in den ersten Jahren sehr ernst nahm. Es bleibt erstaunlich, in welchem Umfang er als Publizist tätig wurde und welchen Themenhorizont er in seinen eigenen Beiträgen abschritt. Kein anderer Monarch des 18. Jahrhunderts konnte es mit ihm in diesem Punkt aufnehmen, weder Joseph II. noch Katharina II., auch nicht Leopold von der Toskana oder Carl August von Weimar. Friedrich war als kritischer Intellektueller auf dem Thron eine Ausnahmeerscheinung. Das gilt nicht nur für die Quantität, sondern auch für die Qualität seiner Schriften. Friedrich mag keinen Klassiker der europäischen Aufklärungsliteratur verfasst haben. Auch der Antimachivel gehört nicht in diese Kategorie. Aber er war auch kein bloßer Epigone. Wer seine Schriften sorgfältig liest und prüft, wann er was gesagt hat, wird in diesem Punkt eines Besseren belehrt. Friedrich begann seine Herrschaft mit einem machtpolitischen Paukenschlag, dem Überfall auf Schlesien, der immer wieder als Kontrapunkt zu seinen aufgeklärten Bekundungen im Antimachiavel gesehen worden ist. Das hinderte ihn nicht, parallel dazu das Modell des roiphilosophe auf den Hof auszudehnen. Vor dem Hintergrund der Rheinsberger Idylle, die Friedrich gegenüber Algarotti einmal mit folgenden Worten beschrieb: „Heureux sont les hommes qui peuvent jouir de la compagnie des gens d’esprit! Plus heureux sont les princes qui peuvent 15 Denis Diderot, Pages contre un tyran (1771), in: ders., Œuvres politiques, éd. par Paul Vernière, Paris 1963, 148. 16 Denis Diderot, Observations sur le Nakaz, ebda., 457.

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les posséder! Un prince qui ne voudrait avoir que de semblables sujets serait réduit à n’avoir pas un empire fort peuplé: je péférerais cependant son indigence à la richesse des autres“17, mag das zutreffen. Im Kontext des Versailler Systems der Konkurrenz der Höfe dagegen relativiert sich der Widerspruch. Aus diesem Blickwinkel erscheint die Anpassung des Hofes an die neuen kulturell-politischen terms of trade trotz aller Verbundenheit der Philosophenfreunde als ein strategischer Akt, der seine Wirkung tatsächlich auch nicht verfehlte.18 Friedrich dachte dabei bezeichnenderweise im Übrigen weder brandenburgisch-preußisch noch deutsch, sondern europäisch. Der Adressat des Versuchs, Berlin beziehungsweise Potsdam zu einem Zentrum der europäischen Aufklärung, einer französisch geprägten europäischen Aufklärung, zu machen., waren weniger die eigenen Untertanen oder die aufgeklärte Intelligenz des Landes und der Hauptstadt, sondern die politischen und intellektuellen Eliten Europas, die das Publikum der symbolischen Konkurrenz der Machtzentren stellten. Es ging Friedrich allerdings nicht nur um das symbolische Kapital der cour philosophique, sondern auch darum, einen Beitrag zu der Wissens- und Denkrevolution zu leisten, die noch immer im Brennpunkt der Aufklärung als kultureller Bewegung stand. Erst später sollte sich der Akzent in Richtung auf die Rationalisierung des Herrschaftsgeschäfts und die Reform von Staat und Gesellschaft verlagern. Die Installation der cour philosophique muss insofern im Zusammenhang mit der Reorganisation des preußischen Wissenschaftsbetriebes durch die Gründung der Königlichen Akademie der Wissenschaften gesehen werden. In diesem Zusammenhang stellte die Berufung Maupertuis‘ ein Schlüsselexperiment dar. Es zeigte Friedrich als rührigen und in der Sache interessierten Wissenschaftsmanager, der sich als Leser naturwissenschaftlichen Fragestellungen zwar stellte, aber auf die popularisierende Vermittlung angewiesen blieb.19 Friedrich war Newtonianer, weil dies im Lager der philosophes, dem er sich zugehörig fühlte, so üblich war. Und Maupertuis galt Mitte der 30er Jahre, als Friedrich mit 17 Friedrich an Algarotti (1. Sept. 1739), in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 12), Bd. 18, 4. 18 Günther Lottes, Court Culture in Transition, in: Niall Ó Ciosáin (Hg.), Explaining change in cultural history, Dublin 2002, 98–119. 19 Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Grumbkow und Maupertuis, hg. v. Reinhold Koser, Leipzig 1898.

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Voltaire in Kontakt trat, als Bannerträger des Newtonianismus, den Voltaire in seinen Elements de la philosophie de Newton als die Speerspitze der intellektuellen Moderne popularisieren sollte und der in den Positionskämpfen der Aufklärer als Waffe und Erkennungszeichen gegen den Cartesianismus des wissenschaftlichen Establishments diente.20 1736 hatte Maupertuis eine Expedition nach Lappland geleitet, welche die Länge eines Breitengrades und im Verein mit der Expedition La Condamines nach Peru die Erdkrümmung berechnen sollte. Neben seinen geodätischen Aufgaben hatte er ein Auge auf die Lappen, welche die Phantasie des aufgeklärten Publikums als Indianer Europas beschäftigten. Ungeachtet seiner wissenschaftlichen Leistungen war Maupertuis kein weltabgewandter Gelehrter, sondern besaß jenen Schuss profilbildender Exzentrik, der Überleben und Aufstieg in den Kreisen der philosophes erleichterte. Friedrich umwarb diesen typischen Vertreter der aufgeklärten Intelligenz in Frankreich – übrigens auf Empfehlung Voltaires – als Präsidenten seiner Akademie der Wissenschaften, die er zu reformieren und zu einem Bollwerk des intellektuellen Fortschritts auszubauen gedachte. Friedrichs Angebot ging über das hinaus, was Maupertuis aller Voraussicht nach in Frankreich zu erwarten hatte. Gleichwohl zögerte dieser. Denn Berlin stellte für einen französischen philosophe ein Karriererisiko dar. Die französische Kultur dort hatte Treibhauscharakter. Sie war nicht in der Gesellschaft verwurzelt, sondern verdankte ihre Existenz dem König. Vor allem aber bestanden berechtigte Zweifel, dass Berlin und Potsdam im Wahrnehmungsbereich der französischen Intelligenz und des französischen Publikums lagen. Wer nach Berlin ging, der schnitt sich womöglich den Rückweg in die französischen Karriere- und Aufmerksamkeitszusammenhänge ab. Dass Maupertuis das Wagnis schließlich einging, kam einer kleinen Sensation gleich. Fünf Jahre Aufbauarbeit lagen vor ihm, bevor ihn eine wissenschaftliche Intrige stürzte. Die Verhandlungen mit Maupertuis machten Friedrich, dem philosophe outre-Rhin, die Standortnachteile Berlins deutlich und veranlassten ihn, seine Rekrutierungsstrategie den Gegebenheiten anzupassen. 20 Voltaire, Elemente der Philosophie Newtons. Verteidigung des Newtonianismus. Die Metaphysik des Neuton, hg. u. eingeleitet von Renate Wahsner, Horst-Heino v. Borzeszkowski, Berlin 1997; Andreas Kleinert, Die allgemeinverständlichen Physikbücher der französischen Aufklärung, Aarau 1974.

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Friedrichs Trumpf war die Macht, über die er verfügte und die er für diejenigen philosophes zum Einsatz bringen konnte, die andernorts mit ihr in Konflikt gekommen waren. So konzentrierte sich sein Interesse fortan auf Kandidaten, die es in Frankreich zwar zu einem gewissen Ruf gebracht hatten, aber aus welchen Gründen auch immer in Schwierigkeiten geraten waren. Schon Voltaire war ein Stück weit Außenseiter gewesen. Montesquieu nahm seine Aufnahme in die Berliner Akademie dagegen nur höflich zur Kenntnis.21 Und während Maupertuis zögerte, sich auf Friedrichs Angebot einzulassen, fand der Marquis d’Argens den Weg nach Berlin und Potsdam aus dem selbstgewählten Exil in Holland und Süddeutschland ganz von selbst. Er sollte in den kommenden Jahrzehnten Friedrichs treuester compagnon de route in der Welt der höfischen Aufklärung werden. D’Argens mag von unserer heutigen Warte aus gesehen – übrigens ganz so wie Maupertuis auch – nicht zur ersten Garde der französischen Aufklärer zu rechnen sein. In der zeitgenössischen Sicht Friedrichs war der Verfasser der Lettres juives ein unerwarteter Gewinn, dem Friedrich denn auch sogleich die Leitung der historisch-philologischen Klasse der Akademie anbot. Als Friedrich – übrigens über Maupertuis – von den Schwierigkeiten La Mettries hörte, war der Kämpfer für die verfolgten Meinungen zur Stelle, holte ihn nach Berlin und machte ihn zu seinem Vorleser und Leibarzt sowie zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Der allerorts Verfemte sollte sich in Berlin frei entfalten können, auch wenn diese Zusage später zumindest partiell zurückgenommen wurde. Es entspricht diesem Muster, dass Friedrich Rousseau über den Gouverneur von Neuchâtel seine Bereitschaft zur Unterstützung antragen ließ und an Diderot und d’Alembert sofort die Einladung erging, die Encyclopédie in Berlin zu vollenden, wenn ihnen dies in Frankreich nicht gestattet sei. Natürlich steckte dahinter das Kalkül, Berlin zu einem Zufluchtsort der Aufklärung zu machen, einer Freistatt des Denkens, in die es einen vielleicht nicht unbedingt zieht, in die man sich aber begibt, wenn man mit der Macht aneinandergeraten ist. In gewisser Weise war das die Fortsetzung der Hugenottenpolitik von Friedrichs Urgroßvater, dem Großen Kurfürsten, in einem neuen kulturellen Kontext und mit anderen Mitteln. 21 Effi Böhlke, Etienne François (Hg.), Montesquieu: Franzose – Europäer – Weltbürger, Berlin 2005.

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Friedrichs Strategie war, wie wir gesehen haben, nur mäßig erfolgreich: Montesquieu hatte keinen Bedarf, Rousseau gab Friedrich einen Korb, Diderot und d’Alembert wollten am Ende mit Potsdam nichts zu tun haben. Die Berufung d’Argens dagegen wurde ein Erfolg, die La Mettries endete in einer Katastrophe ganz so wie die Maupertuis’. Denn als La Mettrie der Verfemung der Philosophengemeinde von Voltaire bis Diderot anheimfiel, musste auch Friedrich reagieren, das Spiel seiner Gesinnungsgenossen mitspielen, obwohl er das – so meine Interpretation vor allem seiner Trauerrede auf La Mettrie – eigentlich gar nicht wollte. Friedrich mag die Kritik an La Mettrie nicht oder nur bedingt geteilt haben; in jedem Fall empfand er es als eine Herausforderung seiner königlichen Autorität, dass sein Gast und Leibarzt von denen angefeindet wurde, deren Partei er ergriffen hatte. Vergessen wir nicht, dass der Angriff auf Maupertuis, der sich schließlich trotz der Unterstützung Friedrichs nach Basel zurückzog, im gleichen Jahr erfolgte.22 Der Fall La Mettrie wirft die Frage auf, ob und inwieweit höfischer und philosophischer Habitus überhaupt miteinander vereinbar waren. Wie passten sich die philosophes, die den Weg nach Potsdam und Berlin gefunden hatten, der besonderen Umgebung, die Friedrich ihnen hier bot, an? Mag Friedrich durch sein unbestreitbares Talent und durch seine Persönlichkeit den Anforderungen, die das Modell des roi-philosophe an ihn stellte, auch genügt haben, das Modell der cour philosophique erwies sich als ein höchst widersprüchlicher Entwurf. Friedrichs Hof blieb, auch wenn das Stück in neuen Kostümen und mit modernisierten Dialogen aufgeführt wurde, die Bühne eines absolutistischen Souveränitätstheaters, bei dem der Fürst, wie aufgeklärt er auch immer war, im Mittelpunkt stand und das hierarchische Gefüge ebenso wie den Rhythmus des höfischen Lebens bestimmte. Dagegen war das Organisationsprinzip des aufgeklärten Diskurses das der Gleichheit der Gesprächsteilnehmer, das Friedrich in seiner Tafelrunde in Sanssouci ja auch sinnfällig zum Ausdruck zu bringen trachtete. Aufgeklärtes Souveränitätstheater war so gesehen ein Versuch der Quadratur des Kreises, allenfalls kurzfristig realisierbar, wenn der Souverän entweder tatsächlich die besseren Argumente hatte und Aufklärungsarbeit im Ge22 Ursula Pia Jauch, Jenseits der Maschine: Philosophie, Ironie und Ästhetik bei Julien Offray de La Mettrie 1709-1751, München 1998; Hartmut Hecht (Hg.), Julien Offray de La Mettrie. Ansichten und Einsichten. Berlin 2004.

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spräch leistete oder wenn er um der Inszenierung willen zeitweilig darauf verzichtete, seine Autorität in die Waagschale zu werfen. Eine noch größere Herausforderung barg das Modell der höfischen Aufklärung für die Höflinge, die Aufklärer, und die Aufklärer, die Höflinge darstellen sollten. Ich kann hier nicht auf die Frage eingehen, ob Friedrichs neuer aufgeklärter höfischer Stil den höfischen Alltag maßgeblich verändert hat. Denn natürlich konnte sich Friedrich nicht nur mit Aufklärern umgeben, sondern musste auch andere Chargen besetzen, die den intellektuellen Anforderungen des aufgeklärten Hofes nicht genügten. Mein Interesse gilt in diesem Beitrag in erster Linie den Aufklärern, die sich in die Rolle von Höflingen versetzt sahen und diese nun neu interpretieren mussten.23 Meine These ist, dass die Hybridkultur der höfischen Aufklärung solange funktionierte, solange sie von allen Beteiligten, vom König wie von den aufgeklärten Intellektuellen, mit denen er sich umgab, als unverbindliches Spiel betrachtet wurde. Es war durchaus möglich, das aufgeklärte Gespräch zu pflegen, solange der Anspruch auf Praxis, in welcher Form auch immer, nicht erhoben wurde. Praxisfragen gehörten in die vom Hof getrennte Sphäre der Macht, die Friedrich zwar nicht von der Forderung nach vernünftiger Gestaltung ausnahm, dieser aber auch nur in reduzierter Form unterwarf. Aufgeklärte Praxis musste allemal mit den Machtrealitäten verrechnet werden, deren Vernachlässigung den Bestand des Staats gefährdet hätte. So war Friedrich durchaus bereit, dem preußischen Gemeinwesen endlich eine vernünftigen Normen genügende Rechtsordnung zu geben; Eingriffe in die gesellschaftlichen Verhältnisse lehnte er jedoch ab. Dagegen erwies sich umgekehrt die Infiltration höfischer Verhaltensweisen in die Soziabilitätsformen und in die Gesprächskultur der Aufklärung als fatal. Dies zeigte sich in den Affären Maupertuis und La Mettrie im Jahre 1751. Hinter dem Angriff auf den Akademiepräsidenten Maupertuis, gegen den der ansonsten eher unbekannte Mathematiker Samuel König den Vorwurf des Plagiats erhob, steckten nicht nur Maupertuis‘ Gegner in der Akademie, denen das Französisieren mittlerweile zu weit ging, sondern auch der gerade in Berlin weilende 23 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von Jens Häseler, Friedrich II. von Preußen – oder wie viel Wissenschaft verträgt höfische Kultur? In: Wehinger (Hg.), Geist und Macht (wie Anm. 10 ), 73-82.

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Voltaire, dem es gelegen kam, auf diese Weise einen Keil zwischen Friedrich und seinen alternativen intellektuellen Favoriten zu treiben. Verstimmt registrierte der König, dass Voltaire mit der Schrift La Diatribe du Docteur Akakia (1752) die Auseinandersetzung um Maupertuis eingriff und die Angelegenheit damit vor die französische und europäische Öffentlichkeit brachte. Was Gegenstand einer aufgeklärten Debatte hätte sein müssen, wurde hier zum Versatzstück einer höfischen Intrige. Freilich reagierte auch Maupertuis falsch. Anstatt dem Vorwurf mit Gesprächsbereitschaft zu begegnen, wie dies in einer publizistischen Kontroverse geschehen wäre, brachte er seine und des Königs Autorität zum Tragen, die auf diese Weise in den Augen der aufgeklärten Öffentlichkeit kompromittiert wurde. Wie auch immer: Die Affäre Maupertuis, die damit endete, dass der Akademiepräsident nach Basel zu Bernoulli floh, machte deutlich, wie schnell aus Aufklärern Höflinge alten Typs wurden. Das bestätigt auch die Affäre La Mettrie. Im publizistischen Raum hätten La Mettries provokante Thesen, und provokant waren sie immerhin, diskutiert und widerlegt werden müssen. Im höfischen Raum ergab sich dagegen die Möglichkeit, andere Machtmittel zum Einsatz zu bringen und La Mettrie nicht nur wegen einer konkreten publizistischen Äußerung anzugehen, sondern in seiner Meinungsfreiheit zu beschränken. Und wieder spielte Voltaire, indem er La Mettries intellektuelle Glaubwürdigkeit in Zweifel zog, eine unheilige Rolle. Friedrich bemerkte wohl, wie er in diesem Fall von seiner Umgebung instrumentalisiert wurde, und suchte nach freilich reichlich lahm anmutenden Kompromisslösungen, die La Mettrie dann konsequent unterlief. Einmal mehr hatte sich gezeigt, dass aufgeklärte Überzeugungen keinen Schutz vor höfischem Intrigantentum boten. Die Jahre 1751/1752 markieren insofern denn auch Krise und Scheitern des Modells der cour philosophique, mit der Friedrich der Herausforderung, welche die Wissensrevolution der Aufklärung für den Absolutismus darstellte, hatte begegnen wollen.

„Handlanger der Geschichtsschreibung“

Friedrich II. als Rezipient historischer Werke zur brandenburgischen Geschichte Michael Knobloch I.

Die Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg, in der geläufigen deutschen Übersetzung: Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, sind das einzige historische Werk Friedrichs II., das der König bereits zu Lebzeiten veröffentlichen ließ. Seine Geschichte des Hauses Brandenburg besteht bekanntlich aus einem chronologischen Teil über die hohenzollerischen Kurfürsten der Mark Brandenburg sowie aus vier beziehungsweise fünf kulturhistorischen Abhandlungen.1 1

Zu den kulturhistorischen Abhandlungen gehören „De la superstition et de la religion“, „Des mœurs et des coutumes, de l’industrie, des progrès de l’esprit humain dans les arts et les sciences“, „Du gouvernement ancien et moderne du Brandebourg“, die bis zum Frühjahr des Jahres 1748 nachträglich dem Grundtext über die einzelnen Hohenzollernherrscher den Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg hinzugefügt wurden (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz [GStA PK], VI. HA NL: Friedrich II. König von Preußen A 2). Die „Dissertation sur les raisons d’établir, ou d’abroger les loix“, die bereits 1750 in den Œuvres du Philosophe de Sans-Souci erschienen war, wurde ebenfalls 1751 im Rahmen einer überarbeiteten Neuedition seiner Werke in den Kanon der Denkwürdigkeiten aufgenommen, später aber zu Recht wieder herausgenommen. Anstelle dessen wurde 1767 endgültig und autorisiert die Abhandlung „Du militaire depuis son institution jusqu’à la fin de règne de Frédéric-Guillaume II“ fester Bestandteil der Denkwürdigkeiten, die dem großen Publikum bis dahin unbekannt geblieben sein dürfte, da sie nur in der von Friedrich II. für einen kleinen privaten Kreis initiierten prachtvollen Hofausgabe von 1751 erschienen war. Diese erste „Originalausgabe“ entstand in der königlichen Buchdruckerei im Berliner Schloss durch den Buchdrucker Hennig und stellt ihrerseits eine Überarbeitung einer älteren Ausgabe dar, deren Druck nach der Ankunft Voltaires in Berlin abgebrochen worden war. (Vgl. dazu: Hans Droysen, Friedrichs des Großen Druckerei im Berliner Schlos-

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Auf den ersten Blick scheinen die Entstehungsgeschichte des Werkes und die Arbeitsweise Friedrichs gut überliefert worden zu sein. In einer Dokumentation aus dem Jahr 1878 von Max Posner wird die Entstehung der Denkwürdigkeiten anhand von Schriftwechseln und Extrakten dargestellt.2 Dort heißt es, dass im November 1746 an die Kurmärkische Kammer, an die Minister des Generaldirektoriums beziehungsweise in Besonderem der auswärtigen Angelegenheiten Kabinettsorder ergingen, Extrakte über verschiedene Gegenstände der Regierungen der Kurfürsten Johann Sigismund, Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm anzufertigen. Friedrich erhielt umgekehrt in den Folgemonaten aus den Archiven durch seinen Minister Heinrich von Podewils und dem Legationsrat Ewald von Hertzberg auf Originaldokumente basierende Extrakte zu ausgewählten Fragestellungen, die er für die Niederschrift der Geschichte der Kurfürsten der jüngsten Vergangenheit für notwendig erachtete. Während die vorhandenen Archivalien und die für den König daraus angefertigten Extrakte nur die jüngere Vergangenheit bezeugen konnten, um seinen dem Werk vorangestellten Anspruch nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit gerecht zu werden3, bedurfte es demgegenüber für die

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se, in: Hohenzollernjahrbuch 8 (1904), 85). Die erste gedruckte und vollständige Ausgabe von 1751 weist sehr viele Druckfehler auf. Sie bildete die Grundlage für die Raubdrucke, die 1760 in Lyon und Paris auf den Markt kamen. (Frédéric II, Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg. Au Donjon du Château. M. DCC. L. I. [1751]). Wie viele Exemplare gedruckt wurden, lässt sich nicht mehr genau ermitteln. Nach Aussage des Buchbinders Krafft wurden 74 Exemplare auf dem Königlichen Schloss gebunden. (Vgl. Bogdan Krieger, Beschreibender Katalog der Sonderausstellung der Hausbibliothek Seiner Majestät des Kaisers und Königs auf der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik Leipzig 1914, Berlin [1914], 63). Noch im selben Jahr erschienen außerdem zwei von Friedrich II. genehmigte Ausgaben beim Buchhändler Néaulme in Berlin. Max Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen. Erörterungen und Actenstücke [Berlin 1878]. Das Paradigma aufklärerischer Geschichtsschreibung, die die Quellenkritik und Entmythologisierung der überlieferten Geschichte verlangt, ist vor allem von Voltaire mitgeprägt worden, der auch dazu beitrug, dass sich dieses Prinzip in der Historiographie durchsetzte. Vgl. dazu: Brunhilde Wehinger, Friedrich der Große als der Autor der Geschichte seiner Dynastie, in: Günther Lottes (Hg.), Vom Kurfürstentum zum „Königreich der Landstriche“.

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überlieferungsärmere mittelalterliche Geschichte der Mark Brandenburg die Übermittlung von solchen Informationen, welche die Archive nicht geben konnten und deren Wahrheitsgehalt damit nicht immer verbürgt war. Diesbezüglich griff er auf alte Chroniken zurück, die er aus der Königlichen Bibliothek bezog. Im Gegensatz zur Rezeption der Archivalien ist die der alten Chroniken hinsichtlich der Denkwürdigkeiten aber weitgehend unbekannt geblieben. Es ist nicht so, dass Friedrich vorsätzlich seinem Publikum gegenüber vergaß, seine Quellen für die mittelalterlichen Abschnitte seiner brandenburgischen Geschichte zu nennen4, die vor allem in seinen beiden kulturhistorischen Abhandlungen über „De la superstition et de la religion“ sowie „Des mœurs, des coutumes, de l’industrie“ von Bedeutung waren. Ganz im Gegenteil, Friedrich legt in der Einführung („Discours préliminaire“) von 1751 sowie in der Einleitung zu den Denkwürdigkeiten nicht nur den Anspruch der Arbeit fest, sondern er verweist explizit auf die alten Chroniken zur brandenburgischen Geschichte. Zugleich sind in den Denkwürdigkeiten auffallend viele Fußnoten verzeichnet, mit denen der Autor gleichermaßen seine Gelehrsamkeit vorzeigen und auf die Chroniken aufmerksam machen möchte. Was jedoch fehlt, ist ein Schriftwechsel über die Chroniken, anhand dessen sich die Rezeption derselben rekonstruieren ließe. Für Friedrich sind die Chroniken als Quellen von elementarer Bedeutung. Er bedarf ihrer aber nicht nur als Grundlage seines Schreibens als Historiker und als Ausweis historischer Kenntnisse, sondern um sich als Geschichtsschreiber zu positionieren. Denn wollte er eine Geschichte seiner Dynastie verfassen, die seiner Auffassung nach noch nicht geschrieben worden ist, musste dies begründet werden. Folgt man Friedrichs Worten, war es der Mangel eines Geschichtswerkes, der ihn unwillkürlich zum Historiker Brandenburgs werden ließ. Deshalb distanziert er sich auch sehr deutlich in seiner nicht immer frei von Ironie und Spott begleiteten Einführung zu den Denkwürdigkeiten von allen Historikern, die vor ihm über brandenburgische Geschichte geschrieben hatten. In Anbetracht seiner damit nicht ganz uneitlen Selbststili-

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Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklärung, Berlin 2004, 140-142. Vgl. Frédéric II, Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg, in: Œuvres de Frédéric le Grand, tome 1, éd. p. J. D. E. Preuss, Berlin 1846, LI f. sowie 222.

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sierung als erster Historiker des Landes möchte er alle Autoren historischer Schriften vor ihm lediglich nur als Chronisten verstanden wissen. Namentlich dreien von ihnen, die zu den populäreren Historikern des späten 17. Jahrhunderts gerechnet werden5, und zwar Christoph Hartknoch, Samuel E. Pufendorf und Elias Lockelius, wirft er sogar vor, sie seien am Unwissen des Publikums hinsichtlich der brandenburgischen Geschichte mitschuldig. Auch wenn Hartknoch überhaupt nicht über die brandenburgische Geschichte schrieb, urteilt Friedrich recht pauschal, dass die Chronisten zwar fleißig Tatsachen gesammelt, diese aber nur aneinandergereiht 5

Friedrich nennt drei völlig verschiedene Typen von Geschichtsschreibern, die der jüngeren Generation der sogenannten „Chronisten“ zuzurechnen sind. Der preußische Historiker Christoph Hartknoch (1644-1687) galt mit seinem Werk Alt- und Neues Preussen als einer der populärsten Historiker seiner Zeit. Das Gleiche gilt für den Rechtsgelehrten und Historiker Samuel P. Pufendorf (1632-1694), der eine Geschichte des Großen Kurfürsten verfasst hatte (Vgl. [Samuel P. Pufendorf], Friedrich Wilhelms des Grossen/ Chur=Fuersten zu Brandenburg Leben und Thaten, [übers. v. Erdman Uhse], Berlin und Frankfurt. In der Schay- und Meyerischen Buchhandlung MDCCX [1710]). Elias Lockelius [Elias Löckel] (1621-1704 [?]), Pfarrer in Bärwalde und Superintendant für die Neumark, war dagegen nur den einheimischen Gelehrten bekannt, aber der Einzige, der sich im engeren Sinne mit der Geschichte der Mark beschäftigt hatte. Seine handschriftliche Chronik Marchia Illustrata wurde schon von den Zeitgenossen als Standardwerk betrachtet, insbesondere wegen ihrer exakten Angabe von Quellen. Den vierten Autor, den Friedrich II. in seiner Einführung zu den Denkwürdigkeiten nennt, Antoine Tessier, mit seiner Übersetzung von Johann Zernitz’, Les vies des électeurs de Brandebourg (siehe Anhang, In Folio/ Nr. 8.), kommt in den Denkwürdigkeiten tatsächlich keine Bedeutung zu. Die knapp gehaltenen Informationen waren nicht nur ein bloßes Loblied, sondern hätten dem Leser Friedrich kaum mehr als ihm schon allgemein bekannte Nachrichten geboten (vgl. Frédéric II, Mémoires, wie Anm. 4, 231). Friedrichs II. Urteil über Tessier wurde im Übrigen von Voltaire mit der Randnotiz „benissimo“ versehen. (Siehe dazu: Max Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen. Erörterungen und Actenstücke (wie Anm. 2), 265). Es zeigt, wie sehr Friedrich in seinem Urteil älterer Historiker den Auffassungen Voltaires folgte. Voltaire preist den Autor der Denkwürdigkeiten während seines Aufenthaltes in Berlin umgekehrt in der Amsterdamer Ausgabe des Journal de savants mit einer anonymen Rezension; vgl. Martin Fontius, Die Crux der Voltaire-Edition: Nachlese zu den Œuvres de 1750-1752 (I) und (II), in: Das achtzehnte Jahrhundert 33/ 1 (2009), 98.

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und dabei selten Wichtiges von Unwichtigem unterschieden hätten. Zudem seien ihre Werke nur durch opulente Folianten zugänglich, die den Leser ermüdeten.6 Für Friedrich waren die Chroniken damit zweierlei: Einerseits wertvolle Quelle, anderseits Projektionsfläche seines eigenen Schreibens. Als Informanten wären die Chronisten von unverzichtbarem Wert, wollte er eine mittelalterliche Geschichte seines Landes verfassen. Die Opulenz der Informationen, welche die Chroniken überlieferten, unterlag indes seiner selbstzugeschriebenen Fähigkeit, Wahrscheinliches und Glaubhaftes auszuwählen. Friedrich greift aus diesem Grund zu einem Konstrukt. Er positioniert die Chronisten als „manœuvres“, d.h. „Handlanger“ der Geschichtsschreibung und behandelt sie auch als solche. Folgt man seinen Worten, so sind sie nicht fähig, ihren Arbeiten auch eine adäquate Form zu geben.7 Sie verfehlten allesamt die Maßgabe aufklärerischer Historiographie, die von einem guten Historiker verlange, belehrend und unterhaltsam zugleich zu sein und in der nur die für den Verlauf der Geschichte wichtigen Ereignisse dargestellt sein sollten.8 Stattdessen helfen sie dem Historiker lediglich beim Zusammentragen von Informationen über Ereignisse. Das (umständliche) Deutsch der Bücher trug gleichermaßen dazu bei. Friedrich hielt es deshalb als Leser für völlig unnötig, eine der Chroniken für seine Bibliotheken anzuschaffen, geschweige denn in ihnen später noch einmal nachzulesen.9 6

Aussagen über Friedrichs Ablehnung großer (und deutschsprachiger) Bücher in Folioformat bei Bogdan Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, Berlin u. Leipzig 1914, 21. 7 „[…] ces sortes d’auteurs ne sont que de manœuvres, qui amassent scrupuleusement et sans choix, quantité de matériaux qui restent inutiles jusqu’à ce qu’un architecte leur ait donné la forme qu’ils devaient avoir “ (Vgl. Frédéric II, Mémoires, Anm. 4, LIf.). 8 Zur Form und Gestaltung der Denkwürdigkeiten gemäß aufklärerischer Historiographie: Wehinger, Friedrich der Große als der Autor der Geschichte seiner Dynastie (wie Anm. 3), 153f. 9 Das gilt nicht nur für Chroniken des späten Mittelalters sowie des 16. und 17. Jahrhunderts, in denen die mittelalterliche Geschichte anekdotenhaft weiter tradiert worden ist, sondern für die Geschichtsschreibung über das Mittelalter überhaupt. Denn auffälligerweise besaß Friedrich II. nur wenige Werke in seinen Schlossbibliotheken, die sich mit mittelalterlicher Geschichte beschäftigten. Vgl. dazu Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, Gesamtkatalog (wie Anm. 6).

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Seine Einschätzung, dass es einen Mangel an einer lesbaren Historie gebe, erwies sich ungeachtet aller Selbststilisierung seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit dennoch und nicht nur aus seiner Perspektive als berechtigt, obgleich er den Kontext historischen Schreibens des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts dabei verkennen musste. Der Historiker war in der Frühen Neuzeit zuallererst als Hofhistoriograph tätig und hatte sich bestimmten Formen der Darstellung zu verpflichten. Denn anders als Friedrich suggerieren möchte, entsprechen die von ihm angeführten Schriftsteller durchaus dem zeitgemäßen Grundtypus frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung, wo das opulente Äußere dem Inneren zu gleichen hatte.10 Friedrich konnte diese Tradition, die unter seinem Vater Friedrich Wilhelm und seinem Hofhistoriker Jakob Paul von Gundling noch üblich war, auch verlassen, indem er sich selbst zu seinem eigenen Hofhistoriographen aufschwang. Nichtsdestotrotz scheint er weitsichtig den Wert solcher Geschichtsschreibung für die Zukunft erkannt zu haben, denn bezeichnenderweise hat sich bis heute keine einschlägige Literaturgeschichte, geschweige denn die Forschung überhaupt den brandenburgischen Autoren nichtfiktionaler Literatur aus der Zeit zwischen 1500 und 1700 angenommen.11

II. Friedrichs Beschäftigung mit der Geschichtsschreibung, insbesondere der brandenburgischen, hatte frühzeitig begonnen, aber erst im Frühjahr 1746 wurde der Plan gefasst, eine solche Geschichte zu schreiben. Anders als für viele der auf Archivalien gegründeten Extrakte erfolgte eine nachweisliche Anforderung von bereits existierenden historischen Werken erst sehr viel später, und zwar im Frühjahr 1747.12 Für sei10 Zur Geschichtsschreibung im Zeitalter des Barocks im Allgemeinen noch immer: Andreas Kraus, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung, in: Historisches Jahrbuch 88 (1968), 54-77. 11 Eine der wenigen, leider nur mit bibliographischen und biographischen Angaben versehenen Arbeiten dazu ist bis heute die von Karl Kletke (Karl Kletke, Die Quellenschriftsteller zur Geschichte des Preußischen Staats nach ihrem Inhalt und Werth (Quellenkunde der Geschichte des Preußischen Staats [Bd.1]) Berlin 1858). 12 Max Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen (wie Anm. 2), 235; sowie: Hans Droysen, Die Entstehung der Mémoires pour

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ne Arbeit ließ er sich zunächst aus dem Nachlass seines ehemaligen Lehrers Jacques-Égides Duhan de Jandun eine handschriftliche Darstellung beschaffen, die bis zum Tode Georg Wilhelms reichte und die ihm nach eigener Aussage in der Jugendzeit dazu gedient hatte, mit der brandenburgischen Geschichte bekannt zu werden, die aber heute leider nicht mehr existiert. Der Auftrag, eine möglichst vollständige Sammlung aller Schriften über die Geschichte seines Landes herbeizuschaffen, erging erst am 8. April 1747, obwohl er bereits am 10. April die Geschichte der Mark Brandenburg bis zum Tode Georg Wilhelms der Akademie übergeben hatte13, wo sie am 1. Juni desselben Jahres vorgetragen wurde. Eine Kabinettsorder vom 8. April an den Bibliothekar der Königlichen Bibliothek Conrad Christoph Neuburg, nach den besten alten Chroniken und Historienschreiber zu suchen und zu übersenden, die am wenigsten „Fabeln oder absurde Chroniken sei[en]“14, wurde also erst erteilt, als Friedrich bereits die Arbeit an dem chronologischen Teil seiner Denkwürdigkeiten bis zum Jahr 1713 abgeschlossen hatte. servir à l’histoire de la maison de Brandebourg. Aus dem Autographen und den Originalausgaben zusammengestellt, in: Forschung zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (FBPG) 17 (1904), 180f. 13 Das entnimmt Posner einem Brief Friedrichs an Maupertuis; ebd., 234. 14 Die Kabinettsorder wurde zuerst abgedruckt in: [Anonymus (Hg.)], Briefe von einigen Gegenständen, vom verstorbenen Herrn Obersten Quintus Julius, in: Historische Portefeuille. Zur Kenntnis der gegenwärtigen und vergangenen Zeit, 6 St., Juni 1785, 519; auch bei Johann David Erdmann Preuss, Friedrich der Große als Schriftsteller. Vorarbeit zu einer echten und vollständigen Ausgabe seiner Werke, Berlin 1837, 57f. Eine ähnliche Anweisung erging am gleichen Tag an den Präsidenten der Pommerschen Domänenkammer, von Aschersleben. Eine Antwort von Aschersleben ist nicht überliefert. Ob Friedrich diese Chroniken überhaupt erhielt, ist fraglich. Es existiert lediglich eine Liste mit 29 Titeln, die dem König übergeben werden sollten. Die meisten von ihnen waren in lateinischer Sprache verfasst und dienten möglicherweise nur bei der Anfertigung seines Werkes Enchainure Chronologique de l’histoire de Brandebourg. Die Liste mit den Autoren zur pommerschen Geschichte ist eingeheftet in einer Abschrift (Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung (im Folgenden: SBB-PK/ HS: ), die offensichtlich nicht für Friedrich bestimmt war. Über den Erhalt berichtet Friedrich auch Voltaire. Vgl. Briefwechsel Friedrich der Große mit Voltaire (Publikationen aus dem K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 82), Zweiter Teil, hg. v. Reinhold Koser u. Hans Droysen, Leipzig 1909, 234.

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Friedrich, der ansonsten der Königlichen Bibliothek zu Berlin nicht bedurfte, sie vor 1770 finanziell eher stiefmütterlich behandelte und sich zunächst vorrangig um den Aufbau seiner eigenen Sammlung kümmerte15, erhielt am 10. April 1747 auf seine Anfrage an Neuburg 23 Titel beziehungsweise 27 Bände zur brandenburgischen Geschichte. Die Bücher zur brandenburgischen Geschichte gab er nachweislich jedoch schon wieder am 23. Mai zurück. Lediglich eine Chronik von Elias Lockelius, sowie eine Darstellung des Kurfürsten Friedrich Wilhelms von Gundling gingen erst am 18. August beziehungsweise am 18. September an die Königliche Bibliothek zurück.16 Liest man Friedrichs Werk, insbesondere seine kulturhistorischen Abhandlungen, dann erscheint die Fülle von Verweisen auf ältere Schriftsteller, vorrangig Chronisten der brandenburgischen Geschichte, zunächst beeindruckend. Die meisten Chroniken waren in deutscher Sprache und nur einzelne in lateinischer verfasst.17 Von den zugestell15 Zum Verhältnis zwischen der Königlichen Bibliothek zu Berlin und Friedrich II. siehe: Werner Arnold, Der Fürst als Büchersammler. Die Hofbibliotheken in der Zeit der Aufklärung, in: Bibliothek und Aufklärung (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, Bd. 14), hg. v. Werner Arnold, Peter Vodosek, Wiesbaden 1988, 44; im Einzelnen auch: Friedrich Wilken, Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Berlin 1828, 88f. Eine der wenigen Schriften, die über die Frühzeit der Königlichen Bibliothek zu Berlin seit ihrer Gründung als „Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree“ im Jahr 1661 bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts berichtet und über die Handschriftensammlung Auskunft gibt, stammt aus der Feder Johann Oelrichs. Sie behandelt die Zeit nach 1740 auffällig sparsam. Dazu: Johann Carl Conrad Oelrichs, Entwurf einer Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Berlin 1752 (Nachdruck Leipzig 1986). 16 SBB-PK/ HS: , Bl. 2-3. Beim Anblick der bemerkenswerten Anzahl der Bücher dürfte Friedrich II. seine Ablehnung von dicken Folianten genug bestätigt gefunden haben. Bei den zurückbehaltenen Büchern handelte es sich um Elias Lockelius, Marchia Illustrata (siehe Anhang, in Folio/ Nr. 1) sowie um Jacob Paul Gundling, Das Leben und große Thaten des Durchlauchtigsten Großmächtigsten Fürsten und HERREN FRIEDRICH WILHELMS (s. Anhang, in Folio/ Nr. 9). Gundling gab vor, dass seine Schrift über den Großen Kurfürsten anders als viele andere seiner Werke nicht gedruckt werden konnte, weil sich in ihr viele geheime Sachen, d. h. politische Angelegenheiten, wiederfinden. 17 Siehe Anhang: „Specification derjenigen Bücher so Seine Königl. von Preüssen unser allergnädigster Herr den 10. April 1747 haben nach Potzdam kommen“.

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ten Büchern der brandenburgischen und pommerschen Geschichte las Friedrich wohl nur die wenigsten und nur solche selbst, die in deutscher Sprache niedergeschrieben waren. Im Ganzen konzentrierte er sich während seiner Arbeit an der mittelalterlichen Geschichte sogar nur auf die Rezeption von wahrscheinlich nicht mehr als vier Büchern. Friedrich II. musste zeitsparend arbeiten. Auch wenn er behauptet, die lateinischen Quellen eingesehen zu haben, wo die deutschen nicht mehr genügten18, dürfte dies, wenn überhaupt, nur in Ausnahmen zugetroffen haben. Nur eine Chronik, die im engeren Sinne als solche bezeichnet werden kann, konsultierte er mehrfach. Ansonsten konzentrierte er sich insgesamt auf eine Rezeption der Chroniken aus zweiter Hand, was auch dazu führen musste, dass ihm kleine Fehler und Ungenauigkeiten unterliefen. Eine strapaziöse Textaneignung musste wie zuvor schon während seiner Arbeit mit den Archivalien in jedem Fall vermieden, der Leser seiner Denkwürdigkeiten aber in dem Glauben belassen werden, der Verfasser sei ein versierter und präzise arbeitender Autor. Dieses Prinzip lässt sich schon im ersten Teil seiner Denkwürdigkeiten nachzeichnen. In der gut lesbaren Chronik Alt- und Neues Preussen des Thorner Universitätslehrers Hartknoch fand Friedrich die für seine Niederschrift wichtigen Angaben zu den Gottheiten der alten, heidnischen Pruzzen. Während er Hartknochs Chronik las, verpasste er offensichtlich dessen wichtigstem Zeugen, nämlich Peter von Dusburg, der im 13. Jahrhundert eine lateinische Chronik über Preußen verfasst hatte, den lateinisierten und dabei persiflierend anmutenden Namen Crispus („Krauskopf“)19. Über Hartknoch rezipierte Friedrich Peter von Dusburg.20 Er entlehnte 18 Siehe dazu Frédéric II, Mémoires (wie Anm. 4), 246. 19 Crispus („Krauskopf“) ist möglicherweise als persiflierende und ironisierende Anspielung zu verstehen und gleichzeitig als ein Mittel, mit dem sich Friedrich abzugrenzen suchte. Nach Hartknoch galt Peter von Dusburg als einfältig und abergläubisch. Die Königliche Bibliothek besaß ein Exemplar der seltenen Chronik Dusburgs. Siehe Oelrichs, Entwurf einer Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin (wie Anm. 15), 159. 20 [Christoph Hartknoch], Alt- und Neues Preussen Oder Preussischer Historien Zwey Theile/ An derer erstem von deß Landes vorjähriger Belegenheit und Rahmen/ wie auch der Völcker/ so darinnen vor dem Teutschen Orden gewohnet/ Uhrankunfft/ Leben- Beschaffenheit/ Sprache/ Religion/ Hochzeiten/ Begräbnüssen/ Haußhaltung/ Kriegsführung/ Republic und andere Sitten und Gewohnheiten: In dem andern aber von deß Teutschen

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also eine Angabe, die sich mittels Urkunde nicht mehr belegen ließ und deren Referenz wiederum auf einen, für Friedrich nicht lesbaren, älteren Chronisten zurückging, dessen Informationen durch den Transfer längst gebrochen sein konnten. Abgesehen davon, dass die meisten Chronisten ihrerseits ältere Chronisten zu rezitieren pflegten, wurde diese Arbeitsweise, sich auf die Überlieferung aus zweiter Hand zu stützen, innerhalb der kulturhistorischer Kapitel der Denkwürdigkeiten, die sich explizit auf die mittelalterliche Geschichte bezogen, zu einem Prinzip erkoren. Während die im Frühjahr eingegangenen Chroniken den ersten Teil seiner Arbeit verbessern sollten, konnte er mittels der darin überlieferten anekdotenhaften Informationen auch seine Auffassung von mittelalterlicher Geschichte nachzeichnen. Zum gleichen Zwecke wurde ihm eine eigens handschriftlich angefertigte chronologische Zusammenstellung verschiedener Chroniken zur brandenburgischen Geschichte in drei Teilen vorgelegt.21 Diese chronologische Zusammenfassung, die Enchainure Chronologique de l’Histoire de Brandebourg, ein auf der Basis der an Friedrich übermittelten Chroniken verfasstes Extrakt über die Geschichte der Religion und der Sitten in der Mark Brandenburg, vornehmlich für die Zeit vor der Regierung der Hohenzollerndynastie bestimmt, bleibt dem Leser der Denkwürdigkeiten natürlich verborgen, während dieses Hilfsmittel Friedrich nachweislich ermöglichte, schnell auf Zitate und Anekdoten inklusive der dazugehörigen Referenz zurückzugreifen, ohne Ordens Ursprung/ desselben/ wie auch der nachfolgenden Herrschafft vornehmsten Thaten und Kriegen/ Erbauung der Städte/ der itzigen Innwohner Uhrsprung/ Religion/ Müntzordnung/ Rechten und Policeywesen gehandelt wird. Aus vielen alten so wol als neuen/ einheimischen als außwertigen Scribenten/ Privilegien und andern Documenten/ so theils gedruckt/ theils geschrieben in verschiedenen vornehmen Bibliothecken und Archiven des Landes vorhanden sind/ Mit sonderbarmen Fleiß zusammen getragen/ Durch M. Christophorum Hartknoch deß Thornischen Gymnasii Professorem. Franckfurt und Leipzig. In Verlegung Martin Hallervorden/ Buchhändlern in Königsberg. Drucks Johann Andreæ. Anno M DC LXXXIV [1604], bes. 116-137. Vgl. Frédéric II., Mémoires (wie Anm. 4), 26. 21 [Georg Gottfried Küster], Enchainure Chronologique de l’histoire de Brandebourg avec Des Annecdotes sur les principaux Evenemens & Des Particularités qui regardens les Changemens des Réligion, les Progrés du Luxe, des Arts & des Sçiences. 1747. (SBB-PK/ HS )

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vorher eine der Chroniken direkt eingesehen haben zu müssen. Die meisten der an Friedrich übergebenen Chroniken finden sich dann auch zitiert in dieser chronologischen Zusammenfassung wieder. Leider lässt sich nicht mehr genau bestimmen, wann diese dem König übergeben worden war. Gustav Droysens Forschungen legen nahe, dass die Enchainure Chronologique erst nach einer Einsicht des Verfassers in die zu diesem Zeitpunkt schon in der Ausarbeitung weit vorangeschrittenen Denkwürdigkeiten entstanden sein muss.22 Die Arbeit stellt damit ein gezielt als Ergänzung ausgefertigtes Werk dar, das zum einen die Grundlage für die Arbeit an der Geschichte vor der Ankunft der Hohenzollern bildete, zum anderen als Hilfsmittel der Vervollständigung für die Regierungen der frühen Kurfürsten bis zu Johann Sigismund diente. Denn sie gibt nur solche Informationen wieder, die in der ersten, in der Akademie vorgelesenen Fassung, nicht erscheinen.23 Ebenfalls nicht ganz sicher zu bestimmen scheint auf den ersten Blick auch die Autorschaft. Die Indizien sprechen aber dafür, dass Georg Gottfried Küster, Rektor des Friedrich-Wilhelmschen Gymnasiums zu Berlin und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, diese Schrift verfasste, nachdem er einen Auftrag vom König erhalten hatte, ihm ein konzentriertes Resümee der wichtigsten Chroniken anzufertigen. Von Küster erhielt er nämlich im gleichen Zusammenhang wenig später auch ein auf Deutsch verfasstes Antwortschreiben auf einen von Friedrich zugesendeten Fragenkatalog24, das als eine Ergänzung zu der Enchainure 22 Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen (wie Anm. 2), 299f. 23 Ebd., 305f. Posner stellt eine Vielzahl von Parallelen beider Texte gegenüber, die das Ausmaß der Umarbeitung zeigen, das Friedrich im Frühjahr und Sommer 1747 mithilfe der Enchainure Chronologique vornahm. 24 Friedrich II. forderte zur Ausarbeitung der Abhandlung „De la superstition et de la religion“ von Küster die Beantwortung folgender Fragen, insbesondere zur Geschichte der Reformation in Brandenburg: 1. Was sind für Religions-Veränderungen im Lande vorgefallen? 2. Durch was für Mittel hat die Reformation den größten Fortgang gehabt? 3. Was für Hauptumstände sind bei der Reformation vorgegangen? 4. Wie sind die Künste und Wissenschaften gestiegen? 5. Wie hat der Luxus zugenommen? 6. Um welche Zeit sind die Kutschen aufgekommen? Wie haben sich die Moden verändert? (Vgl. dazu den Brief Georg Gottfried Küsters an Friedrich II. vom 15.04.1747, in: SBB-PK/ HS: . Bemerkenswerterweise blieb Küsters nachträgliche Beantwortung der Fragen folgenlos. Bis auf Frage 6 fand sein ausführliches Antwortschreiben in den Denkwürdig-

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Chronologique25 verstanden werden kann. Die offensichtlich zunächst in deutscher Sprache verfasste Enchainure Chronologique wurde dagegen eigens ins Französische übersetzt. Freiherr von Bielfeld betätigte sich dabei wahrscheinlich als Bote, indem er die Chroniken von Berlin nach Potsdam hin- und zurückschaffte. Teile der Abschrift waren zumindest nachweislich von dem Kabinettsrat Müller abgeschrieben worden.26 Küster, dessen Französischkenntnisse weniger gut gewesen sein dürften, lässt sich als der versierteste Kenner der märkischen Geschichte um die Mitte des 18. Jahrhunderts bezeichnen, der ähnlich wie Friedrich die Echtheit von Angaben aus den Chroniken ganz auf der Höhe keiten keine Verwendung. In ähnlicher Weise hatte Friedrich einige Wochen vorher Küster schon einmal aufgefordert gehabt, einen Fragekatalog zu militärischen Gegenständen früherer Zeit zu beantworten. Küsters Antwort von Anfang März 1747(?), offensichtlich ins Französische übersetzt und vom Kabinettsrat Müller aufgeschrieben, findet sich bei Posner (Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen, wie Anm. 2, 353f.). 25 Ebd., 301. 26 Die Arbeit besteht aus einem chronologischen Teil und zwei weiteren sogenannten „Supléments“ (No. I und No. II) über die Religion und Sitten des Landes. Ein handliches (!) Exemplar im Quarto-Format befindet sich ebenfalls in der Staatsbibliothek, dessen ersten Teil Friedrich nachweislich genutzt haben muss. Preuß vermutete aufgrund dieses Exemplars und seiner verschiedenen Handschriften, aber vor allem wegen des unterschiedlichen Stils, dass der Verfasser des ersten Teiles der Enchainure Chronologique, Freiherr von Bielfeld und des mit Goldstaub auffällig herausragenden zweiten Teiles Georg Gottfried Küster gewesen sei. Er änderte später seine Meinung; siehe dazu: SBB-PK/ HS , Kommentar. Nichtsdestotrotz äußert Preuß diese Annahme auch in seinem Vorwort zum ersten Band der Werkausgabe. Vgl. Preuss, „Avertissement de l’éditeur“, in: Frédéric II., Mémoires (wie Anm. 4), XXXVII. Dass Bielfeld überhaupt etwas verfasste, ist nicht sicher. Ein weiteres Folio-Exemplar mit dem gleichen Text suggeriert eine Einheit aller drei Textteile. Bielfeld, der sich auch Jahre zuvor als Vorleser Friedrichs II. betätigt hatte, kann demnach auch nur Übersetzer der Enchainure Chronologique gewesen sein. In dem ebenfalls auf Französisch geschriebenen Folio-Exemplar aus dem Nachlass des Prinzen August Wilhelm ist auch der Fragenkatalog Küsters abgeheftet, der eine Autorschaft Georg Gottfried Küsters nahe legt. Unter Küsters Nachlass soll sich eine weitere Abschrift befunden haben. Das Gleiche gilt für ein bei Posner abgebildetes Antwortschreiben Küsters, das ebenfalls als Ergänzung der Enchainure Chronologique zu verstehen ist; vgl. Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen (wie Anm. 2), 300f.

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der Zeit anzuzweifeln verstand, ihnen aber von vornherein die Bedeutung als Quellen zuzubilligen wusste, die ihnen zukam. Seine Tätigkeit als Publizist und Herausgeber war äußerst umfangreich, bei der er u.a. ein noch heute grundlegendes Lexikon aller märkischen Geschichtsschreiber früherer Zeiten hervorbrachte.27 Selbstverständlich vermeidet Friedrich II. jeden Hinweis auf Küsters Hilfe, bezieht aber einen großen Anteil seiner Referenzen aus dessen Zusammenstellung, womit der Eindruck entsteht, sein Eigenanteil bestünde neben der Aneinanderreihung von einzelnen Geschichten aus der Vorarbeit Küsters vor allem darin, Wertungen des Mittelalters vorzunehmen, das von Aberglaube und von sittenlosen sowie fanatischen Geistlichen geprägt worden sei.28 Friedrich beschränkte sich natürlich nicht auf diese Form der Rezeption der Enchainure Chronologique. Er las nachweislich parallel dazu auch immer wieder direkt in einer der Chroniken nach, und zwar in der von Elias Lockelius, die nicht ohne Grund ganz oben auf der Liste der übergebenen Bücher Neuburgs stand. Elias Lockelius’ deutschsprachige Chronik Marchia Illustrata von 168029 erwies sich wegen ihrer Zuverlässigkeit als besonders bedeutsam, nicht nur weil sie zugleich eine der Hauptquellen der Enchainure Chronologique darstellt. Sie ist in vielen sehr gut lesbaren Abschriften 27 Georg Gottfried Küster, Bibliotheca historica Brandenburgica scriptores rerum Brandenburgicarum maxime Marchicaru exhibens, Vratislaviæ [Breslau] 1743; sowie ders., Accessiones ad bibliothecam historicam brandenburgucam scriptores rerum brandenburgicarum maxime marchicarum exhibentem inque suas classes distributam et indice auctorum et rerum instruxit Georgius Gothofredus Küsterus, Berolini [Berlin] 1768. 28 Frédéric II, Mémoires (wie Anm. 4), 201f. Friedrich folgt in seinem Urteil Heinrich Schmidt, den er an derselben Stelle anführt; vgl. Heinrich Schmidt [1686-1739], Weyland Predigers zu St. Nicolai in Berlin, Einleitung zur Brandenburgischen Kirchen- und Reformations-Historie, Darin Nebst der Heydnische Abgöttery und Einführung der Christlichen Religion, samt dem Verderben des Papstthums, Die Reformation der Kirche in der Chur-Marck Brandenburg beschrieben und vorgestellt wird. Nebst einer Vorrede Johan Gustav Reinbecks Königlich-Preußischen Consistoral- Rath und Probst. Verlegts Christop Gottlieb Nicolai. [Berlin] 1740 [1. Aufl. 1718], 28, bes. 71. 29 Elias Lockelius, Marchia Illustrata (wie Anm. 16). Benutzt wurde folgende Abschrift aus der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin: . Dieser Abschrift ist auch die Seitenzählung zugrunde gelegt.

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überliefert worden und verfügt über zahlreiche Nachrichten, die sich nur dort finden lassen. Friedrich besaß eine gute Kenntnis von derselben, schlug immer wieder in ihr nach, und nutzte sie nachweislich sehr oft als unmittelbare Quelle für seine Arbeit. Sehr wahrscheinlich ist auch, dass er dies, wenngleich aus zweiter Hand, schon vor dem 10. April 1747 getan hatte. Preuß verweist darauf, dass Hertzberg nach eigener Aussage dem König vorab Auszüge aus der Marchia Illustrata geliefert hatte.30 Einige Parallelen zwischen seiner Arbeit und der Marchia Illustrata legen eine frühere Kenntnis der Marchia Illustrata und ihrer Inhalte nahe. So gibt die Chronik für eine Gegenüberstellung zwischen Alexander dem Großen und Kurfürst Albrecht Achilles während der Eroberung der Stadt Gräfenberg bei Nürnberg einzig Plutarch als Quelle an.31 In den Denkwürdigkeiten findet sich dieser Vergleich ebenfalls, allerdings ohne Angabe. Friedrichs Vorwurf, dass eine spannende Einzelheit aus Lockelius‘ Werkes mit hundert langweiligen Seiten erkauft werden müsse, konnte sich indes nur auf sein eigenes Leseerlebnis gründen. Friedrich weist Lockelius dann auch als einzigen Chronisten explizit aus, dem er es verdanke, über das Dunkel der Markgrafenzeit sowie der ersten vier Dynastien der Mark Brandenburg aufklären zu können.32 Damit ist Lo30 Preuss, Friedrich der Große als Schriftsteller (wie Anm. 14), 57. 31 Um hinreichend den Mut des Albrecht Achill zu erklären, der ihm den Namen gab, zieht Elias Lockelius einen Vergleich mit Alexander dem Großen, der die Hauptstadt der Orydraken eroberte, indem er allein von einer Mauer sprang und solange kämpfte, solange seine Truppen die Tore geöffnet hatten. „Er hat [Gräfenberg] 4 Örthe lassen stürmen, vor sich aber den gefährlichen Orth etwa die Mauern am Höchsten, die Graben am tieffsten gewesen erwehlet, da Er denn im Sturme der andern auff der Mauer der Erste aber in der Stadt gewesen, und 1: obre, wie der Alexander M. bey der Stad Mallos in Judia: I von den Bürgern mut veige und hastig betritten worden, doch hatt Er solange den Kampff außgehalten, biß das Kriegs Volk auff der andern Seite die Stadt erstiegen, und Ihn geholfen hatt“ (Elias Lockelius, Marchia Illustrata (wie Anm. 16), 375). Friedrich II. kannte selbstverständlich die Beschreibung Alexanders des Großen durch Plutarch. In seiner Bibliothek befanden sich Les vies des hommes illustres de Plutarque: traduites en françois avec des remarques historiques et critiques par Dacier, Amsterdam 1735; cf. Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 6), 148. 32 Frédéric II., Mémoires (wie Anm. 4), 216.

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ckelius der Chronist, der am meisten zitiert wird, aber der auch nachweislich noch öfter hätte zitiert werden müssen. Obwohl Lockelius bemüht war, alle Kenntnisse aufzuzeichnen, so bewies er sich als ein Autor, der für sich beanspruchen konnte, nur die Tatsachen zu überliefern, was sich letztlich für Friedrich und seine Mithelfer als entscheidende Grundvoraussetzung herausstellte. Die am Rand seiner Chronik vermerkten Referenzen zu Quellen und anderen Autoren bezeugen die Arbeit, die Lockelius nicht nur im Umgang mit den vorhandenen Geschichtsschreibern leistete, sondern auch in der Auswertung verschiedener Urkunden, die er neben seiner Tätigkeit als Superintendent in der Neumark gesammelt und wofür er die dort vorhandenen Stadt- und Amtskammerarchive sowie die Familienarchive derer von Sack und Sydow aufgesucht hatte.33 Die Reihe der Entlehnungen von Angaben aus dem Werk Lockelius’ ist umfangreich. Allerdings erfolgte die Rezeption derselben fließend, entweder aus erster oder aus zweiter Hand. Während Friedrich einerseits wiederum von Küsters Enchainure Chronologique profitierte oder zumindest vorinformiert wurde, schlug er anderswo, sobald die durch Küster angegebenen Chronisten fehlten oder sich für einen bestimmten Zeitabschnitt keine verwendungswürdigen Angaben fanden, offensichtlich Lockelius’ Arbeit noch einmal selbst nach. Mitunter vermittelt durch Küster oder auch Hertzberg fand er dort die Referenz zur ursprünglichen Quelle. Für die Form seiner Denkwürdigkeiten machte dies aber kaum einen Unterschied. Das Ziel bestand ohnehin stets darin, ein wahrhaftiges Abbild mittelalterlichen Lebens vorzulegen. Und einen wissenschaftlichen Standard, wie er auch schon unter einer älteren Generation von Historikern verbreitet war, im Sinne möglichst umfangreicher und korrekt angegebener Referenzen, hatte er in Anbetracht historischen Schreibens nach aufklärerischer Art auch gar nicht beabsichtigt. Die Chronik von Lockelius garantierte unter anderen zeitgenössischen Historikern die Beweisführung zufriedenstellend. Die Geschichten konnten dabei sehr bizarr anmuten. Der Zweck solcher „fesselnden Einzelheiten“, die er aus Lockelius’ Chronik ent33 Helmut Lüpke, Beiträge zur märkischen Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahrhunderts. Überlieferung von Urkunden bei Löckel, Kehrberg und Dithmar, in: FBPG 45 (1933), 318. Lockelius verfasste auch ein zweites Werk, De Balivia Sonnenburg, eine Sammlung von Urkunden, die aber nicht mehr erhalten ist.

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nahm34, bestand nämlich auch darin, den Text unterhaltsam zu illustrieren. Der Leser seiner Geschichte sollte schließlich nicht wie der Leser der Chroniken gelangweilt werden. Friedrich war sich bewusst, dass bestimmte Geschichten, die er offensichtlich selbst mit ironischem Amüsement gelesen hatte, beim Publikum ihre Wirkung nicht verfehlen würden. Solche Geschichten wie der ironische Umgang mit denselben gehören zur Textgestaltung. Dazu zählt beispielsweise eine Anekdote über die Eifersucht der Berliner Frauen. Nach dieser hat die Eifersucht angeblich zu einem Aufstand in der Stadt geführt, weil ein Schreiber des Erzbischofs von Magdeburg gescherzt hatte, mit einer Bürgersfrau baden zu wollen.35 Eine weitere Anekdote erzählt von Joachims II. Hochzeitsnacht, in welcher der Kurfürst seiner Braut in voller Rüstung begegnete.36 Die hervorgehobene Rolle, die Lockelius für die Darstellung solcher Anekdoten in den Denkwürdigkeiten spielt, erlangte kein anderer Chronist. Die Nennung anderer Chronisten erfolgte durch Friedrich dann auch oft nur sporadisch. Andreas Angelus (eigtl. Andreas Engel), am Ende des 16. Jahrhunderts Pastor in Strausberg und Konrektor am Berlinischen Gymnasium, stellt eine der für den Leser sichtbaren Ausnahmen neben Lockelius dar, ist aber nur deshalb bemerkenswert, weil er anders als der auf Wahrheitstreue abzielende Lockelius eine Beschreibung der Vorzeit unter dem Fokus verschiedener überlieferter Legenden vornahm; dergestalt erscheint er geradezu als Gegenstück zu Lockelius. Anders als bei diesem machte sich Friedrich im Fall von Angelus jedoch wohl nicht die Mühe, dessen Chronik intensiv zu lesen. Friedrich zitiert Angelus einerseits durch Küster, andererseits dient ihm der Chronist, die auf einem mythischen Ursprung basierenden Legenden zu verbürgen, auch dort, wo die Angabe fälschlicherweise dem Chronisten zugeschrieben wurde. Angelus’ Chronik Annales Marchiae Brandenburgicæ37 gilt zum 34 Frédéric II, Mémoires (wie Anm. 4), LI. 35 Vgl. [Georg Gottfried Küster], Enchainure Chronologique de l’histoire de Brandebourg (wie Anm. 21), der seine Angaben aus Lockelius’ Marchia Illustra bezog und Frédéric II, Mémoires (wie Anm. 4), 219. 36 Vgl. Lockelius, Marchia Illustrata (wie Anm. 16), 463; sowie Frédéric II, Mémoires (wie Anm. 4), 222. 37 [Andreas Angelus], Annales Marchiae Brandenburgicæ (siehe Anhang, in Folio/ Nr. 14).

