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German Pages 249 [250] Year 2020
Wolfgang Kuhlmann Fremde Gedanken Fassen
Wolfgang Kuhlmann
Fremde Gedanken Fassen Zu einem Grundzug hermeneutischen Verstehens
ISBN 978-3-11-067738-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-067745-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-067759-1 Library of Congress Control Number: 2019951668 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorbemerkung Der Titel: „Fremde Gedanken Fassen“ ist erläuterungsbedürftig. Er spielt an auf eine berühmte Stelle bei Frege¹, wo dieser vom „Fassen von Gedanken“ redet und sich mit der Wendung auf ein im Sinne der Epistemologie ziemlich ungewöhnliches, ja exotisches kognitives Verhalten eines Subjekts zu sehr speziellen Phänomenen (eben zu Gedanken) bezieht, ein Verhalten das sich vom normalen kognitiven Verhalten etwa eines Realwissenschaftlers zu seinen Gegenständen klar unterscheidet. Dies besondere kognitive Verhalten wird im Folgenden im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Freilich wird der Kundige an der Wendung: „fremde Gedanken Fassen“ Anstoß nehmen, denn fremde Gedanken kann man bei Frege gar nicht fassen. Gedanken sind bei Frege Entitäten, die dem sogenannten „dritten Reich“ angehören und als solche allen vernünftigen Wesen immer schon gemeinsam gehören. Insofern kann es für Frege keine eigenen oder fremden Gedanken geben (nur eigene oder fremde „Vorstellungen“) und daher auch kein Fassen fremder Gedanken. Bei den folgenden Überlegungen rechnen wir nicht mit einem „dritten Reich“ von Gedanken, die sich von Vorstellungen qualitativ und kategorial unterscheiden. Hier kann es eigene und fremde Gedanken, (die z. B. in Äußerungen oder Texten vorgebracht werden) geben und daher auch das Aneignen der letzteren. Die Anstößigkeit des Titels wird in Kauf genommen, sie ist nicht einmal unerwünscht, denn ein Titel soll neugierig machen und darf daher durchaus etwas Problematisches enthalten. Die Grundgedanken des Folgenden gehen zurück auf Überlegungen, die zuerst in dem Buch: „Reflexion und kommunikative Erfahrung“² vorgelegt wurden. Dort wurden sie entwickelt im Zusammenhang einer Untersuchung zur Theorie philosophischer Reflexion und nicht als Beitrag zur Hermeneutik. Wir haben sie wieder aufgegriffen und versucht, sie tiefer zu legen, sie breiter und ausführlicher zu fassen und in neue Kontexte einzubetten, weil wir glauben, dass der in ihnen zentrale Aspekt des Verstehens sowohl in der Hermeneutik wie auch in der allgemeinen Epistemologie nicht so berücksichtigt wird, wie er es verdient, und daher auch nicht die Rolle spielt, die ihm eigentlich zukommt. Gemeint ist das Faktum, dass ein Interpret mit seinen Verstehensbemühungen normalerweise nicht primär auf das zielt, was sonst bei Erkenntnisbemühungen üblich ist, nämlich darauf, das Interpretandum als Gegenstand zu behandeln, es zu untersuchen und zu Vermutungen, Theorien, zu Wissen darüber zu kommen, sondern vielmehr darauf, das im Interpretandum schon vorliegende Wissen über die Sache Frege (1966) 34 ff, bes. 42 ff. Kuhlmann (1975). https://doi.org/10.1515/9783110677454-001
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selbst direkt zu übernehmen, d. h. das Interpretandum als Antwort (über die eigentlich interessierende Sache) zu behandeln, und diese Antwort selbst zu bekommen, sie selbst sich anzueignen. Der Interpret will also – und das entspricht auch den üblichen Intentionen des Autors des Interpretandums – die im Interpretandum vorliegenden fremden Gedanken selbst fassen und nicht vielmehr zu Theorien darüber kommen. Dieses Faktum und seine unmittelbaren Implikationen stehen klar im Zentrum des Folgenden. Auf sie ist alles zugeschnitten. Dabei wird von Vielem, das sonst in der Hermeneutik wichtig ist, auch von sehr viel Literatur zur Hermeneutik, ganz abstrahiert. Dies Buch ist keine allgemeine Darstellung der Hermeneutik, sondern nur eine Untersuchung zu einem – freilich wichtigen – Grundzug des Verstehens. Dabei gilt unser Interesse am Verstehen nicht so sehr bestimmten Details einer Kunstlehre des Verstehens, sondern eher allgemeinen epistemologischen und wissenschaftstheoretischen Fragen. Es geht zunächst um die Eigenart des Verstehens (des Fassens fremder Gedanken) qua besonderer kognitiver Bemühung in der Subjekt-Subjekt-Relation (Apel), es geht um die Ziele dieser Bemühungen, um die Verfahren, die verwendet werden und um die spezifischen Geltungsprobleme, die hier entstehen. Wichtig ist dann die spezifische Differenz zum – gewöhnlich verabsolutierten – Haupttyp kognitiven Verhaltens, zur Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation, dem Betrachten, Untersuchen von Gegenständen und dem Erwerb von Wissen darüber. Beispielhaft ist hier das Verhalten eines Realwissenschaftlers zu seinen Gegenständen. Und es geht schließlich um die natürlichen Beziehungen, die zwischen diesen Typen von Hause aus bestehen. Mit alledem wird zugleich die grundsätzliche Verfassung der Epistemologie (monistisch oder dualistisch) bzw. die ihr zugrunde liegende Architektonik der Vernunft selbst verhandelt. Für diese letzteren Fragen ist auch der folgende Punkt von großer Bedeutung. In den anschließenden Analysen rücken intersubjektive und intrasubjektive kognitive Verhältnisse (das intersubjektive Fassen fremder Gedanken und das intrasubjektive Fassen eigener Gedanken) systematisch sehr eng aneinander, der Abstand zu dem kognitiven Verhalten eines Subjekts zu bloßen, äußeren Objekten wird sehr groß. Wenn sich nun – wie wir glauben – ein Antiprivatsprachenargument erfolgreich verteidigen lässt, d. h. wenn sich zeigen lässt, dass ein prinzipiell und von Anfang an völlig isolierter Privatus der Differenz zwischen „richtig“ und „falsch“ nicht mächtig sein kann und d. h. nicht als vernünftiges Subjekt gelten kann, dann kann als solches, als vernünftiges Subjekt, nur etwas, das Mitglied einer Kommunikationsgemeinschaft ist, ja letztlich die Kommunikationsgemeinschaft selbst, gelten, und dann müssen intersubjektive Beziehungen zwischen Personen in einem gewissen Sinn sich auch als intrasubjektive Beziehungen erweisen. Lässt sich das – wie es uns der Fall zu sein
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scheint – über vom Privatsprachenargument unabhängige Überlegungen zur Hermeneutik bestätigen, so ist diese Konvergenz eine willkommene indirekte Evidenz für beide Komplexe, die Ideen über Hermeneutik und die Ideen über das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Die Frage, von welcher Art das Subjekt sein muss, das bei den Rekonstruktionsbemühungen der Epistemologie zugrunde gelegt werden soll, ein solipsistisch verfasstes Subjekt, vernünftig schon, bevor es allererst in Kommunikationsbeziehungen eintritt, oder ein Subjekt, das von Anfang an in Kommunikationsbeziehungen eingelassen ist, vernünftig, weil es in diese eingelassen ist, ist von großer Bedeutung für die Hermeneutik. Deshalb folgt im Anhang ein Text, in dem wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen und für die zuletzt genannte Möglichkeit argumentieren. Die in diesem Buch vertretenen Auffassungen über Ziel und Form von Verstehensbemühungen, über Form und Resultat eines Antiprivatsprachenarguments, sowie über die Form einer nach Erkenntnistypen differenzierten Epistemologie stehen in klarem – und wie wir denken: aufschlussreichem – Gegensatz zu den entsprechenden einflussreichen Anschauungen Donald Davidsons. Ein detaillierter Vergleich der Auffassungen findet sich im zweiten Text des Anhangs.
Inhalt
Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung 1 . Die These: Verstehen als Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Gedanken 1 . Erläuterung der These und erste Argumente 6 .. Intuitive Einführung der Unterscheidung 7 .. Genauere Charakterisierung der Unterscheidung 9 .. Erste Evidenzen und Argumente 14 . Probleme und Einwände 16 .. Das Problem der Geisteswissenschaften 17 .. Kann das Aneignen als Erkenntnis gelten? 21 .. Die Rolle der sekundären Objektivierung 30 .. Ebenen der Aneignung 42 . Dualistische Epistemologie? 52
Das Strukturmodell 60 . Bemerkungen zur Frage-Antwort-Struktur 60 . Das Modell 69 .. Die erste Phase: Einstellung des Mitspielers, Aneignen des Interpretandums qua Antwort 70 ... Das Verständnis des Anfangsteils 72 ... Das Vorverständnis vom Ganzen 74 .. Die zweite Phase: Einstellung des Betrachters, Wissen Gewinnen über das Interpretandum 82 ... Vorläufige Beschreibung der Phase 83 ... Genauere Analyse (Schwierigkeiten bei der Aneignung; Text wird Gegenstand; Scheitern des Aneignungsversuchs; Ertrag der Phase) 84 .. Die dritte Phase: Rückkehr zur Einstellung des Mitspielers 98
Geltungsprobleme der Hermeneutik 101 . Vorstellung von drei Positionen 102 .. Eric Donald Hirsch 103 .. Hans Georg Gadamer 105 .. Karl-Otto Apel 112 .. Exkurs zu Bruno Snell 120 . Systematische Diskussion 123 .. Die antagonistische innere Struktur des Verstehens 123
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Inhalt
.. Die Hauptargumente der Opponenten 129 .. Neufassung der alternativen Vorschläge 138 . Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen 140 . Schluss 153
Anhang Bemerkungen zum Regelfolgen 165 Bemerkungen zu Donald Davidson 193 Literatur 235 Register 237
1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung 1.1 Die These: Verstehen als Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Gedanken Im Folgenden soll ein Vorschlag zur Rekonstruktion des hermeneutischen Verstehens vorgetragen werden, der einen Aspekt des Verstehens zur Geltung bringt, ja sogar zum Zentrum der Analyse bzw. Rekonstruktion macht, der in der gegenwärtigen Diskussion u. E. nicht zureichend berücksichtigt wird, den wir aber für besonders wichtig halten. In der gegenwärtigen Diskussion zur Hermeneutik, die durch die Bücher von Scholz und Detel hervorragend dokumentiert, repräsentiert und vorangebracht wird³, dominieren Autoren, die ohne besondere Diskussion ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass hermeneutische Bemühungen um fremde Gedanken, Äußerungen, Texte etc., kognitive Bemühungen in der Subjekt-Subjekt-Relation also – bei allen Differenzen, die es zweifellos zwischen normalen Erkenntnisobjekten und Interpretanda gibt⁴ – wesentlich doch nach dem Muster normaler kognitiver Auseinandersetzung von Personen mit ihrer natürlichen Umgebung, schärfer: nach dem Muster normaler realwissenschaftlicher Forschung in der Subjekt-Objekt-Relation, ablaufen. Sie unterstellen damit stillschweigend eine monistisch verfasste Epistemologie, in der nicht mit grundsätzlichen Unterschieden zwischen Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation und Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation (Apel) gerechnet wird. – Wichtige Aspekte ihres Vorgehens sind die folgenden: (1) Das Interpretandum, dasjenige, auf das die jeweilige kognitive Bemühung gerichtet ist, gilt hier als Gegenstand, als Objekt einer kognitiven Bemühung, die selbst den Charakter einer theoretischen Betrachtung, Untersuchung, Erforschung dieses Objekts hat. (2) Es ist das Ziel dieser Bemühung, zu einer (vernünftigen) Repräsentation dieses Gegenstandes, zu (vernünftigen) Hypothesen, Theorien, zu Wissen über diesen Gegenstand zu kommen. (3) Hermeneutische Bemühungen haben wesentlich die Form (langfristiger) progressiver Forschung, in der die Hypothesen des Interpreten über das Interpretandum (die Antworten auf die Fragen des Interpreten nach der Beschaffenheit
Vgl. Scholz (2001), Detel (2011), Detel (2014). Diese werden von den Autoren auch zugegeben. https://doi.org/10.1515/9783110677454-002
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
des Interpretandums) derart prozessiert werden, dass sie zum Interpretandum (langfristig) immer besser passen. (4) Diese Bemühungen müssen am Ende konvergieren. D. h. das anzustrebende Ziel, von dem her die kognitiven Leistungen zu beurteilen sind, ist die wahre, definitive Theorie über das Interpretandum, ist Wissen vom Interpretandum. – Dies alles sind sehr allgemeine, unauffällige, ja selbstverständlich scheinende Züge kognitiver Leistungen, und daher ist es durchaus naheliegend, dass sie stillschweigend unterstellt und damit freilich verabsolutiert werden. Faktisch spielen alternative Auffassungen in den zusammenfassenden Darstellungen der genannten Autoren auch keine Rolle. Nach unserer Auffassung gibt es jedoch tiefgehende, grundsätzliche Unterschiede zwischen hermeneutischen Verstehensbemühungen und normalen kognitiven Bemühungen, die ja ihre prägnanteste Form in den Realwissenschaften gewonnen haben. Die wichtigsten dieser Unterschiede scheinen uns die folgenden zu sein: (1) Für die hermeneutische Bemühung um Gedanken anderer Personen, die in deren Äußerungen, Texten, Handlungen etc. zum Ausdruck kommen, eignet sich das Modell eines theoretischen Betrachters, der die vor ihm liegende Sache eigens zum Gegenstand der Beobachtung bzw. Untersuchung macht, gerade nicht. Es geht hier eher um das besondere kognitive Verhältnis zwischen verschiedenen Personen qua bewusst kooperierenden Mitspielern im gemeinsamen Spiel des miteinander (über etwas) Redens bzw. Handelns, die für ihr Spiel einander und ihre jeweiligen Spielzüge auf spezifische Weise, nämlich mit dem Blick des Mitspielers (aus der Perspektive und Einstellung des Mitspielers), wahrnehmen müssen. Wenn hier jemand in die Rolle des theoretischen Betrachters überwechselt, der sein Gegenüber bzw. dessen Spielzüge zum bloßen Gegenstand der Untersuchung macht, dann verlässt er damit das Spiel, das seiner hermeneutischen Bemühung Sinn gibt, bzw. er zerstört es. (2) Es geht hier auch nicht primär darum, zu (vernünftigen) Hypothesen oder Theorien über die Interpretanda zu kommen. Fremde Gedanken und Äußerungen sind ja selbst schon etwas über etwas, d. h., sie haben ja selbst schon den Charakter von Wissen, Überzeugungen, Hypothesen über etwas, sie sind daher vielmehr zunächst das, was wir zu fassen, uns anzueignen versuchen. ⁵ Im gemeinsa-
Dabei verstehen wir unter „Aneignen“ nicht schon das affirmierende Übernehmen fremder Gedanken im Sinne von Akzeptieren, sondern nur das Sich-verfügbar-Machen derselben derart, dass man sie dann – nach Prüfung – übernehmen, verwerfen oder ignorieren kann.
1.1 Die These: Verstehen als Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Gedanken
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men Spiel der Kommunikation bzw. Interaktion reden wir zwar zuweilen auch übereinander, vor allem aber miteinander. Das ist offenbar der primäre Sinn der Kommunikation. Wir geben z. B. einander Informationen, teilen Einsichten und Einschätzungen. Hier befinden sich die subjektive Leistung des Verstehenden und der „Gegenstand“ seiner Bemühung wesentlich auf derselben Ebene. (3) Der Witz hermeneutischer Bemühungen liegt nicht darin, dass die Hypothesen des Interpreten über das Interpretandum sich der Wahrheit über das Interpretandum immer mehr annähern, d. h., dass die Antworten des Interpreten über das Interpretandum so prozessiert werden, dass sie (langfristig) immer besser werden. Es geht hier vielmehr darum, die im Interpretandum selbst schon vorliegenden Antworten über die Sache optimal anzueignen, zu integrieren und wirksam werden zu lassen. Dazu aber müssen die Fragen des Interpreten, die zwischen dem Interpreten und dem, was das Interpretandum zu sagen hat, vermitteln sollen, prozessiert werden. Und schließlich: (4) Hermeneutische Bemühungen haben nicht per se die Form langfristiger und langfristig konvergierender progressiver Forschung. Dagegen spricht u. a. schon die folgende Überlegung: Langfristige Forschung als Forschung einer Kommunität setzt ersichtlich Kommunikation und Verstehen innerhalb dieser Kommunität voraus. Wenn aber Verstehen schon zu den Voraussetzungen langfristiger Forschung gehört, dann ist es nicht plausibel anzunehmen, dass richtiges Verstehen selbst als Resultat von Forschung „in the long run“ (Peirce) angesetzt werden muss. – Soweit das Problem. In Frage stehen hier offenbar nicht irgendwelche Einzelheiten oder Details. Betroffen sind vielmehr ziemlich fundamentale Annahmen über den grundsätzlichen Zuschnitt des angemessenen kognitiven Umgangs mit hermeneutischen Interpretanda. Diese Annahmen beziehen sich auf die folgenden eng miteinander zusammenhängenden Komplexe/Fragen: (1) Ist die hermeneutische Bemühung um fremde Äußerungen und Texte eher zu verstehen als theoretische Untersuchung eines Objekts x aus der Einstellung, Haltung und Perspektive eines distanzierten (außenstehenden) Betrachters (das ist das, was wir aus der normalen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie gewohnt sind), oder muss sie angesehen werden als Bemühung eines Mitspielers im Spiel der Kommunikation, sich durch die fremde Äußerung etwas über etwas sagen zu lassen, d. h. sich auf den Spielzug des anderen einzulassen und zwar im Sinne des Spiels und nach den Regeln des Spiels? Die Opposition ist hier die zwischen bloßem theoretischen Betrachten von außen und dem kognitiven Verhalten eines
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
Mitspielers qua Mitspielers zu seinen Mitspielern und deren Spielzügen. ⁶ Sie betrifft die kognitive Einstellung des Interpreten und das – sozusagen – horizontale Verhältnis zwischen Interpret und Interpretandum. (2) Ist das Interpretandum eher ein Objekt, über das wir Wissen, d. h. zunächst: möglichst angemessene Hypothesen und Theorien, erwerben wollen, oder hat es eher den Status einer Antwort (über etwas), die es selbst ist, was wir durch die hermeneutische Bemühung uns aneignen, in Besitz nehmen wollen, über die wir ohne weiteres zunächst einmal nichts wissen wollen? Ist das Verhältnis zwischen Interpreten und Autoren so, dass nur übereinander und nicht miteinander geredet wird? Diese Opposition betrifft das Ziel der Interpretation und das – sozusagen – vertikale Verhältnis zwischen Interpretandum und Interpretation: Müssen sie auf zwei Ebenen verteilt werden (Objekt- und Metaebene), oder gehören sie wesentlich derselben Ebene an? (3) Haben hermeneutische Bemühungen ihr Zentrum darin, dass der Interpret seine subjektive Erkenntnispraxis dazu einsetzt, vom Interpretandum als einem äußeren Objekt eine angemessene Repräsentation zu erarbeiten, d. h. sich zu einem vor ihm liegenden Objekt in das rechte kognitive Verhältnis zu setzen? Oder geht es vielmehr darum, etwas, das selbst schon zur (gemeinsamen) subjektiven Erkenntnispraxis gehört (die fremde Antwort über etwas drüben), optimal im Rahmen der subjektiven Erkenntnispraxis des Interpreten zur Geltung zu bringen? Hier geht es um die Frage: Ist das hermeneutische Verstehen eher ein kognitives Verhalten eines Subjekts zu einem äußeren Objekt, oder geht es hier eher um eine intrasubjektive Angelegenheit, um Auseinandersetzung mit solchem, das schon zur subjektiven Erkenntnispraxis gehört, die in Anspruch genommen werden muss, wenn man sich mit äußeren Objekten kognitiv auseinandersetzen will? (4) Haben hermeneutische Bemühungen um ein x eher die Form progredierender langfristiger und langfristig konvergierender Forschung, in der für die Menschheit definitives Wissen, die Peircesche „final opinion“ über x, erarbeitet werden soll? Oder geht es dabei eher um die Behebung von Verständnisschwierigkeiten, die durch den jeweiligen Standort, die jeweilige hermeneutische Ausgangssituation des Interpreten verursacht sind, um okkasionelle Reparaturen der kommunikativen Beziehungen zwischen Autor und Interpret, um die immer wieder neu notwendig werdende Optimierung der Vermittlung zwischen beiden?
Es ist wichtig, zu sehen, dass das Spiel der Kommunikation ganz wesentlich mit Kognition zu tun hat, bestehen doch die wichtigsten Spielzüge hier im Zeigen und Erkennen, im Zu-verstehenGeben und Verstehen. Deswegen können wir im Folgenden statt der umständlichen Wendung: „kognitives Verhalten eines Mitspielers qua Mitspieler zu seinen Mitspielern und deren Spielzügen“ einfach den Ausdruck „Mitspielen“ verwenden. „Mitspielen“ heißt hier ja vor allem, bestimmte kognitive Leistungen zu erbringen.
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Hier geht es um Standards für die Beurteilung von Erfolg bzw. Misserfolg hermeneutischer Bemühungen, um das Geltungsproblem. Hinter alledem steht – nach unserer Auffassung – das Problem, ob die allgemeine Epistemologie monistisch oder dualistisch aufgezogen werden sollte. Wichtige Fragen sind hier: Läuft alle Erkenntnis von was auch immer grundsätzlich immer über denselben Kanal oder handelt es sich um zwei Kanäle? Ist Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation (Erkenntnis von Personen, deren Gedanken, Äußerungen, Texten, Handlungen, Artefakten etc.) nur eine Variante der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation? D. h. z. B.: Sind wir mit unseren Gedanken, Äußerungen und Texten füreinander nur – freilich sehr spezielle – Teile der Außenwelt, oder doch etwas ganz anderes? Immerhin sind die gerade genannten Differenzen zwischen den Kognitionsleistungen, insbesondere die Differenz zwischen der Leistung, Überzeugungen, Hypothesen, letztlich Wissen über Objekte zu erarbeiten einerseits und der Leistung, drüben schon vorhandene Gedanken, Antworten über etwas selbst anzueignen, zu integrieren, ziemlich erheblich. Und wenn man sich dazu entschließen müsste, mit zwei Grundtypen von Erkenntnis zu rechnen, wie müsste man dann ihr Verhältnis bestimmen? Unsere Opponenten unterstellen bei ihren Bemühungen um eine Rekonstruktion des hermeneutischen Verstehens eine monistische Epistemologie und orientieren sich bei ihren Bemühungen am traditionellen Normalmodell von Kognition (theoretisches Betrachten/Untersuchen von Objekten; Entwerfen und Prozessieren von Vermutungen/Hypothese über jene). Wir knüpfen an an Vorstellungen und Ideen von Gadamer, Apel und Habermas.⁷ Wir radikalisieren diese Ideen und schlagen eine alternative Form von Rekonstruktion des Verstehens, in einer bestimmten Hinsicht so etwas wie eine „Neubeschreibung“ desselben, vor, die auf eine (mindestens) dualistische Epistemologie hinausläuft. Im Folgenden wird so verfahren, dass in diesem Teil unserer Abhandlung (Teil 1) die Bedeutung dieser Neubeschreibung und die Gründe, die für sie sprechen, näher erläutert werden, dass dann im Teil 2 ein Strukturmodell für das hermeneutische Verstehen vorgeführt wird und dass im Teil 3 schließlich das Geltungsproblem im Einzelnen diskutiert wird. Es ist klar, dass Fragen nach der generellen Struktur des hermeneutischen Verstehens, nach der Differenz zwischen Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation
Vgl.: Gadamer (1960), Habermas (1967), Habermas (1968), Habermas (1971), Habermas (1981), Apel (1973) Apel (1979), Apel (1998), Apel (2008), Böhler (1981), Böhler (1985), Kuhlmann (1975), Kuhlmann (1992).
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
und Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation nur sinnvoll gestellt und behandelt werden können, wenn man einen einheitlichen Begriff vom hermeneutischen Verstehen zugrunde legen kann. Nun bezieht sich der Ausdruck „hermeneutisches Verstehen“ zunächst einmal auf sehr viele verschiedenartige Phänomene, auf einen – wie man sagt – „bunten Haufen“. Nur wenn man Chancen sieht, diese Vielheit sinnvoll zu reduzieren, macht es Sinn, sich unseren Fragen zu nähern.Wir behaupten nun, dass die Verschiedenheit der Erscheinungsformen des hermeneutischen Verstehens wesentlich auf zweierlei zurückgeht, nämlich a) auf die Verschiedenheit möglicher Interpretanda (Gedanken, Äußerungen, Texte, Handlungen, Handlungszusammenhänge, Personen, Artefakte, Geschichte, gesellschaftliche Phänomene etc.) und b) auf die Verschiedenheit möglichen kognitiven (verstehenden) Verhaltens zu diesen Interpretanda (theoretisch distanzierende Untersuchung, Mitspielen im Spiel der Kommunikation, direktes Fassen fremder Gedanken etc.). Zu diesem zweiten Gesichtspunkt, insbesondere zur Frage der möglichen Reduzierbarkeit der verschiedenen Verhaltensformen kommen wir im Folgenden ausführlich. – Zum ersten hier nur soviel: Zum einen scheint es schon prima facie sehr plausibel zu sein, dass das Verstehen von Gedanken, die als Äußerungen und Texte Interpreten zugänglich werden können, dem Verstehen von Handlungen und Personen zugrunde liegt, sowie dass das Verstehen von Handlungen und Personen dem Verstehen von Artefakten, Handlungszusammenhängen, gesellschaftlichen Phänomenen etc. logisch vorausgeht. Das soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Einschlägig ist hier weiter, dass in der Tradition der Hermeneutik das Verstehen von Äußerungen und Texten immer als grundlegende Form des Verstehens aufgefasst wurde. Zum anderen gilt: Selbst wenn sich nicht alle Formen des Verstehens restlos auf diese Formen herunterbringen lassen, so ist dennoch das Verstehen von Texten und Äußerungen zweifellos eine sehr wichtige, zentrale und besonders charakteristische Form kognitiven Verhaltens, die alle Aufmerksamkeit des Epistemologen verdient.
1.2 Erläuterung der These und erste Argumente In diesem Teil der Abhandlung soll die projektierte „Neubeschreibung“ des Verstehens plausibel gemacht werden. Dies soll in zwei Schritten geschehen. Im jetzt folgenden zweiten Abschnitt (1.2) werden wir an Hand einer besonders einfachen „reinen“ Form des Verstehens argumentieren, der Form, zu der es gewöhnlich kommt, wenn Angehörige derselben Gruppe eng miteinander vertraut sind und mit Hilfe von Texten und Äußerungen miteinander kommunizieren. Dies ist eine Form, die besonders stark abweicht von der Normalform kognitiven Verhaltens, das unsere Opponenten zugrunde legen. Sie ist insofern für unser Vorhaben be-
1.2 Erläuterung der These und erste Argumente
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sonders gut geeignet, und man könnte von einer parteiischen Auswahl des Anschauungsmaterials reden. Wichtig ist dabei allerdings, nicht zu übersehen, dass sie die Normalform von Verstehen ist, nämlich die Form, für die sprachliche Äußerungen und Texte in erster Linie geschaffen sind. – In diesem Abschnitt werden wir zunächst versuchen, eine möglichst einleuchtende Beschreibung des Verstehens zu geben, die sich gerade nicht am Normalmodell von Kognition orientiert (1.2.1), wir werden dann die Besonderheiten des Verstehens herausarbeiten, die die Orientierung am Normalmodell kognitiven Verhaltens erschweren (1.2.2), wir werden weiter einige erste Evidenzen und Argumente für unsere Thesen mobilisieren (1.2.3). – Im dritten Abschnitt dieses Teils (1.3) geht es um die wichtigsten Einwände gegen unsere Thesen, dabei werden wir aufblenden und auch die anderen (nicht-einfachen und nicht-reinen) Formen des Verstehens berücksichtigen.
1.2.1 Intuitive Einführung der Unterscheidung Dr. Heinrich ist Physiker, hat als solcher mit einem bestimmten Naturausschnitt x, mit bloß stummen, vor ihm liegenden Erkenntnisgegenständen zu tun, forscht also in paradigmatischer Weise in der Subjekt-Objekt-Relation. Er verhält sich zu den ihn interessierenden Phänomenen so, dass diese als Erkenntnisgegenstände für ihn optimal zugänglich werden, er sie bestmöglich beobachten und untersuchen kann. Er geht dazu z. B. in ein Labor, das eigens dazu da ist, optimale Beobachtungsverhältnisse zu ermöglichen, und er manipuliert dort in Experimenten die zu beobachtenden Phänomene so, dass diese möglichst alles Interessante und Relevante sehen lassen. Kurz: Er tut alles, um das Verhältnis: theoretischer Forscher – zu untersuchender Gegenstand kognitiv so effektiv wie nur möglich zu gestalten. Er tut dies, um so zu einer vernünftigen Hypothese über die Sache, zu einem angemessenen Bild, zu einer adäquaten Repräsentation, langfristig zu Wissen von ihr zu kommen. Er beginnt mit Vermutungen, vorläufigen Hypothesen über seinen Gegenstandsbereich x, für den er sich zum Spezialisten entwickelt hat, und kommt im Zuge seiner Arbeit zu immer besseren, tieferen Hypothesen und schließlich zu seiner (für ihn) definitiven Theorie über x. – Dr. Peter, ein Kollege, kann mit seiner Arbeit auf einem eng benachbarten Gebiet y nicht vorankommen, wenn er nicht auch über x Bescheid weiß. Dr. Peter hat weder Interesse, noch Zeit dazu, Spezialist für x zu werden, er ist ja vor allem interessiert an y. Er weiß aber, es gibt den vortrefflichen Sachverständigen für x, nämlich Dr. Heinrich. So verschafft er sich dessen Schriften und wird damit statt in der Subjekt-Objekt-Relation, in der er normalerweise arbeitet, nun zunächst in der Subjekt-Subjekt-Relation kognitiv tätig und dies ebenfalls in paradigmatischer Weise,
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in der Bemühung nämlich um das neben ihm stehende Kosubjekt Dr. Heinrich, bzw. genauer: um dessen Gedanken, Äußerungen und Texte. – Der Punkt, auf den es ankommt ist, dass er sich in seiner gegenwärtigen Rolle kognitiv und praktisch ganz anders zu den ihn gegenwärtig interessierenden Phänomenen, zu seinem Kollegen und dessen Gedanken und Äußerungen, verhält als zu seinen normalen Forschungsgegenständen. Autor und Text kommen hier für ihn gerade nicht als Gegenstände theoretischer Beobachtung und Untersuchung (z. B. per experimentelles Handeln), ins Spiel, über die man Hypothesen und Theorien zu erarbeiten hat. Der Autor ist hier vielmehr Mitspieler, Mitarbeiter in einem – als gemeinsam angesehenen – sachlichen Forschungsprojekt. Als solcher wird er nicht beobachtet, untersucht und (experimentell) manipuliert, sondern geachtet, anerkannt und behandelt als – mehr oder weniger – ernst zu nehmender Mitarbeiter, mit dem man kooperiert, diskutiert, auf den man hört, von dem man sich etwas sagen lässt. Seine Texte sind hier nicht Gegenstände der Forschung, sondern vielmehr Resultate bzw. Zwischenresultate einer – gemeinsamen – Forschungsbemühung um die Sache, d. h. gemeinsam verwendete Mittel bei der gemeinsamen Bemühung um die Sache. Sie sind (ernstzunehmende, möglicherweise direkt zu übernehmende) Vorschläge dazu, wie in der Bemühung um eine vernünftige Hypothese über die gemeinsame Sache voranzukommen ist. Wenn Dr. Peter sich hier zu Text und Autor wie zu theoretischen Forschungsobjekten verhalten würde, so wäre das erstens – unter gewöhnlichen Umständen – verletzend für Dr. Heinrich, und es wäre zweitens kontraproduktiv insofern, als er dann ja das gemeinsame Spiel, in dem der andere ihm – wie vorgesehen – sachlich helfen könnte, gerade verlassen würde. – Ein Hauptpunkt ist hier, dass das, worum er sich in seiner gegenwärtigen Rolle kognitiv bemüht, die in den Schriften artikulierten und vorgetragenen Hypothesen Dr. Heinrichs über x, selbst schon von der Art von Wissen ist, dass es selbst den Charakter einer Hypothese über etwas hat, eine Hypothese über x ist, und insofern gerade das ist, was der Physiker Dr. Peter haben, sich aneignen, wissen will. Dr. Peter will kein Wissen über das Wissen von Dr. Heinrich haben – er ist ja kein Psychologe oder Erkenntnistheoretiker, als Physiker möchte er das im Interpretandum vorgelegte Wissen über x selbst haben oder sich aneignen und klar machen. – Pointierter formuliert: Der Physiker Dr. Heinrich will irgendwelche Verhältnisse in der Natur verstehen, er geht ins Labor und bemüht sich dort mit Spießen und Stangen, mit Experimenten und Instrumenten, um vernünftige Vermutungen, Hypothesen, um Wissen über x. Sein Kollege Dr. Peter weiß, die für seine Arbeit über y von ihm dringend gesuchten Antworten auf seine Fragen über x, die gibt es schon, die sind schon erarbeitet, er geht nicht ins Labor, sondern in die Bibliothek, den üblichen Aufbewahrungsort für solche Antworten, und er macht, was er dort vorfindet, nicht zum Gegenstand, über den er etwas wissen
1.2 Erläuterung der These und erste Argumente
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will, sondern er übernimmt es einfach. Er macht es sich klar, eignet es sich direkt an und integriert es, wie es ist, in das Insgesamt seiner eigenen einschlägigen Überzeugungen. – Angesichts von bloßen stummen Objekten (von Ausschnitten aus unserer natürlichen Umgebung) kann eine kognitive Bemühung offenbar nur darin bestehen, Überzeugungen, Hypothesen, Wissen über sie zu erarbeiten (das ist der in den Wissenschafts- und Erkenntnistheorien üblicherweise stillschweigend verabsolutierte Fall). Angesichts von schon vorliegenden Antworten auf unsere Fragen, von schon existierenden, ausgesprochenen, niedergeschriebenen, publizierten Hypothesen, Theorien oder auch nur Gedanken über das interessierende x, scheint es dagegen normalerweise nicht darum zu gehen, etwas über sie zu erfahren (obwohl es manchmal auch darum gehen kann), sie selbst scheinen es vielmehr zu sein, was man wissen, haben, sich zu eigen machen will, was man wenigstens in dem Sinne sich aneignen will, dass man dann darüber frei verfügen kann, was einschließt, dass man es dann verwirft oder sogar ignoriert. Sie scheinen sogar oft schon in genau der Form vorzuliegen, auch in den Worten, in denen der Fragende sie haben will, in denen er sie sich selbst gegeben oder erarbeitet hätte, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. –
1.2.2 Genauere Charakterisierung der Unterscheidung. Nach dieser intuitiven, pauschalen Vergegenwärtigung unserer Unterscheidung wollen wir nun etwas genauer hinsehen. Unsere Unterscheidung lief wesentlich über die Gegenüberstellungen: a) Das Interpretandum als Objekt Behandeln, das theoretisch betrachtet bzw. untersucht werden sollte vs. das Interpretandum als Spielzug Behandeln in einem Spiel, an dem Autor und Interpret gemeinsam teilnehmen, einerseits und b) das Interpretandum als Objekt Behandeln, über das es Hypothesen zu erstellen und zu prozessieren gilt, vs. das Interpretandum als Antwort Behandeln, die als sie selbst integriert bzw. angeeignet werden sollte, andererseits. Dabei bezog sich die erste der Gegenüberstellungen auf das Ganze der jeweiligen kognitiven Verhaltensweise, die zweite auf einen wichtigen und besonders auffälligen Spezialaspekt daraus. Was genau ist nun „Mitspielen“ in Opposition zum „Betrachten/Untersuchen“? Die Pointe dieser Gegenüberstellung wird am besten sichtbar, wenn wir eine radikale Ausprägung dieses Gegensatzes, genauer betrachten. Diese liegt vor, wenn wir das kognitive Verhalten eines direkten Adressaten einer Äußerung zu dieser Äußerung einerseits mit dem kognitiven Verhalten eines objektivierenden
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Wissenschaftlers, wir denken hier an einen Akustiker, zu derselben Äußerung andererseits vergleichen. (i) Der Adressat einer Äußerung verhält sich gewöhnlich zu diesem „Objekt“ möglicher kognitiver Bemühung so, dass er – anders als ein theoretischer Betrachter – sich von der Äußerung selbst (nicht erst von einer Repräsentation derselben) etwas sagen lässt, dass er sie als etwas Gesagtes/Gemeintes an sich herankommen lässt, sich durch sie betreffen lässt. D. h. er betrachtet und behandelt sie nicht als einen (vor ihm liegenden) Gegenstand, über den gehandelt wird, sondern vielmehr als etwas, das ein neben ihm stehendes Kosubjekt, das sich mit ihm um eine gemeinsame (nämlich die in der Äußerung thematische) Sache bemüht, ein Mitspieler, ins Spiel gebracht hat und zwar als Ausdruck seiner Überzeugung über die Sache. Er behandelt sie damit als etwas, das schon auf derselben Ebene liegt und von derselben Art ist wie seine eigenen Überzeugungen und das daher mit Bezug auf seine eigenen Gedanken und Überzeugungen die gleiche Rolle spielen kann, dieselbe Wirkung haben kann, wie eigene Gedanken bzw. Überzeugungen, die er sich selbst bildet: Sie kann (und soll) eigene Überzeugungen direkt widerlegen, bestätigen, ergänzen, modifizieren etc. Er lässt mit alledem die fremde Äußerung auf einer anderen Ebene und auf eine ganz andere Weise kognitiv an sich herankommen als dasjenige, wofür er sich z. B. als (faszinierendes) Objekt möglicher Theorien interessiert. Die Differenz wird gut sichtbar, wenn wir das Beispiel des Akustikers, der sich ja ebenfalls mit der Äußerung kognitiv auseinandersetzen könnte, danebenhalten. Der Akustiker hat in der Äußerung nur ein physikalisches Objekt vor sich, das als solches keine (nichtnatürliche) Bedeutung hat und ihm als solches nichts direkt „sagen“ kann. Genauer gesagt: Das kognitive Verhalten und die besondere kognitive Einstellung des Akustikers bewirken, dass die Äußerung für den Akustiker nur ein physikalisches Objekt ist, das selbst als solches auf der Ebene der Gedanken und Überzeugungen des Akustikers keine Rolle spielen kann. Der Akustiker lässt sozusagen die Äußerung nur als bloß stummen Gegenstand an sich herankommen, über den freilich Gedanken und Überzeugungen gebildet werden können, die dann im seinem intellektuellen Haushalt eine Rolle spielen können. Allerdings macht es offenbar einen Unterschied, ob diese Rolle von der Äußerung selbst oder von einer Hypothese über sie (einer Repräsentation von ihr) gespielt wird. – In der kognitiven Einstellung des Akustikers erscheint außerdem der Autor mit seinen Sprechwerkzeugen ausschließlich als die – gegebenenfalls theoretisch zu untersuchende – verursachende Instanz, auf die die Äußerung zurückgeht, als ein Objekt also, mit der die Äußerung in einem (theoretisch zu untersuchendem) naturkausalen Konnex steht. In der kognitiven Einstellung des Adressaten dagegen wird der Autor sichtbar nicht als (vor ihm liegender) Gegenstand, sondern als (neben ihm stehendes) Kosubjekt, als jemand der zusammen mit dem Adressaten sich ko-
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gnitiv um die gemeinsame (im Text thematische) Sache bemüht, als Mitspieler im Spiel der durch Kommunikation vermittelten gemeinsamen kognitiven Bemühung um die Sache, als Mitspieler, der im Prinzip von derselben Art ist, eine ähnliche Rolle hat, wie der Adressat selbst, der an der gemeinsamen Rationalität teilhat, als wahrheits- und zurechnungsfähig zu achten ist und der daher mit seinem Spielzug etwas Wahres und Ernstzunehmendes über die Sache vorbringen könnte. (ii) Doch das Mitspielen unterscheidet sich nicht nur darin vom bloßen Betrachten, dass hier der Interpret das Interpretandum auf einer anderen Ebene und in einer ganz anderen Weise an sich herankommen lässt, als der Betrachter seinen Gegenstand. Der Mitspieler verhält sich kognitiv auch insofern völlig anders als der theoretische Betrachter, als er sich von der Äußerung etwas über die Sache sagen lässt, d. h. sich von der Äußerung auf die Sache als das eigentlich Relevante verweisen lässt. Für den Akustiker ist die Äußerung ein opakes physikalisches Objekt, das der Betrachter fokussiert und bei dem sein Blick anhält. Die Äußerung selbst ist das Betrachtete und das, worum es ihm geht. Für den Adressaten dagegen ist die Äußerung etwas, das transparent ist, das wesentlich über sich hinaus weist, das auf die thematische Sache verweist. Sie ist wesentlich etwas Vermittelndes, das den Blick des Adressaten in spezifischer Weise auf die Sache weiterlenkt, und nur als das Vermittelnde findet es das Interesse des Adressaten. Unser Dr. Peter z. B. interessiert sich überhaupt nicht für die Schriften seines Kollegen als sie selbst. Er ist ja kein Linguist oder Literaturwissenschaftler, als Adressat ist er ausschließlich an der Sache, von der sie handeln, interessiert. Wenn er die Texte liest, versteht er sich weiterhin als Physiker, seine Bemühung als Beschäftigung mit der Sache, von der der Text handelt. Er versteht sich dagegen nicht als Hermeneutiker oder Textspezialisten. Der Adressat verhält sich damit kognitiv gerade nicht so zum Interpretandum, dass er die Äußerung selbst fokussiert, den Blick bei ihr und ihren Eigenschaften halten lässt. Er lässt sich vielmehr von ihr auf die Sache verweisen und lässt sich dabei ein auf das komplexe, kunstvolle Verfahren, mit dem von Seiten des Interpretandums her der Blick des Adressaten auf die Sache weitergeleitet werden soll. Er unterstellt sich den vom Interpretandum her vorgesehenen Verfahren, gemäß denen die verhandelte Sache mit Hilfe bestimmter grammatikalischer Techniken und Begriffe aus der Perspektive des Autors per Referenz sichtbar gemacht wird, deren Attribute per Prädikation, die fraglichen Sachverhalte per Propositionen und Tatsachen per behauptete Aussagen. Er verhält sich hier also nicht in der bei Erkenntnisbemühungen sonst üblichen Weise – wie sie z. B. bei unserem Akustiker gegeben ist – in der Weise nämlich, dass er angesichts der zu untersuchenden Sache selbst den Zugang zu dieser Sache festlegt, dass er selbst frei bestimmt, wie und durch welche Kanäle die Sache für ihn, den Betrachter, erscheinen soll. Als Interpret
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überlässt er sich hier vielmehr den aus dem Interpretandum stammenden Wegen und Verfahren, die thematische Sache zur Erscheinung zu bringen. Wenn der Autor in seiner Äußerung die Sache per Referenz, Prädikation, Proposition und behauptete Aussage unter Verwendung bestimmter Begriffe in einer ganz bestimmten Weise zugänglich macht, dann versucht der Interpret dem Autor darin zu folgen, er versucht mitzumachen, nämlich in derselben Weise zu referieren, zu prädizieren, Propositionen zuzuschneiden, Tatsachen festzustellen. Mit alledem macht er die Äußerung nicht zum (vor ihm liegenden) Gegenstand theoretischer Betrachtung, sondern behandelt sie als Spielzug in einem sehr komplexen Spiel, einem Spiel, in dem er selbst mitspielt und in dem er auf den Spielzug nach den – vom Interpretandum her – vorgegebenen Regeln reagiert. (iii) Derselbe Befund ergibt sich, wenn wir berücksichtigen, dass die typischen Interpretanda, Äußerungen und Texte, normativ verfasst sind, dass zu ihnen Ansprüche auf Geltung (Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit, Wahrhaftigkeit, Richtigkeit der Perspektive, Angemessenheit der verwendeten Begriffe etc.) wesentlich gehören. Von einem Interpreten, der diese Ansprüche und die Frage ihrer Berechtigung ignoriert, der auf diese Ansprüche nicht eingeht und für den es keinen Unterschied macht, ob z. B. eine im Interpretandum vorkommende Aussage wahr oder falsch, sinnvoll oder sinnlos ist, von dem würden wir nicht sagen, dass er das Interpretandum verstanden hat. Wenn der Interpret aber – um zu verstehen – im Prinzip in der Lage sein muss, mit seinem Interpretandum als etwas normativ Verfasstem umzugehen, eine Differenz zwischen „richtig“ und „falsch“ (in welchem Sinn auch immer) zu machen, zu beurteilen, ob es (in diesem Sinne) „richtig“ ist oder „falsch“, dann muss der Interpret wieder in spezifischer Weise über das bloße Betrachten und Untersuchen seines Interpretandums als eines Erkenntnisgegenstandes hinausgehen und sich auf ein komplexes Spiel einlassen. Er muss in einem Spiel mitspielen, in dem er das Interpretandum und den Autor gerade nicht nur als zu betrachtende theoretische Gegenstände, sondern als Spielzug und Mitspieler behandelt, mit denen er – nach den Regeln des Spieles – auf sehr spezifische Weise umzugehen hat: Mit dem Autor als Mitspieler, der sich an ihn wendet, Ansprüche ihm gegenüber erhebt, denen er sich stellen muss, auf die er mit einer Stellungnahme (positiv oder negativ) reagieren muss; mit dem Interpretandum als einem Spielzug, den er bewerten, dessen Richtigkeit (in verschiedenen Hinsichten) der Interpret in der Weise beurteilen muss, dass er a) dem Spiel die hier geltenden Standards und Maßstäbe entnimmt, b) diese Standards an den Spielzug heranträgt, an den Spielzug hält und c) den Spielzug mit Hilfe dieser Standards – nach den Regeln des Spiels – als richtig bzw. falsch bewertet. Dies alle sind offenbar ganz andere Leistungen als diejenigen, die ein Betrachter angesichts eines zu betrachtenden Objekts erbringt.
1.2 Erläuterung der These und erste Argumente
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(iv) Ein besonders spektakulärer Aspekt der Sache, ein Aspekt, bei dem die hier relevante Differenz geradezu ins Auge springt, ist der folgende, den wir ja schon mehrfach hervorgehoben haben: Die kognitive Leistung eines Interpreten, genauer: eines Adressaten einer Äußerung, kann beschrieben werden als die Bemühung darum, sich die in der fremden Äußerung vorliegende Antwort (auf eine wirkliche oder mögliche Frage des Adressaten) direkt anzueignen, sich zu eigen zu machen. (Wie schon erwähnt, interessiert sich unser Dr. Peter gar nicht für die Texte als sie selbst. Er will etwas über die Sache erfahren und liest die Texte nur daraufhin. Er will die Antworten, die Dr. Peter gibt, sich aneignen, er will sie haben bzw. wissen. Er will dagegen nichts über die Antworten, über die Texte wissen.) Damit aber kann die Opposition zwischen den beiden Typen kognitiven Verhaltens gefasst werden als die zwischen dem gewöhnlichen: „Überzeugungen, Hypothesen,Wissen über (den Gegenstand) x Etablieren und Erwerben“ einerseits und dem (im Sinne der traditionellen Epistemologie) eher exotischen „Fassen, Aneignen, Integrieren von x selbst (nämlich der schon empirisch gegebenen Antwort über y selbst)“. Und die Differenz zwischen den typischen „Gegenständen“ der jeweiligen kognitiven Bemühungen kann gefasst werden als die Differenz zwischen „Gegenständen, über die man etwas wissen will“ einerseits und „Antworten über etwas, die es selbst sind, was man wissen, was man sich aneignen, was man haben will“ andererseits. Dieser Aspekt ist besonders spektakulär, weil der Unterschied zwischen den beiden Typen hier besonders scharf und schlagend sichtbar wird nämlich als qualitativer, struktureller Unterschied. Das zeigt sich einmal an dem Ebenenunterschied. Die Antwort (Antwort über die Sache x), als die der Text vom Interpreten angesehen und behandelt wird, liegt auf derselben Ebene, auf der auch das übrige Wissen und Vorwissen des Interpreten von x, die Fragen des Interpreten über x, sich befinden. Das Objekt des Akustikers liegt dagegen klar auf einer anderen Ebene als die beim Akustiker schon bestehenden Kenntnisse und Vorkenntnisse über dieses Objekt. – Es liegt zum anderen daran, dass die involvierten Aktivitäten sich qualitativ und strukturell voneinander unterscheiden. Auf der einen Seite das Sich-Aneignen, Integrieren der Antwort selbst, auf der anderen Seite das Etablieren und Aneignen von Vermutungen bzw. Wissen über das Objekt, von Repräsentationen von dem Objekt, das selbst natürlich nicht angeeignet werden soll. Nach alledem ist das Interpretandum für den Interpreten zunächst nicht zu betrachtendes, zu untersuchendes Objekt, über das er zu Hypothesen und Wissen zu gelangen sucht. Es hat vielmehr für ihn selbst schon den Status von Hypothesen, Wissen über etwas, den Status einer Antwort, die es selbst ist, was er wissen bzw. haben will, einer Antwort, die ihn über sich hinaus auf die Sache verweist, von der Sache handelt, etwas über die Sache sagt. Und als eine solche Antwort gilt für ihn das Interpretandum wesentlich als Resultat rationaler Be-
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mühungen des Autors, zu denen vielfältige Geltungsansprüche erhoben werden und auf die ein Interpret qua Interpret eingehen, reagieren muss. Es ist vielleicht nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, dass unsere Unterscheidung von Erkenntnistypen nicht – wie in solchen Fällen sonst üblich – über die Unterscheidung von für die Erkenntnistypen zentralen Begriffen läuft (wie z. B. über die Differenzierung zwischen mentalen und physikalischen Begriffen). Sie liegt tiefer, weil sie abhängig ist von Einstellungen, Haltungen, Verfahrensweisen des erkennenden Subjekts bezüglich seines jeweiligen „Gegenstandes“, also von solchem, was seinem Einsatz von Begriffen zum Erfassen seines „Gegenstandes“ jeweils vorausgeht und zugrunde liegt.
1.2.3 Erste Evidenzen und Argumente Nun zu einigen Evidenzen und Argumenten für unsere Thesen: (i) Eine erste wichtige Evidenz ergibt sich aus unseren normalen Sprecherintuitionen: Wir sind ständig sowohl Produzenten, wie auch Adressaten der Artefakte, die hier in Frage stehen, und wir meinen, eigentlich wissen zu müssen, wozu diese gemacht werden, d. h. wie das rechte Verhalten zu ihnen auszusehen hat. Und als solche wissen wir, dass wir gewöhnlich Antworten auf Fragen nicht produzieren, um unseren Adressaten damit interessante Objekte vorzulegen, über die sie sich dann ihre Hypothesen bilden können, sondern um ihnen die Antwort zu geben, sie ihnen direkt mitzuteilen. Ja, normalerweise würden wir es unseren Adressaten sogar übelnehmen, wenn sie unsere Antworten zum Gegenstand von Hypothesen machen würden, sie unsere Antworten und uns selbst damit gewissermaßen von der Seite her betrachten und nicht vielmehr von vorn. (ii) Weitere damit verwandte Evidenzen liefert der Sprachgebrauch, der Kronzeuge der Ordinary-Language-Philosophy. Wir können eben sagen: „Antworten, sind gerade das, was ich wissen/haben will“. (Antworten sind zunächst nicht solches, über das ich Wissen haben will.) Weil dies normalerweise von Antworten gilt, ist auch die Antwort das Paradebeispiel für etwas direkt zu Integrierendes (ein sehr vielseitig verwendbares Muster, weil alle Behauptungen und fast alle Texte zwanglos als Antworten auf Fragen aufgefasst werden können). Wichtig sind hier auch Wendungen wie „jemandem etwas mit-teilen“, „eine Einsicht weitergeben“, „Meinungen austauschen oder verbreiten“, jemandem etwas über etwas sagen“, „Gedanken fassen“ (Frege) etc. Sie alle legen das nahe, was ja auch plausiblerweise zu erwarten ist: Angesichts von normalen Erkenntnisgegenständen bemühen wir uns um Wissen über sie. Das einmal erworbene und dann in Äußerungen und Texten empirisch vorliegende artikulierte und ausgedrückte Wissen ist jedoch nicht in erster Linie dazu da, selbst wieder Ge-
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genstand von Hypothesen oder Theorien zu werden, es ist vielmehr zunächst dazu da, geteilt, verbreitet, weitergegeben zu werden. (iii) Wichtig scheint mir auch das folgende Argument zu sein: Wenn es dergleichen wie das (direkte) Aneignen von fremden Antworten nicht gäbe, wenn die uns möglichen Einsichten (wie nach der Normalvorstellung von Erkenntnis vorgesehen) immer auf einer anderen (höheren) Ebene liegen müssen als der, auf der sich dasjenige befindet, auf das sich unsere Einsichten beziehen sollen, dann könnten wir trivialerweise – entgegen dem, was wir normalerweise glauben – niemals Antworten von anderen Personen erhalten. Das aber würde bedeuten: Alle Antworten, alle Überzeugungen, alles Wissen, das bzw. die ich dann haben würde (wenn ich denn überhaupt zu dergleichen kommen könnte), würden dann von mir selbst stammen. Lehrer oder Sachverständige, die ich aufsuche, würden nicht – wie es scheint – meine Fragen beantworten, mir die Antworten geben, sie würden in Wirklichkeit mich allenfalls dazu anregen, mir die Antworten selbst zu erarbeiten. Ich ginge in Bibliotheken nicht, wie ich glaube, um dort vorliegende Antworten anzueignen. In Wahrheit täte ich das nur, um Stimuli aufzusuchen, die mich zu eigenen Antworten veranlassen könnten.⁸ Merkwürdig wäre allerdings bei alledem, dass die Stimuli bis in alle Einzelheiten genau die Form der Antworten hätten, zu denen durch diese Bemühung zu kommen, ich im günstigsten Falle hoffen könnte. (iv) Wenn alle Erkenntnis nach dem Muster des Normalmodells vom Erkennen, wie wir es aus den Realwissenschaften her kennen, im Erarbeiten von Überzeugungen, Wissen über das jeweils zu Erkennende bestehen würde, dann würden wir, sofern wir die Thesen unserer Opponenten beim Wort nähmen, auch Probleme damit haben, uns selbst Fragen zu beantworten. Sehen wir uns dazu folgenden Fall etwas näher an. A ist Forscher und will etwas über seinen Ge-
Diese Überlegung macht zugleich klar, dass das, was zunächst aussieht wie Kommunikation der Personen A und B über x und was üblicherweise auch so verstanden wird, nach den Thesen unserer Opponenten genau genommen gar nicht mehr als Miteinanderreden, als Sich-miteinanderVerständigen von A und B über x verstanden werden kann, d. h. als Interaktion derart, dass A und B sich auf derselben Ebene – der Ebene der Kommunikation über etwas – bewegen und sich dabei auf vor ihnen liegende – auf einer anderen Ebene befindliche – Objekte beziehen und über diese ihre Überzeugungen austauschen, einander belehren, informieren, miteinander streiten. Es könnte dann allenfalls als Übereinanderreden gelten. Außerdem würde gelten: Wenn kein Miteinanderreden, nur Übereinanderreden möglich wäre, dann könnte es auch keine gemeinsame Sprache, kein gemeinsames System von Bedeutungen geben, die von allen geteilt werden können. Jeder einzelne kennte und hätte nur jeweils seine Sprache, sein eigenes Sprechen. Alles, was nicht dazu gehörte, hätte für ihn den Charakter von bloßen Objekten, über die er allenfalls etwas wissen bzw. über die er gegebenenfalls reden könnte, nicht dagegen den Status von etwas, das ihm mitgeteilt werden könnte, bzw. womit ihm etwas mitgeteilt werden könnte.
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
genstand x herausbekommen. Er stellt sich entsprechende Fragen und kommt auch – nehmen wir an: spät abends – zu einer vernünftigen Antwort, die er dann aufschreibt. Am nächsten Morgen will er auf diese Antwort zurückkommen und damit weiterarbeiten. Er findet sie vor als einen ihm vorliegenden Text d. h. – nach Voraussetzung – als etwas, über das er sich allenfalls eine Überzeugung oder Hypothese erarbeiten könnte und das, was er sich darüber erarbeiten könnte (eine Hypothese über die Antwort, die selbst Antwort auf andere Fragen von A ist, als solche natürlich weder mit der ursprünglichen Antwort identisch wäre, noch deren Rolle übernehmen könnte) wäre – wie gesagt – selbst wieder eine Antwort (nämlich auf A′s Fragen über das Interpretandum) und würde ihn, selbst wenn er seine Arbeit jetzt nicht für einen längeren Zeitraum unterbricht – Zeitunterschiede können keine prinzipielle Rolle spielen – vor ganz entsprechende Probleme stellen. Es folgt: Jeder zusammenhängende Gedankengang, in dem der jeweils gegenwärtige Gedanke an schon etablierte Gedanken (die dazu verstanden, d. h. als solche erkannt werden müssen) angeknüpft werden muss, bereitet dann unüberwindliche Schwierigkeiten. A bekommt überall mit einem Regress zu tun und kann sich überhaupt kein Wissen über etwas aneignen, weder von Fremden noch von sich selbst.⁹ Damit zeigt sich: Die Auffassung, dass das Verstehen wesentlich im Erarbeiten von (vernünftigen) Hypothesen (normalen Hypothesen im Sinne von Realwissenschaften) über das Interpretandum bestehe, kann ohne weitere Qualifikationen nicht sinnvoll vertreten werden. Soweit ein erstes Plädoyer für eine Neubeschreibung des Verstehens.
1.3 Probleme und Einwände Wenn das Vorgetragene auch plausibel klingen mag, insbesondere, weil es unterstützt wird durch unsere Sprecherintuitionen und durch die angeführten Wendungen aus der Umgangssprache, so führt es doch sehr schnell in Probleme und hat mit ernsthaften Einwänden zu tun. 1. So könnte man zunächst vorbringen: Besprochen wurde bisher nur eine extreme, periphere und eigentlich uninteressante Form des Verstehens, das direkte Aneignen fremder Gedanken, das die Bezeichnung „hermeneutisches Verstehen“ noch gar nicht verdiene und in den Geisteswissenschaften ersichtlich keine wesentliche Rolle spiele. Spezifisch geisteswissenschaftliches Verstehen Wir werden später sehen, dass die (sekundär objektivierenden) Aussagen und Überzeugungen über die Antwort, die hier eine wesentliche Rolle spielen könnten und die auch zum Gegenstand eines Einwandes gemacht werden könnten, in Wahrheit zurückgehen auf gerade die Aneignungsleistungen, die der Einwand zu bestreiten sucht.
1.3 Probleme und Einwände
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werde vielmehr – entgegen dem bisher Behaupteten – wesentlich dazu eingesetzt, um zu Überzeugungen und Wissen über die geisteswissenschaftlichen Gegenstände, die Interpretanda, zu kommen. – 2. Schwerer wiegt der zweite Einwand: Genaugenommen sei es eigentlich unverständlich, inwiefern das direkte (nicht-objektivierende) Aneignen und InBetrieb-Nehmen von Antworten überhaupt als kognitive Leistung, als Erkennen der Antworten, aufgefasst werden kann. Mit welchem Recht soll Aneignen „Erkenntnis“ genannt werden? 3. Ein drittes Problem ist dieses: Wie steht die These vom Verstehen als Aneignen zum Faktum, dass beim Verstehen in der Regel doch zwei Ebenen der kognitiven Auseinandersetzung involviert sind, d. h., dass neben dem Aneignen auch das objektivierende Verhalten zum Interpretandum, die Bemühung um Wissen über es, fast immer eine wichtige Rolle spielt? Was genau ist sekundäres Objektivieren? 4. Ein vierter Einwand macht geltend, dass bisher überhaupt nicht zu sehen sei, wie die Bindung von Antworten an materielle Substrate berücksichtigt werden könnte. Was solle „direktes Aneignen“ bedeuten, wenn man mit einer in Stein gemeißelten Inschrift zu tun hat? – Wir gehen im Folgenden diese Fragen der Reihe nach durch.
1.3.1 Das Problem der Geisteswissenschaften (zu 1) Offenbar zählen zu den sogenannten Geisteswissenschaften viele sehr verschiedene Arten, sich kognitiv um Äußerungen, Texte und Artefakte zu bemühen. Um auf den Einwand eingehen zu können, verschaffen wir uns einen (sehr) kursorischen Überblick, indem wir uns überlegen, wie man sich überhaupt zu Äußerungen und Texten (auf die wir uns hier beschränken) kognitiv verhalten kann, und gelangen zu folgender Liste: Man kann sich zu Äußerungen bzw. Texten verhalten (1) als Adressat (2) als Jurist, Theologe, Philosophiehistoriker (3) Philologe, Literaturwissenschaftler (4) Ideologiekritiker/Psychoanalytiker (5) Kulturanthropologe (6) Vertreter der allgemeinen Linguistik (7) als Phonologe im Sinne Troubetzkoys (8) als Akustiker/Physiker
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Diese – in keinem Sinne vollständige – Liste wurde erstellt im Sinne des hier zentralen Gesichtspunkts der Objektivierung. Die verschiedenen Positionen sind geordnet nach dem Grad in dem das Interpretandum jeweils objektiviert wird: Der Adressat z. B. (1) eines Textes objektiviert die in ihm enthaltene Antwort gewöhnlich überhaupt nicht. Normalerweise will er gar nichts über die Antwort wissen, sondern nur diese selbst. – Auch der Jurist (2) oder der Philologe (3) verhält sich zunächst ähnlich wie der Adressat zum Text. Aber dabei bleibt es nicht. Es kommen hinzu Bemühungen um (technische oder theoretische) Informationen über den Text und dessen Kontext. – Wie die vorigen lässt sich auch der Ideologiekritiker (4) zunächst vom Text sagen, was er zu sagen hat. In einem zweiten Schritt jedoch verlässt er die Position des Zuhörers/Adressaten/Mitspielers und distanziert dabei sein Interpretandum so sehr, dass er es sogar als Gegenstand von Kausalanalyse behandelt. – Beim Linguisten (6) hat sich das relative Gewicht der beiden involvierten Verhaltensweisen klar verschoben. Es dominiert jetzt klar das Interesse an theoretischem Wissen über Äußerungen/Texte und deren Struktur. Dabei bleibt freilich entscheidend, dass diese gleichwohl auch behandelt werden, als etwas, das etwas sagen könnte. Daran hängt, dass die Gegenstände der Linguistik für den Linguisten trotz aller Objektivierung bedeutungstragende Entitäten bleiben. – Der Akustiker (8) schließlich behandelt Äußerungen nur noch als Gegenstand theoretischer Erkenntnis und gar nicht mehr als etwas, das man verstehen, dem man zuhören könnte. Konsequenz ist, dass die Äußerungen für ihn nur noch bloße Geräusche, bloße physikalische Gegenstände sind. Zur Liste kommt es also auf folgende Weise: Ausgehend von einem Falltyp, der eine reine Form der direkten Aneignung fremden Sinnes darstellt, und der, weil jedes Moment der Objektivierung hier fehlt, „Nullstufe“ der Objektivierung genannt werden könnte, wird dann durch Hinzunahme und kontinuierliche Verstärkung eines Moments der Objektivierung einerseits und zugleich durch Abschwächung des Moments direkter Aneignung fremden Sinnes andererseits die Reihe der mittleren Falltypen erzeugt, bis ein Falltyp erreicht wird, über den hinaus eine (absolute und relative) Verstärkung des Moments der Objektivierung deshalb nicht denkbar ist, weil er eine reine Form der Objektivierung (ohne jedes Moment des direkten Aneignens fremden Sinnes) und damit sozusagen die „Vollform“ der Objektivierung darstellt. Auf dem Weg vom einen zum anderen Extrem ergeben sich so drei Hauptformen von kognitiver Bemühung um Texte und Äußerungen: 1. das reine Aneignen fremden Sinnes; 2. das reine Objektivieren ohne jedes Moment direkter Aneignung fremden Sinnes; dies sind die reinen Extreme; 3. die Mischformen, bei denen zuerst das eine Moment, dann das zweite Moment überwiegt.
1.3 Probleme und Einwände
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Was ist nun im Lichte dieser Liste zu dem Einwand zu sagen? Auf den ersten Blick scheint die Liste dem Einwand Recht zu geben, denn es gilt: 1. Nur die Falltypen 2– 7 betreffen die Geisteswissenschaften direkt. (Kognitives Verhalten im Sinne von (1) zählt als vorwissenschaftliches, d. h. noch nicht als spezifisch wissenschaftliches Verhalten. Kognitives Verhalten im Sinne von (8) dagegen ist überhaupt kein geisteswissenschaftliches sondern ein naturwissenschaftliches Vorgehen.) – 2. Der Ausdruck „Geisteswissenschaften“ als zusammenfassender Terminus für die Positionen 2– 7 bezeichnet gerade die Typen kognitiver Bemühung um Texte und Äußerungen, bei denen es wesentlich um die Betrachtung, Untersuchung der Texte und Äußerungen selbst geht, bei denen das Moment der Objektivierung, die Bemühung um Wissen über die Interpretanda, eine wesentliche Rolle spielt. Das ist gerade die Pointe der Liste. Aber ein zweiter Blick zeigt: Es wird hier nur dem Buchstaben des Einwandes Recht gegeben, dem Sinn dagegen nicht. Unser Hauptpunkt wird eher gestützt. Denn die Liste macht ja sehr deutlich a), dass das direkte Aneignen fremden Sinnes (1) als Grundform kognitiven Verhaltens zu Texten und Äußerungen angesehen werden muss, dass die Mischformen (2) – (7) dagegen nur als Varianten dieser Grundform anzusehen sind, und b), dass der Erwerb von Wissen über Äußerungen und Texte ohne das Moment der direkten Aneignung ihres Sinnes die Äußerungen und Texte als Interpretanda, die etwas zu sagen haben, vollständig verfehlt, dass also das direkte Aneignen notwendige Bedingung dafür ist, dass Geisteswissenschaften überhaupt mit sinnvollen bedeutungstragenden Äußerungen und Texten zu tun haben können. Zu a). Inwiefern muss hier (1) als Grundform zählen, die anderen Positionen (2) – (7) dagegen als nur sekundär und abgeleitet? Inwiefern gibt es hier einen Primat von (1)? Texte und Äußerungen sind Artefakte, die in der Regel genau für das kognitive Verhalten unter (1) gemacht werden. Das wissen wir und müssen wir wissen, weil wir ja selbst ständig Produzenten von Texten und Äußerungen sind und als solche natürlich den vorgesehenen Gebrauch von abweichender Verwendung oder gar Missbrauch unterscheiden können.¹⁰ Sie werden dagegen in der Regel nicht gemacht für den objektivierenden Blick des Philologen oder des Linguisten und schon gar nicht für den Blick des Akustikers, der ja vom Eigentlichen, vom Sinn der jeweiligen Äußerung ganz absieht. Auszugehen ist daher von einem Primat der direkten Aneignung fremden Sinnes (1), weil dies der vorgese Das nach meiner Auffassung beste Verfahren, um derartiges Wissen kritisch zu mobilisieren, zu bestimmen, was wir eigentlich wollen, wenn wir Texte und Äußerungen produzieren, besteht darin, das Spektrum dessen, was wir hier wollen könnten, sich möglichst deutlich zu vergegenwärtigen und dann angesichts dieser offengelegten Möglichkeiten sich klarzumachen, welche von ihnen für uns die wichtigste ist. Genau dies Verfahren ist aber hier gewählt worden.
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hene und in diesem Sinne „richtige“ Gebrauch des Artefaktes ist, der vom nicht vorgesehenen, „nicht-richtigen“ Gebrauch (oder „Missbrauch“) klar zu unterscheiden ist. Diesem vorgesehenen Gebrauch zugesellen kann sich dann, z. B. wenn Verständnisschwierigkeiten auftreten, objektivierendes Verhalten zum Interpretandum, das zu Einsichten über das Interpretandum führen kann, die bei dem Versuch der direkten Aneignung seines Sinnes hilfreich sein können. Ja, dieses hilfsweise Objektivieren des Interpretandums kann sich – in gewissen Grenzen – verselbständigen zu einer eigenständigen theoretischen Bemühung um das Interpretandum. Es bleibt aber dennoch abhängig und sekundär: Einmal, weil es die Gegenstände dieser Bemühung nur gibt als solche, die für das kognitive Verhalten (1) eigens gemacht sind. Zum anderen, weil diese „Gegenstände“ für den Erkennenden überhaupt nur solange ihre Haupteigenschaften (sinn- und bedeutungstragende Entitäten zu sein) behalten, wie sie mindestens auch von ihm im Sinne des kognitiven Verhaltens von Position (1) behandelt werden. Zu b). Der Vergleich zwischen den Positionen (2) – (7) und (8) macht deutlich, dass das Objektivieren ohne direktes Aneignen des Sinnes, ohne das Moment des Mitspielens¹¹, die Interpretanda als bedeutungstragende Entitäten ganz verfehlt. Denn wenn wie in (8) das Moment des direkten Aneignens von Sinn ganz fehlt, wenn der Interpret sich gar nicht mehr einlässt auf das Spiel des Autors, dann hat er gar nicht mehr mit einem geisteswissenschaftlichen „Gegenstand“, einem Interpretandum zu tun, sondern nur noch mit einem „stummen“ physikalischen Ereignis, einem bloßen Geräusch. Es ist daher erforderlich, zwischen zwei verschiedenen Formen der Objektivierung zu unterscheiden, zwischen primärer und sekundärer Objektivierung. Primäre Objektivierung liegt vor, wenn wir wie in (8) etwas (x) vollständig zum zu untersuchenden Gegenstand, über den wir etwas wissen wollen, machen und dabei ganz darauf verzichten, einen in x möglicherweise enthaltenen Sinn direkt anzueignen. Primäre Objektivierung ist charakteristisch für die Naturwissenschaften, die von Hause aus mit „stummen“, nicht symbolisch vermittelten Gegenständen zu tun haben. Wenn wir bisher von normalem kognitiven Verhalten, vom Betrachten des Objekts x, vom Erwerb von Wissen darüber, geredet haben, dann haben wir uns zunächst darauf bezogen. – Sekundäre Objektivierung wie in den Falltypen (2) – (7) dagegen ist kognitives Verhalten zu einem x, bei dem wir uns einerseits bemühen, den Sinn von x direkt anzueignen, bei dem wir andererseits aber zugleich versuchen, Wissen über x zu erwerben, und dies sei es hilfsweise oder auch aus anderen Gründen.¹² D. h. ein Objektivieren der Äußerung, bei dem der Verweisungscharakter der Zeichenstruktur völlig negligiert wird, bei dem der Verweisung der Äußerung auf die Sache, von der in ihr geredet wird, gar nicht gefolgt wird. Genaueres dazu u. S. 34 ff.
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Wenn aber nun das direkte Aneignen fremden Sinnes als die Grundform des kognitiven Verhaltens zu Äußerungen und Texten anzusehen ist, zu der die anderen hier erwähnten Verhaltensweisen nur als abgeleitete, sekundäre Varianten gelten können, und wenn weiter das für die Geisteswissenschaften charakteristische kognitive Verhalten der sekundären Objektivierung als kognitives Verhalten zu bedeutungstragenden Interpretanda nur möglich ist, wenn das direkte Aneignen dabei (als notwendige Bedingung) wesentlich involviert ist¹³, dann kann das direkte Aneignen fremden Sinnes nicht verstanden werden als periphere, im Grunde unwichtige Variante des Verstehens, als etwas, das für die Geisteswissenschaften unwichtig oder gar verzichtbar ist. Es muss vielmehr als das entscheidende und wichtigste Moment am kognitiven Verhalten in der SubjektSubjekt-Relation gesehen werden, dessen zahlreiche Varianten nur von dieser Grundstruktur her zureichend zu rekonstruieren und durchsichtig zu machen sind. Allerdings muss zugleich zugegeben werden, dass wir hier mit einer extremen Variante zu tun haben und dass es sich bei den meisten Formen des Verstehens nicht um reines Aneignen (ganz ohne Objektivieren des Interpretandums) handelt, sondern im Gegenteil um Aneignen plus mehr oder weniger starkes Objektivieren.
1.3.2 Kann das Aneignen als Erkenntnis gelten? (zu 2) Unser Opponent, der unsere Rede vom direkten Aneignen fremder Antworten für unverständlich hält, fragt zunächst: Warum kann man die Sache nicht ohne die fremdartigen Ingredienzien wie „Aneignen“ und „Mitspielen“ einfach folgendermaßen rekonstruieren? Der Interpret sieht sich zuerst mit materiellen Objekten konfrontiert, mit denen er sich auf die normale Weise kognitiv auseinandersetzt: Er betrachtet sie, untersucht sie, versucht, zu Hypothesen und dann schließlich zu Wissen über sie zu kommen. Er kann dabei auf die Idee verfallen, dass die vorliegende Objektkonstellation zurückgeht auf bestimmte Gedanken, Intentionen eines Urhebers, eines Autors, auf Gedanken, die aus dieser Konstellation erschlossen werden könnten. Er zieht schon vorhandenes oder noch zu erwerbendes Wissen über Korrelationen zwischen äußeren Objekten (Tintenhäufchen, Geräusche, Körperbewegungen etc.) einerseits und Gedanken, Intentionen andererseits heran (linguistische Handbücher, Wörterbücher, Grammatiken, be Dies ist sogar in einem doppelten Sinn involviert, nämlich einmal mit Bezug auf das kognitive Verhalten des Interpreten zum Interpretandum, zum anderen aber auch mit Bezug auf das kognitive Verhalten des Interpreten zu den Beiträgen seiner (hermeneutischen) Kollegen in der scientific community.
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stimmte Erfahrungen mit Handlungen und Leibexpressionen) und schließt im Rekurs auf derartiges Wissen im konkreten Fall auf die Gedanken, Intentionen hinter den vorliegenden materiellen Objekten. Wenn er erfolgreich ist kommt er durch seine Untersuchung zu Wissen über diese Gedanken, über das, was der Autor sagen will, also z. B. zur Einsicht: „Der Autor beantwortet hiermit meine Frage, was denn da vor uns sich auf dem Rasen befindet, mit der Antwort: „Es ist ein Hase.““ Wie gesagt, dies ist ein Versuch, ausschließlich mit „normalen“ epistemischen Leistungen (Betrachten/Untersuchen statt Mitspielen, Wissen über x Erwerben statt x selbst Aneignen) durchzukommen. – Der Opponent übersieht dabei freilich, dass das Betrachten und Untersuchen der Korrelationen zwischen physischen Gegebenheiten und Gedanken, bzw. spezifischer: dass das darin eingeschlossene Betrachten und Untersuchen der Gedanken, nur dann mit Gedanken zu tun hat, die für den Interpreten Sinn und Bedeutung haben, sich auf etwas (x) beziehen, von diesem etwas sagen, von diesem wahr sein sollen etc., wenn der Interpret diese so betrachtet, dass er sie zugleich als etwas behandelt, was ihn auf die Sache (x) verweist, was ihm etwas über die Sache sagen kann, was vielleicht wahr oder falsch ist, kurz, wenn zu dem Betrachten auch Mitspielen und Aneignen gehört. Der Opponent lässt sich täuschen durch den Umstand, dass hier über die Gedanken geredet wird und es wesentlich darum geht, sich Wissen über die Gedanken und ihre Korrelation mit der materiellen Objektkonstellation zu verschaffen. Dabei verkennt er, dass es sich bei dem – unverdächtig scheinenden – objektivierenden Verhalten des Interpreten zum Interpretandum in Wahrheit um sekundär objektivierendes Verhalten handelt, um kognitives Verhalten, bei dem das objektivierende Verhalten zum Interpretandum nur hinzukommt zu, getragen wird von und fest verbunden ist mit dem nicht-objektivierenden Verhalten des Aneignens und Mitspielens, das damit hier die Hauptrolle spielt. Er verwendet also gar keine normalen, unverdächtigen – nämlich primär-objektivierenden – Hypothesen, wie wir sie z. B. aus der Physik kennen, sondern solche, die gerade auf das verdächtigte Aneignen und Mitspielen wesentlich angewiesen sind, dies sogar als wichtigsten Bestandteil enthalten. Insofern ist dieser Rekonstruktionsversuch, der ja zugleich ein Angriff auf die dualistische Konzeption von Epistemologie sein soll, klar misslungen. Doch das muss genauer geklärt werden. Damit kommen wir jetzt zum Einwand, nämlich zur Frage: Inwiefern kann das Aneignen und In Betrieb-Nehmen von fremden Antworten (und zwar insbesondere das nichtobjektivierende Aneignen) überhaupt als Erkenntnis derselben, als kognitive Leistung, verstanden werden? Normalerweise verstehen wir unter dem Erkennen von x den Erwerb von angemessenen Repräsentationen von x, den Erwerb von Wissen über x. Dergleichen aber liegt hier ersichtlich nicht vor. In-
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wiefern also Erkenntnis? – Dieser Einwand ist wichtig, und daher dürfen wir hier etwas ausholen. Zwei – im Folgenden auszuführende – Überlegungen können nach unserer Auffassung weiterhelfen. Zum einen (a): Es ist richtig, dass die Normalform der Erkenntnis darin besteht, dass A Wissen über x, angemessene Repräsentationen von x, erwirbt. Aber es ist auch richtig, dass diese als Normalform verstandene kognitive Leistung in Wirklichkeit aus zwei klar verschiedenen kognitiven Teilleistungen besteht, nämlich aus dem Etablieren von Repräsentationen von x (sozusagen die Vorderseite der Erkenntnis) einerseits und dem Aneignen und InBetrieb-Nehmen dieser Repräsentationen durch das jeweilige Erkenntnissubjekt (die Rückseite der Erkenntnis) andererseits. Aus diesem Umstand wird sich für uns die Möglichkeit ergeben, unsere These dadurch zu verteidigen, dass wir plausibel machen: (Hermeneutisches) Verstehen, das Aneignen und In-BetriebNehmen fremder Antworten, ist nichts anderes als das (explizite) Durchführen dieser zweiten Teilleistung (der Rückseite der Erkenntnis) die zu jedem Erkennen, zu jeder kognitiven Leistung, hinzugehört. Dabei wird deutlich werden, dass es hier um eine kognitive Leistung geht, dass das Aneignen zu den kognitiven Leistungen gehört, und es ergeben sich zugleich Hinweise bezüglich des für die allgemeine Epistemologie wichtigen systematischen Verhältnisses zwischen Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation und Erkenntnis in der Subjekt-SubjektRelation, sowie für die Relation zwischen intra- und intersubjektiven Verhältnissen. – Zum anderen (b): Das Aneignen fremder Gedanken ist nicht zu verstehen nach dem Muster der Übernahme eines kompakten Pakets, angemessener ist die Idee der Durchführung bzw. Wiederholung einer fremden Praxis. Zu (a). Es wird zunächst zugegeben, dass die Normalform der Erkenntnis in der Tat im Erwerb von Wissen über x, von Repräsentationen von x, besteht. Allerdings besteht die Leistung des Erwerbs von Wissen über x genauer betrachtet aus zwei Teilleistungen, dem Etablieren von Repräsentationen von x (und dem Verbessern dieser Repräsentation hinsichtlich ihres Passungscharakters zu x) einerseits und dem Aneignen und In-Betrieb-Nehmen der Repräsentationen durch das erkennende Subjekt A. Diese Leistungen entsprechen den zwei wichtigsten Seiten der Resultate dieser Leistungen, nämlich der Hypothesen über x. Diese passen einerseits zu dem x, auf das sie sich beziehen. Offenbar sollen sie sinnvoll und wahr sein mit Bezug auf x. Sie passen andererseits aber auch zu A (bzw. dem Insgesamt aus Meinungen, Interessen, Perspektiven von A), der sie besitzt. Sie drücken das aus, was A über x wissen will, was daher zu A und seinem bestimmten, in der Regel standortgeprägten Vorwissen passen muss. Beide Seiten fallen nicht vom Himmel, ergeben sich nicht von selbst. Daher muss man verschiedene Leistungen, auf die sie zurückgehen, unterscheiden.