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Beispiel als Bürge für den Gründungsmythos der Stadt Brandenburg, dessen Kenntnis auch er vorweisen musste und nicht einfach übergehen konnte. Das traf grundsätzlich für alle Legenden und Mythen zu, die allgemein bekannt waren und deshalb in den Denkwürdigkeiten nicht fehlen durften. Angelus musste ihm außerdem noch unrechtmäßig die heidnische Anbetung der Sonne in Gestalt eines strahlenden Hauptes sowie die angeblichen, alten heidnischen Tempel Magdeburgs verbürgen, die bis zu ihrer Zerstörung durch Tilly im Dreißigjährigen Krieg dort gestanden haben sollen. Tatsächlich bezog Friedrich seine Informationen wieder aus der Enchainure Chronologique38, die auf keine Quellenangabe verweist, sowie aus Lockelius’ Marchia Illustrata, die wiederum ihre Angaben aus Johannes Pomarius’ Summarischer Begriff der Stadt Magdeburg39, den sogenannten „Magdeburgischen Annalen“, bezogen hatte.40 Für Friedrich ist Angelus ein Chronist par excellence, also ein Geschichtsschreiber, der sich mit den Fabeln der Vorzeit beschäftigt. Das Gleiche gilt für eine Vielzahl weiterer Geschichtsschreiber, die Friedrich nennt, deren Rezeption sich allerdings nicht mehr restlos aufklären lässt. Für diese kann nicht einmal nachgewiesen werden, dass sie Friedrich überhaupt aus erster Hand kannte. Sie finden sich zumindest nicht in den am 10. April 1747 übergebenen Chroniken. In den Fußnoten zu den kulturhistorischen Abhandlungen erscheinen dennoch „Valentin 38 Friedrich schreibt fälschlicherweise nahezu alle Informationen über die Götterverehrung der Sachsen, die er in seinem Werk behandelt, Angelus zu. Angelus leistete zwar zu diesem Thema einen Beitrag, der aber für die Arbeit Friedrichs irrelevant blieb. Stattdessen bezog er seine Informationen über die Irmensäule der Sachsen in der Altmark aus der Enchainure Chronologique. Vgl. Frédéric II, Mémoires (wie Anm. 4), 226f. mit [Georg Gottfried Küster], Enchainure Chronologique (wie Anm. 21), 8ff. 39 [Johannes Pomarius], Summarischer Begriff Der Magdeburgische Stadt Chroniken/ darinne angezeigt wird/ wenn dieselbige Stadt ohngefähr zu bawen angefangen/ auch was sich fieder anfangs derselbigen/ bis auff diese gegenwertige zeit/ fast in die sechszehn hundert Jar/ Dechtwirdiges alda begeben und zugetragen habe. M. Johannes Pomarius/ u S. Peter in der Altenstadt Magedeburgk Pfarherr. Magdeburgk. M.D. LXXXVII. [1587] unpag. 40 Darauf musste bereits Preuß in seiner Edition der Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg in den Œuvres de Frédéric le Grand hinweisen.

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von Eickstet“, „Olaus, Arnkiel“, „Lindenbrog“, „Freinsheimius“ sowie „Heinrich Meibomius“. Valentin Eickstets lateinische Chronik zur pommerischen Geschichte erhielt Friedrich möglicherweise aus Stettin zugeschickt41, die Angaben zum Götterglauben der Wandalen entnahm er der Enchainure Chronologique, bis hin zu einzelnen Wortverbindungen. Alle übrigen, bis auf Olaus und Arnkiel, ursprünglich in lateinischer Sprache verfassten Chroniken fand er dagegen in Heinrich Schmidts 1740 bei Christoph Gottlieb Nicolai erschienenen Einleitung zur Brandenburgischen Kirchen- und Reformations-Historie wiedergegeben. Wie und durch wen Friedrich auf den Autor, auf den lediglich eine Fußnote in einem anderen Zusammenhang verweist, aufmerksam wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Schmidts Werk wurde von den zeitgenössischen deutschen Gelehrten geschätzt, auch wegen der zuverlässigen Wiedergabe älterer, insbesondere antiker Autoren. Fest steht, dass Friedrich bei der Lektüre dieses Werkes einen fernen Gesinnungsgenossen seiner eigenen Auffassungen gefunden hatte und das Werk nachweislich benutzt haben musste. Heinrich Schmidt vertrat aus einer radikal-protestantischen Perspektive heraus die Auffassung, dass die päpstliche Regierung der letzten Jahrhunderte mit ihren Priestern dafür gesorgt habe, die Menschen gezielt zu betrügen, in die Irre und schließlich ins Verderben zu führen. Auf nur wenigen Seiten am Anfang seiner Schrift zeigt er dem Leser, welchen Aberglauben die heidnischen Völker praktizierten und wie deren Priester das Volk auszunutzen verstanden, bevor die päpstliche Kirche den alten Irrglauben durch einen neuen ersetzte, um die verirrten Menschen weiterhin profitabel ausbeuten zu können. Friedrich 41 Valentin ab Eickstet, Cancellarii quondam Ducum Pomeraniæ citerioris de Patria optime meriti, Epitome Annalium Pomeraniae. Cui annexa sunt I. Genealogia Ducum Pomeraniæ. II. Catalogus Episcoporum Camminensium. III. Brevis de scriptio Pomeraniæ. Vita Philippi I Ducis Pomeraniae citerioris ab Eolem Auctore conscripta. Ex manusscripto edidit Jac. Henr. Balthasar, S. Theol. D. et. Prof. Ordinarius, Consistorii regi Assessor et ad aedem S. Jacobi Pastor. Gryphiswaldæ Sumtibus Jacobi Löffleri, Re. Acad. Bibliopolae Anno 1728. Obgleich die Königliche Bibliothek offensichtlich ein Exemplar der Chronik Eickstedts besaß (siehe Oelrichs, Entwurf einer Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin (wie Anm. 15), 158), findet sie sich in der Liste der pommerschen Chroniken wieder. Die Chronik wird darüber hinaus in der Enchainure Chronologique im gleichen Kontext genannt.

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übernahm nicht nur komprimiert Angaben über die Chronisten, sondern auch Information und Beweisführung, ungeachtet dessen es sich wiederum um eine Transferierung von Inhalten alter Chroniken handelte.42

III. Zusammenfassend scheinen Friedrichs Angaben alter Chroniken auf den ersten Blick – wie erwähnt – beeindruckend. Seine Denkwürdigkeiten zur Geschichte Brandenburgs stellen sich als ein kenntnisreiches und fundiertes Werk dar. Sieht man genauer hin, zog der Autor für seine Darstellung der mittelalterlichen Geschichte möglicherweise aus zeitökonomischen Gründen nur wenige historische Bücher als Primärquellen heran. Den Anspruch, als professioneller Historiker aufzutreten, hatte Friedrich nicht. Stattdessen setzte er den Rang eines „philosophe“ vor den eines Historikers.43 Friedrich las und schrieb als „homme de lettres“. Als Geschichtsschreiber fehlte dem König zur Durchsicht vieler Chroniken ohnehin nicht nur die Zeit, sondern zuweilen auch die Kompetenz, so dass er sich gezwungen sah, das Lesen auf wenige Werke zu beschränken sowie hinsichtlich der Rezeption verschiedene Formen anzuwenden. Er vereinfachte die Arbeit, indem er eine angefertigte Zusammenfassung aller relevanten Chroniken nutzte und über42 Heinrich Schmidt, Einleitung zur Brandenburgischen Kirchen- und Reformations-Historie (wie Anm. 28). Alle in den Denkwürdigkeiten zitierten Chronisten finden sich auf den Seiten 21 bis 29 wieder, selbst die Angabe zu Tacitus. Weshalb in den ersten Ausgaben anstelle des Historikers Trithemius fälschlicherweise Freinsheimius genannt wird, ist nicht mehr genau festzustellen. Offensichtlich handelt es sich um eine Verwechslung, die möglicherweise auch erst beim Drucken in der Schlossdruckerei zustande kam. Friedrichs Handschrift ist an dieser Stelle etwas unleserlich und lässt beide Lesarten zu (GStA PK, VI. HA Nl.: Friedrich II. v. Preußen, A 2, „De la superstition et de la religion“, 3). Friedrich kannte Freinsheimius als Neuherausgeber und Verfasser eines Supplements sowie der Kommentare der historischen Werke Titus Livius’, die sich auch in seinen Bibliotheken wiederfanden. Bereits Preuß hatte richtig in „Trithemius“ umkorrigiert. 43 Sein Anspruch war, die Geschichte aus den Augen eines Philosophen zu sehen, der unparteiisch und wahr zu sein hatte: „je me suis fait une loi d’être impartial, et d’envisager tous les événements d’un coup-d’œil philosophique, persuadé que d’être vrai c’est le premier devoir d’un historien“ (Vgl. Frédéric II, Mémoires, wie Anm. 4, LIII).

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nahm daraus solche Stellen, die seine aufklärerische Auffassung von mittelalterlicher Geschichte zu belegen scheinen. Zugleich konsultierte er mehrfach die Chronik von Elias Lockelius, die auch die Hauptquelle der Enchainure Chronologique darstellt. Sie diente ihm trotz aller Herabstufung als verlässliche Primärquelle. Alle anderen Chronisten werden dagegen nur in transformierten Formen, durch die Vermittlung von jüngeren Autoren wiedergegeben. Der wichtigste Chronist, der aus zweiter Hand überliefert wurde, ist Andreas Angelus. Neben der Marchia Illustrata und der Enchainure Chronologique ist es die Einleitung zur Reformationsgeschichte von Heinrich Schmidt, aus der Friedrich seine Quellen bezog. Ohne immer ein Verständnis für den Zeitkontext, in dem die Chroniken entstanden sind, aufbringen zu können, um damit gleichermaßen die Bedeutung des eigenen Schreibens historischer Schriften zu unterstreichen, dienten Friedrich die Chroniken aber eben auch als Ausweis einer selbstständigen, gründlichen, den Prinzipien aufklärerischer Historiographie verpflichteten Arbeit. Die Chroniken verbürgen dabei die unglaubwürdigen Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt für ihn nicht nachprüfbar war.

Anhang „Specification derjenigen Bücher so Seine Königl. von Preüssen unser allergnädigster Herr den 10. April 1747 haben nach Potzdam kommen“44 In Folio: 1. [Elias Lockelius], MARCHIA ILLUSTRATA oder Chronologische RECHNUNG und Bedenken Über die Sachen, so sich der Marck- Brandenburg und incorporirten Ländern vom anfange der 44 Die Liste mit den an Friedrich II. übermittelten Chroniken wurde zuerst bei Preuß abgedruckt, allerdings in der Form wie er sie in der sogenannten „Specifikation“ vorfand. (Siehe dazu SBB-PK/ HS: (wie Anm. 16) sowie Preuß, Friedrich der Große als Schriftsteller. Vorarbeit zu einer echten und vollständigen Ausgabe seiner Werke. Ergänzungsheft, Berlin 1838, 6f.) Es fehlt darin jedoch eine genaue Angabe des Autors und des Titels. In einzelnen Fällen lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen, um welche Chroniken es sich handelte. Einzelne gelten heute als verschollen.

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Welt her, biß ad Annum Christi 1680 sollen zugetragen haben. Aus der Heiligen Schrift, den alten Römischen Historicis, den J. Cæsare, Tacito, Dione, Plutarcho, Horo, Eutropib etc. und den Neuen Märckischen, und andern Scriptoribus. Sonderlich auß vielen alten Documentis, Privilegiis, Donationibus und Manusscriptis genommen und mit großer Mühe zusammen getragen von M. Elia Lockelio, Churfürstl.: Kirchen inspetore im Lande Sternberg, und Pastore Primario in Drossen. Anno 1680 [Handschrift]. 2. Johann Georg Lairtzens historisch-Genealogischer Palm-Wald. Worinnen Die itzo in Teutschland Ruhm-blühende Kaiser-Churfürstliche/ Erz- und herzog- auch Fürstliche Stamm-Bäume nach ihren Stamm-Wurzeln grundrichtig untersuchet/ mit dero Gebietschafften ausführlich beschrieben/ und in ihren Stamm-Gliedern bis auf unsere Zeiten fürstellig gemachet werden; Nach naleitung Bewährter Urkunden/ und beglaubter/ So alt- als neuer Stammund Geschichts-Beschreibere/ Neben dazu gehörigen Land-Charten/ einer Zugabe/ auch notwendigen Registern/ Entworffen und fürgestellet Von Johann Georg Lairitzen/ Hoch-Fürstlichen Brandenburg-Baireuthischen Hof-Diacono und Historiae facrae &civilis Professore Publico. Nürnberg/ In Verlegung Johann Hofmanns/ Buch- und Kunst-Händlers. Gedruckt bey Johann Michael Spörlin. Anno M DC LXXXVI [1686]. 3. [Johann Ulrich Pregitzer], Teutscher Regierungs- und Ehrenspiegel/ Vorbildend Des Teutschen Reichs/ und desselben Stände/ ersten Anfang/ Fortleitung/ Hoheit/ Macht/ Recht/ und Freyheit. Auch Der Chur-Fürsten/ Fürsten/ Grafen und Herren/ und derselben hohen Häuser/ Besonders Des Hauses Hohenzollern/ Ursprung/ Würde/ und Herrlichkeiten: Durch Johann Ulrich Pregitzern/ D. Fürstlichen Würtenbergischen Ober-Rath/ und Hoff-Gerichts-Assessorn. Auch mit viel schönen und netten Kupffern geziehret. In Verlegung Johann Michael Rüdiger Buchhändler/ Berlin 1703. 4. [Ernst Brotuff], Genealogia und Chronica/ Des Durchlauchten Hochgebornen/ Königlichen und Fürstlichen Hauses/ der Fürsten zu Anhalt/ Graffen zu Ballenstedt und Ascanie/ Herrn zu Bernburgk und Zerbst/ auff 1055. Jar/ insechs Büchern/ mit vielen schönen

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MIchael KnoBloch alten Historien/ Geschichten/ Königlichen und Fürstlichen Wopen gezieret/ und beschrieben. Mit einer Vorrede Herrn Philippi Melanthon. 1556. 5. Reinero Reineccio Steinhemio [Reiner Reineck von Steinheim], Commentarius de Illustriss. Marchionum et Electorum Brandeburgensium, &c. Burggrafiorum Noribergensium, &c. familia, certa & euidenti originis enucleatione ex antiquiß. & nobilißima Welforum prosapia & sanguine per conditiores Comits Zollerenses deducta, in: Reinero Reineccio, Origines Illustriss. Sttripis Brandenburgicæ, feu Historiæ Expositiones Geminae de Nobiliss. Et Antiquiss. Welforum Prosapia: e Germanica lingua in Latinam consuerfæ, Frankcofurti. Apud Andream Wechelum, M.D. LXXXI [1581], 24-59. [?] 6. George Daniel Seyler, Leben und Thaten Friedrich Wilhelms des Grossen, Churfürstens zu Brandenburg/ u. u. u. Aus den bewährtesten Geschichts- Schreibern in beliebte Kürtze verfasset, durch glaubwürdige Urkunden bestätigt, und mit Medaillen und Müntzen erläutert von George Daniel Seyler, Frankfurt und Leipzig, Zu finden bey George Marcus Knochen, Buchhändl. in Danzig [1735/1740]. 7. [Peter Hafftitius], Manuscriptum Mirochronicon Marchicum, In welchem kürtzlich und eigentlich verfaßet ist, der Ursprung und Ankunft des Uhr alten Heroischen und hochlöbl: Hauses und Stammes der Marggraffen zu Brandenburg durch 7. Familien, und waß für ein Zustand gewesen in der Chur Brandenburg ehe denn die Burggrafffen zu Nürnberg dieselbe in Besitz bekommen, Wann und wie dazu gekommen, Wie sie einander succediret, und was für denkwürdige Geschichte bey ihrer Regierung, biß auf diese Zeit sich allenthalben darinn zugetragen haben. Beschrieben durch M. Petrum Hafftititum Wegland Rectorem bey der Schulen zu Berlin und Cölln an der Spree. Anno Domini M.D.XCIII. [1597] [Handschrift].45 8. [Johann Zernitz], Les vies des électeurs de Brandebourg, de la maison des Burgraves de Nurenberg, avec leur portraits, et leur ge-

45 SBB-PK/ HS: .

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nealogies, ouvrage. Composé en Latin par Jean Cernitius, Vice-Registrateur des Archives Electorales et mis en François par Antoine Teissier, Conseiller des Ambassades, et Historiographe de sa Majesté, le roi de Prusse. Berlin, Chez Jean Michel Rudiger, Libraire du Roy 1707. 9. [Jakob Paul von Gundling], Das Leben und große Thaten des Durchlauchtigsten Großmächtigsten Fürsten und Herrn HERREN FRIEDRICH WILHELMS, Marggrafen zu Brandenburg, des Heiligen Römischen Reiches Ertz-Cämmerer und Churfürsten, in Preüßen, zu Magdeburg, Jülich, Cleve, Berge, Stettin, Pommern, der Caschuben und Wenden, auch in Schlesien, zu Crossen Herzog, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden und Cammin, Graff zu Hohenzollern, der Marck und Ravensburg, Herr zu Ravenstein, und der Lande Lauenburg und Bütow n.n. Höchstseel. Und Glorwürdigen Andenckens dargestellt von Jacob Paul Gundling, Königl. Preußischen Historiographo. Ausgefertigt, Im Jahr, 1708 [Handschrift].46 10. [Lorenz Peckenstein], Marchionum Brandeneburgensium, et Burggraviorum Norinbergensium, &c. Enaration Historica. Des Chur und Fürstlichen hausses der Marggraffen zu Brandenburg/ unnd Burggraffen zu Nörnberg/ von dem Fürstlichen Geschlechte der uhralten Welffen/ unnd förder von den wolgebornen Graffen und Zöllern herogestammte/ ankunfft/ herkommen/ derer aller und jeders namhaffte und fürnemste thaten zu Krieges und friedens zeiten kurtze und ordentliche beschreibunge mit sondern vleis colligirt/ durch Larentium Peckenstein. Typis Tobiae Steinmanni. Anno M. D. XCVII. [1597] [aus der Bibliothek Georg Gottfried Küsters] [11 Bl.]. 11. Von denen Glücklichen thaten der Durchlauchtigsten Churfürsten von Brandenburg.47 46 SBB-PK/ HS: (wie Anm. 16). 47 Der Kurztitel findet sich in SBB-PK/ HS: (wie Anm. 16) wieder. Die SBB-PK besitzt eine Vielzahl von handschriftlichen und gedruckten Werken zu den Taten der Brandenburgischen Herrscher. Eine eindeutige Zuordnung zu einer Chronik im Folioformat ist nicht möglich.

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MIchael KnoBloch 12. Ursprung der Fürsten der Zollern. Inter uneditos etiam libros delitescit IOHER WURFBAINII gegründeter historischer Bericht, was es mit dem Fürstenthum Burggrafenthums Nürnberg vor, und als es hernach an die Grafen von Zollern kommen, vor Beschaffenheit gehabt, und noch habe, sowohl wegen des ersten Burggrafens aus diesem Haus, als aich dieser und seiner Successorn bis auf diesen Tag hohen Ansehen bey dem Reich, nicht allein ihrer hohen Qualitäten, sondern auch zusammen gebrachten Land und Leute, und davon entsprossenen Kayser- König, chur- Fürsten du Graeflichen Häusern nach, Frankfurt bey Hoffmann 1740.48 13. [Johann Melchior Wildeisen], Hoch-Fürstl. Brandenburg. Onolzbach Genealogischer Lust-Wald: Hoch-Fürstl. Onolzbach. Geschlecht-Register/ Biß auf Deß Durchlechtigsten Fürsten und Herrn/ Herrn Johann Friedrichens/ Marggrafens zu Brandenburg/ zu Magdeburg/ in Preussen/ Stettin/ Pommern/ der Kassuben und Wenden / auch in Schlessien zu Crossen und Jägerndorff/ Hertzogens/ Burggraffens zu Nürnberg/ Fürstens zu Halberstatt/ Minden und Camin/ ältern Herrn Sohn und Prinzen/ Herrn Christian Albrechten/ Marggrafen zu Brandenburg/ U. U. vornehmlich geführet: Worinnen sowohln desselben Allerhöchst/ höchst- und hochlöbliche 1024. Ahnen/ und Uhr-Ahnen/ biß ins Xte Glied/ Als Deren GeschlechtsUrsprung/ und biß auf solche beschehene Abstammung/ Samt Höchstgedachten Prinzens Verwandschafft mit allen Hohen Häusern in Europa/ begriffen und enthalten: Aus bewährten Historisch: und Genealogischen Werken angerichtet/ und ausgezogen/ Auch Offt Höchstbesagten Durchl. Prinzen zu unterthänigsten Ehren gewidmet/ Von Johann Melchior Wildeisen/ Hochfürstl: Württenb. Auch Hochgräfl.: Baldern-Oettingischen Rath/ dann deß Innern Raths in Dünkelsbühl. Onolzbach/ Gedruckt und verlegt durch Jeremiam Kretschmann/ Im Jahr Christi 1680. 14. [Andreas Angelus], Annales Marchiae Brandenburgicæ. Das ist Ordentliche Verzeichniß und beschreibung der fürnemsten und gedenkwirdigsten Märkischen Jahrgeschichte und Historien/ so sich vom 416. Jahr vor Christi Geburt/ bis auffs 1596. Jahr im Chur-

48 Georg Gottfried Küster, Bibliotheca historica (wie Anm. 27), 406f.

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fürstenthumb Brandenburg/ und dazu gehörenden Landen und Herrschafften/ von Jahr zu jahr begeben und zugetragen haben. Aus vielen glaubwirdigen Scribenten und Büchern/ auch aus bewerten urkunden und vielen alten monumentis, zusammen getragen und beschrieben. Auch mit vielen Bildnüssen und Figuren gezieret/ und mit einem vollkommenen und richtigem Register verfasset/ Durch M. Andream Angelum, Struthiomontanum. Am Ende ist hinzugesetzt/ in bedencken der Theologen zu Franckfurt an der Oder/ von den Besessenen zu Spandaw: Item/ ein Supplementum oder vermehrung und vollstreckung der Märckischen Jahrgeschichten/ von Ostern des 1596. jahres/ bis auff den Aprillmonat dieses 1598. Jahres. M.D.XCVIII. [1598] Cum Gratia et Privilego, &e. In Verlegung Johan Hartman/ Buchführer in Frankfurt an der Oder. In Quarto: 1. Gregorio Leti, Ritratti Historici-Politici-Chronologici e Genealogici Della Casa Serenissima, & Elettorale di Brandenburgo. Amsterdamo Apresso Roberto Roger, Stampator Francese. Nel M. DC. LXXXVII. [1687] [2 Bde.]. 2. [Nicolaus Leutinger], Nicolai Leutingeri Opera omnia.Quotquot Reperiri Potuerunt. Georgius Gothofredus Kusterus, Recensuit, Epitomen Singulis Libris, et Lemmata, ubi Deerant, Addidit, Indicemque Adiecit. Francofurti. Sumtu Knochiano M DCC XXIX [1729]. 3. Varia Marchiea worinnen sehr viele und Curieuse Nachrichten. 3 Bände. H:C:B: 91. b et 142 c. d. 4to.49 4. [Franz Hildesheim] Franc. Hildesheimii Vitae duorum potentissimorum Principum Ioachimi II. El. et Ionnis Marchionis Brand. 49 Der Kurztitel findet sich in SBB-PK/ HS: (wie Anm. 16) wieder. Es lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, um welchen Volltitel es sich handelt. Die SBB besitzt eine sogenannte „Exerpta Varia Marchia“ [Handschrift] (SBB-PK/ HS: ). Darin finden sich mehrere selbstständige Exzerpte zu Gegenständen der Geschichte der Mark Brandenburg.

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MIchael KnoBloch It. Duoarum Marchiae Cancellariorum. Lamperti Distelmeierei et Hadriani Albini prodierunt Ff. 1592.50 5. [Reiner Reineck], Chronica Des Chur und Fürstlichen Hauses der Marggrafen zu Brandenburg etc. Burggrafen zu Nürnberg etc. Darinne ördentlich verfasset/ erstlich zwo unterschiedliche kurze Beschreibunge von den uhralten Welffen/ Herzogen zu Beyern/ Graffen zu Altorff/ Herrn zu Rauesburg etc. Darnach ein ander besonder und ausführlicher Bericht von der Chur und Fürsten zu Brandenburg etc. Burggrafen zu Nürnberg etc. Geschlechte/ Desselben anfenglichem wahrhafftigen Herkommen und ausbreitung/ nahmhafften und fürnehmen Geschichten/ sampt allerhand ferner nothwendigen erinnerung und erklerung. Zusammen gezogen und gestellet durch M. Reinerum Reineck von Steinheim. Am Ende ist noch hinzu gesatzt ein Beschreibung der Geschichten Hugonis und Dittrichs/ beyder Marggrafen zu Brandenburg sampt einen kurtzen Bericht von der Marck und Stadt Brandenburg etc. itzo erst Menniglichen zu nutz in die deutsche Sprache verdolmetscht. Gedruckt zu Wittemberg durch Hans Karffts Erben. Im Jahr Christi/ M. D. L. XXX [1580].

In Oktav: 1. Johann Wolfgang Rentsch, Brandenburgischer Ceder-Hain, worinnen des Durchleuchtigsten Hauses Brandenburg Aufwachs- und Abstammung, auch Helden-Geschichte und Gros-Thaten aus denen Archiven und Ur-Brifschaften auch andern bewerten Documenten mit Fleiss zusammengetragen und neben zirlichen Kupfer-Bildnißen vorgestellet worden, Baireut 1682. 2. [Caspar Abel], Caspar Abels Preußische und Brandenburgische Reichs- und Staats- Historie, Worinnen nicht nur dieses Königlichen Chur- Hauses hohe Abkunfft von einer gantz neuen StammWurtzel hergeleitet, Und die beglückte Fortpflantzung bis auf unsere Zeiten durch seine Haupt- und Neben-Aeste, samt allen dessen vornehmsten Groß-Thaten, aufs gründlichste vorgestellet, Sondern 50 Georg Gottfried Küster, Bibliotheca historica (wie Anm. 27), 429. Das Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin gilt seit 1945 als verschollen.

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auch von denen vorigen Herrschern seiner weit ausgebreiteten Länder und Staaten, als denen alten Königen, Chur und Fürsten, HochMeistern, Ertz und Bischöffen, Grafen und Herren, eine zulängliche Nachricht ertheilet wird, Allen Liebhabern der uralten und neuen Historie zu Gefallen, in zwey Theilen ausgefertigt, und bey dieser neuen Edition sehr vermehret und verbessert, Leipzig und Gardelegen, verlegt von Ernst Heinrich Campen, privilegirten Buchhändlern in der Alten-Marck, 1735. 3.a. [Jacob Paul Gundling], Leben und Thaten Des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, HERRN Friedrich des Ersten, Marggrafen zu Brandenburg, des Heil. Römischen Reichs Ertz-Cämmerers und Burggrafens zu Nürnberg u. Welcher zum Ersten Die Chur- und Marck-Brandenburg Anno 1415. nunmehro vor drey hundert Jahren auf das jetzo Glorwürdige Königliche Hauß gebracht; Wobey zu gleich Die merckwürdigsten Geschichte dieser des Teutschen Reichs, des Königsreichs Böhmen, Schlesien, Mähren, Lausitz, Chur-Sachsen, Bayern, Braunschweig-Lüneburg, Pommern, Francken und anderer Reichs-Landen erzehlet werden, Aus den Archiven, Orginalien, Archivischen Nachrichten, Diplomatibus, Urkunden, Tractaten, Registern, Brieffschafften und damahlien Authoren auff allerhöchsten Königl. Befehl abgefasset, von Jacob Paul Gundling. Zu finden in der Rengerischen Buchhandlung. Anno M DCC XV [1715]. 3.b. [Jacob Paul Gundling], Leben und Thaten/ Friedrichs des Andern, Churfürsten zu Brandenburg/ des Heil. Römischen Reichs Ertz-Cämmerers, u. u. Aus den Archiven/ Orginalien/ Archivischen Nachrichten/ Diplomatibus/ Urkunden/ Tractaten/ Registern/ Briefschafften und damaligen Authoren auff hohen Befehl abgefasset, von Jacob Paul Gundling. Potsdam/ gedruckt/ verlegt und zufinden bey Bartholomäus, Königl. Preuß. privilegirten Buchdrucker und Buchhändler. Anno 1725. 4. Jacob Paul Gundling, Auszug Chur-Brandenburgischer Geschichten, Churfürst Joachim des I. Churfürst Joachim des II. Und Churfürst Johann Georgen zu Brandenburg, Bey. Gelegenheit der Lebensbeschreibung Hrn. Lampert Distelmeyers, Cur-Brandenbir-

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MIchael KnoBloch gis. Cantzlers, Gebürtig aus Leipzig, Nachrichten, Beschrieben von Jocob Paul Gundling, Königl. Preußischen Geheimten Ober-Appellations-Kriegs- und Hoff-Cammer-Rath, und Praeside der Königl. Societät der Wissenschaften. Anno M DCC XXII [1722] [2 Vol. ].

Friedrichs Lektüren während des Siebenjährigen Krieges Jörg Ulbert Interessiert man sich für die schriftstellerische Tätigkeit Friedrichs II., so drängt sich sehr schnell die Frage nach seinen literarischen Vorbildern auf. Bekannt ist, dass der König seit seiner Jugend „Bücher benutzt und ständig liest“1 und sich als Autor an antiken, besonders aber an französischen Literaten – allen voran an den von ihm überaus geschätzten Racine und Voltaire – orientierte. Was er jedoch konkret zu welchem Zeitpunkt las, ist bislang für keine seiner Lebensphasen genauer untersucht worden. Zumindest für die Zeit des Siebenjährigen Krieges soll dies hier nun versucht werden. Wir wissen, dass Friedrich während seiner Feldzüge eine Reisebibliothek mitführte. Über deren Zusammensetzung gibt es jedoch keine genauen Angaben. Auch die im besagten Zeitraum getätigten Buchanschaffungen sind nur fragmentarisch überliefert. Und selbst wenn diese lückenlos nachvollzogen werden könnten, würde dies noch nicht genügen, um auch mit Sicherheit sagen zu können, dass der König die besagten Schriften in der betreffenden Zeit auch wirklich gelesen hat. So muss anderweitig nach Hinweisen auf die Lektüren Friedrichs während dieses Krieges gesucht werden. Dafür kommen vor allem zwei Quellen in Frage. Zum einen sind dies die Tagebücher des königlichen Vorlesers Henri de Catt2 und zum anderen die Privatkorrespondenzen Friedrichs. Die wohl beste Möglichkeit, die Lesegewohnheiten des Königs nachzuvollziehen, bieten die Tagebücher de Catts3. Sie verzeichnen genau, 1 2 3

Bogdan Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, Berlin, Leipzig 1914, 25. Unterhaltungen mit Friedrich dem Großen. Memoiren und Tagebücher von Heinrich de Catt, hg. v. Reinhold Koser (Publikationen aus den Königlich Preußischen Staatsarchiven, Bd. 22), Leipzig 1884. Während de Catt seine Tagebücher unmittelbar nach den beschriebenen Ereignissen niederschrieb, hat er seine, auf den Tagebüchern fußenden, Memoiren erst nach dem Tode Friedrichs verfasst. Für die vorliegende Auf-

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wo, wann, wie und vor allem was Friedrich in der betreffenden Zeit selbst gelesen hat oder sich vorlesen ließ. Doch decken die Aufzeichnungen de Catts allenfalls einige Monate des insgesamt sieben Jahre dauernden Krieges ab. Neun Hefte umfasst sein Tagebuch. Die drei ersten behandeln den Zeitraum vom 13. März bis zum 26. November 1758, die zwei darauffolgenden jenen vom 12. Juni bis Anfang Dezember 1759 und die vier letzten denjenigen von Januar bis Mitte August 1760. Für die verbleibenden Zeitspannen müssen die Briefwechsel des Königs herangezogen werden. Als besonders ergiebig erweisen sich dabei jene mit dem Marquis d’Argens, sporadisch auch die mit de Catt, mit der Herzogin Luise-Dorothea von Sachsen-Gotha, mit Algarotti und Madame de Camas. Während des Siebenjährigen Krieges verbrachte Friedrich die meiste Zeit fernab seiner Bibliotheken, die er – mit teilweise identischen Beständen – in Schloss Sanssouci, im Stadtschloss Potsdam, im Neuen Palais, im Schloss Breslau, im Schloss Berlin und im Schloss Charlottenburg hatte aufstellen lassen. Auf die ihm wichtigen Bücher mochte der König aber auch im Feld und in den Winterlagern nicht verzichten. Sie begleiteten ihn als Reisebibliothek, die in einer einzigen großen, spezialangefertigten Kiste untergebracht wurde. Diese enthielt wohl vornehmlich kleinformatige Bände. Für einige seiner Lieblingsautoren, etwa Horaz und Ovid, hatte Friedrich deshalb „eigens handliche Ausgaben in der königlichen Druckerei anfertigen lassen“4. Die Feldbibliothek wurde wahrscheinlich bei jedem Aufenthalt Friedrichs in Berlin, Potsdam oder Breslau nach seinen eigenen Anweisungen neu zusammengestellt. In der Regel scheint er sich mit den so ausgesuchten Büchern beschieden zu haben. Denn in seinen Briefwechseln finden sich nur einige wenige Fälle, in denen Friedrich ein zuvor vergessenes Buch nachbestellte.5 Listen der für die Feldzüge ausgesuchten Titel –

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gabenstellung sind sie somit nicht verwertbar. Zur Frage nach dem Entstehungszeitraum der Memoiren siehe: Henri de Catt. Vorleser Friedrichs des Grossen. Die Tagebücher 1758-1760, hg. v. Paul Hartig, München/Berlin 1986, 13-19. Corina Petersilka, Die Zweisprachigkeit Friedrichs des Großen. Ein linguistisches Porträt, Tübingen 2005, 111. Als sich der König 1761 darüber gewahr wurde, dass er Bayles Comètes während seines letzten Aufenthalts in Breslau nicht hatte einpacken lassen,

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falls solche denn je existiert haben – sind nicht überliefert. So kann auf die Zusammensetzung allenfalls über den Umweg der bezeugten Lektüren des Königs (siehe Anhang) ein lückenhafter Rückschluss gezogen werden. Doch standen Friedrich während seiner Feldzüge nicht nur die Bücher seiner Reisebibliothek zur Verfügung. In unregelmäßigen Abständen übereigneten ihm zudem Freunde, Verwandte und Besucher ihre eigenen Produktionen oder übersandten ihm Flugschriften, die ihn hätten interessieren können. Ob er diese aber auch las, ist nicht immer zu ermitteln. Zudem bestellte der König auch während des Krieges einige Neuerscheinungen. Für Bücherbeschaffungen waren in Friedenszeiten seine literarischen Agenten in Paris zuständig. Nun, da Frankreich zum Kriegsgegner geworden und der Briefverkehr mit Paris weitgehend unterbrochen war, mussten die Bücher über Umwege besorgt werden. Die Beschaffung der Titel oblag eigentlich den Vorlesern, in der betreffenden Zeit also de Catt.6 Weilte dieser beim König, so richtete Friedrich seine Wünsche in aller Regel an seinen Freund, den Marquis d’Argens, der fast den gesamten Krieg in Berlin zubrachte. D’Argens reichte sie dann, wenn die Bücher in Berlin nicht zu finden waren, an den Buchhändler und Verleger Jean Neaulme in Den Haag weiter.7 Für die Zeit des Krieges sind aber nur sechs solcher Bestellungen belegt.8

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bat er den Marquis d’Argens, ihm sein Exemplar zur Verfügung zu stellen: „Je n’ai point trouvé Bayle parmi mes livres; on l’a oublié à Breslau. Ayez donc la bonté, mon cher marquis, de me prêter les Comètes, ou mon âme meurt d’inanition.“ Brief an den Marquis d’Argens, o. O. o. D. [1761], in: Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. Johann D. E. Preuß, 31 Bde., Berlin 1846-1857, Bd. 19, 282. „Ayez la bonté de m’apporter ou de m’envoyer cette après-midi le tome de Voltaire qui contient l’Œdipe, et le troisième tome des Oraisons de Cicéron.“ Brief an de Catt, Bunzelwitz, o. D. [um 1762], in: ebd., Bd. 24, 7. Auch Fleurys Histoire ecclésiastique, deren 40 Bände den König von April bis Nov. 1762 beschäftigt, scheint de Catt Friedrich mit der Post geschickt zu haben. Jedenfalls sandte der König die fertiggelesenen Bände nach und nach an de Catt zurück (Brief an de Catt, o. O., 7. Okt. 1762, in: ebd., 18; Brief an de Catt, Meissen, 18. Nov. 1762, in: ebd., 19; Brief an de Catt, Meissen, 25. Nov. 1762, in: ebd., 20). Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 1), 116. D’Argens an Friedrich, Berlin, 20. Okt. 1759, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 5), Bd. 19, 106. 1. Abbé René Aubert de Vertot, Histoire des révolutions de Suède: où l’on voit les changements qui sont arrivés dans ce royaume, au sujet de la re-

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In Friedenszeiten beschäftigt sich Friedrich in aller Regel zwei Stunden am Tag mit seinen Büchern. Während der Rheinsberger Zeit tut er dies vornehmlich vor dem Einschlafen,9 als König dann eher am späten Nachmittag, von fünf bis sieben.10 Doch auch in Kriegszeiten – und nicht etwa nur in den Winterlagern,11 auch während seiner Feldzüge – ist die Lektüre fester Bestandteil seines Tagesablaufs. Friedrich verschlingt Bücher,12 empfinde sie – so erklärt er dem Marquis d’Argens im Januar 1762 – als erbauliche Ablenkung, als Bollwerk

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ligion et du gouvernement, Paris 1722 ; ders., Histoire des révolutions arrivées dans le gouvernement de la République romaine, Paris 1727 (Brief an d’Argens, o. O., Okt. 1759, in: Œuvres de Frédéric le Grand, wie Anm. 5, Bd. 19, 105). 2. Denis Diderot, Jean-le-Rond d’Alembert (éd.), Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, Paris 1751f. (Brief an d’Argens, Freyberg, 23. Dez. 1759, 125). 3. „Commandezmoi, je vous prie, un Cicéron complet, et les meilleures éditions de ce que nous avons des abbés d’Olivet et Gombaut, la tragédie de Tancrède, de Voltaire, le Pauvre Diable, du même, une bonne logique ou de Port-Royal, de Lami ou d’un autre, un Xénophon, la tragédie de Mahomet, de Le Blanc, je crois, les deux différentes éditions de la Pucelle de Voltaire et tout ceci, indépendamment des livres que j’ai commandés pour Breslau. Si vous êtes déjà en chemin, il ne vous en coûtera qu’une lettre au petit de Beausobre, qui s’acquittera bien de cette commission.“ Friedrich an Catt, Neustadt, 21. Nov. 1760, ebd., Bd. 24, 4-5. 4. „Si vous pouvez entreprendre ce voyage, vous me ferez plaisir de m’apporter tout ce qui a paru de nouveau de Voltaire, ou tout ce qu’on lui attribue, et le volume de l’Encyclopédie où il y a l’article Grammaire.“ Brief an d’Argens, 22. Nov. 1760, ebd., Bd. 19, 234. 5. Charles-Claude-Florent de Thorel de Campigneulles, Candide, ou, L’optimisme. Seconde partie, o. O., 1761 („On dit que Voltaire a fait un second tome à Candide. Je vous prie de charger le petit Beausobre de me l’envoyer“, Brief an d’Argens, Kunzendorf, 24. Mai 1761, ebd., 259). 6. Im November 1762 soll Catt sechs Exemplare einer Corneille-Ausgabe besorgen (Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, wie Anm. 1, 116). „On soupait jusqu’à minuit, lisait jusqu’à 2“, in: Unterhaltungen mit Friedrich (wie Anm. 2), 362. „Il me parla de la vie qu’il mène en temps de paix. ‘Je me lève à 7, et pendant que je m’habille, je lis mes lettres. […] A 5 je lis, à 7 la musique…‘“, ebd., 355-356. So von Paul Hartig in seiner Einleitung zu seiner Übersetzung der Tagebücher Catts postuliert (Henri de Catt, wie. Anm. 3, 10). „Vous voyez toujours le même train de vie. Je dévore les livres. Voilà ce que j’ai lu aujourd’hui.“ März 1760, in: Unterhaltungen mit Friedrich (wie Anm. 2), 423.

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gegen eine drohende Geisteskrankheit.13 Er suche und finde Trost in ihnen, warte täglich ungeduldig darauf, von den ihm lästigen Verwaltungsaufgaben entbunden zu sein, um sich wieder seinen Studien zuwenden zu können: Je mène ici la vie d’un bénédictin. Dès que mes affaires sont expédiées, ce qui est pour moi dire la messe, je m’ensevelis avec mes livres; je dîne et me couche avec eux. Cicéron avait bien raison de dire que les lettres font l’ornement et la douceur de la vie dans tous les états et tous les âges. C’est une ressource dont j’éprouve à présent toute la puissance; elle m’aide à supporter mon malheur présent et à me distraire des songes de l’avenir.14 Je länger der Krieg dauert, je größer die Belastungen und die Ängste15 wurden, desto wichtiger werden ihm Literatur, Philosophie und Schriftstellerei: Je loge ici, marquis, parmi les décombres et les ruines, dans ma maison, dont quelques chambres sont raccommodées et les autres sens dessus dessous. Les livres qui me sont venus de Berlin sont ma consolation et mon amusement; je vis avec eux, et je borne là ma compagnie et mon passe-temps.16 Für die Zeit nach dem Kriege, so er diesen denn überleben sollte, hofft der König, sich in den Kreis seiner Freunde zurückziehen zu können, um sich dort endlich ganz der Philosophie zu widmen: Je mène ici la vie d’un chartreux militaire. J’ai beaucoup à penser à mes affaires; le reste du temps, je le donne aux lettres, qui font ma consolation, comme elles faisaient celle de ce consul orateur, père 13 „Je lis beaucoup; je dévore mes livres, et cela me fait des distractions utiles. Si je ne les avais pas, je crois que l’hypocondrie m’aurait conduit aux Petites-Maisons.“ Brief an d’Argens, Breslau, 18. Jan. 1762, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 5), Bd. 19, 317. 14 Brief an d’Argens, Freyberg, 19. Feb. 1760, ebd., Bd. 19, 144. 15 Im Herbst 1760 trug sich Friedrich mit Selbstmordgedanken. Siehe dazu: Brief an d’Argens, [Kemberg], 28. Okt. 1760, ebd., 226-227. 16 Brief an d’Argens, Breslau, 13. Dez. 1761, ebd., 304. Siehe auch: „Je m’occupe à lire; je vis en chartreux militaire, et j’écris quelquefois plutôt pour me distraire que pour instruire ou amuser les autres.“ Brief an d’Argens, Strehlen, 27. Sept. 1761, ebd., 286.

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Jörg ulBert de la patrie et de l’éloquence. Je ne sais si je survivrai à cette guerre; mais je suis bien résolu, au cas que cela arrive, à passer le reste de mes jours dans la retraite, au sein de la philosophie et de l’amitié.17

Der König liest, lässt sich vorlesen, liest selber vor. De Catt dient ihm mehr als Gesprächspartner mit ähnlich gelagerten Interessen, denn als Anreger oder Vorleser.18 Folgerichtig finden sich in de Catts Tagebüchern auch weit mehr Stellen, in denen Friedrich vorliest, als solche, in denen de Catt dies tut. Ist der König geschwächt, versagt ihm vor Schmerz gar die Stimme, liest er trotz allem still für sich.19 Friedrich erfasst alles Gelesene schnell. „Dans une minute“, hält de Catt am 11. Oktober 1758 fest, „Sa Majesté lit au moins dix lettres et répond tout de suite, sans les relire“20. Auch liebt er es, auswendig zu lernen. Das Verinnerlichte – vor allem Passagen aus den Tragödien Jean Racines21 – deklamiert er gern mitten im Gespräch, in der Hoffnung so seinem Gegenüber zu imponieren.22 Zeitlebens liest Friedrich fast ausschließlich französischsprachige Bücher. Für Deutschsprachiges hat er kein Interesse. Andere Sprachen beherrscht er nicht.23 Englische, italienische, spanische oder portugiesi17 Brief an d’Argens, Heimannsdorf bei Breslau, 27. Aug. 1760, ebd., 215216. 18 Dies für alle Vorleser Friedrichs: Petersilka, Die Zweisprachigkeit (wie Anm. 4), 117. 19 „Sa Majesté était mal, elle ne put lire. Il lut pourtant un trait de l’histoire de Louis XIV.“ Unterhaltungen mit Friedrich (wie Anm. 2), 367. „Sa Majesté n’était pas bien. Beaucoup de douleur à l’estomac, de crampe dans les entrailles. Chaque position la gênait. Elle ne pouvait pas lire à haute voix“, ebd., 370. 20 Ebd. „J’ai une quarantaine de lettres à lire pour mon déjeûner : la moitié ne disent rien, le quart sont très indifférentes, le reste de mauvaises nouvelles.“ Eintragung vom 12. Mai 1758, ebd., 343. 21 Petersilka, Die Zweisprachigkeit (wie Anm. 4), 117. 22 „Il finit par me lire Britannicus, 5e acte, et réciter des vers qu’il avait appris. Il diligit, qu’on inveniat quod μανδάνει bien“, Eintragung vom 28. Nov. 1759, in: Unterhaltungen mit Friedrich (wie Anm. 2), 412. „Le soir, il me dit qu’il avait appris des vers [aus Racines Bajazet], me les cita. […] Il n’y a qu’un endroit dans Bajazet qui doit être appris.“ Eintragung vom 16. Nov. 1758, ebd., 382. Siehe auch die Eintragung vom 16. April 1758, ebd., 336. 23 Zu Friedrichs Verhältnis zu Sprachen Petersilka, Die Zweisprachigkeit (wie Anm. 4); sowie: Volker Wittenauer, Im Dienste der Macht: Kultur und

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77

sche Autoren liest er in französischer Übersetzung. Auch seine Kenntnisse der klassischen Sprachen reichen nicht aus, um die von ihm besonders geschätzten Römer oder Griechen im Original zu lesen. Hier sind es ebenfalls einzig französische Übersetzungen, die ihm Zugang zu den Texten verschaffen. Stehen davon keine zur Verfügung, hält er seinen Freund, den altphilologisch beschlagenen Marquis d’Argens dazu an, eine anzufertigen. Im Frühjahr 1761 bittet er ihn beispielsweise um eine Neuübersetzung Plutarchs.24 Einige Monate später versucht ihn Friedrich auch zu einer Neuübersetzung der Werke Pierre Gassendis anzuhalten. Je vous remercie, mon cher marquis, des éclaircissements que vous me donnez sur les opinions de Gassendi. Je m’étais bien douté qu’un esprit aussi conséquent ne donnerait pas dans de certains préjugés, que j’ai d’abord mis sur le compte de Bernier. C’est bien dommage que nous n’ayons pas une traduction fidèle et complète des œuvres de ce philosophe. Moi, pauvre ignorant, j’y perds le plus; vous autres, vous lisez le latin, le grec, l’hébreu, etc., pendant que je ne sais qu’un peu de français, et, quand celui-là me manque, je demeure plongé dans la plus crasse ignorance.25

Sprache am Hof der Hohenzollern. Vom Großen Kurfürst bis zu Wilhelm II., Paderborn usw. 2007, 113-168. 24 Das Schreiben, in dem Friedrich d‘Argens mit der Übersetzung beauftragt, ist nicht erhalten. Auf dessen Inhalt kann aber mittels zweier späterer Briefe rückgeschlossen werden: „Pendant, Sire, que vous ferez des marches et des contremarches, que vous gagnerez des batailles, je traduirai Plutarque le mieux qu’il me sera possible, pour vous l’offrir dans un français qui vous paraisse plus supportable que celui d’Amyot. Je prendrai la liberté de me servir de votre copiste; je le logerai chez moi, où il sera, pour me servir du vers de Regnard.“ D’Argens an Friedrich, 23. April 1761, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 5), Bd. 19, 252. „Je vous rends grâces de ce que vous n’oubliez pas la version de Plutarque dont je vous avais prié de vous charger; c’est un service important que vous rendez à la république des lettres et à tous les amateurs de l’antiquité. Veuille le ciel que la paix précède la fin de votre traduction!“ Brief an d’Argens, Kunzendorf, Mai 1761, ebd., 256. 25 Brief an d’Argens, Feldlager bei Ottmachau, 25. Juli 1761, ebd., Bd. 19, 276.

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Jörg ulBert

Doch trotz aller Beteuerungen, mit der Plutarchübersetzung voranzukommen,26 scheint d’Argens schnell das Interesse an ihr verloren zu haben. Sie ist genauso wenig fertiggestellt worden wie jene Gassendis. Mit dieser scheint der Marquis gar nicht erst begonnen zu haben. Für die Zeit des Siebenjährigen Krieges lassen sich 84 potentielle Lektüren Friedrichs nachweisen. 74 davon können zweifelsfrei identifiziert werden. Fünf weiteren ist zumindest ein Autor zuzuordnen. Für die fünf verbleibenden konnte hingegen weder der Verfasser noch der Titel festgestellt werden. 51 Bände finden sich in dem von Bogdan Krieger erstellten Bibliothekskatalog.27 Doch bei 21 Büchern ist eine solche eindeutige Zuordnung nicht möglich. Entweder, weil die Angaben zu dem betreffenden Buch nicht ausreichend überliefert sind, oder weil der Titel in mehreren in Frage kommenden Gesamtausgaben auftaucht. Bei zwölf weiteren Büchern ist der Titel zwar eindeutig zu ermitteln und zumindest bei zehn davon ist auch bewiesen, dass Friedrich sie gelesen hat, in der Aufstellung Kriegers erscheinen sie jedoch nicht. Wo diese Bände abgeblieben sind, ob Friedrich sie nie in seine eigene Bibliothek hat einstellen lassen oder ob sie erst nach seinem Tode entfernt wurden, ließ sich anhand der hier untersuchten Quellen nicht klären. Von den 84 potentiellen Lektüren können 71 als gesichert gelten (in der nachfolgenden Aufstellung mit „g“ gekennzeichnet), bei acht weiteren ist es zumindest wahrscheinlich („w“), dass Friedrich sie auch gelesen hat. Nur bei fünf Titeln bleibt unklar („u“), inwiefern der König sich mit ihnen beschäftigt hat. In der Auswahl seiner Lektüren beharrt Friedrich auch während des Krieges auf seinen altbekannten Vorlieben. Ohne dass dies überraschen würde, stellen Voltaire (20) und Racine (11) zusammen über ein Drittel der Nennungen. Trotz aller Versuche des Marquis d’Argens, Voltaire schlecht zu machen,28 bleibt Letzterer also nicht nur das literarische 26 Zum Beispiel: d’Argens an Friedrich, 16. Mai 1761, ebd., Bd. 19, 256; d’Argens an Friedrich, Berlin, 3. Nov. 1761, ebd., 292; d’Argens an Friedrich, Berlin, Okt. 1762, ebd., 410; d’Argens an Friedrich, Berlin, 25. Febr. 1763, ebd., 426. 27 Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 1), 129-181. 28 „Mon Dieu, que l’Histoire de Charles XII [von Voltaire, J.U.] m’a paru misérable, en lisant vos Réflexions! Il faut que chacun se mêle de son métier. Je ne trouve rien de si ridicule qu’un prêtre qui, enfermé dans son couvent, écrit les campagnes de M. de Luxembourg et de M. de Turenne.“ D’Argens an Friedrich, Berlin, 17. Nov. 1759, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie

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Vorbild,29 sondern auch mit Abstand der liebste Schriftsteller des Königs. Auch für Racine hegt er eine besondere Vorliebe.30 En lisant ce Racine, je me fais illusion sur ma situation, sur celle de mon cœur, sur mes maux. Je sais ceux-ci et je ne sais comment.31 Von Voltaire verspricht sich Friedrich vor allem Ablenkung.32 Trost spenden ihm Racine und Lukrez.33 Und in Tagen des größten Zweifels, nach Niederlagen, wenn sich der König mit Selbstmordgedanken trägt,34 sucht er Zuflucht bei den Stoikern, allen voran bei Marc Aurel: Votre lettre du 3, mon cher marquis, vient de m’être rendue; elle m’a trouvé plus stoïcien que jamais, et en compagnie de Marc-Aurèle.

29 30 31 32

33 34

Anm. 5), Bd. 19, 114. „Les derniers articles que Voltaire a mis dans ce livre se ressentent de la vieillesse, et ne valent guère mieux que son Candide; de l’esprit souvent, peu de jugement, et point de profondeur. Mais vous verrez tout cela par vous-même, et vous en jugerez bien mieux que moi.“ D’Argens an Friedrich, Berlin, 24. Dez. 1759, ebd., 127. Petersilka, Die Zweisprachigkeit (wie Anm. 4), 129. Zu seinem Verhältnis zu Racines Tragödien siehe Werner Langer, Friedrich der Große und die geistige Welt Frankreichs (Hamburger Studien zu Volkstum und Kultur des Romanen 11), Hamburg 1932, 143-148. 14. Nov. 1758, in: Unterhaltungen mit Friedrich (wie Anm. 2), 381. „Je lis Lucien, de temps en temps Racine, quelquefois Voltaire, pour me distraire. D’ailleurs, je passe ma vie fin seul vis-à-vis de moi-même, sans penser à l’avenir qu’autant qu’il le faut absolument, et sans vouloir prévoir des choses sur lesquelles la nature a jeté un voile impénétrable à nos yeux. Si vous voulez savoir si je suis gai, je vous dirai franchement que non.“ Brief an d’Argens, Kunzendorf bei Schweidnitz, 20. Mai 1761, in : Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 5), Bd. 19, 257. „Il me lut du troisième chant de Lucrèce, qu’il lit pour la vingtième fois. ‚Tenez, voilà mon bréviaire!‘“ 31. Aug. 1758, in: Unterhaltungen mit Friedrich (wie Anm. 2), 360. „Vous appellerez, mon cher marquis, mes sentiments comme il vous plaira. Je vois que nous ne nous rencontrons point dans nos pensées, et que nous partons de principes très-différents. Vous faites cas de la vie en Sybarite; pour moi, je regarde la mort en stoïcien. Jamais je ne verrai le moment qui m’obligera à faire une paix désavantageuse; aucune persuasion, aucune éloquence, ne pourront m’engager à signer mon déshonneur. Ou je me laisserai ensevelir sous les ruines de ma patrie, ou, si cette consolation paraissait encore trop douce au destin qui me persécute, je saurai mettre fin à mes infortunes lorsqu’il ne sera plus possible de les soutenir.“ Brief an d’Argens, o. O. [Kemberg], 28. Okt. 1760, in : Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 5), Bd. 19, 226-227.

80

Jörg ulBert Le monde est notre marâtre, la philosophie notre mère, et je me sauve entre les bras de cette mère quand ma marâtre me maltraite. […] D’ailleurs, il fait si mauvais temps! et, dans la saison qui court, il n’est pas étonnant que l’on penche à la mélancolie. Votre Épicure est plus gai que mon Zénon; mais, quand on a de mauvaises jambes, on prend le premier bâton qu’on trouve pour s’appuyer. Marc-Aurèle est mon bâton, je m’en sers; s’il ne me rend pas de bonnes jambes, il m’aide à me traîner, et cela suffit.35

Doch vermögen letztlich selbst die Bücher nicht immer, ihm den gesuchten Trost zu spenden: Malgré toutes mes lectures, je ne saurais apaiser l’inquiétude de mon esprit; la crise dans laquelle je me trouve dure trop longtemps, et les dangers et le péril restent les mêmes.36 Auf die Gesamtheit des Siebenjährigen Kriegs gerechnet, sind es aber nicht philosophische Texte, die die Mehrheit der Lektüren Friedrichs ausmachen. Zwar können immerhin 19 der insgesamt 84 Texte weitestgehend dem Bereich Philosophie zugeordnet werden, die größte Textkategorie stellen jedoch mit 26 Titeln die Tragödien. Auch das erstaunt nicht, bedeutet doch die Dramatik im Allgemeinen und die Tragödie im Besonderen für Friedrich „die höchste Stufe künstlerischen Schaffens“37. Überhaupt scheinen sich die Lektüren Friedrichs – trotz der Dramatik der Ereignisse – nur unwesentlich von jenen in Friedenszeiten zu unterscheiden. Denn die Kriegslektüren Friedrichs ähneln in ihrer Gewichtung durchaus der Zusammensetzung seiner gesamten Bibliothek. Im Einzelnen sind diese der nachfolgenden Aufstellung zu entnehmen.

35 Brief an d’Argens, Strehlen, 11. Nov. 1761, ebd., 294-295. Dass es ihm nicht immer leicht fiel, seinen stoischen Vorbildern zu folgen, belegt folgendes Zitat: „J’use, cette année-ci, toute ma philosophie; il n’est point de jour que je ne sois obligé de recourir à l’impassibilité de Zénon. Je vous avoue que c’est un dur métier quand il faut le continuer. Épicure est le philosophe de l’humanité, Zénon est celui des dieux, et je suis homme.“ Brief an d’Argens, Wildruf, 28. Nov. 1759, ebd., 121-122. 36 Brief an d’Argens, o. O. [Hausdorf], 13. Mai 1761, ebd., 254. 37 Langer, Friedrich der Große und die geistige Welt (wie Anm. 30), 134.

2 3 4

1

2. Guichard, Karl Gottlieb (Theophil), Mémoires militaires sur les Grecs et les Romains, Den Haag 1758. 3. Guimond de La Touche, Claude, Iphigénie en Tauride: tragédie; représentée pour la première fois par les comédiens françois ordinaires du roi le 4 juin 1757, Amsterdam 1758. 4. Racine, Jean, Iphigénie, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [die ersten zwei Akte].

Juni 1757

27.3. 1758

Kommentare

« ‹Il ne faut pas tant métaphysiquer, cela gâte le plaisir›. Sa Majesté en savait plusieurs morceaux par cœur. »

« On trouva les vers mauvais et qu’il n’y avait point de dialogues; cependant qu’il y avait des situations intéressantes. »

« J’ai lu et relu le troisième chant de Lucrèce; mais je n’y ai trouvé que la nécessité du mal et l’inutilité du remède. »

Beschaffung / Quelle

MTCK, 336; TCD, 31.

Vom Autor überreicht. MTCK3, 333; TCD4, 27. MTCK, 334; TCD, 29.

OFG2 19, 49.

g

g

w

g

P. 282; Br. 111.

neg.

neg.

P. 188; V. 296; 619 o. St.; Br. 70; B. 31.

Krieger1

Diese Rubrik gleicht ab, ob die von Friedrich benutzten Bücher auch in seinen Bibliotheken nachweisbar sind. Die Grundlage dafür bildet der von Bogdan Krieger erstellte „Gesamtkatalog der Bibliotheken Friedrichs des Grossen“ (Friedrich der Große und seine Bücher, Berlin, Leipzig 1914, 129-181). Die von Krieger aufgeführten Signaturen der jeweiligen Bibliotheksstandorte werden hier übernommen. Dabei steht „P.“ für das Stadtschloss in Potsdam, „V.“ für Sanssouci (entspricht „Vigne“, also Weinberg), „S.“ für das Neue Palais, „Br.“ für das königliche Schloss in Breslau, „B.“ für das königliche Schloss in Berlin, „Ch.“ für das königliche Schloss in Charlottenburg und „o. St.“ für nicht mehr zuzuordnende Bände ohne Stempel. Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 19, fürderhin OFG gefolgt von der Bandnummer und der Seite. Unterhaltungen mit Friedrich dem Großen. Memoiren u. Tagebücher von H. de Catt, fürderhin MTCK gefolgt von der Seite. Henri de Catt, Vorleser Friedrichs des Großen, fürderhin TCD gefolgt von der Seite.

16.4. 1758

31.3. 1758

Gelesene oder erhaltene Titel

1. Lucrèce, Da la nature des choses avec des remarques sur les endroits les plus difficiles. Traduction nouvelle, 2 Bde., Paris 1708 [„le troisième chant“].

Datum

Friedrichs Lektüren während des Siebenjährigen Kriegs

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 81

5. Racine, Jean, Phèdre, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [die ersten zwei Akte]. 6. Racine, Jean, Phèdre, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [die übrigen drei Akte]. 7. Racine, Jean, Athalie, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750. 8. Gresset, Jean-Baptiste-Louis, [Epître] A ma muse, in: Œuvres de M. Gresset de l’académie françoise. Nouv. édition revue, corrigeé et augmentée, 2 Bde., Amsterdam/ Leipzig 1755. 9. Bernard, Pierre-Joseph, L’Art d’aimer et poésies diverses, o. O. o. D. 10. Racine, Jean, Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [„quelques odes“]. 11. Crébillon, Prosper Jolyot de (der Ältere), Les œuvres de Crébillon. Nouvelle édition, 3 Bde., Paris 1754 [„quelques odes“]. 12. Rousseau, Jean-Baptiste, Œuvres diverses. Nouvelle édition revue et corrigée et augmentée par lui-même, enrichie de figures en taille-douce, 3 Bde., Amsterdam 1759 [„différens morceaux“].