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Nun ist das Vorhandensein der ersten Teilleistung, das Erstellen von Repräsentationen von x, die von x wahr sein sollen, unproblematisch und unstrittig. Sie ist das normale Thema von Epistemologie und Wissenschaftstheorie. Jeder wird sie zugeben. Das gilt von der zweiten Teilleistung nicht. Man könnte bestreiten, dass hier eine eigene, selbstständige, von der anderen abtrennbare, Leistung vorliege. Im Normalfall kognitiver Bemühungen, wenn A sich mit x kognitiv auseinandersetzt, d. h. wenn eine Person beide Leistungen zu erbringen hat, wird die zweite ja auch als separate Leistung gar nicht sichtbar. Sie scheint vielmehr zusammenzufallen mit der ersten: Wenn A für sich selbst Einsicht in eine Sache zu gewinnen, eine mit der Sache übereinstimmende Repräsentation von der Sache zu etablieren, versucht, dann stellt er quasi automatisch sicher, dass die zu gewinnende Einsicht seine Einsicht sein wird, zu seinem Korpus aus Erwartungen Meinungen Vorwissen und Wissen passen wird, dass er sie so in Betrieb nehmen kann, dass sie dort wirksam werden kann. Er tut das, indem er stillschweigend (und ohne dies als besondere Leistung zu verstehen) die Frage, die zu seiner Repräsentation der Sache führen soll und ohne die er zu einer solchen Repräsentation gar nicht kommen kann¹⁴, aus seiner Perspektive, mit eigenen Worten und basierend auf seinen relevanten Vorkenntnissen stellt. Damit ermöglich er die Repräsentation der Sache, legt er aber zugleich fest, dass seine zu erwartende Einsicht, nämlich die zu dieser Frage passende Antwort, zu seinem Wissen und Vorwissen passen wird. (= Falltyp i) Es muss also eigens gezeigt werden, dass es diese zweite Teilleistung als eigenständige Leistung gibt. Und das kann am besten dadurch geschehen, dass wir Falltypen betrachten, bei denen es bezüglich der zweiten Teilleistung des Erkennens zu Schwierigkeiten, zu Störungen¹⁵, kommt, beispielsweise weil die Instanz, die die Repräsentation der Sache etabliert, mit derjenigen, die die Repräsentation sich aneignet, nicht (strikt) identisch ist. Wir denken hier zuerst an den (schon einmal erwähnten) Fall, dass A sich eine Antwort erarbeitet hat, sie notiert hat, jedoch erst am folgenden Tag mit dieser Antwort weiterarbeiten kann. Dann muss er die schon etablierte Antwort eigens (wieder) zur Kenntnis nehmen, für sich neu in Betrieb nehmen (= Falltyp ii). – Vergrößern wir den zeitlichen und sachlichen Abstand zwischen Etablierung und Aneignung/Inbetriebnahme der Repräsentation, wird die Sache noch deut-
Um zu dieser Repräsentation zu kommen, muss er vorher (implizit oder explizit) festlegen, was er worüber, in welcher Hinsicht, wie genau etc. wissen will, d. h. aber gerade: er muss eine Frage stellen. Vgl. Heideggers Verfahren, Verhältnisse, die durch ihre Selbstverständlichkeit für uns unsichtbar geworden sind, durch Betrachtung von Störungen (der defekte Hammer in der Werkstatt) in diesen Verhältnissen wieder sichtbar zu machen. Vgl. Heidegger (1960) §16.
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licher: Nehmen wir an, A arbeite an einem Problem, zu dem er schon vor 30 Jahren publiziert hat. Er nehme die alten Abhandlungen wieder zur Hand, habe damit seine damals etablierte Repräsentation der Sache vor sich, habe aber Schwierigkeiten, sie unmittelbar in seine gegenwärtige Arbeit einzubringen. Er hat sich unterwegs verändert, und die alten Überzeugungen passen nicht mehr ohne weiteres zu dem, was er heute denkt. Hier bedarf es einer deutlich größeren Anstrengung, um die alte Antwort wieder in Betrieb zu nehmen (= Falltyp iii). Schon die vorgeführten Falltypen dürften ausreichen, um unsere These, vom Involviert-Sein zweier Teilleistungen, die sich analytisch und in re trennen lassen, plausibel zu machen. Diese Falltypen sind dadurch charakterisiert, dass zwar die beiden Leistungen durch dieselbe Person erbracht werden, dass diese Person aber in der Zeit in einer für uns wesentlichen Hinsicht nicht strikt mit sich identisch bleibt, so dass die Leistungen in Wirklichkeit doch verschiedenen Instanzen zugeschrieben werden müssen und sich damit als voneinander verschieden erweisen. Von großer Bedeutung ist es nun, dass man die angefangene Reihe der Falltypen nach dem bisher in Anspruch genommenen Prinzip auf folgende Weise verlängern kann: Nehmen wir an, A fällt eine Lösung eines theoretischen Problems ein, bei dem A und B zusammenarbeiten, A findet die Antwort auf ihre gemeinsame Frage. Dabei gehören beide, A und B, demselben Schulzusammenhang, demselben Projekt, an, und diskutieren im Labor täglich darüber. Dann gilt für B, dass dieser sich diese Antwort eigens aneignen, sie für sich in Betrieb nehmen muss (= Falltyp iv). (Wenn dies eine legitime Fortsetzung der Reihe ist, dann ist auch klar, wie sie fortzusetzen ist: Die Distanz zwischen den zusammenarbeitenden Personen kann ja systematisch variiert werden.) Die Verhältnisse liegen hier insofern anders als bei den vorigen Falltypen, als wir nicht mehr mit intrasubjektiven Verhältnissen zu tun haben, sondern mit intersubjektiven. Weil jetzt zwei verschiedene Personen im Spiel sind, auf die wir die Leistungen verteilen, wird einerseits die Abtrennbarkeit der Leistungen noch sehr viel überzeugender dargetan. Andererseits handeln wir uns damit den Einwand ein, dass es jetzt gar nicht mehr um zwei Teilleistungen einer identischen an eine Person gebundenen Gesamtleistung gehe, sondern um zwei voneinander unabhängige Leistungen von verschiedenen Personen. Dagegen ist jedoch folgendes zu sagen: Man kann durchaus zwanglos davon reden, dass die Instanz, die die Lösung des Problems haben will, die Gemeinschaft der Projektteilnehmer ist, („nicht nur A, wir wollen die Antwort wissen“, werden sie sagen), und diese Aufgabe, dass wir Wissen über x gewinnen, ist erst dann erledigt, wenn die von uns etablierte Repräsentation von x uns alle erreicht hat, derart, dass wir alle die Einsicht zur Evidenz bringen können. – Ferner gilt: Die Aneignungsleistungen, die in den intersubjektiven Verhältnissen (innerhalb des „Wir“) mit Bezug auf die Antwort
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erbracht werden, unterscheiden sich nicht grundsätzlich oder wesentlich von den intrasubjektiven Leistungen (innerhalb des „Ich“) in den vorigen Fällen. Sie fühlen sich für die Beteiligten auch nicht anders an als jene. – Daher kann es z. B. sein, dass schon nach kürzester Zeit A und B gar nicht mehr wissen, von wem genau die Antwort stammt. Für den kognitiven Umgang mit ihr macht das keinerlei Unterschied. – Ja, es kann auch geschehen, dass die jeweils zu erbringende Aneignungsleistung im Falle des Autors, der nach 30 Jahren seine eigenen Antworten verstehen will, viel aufwendiger und umfangreicher sind als diejenigen, die B angesichts der Antwort von A erbringen muss. Mit alledem sollte plausibel gemacht werden: Einmal, dass die vorgenommene Fortsetzung der Reihe legitim ist, weil es sich tatsächlich im Falltyp iv um dieselbe Leistung mit derselben Funktion handelt, die auch in den Falltypen davor betrachtet wurde. Zum anderen, dass sich auf diese Weise starke Evidenzen für das Vorhandensein einer zweiten eigenständigen, analytisch und in re abtrennbaren kognitiven Teilleistung innerhalb der Gesamtleistung ergeben. Und schließlich, dass wir daher auch behaupten dürfen, dass wir in dieser zweiten Teilleistung, der Rückseite der normalen Erkenntnis, gerade das vor uns haben, was wir als aneignendes Verstehen in intra- und intersubjektiven Verhältnissen hier zum Hauptthema dieser Abhandlung gemacht haben. Wenn das zugestanden wird, dann folgt: Man kann jetzt nicht mehr unter Verweis auf die Normalform des Erkennens unsere These vom Verstehen als Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Antworten als unverständliche und abwegig exotische These deklarieren. Die Normalform enthält gerade solches Aneignen als wesentlichen Bestandteil. Das Aneignen, Verstauen und In-BetriebNehmen ist eine kognitive Leistung (zuständig dafür, dass die Repräsentation der Sache und das Korpus, in dem sie ihre Rolle spielen soll, tatsächlich zusammenpassen), eine Leistung, die wir ständig in Anspruch nehmen, mit der wir ständig konfrontiert und daher vertraut sind: Wir müssen sie nur wiedererkennen. Es folgt weiter – worauf wir später noch zurückkommen werden – dass das Verstehen qua Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Antworten von Hause aus systematisch auf eine bestimmte Weise dem normalen Gegenstandserkennen – nämlich wie die Rückseite der Vorderseite kognitiven Verhaltens – zugeordnet ist. Angesichts dieser Resultate kann man aber immer noch folgendes einwenden: Es wird zwar zugegeben, dass das Aneignen/In-Betrieb-nehmen fremder Antworten als kognitive Leistung bzw. Teil einer kognitiven Leistung anzuerkennen ist. Aber es ist bisher eher als kognitive Leistung bezüglich des Gegenstandes
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x, über den die Antwort etwas aussagt¹⁶, sichtbar geworden, nicht so sehr dagegen bezüglich der Antwort selbst, also bezüglich dessen, was als das Interpretandum in der Hermeneutik zählt. Und das war es, worum es hier eigentlich geht. Dazu nun zunächst die zweite Überlegung. Zu b) Man könnte nach dem Bisherigen den Eindruck haben, der Vorschlag, die zentrale kognitive Leistung des Interpreten als direktes Aneignen des Interpretandums qua Antwort anzusehen, laufe darauf hinaus, dass der Interpret im Interpretandum so etwas wie ein ihm gegenüberliegendes, von ihm getrenntes, für sich seiendes Paket vor sich habe, ein Paket, das auf derselben Ebene liege wie seine eigenen Gedanken und Überzeugungen und das auf dieser Ebene – Interpret und Autor reden miteinander, nicht übereinander – verschoben, herübergeholt und am Ende verstaut werden soll im Korpus der Gedanken und Überzeugungen des Interpreten. Wenn man den Vorschlag in dieser Richtung versteht, dann ist in der Tat nur schwer zu sehen, wie das Aneignen im Einzelnen funktionieren und inwiefern es als Erkennen der Antwort gelten kann. Passender scheint uns folgende Vorstellung von der Sache zu sein. Der Autor hat im Interpretandum auf eine von ihm selbst oder anderen gestellte Frage geantwortet, er hat sich dabei auf die Sache bezogen, auf sie referiert, ihr bestimmte Prädikate zugeschrieben, über sie das und das gesagt. Das heißt, der Autor hat den Restriktionen seiner ursprünglichen Frage folgend eine bestimmte zu seinem Vorwissen und Wissen-Wollen passende Praxis ausgeübt und im Interpretandum das Schema für diese Praxis niedergelegt. Der Interpret eignet sich die fremde Antwort an, indem er gemäß dem im Interpretandum enthaltenen Handlungsschema die Handlungen des Autors versuchsweise für sich, von seinem Standort aus (so wie es von seinem Standort möglich und sinnvoll ist¹⁷), wiederholt, d. h., sich auf die Sache bezieht, auf sie referiert, ihr bestimmte Prädikate zuschreibt, etwas über sie sagt etc.Worauf es ankommt ist: Es geht hier nicht darum, dass der Autor seine Antwort in dem Sinne hat, wie er ein Ding oder ein Paket hat, und dass der Interpret dann die fremde Antwort wie ein Ding oder Paket herüberholt und sich aneignet. Eine Überzeugung bzw. Antwort haben ist vielmehr so etwas wie: eine Praxis ausüben, bzw. eine Praxis ausüben können.¹⁸ Und eine (fremde) Antwort sich aneignen ist dementsprechend eine Praxis, eine (fremde) Praxis vom eigenen Standort aus zu wiederholen, eine Praxis für sich zu übernehmen bzw. die
Erst wenn die Antwort über x nicht nur (irgendwie) etabliert, sondern von A in Betrieb genommen ist, hat A eine vollständige kognitive Leistung erbracht. Nämlich so, dass sie zu seinem Vorwissen und Wissen-Wollen passen. Der Ausdruck kann beides bedeuten, eine Disposition zu bestimmten Leistungen und das faktische Erbringen dieser Leistungen. Wir halten uns an die zweite Möglichkeit, weil die erste logisch davon abhängig ist.
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Kompetenz zu dieser Praxis für sich zu erwerben. D. h., der Interpret versteht sein Interpretandum dadurch, dass er für sich die kognitive und semiotische Praxis des Autors von seinem Standort aus versuchsweise wiederholt. Wenn wir die Sache so fassen, dann wird es leichter, das Aneignen,Verstauen, In-Betrieb-Nehmen von Antworten als eine kognitive Leistung (und zwar bezüglich der anzueignenden Antwort selbst) zu verstehen. Denn für Handlungen gilt ja generell folgendes: Wenn A die Handlung H durchführt, dann muss diese für A irgendwie da, hell, bewusst sein.Wenn sie das nicht ist, dann kann sie nicht als A’s Handlung gelten. (Sie kann dann nicht als Resultat seiner Entscheidung gelten, A kann nicht als für sie verantwortlich angesehen werden. Sie kann außerdem nicht als richtig oder falsch gelten.¹⁹ Sie würde sich von einem bloßen Ereignis nicht unterscheiden.) Da, hell oder bewusst für A kann die Handlung H nun auf verschiedene Weisen sein. Es gibt ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten. Die Extreme des Spektrums sind: Einerseits: Die Handlung wird reflexionslos – quasi naiv –, ohne dass A eigens auf sie achtet, durchgeführt. A geht ganz in dieser Handlung auf, gleichwohl ist die Handlung für ihn jedoch da, er ist ihrer – wie man im Deutschen so schön sagen kann – „inne“. Auf Befragen könnte A unmittelbar und mühelos sagen, was er tut. – Andererseits: Die Handlung wird in aller Form durch explizites, klar artikuliertes, eventuell sogar noch durch Kommentare erweitertes Begleitbewusstsein („ich tue hiermit das und das und verhalte mich dabei so und so“) begleitet, d. h. vom Akteur eigens vor sich gebracht, quasi betrachtet. Der Punkt, auf den es ankommt, wird besonders gut sichtbar, wenn wir uns an Sprechhandlungen halten (um die es ja ohnehin hier vor allem geht). Das eine Extrem ist dann: Der Sprecher sagt ohne explizite performative Einleitung: „x verhält sich so und so“ (und bezieht sich so unmittelbar und ohne überhaupt an seine Äußerung zu denken auf x). Das andere Extrem: Der Sprecher erklärt: „Ich behaupte hiermit in aller Form und bin bereit, das Behauptete jederzeit zu verteidigen (d. h. was ich sage, ist kein Witz): x verhält sich so und so“ (und bezieht sich damit in aller Form sowohl auf seine Handlung wie auf x). Die Bewegung zwischen diesen Extremen kann verstanden werden als Verstärkung bzw. Abschwächung der Reflexion auf die Handlung selbst, als Zunahme bzw. Abnahme der expliziten, objektivierenden Berücksichtigung der Handlung selbst neben der Sache. Im zweiten (Extrem‐) Fall haben wir mit einem zweistöckigen Phänomen zu tun, einem Phänomen situiert auf zwei verschiedenen Ebenen, der der Proposition und der der performativen Metakommunikation. Im ersten Fall dagegen
Denn dazu muss H an der Intention von A gemessen werden können.
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handelt es sich um ein einstöckiges Phänomen situiert auf nur einer Ebene. Dass es das zweistöckige Phänomen gibt, ist – so denken wir – unbestritten. Sprechakte haben – wie alle Handlungen – die Normalform, bei der auf zwei Ebenen zugleich agiert wird, auf der Ebene der Propositionen (bzw. der Handlungen selbst) und auf der Metaebene der Metakommunikation (bzw. des (sekundär objektivierenden) Handlungswissens). Wir behaupten aber nun, dass es auch das einstöckige Phänomen geben muss quasi als Limes der Bewegung in Richtung auf selbstvergessenes Aufgehen in der Handlung, d. h. bei Sprechhandlungen ein Sprechen, das seinerseits nicht mehr von einer Metaebene her eigens situiert und deklariert wird und bei normalen Handlungen ein Handeln, das selbst nicht mehr durch ein auf einer anderen Ebene befindliches Wissen von ihm begleitet wird. Das Handeln ist einstöckig in dem Sinne, dass das Wissen des Akteurs von ihm nicht auf einer anderen Ebene liegt als es selbst. Das Handeln ist dann für A nicht dadurch da oder hell, dass er es von außen betrachtet, er auf einer Metaebene über eine Repräsentation davon verfügt. Es ist vielmehr in sich und durch sich hell, es ist hell durch die Durchführung selbst, die Performanz. Der Akteur ist dieser Handlung direkt inne. Die Ebenen fallen zusammen. Es muss dergleichen geben aus zwei Gründen. Zum einen: Wenn das Handeln nur durch eine von ihm verschiedene Repräsentation des Handelns für uns da sein könnte (wobei das Repräsentieren ja selbst ein Handeln ist und zwar genaugenommen gerade dasjenige, für das wir uns hier interessieren), dann würde sich ein Regress ergeben, und es bliebe unverständlich, wie überhaupt unser Handeln für uns da sein könnte.²⁰ Zum anderen: Das zum Normalfall, dem zweistöckigen Handeln/Sprechen zugehörige (sekundär) objektivierende begleitende explizite Wissen vom Handeln („Hiermit tue bzw. sage ich das und das“) liefert nur dann Wissen von subjektiver Praxis als solcher (die sinnvoll oder sinnlos sein kann)²¹, wenn das Handeln vor der (sekundären) Objektivierung schon durch (einstöckiges) Mitmachen/Mitspielen direkt als subjektive Praxis erfahren wurde. Wenn das Handeln für den Handelnden nicht vorweg durch sein (einstöckiges) einfaches Handeln, Mitspielen als sinnvolle subjektive Praxis für ihn schon da, hell, wäre, dann würde sein (sekundär) objektivierender Blick nur
Entsprechendes gilt für das Sprechen: Wenn etwas nur dann sinnvoll gesagt werden könnte, wenn zugleich etwas über dies Sagen gesagt werden würde, d. h. wenn das Gesagte eigens durch einen performativen Satz situiert und als bestimmter Sprechakt deklariert werden würde, dann müsste auch der performative Satz selbst noch performativ als solcher deklariert werden etc. Außerdem: Wenn für alle Vorstellungen gelten soll, dass sie durch das „Ich denke“ begleitet werden können müssen, dann müsste das auch für das „ich denke“ selbst gelten. Es muss also einstöckige Leistungen geben. Und nicht wie bei unserem Akustiker nur Wissen über bloße stumme physische Objekte.
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auf bloße, stumme Objekte/Ereignisse treffen und das normale Handeln qua zweistöckiges Phänomen wäre nicht möglich. Es muss also direktes Innewerden der eigenen Handlung durch das Tun selbst geben. Unser Problem war: Lässt sich das Aneignen, In-Betrieb-Nehmen fremder Antworten, das Wiederholen fremder Praxis als Erkennen der Antwort selbst, als kognitive Leistung verständlich machen? Wir hatten gesehen, dass das Aneignen der Antwort über x klar als (zweiter Teil der) kognitive(n) Bemühung um x verstanden werden kann. Kann es auch als kognitive Bemühung um die Antwort selbst gelten? – Der Grund für die Schwierigkeit, das Aneignen als Erkennen des Angeeigneten zu verstehen, liegt in unserer schwer zu überwindenden Neigung, nur das als Erkennen anzuerkennen, das nach dem Muster des Sehens verstanden werden kann, das zur Theoria–Metapher passt. Danach gehört es zum Erkennen, dass wir das zu Erkennende drüben vor uns haben, dass wir es (irgendwie) sehen können, und uns auf unserer Seite eine Repräsentation von ihm machen, auf es referieren und es mit Prädikaten charakterisieren. Es muss Abstand zum Gegenstand und eine Differenz zwischen Gegenstand und Repräsentation von ihm geben. Beides fehlt beim Aneignen der Antwort selbst bzw. beim Wiederholen der fremden Praxis. Nun hat sich gezeigt. Das Theoria-Modell ist bei Handlungen, vor allem bei eigenen Handlungen ohnehin nicht anwendbar. Das Wissen, das wir von eigenen Handlungen haben, kann so nicht verständlich gemacht werden. Bei eigenen Handlungen muss es vielmehr so etwas wie direktes Innewerden der Handlung durch das Tun selbst geben. Die Performanz selbst muss hier schon die wesentliche kognitive Leistung sein. Nun ist aber In-Betrieb-Nahme, Wiederholung fremder Praxis ebenfalls eine eigene Handlung von A, die für ihn da, in sich hell sein können muss, und dies schon als Extremfall, als einstöckiges Phänomen. Wenn aber das Wiederholen fremder Praxis in sich hell sein muss für A, dann auch die fremde Praxis selbst, die damit wiederholt wird. Es folgt: Das Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Praxis kann als Erkennen der fremden Antwort selbst, als kognitive Leistung gelten. Und dies Aneignen und In-Betrieb-Nehmen der fremden Antwort, das ja zugleich Mitspielen im gemeinsamen Spiel der Kommunikation ist, macht die fremde Handlung als in sich sinnvolle, normativ verfasste Handlung zugänglich, d. h. als etwas, dass dann näher und genauer via sekundäre (und nicht nur primäre) Objektivierung betrachtet werden kann.
1.3.3 Die Rolle der sekundären Objektivierung (zu 3) Wir kommen zum dritten Einwand. Wir haben gerade gesehen, dass sowohl das Geben wie auch das Aneignen einer Antwort als Handlung, als Praxis, beschrieben
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werden können: Wer die Antwort gibt, referiert auf x, schreibt x Prädikate zu, behauptet etwas.Wer die Antwort sich anzueignen versucht, versucht dasselbe zu tun, es zu wiederholen. Handlungen aber sind im Regelfall doch²² zweistöckige Entitäten bestehend aus der Durchführung der Handlung und dem begleitenden Handlungswissen davon (Handlungswissen der Form: „ich tue hiermit das und das.“), aus der Performanz also und dem kognitiven Verhalten dazu. Unser Opponent wird nun vorbringen, dass sich mit alledem die Sache als bedeutend komplexer erweise, als ursprünglich angenommen. Es gehe offenbar normalerweise doch nicht nur um eine Ebene, auf der die Antwort gegeben und angeeignet werden soll, die Antwort müsse zudem auch zum Gegenstand objektiviert, betrachtet und repräsentiert werden können, was eine zweite Ebene erfordere.Wenn aber mehr als eine Ebene erforderlich sei, wenn das objektivierende Betrachten – und damit Wissen über die Antwort – doch eine größere Rolle spiele, was in den verstehenden Geisteswissenschaften ganz klar der Fall sei, dann stelle sich die Frage, wie denn jetzt das Aneignen, ja die ganze Idee, die bisher zentrale Gegenüberstellung: „Verstehen als Aneignen der Antwort“ in Opposition zur Idee: „Verstehen als Erwerb von Wissen über das Interpretandum“, noch zu verstehen sei. Immerhin stehen die involvierten Leistungen: Mitspielen und direktes Aneignen der Antwort einerseits, Betrachten und Wissen Etablieren über sie andererseits, in starker Spannung zueinander: Betrachten des Spiels bzw. der Spielzüge ist zunächst einmal Abbrechen oder mindestens Unterbrechen des Mitspielens. – Was genau geschieht also auf diesen Ebenen? Was genau ist sekundäres Objektivieren? – Um es gleich zu sagen, die Antworten auf diese Bedenken sind zum einen: Das Aneignen findet in solchen Fällen tatsächlich auf zwei Ebenen statt. (i) – Zum anderen: Das sekundär objektivierende Erkennen der Antwort, d. h. der sekundär objektivierende Erwerb von Wissen über die Antwort, läuft am Ende auch auf Aneignung der Antwort selbst hinaus, wird sich als eine Form der Aneignung der Antwort selbst erweisen. (ii) Damit wird die bisherige – einfache – Hauptunterscheidung zwischen den Konzeptionen: Verstehen qua Erwerb von Wissen über das Interpretandum, versus Verstehen qua Aneignen und In-Betrieb-Nehmen der Antwort selbst, jetzt modifiziert zur – komplexeren – Unterscheidung zwischen Verstehen qua Erwerb von – primär objektivierendem – Wissen über das Interpretandum einerseits und dem Verstehen qua direktes bzw. indirektes(!) Aneignen der fremden Antwort selbst, (d. h. qua einfaches Aneignen und/oder qua Aneignen via Erwerb von sekundär objektivierendem Wissen über das Interpretandum) andererseits.
Wie wir gerade gesehen haben, gibt es freilich auch den Grenzfall einstöckigen Aneignens.
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Zu (i) können wir uns kurzfassen. Es ist in der Tat zuzugeben, dass das Geben und Aneignen von Antworten in der Regel auf zwei Ebenen zugleich stattfindet, auf der Ebene der Kommunikation und der der Metakommunikation. Und das heißt, dass in der Regel – in den Geisteswissenschaften eigentlich immer – zwei Haupttypen kognitiver Leistungen auf Seiten des Interpreten im Spiel sind: (a) Das einstöckige direkte Aneignen der fremden Antwort (über das wir gerade gehandelt haben), und (b) der Erwerb von Wissen über die Antwort. Und damit wird zugegeben, dass die Sache komplexer ist, als bisher deklariert.²³ Entscheidend ist jedoch, dass in folgender Hinsicht die Hauptpointe des Bisherigen erhalten bleibt. Diese bestand darin, dass beim Verstehen qua Aneignen der fremden Antwort selbst – anders als bei der normalen Erkenntnis qua Erwerb von Wissen über etwas – der Gegenstand der Bemühung und ihr Resultat auf derselben Ebene liegen. Das heißt: Man kann immer noch sagen, dass der Interpret die Antwort drüben haben will, dass es um das Aneignen der Antwort selbst geht. Allerdings: Wenn jetzt sowohl die Antwort wie auch das Aneignen der Antwort auf zwei Ebenen situiert ist, der der Kommunikation über x und der der Metakommunikation, dann wird jetzt auf zwei Ebenen das Gesagte angeeignet, in Betrieb genommen. Der Interpret lässt sich jetzt auf zwei Ebenen etwas mit-teilen, auf der Ebene der Metakommunikation z. B., dass es sich hier um eine Behauptung von der und der Art handele, auf der Ebene der Kommunikation dagegen, dass sich x so und so verhalte.²⁴ Dabei ist es ist nicht so, dass der Interpret – wie normal
Genaugenommen ist das komplexe kognitive Verhalten des Interpreten zusammengesetzt aus den folgenden Komponenten, nämlich a) dem (primär) objektivierenden Verhalten zum materiellen Unterbau des Interpretandums, b) dem kognitiven Verhalten zur Sache, von der das Interpretandum handelt (bei unserem Dr. Heinrich das für ihn einzige relevante kognitive Verhalten), c) dem direkten (jeweils einstöckigen) aneignenden Wiederholen der fremden Praxis sowohl auf der Ebene der Kommunikation über die Sache wie auch auf der der Metakommunikation und d) dem sekundär objektivierenden (zu einer Repräsentation des Objektivierten führenden) Begleitwissen von der Praxis der Wiederholung und damit zugleich von der wiederholten Praxis (des Autors). Es geht hier offenbar um eine sehr komplexe kognitive Leistung.Wir besprechen hier nur die beiden letzten Komponenten. (Zu (a) kommen wir im nächsten Abschnitt, (b) ist sowohl Teil von (c) wie auch von (d) und wird daher nicht gesondert abgehandelt.) Der Interpret nimmt hier das Interpretandum in Betrieb durch seine eigene für ihn helle komplexe Praxis der Wiederholung, und er erhellt damit zugleich die fremde Praxis in all den Hinsichten, in denen er sie in Betrieb nimmt, in denen er sich bei seiner Wiederholung den Regeln der fremden Praxis fügt, und dies, ohne dass er selbst eine Repräsentation des jeweils (auf einer Ebene) Wiederholten etabliert. – Die für dieses Moment konstitutive kognitive (Teil‐) Leistung wird in der Regel routinemäßig, quasi automatisch durch implizites know how erbracht. Wir haben damit den – oben schon – besprochenen Grenzfall vor uns, bei dem die normalerweise unterschiedenen Ebenen des Handelns und des begleitenden Wissens vom Handeln zusammenfallen.
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üblich – sich mit seinen kognitiven Aktivitäten auf einer anderen, nämlich höheren Ebene als sein jeweiliger „Gegenstand“ bewegt. Freilich ist jetzt auch Wissen über die Antwort im Spiel. Aber dies ist Wissen, das (mindestens zum Teil) zum Interpretandum selbst gehört, Wissen, das der Interpret dem Interpretandum entnimmt. Es ist jedenfalls Wissen auf einer Ebene, die auch vom Interpretandum selbst besetzt ist. Soviel zum – quasi horizontalen – Aneignen auf zwei Ebenen zugleich. Was jetzt noch fehlt ist eine Erörterung der – quasi vertikalen – Beziehungen zwischen dem, was jeweils auf den beiden Ebenen angeeignet wird. Das ist die Frage der sekundären Objektivierung. Zu (ii). Wenn so jeweils auf zwei Ebenen die fremde Antwort angeeignet, die Praxis des Autors wiederholt wird, dann ergeben sich für den Interpreten zugleich Überzeugungen und Hypothesen über sein Interpretandum, über die Antwort, d. h., er kommt dazu, sein Interpretandum zu objektivieren und zu repräsentieren. Denn, was jeweils auf den verschiedenen Ebenen angeeignet wird, verhält sich so zueinander wie Rede über den Gegenstand x (auf der Ebene der Kommunikation) einerseits, zur performativen Deklaration dieser Rede über x (auf der Ebene der Metakommunikation) andererseits, bzw. wie Rede über x zur Rede über Rede über x. Damit aber sind jetzt Überzeugungen, Hypothesen, Wissen über die Antwort wesentlich im Spiel. Und das scheint mit der tragenden Hauptidee des Bisherigen, nämlich das Verstehen eines Textes als Aneignen einer Antwort selbst und nicht dagegen als Erwerb von Wissen über die Antwort zu begreifen, unverträglich zu sein, bzw. mindestens in starker Spannung zu stehen, worauf uns unser Opponent jetzt hinweist. Jedoch bei der Einführung dieser Hauptidee war mit dem Erwerb von Wissen über die Antwort, dem das Aneignen als Alternative entgegengesetzt wurde, das normale kognitive Verhalten zu normalen Erkenntnisgegenständen gemeint, bei dem nämlich das (zu erwerbende) Wissen über ein x, natürlich etwas ganz anderes ist als x selbst, bei dem das Wissen über x (Wissen über Verhältnisse auf der Sonne) von x selbst (den Verhältnissen auf der Sonne) kategorial verschieden ist.²⁵ Und mit diesem Verhalten würden wir in der Tat angesichts eines Textes, der uns Auskunft über die Sache geben soll, unser Ziel nicht erreichen können. Wir müssen also zeigen, dass es neben dem normalen Erwerb von Wissen über x noch
Wenn, wie in der Hermeneutikliteratur üblich, ohne weitere Erläuterung von Hypothesen über den Text die Rede ist, die bei der Interpretation eine Rolle spielen sollen, d. h., ohne Hinweis darauf, dass diese Hypothesen im Sinne sekundär objektivierender Hypothesen verstanden werden sollen, die wesentlich auf kognitiven Leistungen direkter Aneignung der fremden Antworten beruhen (was im Sinne der üblichen Epistemologie ja noch ziemlich exotisch ist), dann muss von einem Verständnis der Hypothesen im üblichen Sinn ausgegangen werden, d. h. im Sinne primär objektivierender realwissenschaftlicher Hypothesen.
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einen zweiten Typ des Erwerbs von Wissen über x gibt, der uns die Antwort, die wir bekommen wollen, nicht notwendig verfehlen lässt. Dies führt uns noch einmal zurück auf die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Objektivierung. Wir reden von primärer Objektivierung,²⁶ wenn folgendes vorliegt: Ein Erkenntnissubjekt A will Wissen mit Bezug auf einen bestimmten Weltausschnitt erwerben. A geht auf diesen Weltausschnitt zu geleitet ausschließlich von einem theoretischen Interesse daran: Es geht ihm nur darum, Wissen mit Bezug auf ihn zu erwerben. Dann erscheint dieser Weltausschnitt für A ausschließlich als Gegenstand, den er betrachten, von dem er Repräsentationen etablieren, über den er Wissen erwerben will, als bloßer (Erkenntnis‐) Gegenstand. Damit aber ist er ein bloßer, stummer Gegenstand. Er kann dann für A nicht selbst nichtnatürliche Bedeutung haben, Sinn- oder Bedeutungsträger sein. Er kann nicht selbst reden, etwas über etwas sein. Reden kann in dieser Konstellation nur das Erkenntnissubjekt, also A. D. h., wenn A sich mit etwas im Modus primärer Objektivierung kognitiv auseinandersetzt, dann erhält dieses damit den Status eines bloß stummen Objekts. Bei alledem ist das Entscheidende dasjenige, das dem bloß theoretischen Betrachten, Untersuchen fehlt. Wenn A x nur betrachtet, er nicht mitspielt z. B. im Spiel der Kommunikation, von dem x ja Teil sein könnte, er x nicht als Spielzug behandelt und verwendet (was freilich mehr und anderes ist als bloßes Betrachten), er sich in diesem Sinne nicht auf x als Spielzug eigens einlässt (sich verweisen lässt etc.), dann kann x nicht anders als ein bloßes, stummes Objekt zur Erscheinung kommen. – Kognitives Verhalten im Modus primärer Objektivierung passt natürlich am besten zu Weltausschnitten, die nichts Anderes enthalten als bloße, stumme Objekte. Dafür ist es gemacht. Hier kann es das zu Erkennende im Prinzip unverfälscht und unverkürzt zur Erscheinung bringen. Es kann aber auch ins Spiel gebracht werden angesichts von solchem, das von Hause aus nicht bloßes, stummes Objekt ist, sondern z. B. Rede oder Text über etwas. Das ist unproblematisch, wenn es eigens und reflektiert eingesetzt wird, um nur bestimmte Aspekte dieser Phänomene zugänglich zu machen (wie z. B. bei unserem Akustiker oben). Problematisch wird es freilich, wenn über dieses Verhalten (bzw. über Varianten davon) das Ganze derartiger Phänomene erfasst werden soll. Hier gilt: (i) Es kann nur Wissen über x, das qualitativ oder kategorial verschieden ist von x selbst etabliert werden.²⁷ Die Ebene der Antwort selbst wird damit verfehlt. (ii) Es ist unmöglich mit diesem Vorgehen x qua Äußerung (mit nichtna-
Primär objektivierendes kognitives Verhalten ist der normale, in der Regel sogar ausschließlich behandelte Gegenstand der Epistemologie. Wie das Wissen, das der Akustiker über die Äußerung x erwirbt.
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türlicher Bedeutung), qua Gedanke über etwas, qua normativ verfasste subjektive Vernunftpraxis zugänglich zu machen. Und das heißt, das normale kognitive Verhalten ist hier ungeeignet. Sekundär objektivierendes kognitives Verhalten ist objektivierendes kognitives Verhalten zu solchem, was von Hause aus nicht Objekt oder Erkenntnisgegenstand für uns ist, sondern das vielmehr auf die Seite unserer subjektiven Erkenntnis- und Redepraxis gehört, mit deren Hilfe wir uns Gegenstände allererst zu Erscheinung bringen und uns über sie verständigen (Gedanken, Urteile, Sätze, Sprechakte, Äußerungen Texte etc.). Diese Entitäten sind zunächst einmal nicht Bestandteile unserer Umwelt, die wir distanziert betrachten, untersuchen, über die wir Wissen zu gewinnen versuchen. Sie sind vielmehr dasjenige, was wir bei unserer kognitiven Auseinandersetzung mit unserer Umwelt als Mittel in Anspruch nehmen müssen und worauf wir uns in der Regel stillschweigend verlassen. Das aber heißt, dass diese Entitäten für uns primär nicht über distanzierendes theoretisches Wissen von ihnen vertraut sind, sondern per Handlungswissen. Sie sind uns primär gegeben als das, was wir tun, was wir bei unserem Erkennen von etwas bzw. Reden über etwas in Betrieb und in Anspruch nehmen und wovon wir wissen können müssen, z. B., um es organisieren und kontrollieren zu können oder um für es Verantwortung übernehmen zu können. Handlungswissen ist kein theoretisches Wissen, das nachträglich über bereits bestehende Entitäten gewonnen wird. Es ist vielmehr konstitutiv für die Handlungen, zu denen es gehört. Handlungssätze wie z. B.: „Ich gehe hiermit spazieren,“ machen ja aus bloßen Ereignissen (Körperbewegungen des Akteurs) allererst Handlungen, sie organisieren sie allererst zu bestimmten Handlungen. Weil das Handlungswissen konstitutiv für die Handlungen/Leistungen ist, weil es sozusagen den intelligiblen Kern der jeweiligen Leistung bildet, kann es (i) die Handlung/Leistung punktgenau (oder essentialistisch) nämlich genau so, wie sie gemeint ist, treffen. Und es kann (ii) alle relevanten Aspekte dieser Handlungen/ Leistungen zugänglich machen, insbesondere auch auf die für die übliche Epistemologie sperrigen exotischen Eigenschaften subjektiver Rede- und Erkenntnispraxis, nämlich dass es sich hier um normativ verfasste Entitäten mit nichtnatürlicher Bedeutung handelt. Dies Wissen, bzw. das entsprechende kognitive Verhalten ist Wissen und Verhalten aus der Position und Einstellung des Akteurs selbst, der an seiner bestimmten Handlung, dem Erfolg und den Folgen von ihr, ein praktisches Interesse hat. Ja, es ist nicht nur kognitives Verhalten aus einer bestimmten Perspektive (der des Handelnden, nicht dagegen der des außenstehenden Beobachters), sondern es ist kognitives Verhalten und das jeweils bestimmte Handeln in einem, es ist Erkennen und In-Betrieb-Nehmen bzw. Durchführen der Handlung zugleich. Es ist
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daran gebunden, dass das Erkennen mit dem Handeln zusammengeht, eine Einheit bildet.²⁸ Weil hier zum kognitiven Verhalten zur Handlung bzw. Leistung²⁹ – anders als beim theoretischen Betrachten derselben – das Durchführen, In Betrieb Nehmen der Handlung/Leistung selbst wesentlich gehört, kommt die Handlung/Leistung auf diesem Wege für den Handelnden optimal und vollständig (auch in den epistemologisch exotischen Details) zur Erscheinung. Der Handelnde hat hier insofern einen privilegierten Zugang zu seiner Handlung. Nun ist aber dies ans Handeln gebundene, das Handeln ermöglichende, Wissen noch nicht notwendig auch schon objektivierendes Wissen (an dem wir hier interessiert sind, es geht uns ja um sekundär objektivierendes Wissen). Damit kommen wir an einen schwierigen Punkt. Der Handelnde organisiert mit diesem Wissen seine Handlung, er führt sie durch, aber er betrachtet sie nicht notwendig dabei. Eine von der Performanz verschiedene, davon ablösbare Deskription von ihr gehört hier nicht notwendig dazu. – Dieser Punkt wird gut sichtbar, wenn wir den üblichen, von unserer Grammatik vorgesehenen Ausdruck dieses Wissen etwas näher betrachten: Man bezeichnet das Handlungswissen des Akteurs von seiner Handlung/Leistung auch als „performatives Wissen“, und „performative Sätze“ heißen die grammatikalischen Strukturen, in denen dieses Wissen im Standardfall ausgedrückt wird („ich behaupte hiermit, x verhält sich so und so“, „ich denke hiermit, x verhält sich so und so“). Mit dem performativen Satz aber wird die Handlung nicht beschrieben, sondern gerade durchgeführt. Der performative Satz ist keine Deskription der Handlung. Seine Äußerung gehört vielmehr
X als Zeichen Erkennen, sich zu x als einem Zeichen Verhalten, heißt nicht, x bloß Betrachten und entsprechende Hypothesen über x Entwerfen. Es heißt vielmehr, x als Zeichen, das auf y verweist, in Betrieb Nehmen, d. h., x gerade nicht nur Betrachten und Fokussieren, sondern nur Mitwahrnehmen, an x entlang Sehen und sich so von x auf y verweisen Lassen. – X als Text über y Erkennen, sich zu x als Text über y kognitiv Verhalten, heißt ebenfalls nicht, x als Gegenstand Fokussieren und Hypothesen über x Entwerfen, es heißt vielmehr x als Text über y in Betrieb Nehmen, den Text selbst nur Mitwahrnehmen und sich dabei über die vielfältigen in ihm enthaltenen Verweisungszusammenhänge (referieren, prädizieren, behaupten, Geltungsansprüche erheben etc.) auf die Sache y führen Lassen. – Den Text x als normativ verfasst Erkennen, heißt nicht, x als bloßen Gegenstand Fokussieren und Hypothesen über x Entwerfen, sondern die im Text enthaltenen Standards für Richtigkeit (welcher Art immer) dem Text Entnehmen und sie als Maßstäbe den verschiedenen Momenten des Textes Anlegen und dann im Vergleich die Entsprechung oder Nichtentsprechung Feststellen. – Das Wissen von, bzw. das kognitive Verhalten zu den Handlungen bzw. Leistungen als solchen wird hier nur möglich, weil das kognitive Subjekt sich nicht beschränkt auf bloßes Erkennen, sondern vieles zusätzlich tut und sich damit in ganz anderer Weise als ein bloßer Betrachter auf seinen „Gegenstand“ einlässt. Wir erinnern: Es handelt sich um Handlungen/Leistungen, die ihrerseits zu den kognitiven und sprachlichen Handlungen/Leistungen zählen.
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zur Handlung selbst. Insofern wird die Handlung einerseits nicht schon als Objekt betrachtet und behandelt, d. h. objektiviert. Andererseits gibt es hier aber doch schon eine gewisse Nähe zur Objektivierung. Immerhin wird in performativen Sätzen eigens artikuliert, um was für eine Handlung/Leistung es sich jeweils handelt. Und diese Artikulation kann mehr oder weniger explizit und betont³⁰ und mehr oder weniger ausführlich³¹ sein. Dabei gilt: Je expliziter, betonter und ausführlicher die Artikulation jeweils ausfällt, desto stärker wird das Moment der Objektivierung. Und es gibt zweitens mindestens deskriptive Momente, eine gewisse deskriptive Kraft, im performativen Satz. Diese stammt aus der mit dem performativen Satz („ich behaupte hiermit, x verhält sich so und so“) von Anfang an gegebenen grammatischen Möglichkeit der (den semantischen Sinn konservierenden) Abwandlung ³² desselben in deskriptive Behauptungen („ich habe behauptet, x verhält sich so und so,“ „Du behauptest, x verhält sich so und so“), einer Möglichkeit, die natürlich immer präsent ist im Verständnis des performativen Satzes. Soweit zum performativen Handlungswissen (bzw. zum entsprechenden kognitiven Verhalten des Akteurs zu seiner Handlung), das einerseits – anders als das primär objektivierende Wissen/Verhalten – (i) die Handlung selbst qua Handlung, qua normativ verfasste subjektive Praxis, zugänglich machen kann, ja sie (ii) sogar essentialistisch treffen³³ kann, und dabei (iii) insbesondere auch fertigwerden kann mit den exotischen Eigenschaften unserer Erkenntnis- bzw. Redepraxis, das aber andererseits selbst (iv) noch nicht wirklich schon eindeutig objektivierendes Wissen über x ist (objektivierende Repräsentation von x bereit stellt)³⁴ und das (v) qua klar intrasubjektive kognitive Leistung als solche noch nicht zuständig ist für die intersubjektiven Verhältnisse, mit denen zu tun hat, wer eine fremde Antwort verstehen/aneignen will.
Man kann unterscheiden zwischen einer Schwundstufe, bei der der performative Ausdruck ganz entfällt, einer mittleren Stufe, bei der performative Ausdruck nur als unauffällig bleibendes Hilfsmittel zur Situierung des propositionalen Gehaltes ins Spiel kommt und einer Extremform, bei der der performative Ausdruck zur Hauptsache wird. Das Spektrum reicht von der schon genannten Schwundstufe über einfache performative Sätze bis hin zu reich kommentierten erweiterten Formen solcher Ausdrücke. Vgl. Öfsti (1994). In dem Sinn, dass die in der Handlung selbst schon involvierten Begriffe genau getroffen werden. Beim primären Objektivieren gibt es Begriffe überhaupt nur auf der Seite des kognitiven Subjekts. Wir sind damit noch gar nicht zu wirklich objektivierendem Wissen über die Antwort und damit zu dem Problem der zwei Ebenen gekommen. Wir sind über das einstöckige Aneignen © noch nicht hinaus.
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Gleichwohl ist das Handlungswissen für uns von großer Bedeutung, weil es die Basis für das von uns zu explizierende genuin sekundär objektivierende Verhalten zu Interpretanda ist. Es kann insofern als dessen Basis gelten, als es eigens auf die schon erwähnten Abwandlungsmöglichkeiten hin zugeschnitten ist. Es ist ja grammatisch von Anfang an vorgesehen, dass das performative Handlungswissen: „Ich behaupte hiermit: x verhält sich so und so“ den (den Sinn konservierenden) problemlosen Übergang zum deskriptiven und insofern objektivierenden Wissen: „Ich habe gerade behauptet: x verhält sich so und so,“ bzw. zu „Du hast (er hat) behauptet: x verhält sich so und so,“ erlaubt. Vorgesehen ist damit a) dass es auch einen die Sache nicht verfälschenden deskriptiven Zugang zu Antworten geben kann und b) dass auch andere als der jeweils aktuell Handelnde³⁵ an dem Zugang zur Handlung/Leistung per Handlungswissen beteiligt werden können, d. h. dass die Position und Einstellung des Spielers der sich als Spieler kognitiv auf sein Spiel (bzw. dessen verschiedene Momente) bezieht, geteilt werden können. Spiel und Spielzüge sind nicht nur meine, von denen ich per Handlungswissen weiß, sie sind zugleich auch unsere, von denen wir per direktes und/oder abgewandeltes Handlungswissen wissen. Die Beschränkung auf intrasubjektive Verhältnisse wird damit aufgehoben. Abgewandeltes Handlungswissen ist objektivierendes deskriptives Wissen, sekundär objektivierendes Wissen, das gleichwohl die wichtigsten Vorzüge des nicht-objektivierenden Handlungswissens qua kognitiver Zugang zur Handlung/Leistung bewahrt: Es kann normativ verfasste subjektive Praxis als solche zugänglich machen, es kann sie essentialistisch „treffen“, und es kann mit ihren exotischen Eigenschaften angemessen fertig werden. Der Hauptpunkt ist freilich der folgende: Nach dem, was wir in dieser Abhandlung zuerst vorgetragen haben, hat der Autor die Antwort, wenn er denkt/ äußert: „X verhält sich so und so.“ Der an der Sache (x) interessierte, sich kognitiv um das Interpretandum bemühende Interpret will nichts über die Antwort wissen, sondern diese selbst. Er will diese Antwort selbst haben. Er eignet sie sich direkt an und hat sie dann ebenfalls: „X verhält sich so und so.“ – Der Autor hat die Antwort aber auch, wenn er denkt/sagt: „Ich behaupte hiermit, x verhält sich so und so.“ Er sagt/denkt damit zugleich etwas über die Antwort, aber zweifellos hat er sie damit auch und sagt sie. Das heißt, das Handlungswissen des Autors enthält die Antwort, das, was anzueignen ist durch den Interpreten. Der Interpret, der über den sekundär objektivierenden kognitiven Zugang zum Interpretandum, zum abgewandelten Handlungswissen davon kommt, der also am Ende sagt: „Du behauptest also, x verhält sich so und so,“ kommt damit nicht nur zu sekundär
D. h. der Akteur selbst in späteren Phasen und andere Personen.
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objektivierendem Wissen über die Antwort, er erhält zugleich auch die Antwort selbst, und zwar genau so, wie er sie als an der Sache (x) interessierter Mitspieler haben will. Das bedeutet, dass über das sekundär objektivierende abgewandelte Handlungswissen vom Interpretandum, die Antwort selbst angeeignet werden kann. Dieser kognitive Zugang liefert nicht nur Wissen über die Antwort, er ermöglicht die Aneignung der Antwort selbst. Und daher stehen die Zweistöckigkeit der kognitiven Leistung des Interpreten und die wesentliche Rolle, die das Wissen über das Interpretandum dabei spielt, nicht im Widerspruch zu der ursprünglichen Idee vom Verstehen qua Aneignen. Es gibt also für einen Interpreten zwei verschiedene – freilich miteinander zusammenhängende – kognitive Zugänge zur Antwort, die es möglich machen, dass der Interpret sich durch die Antwort etwas über die Sache sagen lässt, d. h. das Interpretandum spielgerecht kognitiv behandelt: Der eine führt über das direkte Aneignen der Antwort durch den Interpreten aus der Position und Einstellung des – selbstvergessen ganz im Spiel aufgehenden – Mitspielers; der andere führt über das Betrachten des Interpretandums und den Erwerb von Wissen über es, über das indirekte Aneignen der Antwort, was freilich aus der Position und Einstellung eines Mitspielers geschieht, der nicht vollständig im Spiel aufgeht, sondern der zugleich das Spiel und die Spielzüge partiell distanziert und betrachtet.³⁶ Beide Zugänge und die Möglichkeit, zwischen ihnen (und den dazu gehörigen Positionen und Einstellungen des Interpreten) zu wechseln, hin und her zugehen, werden in unserem Strukturmodell vom hermeneutischen Verstehen eine wichtige Rolle spielen. In dem gewonnenen Ergebnis steckt außerdem das Folgende: Hypothesen des Interpreten, die auf das abgewandelte Handlungswissen zurückgehen, sind keine normalen Hypothesen in dem Sinn, dass sie zu ihrem „Gegenstand“ nur das Verhältnis von Hypothesen über ihn haben, sie enthalten ihn (die Antwort) zugleich. Damit kann dem hier möglichen Einwand begegnet werden, welcher besagt: Warum soviel Aufhebens um das Aneignen, wenn am Ende doch herauskommt, dass das normale kognitive Vorgehen, nämlich der Erwerb von Hypothesen über das Interpretandum, ein sehr vernünftiges Vorgehen des Interpreten sein kann? Worauf es ankommt, ist, zu sehen: Wir sind gar nicht auf das normale kognitive
Der Blick des Interpreten ist hier vergleichbar nicht dem Blick desjenigen, der vertikal durch ein Fensterglas sehend nur die ihn interessierende Sache fokussiert, das Glas dabei ohne Bewusstsein davon nur als Medium in Anspruch nimmt; auch nicht dem Blick desjenigen, der nur das Medium selbst von der Seite her theoretisch untersucht, dabei nicht durch das Medium hindurch auf die Sache blickt; er ist vergleichbar dem „schrägen“ Blick desjenigen, der einerseits durch das Medium hindurch die Sache betrachtet, zugleich aber dabei auch das Medium selbst (z. B. sich dabei an Unregelmäßigkeiten im Glas haltend) eigens wahrnimmt.
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Verhalten zu Objekten zurückgekommen, sondern auf etwas ganz Anderes, nämlich auf etwas Drittes zwischen dem normalem kognitiven Verhalten und dem Aneignen, eben auf das sekundär objektivierende kognitive Verhalten zu Interpretanda. Durch diese dritte Möglichkeit wird freilich unmissverständlich klargemacht, dass das direkte Aneignen und In-Betrieb-Nehmen des Interpretandums qua Antwort beim hermeneutischen Verstehen das entscheidende Moment ist, ein Moment, das auf nichts anderes zu reduzieren ist. Nach alledem liegt unsere Hauptunterscheidung – wie angekündigt – nun etwas anders als vorher. Ging es vorher um die Differenz zwischen dem – distanzierenden – Betrachten eines Gegenstands und dem Erwerb von Wissen über ihn einerseits und dem – teilnehmenden – Mitspielen im Spiel der Kommunikation und dem direkten Aneignen der fremden Antwort andererseits, so liegt der Schnitt jetzt zwischen der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation (dem Betrachten eines Gegenstands und dem Erwerb von primär objektivierendem Wissen darüber) einerseits und der Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation (dem vollständigen oder partiellen Mitspielen im Spiel der Kommunikation und dem direkten oder indirekten (via sekundär objektivierendes Vorgehen) Aneignen der fremden Antwort. Zum Schluss noch ein Wort zur Frage der bei diesen Leistungen jeweils involvierten Ebenen. Hier sind nach dem Bisherigen Missverständnisse möglich. – Wir waren ausgegangen von – wie es schien – einfachen und klaren Unterscheidungen zwischen Kommunikation und Metakommunikation, wir hatten Sprechakte (mit propositional-performativer Doppelstruktur) auf beiden Ebenen angesiedelt, und wir hatten zwischen Miteinander- und Übereinander-Reden unterschieden. Jetzt ist die Sache komplizierter und unübersichtlicher geworden. An zwei Stellen werden die Komplikationen besonders auffällig: einmal bei der Zuordnung der Ebenen zu den normalen Sprechakten (mit performativ-propositionaler Doppelstruktur) (a), zum anderen bei dem gerade besprochenen Aneignen von Äußerungen auf zwei Ebenen zugleich (b). Zu (a): Wenn wir einen Sprechakt vor uns haben wie: „Ich behaupte hiermit, x verhält sich so und so,“ dann scheinen einerseits zunächst klar zwei Ebenen involviert zu sein: Einmal die der Proposition, auf der über x geredet wird, die der Kommunikation über die Sache x, und zum anderen die des performativen Satzes, auf der über die Rede über x geredet wird, die der Metakommunikation. – Inzwischen haben wir gesehen: Erstens: Der performative Teil eines Sprechaktes kann mehr oder weniger stark ins Spiel kommen. Er kann mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger betont, mehr oder weniger ausführlich (kommentiert oder nicht kommentiert) ins Spiel kommen. Es gibt hier eine Vollform, aber auch eine Schwundstufe und dazwischen ein Kontinuum. Zweitens: Wir müssen – wie gerade erörtert – auch mit einstöckigen Leistungen rechnen, d. h., mit Leistungen,
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z. B. Sprechakten, bei denen sich die zwei Ebenen im Extremfall (als Limes) zu einer Ebene zusammenziehen. – Wenn wir nun von einem Kontinuum zwischen der Vollform und der Schwundstufe des performativen Teils ausgehen müssen, dann gehören performative Sätze (z. B. wenn sie ganz unbetont als bloße Floskeln ins Spiel gebracht werden³⁷) nicht mehr notwendig ausnahmslos auf die Stufe der Metakommunikation, sondern sollten zum Teil eher der Ebene der Kommunikation zugeschlagen werden. So kommen wir zu einstöckigen Leistungen. Zu (b) Der Autor sagt: „Ich behaupte hiermit, x verhält sich so und so.“ Der Interpret eignet sich das auf zwei Ebenen an: (i) „Du behauptest etwas“ (ii) nämlich: x verhält sich so und so.“ Man könnte jetzt darauf hinweisen, dass bei diesem Aneignungsversuch aus dem performativen Satz des Autors: „ich behaupte hiermit…“ ein deskriptiver (seinerseits explizit oder implizit performativ eingeleiteter) Satz des Interpreten wird: „(Ich sage hiermit): Du behauptest …,“ der damit auf einer anderen Ebene zu liegen kommt als der ursprünglich performative Satz. Um Aneignung im strengen Sinne handle es sich daher nicht, weil der Status des Angeeigneten nicht mit übernommen werde. – Dazu ist zu sagen, dass der Satz zwar nicht die grammatische Form eines performativen Satzes hat, aber gleichwohl noch die Funktion eines Bestandteils der Metakommunikation, die erforderlich ist, um die Kommunikation zu ermöglichen. D. h. es handelt sich hier nicht um eine eigenständige theoretische Aussage über das Interpretandum, sondern um eine für die praktische In-Betrieb-Nahme der fremden Äußerung notwendige metakommunikative Bemerkung. Offenbar kommen hier zwei verschiedene Gesichtspunkte für die Einstufung der Ebenen in Frage: Einmal ein rein formaler grammatischer. Dann geht es vor allem darum, worüber jeweils geredet wird, d. h., von wo (welcher Ebene) aus wird auf was (auf welcher Ebene) referiert. Zum anderen ein Gesichtspunkt, bei dem vor allem die materialen Ziele und Absichten der an der Kommunikation Beteiligten zählen. Im Sinne dieser Ziele und Absichten können die Beteiligten die grammatischen Strukturen auf ganz verschiedene Weisen in Dienst nehmen. So kann es unter Umständen dazu kommen, dass das, was nach der Grammatik aussieht wie reine Metakommunikation³⁸, in Wahrheit für die Beteiligten nichts als intensive Kommunikation über die Sache ist. Die Beteiligten wollen hier weder
Vgl. den folgenden Dialog: A: „X verhält sich so und so.“ B: „Nein, x verhält sich nicht so, wie Du sagst.“ A: „Doch, ich sage, x muss sich aus den und den Gründen so verhalten.“ B: „Es kann nicht sein, dass sich x so verhält.“ Beispiel: A: „ich behaupte in aller Form: X verhält sich so und so.“ B: „Nein, Deine Behauptung ist falsch. X verhält sich nicht so.“ A: „Ich behaupte dennoch in aller Form – dies ist kein Witz -: X verhält sich so und so.“ B: „Nein, x kann sich aus den und den Gründen gar nicht so verhalten.“
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über ihre Sprechakte noch übereinander reden, sie reden vielmehr sehr intensiv miteinander über die Sache. Das Umgekehrte ist aber auch möglich: Was aussieht wie reine Kommunikation über die Sache, kann in Wahrheit ein Prüfungsgespräch sein, bei dem es mindestens einem Beteiligten gar nicht primär um die Sache, sondern um Betrachtung und Beurteilung der Äußerungen seines Gegenübers geht. – Es kann sich also ergeben, dass die Ebenen je nach Gesichtspunkt sich gegeneinander verschieben, derart dass die Frage der Ebenen, die ja für unsere Konzeption von Bedeutung ist, je nach dem, etwas großzügiger behandelt werden kann.³⁹ Dass das mit unserer Idee: Verstehen als Aneignen der fremden Antwort, kompatibel ist, hängt damit zusammen, dass sich herausgestellt hat: Der Interpret kann die fremde Antwort sowohl durch direktes Aneignen erhalten wie auch durch den Erwerb von (sekundär objektivierendem) Wissen über sie.
1.3.4 Ebenen der Aneignung (zu 4) Ein weiteres hier wichtiges Problem kann artikuliert werden als die Frage: Wie soll man sich im Einzelnen das Aneignen einer fremden Antwort selbst, das direkte Fassen eines fremden Gedankens, der in einem physisch-materiellen Substrat realisiert ist, denken? – Wie man zu (primär objektivierendem) Wissen über fremde Äußerungen kommen und wie man eigene Gedanken fassen und in Betrieb nehmen kann, scheint unschwer verstehbar zu sein, aber wie man eine fremde an ein materielles Substrat gebundene Antwort selbst fassen kann, wie der fremde (vielleicht in Stein gemeißelte) Gedanke, die Antwort da drüben, herüber zu mir kommen, mein eigen werden kann, kann immer noch als rätselhaft angesehen werden. – Wir hatten oben⁴⁰ das Argument gebracht: Wenn wir nicht so etwas wie
Nach rein grammatischen Gesichtspunkten würden wir unterscheiden zwischen der Ebene der Propositionen über die Sache (1), der der performativen Sätze (2), der der (z. B. deskriptiven) sekundär objektivierenden Aussagen über Sprechakte (bzw. deren Bestandteile) (3) etc. – Halten wir uns an das – von den tatsächlichen Zielen und Absichten abhängige – Selbstverständnis der Kommunikationsteilnehmer, dann liegt eher eine Unterscheidung nahe zwischen den Ebenen (i) für die Kommunikation über Sachen ohne besondere (hilfsweise) Metakommunikation (was unbetonten und bloß floskelhaften Gebrauch performativer Sätze einschließen kann), (ii) für die hilfsweise zur Kommunikation ins Spiel kommende (das Mitspielen ermöglichende) explizite Metakommunikation (was unbetonten Gebrauch deskriptiver sekundär objektivierender Aussagen über Sprechakte einschließen kann), (iii) für sekundär objektivierende Kommunikation über Kommunikation und Kommunikationsteilnehmer zu Zwecken z. B. einer Theorie der Kommunikation und (iv) für die primär objektivierende Untersuchung von Äußerungen. S. 15
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das direkte Fassen fremder Antworten als möglich unterstellen, dann müssten wir (befremdlicherweise) fremde Antworten als bloße Stimuli ansehen, uns selbst die gewünschten Antworten zu geben. Auch dies Argument muss jetzt etwas näher betrachtet werden. Wir rekonstruieren den Verstehensprozess im Hinblick auf diesen Aspekt ausgehend von einer Situation, in der der Interpret A sich zunächst mit einem Komplex (x) bloß physischer Phänomene konfrontiert sieht, der sich dann freilich als verstehbares Interpretandum herausstellen könnte. Folgende Schritte lassen sich hier unterscheiden: – A nimmt zunächst (x) drüben als bloß physische Entität wahr. Daher kommt zunächst nur primär-objektivierendes Betrachten und die Bemühung um Wissen über die genaue Beschaffenheit von x in Frage. Dass hier x selbst, bzw. etwas von x selbst, durch ihn angeeignet oder übernommen werden könnte, liegt noch ganz außerhalb des Möglichen. – A kommt dann auf die Idee, x könnte nichtnatürliche Bedeutung haben, ein Kommunikationsversuch, ein Text über etwas sein. – A ändert daraufhin seine Einstellung zu x. Er versucht jetzt, x zu betrachten als etwas, das auf einem höheren (als dem bloß physikalischem) Integrationsniveau organisiert sein könnte, z. B. als Artefakt, Zeichengebilde, als Ausdruck von etwas. Zugleich behandelt A x nicht mehr nur als zu untersuchenden theoretischen Gegenstand. Er versucht vielmehr, sich zu x zu verhalten als zu einem (auch an ihn gerichteten) Kommunikationsversuch, einem Spielzug im Spiel der Kommunikation. Er versucht, x zu behandeln als etwas, das ihm vielleicht etwas über etwas sagen oder mit-teilen könnte. Er versucht, sich durch x etwas sagen zu lassen. – Freilich kann bisher von tatsächlichem Aneignen bzw. Integrieren von x selbst (oder von Teilen von x) noch keine Rede sein. Bisher ist x nur etwas, das drüben vor A liegt, und die bis jetzt involvierten Gedanken auf seiner Seite stammen noch alle von ihm. – Wenn A jedoch die Einstellungsänderung vollzogen hat, dann setzt er (versuchsweise) voraus, dass x sich auf etwas bezieht, auf etwas referiert, dass x etwas über etwas aussagt. Das heißt genauer, (a) A unterstellt (und geht im Weiteren von dieser Unterstellung aus): X enthalte den Gedanken: „Ich (der Sprecher oder Autor von x) sage hiermit das und das über y“ (z. B.: behaupte das und das als wahr über y“). Und zugleich (b) verhält er sich zu diesem Gedanken als Angeredeter, als Mitspieler (nicht als Betrachter). Das aber heißt unter anderem: Er lässt sich das Gesagte (das als gesagt Unterstellte) sagen, er hat sich diesen fremden Gedanken (der freilich noch nicht sonderlich informativ ist) schon angeeignet, ihn selbst gefasst. (Der Gedanke ist fremd, weil er als Basis des zu eruierenden konkreten Inhalts des fremden Textes, d. h. als wesentlicher Bestandteil des Textes drüben unterstellt werden
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muss,⁴¹ er gehört zu diesem Text. Er ist aber zugleich auch etwas, das dem Autor und dem Interpreten A gemeinsam ist, er ist Basis des gemeinsamen Spiels und ist damit auch schon Eigentum von A. A selbst hat ja die entsprechende Unterstellung gemacht, und A lässt ihn sich vom Autor sagen.) Damit aber ist die Brücke in einem gewissen Sinn schon geschlagen: A steht schon mitten in dem Prozess der Aneignung der fremden Antwort: den erwähnten formalen Teil davon hat er sich schon angeeignet. Allerdings bezieht sich die Aneignung bisher nur auf die von ihm gemachte Unterstellung. Mit dem konkreten, empirisch gegebenen Inhalt des Interpretandums, den A der besonderen Form und Struktur des materiellen Objekts da drüben entnehmen soll, hat er noch nicht zu tun. Mit dieser allgemeinen Unterstellung, mit diesem formalen lückenhaften Vorverständnis von x als Interpretandum („Du (der Autor) sagst mit diesem Text das und das über y“) hat A zugleich so etwas wie einen Rahmengedanken etabliert und sich angeeignet, der im weiteren Verstehensprozess mit den konkreten Inhalten des Interpretandums passend auszufüllen und selbst noch genauer zu spezifizieren ist. D. h. das weitere Procedere, in dem es dann wesentlich um Aneignung und Einfügung der konkreten Inhalte in diesen Rahmen geht, ist damit festgelegt. Die daran anschließenden Schritte gelten nun dem Versuch, an die konkreten Inhalte des Interpretandums heranzukommen, sie der besonderen empirisch gegebenen Gestalt des Interpretandums zu entnehmen und sie dem Rahmen einzufügen, sie zu testen und gegebenenfalls zu korrigieren. Es geht darum, den Gehalt der einzelnen Teile des Interpretandums zu ermitteln und die Form des Ganzen zu konkretisieren.
Hier ist es von großer Bedeutung, zu sehen, dass Interpretanda, wie z. B. Texte, Entitäten von hoher Komplexität sind. Sie sind es in verschiedenen Hinsichten, vor allem aber – das ist hier das Wichtigste – sie sind Entitäten, die auf verschiedenen Ebenen bzw. Integrationsniveaus zugleich realisiert sind, denen auf Seiten des Interpreten, der sich mit dem Text auseinandersetzt, verschiedene Arten kognitiven Verhaltens entsprechen. Man könnte z. B. folgende Ebenen und entsprechend auch Interpretationsschritte unterscheiden⁴²:
Etwas Derartiges muss – wie schon gesagt – sogar in der extremen Situation der radical interpretation unterstellt werden, ohne sie hat man keine Chance überhaupt irgendetwas zu verstehen. Das Folgende ist nur eine grobe vorläufige Skizze, bei der weder die genaue Bestimmung der einzelnen Ebenen noch deren genaue Zahl wichtig ist. Es geht nur darum, zu zeigen, wie überhaupt ein Interpret ausgehend von einem Zustand, in dem er mit dem Interpretandum zunächst
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(i) Auf der ersten Ebene ist der Text nur ein physisches Objekt organisiert nach Gesetzen der Physik. Der Interpret muss wissen, welche genaue Form die Konfigurationen aus Druckerschwärze haben, aus denen sein Text besteht, er betrachtet diese und versucht, in primär-objektivierender Weise zu Hypothesen, zu Wissen darüber zu kommen. (ii) Auf einer zweiten Ebene ist der Text schon sprachliches Objekt bestehend aus Elementen, die zusammengesetzt Satzteile, bzw. Wörter ergeben können. Der Interpret muss diese Elemente (Buchstaben bzw. Phoneme) identifizieren können, damit er – auf der nächsten Ebene – mit Satzteilen bzw. Wörtern zu tun haben kann. Der Interpret betrachtet diese und versucht in (stark) objektivierender Untersuchung zu Hypothesen und Wissen über diese zu kommen. (Es geht hier schon um sekundär-objektivierendes Erkennen, weil dieses sich auf Entitäten richtet, die betrachtet werden als verantwortlich für Bedeutungsunterschiede von Sprachzeichen. Mit dergleichen aber kann man nur kognitiv zu tun haben, wenn man es zugleich – anders als es ein Akustiker tut – als etwas behandelt, das einen Unterschied in der Bedeutung von Wörtern oder Sätzen machen kann.) (iii) Auf einer dritten Ebene hat der Interpret mit Satzteilen oder Wörtern zu tun, die er identifizieren und verstehen muss, wenn er die Sätze über etwas, aus denen sie bestehen, verstehen will. Er betrachtet/untersucht diese, verwendet dabei die auf der vorigen Ebene identifizierten Buchstaben oder Phoneme, und versucht per objektivierende Hypothesen herauszubekommen, mit welchen Wörtern er es zu tun hat und (z. B. mit Hilfe von Wörterbüchern) was ihre Bedeutung ist. Er kommt zu Überzeugungen wie: „Diese Konfiguration drückt das Wort „Bank“ aus, das Wort „Bank“ bedeutet im Deutschen das und das.“ Er tut das alles (anders als unser Akustiker) in sekundär-objektivierender Weise, weil er nur dann mit bedeutungstragenden Wörtern zu tun hat, wenn er sie nicht nur betrachtet, sondern sie auch als Sprachbenutzer verwendet (sich z. B. durch sie – mindestens virtuell – auf etwas verweisen lässt). (iv) Auf einer vierten Ebene hat der Interpret mit Sätzen zu tun, die er identifizieren und verstehen muss, wenn er Sprechakte und Texte verstehen will. Er macht diese (als theoretischer Betrachter) zum Gegenstand der Untersuchung, zugleich aber verwendet er (in der Rolle eines Mitspielers) die auf der vorigen Ebene schon gedeuteten Wörter, indem er die Sätze nach vermuteten
nur als mit einem bloßen vor ihm liegenden Objekt zu tun hat, angesichts dessen nur primär objektivierende Hypothesen darüber in Frage kommen, zu einem Zustand kommen kann, in dem er am Ende mit den dem Interpretandum zu entnehmenden fremden Gedanken umgehen kann wie mit eigenen.
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Regeln der Grammatik aus ihnen konstruiert. D. h. er entwirft versuchsweise Sätze aus diesen über die Sache, die er als das Thema des Textes vermutet. Er kommt zu Hypothesen wie: „Die sieben Wörter vor uns ergeben also den Satz soundso, der das und das über die Sache sagen könnte.“ Diese Versuche scheitern, wenn sich die Wörter nicht fügen, wenn sich grammatischer Unsinn ergibt oder wenn, was mit Bezug auf die Sache gesagt wird, allzu abwegig erscheint. Sie scheitern an schon gedeuteten und (spielgerecht) verwendeten Instanzen und sie scheitern als praktische Versuche, entsprechende Spielzüge durchzuführen, nicht dagegen als Hypothesen über etwas. Diese sekundär objektivierenden (Konstruktions‐) Versuche können daher sehr wohl auch schon als Versuche aufgefasst werden, die entsprechenden Gedanken des Interpretandums zu fassen, sie anzueignen und mit diesen ohne Anstoß durchzukommen. (v) Auf einer fünften Ebene hat der Interpret mit Sprechakten zu tun, die er verstehen muss, wenn er ganze Texte verstehen will. In Sprechakten wird festgelegt, wie die Sätze bzw. Gedanken der vorigen Ebene gemeint sind, welche Ansprüche zu ihnen erhoben werden etc. Wieder ist es so, dass der Interpret zu einem Verständnis zu kommen sucht, indem er – die Resultate der vorausgehenden Ebenen, tentativ gedeutete Wörter und Sätze über etwas, verwendend – die fremden Sprechakte einerseits objektivierend untersucht, er zu Wissen über sie zu kommen sich bemüht (z. B. zu Hypothesen wie: „Der Autor scheint hier mit diesem Satz das und das über die Sache förmlich zu behaupten“), er aber andererseits zugleich praktisch mit entsprechenden eigenen Vorschlägen (Konstruktionen bzw. Rekonstruktionen: „Du (der Autor) behauptest also das und das als wahr von der Sache“ bzw. „Du antwortest also das und das auf die Frage, wie es sich mit der Sache wirklich verhält“) durchzukommen versucht, die fremde Praxis (des Autors) also zu wiederholen versucht. D. h. er verwendet die vorgefundenen – von ihm so oder so aufgefassten – fremden Sprechakte selbst versuchsweise, spielt versuchsweise als Mitspieler im Spiel der Kommunikation mit und achtet darauf, ob sich so in verschiedenen Dimensionen Sinn oder Unsinn ergibt. Und was sich da ergibt, Sinn oder Unsinn, wird für ihn nur sichtbar, wenn er die fremden Sprechakte nicht bloß betrachtet, sondern wenn er auch mitspielt, wenn er die schon gedeuteten Wörter und Sätze verwendend sich auf die thematische Sache bezieht, etwas über sie auszusagen versucht etc., d. h. wieder, wenn er die fremden Gedanken des Textes wie eigene behandelt, sie fasst, sie als Antwort aneignet etc.. (vi) Auf einer sechsten Ebene schließlich hat der Interpret mit Texten zu tun (vollständigen oder Teiltexten). Texte sind komplexe Gebilde, in denen Sprechakte bzw. Sequenzen von Sprechakten einem Gesamtzweck (Bericht,
1.3 Probleme und Einwände
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Erzählung, Darstellung, Erörterung, Rede etc.) untergeordnet werden, einen Stellenwert im Ganzen erhalten und so und hinsichtlich ihrer vollen Bedeutung an ihrer aktuellen Stelle bestimmt werden. Auch auf dieser Ebene gilt: Man kann sich kognitiv zu Texten verhalten, indem man objektivierende Hypothesen über sie zu gewinnen sucht. Aber man muss dabei, um seine Hypothesen über den Text prozessieren zu können, um überprüfen zu können, ob die Hypothesen dem Verhältnis des Textes zur Realität, von der er handelt, zu Kontexten, in denen er steht, gerecht werden, den so und so aufgefassten Text selbst als Antwort (versuchsweise) aneignen, als Gedankengang fassen, als Rede über die Realität in Betrieb nehmen. Wenn man nicht mit dem Text referiert, prädiziert, behauptet, ihn also als eigene subjektive Praxis versuchsweise in Betrieb nimmt, kann man nicht sehen, was sich durch die Hypothesen bezüglich des Textthemas bzw. der Kontexte ergibt, Sinn oder Unsinn. Kurz – und das gilt für die letzten drei Ebenen: Man kann als Interpret den Text (den Sprechakt, den Satz) zum Gegenstand objektivierender Hypothesen machen, aber man kann ihn auch als Antwort aneignen, als fremden Gedanken über etwas fassen. Man muss dies Letztere sogar, wenn man an triftigen Hypothesen über ihn interessiert ist. Die Zusammenarbeit dieser beiden Aktivitäten macht das aus, was wir als die zentrale und am meisten charakteristische Aktivität des hermeneutischen Interpreten ansehen, das sekundäre Objektivieren. – Die unterschiedenen Ebenen und entsprechenden Aktivitäten stehen in Voraussetzungsverhältnissen zueinander. Das, was auf den oberen Ebenen geschieht, basiert auf dem, was auf den unteren geleistet ist. D. h., die besonders „geistnahen“ Aktivitäten auf den oberen Ebenen wie: Fremde Gedanken Fassen, Überzeugungen darüber Bilden, was der Autor sagen will, setzen die leib-und naturnäheren Aktivitäten auf den unteren Ebenen wie: Die physisch-materielle und linguistische Infrastruktur Identifizieren und Erkennen, immer voraus. Die Letzteren sind bei den Ersteren immer mit im Spiel. Explizit voneinander unterschieden und explizit nacheinander abgearbeitet werden die Ebenen freilich nur selten (wenn es z. B. darum geht, zum ersten Mal einen bisher unbekannten Text einer neuentdeckten Kultur zu verstehen). Bei der normalen Lektüre von Texten treten nur Leistungen auf den oberen Ebenen überhaupt ins Bewusstsein des Interpreten, die simultan erbrachten Leistungen auf den unteren Ebenen werden gewöhnlich implizit erbracht und bleiben im Halbschatten des bloßen know how. Allerdings kann bei Verständnisschwierigkeiten auf den höheren Ebenen jederzeit explizit problematisierend auch auf diese tiefer liegenden Leistungen zurückgegriffen werden.