16.4. 1758

22.5. 1758

14.5. 1758 19.5. 1758 19.5. 1758

12.5. 1758 14.5. 1758

30.4. 1758

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« Il me lut quelques odes de Racine et de Crébillon d’un ton critique. »

« Le critiqua. »

« Il dit qu’il y avait […] des fautes […]. M’en fit la critique. »

Kommentare

MTCK, 344; TCD, 43.

g

g

g

MTCK, 344; TCD, 43. MTCK, 344; TCD, 43.

g

g

g

g

g

MTCK, 343; TCD, 42.

MTCK, 343; TCD, 42.

MTCK, 343; TCD, 42.

MTCK, 340; TCD, 37.

MTCK, 336; TCD, 32.

Beschaffung / Quelle

P. 287; V. 650; S. 491; Br. 113.

P. 282; Br. 111. Br. 93.

V. 633.

P. 282; Br. 111. Br. 96.

P. 282; Br. 111.

P. 282; Br. 111.

Krieger1

82 Jörg ulBert

10.9. 1758

31.8. 1758

27.7. 1758 13.8. 1758

18. Cicero, Lettres de Cicéron à Atticus avec des remarques et le texte latin de l’édition de Graevius par M. l’abbé Mongault. Nouvelle édition, 6 Bde., Amsterdam 1741 [„des lettres“].

16. Rousseau, Jean-Baptiste, Œuvres diverses. Nouvelle édition revue et corrigée et augmentée par lui-même, enrichie de figures en taille-douce, 3 Bde., Amsterdam 1759 [„une ode“]. 17. Lucrèce, Da la nature des choses avec des remarques sur les endroits les plus difficiles. Traduction nouvelle, 2 Bde., Paris 1708 [„du troisième chant“].

13. Bernis, François-Joachim de Pierres cardinal de, Poésies diverses par M.L.D.B., Paris 1744. 14. Crébillon, Prosper Jolyot de (der Ältere), Catalina, in: Les œuvres de Crébillon. Nouvelle édition, 3 Bde., Paris 1754. 15. „Auteurs grecs.“

11.6. 1758

16.7. 1758

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« Quelles jolies lettres ! Que cela est intéressant ! Je ne me lasse point de les lire. Voilà bien des tracas. »

« Tenez, voilà mon bréviaire ! »

« Il critiqua […] il voulait corriger les vers.»

« Il […] trouva les vers mauvais et froids. »

« On le critiqua. Sa poésie, en effet, est très prosaïque. »

Kommentare

MTCK, 364; TCD, 71.

MTCK, 360; TCD, 66.

MTCK, 355; TCD, 59.

MTCK, 351; TCD, 53.

MTCK, 350; TCD, 51.

MTCK, 347; TCD, 47.

Beschaffung / Quelle

g

g

g

g

g

g

P. 188; V. 296; 619 o. St.; Br. 70; B. 31. P. 179; V. 279; S. 334; Br. 64.

P. 282; Br. 111.

?

Br. 93.

P. 227.

Krieger1

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 83

20. Pascal, Blaise, Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets [„en lut quelques pages“]. Die einzige von Krieger aufgeführte Ausgabe der Pensées ist die Nouvelle édition augmentée de plusieurs pensées, de sa vie et de quelques discours, Paris 1761 [S. 74, Br. 18]. Eine ältere, hier in Frage kommende, ist in seinem Verzeichnis nicht zu finden. 21. Pascal, Blaise, Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets [„Il lut toutes les Pensées“]. Zum Nachweis dieses Bandes Nr. 20. 22. Cicero, Tusculanes, trad. par Bourhier et d’Olivet avec des remarques, 3 Bde., Amsterdam 1739 [„il lut la préface“].

23.9. 1758

30.9. 1758

30.9. 1758

23. Locke, John, Abrégé de l’essai de M. Locke sur l’entendement humain. Traduit de l’anglois par M. Bosset, nouvelle édition, Genf 1741 [„il se tient à l’abrégé“].

19. Voltaire, Essay sur l’histoire du siècle de Louis XIV, Amsterdam 1739 [„un trait de“].

23.9. 1758

24.9. 1758

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« D’une longueur épouvantable. »

« Quoi qu’on dise, si l’Histoire de Voltaire n’est pas instructive, elle est au moins jolie ; c’est une gentillesse, une miniature faite par un Corrége, et certes personne de nous ne voudrait que cet ouvrage fût supprimé. » « Eh bien, est-ce mal raisonné ? »

Kommentare

MTCK, 368; TCD, 77.

MTCK, 368; TCD, 77.

MTCK, 367; TCD, 75.

MTCK, 367; TCD, 75.

MTCK, 367; TCD, 75. Zitat: OFG 19, 244.

Beschaffung / Quelle

g

g

g

g

g

P. 173; S. 324; Br. 61; B. 24. P. 34; S. 42.

neg.

neg.

P. in 32.

Krieger1

84 Jörg ulBert

27. Boileau, Nicolas, Art poétique, in: Œuvres de Nicolas Boileau Despréaux avec des éclaircissemens historiques donnez par luimême. Enrichies de figures gravées par B. Picart le Romain, 4 Bde., Amsterdam 1729 [„il me lut tout“]. 28. Racine, Jean, Britannicus, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750. 29. Racine Jean, Phèdre, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [„me lut trois actes“]. 30. Racine, Jean, Bajazet, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [in Auszügen].

5.10. 1758

16.11. 1758

8.10. 1758 9.10. 1758

26. Voltaire, La Mérope française avec quelques petites pièces de littérature, Paris 1744.

« Me lut trois actes de Phèdre avec le ton convenable ; il lut avec beaucoup d’intérêt. » « Il me qu’il avait appris des vers, me les cita. Un morceau où il est parlé d’un homme qui flatte les passions des rois. »

MTCK, 382; TCD, 96.

MTCK, 372; TCD, 83.

MTCK, 372; TCD, 82.

MTCK, 371; TCD, 81.

MTCK, 370; TCD, 80.

MTCK, 369; TCD, 78.

« Qu’il avait joué, et s’était presque rappelé tout son rôle. Il trouva que les épîtres de Voltaire sur la morale ne valent pas grand ’ chose et qu’il n’y avait pas de liaison. » « Qu’elle [d.i.. Sa Majesté] n’avait pas lue de longtemps et qu’elle trouvait belle, plus intéressante que Mahomet, où il y avait trop de politique. »

25. Voltaire, Œdipe. Tragédie, Paris 1719.

Beschaffung / Quelle MTCK, 369; TCD, 78.

Kommentare

24. Voltaire [„quelques pièces“].

Gelesene oder erhaltene Titel

4.10. 1758

2.10. 1758 2.10. 1758

Datum

g

g

g

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g

P. 282; Br. 111.

P. 282; Br. 111. P. 282; Br. 111.

S. 412; Br. 87; B. 38.

P. 308; V. 448; V. 448a.

P. 300; V. 449.

?

Krieger1

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 85

31. Voltaire, Amélie ou le Duc de Foix [Die Einzelausgabe von 1753 ist bei Krieger nicht nachweisbar. Doch befindet sich der Text in mehreren Werksausgaben Voltaires. Welche Friedrich hier benutzt hat, ist unklar]. 32. Voltaire, Amélie ou le Duc de Foix [„einige Stellen“] [s. o.]. 33. Voltaire, Oreste [„quelques morceaux.“ Die Einzelausgabe von 1750 ist bei Krieger nicht nachweisbar. Doch befindet sich der Text in mehreren Werksausgaben Voltaires. Welche Friedrich hier benutzt hat, ist unklar]. 34. Voltaire, Sémiramis [Die Einzelausgabe von 1748 ist bei Krieger nicht nachweisbar. Doch befindet sich der Text in mehreren Werksausgaben Voltaires. Welche Friedrich hier benutzt hat, ist unklar]. 35. Voltaire, Oreste [s. o.].

36. Voltaire, Amélie ou le Duc de Foix [s. o.]. 37. Voltaire, Hérode et Mariamne. Tragédie de M. de Voltaire, Paris 1725.

17.11. 1758

21.11. 1758 21.11. 1758

20.11. 1758

20.11. 1758

18.11. 1758 18.11. 1758

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« La première ébauche […] était mauvaise, il [d.i. Voltaire] l’a bien corrigée. »

« [Le] critiqua. »

« Trouva cette pièce d’une grande force, celle qui l’avait le plus frappée, et d’une force du diable. »

Kommentare

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MTCK, 384; TCD, 99.

g MTCK, 384; TCD, 99.

MTCK, 384; TCD, 99.

g

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MTCK, 383; TCD, 98.

MTCK, 384; TCD, 99.

g

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MTCK, 383; TCD, 98.

MTCK, 382; TCD, 97.

Beschaffung / Quelle

V. 446a.

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Krieger1

86 Jörg ulBert

MTCK, 384; TCD, 99.

41. Voltaire, Zayre. Tragédie de M. de Voltaire, augmentée de l’épître dédicatoire, nouv. éd., Amsterdam 1733. 42. Crébillon, Claude Prosper Jolyot de (der Jüngere), Le Sopha, conte moral, 2 Bde., o. O. o. D. [1742]. 43. Vertot, Abbé René Aubert de, Histoire des révolutions de Suède : où l‘on voit les changemens qui sont arrivés dans ce royaume, au sujet de la Religion et du Gouvernemen, 4e éd., 2 Bde., Paris 1736. 44. Vertot, Abbé René Aubert de, Histoire des révolutions arrivées dans le gouvernement de la République romaine. Nouvelle éd., 2 Bde., Amsterdam 1759.

Nov. 1759

Nov. 1759

21.6. 1759

« Est très plat. »

Bei d’Argens bestellt. OFG 19, 106.

Bei d’Argens bestellt. OFG 19, 106.

MTCK, 385; TCD, 101.

MTCK, 384; TCD, 99.

40. [„A lu toujours des tragédies.“] « Le commencement lui déplaît. »

MTCK, 384; TCD, 99.

24.11. 1758 25.11. 1758 26.11. 1758

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B. 7.

V. 118.

V. 372.

P. in 229.

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MTCK, 384; TCD, 99.

38. Voltaire, Orphelin de la Chine [Die Einzelausgabe von 1755 ist bei Krieger nicht nachweisbar. Doch befindet sich der Text in mehreren Werksausgaben Voltaires. Welche Friedrich hier benutzt hat, ist unklar]. 39. [„A lu toujours des tragédies.“]

Krieger1

Beschaffung / Quelle

23.11. 1758

Kommentare

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 87

45. [Titel unklar, Catt spricht nur von „la lettre de Rousseau“, es handelt sich aber offensichtlich um ein Buch. Auch ob es sich dabei um Jean-Baptiste Rousseau (etwa ein Auszug aus seinen Lettres de Rousseau sur différens sujets, Paris 1750) oder Jean-Jacques Rousseau (etwa eine handschriftliche Kopie seiner Lettre à Voltaire sur la Providence concernant le „Poème sur le désastre de Lisbonne“ von 1756 oder um die Lettres morales von 1757/58) handelt, ist nicht einwandfrei zu ermitteln. Keiner dieser Texte wird von Krieger aufgeführt. Angesichts der Tatsache, dass Friedrich Jean-Baptiste Rousseau mochte, Jean-Jaques Rousseau jedoch nichts abzugewinnen vermag, wird hier wohl der Genfer Philosoph gemeint sein.] 46. Lucrèce, De la nature des choses avec des remarques sur les endroits les plus difficiles. Traduction nouvelle, 2 Bde., Paris 1708 [„tout le troisième livre“].

47. Racine, Jean, La Thébaïde, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750. 48. Racine, Jean, Britannicus, in : Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [„5e acte“].

25.11. 1759

25.11. 1759 28.11. 1759

25.11. 1759

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« Et quand il ne veut pas invenire bonum, legit modo singulari. »

« Il en trouve la physique mauvaise, le reste excellent. »

« Il [la] trouva détestable, mal écrite. […] Il le lit d’une façon si décousue que le stile ne paraît point enjambé d’une raison à l’autre, et l’écrit ne peut qu’être malum. ‹Cela est lâche, des raisons faibles›. »

Kommentare

MTCK, 411; TCD, 138. MTCK, 412; TCD, 140.

MTCK, 410-411; TCD, 138.

MTCK, 410; TCD, 138.

Beschaffung / Quelle

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P. 188; V. 296; 619 o. St.; Br. 70; B. 31. P. 282; Br. 111. P. 282; Br. 111.

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Krieger1

88 Jörg ulBert

49. Voltaire, Relation de la maladie, de la confession, de la mort et de l’apparition du jésuite Berthier, 1759 [Die Einzelausgabe von 1755 ist bei Krieger nicht nachweisbar. Doch befindet sich der Text in mehreren Werksausgaben Voltaires. Welche Friedrich hier benutzt hat, ist unklar]. 50. Hume David, Histoire naturelle de la religion, Amsterdam 1759.

April 1760

51. Palissot, de Montenoy Charles, Les Philosophes, Paris [i. e. Genf] 1758 [i. e. 1760].

52. Ode sur la présente guerree o. O., 1760 [Fälschlicherweise Voltaire zugeschrieben].

53. Voltaire, Le pauvre diable. Ouvrage en vers aisés de feu M. Vadé, mis en lumière par Catherine Vadé, sa cousine, Paris [1760].

Erste Hälfte Juli 1760

Ende Sept. 1760

Okt. 1760

Anfang Mai 1760

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« Est assez bien faite; mais il y a des allusions qui ne m’ont pas frappé, faute de connaître sur quoi elles portent. »

« Cela est fort plaisant, et les jésuites n’y sont pas mal drapés. »

Kommentare

OFG 18, 213. Lesebestätigung an Herzogin Luise-Dorothea von Sachsen-Gotha: 8. 5. 1760. OFG 18, 214. Von d’Argens unaufgefordert übersandt (2. 7. 1760) OFG 19, 207. Lesebestätigung am 15. 7. 1760. OFG 19, 208. Von Catt übersandt (25. 9. 1760) Krieger, Le Pauvre Diable, 116. Von d’Argens unaufgefordert übersandt (25. 9. 1760) OFG 19, 219.

OFG 19, 175.

Beschaffung / Quelle

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P. in 219.

neg.

neg.

neg.

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Krieger1

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 89

55. Toulier d’Olivet, Pierre-Joseph [Friedrich bestellt bei Catt „les meilleures éditions de ce que nous avons des abbés d’Olivet et Gombaut“. Um welche Schriften es sich dabei handelte, ob um Olivets Übersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen, die sich zu Hauf in Friedrichs Bibliotheken finden oder um dessen Texte zur französischen Grammatik, die ebenfalls vollständig in der königlichen Bibliothek stehen, konnte nicht ermittelt werden]. 56. Gombaut, abbé [Identifikation ungewiss].

57. Voltaire, Le pauvre diable. Ouvrage en vers aisés de feu M. Vadé, mis en lumière par Catherine Vadé, sa cousine, Paris [1760]. 58. Xénophon.

59. Voltaire, La pucelle d’Orléans. Poème divisé en quinze livres par Mons. De V*** , Louvain [Bern] 1755.

Ende 1760

Ende 1760

Ende 1760

Ende 1760

Ende 1760

54. Cicero [„complet“].

Gelesene oder erhaltene Titel

Ende 1760

Datum Kommentare

Bei de Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4. Bei de Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4. Bei de Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4. Bei de Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4.

Bei de Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4. Bei de Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4.

Beschaffung / Quelle

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S. 504.

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P. in 219.

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Krieger1

90 Jörg ulBert

März – April 1761

Ende März – Anfang April 1761

Dez. 1760 – Jan. 1761 Dez. 1760 – Jan. 1761 1761

Datum

64. Thou, Jacques-Auguste de, Histoire universelle de Jacques-Auguste de Thou, depuis 1543 jusqu’en 1607, traduite sur l’édition latine de Londres, 16 Bde., London [Paris], 1734.

« Vous me ferez plaisir de m’apporter […] le volume de l’Encyclopédie où il y a l’article Grammaire. »

61. Diderot, Denis / d’Alembert, Jean le Rond (Hg.), Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, Bd. 7: Foang – Gythium, Paris 1757. 62. Bayle, Pierre, Pensées diverses écrites à un docteur de Sorbonne à l’occasion de la Comète qui parut au mois de décembre 1680, 6. Aufl., Amsterdam 1749. 63. Lettre à M. de Voltaire sur un Essai sur l’Histoire universelle depuis Charlemagne jusques aux règnes de Louis XIV et de L. XV, o. O. o. D.

« Ce livre est très-bien écrit, et j’en suis très-content. » « Je suis très-content pour la tissure de l’ouvrage, comme pour le style. C’est un livre qui n’est ni trop diffus, ni trop resserré, très-instructif et agréable à lire. C’est tout ce qu’on peut exiger d’un bon ouvrage. »

« Le critique de Voltaire a, ce me semble, assez bien rencontré; il est cependant trop sévère. »

« Vous me ferez plaisir de m’apporter […] tout ce qui a paru de nouveau de Voltaire, ou tout ce qu’on lui attribue. »

Kommentare

60. Voltaire.

Gelesene oder erhaltene Titel

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OFG 19, 282.

Von d’Argens unaufgefordert am 28. 3. 1761 übersandt. OFG 19, 243, Lesebestätigung im April 1760. OFG 19, 244, 248. OFG 19, 245, 254.

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Von d’Argens mitgebracht. OFG 19, 234.

Von d’Argens mitgebracht. OFG 19, 234.

Beschaffung / Quelle

V. 113; Ch. 11.

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Br. 86.

S. 643A.

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Krieger1

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 91

April 1761

Datum

65. Voltaire, Tancrède, Tragédie en vers et en cinq actes, Paris 1760.

Gelesene oder erhaltene Titel Kommentare «Il y a des situations attendrissantes dont il a tiré parti, mais je ne me déclarerai certainement pas partisan de ses vers croisés. Je ne sais quel effet ils produisent à la déclamation; à la lecture ils me semblent prosaïques, et, dans quelques endroits, du style d’opéra. Cette pièce n’est pas bonne en général. L’exposition est embrouillée, beaucoup de raisonnements inutiles, des caractères mal développés et mal annoncés, peu de vers sentencieux, dignes d’être retenus, et, dans plus d’un endroit, un manque de vraisemblance qui choque et révolte le lecteur. Il y a, il est vrai, du radotage dans la pièce, mais convenez que c’est le radotage d’un grand homme; il faut être juste et rendre à son talent l’hommage qui lui est dû. » (OFG 19, 248.) «Certainement ce n’est pas une des bonnes pièces de l’auteur. L’Épître dédicatoire est d’un faquin qui souffle le froid et le chaud, dont les flatteries et les injures sont mercenaires. » (OFG 19, 254.) «Je la trouve mal écrite, et il me paraît que les vers croisés dont l’auteur se sert, loin de donner plus de force à sa poésie, l’énervent, et lui donnent le ton de l’opéra.» (OFG 24, 5.) S. in 402a.

Bei Catt bestellt (21. 11. 1760). OFG 24, 4. Von d’Argens im April 1761 übersandt. OFG 19, 245. Lesebestätigung am 22. 3. 1761 OFG 19, 248, 254; OFG 24, 5. g

Krieger1

Beschaffung / Quelle

92 Jörg ulBert

20.5. 1761 Juni 1761 Juni 1761

69. Bernier, François, Abrégé de la Philosophie de Gassendi, en VIII tomes, Lyon 1678. 70. Lucrèce, De la nature des choses avec des remarques sur les endroits les plus difficiles. Traduction nouvelle, 2 Bde., Paris 1708 [„le troisième livre“].

66. Lukian von Samosata, Lucien, de la traduction de N. Perrot, sieur d’Ablancourt, divisé en deux parties, 2 Bde., Paris 1654. 67. Racine, Jean, Œuvres, 3 Bde., Amsterdam/Leipzig 1750 [Text wird nicht präzisiert]. 68. Voltaire.

20.5. 1761

20.5. 1761

Gelesene oder erhaltene Titel

Datum

« J’y trouve beaucoup de choses supérieures à son siècle. » (OFG 19, 273.)

Kommentare

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OFG 19, 267.

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OFG 19, 267.

OFG 19, 257.

OFG 19, 257.

OFG 19, 257.

Beschaffung / Quelle

P. 188; V. 296; 619 o. St.; Br. 70; B. 31.

S. 35.

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P. 282; Br. 111.

Br. 52.

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leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 93

Gelesene oder erhaltene Titel

71. Bernier, François, Abrégé de la Philosophie de Mr Gassendi, en VIII tomes, Lyon 1678.

Datum

Juli 1761

« Je trouve sa partie physique, en tant qu’elle regarde la formation des corps, les unités dont la matière est composée, en tant qu’il éclaire le système d’Épicure, je la trouve très-bonne. […] Je trouve des choses fort instructives, dans son Traité de physique, sur les hommes, les plantes, les animaux et les pierres, sur la génération et sur la corruption des êtres animés. […] Je vous avoue que je ne suis pas aussi content de son Astronomie que du reste; quoiqu’il ne s’en explique pas, il paraît pencher pour le système de Ptolémée, et n’oser recevoir celui de Copernic qu’avec la dispense du pape. Sa Morale est sans contredit la partie la plus faible de son ouvrage; je n’y ai trouvé de bon que ce qui regarde la prudence de ceux qui gouvernent des États ; le reste de l’ouvrage sent trop son recteur qui divise, subdivise, définit des mots, et emploie beaucoup de paroles. Il se peut que Bernier, son traducteur et son abréviateur, ne l’ait pas bien servi. »

Kommentare OFG 19, 268-9.

Beschaffung / Quelle g

S. 35.

Krieger1

94 Jörg ulBert

72. Vie d’Horace [Die Identifikation dieses Bandes ist nicht gelungen].

73. Martini, Giovanni Battista, Storia della musica, Bd. 1, Bologna 1758.

74. Marc Aurel.

75. Argens, Jean-Baptiste de Boyer marquis d’ (Hg.), Ocellus Lucanus en grec et en françois avec des dissertations sur les principales questions de la Métaphysique, de la Phisique, et de la Morale des anciens qui peuvent servir de suite à la Philosophie du Bon Sens, Berlin 1762 [„J’ai lu tout de suite la préface et les deux premiers chapitres“].

April – Okt. 1761

11.11. 1761

16.11. 1761

Gelesene oder erhaltene Titel

März – Okt. 1761

Datum

« Marc-Aurèle est mon bâton, je m’en sers; s’il ne me rend pas de bonnes jambes, il m’aide à me traîner, et cela suffit. » « Il me semble que tous ces anciens étaient de mauvais physiciens. […] Ce qu’il dit de l’éternité du monde peut être, mais il l’a mal prouvé. »

« A fait beaucoup plaisir. »

Kommentare

Von d’Argens am 12. 11. 1761 unaufgefordert übersandt. OFG 19, 296. Empfangsbestätigung (16. 11. 1761).

Von Algarotti übersandt (10. 2. 1761). OFG 18, 139-140. Empfangsbestätigung (10. 3. 1761). OFG 18, 142. Lesebestätigung (3. 10. 1761). Von Algarotti übersandt (11. 4. 1761). OFG 18, 141-142. Empfangsbestätigung (3. 10. 1761). OFG 19, 294-295.

Beschaffung / Quelle

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Krieger1

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 95

76. Lagrange-Chancel, François-Joseph, Théâtre de Mr La Grange-Chancel, revu et corrigé par lui-même, Amsterdam 1746 [„J’ai lu hier l’Alceste et l’Amasis de La Grange“].

77. Batteux, Charles, Les Beaux Arts réduits à un même principe, Paris 1746.

78. Plutarch, Les vies des hommes illustres de Plutarque, trad. en françois avec des remarques historiques et critiques par M. Dacier, Amsterdam 1735 [„Je m’amuse à lire dans Plutarque les vies de l’empereur Othon et de Caton d’Utique“].

13.12. 1761

5.1. 1762

Gelesene oder erhaltene Titel

12.12. 1761

Datum « Ce sont deux pièces abominables, où les acteurs s’énoncent pour la plupart en insensés, qui manquent de vraisemblance et de caractères soutenus; les vers faibles et mauvais; enfin cette lecture m’a bien fait rabattre de l’idée que j’avais de la réputation de l’auteur. Vous n’avez eu proprement en France que trois poëtes tragiques, Racine, Crébillon et Voltaire; les autres ne sont pas soutenables. » « Ce livre est plein de bonnes instructions pour les jeunes gens; cependant il y a certains points dont je ne tombe pas d’accord avec Batteux. Je suis persuadé, si vous l’avez lu, que vous n’approuverez pas tout ce qu’il dit sur l’harmonie et sur les sons imitatifs. » « J’y trouve toute sorte d’événements instructifs et dignes de l‘attention de quiconque fait son pèlerinage dans cet enfer qu’on nomme le inonde. Je pense comme ces grands hommes de l’antiquité, et je trouve que, en examinant leur conduite, on ne peut que leur applaudir. »

Kommentare

OFG 19, 311-312.

OFG 19, 304-305.

OFG 19, 305-306.

Beschaffung / Quelle

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P. 155.

P. 372; S. 556.

Br. 101.

Krieger1

96 Jörg ulBert

80. Fleury, Claude, Histoire ecclésiastique, 40 vol., Bruxelles 1716-1758.

81. d’Alembert, Jean le Rond, Mélanges de littérature, d’histoire et de philosophie. Nouvelle éd. Revue, corrigée et augmentée très considérablement par l’auteur, Bd. 7: Foang – Gythium, Amsterdam 1760. 82. Argens, Jean-Baptiste de Boyer marquis d’, Timée de Lucres en grec et en français, avec des dissertations sur les principales questions de la métaphysique, de la physique et de la morale des anciens, qui peuvent servir de suite et de conclusion à la Philosophie du bon sens, par M. le marquis d’Argens, Berlin 1763.

8.4. 1762 – 25.11. 1762

25.5. 1762

25.11. 1762

79. Bossuet, J.-B., Histoire des variations des Églises protestantes, Paris 1740.

Gelesene oder erhaltene Titel

6.3. 1762

Datum « Fâché contre ces absurdités, je fis une fable pour me venger de ceux qui passent leur vie à débiter ces sottises. » « Je relis à présent l’Histoire de Fleury dont je m’accommode très-bien. Cela tiendra bon jusqu’au mois de juillet ; c’est une pièce de résistance qui fournit des aliments pour une demi-campagne. » (OFG 19, 343.) « Poison du fanatisme. » (OFG 19, 421.) « Sottises ecclésiastiques […]. Que de mauvais raisonnements et de sophismes ! Ce serait là le lieu de dire comme l’abbé Terrasson : Pas un mot de géométrie dans tout cela. » (OFG 24, 19.) « Il vaut mieux ne point écrire que de dire des paradoxes et des pauvretés. »

Kommentare

Von d’Argens übersandt. OFG 19, 356. Lesebestätigung (25. 5. 1762) OFG 19, 360-361. Von d’Argens am 11. 10. 1762 übersandt. OFG 19, 399. Lesebestätigung (25. 11. 1762) OFG 19, 421.

OFG 19, 343, 421; OFG 24, 18-20.

OFG 19, 332.

Beschaffung / Quelle

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S. 297.

Br. 84.

S. 68; Br. 17.

Br. 13; S. 59.

Krieger1

leKtüren Während des sIeBenJährIgen KrIeges 97

Gelesene oder erhaltene Titel

83. Holbach Paul-Henri Thiry baron d’, Le christianisme dévoilé, ou Examen des principes et des effets de la religion chrétienne, Nancy 1761 [Identifikation dieses Buchs ist unsicher].

84. Rousseau Jean-Jacques, Émile, ou de l’éducation, La Haye 1762.

Datum

4.2. 1763

10.2. 1763

« C’est la production d’un fou qui a beaucoup d’esprit […]. Il n’y a en vérité que le style de bon dans cet ouvrage; le reste est pitoyable. […] Le défaut principal de l’ouvrage est que l’auteur y manque absolument de dialectique. […] Dans peu tout sera oublié, parce que cela est mauvais. » « C’est un rabâchage de choses qu’on sait depuis longtemps, décoré de quelques pensées hardies et écrites en style assez élégant. Mais rien d’original, peu de raisonnement solide, et beaucoup d’imprudence de la part des auteurs ; et cette hardiesse qui tient de l’effronterie indispose le lecteur, de façon que le livre lui devient insupportable, et qu’il le jette par dégoût. »

Kommentare

OFG 18, 249.

Von Herzogin LuiseDorothea von Sachsen-Gotha unaufgefordert übersandt. OFG 18, 246-7.

Beschaffung / Quelle

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Krieger1

98 Jörg ulBert

Der Feldherr als Historiker

Friedrich der Große und die Histoire de la Guerre de Sept Ans Sven Externbrink Von allen historischen Werken Friedrichs des Großen ist seine Histoire de la Guerre de Sept Ans das am wenigsten beachtete. Darauf wies 1888 schon Theodor Vilmar hin, der, ein Bonmot Friedrichs aufgreifend, davon sprach, dass „der Benediktiner für die Histoire de la guerre de sept ans ausgeblieben“ sei.1 Bis heute hat sich daran wenig geändert. Studien zu Friedrich dem Großen als Historiker stellen die Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg und die Geschichte meiner Zeit in den Vordergrund, nicht jedoch die Geschichte des Siebenjährigen Krieges.2 1 2

Theodor Vilmar, Über die Quellen der Histoire de la guerre de sept ans Frierichs des Grossen, Diss. Straßburg, Cassel 1888, 2. Alle Übersetzungen stammen, soweit nicht anders vermerkt, vom Verfasser. Vgl. zuletzt Andreas Pečar, Friedrich der Große als Autor. Plädoyer für eine adressatenorientierte Lektüre seiner Schriften, in: Friedrich 300 – eine perspektivische Bestandsaufnahme (http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-bestandsaufnahme/ pecar_autor); Brunhilde Wehinger, Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg. Friedrich der Große als Autor der Geschichte seiner Dynastie, in: Günther Lottes (Hg.), Vom Kurfürstentum zum „Königreich der Landstriche“. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklärung (Aufklärung und Europa, Bd. 10), Berlin 2004, 137-174; Michael Rohrschneider, Friedrich der Große als Historiograph des Hauses Brandenburg. Herrscherideal, Selbststilisierung und Rechtfertigungstendenzen in den Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 17 (2007), 97-121; Ulrich Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung bei Voltaire und Friedrich dem Großen, in: Johannes Kunisch (Hg.), Persönlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen (Neue Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Bd. 9), Köln, Wien 1988, 2957; Wilfried Herderhorst, Zur Geschichtsschreibung Friedrichs des Großen (Studien zum Geschichtsbild, Bd. 10), Göttingen 1962, 12–13. Ausnahme: Die Bemerkungen Theodor Schieders über die Geschichte des Siebenjähri-

100

sven externBrInK

Angesichts der Bedeutung dieses Krieges für die preußische, deutsche und europäische Geschichte und nicht zuletzt für die Weltgeschichte überrascht dieser Befund. Die Quellen und Entstehungsgeschichte des Werkes hat Vilmar in seiner knappen Dissertation überzeugend klären können und auch Mythen dekonstruiert, die die Genese der Schrift umranken. Friedrich der Große hat unmittelbar im Anschluss an das Ende des Krieges und nach seiner Rückkehr nach Potsdam mit der Niederschrift begonnen. Er hat sich dabei auf Relationen und Berichte gestützt, die bereits während des Krieges am Ende jeder Kampagne entstanden und die zum Teil auch als selbständige Schriften Eingang in die Preuss’sche Ausgabe fanden. Friedrich arbeitete diese Stücke zu einem fortlaufenden Text um, übernahm manche Passagen wörtlich, kürzte und unterzog andere einer ausführlichen Redaktion.3 Das von Catt berichtete Unglück, dass das abgeschlossene Manuskript samt Materialien bei einem Zimmerbrand vernichtet worden sei und Friedrich in einer Energieleistung das Manuskript innerhalb von wenigen Monaten neu geschrieben habe, hat sich in dieser Form wohl nicht ereignet.4 Vilmars Urteil über die Motive Friedrichs, die ihn zur Niederschrift der Geschichte des Siebenjährigen Krieges veranlasst haben, ist eindeutig: Das Werk diene dem „doppelten Zweck der Rechtfertigung und Belehrung“ beziehungsweise sei „eine Rechtfertigungs- und Belehrungsschrift im großen Stil“.5 Diese Feststellung nimmt Vilmar – und dies ist nicht verwunderlich, bedenkt man den Kontext der Entstehung seiner Schrift – jedoch nicht zum Anlass einer kritischen Untersuchung über die Ziele

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gen Krieges, in: Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt, Berlin, Wien 1983, 366-367, 371-372. Für seine Hilfe bei der Drucklegung danke ich herzlich Johann Lange, Heidelberg. Vilmar, Über die Quellen (wie Anm. 1), 13-62. Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. J. D. E. Preuss, 30 Bde., Berlin 1846–1856, Bd. 27/3, 291– 302; Raisons de ma conduite militaire (1757); 303-312 Apologie de ma conduite politique (1757). Zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte auch Preuss, Bd. 3, Einleitung, IX–XII (im Folgenden zitiert als: Œuvres de Frédéric le Grand). Hans Droysen, Zur Histoire de la guerre de Sept Ans, in: Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 16 (1903), 254. Vilmar, Über die Quellen (wie Anm. 1), 5-13. Vilmar folgend auch Gustav Bertold Volz in: Die Werke Friedrichs des Großen, hg. Gustav Bertold Volz, 10 Bde., Berlin 1913-1916, Bd. 3, VI. Im Folgenden zitiert als Werke. Vilmar, Über die Quellen (wie Anm. 1), 17, 41.

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der friderizianischen Geschichtsschreibung. Ganz dem Geist der Zeit folgend, für die Friedrich ein nationaler Heroe war, ist es für ihn undenkbar, dass Friedrichs Darstellung in irgendeiner Form tendenziös sein könnte.6 Dies gilt sowohl für die Berichte über die Feldzüge und Schlachten als auch für die zentrale Problematik dieses Krieges: seine Auslösung durch Friedrichs Überfall auf Sachsen und die vorangehende Umgestaltung der Bündnisstrukturen des Staatensystems, zu der der König maßgeblich beigetragen hatte. Die Debatte über die Motive Friedrichs sollte wenige Jahre später die erste große deutsche Historiker-Kontroverse auslösen, den Lehmann-Naudé Streit.7 Stattdessen verkündet Vilmar apodiktisch: „Dass der Ursprung des Krieges von Friedrich wahrheitsgetreu dargestellt ist, wird heute endlich allgemein anerkannt“ und kritisiert scharf den vorsichtigen Einwand Heinrich Disselnkötters, der in einer Studie zur Histoire de mon temps (1885) wagte, vom einem „unwahrhaften Hauche“ zu sprechen.8 Die Herausgeber der deutschen Übersetzung ab 1913 folgen Vilmar: Für sie ist die Geschichte des Siebenjährigen Krieges eine „Tendenzschrift“, wobei dies zweifellos nicht abwertend gemeint ist.9 6 7

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Hierzu jetzt umfassend: Peter-Michael Hahn, Friedrich der Große und die deutsche Nation. Geschichte als politisches Argument, Stuttgart 2007. Albert Naudé, Friedrich der Große vor dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, in: Historische Zeitschrift 55 (1886), 425-462; 56 (1886), 404462; Max Lehmann, Friedrich der Große und der Ursprung des Siebenjährigen Krieges, Leipzig 1894. Über den Disput vgl. Theodor Schieder, Die deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historischen Zeitschrift, in: Historische Zeitschrift 189 (1959), 38-45; Ingrid Kräling, Marburger Neuhistoriker 1845-1930. Ein Beitrag zu Historiographie und Studium an der Philippina (Academia Marburgensis, Bd. 5), Marburg 1985, 197-218; Johannes Kunisch, Der Historikerstreit über den Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, in: J. K., Friedrich der Große in seiner Zeit. Essays, München 2008, 48-105. Vilmar, Über die Quellen (wie Anm. 1), 64-65, Zitat: 64. Heinrich Disselnkötter, Beiträge zur Kritik der Histoire de mon temps Friedrichs des Großen (Historische Studien, Heft 14), Leipzig 1885. Geradezu apologetisch überhöht wird die angebliche Wahrheitsliebe Friedrichs bei gleichzeitiger Polemik gegen die Aufklärung (Friedrich „verfällt“ dem Einfluss Voltaires) in der Miszelle von Justus Hashagen, Über Friedrich den Großen als Historiker, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 49 (1937), 367-371, gipfelnd in der Feststellung: „Friedrich der Große gehört deshalb zu den Lichtgestalten in der Geschichte der deutschen Geschichtsschreibung.“ Werke (wie Anm. 4), Bd. 3, VI.

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Eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit Friedrichs Geschichtsschreibung und seiner Darstellung des Siebenjährigen Krieges aber muss das aufgreifen, was im 19. und auch im 20. Jahrhundert lange Tabu war: die systematische Kontextualisierung des Autors Friedrichs des Großen, die genaue Herausarbeitung der Strategien, die seine Geschichte des Siebenjährigen Krieges zu einer Legitimationsschrift werden lassen, die der Apologie des Handelns Friedrichs verpflichtet ist. Dazu gehört auch, Friedrichs Methode mit dem Programm der Geschichtsschreibung der Aufklärung zu konfrontieren, wie sie etwa sein langjähriger „Gesprächspartner“ Voltaire formuliert und zu fragen, wo die Grenzen der wahrheitsgemäßen Darstellung liegen, die sich Friedrich zum „Gesetz“ erkoren hat.10 All dies sind Themen, die in einen Kommentar der Histoire de la Guerre de Sept Ans einfließen müssen. In drei Schritten soll im Folgenden eine Annäherung an Friedrichs Geschichte des Siebenjährigen Krieges erfolgen: Erstens werden Friedrichs Einleitung sowie weitere methodische Überlegungen in den Kontext der Aufklärungshistorie gestellt, wobei Voltaires historische Schriften den methodischen Bezugsrahmen darstellen. Zweitens werden ausgehend von Äußerungen Friedrichs in seinen historischen Werken weitere „Lieblingshistoriker“ neben Voltaire ermittelt und am Beispiel des Briefwechsels mit Algarotti gezeigt, welche historischen Referenzen für den Krieg herangezogen wurden. Es zeigt sich dabei, wie er noch im Kriege Argumentationsweisen zur nachträglichen Legitimation seines Verhaltens entwickelte, die in der Darstellung wiederkehren. Die Darstellung der Schlacht von Kolin – die erste große Wende des Krieges – wird uns drittens einen exemplarischen Einblick in Friedrichs Histoire de la Guerre de Sept Ans geben.

I. Versuchen wir in einem ersten Schritt Friedrich als Historiker seiner eigenen Politik und Kriege näher zu charakterisieren. Was schreibt er 10 Œuvres de Frédéric le Grand, (wie Anm. 3), Bd. 4, XIX: „Du reste, je me suis fait une loi de m’attacher scrupuleusement à la vérité, et d’être impartial, à cause que l’animosité et la haine d’un auteur n’instruit personne, et qu’il y a de la faiblesse et de la pusillanimité même à ne dire pas du bien de ses ennemis, et à leur pas rendre la justice qu’ils méritent.“

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über seine Arbeit an der erst bei der posthumen Drucklegung so betitelten Histoire de la Guerre de Sept Ans? Hier ist hinzuweisen auf zwei Briefe an Lord Marschall Keith vom Frühjahr 1764. Darin heißt es am 16. Februar, er arbeite daran, seine „politischen und kriegerischen Albernheiten“ niederzuschreiben11, und im Brief vom 7. April teilt er ihm mit, er sei dabei, seine „Mémoires“ zu beenden. Die Arbeit daran habe ihn mehr und mehr überzeugt, „dass Geschichte schreiben bedeute, die Albernheiten der Menschen und der Schicksalsschläge zusammen zu tragen“. Friedrich fügt zutiefst fatalistische Gedanken an: Wir sind eine armselige Art, die sich viel Mühe gibt während der kurzen Zeit, in der sie auf diesem kleinen Atom von Schlamm, das man Welt nennt, dahinvegetiert. Wer immer seine Tage in der Ruhe und Beschaulichkeit verbringt, bis sich seine Maschine auflöst, ist vielleicht klüger als jene, die nach schmerzhaften Umläufen und von Dornen zerstochen ins Grab steigen. Aber trotz alledem, ich bin verpflichtet mich zu bewegen wie ein Mühlrad, das vom Wasser angetrieben wird, weil man von seinem Schicksal [destin] fortgerissen wird und nicht Herr ist, das zu tun oder zu lassen, was man will.12

11 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 20, 329-330. Es handelt sich um den älteren der beiden Brüder Keith, George, Earl Marschall of Scotland (1692-1778). Er lebte zur dieser Zeit in Schottland und war, nach seiner Rückkehr 1765 nach Potsdam, „des Großen Königs letzter Freund“. Vgl. die Bemerkungen bei Jürgen Kloosterhuis, Die revidierte „Tafelrunde“, in: Rita Unfer-Lukoschik (Hg.), Italienerinnen und Italiener am Hofe Friedrich II. (1740-1786), Berlin 2006, 27-37; sowie 32. Artikel „Keith, George“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 15, 1882, 551-552. 12 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 20, 330–331: „Ces Mémoires dont vous parliez, et que je viens d’achever, me convainquent de plus en plus qu’écrire l’histoire est compiler les sottises des hommes et les coups du hasard. Tout roule sur ces deux articles, et voilà comme le monde va depuis l’éternité. Nous sommes une pauvre espèce qui se donne bien du mouvement pendant le peu de temps qu’elle végète sur ce petit atome de boue qu’on nomme le monde. Quiconque coule ses jours dans la tranquillité et le repos, jusqu’à ce que sa machine se décompose, est peut-être plus sensé que ceux qui, par tant de circuits tortueux et hérissés d’épines, descendent au tombeau. Malgré cela, je suis obligé de tourner comme la roue d’un moulin que l’eau pousse, parce qu’on est entraîné par son destin, et qu’on n’est pas maître de faire ou de laisser ce que l’on veut.“

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Es soll offen bleiben, ob Friedrich hier eine Pose einnimmt oder ob ehrliche Resignation aus ihm spricht.13 Nehmen wir ihn beim Wort: Der seinem Schicksal, sich wie ein Mühlrad zu drehen, folgende König verfasste mit seinen Mémoires über den Krieg aber weder eine Geschichte menschlicher Albernheiten noch klagte er darin gar ähnlich radikal die Sinnlosigkeit des Krieges an wie es Voltaire im Candide oder im Philosophischen Wörterbuch tat. Vielmehr legte er eine Rechtfertigungsund Lehrschrift für zukünftige Kriege vor. Ausdrücklich distanziert sich Friedrich einleitend von der gegenüber Keith geäußerten fatalistischen Geschichtsauffassung. Er habe seit 1746, heißt es, auf die Geschichtsschreibung verzichtet, da für den Historiker politische Intrigen und die Staatsverwaltung von ähnlich geringem Interesse seien wie „höfisches Durcheinander“ und ihm kein anspruchsvolles Material liefern würden. Doch der „Krieg von 1756“ habe ihn zur Änderung seiner Meinung veranlasst: „Er wurde mit soviel Kunst und Hinterlist vorbereitet und die Anzahl der Feinde, die ihn gegen uns führte, war den preußischen Kräften so überlegen, dass eine so bedeutende Angelegenheit mir nicht unwürdig erschien, der Nachwelt überliefert zu werden.“14 Bereits in diesen Worten klingt jene Interpretation des Krieges an, die für preußische und deutsche Historiker im 19. und 20. Jahrhundert verbindlich wurde. Preußen musste einer „Verschwörung“ seiner Feinde zuvorkommen und ist in den Krieg gezwungen worden.15 Entsprechend erläutert Friedrich den Aufbau des Werkes, das auf den Berichten gründe, die er jeweils gegen Ende eines Feldzugs verfasste, die jedoch durch Ausführungen zur Politik zu ergänzen waren.16 13 Kritisch über die Wahrhaftigkeit der Aussagen Friedrichs in seinen Briefwechsel mit literarischen Freunden: Hahn, Friedrich der Große (wie Anm. 6), 220-224, bes. 222: „Wie auf der höfischen Bühne erlaubte der galante Brief seinem Schreiber eine Rolle zu spielen. Hier trat Friedrich in der Maske des Philosophen von Sanssouci auf, der zu den großen Gelehrten seiner Zeit enge und freundschaftliche Kontakte unterhielt.“ 14 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, XIII: „La guerre qui survint en 1756, me fit changer de sentiment; elle avait été préparée avec tant d’art et d’artifice, le nombre des ennemis qui nous la firent, était si supérieur aux forces prussiennes, qu’une matière aussi importante ne me parut pas indigne d’être transmise à la postérité.“ 15 Siehe auch Hahn, Friedrich der Große (wie Anm. 6), 43-44. 16 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, XIII-XIV.

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Zwei Ziele verfolge er mit seiner Darstellung. Erstens wolle er zeigen, dass er diesen Krieg nicht vermeiden konnte, und dass er den Frieden nur zu jenen Bedingungen annehmen konnte, zu denen er tatsächlich geschlossen wurde. Zweitens möchte er seinen Nachfolgern militärische Szenarien vor Augen führen, die sich während eines weiteren Krieges mit Österreich wieder einstellen könnten.17 Die Geschichte soll demnach, getreu der Devise historia magistra vitae, der nachfolgenden Generation als Lehrmeisterin dienen. Doch zugleich warnt Friedrich vor einer Lähmung durch eine sklavische Imitation der vergangenen Handlungen und Entscheidungen – der Mensch finde sich niemals in einer völlig identischen Situation wieder.18 Ausgehend von der geostrategischen Situation Preußens versteht er seinen Bericht als „Repertorium“ von Situationen, von denen sich preußische Heerführer inspirieren lassen sollen.19 Deren Handlungsspielraum engte Friedrich insofern ein, als er unverrückbare strategische Grundstrukturen postulierte. So legte er bestimmte Aufmarschräume fest, von denen aus zukünftig im Kriegsfall in Sachsen und Böhmen eingedrungen werden müsse. Beide Territorien hätten als Schutzschilder zu dienen, um Kampfhandlungen von den eigenen Ländern fernzuhalten. Friedrich selbst deutet an, aus dem Kriegsverlauf gelernt zu haben. Er lobt Dauns abwartende Taktik, und in der Annahme, dass auf sie auch bei einem erneuten Waffengang wieder zurückgegriffen werde, empfiehlt er sie seinen Nachfolgern geradezu, indem er vor überstürzten Angriffen auf gut befestigte Stellungen des Gegners oder in unübersichtlichem Gelände warnt. Viel besser sei es, mit List und Geschicklichkeit und in kleinen Schritten sich einen Vorteil zu verschaffen. Folgerichtig führt er die Konsequenzen einer verlorenen beziehungsweise nur mit großem Aufwand gewonnenen Schlacht vor Augen, da gut ausgebildete Soldaten nicht so schnell zu ersetzen seien. Dies ist eine über17 Ebd., XIV. 18 Ebd., XVI: „[…] deux hommes ne se trouvent jamais dans une situation tout à fait semblable.“ 19 Ebd., XVII: „Les faits passés sont bons pour nourrir l’imagination et meubler la mémoire: C’est un répertoire d’idées qui fournit de la matière que le jugement doit passer au creuset pour l’épurer. Je le répète donc, les détails de la dernière guerre ne doivent servir qu’à augmenter le magasin d’idées militaires, et pour constater quelques positions principales, qui demeureront fixes tant que les pays ne changeront pas de forme, et que la nature ne sera pas bouleversé.“

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raschende Wende: Friedrich, der während des Krieges immer wieder va banque spielte und die Entscheidung in einer Schlacht suchte – mit dem Ergebnis, dass Siege mit größeren Verlusten als die des Verlierers erkauft wurden – plädiert nun für mehr Schonung und Maß.20 Mit dieser Selbstbelehrung entspricht Friedrich durchaus den Ideen seines Korrespondenzpartners Voltaire, der den Fürsten das Geschichtsstudium anriet, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.21 Der König hielt sich durchaus an die Lehren, die er hier für seine Nachfolger formulierte. Der erneute Waffengang mit dem Hause Österreich, von dem er im Vorwort sprach, der Bayerische Erbfolgekrieg von 1778/79, war ein Stellungskrieg ohne Bewegung, der als „Kartoffelkrieg“ in die Geschichte einging.22 Friedrich spricht in seinen Ausführungen über den Nutzen, der aus seiner Darstellung zu ziehen sei, ein zentrales methodisch-theoretisches Problem der geschichtstheoretischen Reflexion der Aufklärung an. Dabei übergeht er aber weitere, nämlich das der Parteilichkeit und das des Standpunktes des Historikers.23 Er belässt es bei der lapidaren Bemerkung, die sich auch im Vorwort von 1775 zur Histoire de mon temps findet, er werde von sich in der dritten Person sprechen.24 Betrachtet man darüber hinaus den Aufbau des Werkes – auf eine Einleitung, die die Vorgeschichte und Entstehung des Krieges erläutert, folgt die Chro20 Ebd., XVII-XIX. 21 Voltaire, Artikel Geschichte, in: Anette Selg, Rainer Wieland (Hg.), Die Welt der Encyclopédie, Frankfurt 2001, 134-142; vgl. auch das Vorwort von 1775 zur Histoire de mon temps, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 2, XXIV: „L’histoire est l’école de princes; c’est à eux de s’instruire des fautes des siècles passés, pour les éviter, et pour apprendre qu’il faut se former un système, et le suivre pied à pied.“ 22 Zum Bayerischen Erbfolgekrieg: Christopher Duffy, Friedrich der Große. Ein Soldatenleben, Zürich 1986, 377-398; Dennis E. Showalter, The Wars of Frederick the Great, London, New York 1996, 341-352; Walter Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763-1806 (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 12), 10. Aufl., Stuttgart 2005, 270-275; Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich, 3 Bde., Stuttgart 1993–1997, Bd. 3, 183212. 23 Vgl. die Bemerkungen Voltaires, „Über die Geschichte: Ratschläge an einen Journalisten“, in: Fritz Stern (Hg.), Geschichte und Geschichtsschreibung. Möglichkeiten, Aufgaben, Methoden, München 1966, 41-42. 24 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, XIX; ebd., Bd. 2, XVII.

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nologie der Ereignisse während der Feldzüge von 1756 bis 1763 – so wird deutlich, dass Friedrich weit vom Modell des Siècle de Louis XIV entfernt ist. Zu diesem hat er sich zwar in der Vorrede zu den Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg bekannt, doch ist er bereits mit dem darin praktizierten „Primat der Diplomatie- und Kriegsgeschichte“ (U. Muhlack) von der Vorlage abgewichen.25 Das einleitend formulierte Ziel der Verteidigung seines Verhaltens ist letztlich unvereinbar mit den Prinzipien der Aufklärungshistorie. Man kann davon ausgehen, dass dem König dies bewusst war, und dies mag wohl auch ein Grund gewesen sein, dass dieses Werk vorerst nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.26

II. Wenn Friedrich einerseits die theoretischen Grundlagen der Geschichtsschreibung der Aufklärung durch Voltaire kennengelernt hatte, sich aber andererseits nur partiell an sie gebunden fühlte, welche Autoren könnten ihn dann inspiriert haben oder gar von ihm als Vorbild gewählt worden sein? Antworten auf diese Frage können wir in seiner Bibliothek und in den Vorworten zu seinen großen historischen Werken finden. In der Einleitung zur Geschichte des Siebenjährigen Krieges finden sich keine Historiker erwähnt, dafür aber in anderen Vorreden, so etwa in der des Jahres 1775 zur Histoire de mon temps, die vielleicht als eine Summa von Friedrichs methodisch-theoretischen Überlegungen zur Geschichtsschreibung betrachtet werden kann. Der Maßstab, den der König an historische Werke legt, ist die Glaubwürdigkeit, und die wird für ihn am besten gesichert, wenn die Autoren Zeugen oder Zeitgenossen der beschriebenen Ereignisse waren. Die 25 Vgl. den Discours préliminaire, 1751, in: ebd., Bd. 1, XLV-LII, bes. XLIX-L. Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991, 265268. 26 Darauf deutet vielleicht auch die abschließende Formel des Vorwortes hin: „Ein Werk wie dieses bedarf keiner methodologischen Einführung, da es sich letztlich nicht an ein historisches Publikum wendet“; in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, XIX: „[…] peut-être qu’un ouvrage fait, comme celui-ci, pour être lu par peu de personnes, pouvait se passer tout à fait d’avant-propos.“

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Geschichte der Antike gewinnt erst über die zentralen Ereignisse hinausgehende Tiefe „durch die Augenzeugenschaft der zeitgenössischen Autoren, die uns diese Ereignisse beschrieben haben“.27 Die antiken Historiker, die er im Folgenden aufführt, sind folgerichtig alles Autoren, die zugleich als Akteure hohe politische oder militärische Funktionen während der von ihnen beschriebenen Ereignisse bekleideten. Es sind: Xenophon, Thukydides, Polybios, Cicero und, besonders hervorgehoben, Caesar und dessen Commentarii, „geschrieben in der edlen Schlichtheit [Natürlichkeit] eines großen Mannes“.28 Auch die „modernen“ Historiker, die Friedrich vorbildlich nennt, zeichneten sich alle in politischen oder militärischen Ämtern aus und hinterließen Briefsammlungen, Memoiren oder historische Schriften. Aufgeführt werden Jacques-Auguste de Thou, Philippe de Commynes, Francisco Vargas y Mexia29, der Kardinal de Retz, Maréchal d’Estrades, 27 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 2, XIII: „[…] par l’authenticité des auteurs contemporains qui nous ont décrit ces événements“; vgl. auch Werke (wie Anm. 4), Bd. 2, 11. Betonung der Augenzeugenschaft auch in den Bemerkungen über Karl XII. von Schweden, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 7, 81: „Je ne le juge ni sur des tableaux outrés par ses panégyristes, ni sur des traits défigurés par ses critiques. Je m’en rapporte à des témoins oculaires, et à des faits dont tous les livres conviennent“, sowie Werke (wie Anm. 4), Bd. 6, 367. 28 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 2, XIV: „Cependant dans la foule d’auteurs de l’antiquité, l’on distingue avec satisfaction la description que Xénophon fait de la retraite des Dix mille qu’il avait commandés et ramenés lui-même en Grèce. Thucydide jouit à peu près des mêmes avantages. Nous sommes charmés de trouver, dans les fragments qui nous restent de Polybe, l’ami et le compagnon de Scipion l’Africain, les faits qu’il nous raconte, dont lui-même a été le témoin. Les lettres de Cicéron à son ami Atticus, portent le même caractère; c’est un des acteurs de ces grandes scènes qui parle. Je n’oublierai point les Commentaires de César, écrits avec la noble simplicité d’un grand homme [Hervorhebung S. E.]; et, quoi qu’en ait dit Hirtius, les relations des autres historiens sont en tout conformes aux événements décrits dans ces Commentaires; mais depuis César, l’histoire ne contient que des panégyriques ou des satires.“ Lob Xenophons, Thukydides, Caesars auch in De la litérature allemande, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 7, 103-140, 119 (Werke (wie Anm. 4), Bd. 8, 84-85). 29 Francisco Vargas y Mexia, 1500-1566, Jurist und Diplomat, vertrat Karl V. u.a. auf dem Konzil von Trient, als Gesandter in Rom und Venedig. Er publizierte Schriften zur Reformation der Kirche, eine Briefsammlung

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Colbert de Torcy sowie überraschenderweise auch eine Autorin, die Herzogin von Montpensier.30 Die Schriften sowohl der angeführten antiken als auch der modernen Autoren standen selbstverständlich in Friedrichs Bibliotheken.31 Was war für Friedrich als Leser dieser Schriften von Interesse? Estrades und Commynes genossen hohes Ansehen als „Lehrbücher“ für den Politiker und Diplomaten. Autoren von Handbüchern über die Verhandlungskunst wie Wicquefort, Callières und Pecquet (Friedrich besaß die

erschien erstmals 1699; vgl. den Artikel „Francisco Vargas y Mexia“, in: Bautz, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 17 (2000), Sp. 1454-1455. 30 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 2, XV: „Nous n’avons que trop de mémoires, d’anecdotes et des relations, parmi lesquelles il faut s’en tenir au petit nombre d’auteurs qui ont eu des charges, qui ont été eux-mêmes acteurs des événements, qui ont été attachés à la cour, ou qui ont eu la permission des souverains de fouiller dans les archives, tels que le sage président de Thou, Philippe de Comines, Vargas, fiscal du concile de Trente, mademoiselle d’Orléans, le cardinal de Retz, etc.; ajoutons-y les Lettres de M. d’Estrades, les Mémoires de M. de Torcy, monuments curieux, surtout ce dernier, qui nous développe la verité de ce testament de Charles II, roi d’Espagne.“ 31 Bogdan Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, Leipzig 1914, 140 (de Thou), 142 (Torcy), 143, (Commynes, Estrades), 145 (Retz, Montpensier), 146 (Vargas), 150 (Polybios), 151 (Thukydides, Xenophon, Caesar), 152 (Cicero [Briefe an Atticus]). Friedrichs Lektüreliste muss wohl als „konventionell“ betrachtet werden. Sie entspricht den Empfehlungen an den „Politiker“ oder „négociateur“ wie sie beispielsweise in den Traktaten zur Diplomatie von Abraham de Wicquefort, François de Callières oder Antoine de Pecquet aufgeführt werden. Von den deutschen Aufklärungshistorikern, wie etwa Johann Martin Chladenius, (einen Einblick in die Reichhaltigkeit ihrer Beiträge bieten: Horst Walter Blanke, Dirk Fleischer (Hg.), Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, 2 Bde. [Fundamenta Historica, Bd. 1], Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, Auszüge aus Schriften von Chladenius der Jahre 1742-1752, 205-274) die vor allem seit den 1750er Jahren zahlreiche theoretische Beiträge vorlegten, findet sich unter Friedrichs Büchern keiner. Hinzuweisen wäre an dieser Stelle noch, dass Friedrich Christian Thomasius zum Prototyp eines deutschen Geschichtsprofessors macht; vgl. De la litérature allemande, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 7, 130-133, man beachte die Fußnote des Herausgebers, 130: „Les biographes du célèbre philosophe et jurisconsulte Thomasius n’ont jamais osé proposer pour modèles ses ouvrages historiques.“

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beiden letzteren32) empfahlen deren Lektüre. Torcy ermöglichte in seinen Memoiren einen Einblick in Entscheidungsprozesse am Hofe Ludwig XIV. Die Memoiren des Commynes geben einen Einblick in die Anfänge der neuzeitlichen Diplomatie, de Thou bietet eine Darstellung der französischen Religions- und Bürgerkriege und die literarisch anspruchsvollen Erinnerungen des Kardinals von Retz und der Madame de Montpensier enthalten eine Darstellung der Machtkämpfe während der Fronde.33 Beachtenswert an den genannten antiken Autoren ist, dass alle mit ihren Werken erzieherische Absichten verfolgten und von allen, insbesondere von Thukydides, Polybios und Caesar, bedeutende Impulse für die Genese der neuzeitlichen Geschichtsschreibung ausgingen. Dem Feldherrn Friedrich werden Thukydides’ kunstvolle Schreibweise34 und Xenophons militärische Prinzipien imponiert haben.35 Polybios konnte ihm als Vorbild dienen für eine pathetisch verkündete Verpflichtung zur wahrheitsgetreuen Darstellung,36 wie wir sie auch im Vorwort zur Ge32 Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 31), 175, 176. 33 Über die Memoiren des Kardinal de Retz: André Bertière, Le Cardinal de Retz mémorialiste, Paris 1977, zusammenfassend 582-587; über Anne-Marie-Louise d’Orléans, Herzogin von Montpensier und ihre Mémoires: François Bluche (Hg.), Dictionnaire du Grand Siècle, Paris 1985, 931-932. 34 Hubert Cancik u.a. (Hg.), Der Neue Pauly, 16 Bde., Stuttgart 1996-2003, Bd. 12/1, Art. Thukydides, Sp. 506-512. Auch nach Thukydides dient die Geschichte als Lehrmeisterin für die Zukunft: „Wer aber das gewesene klar erkennen will und damit auch das künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie [die Darstellung der Geschichte der Peleponnesischen Kriege, S.E.] so für nütztlich halten, und das soll mir genug sein: zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige hören ist sie verfasst“; in: Thukydides, Geschichte des Peleponnesischen Krieges, hg. v. Georg Peter Landmann, 2 Bde., München 1993, Bd. 1, 33 (I, 22). 35 Der Neue Pauly (wie Anm. 34), Bd. 12/2, Art. Xenphon, Sp. 640: „Nur Anstrengung und Selbstbeherrschung können auf lange Sicht zum Erfolg führen.“ 36 Der Neue Pauly (wie Anm. 34), Bd. 10, Art. Polybios, Sp. 41-48, Sp. 4445. Friedrich folgt mit seinem Lob Dauns in der Einleitung der Histoire de la Guerre de Sept Ans dem Vorbild von Polybios: „Wenn man jedoch die Aufgabe des Historikers übernimmt, dann muß man all dies vergessen und oft die Feinde rühmen und durch das höchste Lob auszeichnen, wenn ihre Taten dies erfordern“; in: Polybios, Geschichte, hg. v. Hans Drexler, 2 Bde., München 1961, Bd. 1, 16 (I, 14).

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schichte des Siebenjährigen Krieges finden.37 Möglicherweise sind Caesars Commentarii das Werk, das der Geschichte des Siebenjährigen Krieges als Referenz diente. Dem Urteil der Historiker, dass für Caesar Krieg „eine Sache von labor, disciplina, ratio“ gewesen sei, dürfte sich Friedrich ohne Weiteres angeschlossen haben, denn er wird ähnlich gedacht haben.38 Wie sehr Caesar gerade in den ersten Monaten des Siebenjährigen Krieges im Denken Friedrichs präsent war, belegt der Blick in die Korrespondenz des Königs. Nachdem der König den Krieg ausgelöst, Sachsen besetzt, Böhmen angegriffen und bei Lobositz einen ersten Sieg errungen hatte, war es Algarotti, der ihn mit Caesar verglich („sein Bruder im Ruhme“), ja ihn sogar über den antiken Feldherrn stellte. Von einem ähnlichen Unternehmen hat man seit jenem von Caesar gegen Afranius und Petreius in Spanien nicht gesprochen. Aber jenes Eurer Majestät unterscheidet sich sehr davon. Er hatte nur diese Herren gegen sich, aber gegen Eure Majestät standen die Sachsen und die Österreicher zusammen. Sie lassen uns, Sire, den Geschmack an der alten Geschichte verlieren.39 37 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, XIX: „Du reste, je me suis fait une loi de m’attacher scrupuleusement à la verité, et d’être impartial, à cause que l’animosité et la haine d’un auteur n’instruit personne, et qu’il y a de la faiblesse et de la pusillanimité même à ne pas dire du bien de ses ennemis, et à ne leur pas rendre la justice qu’ils méritent.“ 38 Der Neue Pauly (wie Anm. 34), Bd. 2, Art. Caesar, Sp. 908-923, Sp. 919. Vgl. z. B. Friedrichs Gedicht über die „Kriegskunst“, gerichtet an den Thronfolger, in: Werke (wie Anm. 4), Bd. 6, 385-433, bes. 392; Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 10, 261-318, 270: „Voilà comme en tout temps l‘art que je vous enseigne / A soutenu les rois, a maintenu leur règne; /Et si la discipline en est le fondement, / Si sa force soutient ce vaste bâtiment, / Jugez de sa grandeur et de son importance.“ Ein Beispiel für Friedrichs Caesar-Rezeption: Politisches Testament von 1768, in: Richard Dietrich (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 20), Köln, Wien 1986, 574-575. 39 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 18, 114-115: am 26. Okt.: „L’entreprise de V. M. était digne de César, votre confrère en gloire“; am 9. November 1756: „On n’a jamais entendu parler de pareilles entreprises depuis celle de César en Espagne contre Afranius et Petreius. Mais celle de V. M. est bien différente. Il n’avait contre lui que ces messieurs, et V. M.

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Friedrich ließ sich, scheinbar widerstrebend, auf diese Schmeicheleien ein: „Wir leben nicht im Jahrhundert der Caesaren“ und „wir imitieren nur Caesar in Pharsalos“ antwortete er, ließ aber Algarotti Berichte von der Schlacht von Lobositz zukommen und kündigte weitere Taten an.40 Im Frühjahr 1757 griff Algarotti den Caesar-Pharsalos Vergleich wieder auf, als er dem König zum Sieg bei Prag gratulierte. Dass in der Vorstellungswelt Friedrichs die Idee des Siegs in einer Entscheidungsschlacht gegen einen überlegenen Gegner nach dem Vorbild Caesars präsent war, belegen auch die Erinnerungen des britischen Gesandten Andrew Mitchell.41 Nach dem Sieg bei Prag ließ Friedrich Algarotti durch den Abbé de Prades mitteilen, er habe nun seine Schlacht von Pharsalos gewonnen.42 Doch sollte die Schlacht bei Prag nicht wie Pharsalos den Krieg entscheiden. Bezeichnenderweise gibt es eine Lücke in der Korrespondenz, so dass wir nicht wissen, wie Algarotti auf Kolin reagierte, jene Schlacht, die den Nimbus der preußischen Unbesiegbarkeit zerbrach und mit der auch Friedrichs Plan, einen schnellen Frieden zu erzwingen, hinfällig wurde. Der Caesar-Vergleich verschwand vorerst aus der Korrespondenz: Algarotti gratulierte zu den Siegen bei Rosbach und Leuthen und versuchte mit Friedrich, die Katastrophe von Hochkirch in einen moralischen Sieg umzudeuten. Man bemühte jetzt die Härte der Römer und avait les Saxons et les Autrichiens tout ensemble. Vous nous faites perdre le goût pour l’histoire ancienne.“ 40 Ebd., 116-117., Friedrich an Algarotti, 27. Dez. 1756: „Mais […] nous ne vivons pas dans les siècle des Césars […] Nous n’avons encore rien fait, si nous n’imitons César dans la journée de Pharsale.“ Auf die Präsenz der Antike beim Feldherrn Friedrich weist auch Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, 176 hin: „Alles was er jetzt hier auch im Felde unternahm, erscheint wie eine Spiegelung literarischer Denkfiguren“ (hier: Kontext: Schlesischer Krieg). 41 Franz A. J. Szabo, The Seven Years’ War in Europe 1756–1763, Harlow, London etc. 2008, 57, nach: Andrew Bisset (Hg.), Memoirs and Papers of Sir Andrew Mitchell, K.B., Envoy Extraordinary and Minister Plenipotentiary from the Court of Great Britain to the Court of Prussia, from 1756 to 1771, 2 Bde., London 1850, Bd. 1, 325. 42 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 18, 119, Abbé de Prades an Algarotti, 10. Mai 1757: „Le Roi m’a ordonné, monsieur […], de vous apprendre qu’il vient de gagner près de Prague la bataille de Pharsale.“ Auch in: Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen, Bd. 15, Berlin 1888, 25-27.

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verglich die Situation mit der der römischen Republik nach Cannae. Friedrichs Bemerkungen wurden fatalistischer und er überließ eine Zeit lang die Korrespondenz seinem Vorleser de Catt.43 Als schließlich 1763 der Frieden geschlossen wurde, pries Algarotti erneut den Preußenkönig als Feldherren, der alle antiken Vorbilder überrage, da diese ja immer nur einen Gegner bekämpfen mussten. Bemerkenswert ist die Reaktion des Königs auf die Frage Algarottis nach dem „Buch“, in dem eines Tages der Bericht über seine Taten zu lesen sei. In seiner Antwort vom 14. April 1763 weist er den Gedanken, selbst eine Geschichte des Krieges zu verfassen, von sich: „Die Ereignisse dieses Krieges verdienen kaum die Mühe, der Nachwelt überliefert zu werden. Ich halte mich weder für einen so guten General, dass man meine Geschichte schreibt, noch für einen ausreichend guten Historiker um Werke zu publizieren.“44 Es stellt sich die Frage, ob Friedrich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht an die Niederschrift einer Geschichte des Krieges dachte, oder ob er Algarotti über seine Absichten, anders als Lord Marschal Keith, im Unklaren lassen wollte. Friedrichs Briefe aber zeigen, wie er bereits während des Krieges begann, seine Legende zu konstruieren. Klang der Brief aus dem Winterquartier des Jahres 1756 noch zuversichtlich und selbstbewusst siegessicher, änderte sich der Ton nach den Ereignissen des Jahres 1757. Friedrich wusste, dass der Krieg dauern würde und er stilisierte sich nun zu einem Kämpfer gegen ein neues „Triumvirat“, das Europa versklaven wolle. Er sei ein Fürst, den man beleidigt habe, oder er sei wider seinen Willen gezwungen, Schauspieler auf dieser Bühne des Krieges

43 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 18, 119-144. Z. B. Algarotti an Friedrich, 5. Dez. 1758: „Annibal a vaincu Marcellus et Fabius. Jamais plus belle guerre n’a été jouée. Il me semble, Sire, s’il est permis aux mortels de raisonner sur les beaux faits des dieux, que l’affaire de Hochkirch est encore plus glorieuse pour V. M. et pour les troupes que V. M. a su former que la victoire même de Zorndorf.“ Friedrich an Algarotti, 10. März 1760: „Il est certain que nous n’avons eu que des malheurs la campagne passée, et que nous nous sommes trouvés à peu près dans la situation des Romains après la bataille de Cannes“ (135). Vgl. unten Anm. 45. 44 Ebd., 145: „Les faits arrivés dans cette guerre ne méritent guère la peine de passer à la posterité. Je ne me crois ni assez bon général pour qu’on écrive mon histoire, ni assez bon historien pour publier des ouvrages.“

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zu sein.45 Dieses Motiv der „Verschwörung der Mächte Europas gegen Preußen“ griff der König in den einleitenden Kapiteln seiner Darstellung erneut auf, nicht zuletzt, um die durch ihn herbeigeführte Auslösung des Krieges zu rechtfertigen.46

III. Betrachten wir nun ein Beispiel für Friedrichs Darstellung der Geschichte des Siebenjährigen Krieges, und zwar die bereits erwähnte Schlacht von Kolin, mit der die gesamte Feldzugs-, wenn nicht auch Kriegsplanung Friederichs zusammenbrach. Die Forschung ist sich über die Konsequenzen der Schlacht weitgehend einig. Kunisch spricht vom vorläufigen Scheitern des „offensiven Vorgehens gegen das Haus Habsburg“ und räumt ein, dass die Niederlage angesichts der hohen Verluste (ca. 13 000 Mann) „im Grunde einer Katastrophe“ gleichkam.47 Was war geschehen? Friedrich hatte sich mit ca. 35 000 Mann der von Daun befehligten Entsatzarmee (ca. 54 000 Mann) entgegen geworfen. Etwa fünfzig Kilometer östlich von Prag trafen die Armeen aufeinander. Der Preußenkönig schickte seine Armee in die Schlacht, obwohl es ihm nicht gelungen war, Daun auszumanövrieren. Die preußische Infanterie sollte die Österreicher aus zum Teil befestigten Stellungen herauswerfen, wurde jedoch durch konzentriertes Infanterie- und Artil45 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 18, Friedrich an Algarotti, (nicht datiert): „Vous pourrez vous amuser encore cette année-ci par les gazettes […] de ce qui décidera de la liberte ou de l’esclavage de l’Europe, qu’un nouveau triumvirat veut subjuger“ (127-128). Friedrich an Algarotti, 4. Jan. 1750: „Mais malgré tout cela, nous sommes encore debout, et nous nous préparons à de nouveaux événements. Peut-être que le Turc, plus chrétien que les puissances catholiques et apostoliques, ne voudra pas que des brigands politiques se donnent les airs de conspirer contre un prince qu’ils ont offensé, et qui ne leur a rien fait“ (132-133); Friedrich an Algarotti, 9. Dez. 1762, „[…] j’avoue que je preferais d’être le spectateur de ces scènes dont je suis acteur bien malgré moi“ (144). 46 Ebd., Bd. 4, 37: „la conjuration des puissances de l’Europe contre la Prusse“; 39: „la ligue des plus grandes puissances d’Europe“. 47 Kunisch, Friedrich der Grosse (wie Anm. 40), 366-367. Zu den Verlusten Curt Jany, Geschichte der königlich preußischen Armee bis zum Jahre 1807, 3 Bde., Berlin 1928-1929, Bd. 2, 420-421: 392 Offiziere (darunter sechs Generale und Regimentskommandeure gefallen) und 13.376 Mann. Die Österreicher hatten rund 9.000 Mann verloren.

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leriefeuer sowie Kavallerieattacken gestoppt und aufgerieben. Pannen bei der Koordination des Angriffs kamen hinzu. Friedrich veränderte kurzerhand den Schlachtplan und konnte der Schlacht dennoch keine Wende geben. Am Ende des Tages zogen sich die Reste der Armee in Richtung Prag zurück, wenig später musste die Belagerung der Stadt aufgegeben werden. Die preußische Armee zog sich in mehreren Kolonnen, verfolgt von den Österreichern, aus Böhmen zurück. Weitere kleinere Niederlagen in Rückzugsgefechten folgten. Im Verlauf des Rückzugs kam es zu einer weiteren Katastrophe: Der Thronfolger, August Wilhelm, dem die österreichische Hauptarmee mit rund 73 000 Mann sowie leichten Truppen auf den Fersen war, konnte angesichts der Übermacht keinen Widerstand leisten und musste sich schneller als geplant in die Lausitz zurückziehen, wobei wichtige Magazine in die Hand der Österreicher fielen. Friedrich überschüttete seinen Bruder mit Vorwürfen und demütigte ihn öffentlich, was diesen bewog, den Dienst zu quittieren. Der Bruch war endgültig, die Brüder sahen sich nie mehr wieder.48 Die Niederlage bei Kolin hatte, darin sind sich die Historiker einig, Friedrich persönlich zu verantworten. Er hatte den Angriff entschieden und während der Schlacht „entgegen seinen ursprünglichen Dispositionen“ einen „Frontalangriff“ des „gesamten Zentrums der preußischen Armee“ befohlen.49 Diese Verantwortlichkeit war seiner Umgebung nur zu bewusst. Seine Brüder, insbesondere Prinz Heinrich, auch er ein erfahrener und besonnener Truppenkommandeur, machten im privaten Kreis keinen Hehl daraus: „Phaeton ist gefallen“, schrieb Heinrich.50 48 August Wilhelm starb bereits im folgenden Jahr. Zur Schlacht von Kolin und dem Rückzug: Duffy, Friedrich der Große (wie Anm. 22), 182-189; Szabo, Seven Years’ War (wie Anm. 41), 60-69. Jany, Geschichte der preußischen Armee (wie Anm. 47, Bd. 2, 407-421. Umfassend: Großer Generalstab (Hg.), Der Siebenjährige Krieg 1756-1763, Bd. 3: Kolin (Die Kriege Friedrichs des Großen III, 3), Berlin 1901, 65-88; Kunisch, Friedrich der Große (wie Anm. 40), verlegt den Bruch zwischen den Brüdern an eine andere Stelle seiner Darstellung (234-235), über Kolin 363–369. 49 Kunisch, Friedrich der Grosse (wie Anm. 40), 363. 50 Zit. n. Szabo, Seven Years’ War (wie Anm. 41), 66. Heinrich beschimpfte seinen Bruder u. a. als „Wüterich, Tyrann, Hanswurst“ oder auch „Narr“ und „die gemeinste Bestie, die Europa je hervorgebracht hat“; vgl. Otto Herrman, Friedrich der Große im Spiegel seines Bruders Heinrich, in: His-

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Friedrich selbst, so Mitchell, zeigte sich entmutigt, unzufrieden und voller düsterer Vorahnungen.51 Auf Friedrichs Darstellung der Schlacht von Kolin greifen, soweit wir sehen, die größeren Darstellungen (etwa Jany) nicht zurück.52 Dabei liefert der König eine ausführliche Begründung, warum er der österreichischen Übermacht eine Schlacht lieferte, die zugleich für seinen Charakter und sein strategisches Denken aufschlussreich ist. Daun habe, so Friedrich, von der Kaiserin den Befehl zur Erzwingung der Aufhebung der Belagerung von Prag erhalten. Dies habe den König angesichts seiner numerischen Unterlegenheit vor die Wahl gestellt, sich entweder sofort zurückzuziehen oder eine Konfrontation mit Daun zu wagen. Ersteres kam für Friedrich nicht in Frage. Dies hätte bedeutet, den Österreichern die Entscheidungsfreiheit über einen Angriff auf die preußischen Truppen zu überlassen („la liberté d’attaquer les troupes prussiennes dans leur poste“). Darüber hinaus wäre die „Ehre“ seiner Armee beschädigt worden, hätte man, ohne eine Schlacht zu liefern, die Belagerung aufgehoben. Als einen noch gewichtigeren Grund führt Friedrich die möglichen Konsequenzen eines weiteren Sieges an. Es sei davon auszugehen, dass sich dann die schwankenden Reichsfürsten auf seine Seite schlagen würden. Darüber hinaus könnte so Frankreichs Intervention verzögert werden, und es sei anzunehmen, dass Schwetorische Vierteljahrschrift 26 (1931), 365-379, 376. Herrman sieht im Verhalten des jüngeren Bruders vor allem Undankbarkeit. 51 Zit. n. Szabo, Seven Years’ War (wie Anm. 41), 66. Interessant die Bewertung des Verhaltens Friedrich des Großen nach der Schlacht: Szabo (ebd.) spricht von „the first signs of what was to become a constant litany of selfpity after every setback“; Kunisch bekundet Hochachtung vor dem König, der angesichts der Rückschläge „in diesem unseligen Krieg” (Verlust an Reputation durch die Niederlage, Tod ihm nahe stehender Persönlichkeiten [seine Schwester Wilhelmine, seine Mutter Sophie Charlotte, General Winterfeld]) „Größe“ zeige und „in Augenblicken wie diesem zu außerordentlicher Spontaneität und Warmherzigkeit fähig“ gewesen sei „und auch in der Lage, seinen Gefühlen mit Würde und Anteilnahme Ausdruck zu verleihen“ (Kunisch, Friedrich der Große, wie Anm. 40, 370). Von Anteilnahme kann im Umgang mit dem Thronfolger wohl nicht gesprochen werden. 52 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, 125-131. Material und Briefe Friedrichs sowie Relationen zur Schlacht von Kolin: Politische Correspondenz (wie Anm. 42), Bd. 15, 168-209. Im Generalstabswerk wird auf Friedrichs Darstellung verwiesen, eine kritische Auseinandersetzung aber findet nicht statt, vgl. Großer Generalstab, Kolin (wie Anm. 48), 76, 90.

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den sich zurückziehen und nicht in seiner Funktion als angerufener Garant des Westfälischen Friedens in den Konflikt eingreifen werde. Und schließlich werde auch die Zarin ihre Entscheidungen noch einmal überdenken. Somit hätte Friedrich Reserven zur wirkungsvollen Unterstützung des Herzogs von Cumberland zur Verfügung.53 Ausschlaggebend war demnach erstens ein Ehrbegriff, der mit einem taktischen Rückzug zur Schonung einer Armee, die in einer ersten Schlacht bereits rund 13 000 Mann verloren hatte, nicht vereinbar war. Zweitens finden wir zentrale Elemente preußisch-deutschen Strategiedenkens des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Kern angedeutet: Das Suchen oder auch Erzwingen der Entscheidungsschlacht verbunden mit der Maxime, nicht die Initiative aus der Hand zu geben.54 Damit 53 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, 126-127: „Ainsi il s’agissait de se laisser proprement de se déterminer dans le choix, s’il voulait mieux laisser aux ennemis la liberté d’attaquer les troupes prussiennes dans leur poste, ou s’il valait mieux les prévenir et les attaquer soi-même. Ajoutons à ces considérations que, depuis que le maréchal Daun se trouvait en force, il était impossible de prendre Prague sans gagner une seconde bataille, et qu’il aurait été honteux pour l’honneur des armes d’en lever le siège à l’approche de l’ennemi, vu que tout ce qui pouvait arriver de pis était d’abandonner cette entreprise, au cas que l’ennemi remportât la victoire. […] une raison plus importante encore obligeait d’en venir à une décision; c’est qu’en gagnant encore une bataille le Roi prenait sur les Impériaux une entière supériorité. Les princes de l’empire, déjà incertains et indécis, l’auraient conjuré de leur accorder la neutralité; les Français se seraient trouvés dérangés et peut-être arrêtés dans leurs opérations en Allemagne, les Suédois en seraient devenus plus pacifiques et plus circonspects; la cour de Pétersbourg même aurait fait des réflexions différentes, parce que le Roi se serait vu dans une situation à pouvoir envoyer sans risque des secours à son armée de Prusse, et même à celle du duc de Cumberland. Voilà quels furent les motifs importants qui engagèrent le Roi à attaquer le lendemain le maréchal Daun dans son poste.“ Ähnlich auch noch im Politischen Testament von 1768, vgl. Dietrich, Die politischen Testamente der Hohenzollern (wie Anm. 38), 559. 54 Vgl. schon die in der Erläuterung des Feldzugsplans von 1757 ausgedrückte Hoffnung, sein Vorstoß könne zu einer „action décisive“ führen, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, 111. Die Strategiediskussionen in der deutschen Armee des 19. und frühen 20. Jahrhundert nahmen immer Bezug auf diese Problematik. Vgl. Beatrice Heuser, Friedrich der Große und der Siebenjährige Krieg. Der „Mythos“ des großen Feldherrn in der Strategie-Literatur (18.-20. Jh.), in: Sven Externbrink (Hg.), Der Siebenjährige Krieg, Berlin 2011, 181-195. Man hat beim Blick in die jün-

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verbanden sich drittens letztlich als Hirngespinste zu bezeichnende Hoffnungen auf politische Konsequenzen. Dass eine Schlacht und ein Sieg dem Gegner keinen dauerhaften Frieden abtrotzen würden, sollte dem Historiker Friedrich eigentlich der Blick auf den Österreichischen Erbfolgekrieg zeigen. Zwar war es damals mit zwei Schlachtensiegen (Mollwitz und Chotusitz) gelungen, Wien bereits 1742 zur Abtretung Schlesiens zu zwingen, doch die endgültige Anerkennung des Besitzes erfolgte erst nach weiteren Waffengängen und nach einem europaweiten Krieg. Glaubte Friedrich ernsthaft, dass die gegen ihn gebildete Koalition nach zwei Rückschlägen zerbrechen würde, zumal die französischen Truppen zu diesem Zeitpunkt die westdeutschen Provinzen Preußens bereits weitgehend besetzt hatten? Namentlich verantwortlich für das Scheitern des Schlachtplans am 18. Juni 1757 machte Friedrich General von Manstein, der eigenmächtig gegen die den preußischen Aufmarsch störenden Panduren vorging und sich zum Angriff auf österreichische Stellungen habe verleiten lassen. Dadurch sei die preußische Linie zu weit auseinander gezogen worden, schließlich die gesamte Linie vorgerückt, anstatt den Angriff auf den rechten österreichischen Flügel zu konzentrieren. Zur Schließung der Lücke habe man über keine Reserven mehr verfügt. Auch das persönliche Eingreifen des Königs konnte die Schlacht nicht mehr wenden.55 Dass der König selbst, nach vorhergehender Beratung mit Moritz von Anhalt – beide missdeuteten Bewegungen der Österreicher –, den Befehl zum Vormarsch auf der gesamten Linie gegeben hatte, wird verschwiegen.56 Eher widerstrebend wird die Niederlage zugegeben und dies gleich auch wieder relativiert, indem auf die durch die Preußen hervorgerufene Unordnung der Österreicher und auf Fehler Dauns hingewiesen wird.57 Die Tragödie des Bruchs mit seinem Bruder gere Kriegsgeschichte den Eindruck, dass die Fixierung auf das Konzept der Entscheidungsschlacht deutsche Armeen sowohl zu Siegen als auch in katastrophale Niederlagen geführt hat. 55 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, 129-130. Manstein wurde bei Kolin verletzt und fiel auf dem Rückzug aus Böhmen in einem Scharmützel mit den leichten Truppen unter Loudon, ebd., 133; Jany, Geschichte der preußischen Armee (wie Anm. 47), Bd. 2, 421, Anm. 84. 56 Jany, Geschichte der preußischen Armee (wie Anm. 47), Bd. 2, 411-412. Szabo, Seven Years’ War (wie Anm. 41), 64. 57 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 4, 131: „Sans doute que le dérangement où se trouvaient les Autrichiens après une affaire une aussi

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und Thronfolger wird übergangen. Lapidar heißt es: „Der Prinz, der krank geworden war, verließ die Armee, und verging vor Untätigkeit.“58 Eine Infragestellung der gewählten Strategie des Feldherren Friedrich durch den Historiker Friedrich erfolgte nicht. Die Belagerung von Prag wird aufgehoben, es ist aber – ohne dass der Historiker dies noch einmal ausdrücklich erwähnt – ein ehrenvoller Rückzug. In der Darstellung wird keine Analyse eingeschoben, sondern unmittelbar übergegangen zum Rückzug der preußischen Armee aus Böhmen und den weiteren Ereignissen des Frühsommers und dem Fortgang der Kampagne des Jahres 1757, die mit den preußischen Siegen von Rosbach und Leuthen spektakulär enden sollte.59

IV. Fassen wir abschließend unsere Überlegungen knapp zusammen. Die unmittelbar nach Ende des Siebenjährigen Krieges vom König verfasste Geschichte des Konflikts orientiert sich nicht an zeitgleich entstandenen Äußerungen Friedrichs über die Vergeblichkeit menschlichen Strebens und greift auch keineswegs die Kritik des Krieges durch seinen Freund Voltaire auf. Friedrich schreibt, darin noch durchaus übereinstimmend mit der Theorie der Geschichtsschreibung der Aufklärung, um seine Nachfolger zu instruieren. Er will ihnen Lehr- und Studienmaterial an die Hand geben im Hinblick auf einen weiteren Waffengang mit dem Hause Österreich. Es ist die Geschichte eines Sieges über eine Verschwörung gegen Preußen und in nuce prägt er bereits das Bild vom „Alten Fritz“. Damit legte Friedrich auch die Interpretation des Krieges fest, die nach seinem Tode für die preußisch-deutsche Geschichtsschreibung geradezu kanonisch wurde. Der Referenzrahmen des Werkes findet sich daher weniger in den historischen Werken Voltaires und der Geschichtstheorie der Aufkläopiniâtre, les empêcha de poursuivre les Prussiens; cependant ils étaient victorieux. Sans doute que si le maréchal Daun avait eu plus de résolution et d’activité, son armée aurait pu arriver le 20 devant Prague, et les suites de la bataille de Kolin seraient devenues plus funestes pour le Prussiens que leur défaite même.“ 58 Ebd., 135: „Ce prince, qui était devenu malade, quitta l’armée, et ne fit depuis que languir.“ 59 Kommentar Friedrichs über 1757: ebd., 176-177.

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rung, sondern bei Caesars Commentarii. Wie dieser schreibt er einen Rechenschaftsbericht und versucht nicht wie jener „die Fortschritte des menschlichen Geistes und aller Künste […] aufzuzeigen“.60 Doch im Gegensatz zum Bello Gallico ist Friedrichs Darstellung überprüfbar und bei weitem nicht die einzige Quelle für die darin beschriebenen Ereignisse, für deren Rekonstruktion man eher nicht auf sie zurückgreifen sollte. Friedrich des Großen Histoire de la Guerre de Sept Ans gewinnt jedoch an Gewicht als frühes Beispiel für den Einsatz der Geschichtsschreibung als „Legitimationswissenschaft“.61 Sie ist Teil seiner Selbstdarstellung und Selbstinszenierung, zu denen auch die weiteren von ihm verfassten historischen Schriften über seine Regierungszeit zählen. Sie hatte zur Aufgabe, das Geschichtsbild seiner Nachfolger zu prägen und in eine vom ihm gewollte Richtung zu lenken. Das „aufgeklärte“ Publikum hatte er dabei nicht im Blick.

60 Voltaire, zit. n. Stern, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 23), 41. 61 In Anlehnung an: Peter Schöttler, Geschichte als Legitimationswissenschaft 1918-1945. Einleitende Bemerkungen, in: ders. (Hg.), Geschichte als Legitimationswissenschaft. 1918-1945, Frankfurt 1997, 7-30, 21: „Unter ‚Legitimationswissenschaft’ wird hier ein akademischer Diskurs verstanden, der die generelle Bereitschaft erzeugt, staatliche Entscheidungen, die inhaltlich noch unbestimmt sind, innerhalb gewisser Grenzen hinzunehmen bzw. zu verteidigen.“

„Mein Freund Lukrez.“

Friedrichs „XVIII. Epistel an den Marschall von Keith: Über die leeren Schreckens des Todes und die Angst vor einem anderen Leben“ Reinhart Meyer-Kalkus I. Lukrez‘ Lehrgedicht De rerum natura hat Friedrich fast sein ganzes Leben lang begleitet: als philosophische Inspirationsquelle, Trostbuch und Anregung für die eigene Dichtung. Viele Passagen des Gedichts, das er in französischen Übersetzungen las, kannte er auswendig, und immer wieder ist er in seinen Versen, in Briefen und Gesprächen darauf zurückgekommen.1 Seine Vers-Epistel an den Marschall von Keith „Sur les vaines terreurs de la mort et les frayeurs d‘une autre vie“ („Über die leeren Schreckens des Todes und die Angst vor einem anderen Leben“)2 ist ein Zeugnis dieser Auseinandersetzung. In mehr als 300 Alexandrinerversen, also gereimten sechsfüßigen Jamben, entwirft Friedrich eine scharfe Kritik am christlichen Unsterblichkeitsglauben und bekennt sich zur Lebens- und Todesphilosophie von Epikur und Lukrez. 1

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Im ovalrunden marmornen Saal von Sanssouci hatte er, nach einer Beschreibung von Friedrich Nicolai, vis-à-vis einer Venus-Skulptur eine von François Gaspard Adam geschaffene Apollon-Figur aufstellen lassen, die Lukrez‘ Gedicht in der Hand hielt, mit Versen aus der Venus-Anrufung aus dem 1. Buch des Gedichts: „Te sociam studeo scribendis versibus esse,/ Quos ego de rerum natura pangere conar.“ („Möcht ich, dass du mir seiest Gefährtin beim Schreiben der Verse,/Die ich von der Natur der Dinge zu fügen versuche“, I, 24 f.); vgl. Friedrich Nicolai, Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, 2. Aufl., Berlin 1779, 915. Die Übersetzungen stammen im Folgenden vom Verfasser. Ich zitierte die französischen Originaltexte Friedrichs nach der von J.-D.-E. Preuss herausgegebenen Ausgabe der Œuvres de Frédéric le Grand, Berlin 1846-57, unter Angabe von Band- und Seitenzahl. Brunhilde Wehinger danke ich für Hinweise und Korrekturen.

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Erstmals erschien diese Epistel 1752 im Privatdruck der Œuvres du Philosophe de Sans-Souci. In der 1. Auflage dieser Œuvres zwei Jahre zuvor war sie noch nicht enthalten3, so dass wir annehmen dürfen, dass sie in den Jahren 1750 bis 1752 entstanden ist. Friedrichs Gedichtbände zirkulierten damals nur im engsten Freundeskreis, und er selber trug Sorge dafür, dass keines der ausgeliehenen Exemplare an die Öffentlichkeit gelangte. Doch konnte er nicht verhindern, dass 1760 Raubdrucke in verschiedenen europäischen Städten auftauchten, die für Aufsehen sorgten. Besonders die Epistel an Keith wurde Gegenstand einer öffentlichen Erregung, weil hier eines der zentralen christlichen Dogmen, das der Unsterblichkeit der Seele, geleugnet und geradezu höhnisch abgetan wurde. Am Schluss seines Gedichts attackierte Friedrich sogar die moralische Integrität der Christen – als ob es einzig und allein die Furcht vor ewigen Strafen im Jenseits sei, welche diese daran hindere, ihre Begierden auszuleben: „Geht, ihr feigen Christen, die nur die ewigen Feuer/daran hindern, Eure kriminellen Wünsche zu erfüllen“ („Allez, lâches chrétiens, que les feux éternels/Empèchent d‘assouvrir vos désirs criminels“4). Stattdessen preist Friedrich die illusionslosen Philosophen, die ohne Aussicht auf ewige Glückseligkeit oder ewige Strafen das Gute um seiner selbst willen tun. Das war nun freilich starker Tobak – und ist es heute noch. Selbst Voltaire, der ja ein Meister in solchen frivolen Provokationen war, kleidete sein Kompliment gegenüber dem, alle religiösen Empfindlichkeiten seiner Zeitgenossen mit Füßen tretenden König in die ironische Frage, er wisse nicht, ob dieser nun „mehr den Rang eines berühmten Wohltäters oder den eines berühmten Unholds“5 bekleide. Als Friedrich im Frühjahr 1760 eine autorisierte Veröffentlichung seiner Poésies diverses vorbereitete, wies ihn sein engster Freund und Mitarbeiter, der Marquis d‘Argens auf den Aufruhr hin, den gerade die Keith-Epistel ausgelöst hatte. In Amsterdam, wo einer der Raubdrucke der früheren Ausgabe erschienen war, hätten sich Geistliche darüber beratschlagt, ob sie dagegen predigen sollten; alle Zeitungen hätten da3 4 5

Vgl. J.-D.-E. Preuss, „Avertissement de l‘éditeur“, in: Œuvres (wie Anm. 2), Bd.10, X. Ebd., 202 f. Voltaire an Friedrich (3. Juni 1760), in: Voltaire – Friedrich der Große, Briefwechsel, übers. u. hg. v. Hans Pleschinski, 2. Aufl., München 1995, 423.

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rüber berichtet. Von der katholischen Kirche waren die Œuvres du Philosophe de Sans-Souci bereits am 12. März 1760 auf den Index gesetzt worden, und der Keith-Epistel sollte dasselbe Schicksal noch einmal einige Jahre später (27.11.1767) separat wiederfahren.6 Nach d‘Argens‘ Meinung war diese Erregung durch ein einziges Wort provoziert worden, durch das: „Allez, lâches chretiens“ („Geht, ihr feigen Christen“)7. Dieses Wort müsse im autorisierten Druck unbedingt korrigiert werden, denn es werde das ganze geistig beschränkte Europa in Aufruhr versetzen – das aufgeklärte Europa mache ja nur einen hundertsten Teil aus.8 D‘Argens hat seinen Korrekturvorschlag ausführlich begründet. Der König lebe ja nicht mehr in den Zeiten des berühmtesten ChristentumsVerächters der Spätantike, des Kaisers Julian (331-363). Heute gebe es keinen einzigen Menschen zwischen Lissabon und Archangelsk, der sich nicht als Christ bezeichne. „Wenn schon ich, der ich die Ehre habe, der große Vikar der Sekte seiner Majestät zu sein, dieses Wort als zu hart empfinde, dann ermessen sie den Effekt, den es auf den Geist eines Katholiken oder eines eifrigen Protestanten haben muss.“9 Eine Religionskritik aus dem Geiste von Epikur und Lukrez, wie sie Friedrich in seinem Gedicht polemisch erneuerte, musste ihm Gegnerschaften eintragen, die es besser zu vermeiden galt. D‘Argens‘ Korrespondenz mit dem bei seinen Truppen im Felde weilenden König ist ein Musterbeispiel dafür, wie aufmerksam Friedrich und seine engsten Mitarbeiter die Meinungen der deutschen und europäischen Öffentlichkeit beobachteten. Womöglich hätten sie in Friedenszeiten über diese Erregung nur gelacht oder sich sogar gebrüstet, 6 7 8

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Vgl. Œuvres (wie Anm. 2), Bd.19, 165 f. (Marquis d‘Argens an Friedrich II am 1. April 1760); sowie ebd. die Anmerkung 1. Bereits Bossuet (1627-1704) hatte einmal von den „lâches chrétiens“ gesprochen, doch stand diese Formel im Kontext einer innerchristlichen Selbstkritik. D‘Argens erwog verschiedene Alternativen, um am Ende die Fassung vorzuschlagen: „Allez, mortels craintifs, que les feux éternels“. Eigensinnig wie er war, folgte Friedrich diesem Vorschlag allerdings nicht, sondern verfügte eine andere Formel: „Allez, lâches humains“; in: Œuvres (wie Anm. 2), Bd.10, 202; vgl. ebd., Bd.19, 168. – Friedrichs Befehl kam freilich zu spät, so dass im ersten Druck noch d‘Argens‘ Option „mortels craintifs“ stehen geblieben ist, vgl. Brief von d‘Argens vom 9. April 1760, ebd., Bd.19, 171. Ebd., Bd.19, 166.

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nun auch noch einen Ehrenplatz auf dem Index des Papstes zu erhalten. Doch in diesen für Friedrich schwierigen Kriegszeiten galt es vorsichtiger zu sein. Ihre Verachtung des christlichen Jenseitsglaubens, dem doch immerhin die überwältigende Mehrheit der preußischen Soldaten anhing, durfte keinen so unzweideutigen Ausdruck in einer vom König selbst herausgegebenen Publikation finden. Friedrich schwächte deshalb die inkriminierte Apostrophe ab und tat noch ein Übriges, indem er der Keith-Epistel den Untertitel „Imitation du troisième livre de Lucrèce“ hinzufügte. Er suggierte damit, das Gedicht sei lediglich eine Art von literarischem Spiel mit einer berühmten Vorlage aus der Antike, eine ‚Imitatio‘ oder gar Überbietung (amplificatio) eines zum literarischen Kanon gehörigen Exempels, so wie dies in der klassizistischen Dichtungspraxis nun einmal üblich war.10 Dieser Untertitel ist nicht unzutreffend, insofern Friedrichs Gedicht in der Tat zahlreiche Motive aus Lukrez‘ De rerum natura aufnimmt und variiert. Doch wenn er damit zu verstehen geben wollte, es sei lediglich eine stilistische Fingerübung, so kam dies einer bewussten Irreführung gleich. Denn ihrem ganzen Aufbau nach ist die Epistel ein unzweideutiges Bekenntnis zur Lebens-und Todeslehre von Epikur, wie sie von Lukrez überliefert wird. Schon die pragmatischen Bezüge des Gedichts, wie sie aus Paratexten und Entstehungskontext hervorgehen, deuten daraufhin: Die Epistel ist vermutlich um 1750 entstanden und dem Marschall Keith gewidmet. Unter diesem Namen verbirgt sich der Schotte George Keith, Earl Marischal of Scotland (französisch unter dem Namen Maréchal d‘Ecosse) (1693-1778), der 1747 nach Berlin gekommen war, um in Friedrichs Dienste einzutreten. Der König hatte großes Vertrauen zu ihm, übertrug ihm diffizile diplomatische Missionen, ernannte ihn zum Bevollmächtigen am französischen Hof (Ministre plénipotentiaire près la cour de France) und zum Gouverneur des damals preußischen Neuchâtel (wo er im Jahre 1762 u.a. Jean-Jacques Rousseau Asyl gewährte). Auch persönlich bezeugte Friedrich dem Maréchal Keith über die Jahre hinweg unverändert hohe Wertschätzung. U. a. widmete er ihm nach der Schlacht von Hochkirch, bei der sein Bruder, der Marschall James Keith (1696-1758) gefallen war, die „Epistel über den Tod seines Bruders“ 10 Vgl. Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren historischen Grundlagen, Tübingen 1970.

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(„Épître sur la mort de son frère“11). Friedrich nimmt darin die Gelegenheit wahr, in ganz ungewohnt elegischen und persönlichen Tönen den eigenen Schmerz über die soeben verstorbene Schwester Wilhelmine auszusprechen – wie in Spiegelung der Trauer, die George Keith um seinen Bruder empfinden musste. Diese Art von Einblick in die eigene Seelenlage hat der stets auf Haltung bedachte Autokrat Friedrich nur engsten Freunden gewährt. Die Epistel „Über die leeren Schrecken des Todes und die Angst vor einem anderen Leben“ nimmt noch in anderer Weise auf den Widmungsadressaten Bezug. Sie spricht ihn als Feldherrn und Schlachtenlenker an. Wir werden Zeuge eines Gesprächs unter erfahrenen Militärs, wenn Friedrich an den soeben verstorbenen Moritz Graf von Sachsen (1696-1750), einen Feldherrn in französischen Diensten, erinnert: „Er ist nicht mehr, dieser Sachse, dieser Held Frankreichs/der das Mächtegleichgewicht mit dem hochmütigen England umgekehrt hat“ („Il n‘est plus, ce Saxon, ce héros de la France/Qui du superbe Anglais renversa la balance“). Allerdings sei Moritz nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Bett gestorben, er hätte den Schlachtentod eines Generals de Belle-Isle (eines anderen Bruders des Marschalls Keith) und des „illustre Bavière“, des Grafen Emmanuel-François-Joseph de Bavière, der 1747 gefallen war, nur beneiden können. Friedrich evoziert mit Hilfe der, für seine ernsten Gedichte so charakteristisch düsteren Farben die Vergänglichkeit militärischer Größe, fast im Stil einer barocken Vanitas-Klage: Am Ende blieben nur die illustren Namen von den großen Feldherren übrig, und selbst diese würden sich einmal wie leere Klänge in den Lüften auflösen, während die großen Herren von Würmern zerfressen würden. Wenn Moritz von Sachsen nicht mehr sei, dann gebe es allerdings auch für andere nichts zu fürchten: Nous qui l’avons perdu, c’est à nous de nous plaindre; C’est un pilote heureux qui vient d‘entrer au port. (Wir, die ihn verloren haben, sind allein beklagenswert, Er ist ein glücklicher Schiffsführer, der in den Hafen eingefahren ist.) Dass nun gerade ein Feldherr und nicht ein Philosoph als „Pilot“ auf der Fahrt in den friedlichen, allen Menschen bestimmten Todeshort an11 Œuvres (wie Anm. 2), Bd.12, 94 ff.

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geführt wird, ist ein Zug, der dem Lehrgedicht von Lukrez fremd ist. Lukrez kennt den Krieg nur als Geißel der Menschheit, so wie andere geschichtliche und natürliche Katastrophen, von der Pest bis zum Erdbeben, und persönliche Tapferkeit und Feldherrenruhm zu idealisieren, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Friedrich hatte dagegen keine Hemmungen, die zeitgenössische Epideixis militärischen Ruhms mit dem epikureischen Credo der Furchtlosigkeit des Weisen gegenüber dem Tod zu verbinden. Die Todeslehre Epikurs wird mit der geistigen Welt der großen europäischen Heerführer der Gegenwart verschmolzen. Damit verliert das Gedicht seinen rein didaktischen Charakter und wird zu einer Improvisation über Themen aus Lukrez‘ Gedicht – wie bei Gelegenheit eines Gesprächs über große Feldherren an der Tafel von Sanssouci. Das Lehrgedicht wird pragmatisch an eine fiktive Gesprächssituation gebunden und damit kontextualisiert, und was als Doktrin der epikureischen Todeslehre wiedergegeben wird, ist adressaten- und situationsbezogen spezifiziert. Friedrichs Episteln haben einen entschieden kolloquialen Zug, so als ob er seine Gespräche mit den Tischgenossen oder die Briefe mit fernen Familienangehörigen und Freunden im Versemachen weiterführen würde. Er verfährt dabei allerdings weniger dialogisierend als vielmehr monologisch und überredend. Wortreich und häufig langatmig bekräftigt er seine Sicht der Dinge und herrscht mit Worten: das letzte Wort behaltend, Opponenten bespöttelnd, Freunde an sich ziehend, sich selber in seinen philosophischen Orientierungen befeuernd. Die Poesie ist für Friedrich ein anderes Medium seiner Machtausübung. Dieser Charakter seiner rhetorischen Sprachkunst mag erklären, weshalb in Friedrichs Versen all jene Züge sekundär oder gar irrelevant sind, die der Dichtkunst traditionell zugeschrieben werden: durch Expressivität emotionale Energien zu entbinden, durch Rhythmus und Klang magische Sprachwirkungen hervorzurufen und durch Bildlichkeit die Phantasie anzuregen. Nach dem Exordium von über 25 Versen ist die Keith-Epistel nun endlich bei ihrem eigentlichen Thema angelangt, und Friedrich schwenkt von den Schlachtenlenkern über zu den Weisen („sages“) und derer Deutung des Todes über: Le sage de sang-froid doit regarder la mort: Des maux désespérés son secours nous délivre,

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Il n’est plus de tourments, dès qu’on cesse de vivre; qui connaît le trépas ne le fuit ni le craint. (Der Weise wird den Tod mit kaltem Blut betrachten: Seine Hilfe wird uns von unheilbaren Übeln befreien, Es gibt keine Qualen mehr, sobald man aufhört zu leben, Wer das Verscheiden kennt, wird es weder fliehen noch fürchten.) Entfernt vergleichbare Töne einer Todessehnsucht kennen wir aus Gesangbuch und erbaulichen Texten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere aus dem Umkreis des deutschen Pietismus. Doch handelt es sich bei Friedrichs Versen um etwas davon grundlegend Unterschiedenes, um den Kern der materialistischen Todeslehre von Epikur, wie sie Lukrez vermittelt hat: Ne voyons dans la mort qu‘un tranquille sommeil À l’abri des malheurs, sans songe, sans réveil. (Sehen wir im Tod nur einen ruhigen Schlaf, Geschützt gegen alle Übel, ohne Traum, ohne Erwachen.) Auch für Friedrich ist der Tod nicht mehr das „erschreckende Skelett“ („ce squelette effrayant“), dessen alles zerreißende Gier die blutige Hülle der Menschen verschlingt. Durch Überlieferungen aus dem alten Ägypten und unserer Väter, also der christlichen Tradition, sei diese Einsicht der Philosophen verdrängt worden. Ein „frivoler Haufen von pompösen Chimären“ habe Furcht vor dem Tode und dem Jenseits erzeugt: „Furcht und List haben diese Irrtümer geschaffen“ („la crainte et l‘artifice ont produit ces erreurs“). Am Ursprung religiöser Wahngebilde („mensonges consacrés“) steht der Priestertrug und die von diesem geschürte Furcht der Menschen – ein Motiv aufgeklärter Religionskritik, das Friedrich mit Voltaire und den radikal christentumskritischen französischen Materialisten teilt. Die germanistischen Forschungen zum Wandel der Todesauffassung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts haben immer wieder auf die epochemachende Rolle von Gotthold Ephraims Lessings kleiner Schrift Wie die Alten den Tod gebildet (Berlin 1769) hingewiesen, in der der Tod, wie er auf antiken Grabdenkmälern und Skulpturen dargestellt wird, als Bruder des Schlafes bezeichnet wird.12 Auf Friedrichs Verse und dessen 12 Reinhart Meyer-Kalkus, Die Rückkehr des grausamen Todes – Sterbesze-

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Auseinandersetzung mit Lukrez‘ Gedicht (III, 919-935) ist man dabei nicht eingegangen. Dabei wären sie geeignet gewesen, unseren Blick für die intellektuellen Spannungen der deutschen Aufklärung zu schärfen. Friedrichs Aussagen entstehen nicht in einem privatmenschlich-empfindsamen Kontext wie bei Lessing und Klopstock, sondern vielmehr in einem, diesen ganz fremden freigeistig materialistischen Milieu, und sie artikulieren sich in einer klassizistisch-heroischen Stilhaltung. Die europäische Aufklärung ist kein monolithischer Block. Auch wenn sie gleiche Themen wie den Tod als des Schlafes Bruder diskutiert, kennt sie heftig dissonierende Stimmen. Bei Lessing schwingt in der Idee des Schlafes die Gewissheit des Aufwachens und Auferstehens mit, bei dem Materialisten Friedrich dagegen die Hoffnung auf einen Übergang in die Nichtexistenz (weshalb der Tod auch streng genommen kein Schlaf ist). Lukrez hatte gegenüber der Jenseitsfurcht, welche von Religionen, Mythologien und der menschlichen Unwissenheit hervorgerufen wird, die gelassene Haltung dessen empfohlen, der die Endlichkeit des menschlichen Lebens eingesehen hat und weiß, dass es nach dem Tode keine persönliche Existenz mehr geben wird. Friedrich schließt an diese Botschaft an und untermauert sie mit einem Kapitel scharf gewürzter Christentums-Kritik. Geradezu genüsslich seziert er den Widersinn eines Gottesbildes, wonach der Schöpfergott einerseits voller Güte und Gnade gegenüber seinem Geschöpf sein soll, andererseits aber ein grausamer Rächer jeder menschlichen Schwäche auch über das Leben hinaus.13 Aus Furcht vor den strafenden Göttern seien die Menschen zu den schlimmsten Verbrechen in der Lage. Bereits Lukrez hatte gezeigt, dass sich im Zentrum vieler Religionen fast stets das Opfer des Sohns durch den Vater findet, wobei er an die Geschichte von Abraham und Isaak und ähnliche Überlieferungen aus dem Nahen Osten dachte, zu denen wenige Jahre nach seinem Tod auch der Kreuzestod von Jesus hinzutreten sollte.14 Eindringlich beschreibt Lukrez das Opfer der Iphigenie durch ihren Vater Agamemnon und prägt in diesem Kontext die Formel: „Tantum religio potuit suadere malorum“ („Zu soviel Unheil nen im deutschen Drama des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte 2/1998, 97-114. 13 Œuvres (wie Anm. 2), Bd. 10, 196. 14 Stephen Greenblatt, The Swerve. How the World became Modern, New York/London 2011, 194.

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vermochte die Religion zu raten“).15 Friedrich und Voltaire werden sich bei ihrem Kampf gegen „l‘infâme“, gegen religiös begründeten Fanatismus und Menschenverfolgung, immer wieder auf diesen Vers wie ein Motto berufen.16 Nicht zufällig konzentriert sich Friedrich in seiner Religions-Kritik vor allem auf die Sohnes-Opferung durch einen allmächtigen Vater: Un père dont le cœur est tendre à ses enfants Serait-il parmi nous assez dur et bizarre Pour accabler son fils d’un châtiment barbare, Si ce malheureux fruit de sa fécondité Le choquait, en naissant, par sa difformité? Un fils dénaturé peut irriter son père Et se voir écrasé du poids de sa colère: Mais nous, contre les dieux que peut notre fureur? Rien ne peut altérer leur éternel bonheur. (Ein Vater, dessen Herz zärtlich gegenüber seinen Kindern ist, Könnte er unter uns so hart und bizarr sein, Seinen Sohn mit einer barbarischen Strafe zu vernichten, Wenn diese traurige Frucht seiner Lenden Ihn schon von Geburt an durch seine Ungestalt empört? Ein unnatürlicher Sohn kann seinen Vater verletzen Und sich dann unter der Wucht von dessen Wut erdrückt sehen: Aber was kann unsere Wut gegenüber den Göttern? Nichts kann deren ewige Glückseligkeit stören.) Friedrich hat hier zunächst den Kreuzestod der christlichen Überlieferung im Blick, dessen Erinnerung die westliche Welt seit der Spätantike dominierte: der Sohn, der von seinem Vater für das Heil der Menschen hingegeben wird. Doch mag auch die persönliche Erfahrung einer väterlichen Wut mitschwingen, wie er sie selber bei seinem Hochverratsprozess 1730 in Küstrin erfahren hatte. Hatte er sich nicht selber Beschimpfungen als „fils dénaturé“ oder gar „fils efféminé“ anhören müssen?17 Das Motiv des Sohnesmordes durch den leiblichen Vater 15 Lukrez, De rerum natura, I, 102. 16 Voltaires Brief an Friedrich vom Feb. 1737, in: Voltaire – Friedrich der Große (wie Anm. 5), 38. 17 Der Krieg sei geeignet, „tout ce qui est efféminé“ an ihm auszurotten,

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(Filizid) wird bei Autoren des Sturm und Drang und selbst noch bei Heinrich von Kleist18 eine prominente Rolle spielen. Friedrich alludiert dieses Thema nur. Als ob er zu weit gegangen wäre und in Gefahr stünde, sich auf dem unsicheren Terrain persönlichster Erfahrungen zu verlieren, bricht er den Gedankengang abrupt ab, um in den letzten beiden Versen den Blick von den grausamen Vätern auf die epikureischen Götter in ihrem „éternel bonheur“ zu richten, die von unserer Wut gar nicht erreicht werden können. In diesem scharfen Perspektivenwechsel und der Scheu davor, den persönlichen Obsessionen und Traumata literarisch so nachzugehen, wie dies Autoren seit dem Sturm und Drang vormachen, mag man eine Grenze von Friedrichs Schriftstellertum erblicken. Doch strebte er eben keine radikal individuierte Ausdruckshaltung in seinen Dichtungen an. Er wollte – entsprechend dem rhetorischen Wirkungszweck der klassizistischen Poetik – mit Versen gefallen und belehren (delectare et prodesse), also in ansprechend gefälliger Form das Wissen der modernen Philosophie vermitteln. Dazu gehörte aber, dass das Decorum einer gegenüber sich selber distanzierten Haltung weder inhaltlich noch stilistisch durchbrochen werden durfte. Um die These vom Tod als einem vollständigen Erlöschen der Existenz zu erhärten, schlägt Friedrich in seinem Gedicht ein weiteres Kapitel der epikureischen Dogmatik auf und begründet in wortreichen Versen die radikale Endlichkeit des menschlichen Geistes. Er beruft sich dabei nicht nur auf das 3. Buch von Lukrez‘ Gedicht, sondern fordert Marschall Keith dazu auf, auch John Locke zu folgen: „Kommen Sie, folgen wir ihrem Weg und zeigen den Menschen/Ihre Natur und ihr Sein auf und welches ihr Schicksal ist“ („Venez, suivons leurs pas, et montrons aux humains/Leur nature, leur être, et quels sont leurs destins“). Von Locke hat Friedrich die Methode gelernt, nach den Ursprüngen der menschlichen Geistestätigkeit und ihrer Verbindung mit den schreibt der Kronprinz einige Jahre später in einem Brief an Grumbkow (31. März 1733), in: Œuvres (wie Anm. 2), Bd. 16, 93. Ich verdanke diesen Hinweis der Suchfunktion der digitalen Ausgabe der Werke von Friedrich II. der Universitätsbibliothek Trier (Dr. Hans-Ulrich Seifert). 18 Der Protagonist von Kleists Erzählung Das Erdbeben in Chili Jeronimo Rugera wird offenbar vom eigenen Vater erschlagen. Bevor dieser ihn mit der Keule niederstreckt, ertönt eine Stimme aus dem rasenden Haufen: „Dies ist Jeronimo Rugera, ihr Bürger, denn ich bin sein eigner Vater!“ In variierter Form taucht dieses Motiv in Prinz Friedrich von Homburg auf.

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Sinneserfahrungen zu fragen. Dementsprechend führt er aus, dass der menschliche Geist mit den Sinnen geboren wird, sich mit diesen entwickelt und verändert. Schließlich stirbt er mit dem Körper und den Sinnesvermögen, sein Schicksal ist dasselbe wie ihres („Il périt avec nous, son destin est le même“). Gleiches gelte für die Seele, die gewöhnlich wie ein unsterbliches Wesen betrachtet werde. Friedrich nimmt mit voltairianischem Spott die Vorstellung aufs Korn, dieses göttliche Wesen lauere auf die venerischen Lüste des Beischlafs, um im rechten Augenblick in den Fötus einzudringen, sich neun Monate im Bauch der Mutter einzuschließen („in einem dunklen Loch freiwilliger Gefangenschaft“). Solche Vorstellungen schmeichelten unserem Stolz, doch sei dieses scheinbar unsterbliche Atom ohne solide Materie und ohne alle Sinnesvermögen in Wirklichkeit „nur ein pompöser Name, nur ein ideales Phantom“. Nichts sei gewisser, als dass die Seele mit unserem Tod ausgelöscht wird, wie eine Flamme, die nur solange leuchtet, wie sie sich von Holz ernähren kann. Deshalb müssten auch die Vorstellungen vom Tod des Menschen korrigiert werden. Denn ebenso wenig wie ich in der Ewigkeit, die meiner Geburt vorausgegangen ist, traurig gewesen bin, ebenso wenig werde ich traurig sein, wenn ich einmal tot bin. Vielmehr sei der Tod das Ende aller unser Leiden und Übel. Friedrich zieht daraus u. a. eine überraschende lebenspraktische Schlussfolgerung, die er in einer Rollenrede der Natur selber in den Mund legt: die Warnung vor dem Wunsch, um jeden Preis die eigenen Lebenstage verlängert zu sehen. Was für körperliche und seelische Übel stünden uns nicht bevor, wenn wir uns selber überlebten, wenn wir die Augen nicht nur der Eltern sondern auch von guten Freunden schließen müssten, um am Ende in ganzer Hinfälligkeit übrig zu bleiben, jeden Tag mehr an Gedankenkraft und Sinnesschärfe verlierend? Wiederum werden dem Widmungsadressaten Keith Beispiele von berühmten Feldherren wie Prinz Eugen, Herzog von Marlborough und des Prinzen von Condé vor Augen geführt, um das Elend jener Großen zu veranschaulichen, die ein leidvolles Alter erleben mussten. Von den Höhen epikureischer Seelen- und Todeslehre lenkt das Gedicht damit wieder zurück zum Ethos der Todes- und Lebens-Verachtung, das in den aristokratischen Kreisen der kriegfüh-

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renden Offiziersklasse in Europa gepflegt wurde und das Friedrich bei Marschall Keith voraussetzen durfte.19 Doch belässt es Friedrich nicht bei solchem Lob der soldatischen Sterbensbereitschaft in jedem Augenblick des Lebens, sondern fügt noch ein anderes Moment hinzu, das dem epikureischen Todesbewusstsein kongenialer ist: die Mahnung, im Bewusstsein der Endlichkeit des eigenen Lebens diese Welt bewusst und lustvoll als ein „wunderbares Schauspiel“ immer wieder neu entstehenden Lebens zu erfahren: J’ai vu de l’univers le merveilleux spectacle, J’ai joui de la vie et de ses agréments, Et je rends de bon gré mon corps aux éléments. (Ich habe das wunderbare Schauspiel des Universums gesehen, Ich habe das Leben und seine süßen Reize genossen, Und ich gebe ohne Gram meinen Körper den Elementen zurück.) Und weiter: Qu’est-ce que nos destins? L’homme naît pour souffrir, Il élève, il détruit, il aime, il voit mourir, Il pleure, il se console, il meurt enfin lui-même: Voilà, pauvres humains, votre bonheur suprême. Nous ne quittons ici qu’un séjour passager, Nous vivons dans le monde ainsi qu‘un étranger Qui jouit en chemin d’un riant paysage, Et ne s’arrête point aux gîtes du voyage. Cher Keith, suivons les pas de nos prédécesseurs, Faisons à notre tour place à nos successeurs; Tout le monde a les siens, et nous aurons les nôtres, Ceux qui nous pleureront seront pleurés par d’autres. (Was ist unser Schicksal? Der Mensch wird geboren, um zu leiden, Er zieht auf, zerstört, liebt und sieht andere sterben, Er weint, tröstet sich und stirbt am Ende selbst. 19 „Sind wir schon deshalb traurig, wenn die untreue Parze für uns nicht die Tage eines Fontenelle spinnt?“ («Sommes- nous malheureux, si la Parque infidèle/Ne fila pas pour nous les jours de Fontenelle?»); Bernard le Bovier de Fontenelle (1657-1757) war bereits mehr als 93 Jahre alt, als Friedrich seine Keith-Epistel dichtete.

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Wir verlassen hier nur einen Aufenthalt auf Zeit, Wir leben in dieser Welt wie ein Fremder, Der sich unterwegs einer lachenden Landschaft erfreut Und sich nicht länger auf den Rastplätzen seiner Reise verweilt. Lieber Keith, folgen wir den Schritten unserer Vorgänger, Und machen wir unsererseits Platz für unsere Nachfolger; Jeder hat seine Nachfolger, und wir werden die unsrigen haben, Diejenigen, die uns beweinen, werden wiederum von anderen beweint werden.) Dass der Mensch in dieser Welt letztlich zufälliger Ereignisse und immer wieder neu entstehenden Lebens ein Fremder ist, war schon die Überzeugung von Lukrez. Er hatte daraus aber keine allgemeine Weltverachtung (contemptus mundi) wie einige stoische Philosophen gezogen, sondern ganz im Gegenteil auf den Genuss dessen gesetzt, was die Welt dem Menschen auf seiner begrenzten Lebensreise zu bieten vermag. Friedrich respektiert nur das Decorum, wenn er diese lustvollen Aspekte des Lebensgenusses gegenüber einem verehrten und im Alter bereits fortgeschrittenen Feldherrn wie dem Marschall Keith nicht weiter ausmalt. Dafür hatte er andere Adressaten seiner Episteln, wie den Marquis d‘Argens, dem gegenüber er seine epikureischen Lebensgenüsse in leuchtenden Farben zu schildern wusste.20 Die Keith-Epistel schließt mit jener bereits eingangs erwähnten Gegenüberstellung der „feigen Christen“, die von ihrem bequemen Jenseitsglauben nicht ablassen wollen, und den illusionslosen Philosophen wie Friedrich und Keith, die das Gute um des Guten willen tun: Allez, lâches chrétiens, que les feux éternels Empêchent d’assouvir vos désirs criminels, Vos austères vertus n’en ont que l’apparence. Mais nous, qui renonçons à toutes récompense, Nous, qui ne croyons point vos éternels tourments, L’intérêt n’a jamais souillé nos sentiments; Le bien du genre humain, la vertu nous anime, 20 Reinhart Meyer-Kalkus, Die Gärten Epikurs in Sanssouci – Französische Epikureer und Materialisten am Hofe von Friedrich II. von Preußen, in: François Beilecke und Katja Marmetschke (Hg.), Der Intellektuelle und der Mandarin. Festschrift für Hans Manfred Bock, Kassel 2005, 675-724, bes. 699 ff.

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reInhart Meyer-KalKus L’amour seul du devoir nous a fait fuir le crime; Oui, finissons sans trouble et mourons sans regrets, En laissant l’univers comblé de nos bienfaits. (Geht, ihr feigen Christen, die nur die ewigen Feuer Daran hindern, Eure kriminelle Begierden auszuleben. Eure strengen Tugenden sind nichts als Schein, Aber wir, die wir auf jeden Lohn verzichten, Die nicht an die ewigen Qualen glauben, Deren Empfindungen nicht von Eigennutz beschmutzt werden, Die Liebe zur Pflicht allein lässt uns das Verbrechen fliehen; Ja, kommen wir zum Ende ohne Unruhe und sterben wir ohne Bedauern, Und lassen wir die Welt von unseren Wohltaten überhäuft zurück.)