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
Unser konkretes Problem war, wie der Interpret, der mit Bezug auf das Interpretandum die allgemeine Unterstellung: „Du (der Autor) sagst mit diesem Text das und das über y“, schon gemacht hat, nun dem empirisch vorfindlichen Interpretandum den konkreten Inhalt entnehmen, ihn der Rahmenunterstellung einfügen und so am Ende die im Interpretandum ausgedrückten fremden Gedanken sich aneignen kann. Unser allgemeines Problem dahinter ist dies: Wie ist das, was bei intrasubjektiven Verhältnissen unproblematisch zu verstehen ist, nämlich wie man eigene Gedanken fasst, wie man Antworten, die man selbst gegeben hat, sich aneignet, wie ist das in intersubjektiven Verhältnissen – zwischen verschiedenen Personen – vermittelt über materielle Substrate möglich? Auf beide Fragen ergibt sich über das Ebenenschema eine Antwort. Der Hauptpunkt ist, dass das – isoliert gesehen – problematische Aneignen eingebettet wird in geeignete Kontexte und dadurch das Problematische verliert. Es wird einmal eingebettet in das Nacheinander einer Bewegung, die von der kognitiven Bemühung auf der ersten Ebene zur entsprechenden Bemühung auf der letzten Ebene führt. Es wird verstanden als Schlussphase dieser komplexen Bewegung: Der rekonstruierte Weg führt von einer ganz normalen (und – im Sinn der traditionellen Epistemologie – leicht verständlichen) kognitiven Bemühung um primär-objektivierende Hypothesen über das Interpretandum auf der ersten Ebene (Phase 1), über – ebenfalls relativ leicht verstehbare – Bemühungen um stark objektivierende (sekundär-objektivierende) Hypothesen über das Interpretandum auf den Ebenen zwei und drei (Phase 2), bis zu Bemühungen um sekundär-objektivierende Hypothesen über das Interpretandum auf den letzten Ebenen (Phase 3), Bemühungen, die jetzt ein starkes Moment direkter Aneignung des Fremden enthalten ja, die ganz durch Bemühungen um direkte Aneignung des Fremden ersetzt werden könnten, bzw. gleich als solche Bemühungen gewertet werden können (Phase 4).⁴³ Das Schema legt nahe, dass es für einen Interpreten, der an wirklich relevantem Wissen bezüglich des Interpretandums interessiert ist, an Wissen nämlich über die Bedeutung des Interpretandums, einen notwendigen Übergang gibt vom normalen primär-objektivierenden Verhalten gegenüber dem Interpretandum (bei dem es als Objekt von außen betrachtet und untersucht wird) (1), zu verschiedenen Formen sekundär-objektivierenden Verhaltens gegenüber diesem (bei dem es sowohl als Gegenstand wie auch als zu übernehmende subjektive Praxis behandelt wird) (Phasen 2 und 3), und schließlich zum direkten Aneignen der fremden Gedanken, zum Fassen derselben (bei dem diese ganz als subjektive Praxis behandelt werden, die vom Interpreten übernommen werden müssen, wenn er mit der Sache, von der das Interpretandum
Vgl. o. S. 38 f.
1.3 Probleme und Einwände
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handelt, zu tun haben will) (Phase 4). Der Weg führt also von einer Position, von der aus der Interpret das Interpretandum als fremdes Objekt ganz von außen betrachtet und untersucht, über eine mittlere Position hin zu einer Position, von der aus das Interpretandum ganz als zu übernehmende gemeinsame subjektive Praxis⁴⁴ behandelt und – gewissermaßen – von innen⁴⁵ betrachtet wird. In der letzten Phase ergibt sich also eine Sphäre des Gemeinsamen (des gemeinsamen Spiels), die das bei intrasubjektiven Verhältnissen leicht verständliche Fassen von Gedanken auch für intersubjektive Verhältnisse möglich und verständlich macht. Das problematische Aneignen fremder Gedanken wird zum anderen eingebettet in das Ganze einer komplexen und auf vielen Ebenen simultan stattfindenden kognitiven Bemühung um das Interpretandum. Es wird damit verstanden als etwas, das sich zwar als explizit und ausdrücklich erbrachte Leistung auf der obersten („geistnächsten“) Ebene deutlich abhebt von dem, was auf den unteren Ebenen zumeist implizit geleistet wurde, was aber von diesen Leistungen abhängt, durch diese erst möglich wird. Denn erst wenn durch diese Leistungen sichtbar wird, was als relevante Teile des Interpretandums auf verschiedenen Ebenen unterschieden und segmentiert werden muss, ferner was diese Teile auf verschiedenen Ebenen (Wörter, Sätze, Sprechakte) bedeuten können, und welche Zusammenhänge zwischen ihnen bestehen (etabliert werden) können, wird es für den Interpreten möglich, sich auf der obersten Ebene innerhalb des schon weitgehend transparent gewordenen Textes frei zu bewegen, mit den fremden Gedanken wie mit eigenen umzugehen, auf sie zuzugreifen, sie zu prüfen, sie anzueignen, zu behalten oder zu verwerfen. ⁴⁶ D. h. erst wenn durch diese Leistungen eine Sphäre der Gemeinsamkeit zwischen Interpret und Autor etabliert ist, wenn Es ist dann gemeinsame subjektive Praxis von Autor und Interpret. „Von innen“: nämlich aus der Perspektive dessen, der die subjektive Praxis in Anspruch nimmt, um sich mit ihrer Hilfe mit vor ihm (draußen) liegenden Gegenständen kognitiv auseinanderzusetzen. Was dieses „Sich-frei-Bewegen unter fremden Gedanken wie unter eigenen“ bedeutet, wird gut sichtbar, wenn man sich folgende bei der Lektüre häufig vorkommende Situation vergegenwärtigt: Man liest ein Buch, bekommt immer mehr den Eindruck, man missverstehe den Text, sei auf falscher Fährte. Man blättert zurück, findet für das Problem relevante Textpassagen („Weichenstellungen“) und sagt sich: „Ach so, das und das ist ja bisher passiert (was ich außer Acht gelassen hatte) und daher kann, was ich – fälschlicherweise – erwartet hatte, gar nicht eintreten.“ – Der Hauptpunkt ist, die Überlegung findet statt auf der Ebene, auf der vom Text über die Sache geredet wird. Sie findet nicht statt auf einer Ebene, auf der Textteile bzw. fremde Gedanken als Objekte, die an bestimmte materielle Substrate gebunden sind, vorkommen, als Objekte thematisiert werden. Das heißt, man „kramt“ zwischen fremden Gedanken über die Sache wie zwischen eigenen, man ordnet sie, versucht, Zusammenhänge herzustellen etc. und tut dies alles, ohne auf die unteren Ebenen, auf die gegenständliche Seite der fremden Gedanken zurückzugehen: Intersubjektive Verhältnisse sind hier wie intrasubjektive.
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der Interpret sich als Mitspieler in einem ihm und dem Autor gemeinsamen Spiel verstehen kann, wenn – wie gesagt – die intersubjektiven Verhältnisse intrasubjektiven Verhältnissen angeglichen wurden, erst dann ist das direkte Fassen und Aneignen fremder Gedanken möglich und verständlich. Wenn nun die fremden Gedanken, die konkreten Inhalte des Interpretandums in der beschriebenen Weise für den Interpreten zugänglich geworden sind, dann kann dieser sie der Rahmenunterstellung einfügen und die – bisher ja noch sehr unspezifische – Rahmenunterstellung selbst mit Blick auf die sichtbar gewordenen Inhalte, für die sie Rahmen sein soll, konkretisieren und genauer bestimmen. Es bleibt jetzt noch ein Problem: Geht es hier wirklich um Aneignen, um so etwas wie ein Herüberholen des Fremden? Treffen diese Begriffe tatsächlich? Es ist ja der Interpret, der den Sinn des Fremden im Ganzen und im Einzelnen entwirft. Und wie unterscheidet sich denn dieses Modell von dem oben verworfenen Modell, nach dem fremde Antworten nur Stimuli sind, sich die Antwort selbst zu geben? Nun lassen sich am Aneignen zwei verschiedene Aspekte unterscheiden. Zum einen unterscheidet sich das Aneignen fremder Gedanken von normalen kognitiven Leistungen (vom Erwerb von Wissen über das Objekt x) dadurch, dass im ersten Fall das Resultat (die Antwort, die der Interpret dann hat) und der „Gegenstand“ (die Antwort, die er haben will) sich auf derselben Ebene befinden, wogegen im zweiten Fall das Resultat der Bemühung (das Wissen, das der Erkennende dann hat) und der Gegenstand der Bemühung (die Sache, über die er etwas wissen will) wesentlich auf verschiedenen Ebenen liegen, in welchem Fall vom „Herüberholen“ keine Rede sein kann. Dieser Aspekt der Sache ist in dem Modell berücksichtigt, und zu ihm ist im Vorigen schon das Wichtigste gesagt worden. – Zum anderen unterscheidet sich der Normalfall: Erwerb von Wissen über Objekte, von unserem Fall: dem Aneignen fremder Gedanken als Antworten, dadurch, dass im ersten Fall die Überzeugungen, die ich am Ende habe, ganz von mir stammen, im zweiten Fall dagegen vom Autor bzw. dem Interpretandum: Wenn ich mir die fremde Antwort aneigne, dann lasse ich sie mir geben, der Autor teilt sie mir mit. Sie stammt nicht von mir, ich hole sie mir von drüben. – Wie passt unsere Rekonstruktion damit zusammen? Zunächst gilt doch: Ich (der Interpret) entwerfe die generelle Unterstellung und ich bin es auch, der das Vorverständnis der einzelnen Teile des Interpretandums ins Spiel bringt, ich entwerfe dasjenige, was die lückenhafte Struktur der Unterstellung ausfüllen soll, und als derjenige, der dies entwirft, bin ich natürlich auch am Ende im Besitz dieser Gedanken. Aber kann man dies „Aneignen“, „Herüberholen“, „Sich-geben-Lassen“ nennen? – Hier ist zuerst zu berücksichtigen, dass die verwendeten Ausdrücke „Aneignen“, „Herüberholen“, „Sich-geben-Lassen“ primär Ausdrücke für den Umgang mit materiellen Objekten sind, deren Identität an der jeweiligen Raum-Zeitstelle
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hängt. Antworten aber sind nicht von dieser Art, und d. h.: das Herüberholen einer Antwort kann nicht in einer raumzeitlichen Bewegung bestehen. Es kann hier nur darum gehen, a) ob ich (der Interpret) am Ende tatsächlich den Gedanken fasse, der sich drüben schon im Interpretandum findet und b) dass der Gedanke, den ich fasse, zurückgeht auf den Gedanken drüben. – Beide Bedingungen sind im Falle der generellen Unterstellung, mit der ich mein Mitspielen begonnen hatte, ersichtlich erfüllt. Diese gehört notwendig zu jedem Sprechakt, in dem über etwas geredet wird, also auch zu diesem hier. Und sie geht zurück auf den Gedanken drüben, weil sie eigens dafür gemacht wurde, dieses Interpretandum zu erschließen. Was dagegen die Aneignung der bestimmten materialen Gehalte des Interpretandums betrifft, die Aneignung der einzelnen Textteile, mit denen das offene Schema der allgemeinen Unterstellung ausgefüllt werden soll, so werden beide Bedingungen erfüllt, wenn die entsprechenden Vorschläge des Interpreten – die sekundär objektivierende Hypothese über den jeweiligen Textteil, bzw. die – den Text selbst nicht objektivierende – Vermutung über die Sache, die der Interpret als Vorverständnis des Textes ins Spiel bringt – vernünftig prozessiert werden, d. h. so bearbeitet werden, dass sie am Ende zum Text passen. – Dennoch könnte man nach alledem immer noch mit dem uns schon bekannten Einwand kommen, dass die fremden Antworten drüben, die angeeignet werden sollen, in diesem Modell gar nicht die Rolle von Antworten spielen, die ich mir – als Interpret – geben lasse, sondern nur die von Stimuli, die mich vielleicht dazu bringen, mir selbst die Antwort zu geben. Dabei ist die Pointe des Einwandes: Was vom Text herkommt, ist nicht die Antwort selbst, die muss der Interpret finden. Der Text qua materielle Struktur liefert nur den Impuls dazu und Hinweise, auf die Richtung, in der gesucht werden muss. Das Wesentliche hat der Interpret selbst zu erbringen, weil Stimuli qua materielle Entitäten dem Erkennenden grundsätzlich nicht genau vorschreiben können, welche Gedanken er haben muss, wenn er mit ihnen konfrontiert ist. Dass dieser Einwand nicht sticht, zeigt sich, wenn wir berücksichtigen, wie präzise und detailliert die Interpretationsvorschläge des Interpreten (sekundärobjektivierende Hypothesen über den Text bzw. Vorverständnisse des Textes) in der Auseinandersetzung mit dem Text durch den Text gesteuert werden. Der Interpret hat hier ja nicht nur mit materiellen Entitäten (in der Rolle von Stimuli) zu tun, sondern schon von der Ebene 2 an mit Gedanken (Elementen, Teilen, Bauplänen, Folgen von Gedanken). Und diese fremden Gedanken können dem Interpreten im Prinzip punktgenau vorschreiben, was er zu denken hat, wenn er sie übernimmt. Es kann daher keine Rede davon sein, dass hier der Interpret selbst die Antwort herausfinden muss, sie wird ihm vielmehr bis ins Detail der Formulierung durch das Interpretandum vorgeschrieben. Nach dieser Konzeption ist es also durchaus möglich, dass wir Antworten von anderen Personen (Lehrern,
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
Sachverständigen etc.) erhalten. Die Rede vom „Aneignen“ und „Herüberholen“ der Antwort selbst ist berechtigt.
1.4 Dualistische Epistemologie? Nach dem Bisherigen hat sich ergeben, dass sich die kognitiven Leistungen eines (hermeneutischen) Interpreten von denen eines Realwissenschaftlers sehr deutlich unterscheiden. Wir haben damit starke Evidenzen dafür, dass im Bereich der empirischen Erkenntnis zwei fundamental verschiedene Erkenntnistypen, zwei strukturell verschiedene kognitive Zugangangsweisen, zu dem, was für uns empirisch da ist, zu unterscheiden sind. Und das spricht gegen die üblicherweise vertretene monistische Epistemologie, es spricht für eine (mindestens) dualistische Epistemologie. Es gibt auf der einen Seite unser normales kognitives Verhalten zur (natürlichen) Außenwelt, das seine deutlichste Ausprägung im Verhalten eines Naturwissenschaftlers zu seiner Umwelt findet. Dabei geht es wesentlich darum, den jeweiligen Gegenstand theoretisch zu betrachten, ihn zu untersuchen, Repräsentationen von ihm, Hypothesen, Theorien, Wissen über ihn zu gewinnen. – Es gibt auf der anderen Seite das kognitive Verhalten zu anderen Personen, ihren Äußerungen, Handlungen, Artefakten, das seine charakteristischste Ausprägung im kognitiven Verhalten eines Kommunikationsteilnehmers zu anderen Kommunikationsteilnehmern und deren Äußerungen und Spielzügen findet. Hier geht es im Zentrum darum, im Spiel der Kommunikation ganz oder mindestens partiell mitzuspielen, die (empirisch vorliegenden) fremden Gedanken, Antworten selbst zu fassen, sie sich direkt oder mindestens indirekt anzueignen, sie in Betrieb zu nehmen, sie zu wiederholen, und (als sie Wiederholende) sie per Handlungswissen hell zu machen. Dem entspricht, dass das, was uns empirisch zugänglich ist, sich nicht als einheitliche, homogene Welt (unsere Umwelt) präsentiert. Zu unterscheiden ist hier vielmehr zwischen der Sphäre der bloßen stummen Gegenstände, die wir betrachten, untersuchen, über die wir Wissen haben wollen, die als solche nicht schon von sich aus Gedanken, Begriffe enthalten, die nicht symbolisch vermittelt, normativ verfasst sind einerseits und der Sphäre dessen, was schon von sich aus Gedanken, Begriffe enthält, normativ verfasst ist, der Sphäre, zu der wir selbst mit unseren Handlungen, insbesondere mit unseren kognitiven und kommunikativen Leistungen gehören andererseits. Die letztere ist zentriert um Gedanken, Äußerungen, Texte, die selbst schon von der Art von Wissen über Gegenstände sind, und die als solche natürlich eine ganz andere Art des kognitiven Zugangs zu ihnen verlangen als die bloßen stummen Gegenstände des ersten Bereichs. – Zu un-
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terscheiden ist demnach (mit Apel) zwischen zwei Typen von Erkenntnis, der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation und der Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation und zwischen zwei Bereichen oder Sphären des zu Erkennenden, dem Bereich der bloßen, stummen Gegenstände und dem Bereich unserer subjektiven (Erkenntnis- und Verständigungs‐) Praxis, den wir uns vorstellen als zentriert um eigene und fremde Gedanken, Antworten. Dabei ist es wichtig zu sehen, dass die Unterscheidung nicht primär über die Unterscheidung von Begriffstypen (z. B. mental oder physikalisch), sondern über die von Einstellungen, kognitiven Verhaltensweisen, läuft, also über solches, das dem Gebrauch von Begriffen vorausliegt. Nun verhält es sich aber mit der dadurch nahegelegten dualistischen Epistemologie nicht ganz so einfach. Denn es hat sich ja auch gezeigt, dass die unseren Typen zugrundeliegenden kognitiven Leistungen von Hause aus Teile (Vorder- und Rückseite) ein und derselben komplexen Struktur sind, der Struktur des Erwerbs von Wissen über x (genauer: des Etablierens und In-Betrieb-Nehmens (Aneignens) von Wissen über x), einer Struktur, die wohl als die zentrale epistemologische Struktur angesehen werden muss. Insofern muss im Grunde doch von einer monistischen Epistemologie geredet werden: Erkenntnis ist immer wesentlich Wissen Erwerben über x (d. h., Wissen über x Etablieren und Aneignen). Aber dieser (eher abstrakte und blasse) Monismus ist verträglich mit einer wesentlich doch dualistischen Konzeption (auf einer nicht ganz so fundamentalen Ebene), die dann von größter Bedeutung für unser Verständnis des Wissenschaftsbetriebs ist, vor allem für die wichtige Frage, ob wir mit einer einheitswissenschaftlichen („unity of science“) Konzeption für Natur- und Geisteswissenschaften durchkommen können oder nicht. Der Blick auf diese Grundstruktur, die beide Leistungen⁴⁷ zusammen enthält, ist wichtig, weil er wesentliche Aspekte des Dualismus verdeutlichen kann: (i)
Es ist zweckmäßig, hier zu unterscheiden zwischen Erkenntnis bzw. Erkenntnistypen einerseits und Typen kognitiver Leistungen andererseits. Die Typen kognitiver Leistungen, für die wir uns hier interessieren sind: Das Betrachten von x und das Etablieren von Repräsentationen von x einerseits und das Aneignen dieser Repräsentationen, das In-Betrieb-Nehmen von ihnen andererseits. Mit Erkenntnis haben wir zu tun, wenn wir mit einer Struktur umgehen, in der die beiden – abstraktiv unterschiedenen – Leistungstypen zusammenarbeiten d. h., wenn es um den Erwerb von Wissen über x geht (um das Etablieren und Aneignen/In-Betrieb-Nehmen von Wissen über x). Verschiedene Erkenntnistypen ergeben sich dadurch, dass der Erkennende die Gesamtstruktur, also beide Leistungstypen zusammen – jeweils primär entweder in den Dienst der Sacherkenntnis oder in den des (Text‐) Verstehens stellt. Als Sachforscher, der etwas über die Sache x herausbekommen will, stellt er den Leistungstyp 1 in den Vordergrund, konzentriert sich auf den Entwurf von Hypothesen über x, öffnet damit die Gesamtstruktur in Richtung auf die Sache x und lässt den Leistungstyp 2 im Hintergrund. Als Textinterpret dagegen, der die vorliegende Antwort a (über x)
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Beide Leistungstypen koexistieren nicht einfach beziehungslos nebeneinander, sondern sind auf eine bestimmte Weise miteinander verbunden und haben von Hause aus systematisch eine feste Stellung, ein festes Verhältnis zueinander. Und dieses Verhältnis ist auch wichtig für die Beziehungen zwischen den unterschiedenen Erkenntnistypen. (ii) Für die jeweils zugehörigen „Gegenstands-“typen gilt Entsprechendes, und daraus ergeben sich interessante Folgerungen für die Relation zwischen intersubjektiven und intrasubjektiven Verhältnissen. (iii) Merkwürdig, fast paradox, aber aufschlussreich ist es, dass es neben der gewöhnlichen kanonischen Zusammenarbeit der Leistungstypen auch noch eine zweite Art der Kooperation zwischen ihnen gibt, aus der am Ende ein dritter (hybrider) Erkenntnistyp resultiert. Zu (i): Die beiden Leistungstypen sind grundverschieden und zielen auf ganz Verschiedenes. Das Etablieren einer Repräsentation von (dem Objekt) x ist offenbar etwas ganz anderes als das Aneignen und In-Betrieb-Nehmen einer Repräsentation von x. Im ersten Fall geht es um den Gegenstand x, nämlich darum, Wissen über x zu etablieren, zu einer optimalen Repräsentation von x zu kommen, das Verhältnis zwischen der Repräsentation und x zu optimieren. Im zweiten Fall geht es um die Repräsentation von x selbst, es geht darum, eine Repräsentation von x anzueignen und in Betrieb zu nehmen, zwischen der Repräsentation von x und dem Korpus von Meinungen, Vormeinungen etc., in dem sie wirksam werden soll, optimal zu vermitteln. – Beide Leistungstypen setzen einander wechselseitig voraus (das Etablieren einer Repräsentation von x, der Versuch, x mit einer Repräsentation zu treffen, ist immer mit dem Aneignen und InBetrieb-Nehmen derselben verbunden; das Aneignen von fremden Gedanken ist immer Aneignen von Gedanken über etwas, von Gedanken, die in der Beziehung einer gelingenden oder nicht gelingenden Repräsentation zu etwas stehen). Sie sind insofern von Anfang an aufeinander bezogen, ja füreinander gemacht. Sie sind ohne einander in gewissem Sinne nicht vollständig. Ihre Zusammenarbeit ist wesentlich für sie. Zugleich aber schließen sie einander wechselseitig aus in dem Sinn, dass sie nicht sinnvoll für einander substituiert werden können.⁴⁸ Sie stehen
aneignen und in Betrieb nehmen will, stellt er den Leistungstyp 2 in den Vordergrund, bemüht sich um die Artikulation der zu a (und zu seinen Interessen und seinem Vorwissen) passenden Frage, über die er die Antwort a integrieren könnte, öffnet damit die Gesamtstruktur für die Antwort a, und lässt den Leistungstyp 1 (der auf den Gegenstand x der Antwort geht) im Hintergrund. Natürliche Gegenstände (Sonne, Mond und Sterne) können nicht im selben Sinn wie Antworten angeeignet werden. Gedanken, Antworten als bedeutungsvolle Entitäten lassen sich (wie unser Beispiel mit dem Akustiker zeigt) durch primär objektivierende Repräsentationen nicht darstellen.
1.4 Dualistische Epistemologie?
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damit in einem Komplementaritätsverhältnis zueinander, können als Vorder- bzw. Rückseite der Erkenntnis (der Grundstruktur) aufgefasst werden. Entsprechendes gilt auch für die (vollständigen) Erkenntnistypen: Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation und Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation. Erkenntnis des ersten Typs setzt Erkenntnis des zweiten Typs (z. B. Wissen über eigene und (wie im direkt Anschließenden noch erklärt wird) fremde Antworten, bzw. Umgehen-Können mit ihnen) voraus. Und umgekehrt setzt auch Erkenntnis des zweiten Typs Erkenntnis des ersten Typs (nämlich Wissen bezüglich der Objekte, von denen fremde Gedanken oder Äußerungen handeln) voraus. Zugleich aber sind diese Erkenntnistypen nicht durcheinander substituierbar. (ii) Auch die entsprechenden „Gegenstands“-typen (paradigmatisch: Bloße, stumme Objekte vs. Repräsentationen von, Antworten über Gegenstände(n)) stehen offenbar nicht beziehungslos nebeneinander, sondern hängen systematisch voneinander ab, stehen also in festen Beziehungen zueinander (Objekt ist das, was durch Repräsentationen für uns zur Erscheinung gebracht werden kann; Repräsentationen sind wesentlich Repräsentationen von Objekten.) Der entscheidende Unterschied zwischen ihnen ergibt sich daraus, ob sie als bloßes, stummes – für unsere Erkenntnis externes, jenseitiges – Objekt ins Spiel kommen, oder ob sie (auch irgendwie) noch auf die Seite des Subjektiven, zur Sphäre unserer Handlungen, unserer kognitiven und kommunikativen Leistungen, gehören, sie zu unserer (den Zugang zu Objekten ermöglichenden) subjektiven Erkenntnispraxis gezählt werden können. Pointiert formuliert: ob sie bloß Objekt sind oder selbst von der Art von Wissen über Objekte. Dabei ist evident, dass Wissen über Objekte kognitiv anders behandelt werden muss als Objekte selbst. Durch diese Grenzziehungen werden kognitive Verhältnisse innerhalb von Subjekten (A erinnert sich an seine Antwort) und kognitive Verhältnisse zwischen Subjekten (A eignet sich Bs Antwort an), also intra- und intersubjektive kognitive Verhältnisse als Verhältnisse innerhalb des subjektiven Bereichs zusammengefasst und den kognitiven Verhältnissen zu (äußeren) stummen Objekten gegenübergestellt. Es rücken also inter- und intrasubjektive Verhältnisse sehr eng zusammen. Nicht nur meine Antwort wird von mir als (Erkenntnis ermöglichende) subjektive Praxis verstanden, sondern auch die Antwort eines Anderen. D. h., es gibt nicht nur meine – intrasubjektive – subjektive Praxis, es gibt auch unsere gemeinsame – intersubjektive – subjektive Praxis. An die Stelle von „ich“ kann hier ein „wir“ treten, und die Pointe dieses „wir“ ist, dass die darin einbezogenen Anderen (mit ihren Äußerungen und Handlungen) gerade nicht als äußere Objekte kognitiver Bemühungen gezählt werden, sondern als solche, die wie ich selbst auch zu der Instanz gehören, von woher äußere Objekte gemeinsam betrachtet und untersucht werden können.
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Hier deutet sich an, dass die gerade vorgeschlagene dualistische Erweiterung der Epistemologie, eine Erweiterung, die ja unter anderem darauf hinausläuft, Züge kommunikativer Verhältnisse in das traditionell als einfach unterstellte „Ich“, das kognitive Subjekt, einzuführen, eng zusammenhängt mit einer weiteren ebenfalls erforderlichen, aber aus ganz anderen Motiven und Quellen gespeisten Änderung in den Fundamenten der Epistemologie. Gemeint ist die Änderung, die sich ergibt, wenn man Ernst macht mit dem Apriori der Sprache und der Kommunikation, weil dergleichen wie Rationalität und intersubjektive Geltung für ein Subjekt allein unmöglich ist.⁴⁹ Dann wird aus dem traditionellen: „Ich („Ich denke…“) verhalte mich kognitiv zur Realität und bemühe mich Wissen darüber zu erwerben“ ein: „Wir (du und ich) verständigen uns über die Realität und versuchen gemeinsam, (intersubjektiv gültiges) Wissen darüber zu erwerben“. Die Änderung besteht wesentlich darin, a) dass nicht ein (isoliertes) Ich als Subjekt der Erkenntnis angesetzt wird, sondern ein Wir (eine Kommunikationsgemeinschaft) und b) dass Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation (das kognitive Verhalten des Wir zur Realität) verstanden wird als etwas, das untrennbar verschränkt ist mit Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation (kognitivem Verhalten innerhalb des Wir, kognitivem Verhalten zu Mitspielern und ihren Spielzügen). (iii) So viel zur Zusammenarbeit der beiden Haupttypen kognitiver Leistungen und ihrer Stellung zueinander, wie sie zunächst und von Hause aus in unserem kognitiven System vorgesehen ist. Es ist nun interessant und aufschlussreich im Sinne der Epistemologie, dass es noch eine wichtige zweite Art der Kooperation zwischen ihnen gibt, die prima facie mit dem Komplementaritätsverhältnis der Typen, zu dem ja auch das Verhältnis wechselseitiger Ausschließung gehört, gar nicht zusammenpasst. Dass noch dieser zweite Typ von Kooperation der Typen hinzukommt, das scheint mir unsere These, nach der es sich bei den unterschiedenen Typen um die Grundtypen kognitiver Leistungen handelt, eindrucksvoll zu unterstützen.⁵⁰ Bei der ersten Art der Zusammenarbeit (zwischen Vorder- und Rückseite der Erkenntnis) wird die durch das Etablieren der Hypothese über x (Leistung vom Typ 1) begonnene kognitive Bemühung um x durch das In-Betrieb-Nehmen und Verstauen der Hypothese im Korpus des Vorwissens des kognitiven Subjekts
Vgl.Wittgensteins Antiprivatsprachenargument in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ (Wittgenstein (1960b)) und die weitverzweigte Diskussion darüber in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Siehe auch die Abhandlung: „Bemerkungen zum Regelfolgen“ im Anhang dieses Buches S. 165 ff. Sie sind dasjenige, worauf zurückgegriffen werden muss, wenn es darum geht, neben dem (nicht-objektivierenden) aneignenden Verstehen und der primär objektivierenden Objekterkenntnis weitere Erkenntnistypen einzurichten.
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(Leistung vom Typ 2) vollendet. Hier kommen die Leistungen des zweiten Typs ergänzend und hilfsweise zu denen des ersten Typs hinzu und ermöglichen so den Gesamteffekt: den Erwerb von Wissen bzw. einer Überzeugung über x durch S. Es ist eine indirekte Art der Zusammenarbeit. Die verschiedenartigen kognitiven Leistungen der Typen werden an jeweils verschiedenen „Objekten“ erbracht (am Gegenstand x und an der Repräsentation von x), und die Resultate dieser Leistungen führen dann zu einem sinnvollen Gesamteffekt (dem Erwerb von Wissen über x). Bei der zweiten Art der Zusammenarbeit, beim sekundär objektivierenden kognitiven Umgang mit Interpretanda, mit Antworten, liegt das Verhältnis der beiden ganz anders. Hier soll die (schon vorliegende) Repräsentation von x nicht nur angeeignet und in Betrieb genommen werden (Leistung vom Typ 2), sie soll auch betrachtet/untersucht und zum Gegenstand von Hypothesen gemacht werden (Leistung vom Typ 1), von Hypothesen, die dem Interpreten bei der Aneignung und In-Betrieb-Nahme der Antwort helfen sollen (z. B. dadurch, dass sie es erleichtern, die rechte Frage zu finden, über die die Antwort optimal angeeignet werden könnte). Hier soll also eine kognitive Leistung vom Typ 1 (der Vorderseite der Erkenntnis) Leistungen vom Typ 2 (der Rückseite der Erkenntnis) in direkter Weise so zu Hilfe kommen, dass dadurch das erhellende Aneignen der Repräsentation ermöglicht bzw. erleichtert wird.⁵¹ Dabei gehen beide kognitiven Leistungen auf denselben „Gegenstand“, die Repräsentation, und sollen einsinnig im Sinne desselben Spezialeffekts, der Aneignung der Repräsentation qua Antwort, zusammenarbeiten. Sie bilden jetzt zusammen die „Vorderseite“ der Erkenntnis (des Interpretandums), durch die erarbeitet wird, was dann (per „Rückseite“ der Erkenntnis) noch verstaut werden muss. Nach dem zuletzt Ausgeführten ist aber nun die Möglichkeit einer solchen Art der direkten Zusammenarbeit zunächst einmal ziemlich unwahrscheinlich. Denn der erste Leistungstyp, der zum zweiten in einem Komplementaritäts- und d. h. auch: Ausschließungsverhältnis steht, ist zwar in der Lage, explizites, artikuliertes theoretisches Wissen über x zu liefern. Aber dies nur, wenn er (i) mit x als einem bloßen, stummen Objekt zu tun hat bzw. x als ein solches Objekt behandelt (siehe unser Akustiker) und wenn er (ii) daher nur solche Repräsentationen von x erstellt, die von x so verschieden sind, wie Hypothesen über natürliche Gegebenheiten von diesen natürlichen Gegebenheiten selbst verschieden sind. Und der zweite Typ kognitiver Leistungen ist wesentlich nur einsetzbar bei „Gegen Zu diesem umwegigen, aufwendigen Verfahren kommt es gewöhnlich, wenn der Aneignungsprozess mit Schwierigkeiten zu tun hat, wenn die hermeneutische Distanz besonders groß ist, oder wenn die Antwort als solche, nicht nur die Sache, von der sie handelt, besonderes theoretisches Interesse auf sich zieht (was aus verschiedenen Gründen der Fall sein kann).
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1 Die These. Erläuterung, Begründung, Verteidigung
ständen“, die die logische Form von Antworten (von Gedanken, Äußerungen etc.) haben, die also schon zu unserer subjektiven Praxis gehören. Insofern sind die beiden Leistungs- und die entsprechenden Erkenntnistypen zunächst einmal nicht geeignet für diese Form der unmittelbaren Zusammenarbeit. Es scheint uns nun sehr bemerkenswert zu sein, dass gleichwohl diese von Hause aus für ganz verschiedene Aufgaben vorgesehenen Grundtypen, die unser kognitives System bereithält, doch zusammenfinden und in der Weise kooperieren können, dass sie an derselben Aufgabe im selben Sinn zusammenarbeiten. Das wird dadurch möglich, dass auf beiden Seiten, bei beiden Leistungstypen Einschränkungen gemacht werden derart, dass sie jeweils ihr spezifisches Potential nicht voll ausspielen. So kann einerseits bei Typ 1 der Betrachter x zwar als Objekt vor sich bringen und zum Gegenstand von Hypothesen machen. Aber er muss x nicht immer vollständig vor sich bringen und ganz zum Objekt machen. Wenn es sich bei x z. B. um eine Behauptung über etwas handelt, die damit Teil seiner (oder unserer) subjektiven Praxis ist, von der der Betrachter schon per Handlungswissen desjenigen, der x zugleich als Spielzug behandelt, weiß, dann kann er per sekundär objektivierendes theoretisches kognitives Verhalten zu x (das zu Typ 1 gehört) dem zugleich involvierten zumeist impliziten nicht artikulierten Handlungswissen von x (Typ 2) zu Hilfe kommen, es klarer und expliziter machen und so unterstützen. Und so kann andererseits der Interpret bei Typ 2 es vermeiden, ganz in seiner Rolle als Mitspieler im Spiel der Kommunikation mit dem Autor aufzugehen, gänzlich selbstvergessen, ungehemmt, dem bloßen naiven Mitspielen im Spiel hingegeben zu sein. Er kann auch – und zwar mehr oder weniger – explizites Bewusstsein von dem, was er tut, vom Spiel und den Spielzügen, entwickeln und ins Spiel bringen. Er kann so sein Handeln von „des Gedankens Blässe“ affizieren und insofern hemmen lassen. – Beim Typ 1 wird so aus dem distanzierten Betrachter von bloßen Objekten (Beispiel: Akustiker) nun ein Betrachter von Spielzügen eines Spieles, an dem er auch in seiner gegenwärtigen Rolle gleichwohl als Mitspieler weiter teilnimmt, und das er als beobachtender Mitspieler nicht vollständig sondern nur partiell vor sich bringt und objektiviert. Beim Typ 2 wird aus dem dem Spiel ganz hingegebenen Mitspieler ein Spieler, der zwar weiter mitspielt, aber zugleich als teilnehmender Beobachter des Spiels und der Spielzüge das Spiel partiell auch verlassen hat. Auf diese Weise kann es zu einer Zusammenarbeit der beiden Typen kommen, die – wie wir oben schon gesehen haben – es möglich macht, dass die fremde Antwort über die Sache x sowohl als etwas über etwas angeeignet und in Betrieb genommen wird, wie auch – und zwar als bedeutungsvolle, symbolisch vermit-
1.4 Dualistische Epistemologie?
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telte, normativ verfasste Entität zum Gegenstand von Hypothesen wird.⁵² Es ergibt sich so ein dritter Typ von kognitiven Leistungen, der Momente aus beiden Extremen enthält, nämlich das sekundär objektivierende kognitive Verhalten zur Antwort. Und dieser Typ kognitiven Verhaltens ermöglicht das sekundär objektivierende Verstehen, eine wichtige Variante der Erkenntnis in der Subjekt-SubjektRelation, die Variante, die die sog. hermeneutischen Geisteswissenschaften ermöglicht.⁵³ – All dies zusammen scheint mir sehr starke Evidenzen für eine wesentlich dualistisch verfasste Epistemologie herzugeben.
Die Spannungen zwischen dem Objektivieren und dem Aneignen/In-Betrieb-Nehmen sind hier gemildert aber nach wie vor vorhanden. Daher werden das aneignende Vorgehen und das objektivierende Vorgehen nicht simultan, sondern im Wechsel nacheinander eingesetzt. Aber – wie wir im Folgenden sehen werden – die Verfahren ergänzen einander im aneignenden Verstehen des Interpretandums. Zur besseren Übersicht noch einmal ein Bild des Ganzen: Wir verstehen hier unter „Erkenntnis von x“ das Ganze aus dem Etablieren von Repräsentationen, Hypothesen,Wissen über die Sache x einerseits und dem Aneignen und In-Betrieb-Nehmen der Repräsentationen, der Hypothesen, des Wissens andererseits. Wir unterscheiden dabei die Vorderseite der Erkenntnis (das Etablieren von Repräsentationen etc. von x) als Leistungstyp (a) von der Rückseite der Erkenntnis (das Aneignen und In-Betrieb-Nehmen der Repräsentation) als Leistungstyp (b). Erkenntnistypen (Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation bzw. Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation) ergeben sich dadurch, dass entweder der Leistungstyp (a) oder der Leistungstyp (b), das jeweilige Ganze der kognitiven Bemühung dominiert. Der Leistungstyp (b) kann nun in zwei Varianten auftreten: Als einfaches Aneignen und In-Betrieb-Nehmen (b1) und als komplexeres Verfahren (b2), bei dem die Repräsentation der Sache x nicht einfach nur angeeignet und In Betrieb genommen wird, sondern zugleich (hilfsweise) selbst noch Gegenstand einer Repräsentation wird, die ihrerseits dann noch (zusätzlich) angeeignet und in Betrieb genommen werden muss. So ergeben sich drei Leistungstypen: (a), (b1) und (b2), und drei Erkenntnistypen: (i) Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation, d. h. primär objektivierende Objekterkenntnis, (ii) Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation1, d. h. einfaches (naives oder reflexionsloses) aneignendes Verstehen und (iii) Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation 2, d. h. sekundär objektivierendes Verstehen.
2 Das Strukturmodell In diesem Kapitel stellen wir ein Strukturmodell des hermeneutischen Verstehens vor, ein Modell, das vor allem folgenden Anforderungen genügen soll: (i) Es soll in ihm die bisher besprochene (der Gadamerschen Idee vom Verstehen qua „Integration“ nahestehende und der üblichen Wissenschaftstheorie und Epistemologie fremde) Grundidee zur Geltung gebracht werden, nach der das Verstehen primär und wesentlich im Aneignen und In-Betrieb-Nehmen fremder Gedanken als Antworten bestehe. Aber dies soll so geschehen, dass diese Idee gleichwohl angeschlossen werden kann an die in der allgemeinen Wissenschaftstheorie und Epistemologie üblichen Überlegungen über das Entwerfen und Prozessieren von Hypothesen. (ii) Es sollen in ihm die beim Verstehen involvierten verschiedenen Leistungstypen möglichst klar und detailliert auseinandergehalten und in ihrem Zusammenspiel durchsichtig gemacht werden. (iii) Es soll ein Modell sein, das wesentlich präzisierbar und erweiterbar ist, und das als solches über die bloß globalen und metaphorischen Ausführungen Gadamers über das Verstehen qua Integration hinausführt. Fremde Gedanken aneignen und in-Betrieb-nehmen heißt, das Fremde als Antwort auffassen und behandeln, als Antwort, die selbst das ist, was der Interpret haben bzw. sich aneignen will. Nun kann man mit Antworten nur zu tun haben, wenn auch Fragen im Spiel sind. Das heißt, wenn das Interpretandum vor allem als Antwort behandelt werden soll, dann muss ersichtlich die dazu gehörige Frage eine wesentliche Rolle spielen. Tatsächlich werden wir gleich sehen, dass der Interpret das Interpretandum wesentlich über ein Vorverständnis (das wichtigstes Instrument beim Verstehen) erschließt, das vor allem die Struktur und Funktion einer Frage hat. Daher empfiehlt es sich vor der Einführung des Modells selbst einige Überlegungen zur Frage-Antwort-Struktur und ihre epistemologische Relevanz voranzuschicken (2.1) und erst dann das Modell selbst einzuführen (2.2).
2.1 Bemerkungen zur Frage-Antwort-Struktur⁵⁴ Wenn wir eine Frage stellen, so sagen wir damit, was wir wissen wollen. Fragen sind Sprechakte, mit denen wir ausdrücken: Wir wissen etwas nicht, wollen es aber wissen. – Das Folgende fasst einen Abschnitt aus Kuhlmann (1975), S. 94 ff. zusammen. https://doi.org/10.1515/9783110677454-003
2.1 Bemerkungen zur Frage-Antwort-Struktur
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1) Wie können wir sagen, was wir nicht wissen? Zunächst scheint es doch so zu sein, dass wir nur sagen können, was wir wissen. Wenn wir nicht wissen, wie hoch der Baum ist, dann können wir es auch nicht sagen. – Doch es gilt in Wirklichkeit nur, dass wir das, was wir nicht wissen (dass der Baum 17 m hoch ist) nicht direkt und inhaltlich vollständig sagen können.Wir können unser bestimmtes Nichtwissen nicht dadurch spezifizieren, dass wir das bestimmte Wissen, das wir haben wollen (dass der Baum 17 m hoch ist), direkt und vollständig ins Spiel bringen, denn dazu müssten wir es ja schon haben. – Aber wir können sehr wohl indirekt und inhaltlich unvollständig dasjenige, was wir nicht wissen, ausdrücken und damit unser bestimmtes Nichtwissen hinreichend genau spezifizieren, nämlich als das, was uns fehlt. Wenn uns etwas fehlt, dann haben wir es zwar nicht. Aber das heißt nicht, dass wir dann hier gar nichts haben, dass uns hier gar nichts gegeben ist. Wir haben vielmehr so etwas wie einen – vielleicht sogar schmerzhaft empfundenen – Mangel, eine Lücke in dem, was wir schon haben. Von diesem Mangel, von dieser Lücke, die sich abhebt von dem, was wir schon haben und die auffällt dadurch, dass an dieser Stelle Probleme, Störungen, Schwierigkeiten entstehen, können wir wissen, und wir können sagen, dass es diesen Mangel bzw. diese Lücke bei uns gibt. – Eine solche Lücke ist nun kein formloses Nichts. Sie hat vielmehr jeweils eine ganz bestimmte Form, und diese Form bestimmt, von welcher Art es ist, was uns fehlt, was die Lücke genau ausfüllen würde. Zu den genauen Bestimmungen dieser Lücke gelangen wir, indem wir im Lichte unseres jeweiligen Vorhabens (hier z. B.: Wir wollen Holz verkaufen) dasjenige durchmustern, was wir schon zur Durchführung dieses Vorhabens zur Verfügung haben (wir wissen: Hier ist ein in Frage kommender Baum) und indem wir dies vergleichen mit dem, was für die Durchführung des Vorhabens erforderlich ist (wir müssen z. B. Wissen haben über die Menge des zur Verfügung stehenden Holzes und damit über die Höhe des Baumes). Dabei ergibt sich die genaue Form der Lücke oder Leerstelle, bzw. die genaue Beschaffenheit des Fehlenden durch Überlegungen darüber, wozu genau (aus dem uns schon zur Verfügung Stehenden) muss das Fehlende passen und welche Funktionen muss es übernehmen können und daher die und die Eigenschaften haben? – Eine solche Lücke bietet freilich Platz nicht nur für das eine Fehlende, das am Ende akzeptiert werden wird, sondern für Alternativen, für – je nach Beschaffenheit der Lücke – viele oder wenige Möglichkeiten. Die Lücke steckt einen – je nach den Umständen mehr oder weniger großen – Spielraum für mögliches Fehlendes ab. Wenn das nicht so wäre, wäre die Lücke ja genaugenommen gar nicht offen. Denn hier, wo es um fehlendes Wissen geht, könnte der Betroffene anderenfalls auf das fehlende Wissen schließen, hätte es also in gewissem Sinne schon. – Weil es hier um fehlendes Wissen geht, haben wir außerdem noch mit folgender Besonderheit zu tun: Wenn es ein Gegenstand wäre, der uns fehlt, z. B. ein Werkzeug, dann wäre
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2 Das Strukturmodell
die Lücke tatsächlich ganz leer.Wenn es dagegen um fehlendes Wissen geht, dann ist die Lücke nicht wirklich leer. Denn die allgemeinen Bestimmungen des Fehlenden, die sich aus den erwähnten Überlegungen ergeben, haben ja für den Betroffenen, dem das Wissen fehlt, selbst schon den Charakter von Wissen. Das fehlende Wissen ist also in seinen allgemeinen Zügen schon da. Nur das Besondere fehlt noch. (In unserem Fall mit dem Baum: Wir wissen schon, dass es um die Höhe des Baumes in Metern geht.Wir wissen nur nicht die genaue Zahl der Meter.) Die Lücke enthält hier Nichtwissen und Wissen zugleich. Mit alledem ergibt sich: Wir können sagen, was wir nicht wissen, aber wissen wollen, indem wir sagen, was uns fehlt, d. h. indem wir auf eine Lücke hinweisen, die in dem uns zur Verfügung Stehenden besteht, eine Lücke von einer bestimmten Form und Beschaffenheit, aus der sich ihrerseits ergibt, von welcher Art die Alternativen sein müssen, die genau passend diese Lücke ausfüllen würden. 2) Fragen sind nun genau die Sprechakte, die für diese Verhältnisse eigens gemacht sind. Das Wesentliche an Fragen ist, dass sie Leerstellen enthalten und einen Hinweis darauf, dass die jeweilige Lehrstelle ergänzt werden soll. Leerstellen können offenbar nicht für sich allein zum Ausdruck gebracht werden. Sie können nur so zur Erscheinung gebracht werden, dass sie sich abheben als Lücke in etwas positiv Bestehenden. Sie werden daher zum Ausdruck gebracht als Leerstellen in einem Zusammenhang, der eigens als Kontext für die Leerstelle ins Spiel gebracht wird. Und dieser Kontext drückt aus dem Vorwissen des Fragenden über die jeweils interessierende Sache den relevanten Ausschnitt aus, in dem sich (via die erwähnten reflexiven Überlegungen über die Differenz zwischen schon Vorhandenem und hier Erforderlichem) die Lücke aufgetan hatte. Dieser Kontext, zu dem das Neue passen, in dem es seine spezifische Funktion übernehmen soll, erlaubt es zugleich, die Form der Leerstelle beliebig präzise zu bestimmen und damit die Form der Antworten festzulegen, die als passende Antworten in Frage kommen und durch die Frage gefordert werden. 3) Die wichtigsten Fragetypen, die gewöhnlich unterschieden werden, sind Wort– und Satzfragen (bzw. Ergänzungs- und Entscheidungsfragen). Die Typen unterscheiden sich vor allem durch die Struktur und Funktion der Leerstellen, die sie ins Spiel bringen. Wortfragen („Wer hat das getan?“, „wohin gehst Du?“, „warum geschieht dies?“)) enthalten eine – in der Regel durch Fragewörter markierte – Leerstelle als Teil der in der Frage vorgebrachten Proposition. In ihnen werden also unvollständige Propositionen zum Ausdruck gebracht, und gefragt wird nach dem jeweils fehlenden Satzteil. Die unvollständige Proposition zeigt an: Dem Fragenden fehlt ein Teil der Repräsentation der relevanten Sache. Gefragt ist die Information, die sie vollständig machen könnte. Der die Form der Leerstelle determinierende Kontext ist der unvollständige Satz, der als solcher an der betreffenden Stelle nur bestimmte Einsetzungen erlaubt und damit nur einen be-
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stimmten Typ von Antworten als passend zur Frage⁵⁵ auszeichnet. Die Bestimmung der Form der Leerstelle und damit des Spielraums für mögliche Antworten findet auf vielen Ebenen und in vielen Hinsichten zugleich statt. Die von der Frage geforderten Ausfüllungen der Leerstellen müssen syntaktisch, semantisch und pragmatisch zum vorgegebenen Kontext passen, sie müssen die Perspektive des Fragenden ja – gegebenenfalls – sogar seinen Tonfall aufnehmen. („Wer hat den Elfmeter verwandelt?“) Dabei spielt es auch eine Rolle, dass Fragen ja in der Regel nicht isoliert als einzelne Fragesätze vorgebracht werden, sondern jeweils in einem Kontext, der die Restriktionen für passende Antworten noch weiter bestimmt und verschärft. – Satzfragen („Hast Du das getan?“ „War Hans gestern im Institut?“) enthalten eine Leerstelle für „Ja“ bzw. „Nein“, für Affirmation bzw. Negation, eine Leerstelle für Affirmation bzw. Negation einer bestimmten Proposition. D. h. die Repräsentation der Sache gilt hier als vollständig, offen ist nur ob diese Repräsentation affirmiert oder negiert werden soll. Die Funktion der Leerstelle ist hier nicht die Vervollständigung von Informationen, sondern die Klärung der Geltung von Repräsentationen. Die Leerstelle hat hier eine solche Form, dass entweder „ja“ oder „nein“ bzw. Äquivalente davon als passende Antworten gelten, aber zugelassen – und hier liegen die wesentlichen Restriktionen für mögliche passende Antworten – ist nur ein „ja“ (bzw. „nein“) zu der bestimmten Repräsentation der Sache, die in der Frage angedeutet wurde. D. h., wer sich bereit findet, eine passende Antwort („ja“ oder „nein“) auf die Frage „Hast Du eigentlich aufgehört Deine Frau zu schlagen?“ zu geben, sie also nicht als abwegig abweist, der akzeptiert die bestimmte Form der Leerstelle und damit die für ihn unvorteilhafte Darstellung seiner ehelichen Verhältnisse. 4) Weil es zu keiner Einsicht, zu keinem Erkenntnisresultat über was auch immer kommen kann, wenn nicht vorher der Betreffende entschieden hat, was er eigentlich wissen will (was? worüber? in welcher Hinsicht? etc.) das heißt, wenn er nicht vorher explizit oder implizit die Leistung erbracht hat, die man als Fragender erbringt, ist das Fragen, das Gestalten einer Leerstelle, in die das zu erkennende Neue integriert werden soll, ist die Besinnung auf das, was man schon hat und die Bestimmung und Artikulation dessen, was hier noch fehlt, eine der
In einem weiten Sinn können zu einer Frage je nach Kontext sehr viele verschiedene Antworttypen passen („Ich weiß nicht“, „ich möchte mich hier nicht äußern“, „das geht Dich gar nichts an“, „misch Dich nicht ein“, etc.). Im engeren Sinn passend sind genau die Antworten, die die jeweilige Leerstelle genau passend ausfüllen, sei es, dass sie nur den Satzteil enthalten oder den ganzen vervollständigten Satz. Wir interessieren uns nur für die passenden Antworten im engeren Sinn.
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2 Das Strukturmodell
wichtigsten Leistungen im Zusammenhang von Kognition.⁵⁶ Und die Struktur der Frage ist dementsprechend für die Epistemologie ein sehr aufschlussreiches Phänomen. Die Frage ist die Struktur, deren wir uns bedienen, um unsere Vorkenntnisse und Vormeinungen, das, was wir an Einschlägigem schon haben, so ins Spiel zu bringen, dass wir Neues erkennen und es an das Vertraute anschließen können. Eine Betrachtung von Fragen kann daher klar machen, wie der Zusammenhang zwischen Neuem und Alten im Einzelnen aussieht: Dadurch dass wir Leerstellen aus dem formen, was wir an einschlägigem Wissen und Vormeinungen schon haben, geben wir einerseits vor, wie das Neue erscheinen kann. Wir präformieren es, assimilieren es an das Alte. Das wird bei Wortfragen besonders deutlich: Das Neue wird von Anfang an gefasst und verstanden als möglicher Teil eines uns schon bekannten, vertrauten Ganzen, als Teil, der in vielen verschiedenen Hinsichten zu diesem Ganzen passen, es nur ergänzen würde, der an das Vertraute also immer schon assimiliert ist. Anders kann das jeweilige Neue für den Fragenden nicht zur Erscheinung kommen. Es gibt immer unendlich vieles, das wir jeweils nicht wissen. Fragen können wir nur nach dem, was uns fehlt (und das ist nur eine kleine Teilmenge von dem, was wir nicht wissen). Bei alledem ist es wichtig, nicht zu übersehen – es wurde schon darauf hingewiesen –, dass die Leerstelle nie ganz leer ist. Sie ist immer schon teilweise durch generelle Basisbestimmungen für das Neue angefüllt. Es fehlen nur noch die besonderen Einzelbestimmungen, die darauf aufruhen werden. Andererseits aber bearbeiten wir zugleich als Fragende das, was wir als Vorwissen schon haben: Wir wählen den für unser aktuelles Wissen-Wollen relevanten Ausschnitt aus unserem Vorwissen eigens aus. Wir machen ihn für uns (mindestens zum Teil) explizit, artikulieren und organisieren ihn so, dass das Neue in ihn integriert, an ihn angeschlossen, in ihm verankert und optimal wirksam werden kann. Wir bestimmen damit auch, wo das Neue angedockt werden soll. (Ja, wie wir später sehen werden, wir bringen das Vorwissen auch so ins Spiel, dass es durch Neues erschüttert, verändert werden könnte.Wir setzen es damit eigens aufs Spiel.) Dabei darf der engere und weitere Kontext, innerhalb
Wir erinnern: Erfolgreiche Kognition besteht nicht nur darin, dass wir eine wahre oder wahrheitsnahe Repräsentation der zu erkennenden Sache (eine zur Sache passende Repräsentation) erarbeiten und dann im Kopf haben. Die Repräsentation muss auch zu dem, was wir schon an Überzeugungen, Interessen, Standards etc. haben, passen, damit sie wirksam werden kann, d. h. das schon Vorhandene ergänzen, vertiefen, korrigieren etc. kann. Das Passungsverhältnis zur Sache wird durch die Arbeit an der Antwort betroffen, das Passungsverhältnis zum subjektiven Kontext, in dem die Repräsentation wirksam werden soll, wird betroffen durch die Arbeit an der Frage, die ihr vorausgeht.
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dessen wir unsere Fragen artikulieren, in dem unsere Fragen nur als Spitze des jeweiligen kognitiven Unternehmens auftreten und der für den genauen Sinn unserer Fragen wesentlich mitverantwortlich ist, nicht übersehen werden. 5) Bisher wurde das in Fragen aktualisierte und eigens organisierte Vorwissen des Fragenden vorgestellt als Propositions- bzw. Sprechaktfunktion (mit jeweils bestimmten Argumentbereichen). Man kann nun aber den propositionalen Gehalt dieses Vorwissens übersichtlicher darstellen in Form von Fragepräsuppositionen. Die Frage z. B.: „Wer hat den Elfmeter „verwandelt“?“ präsupponiert u. a. folgendes: Es wurde ein Elfmeter „verwandelt“. Jemand (ein Berechtigter, ein Mitspieler) hat den Strafstoß erfolgreich ausgeführt. Es wurde ein Strafstoß verhängt. Es wurde Fußball gespielt. Es wurde nach bestimmten Regeln gegeneinander gekämpft. Die Elfmeter-Regel spielte eine Rolle (wurde anerkannt und befolgt). Es wurde ein Spielplatz mit bestimmten Vorrichtungen (z. B. Tore, Strafraum etc.) verwendet etc. – Fragepräsuppositionen haben die Form von impliziten Behauptungen. Das zeigt sich daran, dass es als legitimer Zug im Spiel der Kommunikation mit Fragen und Antworten gilt, Fragen dann zurückzuweisen, wenn ihre Präsuppositionen als falsch oder gar sinnlos erscheinen. Eine derartige Reaktion ist aber nur sinnvoll, wenn zu den Präsuppositionen vom Fragenden (mindestens implizit) Geltungsansprüche der Wahrheit erhoben werden. – Mithilfe dieser Reaktionen – der versuchsweisen Zurückweisung einer Frage in verschiedenen Hinsichten – lassen sich die einzelnen Präsuppositionen isolieren und kenntlich machen. – Fragepräsuppositionen haben qua implizite Behauptungen ihrerseits Präsuppositionen. Zu Fragen gehören daher ganze Hierarchien von Präsuppositionen. – Die Fragepräsuppositionen geben zusammen die Voraussetzungen an, unter denen jeweils nach einer Antwort gesucht werden soll. Sie legen das Szenario oder den Rahmen fest, in dem die als Antwort gesuchte Möglichkeit eine Rolle spielen könnte. – Sie haben so relativ auf das kognitive Projekt der Bemühung um die Antwort den Status von synthetischen Urteilen apriori: Sie sagen etwas Inhaltliches vorweg über den Bereich, in dem geforscht werden soll, und sie können innerhalb dieses Projekts bzw. relativ zu dem bestimmten kognitiven Projekt nicht sinnvoll falsifiziert werden, weil ihre Falsifikation die Zurückweisung der Ausgangsfrage bzw. eine Änderung des Projekts bedeuten würde. – Das heißt, für die logischen Beziehungen zwischen Frage und Fragepräsuppositionen ist vor allem das Folgende wichtig: Nur wenn ihre Präsuppositionen als wahr gelten, erhebt sich für den Akteur/Sprecher wirklich die Frage, nur dann ist sie für ihn sinnvoll und offen. Wenn sie als falsch oder sinnlos gelten, dann nicht. (Das zeigt sich deutlich bei hypothetischen Fragen: Wer hypothetische Fragen stellt, muss für den Versuch, sie zu beantworten, unterstellen, die hypothetischen Annahmen seien wahr, d. h., was sie behaupten, sei tatsächlich gegeben, anderenfalls hätte er gar keine Anhaltspunkte für das was sich
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2 Das Strukturmodell
hypothetisch ergeben würde.) Der Hierarchie von Präsuppositionen, (bei der Präsupposition1 Präsupposition2 selbst präsupponiert etc.) entspricht ein System von in sich geschachtelten Rahmen bzw. frame-works, die bei der Arbeit an der Sache involviert sind und von denen jeweils jeder eigens für sakrosankt bzw. problematisch erklärt werden kann. 6) Ein weiterer wichtiger Punkt, der mit dem vorangehenden Abschnitt zusammenhängt: Fragen sind sprachliche Strukturen, die ein bestimmtes kognitives Verhältnis des Fragenden zur Antwort vorgeben und kanalisieren. Und dieses kognitive Verhältnis ist gerade dasjenige, das uns als das nach unserer Auffassung grundlegende und maßgebende Verhältnis zwischen Interpret und Interpretandum interessiert. Der Fragende zielt mit seiner Frage auf die Antwort. Er bringt seine Frage ins Spiel, artikuliert und organisiert sein Vorwissen über die Sache so, dass er damit die Antwort über die Sache vorbereiten, aneignen und wirksam machen kann. Dabei sind Frage und Antwort für ihn nicht theoretische Gegenstände, die er betrachtet und über die er redet. Sie haben für ihn vielmehr den Charakter von subjektiver Praxis, von Instrumenten bzw. Resultaten eigener bzw. gemeinsamer Handlungen, von denen er freilich per begleitendes Handlungswissen weiß und wissen muss, damit er sie erbringen, durchführen und kontrollieren kann. Theoretische Gegenstände, dasjenige, worüber hier geredet wird, sind die Sachen, von denen Frage und Antwort jeweils handeln. Beim Fragenden sind daher hier zwei Dimensionen von Kognition oder Wissen im Spiel: Das theoretisch-objektivierende Verhältnis des Betrachters zu seiner Sache und das praktische Verhältnis des Akteurs, der sich per (nicht-objektivierendes bzw. allenfalls sekundär objektivierendes) Handlungswissen auf eine gerade vorbereitete, jetzt zu erbringende eigene, bzw. auf eine zu übernehmende, zu wiederholende fremde (bzw. gemeinsame) Leistung bezieht. – Im Normalfall, in dem sich der Fragende ausschließlich für die Sache interessiert, und gar nicht für die sprachlichen und intellektuellen Leistungen, die er im Dienst der Sache erbringen muss, dominiert die erste Dimension des Wissens, die zweite tritt weitgehend oder sogar ganz zurück, bis sie sozusagen eine Art Schwundstufe erreicht. In anderen Fällen kann auch die zweite Dimension eine größere Rolle spielen, ja in Extremfällen kann sie sogar in Führung gehen. – Ein wichtiger Aspekt dieses letzten Gesichtspunktes liegt darin, dass dies Handlungswissen verschiedener Grade der Objektivierung fähig ist, so dass der Interpret bei seiner Interpretation zwischen verschiedenen – nämlich verschieden stark sekundär objektivierenden kognitiven Einstellungen zum (als Antwort verstandenen und behandelten) Interpretandum hin und her wechseln kann, zwischen der Einstellung des ausschließlich der verhandelten Sache verpflichteten Mitspielers und der Einstellung eines Mitspielers der sich zugleich als Betrachter auch für das Spiel selbst und die Spielzüge thematisch interessiert.
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7) Ein letzter Punkt: Fragen können auf verschiedene Weisen verwendet werden. Die für uns interessantesten Alternativen sind die folgenden: Man kann zum einen Fragen über etwas stellen, um durch sie zur noch nicht vorhandenen Antwort zu kommen, um durch sie die Antworten zu suchen, sie vorzubereiten bzw. hervorzurufen. Wir wollen etwas über die Sache wissen, stellen eine entsprechende Frage, legen damit fest, wie die Antwort aussehen muss und sorgen dann für die Antwort, die wir uns entweder selbst geben oder uns von anderen geben lassen. Dies ist die Normalfunktion. – Man kann zum anderen aber auch eine Frage dazu einsetzen, eine schon fertig vorliegende Information über die Sache zu vermitteln mit dem Korpus an Vormeinungen, Wissen, Interessen, das man mit sich herumträgt und in dem die fremde Information die ihr entsprechende Rolle spielen soll: Wir wollen etwas über die Sache wissen, haben Grund zu der Annahme, dass ein uns vorliegender Text uns weiterhelfen könnte, weil er relevante Informationen über die Sache enthält und suchen nun nach der Frage, die den Text für uns optimal aufschließen würde. Wir suchen nach einer Frage über die Sache, die das Fremde optimal an das Eigene anschließen könnte, die es möglich machen würde, das Fremde als Antwort auf eine Frage von uns zu behandeln und es so im Eigenen zu verankern. Das ist die Funktion, die für die Hermeneutik besonders interessant ist. In beiden Fällen haben wir mit Fragen über die Sache zu tun, die als solche unter zwei Standards stehen: Die Frage sollte die Sache optimal aufschließen, der Sache optimal gerecht werden. Und die Frage sollte dem Fragenden, seiner Situation, seinem Vorwissen, seinem Interesse optimal gerecht werden. Diese Standards gelten für beide Falltypen gleichermaßen. Die entscheidende Differenz zwischen den Falltypen betrifft das jeweilige Verhältnis zwischen Frage und Antwort, ein Verhältnis das das Verhältnis: Fragender – Sache überlagert. Beim ersten Falltyp ist das Verhältnis: Frage – Antwort ganz unproblematisch. Der Fragende legt durch seine Frage fest, wie die Antwort aussehen muss. Was als passende Antwort zählt, wird durch die Frage bestimmt. Ein optimales Passungsverhältnis ist hier quasi garantiert. – Beim zweiten Falltyp liegt hier gerade das Hauptproblem. Hier gibt es keine prästabilierte Harmonie. Die vorliegende Information ist ja eine Antwort auf eine fremde Frage, bzw. die Frage eines Fremden. Wieder gibt es hier zwei Standards, unter denen die jetzt gesuchte vermittelnde Frage steht. Sie sollte einerseits möglichst gut zum Text, zur fremden Antwort passen. Sie sollte aber andererseits auch möglichst gut zum sachlichen Vorwissen und Interesse des Interpreten passen. Beides steht jedoch je nach hermeneutischer und sachlicher Nähe zwischen Interpret und Interpretandum in mehr oder weniger starker Spannung zueinander. – Wenn sich Interpret und Interpretandum sachlich und hermeneutisch sehr nahe stehen – sie z. B. demselben Schulzusammenhang (Labor, Paradigma) angehören – dann kann die
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Frage des Interpreten im Prinzip beiden Standards zugleich optimal entsprechen. Dann wäre ja die sachliche Frage des Autors, auf die der Text zurückgeht, und von der anzunehmen ist, dass sie seinem sachlichen Interesse und seinem Stand des Vorwissens gut entspricht, annähernd identisch mit der Frage, die der Interpret von sich aus bezüglich der Sache stellen würde und von der ebenfalls anzunehmen ist, dass sie dessen Vorwissen und Interesse gut entspricht. Wenn aber der Interpret von sich aus die sachliche Frage des Autors stellen würde, hätte er damit Zugang zu der Frage, die den Text optimal aufschließen könnte, die optimal zum Text passen würde, weil sie ja den Text als Antwort faktisch konstituiert hat. – Wenn sich dagegen Autor und Interpret sachlich und hermeneutisch nicht nahestehen, dann wäre die Frage, die der Interpret von sich aus bezüglich der Sache stellen würde, verschieden von der Frage, die der Autor gestellt und mit dem Text beantwortet hat. Und dann kann die Frage nicht beiden Standards zugleich gut genügen. Bei dieser Konstellation ergibt sich ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten für die Auswahl der zur Erschließung des Interpretandums bestimmten Frage. Die Extreme dieses Spektrums sind diese: Der Interpret kann einmal die Frage ins Spiel bringen, die er selbst von sich aus,von seinem Stand des Interesses und des Vorwissens her, bezüglich der Sache vorbringen würde. Und er kann versuchen, ohne besondere Berücksichtigung der Eigenheiten des Interpretandums mit dieser Frage beim Text– so gut es geht – durchzukommen. Eine solche – in der Regel ziemlich gewaltsame, gegenüber dem Text rücksichtslose – Interpretation würde einseitig auf den Gesichtspunkt sachlicher Fruchtbarkeit der Auseinandersetzung mit dem Text setzen. – Der Interpret kann aber auch versuchen, die Frage zu treffen, die der Autor mit seinem Text zu beantworten versucht hat, die Frage, die zum Text optimal passen würde. Eine solche Interpretation würde einseitig darauf setzen, dem Text als Text in seiner Besonderheit gerecht zu werden. Darüber aber würde das sachliche Interesse, das ja in der Regel den Grund für die Auseinandersetzung mit dem Text abgibt, vernachlässigt. Die Frage des Autors ist ja in diesem Fall gerade nicht die Frage, die der Interpret von seinem Standpunkt her ernsthaft bezüglich der Sache stellen würde. Sachliche Sterilität der Interpretation ist sehr oft die Folge. – Zwischen diesen Extremen finden sich Mischformen, in denen die Gesichtspunkte: Sachliche Fruchtbarkeit – Treue zum Text bzw. Interesse an fremden Perspektiven etc. jeweils verschiedenes relatives Gewicht haben. Welcher Fragetyp bei einer Interpretation jeweils der angemessene ist, d. h. auf welchen Gesichtspunkt die jeweilige Interpretation größeres Gewicht legt, hängt vom Kontext der Interpretation ab und ist Sache der Entscheidung des Interpreten. Dazu später mehr im Teil 3.
2.2 Das Modell
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2.2 Das Modell Nachdem an die wichtigsten Aspekte des Frage-Antwort-Schemas erinnert wurde, soll nun ein konkretes Modell für die kognitive Bemühung um ein Interpretandum vorgestellt werden. Dabei geht es vor allem darum, die verschiedenen bisher diskutierten Aspekte des Verstehensproblems⁵⁷ in einem möglichst umfassenden und möglichst durchsichtigen (daher präzisierbaren) Modell des hermeneutischen Prozesses zusammenzubringen, bei dem jetzt besonders das Folgende zusätzlich berücksichtigt wird: Interpretanda sind Entitäten, die in der Regel aus vielen Teilen bestehen. Diese verschiedenen Teile müssen vom Interpreten nacheinander durchlaufen (und insofern diskursiv erarbeitet) werden. Zugleich aber ist der Sinn und damit auch das mögliche Verständnis der einzelnen Teile abhängig vom Sinn bzw. dem Verständnis aller anderen Teile und des Ganzen, und der Sinn bzw. das Verständnis des Ganzen abhängig vom Sinn bzw. dem Verständnis der Teile. Das Modell muss also mit dem Problem des sogenannten „Hermeneutischen Zirkels“ fertig werden. Es muss zeigen, wie der Interpret, der – wie es scheint – eigentlich nur richtig verstehen könnte, wenn er alles, Teile und Ganzes, auf einen Schlag verstehen würde, gleichwohl diskursiv, d. h. die einzelnen Teile nacheinander durchlaufend, sich ein angemessenes Verständnis erarbeiten kann. – Wesentlich für unser Modell ist dabei, dass das zu rekonstruierende Geschehen der Erarbeitung des Verständnisses nicht begriffen werden kann als Prozess einer gleichmäßig kontinuierlichen Entwicklung, als linear einsinniges Voranschreiten eines Forschers der seine Hypothesen ständig korrigiert und verbessert. Zu diesem Prozess gehören vielmehr notwendig verschiedenartige Phasen. Der Interpret kommt zu seinem Resultat wesentlich dadurch, dass er zwischen verschiedenen Positionen und Einstellungen hin und her wechselt: zwischen der Position und Einstellung des vor allem der Sache und dem gemeinsamen Spiel hingegebenen Lesers bzw. Adressaten, der selbstvergessen mitspielt im Spiel der Kommunikation einerseits und andererseits der Position und Einstellung eines Mitspielers, der weitgehend zum Betrachter des Spiels geworden ist, zum Betrachter des Spiels, der Spielzüge, der kommunikativen Verhältnisse, in die er verwickelt ist, denen er sich aber zugleich partiell entzieht. Und dabei bringt er sein wichtigstes Interpretationsinstrument, sein Vorverständnis
Nämlich die Oppositionen: (i) x (das Interpretandum) als Antwort vs. x als Gegenstand; (ii) Mitspielen vs. Betrachten; (iii) Aneignen von x selbst vs. Wissen über x Erwerben; (iv) sekundäres vs. primäres Objektivieren; (v) Handlungswissen vs. theoretisches Wissen; ferner die besonderen Gegebenheiten: (vi) Zum Verstehen von Texten gehören immer zwei kognitive Projekte: Die Bemühung um den Text selbst und die Bemühung um die Sache; (vii) Interpretanda sind immer auf vielen verschiedenen Integrationsniveaus realisiert; (viii) die Frage-Antwort- Struktur.
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vom Interpretandum, abwechselnd einmal als zu beantwortende Frage (und zwar: über die Sache), das andere Mal als zu korrigierende Hypothese über das Interpretandum selbst ins Spiel. – Als Interpretandum stellen wir uns jetzt einen Text vor, der uns über eine Sache, an der wir interessiert sind, belehren könnte, einen Text, der hermeneutisch von uns gerade so weit entfernt ist, dass wirklich hermeneutisches (nicht nur naives elementares) Verstehen erforderlich ist, dass aber andererseits keine zusätzlichen Vorkehrungen für das Verstehen – das Erlernen einer für uns neuen Sprache, das Einarbeiten in eine uns unvertraute wissenschaftliche Disziplin etc. erforderlich sind. (Wir denken an einen Reisebericht über eine uns interessierende Region, der einer anderen Zeit und einem fremden Kulturkreis entstammt.) Konfrontiert mit einem solchen „Gegenstand“ möglicher kognitiver Bemühungen haben wir zunächst eine Entscheidung zu treffen: Wir werden, was wir vor uns haben, nicht zum Gegenstand primär objektivierender Forschung – nach Art etwa der Akustik – machen, zu einem Gegenstand, über den wir nur etwas herausbekommen können, sondern wir werden versuchen, den Text zu verstehen, d. h. das, was in ihm über x gesagt wird, uns zu eigen zu machen und dabei zugleich etwas über die Art, wie im Interpretandum über x gehandelt wird, zu erfahren. Dabei unterstellen wir, dass das Interpretandum Resultat rationaler Bemühungen ist, das in vielen Hinsichten „richtig“ und „falsch“ sein kann und daraufhin beurteilt werden muss.
2.2.1 Die erste Phase: Einstellung des Mitspielers, Aneignen des Interpretandums qua Antwort Wir beginnen mit der ersten Phase. Diese ist dadurch geprägt, dass der Interpret hier versucht, sich das im Interpretandum Gesagte direkt anzueignen. Der Interpret liest den Text, weil er an der Sache interessiert ist, von der der Text handelt (also z. B. an zentralafrikanischen Verhältnissen im 17. Jahrhundert), und der Text liegt auch so vor (z. B. in einer Übersetzung), dass er sinnvoll versuchen kann, direkt an die Aneignung des Gesagten zu gehen. Dies zu tun, ist für den Interpreten erstens vernünftig, es ist ökonomisch, er vermeidet eventuell unnötige Umwege. Und es ist zweitens – nach der gerade getroffenen Entscheidung – notwendig, denn nur so gibt er dem Text die Chance, direkt zu ihm zu sprechen, und nur so kann er herausbekommen, wo die Schwierigkeiten für die direkte Aneignung liegen, was an zusätzlichem Aufwand nötig ist. Wenn der Interpret den Prozess auf diese Weise anfängt, er den Text direkt auf die Sache hin liest, dann beginnt er den Interpretationsprozess im Modus naiver kommunikativer Erfahrung, in der Einstellung und Rolle eines einfachen Mit-
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spielers im Spiel der Kommunikation über die Sache. Wir haben gerade gesehen, dass das Mitspielen in der Regel eine zweistöckige Praxis ist, eine Praxis auf zwei Ebenen zugleich. Daher können wir jetzt sagen: In der ersten Phase geht die Ebene, auf der über die Sache gehandelt wird, in Führung, nicht dagegen die – ebenfalls im Spiel befindliche – Ebene, auf der (per Handlungswissen vom Kommunizieren) der Interpret von seinem Reden über die Sache weiß, er sich auf sein Verstehen und auf den zu verstehenden Text bezieht. Es ist die Sache, von der der Text handelt, die im Zentrum, im Fokus, im Licht steht, dagegen liegen die Kommunikation über die Sache, die Aneignung des Sinnes, der Text selbst, im Schatten, werden nur mitwahrgenommen, ja durch sie sieht der Interpret wie durch Glas hindurch. D. h. aber, dass in dieser Phase die kognitiven Leistungen unseres Interpreten mit Bezug auf den Text selbst für den Interpreten gerade nicht im Fokus stehen. Diese werden vielmehr sämtlich nur hilfsweise, implizit und routinemäßig erbracht. Die Aufgaben, die der Interpret in dieser Phase – und zwar im Modus der Unabgehobenheit – vor allem zu erledigen hat, ergeben sich aus den eben hervorgehobenen Umständen, einmal dass der Text ein Ganzes ist, in dem die Bedeutung der Teile und des Ganzen wechselseitig voneinander abhängen, sich wechselseitig bestimmen, und zum anderen, dass der Interpret die Teile des Textes nacheinander durchzugehen hat. Für die Anfangsphase folgt daraus erstens (2.2.1.1), dass der Interpret, damit der Prozess in Gang kommt, ein (vorläufiges) Verständnis des Anfangsteils entwickeln muss (das im Anfangsteil Gesagte sich aneignen muss), ein Verständnis, das zudem beitragen kann sowohl zum demnächst zu erarbeitenden Verständnis des unmittelbar angrenzenden Textteiles, welches zum Verständnis des ersten Textteiles passen muss, wie auch zum Verständnis des Ganzen, das sich ja aus dem Verständnis der einzelnen Teile ergeben soll. Es folgt zweitens (2.2.1.2), dass ein Vorverständnis des Ganzen entwickelt werden muss. Das ist deswegen erforderlich, damit die sukzessive durchzugehenden Teile hinsichtlich ihres Stellenwertes im Ganzen verstanden werden können. Wenn ihr Stellenwert im Ganzen nicht berücksichtigt werden kann, dann kann man nicht wissen, wie sie jeweils gemeint sind, d. h. es würde ein essentieller Teil ihres Verständnisses fehlen.⁵⁸
Es scheint evident zu sein, dass dies die Hauptaufgaben der ersten Phase sein müssen. Andererseits ist aber auch folgendes klar: Wenn wir die Erledigung der beiden Aufgaben als notwendige Voraussetzungen für das Eindringen in den Text als Ganzen deklarieren, dann verwickeln wir uns in einen Regress (in dem sich das Problem des Hermeneutischen Zirkels wieder meldet). Denn das Verständnis des Anfangsteils, das wir als Voraussetzung für das Weitere erklären, ist selbst natürlich auch wieder nur Verständnis eines (ganzen) Interpretandums, nur eines weniger umfangreichen, das seinerseits dieselben Voraussetzungen erfordert. (Deshalb ist
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2.2.1.1 Das Verständnis des Anfangsteils Der Interpret liest den Text, weil dieser ihm etwas über die Sache, von der er handelt, sagen soll. Er ist mit seinen Gedanken, Fragen, Erwartungen bei der Sache, nicht dagegen beim Text, den er als Vermittelnden bloß in Anspruch nimmt und durch den er dabei wie durch Glas hindurchsieht. Gleichwohl erreicht er auf diese Weise ein erstes, vorläufiges Verständnis dieses Teiles, ein Verständnis, das ihm hilft, in den Text als Ganzes einzudringen. Dieses Verständnis wird möglich, weil folgendes zusammenkommt: (i) Mit seiner Entscheidung, das Interpretandum als mögliche Auskunft bzw. Antwort über die Sache, zu behandeln, hat der Interpret stillschweigend unterstellt, dass der Autor ihm etwas über die Sache mitteilen will. Er setzt damit voraus, dass im Interpretandum mindestens das Folgende enthalten ist, was er jetzt schon – vor aller inhaltlichen Verstehensbemühung – am fremden Text verstehen, bzw. sich durch das Interpretandum sagen lassen oder aneignen kann: „Ich (der Autor) sage hiermit das und das über die Sache und erhebe dazu den Anspruch, dass das Gesagte sinnvoll und wahr ist.“ – Dies ist die uns schon bekannte Generalunterstellung⁵⁹, mit der der Interpret den Text generell für sich öffnet und sich zugleich in die Position des Mitspielers bzw. Adressaten bringt, der das Interpretandum als anzueignende Antwort behandelt, ja als etwas, das er in gewissem Sinn und in gewissem Umfang schon angeeignet hat. Mit diesem Zug ist die Verstehensbemühung der ersten Phase bedeutend vorangebracht worden. Sie ist zum einen entschieden auf das rechte Gleis gesetzt worden: Es geht um Aneignung, nicht Betrachtung des im Text Gesagten, genauer: Es geht um Fortsetzung der schon begonnenen Aneignung. Und die Aufgabe ist zum anderen erheblich konkretisiert worden. Es geht nur noch um die inhaltliche Ausfüllung eines bereits etablierten Rahmens bzw. Schemas (der bisher noch leeren Antwort), eine Ausfüllung, die zu diesem Rahmen passen muss. D. h. die im Folgenden (in (ii) und (iii)) vorzuführenden Vorkenntnisse und Einsichten müssen in diesem Sinne mobilisiert werden.
der Ort für die Besprechung der Entwicklung des Vorverständnisses vom Ganzen beliebig, wir wählen den für uns darstellungstechnisch günstigsten.) Eine saubere Lösung scheint unmöglich zu sein. Sie wäre in der Tat unmöglich, wenn wir von der Voraussetzung ausgehen müssten, dass der Interpret den Aneignungs- bzw. Verstehensprozess vom Nullpunkt aus beginnen muss, d. h. aus einer Position, in der er noch gar nichts vom Interpretandum verstanden hat. Dies ist jedoch – wie wir gleich sehen werden – eine Position, die der Interpret mit seiner Entscheidung, das Interpretandum als etwas zu behandeln, das ihm etwas über die Sache sagen könnte, schon hinter sich gelassen hat. O. S. 43 f.
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(ii) Der Interpret ist nach Voraussetzung im Besitz kommunikativer Kompetenz, und außerdem versteht er die Sprache des Interpretandums. D. h., a) er kann sich ohne große Mühe auf den oben⁶⁰ unterschiedenen Integrationsniveaus, bzw. Aktivitätsebenen bewegen, ja er hat b) die meisten der entsprechenden Aktivitäten schon hinter sich gelassen, d. h. er kennt die Bedeutung der einzelnen Ausdrücke, die Regeln, nach denen diese zusammengesetzt und verwendet werden, und er kann mit diesen Regeln umgehen. Daher kann der Interpret durch Anwendung dieser Regeln auf den vorliegenden Fall, d. h. durch triviale Hypothesen über die materialen Zeichenträger (z. B. „diese Komplexe aus Druckerschwärze sehen so und so aus, daher werden sie nach den Regeln der Sprache dies und das bedeuten“)⁶¹ vorläufige Vorstellungen davon entwickeln, wovon in diesem Text die Rede ist (z. B. von Zentralafrika) und welcher Art die Gedanken sind, die hier ausgedrückt werden (z. B. dass dort von den Reizen und Gefahren dieser Region die Rede ist). Bei alledem spielt die Unterstellung, dass der Autor sich an diesen Regeln tatsächlich orientiert hat und dass er es richtig gemacht hat, er dabei erfolgreich war, eine große Rolle. (iii) Diese vorläufigen Ideen können weiter konkretisiert, korrigiert und (ein‐) geordnet werden im Lichte von Vorkenntnissen, die der Interpret bei der Lektüre des Anfangsteils schon mitbringt. Diese Vorkenntnisse sind von zweierlei Art: Es sind zum einen Vorkenntnisse über die Sache (Zentralafrika), auf die etwa das Interesse des Interpreten am Text zurückgeht, und die die Erwartungen steuern, womit bezüglich der Sache im Text zu rechnen ist. Es sind zum anderen Vorkenntnisse über den Text, z. B. über den Kontext, in dem der Text begegnet, oder über das Genre, dem der Text angehört, Vorkenntnisse, die beispielsweise Annahmen über im Text zu erwartende Gepflogenheiten von (z. B. arabischen) Reiseschriftstellern enthalten können. Diese Vorkenntnisse über die Sache und den Text können natürlich nur hilfreich sein, wenn zugleich wieder unterstellt wird: Der Autor verhält sich in den hier relevanten Hinsichten rational, d. h., er geht von ähnlichen Vorstellungen über die Sache aus, macht dabei keine groben Fehler, und er entspricht in seinem Verhalten den Annahmen über den Text, d. h., er tut in den jeweiligen Kontexten das Passende etc. Faktoren dieser Art machen es möglich, dass der Interpret in seinem Interpretandum nicht einfach ein undurchsichtiges opakes Objekt vor sich hat, angesichts dessen kognitive Bemühungen nur die Form annehmen können, dass das Objekt untersucht und zum Gegenstand von (primär objektivierenden) Hypothe O. S. 45 ff. Derartige Hypothesen bringt der Interpret als jemand, der die Sprache geläufig spricht und der Texte in dieser Sprache zu lesen versteht, in der Regel natürlich nicht explizit ins Spiel, sondern implizit und weit unterhalb der Bewusstseinsschwelle.
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sen über es gemacht wird, sondern dass der Interpret einen Text vor sich hat, der – zwar bisher nur mehr oder weniger durchsichtige – Gedanken über eine Sache enthält, einen Text, der freilich – wenn der Interpret etwas Mühe investieren würde – ihm vielleicht etwas Wichtiges über die Sache sagen könnte. Das heißt, Faktoren dieser Art zusammengenommen⁶² können für Verhältnisse sorgen derart, dass im intersubjektiven Bereich (im Bereich des „Wir“) etwas möglich wird, was dem intrasubjektiven Umgang (Bereich des „Ich“) mit eigenen Gedanken entspricht: nämlich das (vorläufige, korrekturbedürftige) Aneignen fremder Gedanken, des in diesem Textteil Gesagten durch den Interpreten, das versuchsweise Fassen der Gedanken unseres Textanfangs durch den Leser, sowie die Korrektur von eventuellen Fehlgriffen. – Soviel zunächst zur Analyse der ersten Aufgabe, die nur verständlich machen sollte, dass und wie der Interpret überhaupt in den Interpretationsprozess hineinkommen kann.
2.2.1.2 Das Vorverständnis vom Ganzen Die zweite Aufgabe, die der Interpret in der ersten Phase zu erledigen hat, ist der Entwurf eines Vorverständnisses vom Ganzen. Der Interpret hat bisher nur mit einem Teil des Textes zu tun, kann das Ganze daher noch nicht kennen, braucht aber eine Idee des Ganzen, weil das Verständnis eines Textteils wesentlich vom Verständnis des Ganzen abhängt. Ob eine Textpassage Teil eines Märchens oder eines wissenschaftlichen Berichts ist, eines Romans oder einer politischen Rede, ob sie ernst oder ironisch gemeint ist etc., ist für ihr Verständnis ersichtlich von großer Bedeutung, ergibt sich aber erst, wenn man das Ganze kennt. Wenn der Interpret noch keine Kenntnis des Ganzen haben kann, muss er, um die Teile verstehen zu können, das Verständnis des Ganzen antizipieren, d. h. ein Verständnis des Ganzen versuchsweise selbst entwerfen. Er tut dies in dieser Phase, wie alles andere, was er an kognitiven Leistungen mit Bezug auf den Text selbst erbringt, in unabgehobener Weise, bloß implizit und routinemäßig. Das Vorverständnis vom Ganzen ist das wichtigste Moment im Interpretationsprozess. Es ist einerseits zu bearbeitendes Zwischenresultat, das durch die Arbeit des Interpreten dem endgültigen Verständnis nähergebracht werden soll. Und es ist zugleich das wichtigste Instrument des Interpreten, durch das das endgültige Verständnis möglich werden soll. Diese Doppelrolle ist möglich, weil
Die alle auf das Faktum verweisen, dass der Interpret die Verstehensbemühung nicht vom Nullpunkt aus beginnt, sondern von einer Position, in der er schon vieles vom Interpretandum verstanden hat. Der Interpret muss schon Mitspieler sein, wenn nicht, dann kann er das Interpretandum nur primär objektivieren.
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das Vorverständnis als zweistöckige Entität sich in gewissem Sinne zu sich selbst verhält. Damit wir uns die Sache genauer vorstellen können, entwerfen wir jetzt ein idealtypisches Schema eines solchen Vorverständnisses, in dem freilich – das ist wichtig – noch keine Unterschiede gemacht werden hinsichtlich der verschiedenen Grade der Explizitheit, in der die verschiedenen Teile des Vorverständnisses dem Interpreten jeweils faktisch präsent sind. Ein Vorverständnis des Interpreten angesichts unseres Reiseberichts könnte etwa folgendermaßen artikuliert werden: „Ich vermute bzw. erwarte, angesichts des mir vorliegenden Textes (von dem ich (aus dem Kontext, in dem er mir bisher begegnet ist) Dinge der folgenden Art zu kennen bzw. zu wissen glaube: die Art, das Genre des Textes, seine zeitliche, geographische, kulturelle Herkunft, den Gegenstand, um den es hier geht, die Form der unterstellten Welt bzw. das Diskursuniversum, die ungefähre Perspektive und das einschlägige sachliche Vorwissen des Autors, die ihm vermutlich zur Verfügung stehende Begrifflichkeit etc.), dass sich die im Text thematische Sache (die durch den Text zu berichtende Sache) etwa folgendermaßen entwickeln wird: Zuerst wird irgendwie das Interesse des Reisenden geweckt werden, dann wird er die Reise vorbereiten, An- und Einreise in das Land werden folgen, er wird zunächst erste Eindrücke sammeln, dann wichtige Begegnungen und Erlebnisse haben und schließlich das Erlebte und Erfahrene auswerten etc.“ Ein solches Vorverständnis ist offenbar eine Struktur von erheblicher Komplexität. Insbesondere gilt: Es enthält Vermutungen bzw. Erwartungen von zweierlei Art, die auf zwei Ebenen situiert sind: Vermutungen bzw. Erwartungen bezüglich der thematischen Sache, der Entwicklung der Sache, über die im Text berichtet wird und Vermutungen bzw. Erwartungen mit Bezug auf den Text selbst, über den Text. D. h. das Vorverständnis ist – wie die meisten Spielzüge im Spiel der Kommunikation – zweistöckig. Es ist situiert auf zwei Ebenen, und diese Ebenen können in verschiedenen Phasen des Verstehensprozesses verschiedenes relatives Gewicht haben. Wichtig ist nun, zu sehen, dass das, was auf zwei Ebenen situiert ist, die beiden Typen von Vermutungen/Erwartungen, eng miteinander zusammenhängt, voneinander abhängt. So sind Erwartungen bezüglich des Fortgangs in der Sache abhängig von Wissen oder Vermutungen über das Genre des Textes, über den Horizont, die Perspektive die Begrifflichkeit des Autors.Wir erwarten einen jeweils
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anderen Gang der Handlung in dem uns vorliegenden Text, wenn wir wissen, es geht um ein Märchen, einen Kriminalroman, einen wissenschaftlichen Bericht.⁶³ Und es gilt auch die Umkehrung: Wenn wir bei der Lektüre den Fortgang der Sache im Detail erfahren, dann führt das (in der Regel) dazu, dass wir unsere bisher wirksamen Unterstellungen über das Genre des Textes, über das Diskursuniversum, die Perspektive, die Begrifflichkeit des Autors korrigieren und präzisieren werden. Wenn aber diese beiden Seiten der Sache so miteinander zusammenhängen bzw. voneinander abhängen, dann bedeutet das – und das ist die Grundannahme, die unserem Modell zugrunde liegt -, dass man von zwei Seiten bzw. von zwei Positionen und Einstellungen her in das Ganze des Interpretandums eindringen, es sich erschließen kann: Einerseits von der Seite und Position eines (sich voll engagierenden) Mitspielers her, der sich vom Interpretandum – wie man sagt – „fesseln“ lässt, der mit Vermutungen über die Sache anfängt, die Ebene der Kommunikation über die Sache dominieren, die Ebene der Metakommunikation dagegen zurücktreten lässt und sein Wissen und Vorwissen über den Text als bloß implizites Hintergrundwissen ins Spiel bringt. Andererseits aber auch von der Seite und Position her eines Mitspielers, der jetzt wesentlich auch zum Betrachter des Spiels geworden ist, der mit Vermutungen über den Text beginnt und die Ebene der (Meta‐) Kommunikation über den Text dominieren, die Ebene der Kommunikation über die Sache dagegen im Halbschatten lässt.⁶⁴ D. h. man kann ausgehend von einem ersten Verständnis der Entwicklung der im Text thematischen Sache gerichtete Erwartungen bezüglich des Textgenres, der Perspektive, des Horizonts, des Sprachspiels des Autors generieren. Und man kann umgekehrt ausgehend vom Vorwissen bzw. von Vermutungen über die kulturelle Herkunft, das Genre, den Autor des Textes zu gezielten Erwartungen über die Entwicklung der Sache kommen. Wieder sind hier entsprechende Rationalitätsunterstellungen über den Autor vorausgesetzt.
Und es ist klar: Ohne eine derartige Unterstellung, die in der Regel natürlich bloß implizit stattfindet, kommt es zu gar keiner bestimmten Erwartung. Beide Varianten legen natürlich wieder die uns schon bekannte Generalunterstellung zugrunde. Die erste tut das in der (nicht-objektivierenden) Form: „(Der Text enthält wesentlich den Gedanken:) „Ich (der Autor) sage hiermit das und das über x““ (wobei der Einleitungssatz den Status eines performativen Satzes hat), die zweite tut das in der (schwach) sekundär-objektivierenden Form: „(Der Text enthält wesentlich den Gedanken:) „Er (der Autor) sagt mit dem Text das und das über x““ (wobei der Einleitungssatz den Status eines deskriptiven Satzes hat). Beide Varianten laufen dennoch gleichermaßen auf das Aneignen der fremden Gedanken, nicht auf das theoretisch-objektivierende Betrachten derselben hinaus.
2.2 Das Modell
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Qua bloßes Zwischenresultat ist ein solches Vorverständnis noch mangelhaftes, verbesserungsfähiges Verständnis. Es gibt mindestens vier wesentliche Hinsichten, in denen das Verständnis eines Textes mangelhaft sein kann. Ein Verständnis kann erstens vage und global sein. Es muss daher schärfer und präziser werden. Es kann zweitens unvollständig und lückenhaft sein, nicht alle Teile des Textes umfassen. Es muss daher vollständig und lückenlos gemacht werden. Es kann drittens den Text verfehlen, es kann falsch oder schief sein, und muss daher treffend und richtig gemacht werden. Und es kann viertens oberflächlich oder flach sein und sollte daher vertieft werden. – Für die Zwecke einer allgemeinen Rekonstruktion des Interpretationsprozesses sollte das Vorverständnis in allen Dimensionen als so mangelhaft wie möglich angesetzt werden, damit auch alle wichtigen Interpretationsschritte rekonstruiert werden. Das Vorverständnis ist – wie wir sagten – zugleich das wichtigste Instrument des Interpreten. Als solches kann es drei verschiedene Funktionen übernehmen. (i) Qua unvollständige, lückenhafte Vermutung über die Sache (entworfen aus der Position und Einstellung eines Mitspielers), als lückenhaftes Schema für die Entwicklung der Sache, kann es ins Spiel gebracht werden als Frage, d. h. als eine offene Struktur mit Leerstellen, die über die Aneignungsarbeit des Interpreten durch den Text genau passend (passend auch zu den Präsuppositionen dieser Struktur) ausgefüllt werden sollen. Dabei unterscheidet sich das als Frage ins Spiel gebrachte Vorverständnis von einer üblichen Frage dadurch, dass es viele verschiedene Leerstellen enthält und – gegebenenfalls – aus vielen lückenhaften Aussagen besteht, d. h. einen ganzen lückenhaften Text bildet. Die Struktur ist vergleichbar einem Forschungsprogramm, bei dem ein Gesamtprojekt skizziert wird, in dem viele – miteinander verbundene – Leerstellen artikuliert sind, die Platzhalter sind für allererst zu erarbeitende Resultate von Einzeluntersuchungen, Resultate (die Antworten), die zusammen das Gesamtergebnis des Projekts bilden sollen. Die dahinter stehende Idee ist, dass so, wie eine normale Wortfrage, die in einem Fragesatz formuliert wird, auf einen Antwortsatz (mit ausgefüllter Leerstelle) zielt, so zielt die hier vorgestellte übersatzgroße Fragestruktur auf eine Antwort, die ein ganzer Text ist. Beides, Frage und Antwort, sind hier quasi Sprechakte im Großen. (ii) Die zweite Funktion, die das Vorverständnis bei der Interpretation übernehmen kann, ist die einer (sekundär objektivierenden) Hypothese über den Text, bzw. über das im Text Gesagte, einer Hypothese, die am Text scheitern, durch ihn falsifiziert bzw. nonsensifiziert werden kann. Als solche wird sie aus der Position und Einstellung des (zugleich auch mitspielenden) Betrachters vorgebracht. Diese Funktion hängt vor allem an den im Vorverständnis enthaltenen, sie als sachliche Vermutung allererst ermöglichenden Annahmen über den Text, über das Gesagte und über den Autor als rationalen Urheber. Qua Hypothese ist das Vorverständnis
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das Instrument, über das sich der fremde Text als fremder Text, als etwas, das verschieden ist von dem, was wir vermuten, zur Geltung bringen, d. h. sich gegen unsere Vermutungen durchsetzen kann. Wieder handelt es sich um eine Struktur, die in der Regel umfangreicher ist als ein einzelner Satz: Eine Generalhypothese mit vielen Unterhypothesen. (iii) Die dritte Funktion, die das Vorverständnis übernehmen kann, ist die eines quasitranszendentalen Schemas,⁶⁵ das den Text bzw. den Sinn des Textes allererst als etwas Bestimmtes, Festumrissenes sehen lässt. Zu Beginn des Interpretationsprozesses bringt der Interpret nach Voraussetzung zunächst nur die Kenntnis der Sprache des Interpretandums mit, d. h. er verfügt zunächst nur über den lexikalischen Sinn der Wörter und über die Regeln ihrer Zusammensetzung. Damit aber bleibt für ihn der Sinn des Textes noch ganz vage und unklar. Es gibt zu viele Möglichkeiten der Auslegung. Damit der Sinn eindeutig und insofern fassbar wird, braucht er zusätzliche Gesichtspunkte, die festlegen, woraufhin bzw. als was das im Text Gesagte verstanden werden soll. Er braucht eine bestimmte Perspektive, der Text muss für ihn auf bestimmte Weise sichtbar werden und Konturen annehmen. Diese Funktion des Vorverständnisses, seine Funktion als etwas, das den Text auf bestimmte Weise sehen lässt und so zu erschließen hilft, gilt in der hermeneutischen Tradition als die wichtigste Funktion.⁶⁶ – Wie kann nun das Vorverständnis diese Funktion haben? Wir haben gerade gesehen, dass die inhaltlichen Erwartungen über den Fortgang der Sache im Text abhängig sind von im Vorverständnis enthaltenen Annahmen bzw. Behauptungen über den Text, über Genre, Horizont, Perspektive, Diskursuniversum des Textes, sowie über die Rationalität des Autors. Diese Behauptungen über Text und Autor bringt der Interpret, der in der Einstellung des Mitspielers Fragen über die Sache an den Text stellt und sie sich beantworten lässt, als bloß implizite Hintergrundunterstellungen ins Spiel, als Unterstellungen, in deren Licht er seine Erwartungen über die Sache bildet. D. h. die Aussagen über den Text, das Genre, den Horizont, den Autor etc., die in der zuletzt genannten Funktion vom Interpreten qua Betrachter explizit als zu korrigierende Hypothesen ins Spiel gebracht wurden, haben für den Interpreten, wenn er als Mitspieler Fragen bezüglich der Sache bzw. des Fortgangs der Sache im Text, an den Text stellt, den Text selbst damit als Antwort behandelt, die Funktion von implizit unterstellten – und daher jeweils aktuell der Kritik
Quasitranszendental, weil es hier nicht um synthetische Urteile a priori geht, die überhaupt nicht korrigierbar sind, sondern nur um Urteile, die während der Prozessphase, in der sie die transzendentale Funktion haben, nicht korrigiert werden können. Vgl. Heidegger (1960), 148 ff. (§ 32) und darin die folgende These: „Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.“ (151).
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entzogenen – synthetischen Urteile a priori über das Diskursuniversum des Textes, von Urteilen a priori relativ zu der in dieser Phase anstehenden kognitiven Bemühung um den Text. Die drei Funktionen, die das Vorverständnis bei der Interpretation des Textes übernehmen kann, werden also dadurch möglich, dass das Vorverständnis auf zwei Ebenen zugleich situiert ist und dass der Interpret bei seiner Bemühung um den Text zwischen der Einstellung eines Mitspielers und eines (freilich noch mitspielenden) Betrachters hin und her wechselt, derart, dass abwechselnd die Ebenen der Metakommunikation (über den Text) und die Ebene der Kommunikation (über die Sache) in Führung gehen. (Wenn wir Text und Vorverständnis als Sprechakte im Großen verstehen, dann können wir sagen: Es dominieren abwechselnd die Ebene der Propositionen und der performativen Sätze.) D. h., wenn der Interpret in der Einstellung des Mitspielers an das Interpretandum herangeht, den Text als Antwort auf seine Fragen behandelt, dann hat das Vorverständnis auf der jetzt dominierenden Ebene der Kommunikation über die Sache (der propositionalen Ebene) die Funktion einer Frage, deren Leerstellen auszufüllen sind, wobei zugleich die ebenfalls zum Vorverständnis gehörenden Annahmen über Text und Autor auf der jetzt bloß implizit ins Spiel kommenden Ebene der Metakommunikation (über den Text) die Funktion von (gegenwärtig) unkorrigierbaren synthetischen Urteilen a priori haben. – Wenn dagegen der Interpret in der Einstellung des Betrachters sich dem Text zuwendet, haben die Annahmen über Text und Autor, die auf der jetzt dominierenden Ebene der Metakommunikation im Vorverständnis enthalten sind, den Status von explizit ins Spiel gebrachten Hypothesen über den Text, die am Text scheitern oder sich bewähren sollen, wobei im ersten Fall die von ihnen abhängigen Erwartungen über die Sache sich (in der Regel: erheblich) ändern müssten. – Soviel zunächst zu Struktur und Funktion des Vorverständnisses. Wo stehen wir? Wir haben bisher überlegt, wie zu Beginn des Interpretationsprozesses, in dem der Interpret zunächst versucht, aus der Position und Einstellung des Mitspielers sich das im Interpretandum Gesagte direkt anzueignen, es zu einem ersten vagen und rudimentären Verständnis des Anfangsteils des Interpretandums kommen kann. Wir haben uns dann klar zu machen versucht, welche Struktur ein – zu entwickelndes – Vorverständnis vom Ganzen hat und welche Funktionen es übernehmen könnte. Jetzt muss gezeigt werden, wie es überhaupt zu einem solchen Vorverständnis kommt (a) und wie es dann – in der Anfangsphase des Interpretationsprozesses – ins Spiel gebracht wird und dort wirkt, d. h. wir müssen das eben Entwickelte jetzt auf den konkreten Fall anwenden(b). Zu (a). Das Vorverständnis vom Ganzen tritt in der Anfangsphase wesentlich als Erwartung/Vermutung hinsichtlich der im Text thematischen Sache, bzw.
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Entwicklung der Sache auf. Die diese Erwartungen steuernden (metakommunikativen) Annahmen über den Text (und den Autor), die ebenfalls zum Vorverständnis gehören, bleiben implizit und im Hintergrund. Der materiale Gehalt des Vorverständnisses (auf beiden Ebenen) ergibt sich einmal aus Vorkenntnissen und Vormeinungen über den Text (über den Kontext, in dem der Text zuerst begegnet, über seinen Ort in der Bibliothek, über den Autor, über den Titel, über Beschreibungen, Rezensionen etc.). Er ergibt sich zum anderen aus der Lektüre des Anfangsteils. – Die Erwartungen über den Gang der Handlung im Text werden hier nicht eigens und mit Mühe angestellt und elaboriert, sie ergeben sich vielmehr quasi von selbst und ohne besondere Anstrengung, wenn der Interpret sich dem Text zuwendet und ihn zu lesen beginnt. Zu (b). Das Vorverständnis kommt in der Anfangsphase (der Phase naiver kommunikativer Erfahrung) mit zwei Funktionen zugleich ins Spiel, mit der eines quasitranszendentalen Schemas und mit der einer Frage. Zur ersten Funktion: Die im Vorverständnis steckenden Erwartungen des Interpreten hinsichtlich der Entwicklung der Sache werden – wie wir gesehen haben – gesteuert von Unterstellungen des Interpreten über den Text und den Autor (von der Art: Es geht um einen ernstzunehmenden, sachlichen Reisebericht eines vernünftigen arabischen Autors aus dem 17. Jahrhundert, um einen Reisebericht über Zentralafrika, woraus sich trivialerweise die inhaltliche Erwartung an den Text ergibt, dass der Interpret bei seiner Lektüre mit so und so beschaffenen Reiseerlebnissen zu tun haben wird). Diese Unterstellungen sorgen damit dafür, dass der Text von Anfang an schon auf etwas Bestimmtes hin gelesen wird, dass bestimmte Dinge hier für naheliegend, zentral und wichtig, andere für peripher und irrelevant gehalten werden. Das aber hat zur Folge, dass von den vielen Auslegungsmöglichkeiten, die für einen Interpreten, der ausgerüstet zunächst nur mit den erforderlichen Sprachkenntnissen an den Text herangeht, offenstehen und in Frage kommen, die meisten jetzt schon ausscheiden, bestimmte andere dagegen besonders wahrscheinlich werden. Und dieses bedeutet, dass die Durchsichtigkeit des Interpretandums, die für den (bloß sprachkundigen) Interpreten zunächst ja nur darin liegt, dass dieser bemerkt: Er hat es hier mit einer Sprache zu tun, die er beherrscht, mit Wörtern, die er kennt, und es geht hier ungefähr um das und das, worum jedoch genau, ist bisher nur mehr oder weniger klar, bedeutend gefördert wird. Das Halbdunkel, das den Text zunächst umgibt, fängt an sich zu lichten, das vorher bloß Verschwimmende beginnt fester und klarer zu werden und das Mehrdeutige eindeutiger. Zur zweiten Funktion, der Funktion einer Frage. Es ist klar, dies ist die für uns wichtigste Funktion, denn das Interpretandum als Antwort Behandeln und sich das darin Gesagte als Antwort auf eine eigene Frage Aneignen, das ist nach unserer Auffassung die entscheidende Leistung des Interpreten, von der alles Wei-
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tere (insbesondere die sekundär objektivierenden Leistungen) abhängt. – Nach dem bisher Gesagten geht der Interpret in der Anfangsphase mit bestimmten Erwartungen über den Gang der Sache an das Interpretandum heran. Diese Erwartungen sind – der Interpret steht ganz am Anfang und weiß vom Text nur sehr wenig – natürlich unvollständig und lückenhaft. Wir können daher sagen: Der Interpret organisiert sein einschlägiges Vorwissen und seine Vormeinungen in einer offenen, ergänzungsbedürftigen Struktur, einer Struktur mit Leerstellen. Er trägt diese offene Struktur wie eine Frage an den Text heran – wobei seine Frage und das, was der Text über die Sache sagt, sich auf derselben Ebene befinden –, und er erwartet, dass sich bei der Lektüre des Textes die Leerstellen schließen, dass sie passend ausgefüllt werden. Worauf das Ganze abzielt, ist eine Konstellation, in der das Interpretandum und das Vorverständnis sich so zueinander verhalten, dass das lückenhafte Vorverständnis, das der Interpret mitbringt, durch den zu interpretierenden Text passend ergänzt wird. Dies wäre eine Konstellation, bei der verständlich wäre, wie ein Interpret sich fremde Gedanken aneignen, wie er fremde Gedanken – wie eigene – fassen kann⁶⁷. Denn wenn der Interpret ein zum Text tatsächlich passendes Vorverständnis ins Spiel bringen könnte, eine Fragestruktur, die durch den Text genau passend ergänzt oder komplettiert werden könnte, was nur möglich ist, wenn im Einzelnen die Form der Leerstellen im Vorverständnis und die Präsuppositionen des Vorverständnisses (die Tiefenstruktur des Vorverständnisses) genau zum Text (und seiner Tiefenstruktur) passen, dann wäre der Interpret im Besitz gerade der Frage, die zur Antwort, die das Interpretandum darstellt, gehört. Das aber hieße, der Interpret hätte den weitaus größten Teil der Antwort schon, er besäße ihn schon – nämlich den Teil, der schon in der Frage steckt⁶⁸, und für die Aneignung des noch fehlenden Restes, für die dann ja schon alles vorbereitet wäre⁶⁹, würde es ausreichen, wenn er auf die ihm hier schon zugestandene Sprachkompetenz⁷⁰ zurückgreift. In der Anfangsphase, in der wir uns noch befinden, ist allerdings mit dieser Konstellation noch nicht zu rechnen. Das Vorverständnis des Interpreten ist ja
Dies ist eine Konstellation, die sich in normaler mündlicher oder schriftlicher Kommunikation (bei der sich die Beteiligten hermeneutisch und sachlich nahestehen) beinahe regelmäßig realisieren lässt. Vgl. die Differenz zwischen Frage und Antwort im folgenden Fall: „Welcher Spieler hat hier den Elfmeter verwandelt?“ – „Der Mittelstürmer“. Wir haben gesehen, dass die Leerstelle einer Frage ja auch nicht ganz leer ist. Die ihn die oben vorgestellten Integrationsniveaus des Interpretandums bzw. die ihnen zugeordneten Ebenen kognitiver Leistungen schon bewältigen und aus intersubjektiven Verhältnissen annähernd intrasubjektive Verhältnisse machen ließ.
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bisher nur ein ganz vorläufiges Verständnis. Als solches ist es – mindestens – noch vage und unscharf, und dementsprechend sind auch die Leerstellen in ihm nicht scharf konturiert. Sie schließen zwar schon einiges als mögliche Ausfüllung aus, lassen aber insgesamt noch viel zu viel als mögliche Ergänzung zu. D. h., die Fragestruktur ist noch nicht geeignet, genau das Interpretandum und nur das Interpretandum anzueignen, d. h. verstehen zu lassen. Dennoch kann auch diese vorläufige Struktur, wenn sie nicht ganz schief zum Text liegt, das Verstehen fördern, nämlich dadurch, dass sie immerhin bestimmte Auslegungsmöglichkeiten, die durch sie wahrscheinlicher werden, genauer betrachten lässt. In der Regel freilich wird in dieser Phase das Vorverständnis nicht nur vage und unscharf, sondern auch falsch oder schief sein, es passt einfach nicht zum Text. Damit aber kommen wir zur zweiten Phase.
2.2.2 Die zweite Phase: Einstellung des Betrachters, Wissen Gewinnen über das Interpretandum Die zweite Phase des Interpretationsprozesses, wird eröffnet durch Schwierigkeiten und Störungen, zu denen es beim Versuch der direkten Aneignung der anschließenden Textteile als Antwort kommt. Der Interpret bemerkt diese Schwierigkeiten. Er kann sich durch einen Wechsel seiner Position und Einstellung zum Interpretandum (bis zu einem gewissen Grad) klarmachen, dass er mit seinem Vorverständnis scheitert und woran es liegt, dass er scheitert. Und er entwirft dann – womit es zu einer weiteren Phase des Interpretationsprozesses kommt – ein neues besseres Vorverständnis. – Wir wählen als Beispiel einen Falltyp, bei dem der Interpret das Interpretandum deswegen grob missversteht, weil er mit seinem Vorgriff das im Text unterstellte Diskursuniversum, die Welt, in der das im Text berichtete Geschehen eine Rolle spielen soll, verfehlt. Der Interpret verhält sich so, als habe er im Text mit der Welt zu tun, die in einem modernen wissenschaftlichen Reisebericht zugrunde gelegt werden würde. Tatsächlich findet sich aber im Text eine Welt voller Wunder, Fabelwesen, religiöser Erscheinungen, eine Märchenwelt, in der ganz andere Dinge möglich, wahrscheinlich und naheliegend sind als in der vom Interpreten unterstellten. (Dies ist übrigens ein Falltyp, der in der traditionellen Hermeneutik eine besondere Rolle spielt. Wenn z. B. Gadamer die „Horizontverschmelzung“ als das Zentrum hermeneutischen Geschehens ansetzt, dann zeigt er damit, dass er das Treffen des rechten Horizonts als die entscheidende Interpretationsleistung ansieht.)
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2.2.2.1 Vorläufige Beschreibung der Phase Zunächst eine vorläufige Beschreibung der Phase: Wir unterstellen, der Interpret habe ein erstes Verständnis des Anfangsteils erworben, und er habe im Lichte von Vorkenntnissen bzw. Vormeinungen über Sache und Text, sowie im Lichte des Verständnisses des Anfangsteils ein Vorverständnis des Ganzen und besonders der an den Anfangsteil anschließenden Partien gewonnen. Die jetzt anstehenden anschließenden Partien haben für ihn, der ja mit Sprach- und Vorkenntnissen ausgerüstet ist, etwa die folgende Beschaffenheit: Sie sind nicht einfach opakes undurchdringliches Objekt, sie sind vielmehr schon halb transparent. Es zeichnet sich ab: Die Textpartien handeln von der und der bestimmten Sache, sagen etwa das und das darüber, freilich noch auf unklare Weise, der Text ist noch bei weitem nicht wirklich durchsichtig. Zwar erkennt der Interpret die einzelnen Wörter, ja er versteht auch die Sätze und Sprechakte, aus denen der Text besteht, aber alles ist noch vage und vieldeutig. Im Hinblick auf diesen so für ihn beschaffenen Text hat der Interpret – wie gesagt – seine noch ebenfalls vagen und unklaren Erwartungen bezüglich der Sache zu einer offenen Struktur mit Leerstellen geformt, die durch den Text passend ausgefüllt werden sollen, und sie als Vorverständnis vom Ganzen bzw. der anschließenden Teile ins Spiel gebracht. Nehmen wir an, der relevante Teil des Vorverständnisses könnte etwa folgendermaßen artikuliert werden: (Ich erwarte hiermit im Hinblick auf den Text, von dem ich zu wissen glaube, dass es sich um einen normalen, realistischen in der Sache informativen Reisebericht handelt, dass die Sache sich jetzt folgendermaßen weiterentwickelt:) „Nach den Reisevorbereitungen, von denen wir gerade erfahren haben, wird der Reisende dieses und jenes erleben (was uns noch unbekannt ist) und dabei mit dieser und jener Seite des Landes und der Landessitten (die uns noch unbekannt sind) konfrontiert werden.“ Leider muss er nun feststellen, dass er mit seinem Versuch, sich den Text als Antwort auf seine Frage anzueignen, Schiffbruch erleidet. Obwohl beides, sowohl das, was als Frage investiert wird, wie das, was als Antwort fungieren soll, jetzt am Anfang seiner Bemühungen noch unscharf, mehrdeutig und weich ist, passt es dennoch nicht zueinander. Der Versuch, die Leerstellen auszufüllen scheitert, er führt zu Unsinn. Der Interpret, der nach Voraussetzung der Sprache des Interpretandums mächtig ist, kann beim vorläufigen Durchgehen (in der Einstellung des an der Sache interessierten Mitspielers) des – allenfalls halbtransparenten – Textes bemerken, dass überraschenderweise wesentlich und überwiegend von solchem die Rede ist, was er partout nicht erwartet hatte: eben von den erwähnten übernatürlichen märchenhaften Dingen. Dies führt zunächst nur zu dem vagen und undeutlichen Eindruck: „Hier passt nichts zusammen. Ich bin auf einem ganz
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falschen Gleis.“ Und dieser Eindruck motiviert dann zu dem Reflexionsschritt und dem damit verbundenen Positionswechsel. In der neuen Einstellung eines (mitspielenden) Betrachters kann der Interpret über den vagen und diffusen Eindruck hinauskommen. Er kann sich vergegenwärtigen, was im Einzelnen im Spiel ist, was genau schief gelaufen ist. D. h. er kann das Scheitern zu einer lehrreichen Erfahrung machen, in deren Licht er dann einen neuen, aussichtsreicheren Versuch der Aneignung beginnen kann.
2.2.2.2 Genauere Analyse (Schwierigkeiten bei der Aneignung; Text wird Gegenstand; Scheitern des Aneignungsversuchs; Ertrag der Phase) (A) Wir fragen zunächst: Wie kann der Interpret die Störung überhaupt bemerken? Wie kommt es zur Einstellungsänderung beim Interpreten? Es ist zwar das Hauptcharakteristikum der ersten Phase, dass hier die kognitiven Leistungen des Interpreten mit Bezug auf den Text implizit bleiben, dass sie für diesen im Schatten liegen, nur mit da sind, dass die kognitiven Leistungen mit Bezug auf die (im Text thematische) Sache dagegen explizit erbracht werden im Vordergrund, im Fokus, im Licht stehen. Das aber heißt nicht, dass der Interpret gar kein Wissen von seinen Leistungen bezüglich des Textes hat. Es handelt sich ja um komplexe Leistungen, die ohne Steuerung und Kontrolle durch den Akteur gar nicht denkbar sind. Tatsächlich werden sie gesteuert und kontrolliert durch das implizite Handlungswissen des Interpreten, das die kognitiven Leistungen bezüglich der Sache begleitet. Sie werden gesteuert durch implizites know how, das so lange implizit bleibt, wie die Leistungen unproblematisch, routinemäßig, unauffällig erbracht werden können. Wenn es dagegen – wie hier – zu Problemen kommt, d. h., wenn sich die gewünschten Resultate nicht einstellen, weil Frage und Antwort nicht zueinander passen, dann wird das registriert durch das Handlungswissen des Akteurs, das ja gerade dazu da ist, die Leistungen und ihre Erfolge bzw. Misserfolge zu kontrollieren. Die Störungen unterbrechen die bisher unproblematische Routine, sie werden selbst auffällig und damit Anlass für eigens vorzunehmende Reparaturbemühungen. Der Interpret fragt sich angesichts seines Misserfolgs: „Was genau habe ich hier eigentlich getan?“ Es kommt zu einem Reflexionsschritt⁷¹, bei dem der Interpret von der kognitiven Bemühung um die im Text thematische Sache nun zur kognitiven Bemühung um seine eigene kognitive Bemühung um den Text (und die Sache darin) übergeht, was impliziert, dass das
Vgl. die eindrucksvolle Analyse eines solchen Reflexionsschrittes, die Heidegger in Heidegger (1960) §16 vorlegt.
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vorher nur implizite, begleitende Handlungswissen nun zu expliziter, eigenständiger Reflexion auf die eigenen Leistungen und auf den Text wird. Der Interpret wechselt seine Position und seine Einstellung zum Text. Er ist nicht mehr einfach nur Mitspieler, der an den Autor Fragen über die Sache stellt, er wird zum (freilich auch noch mitspielenden) Betrachter des nunmehr selbst in den Fokus geratenen Textes. Der Text ist nicht mehr Antwort, durch die – wie durch Glas hindurch – auf die allein thematische Sache gesehen wird, er ist jetzt selbst thematischer Gegenstand geworden. Und das Vorverständnis hat jetzt nicht mehr die Funktion einer Frage, mit deren Hilfe die fremde Antwort über Sache angeeignet werden soll, es hat jetzt die Funktion einer Hypothese über den Text, die zu Wissen über den – mit dem bisherigen Aneignungsversuch ja verfehlten – fremden Text führen soll. (B) Was genau heißt: „Der Text wird Gegenstand, über den gehandelt wird und an dem das Vorverständnis scheitern kann?“ Hier erinnern wir nur an schon Vorgetragenes. Äußerungen und Texte sind ziemlich exotische Entitäten insofern, als bei ihnen zum einen – anders als bei bloß natürlichen Phänomenen – drei verschiedene Ebenen involviert bzw. beteiligt sind: die (kommunikative) Ebene des Gesagten, die (sachliche) Ebene dessen, worüber etwas gesagt wird und die (metakommunikative) Ebene des Handlungswissens vom Gesagten, vor allem aber insofern, als sie – im Normalfall – gerade nicht selbst Objekt sind, sondern vielmehr Teil unserer subjektiven Praxis, die Voraussetzung dafür ist, dass wir überhaupt mit Objekten zu tun haben. – Dennoch können Texte und Äußerungen zu Gegenständen gemacht werden, über die gehandelt wird, und zwar ohne dass sie ihre besonderen Eigenschaften verlieren, die sie zu subjektiver Praxis qualifizieren, nämlich per sekundäre Objektivierung. Wie wir schon gesehen haben,⁷² muss sekundär-objektivierendes kognitives Verhalten, das zu deskriptiven Sätzen führen soll, einerseits – damit die exotischen Eigenschaften subjektiver Praxis trotz der Vergegenständlichung erhalten bleiben – anknüpfen an das nicht-objektivierende performative Handlungswissen des Akteurs (Autors) von seinen Leistungen (Sprechhandlungen), und es muss andererseits – damit es zu deskriptiven Sätzen kommen kann – Gebrauch machen von der in der Grammatik der performativen Sätze angelegten Möglichkeit der problemlosen „Abwandlung“ (Öfsti) der performativen in deskriptive Sätze. Texte und Äußerungen sind so auf zwei Weisen zugänglich: Qua subjektive Praxis (qua Antwort, qua Wissen über etwas, die bzw. das ich haben will) quasi von innen per Handlungswissen des Mitspielers, qua Gegenstand (über den ich etwas wissen will) von außen per ab-
Vgl. o. S. 35 ff.
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gewandeltes Handlungswissen, per sekundäre Objektivierung durch den zum Betrachter gewordenen Mitspieler.⁷³ Beide Zugangsweisen und beide Aspekte, die ungegenständliche Innenansicht und die gegenständliche Außenansicht sind sozusagen grammatisch eigens vorgesehen. Freilich gilt bei alledem: Dass Texte und ihre Inhalte von zwei Seiten her zugänglich sind, bedeutet nicht, dass diese beiden Zugangsweisen gleichberechtigt sind. Der nichtobjektivierende Zugang über das Aneignen, das Fassen fremder Gedanken bleibt Basis und Voraussetzung für den sekundär objektivierenden Zugang zu diesen. (C) Was genau heißt „scheitern“, und wie kommt der Interpret über den vorläufigen, vagen Eindruck: „Bisher passt noch nichts zusammen. Ich bin auf einem falschen Gleis,“ hinaus, ein Eindruck, der überdies zunächst nur dem impliziten Handlungswissen zugänglich ist? a) Es ist das Vorverständnis, mit dem der Interpret am Interpretandum scheitert. Im Spiel ist dabei folgendes: Auf der Seite des Interpretandums geht es um einen Text, der sich deskriptiv auf eine Sache (die Reise nach Zentralafrika) bezieht, diese Sache sukzessive entwickelt. Wenn wir das Interpretandum als Sprechakt im Großen auffassen, dann haben wir zum einen mit einem propositionalen Teil des Reiseberichts zu tun, über den sich das Interpretandum direkt auf die Sache bezieht. Wir haben zum anderen zu tun mit einem (metakommunikativen) performativen Teil des Interpretandums, in dem die Art und Weise, wie von der Sache gehandelt wird (als Reisebericht von der und der Art), bestimmt und ausgedrückt wird⁷⁴, in dem über den Text selbst gehandelt wird. – Das Vorverständnis auf der Seite des Interpreten ist zunächst eine (lückenhafte) Vermutung
Es ist wichtig, hier nicht zu übersehen, dass die gegenständliche Seite nicht nur Sprechhandlungen qua Handlung (hinsichtlich ihres performativen Aspekts) zukommt, sondern auch dem propositionalen Gehalt. Auch über Propositionen kann man reden. Der Autor eines Textes, der seinen Text organisiert, muss die propositionalen Gehalte, die er im Text verwenden will, nicht nur haben (gefasst haben), er muss auch Wissen (Handlungswissen) über diese Propositionen und deren Inhalte haben, weil er nur dann die bestimmten Propositionen mithilfe bestimmter Sprechaktformen (z. B. als Frage und nicht als Befehl) zur Sprache bringen, d. h. sie einander zuordnen kann. Es folgt: Auch die Inhalte, der sachliche Gehalt, eines Textes sind auf zwei Weisen zugänglich, als Antworten (in unserem Beispielfall: „Zuerst wird das Interesse des Reisenden geweckt werden, dann wird er die Reise vorbereiten, An- und Einreise in das Land werden folgen, er wird zunächst erste Eindrücke sammeln, dann wichtige Begegnungen und Erlebnisse haben und schließlich das Erlebte und Erfahrene auswerten etc.“), die man haben, integrieren will einerseits und als besondere „Gegenstände“, über die man etwas wissen will (z. B. als sachlicher Gehalt von Berichten, in denen mitgeteilt wird, wie das Interesse des Reisenden geweckt wird, wie er die Reise vorbereitet, wie er einreist…etc.). Dafür gibt es in einem längeren Text sehr viele verschiedenartige sprachliche Mittel.
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über die wahrscheinlich im Text behandelte Sache, eine Antizipation der Entwicklung der Sache im Text. Als solche enthält es zum einen (auf der Ebene der Kommunikation über die Sache) die Fragestruktur, bzw. genauer: den als Fragestruktur, d. h. mit Leerstellen ins Spiel gebrachten propositionalen Gehalt, z. B.: „Nach den Reisevorbereitungen, von denen wir gerade erfahren haben, wird der Reisende dieses und jenes erleben (was uns noch unbekannt ist) und dabei mit dieser und jener Seite des Landes und der Landessitten (die uns noch unbekannt sind) konfrontiert werden.“ Zu dieser Fragestruktur gehören wesentlich die Fragepräsuppositionen, also Unterstellungen über die Sache wie z. B.: „Die Reise findet statt in der realen Welt. Es gibt keine Wunder und übernatürliche Gegebenheiten, mit denen wir rechnen müssen.“ Das Vorverständnis enthält zum anderen (auf der Ebene der Metakommunikation) Unterstellungen bzw. Behauptungen über den Text bzw. den Autor z. B.: „Ich erwarte hiermit im Hinblick auf den Text, von dem ich glaube, dass es sich um einen normalen, realistischen in der Sache informativen Reisebericht über Reiseerlebnisse und daraus resultierende Einsichten über das Reiseland handelt, dass sich die Sache so und so entwickeln wird.“ Es enthält schließlich Rationalitätsunterstellungen mit Bezug auf fast jeden Aspekt der involvierten Handlungen bzw. Leistungen nach dem Muster: „Der Autor versucht hier das und das zu tun bzw. zu sagen, und er ist dabei erfolgreich, handelt zweckmäßig bzw. richtig.“ Hier also: „Ich erwarte mit Bezug auf den Text, mit dem der Autor, wie ich glaube, einen normalen, realistischen Reisebericht zu geben versucht, dass der Autor seine Sache in den verschiedenen Hinsichten gut (zweckmäßig, richtig) macht.“ Wir können daher sagen: Das Vorverständnis mit seinen Momenten Fragestruktur, Fragepräsuppositionen, Unterstellungen über den Text und Rationalitätsunterstellungen scheitert am Text, der einen propositionalen und einen performativen Teil hat. Das Scheitern ist damit ein komplexes Geschehen, das dem Involvierten ganz verschiedene Aspekte darbietet. Es ist diese Komplexität, die verantwortlich ist für den zunächst nur vagen und diffusen Eindruck des Misserfolgs, über den der Interpret hinauskommen muss, wenn er aus dem Scheitern wirklich etwas lernen will. b) Gehen wir nun die wichtigsten Aspekte im Einzelnen durch. Was genau scheitert wie und woran? (i) Die Fragestruktur, die lückenhafte Antizipation der Entwicklung der Sache im Text, scheitert am propositionalen Gehalt des Textes, genauer: an dem, was der Interpret bisher über seine Sprachkenntnisse und sachlichen Vorkenntnisse vom propositionalen Teil des Textes verstanden zu haben glaubt. Sie soll die Aneignung des fremden Sinnes ermöglichen und dies dadurch, dass sie (bestimmt geformte) Leerstellen bereit hält, über die der fremde Sinn in das Vorverständnis des Interpreten integriert werden und so vom Interpreten angeeignet werden könnte. Die Fragestruktur bereitet jetzt Probleme: Die intendierte Aneignung des
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Fremden, die mit ihrer Hilfe erreicht werden soll, gelingt deshalb nicht, weil das Interpretandum, die Antwort, nicht zur Form der Leerstellen passt. Sie scheitert nicht insofern, als sie sich für den Interpreten als Betrachter als falsch mit Bezug auf den Text herausstellt. Weder ist der Interpret schon Betrachter, noch kommt die Fragestruktur hier als mögliche Deskription des Textes ins Spiel, als Deskription, die den Text zum Gegenstand macht und die wahr oder falsch vom Text sein könnte. Sie scheitert, weil für den Interpreten qua Mitspieler eine bestimmte Handlung, nämlich der Versuch, sich das Fremde anzueignen, sich als nicht durchführbar herausstellt, weil sich das Anzueignende dagegen sperrt. Frage und Antwort greifen nicht wie gewünscht ineinander. Weil die Aneignung des im Text Gesagten durch den Interpreten die entscheidende Leistung im Verstehensprozess ist, ist auch das Scheitern des Vorverständnisses als Fragestruktur quasi als praktischer Defekt, von dem der Interpret über sein Handlungswissen erfährt, der dominante Aspekt des Scheiterns für den Interpreten. (ii) Einen zweiten Aspekt derselben Sache, einen Aspekt, der in theoretischkognitiven Kontexten – wie es ein Interpretationsprozess ist – schon viel besser handhabbar ist, haben wir vor uns, wenn wir uns auf die Rolle der Fragepräsuppositionen im Spiel konzentrieren. Die Frage scheitert am Text, weil sie zu ihm nicht passt. Sie ist deswegen nicht falsch, denn Fragen können als solche überhaupt nicht wahr oder falsch sein. Aber sie kann in einer bestimmten Bedeutung „sinnlos“ genannt werden, und das hängt wesentlich mit den Fragepräsuppositionen zusammen. Zur Erläuterung müssen wir etwas ausholen. Wir haben oben schon⁷⁵ darauf aufmerksam gemacht, dass es zwei Konstellationen zwischen Frage und Antwort gibt. Der Normalfall (die erste Konstellation) liegt vor, wenn eine (nichthypothetische) Frage gestellt wird (d. h. wenn artikuliert und ausgedrückt wird, was man bezüglich der Realität wissen will, d. h. worüber man in welcher Hinsicht, wie genau etc. man etwas wissen will), damit es zu der Antwort kommt, damit das vom Fragenden gewünschte Wissen über x allererst etabliert wird. Fragen in diesem Sinn, die der Antwort vorausgehen, können nicht „wahr“ oder „falsch“, wohl aber „sinnvoll“ oder „sinnlos“ (und zwar tout court) genannt werden. Sie sind sinnvoll, wenn die in ihnen enthaltene (lückenhafte) Darstellung des Szenarios, die (genau passend) komplettiert werden soll, wahr ist, d. h. der Realität entspricht. Diese Darstellung ist wahr, entspricht der Realität, wenn erstens die Frage wohlgeformt und widerspruchsfrei ist und wenn zweitens – und vor allem – die Präsuppositionen der Frage wahr sind. Nur wenn die genannten Bedingungen zutreffen, kann zu der Menge der möglichen, d. h. zur Frage genau passenden Antworten auch die gesuchte wahre Antwort über
Vgl. o. S. 67 f.
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x gehören. Wenn die Bedingungen dagegen nicht zutreffen, dann ist die Frage sinnlos. Man kann dann sagen: „Die Frage erhebt sich nicht“, weil die Voraussetzungen, von denen sie ausgeht, falsch (oder sinnlos) sind, weil ausgehend von diesen Voraussetzungen eine wahre Antwort gar nicht gegeben werden kann.⁷⁶ Fragen können aber auch (das ist die zweite Konstellation) vom Fragenden dazu verwendet werden, schon etablierte, bestehende Antworten sich zu erschließen, sich anzueignen. Das ist der Falltyp, der hier im Zentrum steht. Dann geht es darum, nachträglich die Frage zu finden, die die Erschließung der schon vorliegenden Antwort ermöglichen würde, über die eine schon vorliegende Antwort angeeignet werden könnte. Die Frage, die dies ermöglichen würde und die in diesem Sinn sinnvoll (sinnvoll relativ auf dies Projekt) wäre, ist die Frage, die zu der gegebenen Antwort passt. Das wäre eine Frage, die ein Szenario als zu komplettierendes Szenario ansetzen würde, das mit der Welt, auf die sich das Interpretandum bezieht, die im Interpretandum unterstellt wird, übereinstimmt, und zwar unabhängig davon, ob diese Welt mit der realen Welt übereinstimmt oder nicht. Dies wäre eine hypothetische Frage.⁷⁷ Eine Frage, die für diese zweite Aufgabe ins Spiel gebracht wird muss als sinnlos (relativ auf dies Projekt) gelten, wenn sie die im Interpretandum unterstellte Welt verfehlt, wenn sie das Erfragte in einer falschen Welt vermutet. Das wäre der Fall, wenn die Präsuppositionen der Frage mit denen der schon vorliegenden Antwort (des Interpretandums) nicht übereinstimmen, d. h. wenn sie sich als falsch erweisen mit Bezug auf die im Interpretandum unterstellte Welt. – Der Ausdruck „sinnlos“ wird hier verwendet in einem dem üblichen bloß analogen Sinn. Der Fehler des Interpreten, der auf eine in diesem Sinn sinnlose Frage setzt, ist allerdings (der Schwere nach) vergleichbar dem eines Wissenschaftlers, der die Natur im Rahmen eines überholten (überwundenen) Paradigmas untersucht, der also genaugenommen nur zu sinnlosen, d. h. gar nicht wahrheitsfähigen Aussagen über die Natur kommen kann. Für unseren Beispielfall gilt nun konkret: Die Frage scheitert, weil sie an der zu erschließenden Antwort vorbeigeht und insofern sinnlos ist, als sie das im
Das Standardbeispiel ist die uns schon bekannte Frage, die vom Staatsanwalt (der vor einem amerikanischen Gericht verlangen kann, dass genau seine Fragen und nur seine Fragen passend beantwortet werden) dem unschuldigen Junggesellen A gestellt wird: „Wann haben Sie eigentlich aufgehört Ihre Frau zu schlagen?“ Man könnte dementsprechend die beiden Aufgabentypen, die hier unterschieden werden, zwei Fragetypen zuordnen: dem der nichthypothetischen und dem der hypothetischen Fragen. Die hypothetischen Fragen werden hier eingesetzt, um zwei Aufgaben zu bewältigen: Es geht darum, zum einen mit Hilfe der Hypothesis der Frage die Präsuppositionen der zu erschließenden Antwort zu treffen und zum anderen auf der Basis dieser Präsuppositionen die eigentliche Antwort, das Erfragte, sich anzueignen.
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Interpretandum unterstellte märchenhafte, für Wunder offene Diskursuniversum verfehlt. Es scheitern die zur Frage gehörenden Präsuppositionen (z. B. „Die Reise findet statt in der realen Welt. Es gibt keine Wunder und übernatürliche Gegebenheiten, mit denen wir rechnen müssen.“) insofern, als sie die Präsuppositionen der Antwort verfehlen („Die Reise findet statt in einer Märchenwelt, in der mit Wundern und übernatürlichen Ereignissen gerechnet werden muss.“) d. h. insofern als sie sich mit Bezug auf das im Interpretandum unterstellte Diskursuniversum als falsch herausstellen, durch dieses falsifiziert werden. Dieser zweite Aspekt, der das betrifft, was in der traditionellen Hermeneutik immer als die Hauptaufgabe der hermeneutischen Interpretation angesehen wurde, das Treffen des rechten, das Interpretandum aufschließenden Horizonts (Rahmens, Sprachspiels, Perspektive) bringt zwei wichtige Teilaspekte zusammen: Die Frage erweist sich als sinnlos, und ihre Präsuppositionen erweisen sich als falsch. Sie werden falsifiziert durch Indizien für das Diskursuniversum des Textes, die sich im propositionalen Teil des Textes finden lassen. Damit wird das, was vorher nur globale Erfahrung des praktischen Nichtfunktionierens des Aneignungsversuchs war, nun in die – in theoretischen Kontexten vertraute – Erfahrung des theoretischen Scheiterns (Nonsensifikation, Falsifikation) von Sätzen überführt: Die Fragesätze erweisen sich als sinnlos, weil ihre Präsuppositionen sich als falsch herausstellen. D. h. dieser Aspekt vermittelt zwischen der Erfahrung, die der (naive) Mitspieler von seinem Scheitern hat und der (reflektierten) Erfahrung, die der Betrachter davon haben kann (und dabei spielen die Fragepräsuppositionen als das deskriptive Moment der Fragehandlung eine Hauptrolle). (iii) Mit dem dritten Aspekt des Scheiterns haben wir zu tun, wenn wir uns jetzt den im Vorverständnis enthaltenen Unterstellungen über den Text zuwenden. Eine gerichtete Antizipation der Entwicklung der Sache im Text, die ja die Basis der Fragestruktur des Vorverständnisses ist, ist sinnvoll nur möglich, wenn Annahmen über den Text, über die Art des Textes, schon im Spiel sind und diese Antizipation leiten, Annahmen von der Art: „Ich erwarte hiermit im Hinblick auf den Text, von dem ich glaube, dass es sich um einen normalen, realistischen, in der Sache informativen Reisebericht von der und der Art handelt (bzw. um einen klassischen Bildungsroman, ein deutsches Volksmärchen, einen amerikanischen Kriminalroman, einen Zeitungsbericht etc.), dass die Sache sich jetzt folgendermaßen weiterentwickelt…“ Diese Annahmen über den Text haben in der Phase, in der der Interpret in der Rolle des Mitspielers sich um die Aneignung des Interpretandums bemüht, die Funktion eines quasitranszendentalen Schemas. Als bloß implizite Hintergrundunterstellungen bestimmen sie dort die Perspektive des Interpreten, lenken seinen Blick, legen fest, was als wahrscheinlich, was als unwahrscheinlich gilt etc. Sie sind aber zunächst bloße Annahmen, und es kann sein, dass sie zum Interpretandum entweder gar nicht oder nur mehr oder weniger gut passen. Dann
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erweist sich die Art zu sehen, die Perspektive, die sie nahelegen, als irreführend. Die auffällig werdenden Probleme führen zu dem Reflexionsschritt und durch diesen Schritt werden aus den quasitranszendental wirksamen impliziten Hintergrundsunterstellungen über den Text explizite Hypothesen über das Interpretandum, die vom Interpretandum wahr sein sollen, sich nun aber für den zum Betrachter gewordenen Interpreten als falsch herausstellen. D. h., sie werden falsifiziert und zwar durch Konfrontation mit der gegenständlichen Seite des Interpretandums: Der Interpret kann – wie wir gesehen haben – ausgerüstet mit Sprach- und sachlichen Vorkenntnissen zu einem gewissen vorläufigen Verständnis der relevanten Textteile kommen. Er kann die fremden Gedanken „fassen“, und er kann – zum Betrachter geworden – das Verstandene „abwandeln“, seine gegenständliche Seite hervorkehren, dabei die Indizien für den performativen Status der Textteile in den Vordergrund rücken und so sein Verständnis der aktuellen Textteile zu einer möglichen Falsifikationsinstanz für die im Vorverständnis enthaltenen Unterstellungen über den Text machen. An unserem Beispiel: Der Text besagt (zusammengefasst): „(Ich (der Autor) berichte hiermit so objektiv wie möglich darüber, was mir auf dieser Reise geschah nämlich): „Zuerst bestand ich dieses wundersame Abenteuer, dann jene märchenhafte Gefahr… etc.“ Der Interpret versteht aus der Perspektive des Adressaten bzw. Mitspielers: „(Du (der Autor) versuchst so objektiv wie möglich darüber zu berichten, was Dir auf dieser Reise geschah nämlich): „Zuerst bestandest Du dieses wundersame Abenteuer, dann jene märchenhafte Gefahr… etc.“ Daraus wird durch Abwandlung das folgende Verständnis aus der Perspektive des Betrachters: „Er (der Autor) versucht einen möglichst objektiven Reisebericht vorzulegen, der jedoch folgende unglaubliche märchenhafte Episoden enthält: das Abenteuer x, die wunderbare Rettung aus der Gefahr y… etc.“ Durch dieses Verständnis der gegenständlichen Seite des Textes kann die zuletzt genannte Annahme über den Text („Ich glaube zu wissen, dass es sich hier um einen normalen, realistischen, in der Sache informativen Reisebericht von der und der Art handelt“) direkt falsifiziert werden. (iv) Ein vierter Aspekt des Scheiterns betrifft die beim Verstehen bzw. Aneignen des Interpretandums involvierten Rationalitätsunterstellungen. Was genau ein Interpretandum für einen Interpreten bedeutet, was es ihm zu sagen hat, hängt nicht nur davon ab, für welche Art von Produkt (Reisebericht, Roman, Märchen), für welche Sorte von Leistung des Autors (Berichten, Behaupten, Be-
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gründen, Ausschmücken) der Interpret es hält, was nach seiner Auffassung der Autor zu tun oder zu sagen versuchte – das war Gegenstand des letzten Abschnitts -, sondern auch davon, ob er das Produkt bzw. die dabei involvierte Leistung des Autors für gelungen, erfolgreich, richtig (in welchem Sinn immer) hält oder nicht. D. h., scheitern können hier nicht nur die Unterstellungen über die Art des vorliegenden Produkts (die Textsorte, den Sprechakttyp etc.), sondern auch die Unterstellungen darüber, ob der Autor hier jeweils richtig (zweckmäßig, erfolgreich etc.) gehandelt hat oder nicht, Unterstellungen, die die Rationalität des Autors betreffen. Dieses Scheitern hat – wie im vorigen Fall – die einfache Form der Falsifikation: Aus der gewöhnlichen Ausgangsunterstellung: „Der Autor, der versucht hat, x zu tun, hat hier erfolgreich (zweckmäßig, richtig) gehandelt,“ wird: „Der Autor hat hier nicht richtig (erfolgreich, zweckmäßig) gehandelt.“ Diese Unterstellungen finden sich auf ganz verschiedenen Ebenen. a) Wenn wir einen Text anstandslos durchlesen, dann unterstellen wir nicht nur, dass der Autor in der und der Sprache geschrieben hat, sondern auch, dass er es richtig gemacht hat, dass er elementare Regeln der Sprache tatsächlich befolgt hat. Kommt es nun zu ernsthaften einschlägigen Verständnisschwierigkeiten, könnten diese gegebenenfalls folgendermaßen behandelt werden: Entweder: (i) Der Interpret gibt zu: Die fragliche Stelle ist unverständlich, weil der Autor die Regeln der Sprache nicht beherrscht, und er belässt es bei diesem Befund (einfache Falsifikation). Oder: (ii) Der Interpret korrigiert in seiner Interpretation den Fehler stillschweigend im nächstliegenden Sinne (einfache Falsifikation plus Korrektur). Oder: (iii) Der Interpret behandelt den Regelverstoß als etwas, das absichtlich um willen höherer – z. B. poetischer – Zwecke geschah (Entschärfung der Schwierigkeit durch Umdeutung der Absichten des Autors). – b) Nehmen wir an, dass der Interpret bei seinem Aneignungsversuch auf offenbare Widersprüche im Interpretandum stößt, so kann er einmal (i) seine einschlägige Standardunterstellung: „Der Autor versucht hier etwas als wahr zu behaupten, und er behauptet es zu Recht; was er sagt, ist tatsächlich wahr“ als falsch ansehen, den Widerspruch so stehen lassen und als Fehler des Autors hinnehmen (einfache Falsifikation). Er kann aber auch (ii) folgende Überlegung anstellen: „Einen derart offensichtlichen Fehler kann der – nach der bisherigen Lektüre offenbar kluge und umsichtige – Autor nicht schlicht übersehen haben, die Sache kann nicht so einfach sein“ und er überprüft dementsprechend noch einmal seine eigene Interpretation, die zu dem Widerspruch führte. (Versuch der Entschärfung des Problems durch Anwendung des principle of charity plus verschärfte Selbstkritik). – c) Nehmen wir an, dass der Reisebericht die bekanntermaßen wichtigsten Züge des bereisten Landes zur Reisezeit (dass hier ein mörderischer Bürgerkrieg herrscht, der alle Verhältnisse durcheinander wirft) überhaupt nicht erwähnt. Das kann der Interpret wieder (i) einfach hinnehmen, es aber zugleich als groben Fehler des Autors
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betrachten, derart, dass seine bisher gültige Unterstellung: „Der Autor versucht hier eine treffende, angemessene Darstellung der Verhältnisse im Reiseland zu geben, und er macht es richtig“ als falsch zurückgezogen werden muss (einfache Falsifikation). Er kann die Sache aber auch (ii) so interpretieren, dass dem Autor hier gar kein Fehler unterläuft, dass er die Sache vielmehr aus politischen Gründen einseitig parteiisch so und so dargestellt hat (Entschärfung durch Umdeutung der Absichten des Autors). Die Punkte, auf die es hier ankommt sind die folgenden: 1. Das komplexe, zunächst undurchsichtige Scheitern des Vorgriffs als Frage, die nicht zur Antwort passt, kann unter anderem auch auf das einfache, durchsichtige und gut handhabbare Falsifizieren von Rationalitätsunterstellungen, die zum Vorgriff gehören, zurückgeführt werden. 2. Rationalitätsunterstellungen betreffen jede einzelne Leistung des Autors, die am Interpretandum unterschieden werden kann. Sie beziehen sich auf jedes Detail des Interpretandums auf jeder Ebene und in voller Breite, und sie spielen daher in jeder Interpretation bei der Ermittlung dessen, was das Interpretandum tatsächlich zu sagen hat, eine enorm große Rolle. 3. Es wird sichtbar, dass hermeneutische Aneignung bzw. Interpretation unausweichlich immer schon (nämlich über die für jede Interpretation notwendige Berücksichtigung der verschiedenartigen Rationalitätsunterstellungen) in die (diskursive) Auseinandersetzung mit den Geltungsansprüchen zum Interpretandum führt. Es gibt eine fließende Grenze zwischen der Interpretation eines Textes und der diskursiven Auseinandersetzung mit den zum Text erhobenen Geltungsansprüchen.⁷⁸ Damit wird zugleich deutlich, wie und an welcher Stelle die zu jeder Interpretation gehörige Auseinandersetzung mit den normativen Aspekten des Interpretandums in Spiel kommt. 4. Aus alledem folgt ein weiteres Argument für unsere Hauptthese, dass hermeneutische Auseinandersetzung mit Texten nicht nach dem Muster theoretischen Verhaltens zu Objekten verstanden werden sollte, sondern eher nach dem Muster der kognitiven Auseinandersetzung eines Mitspielers mit fremden Spielzügen: Hermeneutisch zu verstehende Texte sind nicht Objekte, über die wir Wissen erwerben wollen, sie haben vielmehr den Status von Antworten über etwas, die es selbst sind, was wir wissen bzw. haben wollen, von Antworten, die wir als Resultate rationaler Leistungen betrachten müssen, zu denen Geltungsansprüche erhoben werden, mit denen auseinanderzusetzen wir schon als bloße Interpreten gar nicht umhin können, geschweige denn als normale Leser/Gesprächsteilnehmer, die ja vor allem an der Sache interessiert sind. Es ist also nicht so, dass man ein Interpretandum zuerst unabhängig von Fragen der Geltung des Interpretandums verstehen kann und sich danach den entsprechenden Geltungsfragen zuwendet. Fragen der Geltung des Interpretandums sind vielmehr bei/während jeder Interpretation immer schon im Spiel.
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(D) Was ist der Ertrag des Bisherigen? – Wir haben gesehen: Es geht bei der Verstehensbemühung wesentlich um die Aneignung des zu Verstehenden, nicht darum, Wissen über es zu gewinnen, es zum Gegenstand von Hypothesen zu machen. Aber angeeignet werden soll natürlich das Fremde selbst, nicht etwas anderes, das zu Verstehende soll richtig verstanden werden. Die Verstehensbemühung muss so verfasst sein, dass sich das zu Verstehende als es selbst zur Geltung bringen kann, dass es sich durchsetzen kann gegen die Vormeinungen und Vorurteile des Interpreten, die in jedem Verstehensprozess unvermeidlich involviert sind. Das bedeutet konkret, dass erstens das Vorverständnis vom Text, auf das der Interpret bei seiner Bemühung angewiesen ist, am Text klar und eindeutig scheitern können muss und dass es zweitens so scheitern können muss, dass der Interpret daraus für sein weiteres Vorgehen wirklich etwas lernt. Was hat sich bisher ergeben? Erstens, der Interpret kann sehr wohl unmissverständlich erfahren, dass er mit seinem Vorverständnis beim Interpretandum nicht durchkommt, dass sein Verstehensversuch scheitert. Aber er wird zunächst von dem – in der Regel ziemlich komplexen – Geschehen des Scheiterns nur einen zwar energischen, aber zugleich bloß diffusen, vagen Eindruck haben von der Art: „Hier passt nichts zusammen.“ Zweitens, der Interpret kann über diesen vagen und noch nicht übermäßig hilfreichen Eindruck hinauskommen, indem er aus der Position des auf die Sache konzentrierten Mitspielers in die Position des das Interpretandum selbst fokussierenden Betrachters überwechselt. Dabei können vier Aspekte des Scheiterns unterschieden werden: (i) Das Scheitern wird zunächst per implizites Handlungswissen des Mitspielers global als (komplexes) Missglücken einer Handlung, des Aneignungsversuchs, registriert. Frage (Vorverständnis) und Antwort (Interpretandum) passen nicht zueinander. – (ii) Das Scheitern kann sich sodann dem zum Betrachter werdenden Mitspieler, dessen Reflexion angesichts der Störung erwacht (dessen bisher implizites Handlungswissen nun expliziter, deutlicher, schärfer wird), erweisen als Verfehlen des Diskursuniversums des Textes, als (spezifische) Sinnlosigkeit der Fragestruktur, die auf die Falschheit der Präsuppositionen (Unterstellungen über die Sache des Textes) zurückgeht. – (iii) Das Scheitern kann sich weiter für den zum Betrachter gewordenen Mitspieler entpuppen als das Fehlschlagen der das Vorverständnis leitenden Unterstellungen über den Text selbst, die jetzt direkt durch den Text (durch die gegenständliche Seite des Textes) falsifiziert werden.⁷⁹ – (iv) Das Scheitern kann schließlich vom Dass es sich bei dem Scheitern der Unterstellungen über den Text (in unserem Beispiel: über das Diskursuniversum des Textes) einerseits und dem Scheitern der Fragepräsuppositionen und damit der Frage selbst andererseits um dieselbe Sache handelt, die vom Interpreten aus verschiedenen Perspektiven gesehen wird, ergibt sich daraus, dass die hier relevanten Fragepräsuppositionen z. B.: „Es gibt keine Wunder und übernatürliche Gegebenheiten, mit denen wir
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Betrachter gegebenenfalls zurückgeführt werden auf die Falschheit von Rationalitätsunterstellungen bezüglich der Leistungen des Autors. – Es ist wichtig, zu sehen, wie mit dem (allmählichen) Einstellungswechsel vom Mitspieler zum Betrachter auch ein Explizitwerden, ein Hervortreten der einzelnen beteiligten Momente der vorher nur global erfahrenen Verstehensbemühung verbunden ist und damit auch die Möglichkeit der Kontrolle jener Momente. Die am Ende für ein lehrreiches Scheitern entscheidenden Bestandteile des Vorverständnisses sind die Fragepräsuppositionen, die Unterstellungen über den Text, und die Rationalitätsunterstellungen, Bestandteile also, bei denen das Scheitern auf veritable Falsifikation hinausläuft. Alle drei Bestandteile sind dem Interpreten zunächst nicht explizit und für sich gegeben und daher auch nicht kontrollierbar. Erst das Scheitern des Aneignungsversuchs lässt sie hervortreten und für sich sichtbar werden. Der Interpret, der bemerkt, dass im Text wider Erwarten immer wieder und wesentlich von Wundern und märchenhaften Ereignissen die Rede ist, bemerkt sehr schnell, dass er mit seiner Unterstellung – die ihm damit bewusst wird – es handle sich hier um einen realistischen Reisebericht, bzw. mit seiner Fragepräsupposition: „Es gibt hier keine Wunder,“ falsch liegt.⁸⁰ Der Ertrag des Bisherigen liegt demnach nicht nur darin, dass der Interpret bemerkt: er kommt mit diesem Vorverständnis nicht durch. Er erfährt darüber hinaus, in welcher Hinsicht das Vorverständnis geändert werden muss, ja, welche Hinweise aus dem Text er dabei besonders zu berücksichtigen hätte. In unserem Fall bemerkt der Interpret, dass er nicht nur sein Vorverständnis (qua lückenhafte Vermutung über die Entwicklung der Sache im Text, qua Antizipation des Textverlaufs) zurückziehen und einen neuen Vorschlag einbringen muss. Er muss vielmehr seinen Vorschlag zurückziehen und einen neuartigen Vorschlag in einer neuen Sprache einbringen, d. h. eine Vermutung über die Entwicklung der Sache, die eine andere Welt, einen anderen Rahmen für die Entwicklung der Sache zugrunde legt, und er sollte dabei die Vielzahl von märchenhaften Zügen im Text berücksichtigen. Hier wird nun noch eine weitere Art des Ertrages sichtbar. Diese zeigt sich, wenn wir den jetzt fälligen Neuentwurf eines Vorverständnisses mit dem Entwurf des ersten Vorverständnisses vergleichen. Das erste Vorverständnis kam ins Spiel
rechnen müssen,“ nichts anders sind als Spezifikationen des Diskursuniversums, von dem in den Unterstellungen („realistischer, objektiver Reisebericht“) über den Text die Rede ist. Die Sache verhält sich genauso bei dem oben (Anm. 75) erwähnten unschuldigen Junggesellen: konfrontiert mit der Frage des Staatsanwalts ist er, auch wenn er bisher von Fragepräsuppositionen noch nie etwas gehört hat, mühelos in der Lage, die hier entscheidenden Bestandteile der Frage, die Präsuppositionen, für sich zu identifizieren und als Behauptungen zurückzuweisen.