Friedrich schließt diese rhetorisch wirkungsvolle Aufforderung (adhortatio) mit einem geradezu stimmungsvollen Vergleich, der einen Ausblick auf eine mögliche Versöhnung von Mensch und Natur gewährt, indem er das menschliche Vergehen mit der sinkenden Sonne vergleicht, welche mit ihren letzten Strahlen Seufzer in das Universum sendet: Ainsi l’astre du jour, au bout de sa carrière, Répand sur l’horizon une douce lumière, Et les derniers rayons qu’il darde dans les airs Sont ses derniers soupirs, qu’il donne à l‘univers. (So wie der Tagesstern, am Ende seiner Laufbahn, Über den Horizont ein mildes Licht verbreitet, Und so wie die letzten Strahlen, die er in die Lüfte wirft, Letzte Seufzer sind, die er dem Universum gibt.) Auf eben diese Verse sollte sich Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft (1. Aufl. 1790) berufen, als er nach einem literarischen Beispiel Ausschau hielt, um den Begriff der „ästhetischen Idee“ zu veranschaulichen, welche das Gemüt mit Vorstellungen belebt, „die mehr denken lassen, als man in einem durch Worte bestimmten Begriff ausdrücken kann“:

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Wenn der Große König sich in einem seiner Gedichte so ausdrückt: ‚Laßt uns aus dem Leben ohne Murren weichen und ohne etwas zu bedauern, indem wir die Welt noch alsdann mit Wohltaten überhäuft zurücklassen. So verbreitet die Sonne, nachdem sie ihren Tageslauf vollendet hat, noch ein mildes Licht am Himmel; und die letzten Strahlen, die sie in die Lüfte schickt, sind ihre letzten Seufzer für das Wohl der Welt‘: so belebt er seine Vernunftidee, von weltbürgerlicher Gesinnung noch am Ende des Lebens, durch ein Attribut, welches die Einbildungskraft (in der Erinnerung an alle Annehmlichkeiten eines vollbrachten schönen Sommertages, die uns ein heiterer Abend ins Gemüt ruft) jener Vorstellung beigesellt, und welches eine Menge von Empfindungen und Nebenvorstellungen rege macht, für die sich kein Ausdruck findet.21 Dieser Text erschien wenige Jahre nach Friedrichs II. Tod. Offenbar hat Kant die Prosa-Übersetzung der Verse selber angefertigt. Er nimmt sich dabei die Freiheit, die Gedanken des „Großen Königs“ zu interpolieren: Einerseits macht er aus den „derniers soupirs“ der Sonne, die diese ins Universum sendet, „ihre letzten Seufzer für das Wohl der Welt“, um Friedrichs „Vernunftidee, von weltbürgerlicher Gesinnung“ zu unterstreichen – dieser König war bis zuletzt um das allgemeine Wohl besorgt; andererseits suggeriert Kants Kommentar, es handele sich um die vermächtnishaft letzten Worte des alten Königs an der Schwelle des eigenes Todes (die „ultima vox“), obgleich es sich doch in Wirklichkeit um die Verse eines Vierzigjährigen handelt. So macht Kant aus dem Zitat eine kleine Hommage für einen König, dem er zugutehielt, dass er viele „Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit“ aus dem Weg geräumt habe, weshalb er auch sagen konnte, dass dieses Zeitalter „in diesem Betracht, ... das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert Friedrichs“ sei.22 An dem Umstand, dass Friedrichs Verse auf den verfemten Lukrez Bezug nehmen und an Ort und Stelle eine geharnischte Christentums-Kritik entwickeln, konnte oder wollte Kant keinen Anstoß nehmen. 21 Immanuel Kant, Kritik der Urteilkraft (§ 416, A 194), in: I. Kant, Werke in zehn Bänden, hg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. 8, Darmstadt 1968, 416. 22 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (5. Dez. 1783), ebd., Bd. 9, 59 (A 491).

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II. Friedrich hatte mit dem Zusatz zum Titel seiner Keith-Epistel „Imitation du troisième livre de Lucrèce“ in der Gedichtausgabe von 1760 eine Finte gewählt, um die Öffentlichkeit von dem anstößigen Credo zugunsten von Epikur und Lukrez abzulenken. Eine der nobelsten Figuren der deutschen Aufklärung, Moses Mendelssohn hat sich auf diese Finte geradezu dankbar eingelassen. Seine Rezension von Friedrichs Poésies diverses erschien am 24. April 1760, also wohl nur wenige Tage nach Erscheinen des Buchs, in den von ihm selber, von Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Nicolai herausgegebenen Briefen die neueste Literatur betreffend (98. und 99. Brief). Offenbar lag ihm neben den Poésies diverses auch einer der Raubdrucke des Gedichts vor, so dass er den Unterschied der beiden Editionen thematisieren konnte. Der Raubdruck zeige die Keith-Epistel und ihren Verfasser in einem falschen Licht, so führt Mendelssohn aus, weil er verschweige, dass es sich um eine Nachahmung des Lukrez handelt. Es könne sich dabei aber unmöglich um die eigenen Gedanken des Königs handeln. Mendelssohn charakterisiert Friedrich in philosophischer Hinsicht als einen Skeptiker, ja als einen „Nachahmer des Sokrates“, der „alle blos speculativen Wahrheiten in Zweifel“ zieht und unsere Wissenschaft hiernieden blos auf die moralische Erkenntnisse einschränkt […]. Diese socratische Bescheidenheit im Denken, ist durchgehends der Charakter unseres philosophischen Dichters. Und blos hier sollte er sich auf einmal vergessen haben? Hier in der subtilsten Speculation, mit der sich die Weltweisen je abgegeben, sollte er den Ton eines Dogmatikers annehmen? Und welches Dogmatikers? Des Epicurs, der, so leidlich er auch in der Moral philosophiert, dennoch in der Metaphysik der seichteste und suffisanteste, unter allen Dogmatikern genennt werden kann. Der seichteste, weil gewiß wenig Nachdenken dazu gehöret, sein System zu widerlegen; und der suffisanteste, denn kein Dogmatiker hat so viel auf sein Urtheil gesetzt, als Er.23

23 Moses Mendelssohn, 99. Brief (24. April 1760), in: Briefe die neueste Literatur betreffend, 266.

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Solche Gegenüberstellungen von Sokrates und Epikur hatten um 1760 bereits eine lange Tradition, ebenso wie die Abkanzelung des Epikur als Vertreter eines nicht nur philosophisch problematischen sondern auch moralisch suspekten Systems.24 Entsprechende Diskussionen waren auch in der Académie Royale des Sciences et Belles Lettres in Berlin geführt worden: Während französische Philosophen aus dem Umkreis von Friedrich wie Maupertius, der Marquis d‘Argens und La Mettrie Epikurs Lehre von der Glückseligkeit in Schutz nahmen oder gar offen propagierten, attackierten sie andere Mitglieder der Akademie, wie etwa der Schweizer Philosoph und Ästhetik-Theoretiker Johann Georg Sulzer.25 Mendelssohn reiht sich in die Phalanx der Epikur-Kritiker ein, wenn er die Leugnung der Unsterblichkeit der Seele als philosophisch unhaltbar bezeichnet. In „den Zeiten des Lucrez“ hätte man entsprechende Begründungen aufgrund „des damaligen Zustandes der Religion und Philosophie“ wohl noch akzeptieren können. „Doch zu unsern Zeiten“ würden sie „in der Philosophie eine so schlechte Figur machen, daß sie kaum beantwortet zu werden verdienen […]“. Kann man wohl z.B. zu unsern Zeiten noch sagen, daß der Begriff eines zukünftigen Lebens uns den Tod schrecklich mache? Daß man also, um den Tod nicht zu fürchten, dieses Vorurteil ablegen müsse? Oder macht sich der vernünftigste Theil nicht von der Zukunft vielmehr die tröstlichsten Vorstellungen, die ihnen den Tod so gar erwünschenswürdig machen? Wer jetzo sur les vaines terreurs de la Mort schreiben will, der muß die Unsterblichkeit der Seele vielmehr behaupten.26 Das ist nun freilich das Gegenteil dessen, was Friedrichs Gedicht ausführt. Mendelssohn meint denn auch, dass die Trugschlüsse eines Epikurs […] für die Seele eines Marcus Aurelius viel zu seichte (seien) … Mit einem Worte, mich dünkt, ein Frie24 Zur Epikur-Rezeption in der europäischen Aufklärung Michael Erler, Epikur, in: [Ueberwegs] Grundriß der Geschichte der Philosophie, völlig neubearbeitet Ausgabe: Die Philosophie der Antike, Bd. 4: Die hellenistische Philosophie, hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1994, 193 ff. 25 Reinhart Meyer-Kalkus, Epikureische Aufklärung in Deutschland – Johann Georg Sulzers Gespräch mit Friedrich II. von Preußen am 31.12.1777, in: Hyperboreus, Bd. 9, Sankt Petersburg 2003, 191-207. 26 Mendelssohn, 99. Brief (wie Anm. 21), 266 f.

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reInhart Meyer-KalKus drich, der an der Unsterblichkeit zweifelte, ist, mit dem Herrn von Prämontval zu reden, eine blosse Chimäre, ein viereckigter Zirkel, oder ein rundes Viereck!27

Mendelssohn verteidigt den König gegenüber jedem EpikureismusVorwurf nicht aus taktischen Erwägungen, sondern aus philosophischer Überzeugung. Er selber steht in der Tradition der Leibniz-Wolffischen Philosophie, für die am Dogma der Unsterblichkeit der individuellen Seele nicht zu rütteln war. Die Menschen hätten aufgrund der Einrichtung dieser Welt durch einen weisen Schöpfungsplan vielmehr die besten philosophischen Gründe, von der Unsterblichkeit der Seele überzeugt zu sein. Mendelssohn hat diese Meinung wenige Jahre später mit einer ausführlichen Platon-Interpretation zu untermauern versucht (Phaidon oder über die Unsterblichkeit der Seele, 1767). Er stand mit diesem Credo auch keineswegs allein, sondern vertrat in dieser Hinsicht wohl nur die Mehrheit dessen, was er den „vernünftigsten Theil“ des Publikums nennt, also jenen Teil der gebildeten Öffentlichkeit, die das aufgeklärte Denken mit den Dogmen der Offenbarungswahrheiten von Christentum und Judentum für vereinbar hielt – in Abgrenzung gegenüber dem perrhoreszierten französischen Materialismus. Mendelssohn weiß im Übrigen, wie delikat es ist, wenn ein Untertan – wie er selber – sich zu den geistigen Erzeugnissen seines Landesvaters äußert, und es ehrt seine Lauterkeit, wenn er gleich eingangs bemerkt: Der Ton eines Panegyristen, hat in dem Munde eines Unterthanen einen schlechten Anstand. Er mag sich noch so sehr in den Schranken der Wahrheit halten: so muß er dennoch in sich selbst einiges Mißtrauen setzen: er muß bedenken, daß sein Herz vielleicht schon Parthey ergriffen, ehe noch der Verstand geurtheilet.28 Mit dem Nachweis, dass es sich bei der Keith-Epistel letztlich um eine Nachahmung von Lukrez handelt und der König mit geliehener Stimme spricht, gelingt ihm das Kunststück, die Poésies diverses als Buch zu loben und zugleich den möglichen Vorwurf des Epikureismus abzuweisen. 27 Ebd., 270 f. 28 Ebd., 260.

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Diese Ehrenrettung des Königs hinterlässt heute einen schalen Nachgeschmack. Denn einmal mehr treten hier die dogmatischen Verengungen der deutschen Aufklärung durch ihren metaphysischen Optimismus hervor. War Friedrichs Lukrez-Rezeption vielleicht am Ende doch zukunftsweisender als die dogmatischen Gewissheiten eines Mendelssohn und Sulzer? Müssen wir dem König nicht letztlich eine größere Sensibilität gegenüber den Veränderungen unseres Weltbilds durch moderne Wissenschaften bescheinigen als jenen deutschen Aufklärern, die ihr Denken noch mit den Dogmen der Offenbarungsreligionen versöhnen wollten? Der amerikanische Shakespeare-Forscher Stephen Greenblatt hat kürzlich ein Buch über die Entdeckung der vermutlich einzigen Handschrift des großen Gedichts von Lukrez publiziert.29 Der italienische Humanist und Manuskript-Jäger Poggio Bracciolini hatte eine Abschrift in einem deutschen Kloster im Jahre 1417 aufgetrieben und mit der Veröffentlichung eine erstaunliche Rezeptionsgeschichte ausgelöst. Denn so lautstark die dort überlieferten epikureischen Lehren auch offiziell verfemt wurden, so wurden sie doch von zahllosen Philosophen und Künstlern – von Montaigne über Hobbes bis hin zu den französischen Enzyklopädisten – geradezu leidenschaftlich angeeignet, häufig so, dass man ihre Herkunft nicht mehr erkennen konnte. Ein Philosoph und Theologe wie der Franzose Pierre Gassendi (1592-1655) sollte sogar versuchen, die Vereinbarkeit des epikureischen Systems mit wesentlichen Aussagen der christlichen Offenbarungswahrheit aufzuzeigen, was der hellsichtige Friedrich II. freilich als „hinkendes System“ bezeichnete.30 Greenblatt hat auf die eigentümliche Modernität des über zwei Jahrtausende alten Gedichts von Lukrez hingewiesen. Es entwerfe die Grundzüge dessen, was wir heute ganz selbstverständlich zu einer, auf dem naturwissenschaftlichen Wissensfortschritt beruhenden Weltsicht zählten.31 Gerade weil es das philosophische Wissen als Heilmittel ge29 Stephen Greenblatt, The Swerve. (wie Anm. 14). 30 Brief an den Marquis d‘Argens vom 2. Juli 1761, in: Œuvres (wie Anm. 2), Bd.19, 268 f. 31 Wie Greenblatt schreibt (The Swerve, wie Anm. 14, 6): „There is no master plan, no divine architect, no intelligent design. All things, including the species to which you belong, have evolved over vast stretches of time […] Lukrez offered a feeling of liberation and the power to stare down what

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genüber religiösen Mythologien und Fanatismen preist, sei es Jahrhunderte hindurch tot geschwiegen worden. Säkular denkende Intellektuelle der Gegenwart, die skeptisch gegenüber dem Kult der Götter wie auch gegenüber dem Kult des Staates sind (was nun freilich Friedrichs Sache nicht war), könnten sich davon immer noch angesprochen fühlen. Überraschend sei Lukrez‘ Sinn für das Wunderbare und die Schönheiten des Lebens: Wir seien aus derselben Materie wie Natur und Sterne, und könnten doch unser eigenes Leben führen – trotz dessen Endlichkeit.

III. Friedrich II. hat wiederholt bekannt, dass ihm Lukrez‘ Gedicht nicht nur eine Quelle philosophischer Reflexionen war, sondern auch eine solche des Trosts. „Wenn ich betrübt bin, lese ich das dritte Buch des Lukrez, und das erleichtert mich. Das ist ein Palliatif; für die Krankheiten der Seele gibt es kein anderes Heilmittel“, hat er einmal an d‘Alembert geschrieben (26. Okt. 1776).32 Geradezu nostalgisch hat er in seinen Briefen aus den Feldlagern des Siebenjährigen Krieges immer wieder die Verse vom Anfang des 2. Buchs von Lukrez‘ Gedicht (II, 1 ff.) zitiert – in Variation einer Übersetzung von Voltaire: Heureux qui, retiré dans le temple du sage, Voit tranquille à ses pieds la tempête et l’orage. (Glücklich derjenige, der zurückgezogen im Tempel des Weisen Ruhig zu seinen Füßen Sturm und Unwetter zuschaut.)33

had once seemed so menacing. What human beings can and should do, he wrote, is to conquer their fears, accept the fact that they themselves and all the things they encounter are transitory, and embrace the beauty and the pleasure of the world.” 32 Œuvres (wie Anm. 2), Bd. 25, 62; vgl. ebd., Bd. 10, 226, Bd. 19, 49, 75 u. 267. 33 Ebd., Bd.19, 272 (Brief an d‘Argens vom 9. Juli 1761); vgl. ebd., Bd. 11, 53; bei Voltaire heißt der 2. Vers: „Voit en paix sous ses pieds se former les orages“; vgl. ebd., Bd. 18, 128; Bd.19, 213.

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Sein Vorleser Henri de Catt hat aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges berichtet, wie intensiv sich Friedrich gerade in Phasen der Niedergeschlagenheit mit De rerum natura beschäftigt hat: Der König las alle Tage morgens und nachmittags seinen geliebten Lukrez; er sagte, das sei sein Brevier, wenn er traurig sei. Aber gegen seine Gewohnheit sprach er während der ersten vier Tage nicht von seiner Lektüre. Endlich, am letzten Tage, sagte er: ‚Sie sehen mich mit meinem Lukrez. Das beweist Ihnen, daß ich Kummer habe. Das Leben eines fahrenden Ritters zu führen, durch Länder zu eilen, auf Landstraßen entlangzulaufen, unaufhörlich sich neuen Feinden gegenüberzusehen und ihrer Menge wegen nichts zur Vollendung zu bringen – das alles ist nicht gerade erfreulich, mein Freund. Es sind nicht etwa diese Russen, die noch in Schußweite stehen, die mir Schwierigkeiten machen; ich werde wohl ein Mittel finden, sie von hier zu verjagen. Aber da sind andere Feinde, deren ich mich zu entledigen suchen muß. Ich habe keine Zeit zu verlieren, sondern ich muß ihnen entgegeneilen und sie daran hindern, meine Abwesenheit zu irgendwelchen Unternehmungen auszunutzen, wozu sie große Lust zu haben scheinen. Um mich ein wenig von meinen düsteren Gedanken abzulenken, lese ich meinen Freund Lukrez, und ich spreche wie er: ‚Mächtige Venus, die du den grausamen Gott des Krieges in deinen Armen hältst, der von deinen Reizen begeistert, sein furchtbares Haupt auf deinen Busen neigt, o rühre gnädig sein Herz, daß die Schrecken des Krieges endlich der Milde des Friedens weichen, den das preußische Volk ersehnt nach soviel Nöten; daß sein fahrender Ritter nach seinem Potsdam heimkehren und hier in den Armen der Philosophie einer Ruhe genießen kann, die er entbehrt seit ach, so langer Zeit; daß er seinen treuen Gefährten des Mißgeschicks sehen möge [den Marquis d‘Argens], wie er den Musen sich ergibt und mit einer liebenswürdigen Gattin aller Seligkeiten sich erfreut, deren die armen Sterblichen fähig sind.‘ Das ist meine neue Gebetsformel.34 Was de Catt hier Friedrich in den Mund legt, hatte dieser selber einmal in einem Brief an den Marquis d‘Argens vom 6. Sept.1758 for34 Friedrich der Große, Gespräche mit Henri de Catt, übers. u. hg. v. Willy Schüßler, München 1981, 245 f.

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muliert35, und de Catt wird es daraus übernommen haben. Geradezu ergreifend, wie Friedrich den Eingangshymnus auf Venus aus Lukrez‘ Gedicht als „Gebetsformel“ gebraucht – so als könne er mit seinem Venus-Gebet das Kriegsgeschick wenden. Lukrez hatte dem Lobpreis der ewig schöpferischen Macht der Venus die Bitte um Frieden und um Zähmung des „waffenmächtigen Mars“ (I, 32) hinzugefügt. Friedrich bittet dementsprechend um Frieden für „das preußische Volk“, und er schließt mit der Hoffnung, dass er selber nach Potsdam zurückkehren und das Leben eines Philosophen in epikureischer Seelenruhe genießen könne. Auch seinen Freund d‘Argens, den Adressaten des Briefs, möchte er dort wiedersehen.36 Während der Marquis d‘Argens aber alle Seligkeiten in den Armem seiner Gattin genießen wird, wird Friedrich der Solitär und Einsame bleiben, der seine Freuden nur im philosophischen Gespräch mit Freunden, in der Lektüre und in der Dichtkunst findet. Wie die Todesphilosophie des Kriegsführers, so steht auch die Gegenwelt des dichtenden Philosophen und Privatmannes in Sanssouci im Zeichen der epikureischen Philosophie, die ihm Lukrez‘ Gedicht vermittelt hatte.

35 Œuvres (wie Anm. 2), Bd. 19, 59 f. 36 Im Originalschreiben hatte Friedrich noch etwas hinzugesetzt, was de Catt unterdrückte: Hier wünschte Friedrich, „dass d‘Argens ruhig nach Berlin zurückkehren und dort zusammen mit mir, in den Armen der Philosophie, die Muße genießen könne, deren die Musen bedürfen, um noch einige Lorbeerblätter zu pflücken, die Apollon seinen Säuglingen gibt“; ebd., 60.

Platon- und Aristoteles-Rezeption bei Friedrich II. Anne Baillot Platon und Aristoteles werden bei Friedrich II. meist in Verbindung miteinander erwähnt. Nicht selten wird ihnen auch Sokrates beziehungsweise eine Aufzählung weiterer berühmter Griechen angereiht. So zum Beispiel im Discours sur l’utilité des sciences et des arts von 1772: Si les sciences et les arts n’étaient pas d’une nécessité indispensable aux sociétés, s’il n’y avait pas de l’utilité, de l’agrément et de la gloire à les cultiver, comment la Grèce aurait-elle jeté ce vif éclat dont elle éblouit encore nos yeux, dans ces temps mémorables où elle porta les Socrate, les Platon, les Aristote, les Alexandre, les Périclès, les Thucydide, les Euripide, les Xénophon? Les faits vulgaires s’effacent de la mémoire; mais les actions, les découvertes, les progrès des grands hommes font des impressions durables.1 Die hier angedeuteten „Taten“ sind eher Pragmatikern wie Alexander oder Perikles zuzurechnen. Damit blieben Platon und Aristoteles „Entdeckungen“ und „Fortschritte“ vorbehalten, deren Glanz und Dauerhaftigkeit so gut wie unauslöschlich seien. Aber wie versteht Friedrich die „bleibenden Eindrücke“, die sie bewirkt haben sollen? Obwohl er sich im Spannungsfeld der Querelle des anciens et des modernes bewegt, entwickelt er dabei eigene Interpretationen, die mit seiner einzigartigen Stellung in der literarischen Landschaft zu tun haben. Bemerkenswert ist zunächst, dass diese Interpretationen alles andere als eindeutig sind. Die formelhafte Knappheit, mit der Platon und Aristoteles erwähnt werden, suggeriert, dass sie vor allem als Chiffre fungieren und weniger als kulturelle oder intellektuelle Bezugspunkte: 1

Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. Johann David Erdmann Preuß, 30 Bde., Berlin 1846-1856, hier Bd. 9, 205. Interessant an dieser Stelle ist, dass beim Lesen der Eindruck entsteht, manche Namen seien eher aufgrund ihres Wohlklanges angeführt, sozusagen zum Zweck der Satzbalance.

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nämlich als Chiffre für Weltfremdheit2, für Nutzlosigkeit des abstrakten Denkens, für leere Worthüllen3, für Unverständlichkeit4. Doch parallel dazu findet sich ein positives Bild der griechischen philosophischen Dreieinigkeit (Sokrates, Platon, Aristoteles) in Friedrichs Werk. In einem Brief an von Suhm heißt es: Dans des temps peu éclairés, les Socrate, les Platon et les Aristote ont été les flambeaux qui éclairaient le monde.5 2

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Ein Vorwurf, der dem Antike-Studium allgemein gilt. So etwa im Antimachiavel: „On regarde avec des yeux d’indulgence ces portefaix de la république des lettres qui s’enterrent dans la docte poussière de l’Antiquité pour le progrès des sciences, qui, du fond de ces ténèbres, répandent pour ainsi dire leur lumière sur le genre humain, et qui vivent avec les morts et les auteurs de l’Antiquité qu’ils connaissent beaucoup, pour l’utilité des vivants et des gens de leur siècle qu’ils connaissent très peu.“ (Friedrich der Große – Potsdamer Ausgabe (im Folgenden: PA), hg. v. A. Baillot, G. Lottes, B. Wehinger, hier Bd. 6, Philosophische Schriften, hg. v. A. Baillot u. B. Wehinger, übers v. Brunhilde Wehinger, Berlin 2007, 138). Doch gilt die Kritik z. T. speziell Platon, wie in der Prüfung des Versuchs über die Vorurteile: „L’auteur se représente le monde à peu près tel que Platon avait imaginé sa république, susceptible de la vertu, du bonheur et de toutes les perfections. J’ose l’assurer qu’il n’en est pas ainsi dans le monde que j’habite“ (PA, Bd. 6, 340) sowie im Brief vom 16. April 1777 an die Kurfürstin Marie-Antonie von Sachsen: „Je ne vous fais pas, madame, le tableau de ce qui devrait être, mais de ce qui est, et dont l’expérience frappe journellement ceux qui font attention comme le monde va. Platon était un grand philosophe; il composa les lois de sa république dans le cabinet, sans consulter l’expérience, sans consulter le génie de l’esprit humain, ni de la possibilité des choses, et sa république n’est qu’un fantôme politique inexécutable. On peut l’appeler la chimère d’un homme vertueux“ (Œuvres de Frédéric le Grand, wie Anm. 1, Bd. 24, 123). Vgl. Epistel an Mylord Marischal: „Ne croyez pas, mylord, que j’emprunte le ton / De l’homme chimérique inventé par Platon: / Loin de vous étaler l’emphase scolastique, / C’est moi qui parle, instruit par ma dure pratique“ (ebd., Bd. 12, 110). Vgl. Brief an Voltaire vom 29. Sept. 1775: „Que des philosophes fondent le gouvernement le plus sage, il aura le même sort. Ces philosophes mêmes ont-ils toujours été à l’abri de l’erreur? N’en ont-ils pas débité aussi? Témoin les formes substantielles d’Aristote, le galimatias de Platon, les tourbillons de Des Cartes, les monades de Leibniz“ (ebd., Bd. 23, 399). Brief an von Suhm vom 26. Aug.1736 (ebd., Bd. 16, 308). In solchen Aussagen erklingt ein Echo an Fontenelle, der in der Digression sur les Anciens et les Modernes 1688 schreibt: „Nous avons l’obligation aux Anciens de

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In einem Brief an Voltaire von 1759 weitet sich das Lob in eine fantasmatische Rückprojektion Friedrichs aus. Die Affinität wird dabei zur Identifikation: Socrate ou Platon auraient pensé comme moi sur ce sujet, s’ils s’étaient trouvés placés dans le maudit point que j’occupe en ce monde.6 Damit ist klar, dass Platon und Aristoteles (als Vertreter einer Philosophie einerseits, als Intellektuelle andererseits) unterschiedliche Rollen spielen oder zumindest unter Friedrichs Feder stark variierende Paradigmen repräsentieren können. Zum besseren Verständnis dieser variablen Rezeption soll zunächst untersucht werden, welche Texte, welche Lehren dieser Philosophen Friedrich gekannt hat und in welcher Form. Hiermit ist man an die französische Platon- und Aristoteles-Rezeption des 18. Jahrhunderts verwiesen. Friedrich hatte nämlich zum Originaltext keinen Zugang; doch hatten die wenigsten einen solchen: Die meisten waren auf die Exegeten angewiesen. Und die Kenntnis der platonischen und aristotelischen Lehren unterlag ohnehin einer eingeschränkten Interpretationsrichtung. Aber der Leser Friedrich ist auch immer der Schriftsteller Friedrich. Er rezipiert nicht passiv, sondern verwendet das Rezipierte in seinen eigenen – privaten und weniger privaten – Schriften. So fungiert die französische Platon- und Aristoteles-Rezeption, mit der er sich befasste, als Baustein für sein literarisches Werk. Hier soll gezeigt werden, wie mehrere Rezeptionsebenen im Spiel sind und wie die konstruierten Referenzen von Friedrich produktiv eingesetzt werden.

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nous avoir épuisé la plus grande partie des idées fausses qu’on se pouvoit faire; il falloit absolument payer à l’erreur et à l’ignorance le tribut qu’ils ont payé“, in: Bernard le Bovier de Fontenelle, Œuvres complètes, Bd. 2, Paris 1991, 418. Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 1), Bd. 23, 59 (Brief vom 2. Juli 1759) sowie den Brief an Voltaire vom 9. Okt. 1757, ebd., 156: „Voltaire, dans son ermitage, / Dans un pays dont l’héritage / Est son antique bonne foi, / Peut s’adonner en paix à la vertu du sage, / Dont Platon nous marqua la loi. / Pour moi, menacé du naufrage, / Je dois, en affrontant l’orage, / Penser, vivre et mourir en roi.“ Die für Friedrichs Bestimmung zentrale Opposition Denken/Handeln ist hier präsent.

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Friedrichs Quellen Der 1914 von Bogdan Krieger herausgegebene Gesamtkatalog von Friedrichs Bibliotheken gibt darüber Auskunft, welche Bücher der König besaß, in welcher Bibliothek er sie aufbewahrte und wie viele Exemplare jeweils vorhanden waren. Griechische Philosophen oder Werke, die sich unmittelbar mit altgriechischen Philosophen befassen, sind dort verzeichnet: – Aristoteles, Rhetorik und Poetik in französischer Übersetzung;7 – Batteux’ Übersetzung von Epikurs Moral;8 – Platon in der Ausgabe von André Dacier (dreifach in den Ausgaben von 1700, 1701 und 1744);9 – Platons Gastmahl in französischer Übersetzung;10 – Platons Staat und Gesetze in französischer Übersetzung;11 – Platons Phädon, Auszüge aus dem Phädros und aus dem Gorgias in französischer Übersetzung;12 – Sextus Empiricus in französischer Übersetzung;13 – Timäus in der Übersetzung des Marquis d’Argens;14 – Xenophons Leben von Sokrates in mehreren französischen Übersetzungen.15 7 Bogdan Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, Berlin, Leipzig 1914, hier 147. 8 Ebd., 148. 9 Ebd., 150. Diese Edition enthält folgende Texte: Alkibiades I und II, Theages, Euthyphron, Apologie, Kriton, Phädon, Laches, Protagoras. Dabei handelt es sich nicht unmittelbar um die Werke, die heutzutage den Kern der Platon-Lektüre ausmachen: Theages und Euthyphron sind heute weniger bekannt. Darüber hinaus werden nicht all diese Texte heute als von Platons Hand stammend betrachtet (u. a. Alkibiades I). Die meisten sind Werke aus der frühen Phase Platons. Die starke Orientierung an eine christliche Interpretation dieses Werkes lässt sich den Untertiteln entnehmen, im Original nach der Ausgabe 1744: Le Premier Alcibiade ou De la Nature Humaine; Le Second Alcibiade ou De la Prière; L’Eutyphron ou de la Sainteté, etc. 10 Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 7), 150. 11 Ebd. 12 Ebd., 150. 13 Ebd., 150. 14 Ebd., 151. 15 Ebd., 151.

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Abgesehen davon, dass es sich dabei um eine relativ begrenzte Auswahl handelt, muss angemerkt werden, dass Friedrich eine eher selektive als extensive Lektüre derselben vorgenommen zu haben scheint. Er bezieht sich nämlich mit Vorliebe auf ausgesuchte Aspekte. Die Hinweise auf Platons Republik laufen meist darauf hin, was bereits im Antimachiavel zum Ausdruck kommt: Mais qui sont ces princes desquels nous prétendons tant de rares talents? Ce ne seront que des hommes, et il sera vrai de dire que, selon leur nature, il leur est impossible de satisfaire à tant de devoirs; on trouverait plutôt le phénix des poètes et les unités des métaphysiciens que l’homme de Platon.16 Der „Mensch Platons“ steht paradigmatisch für ein irrealistisches Menschenbild, ohne dass auf eine Analyse des betroffenen Textes näher eingegangen wird. Weiterhin lassen sich Spuren einer Phädon-Lektüre dem Briefwechsel mit Voltaire entnehmen. Dabei geht es aber um alles andere als um dessen philosophischen Inhalt: Thematisiert wird die dramatische Tragweite des Dialogs und eine mögliche Adaptation für die Bühne.17 In Sachen Aristoteles-Rezeption erscheint Friedrichs Lektüre etwas weniger kursorisch. Nicht, dass er sich mit Aspekten der aristotelischen Lehre befassen würde, die nicht allgemein bekannt wären. In De la littérature allemande wird Aristoteles’ Poetik als Kanon einer kraftvollen und anmutigen Sprache18 und unter Berücksichtigung ihrer bekanntesten Lehre als regulatives Organ des Theaters19 erwähnt. Über 16 Vgl. PA (wie Anm. 2), Bd. 6, 242-243 (Antimachiavel, Kap. 25). Dabei handelt es sich um einen Hinweis auf Platons Staat, 9, 592; s. auch PA, Bd. 6, eine ähnliche Passage: 108-109. 17 Vgl. Brief an Voltaire vom 18. Juli 1759: „On dit que vous mettez Socrate en tragédie; j’ai de la peine à le croire. Comment faire entrer des femmes dans la pièce? L’amour n’y peut être qu’un froid épisode; le sujet ne peut fournir qu’un bel acte cinquième, le Phédon de Platon une belle scène; et voilà tout“ (Œuvres de Frédéric le Grand, wie Anm. 1, Bd. 23, 64). 18 „Pour resserrer notre style, retranchons toute parenthèse inutile; pour acquérir de l’énergie, traduisons les auteurs anciens qui se sont exprimés avec le plus de force et de grâce. Prenons chez les Grecs Thucydide, Xénophon; n’oublions pas la Poétique d’Aristote; qu’on s’applique surtout à bien rendre la force de Démosthène” (ebd., Bd. 7, 119). 19 „Ces règles [du théâtre] ne sont point arbitraires; vous les trouvez dans la

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das Werk hinaus interessiert sich Friedrich für den Menschen. Als Lehrer des jungen Alexanders wird Aristoteles mehrfach zitiert. Im frühen Briefwechsel mit Voltaire zieht er sogar eine Parallele zwischen seiner und Alexanders’ philosophischer Betreuung.20 Noch in einem Brief an d’Alembert vom 28. Januar 1773 ist Friedrich bemüht, Aristoteles’ philosophischem Geist – trotz all seiner Dunkelheiten – würdig zu gedenken.21 In einem Brief an denselben vom 15. August 1778 kommen wir aber zum Kern seines Platon- und Aristoteles-Verständnisses. Da rühmt sich der roi-philosophe seiner Lektüre dieser Autoren. Diese sollen ihm in der Ausführung seines politischen Amtes zu Hilfe kommen. Genauer gesagt, das politische Amt ist es erst, das der Beschäftigung mit Platon und Aristoteles Sinn verleiht: Assurer leurs possessions à tous les citoyens, et les rendre heureux autant que le compromet la nature humaine, sont les devoirs de tous ceux qui se trouvent à la tête des sociétés, et je tâche de les remplir de mon mieux; sans cela, à quoi me servirait d’avoir lu Platon, Aristote, les lois de Lycurgue et celles de Solon? Pratiquer les bonnes leçons des philosophes, c’est la véritable philosophie […].22 Aber nicht nur auf die politische Pragmatik werden diese Denkstützen angewandt. Die Funktion Platons und Aristoteles’ als philosophischliterarische Hilfsmittel wird in De la littérature allemande noch stärker aufgegriffen. Dabei geht es nicht um die politische Konversion und AnPoétique d’Aristote, où l’unité de lieu, l’unité de temps et l’unité d’intérêt sont prescrites comme les seuls moyens de rendre les tragédies intéressantes“ (ebd., Bd. 7, 124-125). 20 Vgl. Brief von Friedrich an Voltaire vom 27. (20.) Sept. 1737: „Vos ouvrages seront conservés comme l’étaient ceux d’Aristote par Alexandre. Ils ne me quitteront jamais, et je compte de posséder en eux une bibliothèque entière. C’est le miel que vous avez tiré des plus belles fleurs, et qui n’a rien perdu en passant par vos mains“ sowie in dem gleichen Brief weiter unten: „J’apprends plus par vos doutes que par tout ce que le divin Aristote, le sage Platon et l’incomparable Des Cartes ont affirmé si légèrement“ (ebd., Bd. 21, 100). 21 „L’antiquité grecque nous fournit un Homère, c’était le père de la poésie épique; un Aristote, qui avait, quoique mêlées d’obscurités, des connaissances universelles; un Épicure, auquel il a fallu un commentateur comme Newton pour qu’on lui rendît justice“ (ebd., Bd. 24, 659). 22 Ebd., Bd. 25, 163.

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wendung von gelehrter Weisheit, sondern um die Bestimmung kultureller Identität. In dieser Angelegenheit im Allgemeinen – und in diesem Text im Besonderen – ist Friedrichs Position komplexer. Da wo der preußische König die Tatsache seiner Einstellung zur Politik nicht zu rechtfertigen hatte, sind bei De la littérature allemande einerseits das dem Text zugrunde liegende Prinzip, andererseits die dort vertretenen Thesen alles andere als selbstverständlich. Spricht er als preußischer König, als Liebhaber französischer Literatur, als Bewunderer des Jahrhunderts Ludwig XIV.? Dort heißt es: Notre nation a été accusée de pédanterie, parce que nous avons eu une foule de commentateurs vétilleurs et pesants. Pour se laver de ce reproche, on commence à négliger l’étude des langues savantes; et afin de ne point passer pour pédant, on va devenir superficiel. Peu de nos savants peuvent lire sans difficulté les auteurs classiques tant grecs que latins. Si l’on veut se former l’oreille à l’harmonie des vers d’Homère, il faut pouvoir le lire coulamment sans le secours d’un dictionnaire. J’en dis autant au sujet de Démosthène, d’Aristote, de Thucydide et de Platon. Il en est de même pour se rendre familière la connaissance des auteurs latins. La jeunesse, à présent, ne s’applique presque pas du tout au grec, et peu apprennent assez le latin pour traduire médiocrement les ouvrages des grands hommes qui ont honoré le siècle d’Auguste. Ce sont cependant là les sources abondantes où les Italiens, les Français et les Anglais, nos devanciers, ont puisé leurs connaissances; ils se sont formés autant qu’ils ont pu sur ces grands modèles; ils se sont approprié leur façon de penser; et en admirant les grandes beautés dont les ouvrages des anciens fourmillent, ils n’ont pas négligé d’en apprécier les défauts. Il faut estimer avec discernement, et ne jamais s’abandonner à une adulation aveugle.23 Hier hat die Antike-Rezeption als ‚Hilfsmittel’ zur Konstitution einer kulturell modernen Nation zu gelten. So ist die Auseinandersetzung mit den antiken Quellen für Friedrich kein Ziel per se, sondern ein Mittel zum Zweck. Weil er keinen Zugang erster Hand zu den Quellen hatte – was im Hintergrund des obigen Zitats aus De la littérature allemande präsent 23 Ebd., Bd. 7, 112-113.

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ist –, entwickelte Friedrich eine komplexe Beziehung zu den Vermittlern (Übersetzern, Kommentatoren), auf die er notgedrungen rekurrieren musste. Ohne Bedenken schloss er sich dabei der bei den französischen Aufklärern gängigen Scholastik-Kritik an. Wie aus der Seele gesprochen klingen seine Worte an Voltaire vom Mai 1737: Je vous abandonne volontiers le divin Aristote, le divin Platon, et tous les héros de la philosophie scolastique. C’étaient des hommes qui avaient recours à des mots pour cacher leur ignorance. Leurs disciples les en croyaient sur leur réputation, et des siècles entiers se sont contentés de parler sans s’entendre.24 So steigert sich die Unverständlichkeit: Platon und Aristoteles waren unklar und deren mainstream-Rezeption – die Scholastik – hat diese Unklarheit nur verschärft. Die Scholastik wird von Friedrich mehrfach als eine unerschöpfliche Quelle von Vorurteilen angegriffen. In der Abhandlung über die Unschädlichkeit der Irrtümer des Geistes heißt es: Il se trouve encore un autre obstacle qui nous empêche de parvenir à la connaissance de la vérité, dont les hommes ont embarrassé leur chemin, comme si ce chemin était trop aisé par lui-même. Cet obstacle consiste dans les préjugés de l’éducation. […] Vous jugez bien que la logique de ces sortes de gens est sortable au reste de leur philosophie; aussi est-elle pitoyable: l’art de raisonner, chez eux, consiste à parler seuls, à décider de tout, et à ne point souffrir de réplique. Ces petits législateurs de famille s’intriguent d’abord extrêmement des idées qu’ils veulent imprimer à leur progéniture; père, mère, parents travaillent à éterniser leurs erreurs; au sortir du berceau, on prend bien de la peine pour donner aux enfants une idée du moine bourru et du loup-garou. Ces belles connaissances sont à l’ordinaire suivies d’autres qui les valent; l’école y contribue de son côté; il vous faut passer par les visions de Platon pour arriver à celles d’Aristote, et d’un saut on vous initie aux mystères des tourbillons. Vous sortez de l’école, la mémoire bien chargée de mots, l’esprit plein de superstitions et rempli de respect pour les anciennes billevesées. L’âge de la raison arrive: ou vous secouez le joug de l’erreur, ou vous renchérissez sur vos parents.25 24 Brief an Voltaire vom Mai 1737, ebd., Bd. 21, 70. 25 Vgl. PA (wie Anm. 2), Bd. 6, 33. Ebenso in dem Brief an Voltaire vom 8.

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Diese Schilderung setzt aber keine feste Trennlinie zwischen aristotelischer Scholastik und moderner, möglicherweise weniger abstruser Philosophie. Die Philosophie im Allgemeinen, oder zumindest ihre metaphysische Komponente, ist nach Friedrichs Wolffianischer Phase der 1730er Jahre in Ungnade gefallen. Hiermit verfällt auch die Originalität Platons und Aristoteles’. In der Lettre sur l’éducation heißt es: On n’enseigne plus, à la vérité, les quiddités d’Aristote, ni les universaux a parte rei; doctissimus, sapientissimus Wolffius a remplacé de nos jours cet ancien héros de l’école, et l’on substitue aux formes substantielles les monades et l’harmonie préétablie, système aussi absurde et aussi inintelligible que celui qu’on a abandonné. Ni plus ni moins, les professeurs répètent ce galimatias, parce qu’ils s’en sont rendu les termes familiers, et parce que c’est la coutume d’être wolffien.26 Doch auch wenn an dieser Stelle Christian Wolff die gesamte Weltmetaphysik sozusagen beinhaltet, findet die Rezeption der antiken Philosophie über einen anderen Weg Eingang in Friedrichs philosophisches Denken: durch die französischen Vermittler.

2. Dacier, Cicero, Bayle: Platon- und AristotelesLektüren im 18. Jahrhundert Werfen wir noch einmal einen Blick in Friedrichs Bibliotheken. Unter den Wörterbüchern und Enzyklopädien, aus denen er zu Platon und Aristoteles Informationen zweiter Hand schöpfen konnte, sind Bayles Dictionnaire historique et critique (1730, 1740) und Louis Moréris

(10.) Jan. 1739 (Œuvres de Frédéric le Grand, wie Anm. 1, Bd. 21, 286). 26 Ebd., Bd. 9, 137. In der Verachtung gegenüber dem ‚galimatias’ schließt sich Friedrich Fontenelle an, der aber Descartes an Wolffs Stelle setzt: „Parce qu’on s’étoit dévoué à l’autorité d’Aristote […], non seulement la Philosophie n’avançoit en aucune façon, mais elle étoit tombée dans un abîme de galimatias et d’idées inintelligibles, d’où on a eu toutes les peines du monde à la retirer.[…] Si l’on alloit s’entêter un jour de Descartes, et le mettre à la place d’Aristote, ce seroit à peu près le même inconvénient“ (Fontenelle, wie Anm. 5, 430).

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Grand dictionnaire historique (1740) besonders hervorzuheben.27 Fleurys Histoire ecclésiastique28 und Fontenelles Digression sur les anciens et les modernes29 werden, insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen Platonismus/Aristotelismus und Christentum, wie sie verfolgt werden kann, ihren Teil beigesteuert haben. Dennoch steht André Dacier als Vermittler an erster Stelle, denn er hat das 18. Jahrhundert mit der im Sinne ihrer Rezeption und Verbreitung wohl wichtigsten Platon-Übersetzung versorgt. Dass es sich dabei um eine in Inhalt und Form selektive Übersetzung handelt, ist bereits erwähnt worden. Über die eigentliche Übersetzung hinaus wurde ihr eine Vita Platons im Anhang beigefügt sowie eine Widmung an den König Ludwig XV. (Epitre) und eine hermeneutisch alles andere als neutrale Einleitung (Discours sur Platon). Daciers Beitrag macht ausdrücklich aus dem griechischen Philosophen einen Wegbereiter des Christentums. So liest man in seinem Discours sur Platon: Pour peu qu’on le [Platon] lise avec attention, et qu’on réfléchisse sur ce qu’il enseigne, on voit clairement que Dieu, pour fermer la bouche de l’incrédulité, préparoit déjà la conversion des Payens, qui avoit été si souvent prédite par les Prophètes. Car n’est-ce pas l’ouvrage de Dieu, et comme un prélude de cette conversion, qu’un Payen, qui, dans la plus idolâtre de toutes les Villes, et près de quatre cents ans avant que la lumière de l’Evangile éclairât l’Univers, annonce et prouve une grande partie des vérités de la Religion Chrétienne?30 Folgende Worte Friedrichs aus dem Vorwort zu Fleurys Kirchengeschichte verweisen darauf, wie auch weitere Textstellen Daciers ähnlichen Inhalts: Si le sentiment de la divinité de Jésus-Christ s’accrédita dans l’Église, il ne s’affermit que par la subtilité de quelques philosophes grecs de la secte des péripatéticiens, qui, en embrassant le christia27 28 29 30

Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher (wie Anm. 7), 179, 180. Ebd., 134. Ebd., 160. Œuvres de Platon traduites en français par M. Dacier, Amsterdam 1774, Bd. 1, IV. Hervorhebung A. B.

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nisme, l’enrichirent d’une partie de la métaphysique obscure sous laquelle Platon avait cru cacher quelques vérités trop dangereuses à publier.31 Dabei handelt es sich nicht um ein vereinzeltes Rezeptionsphänomen, sondern um die am weitesten verbreitete Vorstellung der platonischen Lehre selbst unter ausgewiesenen Gelehrten. So schreibt d’Alembert in einem Brief an Friedrich vom 15. August 1778: „Platon autrefois servit à fonder la religion chrétienne.“32 Weit anziehender noch, als dass „par leur moyen on peut se fortifier dans la connoissance d’un grand nombre de Vérités Chrétiennes“33, wird wohl für Friedrich ein weiterer Vorteil der Platon-Lektüre gewesen sein, den Dacier in seiner Einleitung anführt : Un autre grand usage qu’on peut tirer des écrits de Platon, c’est qu’on peut y former son jugement, et y acquérir la justesse d’Esprit et l’exactitude de Raison, nécessaires dans tous les états de la vie pour discerner la vérité d’avec l’erreur; et pour prendre le bon parti dans toutes les affaires qui se présentent. Car la Philosophie de Socrate est la source du bon-sens, comme Horace même l’a reconnu (Art Poëtique, v. 310). Dans aucun livre du Monde on n’apprendra si bien que dans celui-ci l’Art de combattre les Sophistes, qui par leurs maximes empoisonnées travaillent à corrompre les ames et à ruïner la vérité et l’esprit.34 Sowohl die Rolle der Bildung des kritischen Geistes und die einer geeigneten Anwendung der Vernunft, als auch der Kampf gegen diejenigen, die in verwickelten Redeweisen leere oder unsittliche Gedanken einhüllen möchten, gehören zu Friedrichs Steckenpferden. So urteilt er äußerst kritisch über Cicero, der von Beruf aus dazu bestimmt war, jedwede Sache zu verteidigen – ob gerecht oder ungerecht, all das zählte nicht, sondern allein der Geldbeutel des Klienten.35 31 Vgl. Œuvres de Fréderic le Grand (wie Anm. 1), Bd. 7, 153. 32 Brief von d’Alembert an Friedrich vom 15. Aug. 1778 (ebd,, Bd. 25, 201). 33 Dacier (wie Anm. 30), Bd. 1, XL. 34 Dacier (wie Anm. 30), Bd. 1, XXII-XXIII. Der Vers 310 der Ars Poetica lautet: „Rem tibi Socraticae poterunt ostendere chartae“. 35 Vgl. Abhandlung über die Gründe, Gesetze einzuführen oder abzuschaffen:

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Im Antimachiavel ist es die Neue Akademie, die Friedrich besonders auszeichnet: De tous les philosophes de l’Antiquité, les plus sages, les plus judicieux, les plus modestes étaient sans contredit ceux de la Nouvelle Académie. Circonspects dans leurs décisions, ils ne se précipitaient jamais de nier ou d’affirmer une chose, et ils ne laissaient entraîner leurs suffrages ni par l’erreur de la présomption, ni par la fougue de leur tempérament.36 In dieser Auffassung des kritischen oder, genauer gesagt, skeptischen Geistes, liegt ein Schlüssel zum Verständnis der Funktion der platonischen und aristotelischen Lehre im friderizianischen philosophischen Denken.37 Denn daran schließt sich unmittelbar das positive Bild Platons und – erstaunlicherweise – auch Aristoteles’ an. Doch tatsächlich kristallisiert sich um diese Namen herum eine eher sokratische Figur des Fragestellers. So sieht Friedrich in Platon und Sokrates – wenn dieser namentlich genannt wird – Vertreter der pyrrhonischen Einstellung, zu der auch er sich bekennt. Mit dieser Interpretationsgeste werden sie in Repräsentanten einer Philosophie des kritischen Zweifels verwandelt. In diesem Sinne können sie natürlich nicht mehr von Friedrich pauschal kritisiert werden, denn ihr Beispiel kann, besser noch: soll in dieser Rolle das ganze friderizianische philosophische Unternehmen untermauern. Im Zuge dieses Aneignungsmanövers wird mit sokratischem Skeptizismus nicht nur Platon angesteckt, sondern selbst Aristoteles: „Il n’ou„Es tut mir leid um ihn, aber aus seiner Rede für Cluentius wird ersichtlich, dass er vorher die Gegenpartei verteidigt hatte. […] Welch ein Missbrauch der Beredsamkeit, wenn man sich ihres Zaubers bedient, um die weisesten Gesetze zu entkräften!“ (PA, wie Anm. 2, Bd. 6, 297). 36 Ebd., Bd. 6, 132. 37 Dabei schließt er sich selbst Dacier an, der in seiner Rede über Platon (wie Anm. 30, Bd. 1, 15) schreibt: „Ce n’est pas seulement sur ces points principaux que Platon doute, c’est presque par-tout. Et ses doutes ont donné lieu à mal juger de la Philosophie Académique; car on s’est imaginé qu’elle n’affirmoit rien, et qu’elle trouvoit tout également incertain. Ce jugement est très injuste. Socrate et Platon n’étoient pas de ces Philosophes qu’un esprit flottant tenoit dans un égarement continuel et qui n’avoient rien de fixe“.

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bliait jamais ce sage précepte qu’Aristote inculquait à ses disciples: le doute est le commencement de la sagesse.“38 Aristoteles als Philosoph des Zweifels? Die Absurdität dieser Vorstellung ist an sich Beweis genug, wie sehr Friedrich die Autoritäten weniger an und für sich rezipiert denn als Alibi für seine eigenen Überzeugungen. Damit ist auch der Weg zu einer utilitaristischen Interpretation der antiken Philosophen gebahnt. Es kommt darauf an zu definieren, welche Funktion ihnen jeweils zugewiesen ist. Doch – welche Rolle spielen dabei die Rezeptionsvermittler? Bezeichnenderweise läuft die Interpretation der Schulphilosophie und all dessen, was ihr von Friedrich angehängt wird (bis hin zu Sokrates) auf eine Auseinandersetzung zwischen den zwei für Friedrich wichtigsten Vermittler des Pyrrhonismus hinaus: Cicero einerseits und Bayle andererseits. Ein zentraler Text der Platon- und Aristoteles-Rezeption ist in diesem Sinne der Avant-propos au dictionnaire historique et critique de Bayle aus dem Jahr 1764. Der Text beginnt mit der Begründung des Bekenntnisses zum Baylismus zu Ungunsten des Ciceronismus: […] et l’on ose avancer, nonobstant les préjugés de l’école et l’amour-propre des auteurs de ce siècle, qu’il [Bayle] a surpassé par la force de sa dialectique tout ce qu’ont produit en ce genre les anciens et les modernes. Que l’on compare ses ouvrages avec ceux qui nous restent de Cicéron. […] M. Bayle […] est plus serré, plus pressant dans ses raisonnements; il va droit au fait, et ne s’amuse point à escarmoucher, comme il arrive quelquefois à Cicéron.39 Bayle – und Bayle allein – ziele durch seine Methode auf die eigenständige, mündige Ausübung des Verstandes ab; Bayles Werk sei le bréviaire du bon sens, […] la lecture la plus utile que les personnes de tout rang et de tout état puissent faire, car l’application la plus importante de l’homme est de se former le jugement.[…] 38 Avant-Propos de l’extrait du dictionnaire historique et critique de Bayle (PA wie Anm. 2, Bd. 6, 308; vgl. auch Éloge du Prince Henri de Prusse: „[…] et il était parvenu à penser, comme Aristote, que le doute est le commencement de la sagesse“ (Œuvres de Fréderic le Grand, wie Anm. 1, Bd. 7, 47), sowie Brief an d’Argens vom 14. Mai 1760: „Ne craignez rien pour votre service; il s’y trouve une devise prise d’Aristote: Le doute est le premier pas vers la sagesse“ (ebd., Bd. 19, 186). 39 PA (wie Anm. 2), Bd. 6, 306.

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anne BaIllot n’est-ce pas un grand avantage que de fournir des secours aux bons esprits, d’arrêter la curiosité intempérante de la jeunesse, et d’humilier la présomption de ces esprits orgueilleux prêts à se livrer à l’envie d’imaginer des systèmes? Quel lecteur ne se dit pas en soimême […]: Quoi! Les plus grands philosophes de l’Antiquité, les sectes les plus nombreuses ont été sujettes à des erreurs! Combien, à plus forte raison, dois-je être sujet à me tromper souvent! Quoi! Un Bayle, qui a passé toute sa vie dans l’escrime de l’école, a raisonné avec tant de circonspection, de crainte de s’égarer!40

In der Bildungsarbeit der Urteilskraft gilt Bayle als derjenige, der musterhaft für eine sorgfältige Ausübung des Verstandes steht – im Gegensatz etwa zu den Dialektikern, die nicht streng genug seien. An dieser Stelle ist die kritische Anspielung auf Ciceros rednerische Kunst unverkennbar: Ce clinquant, ces subtilités, ces raisonnements superficiels, rien de tout cela n’est admis dans l’argumentation austère et rigoureuse des bons philosophes.41 Die pyrrhonische Suche nach der Wahrheit versöhnt Aristoteles, Bayle und Friedrich miteinander – über Cicero hinaus. Darauf weisen die letzten Sätze des Avant-propos au dictionnaire historique et critique de Bayle hin: Si l’homme est un animal raisonnable, comme l’école nous en assure, les philosophes doivent être plus hommes que les autres. Aussi les a-t-on toujours considérés comme les précépteurs du genre humain, et leurs ouvrages, qui sont le catéchisme de la raison, ne sauraient assez se répandre pour l’avantage de l’humanité.42 Denn dass der Mensch ein Vernunftwesen ist, das ist wohl die Erkenntnis, die wir Aristoteles verdanken.43 Und mit diesem Argument wird hier das philosophische Unternehmen Friedrichs begründet. 40 41 42 43

Ebd., 308. Ebd., 312. Ebd., 312. Vgl.Aristoteles, Metaphysik 4, 4, 7; De anima, 3, 3; Politik, 7, 13. Darauf hatte Friedrich recht spöttisch im 5. Kapitel des Antimachiavel hingewiesen: „Der Mensch ist ein vernünftiges, ungefiedertes, zweibeiniges Lebewesen; so jedenfalls hat die Schulphilosophie unsereArt bestimmt“ (PA, wieAnm. 2, Bd. 6, 73).

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Friedrichs philosophisches Unternehmen, das ist: Aufklärung, Skeptizismus, Kampf gegen den Aberglauben. Doch an dessen Publikum lässt es sich schwer messen. Friedrich schrieb das meiste für sich und einen kleinen Freundes- und Verwandtenkreis. Welche Wirkung erhofft sich Friedrich von seiner Philosophie? Eben deswegen ist der Avantpropos à Bayle von zentraler Bedeutung: Denn da geht es nicht nur um das Philosophieren für sich selbst, sondern um das Philosophieren als beinahe politisches Programm: Ausbildung zum Skeptizismus für alle ungefiederten Vernunftwesen!

Eine Poetik in Briefen.

Zur Rolle der Literatur im Briefwechsel Friedrich des Großen mit Voltaire* Uwe Steiner Der erste Brief, den der 24-jährige Kronprinz Friedrich am 8. August 1736 aus Berlin an Voltaire richtet, gilt vor allem dem berühmten Dichter.1 Das Schreiben eröffnet einen über vier Jahrzehnte währenden Briefwechsel, in dem die Literatur in jenem umfassenden Sinne, mit dem der Begriff im 18. Jahrhundert nicht nur das schöngeistige, sondern auch das gelehrte Schrifttum bezeichnet, eine zentrale Stelle einnimmt. In den Briefen, die der spätere König und „philosophe de Sans-Souci“ mit dem Philosophen und „Fürsten der französischen Poesie“ wechselt, wird der Spielraum zwischen Geist und Macht auf ebenso spannungsreiche wie faszinierende Weise ausgelotet. Als Gegenstand, Mittel und Ausdruck der Verständigung zugleich ist die Literatur das Medium die*

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Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete und ergänzte Fassung meines Beitrages „Auch ein Gespräch über Poesie“, in: Friedrich der Große und Voltaire – Ein Dialog in Briefen. Ausstellungskatalog, Potsdam 2000, 27-35. Friedrich II. an Voltaire (8. Aug. 1736): „Monsieur, Quoique je n’aie pas la satisfaction de vous connaître personnellement, vous ne m’en êtes pas moins connu par vos ouvrages. Ce sont des trésors d’esprit, si l’on peut s’exprimer ainsi, et des pièces travaillées avec tant de goût, de délicatesse et d’art, que les beautés en paraissent nouvelles chaque fois qu’on les relit“; in: Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. J.-D.-E. Preuß, 31 Bde., Berlin 1846-57, Bd. XXI, 3. Wenn nicht anders ausgewiesen, folgen die Übersetzungen der Briefe der vorzüglichen Übertragung von Hans Pleschinski in seiner Auswahl aus der Korrespondenz: Voltaire – Friedrich der Große. Briefwechsel, übers. u. hg. v. Hans Pleschinski, 2. Aufl., München 1995. Zum Briefwechsel: Christiane Mervaud, Voltaire et Frédéric II: une dramaturgie des lumiéres 1736-1778, Oxford 1985; Walter Mönch, Voltaire und Friedrich der Große. Das Drama einer denkwürdigen Freundschaft. Eine Studie zur Literatur, Politik und Philosophie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart, Berlin 1943.

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ses einzigartigen Dialogs in Briefen, dessen Reiz nicht zuletzt darin liegt, dass er diesen Spielraum buchstäblich ‚zur Sprache’ bringt.

Poetische Moderne In seinem ersten Schreiben erwähnt Friedrich einige der Werke, die den Ruhm Voltaires in ganz Europa verbreitet haben. Neben dem an erster Stelle genannten Versepos La Ligue ou Henri le Grand (1723), meist kurz La Henriade genannt, hebt er die beiden zuletzt erschienenen Tragödien hervor: La Mort de César (1736) und Alzire ou les Américains (1736). Ganz selbstverständlich folgt seine Wertschätzung damit dem von Nicolas Boileau kodifizierten Kanon der französischen Klassik, der dem Epos in der Hierarchie der Gattungen den ersten Platz vor der Tragödie einräumt. Friedrich hat Zeit seines Lebens daran festgehalten. Noch in der Éloge de M. de Voltaire2, in seinem Nachruf auf den Verstorbenen, der am 26. November 1778 in der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Literatur zu Berlin verlesen wurde, folgt der Verfasser in seiner Würdigung der poetischen Werke Voltaires dieser Rangfolge. Ebenso wie der König seine Verneigung vor den Talenten des Dichters mit dem Hinweis auf die „geselligen Verse“, also die kleineren Gattungen, beschließt, hatte schon der Kronprinz in dem Brief, mit dem er die Korrespondenz eröffnete, im Anschluss an seine Erwähnung der Epen und Tragödien seine Bewunderung dem Temple du Goût zugewandt, einem kleinen satirischen Werk, in dem Voltaire als Türhüter des guten Geschmacks die zeitgenössische Kunst und Literatur wahlweise in Vers und Prosa kritisch Revue passieren lässt. Aber Voltaire ist in Friedrichs Augen bereits 1736 nicht nur der „exzellente Dichter“, dessen mit so viel „Geschmack, Delikatesse und Kunst“ gearbeitete Werke sich als wahre „Schätze des Esprits“ erweisen und deren „Schönheiten bei jedem Wiederlesen ganz neu erscheinen“. Vielmehr gesellen sich zu den poetischen Vorzügen „eine Unzahl sonstiger Kenntnisse, die wohl in einiger Verbindung zur Poesie stehen, die aber 2

Friedrich II., Éloge de Voltaire, lu à l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres de Berlin, dans une assemblée publique extraordinaire convoquée pour cet objet, le 26 Octobre 1778, in: Œuvres (wie Anm. 1), VII, 57-77.