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als stillschweigend vorgenommene implizite Antizipation des zu erwartenden Gedankenganges entworfen aus der Perspektive des an der Sache interessierten, naiven Mitspielers (naiv insofern, als er sich auf die Kommunikationsmittel verlässt, sie einfach in Anspruch nimmt, nicht aber auf sie reflektiert). Der Neuentwurf des Vorverständnisses wird zwar wieder vorgenommen aus der Position und Perspektive des an der Aneignung der fremden Antwort interessierten Mitspielers. Aber dieser Mitspieler ist nicht mehr so naiv wie zuvor, d. h. offen allein für die Sache, abgeblendet dagegen gegen die Kommunikationsmittel. Er wird vielmehr durch den hermeneutischen Abstand zwischen sich und dem Interpretandum, durch das Scheitern seines Vorgriffs gezwungen, sich reflektierter, expliziter mit dem Interpretandum auseinanderzusetzen. Daher wird der Neuentwurf (mindestens partiell) explizit vorgenommen und zwar vor dem Hintergrund von Einsichten, die der Interpret beim Scheitern seines ersten Entwurfs über die Art und Struktur sowohl der fremden wie auch der eigenen subjektiven (Kommunikationsund Vernunft‐) Praxis erworben hatte. Der Interpret hatte ja bemerkt: Zum Interpretandum gehört eine eigene Art, die Dinge zu sehen, sie begrifflich zu fassen, mit ihnen umzugehen, eine Art, die sich von der des Interpreten selbst – die damit ihrerseits auffällig und sichtbar wird – unterscheidet. Das heißt: Der Blick des Interpreten, der Mitspieler bleibt, wandelt sich. Er blickt nicht mehr – der Idee nach – durch das Interpretandum wie durch Glas hindurch und sieht nur die Sache. Das Interpretandum wird vielmehr jetzt explizit mitbetrachtet, und zwar im Sinne der sekundären Objektivierung als etwas, das den Blick so und so auf die Sache lenkt. Und diese Veränderung des kognitiven Verhaltens zum Text beginnt erst mit dem zweiten Neuentwurf des Vorverständnisses. Sie verschärft sich, wenn im Prozess der Interpretation das Vorverständnis immer wieder erneuert, d. h. korrigiert werden muss. Der Interpret wird ein reflektierter Mitspieler. – Mit dieser Veränderung kommt eine neue Dimension des Verstehens ins Spiel. Es eröffnet sich die Möglichkeit, ein Interpretandum mehr oder weniger tief zu verstehen. Ein tiefes bzw. tieferes Verständnis von x gewinnen, heißt: Nicht nur das direkt Gesagte sich aneignen, sondern auch zusätzlich Einsicht in Art und Struktur des Gesagten, sowie seine Rolle in verschiedenen Kontexten gewinnen, d. h.: nicht nur die Oberflächenstruktur der Äußerung x und die unmittelbar naheliegenden, vom Autor eigens intendierten Implikationen und Präsuppositionen von x berücksichtigen, sondern darüber hinaus auch entferntere Implikationen, tieferliegende Präsuppositionen, Rahmenphänomene wie die kulturelle Herkunft von x, hinter x stehende verborgene Interessen etc.. Diese zusätzlichen Einsichten – und damit die neue Dimension – können so ins Spiel kommen, dass sie nur hilfsweise in Anspruch genommen werden, als bloßes Mittel, auf das man angewiesen ist, wenn man die schwer zu erlangende sachliche Information des Interpretandums gewinnen möchte. Sie können aber auch um ihrer selbst willen erstrebt werden
2.2 Das Modell
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als Möglichkeit und Chance, fremde und eigene Vernunftpraxis zu verstehen und zu durchschauen. In einigen Bereichen der Geisteswissenschaften sind sie zum dominierenden Ziel geworden. Die neue Dimension des tiefer Verstehens kommt zuerst ins Spiel über die (empirische) Falsifikation von Fragepräsuppositionen und Unterstellungen über die Art des Interpretandums, die – wie wir gesehen haben, verschränkt ist mit dem Explizitwerden dieser Präsuppositionen bzw. Unterstellungen. Sie kann dann eigens ergriffen und elaboriert werden. Und dabei wird der Interpret auf das ganze Arsenal der analytischen (nicht empirischen) Verfahren der Erläuterung, Kommentierung und des Klarmachens von Äußerungen zurückgreifen.⁸¹ Damit beenden wir die Analyse der zweiten Phase. Es ist wichtig, zu sehen, dass es sich hier nur um eine sehr grobe und stark simplifizierende Rekonstruktion handelte, die nur die wichtigsten involvierten Elemente, nur die wichtigsten Resultate ihres Zusammenspiels berücksichtigt, die von vielen Komplikationen absieht und die schon, weil eine solche Rekonstruktion unvermeidlich explizite Rekonstruktion ist, immer dazu tendiert, die Kontrollmöglichkeiten des Interpreten über die involvierten Elemente, die diesem ja immer nur halb explizit gegeben sind, zu überzeichnen. In Wahrheit ist der hermeneutische Umgang mit fremden Texten etwas extrem Komplexes, und er ist es sogar in zwei – sich gegenseitig verstärkenden – Dimensionen: In vertikaler Richtung spielt sich – wie wir gesehen haben – der eigentliche Aneignungsprozess schon auf drei Ebenen ab: auf der der Kommunikation über die Sache (propositionale Gehalte), der der Metakommunikation (performative Bestandteile) und der der Sache selbst. Wesentlich beteiligt sind hier Fragen, Hypothesen über den Text und quasitranszendentale Schemata, die vom Interpreten investiert werden. Hinzu kommt noch die Infrastruktur der Aneignungsprozesse, die ja nach unserem Vorschlag oben mit mindestens sechs verschiedenen Integrationsniveaus des Interpretandums zu tun haben bzw. selbst auf sechs verschiedenen Ebenen stattfinden. Basis für die eigentlichen Aneignungsbemühungen ist ja, dass der Interpret viele verschiedene Typen von Leistungen schon erbracht hat: Von der empirischen Identifikation des physischen Substrats des Interpretandums bis zum Verständnis der jeweils involvierten Sprechhandlungen. Alles zusammen verschafft dem Interpretandum einen Aggregatszustand derart, dass der Interpret nun versuchen kann, die das Interpretandum ausmachenden fremden Gedanken wie eigene zu fassen, die Antwort des Interpretandum sich anzueignen. Diese Infrastruktur ist während des Interpretationsprozesse ständig mit im Spiel, und der Interpret kann bei Aneignungsproblemen jederzeit korrigierend auf die verschiedenen Ebenen der Infra-
Dazu vgl. Schnädelbach (1977).
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struktur zurückgreifen. – In horizontaler Richtung ergibt sich die Komplexität der Sache aus folgendem Sachverhalt: Ein Text – sagen wir: ein Buch von 250 Seiten – ist ein Ganzes, das a) aus vielen Teilen besteht, genauer, das – je nach Gesichtspunkt – in viele Teile zerlegt werden kann, die ihrerseits wieder in viele Teile zerlegt werden können etc., und das b) selbst als Teil von – je nach Gesichtspunkt – wieder verschiedenen Ganzen angesehen und behandelt werden muss (z. B. der Geschichte des Textgenres oder der kulturellen Situation der der Text entstammt). Wenn wir nun davon ausgehen, dass sich das jeweilige Ganze und die Teile und die Teile untereinander hinsichtlich ihrer Bedeutung wechselseitig bestimmen, dann ergibt sich daraus, dass die Interpretation eines solchen Textes, wenn sie sauber und durchsichtig durchgeführt werden soll, eine enorme, faktisch nicht zu bewältigende Zahl von Einzelaufgaben stellt, eine Zahl, die kaum abgeschätzt, geschweige denn errechnet werden kann, weil sich ja im Verlauf der Interpretation die Gesichtspunkte der Teilung (und damit, was jeweils als relevanter Teil zählt), ständig ändern. – Es kommt hinzu, dass die Aneignungsbemühungen der rekonstruierten Art auch insofern strukturell komplexer sind als Bemühungen in den Realwissenschaften um die Wahrheit von Hypothesen, als es hier ständig gleich um das Prozessieren von ganzen Paradigmata (Sprachspielen, begrifflichen Rahmen, Diskursuniversen etc.) geht und nicht nur um das Prozessieren von einzelnen Hypothesen. – Aus alledem folgt, dass faktisch Interpretationen fast nie methodisch sauber, durchsichtig und vollständig kontrolliert durchgeführt werden können. In der hermeneutischen Realität wird der weitaus größte Teil der Leistungen eines Interpreten wesentlich über implizit bleibende intuitive Abkürzungsverfahren erbracht und nicht über explizit kontrollierte methodische Veranstaltungen. Derartiges ist nur in Ausnahmefällen und vor einem weiten Hintergrund von bloß intuitiv Erledigtem möglich.
2.2.3 Die dritte Phase: Rückkehr zur Einstellung des Mitspielers Nach dem Scheitern des Vorverständnisses kommt es zu einer neuen Phase. Der Interpret kehrt – belehrt durch die Erfahrung des Scheiterns – zurück in die Normalposition eines Mitspielers, der vom Interpretandum über die Sache informiert werden will und der daher das Interpretandum als mögliche Antwort auf seine Frage über die Sache auffasst und behandelt, d. h. der die Antwort haben will und sie nicht zum Gegenstand macht, über den er etwas wissen will. Aus dieser Position heraus entwirft er eine neue lückenhafte Antizipation des im Text zu erwartenden Gedankenganges, und dies Vorverständnis hat dann wieder die drei genannten Funktionen bei der Erschließung des Interpretandums, die einer Frage, die einer Hypothese über den Text und die eines quasitranszendentalen
2.2 Das Modell
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Schemas. Das Spiel beginnt also von Neuem. Dies freilich von einem anderen Ausgangspunkt als zuvor, der Interpret ist ja mit seinen Bemühungen vorangekommen: Der Text hat für ihn durch die bisherigen Bemühungen, das Ausprobieren verschiedener Sinnentwürfe,⁸² erheblich an Mehrdeutigkeit und Vagheit verloren, an Festigkeit und Widerstandkraft gegen Hypothesen gewonnen. Das Vorverständnis ist schon Resultat einer Korrektur hinsichtlich der Gesamtausrichtung. Zugleich ist es in der Konfrontation mit dem immer besser zugänglich werdenden Text auch reicher und konkreter geworden. Und der Interpret schließlich hat – wie wir gerade gesehen haben – die ersten Schritte in Richtung auf den Status eines reflektierten Mitspielers gemacht, der jetzt anfangen kann, ein tieferes Verständnis des Interpretandums zu erarbeiten. Es gibt also eine veränderte Ausgangssituation. Aber die Aufgaben, die der Interpret jetzt zu bewältigen hat, sind – auf höherem Niveau – von derselben Art wie zuvor. Ein Wort noch zur Verwendungsweise des Ausdrucks „Phasen des Interpretationsprozesses“. Es ist hier unterschieden worden zwischen verschiedenen Phasen im Verstehensprozess, Phasen, die sich ergeben durch den Wechsel des Interpreten zwischen der Einstellung eines Mitspielers, der das Interpretandum als Antwort auffasst und behandelt und der Einstellung eines Betrachters, der das Interpretandum zum Gegenstand von Hypothesen macht. Diese Phasen können so verstanden werden – und tatsächlich wurde das im Bisherigen auch nahegelegt –, als ginge es in einer Phase jeweils um eine Art der Auseinandersetzung des Interpreten mit dem ganzen Interpretandum. Demnach wurde in der ersten Phase der ganze Text als Antwort aufgefasst und behandelt und in der zweiten Phase der ganze Text zum Gegenstand gemacht, dabei das Vorverständnis vom Ganzen korrigiert und in der dritten Phase würde der Interpret jetzt erneut an das Ganze als Antwort herangehen usw. Dies Verständnis ist möglich und sinnvoll insbesondere, wenn eine Rekonstruktion methodisch sauberen Vorgehens vorgelegt werden soll. Aber es ist auch unrealistisch. Außerhalb von Spezialdisziplinen wie Literaturwissenschaft, Theologie und Rechtswissenschaft ist es durchaus unüblich, dass ein Interpret einen längeren Text mehrfach von Anfang bis zum Ende durchliest, nur um seinen Sinn zu verstehen. Normalerweise wird ein Interpret, der mit seinem Vorverständnis (wie beschrieben) scheitert, nicht an den Anfang des Textes zurückgehen und alles neu lesen. Er wird vielmehr das Verständnis des bisher Gelesenen im Gedächtnis korrigieren und mit dem neuen Vorverständnis weiterlesen, bis er wieder scheitert. Auch dies laxere Verhalten soll durch unsere Verwendung des Ausdrucks „verschiedene Phasen“ mit erfasst werden. – Au-
bei denen ja immer auch ausprobiert wird, ob die Textteile zu dem Entwurf passen und ob sie als solche auch untereinander zusammenpassen.
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2 Das Strukturmodell
ßerdem kann der Wechsel der Einstellung nicht nur mit Bezug auf jeweils den ganzen Text stattfinden, sondern auch mit Bezug auf Teile des Textes, ja auf Teile von Teilen. Das heißt, die Rede von „Phasen des Verstehens“ soll sich nicht auf so etwas wie ein festes Schema für den Ablauf von Verstehensbemühungen beziehen, gemeint ist damit nur, dass kognitive Bemühungen um Texte (die ohnehin unvermeidlich zu großen Teilen intuitiv und methodisch ungezähmt verlaufen), Bemühungen um das Ganze wie um Teile, im ständigen Wechsel zwischen zwei verschiedenen Einstellungen erfolgen.
3 Geltungsprobleme der Hermeneutik Wir haben bisher versucht, in Umrissen darzustellen, wie der Interpret ausgehend von einem vagen, schiefen und unvollständigen Vorverständnis zu einem scharfen, treffenden und vollständigen Verständnis kommen kann, d. h. wir haben die Grundzüge eines komplexen Prozesses charakterisiert, über den der Interpret mit seinen Bemühungen um das Interpretandum vorankommen kann. Jetzt wollen wir die Ziele und Standards, die für diesen Prozess maßgebend sind, präziser bestimmen.Was genau ist das Ziel, das der Interpret erreichen will (wollen sollte), welches sind die Standards, an denen seine Bemühungen gemessen werden sollten? Was genau ist richtiges bzw. gültiges Verstehen?⁸³ Wir kommen damit zum Geltungsproblem der Hermeneutik. Zwar haben diese Fragen auch im Vorigen schon eine erhebliche Rolle gespielt. Die für die vorgeführte Konzeption zentrale These, dass es im Verstehen nicht primär darum gehe, zu Wissen über das Objekt: Interpretandum zu kommen, sondern vielmehr darum, das Interpretandum selbst qua Antwort sich zu eigen zu machen, ist ersichtlich einschlägig. Außerdem war die Rekonstruktion des Prozesses, der zur Verbesserung des Vorverständnisses führen soll, natürlich nicht möglich, ohne dass Unterstellungen über das im Prozess zu erreichende Ziel im Spiel waren. Aber das bisher ins Spiel Gebrachte ist noch zu weit gefasst und bei weitem nicht genau genug. Die entsprechenden Annahmen sowie die darauf basierende Rekonstruktion des Interpretationsprozesses sind immer noch vereinbar mit sehr verschiedenen Auffassungen von den Zielen und Standards des Verstehens. Nach unserer Auffassung besteht das Problem, mit dem wir hier vor allem zu tun haben, darin, dass sich in diesem Zusammenhang zunächst einmal zwei sehr verschiedene, ja einander widersprechende Grundintuitionen und entsprechende Positionen mit guten Gründen verteidigen lassen. Die erste besagt: Es gibt so etwas wie die richtige, für alle Interpreten verbindliche Interpretation eines Interpretandums, bzw. – fallibilistisch abgeschwächt –: Es gibt die Möglichkeit ein Interpretandum langfristig immer besser zu verstehen. Alle Interpreten dieses Interpretandums sollten sich begreifen als unterwegs zu der einen verbindlichen „final interpretation“ (so wie bei Peirce sich alle Mitglieder der „community of investigators“ verstehen sollen als unterwegs zur definitiven „final opinion“ über ihre
Die Frage hat etwas sprachlich Anstößiges, weil der Ausdruck „Verstehen“ schon für sich genommen ein Erfolgswort ist, d. h. aus der Opposition zu „Missverstehen“ verstanden werden sollte. Die Ausdrücke „richtig“ und „gültig“ bestimmen daher das Verstehen nicht weiter, sondern heben nur eigens hervor, was schon im Ausdruck „Verstehen“ steckt. https://doi.org/10.1515/9783110677454-004
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
Sache). – Die Gegenposition behauptet dagegen: Dergleichen wie eine „final interpretation“ gibt es in Wirklichkeit nicht. In Wahrheit gehe es beim Verstehen nur darum, immer wieder neu zwischen dem Interpretandum und den Interpreten, die – abhängig von ihrem jeweiligen Standort in Geschichte, Kultur, Sprache, abhängig vor allem aber von ihrem Standort in der Auseinandersetzung über die im Interpretandum thematische Sache – sich bedeutend voneinander unterscheiden, jeweils optimal zu vermitteln, immer wieder andere sich aus dem Standort der Interpreten ergebende Verständnisschwierigkeiten auszuräumen. – Die erste Position sieht also das Ziel hermeneutischer Bemühungen darin, die – eine – richtige Interpretation des zu verstehenden Textes zu realisieren, das Interpretandum immer besser zu verstehen, der richtigen Interpretation langfristig immer näher kommen. Das Muster ist die progressive Erforschung einer Sache in den Realwissenschaften. In der zweiten Position geht es darum, dass jeweils immer anders verstanden werden muss, dass immer wieder neu die optimale Vermittlung zwischen immer wieder anderen Instanzen realisiert werden muss, dass immer wieder andere Horizonte klug miteinander verschmolzen werden müssen.⁸⁴ Das Muster ist hier die Anwendung (und Konkretisierung) von etwas Allgemeinem auf sehr verschiedene Fälle. Für beide Positionen lassen sich – wie wir noch sehen werden – gute Gründe anführen. Sie sind offenbar sehr verschieden, und diese Verschiedenheit ist wichtig für das Selbstverständnis hermeneutischer Interpreten. Sie ist z. B. ersichtlich von großer Bedeutung für die Frage des Selbstverständnisses der Geisteswissenschaften als Wissenschaften. Und es gilt: Beide Positionen sind verträglich mit dem bisher entwickelten Modell, das sich damit als in einer wesentlichen Hinsicht noch unvollständig erweist.
3.1 Vorstellung von drei Positionen Im Folgenden möchte ich das Problem anhand von drei idealtypischen Positionen diskutieren, von Positionen, die sich lose mit den Namen Hirsch⁸⁵, Gadamer⁸⁶ und Apel⁸⁷ verbinden lassen.⁸⁸ Die erste (Hirsch) entspricht der ersten Grundituition,
Wobei die jeweilige Vermittlungsleistung selbst durchaus besser oder weniger gut ausfallen kann, die Konzeption muss also nicht völlig auf die (normative) Idee des Richtigverstehens verzichten. Vgl. Hirsch (1972). Vgl. Gadamer (1960) (im Text: WM). Vgl. vor allem: Apel (1979); Apel (1998); Apel (2008). Ich führe idealtypische Positionen, zu denen es freilich reale Vorbilder gibt, ein, weil ich mich hier nicht auf Details der Auseinandersetzung mit den genannten Autoren einlassen möchte.
3.1 Vorstellung von drei Positionen
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die zweite (Gadamer) der zweiten, und die dritte (Apel) versucht zwischen beiden zu vermitteln.
3.1.1 Eric Donald Hirsch Bei der ersten Position denken wir – wie gesagt – zunächst an das Buch von Hirsch: „Validity in Interpretation“. Hirsch rückt das Geltungsproblem der Hermeneutik energisch ins Zentrum. Seine Hauptfrage ist: Wie ist objektiv und intersubjektiv gültiges Verstehen von Texten möglich? Sein Hauptinteresse gilt der Wissenschaftlichkeit der Geisteswissenschaften. – Das Modell, an dem er seine Konzeption von hermeneutischer Textinterpretation orientiert, ist das Modell progressiver Forschung in den Realwissenschaften, progressiver Forschung, die langfristig zur Konvergenz aller Bemühungen in der einen final opinion über die Sache führen muss, einer letzten Meinung, die darum als wahr angesehen werden muss, weil nunmehr alles für sie und nichts mehr gegen sie spricht. – Solche Forschung ist nun nur möglich – so Hirsch – wenn sie sich auf ein stabiles, feststehendes Objekt bezieht, auf das man immer wieder zurückkommen kann. Hirsch setzt daher als den eigentlichen Gegenstand hermeneutischer Bemühungen nicht so etwas wie den Sinn oder die Bedeutung eines Textes an – das wäre etwas, von dem gesagt werden könnte, dass es sich ständig ändere – sondern vielmehr die (im Text ausgedrückte) Meinung des Autors, die – einmal niedergelegt – genau die gesuchte Stabilität und Invarianz aufweise. – Die eigentliche Forschungsarbeit, in der jeweils die Meinung des Autors erschlossen werden soll, besteht dann im Prozessieren von Interpretationshypothesen über die Meinung des Autors, d. h. im Entwurf solcher Hypothesen, in der (immer neuen) Konfrontation derselben mit dem Text und mit konkurrierenden alternativen Hypothesen darüber, in der Auswahl der jeweils aussichtsreichsten Hypothese, der Verwerfung der anderen, in der Korrektur von Hypothesen etc. – In diesem Prozess spielen Vorurteile, die Vorverständnisse der Interpreten, ihre „Sinnerwartungen“ zwar eine wichtige (heuristische und konstitutive) Rolle. Aber diese Vorurteile bestimmen das Verständnis nicht dauerhaft. Sie sind dazu da, korrigiert zu werden, als bloße Vorurteile zu verschwinden, d. h. am Ende ersetzt zu werden durch wahre oder doch wenigstens wahrscheinlich wahre Urteile über die Meinung des Autors. – Das Ziel der hermeneutischen Bemühung ist demnach die wahre Hypothese über das Interpretandum (die Meinung des Autors), der Standard, an dem hermeneutische Bemühungen und deren Resultate gemessen werden sollen, ist die Wahrheit (Wahrheit über x). Nun handelt es sich bei der Hirschschen Konzeption um eine Realisierung der ersten Grundintuition, die sehr weit von dem entfernt ist, was wir oben vorgeführt
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
haben. Es fehlen ja völlig die – von uns für notwendig gehaltenen – Unterscheidungen, die im Vorigen die Hauptrolle gespielt haben, die Unterscheidungen zwischen „Wissen über den Text erwerben wollen“ und „das Gesagte selbst (als Antwort) aneignen wollen“, zwischen Text als Objekt und Text als Antwort. Außerdem spielt das Faktum, dass Texte von Sachen handeln, fast keine systematische Rolle. Wir wollen daher für unsere Diskussion des Geltungsproblems zusätzlich zur vorgeführten ersten Variante (Ia) noch eine zweite Variante der ersten Position (Ib) ins Spiel bringen, eine Variante, die dadurch entsteht, dass wir die Grundideen von Hirsch – so gut es geht – ergänzen, modifizieren und einbetten in das bisher von uns erarbeitete Modell.⁸⁹ Folgende Präzisierungen sind dabei vor allem erforderlich: Als Gegenstand der kognitiven Bemühung, über den in progressiver Forschung die definitive Hypothese erarbeitet werden soll, kann nicht einfach die Meinung des Autors tout court gelten, sondern nur die Meinung des Autors über die (dem Autor und dem Interpreten gemeinsame) Sache, d. h. etwas das selbst erkennbar schon den logischen Status einer Hypothese über etwas hat. – Die kognitive Auseinandersetzung des Interpreten mit dem Text selbst, die im Sinne langfristiger, progressiver Forschung verstanden werden soll, kann dann nicht einfach als – für sich stehende, autonome – theoretisch kognitive Auseinandersetzung mit einem Objekt aufgefasst werden, sondern nur als Verständigungsleistung, als kommunikative Auseinandersetzung des Interpreten mit dem Gesprächsbeitrag eines Kommunikationspartners, die ihrerseits (unselbständiger) Teil ist der gemeinsamen Bemühung um die Sache. – Die Einstellung des Interpreten bei diesem Forschungsprozess ist dann nicht einfach die eines Forschers, der in theoretischer Einstellung seinen Gegenstand von außen betrachtet, ihn (im Sinne primärer Objektivierung) objektiviert, sondern vielmehr die eines Mitspielers im Spiel der Kommunikation, der auf den Spielzug seines Gegenübers angemessen reagieren will, der aber angesichts von Störungen in der Kommunikation über die Sache einen Schritt zurücktritt und ihn (im Sinne sekundärer Objektivierung) partiell zum „Gegenstand“ macht.⁹⁰ Diese Modifikationen sind mindestens zu großen Teilen gedeckt durch den Spielraum, den die vagen, globalen, die hier notwendigen Unterscheidungen offen lassenden Formulierungen von Hirsch hier einräumen. Hirsch verwendet die von uns scharf unterschiedenen Redeweisen: „Hypothesen, Wissen über das Gesagte erwerben“ vs. „das Gesagte als Antwort sich aneignen“, die aus der Wissenschaftstheorie respektive aus der Umgangssprache stammen, promiscue. Außerdem weiß er natürlich, dass die thematischen Äußerungen ihrerseits sich auf Gegenstände beziehen, redet aber zugleich umstandslos von diesen Äußerungen selbst als von bloßen „Gegenständen von Hypothesen“. D. h. – bei Hirsch -: ihn nicht nur überhaupt als sachlichen Beitrag partiell objektiviert, sondern als die besondere individuelle, für den Autor charakteristische Meinung vergegenständlicht.
3.1 Vorstellung von drei Positionen
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Wenn wir den Hirschschen Ansatz (Position Ia) in diesem Sinne modifizieren, so erhalten wir am Ende eine Konzeption (Ib), von der gilt: (i) Der oben analysierte Prozess der Interpretation, der wesentlich im Entwerfen, Prüfen, Widerlegen, Neuentwerfen des Vorverständnisses besteht, ist nun als progressive Forschung zu verstehen, als Forschung, die am Ende zu so etwas wie dem definitiven objektiv und intersubjektiv gültigen Verständnis des Interpretandums, der Meinung des Autors, führen soll. (ii) Die Suche nach der rechten Frage (‐struktur), als die – wie wir gesehen haben – die Arbeit am Vorverständnis aufzufassen ist, kann jetzt nur Bemühung um die Frage sein, die optimal in dem Sinne zum Interpretandum passt, als sie genau das und all das, was der Autor ursprünglich gemeint hat, optimal erschließen würde. Dann aber kann es nur um die Frage gehen, die der Autor selbst gestellt und mit dem Text beantwortet hat. Die Arbeit am Vorverständnis, die wesentlich den Prozess der Interpretation ausmacht, muss demnach verstanden werden als Bemühung darum, der ursprünglichen Frage des Autors, die zum Text führte, immer näher zu kommen. Wenn der Interpret sich diese ursprüngliche Frage des Autors erarbeitet hat, dann kann er mit ihrer Hilfe sich das im Text Gesagte, die Meinung des Autors, aneignen. Charakteristisch für die erste Grundintuition, d. h. für beide Positionen, die ihr entsprechen (Ia und Ib) sind nach alledem die folgenden Annahmen: 1. Bei der Interpretation handelt es sich wesentlich um ein (einziges) Projekt, die kognitive Bemühung um das Interpretandum. 2. Es gibt eine richtige Interpretation, die wahre Interpretationshypothese bzw. die Aneignung der Meinung des Autors. 3. Bei unseren Verstehensbemühungen geht es jeweils um die Approximation an dieses Ziel, darum, immer besser zu verstehen, bis das Ziel erreicht ist. 4. Das Verfahren der Interpretation hat sich wesentlich an dem vertrauten Muster der Forschung in den Realwissenschaften zu orientieren, an dem Muster progressiver Forschung.
3.1.2 Hans Georg Gadamer Für die zweite mögliche Grundintuition in unserer Sache soll hier Gadamers Ansatz stehen. – Auch Gadamer geht von der Frage aus: „Wie ist Verstehen möglich?“ aber er versteht diese Frage ganz anders als Hirsch. Hirsch will wissen, wie sind gültige Resultate möglich für die – als autonomes Projekt verstandenen – kognitiven Bemühungen des Interpreten um den Text, Resultate im Sinne von: Wahre Hypothesen über die Meinung des Autors. Gadamer dagegen blendet ganz auf, versteht die Verstehensbemühungen von vornherein als unselbständigen, abhängigen Teil der – dem Interpreten und Autor gemeinsamen – Bemühung um die Sache, von der der Text handelt und fragt gleich danach, wie diese unselb-
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
ständige Bemühung optimal dazu beitragen kann, dass der Hauptzweck des ganzen Projekts realisiert wird, d. h., wie der Interpret dazu kommen kann, soviel wie möglich aus dem Interpretandum über die Sache zu lernen. Sachliche Fruchtbarkeit ist hier der dominierende Gesichtspunkt und nicht die Wahrheit einer Interpretationshypothese. – Wichtige Gründe für die Verschiebung des Gesichtspunktes sind zum einen: Der Hinweis darauf, dass wir uns in der Regel mit Texten und Äußerungen nur beschäftigen, sie vorbringen und rezipieren, weil wir an der Sache interessiert sind, von der sie handeln. Zum anderen: Der Fall, der in der Literaturwissenschaft die Regel ist, nämlich dass ein Text weitgehend um seiner selbst willen betrachtet wird, der Text selbst als interessanter als die Sache gilt, ist genaugenommen nur ein abgeleiteter Sonderfall, der der Hermeneutik gerade nicht als Muster dienen sollte. Mit alledem legt Gadamer nahe, dass Hirsch das Geltungsproblem weitgehend verfehlt habe, dass er es zu einfach, zu eng und nicht tief genug gefasst habe. Wenn wir beim Verstehen von vornherein mit zwei – miteinander verschränkten – Projekten zusammen zu tun haben und nicht nur mit einem wie bei Hirsch, dann gilt ja: In dieser Gesamtkonstellation wird die Position des Gegenstandes, über den wir etwas wissen wollen und der insofern das eigentliche Ziel der kognitiven Bemühung ist, zunächst von der Sache, über die der Text handelt, eingenommen und gerade nicht vom Text selbst. – Dementsprechend gilt hier als die eigentliche kognitive Bemühung (die gegebenenfalls auch die Form langfristiger, systematischer Forschung annehmen könnte) die Bemühung um die Sache und nicht die um den Text. Der Text gehört dabei vielmehr zur subjektiven Praxis, der wir uns bedienen, um etwas über die Sache herauszubekommen. D. h. in diesem Zusammenhang bemühen wir uns um den Text bzw. um das im Text Gesagte gerade nicht als um ein Objekt, über das wir wahre Hypothesen haben wollen, wir bemühen uns vielmehr um es als um dasjenige, was wir über die Sache (die damit das Zentrum bleibt) wissen und haben wollten: Wir bemühen uns um es als um die möglicherweise wahre Antwort auf unsere Frage über die Sache.Wenn wir also den Umstand, dass wir qua Interpreten von Texten immer in zwei Projekte zugleich verwickelt sind, wirklich ernst nehmen, dann müssen wir davon ausgehen, dass die kognitive Bemühung um das im Text Gesagte (i) ein anderes Ziel und eine andere Form hat als die (z. B. realwissenschaftliche) Bemühung um eine Sache (die Bemühung, an der sich Hirsch orientiert), und dass sie ferner (ii) wesentlich abhängig ist von der Bemühung um die Sache (von der der Text handelt), zu der sie ja nur hilfsweise hinzukommt und von der sie nur unselbständiger Teil ist. Zu (i) Sie hat ein anderes Ziel und eine andere Form insofern, als es dann wesentlich um so etwas wie die Aneignung schon vorhandenen, empirisch gegebenen fremden Wissens über die Sache geht und nicht primär um die Erstellung von Hypothesen über das Interpretandum – um „Integration,“ wie Gadamer sagt,
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und nicht um „Rekonstruktion“⁹¹ und insofern, als es sich dann um das Prozessieren von Fragen und nicht von Hypothesen über das Interpretandum handelt. Wenn es uns um die Erkenntnis einer Sache, um Wissen über ein Objekt geht, dann besteht unsere Hauptaufgabe darin, mit unseren Repräsentationen der Sache, in denen sich unsere vorläufigen Überzeugungen über die Sache artikulieren, langfristig immer näher an die Sache, an die Wahrheit heran zu kommen. Wenn es dagegen um die In-Besitz-Nahme von schon vorhandenem Wissen über die Sache geht, um die Aneignung von etwas, das möglicherweise eine Antwort auf unsere Frage ist, einer Antwort freilich, die wir noch nicht haben, die wir noch nicht verstehen, mit der wir noch nichts anzufangen wissen, dann geht es darum, die fremde Antwort uns nahe zu bringen, dafür zu sorgen, dass sie für uns durchsichtig und verwendbar wird, dass wir sie sozusagen „in Betrieb nehmen“ können. Dann ist aber durchaus nicht mehr klar, ja nicht einmal naheliegend, dass dieses Projekt sich an den Zielen und Standards langfristig progressiver Sachforschung zu orientieren hat. Zu (ii) Diese Bemühung um den Text ist nicht autonom und selbständig, sondern wesentlich abhängig von der dominierenden Bemühung um die Sache. Was diese Abhängigkeit bedeutet, wird sichtbar, wenn wir das kognitive Verhalten eines Interpreten zu einem Text, der ihn der Sache wegen, von der der Text handelt, interessiert, vergleichen mit dem kognitiven Verhalten eines Forschers (bzw. einer „community of investigators“) zu seiner (ihrer) Sache, der seine (ihre) Forschungstätigkeit gilt. Der Forscher wird sein Vorverständnis von der Sache, das sich in seinen Hypothesen über die Sache manifestiert, sowohl entwerfen wie auch korrigieren allein im Hinblick auf das Interesse an der Sache selbst. Er ist frei, seine Perspektiven, Begriffe, Interessen, seinen Zugriff auf die Sache so zu wählen und zu verändern, dass alles optimal zur Sache passend gemacht, dass die Erkenntnis der Sache maximal gefördert wird. Er ist nur der Sache verpflichtet und hat keine anderen Rücksichten zu nehmen. – Der, wie hier unterstellt, ernsthaft an der Sache interessierte Interpret eines Textes dagegen – wir nehmen an, er sei ein Realwissenschaftler engagiert in der langfristigen Erforschung der Sache, von der der Text handelt – ist in seiner Bemühung um den Text nicht in
Gadamer geht nicht so weit, wie wir es im Vorigen getan haben, nämlich soweit, die Differenz zwischen der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation und der Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation auszudrücken mit Hilfe des klaren, scharfgeschnittenen, quasi logischen Unterschieds zwischen der Bemühung,Wissen über den Gegenstand x zu erwerben und der Bemühung, x als Antwort selbst anzueignen. Aber er kommt dieser Unterscheidung sehr nahe. Die sehr häufige Verwendung von Ausdrücken wie: „sich etwas vom Interpretandum sagen lassen“, die zentrale Stellung der Opposition: Integration versus Rekonstruktion, die Rede von „Horizontverschmelzung“ sprechen dafür.
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gleicher Weise frei, sich zu seinem Text zu verhalten. Das – wie wir gesehen haben – wichtigste Mittel, dessen er sich zur Erschließung des Textes bedient, ist das in der Konfrontation mit dem Text zu prozessierende, zum Text passend zu machende Vorverständnis vom Interpretandum. Dieses Vorverständnis aber hat – wie wir gesehen haben – wesentlich die Form einer Vermutung über die Sache, von der der Text handelt, einer Vermutung über das zu erwartende Schicksal der Sache im Text. Wenn nun der Interpret sich um willen der Sache um den Text bemüht, dann kommen für ihn ernsthaft nur solche Fragen (und Vorverständnisse) in Betracht, die (mindestens annähernd) das als wahr unterstellen, was gegenwärtig als Stand der einschlägigen Sachforschung bisher erarbeitet wurde. Nur solche Fragen können ja sein ernsthaftes Interesse an der Sache, wie sie sich für ihn darstellt, enthalten, und nur Antworten auf solche Fragen könnten ja seine Bemühungen um die Sache wirklich fördern. Das aber bedeutet, er wird die Fragen an den Text stellen, die er an seinem Standort im Rahmen der Sachforschung tatsächlich jetzt hat und nicht vielmehr solche, die er, wenn er einen anderen Standort hätte, haben könnte, Fragen freilich, die er, wenn er ganz frei wäre, in seiner Auseinandersetzung mit dem Text, möglicherweise mobilisieren würde. Er kann seine entsprechenden Überzeugungen und Fragen nur in sehr engen Grenzen modifizieren. Er ist nicht frei – um willen einer „final opinion“ über den Text – irgendwelche Perspektiven und Annahmen, die nicht die seinen sind, auszuprobieren. Anders also als der Realwissenschaftler, der ganz frei ist, den einen Prozess der Sachforschung, in den er involviert ist, so zu gestalten, wie es für sein Interesse an der Sache am günstigsten ist, muss der immer in zwei Projekte zugleich verwickelte Interpret bei seiner Bemühung um den Text, Rücksicht nehmen auf das erste Projekt: Die Bemühung um die Sache. Er ist gebunden an die Dynamik der Sachforschung, die sich von der Dynamik der Auseinandersetzung mit dem Text als solchem beträchtlich unterscheiden kann und mit jener interferiert. (Das Prozessieren von Hypothesen über die Sache kann Jahrzehnte, ja Jahrhunderte dauern, das Prozessieren von Vorverständnissen bezüglich dieses Textes dauert dagegen in der Regel Minuten, Stunden, Tage, Wochen.) Das heißt, er muss versuchen, den Text für sich, nämlich für den Forscher, der einen bestimmten Standort in der Wissenschaftsgeschichte hat, aufzuschließen, ihn an sich heranzubringen, ihn auf seine Probleme anzuwenden. – Mit alledem wird klar: Der Interpret, der gewöhnlich den Text aus sachlichem Interesse heraus liest, muss, damit seine Bemühung nicht unfruchtbar wird, sein sachliches Interesse am Text berücksichtigen, d. h. er muss den Text von seinem sachlichen Vorverständnis her, von seinen Fragen her erschließen, nicht dagegen von der Frage des Autors her. Abgesehen davon, dass das letztere genaugenommen unmöglich ist, würde es außerdem auf ein unfruchtbares Aufopfern seines sachlichen Interesses hinauslaufen. Das aber bedeutet: Das Vorverständnis des Interpreten ist hier ge-
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rade nicht dazu da, zum Verschwinden gebracht zu werden. Es bestimmt vielmehr dauerhaft die Interpretation, daran hängt gerade die sachliche Fruchtbarkeit der Bemühung. – Nun sind die sachlichen Interessen und Fragen des Interpreten ebenso wie die durch sie aufzulösenden Verständnisschwierigkeiten, die Probleme, etwas mit dem Text anzufangen etc., etwas, das sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Stand der Sache (z. B. der Sachforschung) ändert. D. h. das Interpretandum wird zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Standorten her erschlossen und dies so, dass die jeweilige Interpretation wesentlich dadurch geprägt wird. Damit ist jetzt auch nicht mehr ohne weiteres klar, ob langfristig gesehen der Text immer besser verstanden wird oder nur anders, nämlich so, dass immer nur andere, nicht notwendig bessere Fragen an den Text herangetragen, andere Horizonte miteinander verschmolzen werden. Mit dieser Neubestimmung der Verhältnisse, mit denen ein hermeneutischer Interpret in Wirklichkeit zurecht zu kommen hat, insbesondere mit der Würdigung des Umstandes, dass der Interpret jeweils mit zwei Projekten zugleich zu tun hat, und der daraus sich ergebenden Konsequenzen hat Gadamer das Unzureichende, ja die Naivität der ersten Problemstellung bei Hirsch klar überwunden. Er hat das Geltungsproblem der Hermeneutik auf einem ganz anderen Niveau neu gestellt und damit die Chance eröffnet, ihm in seiner tatsächlichen Komplexität gerecht zu werden. Freilich hat die Lösung, die Gadamer für dies Problem vorlegt, nicht überall Beifall gefunden. Das, was Gadamer als Lösung anbietet, ist zunächst einmal eine Lösung ganz im Sinne der zweiten Grundintuition: Es gehe beim Verstehen nicht darum, dass (langfristig) immer besser verstanden werde, dass man die eine richtige, endgültige Interpretation anstrebe, das sei ein verfehltes Ideal, bei dem man sich am irreführenden Modell der Realwissenschaften orientiere. Möglich und sinnvoll sei nur ein Immer-anders-Verstehen, sei eine immer neue und andere Vermittlung zwischen dem Sinn des Textes und den jeweiligen in der Zeit sich verändernden Standpunkten, Horizonten der Interpreten, die jeweils mit verschiedenartigen Verständnisschwierigkeiten zu tun haben und – je nach Standpunkt – jeweils verschiedenartige Interessen und Fragen ins Spiel bringen müssen. D. h., wenn richtig verstanden werden soll, dann muss immer anders verstanden werden. – Das entscheidende Argument dahinter ist der schon in der vorgeführten Problemexposition enthaltene Gedanke, dass die Interpretation von Texten primär der Bemühung des Interpreten um die im Text thematische Sache dienen soll und dass daher der Sinn der Interpretationsbemühung verfehlt werde, wenn das – sich in der Zeit ändernde, vom jeweiligen Standpunkt des Interpreten abhängige – sachliche Interesse des Interpreten, wenn seine Fragen bezüglich der Sache nicht berücksichtigt werden würden.
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Charakteristisch für Gadamers Lösung des Geltungsproblems ist die Radikalität und Einseitigkeit, mit der die zweite Grundintuition als (letztlich) skeptischrelativistische Position vorgetragen wird. Zwei Momente sind hier besonders hervorzuheben. Das eine ist die Einseitigkeit, mit der Gadamer den Interpreten, der sich ja rational mit dem Interpretandum auseinanderzusetzen hat, nur als endliches, ohnmächtiges und abhängiges Wesen charakterisiert, das ganz der opaken und opak bleibenden Geschichte und dem Wechsel der Standpunkte in der Geschichte ausgeliefert ist.⁹² Menschliche Erfahrung ist hier immer nur Erfahrung von Endlichkeit und Abhängigkeit.⁹³ Die Idee eines freien, souveränen Erkenntnissubjekts⁹⁴ gilt hier als Schein, als bloße Illusion. Reflexion, die früher zu Emanzipation und Widerstand zu befähigen schien, wird hier als in Wahrheit schwach und abhängig dargestellt.⁹⁵ Und der wichtigste Bereich der Geschichte, für den dieses Bild korrigiert werden könnte, der Bereich der Wissenschaftsgeschichte⁹⁶, wird von Gadamer vollständig ignoriert und beiseite gelassen. Das zweite Moment liegt darin, dass Gadamer mit Heidegger dazu übergeht, solches, das traditionell als Vernunftleistung, bzw. –resultat beschrieben wird, nunmehr ontologisch als bloßes „Geschehen“ (Wahrheitsgeschehen) bzw. „Wirkung von Geschehen“ zu fassen.⁹⁷ Was vorher als normativ zu beurteilende zweistufige Leistung eines – mindestens im Prinzip – freien, zurechnungs- und verantwortungsfähigen Vernunftsubjekts erschien, wird jetzt zu einem bloßen Moment in einem anonymen objektiven tendenziell einstufigen⁹⁸ Geschehen.
„In Wahrheit gehört die Geschichte nicht uns, sondern wir gehören ihr… Die Selbstbesinnung des Individuums ist nur ein Flackern im geschlossenen Stromkreis des geschichtlichen Lebens.“ (WM 261) „Erfahrung ist also Erfahrung der menschlichen Endlichkeit. Erfahren im eigentlichen Sinne ist, wer ihrer inne ist, wer weiß, dass er der Zeit und der Zukunft nicht Herr ist.“ (WM 339) eines Erkenntnissubjekts, das so wie bei Kant (KRV BXIII) seinen Gegenstand „befragt, um von ihm belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines (abhängigen W.K.) Schülers, der sich alles vorsagen lässt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten (freien und souveränen W.K.) Richters, der die Zeugen nötigt auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.“ „Zunächst scheint es, als wäre der reflektierende Geist der schlechterdings freie Geist“ (Gadamer (1967) 143). Aber in Wirklichkeit gilt: „Die Freiheit der Reflexion, dieses vermeintliche Beisich-selbst-Sein, hat im Verstehen gar nicht statt, so sehr ist es jeweils durch die Geschichtlichkeit unserer Existenz bestimmt.“ (ebenda 145) Das ist ja zugleich der Bereich, an den wir, die wir uns zunächst auf die Interpretation theoretischer Texte beziehen, uns vor allem halten. Zum Problemkreis: (Wahrheits‐)Geschehen versus verantwortliche Leistung von Vernunftsubjekten, vgl. bes. die sehr erhellenden Ausführungen von Apel in: Apel 2008. Einstufigkeit würde bedeuten: Wegfall der Differenz zwischen den Ebenen: Geschehen (der Handlung) und Handlungswissen (von der Handlung), die Voraussetzung für die Normativität von Handlungen ist.
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Damit wird der Aspekt der Endlichkeit und Abhängigkeit noch einmal entscheidend gesteigert. Das für die Möglichkeit normativer Beurteilung von Vernunftleistungen erforderliche Moment der Autonomie und Spontaneität wird damit fast ganz zum Verschwinden gebracht. Gadamer schreibt: „Das Verstehen ist selber nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität zu denken, sondern als Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln.“ (WM 275) Es ist wichtig, nicht zu übersehen, dass Gadamer das zuletzt Zitierte wörtlich meint: Es ist nicht der Interpret, der die Vermittlungsleistung erbringt, er springt nur ein in einen Prozess, in dem sich (sic!) Vergangenheit und Gegenwart selbst vermitteln. Mit diesem Zug, der die Abhängigkeit und Ohnmacht des Interpreten vollends klarmachen soll, überdreht jedoch Gadamer m. E. die Sache und kommt einem veritablen Kategorienfehler bedenklich nahe. Das zeigt sich ganz deutlich, wenn Gadamer das, was er die „eigentlich kritische Frage der Hermeneutik“ nennt, die Frage, „wie die wahren Vorurteile, unter denen wir verstehen, von den falschen, unter denen wir missverstehen, zu scheiden“ sind, (WM 282) als zu lösende Aufgabe dem – in seiner Konzeption ohnmächtig gewordenen – Interpreten entzieht und diese Aufgabe dem objektiven Geschehen der Traditionsvermittlung, bzw. einem Moment daraus, dem Zeitenabstand zuweist. „Nichts anderes als dieser Zeitenabstand vermag die eigentlich kritische Frage der Hermeneutik lösbar zu machen…“ (WM 282) Hier wird nicht nur – negativ – die Ohnmacht des Interpreten als Abhängigkeit vom übermächtigen objektiven Geschehen der Traditionsvermittlung verdeutlicht, es wird vielmehr – positiv – das objektive Geschehen selbst als die Instanz gefasst, die das Geltungsproblem auflösen kann. Nun ist aber weder das Vermittlungsgeschehen qua bloßes Geschehen noch der Zeitenabstand als Moment in diesem Geschehen von der Art, dass es von sich aus etwas richtig oder falsch machen kann. Daher kann von ihnen die Auflösung des Geltungsproblems nicht sinnvoll erwartet werden. Angesichts dieses Lösungsvorschlags von Gadamer scheint es zweckmäßig zu sein, für unsere Diskussion – wie im vorigen Falle – wieder zwei Konzeptionen zu unterscheiden, über die die zweite Grundintuition realisiert werden kann. In der ersten (IIa) ergibt sich die These vom „Immer-anders-Verstehen“ daraus, dass erstens die neue Problemstellung zugrunde gelegt wird und dass in ihr zweitens vorsichtig skeptisch nur mit Interpreten gerechnet wird, die sich aus der Abhängigkeit von Traditionen, gesellschaftlichen Perspektiven und Verhaltensweisen, von geschichtlichen Sprachen und Begriffssystemen nicht hinreichend befreien können. Selbst die Mittel zur historischen Aufklärung scheinen ja durch Geschichte infiziert zu sein. Dergleichen wie Selbstkontrolle, Sichselbstdurchsichtigkeit ist hier unerreichbar. – Auch die zweite Konzeption (IIb) legt die neue Problemstellung zugrunde, unterstellt nur die Möglichkeit einer schwachen
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subjektiven Vernunft und rechnet allerdings zusätzlich mit dergleichen wie objektivem Wahrheitsgeschehen, ja setzt dieses sogar als die in Geltungsfragen eigentlich entscheidende Instanz an. Dieser letzte Punkt scheint mir die Konzeption – als auf einem Kategorienfehler beruhend – zu entwerten. Position IIb scheidet daher ebenso wie Position Ia aus unserer Diskussion aus.
3.1.3 Karl-Otto Apel Wir kommen zur Position von K.-O. Apel. Hermeneutik ist ein Hauptthema der Philosophie von Apel von Anfang an (die von ihm begründete Konzeption der Transzendentalpragmatik hieß zu Beginn „Transzendentale Hermeneutik“). Einschlägig ist hier besonders seine sein ganzes Werk begleitende Auseinandersetzung mit der Position von Gadamer. Wir halten uns vor allem an zwei Abhandlungen aus seinem Spätwerk.⁹⁹ Auch Apel kommt, wie Gadamer, von Heidegger her. Und wie Gadamer geht auch Apel davon aus, dass hermeneutisches Verstehen qua kommunikative Erfahrung in der Subjekt-Subjekt-Relation sich vom theoretischen Erkennen in der Subjekt-Objekt-Relation grundlegend unterscheide. Es gehe hier nicht einfach um die progressive Erforschung eines theoretischen Gegenstandes, sondern um kognitive Auseinandersetzung mit Texten, die ihrerseits von Sachen handeln, um eine kognitive Bemühung, die ein Moment im Zusammenhang der Verständigung zwischen Interpret und Autor über die Sache ist. – Wie Gadamer geht Apel weiter davon aus, dass das systematische Hauptproblem der Hermeneutik im Problem der Kontrolle der Vorstruktur des Verstehens liegt. Das Dasein sei wesentlich „geworfener Entwurf“. D. h., der Interpret sei immer schon eingenommen von der geschichtlich gewordenen und geschichtlich sich verändernden „öffentlichen Ausgelegtheit des Seins“, in die er einsozialisiert wurde und die das Korpus von Überzeugungen determiniere, das ihn als den besonderen Interpreten individuiere und charakterisiere, das Korpus, auf das er bei seinen kognitiven Bemühungen um Interpretanda angewiesen sei. Diese – standortgebundene – öffentliche Ausgelegtheit des Seins sei dasjenige, wovon der Interpret ausgeht und was er als zu enttäuschende Erwartung, als zu korrigierendes Vorverständnis ins Spiel bringen müsse, wenn er sich um ein Interpretandum bemühe, und was am Ende natürlich die resultierenden Einsichten entscheidend präge. Das Problem, das Apel mit Gadamer teilt, ist: Wie kann der Interpret diese Vorstruktur, die ihn a tergo determiniert, die ihn zu dem macht, was er ist, kontrollieren? Einfach kann
Apel (1998), Apel (2008).
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die Lösung nicht sein, denn die Instanz, die kontrollieren soll, ist von dem zu Kontrollierenden ja schon eingenommen bzw. infiziert. – Anders jedoch als Gadamer, der den Fokus fast ausschließlich auf das lenkt, das uns a tergo determiniert und unserer Kontrolle entzogen ist, interessiert sich Apel vor allem für solches, was wir als a tergo Determinierte, als abhängig von solchen Vorbedingungen, gleichwohl noch spontan und rational kontrolliert von uns aus tun können, um richtig zu verstehen. D. h., Gadamer konzentriert sich in seinem Ansatz ganz auf den Aspekt, dass wir qua Interpreten das Interpretandum von unseren bloß faktischen, in der Geschichte wechselnden provinziellen vorläufigen Meinungen über die Sache her erschließen müssen, dass wir nur dann mit dem Text etwas anfangen können, wenn wir ihn auf unsere faktischen standortgebundenen Meinungen beziehen, bzw. anwenden, dass wir den Text als Antwort auf unsere faktischen in der Geschichte wechselnden provinziellen Fragen immer anders verstehen müssen. Apel dagegen, der das Recht dieses Gesichtspunktes durchaus nicht übersieht, hebt hier dennoch vor allem hervor, dass wir bei aller Endlichkeit und Provinzialität unsererseits, gleichwohl universale nichtprovinzielle Geltungsansprüche zu unseren einschlägigen Bemühungen um den Text erheben müssen, Geltungsansprüche, die sich an eine unbegrenzte Kommunikations- und Interpretationsgemeinschaft richten. Und dabei versteht er diese Bemühungen in erster Linie als Erkenntnisbemühungen, in denen wir versuchen dem Text näher zu kommen, nicht so sehr dagegen als Bemühungen, den Text uns näherzubringen, den Text auf uns anzuwenden. Über diese Geltungsansprüche aber komme ein Moment ins Spiel, das die Gadamersche Auffassung vom Verstehen als einem Geschehen, das je nach seinem Ort in der Geschichte immer nur zu immer anderen, nicht besseren Resultaten führen kann, transzendiere. Denn wenn wir zu unseren Verstehensbemühungen universale Geltungsansprüche erheben müssen, dann können wir nicht umhin, uns mitsamt unseren Verstehensbemühungen zu verstehen als auf dem Weg zu immer besseren Resultaten. Kurz: Apel widerspricht der – wie er sagt: „resignativen“ Lösung Gadamers, nach der wir „nur immer anders verstehen (können), wenn wir überhaupt verstehen.“ Er besteht auf der Möglichkeit des Immer-besser-und-tiefer-Verstehens. Im Einzelnen¹⁰⁰: Apel kritisiert zunächst die für Gadamers Auffassung von der Vorstruktur wichtige auf Heideggers Aletheia-Theorie zurückgehende Idee vom „Wahrheitsgeschehen,“ die mit einer einseitigen Festlegung des kategorialen Spielraums für unsere möglichen Einsichten durch für uns unverfügbare, nur hinzunehmende „epochale Lichtungen des Seinssinns“ rechnet. (583) Apel macht demgegenüber geltend, dass der Wechsel kategorialer Rahmen auch durch (z. B.
Seitenzahlen im Folgenden zu: Apel (1998).
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empirische) Lernprozesse, durch systematisches Testen der Tauglichkeit von frameworks im Rahmen von Forschungsprozessen, d. h. durch spontane kontrollierte rationale Leistungen von Erkenntnissubjekten eigens herbeigeführt werden könne.¹⁰¹ Das bedeutet, dass ein solcher Wechsel nicht in jedem Fall und nicht ohne weiteres als uns beherrschendes, unserer Verfügbarkeit vollständig entzogenes Geschehen gedeutet werden sollte.¹⁰² Apel weist sodann daraufhin, dass die für das Verstehen wichtige Vorstruktur nicht nur – wie Gadamer unterstellt – aus schwer zu kontrollierenden variablen inhaltlichen, auf die jeweilige Sache bezogenen Vorurteilen bestehe, die von unserem Standort in der Geschichte abhängig sind. Zur relevanten Vorstruktur gehöre auch das Insgesamt der von uns immer schon anerkannten Diskursvoraussetzungen, von invarianten, formalen auf unser Vorgehen und seine Maßstäbe bezogenen Regeln und Standards, die für uns unhintergehbar sind. Die Vorstruktur, mit der wir in Wahrheit zu rechnen haben, ist damit sehr viel reicher und komplexer. Zu ihr gehören z. B. auch Unterstellungen über Symmetrieverhältnisse zwischen den Teilnehmern von Diskursen, die mit der von Gadamer postulierten besonderen Geltungsautorität des Interpretandums („prinzipielle Überlegenheit der sachlichen Geltungsansprüche des Interpretandums gegenüber der … Rezeption und Beurteilung durch den Interpreten“ 573) nur schwer zu vereinbaren sind. – Zu ihr dürfte auch ein fallibilistisches Bewusstsein des Interpreten von der Fehlbarkeit des eigenen Handelns gehören, d. h. ein Moment, das dafür sorgen kann, dass ein faktisch erreichtes Verständnis immer schon transzendiert wird in Richtung auf ein besseres Verständnis. Apel insistiert weiter darauf, dass Gadamer die Kraft der (philosophischen) Reflexion systematisch unterschätze. Gadamer rechne ja explizit allenfalls mit
Frameworks können (in meiner Terminologie) „nonsensifiziert“ werden durch Falsifikation von framework-präsuppositionen. Das Spannungsfeld zwischen „Geschehen“ und „Machen“, zwischen „Ohnmächtig-Erleiden“ und „Eigens-selbst-Herbeiführen“ bei Gadamer wird durchsichtiger, wenn wir uns die folgende aufschlussreiche Bemerkung Gadamers zum „Geschehen“ der Traditionsvermittlung vergegenwärtigen: „Die Wirklichkeit der Sitten z. B. ist und bleibt in weitem Umfange eine Geltung aus Herkommen und Überlieferung. Sie werden in Freiheit übernommen, aber keineswegs aus freier Einsicht geschaffen oder in ihrer Geltung begründet. Eben das ist es vielmehr, was wir Tradition nennen: der Grund ihrer Geltung.“ WM 265. Gadamer redet hier von der Freiheit, in der die Sitten übernommen werden von Individuen, die die Berechtigung des von den Sitten Geforderten rational (noch) nicht einzusehen in der Lage sind, und diese Rede kann verständlich machen, inwiefern hier ein Wahrheitsgeschehen vorliegen soll, ja inwiefern ein solches Geschehen in Geltungsfragen entscheiden können soll. Zugleich gilt aber offenbar, dass die Betroffenen im entscheidenden Punkt hier gerade nicht frei sind. Frei im vollen Sinne, nämlich insofern sie wirklich das tun können, was sie wollen, wären sie ja erst, wenn sie wüssten, was sie tun.
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dergleichen wie dem „wirkungsgeschichtlichen Bewusstsein“, einer sich nur halb durchsichtigen Reflexionsform, die sich allenfalls partiell über das von ihr begleitete Geschehen der Traditionsvermittlung erhebe und von diesem Geschehen abhängig bleibe. Die Form der (verstehenden) philosophischen Reflexion auf das Verstehen, auf die Gadamer selbst in seinem Werk „Wahrheit und Methode“ tatsächlich angewiesen sei und zu deren Resultaten er universale Geltungsansprüche erheben müsse – er kann ja nicht gut erklären, dass er das Verstehen nur anders verstehe als Schleiermacher oder Dilthey – werde in der Theorie selbst nicht berücksichtigt. Der performative Widerspruch, der sich daraus ergebe, dass das reflexive Verstehen des Verstehens selbst anders verstanden werden müsse, als es die vorgelegte Theorie des Verstehens vorsehe, werde von Gadamer zu Unrecht als bedeutungslos heruntergespielt. (594 f.) In Wahrheit werde hier vielmehr ein weiteres zu allem Verstehen gehörendes Moment sichtbar, das mit der Gadamerschen Auffassung von der Ohnmacht des der Geschichte völlig ausgelieferten Interpreten nicht kompatibel sei, das vielmehr die Möglichkeit von so etwas wie dem langfristigen Immer-besser-und-tiefer-Verstehen von Interpretanda plausibel machen könne. Hinter diesen Hinweisen und Bedenken steht als genereller und einschlägiger Grundsatz das transzendentalpragmatische Prinzip der Selbsteinholung (604 ff.) Das Prinzip der Selbsteinholung besagt – negativ gewendet – dass in der Philosophie performative Selbstwidersprüche unbedingt zu vermeiden seien. Es besagt – positiv gewendet -, dass wir unsere philosophischen Aussagen und Doktrinen so einrichten müssen, dass sie vereinbar sind mit der offenbar immer schon in Anspruch genommenen Möglichkeit, diese Aussagen und Doktrinen (sinnvoll) zu vertreten, zu ihnen Geltungsansprüche zu erheben, für sie zu argumentieren und sie gemeinsam im Diskurs auf ihre intersubjektive Gültigkeit hin zu überprüfen. Sie müssen die dazu immer schon in Anspruch genommenen Voraussetzungen eigens berücksichtigen. – Das Selbsteinholungsprinzip kann in einem engeren und in einem weiteren Sinn verstanden werden. Im engeren Sinn bezieht es sich zunächst nur auf die Aktivitäten und die dazu erhobenen Geltungsansprüche des jeweiligen Subjekts (hier also des Interpreten) selbst. Dann besagt es vor allem, dass der Interpret keine Theorie der Hermeneutik vertreten (und sich in der hermeneutischen Praxis an ihr orientieren) sollte, die die Geltungsansprüche, die er zu seiner Theorie vertritt, desavouiert. Im konkreten Fall: Gadamers Theorie der Hermeneutik könne nicht richtig sein, man dürfe sich in der hermeneutischen Praxis nicht an ihr orientieren, weil sie die Geltungsansprüche, die zu ihr erhoben werden müssen, als sinnlos ausweise. Es besagt weiter, dass eine vertretbare Theorie der Hermeneutik auf Seiten des Interpreten immer schon das an Vorstruktur unterstellen müsse, das erforderlich ist, damit dieser eine Theorie der Hermeneutik sinnvoll als wahr vertreten bzw. diese gegebenenfalls verbessern
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kann. (D. h., es darf nicht mit einer Vorstruktur gerechnet werden, die – darin völlig abhängig von der Zeit, der sie entstammt – ausschließlich erlaubt, dass das jeweilige Subjekt „immer nur anders versteht, wenn es überhaupt versteht“¹⁰³.) – In einem weiteren Sinn bezieht sich das Prinzip auch auf die Voraussetzungen der Vernunftaktivitäten des Interpreten, insbesondere auf die – in den Ansprüchen des Interpreten auf intersubjektive Gültigkeit seiner Resultate – immer schon vorausgesetzte Möglichkeit eines sinnvollen öffentlichen Diskurses. Das bedeutet konkret, dass der Interpret unter anderem auch unterstellen und in seiner Theorie der Hermeneutik berücksichtigen müsse, dass seine Geltungsansprüche sich an alle Vernunftwesen richten (jedes könnte ja legitim widersprechen, und sein Widerspruch müsste gegebenenfalls berücksichtigt werden) und d. h., dass er mindestens alle Menschen immer schon auch als Diskursteilnehmer auffassen müsse, die zu seinen Geltungsansprüchen rational Stellung nehmen könnten. Eine vertretbare Theorie der Hermeneutik müsse also davon ausgehen, dass alle Menschen immer schon auch Diskursteilnehmer seien, die sich als solche an Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit orientierten, die handelnd (d. h. mit Absicht und – im Prinzip – mit guten Gründen in die Welt eingriffen) und die in Lernprozesse involviert seien, über die sie ihre Handlungsmöglichkeiten zu verbessern suchten. – Dies jedoch habe zur Folge, dass eine vertretbare Theorie der Hermeneutik unterstellen müsse, dass der Bereich der menschlichen Geschichte, ein Bereich, mit dem Verstehensbemühungen ja wesentlich zu tun haben, nicht nur den Charakter bloß blinden, auf Dauer undurchsichtig bleibenden Geschehens haben könne. Im Gegenteil, weil rationale Wesen, deren Hauptorientierungen (an Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit) wir ja – gemäß dem Vorausgehenden – kennen müssen und zum Verständnis ihrer Aktionen heranziehen können, in die Geschehnisse, die die Geschichte ausmachen, wesentlich verwickelt seien, müsse die Geschichte für uns Interpreten immer auch den Aspekt haben, dass sie normativ rekonstruierbar sei und insofern einen anderen Aggregatszustand habe als den einer Kette von bloßen Ereignissen. – Zwar sei nun kaum zu bestreiten, dass an der realen Geschichte, in die wir verwickelt sind, enorm viel nur extern zu rekonstruieren ist. Aber wenn die Geschichte überhaupt als Gegenstand normativer Rekonstruktion angesehen werden müsse, dann bestehe für denjenigen, der wirklich verstehen will, die Verpflichtung, von ihr soviel wie irgend möglich intern (d. h. als auf gute Gründe zurückgehend) zu rekonstruieren. Das Prinzip der Selbsteinholung verändert also das nach Apel zugrunde zu legende Bild von den Verstehensverhältnissen auf beiden Seiten: Auf der Seite des
WM 280.
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Interpreten muss – wie wir gesehen haben – damit gerechnet werden, dass die Ausrüstung, die er für seine Aufgaben mitbringt, nicht nur in historisch variablen, von der jeweiligen Zeit abhängigen materialen Überzeugungen und Vormeinungen besteht. Seine einschlägige Vorstruktur enthält vielmehr zwei Typen von Bestandteilen: einmal die eben erwähnten zu kontrollierenden variablen inhaltlichen Vormeinungen, zum anderen aber auch formale, invariante, ja für jedermann unhintergehbare (insofern als legitimiert anzusehende) Überzeugungen über Verfahren und Standards im Diskurs, die den Interpreten zur Kritik und rationalen Diskussion seiner materialen Vorstruktur befähigen. – Auf der Seite des Interpretandums wird die Geschichte, der Bereich dem das einzelne Interpretandum jeweils angehört, nicht mehr in erster Linie als anonymes, opakes, in seiner bloßen Faktizität weitgehend nur hinzunehmendes Geschehen verstanden, sondern als etwas, das (auch) normativ zu rekonstruieren ist, das durch normative Rekonstruktion so weit wie irgend möglich rational durchsichtig zu machen, als Ausdruck und Resultat vernünftiger Handlungen verständlich zu machen ist. – Die Bedeutung der Veränderung wird am besten sichtbar, wenn wir hier nicht nur Apels und Gadamers Position miteinander vergleichen, sondern zugleich auch die Hegelsche Position, von der sich beide immer wieder abstoßen, heranziehen. Hegel kommt hier ins Spiel als Vertreter einer radikalen – dadurch aber sehr instruktiven – Extremposition, die ein scharfes Licht auf die Struktur des Problems wirft. Hegel versucht, sowohl das Ganze der Wirklichkeit, insbesondere der geschichtlichen Wirklichkeit, wie auch seine Teile (hier: die einzelnen Interpretanda) als das Vernünftige zu rekonstruieren, das es – nach seiner Auffassung – in Wirklichkeit ja sei. Er versucht durch seine Rekonstruktion zu zeigen, dass das zunächst bloß Faktische, das Opake, die „Substantialität“ der Wirklichkeit sich völlig auflösen lasse in rationale Leistung vernünftiger Subjektivität, sich als solches von Grund auf durchsichtig machen lasse. Er kann sich dies zutrauen, weil er sich selbst in der Position des sich ganz durchsichtig und damit seiner selbst vollkommen sicher gewordenen absoluten Wissen sieht. Der – vermessene – Anspruch Hegels geht also dahin, dass das Ganze der Wirklichkeit sowohl formal wie auch inhaltlich in der Philosophie normativ rekonstruiert: „begriffen“, werden könne, derart, dass ein definitives inhaltliches Verständnis oder Begreifen möglich sei. – Gadamer vertritt dagegen – wie wir gesehen haben – eine Position, die, wie er selbst sagt, die Aufgabe habe „den Weg der hegelschen Phänomenologie insoweit zurückzugehen, als man in aller Subjektivität die sie bestimmende Substantialität aufweist.“ (WM 286) Für Gadamer steht daher die Substantialität, das opak Bleibende, das anonyme Geschehen im Zentrum. „Die Geschichte gehört nicht uns, sondern wir gehören der Geschichte.“ (WM 261) Auf der Seite der zu erschließenden, zu verstehenden geschichtlichen Realität (des Interpretandums) sei das Rationale bzw. das rational Aufzulösende nur Vordergrund bzw. Oberflä-
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che, das Wesentliche und Tiefliegende sei bloß hinzunehmende Faktizität: das anonyme Geschehen. Auf der Seite des erkennenden Subjekts, des Interpreten liege das Wesentliche in seiner nicht aufzuhebenden, nur partiell aufzuklärenden Abhängigkeit von der kontingenten, opak bleibenden Geschichte, in der Abhängigkeit von nicht zu kontrollierenden, mit den Zeiten wechselnden inhaltlichen Vorurteilen, die das Immer-anders-Verstehen erzwängen. Die Möglichkeit einer freien reflexiven Kontrolle der eigenen Instrumente und Leistungen (insbesondere der Vorstruktur) müsse hier als bloße Illusion gelten. – Apel hat demgegenüber eine mittlere Position: Für ihn gilt weder, dass die geschichtliche Realität in Wahrheit das Vernünftige sei, dass sie ganz in Vernunft aufzulösen sei, noch, dass die geschichtliche Realität im Grunde nur blindes, anonymes Geschehen sei und bleibe, bei dem das Rationale nur Oberfläche sei. Menschliche Geschichte sei vielmehr etwas, das auch normativ zu rekonstruieren ist, sie enthalte wesentlich Vernunft, die Vernunft handelnder Menschen. In sie seien Menschen verwickelt, von denen wir immer schon unterstellen müssen, dass sie sich (auch) an Wahrheit und Richtigkeit orientieren, dabei freilich auch fehlgehen. Damit aber wüssten wir auch, dass es treffend und angemessen ist,¹⁰⁴ die Geschichte daraufhin zu betrachten, wieweit die Menschen in diesen Bestrebungen erfolgreich sind. D. h., es sei angemessen, die Geschichte normativ zu rekonstruieren und insofern mindestens partiell durchsichtig zu machen. Sie sei jedenfalls nicht zu reduzieren auf ein blindes anonymes Geschehen. Für die Apelsche Position gilt ferner: Der Interpret steht hier weder auf dem Standpunkt des absoluten Wissens noch ist er vollständig befangen in seinen kontingenten standortbedingten Vorurteilen. Er hat vielmehr von beidem etwas. Er ist befangen in inhaltlichen standortgebundenen Vormeinungen. Aber zugleich kann er davon Wissen haben, und er hat die Möglichkeit diese Vormeinungen im Diskurs zu modifizieren und – in Grenzen – zu kontrollieren. Dies wird möglich, weil er auf der einen Seite sich reflexiv der dafür erforderlichen legitimen Standards und Verfahren (des Diskurses) versichern kann und weil – auf der anderen Seite – seine Abhängigkeit von der Geschichte ersichtlich besser kontrolliert werden kann, wenn die Geschichte den Charakter des auch rational normativ Rekonstruierbaren hat und nicht nur den eines auf Dauer undurchdringlich bleibenden blinden Geschehens. Mit alledem stellt Apel das Geltungsproblem der Hermeneutik ersichtlich noch umfassender, präziser und differenzierter als seine Vorgänger. Dennoch scheint mir seine Position im Ganzen noch einseitig und insofern korrekturbedürftig zu sein. Apel hätte Recht, wenn man das Verstehen wesentlich und ausschließlich als Bemühung, das Interpretandum (theoretisch) zu erkennen, auf-
D. h., es trifft die von uns notwendig zu unterstellende Struktur der Geschichte.
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fassen könnte, wenn man die Aufgabe des Interpreten wesentlich und ausschließlich darin sehen könnte, zu einer wahren Repräsentation des Interpretandums zu kommen, wenn das Moment der Anwendung bzw. In-Betrieb-Nahme der fremden Antwort nur als bloßes sekundäres Beiwerk betrachtet werden könnte, das in „wissenschaftlich“ gewissenhafter Interpretation neutralisiert werden könnte und müsste. Dann könnte man von langfristig konvergierenden kognitiven Bemühungen, von einer Annäherung an dergleichen wie eine „final interpretation“ (im Sinne von Peirce) reden. Dann greifen die sinnkritischen und antiskeptischen Argumente, die Apel vorbringt. Aber das Verstehen ist nie nur (theoretisches) Erkennen des Interpretandums, und es ist dies insbesondere nicht in dem üblichen Sinn, nämlich Bemühung, zu Wissen über das Interpretandum qua Objekt zu kommen. Das Interpretandum ist ja selbst schon Repräsentation von etwas, bzw. etwas von der Art einer Repräsentation. Daher ist Verstehen – wie wir gesehen haben – wesentlich auch Aneignen, Integrieren, Übernehmen von drüben im Interpretandum schon vorhandenen Überzeugungen, Wissen, subjektiver Erkenntnispraxis, und bei dieser Leistung, die mehr ist als bloßes Erkennen, nämlich zusätzlich auch: Verwenden und In-Betrieb-Nehmen des Erkannten¹⁰⁵ und – wie wir sehen werden – Ergänzen des Interpretandums, spielt die Standortabhängigkeit des Interpreten eine ganz andere Rolle als in dem Projekt theoretischer Erkenntnis. Hier ist die Standortbindung des Interpreten gerade nicht nur Handicap und Hindernis, sondern vielmehr dasjenige, was positiv zu berücksichtigen ist, ja geradezu dasjenige, um willen dessen, der hermeneutische Aufwand ins Spiel gebracht wird. Von hier aus muss die Brücke zum Interpretandum geschlagen werden. Halten wir kurz an. Wir wollen wissen: Was genau ist das Ziel des hermeneutischen Verstehens, was genau sind die Standards, an denen hermeneutische Bemühungen zu messen sind? Was kann man sinnvoll als hermeneutischer Interpret zu erreichen suchen? Gewonnen haben wir zunächst ein Bild von den drei wichtigsten hier möglichen Positionen. Die ersten beiden – detailliert ausgeführte Konzeptionen der Hermeneutik – stehen sich als die Hauptalternativen gegenüber, die dritte – vorgebracht als Kritik an zentralen Punkten der Gadamerschen Konzeption – ist ein Versuch, zwischen ihnen zu vermitteln. Wir werden gleich sehen, dass diese Positionen nicht beliebige Positionen sind, sondern solche, die von der Sache her, von der Struktur des Verstehens, vorgegeben sind. Mit diesem Überblick ist zwar
Der Interpret hat den fremden Gedanken erst, wenn er (mindestens versuchsweise) im Sinne des Interpretandums referiert, prädiziert, behauptet etc.
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das Problem und dessen wichtigste Implikationen klarer geworden, aber eine Lösung des Problems ist u. E. noch nicht sichtbar geworden. *
3.1.4 Exkurs zu Bruno Snell Bevor wir weitergehen und uns ein eigenes Bild von der Sache verschaffen, wollen wir in einem kleinen Exkurs wenigstens einige der hier wichtigen Aspekte des Problems anhand eines Beispiels noch etwas anschaulicher vorstellen. Bruno Snell zeigt in berühmt gewordenen Interpretationen zu Homer¹⁰⁶, dass bei sehr genauer und eindringlicher Lektüre des Textes sich herausstellt, dass die Menschen, von denen Homer berichtet, die Helden der Ilias, in wichtigen Hinsichten ganz anders beschaffen und organisiert sind, als wir uns das vorstellen, wenn wir mehr oder weniger naiv an die Lektüre der Ilias herangehen. Snell bringt viele Evidenzen dafür, dass bei Homer der Leib/Körper eines Menschen nicht wie bei uns als Einheit aufgefasst wird, sondern als bloße Vielheit, als Vielheit von Gliedern, wobei diese Glieder gerade nicht als Körperteile gefasst werden, die sich als solche ja auf das – damit vorausgesetzte – Ganze beziehen, sondern nur als disparate Entitäten, die nur faktisch koexistieren. Dasselbe gelte auch – so Snell – für den Bereich des Seelisch-Geistigen. Auch hier gebe es keine Einheit, sondern nur ein Aggregat von verschiedenen seelisch-geistigen Organen (psyche, noos, thymos). Die Idee eines funktionalen Zusammenhangs, die ja auf wesentliche Einheit des Seelisch-Geistigen verweisen würde, gebe es hier ebenso wenig wie die Idee einer zentralen Steuerung des ganzen Menschen, die „Idee eines Mittelpunktes, der das organische System (des Menschen) beherrscht.“ Snell deutet außerdem an, dass mit der uns vertrauten Unterstellung, nach der Menschen zentral gesteuerte vernunftbegabte Wesen mit einem einheitlichen Körper sind, in dem die Körperteile funktional zusammenspielen, schon sehr bald nach Homer, nämlich seit Heraklit zu rechnen ist. Snell gibt hier ein aufschlussreiches und eindrucksvolles Beispiel dafür, wie so etwas wie Besser-Verstehen möglich ist, wie es philologischer Akribie gelingen kann, auch tief sitzende, selbstverständlich und daher unauffällig und schwer zugänglich gewordene standortbedingte Vorurteile, die in Interpretationen wirksam werden müssen, zu kontrollieren und damit die damit zunächst gegebene Standortgebundenheit des Interpreten zu durchbrechen. Wir sehen: Im Prinzip
Snell (1948) 15 – 37.
3.1 Vorstellung von drei Positionen
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kann der Interpret über derartige Untersuchungen, die ja auch noch auf ganz andere Aspekte seines Weltbildes ausgedehnt werden könnten, einem Zustand näher kommen, in dem er in der Lage wäre, den Text vorurteilsfrei, d. h. so, wie er in Wahrheit ist, zu Gesicht zu bekommen und nicht nur so, wie er ihn standortbedingt sehen würde. Besser-Verstehen scheint möglich zu sein. Es kann möglich werden durch sorgfältige systematisch-wissenschaftliche Bemühung um Wissen über das Interpretandum. Dies ist die eine Konsequenz, die sich aus dem Beispiel ergibt. Aber es gibt auch noch andere. Weil Snell hier über wichtige Vorurteile handelt, die zwar einerseits eine bedeutende Rolle spielen können, die jedoch andererseits so selbstverständlich und unauffällig geworden sind, dass sie als besondere und besonders erwähnenswerte Annahmen in der Regel gar nicht erst beachtet werden, kann das Beispiel zusätzlich noch folgendes eindrucksvoll klarmachen: – Die Zahl selbst großkalibriger Vorurteile, die wir qua Interpreten an einen Text herantragen müssen, um ihm überhaupt einen Sinn abgewinnen zu können, ist offenbar unübersehbar groß, die Zahl inhaltlich weniger gewichtiger Vorurteile wird noch bedeutend größer sein. – Ein Text ist hinsichtlich seines Sinnes immer unterbestimmt und daher auf Ergänzung angewiesen. Die Ilias ist wesentlich ein Bericht über die Taten handelnder Personen. Was jedoch genau eine Person oder eine Handlung ist, wird dort natürlich nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Auf der Basis dieser Voraussetzungen – und von Voraussetzungen dieser Art wird im Text natürlich an allen möglichen Stellen mit Bezug auf alles, wovon jeweils die Rede ist, Gebrauch gemacht – können die Personen nur mit Namen oder kurzen Kennzeichnungen eingeführt und mit nur wenigen Strichen als Handelnde vorgeführt werden. Die Voraussetzungen aber müssen wir – die Leser – jeweils ergänzen, um überhaupt zu verstehen. – Diese notwendigen Ergänzungen des Textes geschehen unvermeidlich zunächst mit Hilfe von impliziten sachlichen Annahmen des Interpreten. D. h. all das, was im Text nicht explizit artikuliert wird, was aber vorausgesetzt wird, ist zunächst abhängig von den standortbedingten sachlichen Vorurteilen des Interpreten. Hier ist der Ort der beim Verstehen unvermeidlich ins Spiel kommenden Applikation. – Die Kontrolle und Korrektur solcher impliziter Annahmen aber ist extrem schwer. Schon sie überhaupt zu Gesicht zu bekommen, ist schwierig, daher ist das Beispiel ja so eindrucksvoll. – Die Chancen, diese auch nur annähernd vollständig zu kontrollieren sind äußerst gering. Der Versuch, sie vollständig zu kontrollieren, wäre außerdem mit einem ungeheuren, in der realen Praxis fast nie möglichen Aufwand verbunden. Texte sind extrem komplexe Entitäten. Extrem komplex ist auch
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
die kognitive Auseinandersetzung mit diesen Entitäten. Nur kleine Ausschnitte daraus können überhaupt explizit kontrolliert werden, und diese wenigen explizit überwachten Bemühungen ruhen auf und werden getragen von einem riesigen Komplex von Leistungen (bezüglich Welt-, Sprach- und Kommunikationsverständnis), die nur per implizites know how gesteuert werden. Texte beziehen sich ja auf ganze Welten. In diesen Welten kann jedes einzelne Detail unter unübersehbar vielen Aspekten zur Sprache gebracht werden. Bei jeder Interpretation eines solchen (im Text zur Sprache gebrachten) Details sind Voraussetzungen vergleichbarer Größenordnung und Bedeutung im Spiel, die, wenn sie unkontrolliert bleiben, die jeweiligen Textinterpretationen standortabhängig immer wieder anders ausfallen lassen. Darüber hinaus wird an dem Beispiel klar, dass die Kontrolle derartiger Voraussetzungen nicht nur faktisch bloß punktuell d. h. beschränkt auf immer nur wenige auffällig gewordene Voraussetzungen erfolgt, sondern notwendig. Die Kontrolle der Voraussetzungen läuft über hypothetisches Räsonieren: Der Interpret eines Textes versucht zunächst mit den Voraussetzungen durchzukommen, die er faktisch – standortgebunden – hat. Weil er feststellen muss, dass jetzt noch vieles unverständlich bleibt, dass Widersprüche, Härten etc. auftreten ändert er versuchsweise, die ihm auffällig gewordenen Voraussetzungen und versucht mit neuen durchzukommen, zu sehen, ob diese zum Ganzen passen. Hypothetisches Räsonnieren besteht wesentlich darin, bestimmte Annahmen über die Welt versuchsweise zu ändern und dann zu sehen, was sich ergibt (z. B., ob das Resultat sinnvoll, nützlich, zweckmäßig etc. ist). Sehen, was sich ergibt, kann er freilich nur dann, wenn nur wenige Annahmen vor dem Hintergrund einer ansonsten stabil bleibenden Welt verändert werden, mit der die Änderungen konfrontiert werden können. Das aber heißt, dass immer nur wenige Annahmen geändert werden dürfen (und so kontrolliert werden können). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, nicht zu übersehen, dass es zu der beschriebenen eindrucksvollen Emanzipation des Interpreten von standortgebundenen Vorurteilen hier im Rahmen einer relativ stark (sekundär) objektivierenden theoretischen Spezialuntersuchung einzelner Wendungen Homers kommt und nicht im Rahmen einer Gesamtinterpretation der Ilias, bei der der Interpret die Ilias behandelt als Text, der ihm etwas über die Sache zu sagen hat. – Damit jedoch die Resultate solcher Untersuchungen tatsächlich wirksam werden können, müssten sie eingebracht werden in die kommunikative (d. h.: nicht theoretische) Auseinandersetzung des Interpreten mit dem Text im Ganzen, bei der der Interpret sich auf sein gesamtes einschlägiges Vorwissen stützen muss. Dies aber kann er in seiner Gesamtheit natürlich weit weniger gut kontrollieren, als die wenigen eigens thematisch geworde-
3.2 Systematische Diskussion
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nen Vorurteile, die in das hypothetische Räsonieren eingingen. D. h. das Beispiel kann zusätzlich über den systematischen Unterschied und den Zusammenhang von hermeneutischen Einzeluntersuchungen einerseits, Gesamtinterpretationen bzw. Versuchen sich vom Text insgesamt über eine Sache belehren zu lassen andererseits aufklären. Und dies ist eine Unterscheidung von großer Bedeutung. Sie ist viel wichtiger, als sie zunächst aussieht. *
3.2 Systematische Diskussion Unser Problem ist die Frage nach Zielen und Standards des hermeneutischen Verstehens, und wir haben uns die wichtigsten hier möglichen Positionen vergegenwärtigt. Nun kann man unmittelbar sehen, dass diese Positionen nicht beliebig sind, sondern dass sie von der komplexen Struktur des hermeneutischen Verstehens, die ja nach unserer Analyse wesentlich zwei verschiedene Projekte zusammenbindet, vorgegeben sind. Nach unserer Analyse gehören zum hermeneutischen Verstehen immer zwei Projekte bzw. Teilleistungen nämlich a) die Bemühung des Interpreten, sich das Interpretandum qua Antwort anzueignen und b) die Bemühung des Interpreten, Wissen über das Interpretandum zu gewinnen. Die beiden Hauptpositionen in der Kontroverse über die Hermeneutik, die Positionen von Hirsch und von Gadamer, gehen ersichtlich darauf zurück. Gadamer orientiert sich an dem Projekt der Aneignung, Hirsch an dem des Erwerbs von Wissen über das Interpretandum. Ja, man kann diese Positionen als einseitige Verabsolutierungen dieser Teilmomente des hermeneutischen Verstehens ansehen.
3.2.1 Die antagonistische innere Struktur des Verstehens Um voranzukommen, betrachten wir jetzt die Struktur der beiden Teilprojekte bzw. Teilleistungen etwas genauer und dies vor allem im Hinblick auf das Geltungsproblem. (a) Das erste Teilprojekt, an dem sich die Anhänger der These vom „Immerbesser-Verstehen“ orientieren, ist (idealtypisch) durch folgende Züge charakterisiert: Der Erkennende hat mit einem Gegenstand der Erkenntnis zu tun, den er betrachtet und untersucht. Es geht darum, zu Wissen über diesen Gegenstand zu kommen, es soll also eine Repräsentation des Gegenstandes erstellt werden, die
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
den Gegenstand so wiedergibt, wie er in Wirklichkeit ist, eine Repräsentation, die aus wahren Aussagen über ihn besteht. An dem Prozess, der dazu führen soll, können im Prinzip alle vernünftigen Wesen teilnehmen und zum Progress beitragen, der Forschungsprozess wird im Namen und für die Menschheit durchgeführt. Der Idee nach konvergieren diese Bemühungen. Es wird unterstellt: Sie würden, wenn sie lange genug durchgeführt werden, zu einer definitiven, zum Gegenstand optimal passenden Repräsentation, zur Wahrheit über den Gegenstand (das Interpretandum), führen. Die in diesem Projekt primär relevante Passungsrichtung (Searles direction of fit) ist die, dass die Repräsentation sich nach dem Gegenstand zu richten hat. Das hier einschlägige Bild vom Erkennen entspricht dem, was wir oben¹⁰⁷ die „Vorderseite“ des Erkennens genannt haben. Entscheidend für die Frage der Ziele und Standards ist hier: Im Zentrum steht die Beziehung zwischen der zu gewinnenden Repräsentation und dem Gegenstand der Repräsentation. Es geht darum, die Repräsentation vom Gegenstand (dem Interpretandum) zu optimieren, die Repräsentation optimal zum Gegenstand passend zu machen. Dabei wird unterstellt: Es gibt hier so etwas wie ein Optimum, und es gibt die Möglichkeit einer – mindestens langfristigen – Annäherung an das Optimum. Von dem Optimum selbst gilt: Es ist Optimum für alle erkennenden Wesen. Das eigentliche Subjekt der Erkenntnis ist hier nicht der Einzelne oder eine partikulare Gruppe, sondern die Menschheit. Fortschritte werden der Idee nach im Namen der Menschheit gemacht. Zu den Bemühungen werden universale Geltungsansprüche erhoben. Von den Fragen, die die „Rückseite“ des Erkennens betreffen (s.o. S. 23 f.), Fragen wie: „Wie wird das für die Menschheit erworbene Wissen geteilt, verteilt, weitergegeben, angeeignet und bei den einzelnen Individuen und Gruppen fruchtbar gemacht?“ wird bei der Orientierung an diesem Modell vollständig abstrahiert. – (b) Das zweite Teilprojekt, dasjenige, an dem sich Gadamer orientiert, entspricht nicht dem Standardbild von Erkenntnis, wie es in der Epistemologie vorherrscht. Hier handelt es sich um eine kognitive Auseinandersetzung mit solchem, das selbst schon von der Art einer Repräsentation von etwas, von Wissen über etwas ist, und das daher zu übernehmen, anzueignen, zu integrieren ist und dies nicht aus der Position eines Betrachters sondern eines Mitspielers im Spiel der gemeinsamen Verständigung über Sachen. Wir haben mit dem zu tun, was oben als „Rückseite der Erkenntnis“ bezeichnet wurde, d. h. mit dem Problem, die schon etablierte Repräsentation der Sache an die richtige Stelle zu bringen und dort wirksam werden zu lassen. Es liegen fremde Gedanken vor, und diese sollen angeeignet, integriert, verfügbar gemacht werden, d. h., sie sollen aufgeschlossen,
S.o. S. 23 ff.
3.2 Systematische Diskussion
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eröffnet werden, für den Interpreten Konturen und Gestalt gewinnen, verbunden werden mit dem jeweils Eigenen, eingefügt, angeschlossen und darin wirksam und fruchtbar gemacht werden. Die leitende Idee ist, dass der Interpret sie wie eigene Gedanken fassen und frei verwenden kann.¹⁰⁸ Die spezifisch kognitive Bemühung, besteht hier – wie wir gesehen haben – darin, dass der Interpret das fremde Andere als Antwort mithilfe seines als Frage ausgearbeiteten Vorverständnisses dem Eigenen anschließt. Genauer zu Zielen und Standards: Wenn es sich um die Aneignung schon vorhandenen Wissens handelt, dann muss das anzueignende Wissen schon da sein, d. h. schon im Besitz der Menschheit sein.¹⁰⁹ Einige Menschen (z. B. der Autor und seine Umgebung) haben es dann schon, andere stehen ihm nahe, wieder andere haben es noch gar nicht, wollen es aber haben und werden daran zunächst durch ganz verschiedenartige Schwierigkeiten gehindert. Dann aber kann das Ziel nicht darin bestehen, via Resultate, die für alle gleichermaßen gut und nützlich sind, die Menschheit allererst instand zu setzen, das Interpretandum zu verstehen, das darin enthaltene Wissen anzueignen und frei zu verwenden. Die Menschheit ist ja schon im Besitz der anzueignenden Gedanken. Es muss vielmehr darum gehen, dass bestimmte partikulare Personen oder Personengruppen, die diese Gedanken noch nicht kennen oder haben, sie – abhängig von ihrem Standort – noch nicht verstehen oder verwenden können, diese so zur Verfügung bekommen, dass sie sie frei und fruchtbar verwenden können. Dazu müssen die jeweils besonderen standortabhängigen Verständnishindernisse beseitigt werden, es müssen diese Gedanken angewendet werden auf, passend gemacht werden zu dem partikularen Korpus aus Überzeugungen,Vormeinungen, Hintergrund des jeweiligen bestimmten Interpreten, dem sie eingefügt, mit dem sie vermittelt, innerhalb dessen sie ja wirksam werden sollen. D. h. es muss hier notwendig mit systematischen Unterschieden zwischen den Menschen gerechnet werden, es müssen die partikularen Umstände bestimmter Personen und Personengruppen berücksichtigt werden. – Bei alledem liegt hier die eigentlich dominierende direction of fit gerade andersherum als beim vorigen Fall.¹¹⁰ Die fremden Ge-
Dazu gehört, dass sie auch durch Eigenes des Interpreten, in das sie ja eingefügt werden, ergänzt werden (der Interpret muss sie z. B. mit eigenen Worten wiedergeben können). Dies in dem Sinn, in dem die jeweils neuesten Einsichten, die an der Front der Physik entstehen, zwar zunächst nur einer Avantgarde von sehr wenigen Wissenschaftlern zugänglich sind, gleichwohl aber schon als Besitz der Menschheit zählen. Natürlich können Verstehensbemühungen auch dazu führen, dass der Interpret im Lichte des Neuen eigene Vormeinungen, ja sein ganzes Weltbild modifiziert und verändert, sich insofern nach dem Interpretandum richtet. Aber im Normalfall geht es zunächst nur darum, das Neue dem
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danken müssen ja eingefügt werden in und passend gemacht werden zu dem jeweiligen partikularen Korpus, dem sie integriert werden sollen. Sie müssen sich als Antworten auf mögliche eigene Fragen des jeweiligen Interpreten verstehen lassen. – Diese Bemühungen ergänzen sich nicht zu einem einheitlichen zusammenhängenden Projekt für die Menschheit. Es gibt hier weder einen einzigen für alle offenen, zeitlich unbegrenzten Forschungsprozess, noch gibt es als Ziel eine einzige optimale, für alle gültige Lösung. Die jeweilige kognitive Bemühung ist hier befristet und gebunden an bestimmte vergängliche Konstellationen, in denen Personen oder Personengruppen ganz bestimmte standortbedingte Verständnisschwierigkeiten mit dem Interpretandum haben. Wenn diese Konstellation nicht mehr besteht, lohnt eine Fortsetzung des Vermittlungsversuchs nicht. Andere Personengruppen, die an anderen Standorten stehen, haben andere Verständnisprobleme und beginnen dann neue Vermittlungsversuche. Dabei gilt: Was der einen Personengruppe hilft, hilft in der Regel der anderen nicht. Dass die kognitiven Bemühungen in diesem Sinn befristet und eingeschränkt sind, dass sie sich nicht zu einem einzigen umfassenden, am Ende konvergierenden Forschungsprozess vereinigen lassen, heißt jedoch nicht, dass sie nicht rational betrieben werden können. Es geht um Lösungen, die zwar nicht für alle gut und nützlich sind, die aber gleichwohl das jeweils bestimmte Vermittlungsproblem optimal auflösen.¹¹¹ Weil für jede Konstellation eine andere Lösung das Optimum darstellt, wird das Interpretandum hier immer anders verstanden. Nur so ist die optimale Vermittlung im bestimmten Fall möglich. Das hermeneutische Verstehen ist nach alledem keine einfache und homogene Leistung, sondern ein Kompositum aus zwei ganz verschiedenen Projekten, die für sich genommen sich hinsichtlich ihrer Ziele und Standards beträchtlich unterscheiden, ja geradezu divergieren. Diese Unterschiede finden sich sehr deutlich ausgebildet in den Hauptpositionen unserer Kontroverse zum Geltungsproblem. Innerhalb des ganzen Projekts: Hermeneutisches Verstehen, wirken die divergierenden Teilprojekte freilich friedlich und effektiv zusammen und fordern einander: Zur Bemühung um Aneignung des Interpretandums gehört die Bemühung um Wissen über das Interpretandum. Sie ist erforderlich, damit die Bemühung des Aneignens auch tatsächlich das gemeinte Interpretandum, so wie
Vertrauten einzufügen, in der vertrauten Welt zur Geltung zu bringen. Dazu aber muss das Neue zum Vertrauten passend gemacht werden. Die Lösung ist hier nicht für alle gleichermaßen gut und nützlich in dem Sinne, dass alle gleichermaßen davon profitieren können. Aber eine für einen bestimmten Interpreten (bzw. die Gruppe, die er vertritt) optimale Lösung ist gleichwohl eine Lösung, die in den Augen aller Subjekte die optimale Brücke schlägt zwischen dem Interpretandum und dem bestimmten Interpreten. Insofern kann sie als intersubjektiv gültig gelten.
3.2 Systematische Diskussion
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es ist, trifft und nicht vielmehr verfehlt. Und zur Bemühung um Wissen über das Interpretandum gehört die Bemühung um Aneignung und In-Betrieb-Nahme desselben. Sie ist erforderlich, damit dasjenige, über das der Interpret sich Wissen verschafft, etwas bleibt, das etwas über etwas ist, Sinn und Bedeutung hat und das er als fremden Gedanken fassen, übernehmen, was er sich mitteilen lassen kann. Die Teilprojekte zielen also einmal auf Repräsentation vom, zum anderen auf Brückenbau zum Interpretandum, bzw. auf eine Darstellung der fremden Gedanken und auf das Fassen derselben. c) Wenn wir freilich noch etwas genauer hinsehen, müssen wir nun zugeben, dass die Sache sogar noch komplizierter ist als bisher dargestellt. Denn in dem und durch das – notwendige – Zusammenspiel der beiden Typen kognitiver Bemühungen werden die jeweiligen Aktivitäten spezifisch affiziert, verändert, treten also nicht mehr als reine Typen auf, sind nicht mehr als diese reinen Typen kenntlich, sondern nur als besondere Varianten dieser reinen Typen. Dadurch wird das Geltungsproblem so verwirrend. Auf der einen Seite wird die Aktivität des Erwerbs von Wissen über das Interpretandum, die Aktivität der Optimierung der Relation: Repräsentation des Interpretandums – Interpretandum selbst, in der Weise verändert, dass es hier um Hypothesen über schon (irgendwie) Verstandenes, in Betrieb Genommenes und daher schon Ergänztes geht, um Hypothesen über Textteile, die schon (mindestens) als sinnvoll, bedeutungsvoll verstanden und insofern in Betrieb genommen und damit unvermeidlich immer schon ergänzt wurden. Wir haben hier ja mit sekundärer nicht mit primärer Objektivierung zu tun. Das aber bedeutet: In den Prozess langfristiger Optimierung der Relation: Hypothese – Interpretandum spielt jetzt hinein eine Bewegung des langfristig immer-anders-Ergänzens, eine Bewegung, in der der Gegenstand, das Interpretandum, sich langfristig verändert, was das einfache Bild vom hier möglich sein sollenden linearen langfristigen Fortschritt erheblich stört. Dies ist Folge davon, dass die objektivierende Bemühung um Wissen über das Interpretandum nur aufruht und abhängig bleibt vom nicht-objektivierenden Aneignen. Auf der anderen Seite gilt: Die Aktivität des Aneignens, in Betrieb Nehmens fremder Gedanken qua subjektive Praxis, die je nach Interpret und Standort des Interpreten immer wieder neu und anders notwendig wird und die zu immer anderen Ergänzungen des Interpretandums führt, wird selbst durch das Zusammenspiel der beiden Aktivitäten in der Weise verändert, dass jetzt nicht mehr einfach geradehin und naiv angeeignet, assimiliert und ergänzt wird, sondern a) im (Distanz schaffenden) Bewusstsein dieser Ergänzungen und b) gegebenenfalls in Kenntnis von und Auseinandersetzung mit früheren Interpretationen des Interpretandums. Dies wird möglich, weil jetzt durch die begleitende Bemühung um Wissen über das Interpretandum auch die (Meta‐) Ebene der Reflexion auf die
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eigene und fremde subjektive Praxis explizit im Spiel ist. Und dies bedeutet, dass das Bild vom Interpreten, der vollständig abhängig ist vom historischen Wandel vor allem der lebensweltlichen Hintergrundsverhältnisse, der diesen völlig ausgeliefert blind immer anders verstehen muss, zu einfach ist. Es gibt, wie Apel herausgearbeitet hat, Möglichkeiten, Widerstand zu leisten. Im tatsächlichen Verstehen, das ja ein Kompositum aus beiden Typen kognitiver Bemühungen darstellt, treten beide Typen also nicht ganz rein auf, sondern jeweils affiziert und modifiziert durch ihren jeweiligen Konterpart. D. h. die objektivierende Bemühung um Wissen über das Interpretandum führt nicht ohne weiteres in Richtung auf eine für jedermann optimale „final opinion“ über das (mit sich identisch bleibende) Interpretandum. Das Interpretandum verändert sich vielmehr in der Zeit. – Und die aneignende Bemühung führt nicht einfach zum bloßen Passend-Machen und Assimilieren der fremden Gedanken an das – sich mit der Zeit verändernde – Korpus an Überzeugungen und Erwartungen, in die sie integriert werden sollen, weil der Interpret (wie z. B. B. Snell) ein Bewusstsein davon haben kann, dass seine Bemühungen das Interpretandum verändern und er versuchen kann im Namen von jeweils besseren Theorien über das Interpretandum¹¹², in Grenzen gegenzusteuern. Das Verstehen als Resultante aus beiden Bewegungen ist in der Regel ein Kompromiss aus beiden, d. h. keine saubere Lösung im Sinne der beiden Typen.¹¹³ Im Normalfall, für den der jeweilige Autor seine Texte und Äußerungen produziert, ist das Teilprojekt des Aneignens das dominierende Projekt, das zweite Projekt kommt nur hilfsweise ins Spiel. Das ist im Falle des elementaren, naiven Verstehens (etwa durch den direkten Adressaten) sehr deutlich, und es zeigt sich im Übrigen ganz klar darin, dass das Teilprojekt der Bemühung um Wissen über das Interpretandum hier gerade nicht die Standardform dieses Erkenntnistyps annimmt, die Form, bei der der Gegenstand des Wissens primär objektiviert wird, sondern die Nebenform des sekundären Objektivierens. Die bloß sekundär objektivierende Form der Bemühung um Wissen über das Interpretandum, aber ist
Theorien, die freilich qua sekundär objektivierende Theorien der eben genannten Einschränkung unterliegen, mit einem in der Zeit sich verändernden „Gegenstand“ zu tun zu haben. Aber es ist kein fauler Kompromiss. Dieser Eindruck entsteht nur, wenn man das Verstehen rein als Erkenntnisleistung sieht. Das Verstehen ist aber in einem gewissen Sinn mehr als das, was üblicherweise als Erkenntnisleistung betrachtet wird. Es ist mehr als das Etablieren einer begründeten wahren Meinung über das zu Erkennende. Bei der Aneignung der fremden Gedanken wird ja ein Schritt mehr als beim bloßen Erkennen gemacht, ein Schritt, der die fremden Gedanken selbst ganz an mich heranbringt, mich sie integrieren lässt. Wenn vom bloßen Erkennen gehandelt wird, geht es nur um das Etablieren der wahren Repräsentation des Fremden, nicht dagegen um Fragen der Integration dieser Repräsentation oder gar der fremden Gedanken selbst.
3.2 Systematische Diskussion
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etwas, das aufruht auf, abhängig bleibt von und eingebunden ist in das Aneignen des fremden Sinnes. Das aber heißt unter anderem auch – wie wir gesehen haben -, dass die Bemühung um Wissen über das Interpretandum in diesem Sinn, nicht umstandslos die Form eines für alle offenen Forschungsprozesses „in the long run“ annimmt, sondern allenfalls in diese Richtung tendiert. – Dies alles spricht in meinen Augen zunächst einmal dafür, dass die Thesen von Gadamer über Ziele und Standards des hermeneutischen Verstehens trotz der Kritik von Apel sehr ernst zu nehmen sind. – Soviel zunächst über die in der Struktur des Verstehens selbst vorgegebenen Fundamente der beiden Hauptpositionen.
3.2.2 Die Hauptargumente der Opponenten Sehen wir uns jetzt die Hauptpunkte bzw. -argumente, die in dieser Kontroverse eine Rolle spielen, etwas näher an. Die Vertreter der These vom „Immer-besserVerstehen“ stützen sich – soweit ich sehe – im Wesentlichen auf folgende: (A1) Verstehen eines Textes (x) ist Erkennen dessen, was der Text aussagt. Erkenntnis von x aber ist Erkenntnis dessen, wie es sich mit x in Wahrheit verhält und nicht davon, wie x (von einem bestimmten Standort her) zu sein scheint. Wenn wir glauben, erkannt zu haben, wie es sich mit x verhält, dann erheben wir zu unseren Überzeugungen universale Geltungsansprüche. Relativierende Einschränkungen sind hier nicht vorgesehen. (A2) Frege zeigt in seiner Abhandlung: „Der Gedanke“, dass es möglich sein muss, den Sinn von Sätzen, die vom jeweiligen Gegenüber geäußert werden, sogar quasi punktgenau zu „fassen“, d. h. zu verstehen, weil es anderenfalls die – immer schon notwendig unterstellte – Möglichkeit ernstzunehmender Widerlegung von Thesen, damit die Möglichkeit rationaler Kontroversen, gemeinsamer Wissenschaft nicht geben könnte.¹¹⁴ (A3) Apel wendet – wie wir gesehen haben (S. 115 ff.) – gegen Gadamer ein, dass dieser sich mit seiner These vom Immer-anders-Verstehen in einen performativen Selbstwiderspruch verwickle und damit gegen das Selbsteinholungsprinzip verstoße. (A4) Apel hat – wie außerdem dargestellt (S. 115 ff.) – dafür argumentiert, dass aus dem „Immer-anders-Verstehen“ von Gadamer ein „Immer-besser-Verstehen“ werden könnte, wenn davon ausgegangen werde, dass die bei Gadamer inkom Frege 1966 (Logische Untersuchungen) S.42 ff. Dergleichen wie eine definitive Widerlegung einer These kann es nicht geben, wenn es grundsätzlich ausgeschlossen ist, den möglichen Gegeneinwand, die fragliche These könne ja gar nicht genau verstanden und daher getroffen werden, zu entkräften.
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mensurablen Ausganspositionen und Standorte der Interpreten sich in einer Fortschrittslinie anordnen lassen und damit kommensurabel werden. Alle vier Punkte sind prima facie sehr stark und überzeugend. Die ersten drei haben den Charakter sinnkritischer antiskeptischer Argumente. Sie artikulieren Dinge, die als überall bekannt, selbstverständlich und unbestreitbar gelten können. Das vierte läuft auf einen Vorschlag hinaus, eine Konzeption des (historisch) hermeneutischen Verstehens zu denken, die mit dem – für alle rationale Philosophie unhintergehbaren – Prinzip der Selbsteinholung vereinbar ist. Die Vertreter des „Immer-anders-Verstehens“ können sich vor allem auf folgende Punkte stützen: (B1) Das Erkennen von x qua Erwerb von wahren Überzeugungen (Hypothesen) über den Gegenstand x (Gadamers „Rekonstruktion“) ist klar zu unterscheiden von dem Erkennen von y qua Aneignung von y selbst als einer Antwort (Gadamers „Integration“). (B2) Das bloße (theoretische) Erkennen eines fremden Textes, so wie er dasteht, ist zu unterscheiden von dem den Text unvermeidlich komplettierenden, ergänzenden Verstehen fremder Gedanken qua Aneignung derselben derart, dass diese dann vom Interpreten frei verwendet werden können. (B3) Es geht beim Verstehen von Texten nicht um Projekte im Namen der und für die Menschheit (wie sonst bei wissenschaftlichen Unternehmungen üblich), sondern um Projekte im Namen von und für partikulare Gruppen. – Sich fremde Antworten Aneignen bzw. Verfügbar-Machen, heißt diese Antworten Vermitteln mit Fragen des Interpreten, die von partikularen Standorten abhängig und geprägt sind. (B4) Die Idee eines schlechthin optimalen (für jedermann optimalen) Verständnisses eines Textes ist ebenso unverständlich wie die Idee eines Fortschritts in the long run beim Verstehen von Texten. Auch die Argumente für diese Position scheinen mir sehr stark zu sein. Sie argumentieren freilich für das Ungewöhnliche und sind insofern weniger vertraut und durchsichtig als die Argumente für die Gegenposition. Daher wollen wir die Argumente zu B, bevor wir die Kontroverse austragen, noch etwas erläutern. Zu (B1). Der Sinn des Hinweises auf die Unterscheidung ist hier folgender: Wenn es sich beim Verstehen nur um den Erwerb von Hypothesen über das Interpretandum qua Objekt handeln würde, wenn es nur um die Wahrheit über das Interpretandum ginge¹¹⁵, dann wäre die Position des „Immer-anders-Verstehens“ von vornherein witzlos und unverständlich. Sie ist es aber nicht, wenn es beim
Und zwar im Sinne des Normalmodells von Epistemologie, d. h. im Sinn von primärer Objektivierung.
3.2 Systematische Diskussion
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Verstehen (auch) um das Aneignen fremder Gedanken, um die angemessene Vermittlung (Brückenbau) zwischen je eigener und fremder subjektiver Praxis geht. An dieser Unterscheidung hängt es also, dass hier überhaupt ein ernstzunehmendes Problem vorliegen kann. Zu (B2) Die Unterscheidung zwischen bloßem (theoretischen) Erkennen des Textes und dem Verstehen des Textes (das den Text unvermeidlich ergänzt oder komplettiert) ist hier folgendermaßen gemeint: Beim Erkennen im normalen Sinn wird y als Gegenstand betrachtet, über den wir Wissen haben wollen, von dem wir eine angemessene Repräsentation zu gewinnen suchen. Y selbst bleibt dabei auf Distanz drüben auf der Seite des zu Erkennenden, nur die Repräsentation von y, die im Verlauf des Erkenntnisprozesses optimiert wird, wird vom Erkennenden angeeignet werden. – Beim Verstehen dagegen wird x (ein Komplex fremder Gedanken drüben) vom Interpreten von Anfang an als mögliche eigene subjektive Praxis angesehen und behandelt. X selbst soll angeeignet, mindestens versuchsweise übernommen werden. X selbst wird der subjektiven Praxis des Interpreten eingefügt, für ihn verfügbar gemacht und durch ihn in Betrieb genommen. Beim normalen Erkennen wird nun der Gegenstand y der Idee nach genau so repräsentiert, wie y gegeben ist, nicht mehr und nicht weniger. Es wird hier eigens kritisch darauf reflektiert, nicht mehr zu repräsentieren, als tatsächlich drüben gegeben ist. Bei Interpretanda (bei sog. „vorsichtig zurückhaltender Interpretation“) würde das z. B. heißen: Objektiv gegeben ist zunächst nur so etwas wie die Partitur, die bloßen Zeichen, die Zeichenfolge, die wörtlichen Bedeutungen, das, „was dasteht“. Und das, was im Text „dasteht“, ist in der Regel so verfasst, dass von allen möglichen Gegenständen gehandelt wird, ohne dass die dabei verwendeten Ausdrücke eigens definiert oder erläutert werden. Es wird einfach unterstellt, dass der Leser die Ausdrücke kennt und – in sehr verschiedenen Kontexten – verwenden kann, dass er mit den Sachen, von denen geredet wird, vertraut ist, mit ihnen umzugehen weiß etc.. Das bedeutet, – wie die (verschiebbaren) Grenzen des bloß Gegebenen¹¹⁶ auch angesetzt werden – wir haben beim Interpretandum immer mit solchem zu tun, das so, wie es ist, so wie es dem bloßen Erkennen gegeben ist, selbst noch nicht als subjektive Praxis taugt und als solche vom Interpreten in Betrieb genommen werden kann, weil es objektiv unterbestimmt ist. Als subjektive Praxis kann es erst dann in Betrieb genommen werden, der Interpret kann erst dann im Sinne des Interpretandums referieren,
Selbst wenn im Interpretandum definiert und erläutert wird, müssen die definierenden und erläuternden Ausdrücke, die selbst (letztlich) nicht mehr definiert und erläutert werden können, vom Interpreten verwendet und d. h.: ergänzt werden.
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prädizieren, behaupten etc., wenn es aus dem Eigenen des Interpreten her durch spezifisches Wissen des Interpreten, durch Hintergrundswissen (Searle)¹¹⁷ komplettiert ist: Wie der Interpret als neuer Mitspieler mit dem neuen Spielzug im Einzelnen zu verfahren hat, wie die Anwendung im Detail auszusehen hat, wird durch den Spielzug selbst, so wie er gegeben ist, nicht gesagt. Das muss der Interpret vielmehr von sich aus mitbringen und hinzufügen. Dieses Hinzufügen aber ist etwas anderes als das bloße Erkennen dessen, was dasteht, und nur um dieses geht es jetzt hier. – Verstehende Aneignung heißt nun gerade nicht nur, sich x bloß vorzustellen, sich ein Bild, eine Repräsentation von x machen, und diese zu optimieren, sondern sich x als mögliche eigene Praxis verfügbar zu machen, heißt, x als etwas, das der Interpret selbst tun könnte, (mindestens versuchsweise) zu übernehmen. Und zu diesem Sich-verfügbar-Machen, zu diesem Für-sich-alssubjektive-Praxis-in-Betrieb-Nehmen gehört wesentlich, dass das an sich immer unterbestimmte x durch den Interpreten stillschweigend ergänzt wird z. B., derart, dass die unbestimmten Anweisungen des Textes, Achill und Agamemnon als handelnde Menschen (die dazu so und so (zentral gesteuert oder nicht) organisiert sein müssen) zu verstehen, vom Interpreten so und so konkretisiert werden (Snell), bzw. – allgemeiner – dass die Regeln, die das Interpretandum enthält, auf jeweils bestimmte Weisen (die im Interpretandum selbst nie vollständig angegeben sein können¹¹⁸) vom Interpreten angewendet werden. Das Verstehen geht insofern weiter als das bloße Erkennen. Es fügt immer ein – stärkeres oder schwächeres – Moment der In-Betrieb-Nahme, der Verwendung des Interpretandums hinzu. Mit Gadamer können wir sagen: Es enthält notwendig ein zusätzliches Moment der Applikation. Die damit angedeutete klare und scharfe Opposition zwischen dem bloßen Erkennen eines Gegenstands y und dem verstehenden Aneignen und In-BetriebNehmen eines jeweils von uns vervollständigten Interpretandums x andererseits muss freilich im Lichte der Tatsache, dass das Erkennen eines Interpretandums qua Gegenstand allenfalls ein sekundär objektivierendes Erkennen sein kann (weil anderenfalls das Interpretandum gerade seine Qualifikation als Interpretandum verlöre) noch erheblich modifiziert werden. Aus der qualitativen Differenz zwischen dem Erkennen eines bloßen Objekts, dem als solchem überhaupt nichts hinzugefügt werden muss und darf, einerseits und dem verstehenden Aneignen eines Interpretandums, das dabei notwendig von uns vervollständigt wird, dem also sehr wohl etwas hinzugefügt wird, andererseits, wird jetzt die – immer noch wesentliche, aber doch schwächere – Differenz zwischen dem stark (sekundär)
Searle (1987) 180 ff. Vgl. Wittgenstein (1960b) §§289 ff.
3.2 Systematische Diskussion
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objektivierenden Untersuchen eines Interpretandums (qua Forschungsgegenstand) auf der einen Seite und dem nur schwach (sekundär) objektivierenden verstehenden Aneignen des Interpretandums (etwa durch den Adressaten) auf der anderen Seite. Jetzt sind beide Typen kognitiver Bemühungen bloß sekundär objektivierende kognitive Bemühungen um ein Interpretandum. Das aber heißt, dass bei beiden Typen verstehende Aneignung des Interpretandums die tragende Basis ist. Das Interpretandum wird bei beiden Falltypen behandelt und verstanden aus der Position und Einstellung eines Mitspielers, nicht eines nur betrachtenden Theoretikers von außen. Wenn aber bei beiden Typen verstehende Aneignung, das Sich-verfügbar-Machen als möglicher eigener Spielzug, im Spiel ist, dann muss auch bei beiden Falltypen, das Anzueignende ergänzt werden. Es wird bei beiden Falltypen etwas vom Interpreten hinzugefügt werden. – Die entscheidende Differenz liegt dann darin, was und wie viel jeweils ergänzt bzw. hinzugefügt werden muss. Derjenige, der einen Text (bzw. eine längere Äußerung) theoretisch untersuchen will – z. B. als Linguist oder als Literaturtheoretiker -, der muss nur partiell mitspielen, die fremden Gedanken nur partiell als Spielzüge in Betrieb nehmen, im Extremfall z. B. nur soweit, dass er mit dem Interpretandum überhaupt als mit einem verstehbaren Zeichengebilde (einem sprachlichen Text, einem Text, der etwas über etwas sagen will, der wahr sein will etc.) zu tun hat und nicht nur mit einem bloßen Geräusch bzw. einer Konfiguration aus Druckerschwärze. Und er muss daher auch den Text nur insoweit aus Eigenem ergänzen, wie es nötig ist, damit er den Text überhaupt als Zeichengebilde (als sprachlichen Text etc.) in Betrieb nehmen kann, den er dann freilich untersucht. Was er hier jeweils ergänzen muss, ist erstens wenig und daher gut kontrollierbar, und es ist zweitens invariant und nicht partikularer Natur. Es betrifft vielmehr so etwas wie anthropologische und sprachliche Universalien. (Fragen der Art wie: welche Art Umgang verlangt das Interpretandum qua Zeichengebilde (qua sprachlicher Text, qua Text, der etwas über etwas sagen will, der wahr sein will von… etc.)?) – Derjenige dagegen, der sich (z. B. als normaler Leser) die fremden Gedanken als Beitrag zur Sache in allen Details und allen Nuancen aneignen will, der muss ganz mitspielen und daher den Text in allen Hinsichten, in denen er ihn nutzen, bzw. in Betrieb nehmen will, ergänzen. Dann aber hat er mit unübersehbar vielen – und daher extrem schwer zu kontrollierenden – Ergänzungen zu tun. Und diese Ergänzungen beziehen sich zum größten Teil nicht auf Invariantes und sind sehr partikularer Natur. Bei der Lektüre eines Romans z. B. muss der Leser in der Regel sein lebensweltliches Wissen und Können in voller Breite als Ergänzungspotential bereithalten und ins Spiel bringen, um überhaupt verstehen zu können. Dieses lebensweltliche Wissen aber ist in seiner bestimmten Form abhängig von vielen kontingenten Faktoren, vor allem aber ist es Resultat einer
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
kontingenten historischen Entwicklung, der wir als Interpreten angehören und von der wir hinsichtlich unserer Standpunkte abhängen. Der Witz der hier vorgenommenen Unterscheidung zwischen bloßem (theoretischen) Erkennen und Verstehen bzw. zwischen der Nachfolgeunterscheidung zwischen dem Untersuchen von Interpretanda aus der Position eines (partiell) Mitspielenden einerseits und dem einfachen verstehenden Aneignen des normalen Lesers andererseits liegt darin, dass sich daraus Mittel ergeben, auf die ansonsten übermächtigen Argumente (A1 – A3) zu antworten. Dazu kommen wir gleich. Zu (B3): Es geht nicht um Projekte und Lösungen für die (als wesentlich homogen verstandene) Menschheit, für jedermann, sondern für jeweils partikulare Personen oder Personengruppen. Die Hauptevidenzen für diese These haben wir gerade (S. 125 f.) aufgezählt. Die Menschheit ist in der hier entscheidenden Hinsicht gerade nicht homogen. Ein Teil der Menschheit – der Autor und seine unmittelbare Umgebung – (und damit die Menschheit selbst) hat die Lösung schon, und die übrigen Interpreten unterscheiden sich wesentlich durch das, was ihnen angesichts des Interpretandums noch fehlt, was sie jeweils brauchen, um Zugang zum Text zu bekommen, durch das, was sie hier jeweils wissen wollen. Und dieses ist seinerseits durch ihren relativen Standort zum Interpretandum, durch ihre relative Distanz zu ihm, durch ihre Zugehörigkeit zu sehr verschiedenen Kulturen, Epochen, sachlichen Diskussionszusammenhängen etc. geprägt. Die Geschichte ist voll von Beispielen dafür, dass ursprünglich erfolgreiche Interpretationen mit der Zeit veralten, obsolet werden und durch neue ersetzt werden mussten. Es ist nicht unwichtig sich den Status des damit verbundenen Problems klarzumachen: Wenn wir hier von Lösungen nur für partikulare Personen oder Personengruppen reden, also nicht von intersubjektiv „gültigen“ oder intersubjektiv akzeptablen Lösungen, dann liegt der Verdacht nahe, dass hier vorschnell defaitistischen, resignativ relativistischen Lösungen das Wort geredet werden soll. Da ist es wichtig, sich daran zu erinnern a), dass selbst Lösungen für partikulare Gruppen gleichwohl intersubjektive Anerkennung finden können (vgl. Anm. 109), vor allem aber b), dass es hier gerade (positiv) um Intersubjektivität geht, nämlich um die Herstellung von Intersubjektivität, um den Anschluss partikularer Personen an Intersubjektivität. Allerdings kann der Ausdruck „Intersubjektivität“ hier missverstanden werden: Wenn Geltungsprobleme der Erkenntnis im normalen Sinn, d. h. mit Bezug auf Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation, wie z. B. in den Realwissenschaften, diskutiert werden, dann spielen die Begriffe „Objektivität“ und „Intersubjektivität“ gewöhnlich eine große Rolle. Mit dem Begriff „Intersubjektivität“ bezieht man sich auf so etwas wie intersubjektive Geltung einer Hypothese, die sich dadurch zeigen würde, dass im Prinzip jeder Forscher auf Befragen der These zu-
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stimmen würde, ihr nicht widersprechen würde. Bei diesem Gedanken ist unterstellt, dass jeder der in Frage kommenden Forscher – wenn er denn wollte – immer schon die Möglichkeit hätte, d. h. die Voraussetzungen dazu mitbrächte, ihr zuzustimmen, und dies im Sinne von: Er kann teilnehmen am gemeinsamen Spiel, innerhalb dessen die jeweiligen Vorschläge (Spielzüge) immer schon als problemlos verstanden unterstellt werden. Er kann den Spielzug: Zustimmen ausführen, weil er verstanden hat. – Hier – bei den Geltungsproblemen der Hermeneutik – dagegen geht es gerade um diese Voraussetzungen für das Mitspielen, um die Möglichkeit solcher Teilhabe, um Herstellung von Intersubjektivität in diesem Sinn. Das Problem ist dann, dass bestimmte Personen und Personengruppen bestimmte Texte (Spielzüge) noch nicht verstehen, nicht so verstehen, dass sie zum Mitspielen, z. B. zu intersubjektiver Zustimmung fähig sind. D. h. es handelt sich darum, dass bei den partikularen Personen und Personengruppen, die noch nicht (im vollen Sinne) mitspielen können, eine wesentliche Voraussetzung von Intersubjektivität qua intersubjektiver Zustimmung allererst geschaffen wird, nämlich die intersubjektive Teilhabe. – Man kann das auch so ausdrücken, dass wir hier nicht mit intersubjektiv gültigen Lösungen für die schon als homogen verstandene Menschheit zu tun haben, sondern mit Lösungen, die die Homogenität, die in der Epistemologie der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation vorausgesetzt wird, allererst herzustellen und insofern die Partikularität der Interpreten in einer wesentlichen Hinsicht zu überwinden, was aber zugleich bedeutet, dass ihre Partikularität ernstgenommen und eigens berücksichtigt werden muss. Diese Partikularität bringt sich beim Verstehen dadurch zur Geltung, dass das Interpretandum vom Interpreten aus seiner spezifischen Position und Perspektive gesehen wird, dass der Interpret das Interpretandum qua Antwort mithilfe seiner standortbedingten Frage sich anzueignen versucht, dass er das Interpretandum – und zwar unvermeidlich – dabei dem Eigenen assimiliert, dass er es einfügt in die eigene so und so strukturierte Welt, und dass er es – das immer unterbestimmt ist – ebenfalls unvermeidlich ergänzt, komplettiert durch Eigenes, durch seinen Hintergrund. Es folgt: Das Verständnis fällt je nach dem Standort, von dem aus verstanden wird, verschieden aus. – Der Interpret kann – wie wir gesehen haben – zwar gegen diese Assimilation ans Eigene kritisch angehen, er kann versuchen, das Fremde eigens als Fremdes zur Geltung zu bringen, statt seiner eigenen Frage, die Frage des Autors ins Spiel zu bringen. Aber er kann dies nur in gewissen Grenzen, wie das Argument aus dem hypothetischen Räsonieren zeigt.¹¹⁹ Er kann immer nur Teile seines Hintergrundes vor dem umfassenden eigenen Hintergrund
Vgl. o. S. 65 f und 122.
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kritisch problematisieren. Er kann aber nicht den ganzen Hintergrund austauschen, denn dann würde er ja versuchen, den Akteur dieser Operation selbst zum Verschwinden zu bringen. – In der Regel aber will der Interpret die eigene Perspektive gerade nicht völlig zum Verschwinden bringen. Er beschäftigt sich mit dem Interpretandum ja gerade um Antworten auf seine eigenen Fragen (seine sachlich ernstgemeinten Fragen) zu bekommen. Das bedeutet übrigens auch, dass die Homogenität der Kommunikationsgemeinschaft, die in der normalen Rede über Intersubjektität vorausgesetzt wird und die durch Verstehensbemühungen mit-etabliert wird, nicht auf so etwas wie eine vollständige Gleichschaltung aller beteiligten Subjekte (wie etwa im Kommunikationsmodell des Wittgensteinschen Tractatus vorgesehen) hinausläuft. Zu (B4). Hier sind zwei Unterscheidungen wichtig. Zunächst wieder die zwischen kognitiven Bemühungen um Wissen über einen Gegenstand und kognitiven Bemühungen um Aneignung fremder Gedanken über Gegenstände und entsprechend zwischen den jeweils dazu gehörenden Ideen von optimalen Resultaten, bzw. des Fortschritts, der zu ihnen führen würde. Der Hauptpunkt ist dabei, dass die Idee eines Optimums und des Fortschritts, der langfristig zu diesem Optimum führen würde, im ersten Fall keine Schwierigkeiten bietet, im zweiten dagegen sehr wohl. Man darf aber nicht übersehen, dass es im ersten Fall nur um die Verbesserung der Relation: Gegenstand – Repräsentation vom Gegenstand, geht und dass bei der Diskussion dieser Frage in der Regel von den Kommunikationsund Verstehensproblemen der dabei involvierten Forscher vollständig abstrahiert wird. Es wird einfach unterstellt: Kommunikation und Verstehen sind problemlos möglich. D. h., aus der Möglichkeit eines Optimums und eines Fortschritts dahin beim ersten Falltyp, folgt für den zweiten Falltyp gar nichts. Die zweite Unterscheidung, die hier nötig ist, ist die zwischen den Ideen eines Optimums und des Fortschritts, der zu ihm führen würde, die gefasst werden mit Bezug auf das, was ein Interpret (bzw. eine Gruppe von Interpreten) erreichen könnte, der von einem bestimmten gegebenen Standort ausgehen würde, einerseits und den Ideen vom Optimum und Fortschritt, die gefasst werden mit Bezug auf das, was alle möglichen Interpreten, die sich im Laufe der Zeit von verschiedenen Standorten aus, aus verschiedenen Rahmen heraus, mit demselben Interpretandum beschäftigen, erreichen könnten, andererseits. Beim ersten Falltyp bieten die Ideen des Optimums und des Fortschritts dahin keine besonderen Schwierigkeiten, denn man kann natürlich mehr oder weniger gut zwischen zwei Standorten, Rahmen etc. vermitteln oder Brücken bauen, und daher ist ein (intersubjektiv anerkennungswürdiges) Optimum hier ohne weiteres verständlich. – Der zweite Falltyp ist der eigentlich interessante. Die wichtigsten Argumente sind hier: (i) Wenn hier so etwas wie langfristiger Fortschritt möglich wäre, dann müsste auch folgendes sinnvoll gedacht werden können: – „Ich erarbeite mir ein
3.2 Systematische Diskussion
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für mich optimales Verständnis des Interpretandums. Dieses Verständnis ist geprägt durch meinen Standort in Kultur, Sprache, Geschichte etc. – Ich reiche das Resultat weiter an nachfolgende Interpreten, die sich in späteren Zeiten von anderen Standorten aus mit dem Interpretandum auseinandersetzen werden, die an meinem Verständnis weiterarbeiten, es prüfen und verbessern werden. – Das Resultat ihrer Bemühungen müsste nun so beschaffen sein, dass ich glauben könnte: Diese Resultate sind tatsächlich besser als meine eigenen, sie sind den meinen überlegen, in dem Sinn, dass sie mir besser helfen können, das Interpretandum zu verstehen, als meine eigenen Resultate. Ich würde diese späteren Resultate, wenn das möglich wäre (was es natürlich nicht ist), am liebsten jetzt schon haben.“ – Wenn hier Fortschritt „in the long run“ möglich wäre, so müsste er von den an ihm Beteiligten aus der Binnenperspektive etwa so ähnlich wahrgenommen werden. – In Wahrheit aber ist es gar nicht klar, ob die Überlegung vernünftig ist. Freilich, wenn es nur darum ginge, die richtige, das Interpretandum optimal treffende Repräsentation vom Interpretandum zu erarbeiten, dann könnte das Modell eine gewisse Plausibilität haben. Und zuweilen geht es ja auch um dergleichen. Aber das ist durchaus nicht die Regel, denn normalerweise wird der Text vom Interpreten selbst schon als Repräsentation von etwas (der Sache) behandelt und der Interpret ist an einer bloßen Repräsentation von der Repräsentation nicht interessiert, sondern an ihrer Aneignung und In-Betrieb-Nahme. In diesem Fall aber ist es gar nicht plausibel, anzunehmen, dass mein Verständnis (das mir mögliche optimale Verständnis, das abhängig ist von meinem Ort in Geschichte, Sprache, Kultur und sachlicher Disziplin) so, dass es für mich zählen würde, verbessert werden könnte, durch Interpreten, die sich von einem ganz anderen späteren Standort aus mit dem Interpretandum auseinandersetzen, es dabei in ihre Welt einbetten, es durch ihren Hintergrund vervollständigen, es als Antwort auf ihre Fragen behandeln. Und das gilt selbst für den Fall, dass die Späteren einen Standort hätten, der insofern als günstiger für das Verständnis des Textes angesehen werden könnte, als er etwa zu einem reiferen Stadium der Auseinandersetzung mit der im Text thematischen Sache gehörte. Es ist gar nicht zu sehen, warum das spätere Verständnis für mich als besser soll gelten können, warum es mir, wenn ich es denn zur Verfügung haben könnte, besser sollte helfen können, mit dem Interpretandum fertig zu werden, leichteren Zugang zu ihm zu bekommen, es an meine Welt anzuschließen und verfügbar zu machen, so dass ich es danach frei und souverän verwenden kann. Es wäre ja gar nicht – wie mein Verständnis – auf meine Probleme des Nicht- bzw. Missverstehens eigens zugeschnitten. Wie gesagt, es geht nicht um die Arbeit an einem bloßen Bild vom Interpretandum, durch die wir langfristig der Wahrheit über das Interpretandum immer näher kommen, bei der wir aber von dessen Verwendung in der Verständigung über Sachen völlig abstrahieren. – Wenn es aber um diese Probleme (des
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Nicht- bzw. Missverstehens) geht, dann ordnen sich die jeweiligen Resultate der Interpreten nicht notwendig in einer Linie, die langfristig zu so etwas wie einer final opinion, zum endgültigen Verständnis des Interpretandums führt. Für wen sollte diese final opinion, das absolute Optimum, auch bestimmt sein? Die Menschheit, die peircesche „community of investigators“ hat die Gedanken, aus denen das Interpretandum besteht, ja schon. Und wie sollte sie als das schlechthin optimale Verständnis auch beschaffen sein? Sie müsste – positiv – das Interpretandum für jedermann optimal aufschließen, zugänglich machen, anschließbar an das jeweils Eigene, fruchtbar machen etc. Und sie müsste – negativ – für jedermann, den jeweiligen Problemen des Nicht- und Missverstehens optimal abhelfen, Problemen, die nicht als Probleme der Menschheit, sondern nur als Probleme partikularer Personen bzw. Gruppen gelten können. Etwas Derartiges kann es ersichtlich nicht geben.Wenn wir die Ideen von Fortschritt und Optimum zu denken versuchen, dann läuft das wesentlich über die Ideen der Wahrheit und der Annäherung an die Wahrheit. Aber selbst, wenn wahre Sätze erreicht werden würden, wäre das Geforderte damit ja nicht geleistet. Das zugrundeliegende Problem wird sehr gut sichtbar – damit kommen wir zum zweiten Argument (ii) -, wenn wir das Modell heranziehen, an dem sich die Hermeneutik immer schon wesentlich orientiert hat, das Modell des Übersetzens: Das Interpretandum ist nicht verständlich, der Interpret muss es in seine Sprache übersetzen. Er hat es sich nur dann so angeeignet, dass er darüber frei verfügen kann, wenn er es in seinen Worten und d. h. hier in seiner Sprache wiedergeben kann. Bei diesem Modell ist völlig klar, dass es mehr oder weniger gute Übersetzungen geben kann und auch so etwas wie ein Optimum, nämlich der Vermittlung zwischen zwei (partikularen) Sprachen, was dem ersten Falltyp in unserer zweiten Unterscheidung entspricht. Was es dagegen ersichtlich nicht geben kann, was anzustreben daher sinnlos ist, ist die eine (einzige) Übersetzung, die das Interpretandum optimal in alle Sprachen übersetzt. Eine gute Brücke kann einen Punkt zweckmäßig mit einem zweiten Punkt verbinden, nicht aber mit allen Punkten. Etwas Derartiges aber wird von den Anhängern des Immer-besser-Verstehens gefordert.
3.2.3 Neufassung der alternativen Vorschläge Aus den beiden letzten Abschnitten (3.21 und 3.22) ergibt sich eine wichtige Konsequenz. Die Alternative, die bei unserer Diskussion des Geltungsproblems bisher im Zentrum stand, die Alternative zwischen der Position derjenigen, die auf das Immer-besser-Verstehen setzen und der Position derjenigen, die sich beim Immer-anders-Verstehen bescheiden, muss anders gefasst werden. Die Idee der
3.2 Systematische Diskussion
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langfristigen Annäherung an eine für alle verbindliche final opinion, die für die primär-objektivierend verfahrende Forschung in der Subjekt-Objektrelation maßgeblich ist, passt – so hat sich herausgestellt – überhaupt nicht zum Verstehen, welches ursprünglich ja Teil der Kommunikation unter Menschen ist und das wesentlich aus Aneignung von Antworten und (sekundärer) Objektivierung derselben besteht: a) Das Verstehen von fremden Äußerungen und Texten, d. h. das Verstehen qua Moment der Kommunikation unter Menschen, ist zunächst von Hause aus und strukturell überhaupt kein langfristiges (z. B. Jahrhunderte dauerndes) Projekt. Langfristige Forschungsprojekte sind vielmehr nur möglich auf der Basis von funktionierender (d. h. kurzfristig funktionierender) Kommunikation.¹²⁰ b) Sekundär objektivierende Verfahren führen wegen ihrer Abhängigkeit von aneignenden (immer anders ergänzenden) Verfahren gar nicht zu so etwas wie einem für alle möglichen Adressaten schlechthin optimalen Resultat.¹²¹ c) Das – gerade erinnerte – Modell der Übersetzung macht klar, dass die Idee eines für alle möglichen Adressaten zugleich optimalen Verständnisses gerade so witzlos ist wie die Idee einer Übersetzung, die einen zunächst unverständlichen Text für die Angehörigen aller Sprachen gleichermaßen verständlich macht. Doch auch wenn die Idee des (langfristig) Immer-besser-Verstehens für die Hermeneutik nicht taugt, so ist dennoch die Opposition und Spannung zwischen den beiden Positionen, sofern sie etwas abgeschwächt wird, nach wie vor von großer Bedeutung für das Geltungsproblem. Die Positionen drücken ja tatsächlich vorhandene, klar verschiedene Grundintuitionen bezüglich des Geltungsproblems aus. Und diese Grundintuitionen haben jeweils starke Argumente hinter sich und ein festes Fundament in der Sache. Die hier erforderliche Abschwächung muss darin bestehen, dass im Verstehensbegriff dasjenige, was sich in ihm auf die Möglichkeit eines unbegrenzt langfristigen (Forschungs‐) Progresses bezieht, eliminiert wird, dass aber an anderen wesentlichen Zügen des normalen Erkenntnisbzw. Forschungsbegriffs eigens festgehalten wird. Man könnte die Opposition dann fassen als Spannung zwischen einer Position, die das Modell normaler Gegenstandserkenntnis bzw. Sachforschung für maßgeblich erklärt und einer anderen, die das Aneignungs- und Übersetzungsmodell für hier zuständig hält. Die wesentlichen Differenzen zwischen ihnen, die nachbleiben, wenn man von dem Streit über die Möglichkeit langfristig progressiver Forschung absieht, sind dann diese: Nach der ersten Position zielt das hermeneutische Verstehen primär darauf, das Interpretandum, so wie es ist, zu erkennen, es zu treffen, es geht um Objektivität und Intersubjektivität, um wahre
S. o. S. 3. S.o. S. 126 f und 137 f.
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
Hypothesen über das Interpretandum, das Ziel ist eine zutreffende Repräsentation desselben. Nach der zweiten Position geht es beim Verstehen vor allem um Aneignung der fremden Antwort selbst, um Integration und Verankerung des fremden Vorschlags im Eigenen des Interpreten, um Brückenbau, um optimale Vermittlung, um das optimale Zur-Geltung-Bringen des Fremden beim Interpreten. Man könnte sagen, die erste Position orientiert sich an dem, was wir die „Vorderseite“ der Erkenntnis genannt haben, die zweite an dem, was oben als „Rückseite“ der Erkenntnis vorgestellt wurde.¹²²
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen Unsere Fragen lauteten: „Was genau ist das Ziel des Hermeneutischen Verstehens und welchen Standards unterliegt es?“ Wie können sie nach alledem beantwortet werden? Wie hat die Lösung des Geltungsproblems der Hermeneutik auszusehen? Der für die Beantwortung der Fragen wichtigste Punkt, der sich uns ergeben hat, ist die Einsicht in die komplexe Struktur des hermeneutischen Verstehens, in dem immer zwei divergierende Bemühungen, zwei Teilleistungen mit je eigenen Zielen und Standards zusammenwirken. Die vorgestellten einander widersprechenden Positionen in der Kontroverse orientieren sich an diesen Teilleistungen – und zwar jede an einer anderen – und tendieren dazu, die jeweils von ihnen bevorzugte Teilleistung als das Ganze des hermeneutischen Verstehens zu verabsolutieren. Wenn das so ist, dann könnten sie beide doch wenigstens ein relatives Recht haben und vereinbar sein, insofern nämlich, als sie sich dann auf Verschiedenes beziehen und sich daher gar nicht mehr direkt widersprechen. (Und sie haben dann beide Unrecht, insofern als sie ihre jeweilige Position illegitim verabsolutieren.) Sie beziehen sich auf Verschiedenes insofern, als sie sich jeweils an verschiedene der unterschiedenen Teilleistungen halten, vor allem aber insofern, als sie jeweils verschiedene (vollständige) Formen des Verstehens im Auge haben, und zwar solche, in denen jeweils die von ihnen bevorzugte Teilaktivität das Übergewicht hat und die Gesamtleistung dominiert. Wenn diese Diagnose zutrifft, dann ergeben sich für das Geltungsproblem verschiedene Lösungen je nach der besonderen Form des Verstehens, angesichts dessen es aufgeworfen wird, wobei die Form des Verstehens abhängt von verschiedenen Faktoren, insbesondere vom relativen Gewicht der zu ihr gehörenden Teilleistungen. Dann aber ist das, was wir – ähnlich wie die Teilnehmer an der
S.o. S. 23 ff.
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen
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dargestellten Kontroverse – bisher versucht haben, nämlich eine generelle Lösung für das Verstehen insgesamt und überhaupt zu finden, nicht sehr zweckmäßig. Vernünftiger ist es dann, das Problem der Ziele und Standards zuerst für die wichtigsten Einzel- oder Spezialformen des Verstehens zu behandeln. Nur hier sind prägnante, einfache Lösungen, die wirklich wichtigen und interessanten Resultate zu erwarten. Erst dann sollten wir das Geltungsproblem für das (hermeneutische) Verstehen insgesamt und überhaupt behandeln. Und hier wird die Lösung vermutlich abgeleitet, komplex und blass ausfallen. Die erste Frage ist dann: Welche Formen des Verstehens sollte man zweckmäßigerweise unterscheiden? Es gibt drei Hinsichten, in denen man differenzieren könnte: Erstens die des spezifischen Interesses des Interpreten am Interpretandum. Gilt dieses mehr der Sache oder eher dem Text selbst? Hier geht es vor allem um das relative Gewicht der beiden im Verstehen jeweils involvierten Teilleistungen. Sie führt zur Differenz zwischen dem „betrachtendem“ Verstehen und den verschiedenen Spielarten des „aneignenden“ Verstehens. – Zweitens die der hermeneutischen Distanz zwischen Interpret und Interpretandum. Sie führt zur Differenz zwischen dem (naiven) „elementaren“ und dem (reflektierten) „hermeneutischen“ Verstehen. – Drittens die der Art der involvierten Interpretanda. Sie führt zu Differenzen wie z. B. zwischen betrachtendem Verstehen von kurzen wissenschaftlichen vielleicht sogar formalen (mathematischen) Texten einerseits und betrachtendem Verstehen von langen Romanen, die sich auf alle möglichen Aspekte der Lebenswelt beziehen andererseits. Die verschiedenen Unterscheidungen können in der Sache zusammentreffen und führen dann zu einer großen Zahl von nennenswert verschiedenen Verstehenstypen.¹²³ Unser Hauptpunkt bei alledem ist der, dass es nicht angeht, all diese verschiedenen Typen von Verstehensbemühungen hinsichtlich des Geltungsproblems, über ein und denselben Kamm zu scheren, weil es gerade von den Besonderheiten der Falltypen abhängt, welche Ziele und Standards jeweils einschlägig sind.
Sie reichen von Verstehensbemühungen, bei denen aus geringster hermeneutischer Entfernung einfache, kurze mathematische Texte betrachtend (aus der Perspektive von Texttheoretikern) verstanden werden sollen, bis zu solchen Bemühungen, bei denen lange komplexe Darstellungen lebensweltlicher Verhältnisse (z. B. Romane) aus großer hermeneutischer Distanz aneignend verstanden werden sollen; von Versuchen, bei denen aus großer historischer Distanz wissenschaftliche Abhandlungen (z. B. juristische oder medizinische Texte) aneignend verstanden werden sollen, bis zu solchen, bei denen aus geringer Distanz komplexe (multiperspektivische) historische Darstellungen betrachtend verstanden werden sollen.
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(i) Ob der Interpret das Interpretandum überwiegend via aneignendes oder via betrachtendes Verstehen zu erschließen sucht, d. h. wie groß das relative Gewicht der beiden von uns unterschiedenen Teilleistungen innerhalb der kognitiven Gesamtleistung jeweils ist, bzw. in welcher Einstellung der Interpret sich mit dem Interpretandum auseinandersetzt, in der des Mitspielers im Spiel der Kommunikation oder der eines Betrachters des Spiels, hängt ab von seinem spezifischen Interesse: Geht es ihm mehr um die Sache, von der der Text handelt, oder geht es ihm mehr um den Text, das vermittelnde Medium, selbst. Durch die Einstellung und das Interesse des Interpreten ist auch bedingt, wie das Interpretandum (überwiegend) ins Spiel kommt, als Teil der dem Interpreten und Autor gemeinsamen subjektiven Praxis, als Antwort, die (selbst) anzueignen ist, oder als Gegenstand der Betrachtung, der zu erforschen ist, über den Hypothesen zu prozessieren sind.¹²⁴ – Die Unterscheidung zwischen aneignendem und betrachtendem Verstehen ist ersichtlich relevant für das Geltungsproblem, weil je nach dem relativen Gewicht der Bemühung um Aneignung bzw. der Bemühung um Untersuchung des im Text Gesagten entweder eine Tendenz in Richtung auf Orientierung am Modell normaler Sachforschung dominiert oder eine Tendenz in Richtung auf Orientierung am Übersetzungsmodell. Wir haben ja ausführlich gezeigt, wie sich die beiden Hauptpositionen der Kontroverse an den entsprechenden Konstellationen orientieren. (ii) Bei der hermeneutischen Distanz, um die es in der zweiten Unterscheidung geht, handelt es sich um den Abstand zwischen den Standorten des Interpreten und des Interpretandums (bzw. des Autors desselben) hinsichtlich Geschichte, Kultur, Sprache, Gesellschaft etc. und damit um das Verhältnis und den Abstand zwischen den Systemen/Rahmen, aus denen heraus sich Interpret und Autor zur Welt verhalten und durch die ihr kognitives, praktisches und emotionales Verhalten zur Realität bestimmt wird. – Die hermeneutische Distanz ist wichtig für das Geltungsproblem, weil (a) von ihr abhängt, ob überhaupt eigens vermittelt/
Zu dieser Unterscheidung gehört auch die Differenz zwischen einer Form des Verstehens, bei der der Interpret das zu Verstehende eigens und explizit anwendet auf sich und seine Verhältnisse und der konträren Form, bei der auf explizite Applikation gerade verzichtet wird, die Differenz etwa zwischen dem Verstehen eines Regisseurs, der das Theaterstück durch Aktualisierung eigens auf seine Zeit appliziert und dem Verstehen des Philologen, der sich hier zurückhält. Man könnte diese Formen ja als anwendendes und bloß betrachtendes Verstehen unterscheiden. Man darf hier nur nicht übersehen, dass es bei dieser Unterscheidung nicht um die Alternative: Anwendung oder keine Anwendung geht. Es kann sich hier nur um ein Mehr oder Weniger handeln.Verstehen ist nie nur Betrachten des Interpretandums, es ist immer und vor allem Aneignen des Gesagten/ Gemeinten und d. h. Assimilation, Ergänzen, Applikation des Interpretandums. Reines Betrachten gibt es nach dem Vorausgehenden nur im Extremfall primärer Objektivierung (Akustiker), aber in diesem Fall wird gerade darauf verzichtet, das Interpretandum zu verstehen.
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen
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übersetzt werden muss zwischen den Instanzen und wenn ja, welcher Art und wie groß jeweils die Vermittlungsleistung sein muss und weil (b) nur dann, wenn überhaupt mit hermeneutischer Distanz zwischen Interpret und Interpretandum gerechnet wird und verschiedene Interpreten jeweils verschiedenen Abstand zu überwinden haben, das Problem des Immer-anders-Verstehens überhaupt entsteht. – Hier gilt: Je geringer die hermeneutische Distanz (die gegen Null gehen kann), desto größer die Chance, so etwas wie identisches (objektiv und intersubjektiv richtiges) Verstehen zu erreichen und je größer die Distanz, desto größer auch das Problem des Immer-anders-Verstehens. (iii) Die dritte Unterscheidung läuft über die Art und den Umfang des Interpretandums. Von der Art und dem Umfang des Interpretandums hängt ab, von welcher Art und wie reichhaltig das als Vorverständnis (bzw. Vorurteil) durch die Generalfrage ins Spiel zu bringende Vorwissen des Interpreten sein muss und wie groß die Chancen sind, dass dieser jenes kontrollieren (und – in Grenzen – neutralisieren) kann. Hier gilt: Je kürzer der Text ist, desto geringer die Zahl der zu investierenden Vorurteile (wie immer hier gezählt wird) und desto leichter deren Kontrolle. Hier ist auch die Differenz wichtig zwischen Interpretationen, die sich auf ganze Texte beziehen und solchen, die nur kleine Ausschnitte daraus (Snell) thematisieren. Und hier gilt weiter: Je mehr verschiedenartige Inhalte vom Text berührt werden, desto schwerer ist es für den Interpreten, die Kontrolle über seine Investitionen zu bekommen. Als Extreme können hier genannt werden: Auf der einen Seite umfangreiche Romane, die den Interpreten dazu zwingen, sein gesamtes multiperspektivisches lebensweltliches Wissen in voller Breite (etwas, das er unmöglich in Gänze kontrollieren kann) zu investieren; auf der anderen Seite: formale, z. B. mathematische Texte, bzw. wissenschaftliche Texte, die aus nur einer (zudem relativ gut kontrollierbaren) Perspektive her verfasst sind. c) Die vorgeführten drei Unterscheidungen sind verantwortlich für die Hauptdimensionen systematischer Variation von Verstehensbemühungen. Zusammengenommen führen sie – wie gesagt – zu einer großen Zahl von verschiedenen Formen des Verstehens. Einige besonders aufschlussreiche davon wollen wir uns jetzt etwas näher ansehen. 1. Aneignendes elementares (naives) Verstehen und zugehörige Subtypen. Das elementare Verstehen insgesamt (mit seinen Sonderformen) hat aus zwei Gründen einen Sonderstatus unter den Verstehenstypen. Es ist (und zwar als aneignendes elementares Verstehen) erstens die Form des Verstehens, für die die Interpretanda in der Regel eigens gemacht und zugeschnitten werden. Es kann insofern als die Grundform des Verstehens angesehen werden. Zweitens gilt von ihm, dass hier mindestens im Prinzip so etwas wie identisches Verstehen, punktgenaues Treffen des Interpretandums so, wie dieses vom Autor gemacht und gemeint ist, möglich ist. Weil Interpret und Interpretandum demselben Spiel, demselben Rahmen an-
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
gehören, weil dieselbe Sprache verwendet wird, derselbe Hintergrund hüben und drüben im Spiel ist, kann der Interpret das Interpretandum (und zwar selbst bei aneignendem Verstehen) genauso ergänzen, wie der Autor das, was er als ergänzungsbedürftiges Gebilde ins Spiel brachte, für sich ergänzt. Das Amalgam, das sich aus Ausgedrücktem und jeweiliger subjektiver Ergänzung ergibt, kann hier beim Interpreten und Autor völlig gleich sein. Das Hauptziel (das Aneignen und das sich als subjektive Praxis Verfügbar-Machen des jeweils Gesagten) und das Nebenziel der jeweiligen Bemühung (das genaue Treffen, das identische Verstehen desselben) sind wegen der besonderen Konstellation: Interpret – Interpretandum vollständig vereinbar. – Damit wird hier Freges Forderung (aus „Der Gedanke“), dass wir, wenn sachliche Diskussion möglich sein soll, in der Lage sein müssen, fremde Gedanken punktgenau zu fassen, mindestens im Prinzip realisierbar. Die Argumente (A1 und A2) oben können damit partiell entkräftet werden: Es gibt einen Falltyp, bei dem so etwas wie (objektiv und intersubjektiv) richtiges-Verstehen möglich ist und dabei handelt es sich sogar um den grundlegenden Normalfall des Verstehens Allerdings sind hier Einschränkungen nötig: Selbst wenn Interpret und Autor global derselben historischen Epoche, derselben Kultur, derselben Gesellschaft etc. angehören, kann dennoch der für Verstehensleistungen jeweils relevante Hintergrund in Einzelheiten bei beiden verschieden sein („Ideolekte“). Ja, von vollständiger Identität des jeweils investierten Backgrounds (Searle) kann genaugenommen selbst dann nicht die Rede sein, wenn es sich beim Interpreten und Autor um dieselbe Person handelt, weil sich der Background in der Zeit ständig verändert. Aber es gibt hier je nach den besonderen Umständen Relevanzgrenzen, d. h. Grenzen für das Zählen derartiger bloß regionaler Unterschiede. Solche Unterschiede können wichtig sein z. B. für das Verstehen von Anspielungen, die nur innerhalb eines kleinen Kreises überhaupt bemerkt werden können. Sie sind es in vielen Fällen (z. B. bei mathematischen oder wissenschaftlichen Texten) jedoch nicht. Und diese Relevanzgrenzen machen dann trotz allem punktgenaues Verstehen (etwas, das als punktgenaues Verstehen in der relevanten Hinsicht zählen kann) mindestens prinzipiell möglich. Hinzu kommt: Es gibt Sonderformen des elementaren Verstehens, bei denen dies identische Verstehen nicht nur prinzipiell möglich, sondern sogar wahrscheinlich, ja der Regelfall, ist. Das ist der Fall beim elementaren (aneignendem und betrachtendem) Verstehen von kurzen, übersichtlichen Texten (auch Ausschnitten von Texten), von wissenschaftlichen (monoperspektivischen) Texten (1a), nicht dagegen bei langen Texten (paradigmatisch: Romane), die sich multiperspektivisch auf große Teile der Lebenswelt beziehen, bei Texten also, bei denen – wir erinnern daran – der größte Teil der Verstehensbemühung unvermeidlich implizit und unkontrolliert stattfindet (1b).
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen
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Freilich ist hier ersichtlich langfristiges Immer-besser-Verstehen unmöglich, und das bestätigt auf eine aufschlussreiche Weise unsere Hauptthese, dass Verstehensbemühungen nicht ohne Weiteres nach Art der Realwissenschaft als Projekte der Menschheit aufgefasst werden sollten: Die durch die Zugehörigkeit von Interpret und Interpretandum zum selben Rahmen gegebene prästabilierte Harmonie zwischen beiden, die Möglichkeit vollständiger Übereinstimmung der Amalgame hüben und drüben bzw. die Möglichkeit streng intersubjektiv gültiger Resultate besteht ja nur für die Zeit (und den Bereich), in der (bzw. in dem) der Rahmen tatsächlich beiden gemeinsam ist. Danach zerfällt diese Harmonie. Jenseits davon ist dann hermeneutisches Verstehen erforderlich. Die Intersubjektivität der Resultate ist also stark restringiert. 2. Aneignendes hermeneutisches Verstehen und zugehörige Subtypen. So wie das elementare aneignende Verstehen als Grundform des Verstehens überhaupt gelten kann, so kann das aneignende hermeneutische Verstehen als Grund- bzw. Normalform des Verstehens angesehen werden, bei dem eine nennenswerte hermeneutische Distanz zu überwinden ist.¹²⁵ Der Interpret verhält sich hier trotz der Verschiedenheit der Rahmen, denen Autor und Interpret angehören, im Wesentlichen als Mitspieler zum Text, will sich die Antwort des Textes über die Sache aneignen und bemüht sich allenfalls hilfsweise und im Dienste der dominierenden Bemühung um die Sache um Hypothesen über den (schwach) sekundär objektivierten Text. Dieses hilfsweise eingebrachte vergegenständlichende Vorgehen gegenüber dem Text, der hier eigentlich und primär den Status einer anzueignenden – zuerst fremden, dann gemeinsamen – subjektiven Praxis (und nicht den eines Gegenstandes) hat, hat zwei Hauptfunktionen: Es soll erstens dafür sorgen, dass der Text nicht verfehlt wird, dass er selbst und nicht etwas anderes getroffen wird. In dieser Funktion ist es die Fortsetzung der oben dargestellten auf vielen Ebenen zugleich stattfindenden kognitiven Bemühungen, die die Infrastruktur des Verstehens ausmachen.¹²⁶ Und es soll zweitens verhindern, dass das jeweils vom Interpreten investierte Vorverständnis einfach naiv eingebracht wird und den fremden Sinn vorschnell an Eigenes assimiliert. Das Interpretandum soll ja auch als fremder Text gewürdigt werden können. Das objektivierende Vorgehen dient dagegen nicht dem Zweck eine eigenständige
Texte werden in der Regel verfasst und gelesen, weil Autor und Interpret sich über die Sache verständigen wollen (nicht über Texte). – Als Normalfall zeigt sich diese Form des Verstehens selbst dann, wenn das betrachtende Verstehen eigens ins Spiel gebracht wird. Dies letztere geschieht in der Regel nur mit Bezug auf bestimmte Teile oder Aspekte von Interpretanda und ist als solches angewiesen auf Einbettung in bzw. Ergänzung durch aneignendes Verstehen des ganzen Interpretandums, das damit die Basis des Ganzen ist (vgl. z. B. die Untersuchungen von Snell). Vgl. o. S. 44 ff.
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
Repräsentation des Interpretandums, eine um ihrer selbst willen interessierende Hypothese oder Theorie über das Interpretandum zu erstellen. – Interpretanda/ Texte können – wie wir gesehen haben¹²⁷ – ganz verschieden stark objektiviert werden. Das objektivierende Verhalten, das zum aneignenden hermeneutischen Verstehen gehört, nimmt nur einen Teil des Gesamtspektrums der Objektivierungsmöglichkeiten ein und zwar den Teil, in dem schwächer objektiviert wird. – Es ist das Hauptziel, das durch das aneignende hermeneutische Verstehen erreicht werden soll, dass ein schon gegebenes (damit der Menschheit schon gehörendes) Interpretandum, eine schon gegebene Antwort über etwas, für bestimmte Personen/Personengruppen, die bisher keinen Zugang dazu hatten, nun zugänglich und verfügbar gemacht wird, dass es möglich gemacht wird, dass die fremde Antwort (auch) von ihnen als subjektive Praxis – angeeignet, von ihnen in Betrieb genommen, bei ihnen zur Wirkung gebracht wird. Dazu ist es erforderlich, dass das Anzueignende trotz aller Fremdheit, die berücksichtigt und gewürdigt werden muss, gleichwohl dem jeweils Eigenen der Aneignenden, in das es eingebettet, an das es angeschlossen werden soll, assimiliert und durch die Aneignenden ergänzt (d. h. qua subjektive Praxis funktionsfähig gemacht) wird. Dies aber bedeutet, dass es langfristig – und langfristig wechseln die Standorte, von wo aus jeweils angeeignet werden soll – zu immer anderen Amalgamen aus Fremdem und Eigenem kommen muss, dass insofern langfristig immer anders verstanden werden muss. Diese Form des Verstehens ist klar am Modell der Aneignung und Übersetzung orientiert, zu ihm gehört eine deutliche Tendenz in Richtung auf das Immer-anders-Verstehen. Und daran kann und soll im Normalfall des aneignenden hermeneutischen Verstehens auch die gegenläufige Bewegung der kritischen Reflexion des Interpreten auf seine Vorurteilsstruktur nichts Wesentliches ändern. Denn, was jeweils stillschweigend ergänzt wird, gehört zumeist zu den selbstverständlichen lebensweltlichen Basisüberzeugungen des Interpreten, ist Teil der Basis seines ganzen geistigen Lebens, in das das Neue ja integriert werden soll. Ein Versuch, das Ganze dieser Überzeugungen kritisch zu neutralisieren, würde darauf hinauslaufen, den Interpreten selbst ganz aus dem Spiel zu nehmen. Es kann also allenfalls teilweise neutralisiert, bzw. reflexiv kontrolliert und diszipliniert werden. Haupt- und Nebenziel der jeweiligen Bemühung (Aneignung bzw. Treffen, identisches Verstehen des Gesagten) sind hier wegen der veränderten Konstellation: Interpret – Interpretandum, nicht in derselben Weise vereinbar wie beim pragmatischen Verstehen. Die Frage ist dann, welche Konsequenzen sich daraus im Einzelfall ergeben können. – Soweit das generelle Bild für den Normalfall des
Vgl. o. S. 17 ff.