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erst durch Ihre Feder dort ihren Platz gefunden haben“.3 Tatsächlich hatte sich Voltaire mit seiner Histoire de Charles XII (1723) auch als Historiograph einen Namen gemacht. Mit dem Skandalerfolg der Lettres philosophiques, deren Publikation im Jahre 1734 die Behörden in Frankreich mit der öffentlichen Verbrennung des Werks durch den Henker und mit einem Haftbefehl gegen seinen Autor ahndeten, hatte er sich den Titel eines ‚philosophe’ erworben. Mag der Skandal den Ruf begründet haben – erschöpft hat er ihn nicht. In den Lettres hatte Voltaire mit seiner Darstellung der Lehren Lockes und Newton zugleich die Grundlagen seines eigenen philosophischen Ansatzes umrissen und mit seinem Lob der religiösen Toleranz der Engländer ein zentrales Thema seines öffentlichen Wirkens gefunden.4 Während man den Spiegel, den Voltaire mit seiner Schilderung der englischen Verhältnisse seinen Landsleuten vorhielt, zu Recht als die „erste Bombe, die auf das Ancien régime geworfen wurde“, bezeichnet hat,5 halten Toleranz und Unverständnis in seiner Auseinandersetzung mit Shakespeare einander die Waage. Friedrich denkt aber offenbar nicht in erster Linie an jene philosophische Essayistik, mit der Voltaire maßgeblich dazu beitrug, dass die Philosophie im Zeitalter der Aufklärung zu einer öffentlichen Angelegenheit und der Titel ‚philosophe‘ zu einem Parteinamen wurde. Vielmehr hält er den poetischen Werken weit mehr als ihre poetischen Qualitäten zugute. Die Kenntnisse, die Voltaires Feder in Friedrichs Augen in der Poesie heimisch gemacht hat, zeigen sich im philosophischen Gehalt seiner Werke und sie bewähren sich in deren moralischer Wirkung. In seinem Antwortschreiben zeigt sich Voltaire gerade für dieses Lob empfänglich. Was die Verse anbelangt, so denke der Kronprinz über diese Kunst so sinnreich wie über alles andere: „Verse, die den Menschen keine neuen, bewegenden Wahrheiten nahebringen, verdienen es nicht, gelesen zu werden.“6 3

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Friedrich II. an Voltaire (8. Aug. 1736): „Vous ajoutez à la qualité d’excellent poëte une infinité d’autres connaissances qui, à la vérité, ont quelque affinité avec la poésie, mais qui ne lui ont été appropriées que par votre plume“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXI, 3. Brunhilde Wehinger, Voltaires Lettres philosophiques – ein Manifest der Aufklärung, in: Richard Faber, Brunhilde Wehinger (Hg.), Aufklärung in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 2010, 123-135. Gustav Lanson, zit. bei Theodore Besterman, Voltaire (1969), aus d. Englischen übers. v. Siegfried Schmitz, München 1971, 95. Voltaire an Friedrich II. (26. Aug. 1736): „À l’égard des vers dont vous me

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Diese gemeinsame Grundüberzeugung hatte Friedrich seinerseits in einem aufschlussreichen Kontext zur Geltung gebracht. Voltaire werde man es zu danken haben, schreibt er in seinem ersten Brief an den verehrten Dichter, wenn der Streit, ob den modernen oder den antiken Dichtern der Vorrang gebühre, wieder aufflamme und sich dann die Waage auf die Seite der Modernen neigen werde. Der Streit um die im Grand siècle noch weitgehend unbestrittene Vorbildhaftigkeit der Antike, die Querelle des anciens et des modernes, hatte die Epoche im Übergang von der Klassik zur Frühaufklärung geprägt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war er in der Auseinandersetzung um Homer und die Möglichkeit eines modernen Epos erneut mit großer Heftigkeit entflammt. Noch die Henriade, die bei ihrer Publikation gegen Ende der Debatte Voltaire Anerkennung und Kritik von beiden Konfliktparteien einbrachte, gehört in diesen Kontext. Ursprünglich ausgelöst aber wurde die Kontroverse durch ein Gedicht, das Charles Perrault als Huldigung an den von einer Krankheit genesenen Ludwig XIV. verfasst und in der Sitzung der Académie française am 27. Januar 1687 verlesen hatte. In Perraults Siècle de Louis le Grand brauchten das eigene Zeitalter und sein größter Monarch den Vergleich mit der Antike, mit dem Zeitalter des Perikles und des Augustus, nicht zu scheuen. Mit Blick auf die Gattung des Gedichts, in dem Perrault dem Modellcharakter der antiken Kultur den Kampf ansagte, hat Werner Krauss vom „enkomiastischen Ursprung des Modernismus“ gesprochen.7 Die traditionelle Form des Enkomions oder Herrscherlobs, eine Spielart der Gelegenheitsdichtung, die sich noch bis weit ins 18. Jahrhundert größter Beliebtheit erfreute, erwies sich als der geeignete Rahmen, im Hinweis auf die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften der eigenen Zeit deren Überlegenheit über das Altertum zu demonstrieren. Hatte die Partei der „modernes“ zunächst ein bedeutsames Fundament in der christlichen Ablehnung der antik-heidnischen Mythologie,

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parlez, vous pensez sur cet art aussi sensément que sur tout le reste. Les vers qui n’apprennent pas aux hommes des vérités neuves et touchantes ne méritent guère d’être lus“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXI, 8. Werner Krauss, Fontenelle und die Aufklärung, München 1969, 28. Zu Perraults Enkomion und zum Eklat von 1687 vgl. Hans Kortum, Die Hintergründe einer Akademiesitzung im Jahre 1687, in: W. Krauss, H. Kortum (Hg.), Antike und Moderne in der Literaturdiskussion des 18. Jahrhunderts, Berlin 1966, LXI-XCVII.

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so artikulierte sie im Laufe der Querelle immer stärker ein nationales Selbstbewusstsein, das sich auf einen seit der Antike erfolgten kulturellen und wissenschaftlich-technischen Fortschritt berief. Die intellektuellen Wurzeln dieser Sichtweise sind letztlich in der Abkehr von der humanistischen Büchergelehrsamkeit zu suchen, zu deren prominentem Sprachrohr sich Descartes in seinem Discours de la méthode (1637) gemacht hatte. Sein programmatischer Abschied vom Studium der Bücher, seine Hinwendung zum Buch der Welt und zum Studium der im eigenen Inneren beschlossenen Gesetze des Denkens, zu Erfahrung und Methode, sind die Voraussetzungen für eine neue Auffassung der Philosophie, die ihre höchste Aufgabe neuerdings darin sieht, zu nützlichen Kenntnissen zu führen. Bernard de Fontenelle, der Patriarch der französischen Aufklärung, hat der Pariser Académie royale des sciences, deren langjähriger Präsident er war, mit seinem einprägsamen Wort das cartesianische Bekenntnis zu einer nicht länger spekulativen, sondern praktischen Philosophie ins Stammbuch geschrieben: die Zeit der Wörter und Termini sei vorbei; man wolle Tatsachen.8 Nicht von ungefähr vernimmt man ein fernes Echo dieser Parole in Friedrichs 1780 veröffentlichter kritischer Bestandsaufnahme des Zustands der deutschen Literatur, in der sich die Verfechter der traditionellen Universität und ihres antiquierten Wissensideals darüber belehren lassen müssen, dass wir „nicht mehr im Jahrhundert der Worte, sondern der Tatsachen“ leben.9 Wenn der Kronprinz in seinem ersten Brief an 8

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Bernard Le Bovier de Fontenelle, Préface de l’histoire de l’académie des sciences, depuis 1666 jusqu’en 1699, in: ders., Œuvres complètes, hg. V. G.-B. Depping, 3 Bde. Paris 1818 (repr. Genève 1968), Bd. I, 1: „Le règne des mots et des termes est passé; on veut des choses.“ Friedrich II., Über die deutsche Literatur, die Mängel, die man ihr vorwerfen kann; die Ursachen derselben und die Mittel, sie zu verbessern, in: Friedrich II., König von Preußen, und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts. Texte und Dokumente, hg. v. H. Steinmetz, Stuttgart 1985, 87. Der Text dieser Reclam-Ausgabe folgt der zeitgleich mit dem französischen Original erschienenen autorisierten Übersetzung von Christian Wilhelm Dohm. Die bei Steinmetz gegebenen Literaturhinweise sind ergänzungsbedürftig; An dieser Stelle sei lediglich der Hinweis auf einen Aufsatz von Eberhard Lämmert gestattet, der zu einer interessanten, von der üblichen Lesart abweichenden Beurteilung der Denkschrift gelangt, indem er den Text nicht im Rahmen der in Deutschland sich ausbildenden Nationalliteratur betrachtet, sondern ihn als Ausdruck eines Literatur- und Kulturbegriffs liest, für den die Vorstellung einer nationalen Literatur befremdlich und als

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Voltaire dessen Reimkunst mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die „Kenntnisse“ lobt, die sie in der Poesie heimisch gemacht habe, würdigt er eine Poesie, die vor allem philosophisch auf der Höhe der Zeit ist und sich nicht im virtuosen „Klingklang“ von Metrum und Reim erschöpft.

Gelegenheitsdichtung Die Reimkunst, von der hier die Rede ist, hat in den Briefen aber eben nicht nur als Gegenstand des geselligen und intellektuellen Austauschs ihre Spuren hinterlassen. Ihre Zeugnisse finden sich darüber hinaus in einer beträchtlichen Zahl von mehr oder weniger umfangreichen, mehr oder weniger geistreichen Gedichten, die über den gesamten Briefwechsel verstreut sind. Nur die wenigsten unter den heutigen Lesern werden ihnen einen Reiz abgewinnen können. Mit einem Begriff von Lyrik, dessen Maßstäbe zumeist unausgesprochen der Goethezeit entlehnt sind, haben diese Verse offensichtlich wenig gemein. Sie sind der Gelegenheitsdichtung im weitesten Sinne zuzurechnen und damit einer Gattung, die am Ende des 18. Jahrhunderts zum Synonym für eine nicht mehr zu unterbietende Schwundstufe der Poesie, für uninspiriertes Handwerk und geistlose Schablonentechnik, geworden war. Der Niedergang der Casualpoesie ist eines von vielen Indizien für einen fundamentalen Geschmackswandel, in dem sich jene sozialen und politischen Umwälzungen reflektieren, die ihren spektakulären Höhepunkt gegen Ende des Jahrhunderts in der Französischen Revolution finden. So wenig diese historische und ästhetische Schranke sich ignorieren lässt, so misstrauisch sollte das Bewusstsein ihres Vorhandenseins doch gegen jene Kommentatoren des Briefwechsels zwischen Friedrich und Voltaire stimmen, die sich angesichts der Reimkunst der Korrespondenten zumeist keinen anderen Rat wissen, als an die Nachsicht des Lesers zu appellieren. Zum besseren Verständnis hilft die Einsicht in die Dialektik des Genres. Das Beispiel Perraults, der sein Plädoyer zugunsten der „modereine unzulässige Verengung zurückzuweisen ist; vgl. Eberhard Lämmert, Friedrich der Große und die deutsche Literatur, in: Brunhilde Wehinger (Hg.), Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte, Berlin 2005, 13-21.

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nes“ im Vorzugsstreit in der konventionellen Form eines Enkomions vorträgt, zeigt, dass die Funktion der Gelegenheitsdichtung nicht notwendig als eine ausschließlich unverbindlich-dekorative ausgelegt werden muss. Vielmehr hat Perrault, sit venia verbo, die sich ihm bietende Gelegenheit ergriffen, um sein Anliegen vorzutragen. Das Selbstverständnis der Gattung verrät die emblematische Darstellung ihrer Muse, der ‚Gelegenheit’ oder ‚occasio‘. Sie folgt einer Konvention, die Phaedrus in einer Fabel schildert, die bereits alle entscheidenden Attribute versammelt und erläutert: „Beflügelt eilend, auf des Messers Schneide schwebend, / kahlköpfig, doch die Stirn gelockt, und glatt im Nacken - / wenn du sie hast, dann halt sie fest; denn ist sie erst entschwunden, / vermag auch Jupiter sie nicht zurückzuholen! – / bedeutet sie dir eine Chance. // Damit nicht träges Zögern den Erfolg uns raube, / entwarfen uns die Alten dieses Bild der Zeit“.10 Die Locke, die die occasio auf ihrer Stirn trägt: die Gelegenheit, gilt es zu ergreifen. Wer den rechten Augenblick versäumt, dem bietet die Göttin den kahlen Hinterkopf. Aber nicht allein und nicht einmal primär der Zeitpunkt ist entscheidend. Nicht weniger bedeutsam ist die günstige Situation, das zu nutzende Privileg der Ansprache. Und so ist denn auch die Huldigung durchaus keine einseitige Angelegenheit, die den Poeten auf die vermeintlich unterwürfige Rolle des Lobredners beschränkt. Vielmehr hält er in dem gereimten Bild, das er von seinem Adressaten entwirft, diesem ein Idealbild vor Augen, in das der Angeredete wie in einen Spiegel blicken soll. In dem auf diese Weise eröffneten Spielraum von Anspruch und Wirklichkeit liegt die Dialektik der Gelegenheitsdichtung, die zu entfalten dem Geschick des Poeten und seinem Taktgefühl überlassen ist.11 In seinem Brief an Voltaire vom 4. Nov. 1736 beweist der angehende König kundige Einsicht in das hintergründige Spiel, für das ein Brief in Prosa ein ebenso geeignetes Medium darstellt, wie die gereimte Epistel: „Sie zeichnen, Monsieur, in Ihrem Brief das Bild eines vollendeten Fürsten, in dem ich mich nicht wiedererkenne. Es ist eine äußerst subtile und in die verbindlichste Art der Welt gekleidete Lektion; es ist eine kunstreiche Methode, um die scheue Wahrheit ans Ohr 10 Phaedrus, Die Zeit, in: Äsopische Fabeln, V. Buch, 8. Fabel, in: Antike Fabeln, aus dem Griechischen u. Lateinischen übers. v. J. Irmscher, Berlin, Weimar 1978, 222. 11 Vgl. Verf., Poetische Theodizee. Philosophie und Poesie in der lehrhaften Dichtung im achtzehnten Jahrhundert, München 2000, bes. 43-55.

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eines Fürsten gelangen zu lassen. Ich werde mir dieses Bild als Modell vor Augen halten und alle Anstrengungen unternehmen, um würdiger Eleve eines Meisters zu sein, der so göttlich zu unterrichten versteht.“ 12 Aber Friedrich beschränkt sich nicht auf den ironisch durchschauten Part, der ihm in diesem Spiel zugedacht ist. Wie er Voltaire in seinem Brief vom 12. Juni 1740 gesteht, ist er von einer unheilbaren „Metromanie“ befallen und schätzt die Kunst Horazens und Voltaires viel zu sehr, als dass er von ihr lassen könnte.13 So behält sich dieser Liebhaber der Poesie, der später gelegentlich mit „Friedrich, von Gottes Gnaden König von Preußen, Kurfürst von Brandenburg, Eigentümer Voltaires etc. etc. etc.“14 unterzeichnet, in dem poetischen Rollenspiel von Beginn an eine aktive Rolle vor. Bekanntlich fällt dem Dichter von Profession nicht erst während seines Aufenthalts in Potsdam und Berlin die bisweilen prekäre Aufgabe zu, die Verse des königlichen Dilettanten einer sorgfältigen und behutsamen Korrektur zu unterziehen. Die Gelegenheitsdichtung, das zeigt der Briefwechsel an jedem beliebigen der von beiden Seiten überreichlich beigesteuerten Beispiele, ist weit mehr als nur schmückendes Beiwerk. Bereits als Ausdruck geselliger Kommunikation erfüllt sie eine nicht zu unterschätzende Funktion. In diesem Rahmen aber wird sie von den Briefpartnern darüber hinaus als ein nach allen Regeln der Kunst dienstbares Instrument der Anspielung und Kritik, vor allem aber der absichtsvollen Selbststilisierung und Idealisierung genutzt. Das gilt sowohl für die Verse, die mit den Briefen ausgetauscht werden, als auch für die, über die man sich 12 Friedrich II. an Voltaire (4. Nov. 1736): « Vous faites, monsieur, dans votre lettre, le portrait d’un prince accompli, auquel je ne me reconnais point. C’est une leçon habillée de la façon la plus ingénieuse et la plus obligeante; c’est enfin un tour artificieux pour faire parvenir la timide vérité jusqu’aux oreilles d’un prince. Je me proposerai ce portrait pour modèle, et je ferai tous mes efforts pour me rendre le digne disciple d’un maître qui sait si divinement enseigner“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXI, 11. 13 Friedrich II. an Voltaire (12. Juni 1740): „Vous voyez, mon cher ami, que le changement du sort ne m’a pas tout à fait guéri de la métromanie, et que peut-être je n’en guérirai jamais. J’estime trop l’art d’Horace et de Voltaire pour y renoncer; et je suis du sentiment que chaque chose de la vie a son temps“; in: Œuvres (ebd.), XXII, 4. 14 Friedrich II. an Voltaire (4. Sept. 1749): „Federic par la grâce de Dieu roi de Prusse, électeur de Brandebourg, possesseur de Voltaire, etc., etc.“ [Herv.i.o.], in: Œuvres (ebd.), XXII, 244.

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in den Briefen austauscht. An der Entstehungsgeschichte von Voltaires Trauerode auf den Tod der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, der Lieblingsschwester Friedrichs, läßt sich die langsame Verfertigung des poetischen Idealbildes einer Fürstin in der brieflichen Diskussion zwischen Friedrich und Voltaire exemplarisch verfolgen. Wilhelmine von Bayreuth war am 14. Okt. 1758 nach schwerer Krankheit verstorben. Am gleichen Tag hatte der König bei Hochkirch in einer der blutigsten Schlachten des Siebenjährigen Krieges eine vernichtende Niederlage gegen die Österreicher hinnehmen müssen. Voltaire, der die Markgräfin sehr schätzte und ihr wiederholt persönlich begegnet war, führte mit ihr in den Jahren vor ihrem Tod einen vertrauten Briefwechsel, in dem die gemeinsamen Bemühungen um die Vermittlung eines Separatfriedens zwischen Preußen und Frankreich im Vordergrund standen. Aus Ferney werden Kondolenzbriefe an den Witwer und den am Rande eines militärischen Debakels stehenden preußischen König verschickt. Zu diesem hatte die Verstorbene den brieflichen Kontakt wieder vermittelt, der nach dem Zerwürfnis von Potsdam und dem Frankfurter Nachspiel fast gänzlich zum Erliegen gekommen war. Am 6. Nov. 1758 erreicht Voltaire ein nur wenige Zeilen umfassender Brief Friedrichs, der in bewegenden Worten den Verlust der Schwester beklagt und in der Bitte gipfelt, der Dichter möge all seine Kräfte sammeln, um zu Ehren derjenigen, „die nun das Licht nicht mehr sieht“, ein Denkmal errichten.15 Noch im selben Monat wird die Bitte erfüllt. In dem Schreiben, das die Übersendung der Ode begleitet, bemerkt Voltaire, dass er nicht umhin gekonnt habe, „mit diesen schwachen Versen der Bemühungen zu gedenken, die diese würdige Fürstin unternahm, um Europa den Frieden zurückzugeben“.16 In der Ode rückt er aber 15 Friedrich II. an Voltaire (6. Okt. [recte: November] 1758): „Si cela eût dépendu de moi, je me serais volontiers dévoué à la mort, que ces sortes d’accidents amènent tôt ou tard, pour sauver et pour prolonger les jours de celle qui ne voit plus la lumière. N’en perdez jamais la mémoire, et rassemblez, je vous prie, toutes vos forces pour élever un monument à son honneur. Vous n’avez qu’à lui rendre justice; et, sans vous écarter de la vérité, vous trouverez la matière la plus ample et la plus belle“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXIII, 23. 16 Im Anschluss an den Text des Gedichts heißt es (Voltaire an Friedrich II. im Dez. 1758): „Voilà, Sire, ce que ma douleur me dicta quelque temps après le premier saisissement dont je fus accablé à la mort de ma protectrice. J’envoie ces vers à V. M., puisqu’elle l’ordonne. Mais le cœur, qui sera toujours

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nicht nur dieses Thema in den Vordergrund, sondern stellt den irenischen Bemühungen der erlauchten Toten die kriegerischen Heldentaten ihres königlichen Bruders ostentativ an die Seite. Hätten die Ratschläge der Schwester Gehör gefunden, der Bruder hätte als Held und Philosoph allein sie zu betrauern, lautet die Botschaft der Verse im Zentrum der Ode. Man kann der ablehnenden Kritik, mit der Friedrich die Verse bedenkt, die Berechtigung nicht absprechen. Sie gilt, wie seine Zustimmung zu der überarbeiteten und bald gedruckten sowie seine detaillierte Auseinandersetzung mit einer späteren, nochmals erweiterten Fassung zeigen,17 keineswegs der thematischen Akzentuierung, die in allen Fassungen beibehalten ist. Der nach Erhalt des Epicediums geäußerte Wunsch Friedrichs nach etwas „Glanzvollerem und Repräsentativem“ moniert vielmehr einen Stilbruch. Voltaires Ode erfüllt das der Gattung der Totenklage eigentümliche Anliegen, den Anspruch der Toten auf ein würdiges und ihrem Stand gemäßes Andenken, nur unzureichend. Wo es seine Aufgabe gewesen wäre, kommenden Generationen ein zeitlos würdiges Bild der Verstorbenen einzuprägen, hat Voltaire seine Verpflichtung gegenüber der Nachwelt einem kurzfristigen politischen Kalkül geopfert. Die umfangreichere Neufassung verzichtet nicht nur, wie Friedrich es ausdrücklich gewünscht hatte, auf die Nennung seines Namens. Sie entwirft ein Bild der Verstorbenen, in dem ihre Tugenden, ihre philosophischen Interessen, ihre Liebe zu den Künsten und ihre Friedensliebe um so eindringlicher hervortreten, als Voltaire sie vor dem düsteren Hintergrund von Krieg und Zerstörung beschwört, die Europa verheeren. In einer gewagten rhetorischen Inversion schildert er die Todesstunde Wilhelmines als einen Moment der Trauer und des Trostes: als der Tod an das Sterbebett der Fürstin trat, um sie zu erlösen, so Voltaire in seinem à vous et à l‘adorable sœur que vous pleurez, ne vieillira jamais. Je n‘ai pu m‘empêcher de me souvenir, dans ces faibles vers, des efforts que cette digne princesse avait faits pour rendre la paix à l‘Europe [...]. Conservezvous, Sire, car vous êtes nécessaire aux hommes“; ebd., 25; vgl. 24-5. 17 Friedrich II. an Voltaire (21.März 1759): „J’ai été ravi de voir les changements et les additions que vous avez faits à votre ode. Rien ne me fait plus de plaisir que ce qui regarde cette matière-là. Les nouvelles strophes sont très-belles, et je souhaiterais fort que le tout fût déjà imprimé“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXIII, 32; vgl. 42-44.

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Epicedium, habe dies wenigstens vorübergehend seinem Wüten auf den Schlachtfeldern Einhalt geboten. In seinem Brief vom 22. April 1759 kommentiert Friedrich diese Strophe mit dem knappen Hinweis, dass er in der Todesstunde seiner Schwester bei Hochkirch geschlagen wurde.18 So hat Voltaire der Koinzidenz Rechnung getragen und der historischen Stunde Tribut gezollt, ohne sie explizit zu benennen. Neben der Ächtung des Krieges aber rückt die Ode den nicht weniger bedeutsamen Kampf der Fürstin gegen Aberglauben, Fanatismus und Atheismus in den Vordergrund. Ihr Bekenntnis zur loi naturelle (dem natürlichen Gesetz) weist sie nicht nur als Philosophin im Sinne der Aufklärung aus, sondern spielt auch auf das philosophische Lehrgedicht gleichen Titels an, das Voltaire in der ersten, in Berlin entstandenen Fassung ihrem Bruder, in der endgültigen aber ihr widmete. So vernimmt der Dichter am Schluss seiner Totenklage über das Grab hinaus die mahnende Stimme der Toten, der er mit der Verpflichtung antwortet, seine Feder in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen. Diese aber ist auch, wie Voltaire weiß, die Sache des königlichen Auftraggebers der Trauerode. In den abschließenden Zeilen, in denen der Dichter den Tyrannen des Geistes verheißt, dass ihre Namen auf ewig mit Schande und Niedertracht verbunden sein werden, klingt jenes „écrasez l’infâme !“ an, in dessen Zeichen der Briefwechsel zwischen dem Patriarchen von Ferney und dem Eremiten von Sanssouci in den 1770er Jahren an die kämpferische Gemeinsamkeit der frühen Jahre anknüpfen wird. Der Ode vorzuwerfen, sie zeige „nichts als kalte Pracht“, bleibe unpersönlich und lasse den Leser seltsam gefühllos,19 hieße, mit der Intention des Autors zugleich auch das rhetorische Formgesetz seiner Dichtung zu verkennen. Im Gegenspiel von Affekterregung und Affektstillung inszeniert Voltaires Trauerdichtung ein rhetorisch-poetisches Kalkül, dessen Rezeptur einer bis auf die Antike zurückgehenden Tradition folgt. Nicht schöpferischer Eigensinn, nicht Originalität, sondern Kenntnis der Tradition und Variation des Vorbildlichen sind Voraussetzung und Kriterium des Gelingens. Unter den antiken Vorbildern erweist sich die in der Stoa, bei Cicero und Seneca, inhaltlich und stilis18 Friedrich II. an Voltaire (22. April 1759): „Ve strophe. Je fus battu à Hochkirch, le moment que ma digne sœur expirait“; ebd., 43. 19 So Edgar Mass in seinem Aufsatz: Voltaire und Wilhelmine von Bayreuth, in: Peter Brockmeier, Roland Desné, Jürgen Voss (Hg.), Voltaire und Deutschland, Stuttgart 1979, 71.

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tisch mustergültig ausgebildete Form der Trauerrede als prägend. Im Zeichen der im frühen 18. Jahrhundert noch weitgehend unbestrittenen Vorherrschaft der Rhetorik unterscheiden sich Trauergedicht und Trauerrede lediglich der äußeren Form nach. Diese Nähe lässt den Vers zum unverzichtbaren Kennzeichen der Poesie werden – eine Auffassung, an der sowohl Voltaire als auch Friedrich unbeirrt festhalten. Desungeachtet stand die oraison funèbre, die in Prosa gehaltene Trauerrede, die Bossuet und Fléchier zu neuer Blüte gebracht hatten, bei beiden ebenfalls in hohem Ansehen. Auf je eigene Weise haben sie das bezeugt: Voltaire in seiner von Friedrich mit höchstem Lob bedachten Éloge funèbre des officiers qui sont morts dans la Guerre de 1741, der der König seine eigene Versepistel À Stille sur l’emploi du courage et sur le vrai point d’honneur, an die Seite stellt, die er dem Dichter mit einem auf Dez. 1749 zu datierenden Brief übersendet.20 Ein weiteres Beispiel ist Friedrichs Panégyrique du Sieur Jacques Mathieu Reinhart maître cordonnier, den Voltaire zutreffend eine Trauerrede nennt, deren satirisch-parodistischen Intention er in seinem Brief vom 22 März 1759 launige Anerkennung zollt.21 20 Friedrich II. an Voltaire (April [recte: Dez.] 1749): „Les regrets que me causait la perte de quelques amis me firent naître l’idée de leur payer au moins après leur mort un faible tribut de reconnaissance; et je composai ce petit ouvrage, où le cœur eut plus de part que l’esprit“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXII, 257. Der Text der Épitre à Stille findet sich in Œuvres (ebd.), XX, 145-155. Christoph Ludwig von Stille gehörte seit den Rheinsberger Tagen zum engeren Freundeskreis des Königs, der ihn nach der Thronbesteigung (1740) zum Erzieher seines Bruders Heinrich ernannte und 1744 zum Kurator der Akademie bestellte. Der „Schöngeist“, wie Friedrich ihn in seinem 25. Juni 1753 vor der Akademie verlesenen Nachruf nannte, wurde in der Schlacht von Hohenfriedberg (1745) verwundet; er starb am 19. Okt. 1752 eines natürlichen Todes; vgl. Éloge du général de Stille, in: Œuvres (wie Anm. 1), VII, 33-36. Voltaires Éloge ist nachzulesen in: Œuvres complètes de Voltaire, Nouvelle édition avec notices, préfaces, variantes, table analytique, les notes de tous les commentataires et des notes nouvelles. Conforme pour le texte à l’édition de Beuchot [publiées par L. Moland], 52 vol., Paris 1877-1882, vol. XXXIX, 27-47. 21 Voltaire an Friedrich II. (22. März 1759): „[...] et enfin, en faisant marcher cent soixante mille hommes, vous donnez l’immortalité à Jacques-Matthieu Reinhart, maître cordonnier. On croirait d’abord, sur le titre de cette oraison funèbre, que votre ouvrage ne va pas à la cheville du pied; mais quand on le lit avec un peu de réflexion, on voit bien que vous jouez plus d’un trône et plus d’un autel par-dessous jambes. Je voudrais avoir été un des garçons de

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Die Gegenwart der Antike Friedrichs parodistische Trauerrede auf den Schuhmachermeister Reinhart demonstriert nicht nur seine souveräne Beherrschung der rhetorischen Mittel und seine Vertrautheit mit der Tradition. Denn die Parodie, zumal die Parodie in satirischer Absicht, hat die in der Tradition bewährte Konventionalität einer Form zu ihrer unabdingbaren Voraussetzung. Letztlich bezeugt das artistische Spiel mit dem Muster ebenso wie die bewusste Nachahmung die hohe Verbindlichkeit überkommener Vorbilder. Wie die tragische ist auch die traurige Muse für Friedrich eng mit der Philosophie der Stoa verbunden. Da er das Griechische nicht beherrschte und sein Vater ihm das Lateinlernen verboten hatte, war er für die Rezeption der Antike auf französische Übersetzungen angewiesen. In Frankreich aber lag der Akzent traditionell stärker auf der römischen als auf der griechischen Antike. Friedrichs Vorliebe für Lukrez, Cicero und Marc Aurel, die neben Bayle, Locke und Newton seine philosophischen Leitsterne bilden, dürfte sich auch aus diesem Bildungshintergrund erklären. Dass es sich dabei um mehr als um bloße Bildungsreminiszenzen handelt, weiß niemand besser als Voltaire. Bereits den Kronprinzen nennt er einen „würdigen Erben des Geistes Marc Aurels“22, um später auch und erst recht den König wiederholt und absichtsvoll, eben den Spielregeln des von beiden Seiten durchschauten Spiels gemäß, in diese ehrenvolle Ahnenreihe zu rücken. Am Beispiel des Lukrez, dessen philosophisches Lehrgedicht De rerum natura bei den aufgeklärten Philosophen ebenso präsent wie wegen seiner materialistisch-epikureischen Philosophie umstritten ist, zeigen Matthieu Reinhart; mais comme, à vos yeux, tous les hommes sont égaux, j‘aime autant faire des vers que des souliers. Il est beau à V. M. d’avoir fait le panégyrique d’un cordonnier, dans un temps où, de puis l‘Elbe jusqu’au Rhin, les peuples vont nu-pieds“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XX, 33-35; vgl. Panégyrique du sieur Jacques-Mathieu Reinhart, maitre cordonnier, prononcé le treizième mois de l’an 2899, dans la ville de l’imagination, par Pierre Mortier, diacre de la cathédrale. Avec permission de Monseigneur L’archevêque de bonsens, in: Œuvres (ebd.), XV, 99-128. 22 Voltaire an Friedrich II. (17. April 1737): „Vous voyez, digne héritier de l‘esprit de Marc-Aurèle, avec quelle liberté j’ose vous parler. Vous êtes presque le seul sur la terre qui méritiez qu’on vous parle ainsi“; in: Œuvres (ebd.), XXI, 66.

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sich im Vergleich zwischen Friedrich und Voltaire Möglichkeiten und Grenzen der Auseinandersetzung mit der Tradition. So beansprucht der Philosoph von Sanssouci in der Ode, die er 1747 seinem Rückzugsort widmet, ganz selbstverständlich die Position des durch philosophische Einsicht wohlverwahrten Weisen, der vom sicheren Ufer den Schiffbrüchen zuschaut, die philosophisch weniger Einsichtige auf dem stürmischen Meer des Lebens erleiden.23 Während Friedrich das berühmte Eingangsbild vom Schiffbruch mit Zuschauer aus dem zweiten Buch von De rerum natura ungebrochen affirmativ zitiert, bemüht Voltaire die Konfiguration des Lukrez in seinem „Gedicht über das Erdbeben von Lissabon“, um ihr eine ebenso überraschende wie produktive Lesart abzugewinnen, die seinem Gedicht und seiner Auseinandersetzung mit dem philosophischen Optimismus zu Recht den Rang eines zugleich poetischen und philosophischen Weltereignisses verleiht.24 Auf den Einfluss der Stoa hat man die Pflichtethik des Preußenkönigs ebenso zurückgeführt wie seine Rechtfertigung des Freitodes, der ihm 23 Friedrich II., Épitre à d’Argens: „Heureux qui, retiré dans un temple à l’écart,/Voit sous ses pieds grossir et gronder les orages,/Contemple de sang-froid les écueils, les naufrages/Où les ambitieux, vains jouets du hasard,/De leurs tristes débris vont couvrir les rivages!“ In: Œuvres (wie Anm. 1), XI, 53. 24 Voltaire, Poème sur le désastre de Lisbonne ou examen de cet axiom: „Tout est bien“ (Verse 24-26): „Tranquilles spectateurs, intrépides esprits,/De vos frères mourants contemplant les naufrages/Vous recherchez en paix les causes des orages“; in: Voltaire, Mélanges, hg. v. R. Pomeau, Paris 1961, 305. In der Übersetzung von Karl Büchner lautet die Stelle bei Lukrez: „Süß, wenn auf hohem Meer die Stürme die Weiten erregen,/ist es, des anderen mächtige Not vom Lande zu schauen,/nicht weil wohlige Wonne das ist, das ein andrer sich abquält,/sondern zu merken, weil süß es ist, welcher Leiden du ledig./[...] aber süßer ist nichts als zu wohnen im heitern Gefilde,/ hoch in der Höhe und wohlverwahrt durch Lehre der Weisen,/so daß herabblicken kannst du auf andre und sehen du, wie sie/überall irren und schweifend suchen die Bahnen des Lebens“; in: Titus Lucretius Carus, De rerum natura/Welt aus Atomen. Lateinisch u. deutsch, übers. u. hg. v. Karl Büchner, Stuttgart 1981, II, v. 1-10, 85. Zur Wirkungsgeschichte der LukrezStelle vgl. Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a. M. 1979. Zu Voltaires Erdbebengedicht vgl. meine Studie Poetische Theodizee (wie Anm. 11), 293-310; zum neueren Stand der Forschung Gerhard Lauer, Thorsten Unger (Hg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, Göttingen 2008.

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im Siebenjährigen Krieg wiederholt als ein keineswegs rein philosophisches Problem vor Augen stand. Die nach den Niederlagen von Kolin und Groß-Jägersdorf verfasste Epistel an d’Argens, eine Apologie des Freitods,25 gegen die sich Voltaires dramatische briefliche Appelle von September und Oktober 1757 wenden, beschwört die Manen der freiwillig aus dem Leben geschiedenen „Helden der Freiheit“, Brutus und Cato, zu denen sich der Verfasser als „Vorbild, Trost und Lehre“ bekennt. Friedrichs Berufung wahlweise auf die Philosophie der Stoa oder auf den Epikureismus steht im Kontext einer Aktualität der Antike, die keineswegs auf die Philosophie und die schönen Künste beschränkt, sondern allgegenwärtig ist. So beschreibt er etwa im Oktober 1742 in einem Brief an Voltaire den Eindruck, den die Lektüre eines Kapitels aus dessen Essai sur les mæurs bei ihm hinterlassen hat, mit den Worten, dass es „bei den Alten kein Werk gibt, das wie das Ihre dazu in der Lage wäre, richtige Ideen zu vermitteln, den Geschmack zu formen und die Sitten zu mäßigen und zu verfeinern; es wird die Zierde unseres Jahrhunderts sein und der Nachwelt ein gefeiertes Denkmal der Überlegenheit des Genies der Modernen über die Alten“.26 Wenn der Eroberer Schlesiens, der sich im Friedensschluss zu Breslau seine Beute soeben vertraglich hat zusichern lassen, die Aufmerksamkeit Voltaires auf den Fortschritt lenkt, durch den sich das gegenwärtige Zeitalter in mannigfacher Hinsicht vor den vorhergegangenen auszeichne, möchte er das Genie des modernen Geschichtsschreibers nicht zuletzt in den Dienst 25 Épitre au Marquis d’Argens (À Erfurt, ce 23 de septembre 1757); in: Œuvres (wie Anm. 1), XII, 56-63. 26 Friedrich II. an Voltaire (13. Okt. 1742): „J’étais justement occupé à la lecture de cette histoire réfléchie, impartiale, dépouillée de tous les détails inutiles [i.e. des Essai sur les mœurs, U.S.], lorsque je reçus votre lettre. La première espérance que je conçus fut de recevoir la suite des cahiers. Le peu que j’en ai me fait naître le désir d’en avoir davantage. Il n’y a point d’ouvrage chez les anciens qui soit aussi capable que le vôtre de donner des idées justes, de former le goût, d’adoucir et de polir les mœurs. Il sera l’ornement de notre siècle, et un monument qui attestera à la postérité la supériorité du génie des modernes sur les anciens“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXII, 130-132. Ob es sich bei dem Text, auf den Freidrich sich bezieht, wirklich um den Essai sur les mœurs handelt, ist unsicher; zu den mit dem Essai verbundenen editorischen Problemen vgl. Besterman, Voltaire (wie Anm. 5), 348-352.

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des eigenen Ruhmes stellen. Die Größe und Bedeutung des gegenwärtigen historischen Augenblicks aber glaubt er ihm nachdrücklicher nicht vor Augen rücken zu können, als durch die Erinnerung an die Schlacht von Pharsalos, die mit Caesars Sieg über Pompeius im Jahre 48 v. Chr. den Untergang der Republik besiegelte und den Weg zum römischen Caesarentum ebnete. Als Sinnbild ins Ewige sich wiederholender politischer Machtkämpfe wird Goethe das Zitat dieser welthistorischen Stunde seiner gewaltigen Beschwörung des Geistes der Antike in der Klassischen Walpurgisnacht im zweiten Teil des Faust voranstellen. Friedrichs Berufung auf Pharsalos gehorcht demgegenüber einer anderen historischen Logik. Sie folgt jener Denkform des historisch-typologischen Parallelismus, den Charles Perraults in seiner Kampfschrift Parallèle des anciens et des modernes en ce qui regarde les arts et les sciences (1688-1697) in den Dienst einer Rechtfertigung der Moderne gestellt hatte. Selbst ein antikes Vorbild, nämlich die Parallelviten des Plutarch, im Titel zitierend, führt sein Vergleich antiker und moderner Autoren in polemischer Abkehr vom bisher vorherrschenden Konsens den Nachweis einer Überlegenheit der modernen Kultur, wie sie für ihn im Frankreich Ludwigs XIV. Gestalt angenommen hat. In der Querelle verbleiben letztlich beide Seiten gleichermaßen im Bann der Denkform der Parallèle, die auch für Friedrich und Voltaire ihre Verbindlichkeit noch keineswegs eingebüßt hat.27 Voltaire nimmt in den zu seiner Zeit abklingenden Scharmützeln des Vorzugsstreit eine vermittelnde Position ein. Zwar besteht für ihn kein Zweifel daran, dass die Künste und vor allem die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften seiner Zeit eindringlich genug die Überlegenheit der Moderne dokumentieren. Dennoch ist es immer wieder die Antike, an deren Gegenbild sich diese Moderne ihrer selbst vergewissert. Nicht nur, wie Voltaire seinen Landsleuten in seinem Discours aux Welches (1764) vorhält,28 dass sie keine Kunst, keine Wissenschaft haben, deren Kenntnis sie nicht den Alten verdanken und dass sie also gut daran tun, ihre Lehrmeister zu achten. Mehr 27 Hans-Robert Jauß, Ästhetische Normen und geschichtliche Reflexion in der „Querelle des anciens et des modernes“, in: Charles Perrault, Parallèle des anciens et des modernes en ce qui regarde des arts et les sciences (Faksimiledruck der Originalausgabe Paris 1688-1697), hg. v. H.-R. Jauß, München 1964, 8-64. 28 Voltaire, Discours aux Welches, in: Mélanges (wie Anm. 24), 685-701.

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noch ist es die Unwandelbarkeit der einen Vernunft, die sich in den großen Denkern der Antike vorbildlich manifestiert und ihnen über alle historische Distanz und über allen unbestreitbaren Zuwachs an Kenntnissen hinweg Achtung und Gegenwart sichert. Im Lichte dieser einen Vernunft schwindet die historische Differenz, um einer integralen Gegenwart Platz zu machen, in der es ohne Weiteres vorstellbar wird, dass ein Höfling Ludwigs XIV. den Platz eines römischen Senators einnehmen und umgekehrt die Tochter Ciceros der Madame de Pompadour als Hofdame ernsthafte Konkurrenz machen könnte, wie es Voltaire in seinem Dialog Les anciens et les modernes ou la toilette de Madame de Pompadour (1765) so verspielt wie hintersinnig imaginiert.29 In Voltaires Geschichtsauffassung besteht, wie Ernst Cassirer festgestellt hat, der Fortschritt darin, dass die Vernunft „das wird, was sie ihrer Natur nach ist“.30 Von einem Fortschritt der Vernunft kann deshalb nicht eigentlich die Rede sein; denn die Vernunft als solche ist überzeitlich, unwandelbar sich selbst gleich. Wohl aber werde die Vernunft zu Zeiten mehr oder weniger sichtbar, und mit Blick auf dieses Sichtbarwerden der Vernunft könne man, so Cassirer, von Fortschritt sprechen. In dieser Sicht folgen die historischen Epochen nicht im Sinne eines linearen Verlaufs sukzessive aufeinander; vielmehr sind die zeitlichen Manifestationen des Ewigen dem kontinuierlichen Verlauf der Geschichte diskontinuierlich eingesenkt. Untereinander sind sie nicht durch den Verlauf der Zeit verbunden, sondern durch den Grad der Verbreitung, den die Vernunft in ihnen gefunden hat. Wo die Zeit den Abstand der Epochen immer größer werden lässt, treten sie im Zeichen der Vernunft in eine ewige Gegenwart ein. Dabei sind Voltaire und Friedrich davon überzeugt, dass die Entfaltung der Vernunft in der französischen Kultur im Zeitalter des Sonnenkönigs ihren vorerst letzten Höhepunkt gefunden hat. In seinem Brief vom 31. Juli 1767 regt Friedrich einen kleinen literarischen Disput über die Frage an, bis wann sich das „Siècle de Louis XIV“ denn erstrecke, das zwar den Namen Ludwigs trage, dessen Dauer aber dennoch keineswegs mit den Lebensdaten seines Namenspatrons übereinstimme. Bereits die Frage als solche zeigt die noch ungebrochene Wirkungs29 Voltaire, Les anciens et les modernes ou la toilette de madame de Pompadour, in: Mélanges (ebd.), 731-738. 30 Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, 2. Aufl. Tübingen 1932, 295 [Herv. i. O.].

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macht dieser Epoche.31 Die aber gründet nicht zuletzt in einer Sicht der Geschichte, die, wie Friedrich es im gleichen Atemzug tut, dem „Jahrhundert Ludwigs XIV.“ selbstverständlich das „Jahrhundert des Augustus“ an die Seite stellt. Ganz in diesem Sinne wird er seiner Éloge de Voltaire einen Überblick über die Epochen der Blüte der Künste und der Vernunft voranstellen, in dem sich das Athen des Perikles, Rom im Zeitalter des Augustus, die Epoche der Wiederherstellung der Literatur und Künste zur Zeit des Lorenzo de Medici und schließlich das „Siècle de Louis XIV“ wie die Glieder einer Perlenkette aneinanderreihen.32 Für Friedrich ist der Ruhm Voltaires irreversibel in dessen Zugehörigkeit zu jener heroischen Epoche Frankreichs begründet. Er möge noch lange den Ruhm in dieser Welt genießen, schreibt er ihm Anfang 1775 aus Potsdam, „überstrahlen Sie uns in Ihrer Abenddämmerung mit jenen Strahlen von Geschmack und Genie, die allein Sie aus dem Jahrhundert Ludwigs XIV., dem Sie so sehr angehören, weitergeben können, ergießen Sie diese Strahlen über die Literatur, hindern Sie sie daran zu verkommen; und wenn möglich, versuchen Sie die Liebe zu den Wissenschaften und zum Geschriebenen, die mir aus der Mode zu kommen und sich zu verflüchtigen scheint, wiederzuerwecken.“33 Das Eintreffen eines Geschenkes in Ferney, das Porträt Friedrichs von der Hand Anna Dorothea Therbuschs, gibt Voltaire im Herbst desselben Jahres Anlass, im gleichen Geist zu replizieren. Selbst Fremde, berichtet er in seinem Brief vom 30. Sept. 1775, kämen in sein Haus, um sich vor dem Porträt des Königs als vor einem großen Mann zu verneigen. Endlich sei das Zeitalter Preußens gekommen. „Es ist wahr, daß man gegenwärtig unter beinahe allen Herrschern Europas einen Wettbewerb 31 Friedrich II. an Voltaire (31. Juli 1767): „Ceci me donne lieu de vous proposer un doute que je vous prie de résoudre. On dit le siècle d’Auguste, le siècle de Louis XIV: jusqu’à quel temps doit s’étendre ce siècle? combien avant la naissance de celui qui lui donne son nom, et combien après sa mort? Votre réponse décidera un petit différend littéraire qui s’est élevé ici à cette occasion“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXIII, 153-154. 32 Friedrich II., Éloge de Voltaire, in: Œuvres (ebd.), VII, 57-59. 33 Friedrich II. an Voltaire (27. Jan. 1775): „[...] de votre couchant répandez ces rayons de goût et de génie que vous seul pouvez transmettre du beau siècle de Louis XIV, auquel vous tenez de si près; répandez ces rayons sur la littérature, empêchez-la de dégénérer; et, s’il se peut, tâchez de réveiller le goût des sciences et des lettres, qui me paraît passer de mode et se perdre“; in: Œuvres (ebd.), XXIII, 347.

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beobachten kann, sich durch große und nützliche Unternehmungen hervorzutun. Es hat sogar den Anschein, als schwinde der Aberglaube an einigen Höfen. Aber welcher Fürst reicht an Ihre Philosophie heran? Auf Ehre, es ist wahr, daß Sie wie Marc Aurel denken und wie Cicero schreiben, und das in einer Sprache die nicht die Ihre ist“.34

Unzeitgemäße Zeitgenossenschaft Als auf Veranlassung Voltaires der von ihm entdeckte und für die Aufführung seiner Stücke immer wieder gefragte Schauspieler Henri Louis Cain, genannt Le Kain, im Sommer 1775 nach Potsdam kommt, geraten dessen Auftritte in den Tragödien Voltaires, über die Friedrich ausführlich nach Ferney berichtet, zu einer Apotheose des Dichters. Zwar würdigt der König auch die schauspielerischen Gaben Le Kains, der mehr als einmal gemeinsam mit Voltaire auf der Bühne stand. Aber im Grunde ist ihm weniger an der Aufführung, als am Text der Stücke gelegen, von denen er so vieles auswendig weiß, dass er, wie er am 8. Sept. 1775 schreibt, als Souffleur dienen könne. Wenn er sein Glück in der Welt nicht auf andere Weise mache, werde dieser Beruf seine letzte Chance sein. Es sei gut, mehr als ein Eisen im Feuer zu haben.35 Immerhin tragen die Deklamationen des geübten Schauspielers nicht unerheblich dazu bei, dass der König sich bei Gelegenheit der Aufführungen von Voltaires Œdipe und Zaïre als der ideale Tragödienzuschauer erweist. Als bedürfe die Theorie der Tragödie, in deren Geist die beiden Stücke verfasst wurden, der Bewährung durch die Praxis, meldet der Klausner von Sanssouci dem Patriarchen von Ferney, dass er während der Aufführung seine Tränen nicht habe zurückhalten können, da es „im letzteren dieser Stücke so anrührende Stellen und im ersteren so 34 Voltaire an Friedrich II. (30. Sept. 1775), in: Œuvres Complètes de Voltaire, éd. par T. Besterman et al., Genève, Oxford etc., 1968-2011, vol. 126: Correspondance XLII, Oxfordshire 1975, Brief: D 19681, 196-197. 35 Friedrich II. an Voltaire (8. Sept. 1775): „Je pourrais servir de souffleur à vos pièces; il y en a beaucoup que je sais par cœur. Si je ne fais pas autrement fortune en ce monde, ce métier sera ma dernière ressource. Il est bon d’avoir plus d’une corde à son arc“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXIII, 394.

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Schrecken erregende gibt, daß man von dem einen bewegt ist und beim anderen erzittert“.36 Ob er bei der Abfassung seines Briefes jenen Voltaires vom 17. März 1749 vor Augen hatte, in dem dieser ihm bei Gelegenheit der Übersendung seiner Sémiramis die Grundsätze seiner klassizistischen Theorie der Tragödie erläutert hatte? Er habe versucht, so Voltaire, „alle Schrecken des Theaters zu verströmen und die Franzosen zu Athenern zu machen. Ich habe, wiewohl unter Mühen, diese Metamorphose bewerkstelligt. Selten habe ich erlebt, daß Furcht und Mitleid, begleitet von prächtigem Spektakel, größeren Effekt erzielt hätten. Ohne Furcht und Mitleid keine Tragödie. Eben deshalb, Sire, lassen Zaïre und Alzire stets die Tränen fließen und werden immer wieder verlangt.“ Selbst ein Philosoph unterliege dem Zauber und dem Vorurteil, die er auf dem Papier bekämpfe. „Ohne Furcht und Mitleid kein Erfolg bei der Aufführung des Stücks; doch auch“, so Voltaire weiter, „kein Erfolg beim Lesen, ohne die stets korrekte, stets harmonische, von poetischer Expression getragene Versifikation“.37 Genau das hatte Boileau, der Statthalter der klassischen Tradition in Frankreich, gefordert.38 Wie für Boileau sind auch für Voltaire die auf Aristoteles zurückgeführten Regeln der tragischen Dichtkunst untrennbar mit dem Gebrauch von Vers und Reim verbunden. 36 Friedrich II. an Voltaire (24. Juli 1775): „Cependant je n’ai pu retenir mes larmes ni dans Œdipe, ni dans Zaïre; c’est qu’il y a des morceaux si touchants dans la dernière, et de si terribles dans la première, qu’on s’attendrit dans l’une, et qu’on frémit dans l‘autre“; ebd., 380. 37 Voltaire an Friedrich II. (17. März 1749): „J’ai tâché d’y répandre toute la terreur du théâtre des Grecs, et de changer les Français en Athéniens. Je suis venu à bout de la métamorphose, quoique avec peine. Je n’ai guère vu la terreur et la pitié, soutenues de la magnificence du spectacle, faire un plus grand effet. Sans la crainte et sans la pitié, point de tragédies. Sire, voilà pourquoi Zaïre et Alzire arrachent toujours des larmes, et sont toujours redemandées. [...] Sur cent personnes il se trouve à peine un philosophe, et encore sa philosophie cède à ce charme et à ce préjugé qu’il combat dans le cabinet. [...] Point de succès dans les représentations, sans la crainte et la pitié; mais point de succès dans le cabinet, sans une versification toujours correcte, toujours harmonieuse, et soutenue de la poésie d’expression“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXII, 214. 38 Nicolas Boileau, L’art poétique, hg. v. A. Buck, München 1970, Chant I, v. 27-28, 40.

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Das zu betonen, gab die von Friedrich in seinem Brief erwähnte Tragödie Zaïre besonderen Anlass. Anders als der Œdipe stellte dieses Drama stofflich eine besondere Herausforderung dar. Mit seinem ersten bedeutenden Drama, dem 1719 uraufgeführten Œdipe, einer Neubearbeitung des Oedipus-Stoffes, hatte der neunzehnjährige Voltaire den Anspruch angemeldet, ein würdiger Nachfolger Corneilles und Racines zu sein. Die Aufführung des Œdipe in Potsdam gab Friedrich also Gelegenheit, der ruhmvollen Anfänge Voltaires zu gedenken. Aber auch das zweite in Potsdam inszenierte Drama scheint nicht zufällig gewählt. Die Zaïre war 1732 in der Comédie française uraufgeführt worden. Mit ihrem triumphalen Erfolg hatte Voltaire die hohen Erwartungen gerechtfertigt, die man in den jungen Dichter des Œdipe gesetzt hatte, und seinen Ruhm als Tragödiendichter auf Lebzeiten gesichert. Dabei fällt besonders ins Gewicht, dass der Dichter sich überzeugt zeigte, mit diesem Drama die Herausforderung des englischen Theaters, namentlich Shakespeares, mit dem er im englischen Exil in Berührung gekommen war, angenommen zu haben. Das aber konnte nichts anderes heißen, als die von Shakespeare ausgehende Provokation in die Schranken der bienséance (Schicklichkeit) zu weisen. Dem englischen Theater verdanke seine Zaïre die Kühnheit der Stoffwahl. Wie Shakespeare nämlich hatte Voltaire in seinem Drama einen Gegenstand aus der eigenen nationalen Geschichte behandelt. Er habe es gewagt, so Voltaire in dem Widmungsschreiben, das den Druck seines Dramas begleitete, die Namen französischer Könige und alter Adelsgeschlechter und damit französische Geschichte auf die Theaterbühne zu bringen.39 Die Handlung des Dramas ist im Heiligen Land zur Zeit der Kreuzzüge angesiedelt. Neben dem Wagnis, einen wie auch immer peripheren Stoff aus der französischen Geschichte bearbeitet zu haben, schmeichelte Voltaire sich ferner, mit der Titelheldin eine Frau ins Zentrum der Handlung gestellt und auf diese Weise das Vorurteil widerlegt zu haben, daß die Liebe in seinen Tragödien keinen Platz habe. Die Sprachform der tragédie classique ist für Friedrich in nicht weiter verwunderlicher Harmonie mit Voltaire der repräsentative Ausdruck einer Kultur, die ihrem Verständnis nach unabdingbar an Sprache ge39 „Quelque sujet qu’on traite, ou plaisant, ou sublime,/Que toûjours le Bon sens s’accorde avec la rime“; in: Voltaire, Zaїre. Tragédie en cinq actes. Épitre dédicatoire (1733), in: Œuvres complètes de Voltaire (wie Anm. 20), II, 542.

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bunden und über Sprache vermittelt ist. Zu Tränen gerührt wurde der Preußenkönig von den Darbietungen des berühmten Schauspielers vor allem dadurch, dass er ihn gehört hat. Le Kain habe die Rollen des Œdipe, des Mahomet und des Orosmane gespielt; „als Œdipe haben wir ihn zweimal gehört.“ Dieser Schauspieler, so berichtet er Voltaire in dem bereits zitierten Schreiben, sei „sehr gewandt; er hat eine schöne Stimme, er gibt sich würdevoll, seine Bewegung ist nobel, und es ist unmöglich, dem Gebärdenspiel mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als er es tut. Soll ich Ihnen dennoch naiv den Eindruck berichten, den er auf mich gemacht hat? Ich hätte ihn gern weniger outriert, dann würde ich ihn für vollkommen halten.“ Im vergangenen Jahr, so Friedrich weiter, habe er Aufresne gehört. Und wenn er in seinem kurzen Vergleich der beiden Schauspieler schließlich Le Kain den Vorzug gibt, so ist einmal mehr die Beherrschung der Kunst der Deklamation, der akustische Eindruck, für sein Votum ausschlaggebend. 40 Die Tragödien Voltaires vor Augen, in denen sich ihm die erhabene Größe der französischen klassizistischen Kultur manifestiert, wird Friedrich der Abstand fühlbar, durch den die deutsche Literatur seiner Zeit von solcher Vollendung entfernt ist. Die beiden Briefe vom 24. Juli und 8. Sept. 1775 resümieren die Argumente, die er in seiner Schrift Über die deutsche Literatur, die Mängel, die man ihr vorwerfen kann, ihre Ursachen und die Mittel zu ihrer Verbesserung von 1780 der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen wird. Die Grundlinien dieser Schrift finden sich jedoch bereits in seinem Brief an Voltaire vom 6. Juli 1737, in dem der Kronprinz die Entwicklung, die die französische Kultur von der Zeit Franz I. bis auf die Blüte der Künste und Wissenschaften unter 40 Friedrich II. an Voltaire (24. Juli 1775): „Le Kain a joué les rôles d’Œdipe, de Mahomet et d’Orosmane; pour l’Œdipe nous l’avons entendu deux fois. Ce comédien est très habile; il a un bel organe, il se présente avec dignité, il a la geste noble, et il est impossible d’avoir plus d’attention pour la pantomime qu’il en a. Mais vous dirai naïvement l’impression qu’il a faite sur moi? Je le voudrais un peu moins outré, et alors je le croirais parfait. L’année passée, j’ai entendu Aufresne; peut-être lui faudrait-il un peu du feu que l‘autre a de trop. Je ne consulte en ceci que la nature, et non ce qui peut être en usage en France“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXIII, 380 (Herv. v. Verf.). Der Schauspieler Jean Rival (1728-1804), genannt Aufresne, hatte sein Debüt an der Comédie française am 30. Mai 1765. Zur Darstellungskunst Le Kains (1729-1778) vgl. die Zeugnisse bei Jean Orieux, Das Leben des Voltaire (1966), übers. v. Julia Kirchner, Frankfurt a. M. 1985, 832-33.

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Ludwig XIV. genommen hat, als richtungsweisend für den in allen Belangen als defizitär empfundenen Stand der deutschen Kultur schildert. Der Kontext der Briefe lässt die über Jahrzehnte irreversible Geltung des Wertmaßstabs vielleicht noch nachdrücklicher hervortreten, als die Abhandlung selbst, in der die negative Beurteilung der zudem nur höchst partikular gewürdigten zeitgenössischen deutschen Literatur schon Anlass genug war, sich gegen den königlichen Kritiker zu verwahren. In den Mängeln einer in eine Vielzahl regionaler Idiome zerfallenen und zudem in der guten Gesellschaft vom Französischen verdrängten Sprache sowie im fehlenden, weil durch falsche Beispiele verderbten Geschmack sieht Friedrich die Hauptgründe für den beklagenswerten Zustand der nationalen Kultur. Deutschland, so lautet das in den beiden Briefen von 1775 in ähnlichen Formulierungen bekräftigte Resümee, „gleicht zur Zeit exakt dem Frankreich zu Zeiten von Franz I.“ Zugleich zeigt sich der König überzeugt, dass sich der gute Geschmack in Deutschland einzig durch das wohlbedachte Studium der klassischen Autoren verbreiten werde, zu denen er „eben sowohl die griechischen als auch die römischen und französischen“ zählt. Er selbst, dessen Tage sich dem Ende neigen, werde die glücklichen Zeiten einer Blüte der Literatur und Künste in Deutschland nicht mehr erleben, deren Möglichkeit er aber gleichwohl erahne. Wie Moses, heißt es am Schluss der Abhandlung von 1780, sehe er das gelobte Land von ferne, werde es aber nicht betreten.41 Gleichwohl besteht kein Zweifel daran, dass der prophetische Blick Friedrichs einem sehr eingeschränkten Blickwinkel folgt und dass er seine Inspiration eher im Vergangenen denn in der Zukunft findet. „Wenn wir erst Medicis haben, werden auch unsere Genies hervorkeimen; und die Augustus werden schon Virgile machen. Wir werden dann auch unsere klassischen Schriftsteller bekommen.“42 Mit dieser Prophezeiung folgt die Abhandlung nur allzu deutlich einem ästhetischen 41 Friedrich II. an Voltaire (24. Juli 1775): „L’Allemagne est actuellement comme était la France du temps de François Ier“; in: Œuvres (wie Anm. 2), XXIII, 381; vgl. Friedrich II. an Voltaire (6. Juli 1737), in: Œuvres (wie Anm. 2) XXI, 81-88, sowie Friedrich II., Über die deutsche Literatur (wie Anm. 9), 99. Zu dem gesamten Komplex vgl. meinen Aufsatz: Die Sprache der Gefühle. Der Literaturbegriff Friedrichs des Großen im historischen Kontext, in: Wehinger (Hg.), Geist und Macht. (wie Anm. 9), 23-49. 42 Friedrich II., Über die deutsche Literatur (wie Anm.9), 99.

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Wertekanon, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unzeitgemäß geworden war. Es hilft wenig, Friedrichs Urteil über die deutsche Literatur mit dem Hinweis auf die vermeintlich fortgeschrittenere französische Entwicklung historisches Recht widerfahren zu lassen. Denn auch am französischen Horizont, auf den der preußische König als rückwärtsgekehrter Prophet den Blick richtet, strahlte der Stern Voltaires längst nicht mehr allein und sollte schon sehr bald von dem JeanJacques Rousseaus überstrahlt werden. „Hier liegt – wenn man euch glauben wollte,/Ihr frommen Herr’n! – der längst her liegen sollte./Der liebe Gott verzeih aus Gnade/Ihm seine Henriade,/Und seine Trauerspiele,/Und seiner Verschen viele:/Denn was er sonst ans Licht gebracht,/Das hat er ziemlich gut gemacht“.43 In Lessings Grabschrift auf Voltairen aus dem Jahre 1779 meldet sich nicht nur der Geist einer neuen Zeit zu Wort. Wie auch immer respektlos er das ihm zufallende Erbe mustert, er zeigt sich bereit, es anzutreten. Man muss sich hüten, Lessings Urteil mit den Augen einer späteren Zeit zu lesen, die mit dem Namen Voltaires vor allem den Candide assoziiert. Denn recht verstanden, formuliert die Grabschrift einen fundamentalen Einwand gegen den Klassizismus Voltaires, mit dem sich Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie mit dem produktiven Resultat der Darlegung seiner eigenen Theorie der Tragödie auseinandersetzt. Deren Anliegen ist es, die bei Voltaire monierte Inkompatibilität von klassizistischer Form und aufgeklärtem Gehalt gerade im Interesse der Aufklärung zu korrigieren. Dieser Widerspruch musste aber umso fühlbarer werden, je nachdrücklicher sich das Theater an ein neues, „bürgerliches“ Publikum richtete, dessen Selbstverständnis Rousseau in der Theorie vorgezeichnet und dem Diderot auf dem Theater Ausdruck verschafft hatte.

Epilog Die Briefe aus den siebziger Jahren, die der Eremit von Sanssouci mit dem Patriarchen von Ferney austauscht, führen ein Rollenspiel auf, in 43 Gotthold Ephraim Lessing, Grabschrift auf Voltairen 1779, in: Werke, hg. v. H. G. Göpfert et al., 8 Bde., München 1970-79, Bd. I, 54; vgl. Horst Albert Glaser, Lessings Streit mit Voltaire. Das Drama der Aufklärung in Deutschland und Frankreich, in: Voltaire und Deutschland (wie Anm. 19), 399-407.

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dem beide Partner den im Laufe der Jahre erworbenen und wechselseitig konzedierten Part souverän und nicht ohne Selbstironie geben. Zu Zeiten noch des Siebenjährigen Krieges hatte der „alte Schweizer Schwätzer“, als der sich Voltaire in seinem Brief vom 3. Juni 1760 zu Wort meldet,44 die Rollen gelegentlich à la La Fontaine verteilt und seine Bemühungen um die Beendigung des Krieges dem König nach dem Vorbild der fabelhaften Ratte angedient, die den Löwen, der sie einst verschonte, aus dem Netz befreit, in das er sich verfangen hat. Mit der Wendung, „Sire, die Ratte küßt in untertänigster Untertänigkeit Ihre reizenden Klauen“, hatte er einen vermutlich auf Oktober 1759 zu datierenden Brief beschlossen.45 Die Funktion, die die Literatur in den Briefen erfüllt, ist so vielfältig wie die Gegenstände, die in ihnen zur Sprache kommen. Wenn sie das Medium dieses Dialogs in Briefen genannt werden darf, ist es dann nicht auch legitim, den Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire selbst als ein Kunstwerk zu betrachten? Wilhelm Dilthey, bei dem der Topos wirkungsmächtig begegnet, war vorsichtig genug, sowohl den Begriff des Briefes als auch den des Kunstwerks in diesem Kontext zu relativieren.46 Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die meisten dieser Briefe mit Blick auf die, ja geradezu für die Öffentlichkeit geschrieben wurden. Der Briefwechsel zwischen dem preußischen König und Voltaire war eine sowohl in der République des lettres als auch an den Höfen in Paris und Potsdam allzu 44 Voltaire an Friedrich II. (3. Juni 1760): „Sire, le vieux Suisse bavard prend peut-être mal son temps; mais il sait que V. M. peut, en donnant bataille, lire des lettres et y répondre“; in: Œuvres (wie Anm. 1), XXIII, 95. 45 Voltaire an Friedrich II. ([Okt.] 1759): „Sire, il y avait autrefois un lion et un rat; le rat fut amoureux du lion, et alla lui faire sa cour. Le lion lui donna un petit coup de patte. Le rat s’en alla dans la souricière, mais il aima toujours le lion; et voyant un jour un filet qu‘on tendait pour attraper le lion et le tuer, il en rongea une maille. Sire, le rat baise très-humblement vos belles griffes en toute humilité; il ne mourra jamais entre deux capucins comme a fait, à Bâle, un dogue de Saint-Malo; il aurait voulu mourir auprès de son lion. Croyez que le rat était plus attaché que le dogue“; ebd., 67; vgl. Jean de La Fontaine, Fable XI: Le lion et le rat, in: ders., I. Fables, Contes et Nouvelles, éd. par J.-P. Collinet. Paris 1991, 85. 46 Wilhelm Dilthey, Friedrich der Große und die deutsche Aufklärung, in: Gesammelte Schriften, Bd. III: Studien zur Geschichte des deutschen Geistes, 2. Aufl. Leipzig, Berlin 1942, 102.

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bekannte und von allen direkt und indirekt Beteiligten im Bewusstsein dieser Anteilnahme betriebene Angelegenheit, als dass man den Briefen jenen Status des Privaten, Intimen, und Bekenntnishaften zuerkennen dürfte, die Briefschreiber ihren Mitteilungen selbstverständlich erst in der bewussten Nachfolge Rousseaus und Klopstocks aufprägen. War die Ankunft eines Briefes aus Potsdam bereits in Cirey oder in Ferney ebenso wie ein Brief Voltaires in Potsdam oder Berlin ein quasi öffentliches Ereignis, so taten Kopien, gezielte Indiskretionen und bisweilen die Verbreitung durch den Druck, von der florierenden Spionage zumal zu Kriegszeiten zu schweigen, ein Übriges, um keinen der beiden Korrespondenten über die öffentliche Dimension ihrer Korrespondenz im Unklaren zu lassen. Sie haben beide gleichermaßen virtuos auf dieser Klaviatur zu spielen gewusst. Und vielleicht lässt sich mit Blick auf eben diese noch nicht bürgerliche Form der Öffentlichkeit in einem präzisen Sinn von einem Kunstwerk sprechen, das diese Korrespondenz darstellt. Ein Kunstwerk nämlich im Sinne der tragédie classique, über die Hermann August Korff gesagt hat, dass in ihr der Nachdruck darauf ruhe, „eine Leidenschaft nicht zu haben, sondern sie geistvoll zu vertreten“47.

47 Hermann August Korff, Voltaire im literarischen Deutschland des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes von Gottsched bis Goethe, Heidelberg 1917, 25 [Herv. i. O.].

Spiegelungen – Friedrich II., Montezuma (1755) und Voltaire Babette Kaiserkern

Les lettres forment la jeunesse, et font les charmes de l’âge avancé. La prospérité en est plus brillante; l’adversité en reçoit des consolations ; et dans nos maisons, dans celles des autres, dans les voyages, dans la solitude, en tout temps, en tous lieux, elles font la douceur de notre vie. Marcus Tullius Cicero1 Die Freundschaft zwischen Friedrich II. und Voltaire wurde durch Lektüre befruchtet. Dem Monarchen und dem Philosophen bedeutete das Lesen gleichermaßen Pflicht wie Muße. Nicht zuletzt diente die Lektüre als Basis für ihr Schreiben, welches – im Sinne der römisch-antiken Tradition – als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln galt, aber auch zur Verwirklichung des Ideals einer vita contemplativa beitrug. Das „Lob der Dichtkunst“ von Marcus Tullius Cicero, Staatsmann, Redner und Philosoph, findet sich nicht nur in Voltaires Épître à la Marquise du Châtelet2 im Vorwort zur ersten Ausgabe des Theaterstücks Alzire, ou les américains (Paris 1736), sondern auch in Friedrichs Antimachiavel ou Réfutation du Prince de Machiavel (Rheinsberg 1739). In seinem ersten Brief vom 8. August 1736 schreibt der preußische Kronprinz an den achtzehn Jahre älteren Schriftsteller: 1

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Dieses Zitat stammt aus Ciceros Pro A. Licinio Archia poeta oratio; ich zitiere hier die französische Übersetzung von Voltaire (cf. Alzire, ou les américais, in: Les œuvres complètes de Voltaire, vol. 14, éd. par Ulla Kölving / W. H. Barber, Oxford 1989, 114). Dieses Zitat findet sich gleichlautend bei Friedrich II. im Antimachiavel, cf. Friedrich der Große / Fréderic le Grand, L‘Antimachîavel ou Réfutation du Prince de Machiavel/Der Antimachiavel oder: Widerlegung des Fürsten von Machiavelli, in: ders., Philosophische Schriften /Œuvres philosophiques, hg. v. A. Baillot, B. Wehinger, übers. v. Brunhilde Wehinger, Berlin 2007, 45-259, hier: 212. Niederschrift der Épître à la Marquise du Châtelet am 27. Feb. 1736.

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Monsieur, Quoique je n’aie pas la satisfaction de vous connaître personnellement, vous ne m’en êtes pas moins connu par vos ouvrages. Ce sont des trésors d’esprit, si l’on peut s’exprimer ainsi, et des pièces travaillées avec tant de goût, de délicatesse et d’art, que les beautés en paraissent nouvelles chaque fois qu’on les relit. Je crois y avoir reconnu le caractère de leur ingénieux auteur, qui fait honneur à notre siècle et à l’esprit humain.3 Nichts anderes als die Lektüre brandneuer literarischer Werke hatte Friedrich veranlasst, mit deren Autor, dem damals europaweit bekannten Voltaire, in Kontakt zu treten – eine idealtypische Ausgangssituation im Jahrhundert der Aufklärung, wo handschriftliche und gedruckte Texte aller Gattungen zum bedeutendsten Kommunikationsmedium avancierten. Die so entstandene, einmalige Korrespondenz zwischen einem König und einem Intellektuellen währte 42 Jahre und repräsentiert nicht nur den „ersten kontinuierlichen europapolitischen Austausch auf höchster Ebene“4, sondern auch das „Zeugnis einer Freundschaft, welche die üblichen Formen sprengt, selbst jene des Jahrhunderts der Freundschaft“5. Sie gipfelt in der eindrucksvollen Gedenkrede von Friedrich II. sowie in den Gottesdiensten für Voltaire. Ihm war in Paris eine christliche Bestattung verweigert worden, doch der preußische König ließ zwei Totenmessen lesen: im Berliner Dom und in Breslau. Aufklärerische Ideen und Konzepte zeigen sich nicht nur in politischen Reformen, die Friedrich nach seiner Regierungsübernahme durchführte, sondern ebenso im öffentlich-repräsentativen Bereich, speziell in den Aufführungen von Opern nach Voltaires Tragödien am Königlichen Theater in Berlin.6 Nicht nur Friedrichs Briefe und politisch-philosophische Essays setzen den Dialog mit Voltaire fort, sondern auch die Opernlibretti. 3 4 5 6

Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. Johann David Erdmann Preuß, Berlin 1853, Bd. 21, 3. Hans Pleschinski, Friedrich und Voltaire. Eine europäische Beziehung, in: Friedrich und Voltaire. Ein Dialog in Briefen, Ausstellungskatalog, Potsdam 2000, 13. Ebd.,15. Vertont und in Berlin aufgeführt wurden Voltaires Tragödien Sémiramis (Musik: C. H. Graun, UA: Berlin 1754) und Mérope (nach einem Libretto von Friedrich II., Musik: C.H. Graun, UA: Berlin 1756).

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Besonderes Aufsehen erregte das Libretto der „tragedia per musica“ Montezuma,7 dessen Niederschrift im Oktober 1753, kurze Zeit nach dem einschneidenden Eklat zwischen Friedrich und Voltaire8, begann. Als Ausgangsmodell und wichtigstes Reflektionsmedium diente dabei Voltaires Tragödie Alzire, ou les américains. Obschon evidente Bezüge zwischen beiden Werken nicht unbemerkt geblieben sind9, existiert bislang keine vergleichende Studie dazu. Indessen offenbart ein kritischer Vergleich dieser Texte wesentliche Kongruenzen und Kontraste im Denken von König und Philosoph. Bildhaft gesprochen erweist sich Friedrichs Montezuma als dunkler Spiegel von Voltaires Alzire. Mehr als ein Dutzend Stellen in der friderizianischen Korrespondenz belegen den anhaltenden Eindruck, den die Lektüre von Alzire hinterlassen hat. Nur ein halbes Jahr nach der Pariser Premiere von Alzire am 27. Januar 1736 schreibt Friedrich in dem oben erwähnten ersten Brief an Voltaire: Alzire ajoute aux grâces de la nouveauté cet heureux contraste des mœurs des sauvages et des Européens. Vous faites voir, par le caractère de Gusman, qu’un christianisme mal entendu, et guidé par le faux zèle, rend plus barbare et plus cruel que le paganisme même.10 Friedrichs Interesse entzündete sich an dem dargestellten Kontrast zwischen „Wilden“ und „Europäern“, deren Christentum „Barbaren hervorbringt und grausamer als das Heidentum“ ist. Es wird zu zeigen sein, dass dieser Diskurs sowie eine Reihe weiterer Motive und dramaturgischer Kunstgriffe aus Alzire in nahezu unveränderter oder aber 7 Albert Mayer-Reinach, Carl Heinrich Graun als Opernkomponist, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft, Jahrgang 1899-1900, 446-629, hier: 471. 8 Während seines Berliner Aufenthaltes vom Sommer 1750 bis März 1753 betrieb Voltaire verbotenen Handel mit Devisenscheinen, verfasste eine Satire gegen den Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Pierre-Louis Moreau de Maupertuis und wurde zuletzt bei seiner Flucht auf königlichen Befehl in Frankfurt am Main arretiert. 9 Cf. Mayer-Reinach (in Anm. 7), 471 sowie Ronald S. Ridgway, Voltairian bel canto: operatic adaptations of Voltaire´s tragedies, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, 241, Oxford 1986, 125-154, hier: 138143. 10 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 21, 4.

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auf diametral umgekehrte Weise die Argumentation des achtzehn Jahre nach diesem Brief entstandenen Montezuma bestimmt haben. Sogar während des Siebenjährigen Krieges, direkt aus dem Feldlager im schlesischen Strehlen, grüßt Friedrich Voltaire als Autor der Tragödien Alzire und Mérope.11 Noch im hohen Alter bekennt Friedrich das wiederholte Lesen von Voltaires Theaterstücken sowie der Henriade12 und prophezeit, dass sie dereinst den Rang mit den größten Klassikern der Antike, Italiens und Frankreichs teilen werden: Potsdam, 29 septembre 1775. […] Il y a longtemps que j’ai lu et relu vos œuvres. Les pièces polémiques qui s’y trouvent peuvent avoir été nécessaires dans les temps qu’elles ont été écrites; mais les Desfontaines, les Fréron, les Paulian, les La Beaumelle, n’empêcheront jamais que la Henriade, Œdipe, Brutus, Zaïre, Alzire, Mérope, Sémiramis, le Duc de Foix, Oreste, Mahomet, n’aillent grandement à la postérité, et qu’on ne les mette au nombre des ouvrages classiques dont Athènes, Rome, Florence et Paris ont embelli la littérature. C’est une vérité dont tous les connaisseurs conviennent, et non pas un compliment que je vous fais.13 In Friedrichs literarischem Parnass rangierten Voltaires Theaterstücke an höchster Stelle. Zu den Gründen seines Wohlgefallens bemerkt der König: Döringsvorwerk, 18 juillet 1759. […] Je suis revenu de certains préjugés, et je vous avoue que je ne trouve pas du tout l’amour déplacé dans la tragédie, comme dans le Duc de Foix, dans Zaïre, dans Alzire; et, quoi qu‘on en dise, je ne lis jamais Bérénice sans répandre des larmes. Dites que je pleure mal à propos, pensez-en ce que vous voudrez; mais on ne me persuadera jamais qu’une pièce qui me remue et qui me touche soit mauvaise.14 11 Strehlen, novembre 1761: „Je souhaite à l’auteur d’Alzire et de Mérope cette tranquillité dont me prive ma malheureuse étoile. Vale“, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Berlin 1853, Bd. 23, 91. 12 Voltaires Versepos über König Henri IV., den Verkünder des Edikt von Nantes, erschien 1728 in London. 13 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 23, 400. 14 Ebd., 64..

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An dieser Stelle zeigt sich das ästhetische Konzept der Aufklärung, das dem Gefühl neben der Vernunft eine gleichberechtigte Position einräumte. Dazu gehörte unbedingt das Vergießen von Tränen, ein literarischer Topos der Epoche der Empfindsamkeit und ein Zeugnis von „sensibilité“.15 „Le seul nom qui le convient, c’est le mélodrame philosophique“16 – mit der französischen Tragödie des 17. Jahrhunderts hat Voltaires „tragédie“ Alzire, ou les américains weder formal noch inhaltlich viel gemein. In Alzire proklamiert Voltaire die Botschaft des Christentums ohne Gott, kritisiert die Verkommenheit der europäischen Herrschersitten und gibt Lektionen in Toleranz, Reinheit und Wahrhaftigkeit des Herzens.17 Das mitreißende, sprachlich geschliffene Stück wurde ein europaweiter Erfolg.18 Schon das Motto, „Errer est d’un mortel, pardonner est divin“ – nach einer Sentenz von Alexander Pope19 –, zielt direkt in den deistischen Diskurs des Werks. Die adelige Indianerin Alzire liebt den aus dem Gefängnis geflohenen Zamore, heiratet aber auf Wunsch ihres Vaters, der sich zum Christentum bekehren ließ, den Spanier Gusman, Sohn des spanischen Statthalters in Peru. Als dieser seinem Vater Alvarez in der Regierung nachfolgt, entscheidet sich Gusman anders als sein Vater für eine Herrschaft mittels Gewalt und Despotie. Nachdem Zamore, der Anführer der aufständischen Indianer, Gusman schwer verletzt hat, finden sich Zamore und wenig später auch Alzire, die als Komplizin verdächtigt wird, im Gefängnis wieder. Un15 Uwe Steiner, Die Sprache der Gefühle. Der Literaturbegriff Friedrichs des Großen, in: Brunhilde Wehinger (Hg.), Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte, Berlin 2005, 2350. 16 Ronald S. Ridgway, La propagande philosophique dans les tragédies de Voltaire, in: Theodore Besterman (ed.), Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, 15, Genève 1961, 100-240, hier: 110. 17 Die derzeit aktuellste Einführung zu Alzire von T. E. D. Brown findet sich in: Les œuvres complètes de Voltaire, éd. par Ulla Kölving/W. H. Barber, Oxford 1989, vol. 14, 3-59. 18 Brown nennt acht Übersetzungen ins Deutsche sowie in zahlreiche weitere europäische Sprachen (wie Anm. 17, 58-101); andere Quellen geben siebzehn Übersetzungen ins Deutsche von 1738 bis 1827 an (cf. http://www. correspondance-voltaire.de/html/voltaire). 19 “To err is Human, to Forgive, Divine“, in: Alexander Pope, An Essay on Criticism (1711), Nachdruck: Menston 1970, 35.

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ter der Bedingung der Bekehrung zum Christentum will Alvarez sie begnadigen. Doch selbst um den Verlust ihres Lebens wollen beide dieser „Heuchelei“ nicht zustimmen. Nachdem Alzire und Zamore sich noch einmal vehement zu ihren Göttern bekannt und damit ihren Tod herausgefordert haben, verzeiht der sterbende Gusman seinem Feind und Mörder Zamore und erwirkt so ein glückliches Ende. In den fünf dichten Akten von Alzire portraitiert Voltaire exemplarisch die Tugenden und Rechte des aufgeklärten Menschen. In Übereinstimmung mit Jean-Jacques Rousseaus philosophisch-gesellschaftlichen Konzepten erscheint Alzire als Naturkind, das die höfischen Finessen der Verstellung und Berechnung nicht kennt, sondern sich zur Aufrichtigkeit des Herzens bekennt. Indem die unterworfene Angehörige eines heidnischen Volkes standhaft ihre Gefühle und ihre Überzeugung verteidigt, wird sie zur moralischen Siegerin. Ergänzend vertritt Zamore das Recht auf Widerstand gegen Eroberer und Unterdrücker. Beider Argumentation propagiert eine Umkehr politisch-moralischer Normen und gipfelt in der Denunziation der christlich-europäischen Eroberer als den eigentlichen „Barbaren“. Der letztlich entstehende, scheinbar unlösbare Konflikt zwischen Pflicht und Neigung, Gesetz und Gefühl, Krieg und Frieden wird von Voltaire ebenso überraschend wie raffiniert gelöst. Zunächst scheitert selbst Alvarez, der das unterworfene Land mit Güte und Gerechtigkeit regiert hat und dabei an den indianerfreundlichen Padre Bartolomé de las Casas erinnert, trotz seiner ethisch-moralisch überragenden, gottgleichen Position mit seinem Lösungsvorschlag.20 Das glückliche Finale erfolgt erst, als der grausame Herrscher-Tyrann Gusman, während er an den von Zamore zugefügten Verletzungen stirbt, ein unschlagbares Exempel der Gnade gibt. In der Gestalt von Gusman bringt Voltaire nichts weniger als die Travestie der Christus-Figur auf die Theaterbühne. Hier zeigt sich der deistische Kern von Voltaires aufklärerischer Philosophie, die christlich-moralische Ethik aus Gründen der Vernunft propagiert. Alzire erweist sich als moralisch-theatralische Predigt über die Themata der Verzeihung und Versöhnung, der Toleranz gegenüber Andersgläubigen sowie über Möglichkeit und Notwendigkeit des indi20 Zamore: „Des cieux enfin sur moi la bonté se déclare; / Je trouve un homme juste en ce séjour barbare. /Alvarez est un dieu qui, parmi ces pervers, / Descend pour adoucir les mœurs de l’univers“; in: Les œuvres complètes de Voltaire (wie Anm. 1), 148.

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viduellen Widerstands gegenüber der Macht.21 Voltaires Argumentation zielt nicht auf die Diskussion der Rechtmäßigkeit der spanischen Eroberungszüge in Amerika, vielmehr dient das exotische Maskenspiel mit der fremden Kultur der Kritik an der eigenen Gesellschaft.22 In Alzire wird gezeigt, dass wahre Christlichkeit erst beim aktiven Befolgen der Gebote der Menschlichkeit entsteht. Damit dies möglich wird, muss der Einzelne über Hass und Rachegefühle erhaben sein und sich einer rationalen Gewissensentscheidung unterwerfen. So wird der Mensch zum rationalen, selbstbestimmten Individuum, das im positiven Fall von einer nahezu übermenschlichen „grandeur d´âme“ gezeichnet ist.23 Mehr als alle anderen Kunstformen lässt sich die Oper als repräsentativer Höhepunkt im friderizianischen Kosmos bezeichnen. Friedrich II. nahm nicht nur auf den Spielplan und die Musik, sondern auch auf die Libretti Einfluss. Darunter ist das Libretto von Montezuma24 das 21 Ronald S. Ridgway, La propagande philosophique dans les tragédies de Voltaire (wie Anm. 16), 101-112. 22 Gerhardt Pickerodt, Aufklärung und Exotismus, in: Thomas Koebner, Gerhardt Pickerodt (Hg.), Die andere Welt – Studien zum Exotismus, Frankfurt a. M. 1987, 121-136. 23 Cf. die Schlussverse: Zamore: „Je demeure immobile, égaré, confondu. / Quoi donc, les vrais chrétiens auraient tant de vertu! / Ah ! la loi qui t’oblige à cet effort suprême, / Je commence à le croire, est la loi d’un Dieu même. / J’ai connu l’amitié, la constance, la foi; / Mais tant de grandeur d’âme est au-dessus de moi; / Tant de vertu m’accable, et son charme m’attire. / Honteux d’être vengé, je t’aime et je t’admire“; in: Voltaire, Alzire, ou les américains, Akt V, Finale (wie Anm. 1), 203. 24 Moctezuma II. (1465-1520, Tenochtitlan, Mexiko), der letzte Herrscher des Azteken-Reiches, regierte seit 1502 über ein auch nach europäischen Vorstellungen mächtiges Reich. Während seiner Regierung erweiterte er das Territorium durch Heiratspolitik und Kriegszüge. Die erstaunliche Eroberung und Unterwerfung des Landes durch Hernando Cortés, der am 12. März 1519 mit 650 Spaniern an der Mündung des Tabasco landete, wurde von Anbeginn mit Montezumas mangelndem Widerstand erklärt. Dieser hatte die Ankunft der Spanier als angekündigte Rückkehr des Gottes Quetzalcoatl interpretiert und die Spanier gastfreundlich empfangen. Bald war er ein Gefangener von Cortés im eigenen Palast. Die Situation eskalierte, das Benehmen der Spanier provozierte schließlich einen aztekischen Angriff, den Montezuma zu verhindern suchte. Die Erklärungen seines Todes changieren zwischen Ermordung durch die Spanier und einer Lynchaktion der Azteken. Friedrich wurde vermutlich von der Histoire de la conquêste de Mexique von Antonio de Solís, Paris 1704, zur Gestalt des Montezuma

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einzige, das nicht unmittelbar einem theatralischen Vorbild folgt. Zu mindestens sechs, möglicherweise acht Opern verfasste der König die Libretti respektive die Vorlagen.25 Meistens beschränkte er sich auf die Niederschrift einer ausführlichen Inhaltsangabe, die vom jeweiligen Hofdichter26 in italienische Verse gebracht wurde, gemäß den Erfordernissen der italienischen Oper. So geschah es auch mit dem Libretto von Montezuma, über dessen Entstehung wir en détail in sechs Briefen informiert werden. Der erste Brief geht an Friedrichs Freund und künstlerischen Berater Francesco Algarotti27, der wahrscheinlich auch die Idee zu Montezuma28 geliefert hat: inspiriert. 25 Christoph Henzel, Friedrich II., in: Ludwig Finscher (Hg.), Musik in Geschichte und Gegenwart 2, Personenteil 7, Kassel 2002, 138-144, hier: 139. Friedrichs Prosafassung ist verschollen; es existieren nur die Textbücher der Berliner Aufführungen von 1755 und 1771 mit italienischen Versen und einer deutschen Prosaübersetzung sowie mit einer Vorrede, die wahrscheinlich von Friedrich II. verfasst wurde. 26 Mit der Herstellung von Libretti für das Königliche Theater beauftragt waren die Dichter Leopoldo di Villati (1747-1752) und Giampietro Tagliazucchi (1752-1756). Letzterer verfasste wohl die Verse von Montezuma. Er wird in den beiden Textbüchern nicht namentlich erwähnt. 27 „Von allen Arten, wohlgeartete Seelen zu ergötzen, die der Mensch erfand, ist die Oper („opera in musica”) vielleicht die sinnigste und vollendetste“, in: Francesco Algarotti, Saggio sopra l´opera in musica (1755), in: C. Dahlhaus, M. Zimmermann (Hg.), Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus vier Jahrhunderten, München 1984, 73-80. 28 Algarotti schrieb in einem Brief vom 6. Okt. 1754 an Baron Sweerts: „Dieses Sujet (i. e. Montezuma) könnte einem tüchtigen Kapellmeister die schöne Möglichkeit eröffnen, uns mit Hilfe der Musik in eine neue Welt zu versetzen. Was er in gewisser Weise entweder durch die Begleitung mit besonderen Musikinstrumenten, die bei uns kaum in Gebrauch sind oder durch besondere Melodien erreichen könnte, indem er nicht sowohl neue Tonarten als fremdartige Klangfarben suchen würde. Sehr gefällig für das Ohr würde ein Kontrast der spanischen Musik mit der amerikanischen sein, so wie für die Augen die Verschiedenheit der Kostüme. Große Zierde würden religiöse Tänze hinzufügen, die Chöre der Amerikaner, die die Landesgötter anflehen, das Reich zu beschützen, die Landung der Spanier in der Stadt, die Kämpfe mit den Waffen und ungleichem Glück, und die ungewöhnlichen Bühnenbilder, die die Natur und die Pracht Mexikos darstellen würden. Ich glaube überhaupt, daß Amerika der Seele neue Vergnügungen schenken könnte, nicht weniger als es uns neue Reize für den Gaumen und den Luxus bietet [...]“, in: http://www.algarotti.de/03Algarotti_Schrif-

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C’est Montézuma. J’ai choisi ce sujet, et je l’accomode à présent. Vous sentez bien, que j’intéresserai pour Montézuma, que Cortès sera le tyran, et que par conséquent on pourra lâcher, en musique même, quelque lardon contre la barbarie de la R. Cr. [= réligion chrétienne]. Mais j’oublie que vous êtes dans un pays d’inquisition; je vous en fais mes excuses, et j’espère de vous revoir bientôt dans un pays hérétique où l’opéra même peut servir à réformer les mœurs et à détruire la superstition.29 Friedrichs freimütig geäußerte Intention, ein bisschen gegen die “Barbarei der christlichen Religion” zu sticheln, verbindet sich mit dem aufklärerischen Wunsch, dass die Oper zur Verbesserung der Sitten und zur Bekämpfung des Aberglaubens beitragen möge. Im April 1754 bittet Friedrich seine Schwester Wilhelmine um künstlerischen Rat: Je prends la liberté de mettre à vos pieds un Mexicain qui n‘est pas encore tout à fait décrassé. Je lui ai appris à parler français, il faut à présent qu’il apprenne l‘italien. Mais, avant que de lui donner cette peine, je vous supplie de me dire naturellement votre sentiment, et si vous croyez qu’il mérite qu’on se donne ce soin. La plupart des airs sont faits pour ne point être répétés; il n’y a que deux airs de l’Empereur et deux d‘Eupaforice qui sont destinés pour l’être. Je ne sais comment vous trouverez le tout ensemble, l’enchaînement des scènes, le dialogue, et l’intérêt, que j’aurais voulu y faire régner; mais comme rien ne presse, je pourrai changer facilement ce que vous trouverez à redire.30 Nach der Premiere am 6. Januar 1755 im Königlichen Theater zu Berlin schreibt Friedrich an dieselbe: Nous avons eu ici la représentation de Montezuma. Le décorateur et le tailleur ont tiré le pauvre auteur d’affaire; surtout deux mauvais coups de pistolet ont été extrêmement applaudis. L’Astrua a joué la dernière scène avec un pathétique admirable, et Graun s’est surpassé en musique.31 ten%20Kunst.pdf (S. 124, Übersetzung von Hans W. Schumacher). 29 Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 18, 90 (Brief vom 6. Okt. 1753). 30 Ebd., Bd. 27, 241. 31 Ebd., 257.

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Mit Montezuma, zu dem Friedrichs bevorzugter Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun die Musik im Stil der italienischen opera seria komponierte, erschien ein vergleichsweise aktueller Stoff auf der Opernbühne – die 235 Jahre zurückliegende Eroberung von Mexiko, sowie erstmals auf der Berliner Bühne ein Schauplatz aus der Neuen Welt. Nach Antonio Vivaldis lange verschollener Oper Motezuma (Venedig 1733) gilt der Berliner Montezuma als zweite oder auch vierte musikalisch-theatralische Repräsentation dieses exotischen Sujets in Europa.32 Allein im 18. Jahrhundert folgten noch 15 Vertonungen verschiedener Komponisten zu diesem Stoff,33 der sich paradigmatisch in das geistige Panorama der Aufklärung mit ihrem besonderen Interesse an außereuropäischen Kulturen einfügt. Beim Berliner Montezuma wurden erstmals zeitgenössische philosophische Diskurse, insbesondere die Debatte um Toleranz, auf einer Opernbühne repräsentiert. Der erste Akt präsentiert Montezuma als gerechten, zufriedenen Herrscher, der sich am Wohlergehen seines Landes erfreut.34 Zur Vollendung seines Glücks fehlt nur die Hochzeit mit Eupaforice. Die Nachricht von der Ankunft der Fremden an der Küste beunruhigt ihn nicht, jedoch seinen Gefolgsmann Pilpatoé und seine Verlobte, die von bösen Vorzeichen gequält wird. Dem Abgesandten des Cortés, Narvés, begegnet er mit einer Einladung an die Spanier. Auch die anschließenden Warnungen seiner Leute verachtet Montezuma und postuliert die Werte der Menschlichkeit, das Recht auf Beistand und Gastfreundschaft des Fremden. Den zweiten Akt eröffnet ein Dialog zwischen Narvés und Cortés, in dem deren böse Absichten, ihre Habgier und Heuchelei sichtbar werden. Montezuma geht den Spaniern entgegen und lädt sie unter 32 Es gibt zwei Vorläufer: die Masque The Indian Queen (1695), Musik: Henry Purcell, Libretto: John Dryden; die Ballet-Opéra Les Indes galantes (1735). Musik: Jean-Philippe Rameau. 33 Jürgen Maehder, The Representation of the “Discovery” on the Opera Stage, in: Carol E. Robertson (ed.), Musical Repercussions of 1492: Encounters in Text and Performance, Washington, 1992, 257-287; ders., Cristóbal Colón, Motecuzoma II. Xocoyotzin and Hernán Cortés on the Opera Stage – A Study in Comparative Libretto History, in: Revista de Musicología, XVI (1993), 146-184. 34 Arie des Tezeuco: „Somiglia il buon Monarca / Dal popol suo diletto / Nume del Ciel fra noi./ Sopra il fedel sogetto / Difonde i doni suoi, / La sua clemenza estende. /Tale, Signor, te rende / La bella tua pieta”, Akt 1, Sz. I, Montezuma - tragedia per musica, Berlin 1770 (Haude und Spener), 12.

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Berufung auf die Gastfreundschaft zu seiner Hochzeit ein. Selbst der Bitte des Cortés, sein Gefolge mitbringen zu dürfen, entspricht Montezuma großzügig. Nach Pilpatoés dritter Warnung folgt der dramatische Wendepunkt.35 Cortés bringt seine Krieger in Stellung und greift die Mexikaner an, die sofort fliehen. Als Montezuma den Betrug erkennt, folgen lange Argumentationen zwischen ihm und Cortés, wobei von beiden Seiten der Begriff „Barbar“ verwendet wird und im Verlauf eine neue Bedeutung erhält. Nicht die indianischen Heiden sind die Barbaren, sondern die lügnerischen Eroberer. Als Montezuma sich an Cortés rächen will, liefert er den Grund für die eigene Gefangennahme. Cortés verführerisches Angebot an Eupaforice zur Rettung des Montezuma wird von ihr empört abgelehnt. Der dritte Akt spielt in der ersten Hälfte im Gefängnis, wo Montezuma stoisch über die Wechselhaftigkeit des Glücks, die Nichtigkeit von Macht und Ruhm philosophiert. Nachdem der von Eupaforice ersonnene Rettungsplan verraten wird, erfolgt ein Fluchtversuch, der aber fehlschlägt. Cortés bietet Montezuma die Freiheit an, wenn er zum Christentum übertritt. Solch ein Gesinnungswechsel wird vom Herrscher abgelehnt, was entsprechende tödliche Folgen für Montezuma und seine Gefolgsmänner hat. Schließlich beendet Eupaforice ihr Leben von eigener Hand. Cortés ruft zur Vernichtung der Stadt Tenochtitlán auf. Das mexikanische Volk bittet um Erbarmen. Mit diesem Chor endet die Oper: Oh Cielo! Oh giorno orribile/ Di delitti esecrabili! O terra, che li toleri, apri le tue voragni! Fuggiam, fuggiam dai barbari. Voi, giusti Dei, salvateci, Movetevi a pieta! Während der Regierungszeit von Friedrich II. wurde Montezuma zweimal inszeniert, 1755 und 1771. Ein Vergleich der Textbücher beider Inszenierungen zeigt völlige Übereinstimmung im Libretto, nur bei den Zwischenballetti bestehen einige Unterschiede. Am auffälligsten ist die Veränderung des Finales. Im Textbuch von 1755 findet sich folgende Beschreibung: 35 Arie Pilpatoè: “Erra quel nobil core / che in sua bontà riposa./ Spesso la frode oscosa/ lo vienne ad ingannar. / Ne´fausti eventi loro / cauti guardiam costoro/ Consiglio il più sicuro/ fu sempre il difidar.” Akt 2, Sz. IV, Quelle: Montezuma - tragedia per musica, Berlin 1770 (Haude und Spener), 56.

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Nach dem dritten Akt: Die Spanier laufen zur Plünderung. Die Tänzer mischen sich in spanischer Kleidung unter die Soldaten, plündern die Stadt, und bemächtigen sich der Mexikanischen Frauen, die sich vertheidigen, und sehr lebhafft ein Ballet formieren, welches sich mit dem Chor anhebet, so das Mexikanische Volk singet, das erschrocken und in Verwirrung die Flucht nimmt.36 Dagegen wirkt die Beschreibung im Textbuch von 1771 ungleich milder: Nach dem dritten Akt: Ballet genéral des Esclaves mexicaines & mexicains, bestehend aus 3 Tänzern, 3 Tänzerinnen sowie Mr. Fierville seul sowie 6 Figurants (männl.) und 6 Figurantes (weibl).37 Friedrichs Montezuma bewegt sich im Spannungsfeld sehr heterogener Bereiche, der rhetorischen Präsentation von Thesen und Argumenten und der musikalischen Repräsentation im Genre der opera seria.38 Mehr noch als in Voltaires „discussion play“39 erscheinen die Protagonisten als Funktionsträger verschiedener ideologischer Zuschreibungen und dramaturgischer Erfordernisse. Montezuma nimmt die Position eines aufgeklärten, toleranten, freimütigen Herrschers ein, während sein Gegenspieler Cortés seine wahren Ziele verbirgt und der dissimulatioStrategie der antiken Redekunst folgt. Die offensichtlich aus musikästhetischen Gründen eingeführte erste Dame Eupaforice verkörpert den musikalisch effektvollen Part einer rasenden Rachegöttin. Eine opera seria ohne erste Sängerin wäre wohl selbst unter Friedrich II. nicht möglich gewesen. Wie üblich werden alle Partien in Montezuma von 36 Montezuma. Tragedia per musica / Montezuma. Ein musikalisches Trauerspiel, Berlin 1755, Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Seminars der Freien Universität Berlin (Mikro R 78). 37 Montezuma. Tragedia per musica / Montezuma. ein musikalisches Trauerspiel, Berlin 1770, (Haude und Spener), Staatsbibliothek Berlin, Nr. 1 (Mus T 49). 38 Cf. Juergen Maehder, Die Librettisten des Königs. Das Musiktheater Friedrichs des Großen als theatralische wie linguistische Italien-Rezeption, in: Erika Fischer-Lichte, Jörg Schönert (Hg.), Theater und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1999, 265-304. 39 T. E. D. Brown, Introduction to Alzire, (wie Anm. 17), 26.

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hohen Stimmen gesungen (Sopran, Alt); als tiefstes Register erscheint ein Tenor (Tezeuco). Dennoch unterscheidet sich Friedrichs Libretto mit seinem ausgeprägten Rationalismus von anderen Opern, die bis ins 19. Jahrhundert oft ein Refugium für das Wunderbare und das Numinose darstellen. Eine Diskussion und Kritik moralischer Standpunkte in Gestalt eines Religions- und Kulturvergleichs fand auf der Opernbühne eher nicht statt. Darüber hinaus fehlt das zwingende Finale einer opera seria, das lieto fine, zumeist in Gestalt einer erbaulichen Lobpreisung des Herrschers. Die wesentliche historiographische Grundlage für Friedrichs Montezuma ist die Historia de la Conquista de México (1684) von Antonio de Solís, die in der französischen Übersetzung von 1704 nachweislich in drei der acht friderizianischen Bibliotheken vorhanden war.40 Die Historia avancierte im 18. Jahrhundert zur meistgelesenen Monographie über die Eroberung Amerikas, besitzt aber aus heutiger Sicht kaum historisch-dokumentarischen Wert.41 Das Ziel dieses fünfbändigen opus magnum war die Rechtfertigung der spanischen Eroberung im Sinne eines christlichen Kreuzzuges. Nicht allein die wichtigsten Personen und Namen aus Friedrichs Oper finden sich in der Historia von Solís: Montezuma, Cortés, Tezeuco und Pilpatoé. Insbesondere die detaillierte Beschreibung von Montezuma dürfte bei Friedrich II. Interesse ausgelöst haben. Der königlich spanische Historiograph präsentiert die Indianer als Barbaren, denen der Teufel erschienen ist, was unter anderen aus dem „horrible aspecto y espantosa fiereza“ ihrer Götterstatuen hergeleitet wird, die als Abbilder des Dämons gedeutet werden.42 Vielgötterei, Aberglauben, Obszönität, Menschenopfer, Polygamie sind die Hauptargumente der Spanier gegen die Mexikaner. Ferner berichtet er, dass Montezuma eine Eskorte geschickt habe, um Cortés Unterstützung und Hilfe für die Fortsetzung seiner Reise anzubieten. Im vierten Kapitel 40 Bogdan Krieger, Friedrich der Große und seine Bücher, Berlin 1914, 125; im Stadtschloss in Berlin, in Potsdam im Schloss Sanssouci und im Neuen Palais. 41 Zum Vergleich: Die heute weltweit bekanntere Geschichte der Eroberung von Mexiko, die kritische „Historia de las Indias“ (1535) des Padre Las Casas, erschien in gedruckter Form erstmals 1876. 42 Antonio de Solís, Historia de la conquista de México, (1684), Madrid 1783, vol. 1, lib.I, Cap. XI, 77.

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des zweiten Buches werden zahlreiche Vorzeichen beschrieben, die Montezuma seit langem in Besorgnis versetzen. Das steht im Gegensatz zum Montezuma der friderizianischen Oper, der, anders als seine Gefolgsleute, an solcherlei abergläubisches Zeug nicht glaubt. Schon gar nicht würde er Solís´ Erklärung Glauben schenken, wonach der Teufel jene Vorzeichen künstlich produziert hat, um Montezuma gegen die Spanier und die Einführung des Evangeliums zu beeinflussen, denn, es sei, die göttliche Erlaubnis vorausgesetzt, möglich mit vielen Tricks „fantasmas y apariciones monstruosas“ zu fabrizieren, um die Sinne der Menschen zu verführen und zu betrügen.43 Zweifellos lieferte diese ausgeklügelte Argumentation zur Verteidigung des Glaubens und der Eroberung von Mexiko eine reizvolle Fundgrube für Aufklärer und Agnostiker. Montezuma wird dagegen von Solís sehr ausführlich mit dem gebührenden Respekt für einen Herrscher beschrieben. Er habe nicht nur über unerhörte Macht und Reichtum verfügt, sondern auch „nobleza“ und „genio y la inclinación militar“ besessen und sich auf die Kriegskunst verstanden.44 Als einzigen Defekt notiert Solís ungebremsten Hochmut: „fue la soperbia su vicio capital“, welcher im Widerspruch zu Montezumas Zuneigung und Ehrfurcht gegenüber Cortés steht.45 Drei Tage nachdem Montezuma laut Solís von Pfeilen seiner Landsleute getroffen wurde, erliegt er seinen Verletzungen, nicht ohne zuvor Cortés sowohl mit der Bestrafung der Schuldigen zu beauftragen als auch auf seiner Verweigerung der Taufe, die ihm die Spanier mit allen erdenklichen Mitteln anbieten, bis zuletzt zu bestehen.46 Die dramaturgische Entscheidung für Montezumas Tod wird durch die historischen Tatsachen gerechtfertigt, ganz im Sinn von Friedrich 43 “[…] no tenemos por inverosímil que el demonio se valiese de semejantes artificios para irritar a Motezuma contra los españoles y poner estorbos a la introducción del Evangelio”; ebd., 148. 44 Motezuma „entendía las artes de la guerra”, ebd., vol. 2, lib. IV, Cap. XV, 152. 45 Ebd. 153: „[…] fue una de las maravillas que obró Dios para facilitar esta conquista, la mudanza total de aquel hombre interior, porque la rara inclinación y el temor reverencial que tuvo siempre a Cortés, se oponían derechamente a su altivez desenfrenada, y se deben mirar como dos afectos enemigos de su genio“. 46 „[…] no se omitió diligencia humana para reducirle al camino de la verdad“, ebd., vol. 2, Lib. IV, 146.

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II., der Wert auf eine „vernünftig und gut geführte Handlung“ legte.47 Allerdings bewertet der königliche Autor die Person anders, denn für Solís war selbst der Herrscher Montezuma letztlich ein vom Teufel irregeleiteter Heide und Barbar. Hier wird die historische Textvorlage von Voltaires Theaterstück überlagert, denn genau wie in Alzire erweisen sich die Eroberer als die eigentlichen Barbaren. Von diesem neuzeitlich aufklärerischen Aspekt abgesehen, gleicht Friedrichs Montezuma in vielen Details dem indianischen Herrscher aus der Historia von Solís. Beide sind standhafte Vertreter ihrer jeweiligen Überzeugungen. Jedoch nur in der Oper erscheint Montezumas Tod als idealisch überhöhter Märtyrertod in eigener Sache. An diesem Punkt zeigt sich ein fundamentaler Gegensatz zu Voltaire. Sein Gusman, ein Vertreter der weißen Eroberer, stirbt keineswegs freiwillig und behält zudem in der verzeihenden Versöhnungsgeste gegenüber den Liebenden das letzte Wort. Friedrichs Montezuma erinnert dagegen an die Märtyrer des Barock und der französischen Klassik, insbesondere an den Polyeucte von Pierre Corneille.48 Während dieser jedoch freiwillig für den christlichen Glauben sein Leben opfert, stirbt Montezuma in Folge seines Widerstands gegen die unmoralischen Angebote der Eroberer. Hinter seinem scheinbaren Märtyrertod verbirgt sich eine Lehre. Sie findet sich bereits im Prosatext, der dem Textbuch der Berliner Aufführungen von 1755 und 1771 vorangestellt wurde: Der damahls regierende Kaiser von Mexico, Montezuma, erlaubte den Spaniern auf guten Glauben, den Eintritt in sein Reich; aber, er spürte hernach allzuspät die Wirckung eines gar zu leichtgläubigen Vertrauens, und einer unzeitigen Großmuth, als die ihm das Leben kostete. Das betrübte Ende dieses guten Monarchen, welcher der Grausamkeit und dem Geitze seiner Gäste barbarischer Weise aufgeopfert wurde, hat also den Stoff zu diesem Trauerspiele gegeben.49 47 Kommentar zur Oper Cinna, siehe dazu: Claudia Terne, Friedrich II. und die Hofoper, in: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-hof/Terne_Hofoper. 48 Auf die grundsätzlich zweifelhafte Bezeichnung „Tragödie“ für Märtyrerdramen weist Hans-Dieter Gelfert hin: Die Tragödie. Theorie und Geschichte, Göttingen 1995, 77. 49 Textbuch 1755: Musikwissenschaftliches Seminar FU Berlin; Textbuch 1770: Staatsbibliothek Berlin, Abteilung Musikwissenschaften, (wie Anm.

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Hätte Montezuma nicht auf den Tugenden der Großherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und Toleranz bestanden, wäre er nicht in die Falle der Spanier getappt. Nun steht keiner mehr Montezuma bei, nicht einmal sein alter Verbündeter Zamoro. Sechsmal wird Zamoro, die einzige Person, die allem Anschein nach direkt aus Alzire stammt, in fünf verschiedenen Szenen des Librettos erwähnt.50 Zamoro wird so zur Chiffre des intertextuellen Epitextes, der Alzire und Montezuma ebenso wie ihre beiden Verfasser subkutan miteinander verbindet. Im Gegensatz zu den sonstigen, überaus statischen Charakteren des Librettos macht der nie in persona auftretende Zamoro als einziger eine Wandlung durch. Aus dem einstigen treuen Gefährten von Montezuma, („Zamoro fedel“, S. 16), der das Reich sorgfältig bewacht („l´attenta vigilanza di Zamoro“, S. 28) und zu Hilfe gerufen werden soll („richiamam Zamoro“, S. 66, 88), Montezumas letzter Hoffnung (S. 102), wird ein Verräter, der ausgerechnet zum ärgsten Feind, den Spaniern, übergelaufen ist (S. 102). Montezuma-Friedrich ist nun allein auf sich gestellt.51 Seine stolze Verweigerung der Angebote der Spanier bewirkt nicht nur seinen eigenen Untergang, sondern den seines ganzen Volkes. So prosaisch, pragmatisch und „realpolitisch“ äußert sich nicht ein idealistischer Schöngeist, sondern der Staatsmann und Kriegsherr. Zugleich wird mit dieser raffinierten Wendung heroische Kampf- und Opferbereitschaft beschworen, am Beispiel des Herrschers, des „ersten Diener des Staates“ wie Friedrich II. sich zu nennen pflegte. Eine letzte glanzvolle Arie transportiert Montezumas Entscheidung gegen das Leben und für den Tod poetisch und musikalisch sehr wirkungsvoll.52 In starkem Kontrast zur versöhnlichen, wenn auch paternalistischen 36, 37). 50 Im Textbuch von 1770 auf den Seiten: 16, 28, 30, 66, 88, 102. 51 Georg Quander, Montezuma als Gegenbild des großen Friedrich – oder die Empfindungen dreier Zeitgenossen beim Anblick der Oper Montezuma von Friedrich dem Großen und Carl Heinrich Graun, in: Hellmuth Kühn (Hg.), Preußen – Dein Spree-Athen, Beiträge zu Literatur, Theater und Musik in Berlin (= Preußen. Versuch einer Bilanz 4) Reinbek bei Hamburg, 1981, 121-134. 52 Arie des Montezuma: „Sí, corona i tuoi trofei / col privarmi alfin di vita./ Mi vedrai con alma ardita / della morte trionfar. / Senza tema un alma pura / rendo al sen della Natura: / rendo il corpo agli Elementi, / onde il nascere sortì. / De tuoi fieri tradimenti / grideran vendetta un di.” Quelle: Montezuma. Tragedia per musica, Berlin 1770, (wie Anm. 37), 124.

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und eurozentristischen Menschheitsutopie in Voltaires Alzire stellt das Libretto von Montezuma die aufklärerischen Tugenden letztlich zur Disposition. Zugleich postulieren beide Diskurse gleichermaßen die Konzepte von Rationalität, Moral und Gewissen, wenn auch mit einer entscheidenden Differenz. Anstelle der großzügigen, verzeihenden grandeur d‘âme im Finale von Alzire steht nun trotzige Standhaftigkeit bis zur Selbstaufgabe – ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel. Vor dem Hintergrund des Zerwürfnisses mit Voltaire, vor allem aber im Kontext des unmittelbar bevorstehenden Siebenjährigen Krieges erweist sich Montezuma keineswegs als rein ästhetisches Gedankenspiel, sondern ebenso als Psychogramm und als poetische Legitimation des politischen Programms von Friedrich dem Großen.53 Wer für seine Überzeugung sein Leben riskiert, steht auf der richtigen Seite, lautet die Botschaft, denn derjenige, der schuldlos für eine gute Sache in den Tod geht, scheitert nicht, sondern ist zuletzt ein Triumphierender.

53 Siehe dazu auch Heinrich Glöß, Montezuma – ein nicht ganz kultivierter Mexikaner und Friedrich der Große als Librettist, in: Die Mark Brandenburg, H. 68, Berlin 2008, 10-13.

Friedrich II. und das Berliner Hoftheater Claudia Terne Das Theaterleben am preußischen Hof und in der Residenzstadt Berlin zur Regierungszeit von Friedrich Wilhelm I. Als Friedrich Wilhelm I. im April 1713 den preußischen Thron bestieg, war die erste Blüte einer brandenburgisch-preußischen Hoftheaterkultur in Berlin bereits Geschichte. In den ersten beiden Regierungsjahrzehnten von Kurfürst Friedrich III. (reg. 1688-1713), der sich im Jahre 1701 zum König in Preußen krönte, kennzeichneten musikalische und theatralische Vergnügungen den Repräsentationsstil des Herrschers. Durch den frühzeitigen Tod der Königin Sophie Charlotte (reg. 16881705), Friedrichs III./I. kunstsinniger zweiter Ehefrau, erfolgte eine Zäsur. Sie leitete den allmählichen Niedergang der durch die Aufführung von Opern, französischen Theaterspielen und Balletten auf künstlerischer Ebene sehr vielgestaltigen Festkultur ein. Theateraufführungen fanden am Berliner Hof Friedrichs I. nicht nur anlässlich von hohen Familien- und Staatsfeierlichkeiten oder im Rahmen der Winterlustbarkeiten statt. Sie waren auch Teil des höfischen Amüsements, in Form von Liebhaberaufführungen, in denen adlige Laiendarsteller selbst einzelne Stücke einstudierten. Zudem gastierten häufig Schauspieltruppen am Hof. Im Jahre 1706 wurde anlässlich der Hochzeit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm ein Ensemble französischsprachiger Schauspieler unter der Leitung von George du Rocher* an den Hof verpflichtet. Fünf Jahre lang fanden regelmäßig, meist zweimal wöchentlich, Theateraufführungen in einem der königlichen Schlösser statt, dann wurde die Truppe wieder entlassen.1 1

Zum Theater am Hof Friedrichs I.: Jean-Jacques Olivier, Les Comédiens Français dans les cours d‘Allemagne au XVIIIième siècle, Bd. 2: La cour royale de Prusse, Paris 1902, Nachdruck Genf 1971, 1-15 (* = genaue Lebensdaten sind nicht zu ermitteln).

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Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713-1740), den die Nachwelt als Soldatenkönig und pietistisch-sparsamen Monarchen kennt, hatte dieser Entwicklung nach dem Regierungswechsel nichts entgegengesetzt. „Die Nachrichten vom Theater werden daher um vieles sparsamer“, stellt bereits Carl Martin Plümicke (1749-1833) fest, der mit seinem Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin im Jahre 1781 eine der frühesten ausführlichen Beschreibungen des Berliner Theaterlebens lieferte.2 Plümicke bedauert den Mangel an aussagekräftigen Dokumenten. Aber er unterliegt nicht dem Trugschluss, Friedrich Wilhelm I. habe seiner Familie, dem Hof und den Untertanen Schauspiel und Theatervorstellungen gänzlich vorenthalten und es vorgezogen, sich ausschließlich im Tabakskollegium zu amüsieren. Quellen, die Plümicke nicht zur Verfügung standen und die zur späteren Darstellung der Berliner Theatergeschichte nur selten herangezogen wurden – zu nennen wären die im 18. Jahrhundert noch unveröffentlichten Briefwechsel einzelner Mitglieder der Königsfamilie oder etwa die Memoiren der preußischen Prinzessin und späteren Markgräfin von Bayreuth, Wilhelmine (1709-1758) – belegen Komödienaufführungen als festen Bestandteil der höfischen Unterhaltung.3 In den ersten beiden Dekaden der Regierungszeit Friedrich Wilhelms existierte kein vertraglich an den Hof gebundenes Ensemble. Lustspiele, französische Komödien und Stücke im Stile der italienischen Commedia dell‘arte, über die Plümicke und andere zeitgenössische Chronisten berichten, wurden von gastierenden Wandergruppen aufgeführt.4 Erst im Jahre 1733 wurde für einen längeren Zeitraum eine 2

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Carl Martin Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin, nebst allgemeinen Bemerkungen über den Geschmack, hiesige Theaterschriftsteller und Behandlung der Kunst, in den verschiedenen Epochen, Berlin, Stettin 1781, Neudruck Leipzig 1975, 105. Wilhelmine von Bayreuth, Eine preußische Königstochter. Glanz und Elend am Hofe des Soldatenkönigs in den Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, aus dem Frz. v. Annette Kolb, neu hg. v. Ingeborg WeberKellermann, Frankfurt a. M. 1990, insb. 55f, 272f, 350f. Briefwechsel von Friedrich II. von Preußen mit Wilhelmine von Bayreuth, 2 Bände, hg. v. Gustav Berthold Volz, übers. v. Friedrich v. Oppeln-Bronikowski, Bd. 1: Jugendbriefe 1728-1740, Leipzig 1924 (BFW, Bd.1), 113, 121f., 189. Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte (wie Anm. 2), 103 -116; Anton Balthasar König, Versuch einer Historischen Schilderung der Hauptveränderungen, der Religion, der Sitten, Gewohnheiten, Künste, Wissenschaften

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kleine Schauspielergesellschaft um den von Friedrich Wilhelm I. protegierten Johann Carl von Eckenberg (1681-1748) engagiert. Eckenberg, der sich vor allem mit Gauklerspielen, so genannten Assembléen, und Harlekinaden in Berlin einen Namen gemacht hatte, erhielt das Privileg, regelmäßig auch Komödien und Lustspiele vor der Hofgesellschaft aufzuführen. 5 Über das schauspielerische Niveau der Vorführungen kann nur spekuliert werden und auch darüber, wie häufig der Kronprinz unter den Zuschauern saß, wenn gespielt wurde. Dass die Aufführungen am väterlichen Hof Friedrichs ästhetisches Empfinden und sein Urteil über das Schauspiel und das Sprechtheater wesentlich mitgeprägt haben, hat er in seinen Briefen und auch später als König stets geleugnet. Es lässt sich dennoch feststellen. Friedrichs Auseinandersetzung mit dem Theater erfolgte zeitlebens auf unterschiedliche Weise: als Leser, als Zuschauer, als Rezipient, als Vortragender und Darsteller, schließlich auch als Komödienautor und Librettist. In den Jugendjahren hat Friedrich die Grundlagen für seine Kennerschaft der französischen Dramen- und Komödienliteratur erworben. Er selbst hat mehrfach auf die Rolle seines Lehrers Jacques Égide Duhan de Jandun (1685-1746) und seiner Schwester Wilhelmine verwiesen, die ihn zum Lesen angeregt haben.6 Seine Erfahrungen als Zuschauer und der geistige Austausch über das Gesehene haben neben der Lektüre sicherlich vertiefend gewirkt. Schließlich wurden am Hof des Vaters auch Stücke aufgeführt, die Friedrich als Leser sehr schätzte. So berichtet er in einem Brief an seine Schwester Wilhelmine von einer Berliner Aufführung des Cid von Corneille, welche er in Gesellschaft des französischen Gesandten La Chétardie (1705-1759) besuchte, moniert dabei aber die schlechte Darstellungsgabe der Schauspieler: „Es war der Gipfel des Lächerlichen. Herr de La Chétardie sagte‚ er hätte es für unmöglich gehalten, ein so schönes Stück so zu verhunzen. Xime-

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etc. der Residenzstadt Berlin seit den ältesten Zeiten, bis zum Jahre 1786, Teil 4, Bd. 2: Regierungsgeschichte König Friedrich Wilhelms I., von 1713 bis 1740, Berlin 1796, Neudruck Berlin 1991, 177; Albert Emil Brachvogel, Geschichte des Königlichen Theaters zu Berlin, nach Archivalien des Kgl. Geh. Staats-Archivs und des Kgl. Theaters, Berlin 1877, 81. Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte (wie Anm.2), 113. Friedrich der Große, Gespräche mit Henri de Catt, hg. und übers. v. Willy Schüßler, Bremen 1955, Neudruck München 1981, 100.

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ne weinte nämlich voller Wut. Rodrigo polterte wie ein Harlekin und machte bisweilen entsprechende Gebärden. Kurz, das Ganze war von unerträglicher Plattheit.“7 Ähnlich abschätzig hat sich Friedrich in seinen Briefen auch über die Komödienaufführungen, die das Bühnenprogramm bei Hofe dominierten, geäußert.8 Meist wurden Stücke in deutscher Sprache aufgeführt, die italienische, französische oder englische Schauspiele zum Vorbild hatten. Gestört hat sich Friedrich aber weniger an den groben Späßen der häufig auftretenden komischen Figuren Arlequino, Pulcinella, Hanswurst oder Pickelhering, sondern vielmehr an der offenbar miserablen szenischen und schauspielerischen Umsetzung. Darüber hinaus ist seine Klage über das offenbar dürftige künstlerische Niveau der Theateraufführungen auch als Kritik an der Hofkultur und Persönlichkeit des Vaters zu verstehen: Der Kronprinz war bestrebt, sich durch seine eigenen Urteile von den Vorlieben des Vaters abzusetzen. Als König hat sich Friedrich bereits kurze Zeit nach seiner Thronbesteigung bemüht, qualifiziertes Personal für seine Hofbühnen zu engagieren. Das Programm des Sprechtheaters wurde vor allem dahingehend verändert, dass die Stücke ausschließlich in französischer Sprache aufgeführt wurden. Inhaltlich aber haben die Komödien und insbesondere Stücke, „où Arlequin fît beaucoup de jeu“, auch den Spielplan in den Jahren der Regentschaft Friedrichs II. bestimmt.9

Theateraufführungen in Ruppin und am Rheinsberger Musenhof Im Kreise seiner Vertrauten hat Friedrich am eigenen Kronprinzenhof auch selbst Theater gespielt. Nach seiner Einwilligung in die vom Vater arrangierte Ehe mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern (1715-1797) wurde er zum Oberst eines in den märkischen Kleinstädten Ruppin und Nauen stationierten Regiments ernannt und erhielt so7 8 9

Brief Friedrichs an Wilhelmine, Ruppin 13. Sept. 1733, BFW, Bd. I (wie Anm. 3), 155. Brief Friedrichs an Wilhelmine, Berlin 14, Feb. 1734, ebd., 193. Schreiben des Barons von Sweerts vom 28. Feb. 1743, zit. nach Michael Steltz, Geschichte und Spielplan der französischen Theater an deutschen Fürstenhöfen im 17. und 18. Jahrhundert, Diss. München 1965, 66.

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mit die Möglichkeit, sich in provinzieller Abgeschiedenheit stärker den eigenen Interessen, dem Studium der Literatur, der Philosophie und den Wissenschaften, wie auch der Musik und dem Schauspiel zuzuwenden. Zunächst ließ Friedrich in Ruppin kleine Komödien in französischer Sprache aufführen.10 Dabei wurden die Stücke durch die am Hof Anwesenden, mitunter auch durch den Kronprinzen, selbst einstudiert, improvisiert oder gelesen.11 Zeittypisch dienten die Theaterproben oder Aufführungen vornehmlich der Abendunterhaltung und Zerstreuung. Es wurden daher häufig Lustspiele aufgeführt. Inszenierungen der von Friedrich vielgelesenen Tragödien der französischen Klassik wurden dagegen selten realisiert. Derartige Aufführungen stellten die Laiendarsteller vor enorme schauspielerische Herausforderungen. Dennoch wurden bereits gegen Ende der Ruppiner Zeit, vor allem aber nach dem Umzug des Prinzen nach Rheinsberg im Sommer 1736, auch Dramen einstudiert. So kamen neben Komödienstoffen wie etwa Voltaires Enfant prodigue auch dessen Tragödien Merope, Alzire, Œdipe sowie Racines Mithridate zur Aufführung.12 In den letzten beiden Stücken wirkte Friedrich als Darsteller nachweislich auch selbst mit.13 Dabei spielte er in Racines Tragödie die Titelrolle des Feldherrn und in dem von ihm wegen „seiner prachtvollen Verse und packenden Szenen“ hoch geschätzten Ödipus-Drama die Rolle des Philoctète.14 Seinen Briefpartnern hat der Kronprinz nur gelegentlich und beiläufig von den Proben und den einzelnen Aufführungen berichtet. Im Gegensatz dazu hat er über seine Fortschritte als Versdichter, Musiker und Komponist sowie über das Konzertleben an seinem Hof regelmä10 Die erste datierbare Aufführung (Le présomptueux musicien) fand am 4. Dez. 1732 statt; cf. Hans Droysen, Tageskalender des Kronprinzen Friedrich von Preußen vom 26. Februar 1732 bis 31. Mai 1740, in: Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, hg. v. Otto Hintze, Bd. 25 (1913), 85-111, hier 87. 11 Vgl. dazu Briefe Friedrichs an Wilhelmine, BFW, Bd. 1 (wie Anm. 3). 12 Aufführungen fanden statt u. a. im März 1736 (Alzire), Sept. 1736 (Mithridate), Sept. 1737 (Œdipe), Feb. 1738 (L‘Enfant prodigue, Mérope); cf. Droysen: Tageskalender des Kronprinzen Friedrich (wie Anm. 10). 13 Ebd., 102. 14 Brief Friedrichs an Wilhelmine, Rheinsberg, 25. Sept. 1737, BFW (wie Anm. 3), Bd. 1, 361. Bei Philoctète handelt es sich um den von Voltaire der antiken Personenkonstellation beigefügten Geliebten der Ödipus-Mutter Iocaste.