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen
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aneignenden hermeneutischen Verstehens. Hier behält Gadamer (bzw. die Position II b) weitgehend recht. Nun gibt es verschiedene Formen des aneignenden hermeneutischen Verstehens. Zu ihnen kommt es einmal durch Variation im Grad der Objektivierung des Interpretandums und im Ausmaß der – korrespondierenden – expliziten kritischen Selbstreflexion des Interpreten, zum anderen durch die Art der Texte. (2a) Betrachten wir zunächst Falltypen, die durch Variation von Objektivierungsgrad und Grad der Selbstreflexion des Interpreten zustande kommen im Falle von langen, komplexen, lebensweltlichen Texten (Romanen, Reiseberichten etc.). Charakteristisch für derartige Texte ist, dass es sich in der Regel um längere, vielschichtige Texte handelt, bei denen sehr viele verschiedenartige Themen und Inhalte zur Sprache kommen, die selbst viele verschiedenartige Aspekte bieten, die aus verschiedenen Perspektiven artikuliert werden und denen auf Seiten des Interpreten ganz verschiedene Interessen entsprechen. Kurz, die Komplexität des „Gegenstandes“ der Bemühung ist kaum zu überbieten. Hier gilt dementsprechend: Der Interpret muss im Prinzip sein gesamtes multiperspektivisches lebensweltliches Wissen, Können, Fühlen und Werten als Resonanzboden einsetzen, als den Komplex, in den das Neue des Interpretandums integriert, an das es assimiliert und aus dem heraus es ergänzt werden soll, um das Interpretandum zum Sprechen zu bringen, und kann allenfalls kleine Teile des Investierten kritisch kontrollieren. Der weitaus größte Teil der Verstehensbemühungen geschieht daher quasi automatisch, ohne dass der Interpret davon deutliches, explizites Wissen hat und zu expliziter Kontrolle fähig ist.¹²⁸ Der Spielraum für Variation, d. h. für verschiedene Formen des aneignenden Verstehens liegt hier zwischen Spielarten, bei denen sich die Standortgebundenheit des Interpreten fast ungebremst durchsetzt (Beispiele finden sich im naiven Verstehen ungeübter Interpreten z. B. von Personen, die den Text ausschließlich um der Sache willen lesen, aber auch im sogenannten „Regietheater“) auf der einen Seite und Spielarten, bei denen vorsichtige Philologen mit ausgeprägtem historischen Bewusstsein versuchen, zwar den Text verständlich über die Sache sprechen zu lassen, aber dabei zugleich das Ungewohnte, Fremde des Textes so deutlich wie möglich zu machen, bei denen also die Standortgebundenheit des Interpreten nur deutlich gebremst wirksam wird. Der Spielraum für
Der größte Teil der Leistungen wird hier erbracht per implizites Handlungswissen, das sich auf so verschiedene Dinge wie die Semantik, Syntaktik, Pragmatik des Textes bezieht, auf Kommunikationsverhältnisse, zu denen er gehört, vor allem aber auf dasjenige, worüber gerade kommuniziert wird, die Welt in verschiedensten Hinsichten etc., und das dies alles zusammenbringt.
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
diese Falltypen, bei denen – wie gesagt – das Hauptziel in der Aneignung des Gesagten, im Verfügbar-Machen desselben als subjektive Praxis liegt¹²⁹, ist nur der zwischen mehr oder weniger Assimilation des Textes an die Gedankenwelt des Interpreten. Dies ist auch der Spielraum, der für gute Übersetzungen offensteht. Ein Treffen des Textes, genau so, wie er vom Autor gemeint ist (die völlige Gleichheit der Amalgame, die sich ergeben könnten auf Seiten des Autors und des Interpreten), eine vollständige Neutralisierung der standortbedingten subjektiven Investitionen des Interpreten ist hier – wegen der gegenüber dem elementaren Verstehen neuen Konstellation zwischen Interpret und Interpretandum – weder erreichbar noch angestrebt. Man könnte nun fragen: Wenn die Verhältnisse so liegen, dass hier durch Objektivierung des Textes, durch kritische Reflexion auf Eigenes, der Text, so wie er ist, bzw. wie er ursprünglich gemeint war, genau genommen doch nicht getroffen werden kann, warum dann die Mühe? Warum dann nicht gleich umstandslose naive Aneignung des Fremden? Die Antwort darauf ist, dass dann Erkenntnischancen verschenkt werden, Erkenntnischancen, die darin liegen, dass das Fremde des Interpretandums nicht einfach übersehen und negligiert (d. h. stillschweigend und ohne Bewusstsein davon assimiliert) wird, sondern eigens als Fremdes, als spezifisch andere Art, mit dem Gegenstand umzugehen, mindestens teilweise sichtbar und verfügbar gemacht wird.¹³⁰ Es ist charakteristisch für gute, kluge Übersetzungen, dass sie auch derartiges leisten. (2b) Wenden wir uns nun Falltypen zu, bei denen ein Interpret in der Weise des aneignenden hermeneutischen Verstehens sich mit (in verschiedenen Hinsichten) einfachen Texten (sehr kurzen Texten, kurzen Ausschnitten aus Texten, wissenschaftlichen, formalen Texten) auseinandersetzt und dabei sein Interpretandum verschieden stark objektiviert. Der Hauptpunkt ist hier, dass durch die Art der Texte die Komplexität der Verstehensbemühungen reduziert wird, dass so die Möglichkeit expliziter reflexiver Kontrolle dieser Bemühungen gefördert wird und damit übertrieben vorschnelle Assimilation des Fremden an das Eigene des Interpreten verhindert werden kann. Zu dieser Komplexität kommt es vor allem aus zwei Gründen. a) Das Verstehen von Texten über Sachen ist schon als solches genaugenommen etwas sehr Komplexes. Schon als bloße linguistische Gebilde sind Texte vertikal und horizontal sehr komplex gebaute Phänomene.¹³¹ b) Wenn nun ein Text sich zudem Es geht um Optimierung der Vermittlung, der der Sache dienenden Kommunikation, nicht um das Betrachten/Untersuchen der Kommunikationsmittel. Hermeneutisches Verstehen kann insofern zur Bereicherung des Interpreten führen, als ihm dadurch fremde Möglichkeiten subjektiver Praxis zugänglich und verfügbar werden können. Vgl. o. S. 97 f.
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen
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auf größere Ausschnitte der Lebenswelt bezieht, derart dass der Interpret größere Teile seines lebensweltlichen Wissens und Könnens zum Verstehen mobilisieren muss, dann gerät das Verstehen dadurch zusätzlich in die Abhängigkeit von der überkomplexen, sich zudem ständig verändernden Unübersichtlichkeit der Lebenswelt. Die Folge ist, dass hier im Regelfall der weitaus größte Teil der Verstehensleistungen nur intuitiv, implizit und weitgehend ohne reflexive Kontrolle erbracht werden kann. Beide Faktoren sind jedoch abhängig von der Art der Texte. Wenn es sich um kurze, übersichtliche und/oder besonders durchsichtige Texte handelt, dann wird offenbar die erste Form von Komplexität reduziert. Dann gilt: Das Verhältnis zwischen den explizit kontrollierten Leistungen und den bloß implizit, intuitiv erbrachten Leistungen beim Verstehen verschiebt sich zugunsten der ersteren. Ja dann kann es möglich und ökonomisch vertretbar werden, dass der Interpret sich um fast alle Details des Interpretandums und um fast alle Einzelheiten seines als Vorverständnis investierten Vorwissens explizit kümmert, etwas das bei komplexen längeren Texten aus zeitlichen und ökonomischen Gründen ausgeschlossen ist.¹³² Wenn es sich um Texte handelt, bei denen der Interpret, um sie zu verstehen, nicht unmittelbar auf das Ganze (oder große Teile) seines lebensweltlichen Wissens und Könnens zurückgreifen muss, z. B. weil der Gegenstandsbereich, über den der Text handelt, klar von der Lebenswelt unterschieden oder getrennt ist (wie es z. B. bei wissenschaftlichen Texten der Fall ist), dann wird die zweite Form von Komplexität reduziert. Denken wir nun an Verstehensbemühungen um solche Texte, bei denen zudem stärker objektiviert wird, Bemühungen, bei denen also das unmittelbare Interesse an der Sache gezügelt wird durch das zusätzliche Interesse, der Fremdheit des Interpretandums eigens gerecht zu werden, die Fremdheit des fremden Zugriffs auf die Sache eigens zu würdigen, bei denen der Interpret sich gegen vorschnelle und naive Assimilation des Fremden ausdrücklich sperrt: Hier wird der Interpret für seine expliziten Anstrengungen in dieser Richtung, die ja, weil sie explizit stattfinden, bei ihm im Fokus stehen, universale Geltungsansprüche erheben. Er wird Fortschritte, die er dabei macht, als Fortschritte in Richtung auf Resultate, die für jedermann gültig sind, verstehen. Und derartige Geltungsansprüche werden besonders überzeugend klingen, wenn z. B. bei kurzen wissenschaftlichen Texten beide Formen der Komplexitätsreduktion zusammenkommen. – Nun sind diese Geltungsansprüche plausibel für die expliziten im Fokus stehenden Bemühungen. Sie sind es jedoch nicht, wenn sie auf die jeweils ge-
Ausnahmen sind besonders wichtige Texte: Heilige Texte, kanonische Texte, Großklassiker etc.
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
samte Interpretationsleistung bezogen werden. Zu erinnern ist: Es geht hier, selbst wenn stärker objektiviert wird, gleichwohl noch um aneignendes hermeneutisches Verstehen. Das heißt, am Ende muss doch trotz aller Bemühungen, die Fremdheit des Fremden zur Geltung zu bringen, etwas von der Art einer Übersetzung entstehen, ein Amalgam aus Fremden und Eigenem des Interpreten, und derartige Resultate sind nicht für alle gleichermaßen gut. Das Beispiel von Snell kann die Sache illustrieren: Das Oberziel ist hier, herauszubekommen, was genau berichtet Homer über die Vorgänge vor Troja. D. h. es geht letztlich um aneignendes hermeneutisches Verstehen der Ilias. Nun entstehen beim Versuch der Aneignung des Gesagten an bestimmten Stellen Schwierigkeiten. Genau zu verstehen, möglichst genau zu treffen, was an diesen Stellen gesagt wird, ist das Unterziel der relativ stark objektivierenden Bemühungen von Snell, die im Dienste dieses Oberziels unternommen werden. Snell betrachtet dazu eine kleine Auswahl von kurzen Textausschnitten genauer. Er versucht die Bedeutung von bestimmten von Homer verwendeten griechischen Ausdrücken für die Bereiche: Leib, Glieder, Handlung, Tod etc. möglichst präzise zu bestimmen. Er muss feststellen, er bekommt Schwierigkeiten, wenn er mit den für uns naheliegenden deutschen Übersetzungen für diese Ausdrücke durchzukommen versucht. Er fragt weiter: Was genau verstehen wir eigentlich unter den Ausdrücken, mit denen wir die fremden Wendungen zunächst übersetzen? Er kommt zur Einsicht, dass Homer die Ausdrücke ganz anders verstanden haben muss, als wir es in unseren ersten Übersetzungen unterstellen. Er macht Vorschläge, darüber, welche Ideen bei Homer tatsächlich wirksam gewesen sein könnten, überprüft diese und korrigiert sie am Text etc. – Man kann, was da geschieht, so zusammenfassen: Einerseits gilt: Dadurch dass er seinen Text relativ stark objektiviert, er seine kurzen Textausschnitte sehr langsam und sorgfältig liest, er an bestimmten Stellen sehr tief bohrt, hartnäckig nachfragt, kommt er a) dem, was Homer an diesen Stellen gemeint hat, deutlich näher. Es handelt sich hier um etwas, das wir als wissenschaftlichen Fortschritt ansehen müssen. Und er kommt b) dazu, wichtige Teile der eigenen Investitionen für sich explizit zu machen und zu kontrollieren. Hier haben wir mit Fortschritt beim Versuch des Interpreten, seine Standortgebundenheit zu überwinden, zu tun. Diese Fortschritte betreffen die Leistungen des Interpreten, die an der Oberfläche liegen, die dieser explizit erbringt. – Andererseits aber geht es (letztlich) um aneignendes hermeneutisches Verstehen. D. h. die genaue Bedeutung der problematischen Wendungen wird ermittelt und wiedergegeben in unseren Ausdrücken, die damit unseren Background ins Spiel bringen, die neu gewonnene Bedeutung in unserem Sinne einfärben. Schon das, was als neue Bedeutung der einzelnen Textstelle durch philologische Forschung etabliert wird, ist dann ein Amalgam aus Fremden und Eigenem. Vor allem aber: Die neu verstandenen relevanten Stellen müssen ja
3.3 Ein Lösungsvorschlag: Differenzierung nach Falltypen
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in Gesamtinterpretationen der Ilias zur Geltung gebracht werden und werden dann durch Einbettung in diese (die – wie wir gerade gesehen haben – geradezu unvermeidlich standortbedingt ausfällt) noch zusätzlich eingefärbt. Dennoch – wird in jedem Fall das, was anderenfalls ganz sicher stattgefunden hätte, die vorschnelle naive Assimilation des Fremden an die eigenen Vorstellungen des Interpreten, gestoppt. An dieser Stelle wird die Schwierigkeit, ja Vertracktheit des Geltungsproblems der Hermeneutik und ihre Gründe – der Ausdruck „Hermeneutik“ bezieht sich auf vieles sehr Verschiedenes, der Theoretiker ist hin und hergerissen durch die verschiedenen Evidenzen pro und contra das Immer-besser-Verstehen – relativ gut sichtbar: Wenn man die Snellschen Bemühungen abstrakt betrachtet, nur das berücksichtigt, was zur Vorderseite des Erkennens gehört, nur darauf achtet, dass eine bessere Repräsentation der Bedeutung bestimmter Ausdrücke (eine bessere Hypothese über diese) etabliert wird, nur thematisiert, was explizit geleistet wird, – und dies ist eine völlig legitime Perspektive bzw. Betrachtungsweise – dann liegt es nahe, diese Bemühungen als Teil eines wissenschaftlichen Prozesses anzusehen, der langfristig zu einem immer besseren Verständnis des Interpretandums führen würde. Wenn man dagegen aufblendet, auch die Rückseite des Erkennens berücksichtigt, das einbezieht, was implizit zu leisten ist, auch das heranzieht, was mit der In-Betrieb-Nahme des Neugewonnenen als subjektiver Praxis des Interpreten verbunden ist, dann sieht man, dass langfristig auf diese Weise immer andere Amalgame entstehen werden. Auch dies ist eine legitime Betrachtungsweise des Ganzen, letztlich ist sie umfassender und angemessener als die erstere. 3. Betrachtendes hermeneutisches Verstehen und zugehörige Subtypen. Es geht um das kognitive Verhalten von Interpreten, bei dem a) eine nennenswerte hermeneutische Distanz zwischen Interpret und Interpretandum zu überwinden ist und bei dem b) der Interpret sich mit dem Interpretandum nicht auf die übliche, vom Spiel (der Kommunikation) bzw. vom Autor her vorgesehene Art auseinandersetzt, sondern auf eine andere davon abweichende Art. Der Interpret tritt hier nicht primär als Mitspieler im Spiel der Kommunikation auf, der sich darum bemüht, die fremde Antwort über die gemeinsam interessierende Sache sich als fremde subjektive Praxis verfügbar zu machen. Er kommt vielmehr ins Spiel als Betrachter, der das Interpretandum als Gegenstand untersucht, von dem zutreffende Repräsentationen, über den wahre Hypothesen zu erstellen sind. Wir haben hier nicht mit dem Normalfall hermeneutischen Verstehens zu tun, für den die Interpretanda üblicherweise geschaffen werden, sondern mit einer speziellen Variante (die freilich für die Geisteswissenschaften eine erhebliche Bedeutung hat). Dafür aber handelt es sich hier um kognitive Bemühungen, bei denen Ziele, Standards und Verfahren mindestens prima facie weitgehend dem entsprechen, was beim epistemologischen Standardfall, der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-
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Relation, üblich ist. Das Hauptziel ist Wahrheit über das Interpretandum; dazu führen soll ein Forschungsprozess (in Auseinandersetzung mit anderen Interpreten), zu den – der Idee nach langfristig konvergierenden – Resultaten und Zwischenresultaten werden universale Geltungsansprüche erhoben. – Allerdings entsprechen die Bemühungen diesem Muster nur weitgehend, aber nicht vollkommen. Wenn die Entsprechung vollkommen wäre, hätten wir mit dem – uns schon bekannten Falltyp des Akustikers zu tun, der seinen Gegenstand vollständig, also primär objektiviert, dies freilich um den Preis, dass sein Gegenstand für ihn den Charakter eines bedeutungstragenden Zeichenkomplexes verliert. Der Interpret untersucht daher sein Interpretandum nur im Modus sekundärer Objektivierung, d. h., er betrachtet, untersucht etwas, das er zugleich als subjektive Praxis, als Rede über etwas, in Anspruch nimmt. Sofern er es jedoch in dieser Weise verwendet, hat er es immer schon aus Eigenem ergänzt, ans Eigene assimiliert. Sein Untersuchungsgegenstand ist damit immer schon ein Amalgam aus Fremden und Eigenem. Und dieser Umstand durchkreuzt die zuerst genannte Tendenz, denn das Amalgam, dem die langfristige Forschung gelten soll, ändert sich ja, wenn die jeweiligen Interpreten mit der Zeit ihren Standort ändern, was bei langfristiger Forschung kaum zu vermeiden ist. – Das betrachtende hermeneutische Verstehen ist also wie die anderen Formen des Verstehens auch generell durch zwei miteinander in Spannung stehende gegenläufige Tendenzen charakterisiert und kann als solches nicht umstandslos als Bemühung, das Interpretandum langfristig immer besser zu erkennen, begriffen werden. Typische Fragen eines Interpreten im Sinne dieses Falltyps sind etwa: Zum einen: Welche Struktur hat dieser Text? Auf welche Weise versucht der Autor hier sein Ziel zu erreichen, welche Hilfsmittel setzt er dabei ein? Welchen Zugang zur Sache wählt er hier? etc., zum anderen: Was ist hier generell möglich? Welche Regeln und Gesetze sind in solchen Fällen wirksam? – Solche Fragen können um ihrer selbst willen in eigenständigen Projekten beantwortet werden. Sie können aber auch im Dienste anderer Projekte, insbesondere im Dienste des aneignenden Verstehens des jeweiligen Textes (z. B. in Exkursen) bearbeitet werden. – Disziplinen, die für derartige Fragen zuständig sind, sind z. B.: Linguistik, Literaturwissenschaft, Kommunikationstheorie, Rhetorik. Verschiedene Subtypen des betrachtenden hermeneutischen Verstehens ergeben sich – wie im Falle des aneignenden Verstehens – einmal durch Variation im Grad der Objektivierung und zum anderen durch die Verschiedenheit der Texttypen, denen jeweils die Bemühung gilt. In beiden Hinsichten geht es um das relative Gewicht, das die beiden involvierten Verhaltensweisen: Distanziertes Betrachten des Interpretandums qua Objekt einerseits – In-Anspruch-Nehmen des Interpretandums qua subjektive Praxis aus der Position des beteiligten Mitspielers andererseits, im Ganzen der jeweiligen kognitiven Bemühung um das
3.4 Schluss
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Interpretandum haben. Zu dem, was das Geltungsproblem hier so schwierig macht, zu wechselnden, schwer kontrollierbaren Amalgamen aus Eigenem und Fremden, kommt es nur dadurch, dass der Interpret das Interpretandum immer auch als subjektive Praxis in Anspruch nehmen (und ergänzen) muss. Je mehr nun das Interpretandum nur als Gegenstand interessiert, es nur um die Struktur des Textes geht, die Sache selbst, bzw. das, was der Text über die Sache zu sagen hat, unwichtig ist (die Sache etwa nur als beliebiges austauschbares Beispiel ins Spiel kommt), desto unwichtiger ist das Zustandekommen jeweils immer anderer Amalgame für die entstehenden Untersuchungsresultate und desto weniger tangiert dies den Wert dieser Resultate. Zugleich gilt: Je einfacher, übersichtlicher, kürzer die jeweiligen Interpretanda sind, je klarer sie separierbar sind von der Unübersichtlichkeit der komplexen Lebenswelt, desto besser kann das Problem der wechselnden Amalgame, das der Hauptintention: Immer bessere Hypothesen über das Interpretandum zu gewinnen, in die Quere kommt, kontrolliert werden.
3.4 Schluss Wir kommen zum Schluss. Es ist deutlich geworden: Hermeneutische Gegenstände, Interpretanda, Texte, die selbst wesentlich Gedanken über Sachen enthalten, sind merkwürdige „Gegenstände“ für kognitive Bemühungen. Sie haben wesentlich zwei verschiedene Seiten. Sie sind einerseits Gegenstand von Erkenntnis. Sie haben aber zugleich den Charakter von Antworten über etwas, von subjektiver Praxis. Beide Seiten verlangen ganz verschiedene kognitive Verhaltensweisen beim Interpreten, und diese Verschiedenheit ist wichtig für das Geltungsproblem. Qua Gegenstände der Erkenntnis müssen sie betrachtet, untersucht werden. Es gilt, angemessene Repräsentationen von ihnen, wahre Hypothesen über sie zu erstellen, und diese werden gewonnen in Forschungsprozessen, die der Idee nach langfristig konvergieren sollten. Zuständig ist hier das Modell der Sachforschung, die langfristig zu immer besseren, für alle gültigen Ergebnissen führen soll. Im Zentrum steht, was wir die „Vorderseite der Erkenntnis“ genannt haben (das Erstellen und Prozessieren von Hypothesen über x). – Qua Antworten, bzw. qua subjektive Praxis dagegen müssen sie selbst angeeignet, integriert werden (sie selbst, nicht Repräsentationen von ihnen). Es gilt, sie im Eigenen des Interpreten zu verankern, sie in Betrieb zu nehmen, sie zur Wirkung zu bringen, und dazu ist eine die Partikularität des Interpreten eigens berücksichtigende Leistung der Vermittlung zwischen dem Fremden und dem Eigenen des Interpreten erforderlich. Zuständig ist hier das Modell der Übersetzung (die je nach Zielsprache immer andere Resultate liefert). Im Zentrum steht hier, was wir die „Rückseite der Er-
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
kenntnis“ genannt haben (das Einbetten und zur Wirkung Bringen der schon etablierten Hypothese beim Erkenntnissubjekt). Beide Verhaltensweisen kommen im Verstehen auf eine ganz besondere Weise zusammen¹³³, und es gilt: Einerseits arbeiten sie hier friedlich zusammen, insofern nämlich als das Betrachten des Interpretandums qua Gegenstand erforderlich dafür ist, dass das Aneignen das Interpretandum trifft und nicht vielmehr verfehlt, und als das Aneignen, Verwenden des Interpretandums dafür erforderlich ist, dass das, was getroffen und angeeignet werden soll, den Charakter von „etwas über etwas“ behält, ihn nicht – wie beim Akustiker – verliert. Andererseits aber stehen sie auch in Spannung zueinander insofern, als die Einstellung und Tätigkeit des Betrachters (der kommunikativen Verhältnisse) und die Einstellung und Tätigkeit des Mitspielers in der Kommunikation sich wechselseitig beschränken, sich jeweils nur auf Kosten der anderen realisieren lassen. (Wer das Spiel verlässt, um es bloß zu betrachten, spielt insofern nicht mehr mit, ist Spielverderber. Wer die Position des Betrachters verlässt, um als engagierter Mitspieler ins Spiel einzutauchen, verliert damit die Möglichkeit, das Spiel distanziert und neutral zu untersuchen.) Das hermeneutische Verstehen ist damit eine komplexe kognitive Bemühung, in der zwei grundverschiedene Teilleistungen spannungsreich zusammenwirken. Diese Teilleistungen können nun innerhalb der jeweils ganzen Verstehensbemühung verschieden großes relatives Gewicht haben, wodurch sich ein ganzes Spektrum von verschiedenen Verstehensformen ergibt. Und je nach dem Gewichtsverhältnis kann das Ganze der Verstehensbemühung selbst auf unterschiedliche Weise aufgefasst werden¹³⁴, nämlich entweder eher nach dem Modell der Sachforschung, bei der es um Optimierung der Repräsentation des Interpretandums, um langfristig immer bessere Resultate geht, oder eher nach dem Modell der Übersetzung, bei der es um (kurzfristige) Optimierung der Vermittlung zwischen Eigenem und Fremden geht (was langfristig zu immer anderen Resultaten führt).¹³⁵ Dies ist nicht die normale Zusammenarbeit von Vorder- und Rückseite der Erkenntnis. Normal ist: Der Erkennende bemüht sich um x, etabliert eine Hypothese über x und verstaut sie dann im Eigenen, d. h. die Vorderseite gilt der Bemühung um die Sache x, die Rückseite dem Verstauen der Hypothese über x. Hier dagegen gelten beide Bemühungen demselben (das Gesagte ist „Gegenstand“ und muss – qua Antwort – verstaut werden). Dies gilt sowohl für den Theoretiker der Hermeneutik als auch für den Interpreten selbst, der sich dann an diesem Verständnis orientiert, sein Handeln im Sinne dieses Verständnisses stilisiert. Faktoren, die an diesen verschiedenen für das Geltungsproblem wichtigen Auffassungen vom Verstehen zusätzlich mitwirken, sind einmal die Frage: Wie liegt hier der Fokus? Welche Leistungen des Verstehenden werden überhaupt berücksichtigt? Nur die explizit erbrachten oder
3.4 Schluss
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Es kommt hinzu, dass sich Verstehensformen außerdem noch wesentlich (so, dass es für das Geltungsproblem erheblich ist) nach weiteren Gesichtspunkten unterscheiden können, nämlich nach der hermeneutischen Distanz zwischen Interpret und Interpretandum, sowie nach der Art und dem Umfang des Interpretandums. Nun, wenn dies alles berücksichtigt wird, dann ist eine einfache einheitliche Lösung des Geltungsproblems für das hermeneutische Verstehen insgesamt nicht zu erwarten. Im Hinblick auf die Komplexität des Verstehens scheint es vielmehr zweckmäßig zu sein, zunächst zwischen verschiedenen Einzelformen des Verstehen zu unterscheiden, diese gesondert zu betrachten und erst dann nach der – wahrscheinlich komplizierten und blassen – Lösung für das Ganze zu suchen. Wir haben das getan und sind zu folgenden Ergebnissen gekommen: Vom wichtigsten Falltyp des Verstehens, vom elementaren oder pragmatischen Verstehen, gilt: Es kann (mit gewissen Einschränkungen) für beide Modelle und die jeweils zugehörigen Ziele und Standards reklamiert werden. Hier ist sowohl optimales Treffen des Interpretandums wie auch optimale Vermittlung zwischen dem Eigenen des Interpreten und dem Fremden des Interpretandums möglich (d. h., hier – beim Normalfall des Verstehens – ist das, was Frege fordert, grundsätzlich erreichbar). Beim hermeneutischen Verstehen im engeren Sinn lassen sich die verschiedenen Falltypen in einer Skala anordnen, bei der sich das relative Gewicht der Teilleistung, die sich am Sachforschungsmodell orientiert, anfangend bei einem Maximum sukzessive zugunsten der komplementären Leistung (Übersetzungsmodell) verringert. (Als Anfang und Sonderfall dieser Skala könnte hier der illustrativ wertvolle Falltyp des Akustikers erwähnt werden, der primär objektivierend vorgehend ganz dem Sachforschungsmodell folgt (er bildet sozusagen die Vollstufe der Objektivierung), der jedoch aus schon bekannten Gründen nicht in die Skala hineingehört.) Als Stufe 1 folgt dann ein Falltyp, bei dem der Interpret sich mit seinem Interpretandum via stark objektivierendes betrachtendes Verstehen auseinandersetzt, dabei aber den konkreten Inhalt des Interpretandums (aus verschiedenen
auch das was implizit geleistet wird? Zum anderen: Was gilt hier als tatsächlich erreichbares – insofern realistisches – Ziel? Ist es möglich, das im Interpretandum Gesagte punktgenau zu treffen? Kann es so etwas wie ein optimales (vielleicht sogar: für alle optimales) Amalgam geben? Ein dritter einschlägiger Faktor ist die in der Epistemologie verbreitete Gewohnheit, allein auf die Vorderseite der Erkenntnis abzuheben, die Rückseite zu übersehen, eine Übung, die dazu verführt das Verstehen grundsätzlich eher nach dem Muster der Sachforschung zu verstehen.
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Gründen) vernachlässigen kann.¹³⁶ Hier gelten die Ziele und Standards des Sachforschungsmodells (der Vorderseite der Erkenntnis) in aller Reinheit. Als Stufe 2 kann der Falltyp zählen, bei dem der Interpret sich mit seinem Interpretandum via stark objektivierendes betrachtendes Verstehen auseinandersetzt, dabei aber den konkreten Inhalt des Interpretandums gerade berücksichtigt. (Beispiele sind einmal theoretische Untersuchungen darüber, wie der Autor im Interpretandum mit seinem Thema umgeht, er mit seiner Sache (in verschiedenen Hinsichten) zurechtkommt. Aber auch theoretische Untersuchungen zu einzelnen inhaltlichen Fragen (wie z. B. die von Snell) gehören hier her.) Die genannten Standards sind hier zwar dominierend und wichtig – es gibt ein eigenständiges Interesse an Hypothesen über den Text, diese kommen nicht nur hilfsweise ins Spiel – aber sie sind nicht die einzigen, an denen sich der Interpret orientiert. Der Interpret muss ja die untersuchten Textteile zugleich – und zwar wesentlich – als Zeichengebilde verwenden, als Kommunikationsmittel in Betrieb nehmen, d. h. auch: sie möglichst effektiv mit Eigenem vermitteln, damit sie ihm etwas über die Sache sagen können. Und das durchkreuzt, wie wir gesehen haben, die zu diesen Standards gehörende Bemühung um langfristig konvergierende Forschung. Als Stufe 3 könnte man verschiedene Verstehensleistungen zusammenfassen, die zum Bereich des relativ stark objektivierenden aneignenden Verstehens gehören. Beispiele dafür liefern vor allem Verstehensbemühungen aus dem Umkreis der Bemühungen um Großklassiker, um Texte also, die immer wieder neu – und zwar auch im Detail – gelesen, interpretiert und untersucht werden, Texte zu denen es immer wieder neue Interpretationen, Kommentare, Wörterbücher, eigene Zeitschriften etc. gibt.¹³⁷ Hier ist in der Regel ein deutlich ausgeprägtes theoretisches Interesse der Interpreten an verschiedensten Eigenschaften der Texte selbst im Spiel, an der Struktur der Texte, dem Vorgehen des Autors bei seinen Vorhaben etc., und entsprechend sind die Ziele und Standards wissenschaftlicher Forschung zwar nicht klar dominant, aber sie spielen doch eine bedeutende Rolle. Es gibt auch hier ein eigenständiges Interesse an Hypothesen über das Interpretandum. Zugleich aber kommt auch das zweite Interesse, das Interesse an der Sache, von der die Texte handeln, das Interesse an Aneignung des
Die jeweils standortabhängige Ergänzung des Interpretandums bezüglich des konkreten Gehalts spielt daher keine Rolle für das Verstehensresultat. Wirksam wird hier (z. B. in der allgemeinen Linguistik) nur die Ergänzung bezüglich der allgemeinen invarianten daher standortunabhängigen Kommunikationsvoraussetzungen (die ja auch in diesem Fall „in Betrieb genommen“ werden müssen). Wir können Interpretationen wie die von Snell, die wir gerade zum Falltyp 2 gezählt haben im Prinzip auch hier verorten. Es gibt einen kontinuierlichen Übergang zwischen den Falltypen.
3.4 Schluss
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Gesagten, an Vermittlung, Applikation, Übersetzung explizit zur Geltung und mit ihm die dazu gehörenden Ziele und Standards. Pointiert gesagt: Es geht hier in der Regel nicht nur um wahre Hypothesen über verschiedene Aspekte des Goetheschen Alterswerks, sondern auch darum, dieses Werk für die Zeitgenossen wieder neu lesbar zu machen, seine Relevanz sichtbar werden zu lassen, verschüttete Zugänge dazu wieder zu öffnen. Vor allem daraufhin werden die Interpretationen beurteilt. Für die Beurteilung der Falltypen 2 und 3 als Beispiele für kognitive Bemühungen nach dem Muster des Modells für Sachforschung ist die Frage des Fokus sehr wichtig. Man kann – und das wird durch die übliche Verabsolutierung der Vorderseite der Erkenntnis begünstigt – die Falltypen so betrachten, dass ausschließlich die expliziten Bemühungen des Interpreten um theoretische Forschung in den Blick geraten und diese dann ganz im Sinne des Forschungsmodells verstehen. Das kann eine Rolle spielen, wenn Geisteswissenschaften meinen, ihre Wissenschaftlichkeit verteidigen zu müssen. Man kann aber auch aufblenden, auch die das Ganze tragenden überwiegend implizit erbrachten Leistungen der Aneignung berücksichtigen. Dann wird man bemerken, dass die durch die Gesamtleistungen entstehenden Amalgame trotz der gegenläufigen Tendenz der theoretischen Bemühungen um den Text je nach Standort des Interpreten dennoch immer anders ausfallen, d. h., dass die Bewegung des Immeranders-Verstehens hier nur jeweils ein Stück weit gebremst wird. Diese Einsicht läuft natürlich nicht darauf hinaus, dass die Leistungen des Interpreten als unwissenschaftlich (im Sinne von „irrational“ bzw. von „mangelhafter Rationalität“) angesehen werden. Im Gegenteil, sie sind völlig rational, sie gehorchen nur nicht einem einseitigen naiv verabsolutierten, hier deplatzierten Bild von Wissenschaftlichkeit. Es ist für unsere Zwecke nicht erforderlich, zwischen weiteren Stufen (4, 5 und eventuell 6) detailliert zu unterscheiden. Klar ist folgende Tendenz: Die Orientierung am Sachforschungsmodell wird in den folgenden Stufen schwächer, es geht immer weniger um eigenständige – für sich als wertvoll angesehene – Einsichten, Hypothesen über das Interpretandum. Derartige Hypothesen kommen vielmehr nur noch hilfsweise (zur Bemühung um Aneignung) ins Spiel, und ihre Rolle wird insgesamt geringer. Es dominiert dagegen immer mehr das Interesse an der Sache, von der das Interpretandum handelt und das davon abhängige Interesse an gelingender Vermittlung, an reibungsloser Kommunikation. Das (zur Rückseite der Erkenntnis passende) Übersetzungsmodell, das auf die Partikularität des Interpreten zugeschnitten ist, wird immer wichtiger. Das bedeutet: Das Interesse an Resultaten, die für jedermann gleich gut sind, tritt zurück. Die Idee einer durch entsprechende Bemühungen erreichbaren schlechthin intersubjektiv gültigen „final opinion“ löst sich auf.
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
Wenn wir uns nun die unterschiedenen Falltypen zusammen vergegenwärtigen, dann ergibt sich, dass die beiden Modelle, das der Sachforschung und das der Übersetzung mitsamt den zu ihnen gehörenden Zielen und Standards für das (hermeneutische) Verstehen insgesamt durchaus verschieden große Bedeutung haben. Es überwiegen klar die Falltypen, die am Übersetzungsmodell orientiert sind, und dies sind auch die zentralen, wichtigen Falltypen. Diejenigen, die sich dagegen am Sachforschungsmodell orientieren, sind weniger zahlreich und bei weitem weniger zentral. Das aneignende Verstehen ist eben der zentrale Normalfall des Verstehens und dies sowohl beim elementaren, wie auch beim hermeneutischen Verstehen. – Freilich gibt es die Falltypen tatsächlich, bei denen sich der Interpret (ganz oder überwiegend) am Sachforschungsmodell orientiert, und diese Falltypen können in der Diskussion über das Geltungsproblem eine relativ sehr große Rolle spielen, weil das begünstigt wird durch die genannten Faktoren: Der Fokus des Hermeneutik-Theoretikers liegt gewöhnlich auf den jeweils explizit erbrachten Leistungen, und üblicherweise wird in der Epistemologie die Rückseite der Erkenntnis zugunsten der Vorderseite der Erkenntnis negligiert. Doch beide Faktoren verzerren das Bild nur. In Wahrheit sind hermeneutische „Gegenstände“, Texte, zunächst gerade keine Gegenstände, über die wir etwas wissen wollen, sondern Antworten, die es selbst sind, was wir wissen wollen. Als solche werden sie in aller Regel auch von ihren Produzenten verstanden, für diesen Gebrauch werden sie von jenen eigens vorgesehen. Und das heißt: Hermeneutisches Verstehen ist zunächst einmal eine kognitive Leistung, die zur sog. Rückseite der Erkenntnis gehört, das Übersetzungsmodell ist maßgeblich. Bei den (immer schon im Besitz der Menschheit befindlichen) Interpretanda geht es primär darum, sie mit den partikularen Horizonten der jeweiligen Interpreten zu vermitteln, und dementsprechend werden die Resultate der Verstehensbemühungen immer anders ausfallen. Soviel zu den unterschiedenen Falltypen. Unser Lösungsvorschlag für das generelle Geltungsproblem der Hermeneutik insgesamt hat demnach folgende Form: Es dominiert das Übersetzungsmodell, und es gilt: Je mehr das Interesse des Interpreten auf die Sache geht, von der das Interpretandums handelt, desto stärker ist der Einfluss dieses Modells, je mehr das Interesse des Interpreten auf das Interpretandum, das Vermittelnde selbst geht, desto mehr kommt auch das Sachforschungsmodell ins Spiel, das sich jedoch in aller Reinheit nur in ganz extremen Fällen durchsetzen kann. Gemäß diesem Lösungsvorschlag bekommt Gadamers Konzeption, die ja bei Gadamer die grundlegende Opposition: „Rekonstruktion“ – „Integration,“ zur Voraussetzung hat, eine Opposition, die unserer Unterscheidung zwischen „Vorder- und Rückseite der Erkenntnis“ in Vielem entspricht, mehr Recht als die Gegenposition von Hirsch und Apel. Hirsch und Apel nehmen die Differenz zwischen den Leistungen: Wissen bzw. Hypothesen Gewinnen über das Interpre-
3.4 Schluss
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tandum einerseits und Aneignen, In-Betrieb-Nehmen des im Interpretandum Gesagten selbst, Leistungen, die nach meiner Auffassung entweder zur Vorderoder zur Rückseite des Erkennens gehören, nicht hinreichend ernst. Daher nehmen sie das Verstehen in gewissem Sinn einfach als normales Erkennen des Interpretandums und verabsolutieren dabei stillschweigend die Vorderseite des Erkennens. Damit messen sie aber das Verstehen am falschen Maßstab. Wir haben nun noch zwei Argumente zu behandeln: 1. Apel wirft Gadamer vor, er verstoße mit seiner These: „Verstehen ist in Wahrheit kein Besserverstehen … Es genügt zu sagen, dass man anders versteht, wenn man überhaupt versteht,“ die als das Resultat einer sich wesentlich auf hermeneutische Verfahren stützenden historisch-systematischen Erörterung zum Verstehen auftritt, gegen das Prinzip der Selbsteinholung. 2. Apel behauptet außerdem, dass überraschend große Bereiche der Geschichte entwicklungslogisch verstanden werden können und müssen, also normativ rekonstruiert werden sollten. In diesen Bereichen aber sei dann Immer-besser-Verstehen möglich. Zu 1. Wenn die These vom Immer-anders-Verstehen tatsächlich auf einen Verstoß gegen das Prinzip der Selbsteinholung (man darf, was man in Anspruch nehmen muss, um seine Thesen zu vertreten, nicht durch eben diese Thesen als unmöglich erklären) hinausläuft, dann muss sie zurückgezogen werden. – Nun kommt es zu einem solchen Verstoß allerdings nur, wenn man von einer bestimmten Konzeption vom Verstehen ausgeht, einer Konzeption, die die Unterscheidungen, die wir hier gerade eingeführt haben, ignoriert.¹³⁸ Apel differenziert zwar scharf zwischen (wie er selbst sagt) der „Erkenntnis in der Subjekt-ObjektRelation“ und der „Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation“. Aber unsere Hauptunterscheidung zwischen dem Erwerben von Hypothesen über das Interpretandum qua Gegenstand und dem Aneignen des Interpretandums selbst qua Antwort (mit allem, was dazu gehört) macht er gerade nicht, er redet nicht darüber. Er versteht daher das Verstehen wesentlich doch nach dem Muster der normalen Erkenntnis (gemäß dem Sachforschungsmodell) als Erwerb von Wissen über das Interpretandum, als Prozess der Erstellung einer Repräsentation vom Interpretandum und der langfristigen Optimierung der Relation zwischen dieser Repräsentation und dem Interpretandum selbst.
Unterscheidungen zwischen der Vorder- und Rückseite der Erkenntnis; zwischen dem Erwerb von Hypothesen über x und der Aneignung von x selbst qua Antwort; zwischen der kognitiven Behandlung von x qua (in sich kompletten) Gegenstand und der Behandlung von x qua (unvermeidlich immer unvollständiger) subjektiver Praxis; zwischen der kognitiven Bemühung um x qua Arbeit an der Optimierung der Relation zwischen der Repräsentation von x und x selbst und der kognitiven Bemühung um x qua Arbeit an der Verbesserung der Vermittlung zwischen dem Interpreten und dem Interpretandum x, d. h. an der Optimierung der Übersetzung.
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
Wenn aber das Verstehen so aufgefasst wird, d. h., wenn der Erwerb und die Verbesserung von Hypothesen über das Interpretandum als der einzige Zugang zum Interpretandum gelten, dann bedeutet die These, dass langfristig nur immer anders, nicht dagegen besser verstanden werden könne, in der Tat nichts anderes, als dass auch langfristig keine richtige Repräsentation des Interpretandums erarbeitet werden kann, dass es überhaupt keinen zuverlässigen Zugang zum Interpretandum gibt, dass Wissen, zuverlässige Erkenntnis vom Interpretandum unmöglich ist. Und wenn eine solche These als Resultat umfänglicher Erörterungen über das Verstehen, die selbst wesentlich auf hermeneutische Operationen angewiesen sind (was Gadamer zugibt), behauptet wird, dann verstößt das klar gegen das Prinzip der Selbsteinholung und desavouiert die These selbst. Aber zu dieser Auffassung vom Verstehen, die das Verstehen nach dem Muster normaler Erkenntnis auffasst (Sachforschungsmodell), haben wir im Vorigen gerade eine Alternative vorgestellt: Wenn wir das Verstehen wesentlich als Aneignung der im Interpretandum vorliegenden fremden (der Menschheit ja schon als Besitz zur Verfügung stehenden) Antwort selbst durch einen bestimmten partikularen Interpreten ansehen, als das Zum-Sprechen-bringen der Antwort, als das In-Betrieb-Nehmen der fremden subjektiven Praxis, als Leistung, die zur Rückseite des Erkennens gehört, dann bedeutet die These vom Immer-andersVerstehen nicht, dass wir immer nur andere Zugänge, aber keinen richtigen, verlässlichen Zugang zum Interpretandum zur Verfügung haben, sondern nur, dass wir das im Interpretandum Gesagte, zu dem wir Zugang haben, das wir fassen können, abhängig von unserem jeweiligen Standort immer anders in Betrieb nehmen, immer anders einbetten in Eigenes, immer anders für uns übersetzen müssen. D. h., wir haben Zugang, sogar verlässlichen Zugang zum Interpretandum (und zwar zunächst zur bloßen Partitur dann zur Partitur plus elementarer Interpretation etc.), wir können es fassen. Aber um es auf uns zu applizieren, es als eigene subjektive Praxis in Betrieb zu nehmen, als Antwort bei uns zur Geltung zu bringen¹³⁹ und es in dieser (ungewöhnlichen) Weise ganz an uns herankommen zu lassen¹⁴⁰, müssen wir es, das qua Interpretandum unvermeidlich immer unvollständig ist, jeweils standortabhängig ergänzen. Und nur auf diese standortabhängige Ergänzung (und Assimilation) des an sich unvollständigen Interpretandums geht das hier diskutierte Immer-anders-Verstehen zurück. Es geht nicht um willkürliche Eingriffe, Verfälschungen des Interpretandums. Und uns damit die Möglichkeit der Teilnahme am Diskurs über die Sache zu sichern. Vgl. o. S. 135. Wie schon gesagt: im anderen (Normal‐) Falle lassen wir nur unsere Hypothesen über x in dieser Weise an uns herankommen, x selbst halten wir dagegen auf Distanz.
3.4 Schluss
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Das Ganze pointiert zusammengefasst: Wenn wir uns an der 1. Konzeption des Verstehens orientieren und sagen: „Wir können immer nur andere, nicht bessere Hypothesen über das Interpretandum erreichen,“ dann formulieren wir eine klar relativistische These, mit der wir uns am Ende als Theoretiker der Hermeneutik selbst widersprechen.Wenn wir uns dagegen an der 2. Konzeption orientieren und sagen: „Das Interpretandum muss – bei verschiedenen Zielsprachen – immer anders übersetzt werden,“ dann äußern wir damit keine relativistische These und widersprechen uns als Theoretiker der Hermeneutik auch nicht. Insofern scheint uns der Einwand von Apel eine Hermeneutik, die zugibt, dass langfristig immer anders verstanden wird, nicht zu widerlegen. Zu 2. Apel behauptet: Wenn die sich langfristig verändernden Standorte der Interpreten nicht immer nur als jeweils anders sondern als (für die jeweilige Sache des Verstehens) jeweils besser angesehen werden könnten, dann könnte aus dem Immer-anders-Verstehen ein Immer-besser-Verstehen werden. Und er behauptet weiter, dass überraschend große Teile der geschichtlichen Bewegung tatsächlich in diesem Sinne verstanden werden könnten. Auch hier glauben wir, dass die beiden gerade unterschiedenen Konzeptionen vom Verstehen eine große Rolle spielen. Wenn die angesichts eines Interpretandums in Frage kommenden möglichen Standorte von Interpreten alle einer normativ zu rekonstruierenden Fortschrittsgeschichte angehören würden (wie z. B. der – auf die wahre „final opinion“ ausgerichteten – Wissenschaftsgeschichte), und wenn als Verstehen (im Sinne von Konzeption 1) das Erarbeiten von zutreffenden Repräsentationen von dem, bzw. von wahren Hypothesen über das Interpretandum gelten würde, dann könnte man davon ausgehen, dass die Hypothesen über das Interpretandum – mit dem Fortschritt der für die Sache einschlägigen Wissenschaft – langfristig immer besser werden, weil die (vom jeweiligen Standort des Interpreten abhängigen) Bedingungen für das Verständnis der Sache und damit auch der von der Sache handelnden Texte immer besser werden. Gehen wir dagegen davon aus, dass das Verstehen (im Sinne von Konzeption 2) wesentlich dazu da ist, für uns noch undurchsichtige (der Menschheit freilich schon verfügbare) Texte doch zum Sprechen zu bringen, es uns möglich zu machen, die fremden Antworten drüben doch anzueignen, sie für uns in Betrieb zu nehmen, möglichst gut zwischen dem Interpretandum und uns, den Interpreten, die wir wegen unseres Standortes nicht ohne weiteres Zugang zum Interpretandum finden, zu vermitteln. Wenn wir diese Konzeption vom Verstehen zugrunde legen, dann ist gar nicht mehr klar, inwiefern – selbst unter den besonderen Bedingungen des Rahmens einer Fortschrittsgeschichte – uns eine unter „besseren“ Bedingungen erfolgende spätere Interpretation von einem ganz anderen Standort aus als dem unsrigen (nämlich der Versuch, von dem späteren Standort
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3 Geltungsprobleme der Hermeneutik
aus optimal zu vermitteln zwischen Interpret und Interpretandum) auch besser, nützlicher sein könnte für uns bei der Auflösung unserer gegenwärtigen Verständnisschwierigkeiten als unsere eigenen Verstehensversuche. Wir sind ja weder interessiert an einer Theorie über unser Interpretandum noch an einer Brücke zwischen dem Interpretandum und jenem Standort, sondern an einer Brücke zwischen dem Interpretandum und unserem Standort: Wir möchten ja von hier aus den Text in Betrieb nehmen, ihn zum Sprechen bringen und uns durch den Text etwas über die Sache sagen lassen. D. h. Apels Plädoyer für die Möglichkeit des Immer-besser-Verstehens verfängt nicht.
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Bemerkungen zum Regelfolgen Ist privates Regelbefolgen möglich?
I Es soll im Folgenden die Frage erörtert werden, ob privates Regelbefolgen möglich ist oder nicht. Der Ausdruck „privat“ wird dabei verstanden im Sinne: „Kann Privatus allein, ohne jeden Kontakt zu anderen, mindestens aber ohne irgendwie auf andere Bezug zu nehmen, einer Regel folgen?“ Das Problem der Privatheit wird gestellt mit Bezug auf das Regelbefolgen, weil Regelbefolgen mit der Idee von „richtig“ und „falsch“ („regelrecht“, „regelwidrig“) intern zusammenhängt, und weil wir glauben, dass der Umgang mit Geltungsdifferenzen (die Möglichkeit, etwas richtig oder falsch zu machen) zu den fundamentalsten Voraussetzungen für Vernunft und Rationalität gehört. Der Ausdruck „möglich“ soll verstanden werden im Sinne von „real möglich,“ was eine engere Bedeutung hat als „logisch möglich.“ Wir nennen etwas (x) real unmöglich, wenn ausgeschlossen ist, dass x oder auch Wirkungen oder Konsequenzen von x eine reale Rolle spielen können, die in unseren Handlungen oder Überlegungen (wissenschaftlich-philosophischen Überlegungen, wie hier intendiert) berücksichtigt werden müssten. Diese Fassung von „möglich/unmöglich“ reicht für unsere Zwecke. Sie hat den Vorteil, dass sie es erlaubt, den Nachweis der Unmöglichkeit von x dadurch zu führen, dass gezeigt wird: x kann nicht als solches erkannt oder identifiziert werden. Die Frage, ob privates Regelbefolgen möglich ist, läuft nach alledem darauf hinaus, ob einer allein privatim vernünftig oder rational sein kann, ob Vernunft etwas ist, das schon in einer Instanz allein, einem Subjekt allein realisiert werden kann, oder ob sie an eine Vielheit oder Pluralität von Subjekten, eine Kommunikationsgemeinschaft, gebunden ist. – Wenn, wie wir glauben, Philosophie vor allem kritische Rekonstruktion von Vernunft oder Rationalität ist, dann ist die Frage ziemlich wichtig für die Philosophie. Die Frage ist heiß umstritten, die Literatur, auf die wir nicht eingehen, sehr unübersichtlich. – Wir haben das folgende Argument in ähnlicher Form früher schon einmal vertreten.¹ Dies ist eine, wie wir hoffen, verbesserte Fassung. Noch eine Bemerkung vorweg. Die Fragen, ob privates Regelbefolgen möglich ist, bzw.: „Wie kann erkannt werden, ob P einer Regel folgt?“ sind äußerst verwirrend, wenn man sich beim Versuch, sie zu beantworten an die unübersicht Kuhlmann (1985) 145 ff. https://doi.org/10.1515/9783110677454-005
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lichen und kompliziert vermittelten Verhältnisse der Lebenswelt hält. Es geht hier um die prinzipiellen philosophischen Probleme: „Ist privates Regelbefolgen möglich?“ bzw. „Wie kann direkt und definitiv erkannt werden, ob Privatus wirklich einer Regel folgt?“ Da ist es nach unserer Auffassung hilfreich, sich an ein einfaches, den Blick auf das Wesentliche konzentrierendes Beispiel aus der science fiction zu halten: Wir befinden uns auf einem fremden Stern. P (= ein (möglicher) Privatus) ist ein sehr fremdartiges Wesen, das weder an Menschen noch an Tiere erinnert (vielleicht ist P nur ein Mineral). Wir können beobachten, dass sich mit Bezug auf P ständig etwas verändert. Wir haben den Eindruck von Mustern oder Regularitäten, wissen aber nicht, tut P etwas, oder geschieht nur etwas mit P. Vielleicht folgt P Regeln, versucht z. B. uns etwas zu sagen, vielleicht ist P aber auch nur ein merkwürdiger Vulkan. Die Situation ist weiter dadurch bestimmt, dass wir ausschließen können, dass P bisher Kontakt hatte zu anderen Wesen, die mit ihm hätten kommunizieren können. Der Witz dieses verfremdenden Beispiels ist, dass wir nicht auf die üblichen indirekten Anzeichen für Regelfolgen zurückgreifen können.
II Unser Argument läuft folgendermaßen: 1. Privates Regelbefolgen kann nur dann als möglich gelten, wenn Fälle von privater Regelbefolgung direkt oder indirekt als solche erkannt und identifiziert werden können. Nur dann kann es – aber auch seine Konsequenzen und Wirkungen – für unsere Handlungen und Überlegungen irgendeine reale Rolle spielen. Und nur wenn es eine solche Rolle spielen kann, müssen wir es berücksichtigen und mit ihm rechnen. Wenn dagegen Fälle privater Regelbefolgung prinzipiell nicht erkannt und identifiziert werden können, dann dürfen wir es im Zusammenhang unserer Bemühung, wissenschaftlich-philosophisch herauszufinden, wie es sich mit menschlicher Rationalität und Vernunft verhält, genauso ignorieren wie Märchenfeen, Gespenster und andere – logisch durchaus mögliche – Phantasmagorien. 2. Etwas kann nur dann als Fall von Regelbefolgung (und nicht nur als bloße Regularität) erkannt und identifiziert werden, wenn es – das fragliche Handeln – entweder als regelrecht oder regelwidrig, als richtig oder falsch verstanden werden kann. – Wenn jemand (A) einer Regel folgt, so gilt normalerweise: A kennt die Regel, hat sie verstanden, A erkennt die Regel (als gültig) an, A versucht, sie zu befolgen und macht es entweder richtig oder falsch. A kann gegen die Regel verstoßen, ohne dass diese dadurch schon selbst ungültig wird. Die Regel, an der sich A orientiert, ist zugleich normativer Standard, an dem A sein Handeln im
Bemerkungen zum Regelfolgen
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Sinne der Regel misst. – Regelfolgen ist wesentlich normativ. Man kann nicht davon reden, dass etwas als Regelbefolgen erkannt und identifiziert wurde, wenn nicht dieser zentrale Zug eine Rolle dabei gespielt hat. 2a. Etwas kann nur dann als regelrecht bzw. regelwidrig, richtig bzw. falsch eingesehen und verstanden werden, wenn die bestimmte Regel bekannt ist, in deren Sinn etwas als richtig bzw. falsch gelten soll. Man kann nicht etwas als regelrecht/regelwidrig, richtig/falsch tout court erkennen. Die Ausdrücke haben erst dann einen bestimmten Sinn, können erst dann greifen, wenn bekannt ist, im Sinne welcher Regel sie gemeint sind. Eine Person A versteht das Regelbefolgen von P im gegebenen Fall nur, wenn A sagen kann: „P tut jetzt das und das, orientiert sich dabei an der Regel R und macht es richtig bzw. falsch im Sinne dieser Regel.“ Privates Regelbefolgen kann also nur dann erkannt, als solches identifiziert und als etwas Normatives von einer bloßen Regularität unterschieden werden, wenn die in ihm involvierte Regel öffentlich zugänglich ist. (Dieser Teil des Arguments erhält die Bezeichnung 2a, weil er zwar ein wichtiges und einschlägiges Resultat liefert, aber nicht selbst Voraussetzung ist für die folgenden Schritte.) 3. Etwas kann nur dann als (normativ verfasstes) Regelbefolgen verstanden werden, wenn es (i) kognitiv zur Kenntnis genommen und es (ii) als regelrecht oder regelwidrig bewertet werden kann. Die Bewertung eines Versuchs, einer Regel zu folgen, als richtig oder falsch im Sinne dieser Regel, ist aber keine rein kognitive Leistung eines distanzierten Betrachters, der sich aus der betrachteten Sache heraushält. Es gehört vielmehr wesentlich dazu, dass man sich einlässt auf das Spiel des Gegenübers, dass man sich daran beteiligt, dass man mitspielt in diesem Spiel. Das Verstehen von Regelbefolgen besteht also nicht nur darin, dass man das zu Verstehende theoretisch distanziert zur Kenntnis nimmt, es anschaut, von außen betrachtet, sondern auch darin, dass man dem zu Verstehenden den Standard oder Maßstab entnimmt, diesen sozusagen in die Hand nimmt, an die Sache anlegt und damit misst, d. h., beurteilt, ob die Sache dem Standard entspricht oder nicht. Dies alles ist in klarer Weise mehr und anderes als bloß theoretisches Zur-Kenntnis-Nehmen, bloß theoretisches Betrachten. Es ist zusätzliches Handeln und zwar in dem Sinn, dass man dem Interpretandum etwas entnimmt und es so verwendet, wie es von der Sache her, bzw. ursprünglich vom Urheber her vorgesehen ist, d. h., man kooperiert oder spielt mit, und richtet sich dabei selbst nach Regeln, die aus dem Interpretandum stammen. – Etwas kann also nur dann als normativ verfasstes privates Regelbefolgen erkannt und verstanden werden, wenn Mitspielen in diesem Sinne möglich ist. 4. Nun handelt es sich bei diesem Mitspielen nicht um ein Mitwirken in dem Sinne, dass man zu einem bloß natürlichen Geschehen irgendwie dazu passende physikalische Effekte beisteuert (so wie ein Surfer mit den Wellen spielt). Es geht
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vielmehr darum, zu einem regelkonstituierten institutionellen Sachverhalt bestimmte institutionelle Effekte beizusteuern. Zum Regelfolgen von P also: unsere Bewertung der Handlung von P, eine Bewertung, die die entsprechende Bewertung der eigenen Handlung durch P selbst entweder genau treffen und bestätigen soll, oder gegebenenfalls die falsche Bewertung der eigenen Handlung durch P punktgenau und so, dass es auch für P selbst zählt, zu widerlegen in der Lage sein soll. Mitspielen in diesem Sinne ist aber nur möglich, wenn andere Mitspieler und deren Züge eigens zum Mitspielen autorisiert sind, wenn sie durch die Regeln des Spiels von Anfang an eigens vorgesehen sind. Anderenfalls können hier die Regeln des Spiels nicht greifen, die fremden Züge nicht dem Spiel integriert werden und als Züge nicht zählen. 5. Wenn aber das Mitspielen anderer Mitspieler beim Spiel des Privatus von Anfang an eigens vorgesehen sein muss, damit Privatus’ Aktivität überhaupt als Regelfolgen verstanden und bewertet werden kann, dann kann Privatus’ Aktivität nicht mehr als privat im oben angegebenen Sinne gelten.
III Bevor wir zur Besprechung der wichtigsten Behauptungen des Arguments übergehen, vorweg ein paar kurze Bemerkungen zum Ganzen, zur Pointe und insbesondere zur Frage, ob das Argument der Sache bloß äußerlich ist. Pointiert dargestellt hat das Argument folgende Form: 1. Damit etwas überhaupt für uns eine Rolle spielen kann, wir es berücksichtigen können und müssen, muss es von uns erkannt, als solches identifiziert werden können. – D.h., die Sache muss – mindestens von außen – irgendwie wahrgenommen, erfahren und identifiziert werden können. 2. Etwas kann von uns nur dann als Regelfolgen erkannt und als solches identifiziert werden, wenn wir es als normativ verfassten Sachverhalt erkennen und verstehen können. 2a. Wir können es aber als solchen nur verstehen, wenn wir die bestimmte involvierte Regel identifizieren und verstehen können. – D.h., die (Privat‐)Sache muss nicht nur von außen wahrgenommen werden können, wir müssen auch in sie hineinsehen, sie quasi von innen anschauen können. Private Regelbefolgung ist also nur dann möglich (kann als solche erkannt und identifiziert werden), wenn dasjenige, das nach den meisten Versionen des Privatsprachenarguments eigentlich privat sein sollte, das Regelwissen des Privatus, öffentlich zugänglich ist, mit jedermann geteilt werden kann. 3. Nun ist Verstehen Erkennen/Anschauen plus Mitspielen (als richtig oder falsch Bewerten).
Bemerkungen zum Regelfolgen
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4. Und Regelfolgen ist ein institutioneller Sachverhalt, der Mitspielen – so dass es zählt – nur erlaubt, wenn es eigens vorgesehen, in der Sache strukturell berücksichtigt ist. Daher kann die involvierte Regel nur verstanden werden, der Fall der Regelbefolgung als solcher erkannt werden, wenn Mitspielen, Kooperation anderer, z. B. der Kommunikationsgemeinschaft, von Anfang an strukturell vorgesehen ist. – D.h., damit Regelbefolgen als solches erkannt und identifiziert werden kann, reicht es nicht, dass es von außen wahrnehmbar und von innen verstehbar ist, das Innere sozusagen offen steht. Es muss darüber hinaus durch und durch für die Mitwirkung durch andere gemacht, es muss von Grund auf öffentlich sein, auf Intersubjektivität angelegt sein. 5. Es folgt: Wenn Regelfolgen nur erkannt werden kann und daher eine Rolle spielen kann, wenn es diese Verfassung hat, dann kann privates Regelbefolgen prinzipiell nicht als solches erkannt werden. Es kann nicht als möglich gelten und daher auch keine Rolle spielen. Damit zum (zuweilen vorgebrachten) Einwand, dass das Argument der Sache äußerlich sei und den Nerv der Sache nicht treffe. – Das Argument beginnt in der Tat mit einer Bedingung, die ganz unspezifisch ist und dieser speziellen Sache daher völlig äußerlich zu sein scheint: „x muss erkennbar sein.“ Die Bedingung: „Erkennbarkeit“ führt aber – wegen der Normativität des Regelfolgens – sofort auf sehr wichtige Strukturmerkmale der Sache, insbesondere auf die Bedingungen: „Die Handlung muss als richtig oder falsch verstanden werden können. Die jeweils involvierte Regel muss verstehbar sein, d. h., von innen erkennbar, öffentlich zugänglich sein.“ Das sind unmittelbar einschlägige und spezifische Bedingungen, die auf das Problem der Privatheit klar bezogen sind. – Die Bedingung wiederum: „Verständlichkeit der Handlung“ führt dann über die Thesen: „Verstehen impliziert Kooperieren“ und „Regelfolgen ist eine institutionelle Tatsache“ auf die Konsequenz: „Die Sache muss eigens auf Kooperation, auf Intersubjektivität hin angelegt sein“, die unser Problem und unser Verständnis von Privatheit (Bezug auf andere) ganz zentral betrifft. Wir denken daher, dass der Einwand der Äußerlichkeit nicht berechtigt ist.
IV Wir kommen zur Erläuterung der einzelnen Schritte des Arguments: 1. Zum ersten Schritt, zur Beziehung Erkennbarkeit von x und Möglichkeit von x. – Zunächst eine allgemeine Bemerkung vorweg. Wir halten zwei einschlägige allgemeine Ideen für sehr plausibel, berechtigt und vernünftig. Zum einen die transzendentalphilosophische Idee, dass die Bedingungen der Möglichkeit der
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Erfahrung gleich den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind. Man kann diesen Gedanken auch so formulieren: Was wir aus Gründen, die mit der Struktur unseres kognitiven Apparates zusammenhängen, über die Welt denken oder glauben müssen, (im Sinne von „sich eine konsistente Meinung bilden“), das muss Realität sein. Daraus würde folgen: Was wir über die Welt aus entsprechenden Gründen nicht sinnvoll denken können, das kann auch nicht real sein. Die zweite Idee ist die sinnkritische Definition des Realen von Charles Sanders Peirce.² Danach ist nur das real, was erkennbar ist, was den sogenannten „ultimate oder final opinions“, dem, was sich als Resultat eines unbegrenzten Forschungsprozesses ergeben würde, entsprechen würde, des Forschungsprozesses, in dem alles, was irgend sinnvoll zur Geltung gebracht werden könnte, auch zur Geltung gebracht wird. Diese Definition rekurriert wesentlich darauf, dass von Realität mit Anspruch auf Geltung – nämlich so, dass es zählt – nur geredet werden kann, wenn die Geltungsansprüche auch ausgewiesen werden könnten. Dies ist aber nur möglich, wenn über das Recht der Geltungsansprüche entschieden werden kann, was seinerseits nur sein kann, wenn einschlägige Erkenntnis möglich ist. Die kritische Pointe dieser Definition bei Peirce ist gerade die These von der Unmöglichkeit des Unerkennbaren. Wir werden jedoch diese beiden Ideen jetzt nicht heranziehen, um nicht in eine allgemeine Diskussion über sie einsteigen zu müssen. Zur Verteidigung der ersten These möchten wir nur soviel aufbieten, wie unbedingt nötig ist. Unsere These kann folgendermaßen angegriffen werden: „Wenn x unerkennbar ist, wenn es unmöglich ist, dass x von uns erkannt und identifiziert wird, dann folgt daraus doch nichts für die Möglichkeit von x selbst. Die logische Möglichkeit von x ist durch die Unerkennbarkeit von x ersichtlich nicht betroffen. Aber auch die reale Möglichkeit ist nicht tangiert, denn warum sollte sich die Realität nach der zufälligen Verfassung unseres Erkenntnisvermögens richten?“ Eine mögliche Verteidigung der These ist diese: Zunächst wird noch einmal betont, dass es nicht darum geht, dass wir x bloß faktisch nicht erkennen und erkennen werden (was z. B. denkbar wäre, wenn x nur mit größtem Aufwand zugänglich, zugleich aber völlig belanglos und uninteressant wäre, so dass der Aufwand nie erbracht werden würde). Es geht darum, dass x prinzipiell nicht erkannt oder identifiziert werden kann, selbst wenn wir alles aufbieten würden und selbst wenn wir so etwas wie die optimale Beobachterposition für dergleichen Fälle hätten (was immer das heißen mag). Der Fall, dass jemand zu Recht sagt: „Hier haben wir endlich ein Beispiel für x“ (genauer: dass A zu B sagt: „Hier siehst
Vgl. Peirce I (1967) S. 349 f.; s. auch Register in Peirce II (1970).