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ßig, ausführlich und mit Stolz Auskunft gegeben. Auch hat er für sein Rheinsberger Domizil zwar die kunstvolle Ausgestaltung eines Konzertsaales, nicht aber den Bau einer stehenden Bühne oder eines Theaters in Auftrag gegeben.15 Gespielt wurde üblicherweise in den privaten Gemächern des Kronprinzen, vielleicht auch in improvisierten Gartentheatern, doch trat in der Praxis bereits in dieser Zeit seine Wertschätzung des Schauspiels deutlich hinter seine Leidenschaft für die Musik zurück.16

Das französische Hoftheater in der ersten Regierungsperiode Friedrichs II. Der Regierungsantritt Friedrichs II. am 31. Mai 1740 wird in der Forschung allgemein als Neubeginn des Theaterwesens in Berlin betrachtet. Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung ordnete der König den Bau eines Musiktheaters und das Engagement eines Schauspiel- und Opernensembles an.17 Friedrich II. ließ für die Gründung einer italienischsprachigen Hofoper und eines französischsprachigen Hoftheaters in Italien und Frankreich Sänger, Tänzer und Schauspieler werben. „Comme tout le monde dit que pour attirer des Étrangers à sa cour, Votre Majesté a résolu d‘etablir une Comédie à Berlin“, heißt es in einem Schreiben an den König vom 26. Juli 1740.18 Tatsächlich waren bereits gut anderthalb Monate, nachdem Friedrich II. die Regierungsgeschäfte in Berlin übernommen hatte, Agenten in Frankreich aktiv damit beschäftigt, geeignetes Theaterpersonal an den Hof des neuen preußischen Monarchen zu engagieren. Auch Voltaire, mit dem Friedrich II. seit 1736 im Briefwechsel stand, wurde gebeten, bei der Anwerbung 15 Das Rheinsberger Schlosstheater im Kavaliershaus wurde erst unter Prinz Heinrich errichtet. Herbert A. Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater, Spielorte und Spielformen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 1959, 92-106. 16 Zu den möglichen Aufführungsorten in Rheinsberg zur Kronprinzenzeit Friedrichs ebd., 41f. 17 Ein erster Hinweis auf den angekündigten Opernbau findet sich in einem Bericht des dänischen Gesandten Andreas August von Praetorius vom 6. Juli 1740, in: Friedrich der Große im Spiegel seiner Zeit, hg. v. Gustav Berthold Volz, Berlin 1926, 133. 18 Olivier, Les Comédiens Français, Bd. 2 (wie Anm. 1), 28.

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namhafter französischer Schauspieler zu vermitteln.19 Gleichzeitig wurde die Errichtung mehrerer Theaterspielstätten in den Schlössern in und um Berlin forciert. Im Alabastersaal des Berliner Stadtschlosses wurde ein Interimstheater eingerichtet, welches bis zur Eröffnung des Opernbaus Unter den Linden im Dezember 1742 auch als Aufführungsort italienischer Opern diente. Obwohl es zunächst nur als Provisorium gedacht war, wurden dort auch nach dem Umbau im Jahre 1753 bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges Theaterstücke aufgeführt.20 Im Gegensatz zum Opernhaus, in dem in friderizianischer Zeit weit über 2000 Personen Platz fanden und in dem nach königlichem Willen „jedermann, der nur anständig gekleidet ist, frei ins Parterre eingelassen werden“21 sollte, war der Zutritt zum französischen Hoftheater nur einem kleinen Zuschauerkreis vorbehalten. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), der im Jahr 1749 seine Abhandlung Nachricht von dem gegenwärtigen Zustand des Theaters in Berlin veröffentlichte, bemängelte, dass „der Schauplatz […] oft für die Menge der Zuschauer viel zu klein“ sei.22 Carl Martin Plümicke gibt in seiner Theaterchronik an, dass der Zuschauerraum „ausser einem Parterre und zwei Reihen Logen [nur, C.T.] in einer Gallerie für die Bürgerschaft“ bestanden habe.23 Demzufolge wurde das Theater vor allem zur Unterhaltung und Belustigung der Königsfamilie, des Hofes und seiner Gäste bespielt. Friedrich II. soll das Theater nur selten besucht haben. „Seine Majestät, der König, kommen des Jahres nicht leicht über 3 bis 4 mal in die Komödie […] Hingegen versäumen Ihro Maj. die Königinn, und die Königliche Frau Mutter, selten ein Trauerspiel, und machen sich 19 Ebd., 28 ff. Voltaire versuchte den bekannten Schauspieler Jean de La Noue (1701-1761) zu vermitteln. 20 Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 4252. 21 Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise durch Frankreich und Italien, durch Flandern und die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg 1770-1772, Hamburg 1773, Neudruck Wilhelmshaven 1980, 379. 22 Gotthold Ephraim Lessing, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande des Theaters in Berlin, in: Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters, Stuttgart 1750, 1. u. 2. Teil, Neudruck Leipzig 1976, 123-136 u. 284286, hier: 124. 23 Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin (wie Anm. 2), 142.

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auch gar oft das Vergnügen, Lustspiele anzuhören. Se. Königl. Hoheit, der junge Prinz von Preussen, Friedrich Wilhelm, besuchen die Schloßschaubühne am allerfleißigsten.“ 24 Regelmäßige Zuschauer waren auch die Geschwister des Königs und die am Hof anwesenden Franzosen.25 Die Bühnensprache war Französisch, was einen der auffälligsten Unterschiede zum Theaterbetrieb am Hof Friedrich Wilhelms I. darstellt. Darüber hinaus sind Zweifel angebracht, ob Friedrich II. tatsächlich so konsequent mit der Tradition des Sprechtheaters brach, die er vom Hof des Vaters kannte, wie gemeinhin behauptet wird.26 Auch wenn festgestellt werden muss, dass die Quellenlage zur Berliner Theatergeschichte für die Regierungszeit beider Monarchen äußerst lückenhaft ist und dieser Umstand eine sachliche Urteilsbildung erschwert: Friedrich II. war am Beginn seiner Regentschaft zwar bestrebt, sichtbare Zeichen einer Neuausrichtung der Hofkultur und der Herrschaftsrepräsentation zu setzen, die Nachhaltigkeit seiner Bemühungen sind allerdings differenzierter zu betrachten. 24 Lessing, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande des Theaters in Berlin (wie Anm. 22), 124. 25 Die Schwester Ulrike berichtete ihren Brüdern während des ersten Schlesienfeldzuges über den Berliner Theaterbetrieb. Auch Wilhelmine von Bayreuth schreibt während ihrer Aufenthalte als Gast in Berlin regelmäßig über ihre Theaterbesuche. Cf. Luise Ulrike, Die schwedische Schwester Friedrich des Großen. Ungedruckte Briefe an Mitglieder des preußischen Königshauses, hg. v. Fritz Arnheim, 2 Bde., Bd. 1: 1741 bis 1746, 32f.; Friedrich der Große und Wilhelmine von Bayreuth, (wie Anm. 3), Bd. 2: Briefe der Königszeit 1740-1758, Leipzig 1926 (BFW, Bd. 2). 26 Der überwiegende Teil der Berliner Theaterchronisten geht auf die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. kaum oder gar nicht ein bzw. stellt sie in keine Beziehung zum Kronprinzen und späteren König Friedrich. Zur Theatergeschichte Berlins bis 1786: Albert Emil Brachvogel, Geschichte des Königlichen Theaters in Berlin, Band 1: Das alte Berliner Theaterwesen, Berlin 1877; Olivier, Les Comédiens Français, Bd. 2 (wie Anm. 1); Steltz, Geschichte und Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 58-84; Gerd Müller, Zum Theater in Preußen, in: Panorama der Fridericianischen Zeit. Ein Handbuch, hg. v. Jürgen Ziechmann, Bremen 1985, 287-291; Ruth Freydank, Friedrich II. und das Theater, in: Friedrich II. und die Kunst. Katalog zur Ausstellung vom 19. Juli -12. Okt. 1986 im Neuen Palais, hg. v. Hans-Joachim Giersberg und Claudia Meckel, Potsdam-Sanssouci 1986, 147-156; dies., Theater in Berlin. Von den Anfängen bis 1945, Berlin 1988; Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters, Bd. 2, Stuttgart; Weimar 1996, 707-712.

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Anders als die Königliche Hofoper Unter den Linden (das „große Theater“) war das Französische Schauspiel (das „kleine Theater“) nicht vorrangig ein Ort herrschaftlicher Repräsentation. Friedrich II. investierte wohl auch deshalb zunächst weder in einen kostenintensiven Theaterneubau, noch in die prachtvolle Ausgestaltung des Zuschauerraums und eine aufwändige Bühnenausstattung, auch nicht in teures Personal.27 Nach den Angaben von Friedrichs II. langjährigem Schauspieldirektor, Baron Maximilian von Sweerts (1710-1757), hatte dieser darauf zu achten, dass keine der Theateraufführungen die Summe von 38 Reichstalern überstieg.28 Für die Opernproduktionen stand dem Schauspieldirektor ein Vielfaches zur Verfügung, durchschnittlich etwa 18.000 Taler pro Saison.29 Obwohl der König beanspruchte, gute Schauspieler für das Hoftheater zu engagieren, war er nicht bereit, viel Geld für Personalkosten zu investieren.30 Dieser Sparwille verhinderte einen wirklichen Aufschwung des Sprechtheaters. Ähnlich wie zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. häuften sich Klagen über mittelmäßige Darsteller und intellektuell wie künstlerisch wenig befriedigende Theateraufführungen. „Ich fürchte“, schrieb die Schwester Wilhelmine dem königlichen Bruder, „es wird Dir schwer fallen, eine gute Schauspielertruppe zusammenzubringen. 27 Zur sparsamen Ausstattung des Hoftheaters cf. die Einschätzung des Zeitgenossen Lehndorff, Die Tagebücher des Grafen von Lehndorff. Die geheimen Aufzeichnungen des Kammerherrn der Königin Elisabeth Christine, hg. v. Wieland Giebel, Berlin 2007, 91; zur Problematik des Sparwillens Friedrichs II. und die Konsequenzen für die Personalpolitik, cf. Olivier, Les Comédiens Français, Bd. 2 (wie Anm. 1), 32 ff. 28 Steltz, Geschichte und Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 67; cf. Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 205. 29 Christoph Henzel, Zu den Aufführungen der großen Oper Friedrichs II. von Preußen 1740-1756, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung. Preußischer Kulturbesitz 1997, 9-57, hier: 20. Die Kosten für Kostüme und Dekorationen, aber auch die Anzahl der Opernvorstellungen waren in den einzelnen Spielzeiten unterschiedlich. Die 18.000 Taler sind ein Durchschnittswert. Die Anzahl der Theateraufführungen schwankte zwischen 1743 und 1757 ebenfalls und betrug im Jahr nachweislich wenigstens 13 (1757) und nicht mehr als 56 (1747). 1750 betrug der gesamte Komödienetat bei 38 Vorstellungen 4.400 Taler; cf. Steltz, Geschichte und Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 74. 30 Olivier, Les Comédiens Français, Bd. 2 (wie Anm. 1), 32ff.

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Alle Franzosen sagen, es gehe mit dem Theater bergab und in der Truppe des Königs gäbe es nur zwei leidliche Schauspieler.“31 Friedrich II. beauftragte den Marquis d‘Argens, mit welchem er seit Ende des Jahres 1741 in engem Kontakt stand, mit der Theaterleitung und mit dem Engagement weiteren Personals.32 Obwohl es d‘Argens gelang, einzelne herausragende Schauspieler aus Frankreich für die Berliner Bühne zu verpflichten, wurden die Erwartungen an die Truppe insgesamt selten erfüllt. Häufig wurden vor allem die Nebenrollen nur mit Tänzerinnen und Tänzern der Königlichen Oper besetzt, deren Schauspiel Professionalität vermissen ließ.33 Die Schwächen der Darsteller zeigten sich häufig vor allem darin „bloß zu dergleichen Charakteren angelegt zu seyn“,34 indem sie in der Komödie ausschließlich bestimmte Typen mimten. Nur wenige Schauspieler scheinen die Persönlichkeit und den Anspruch gehabt zu haben, in den großen Rollen der Komödien eines Molière und den Tragödien Racines gleichermaßen zu bestehen.35 Lessing stellt den Komödianten kein gutes Zeugnis aus, wenn er über sie schreibt „Überhaupt geben sie sich wenig Mühe wenn der Hof nicht zugegen ist.“36 Ebenso kritisiert er aber auch das Publikum, welches „wenn Se. Maj. nicht zugegen sind, oft das Am31 Wilhelmine an Friedrich II., Berlin, 3. Feb. 1743, in: BFW (wie Anm. 26), Bd. 2, 52. 32 Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 73; u. Briefe zwischen dem König und dem Marquis d‘Argens (1740er Jahre), in: Œuvres de Frédéric le Grand, éd. par J. D. E. Preuss, Bd. 19, 1-37. 33 Die Tänzerinnen und Tänzer traten auch in ihrer eigentlichen Aufgabe häufiger in der französischen Komödie auf, indem sie die Zwischenakte in der Komödie gestalteten; cf. Lessing, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande des Theaters in Berlin (wie Anm. 22), 131; Steltz, Geschichte und Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 70. 34 Lessing hat sich ausführlicher zu den Stärken, vor allem aber den Schwächen einzelner Schauspielerinnen und Schauspieler geäußert, ebd., 126131, hier: 130. 35 Zu nennen sind als Schauspieler Pierre Desforges*, die Ehefrau des Marquis d‘Argens Babet Cochois*, deren Geschwister sowie ein Monsieur Favier* und das Ehepaar Rousselois*. Nach dem Siebenjährigen Krieg kamen aus Württemberg Pierre Fierville* und seine Frau an den preußischen Hof und bestimmte den französischsprachigen Theaterbetrieb; cf. Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin (wie Anm. 2), 146. 36 Lessing, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande des Theaters in Berlin (wie Anm. 22), 126.

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phietheater und Parterre die spielenden Personen übertäubet“ und „viel Nebenkomödien unter den Zuschauern gespielet werden.“37 Das Theater war als exklusiver Treffpunkt der Gesellschaft am preußischen Hof wie anderswo im doppelten Sinn ein Ort der Unterhaltung. Aufführungen gab es wöchentlich, immer mittwochs.38 Während des Berliner Karnevals, der in die Monate Dezember und Januar fiel, wurde an zwei weiteren Tagen im neuerbauten Musiktheater Unter den Linden Oper gespielt. Um das Bedürfnis des Hofes nach Unterhaltung und Theaterspiel ganzjährig und umfassend zu befriedigen, fanden jedoch auch an vielen anderen Orten in den Schlössern Berlins und Brandenburgs Aufführungen statt. Nach wie vor bestand die Tradition des adligen Laienspiels. Auch wenn Friedrich II. nach seinem Regierungsantritt als Darsteller selbst nicht mehr auf die Bühne trat, wurde in seinem Umkreis, an den Höfen und in den Gemächern der Geschwister weiterhin häufig Theater gespielt. Zahlreiche Hinweise darauf finden sich im Briefwechsel der Königsfamilie, aber auch in den Tagebüchern des Grafen Lehndorff, der als Kammerherr im Dienste der Königin Elisabeth Christine auch enge Kontakte zu den Brüdern des Königs pflegte.39 Außerdem wurde gelegentlich, meist anlässlich hoher Familienfeste, die Orangerie im Schloss Charlottenburg und das bis 1771 als Orangenhaus genutzte Gebäude der Neuen Kammern als Spielort für kleine Festopern und Operetten, Intermezzi und französisches Theater genutzt.40 Zur regelmäßigen Hofspielstätte wurde nach dem Ende des Zweiten Schlesischen Krieges neben dem Komödiensaal im Berliner 37 Ebd., 126 f. 38 Laut Plümicke wurde bis 1756 ganzjährig mittwochs Komödie gespielt, danach nur noch in der Karnevalszeit; cf. Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte (wie Anm. 2), 142. 39 Die Tagebücher des Grafen von Lehndorff (wie Anm. 28), u. a. 158 f, 201. Zum Theaterspiel am Hof des Prinzen Heinrich; cf. Olivier, Les Comédiens Français (wie Anm. 1), Bd. 3: La comédie française à la cour du Prince Henry de Prusse (1753-1802), Genève 1972, 71-92; Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 90-111; zum Liebhabertheater an den kleinen Höfen weiterer Geschwister und Verwandter des Königs in Berlin und Brandenburg, ebd., 111-129. 40 Zur Baugeschichte der Orangerien in Charlottenburg und Sanssouci und ihrer Nutzung als Spielorte cf. Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 67f. Saisonweise wurde in Sanssouci auch ein Gartentheater eingerichtet und bespielt.

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Schloss aber vor allem das nach Plänen von Knobelsdorff (1699-1753) und Johann August Nahl d. Ä (1710-1781) im Potsdamer Stadtschloss errichtete Theater.41 Nach Potsdam, wohin der König in jener Zeit seinen Hauptwohnsitz verlegte, wurden Ende 1747 auch italienische Intermezzisten verpflichtet. Diese sollten vornehmlich die in Potsdam anwesenden Hofleute und Gäste in den Sommermonaten außerhalb der Opernsaison unterhalten.42 Das Intermezzo-Spiel war als Kunstform ursprünglich ein lustiger musikalischer Zwischenakt der ernsten Oper, an welchem zunächst meist nicht mehr als zwei Darsteller beteiligt waren. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelte sich daraus als eigenständige Musikgattung die opera buffa, die italienischsprachige komische Oper, die ein deutlich größeres Ensemble benötigte. Auch das Intermezzo-Theater am friderizianischen Hof in Potsdam folgte dieser Entwicklung. So wurde das zuerst engagierte Duo Domenico Cricchi*, als Bassbuffo und Rosa Ruvinetti Bon* als Primadonna und weiblicher Part auf Betreiben des Königs bald durch weitere, neu engagierte Darsteller ergänzt.43 Abgesehen von den kriegsbedingten Unterbrechungen, die auch den Spielbetrieb der italienischen Oper und der französischen Schauspiele in Berlin betrafen, existierte das Intermezzotheater bis zum Ende der Regierungszeit Friedrichs II. und wurde von diesem bis ins letzte Lebensjahr besucht.44 41 Ebd., 52-58. 42 Plümicke gibt dies für 1748 an, cf. Entwurf einer Theatergeschichte (wie Anm. 2), 140. 43 Eine (unvollständige) Chronologie über die Aufführungen und personellen Neuzugänge liefert Louis Schneider, Geschichte der Oper und des Königlichen Opernhauses in Berlin, Berlin 1852, 123ff. Zum finanziellen Engagement Friedrichs II. das Potsdamer Theater betreffend cf. Henzel, Die Schatulle Friedrichs II. von Preußen und die Hofmusik, Teil 1, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1999, 36-66, insb. 40ff; Teil 2, 2000, 175-209, insb. 184-188. 44 Henzel vermutet, dass die Bedeutung der Spielstätten in Potsdam und Sanssouci im letzten Lebensjahrzehnt Friedrichs II. zunahm, weil er die Berliner Theater nur noch selten besucht hat; cf. ebd., Teil 2, 189. Zu den Theaterund Opernbesuchen des Königs cf. Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck: Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrich des Grossen Regentenleben (1740-1786), mit historischen und biographischen Anmerkungen zur richtigen Kenntnis seines Lebens und Wirkens Nebst Nachträgen, 3 Bde, Berlin 1840-42.

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Leider ist die Geschichte des preußischen Intermezzo-Theaters bisher nur wenig erforscht. Deshalb lassen sich nur allgemeine Aussagen zum Stellenwert, dem Spielbetrieb und der Nutzung dieser Institution treffen. Das dauerhafte Bestehen dieser Musik- und Theatergattung über alle Krisen hinweg, macht deutlich, dass Friedrich II. die Buffa-Oper in seiner Unterhaltungsfunktion überaus wertschätzte, auch wenn ihn weniger ein künstlerisch-ästhetisches Interesse mit dieser Kunstform verband.

Spielplan des französischen Theaters Es ist bereits den Zeitgenossen aufgefallen, dass Friedrich II., der auf seine Kenntnisse der französischen Literatur und Dramendichtung so stolz war, der neben seiner Beschäftigung und Vertrautheit mit dem Werk und der Person Voltaires auch im fortgeschrittenen Alter imstande war, ganze Passagen der Dramen Racines aus dem Gedächtnis vorzutragen,45 die Tragödien dieser Autoren auffällig selten auf den Spielplan des Hoftheaters setzen ließ. „Trauerspiele lieben Se. Maj. gar nicht“46, meinte Lessing aus der Tatsache zu schließen, dass sich der König selbst nur selten und meist nur dann zu Vorstellungen im Theater einfand, „wenn ein besonders lustiges Stück vorgestellet wird.“47 Ein vom Schauspieldirektor Baron von Sweerts angelegtes Livre de mémoire pour les représentations de la comédie française bestätigt für die Jahre 1743 bis 1757 die deutliche Vorherrschaft der Komödie auf der Bühne des Berliner Hoftheaters.48 Aufgeführt wurden neben den Werken Molières sehr zahlreich Lustspiele zeitgenössischer französischer Theaterautoren und Vertretern des Théâtre Italien. In den Jahren bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges kamen die Stücke von über 45 Gespräche mit Henri de Catt (wie Anm. 6), 333, 338. 46 Lessing, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande des Theaters in Berlin (wie Anm. 22), 124. 47 Ebd. 48 In Auszügen bei Steltz, Geschichte und Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 37-51 (Anhang). Steltz verweist auf Lücken in Sweerts Merkbuch bzw. Abweichungen zum Spielplan, die sich aus dem Vergleich von Lessings Auflistung der Aufführungen des Jahres 1749 und den Anzeigen von Theatervorstellungen in den Berlinischen Nachrichten der betreffenden Jahre ergeben; ebd. 71.

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60 Autoren auf die Berliner Bühne. Am häufigsten wurden neben den Werken Molières, Komödien von Jean-François Regnard (1655-1709), Marivaux (1688-1763), Néricault Philippe Destouches (1680-1754), Louis de Boissy (1694-1758) und Dancourt (1661-1725) gespielt. Dabei wurden einzelne, erfolgreiche Stücke nicht nur saisonweise, sondern über viele Jahre wiederholt. Molières Komödien L’École des femmes, L’École des maris, Le Misanthrope und Tartuffe sowie Regnards Erfolgsstücke Le Joueur und Démocrite amoureux standen lange Zeit immer wieder auf dem Spielplan des Berliner Theaters. Wie Michael Steltz in seiner Dissertation Geschichte und Spielplan der französischen Theater an deutschen Fürstenhöfen im 17. und 18. Jahrhundert festgestellt hat, wurden aber nicht nur die zum klassischen Repertoire der Comédie Française gehörenden Komödien und die zeitgenössischen Stücke des Théâtre Italien gespielt, man griff auch auf ältere, in Paris und andernorts selten oder gar nicht gespielte Komödien bekannter französischer Theaterautoren zurück. Dass man dabei auch Stücke in den Berliner Spielplan aufnahm, „die in Frankreich wegen ihrer schlechten Qualität niemals aufgeführt worden waren“49 deutet aber durchaus nicht auf mögliche Defizite in der Bildung, dem Urteilsvermögen und einen – wie es Steltz nennt – „leichtlebigen Geschmack der Berliner Adelsgesellschaft“50 hin. Der Wunsch nach Abwechslung und Amüsement hat bei der Auswahl der Komödien sicher im Vordergrund gestanden. Man sollte nicht vergessen, dass die Berliner Comédie Française vor allem das Bedürfnis nach Unterhaltung erfüllen sollte. Das Programm wurde auf die Erwartungen des Publikums und die Fähigkeiten der Schauspieler abgestimmt. Das erklärt auch, weshalb nicht nur die Stücke bekannter Theaterautoren und zahlreiche Nachahmungen beliebter und erfolgreicher Komödien aufgeführt wurden, sondern auch eine große Anzahl sogenannter petites pièces.51 49 Ebd. 70. 50 Ebd. Zur negativen Beurteilung des Spielplanes cf. Müller, Zum Theater in Preußen (wie Anm. 25). 51 Steltz‘ Auswertung des Livre de mémoire ergab 557 verzeichnete Vorstellungen, die Aufführung von 159 verschiedenen Stücken, davon 98 große, abendfüllende Komödien, 50 „petites pièces“, kleine, meist einaktige Lustspiele und Ballette sowie 11 Tragödien; cf. ebd., 69. Es muss allerdings von einer etwas höheren Anzahl von Aufführungen ausgegangen werden, weil die Aufführungen des Jahres 1742 in Sweerts Merkbuch nicht aufgenommen sind und wegen möglicher Lücken im Verzeichnis (Anm. 48).

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Die einaktigen Komödien wurden an vielen Spielstätten, etwa in Paris, nur ergänzend als Vor- oder Nachspiele gezeigt. In Berlin bildeten sie dagegen nicht selten den Hauptteil eines Theaterabends. Ergänzend und als Pausengestaltung bei mehraktigen Stücken wurden mythologische Ballette und Divertissements getanzt.52 Diese Praxis war sonst vor allem in der Oper üblich, erfüllte in Berlin aber offenbar nicht nur die Wünsche des Publikums nach abendfüllender Unterhaltung, sondern auch die des Theaterpersonals, welches zum großen Teil aus Berufstänzern bestand.53 Das Angebot an neuinszenierten Stücken war in der Anfangszeit sehr groß. Zwischen 1742 und 1757 wurden über 160 verschiedene Komödien, Tragödien und kleinere Lustspiele inszeniert. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Schlesischen Krieges gab es jährlich bis zu 19 Premieren und saisonweise Aufführungen von mehr als 40 verschiedenen Stücken.54 Dabei dominierten französische Charakter- und Typenkomödien das Repertoire. Stücke lokaler Autoren – auch die des Königs – wurden nur selten auf der Bühne des Schlosstheaters gezeigt.55 Friedrich II. mochte sich als Verfasser nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten zu erkennen geben.56 Sein Einakter Le singe de la mode wurde vor größerem Publikum nur auf der Hochzeit seines Freundes Key52 Steltz, Geschichte u. Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 70. 53 Cf. Anm. 33. 54 Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1747. Anfangs lag die Frequenz noch höher: 1744 kamen in 57 Vorstellungen 79 Stücke zur Aufführung, soviel wie sonst nie. Zu einigen Vorstellungen standen jeweils zwei Einakter auf dem Programm. Insgesamt wurden 51 verschiedene Stücke gezeigt. Nur wenige Komödien wurden im Jahr mehrfach wiederholt. 55 Gezeigt wurden neben Friedrichs II. L’ecole du monde (1749,1750, 3 Auff.), eine Komödie von Jakob Friedrich von Bielfeld (1717-1770), Le tableau de la cour (1749, 1 Auff.), und ein Stück des Berliner Souffleurs Chartaigner*, Arlequin devin par hazard (1749, 2 Auff.). 56 Friedrich II. bevorzugte es offiziell anonym zu bleiben und zeichnete als „Monsieur Satyricus“, Dennoch war seine Autorschaft wohl allgemein bekannt; cf. Lessing (wie Anm. 22), 125. Zu den Komödien Friedrichs II.: Gerd Müller, Friedrich als Autor von Theaterstücken, in: Panorama der Fridericianischen Zeit (wie Anm. 25), 249-259; Heinz Klüppelholz, Zwischen französischer Klassik und Aufklärung. Die Komödie L‘école du monde von Friedrich dem Großen, in: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie 50 (2004), 92-109.

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serlingk gespielt.57 Das dreiaktige Komödienstück L’école du monde kam im Theater erstmals am 16. März 1748 zur Aufführung und wurde danach insgesamt nur viermal vor Zuschauern wiederholt. Laut dem von Rödenbeck und Droysen erarbeiteten Tageskalender zum Leben Friedrichs II. fand die Uraufführung des Stückes auch nicht in Berlin, sondern im Schlosstheater in Potsdam statt.58 Vergleichsweise selten standen die vom preußischen König bekanntermaßen hochgeschätzten Dramen Voltaires auf dem Spielplan. Der 1750 nach Potsdam übergesiedelte Franzose wirkte in Hofkreisen zwar selbst bei Liebhaberaufführungen als Darsteller mit, seine Kontakte zum Hoftheater waren dagegen gering.59 Nur wenige Male wurden in der Zeit des Aufenthaltes Voltaires dessen Stücke auf dem Hoftheater gezeigt.60 Ob sich aus der Tatsache, dass auf den Bühnen des Sprechtheaters nur wenige Tragödien aufgeführt wurden, tatsächlich eine Abneigung Friedrichs II. gegen diese Gattung schließen lässt, wie seit Lessing immer wieder behauptet wird, ist allerdings fraglich.61 Bezeichnenderweise fehlen Aussagen des Königs, die diese Annahme plausibel begründen. Friedrich II. besuchte die Komödie wie auch die Intermezzi in Potsdam nicht regelmäßig und wenn, offensichtlich vor allem, um sich als Zuschauer zu amüsieren. In die Spielplangestaltung mischte er sich selten ein und überließ diese fast ganz seinem Schauspieldirektor Sweerts.62 Das französische Hofschauspiel wie auch das Potsdamer 57 Die Hochzeit von Friedrichs Jugendfreund „Cäsarion“, Dietrich Freiherr von Keyserlingk (1698-1745), fand am 30. November 1742 in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg statt. 58 Das betrifft die Aufführungen des Stückes vom 16. und 18. März 1748; cf. Rödenbeck, Tagebuch Friedrich des Grossen (wie Anm. 44), Bd 1 (1840), 153; Droysen, Tageskalender Friedrich des Großen, in: Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, hg. v. M. Klinkenborg, Bd. 29 (1916), 95-157, hier: 118. 59 Olivier, Les Comédiens Français, Bd. 2 (wie Anm. 1), 42 f; Frenzel, Brandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 74. 60 Steltz, Geschichte u. Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 70 f. 61 Lessing (Anm. 46); Steltz unterstellt Friedrich II. bezüglich der Tragödie eine „Abneigung […] die er zeitlebens nicht überwinden konnte“ und eine „Vorliebe […] zur heiteren Muse“ (wie Anm. 9), 66. 62 Zeitweise übten auch der Marquis d‘Argens und ab 1753 Jakob Friedrich v. Bielfeld größeren Einfluss auf die Programmgestaltung der Comédie aus; cf. Tagebücher des Grafen von Lehndorff. (wie Anm. 28), 81; cf. Frenzel,

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Intermezzo-Theater hatten weder dem Inhalt noch der Form nach den hohen künstlerischen Anspruch, den Friedrich als Leser mit der französischen Dramenkunst verband. Friedrichs Auseinandersetzung und Beschäftigung mit der Poetik und der Wirkungsästhetik des Dramas fand dennoch auf der Theaterbühne seinen Niederschlag, allerdings nicht im Sprechtheater, sondern in der Oper. Den Aufschwung, den das Berliner Musiktheater nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. nahm, hat er als König nicht nur intensiv begleitet, sondern auch mitgestaltet. Die programmatische Ausrichtung des Musiktheaters als italienischsprachige Hofoper, in der zeittypisch und standardgemäß opere serie aufgeführt wurden, erfolgte zunächst aus herrschaftsrepräsentativen Gründen. Sie entsprach aber auch der besonderen Vorliebe Friedrichs II. für diese Musikgattung. Er hat die Oper inhaltlich wie strukturell zu profilieren versucht. Er hat dabei immer wieder auf die klassizistischen französischen Tragödien und die Dramendichtungen Voltaires zurückgegriffen. Bereits in den Spielplänen der Anfangsjahre lässt sich diese Orientierung erkennen. Besonders die Werke Corneilles und Racines dienten häufig als Vorbilder und Vorlagen von Opernlibretti, die für die Berliner Bühne geschrieben oder neu vertont wurden. Die Handlung der Oper Cleopatra e Cesare, mit der das Opernhaus Unter den Linden 1742 eröffnet wurde, basiert auf Corneilles Drama La mort de Pompée (1644).63 Dessen Versdrama Cinna (1641/42) war vorbildhaft für die 1743 gezeigte Oper La Clemenza di Tito von Metastasio und Johann Adolph Hasse und diente fünf Jahre später auch als direkte Vorlage für die Oper Cinna von Leopoldo Villati und Carl Heinrich Graun.64 Noch häufiger als die Werke Corneilles wurden Dramen Racines bearbeitet. Die Libretti der Berliner Opern Ifigenia in Aulide (1748) Mitridate (1750), Britannico (1751) und I fratelli nemici (1756) sind Varianten der Bühnenwerke Racines. Die AusBrandenburgische-preußische Schlosstheater (wie Anm. 15), 73. 63 Das Libretto von Giovanni Gualberto Bottarelli*, dem ersten Hoflibrettisten Friedrichs II. in: Carl Heinrich Graun, Cleopatra e Cesare. Dramma per musica, Staatsoper Unter den Linden, Berlin 1992, 120-287. 64 Zur musikdramatischen Bearbeitung von Corneilles Cinna ou la Clémence d‘Auguste und Vorbildfunktion: Alison Stonehouse, Pierre Corneille, in: The New Grove Dictionary of Opera, ed. by Stanley Sadie, vol. 1, London 1992, 953 f.; Heinz Klüppelholz, Sulla, Cinna und das Libretto: Zur Oper „Sylla“ von Friedrich II., in: Fridericianische Miniaturen, Bd. 1, hg. v. J. Ziechmann, Bremen 1988, 131-146.

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wahl der Stücke nahm Friedrich II. selbst vor. Die eigens als Librettisten angestellten italienischen Hofpoeten hatten vor allem die Aufgabe, die Vorlagen ins Italienische zu übertragen und den Gesetzmäßigkeiten des Musiktheaters anzupassen.65 Auch wenn kein einheitliches Verfahren für die Umarbeitung der jeweiligen Dramen erkennbar ist und sich das Verhältnis von Handlungs- und Textnähe der Libretti zum literarischen Original recht unterschiedlich gestaltet, so kann man feststellen, dass es in der Praxis vor allem darauf ankam, die Möglichkeiten des Musiktheaters gegenüber denen des Sprechtheaters zu erproben. Kam es Friedrich II. hierbei nur auf einen Vergleich an oder lässt sich dieses Experimentieren auch als Beitrag in der Diskussion um eine Reform der doctrine classique im französischen Regeldrama verstehen? Es ist sicher kein Zufall, dass in zeitlicher Nähe zur Uraufführung von Berliner Opern, die auf den Werken der klassizistischen Autoren basieren, im Hoftheater auch die entsprechenden Dramen gezeigt wurden.66 In den Jahren zwischen 1743 und 1757 kamen im Theater insgesamt nur 11 Tragödien zur Aufführung. Allein diese Tatsache macht die beschriebene Spielplanpraxis umso auffälliger. Friedrich II. hat den Produktionsprozess einzelner Libretti und Opern intensiv mitgestaltet. Es war ihm wichtig, dass die Operntexte in ihrer 65 Gemein ist den Bearbeitungen, dass die französischen Fünfakter in die dreiaktige Struktur der italienischen Oper umgewandelt wurden. Dabei wurden die Vorlagen meist gekürzt und die Handlungsstruktur vereinfacht. Nebenhandlungen wurden weitgehend eliminiert und die Anzahl der Personen so reduziert, dass sie dem Umfang des Berliner Sängerensembles entsprach. Die Verse wurden ins Italienische übersetzt bzw. übertragen und den Erfordernissen des rezitativen bzw. des virtuosen Arien-Gesangs entsprechend bearbeitet. 66 Dies betrifft Corneilles Drama Cinna, das 1748 sowohl im französischen Hoftheater als Theaterstück als auch in der musikdramatischen Bearbeitung Villatis in der italienischen Hofoper aufgeführt wurde. Selbiges trifft auch für Racines Iphigénie bzw. Ifigenia in Aulide (1748) zu. Racines Britannicus wurde Ende Nov. 1751 als Sprechdrama aufgeführt und Anfang Dez. 1751 als Oper Britannico. Darüberhinaus stand Racines Mithridate sowohl als Theaterstück und als Opera seria auf dem Spielplan in Berlin (1749 und 1751). Nicht auf der Theaterbühne gezeigt wurde dagegen das vom König bearbeite Drama La Thébaïde ou Les fréres ennemis von Racine. Es wurde als I Fratelli nemici 1756 in der Opernbearbeitung gezeigt. Ebenso wurden die auf den Dramen Voltaires basierenden Opern Sémiramide und Mérope nicht vorab im Theater inszeniert.

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Struktur dem Regelwerk der tragédie classique weitgehend entsprachen.67 Großen Wert legte er dabei vor allem auf eine „vernünftig und gut geführte Handlung.“68 Die Libretti durften nicht zu lang sein. Nebenhandlungen sollten vermieden werden und der Plot sollte der Forderung nach Wahrscheinlichkeit entsprechen.69 Das Bühnengeschehen musste im zeitlichen Rahmen der Aufführung nachvollziehbar sein. Die bereits von Aristoteles geforderte Einheit des Ortes, die im klassischen Regeldrama mitunter sehr streng ausgelegt wurde und deswegen in Frankreich immer wieder Anlass zu Kontroversen und Querelen gab, wurde wegen der großen Bedeutung der Kulissentechnik in der Oper dagegen weniger strikt gehandhabt. Wichtig war Friedrich II. vor allem, dass die innere Wahrscheinlichkeit eines Handlungsablaufs gewahrt wurde. Aus diesem Grund hat er sich bei der Umarbeitung der Dramen zu Libretti mitunter auch über einige Regeln der tragédie classique hinweggesetzt. Dies betraf bei mythologischen Stoffen etwa das Verbot von deus-ex-machina-Lösungen und die Intervention von Göttern.70 Es ist auffällig, dass für die friderizianische Oper mehrfach Versdramen ausgewählt und bearbeitet wurden, deren Eignung für die Sprechtheaterbühne infrage gestellt wurden. Das zeigt das Beispiel von Voltaires Tragödie Sémiramis (1748).71 Das Theaterstück war von 67 Cf. das Schreiben des Königs an Francesco Algarotti, in dem er in Bezug auf den Libretto-Entwurf zur Oper Coriolano (1749) den Hofpoeten ausdrücklich darum bittet „de faire que cette pièce tienne un peu de la tragédie française» in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 32), Bd.18, 63. 68 Kommentar zur Oper Cinna im Brief Friedrichs II. an Wilhelmine von Bayreuth, 13. Jan. 1748, in: BFW, Bd. 2 (wie Anm. 25), 130. 69 Friedrich II. an Algarotti, Potsdam, 6. Sept. 1749 (wie Anm. 67). 70 Racines Drama Iphigénie wurde für die Oper stark verändert, es blieb kaum mehr als das Handlungsgerüst erhalten. Die Schlusslösung sieht – anders als bei Racine – die Intervention einer Göttin vor. Racine hatte in seiner Version von der Vorlage des Euripides abweichen müssen, um eine finale deus-ex-machina-Lösung zu vermeiden. Eine solche war im Sinne der doctrine classique regelwidrig. Für die opera seria bestand diese Einschränkung nicht. Aus musikdramaturgischen Gründen war der veränderte Schluss sinnvoll, weil er spektakuläre Maschineneffekte (Einschweben der Göttin) ermöglichte und dennoch eine plausible Auflösung der Handlung bot; cf. Ifigenia in Aulis. Dramma per musica. Ein Singespiel, Berlin 1748. 71 Voltaire, Sémiramis, éd. par Jean-Jacques Olivier, Paris 1946; zur zeitgenössischen Diskussion cf. Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 11. Stück, den 5. Juni 1767; Julij Kagarliski, Shakespeare und Voltaire, Dresden 1989,

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den Zeitgenossen kritisiert worden, weil sich Voltaire bei der Abfassung gleich über mehrere Regeln hinweggesetzt hatte. Dazu zählen die Vermeidung von Orts- bzw. Kulissenwechseln oder Massenszenen, vor allem aber das Wirken übernatürlicher Kräfte. Der Auftritt eines nach Rache sinnenden Geistes, ähnlich dem in Shakespeares Hamlet, war allerdings ebenso wenig wahrscheinlich, wie der Ruf einer Stimme aus den Wolken. Das war von Friedrich II. kritisiert worden: „[…] ma délicatesse souffre lorsque les passions héroïques sortent de la vraisemblance; les machines sont trop outrées dans un spectacle raisonnable; au lieu d‘émouvoir, elles deviennent puériles. S‘il fallait opter, j‘aimerais mieux dans la tragédie moins d‘élévation et plus de naturel.“72 Auch er bezweifelte die Eignung dieser Tragödie als Sprechdrama.73 Dennoch hat Friedrich II. über die Möglichkeiten einer Inszenierung der Sémiramis nachgedacht. Die Realisierung als Oper im Jahre 1754 lässt sich somit als Beitrag zur Debatte um die Wirkungsmöglichkeiten von Sprech- und Musikdramatik verstehen.

Das Berliner Theaterleben nach dem Siebenjährigen Krieg Mit dem Beginn des Siebenjährigen Krieges veränderten sich die Bedingungen für die Berliner Comédie française, die Oper und das Intermezzo-Theater. Noch im Verlaufe des Jahres 1757 wurde der Theaterbetrieb am preußischen Hof eingestellt und die französischen Schauspieler verabschiedet.74 Der Neuanfang nach dem Friedensschluss von 1763 gestaltete sich schwierig. Friedrich II. verpflichtete französische Schauspieler und übertrug die Leitung des Ensembles 49ff. 72 Brief Friedrichs II. an Voltaire, Berlin, Dez. 1749, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 32), Bd. 23, 225. 73 Ebd: „J’aime mieux cependant lire cette tragédie que de la voir représenter, parce que le spectre me paraîtrait risible, et que cela serait contraire au devoir que je me suis proposé de remplir exactement, de pleurer à la tragédie et de rire à la comédie.“ 74 Steltz hat den Nachweis erbracht, dass das Hoftheater nicht bereits 1756 geschlossen wurde, sondern der Theaterbetrieb noch bis Mitte 1757 aufrecht erhalten wurde; cf. Geschichte und Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 71 ff.

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1764 an Karl Ludwig von Pöllnitz (1692-1775), den Nachfolger des 1757 verstorbenen Schauspieldirektors Sweerts. „Als nur den Anfang einer Truppe“75 bezeichnete d‘Alembert (17171783) im August 1763 die neu gegründete Schauspielergemeinschaft. Folgt man den spärlichen Berichten zum Theaterbetrieb der Nachkriegszeit, dann ließen die Anzahl und das Können der Darsteller viele Wünsche offen. 1768 verabschiedete der König die Gruppe wieder. Er war der unerfüllten Erwartungen und Beschwerden wohl überdrüssig. Stattdessen begünstigte er die Gründung eines französischen Privattheaters unter der Leitung des ehemaligen Direktors des Stuttgarter Hoftheaters Pierre Fierville.*76 Es ist nicht bekannt, ob die Initiative zu diesem Schritt vom König oder von Fierville ausging.77 Am Stadtrand Berlins, unweit des Schlosses Monbijou, hatte sich bereits 1760 ein vom Hof unabhängiges Theaterunternehmen unter Leitung des französischen Schauspielers Andreas Bergé* gegründet, das gegen Eintritt und dennoch in Konkurrenz zum Hoftheater für die französische Kolonie Komödien und Singspiele aufführte.78 Ein Bedarf an Theatervorstellungen in französischer Sprache war in Berlin also auch außerhalb des Hofes und der Adelsgesellschaft vorhanden. Diese Kenntnis bewog den König möglicherweise zur Umwandlung der Comédie Française vom reinen Hoftheater zu einem subventionierten aber privaten Theaterbetrieb.79 Als königlich privilegierter Theaterunternehmer trat Fierville mit seiner Truppe fortan einmal wöchentlich exklusiv im Schlosstheater auf. An weiteren Tagen gab er in der Stadt öffentlich und vor zahlendem Publikum Theateraufführungen. Im Herbst 1771 wurde Fierville das königliche Privileg mit der Begründung entzogen, dass seine Truppe nicht den Erwartungen Seiner Majestät entsprochen habe und er seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.80 Auch in den fol75 Jean Le Rond d‘Alembert an Mademoiselle Lespinasse, 1. Aug. 1763; cf. Olivier, Les Comédiens Français, Bd. 2 (wie Anm. 1), 50. 76 Steltz, Geschichte u. Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 77. 77 Ebd. 78. 78 Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte (wie Anm. 2), 148 f. 79 Steltz schreibt von einer Subventionierung von 10.000 Talern im Jahr (wie Anm. 9), 78. Zu den Schatullrechnungen die Komödie betreffend; cf. Henzel, Die Schatulle Friedrichs II. von Preußen und die Hofmusik, Teil 2 (wie Anm. 43). 80 Steltz, Geschichte u. Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9),

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genden Jahren haben die Schauspieler die Erwartungen des Publikums und des Königs häufig nicht erfüllt. 81 Selbst der in Frankreich hochgeschätzte Henri-Louis Le Kain (1729-1778), der im Sommer 1775 einige Wochen am preußischen Hof gastierte, enttäuschte das Publikum.82 Es kann nicht nur an mangelhaftem Engagement bei der Suche nach qualifiziertem Personal und dem notorischen Sparwillen des Königs gelegen haben: Friedrich hatte seine Schauspieldirektoren angewiesen, sich um gute Schauspieler mit längerfristigen Verträgen zu bemühen. Bekannte französische Bühnenstars wie Le Kain oder Aufresne wurden noch Mitte der 1770er Jahre zum Teil „unter sehr ansehnlichen Bedingungen“ nach Berlin und Potsdam eingeladen. Die Personalfluktuation, vor allem der Mangel an weiblichen Bühnenstars war dennoch beträchtlich.83 Friedrich II., der bei den Ausgaben im Theaterwesen auffallend auf Sparsamkeit bedacht war, überraschte nach dem Siebenjährigen Krieg und in einer prekären finanziellen Situation Preußens mit zwei Großprojekten: Zunächst gab er den Befehl, beim Bau des Neuen Palais (1763-1769) in Sanssouci, dort ein Theater einzurichten. Nach der Eröffnung am 18. Juli 1768 war es Spielstätte für alle Gattungen des friderizianischen Hoftheaters.84 Es wurde nicht regelmäßig bespielt. Staatsund herrschaftsrepräsentative Ereignisse gaben aber Anlass zu großen Festveranstaltungen mit Theater- und kleinen Opernaufführungen, die oftmals durch Konzerte, Bälle und Feuerwerk bereichert wurden. Besonders im letzten Regierungsjahrzehnt Friedrichs II. wuchs die Bedeutung dieser Spielstätte für die Hofkultur. Dem wachsenden Unterhaltungsbedürfnis der Berliner begegnete Friedrich II. mit dem Auftrag zum Bau eines französischen Komödientheaters. Das Gebäude wurde in einiger Entfernung vom Schloss nach den Plänen Johann Boumanns d.Ä. (1706-1776) ungefähr an der Stelle des heutigen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt errichtet und 1776 eingeweiht. Allerdings wurde dort nur zwei Jahre, bis zum Ausbruch 79. 81 Plümicke, Entwurf einer Theatergeschichte von Berlin (wie Anm. 2). 82 Ebd. 158f. 83 Steltz, Geschichte u. Spielplan der französischen Theater (wie Anm. 9), 83. 84 Die Eröffnung erfolgte mit Hasses Oratorium La conversione di Sant‘Agostine. Ein genauerer Spielplan wurde bisher nicht erstellt, lässt sich aber nach dem Tageskalender Friedrichs II. eruieren; cf. Anm. 44.

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des Bayrischen Erbfolgekrieges, in französischer Sprache Komödie gespielt. 1778 wurde der Theaterbetrieb infolge des Krieges eingestellt und die französischen Schauspieler entlassen.85 Das Gebäude blieb danach bis zum Tod Friedrichs II. 1786 ungenutzt und hat erst in der Regierungszeit seiner Nachfolger Bedeutung als Spielstätte des deutschen Nationaltheaters erlangt. In den letzten Regierungs- und Lebensjahren zog sich der König zunehmend vom öffentlichen Leben zurück und hat an der Entwicklung des Theaterwesens und der einzelnen Spielstätten in Berlin und Potsdam keinen Anteil mehr genommen. Dennoch hat er sich literarisch weiterhin mit der Dramendichtung auseinandergesetzt. Aus dem Jahr 1780 stammt Friedrichs berühmte Schrift De la littérature allemande. Darin beschreibt er nicht nur den aus seiner Sicht mangelhaften und verbesserungswürdigen Zustand der deutschen Sprache und Literatur; er konstatierte auch für die französische Poesie und Dramendichtung, dass diese ihren Höhepunkt bereits überschritten habe: „Ces heureux jours dont les Italiens, les Français et les Anglais ont joui avant nous, commencent maintenant à décliner sensiblement. […] enfin ces nations se croient en possession de la gloire que leurs auteurs ont acquise et elles s‘endorment sur leur lauriers.”86 Stücke, die in Frankreich und vor allem auf den Pariser Bühnen der 1770er und 1780er Jahre zur Aufführung kamen, wurden von Friedrich II. scheinbar kaum noch zur Kenntnis genommen. Die Werke bekannter Theaterautoren wie Beaumarchais (1732-1799) oder Louis-Sébastien Mercier (1740-1814) finden sich in keiner seiner Bibliotheken.87 Der Wandel des französischen Theaters und der Erfolg des drame bourgeois, des bürgerlichen Trauerspiels, gefiel ihm nicht. Denn der Verfall der Ständeklausel war für den preußischen König nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein politisches Problem: Wenn ein Theaterstück al85 Königliche Kabinettsorder vom 30. März 1778 an den zuständigen Direktor der Schauspiele Baron Joachim Erdmann von Arnim, cf. Freydank: Friedrich II. und das Theater (wie Anm. 26), 149. 86 Friedrich II, De la littérature allemande, in: Œuvres de Frédéric le Grand, (wie Anm. 32), Bd. 7, 103-140, hier: 113. 87 Gesamtkatalog der Bibliotheken Friedrich des Großen; cf. Bogdan Krieger, Lektüre und Bibliotheken Friedrich des Großen, in: HohenzollernJahrbuch, Jg. 17 (1913), 105-155, hier: Kapitel IX: Französische Literatur, 128-142.

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len Regeln der Wahrscheinlichkeit entsprechend die Nachahmung einer Handlung darstellen soll, welche Rückschlüsse über den Zustand einer Gesellschaft ergeben sich, wenn auf der Bühne Bürger und nicht mehr nur Aristokraten eine ernsthafte Hauptrolle spielen? Friedrich forderte die Einhaltung der aristotelischen Regeln als dramenpoetisches Prinzip für die Tragödie.88 Er duldete, den Auftritt Adliger in Komödien, aber keineswegs den von Bürgern, Lastträgern oder Totengräbern in der Tragödie.89 Die Dramen Shakespeares, welche die europäischen Bühnen der Zeit zu erobern begannen, mochten ihn in ihrer „mélange bizarre de bassesse et de grandeur“ nicht zu rühren.90 Er blieb ein eifriger Verehrer der für ihn vorbildhaften Tragödien Racines und der Komödien Molières. Während seines Lebens hat er sie wieder und wieder gelesen. Auch im Alter, als ihm die selbständige Lektüre bereits schwer fiel, hat er in dieser Beschäftigung wohl einen geistigen Ausgleich, Anregung und Befriedigung gefunden.91

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Friedrich II.: De la littérature allemande (wie Anm. 86), 124. Ebd., 124f. Ebd., 125. Bericht seines letzten Vorlesers Charles Dantal (1759-1799), in: ders., Les délassemens littéraires ou heures de lecture de Frédéric II (1791), 78 ff. u. Gespräche mit Henri de Catt (wie Anm. 6), 65.

Personenregister Abel, Caspar 68 Afranius 111 Albrecht Achilles von Brandenburg (Albrecht III.), Kurfürst 56 Alembert, Jean-Baptiste le Rond, gen. d‘ 14, 21, 34, 38f., 91, 97, 140, 148, 153, 223 Alexander der Große 56, 143, 148 Algarotti, Francesco 36, 72, 95, 102, 111-113, 192 Angelus, Andreas (Engel, Andreas) 58f., 62, 66 Argens, Jean-Baptiste de Boyer, Marquis d‘ 38f., 72-74, 77f., 87, 89, 91f., 95, 97, 122f., 133, 137, 141f., 146, 212 Aristoteles 143-148, 150-151, 154156,178, 221 Arnkiel, Troels 60 Astrua, Giovanna 193 Aufresne (eig. Jean Rival) 180, 224 August Wilhelm, Prinz von Preußen 115 Augustus 162, 176, 181

Bielfeld, Jakob Friedrich Freiherr von 54 Boileau, Nicolas 85, 160, 178 Boissy, Louis de 216 Bossuet, Jacques-Bénigne 22, 97, 170 Boumann, Georg Friedrich 20 Boumann, Johann (der Ältere) 224 Bracciolini, Poggio 139 Brotuff, Ernst 63 Brutus 173

Caesar 108, 110-112, 120, 174 Callières, François de 109 Camas, Sophie, Gräfin von 72 Carl August von Sachsen-WeimarEisenach 35 Cassirer, Ernst 175 Cato 96, 173 Catt, Henri de 9, 11, 15, 21, 71-73, 76, 88-90, 92, 100, 113, 141f. Cicero 75, 83f., 90, 108, 153, 155f.,170f., 175, 177, 185 Cochois, Barbe (Marquise d’Argens) 142 Colbert de Torcy, Jean-Baptiste 109 Commynes, Philippe de 108-110 Condé, Louis II de Bourbon, Prince de 131 Corneille, Pierre 179, 199, 205, 219 Batteux, Charles 96, 146 Bavière, Emmanuel-François-Joseph Cortés, Hernán 197f. Crébillon, Prosper Jolyot de (der de 125 Ältere) 82f., 96 Bayle, Pierre 14, 91, 151, 155f., 171 Crébillon, Claude-Prosper Jolyot de Beaumarchais, Pierre-Augustin (der Jüngere) 87 Caron de 225 Cricchi, Domenico 214 Belle-Isle, Herzog von (LouisCumberland, William Augustus, Charles-Armand Fouquet de) Herzog von 117 125 Bergé, Andreas 223 Dacier, André 146, 152f. Bernard, Pierre-Joseph 82 Damiens, Robert 15 Bernier, François 77, 93f. Bernis, Kardinal (François-Joachim Dancourt, Florent (eig. F. Carton, sieur d’Ancourt) 216 de Pierres de) 83 Dantal, Charles 14, 20 Bernoulli, Johann II. 41 Daun, Leopold von 105, 114, 116, 118

228 Demosthenes 149 Descartes, René 163 Desfontaine, Pierre-François Guyot 188 Destouches, Philippe Néricault 216 Diderot, Denis 34f., 38f., 91, 182 Dilthey, Wilhelm 183 Disselnkötter, Heinrich 101 Droysen, Hans 218 Droysen, Gustav 53 Duhan de Jandun, Jacques Égide 49, 205 Dusburg, Peter von 51 Eckenberg, Johann Carl von 207 Eickstet, Valentin von 60 Elisabeth Christine, Königin von Preußen 206, 209, 213 Epikur 121, 123f.,126f., 136f., 146 d’Estrades, Maréchal 108 Eugen von Savoyen, Prinz 131 Euripides 143 Fierville, Pierre 196, 223 Fléchier, Valentin-Esprit 22, 170 Fleury, Claude 97, 152 Fontenelle, Bernard le Bovier de 152, 163 Franz I., König von Frankreich 180f. Freinsheim, Johann 60 Fréron, Élie-Cathérine 188 Friedrich I., König in Preußen (Kurfürst Friedrich III.) 203 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 48, 203-205, 210f. Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 210 Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Kurfürst 39, 44, 50 Gassendi, Pierre 77f., 139 Georg Wilhelm von Brandenburg, Kurfürst 44, 49 Goethe, Johann Wolfgang von 174

Graun, Carl Heinrich 193f., 219 Greenblatt, Stephen 139 Gresset, Jean-Baptiste-Louis 12, 82 Guichard, Karl Gottlieb (Theophil) 81 Guimond de La Touche, Claude 81 Gundling, Jakob Paul von 48, 50, 65, 69 Gustav III., König von Schweden 9 Hafftitius, Peter 64 Hartknoch, Christoph 46, 51 Hasse, Johann Adolf 219 Heinrich, Prinz von Preußen 115 Hertzberg, Ewald Friedrich, Graf von 44, 56f. Hildesheim, Franz 67 Hobbes, Thomas 139 Hoditz, Albert Joseph von 9 Holbach, Paul-Henri Thiry, Baron d‘ 13f., 98 Homer 17, 149, 162 Horaz 12, 72, 95, 153, 166 Hume, David 89 Jany, Curt 116 Joachim II., Kurfürst 58 Johann Sigismund, Kurfürst 44, 53 Jordan, Charles-Étienne 16, 20 Joseph II. 35 Julian 123 Kant, Immanuel 19, 134f. Katharina II., die Große 9, 34f., 117 Keith, Marischal George (10. Earl of Scotland) 103f., 113, 121f., 124f., 130-133 Keith, James 124 Keyserlingk, Dietrich (gen. Cesarion) 217f. Kleist, Heinrich von 130 Klopstock, Friedrich Gottlieb 128, 184

229 Knobelsdorff, Georg Wenzeslaus von 214 König, Samuel 41 Korff, Hermann August 184 Krauss, Werner 162 Krieger, Bogdan 78, 84, 86-89, 146 Kugler, Franz 17-19 Kunisch, Johannes 114 Küster, Georg Gottfried 53-55, 57f., 65 Lairtzens, Johann Georg 63 La Beaumelle, Laurent Angliviel de 188 La Chétardie, Jacques-Joachim Trotti, Marquis de 205f. La Condamine, Charles-Marie de 37 La Fontaine, Jean de 183 Lagrange-Chancel, François-Joseph 96 La Mettrie, Julien Offray de 38f., 41, 137 Le Kain (eig. Henri-Louis Cain) 177, 180, 224 Lehmann, Max 101 Lehndorff, Ernst Ahasverus Heinrich, Graf von 213 Leibniz, Gottfried Wilhelm 138 Lessing, Gotthold Ephraim 127f., 136, 182, 209, 212, 215, 218 Leopold II., Großherzog der Toskana 35 Leti, Gregorio 67 Leutinger, Nicolaus 67 Lindenbrog, Erpold 60 Lockelius, Elias 46, 50, 55-59, 62 Locke, John 84, 130, 161, 171 Ludwig XIV., König von Frankreich 22, 25, 31, 110, 149, 162, 174176, 181 Ludwig XV., König von Frankreich 15, 152 Luise Dorothea von Sachsen-Gotha, Herzogin 72, 89, 98

Lukian von Samosata 93 Lukrez 79, 81, 83, 88, 93, 121, 123f., 126-128, 130, 133, 135f., 138-142, 171f. Lykurg 148 Machiavelli, Niccolò 12f. Magnus, Olaus 60 Manstein, Leopold Sebastian von 118 Marivaux, Pierre Carlet de 216 Mark Aurel 79f., 95, 137, 171, 177 Marlborough, Herzog von (John Churchill, 1. Duke of Marlborough, Fürst von Mindelheim) 131 Martini, Giovanni Battista 95 Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 36-41 Medici, Lorenzo de 176 Meibomius, Johann Heinrich 60 Mendelssohn, Moses 136-139 Menzel, Adolph 16f. Mercier, Louis-Sébastien 225 Metastasio, Antonio Pietro (Pietro Trapasso) 219 Mitchell, Andrew 112, 116 Molière (Jean-Baptiste Poquelin) 22, 212, 215f., 226 Montaigne, Michel de 139 Montesquieu (Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de M.) 38f. Montezuma (Moctezuma II.) 197199 Montpensier, Herzogin von (Anne Marie Louise d’Orléans) 109f. Moréri, Louis 151 Moritz von Anhalt-Dessau 118 Moritz von Sachsen (Maréchal de Saxe) 125 Muhlack, Ulrich 107 Müller (Kabinettsrat) 54

230 Nahl, Johann August (der Ältere) 214 Naudé, Albert 101 Neaulme, Jean 73 Neuburg, Conrad Christoph 49f., 55 Newton, Sir Isaac 161, 171 Nicolai, Friedrich 136 Nicolai, Christoph Gottlieb 60 Orloff, Alexis, Graf 9 Ovid 12, 72 Palissot de Montenoy, Charles 89 Pascal, Blaise 84 Peckenstein, Lorenz 65 Pecquet, Antoine 109 Perikles 143, 162, 176 Perrault, Charles 162, 164f., 174 Petreius 111 Philippe II de Bourbon, Herzog von Orléans 31 Pilpatoé 197 Platon 143-154 Plümicke, Carl Martin 204, 209 Plutarch 56, 77, 96, 174 Podewils, Heinrich Graf von 44 Polignac, Melchior de 17 Pöllnitz, Karl Ludwig Freiherr von 223 Polybios 108, 110 Pomarius, Johannes 59 Pompadour, Jeanne-Antoinette Poisson, Marquise de 175 Pompeius 174 Pope, Alexander 189 Posner, Max 44 Prades, Jean-Martin, Abbé de 21, 112 Pregitzer, Johann Ulrich 63 Prämontval (eig. Prémontval, Pierre Le Guay de) 138 Preuß, Johann David Erdmann 56, 100 Pufendorf, Samuel Freiherr von 46

Racine, Jean 12, 22, 71, 76, 78f., 81f., 85, 88, 93, 96, 179, 207, 212, 215, 219, 226 Réau, Louis 25 Regnard, Jean-François 216 Reineck von Steinheim, Reiner 64, 68 Rentsch, Johann Wolfgang 68 Retz, Kardinal (Jean-François Paul de Gondi, baron de) 108, 110 Rocher, George du 203 Rödenbeck, Karl Heinrich Siegfried 218 Rousseau, Jean-Baptiste 82f., 88 Rousseau, Jean-Jacques 38f., 88, 98, 124, 182, 184, 190 Ruvinetti Bon, Rosa 214 Schmidt, Heinrich 60, 62 Seneca 170 Seyler, George Daniel 64 Sextus Empiricus 146 Shakespeare, William 161, 179, 222, 226 Sokrates 17, 136f., 143f., 154f. Solís, Antonio de 197-199 Solon 148 Sophie Charlotte, Königin in Preußen 203 Sophie Dorothea, Königin in Preußen 209 Steltz, Michael 216 Sulzer, Johann Georg 137, 139 Sweerts, Ernst Maximilian, Baron von 211, 215, 218, 223 Tezeuco 197 Therbusch, Anna Dorothea 176 Thou, Jacques-Auguste de 91, 108, 110 Thukydides 108, 110 Toulier, Pierre-Joseph d’Olivet 90 Vargas y Mexia, Francisco 108

231 Vergil 12, 181 Vertot, René Aubert, Abbé de 87 Vilmar, Theodor 99-101 Villati, Leopoldo 219 Vivaldi, Antonio 194 Voltaire (eig. François-Marie Arouet) 9-12, 14f., 18, 20-23, 31-34, 3739, 41, 71, 78f., 84-87, 89-93, 96, 102, 104, 106f., 119, 122, 127, 129, 140, 145, 147f., 150, 159162, 164-180, 182-191, 196, 199, 201, 207, 208, 215, 218f., 221f. Wicquefort, Abraham de 109 Wildeisen, Johann Melchior 66 Wilhelmine von Bayreuth, Markgräfin 125, 167f., 193, 204f., 211 Wolff, Christian 12, 32, 138, 151 Xenophon 90, 108, 110, 143, 146 Zenon 14, 80 Zernitz, Johann 64