Bemerkungen zum Regelfolgen
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du endlich genauso wie ich ein Beispiel für x“), kann grundsätzlich nicht eintreten. D. h., die Realität von x, auch die Realität von Folgen oder Konsequenzen von x, kann grundsätzlich nicht legitim in unseren Diskurs über die Welt eingeführt werden. Man könnte nun immer noch sagen: „Aber deshalb kann es x doch geben.“ Die Frage ist nur: Was kann man damit meinen? Normalerweise verwenden wir den Ausdruck: „x ist möglich,“ (z. B. „Es ist möglich, dass P kommt“) im Sinne von: „x könnte sich in dem Sinne als real herausstellen, dass es in bestimmten Situationen diese und jene Rolle spielt. Das müssen wir berücksichtigen, damit müssen wir rechnen und darauf sollten wir uns einstellen.“ In diesem Sinn kann der Opponent seine These jedoch nicht verstehen. Denn nach Voraussetzung kann sich x nicht als real in diesem Sinne herausstellen. x kann für uns keine Rolle spielen, und wir müssen weder mit x, noch mit einer Rolle von x, noch mit Folgen von x rechnen. Wie kann er seine These dann meinen? Was ist der Unterschied zwischen seiner These und der These: „x ist unmöglich?“ Diese letztere These verstehen wir normalerweise im Sinne von: „Wir brauchen mit x, Wirkungen oder Folgen von x nicht zu rechnen. Wir brauchen x nicht zu berücksichtigen. x kann keine Rolle spielen.“ Was ist also der Unterschied? Es gibt keinen. Aber der Einwand: „Warum sollte sich die Realität nach der zufälligen Verfassung unseres Erkenntnisvermögens richten?“, der bleibt doch plausibel. Doch ist er es wirklich? Von welcher Position aus könnte er formuliert werden? Suggeriert wird, er würde formuliert von einer neutralen Position, von der her es möglich wäre, sowohl die Welt, so wie sie ist zu betrachten, wie auch zugleich unser beschränktes Erkenntnisvermögen von außen anzusehen, von einer Position aus, die etwa der Gottes entspricht. Das aber ist nicht unsere Position und kann es auch nie werden. Wenn hier etwas wirklich erkannt werden soll, dann müsste nach Voraussetzung das so und so verfasste, fälschlich für beschränkt gehaltene Erkenntnisvermögen in Anspruch genommen werden. Das aber würde gerade verhindern, dass wir die Welt als an sich und unser Erkenntnisvermögen von außen betrachten. Wir denken, es gibt keinen Ort, von woher wir unser – für uns unhintergehbares – Erkenntnisvermögen bzw. das „Faktum unserer Vernunft“ als bloß zufällig ansehen können. Es folgt, ein x, das grundsätzlich unerkennbar ist, das daher von der Art ist, dass seine Existenz oder Nicht-Existenz für uns keinen Unterschied machen kann, das können wir – ohne damit schon auf ein überholtes positivistisches Verifikationskriterium zurückzufallen – in dem Sinne für unmöglich halten, dass wir mit der Möglichkeit, es selbst oder Konsequenzen von ihm könnten eine reale Rolle spielen, nicht rechnen müssen. Das aber reicht für unsere Zwecke. Wenn unser Opponent die Unerkennbarkeit privater Regelbefolgung zugibt, dann gibt er damit
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zu, dass alle realen Beispiele von Regelbefolgung, die ins Spiel gebracht werden könnten, unsere These stützen würden, und dass zugleich kein einziges reales Gegenbeispiel gegen unsere These möglich ist. Unter normalen Bedingungen gilt dies als eine recht komfortable Situation für den Vertreter einer Theorie. Noch eine kurze Bemerkung zur allgemeinen Diskussion über Unerkennbarkeit, Möglichkeit und über einen nichtepistemischen Wahrheitsbegriff: Es ist u. E nicht absurd, einen nichtepistemischen Wahrheitsbegriff im Rahmen einer allgemeinen metaphysischen oder epistemologischen Diskussion zu vertreten. Klar absurd ist es jedoch, wenn man versucht, in einer konkreten inhaltlichen Frage aus einem solchen Wahrheitsbegriff Kapital zu schlagen. 2. Zum zweiten Schritt, d. h., zur These: Regelbefolgen kann nur erkannt und identifiziert werden, wenn die fragliche Handlung als richtig bzw. falsch, als intrinsisch normativ verstanden werden kann. Denken wir an unser science fiction Beispiel. Wir sind mit irgendwie regelmäßigen Phänomenen konfrontiert, die im Zusammenhang mit P auftreten Wir haben den Eindruck von Mustern oder Regularitäten, wissen aber nicht, tut P etwas oder geschieht nur etwas mit P. Vielleicht folgt P Regeln, versucht z. B. mit uns zu sprechen, vielleicht ist P aber auch nur ein merkwürdiger Vulkan. Die Muster oder Regularitäten können sich also am Ende als zweierlei entpuppen – und das ist die Alternative, um die es hier geht –: Als bloße Regularitäten, worauf immer sie zurückgehen, z. B. auf Kausalgesetze, und als Fälle von Regelbefolgung durch P, als Resultate von Handlungen, bei denen P sich eigens an einer Regel orientierte, sich nach ihr zu richten versuchte. Im ersten Fall hätten wir mit bloß natürlichen Ereignissen zu tun, „einstöckigen“ Entitäten, die nicht normativ verfasst sind, mit Entitäten, in denen von sich aus keine Begriffe, Gedanken, Sätze schon involviert sind. Begriffe, Gedanken, Sätze gibt es hier nur auf Seiten der kognitiven Subjekte, die sich ihnen zuwenden. Auch Fehler und Erfolge gibt es daher hier nur auf dieser Seite, nicht schon in der Sache selbst. Im zweiten Fall haben wir dagegen mit ganz anders gearteten „zweistöckigen“ Entitäten zu tun, die bestehen aus Ereignissen plus intern zu ihnen zugehörigen Gedanken, Sätzen (Handlungssätzen), die zugleich den Standard enthalten, unter denen sie als richtig/falsch, gelungen/misslungen bewertet werden können. Eine Handlung in Opposition zu einem bloßen Widerfahrnis liegt nur vor, wenn das, was ich tue, in diesem Sinn durch einen Handlungssatz: „Ich tue hiermit das und das“ begleitet wird. Dieser muss nicht immer explizit gedacht oder sogar gesagt werden, aber er muss immerhin gegebenenfalls als Antwort auf die Frage: „Was tust Du gerade?“ zur Verfügung stehen. Wird das Ereignis (meine Körperbewegung) dadurch begleitet, dann gibt es die Möglichkeit der Übereinstimmung zwischen Ereignis und Handlungssatz und die der Nichtübereinstimmung, d. h.,
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es gibt die Möglichkeit von Richtigkeit und Falschheit, von Normativität. Es gibt insbesondere die anderenfalls kaum verständliche Möglichkeit, dass etwas, das mit einem normalen Tangoschritt praktisch keinerlei Ähnlichkeit aufweist, dennoch zu Recht als solcher gedeutet wird, nämlich als missglückter Tangoschritt. Bei der Frage, ob P einer Regel folgt, geht es vor allem darum, welchen Aggregatszustand, welche ontologische Verfassung haben die wahrgenommenen Veränderungen? Handelt es sich um bloße Ereignisse oder um diese zweistöckigen Entitäten: Ereignisse plus handlungskonstituierende Beschreibungen, d. h., um Entitäten, die von sich aus richtig oder falsch sein können? Die Regularitätenhypothese ist die schwächere Hypothese. Man kann zu jeder Konfiguration eine Formel finden, durch die die Konfiguration erfasst wird. Die Regelbefolgungshypothese ist viel stärker und anspruchsvoller. In ihr wird angenommen, in der fraglichen Konfiguration sind Gedanken im Spiel, es gibt jemanden, der bestimmte Gedanken hatte, der sie zu realisieren versucht hat, der damit Erfolg oder Misserfolg hatte etc. Es wird also ein ganzer zusätzlicher Apparat unterstellt. Es ist klar, dass dieser Unterschied bei der Deutung in Frage kommender Phänomene berücksichtigt werden muss. Wenn man angesichts von Handlungen zu ihrer Deutung am Ende nur eine diesen ganz äußerliche Formel aufbieten kann, die nichts mit den in ihnen tatsächlich involvierten Gedanken und Begriffen zu tun hat, dann hat man nichts verstanden. Etwas kann also nur dann als Fall von Regelbefolgung verstanden werden, wenn es als normativ verfasst verstanden wird. 2a. Zur These: Nur wenn die bestimmte Regel bekannt ist, kann von richtiger oder falscher Regelbefolgung und d. h., von Normativität die Rede sein. Wir behaupten also: Man kann die These, dass x ein Fall von Regelbefolgung sei, nur dann gegen den Einwand, bei x handle es sich um eine bloße Regularität, direkt und erfolgreich verteidigen, wenn man die bestimmte Regel, von der man glaubt, sie werde in x befolgt, auch tatsächlich angeben kann. (Mit dieser Bedingung ist nicht gemeint, dass wir in der Lage sein müssen, die Regel in jedem Fall zu verbalisieren. Dazu sind wir sehr oft – nämlich immer dann, wenn wir uns beim Regelfolgen auf bloßes know how verlassen (z. B. beim Sprechen oder bei antrainierten Geschicklichkeiten) – nicht in der Lage. Die Bedingung kann dann auch dadurch erfüllt werden, dass man z. B. vormacht, was die Regel in diesem Falle verlangt.) Regelbefolgen muss sich von bloßer Regularität dadurch unterscheiden, dass Normativität im Spiel ist, dass, was geschieht, richtig oder falsch ist und nicht vielmehr nicht. Nun kann man aber so etwas wie bloße Regelhaftigkeit (die Überzeugung, dass x überhaupt auf Regelfolgen zurückgeht, ohne dass man die bestimmte Regel kennt) aus den Daten nicht unterscheiden von bloßer Regularität. Man müsste ja im gegebenen Fall (bei vermuteter Regelhaftigkeit) darauf
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hinweisen können, dass hier Normatives im Spiel ist, d. h., dass hier einiges richtig, anderes falsch ist. Das aber ist in einem solchen Fall unmöglich, weil bei der These bloßer Regelhaftigkeit (der Überzeugung, dass x überhaupt auf Regelfolgen zurückgeht, ohne dass man die bestimmte Regel kennt) die Begriffe „richtig“, „falsch“, „regelrecht“, „regelwidrig“ noch gar nicht greifen, noch gar keine feste Bedeutung haben. Qualitativ gleiche Phänomene können Resultate sein einmal von richtiger Anwendung der Regel r und von falscher Anwendung der Regel q. Man braucht also die bestimmte Regel, um die Ausdrücke „richtig“ und „falsch“ auf etwas sinnvoll anwenden zu können. D. h., man kann nicht angesichts bestimmter Daten erst so etwas wie Regelhaftigkeit definitiv feststellen und dann gegebenenfalls hinterher zusätzlich noch herausfinden, um welche Regel es sich handelt. Man kann vielmehr nur durch Abschwächung der stärkeren These: „Hier wird die Regel r befolgt“, zur schwächeren These: „Hier wird irgendeine Regel befolgt“, gelangen. Die an sich selbstverständliche und triviale Forderung: Privates Regelbefolgen muss, damit es irgendeine Rolle spielen kann, erkennbar und identifizierbar sein, läuft also auf eine gar nicht mehr triviale Bedingung für privates Regelbefolgen hinaus: Die jeweils involvierte Regel selbst muss öffentlich verständlich, für jedermann zugänglich sein. Dass diese Bedingung nicht trivial ist, zeigt sich z. B., wenn wir uns einen speziellen Fall von Regelbefolgung vergegenwärtigen, das Sprechen einer Sprache. Ob P eine Sprache spricht, können wir nur erkennen, wenn wir die Sprache verstehen können. Daraus folgt, es kann nur öffentlich verständliche Sprachen geben, Sprachen, die in unsere Sprache übersetzbar sind. Es kann daher keine Privatsprachen geben, die prinzipiell nur Privatus allein zu verstehen imstande ist. 3. Zum dritten Schritt, d. h., zur These: „Verstehen impliziert Mitspielen, Kooperieren.“ Der Hauptpunkt ist hier, dass man deutlich sieht, zum Verstehen von Regelbefolgung gehört Bewerten, und Bewerten im Sinne des der Sache entnommenen Standards ist mehr und anderes als bloßes Erkennen, als bloßes Feststellen von dem, was der Fall ist, als bloßes theoretisches Verhalten zur Sache. Dazu muss das Verstehen so beschrieben werden, dass dies zusätzliche Moment des Kooperierens bzw. Mitspielens möglichst deutlich sichtbar wird. – Zwei Arten der Beschreibung bieten sich hier vor allem an: Einmal die schon angedeutete: Danach betrachtet A Ps Regelfolgen, stellt fest, was der Fall ist und tut darüber hinaus folgendes: Er entnimmt der betrachteten Sache einen Teil und verwendet ihn so, wie er in der betrachteten Sache gemeint ist, nämlich als Standard oder Maßstab, mit dem das zu beobachtende Resultat so und so gemessen werden soll. Indem A das tut, unterstellt er sich einer ganzen Reihe von Regeln (die vor-
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schreiben, dass x als Standard zu verwenden ist, dass damit so und so gemessen werden soll, z. B. so und so genau, was als was zählt etc.). Und indem er nach diesen Regeln handelt, die aus der Sache stammen und nicht etwa schon aus der bloßen Idee kognitiven Verhaltens zur Sache, kooperiert er, spielt er mit. – Eine andere Art der Beschreibung, die das uns interessierende Moment hervorhebt, ist diese: Wenn A die Handlung von P als richtig oder falsch versteht und bewertet, dann bestätigt oder bestreitet er damit einen Anspruch, der von P (explizit oder implizit) zu seiner Handlung erhoben wird. Das aber bedeutet, dass P mitsamt seinen Aktivitäten damit für A von der Position des bloßen Gegenstandes der Untersuchung in die Position eines Mitspielers rückt, eines Mitspielers, der – anders als ein bloßer Gegenstand – Ansprüche erheben kann, die A – der ebenfalls seine Position verändert: aus dem untersuchenden Betrachter wird kooperierender Mitspieler – nicht theoretisch betrachtet oder untersucht, sondern die er an sich herankommen lässt, durch die er sich betreffen lässt, zu denen A Stellung nimmt und dies genau in dem Sinn, wie es die Spielregeln, denen jetzt beide, P und A, unterworfen sind, vorsehen, indem er sie abweist oder bestätigt. – Wir denken, es ist schwer zu bestreiten, dass das Verstehen von regelgeleitetem Handeln zusätzlich zu dem kognitiven Moment auch das – ganz andere – praktische des Mitspielens enthält. 4. Zum vierten Schritt: Zur These, dass wir nur mitspielen können, wenn das drüben bei Privatus eigens vorgesehen ist, wenn Privatus von Anfang an auf das Mitspielen fremder Subjekte eingerichtet ist. – (a) Überlegen wir zunächst einmal, was „mitspielen“ hier heißen soll. Was genau ist es, zu dem wir hier in der Lage sein müssen? Wir wollen herausfinden, ob P überhaupt einer Regel folgt. Dazu müssen wir herausfinden, ob Ps Aktivitäten so beschaffen sind (einen solchen Aggregatszustand haben), dass sie von sich aus unter Geltungsdifferenzen stehen. Und das können wir nur, wie wir gesehen haben, wenn wir herausfinden, ob P, der vielleicht einer Regel folgt, es richtig oder falsch im Sinne seiner Regel macht. Dazu ist es nötig, dass wir genau das treffen, was drüben bei P möglicherweise im Spiel ist: die bestimmte Regel, der P zu folgen versucht, den Richtigkeitsbegriff von P und die bestimmte Bewertung, die P im gegebenen Fall mit seiner eigenen Handlung vornimmt. Es reicht nicht, ja es würde gar nichts nützen, wenn wir das, was wir von Ps Aktivitäten zu verstehen glauben, nur nach unseren eigenen Standards bewerten würden. Dann würden wir ja nur unsere generelle Vorstellung von Normativität im allgemeinen, sowie unsere Vorstellung von Richtigkeit in diesem Falle (= unseren Richtigkeitsbegriff und unsere Vorstellung von der Regel, nach der das Vorliegende abläuft) von außen an Ps Verhalten herantragen. Wir würden etwas Fremdes importieren, aber
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nicht den Versuch machen, herauszubekommen, ob, was vor uns geschieht, von sich aus so und so normativ verfasst ist. Um das herauszufinden, müssen wir also versuchen, genau das zu treffen, was P selbst meint oder meinen müsste, wenn er sich nicht irrt. D. h., unsere Bewertung muss so verfasst sein, a) dass sie Ps eigene Bewertung punktgenau bestätigen oder bestreiten könnte (und von P berücksichtigt werden müsste, wenn sie ihm zur Kenntnis gebracht werden könnte) und b) dass sie selbst durch Ps eigene Bewertung punktgenau bestätigt oder bestritten werden könnte. Dabei gilt: Ob wir punktgenau treffen, würde sich zeigen, wenn P auf unsere Bewertung reagieren würde wie auf eine eigene (d. h., bei Bewertung als falsch mit Korrekturversuchen, bei Bewertung als richtig mit der Unterlassung von Korrekturversuchen etc.). Die Idee punktgenauen Treffens impliziert also die Ideen (i), dass etwas genau getroffen wird, was drüben schon vorhanden ist, (ii) dass es sich auf beiden Seiten, bei uns wie bei P, um dieselbe Regel und denselben Richtigkeitsbegriff handelt und (iii) dass unsere Spielzüge und die Spielzüge von P sich wechselseitig „be-treffen“ (im Sinne von „etwas angehen“) können, also wechselseitig durcheinander betreffbar sind. – „Mitspielen“ heißt also hier: Dieselbe Regel wie P in derselben Weise wie P zu verwenden und Ps Resultate in derselben Weise im Sinne desselben Richtigkeitsbegriffs zu bewerten, wie P selbst das tun würde, derart dass Ps Bewertungsresultat durch unser Resultat und unser Resultat durch das von P korrigiert oder bekräftigt werden könnte. (b) Die Frage ist jetzt, können wir allein dafür sorgen, dass wir in dieser Weise mitspielen können. Ist das etwas, das nur von uns, von unserer Kompetenz, von unseren Anstrengungen und Bemühungen abhängt, oder muss noch etwas anderes mitwirken, muss insbesondere auf Seiten von P oder des Spiels von P, in dem wir mitspielen sollen, einiges eigens vorgesehen sein? Gemeint ist diese Frage vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen bloß natürlichen Sachverhalten und Systemen einerseits und institutionellen Sachverhalten und Systemen andererseits. Wenn es hier um bloß natürliche Tatsachen oder Systeme ginge, bei denen wir irgendwie mitwirken, uns beteiligen oder mitspielen sollten in dem Sinn, dass wir irgendwelche physikalischen oder kausalen Effekte beisteuern (indem wir z. B. als Surfer mit den Wellen spielen, als Flößer mit dem Floß den Fluss hinuntertreiben, als Segelflieger Aufwinde klug nutzen etc.) dann können wir selbstverständlich mitwirken, ohne dass drüben etwas eigens vorgesehen sein muss, ohne dass z. B. auf Seiten der Wellen (oder Poseidons) eigens schon an Surfer gedacht sein muss. In solchen Fällen würde es ausreichen, dass wir das tun, was nach unserer Einschätzung (die dann freilich zutreffen muss), das Richtige ist. – Wenn es dagegen um institutionelle Sachverhalte geht, um Verhältnisse also, bei denen es nicht nur darauf ankommt, ob etwas der Fall ist, sondern vor allem darauf, ob etwas, das der Fall ist, als legi-
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timer Zug im Spiel oder als Voraussetzung dazu, als gültiger institutioneller Effekt zählt, gilt, anerkannt wird, dann sieht die Sache anders aus. Dann reicht es nicht, dass wir von unserer Seite alles, was von uns getan werden kann, richtig tun. Damit z. B. das, was wir tun, als gültige Anfechtung eines Prozessresultats zählt, als gültige Bestreitung von Geltungsansprüchen eines Gerichtsvorsitzenden, muss zusätzlich zu dem, was von uns kommen kann, auch einiges von Seiten des Spiels, an dem wir teilnehmen wollen, hinzukommen, nämlich dass das, was wir zu tun versuchen, überhaupt ein berechtigter, legitimer, im Spiel vorgesehener Zug sein kann, dass wir berechtigt sind etwas Derartiges anzufechten. Ein fünfter Mann kann im Tennisdoppel keinen Punkt machen und wenn er noch so gut ist.³ – Nur was eigens vorgesehen ist, kann in institutionellen Zusammenhängen eine Rolle spielen, denn Regeln vom Typ: „Unter den Bedingungen c zählt x als y“, über die die Bedeutung institutioneller Effekte festgelegt wird, greifen nur mit Bezug auf vorgesehene Kategorien. Wenn etwas vom Typ x im Spiel nicht vorgesehen ist, dann gibt es keine Regelungen für es, und dann kann es darum keine Rolle spielen. Die Frage ist nun: Ist unser Fall von dieser Art? Es spricht alles dafür. Es geht weder auf Seiten von P noch auf unserer Seite um bloß physikalische Effekte, sondern um institutionelle Effekte im beschriebenen Sinn. Wenn P seine eigene Handlung als richtig oder falsch bewertet, dann geht es ersichtlich nicht um kausale Eingriffe in bloß natürliche Verhältnisse, um so etwas wie eine kausale Affektion der eigenen Handlung, sondern um eine Einschätzung derselben als etwas. Es geht darum, als was sie zählen oder gelten kann, als richtig oder falsch, als geglückt oder missglückt. Dasselbe gilt auch von unserem Versuch, Ps Handlung zu bewerten. Und es gilt darüber hinaus, dass wir versuchen, das von P Gemeinte genau zu treffen, d. h., so zu handeln, dass es für P, wenn er denn davon erführe, als Mitspielen zählen muss. Wir haben hier also klar mit institutionellen Sachverhalten im beschriebenen Sinn zu tun. Wenn das so ist, dann heißt das, dass wir das, was P tut, nur dann im Sinne des in der Sache selbst schon involvierten Standards bewerten können, und nur dann wissen können, ob P es richtig macht oder falsch, und nur dann wissen können, ob P überhaupt einer Regel folgt, wenn P unsere Beteiligung, die Mitwirkung anderer überhaupt, eigens vorgesehen hat (bzw. wenn P ein Spiel spielt, zu dem es wesentlich gehört, dass die Mitwirkung anderer eigens vorgesehen ist). Es gilt: P folgt nur dann einer Regel, wenn P die Mitwirkung anderer an seinem Spiel Das Beispiel gibt Gelegenheit, innerhalb der Begriffe „Mitspielen“ und „Mitspieler“ zu differenzieren: Ich bin als fünfter Mann im Tennisdoppel als Mitspieler im engeren Sinne nicht vorgesehen, aber als Mitbeurteiler der Spielzüge bin ich es sehr wohl, und kann als solcher „mitspielen“ im weiteren Sinne des Wortes.
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eigens vorsieht (und zwar sogar die Mitwirkung anderer im Sinne „wissentlicher Mitwirkung“: Die anderen kommen ins Spiel als solche, die sich ebenfalls an den gemeinsamen Regeln orientieren). Es ist klar, wenn P die Mitwirkung anderer eigens vorsehen muss, dann entsteht das Problem, ob P das Prädikat „privatus“ noch verdient. Immerhin müsste er ja über so etwas wie die Idee einer Kommunikationsgemeinschaft verfügen und diese sogar ständig ins Spiel bringen, wenn er seine Privatheit als Regelbefolger zur Geltung bringen will. Es würde sich außerdem die Frage stellen: Kann P es überhaupt allein – ohne schon auf reale andere Bezug zu nehmen – schaffen, sein Spiel so einzurichten, dass andere (in unserem Sinne) mitspielen können? (c) Hier ist ein Einwand möglich. Man könnte erklären, das zuletzt Entwickelte sei unplausibel bis zur Unverständlichkeit. Die Bedenken, wir könnten nur mitspielen, d. h., Ps Aktivitäten bewerten, wenn ziemlich spezielle Bedingungen vorliegen, seien absurd. In Wahrheit stelle sich doch vielmehr die Frage: Kann P es überhaupt vermeiden, dass seine Aktivitäten so ausfallen, dass im Prinzip in unserem Sinne jedermann mitspielen könnte, dass jedermann sie bewerten könnte und zwar so, dass es zählt? Natürlich können wir nicht mitspielen, wenn es sich bei Ps Aktivitäten um bloß natürliche Ereignisse handelt (wenn P nur ein merkwürdiger Vulkan ist), dann liegt eben gar kein Spiel vor. Aber wenn es um mehr geht, wenn mit so etwas wie Intentionen von P gerechnet werden muss, die erfüllt oder nicht erfüllt werden können, dann sei überhaupt nicht zu sehen, warum wir nicht mitspielen können sollen. Wenn P versucht, sich an einer Regel zu orientieren, nach einer Regel zu handeln, dann sei das Resultat – ganz gleich ob P ein Privatus sei oder sich auf eine Kommunikationsgemeinschaft beziehe – regelrecht oder regelwidrig, richtig oder falsch, und das könne dann auch von uns, bzw. im Prinzip von jedermann, festgestellt werden, ohne dass dazu irgendetwas Besonderes von P vorgesehen werden müsste, vor allem aber, ohne dass P eigens an andere hat denken müssen, bzw. den Begriff anderer Mitspieler, anderer Personen eigens ins Spiel bringen müsste. – Wenn dieser Einwand berechtigt ist, dann würde daraus, dass wir bei P mitspielen könnten, nicht folgen, dass P unser Mitspielen eigens vorgesehen, auf eine Kommunikationsgemeinschaft eigens Bezug genommen haben muss. Und dann könnte P allein einer Regel folgen. In der Tat, wenn wir uns P nach dem Muster normaler Personen vorstellen, im Wesentlichen als Subjekte wie wir, freilich mindestens abzüglich der Eigenschaften, die sich unmittelbar aus dem Kontakt mit anderen Personen ergeben, dann ist nicht leicht zu sehen, warum wir in seinem Spiel nicht mitspielen können sollten. Man könnte insistieren und fragen: Wie sollen wir P denn sonst verstehen, als weitgehend nach unserem Muster? P ist ein potentieller Regelbefolger, und die Fähigkeit, Regeln zu befolgen interessiert hier als Basiskompetenz für Rationali-
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tät. P ist also ein Kandidat für das Prädikat „vernünftig“. Wie sollten wir uns P vorstellen, wenn nicht nach unserem Muster? Allerdings ist bei uns das Regelfolgen an Bedingungen gebunden, von denen nicht klar ist, ob wir diese ohne weiteres auch für P qua Privatus reklamieren können. (i) Bei uns sind Handlungen zweistufige Entitäten, Ereignisse plus Handlungssätze von der Form: „Ich tue hiermit das und das“. D. h., zu Handlungen gehört bei uns die Verwendung des Ausdrucks „ich“ und damit die Verwendung des Systems der Personalpronomina. In diesem System hat der Ausdruck „ich“ seinen Sinn wesentlich aus der Opposition zu den anderen Personalpronomina. Wer als ich handelt, versteht sich immer schon als unterschieden von und zugleich bezogen auf andere, zu denen schon durch die Grammatik der Personalpronomina bestimmte Beziehungen (ich/du, ich/er/sie, ich/wir, ich/ihr, ich/sie) fest vorgesehen sind. (ii) Bei uns haben Bewertungen (z. B. der Regelbefolgungsversuche), wie sie im Regelbefolgen ständig involviert sind, die allgemeine Form: „Ich meine (glaube, behaupte), die Handlung ist regelrecht.“ Das bedeutet, dass bei uns die Gedanken: „Du meinst, dass p,“ bzw. „er meint, dass p“, „sie meinen, dass p“ etwas selbstverständlich Naheliegendes sind. Wir sind damit schon von Anfang an – schon durch unsere Grammatik – mit der Idee ausgestattet, dass es Gedanken (die sich auf dasselbe beziehen können) auch in fremden Köpfen geben könnte, und bringen diese Idee beim Regelfolgen, wenn wir versuchen, es richtig zu machen, mindestens implizit ständig ins Spiel. (iii) Wir verwenden den Ausdruck „richtig“ im Sinne von „intersubjektiv richtig“. Der Anspruch, den wir zu unserer Handlung H erheben, sie sei richtig im Sinne der Regel, ist ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, und er wendet sich auch an jedermann. D. h., es wird beansprucht, im Prinzip müsse jedermann am Ende einsehen, dass H richtig sei, wenn nicht, dann sei H nicht wirklich richtig. Und es wird damit eingeräumt, jedermann könne im Prinzip legitim die Bewertung bestätigen oder bestreiten. In die Bewertung der Handlung H als richtig ist so von Anfang an ein Bezug auf andere Subjekte, auf deren Betroffenheit und deren Berechtigungen mit eingebaut. (iv) Bei uns sind Regeln, denen wir folgen, selbstverständlich Regeln, denen viele Personen folgen können. Es ist für uns nichts Problematisches an einer Regel, der ein anderer als ich selbst folge. Sie ist eigens für den allgemeinen Gebrauch gemacht worden. Dass beim Vorliegen derartiger Voraussetzungen andere Personen unser Regelfolgen überprüfen und bewerten, d. h., bei uns im angegebenen Sinn mitspielen können, ist nicht verwunderlich. Es sind ja strukturelle Gegebenheiten, Vorkehrungen, die unser Spiel, unser Regelbefolgen zu etwas durch und durch Öffentlichem, zu etwas durch und durch intersubjektiv Zugänglichem, zu etwas
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dezidiert Nicht-Privatem machen. Und dass wir solche Spiele mit solchen Eigenschaften spielen, ist ebenfalls nicht erstaunlich, gilt doch von uns, dass wir alle wesentlichen Vernunftkompetenzen über Prozesse, die wir unter dem Stichwort „Sozialisierung“ zusammenfassen, erworben bzw. entfaltet haben. Dass wir nun bei P mit dergleichen Voraussetzungen, die mit seinem Status als Privatus ersichtlich in starker Spannung stehen, nicht ohne weiteres rechnen können, dass daher die Möglichkeit, bei P mitzuspielen nicht ohne weiteres gegeben ist und dass daher unsere Frage berechtigt und unser Problem nicht völlig absurd ist, dürfte nunmehr klar geworden sein. Soviel zu dem Einwand, der uns Gelegenheit bot, einige konkrete Hinsichten, in denen etwas vorgesehen sein muss, exemplarisch vorzuführen. (d) Es ist nicht überflüssig, hier kurz zu überlegen, mit welchen einschlägigen Voraussetzungen bei Privatus eigentlich und zunächst einmal gerechnet werden muss, bzw. wie Privatus, der ja zu bestimmten Zwecken in die Diskussion eingeführt wurde, eigentlich gemeint ist. P ist eine Kunstfigur. Sie wurde eingeführt als ein zur Vernunft fähiges Wesen, das gleichwohl garantiert nie Kontakt hatte mit gleichartigen Wesen oder Kommunikationspartnern und das daher auch garantiert nicht sozialisiert wurde. Der ganze Witz dieser Figur ist, dass sie die von unseren Opponenten verteidigte Idee von privater Vernunft verkörpern soll und dass sie daher die Bezeichnung „Privatus“ verdienen und sich von uns, denen dieses Prädikat nicht ohne weiteres zukommt, deutlich unterscheiden muss. P kann nach Ansicht unserer Opponenten ein vernünftiges Wesen sein, daher muss P nach der Meinung unserer Opponenten, die wir freilich bestreiten, selbst Überzeugungen haben können. Wir dürfen fragen (mit Blick auf die eben gegebene Liste): Gesetzt den Fall, P könnte Überzeugungen hegen, welche müsste bzw. dürfte er haben, wenn er wirklich privatus ist und ausschließlich unter den unterstellten Bedingungen lebt? (Zu iv) Für einen nichtsozialisierten Privatus, der garantiert noch nie Kontakt mit und Kenntnis von anderen vernünftigen Wesen hatte, scheint folgende generelle Hintergrundüberzeugung sehr passend zu sein nämlich, dass eine Regel etwas ist, das selbstverständlich nur durch ihn selbst (das einzige Vorkommnis von Vernunft) befolgt werden kann. Andere Subjekte sind nicht in Sicht, ja schon die Idee von anderen Subjekten, von Alternativen zu ihm selbst, liegt nach Voraussetzung außerhalb seiner unmittelbaren Reichweite. Alternativen zu vor ihm liegenden Gegenständen sind für P relativ leicht zu denken, weil sie Alternativen innerhalb derselben kognitiven Einstellung wären. Die Vorstellung von Alternativen zu ihm selbst, zu so etwas wie einem erkennenden Subjekt, würde die Erfindung einer ihm gänzlich unvertrauten und für ihn kaum antizipierbaren kognitiven Einstellung zu einem anderen vernünftigen Wesen, dessen Inneres ihm nicht so gegeben sein würde wie sein eigenes Inneres, erforderlich machen.
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(Zu iii) Eine zweite für unseren Privatus sehr passende Hintergrundsüberzeugung wäre diese: „Eine Bewertung (von Regelbefolgungsversuchen) wie „dies hier ist richtig“, bzw. „dies ist falsch“, ist etwas, das nur in meinem Kopf entstehen kann, und es ist zugleich etwas, das nur durch im meinem Kopf Entstandenes bestätigt oder widerlegt werden kann.“ Auch dies ist eine Überzeugung, die ihm seine Lebenserfahrung nahe legen wird und die zu transzendieren ihn die eben genannte Hürde hindern wird. (Zu ii und i) Dass P von Anfang an mit grammatischen Strukturen ausgerüstet ist, die Wendungen wie: „Ich meine, dass sich x so und so verhält“ und deren Abwandlungen wie: „Du meinst (ebenfalls), dass sich x so und so verhält“, „er meint (dagegen), dass sich x nicht so und so verhält“ ermöglichen und nahelegen, erscheint mit seinem Status und den Umständen, unter denen er als lebend gedacht wird, kaum vereinbar. Denn, wenn ihm solche Formen zur Verfügung stünden, dann wäre ihm ja von Anfang an der Gedanke vertraut, a) dass es auch Gedanken in fremden Köpfen geben könnte, b) dass sich diese Gedanken gegebenenfalls auf dasselbe beziehen könnten, c) dass sie über dasselbe dasselbe, aber eben auch verschiedenes, aussagen könnten, d) dass diese Gedanken einander betreffen, d. h., einander bestätigen, ergänzen oder bestreiten könnten, e) dass verschiedene Subjekte in demselben Spiel mitspielen können etc. – Das sind sehr komplexe, hochstufige Unterstellungen. Sie sind mit der Idee einer klaren und unzweideutigen Version eines Privatus ersichtlich nicht vereinbar. Wir behaupten also: Eine klare und unzweideutige Version eines Privatus dürfte in den eben gestreiften Hinsichten nicht wesentlich anders ausgestattet sein, als damit vorgestellt wurde. Andererseits ist aber nun auch klar: Wenn P über die zuletzt erwähnten grammatischen Strukturen (bzw. Äquivalente dazu) nicht verfügt (i und ii), dann können wir bei P nicht so mitspielen, dass es zählt. Und wenn P die Hintergrundsüberzeugung (iii) hegt, dass eine Bewertung nur auf ihn zurückgehen kann, dann können wir ebenfalls nicht mitspielen. Ps Bewertungen sind dann nicht betreffbar durch anderer Subjekte Zustimmung oder Kritik. Deren Zustimmung oder Kritik könnte dann nicht als Zug in Ps Spiel zählen und von ihm auch anerkannt werden. Und wenn P schließlich von der Überzeugung geleitet wird, dass Regeln selbst privat sind (iv), dann können wir Ps Regel nicht folgen und insofern mitspielen, weil unser Befolgen ganz klar die Identität dessen verändern würde, was P selbst zu befolgen versucht. Wir würden ja aus der privaten Regel von P eine andere, nämlich eine öffentliche, intersubjektiv geteilte Regel machen und in dieser würde P seine Regel nicht wiedererkennen. Die Zumutung für P wäre etwa so groß, wie sie es für mich wäre, wenn ich meinen Zahnschmerz – dies Individuum – mit anderen in dem Sinn teilen sollte, dass sie diesen Schmerz als
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auch ihren eigenen fühlen. D. h., wir können nur mitspielen, derselben Regel folgen wie P, wenn Ps Regel nicht in diesem Sinne privat ist, wenn sie vielmehr von Anfang an so zugeschnitten ist, dass auch andere Subjekte sie befolgen können, ohne dass sie in ihrem Wesen verändert wird. – Um es zu wiederholen: P kann nach unserer Auffassung keine Überzeugungen haben. Aber wenn er – wie unser Opponent meint – welche haben könnte, dann müssten sie eigentlich so aussehen, wie angedeutet. Mit alledem zeigt sich noch einmal – was der Hauptpunkt in diesem Abschnitt war: Wir können es nicht allein, ganz aus eigener Kraft schaffen, dass wir mitspielen können. Es muss bei P, von Seiten Ps bzw. von Seiten seines Spiels eigens vorgesehen sein, dass andere Personen mitspielen können. P muss in verschiedenen Hinsichten dafür sorgen, dass sein Spiel für andere offen steht. Das bedeutet, dass bei P der Begriff oder die Idee anderer möglicher Mitspieler – letztlich die Idee einer Kommunikations- bzw. Kooperationsgemeinschaft – vorhanden und bei allen Vernunftleistungen, die mit der Differenz zwischen „richtig“ und „falsch“, mit Geltungsdifferenzen überhaupt zu tun haben, wirksam werden muss. Und dies ist, wie wir gerade plausibel zu machen versucht haben, eigentlich gegen die Natur von Privatus bzw. steht mindestens in starker Spannung zur Idee eines Privatus. – Als Nebenresultat erhalten wir zudem den – in unserem Argument zu berücksichtigenden – Hinweis, dass Privatus verschieden radikal verstanden bzw. gefasst werden kann. 5. Zur Konklusion. Wenn bei P derartiges vorgesehen sein muss, kann P dann immer noch als Privatus gelten und seine Aktivitäten als privates Regelbefolgen? – Zunächst, d. h., auf den ersten Blick, sieht die Sache völlig eindeutig aus. Wenn P die Bedingung erfüllt, dann kann er klarerweise nicht mehr als Privatus gelten. Sein Handeln ist dann durch und durch öffentlich und auf die Mitwirkung anderer hin zugeschnitten: Er muss die Regel, der er zu folgen versucht, ansehen als eine Regel, die auch für die Befolgung durch andere gemacht ist. Er muss die von ihm in Anspruch genommene Idee der (Regel‐) Richtigkeit verstehen im Sinne von intersubjektiver Richtigkeit. D. h., er muss seine Bewertung eigener Handlungen, seine Ansprüche, sie seien richtig oder falsch im Sinne der Regel, verstehen als betreffbar durch Zustimmung oder Widerspruch anderer. Er muss daher seine Handlungen selbst verstehen, als Versuche, das zu treffen, dem jeder zustimmen könnte. Er muss also mögliche(n) Zustimmung oder Widerspruch anderer antizipieren und für relevant halten. Zudem gilt folgendes: Wenn Zustimmung oder Widerspruch anderer antizipiert oder vorgesehen sein muss, dann natürlich Zustimmung oder Widerspruch von prinzipiell ernstzunehmenden Mitspielern, die in ihren Reaktionen und Äußerungen verstehbar, die vernünftig, autonom, zurechnungsfähig,
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ja sogar der Idee nach gleichberechtigt sind. D. h., P muss genaugenommen Verhältnisse wie in einem Diskurs vorsehen. Er muss sich verstehen als Mitglied einer Kommunikations- und Diskursgemeinschaft und seine Handlungen als Züge in der Interaktion von Kommunikations- und Diskursteilnehmern. Er darf also seine Situation gerade nicht so verstehen und behandeln, wie es für einen Privatus nahe läge, nämlich als etwas, das vollständig zentriert ist um ein einziges Zentrum (ihn selbst), von dem her alles hell ist, von dem allein her erkannt, gehandelt und beurteilt wird. Er muss sie vielmehr verstehen als öffentlich, als etwas, in dem mit vielen Zentren gerechnet werden muss, von denen her erkannt, gehandelt und geurteilt werden kann, in dem viele Perspektiven im Spiel sein können und in dem es berechtigten Widerstand von vielen Seiten her geben kann. Er kann sich nicht mehr als alleinigen Herrn des Verfahrens ansehen, sondern muss sein Handeln so einrichten, dass die möglichen Reaktionen anderer darauf z. B. durch Korrektur berücksichtigt werden könnten. – Dies alles ist mit einer klaren und unzweideutigen Version eines Privatus ersichtlich nicht vereinbar. Insofern scheinen wir am Ziel zu sein. Auf der anderen Seite – auf den zweiten Blick – gibt es noch Bedenken. Sie beziehen sich zum einen darauf, dass bisher nur gezeigt wurde, dass P den Begriff oder die Idee möglicher anderer Mitspieler haben und ins Spiel bringen muss. Der bloße Begriff bzw. die bloße Idee möglicher Mitspieler, einer möglichen Kommunikationsgemeinschaft seien aber etwas ganz anderes als reale Mitspieler und eine reale Kommunikationsgemeinschaft selber, wie man insbesondere am Vergleich zwischen der Idee eines Lottogewinns und dem Lottogewinn selbst deutlich sehen könne. (1) – Sie beziehen sich zum anderen darauf, dass – wie wir gesehen haben – Privatus verschieden streng oder radikal gefasst werden kann. Es sei jedenfalls nicht klar, ob Privatus so streng gefasst werden müsse, wie am Ende vom Abschnitt 4. Immer noch – so wird unser Opponent erklären – könne P ganz allein und für sich existieren, einer Regel folgen und als Privatus gelten. Das Beweisziel sei noch nicht erreicht. (2) – Die Frage ist jetzt: Wie schwer wiegen diese Bedenken, hat der Opponent Recht? Zu (1): Es scheint mir durchaus nicht ausgemacht zu sein, dass aus dem Bisherigen nicht mehr folgt, als dass P den bloßen Begriff anderer Mitspieler, den Begriff einer Kommunikationsgemeinschaft haben und ins Spiel bringen muss. P ist nach Voraussetzung nicht sozialisiert worden und ohne jeden – direkten oder indirekten – Kontakt zu anderen Vernunftwesen. Die Fragen, die sich dann unvermeidlich stellen, lauten: „Kann P allein, ohne jeden Kontakt zu anderen, zu diesem Begriff kommen?“ und „Kann er ihn allein haben, d. h., so verwenden, dass er seine Praxis daraufhin zuschneidet?“ Zunächst zur Frage des Erwerbs eines solchen Begriffs. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie P privatim an den Begriff herankommen könnte. Einmal so, dass er
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dabei seine Vernunft gebraucht (typischerweise: Lernprozesse), zum anderen ohne den Gebrauch der Vernunft (z. B. durch biologische Evolution). Zum ersten Weg gehört z. B. die naheliegende Vorstellung, dass unser garantiert einsamer P den Begriff anderer Mitspieler auf folgende Weise entwickelt: Wenn P vernünftig handelt, d. h., etwas richtig oder falsch macht, dann tritt P auf sowohl als Akteur wie auch als Beurteiler seiner Leistungen. Die beiden Rollen müssen zeitlich nicht zusammenfallen, und es wird sich ergeben, dass P qua Akteur zum Zeitpunkt t0 seine spätere Beurteilung seiner Leistung zum Zeitpunkt t1 bei seiner Aktivität schon antizipiert und berücksichtigt, um vermeidbare Fehler zu vermeiden. Nun ist P zum Zeitpunkt t0 strenggenommen nicht genau derselbe wie P zum Zeitpunkt t1. Also antizipiert P in gewisser Weise die Beurteilung durch so etwas wie einen anderen Mitspieler. – Die Idee eines wirklichen anderen Mitspielers ergäbe sich demnach durch Radikalisierung des Selbstverhältnisses von P zu einer anderen Phase von sich. – Dazu ist zu sagen: Abgesehen davon, dass eine andere Phase von P für P etwas qualitativ und grundsätzlich anderes ist als ein wirklicher anderer Mitspieler (so dass die Idee der Radikalisierung gar nicht so harmlos ist, wie sie vielleicht aussehen mag), gilt für den ersten Weg ganz allgemein: Wenn P den Begriff anderer Mitspieler noch nicht hat, ist er zu verstehbaren vernünftigen Leistungen, die er ja für Lernprozesse braucht, überhaupt nicht fähig. Seine Leistungen können dann grundsätzlich nicht als vernünftige identifiziert werden. Also scheidet dieser Weg aus. Beim zweiten Weg ist nicht ganz klar, ob er überhaupt zum Besitz eines veritablen Begriffs führen kann. Er könnte aber zu etwas Ähnlichem führen, z. B. zu einem Instinktrudiment, das mindestens z.T. wie ein Begriff fungieren könnte. Ein derartiges Resultat könnte generell durch so etwas wie die biologische Evolution realisiert werden (die biologische Evolution ist ja zu beliebig komplexen Lösungen fähig, und der Hinweis auf sie liegt bei dergleichen Problemen nahe). In unserem konkreten Fall – bei der Vorgeschichte von P – liegen die Verhältnisse jedoch so, dass die biologische Evolution nicht weiterhelfen kann. P ist ja nach Voraussetzung allein, und es gibt daher keinen Grund für langwierige Anpassungsprozesse, an deren Ende etwa ein sozialer Instinkt von P stehen könnte. Die biologische Evolution kommt also hier nicht in Frage. – Es bleibt als einzige Möglichkeit so etwas wie der Zufall. Ich sehe kein Argument, mit dem man den Zufall hier zwingend als unmöglich ausschließen könnte. Aber man muss auch sehen, dass ein Opponent, der sich mit dieser Möglichkeit verteidigt, keine besonders attraktive Position innehat. Damit zur Frage: Könnte P als Privatus den genannten Gedanken, wenn er ihn schon erworben hat, haben oder hegen, kann er etwas damit anfangen, z. B. seine Praxis daraufhin zuschneiden? Wichtig ist hier, dass es sich um einen Gedanken handelt, dem nach Voraussetzung für P nichts Reales korrespondiert. Die Mög-
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lichkeit, dass P sich eines Tages auf etwas vor ihm Befindliches bezieht und sich sagt: „Da ist ja ein Mitspieler“, die ist nicht vorgesehen. P bezieht sich mit diesem Gedanken auf eine bloße Fiktion. – Wittgenstein⁴ hat nun bei seiner Diskussion der Möglichkeit einer Privatsprache (PU, §258) eine Person vorgeführt, die eine private Sprache über eine (mit sprachlichen Mitteln jeweils zu reidentifizierende) wiederkehrende (private) Empfindung „E“ einführen will und hat in diesem Zusammenhang das berühmt gewordene – freilich nicht allgemein anerkannte – Argument formuliert: „ Aber in unserem Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man möchte hier sagen: richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, dass hier von „richtig“ nicht geredet werden kann.“ – Ich behaupte nun: Wenn überhaupt etwas an diesem Argument dran ist, dann muss es in unserem Fall greifen. Damit P den Gedanken wirklich haben kann, müsste er eigentlich unterscheiden können zwischen: Sich wirklich mithilfe des Gedankens auf die Fiktion Beziehen einerseits und es nur vermeintlich Tun, es nur zu tun Scheinen andererseits. Aber genau diese Unterscheidung kann er privatim nicht machen. – In der von Wittgenstein zugrundegelegten Situation wird die Leistung, die P privatim erbringen soll, immerhin noch durch im Spiel befindliche (mögliche) Referenzobjekte (die wiederkehrenden realen Empfindungen) erleichtert, sowie durch die in der Sprache von P schon vorhandene Unterscheidung zwischen „richtig sein“ und „richtig scheinen“. In unserem Fall dagegen ist P garantiert ganz allein, es fehlen sogar diese äußeren Anlässe (mögliche Referenzobjekte), und ob seine „Sprache“ die Mittel für die genannte Unterscheidung überhaupt schon enthält, ist unklar. Daher glaube ich, dass es P nicht gelingen kann, privatim über die private Fiktion einer Kommunikationsgemeinschaft eine stabile Praxis, nämlich die von uns explizierte durch und durch öffentliche Praxis, zu etablieren. – Ich gebe allerdings zu, dass auch dieser Hinweis noch kein schlagendes Argument ist. Vielleicht könnte er dazu gemacht werden, was hier jedoch nicht geschehen wird. In jedem Fall stützen die vorgeführten Überlegungen unsere Behauptung, dass durchaus nicht ausgemacht ist, ob man nicht über die These, dass P mindestens über den Begriff anderer Mitspieler verfügen muss, noch hinauskommen kann.⁵
Wittgenstein (1960b) S. 394 In jedem Fall muss genau darauf geachtet werden, was könnte P allein schaffen, wie weit kann P kommen, ohne Bezug zu nehmen auf die Kommunikationsgemeinschaft. Davidson, der ein Privatsprachenargument, gebaut über die Idee der Triangulation, vorschlägt (Davidson, D. (2004) S. 154 ff., 203 ff., 220 ff., 335 ff., 350 ff.), scheint mir diesen Punkt nicht ernst genug zu nehmen. Sein Privatsprachenargument wäre in der Tat ein beneidenswert elegantes und schlagendes Argument, wenn er wirklich ausschließen könnte, dass eine Person allein über die bloße Festlegung einer (kognitiv relevanten) kausalen Bahn in die Welt bzw. einer bloßen Richtung, aus der die
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Zu (2) Dass diese Überlegungen nicht zu schlagenden Argumenten ausgearbeitet werden konnten, ist nun aber keine Katastrophe, weil das Entscheidende bereits geschehen ist. Damit komme ich zum zweiten Punkt, der sich auf das Problem der verschieden radikalen Fassungen des Privatus bezieht. Selbst wenn sich nicht völlig ausschließen lässt, dass unser Opponent einen schwachen Begriff des Privatus als möglich verteidigen kann, d. h., wenn wir nicht völlig ausschließen können, dass P doch am Ende allein und privatim den Begriff anderer Mitspieler erwerben und ins Spiel bringen kann, so haben wir dennoch unser wichtigstes Beweisziel erreicht. Am Anfang dieser Abhandlung wurde unser Beweisziel kurz folgendermaßen formuliert. Es gehe darum, ob Privatus ohne jeden Kontakt zu anderen, mindestens aber ohne Bezugnahme auf andere einer Regel folgen kann, ob P privatim vernünftig sein kann, ob Vernunft etwas ist, das schon in einer Instanz allein realisiert sein kann, oder ob sie an eine Vielheit von Subjekten, eine Kommunikationsgemeinschaft gebunden ist. Angesichts der Form unseres jetzigen Resultats müssen wir dazu noch etwas mehr sagen. Die Frage nach der Möglichkeit privater Regelbefolgung ist wichtig für die Beantwortung der folgenden fundamentalen Streitfrage, an der sich in der Gegenwartsphilosophie etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Geister scheiden. Von welchem Grundmodell ist bei der Rekonstruktion von Vernunftleistungen und der Vernunft selbst (Erkennen, Handeln, Rationalität) auszugehen, von dem minimalistischen zweipoligen Subjekt-Objekt-Modell der methodischen Solipsisten auf der einen Seite oder dem – mindestens – dreipoligen Subjekt-Kosubjekt-Objekt-Modell derjenigen, die auf so etwas wie ein Apriori der Kommunikation setzen? Sinnesreize heranströmen, hinauskommen kann, wenn Davidson also tatsächlich davon ausgehen könnte, dass eine Person allein unfähig ist, einen bestimmten Ort auf dieser Bahn oder in dieser Richtung auszuzeichnen und insofern auch unfähig, mit bestimmten Objekten kognitiv zu tun zu haben.Was nach Davidson einer Person allein dazu fehlt, ist eine zusätzliche Bestimmung, zusätzlich zu der kausalen Bahn in die Welt, die jeweils den bestimmten Ort auf der Bahn auszeichnen könnte. Nach Davidson kann sich diese zusätzliche Bestimmung nur durch eine zweite (kognitiv relevante) kausale Bahn in die Welt, die einer anderen Person zugeordnet sein muss, ergeben. Die Bahnen können sich schneiden, und der Schnittpunkt ist dann der gesuchte Ort, der die Bestimmung der Referenzobjekte unseres Denkens und Redens festlegt. – Es ist merkwürdig, dass Davidson überhaupt nicht darauf eingeht, dass die Personen, die unseren Erdball bevölkern in der Regel zwei Augen, zwei Ohren, zwei Hände (als bevorzugte Tastinstrumente verstanden) haben, dass diese Personen sich auf dieselbe Sache zeitgleich mit verschiedenen Sinnen beziehen können (Synästhesie) und dass sie außerdem sich nacheinander auf dieselbe Sache mit denselben Sinnen von verschiedenen Orten aus beziehen können. Auf den ersten Blick scheint es also viele Möglichkeiten für einen Privatus zu geben, privatim zu den gewünschten Schnittpunkten zu kommen. Das Argument von Davidson zieht nur, wenn die Irrelevanz dieser Möglichkeiten dargetan ist. Vgl. dazu den folgenden Abschnitt dieses Buches.
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In dem minimalistischen Modell gibt es zunächst nur eine Dimension, in der ein rationales Subjekt sich rational verhalten (erkennen und handeln) kann, die Dimension der- zumeist als sprachlich vermittelt unterstellten – Subjekt-ObjektRelation. (Und zu den an diese Dimension gebundenen Grundmöglichkeiten des rationalen Verhaltens, zum Erkennen und Handeln in der Subjekt-Objekt-Relation, gehören die Standards: Wahrheit (im Sinne von Objektivität, nicht dagegen Intersubjektivität) und Mittelrationalität.) In dem dreipoligen Gegenmodell dagegen gibt es von Anfang an mindestens zwei – ebenfalls gewöhnlich als sprachlich vermittelt unterstellte – Dimensionen, in denen ein rationales Subjekt sich rational verhalten, also erkennen und handeln kann, in der Subjekt-ObjektRelation und in der Subjekt-Kosubjekt-Relation. (Und zu den hier vorgesehenen Grundmöglichkeiten des Erkennens und Handelns gehören die Standards: Wahrheit (im Sinne von Objektivität und Intersubjektivität), Mittelrationalität und Zweckrationalität (im Sinne von praktischer Vernunft)). Für das komplexere Modell ist entscheidend, dass die unterschiedenen Dimensionen: Subjekt-Objektund Subjekt-Subjekt-Relation, und die in ihnen möglichen Leistungen: Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation, Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation und Handeln in der Subjekt-Objekt-Relation und Handeln in der Subjekt-Subjekt-Relation sich wechselseitig voraussetzen, daher nicht aufeinander reduziert werden können, sondern als kategorial verschieden und gleich-ursprünglich angesehen werden müssen. Das Grundmodell lässt sich demnach nicht weiter vereinfachen. Für das minimalistische Modell ist dagegen entscheidend, dass sich die im zweiten Modell unterschiedenen Dimensionen sehr wohl aufeinander reduzieren lassen und sich daher als im Grunde identisch oder als von derselben Art erweisen. Hier gilt daher auch: Das einfache minimalistische Grundmodell kann mit wenig Aufwand so erweitert werden, dass auch das Erkennen und das Handeln in der Subjekt-Subjekt-Relation, die sich nach Ansicht der Anhänger dieses Modells vom Erkennen und Handeln in der Subjekt-Objekt-Relation nicht grundsätzlich unterscheiden, berücksichtigt werden können. Bei diesem Streit geht es vor allem um die Grundstruktur der Vernunft. Es geht darum, ob Vernunft eindimensional oder zweidimensional verfasst ist, ob Vernunftausübung an ein monozentrisches oder ein polyzentrisches Spiel gebunden ist und – davon abhängig – um den Status von sprachlicher Kommunikation und Interaktion zwischen Subjekten. Ist dies etwas Sekundäres und Reduzierbares oder nicht. Kurz: Der Streit dreht sich um strukturelle Verhältnisse und nicht primär um die Frage, ob diese Strukturen in jedem Fall ausgenutzt sein müssen. Zu dieser Kontroverse hat sich nun – so denke ich – im bisherigen durchaus Wichtiges ergeben. Denn, was bisher gezeigt wurde, ist ja, dass P überhaupt nur dann rationale Leistungen (in welcher Dimension und Richtung immer) erbringen, d. h., etwas richtig oder falsch machen kann, wenn er dabei zugleich (und das heißt:
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immer schon) das Mitspielen von kompetenten Kosubjekten eigens vorsieht, d. h., die Dimension der Subjekt-Subjekt-Relation eigens ins Spiel bringt. Dies ist – nach meiner Auffassung – aber gerade der entscheidende Punkt der ganzen Kontroverse. Dass durch das bisher Vorgebrachte durchaus Nennenswertes im Sinne der Hauptkontroverse erreicht ist, möchte ich an wenigstens einem Beispiel konkret dartun. Für die Vertreter der transzendentalpragmatischen Diskursethik ist es wesentlich, dass Vernunft als etwas betrachtet werden muss, zu dem von Anfang an eine soziale Dimension gehört, als etwas zu dem unhintergehbar Regelungen für das Miteinander von kommunizierenden und interagierenden Subjekten gehören. Nur unter einer derartigen Voraussetzung – die z. B. bei Kant als einem in dieser Hinsicht typischen Vertreter neuzeitlicher Mainstream-Philosophie nicht gegeben ist – ist es aussichtsreich, via transzendentale Argumente eine intrinsisch zur Vernunft selbst gehörige moralische Substanz zur Ethikbegründung nutzen zu wollen. – Nun haben wir bisher zwar nicht nachgewiesen, dass bei jeder rationalen Leistung der Akteur sich auf eine reale Kommunikationsgemeinschaft beziehen muss, aber es ließ sich zeigen, dass bei jeder rationalen Leistung der Akteur mindestens die Möglichkeit einer Kooperation anderer kompetenter und ernstzunehmender Mitspieler eigens vorsehen muss. Das aber reicht für eine Ethikbegründung. Denn das bedeutet, dass zur Vernunft selbst, und zwar als strukturelles (!) Merkmal, gehört, dass jedes vernünftige Subjekt im Falle, dass es Kosubjekte gibt, diese immer schon als ernstzunehmende vernünftige, im Prinzip gleichberechtigte Diskurspartner anerkannt hat. Das aber reicht aus, um die Diskursethik via transzendentale Argumente zu entwickeln. Ich behaupte also, dass durch unser Argument gezeigt wurde: Einen Privatus, der vernünftig handelt, der etwas richtig oder falsch macht und der dabei in seinem Handeln nicht auf andere Mitspieler Bezug nimmt, kann es nicht geben. Jeder der vernünftig handelt, etwas richtig oder falsch macht, nimmt als solcher immer schon auf eine Kommunikationsgemeinschaft Bezug, spielt in einem durch und durch öffentlichen polyzentrischen Spiel mit. Die Bedenken, die wir nicht völlig ausräumen konnten, betreffen nur Schönheitsfehler. Unser Opponent kann am Ende genau genommen nicht mehr an einer schwachen Version eines Privatus festhalten, sondern nur noch an so etwas wie der Idee eines einsamen oder isolierten Publicus.
V Zum Schluss noch zu einem möglichen Einwand gegen das Vorgetragene.
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Man könnte angesichts des Bisherigen folgendes vorbringen. Diskutiert wurde das Problem, ob privates Regelbefolgen möglich ist, bisher in einer sehr speziellen Fassung, deren Aussagekraft für das generelle Problem nicht völlig klar ist. Daher kann von einer generellen Lösung bisher noch keine Rede sein. Unser Problem hatte bisher die folgende Form: „Kann sich für einen Publicus (einen Vertreter der Kommunikationsgemeinschaft, einen Sprecher einer öffentlichen Sprache) ergeben, dass Ereignisse, die sich vor seinen Augen mit Bezug auf Privatus begeben, sich am Ende herausstellen als Handlungen von Privatus, mit denen Privatus privatim einer Regel gefolgt ist?“ – Diese Problemstellung ist speziell, weil hier zwei nichttriviale, für das generelle Problem nicht unbedingt erforderliche Voraussetzungen gemacht werden, nämlich 1. die Voraussetzung, dass das Problem ausschließlich vom Standpunkt und aus der Perspektive eines Publicus her gestellt und diskutiert wird, und 2. die Voraussetzung, dass das Problem erörtert wird ausschließlich mit Bezug auf einen Privatus, der dem Untersuchenden gegenübersteht, in einer (mindestens) Zwei-Personen-Konstellation also. – Diese bloß fakultativen Voraussetzungen haben überdies – so wird der Opponent fortfahren – im Bisherigen nicht nur die Rolle von einschränkenden Bedingungen für die Problemdiskussion gespielt, sie gehören auch zu den wichtigsten Voraussetzungen für die vorgeschlagene Lösung, die damit auf diese relativiert werden und daher keine generelle Bedeutung beanspruchen kann. Die erste Voraussetzung sei wirksam geworden im ersten Schritt des Arguments, der den Zusammenhang zwischen Erkennbarkeit und Möglichkeit betraf. Hier wurde stillschweigend unterstellt, dass nur öffentliche Erkenntnis zählt, dass die (private) Erkenntnis, die Privatus gegebenenfalls von seinem privaten Regelbefolgen haben könne, nicht erheblich sei. Die zweite Voraussetzung, die Unterstellung einer Mehrpersonenkonstellation, war verantwortlich für den Hauptgedanken des Arguments, dass Privatus nicht privatim für die Möglichkeit des Mitspielens anderer Personen sorgen könne. Doch was ist, wenn es gar nicht um das Mitspielen anderer Personen geht? – Wenn unser Opponent Recht hat, dann haben wir in der Tat noch nicht viel gezeigt. Aber hat er Recht? Der Einwand besagt vor allem, dass wir eine zu enge Fassung des Problems mit dem Problem selbst verwechselt haben. Und daher seien neben der von uns bisher allein behandelten Konstellation: (1) Publicus fragt mit Bezug auf Privatus vor ihm: „Kann er privatim einer Regel folgen?“ auch noch die folgenden Konstellationen – sie ergeben sich durch Negation der erwähnten Voraussetzungen – zu untersuchen:
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(2) Publicus fragt sich – in einer Einpersonenkonstellation -: „Kann es sein, dass auch ich privatim einer Regel folge bzw. gefolgt bin, z. B. mit Bezug auf nur für mich zugängliche Empfindungen, kann es sein, dass ich auch noch eine private Seite habe?“ (3) Privatus fragt sich privatim: „Gibt es vielleicht private Einsichten, die ich zum Problem der Möglichkeit privaten Regelbefolgens beisteuern könnte?“ (Wenn schon ernsthaft mit der Möglichkeit privaten Regelbefolgens gerechnet werden muss, dann auch mit der hier dann sehr wichtigen Möglichkeit privater Einsichten.) Wir haben damit zwei zusätzliche Problemstellungen (2 und 3), die, so der Einwand, bisher negligiert wurden. Die Frage ist, ob sich damit wirklich Neues ergibt Beginnen wir mit (3). Wir sind bisher stillschweigend davon ausgegangen, dass das Problem der Möglichkeit privaten Regelbefolgens in öffentlicher Sprache und in öffentlicher Diskussion erörtert werden sollte und dass nur zählt, was hier vorgebracht wird. Doch wenn man ernsthaft mit der Möglichkeit privater Regelbefolgung rechnet, diese also nicht von vornherein ausschließt, müssen dann nicht auch mögliche Diskussionsbeiträge von möglichen Privati miterwogen werden und dürfen wir dann einfach das als unmöglich ansehen, was für uns als Publici unerkennbar ist, für uns als Privati dagegen nicht? So könnte man denken. – Allerdings muss nun auch folgendes bedacht werden. Dies alles müsste ja nur deswegen berücksichtigt werden, weil wir unser Problem, ob privates Regelbefolgen möglich ist oder nicht, besonders sorgfältig und ohne etwas zu übersehen, erörtern wollen. Der ganze Aufwand, den wir jetzt treiben, hat Sinn nur, insofern er helfen kann, diese Frage zu beantworten. Auch die möglichen Beiträge von Privatus sind interessant hier nur, insofern sie dazu etwas ausrichten können. Nun ist das Problem aber – und das ist hier ein nicht äußerlicher, sondern wesentlicher Zug – ein öffentliches Problem im öffentlichen Raum, formuliert in öffentlicher Sprache. Und das bedeutet, dass die hier thematischen möglichen Beiträge von Privatus zu dem Problem ihre Relevanz und ihren Nutzen nur zeigen können, wenn es gelingt, sie mit dem in deutscher Sprache formulierten Problem so in Beziehung zu setzen, dass sichtbar wird: Sie sind tatsächlich Antworten oder zumindest sinnvolle Reaktionen auf das öffentliche Problem. Am Ende muss gefragt werden: Sagen diese vorgeblichen Beiträge von Privatus überhaupt etwas aus, und was sagen sie insbesondere zu dem Problem, ob privates Regelfolgen möglich ist? – Dies ist offenbar das Hauptproblem, das durch die neue Konstellation gestellt wird. Dies ist aber ein vertrautes Problem.Wir stehen wieder vor der Frage, die ein Publicus stellt (qua Anwalt oder Vertreter der Frage: Ist privates Regelfolgen möglich?): Können diese Aktivitäten von Privatus als regelgeleitete Handlungen (dieses Mal: Sprechhandlungen) identifiziert und verstanden werden
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oder nicht? Und aus unserer Diskussion des Problems sind auch die hier möglichen Resultate bekannt: Entweder können die Aktivitäten von Privatus als (Sprech‐)Handlungen identifiziert und auf die Frage bezogen werden, dann handelt es sich allerdings nicht um private Sprechhandlungen und sie sind hier irrelevant. Oder sie können nicht als solche identifiziert und verstanden werden, dann sind sie auch irrelevant. Damit noch kurz zum Komplex: Unerkennbarkeit – Unmöglichkeit. Können wir in diesem Zusammenhang das, was Privatus möglicherweise privatim denken/ erkennen könnte, von vornherein als unerheblich abtun? Ich denke, wir können und müssen das. Die Begründung ist wie oben. Das, was grundsätzlich für uns keine Rolle spielen kann derart, dass wir es berücksichtigen müssen, das nennen wir unmöglich. Das Argument ist anwendbar sowohl auf Sachverhalte, wie auf Meinungen. – Man könnte einwenden, dadurch werde unsere Perspektive gegenüber der des Privatus ungerechtfertigt ausgezeichnet. Dasselbe Argument lasse sich ja auch aus der Perspektive des Privatus uns gegenüber vorbringen. Dagegen ist zu sagen: Es geht nicht um die Opposition zwischen unseren Meinungen und denen des Privatus. Es geht vielmehr um den Gegensatz zwischen dem, was zum öffentlichen Diskurs gehört, auf ihn bezogen werden kann und dem, was nicht dazu gehört, nicht auf ihn bezogen werden kann, abgespalten bleiben muss. Nur das zählt als Denken, Meinen, Erkennen, was dem öffentlichen Sinnzusammenhang angehört, was davon abgesondert, abgespalten bleibt, nicht. (Dieser öffentliche Sinnzusammenhang wird nicht schon durch ein „ich denke“ eines einsamen Ich konstituiert, sondern erst durch ein „wir denken“ [das freilich genaugenommen schon in dem „ich denke“ steckt, wenn man es versteht vor dem Hintergrund des vorausgesetzten Systems der Personalpronomina]. Und sowenig – nach Kant – ein „vielfärbiges Ich“ als Voraussetzung für objektiv gültiges Denken ausreichen kann, sowenig kann in diesem Sinne ein „vielfärbiges Wir“ als Voraussetzung dafür gelten, sondern nur ein einfärbiges. Das aber schließt die Möglichkeit privater Gedanken, die zählen, aus.) Sehen wir uns jetzt die Konstellation (2) noch etwas näher an: Ich überlege mir, ob ich nicht auch privatim einer Regel folgen kann, bzw. gefolgt bin. – Die Differenz zur ersten Konstellation (1) ist: Ich stütze mich bei meinen Überlegungen nicht auf Beobachtungen in der Welt. Es geht nicht um eine Zwei- oder Mehrpersonenkonstellation. Es geht um intrasubjektive Verhältnisse. Ich erörtere die Sache als Publicus, und das ist sogar notwendig so. Die Frage, um die es geht, ist – wie gesagt – in öffentlicher Sprache gestellt – das ist ein Faktum, das für alle Bemühungen im Sinne dieses Projekts unhintergehbar ist – und d. h., am Ende muss von mir als Publicus das, was ich von mir als Privatus weiß, mit dieser Frage zusammengebracht werden, auf diese Frage bezogen werden. Der letzte Schritt der Untersuchung kann nur von mir als Publicus (als
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Anwalt der Frage sozusagen) gemacht werden. D. h., die Position des Publicus ist die maßgebliche für mich. In dieser Position kann sich nun für mich zweierlei ergeben: Entweder komme ich zur – berechtigten – Überzeugung über mich als Privatus, dass ich das und das tue, bzw. getan habe und dabei richtig/falsch im Sinne der Regel handle, bzw. gehandelt habe, oder ich kann nicht zu einer solchen Überzeugung kommen. Wenn ich zu einer solchen Überzeugung komme, einer Überzeugung, von der ich glauben kann, dass sie die Sache wirklich trifft, derart, dass im Prinzip auch Privatus (bzw. ich als Privatus) ihr zustimmen könnte, dann ließe sich diese einerseits zwar – als mögliche wesentliche Evidenz – auf die Ausgangsfrage beziehen. Andererseits aber schlägt nun unser Hauptargument durch, nach dem Privatus dann die Verhältnisse so eingerichtet haben muss, dass auch ich als Publicus, als Vertreter des öffentlichen Diskurses seiner Standards und Regeln, mitspielen kann. Und dann ist die fragliche Aktivität gar nicht privat gewesen. Wenn ich dagegen nicht zu einer Überzeugung dieser Art gelange, dann habe ich gar nicht erst Grund anzunehmen, dass sich aus einer Untersuchung meines (privaten) Verhaltens irgendwelche Aufschlüsse zu unserer Frage ergeben könnten. Auch diese Konstellation führt in Wirklichkeit wieder auf unsere Eingangskonstellation zurück, in der Publicus etwas entweder als regelrechte bzw. regelwidrige Handlung identifizieren kann oder nicht. Die Differenz, dass es hier nicht um Beobachtungen von etwas Innerweltlichem geht, spielt ebenso wenig eine Rolle wie das Faktum, dass es hier nicht um inter- sondern um intrasubjektive Verhältnisse geht. Auch hier gilt: Damit ich als Publicus – qua Anwalt der Frage, auf die am Ende alles bezogen werden muss – bei den möglichen privaten Aktivitäten von mir als Privatus mitspielen kann (diese so, dass es auch für Privatus zählt, als richtig oder falsch bewerten kann), muss vorgesehen sein, dass überhaupt ein Vertreter der öffentlichen Diskussion und zwar mitsamt all dem, was ihn dazu macht: Sprache, Standards, Regeln etc. mitspielen kann, so dass es zählt.
Bemerkungen zu Donald Davidson Bei der Davidsonschen Philosophie, die sich seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis zu seinem Tode 2002 in einer ständigen Folge sehr berühmt gewordener Aufsätze entwickelte und die als umfassender philosophischer Ansatz vor allem durch die späten Aufsätze aus „Subjektiv, Objektiv, Intersubjektiv“¹ sichtbar wurde, einerseits und der von K.-O. Apel begründeten Transzendentalpragmatik, an der ich seit langem mitarbeite andererseits, handelt es sich um systematische Ansätze zur Philosophie, die wichtige, tiefgehende, die Grundidee und das Zentrum der Ansätze betreffende Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten haben, Ansätze, die aber zugleich auch sehr verschieden durchgeführt und einander eigentümlich fremd sind. Am meisten verantwortlich für die systematische Nähe zwischen den beiden Konzeptionen ist die Übereinstimmung in der Überzeugung, dass sprachliche Kommunikation für Vernunftleistungen welcher Art immer unverzichtbar ist, und dass eine stichhaltige Begründung für diese These geliefert werden muss. Vernunftleistungen kann es nur da geben, wo in einer Kommunikationsgemeinschaft miteinander kommuniziert wird. Einer allein kann keine Gedanken haben, einer allein kann der Ideen von Objektivität und Wahrheit nicht mächtig sein. Wenn – wie in beiden Konzeptionen der Fall – im Grunde Vernunft als das zentrale Thema der Philosophie angesehen wird, Philosophie letztlich nichts anderes ist als kritische Auseinandersetzung mit dem Vernunftbegriff, dann ist eine These, wie die, dass Vernunft von Anfang an an eine Vielheit von miteinander kommunizierenden Subjekten gebunden ist, etwas, das die Grundstruktur und den Gesamtzuschnitt der jeweiligen Konzeption entscheidend prägt und was daher eine sorgfältige Begründung unbedingt verdient. Übereinstimmung in dieser These ist also Übereinstimmung in der grundsätzlichen Ausrichtung, im grundsätzlichen Zuschnitt der Konzeption, betrifft also keine Kleinigkeit. Diese erste Übereinstimmung zieht die weiteren nach sich. Die zweite besteht darin, dass in beiden Konzeptionen die kommunikative Erfahrung, das Verstehen, die Erkenntnis des Fremdpsychischen via Sprachverstehen, das ja nach der ersten These bei jeder Vernunftleistung involviert ist, eine bedeutende Rolle spielt, dass ein großer Teil der epistemologischen Bemühungen in der jeweiligen Konzeption der Analyse der Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation in Opposition zur Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation gewidmet ist. Dies geschieht in der Transzendentalpragmatik im Anschluss an die Tradition der Hermeneutik, eine Tradition, die seit der Neuzeit im Gegensatz steht zur Mainstreamepistemologie, Davidson (2004). https://doi.org/10.1515/9783110677454-006
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welche sich genaugenommen bis heute auf die Analyse der Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation beschränkt. Und dies geschieht bei Davidson, jedenfalls beim späten Davidson in – wie wir denken – ausdrücklicher Absetzung von der empiristischen Tradition der Unified Science Bewegung, zu deren Protagonisten ja noch sein Mentor Quine und dessen Lehrer Carnap gezählt wurden. Die dritte Übereinstimmung zwischen den Konzeptionen, die ebenfalls von der zuerst genannten abhängt, ist die Übereinstimmung in der Idee einer nach Erkenntnistypen differenzierten – in beiden Fällen sogar trialistischen – Epistemologie, in der zwischen Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation bzw. Erkenntnis der äußeren Welt einerseits, Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation bzw. Erkenntnis des Fremdpsychischen, Verstehen andererseits und schließlich Reflexion bzw. Erkenntnis des Eigenpsychischen unterschieden wird. Weil Erkenntnistheorie in den meisten Philosophien, jedenfalls aber bei den beiden hier thematischen Konzeptionen eine zentrale Rolle mit großer Ausstrahlung für alles Übrige spielt, ist auch diese Übereinstimmung gewichtig. Mit dieser Übereinstimmung in zentralen – ja die jeweilige Konzeption geradezu tragenden – Ideen geht einher eine deutliche Differenz in der Auffassung von und im Umgang mit diesen Ideen. Wegen der eigentümlichen Mischung aus Übereinstimmung und völligem Dissens, zwischen Nähe und Ferne, scheint uns ein Vergleich der beiden Konzeptionen anregend, erhellend und insofern nützlich zu sein. Besonders wichtig ist die klare Differenz in der Auffassung des hermeneutischen Verstehens. Davidson, der seine Verstehenslehre im Zusammenhang seiner Sprachtheorie entwickelte und der in diesem Zusammenhang sich sehr stark an der Situation der sog. „radikalen Interpretation“ orientiert, einer Situation äußerster Fremdheit zwischen Interpretandum und Interpreten, fasst das Verstehen im Kern auf als den Versuch des Interpreten, zu einer kohärenten Theorie über das jeweilige Interpretandum zu kommen, einer Theorie über ein zwar sehr besonderes Stück der uns umgebenden Realität, aber eben doch einer Theorie wie andere Theorien auch über andere Ausschnitte der uns umgebenden Realität. In der Transzendentalpragmatik liegt eine solche Vorstellung überhaupt nicht nahe. In der Variante der Transzendentalpragmatik, die wir vertreten, wird vor allem darauf abgehoben, dass das Interpretandum ja meist selbst schon den Charakter einer Überzeugung oder Hypothese über etwas besitzt, und dass es in der Regel nicht darum geht, nun noch eine Hypothese über die Hypothese zu erhalten, sondern die Hypothese oder Überzeugung, die ja drüben schon vorliegt,
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sich selbst anzueignen, sie zu übernehmen.² D. h., in den beiden Konzeptionen spielt das Verstehen gleichermaßen eine sehr gewichtige Rolle, aber die zentrale Aktivität oder Leistung des Verstehens wird ganz verschieden eingeschätzt. Von dieser Differenz abhängig ist eine weitere. Sie betrifft die Frage des Verhältnisses der verschiedenen Typen der Erkenntnis innerhalb der nach Typen differenzierten Epistemologie in den beiden Konzeptionen. Bei Davidson wird das Verhältnis der Erkenntnistypen verstanden nach dem Muster des Verhältnisses zwischen verschiedenartigen – auf verschiedenartige Begriffe angewiesenen – von A vertretenen Hypothesen über verschiedenartige Gegenstände, Hypothesen, die sich einerseits wechselseitig voraussetzen, darum nicht aufeinander zu reduzieren sind, und die sich andererseits zu so etwas wie einem sinnvollen Ganzen vereinigen lassen (so wie z. B. im Triangulationsargument A einen Gegenstand nur erkennen kann (auf ihn referieren kann), wenn er auch Äußerungen von B über den Gegenstand verstehen kann und zugleich weiß, dass A und B zusammen mit dem Gegenstand als Eckpunkte eines Dreiecks aufgefasst werden können³). – In der Transzendentalpragmatik dagegen wird das Verhältnis der Erkenntnistypen gedacht nach dem Muster des Verhältnisses von zwar verschiedenen, aber ständig eng miteinander zusammenhängenden, aufeinander angewiesenen, in re kaum voneinander zu trennenden kognitiven Verhaltensweisen von A zu demselben Gedanken oder derselben Hypothese: nämlich dem Etablieren der Hypothese über x (i), dem Sich-Aneignen bzw. In-Betrieb-nehmen der über x etablierten Hypothese (ii) und dem (Handlungs‐) Wissen davon per „ich tue hiermit das und das“ (iii). D. h. hier ist das Verhältnis – quasi ein Kehrseitenverhältnis – sehr viel enger und die These von der Unabdingbarkeit von Kommunikation und Reflexion bei jeder Vernunftleistung scheint uns hier sehr viel plausibler zu sein. Die dritte wichtige Differenz betrifft die Begründung der zentralen These, nach der Vernunft an Kommunikation gebunden ist. Bei Davidson läuft die Begründung über den Gedanken, dass bestimmte Eigenschaften von Leistungen, die erforderlich sind, damit diese Leistungen als Vernunftleistungen angesehen werden können, quasi physisch nicht von einem Lebewesen allein erbracht werden können (weil es nicht zugleich verschiedene Standpunkte einnehmen könne). Wir denken, dass man mit einer derartigen Strategie nicht durchkommen kann. In der Transzendentalpragmatik dagegen läuft das Argument über den – u. E. aussichtsreicheren – Gedanken, dass das Spiel des Regelfolgens, dass der institutionelle – normative – Sachverhalt des Regelbefolgens, nur möglich ist, wenn die
Dabei heißt „übernehmen“ hier nicht *schwer leserlich* als wahr oder richtig akzeptieren, sondern sie sich so verfügbar zu machen, dass man sie dann kritisch prüfen kann. Vgl. Davidson (2004), 208.
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Beteiligung von anderen als dem Regelbefolger selbst an diesem Spiel von Anfang an in den Spielregeln vorgesehen ist. Im Folgenden soll nun die davidsonsche Konzeption hinsichtlich der drei genannten Komplexe vorgestellt, geprüft und mit den entsprechenden Theoriestücken aus der Transzendentalpragmatik kontrastiert werden. Wir gehen dabei zunächst auf das Privatsprachenargument von Davidson, das Triangulationsargument, (1) ein – weil die Idee so wichtig ist, wird die Besprechung relativ ausführlich ausfallen -, dann auf die Frage nach der Struktur hermeneutischen Verstehens (2) und zum Schluss auf die Frage der Struktur der nach Typen differenzierten Epistemologie, bzw. nach dem Verhältnis von Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation und Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation (3).
1 Donald Davidson hat in seinen späten Schriften, seit ca. 1990, ein Argument immer wieder vorgetragen, das er das „Triangulationsargument“ nennt. Das Argument läuft auf den Versuch eines Nachweises hinaus, dass einer allein zu so etwas wie vollständigen Gedanken, Überzeugungen über etwas nicht in der Lage ist, dass Gedanken, Überzeugungen über die natürliche Welt in Wahrheit nur möglich sind, wenn mindestens zwei Personen miteinander über die natürliche Welt (bzw. einen Ausschnitt daraus) kommunizieren. Das Argument ist relativ einfach gebaut, es ist wegen seiner Einfachheit sehr elegant, und es betrifft – wie wir gesehen haben⁴ – Dinge, die in der Philosophie von größter Tragweite und Bedeutung sind. Beides zusammen: relative Einfachheit und Eleganz auf der einen Seite, Bedeutung und Tragweite auf der anderen Seite lassen das Argument auf den ersten Blick geradezu als eine Art Mirakel erscheinen. Es ist genau von der Art, wie man es sich erträumt, wenn man auf den erwähnten Gebieten lange gearbeitet hat. Wenn es sich wirklich halten und verteidigen lässt, dann handelt es sich hier um den Idealfall eines zentralen philosophischen Arguments, um eine tiefe philosophische Einsicht in sehr verwickelte Verhältnisse. – Die Frage ist natürlich: Ist es so gut, wie es aussieht? Lässt es sich halten und verteidigen? Das soll nun im Folgenden geprüft werden.
Vgl. o. S. 186 ff.
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1.1 Wir werden das Argument, weil die Sache so wichtig ist und um unsere Behauptungen besser überprüfbar zu machen, zunächst einmal im Zusammenhang vorstellen und zwar im Anschluss an die ausführlichste Version des Arguments im Aufsatz: „Die zweite Person“ von 1992⁵ – Das Argument läuft folgendermaßen: 1. Davidson geht aus von folgender Situation: Ein Lebewesen bringt es irgendwie dazu, auf einen wiederkehrenden Reiz bzw. ein Reizmuster spezifisch, d. h., mit einander ähnlichen Reaktionen zu reagieren, ein Kind beispielsweise auf den wiederkehrenden Reiz eines Tisches mit der (wiederkehrenden) Äußerung „Tisch“. 2. Davidson stellt dann das Problem: Was genau ist der Reiz, auf den das Kind reagiert und d. h., was meint es mit dem Ausdruck „Tisch“? Ist es der Gegenstand Tisch selbst, sind es Reizungen seiner Nervenenden z. B. auf der Retina, sind es Photonenmuster zwischen Tisch und Auge etc.? Würde man den Tisch wegnehmen, aber dafür sorgen, dass die Bewegung der Photonen oder die Reizung der Nervenenden gleich bliebe, würde das für das Verhalten des Kindes keinen Unterschied machen. Für das Kind spielen all die verschiedenartigen Phänomene, die auf der Reizbahn hintereinander angeordnet sind, dieselbe Rolle. Und daher ist unbestimmt, worauf sich das Kind mit dem Ausdruck „Tisch“ jeweils bezieht. 3. Davidson fragt jetzt: „Was erklärt den Umstand, dass es uns so natürlich vorkommt, zu sagen, … das Kind reagiere auf Tische?“ (204) Es ist das Faktum, dass dies unsere natürliche Art ist, auf solche Reize zu reagieren. „Wir finden die Äußerungen des Wortes „Tisch“ seitens des Kindes ähnlich und die während dieser Äußerungen in der Welt gegebenen Dinge, die wir von Natur aus zusammengruppieren, bilden eine Klasse von Tischen.“ (204/205) Was sich sonst noch auf der Reizbahn zwischen Tisch und Kind befinden mag, können wir entweder gar nicht oder nur sehr schwer wahrnehmen, noch schwerer wäre es für uns, es als ähnlich zusammenzufassen. – Davidson folgert: Es sind hier drei Ähnlichkeitsmuster im Spiel: „Das Kind findet Tische ähnlich, wir finden Tische ähnlich; und außerdem finden wir die Reaktionen des Kindes auf Tische ähnlich. Jetzt hat es Sinn, dass wir die Reaktionen des Kinds Reaktionen auf Tische nennen. Sind diese drei Reaktionsmuster gegeben, können wir den Reizen, welche die Reaktionen des Kindes auslösen, einen Ort zuordnen. Die relevanten Reize sind die Gegenstände oder Ereignisse, die wir natürlicherweise ähnlich finden (nämlich Tische) und die in wechselseitigen Beziehungen stehen zu Reaktionen des Kindes, die wir ihrer-
Vgl. Davidson (2004) 203 ff. (Seitenzahlen im unm. anschließenden Text beziehen sich auf dieses Buch.)
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seits ähnlich finden. Das ist eine Form von Triangulation: Eine Linie verläuft vom Kind aus zum Tisch hin, eine weitere Linie verläuft von uns aus zum Tisch hin, und die dritte Linie geht von uns hin zum Kind. Seinen Ort hat „der“ Reiz dort, wo die Linie vom Kind zum Tisch sich mit der Linie von uns zum Tisch schneidet. Ist unsere Sicht des Kindes und der Welt gegeben, können wir „die“ Ursache der Reaktionen des Kinds ermitteln. Es handelt sich um die gemeinsame Ursache unserer Reaktion und der Reaktion des Kindes.“ (205/206) 4. Mit alledem – so behauptet Davidson – konnte nun der „Vorstellung, der Reiz habe einen objektiven Ort in einem gemeinsamen Raum, Sinn“ verliehen werden. Gezeigt wurde, dass „es überhaupt eine Antwort gibt auf die Frage, was durch die Begriffe dieses Lebewesens (wenn es denn welche hat, W.K.) begrifflich erfasst wird. Wenn wir ein einzelnes Lebewesen allein betrachten, können seine Reaktionen – egal, wie komplex sie sind – nicht zeigen, dass sich seine Reaktionen oder Überlegungen auf Ereignisse beziehen, die sich in einer gewissen Entfernung von ihm abspielen, und nicht etwa auf seiner Haut.“ Ohne ein auf das erste Lebewesen reagierendes zweites Lebewesen kann es keine Antwort auf die Frage geben, auf welche Gegenstände oder Ereignisse ein Lebewesen reagiert. „Und natürlich gilt: Wenn es auf diese Frage keine Antwort gibt, gibt es auch keine Antwort auf die Frage, welche Sprache von einem bestimmten Lebewesen gesprochen werde.“ (207) 5. Davidson komplettiert das Argument durch folgende Überlegungen: Es ist bisher noch nicht sichergestellt worden, dass die Interaktion für die beteiligten Wesen (etwa Kind und Lehrer) von Bedeutung ist. „Sofern man von den beteiligten Wesen nicht sagen kann, sie reagierten auf die Interaktion, besteht keine Möglichkeit, wie sie sich für ihre Erkenntnisse die dreifältige Beziehung zunutze machen können, durch die unserer Vorstellung Inhalt verliehen wird, dass sie auf einen bestimmten Gegenstand reagieren und nicht auf einen anderen.“ (207) „Wenn die Reaktionen des Sprechers sprachlicher Art sind, müssen sie bewusst und absichtlich Reaktionen auf spezifische Reize sein. Der Sprecher muss den Begriff des betreffenden Gegenstands – … der Tische – haben. Da … der Tisch nur mit Hilfe des Durchschnitts von zwei (oder mehr) Mengen von Ähnlichkeitsreaktionen (die wir nachgerade Denklinien nennen könnten) identifiziert wird, besteht das Haben des Tischbegriffs… darin, dass man das Vorhandensein eines Dreiecks erkennt, dessen einer Scheitelpunkt man selbst ist, während ein weiterer ein anderes Lebewesen von ähnlicher Artung und der dritte ein Gegenstand (Tisch) ist, der sich in einem somit gemeinschaftlich gestalteten Raum befindet. Dass der zweite Scheitelpunkt, also das zweite Lebewesen oder die zweite Person, auf denselben Gegenstand reagiert wie man selbst, kann man nur dadurch in Erfahrung bringen, dass man herausbekommt, ob die andere Person denselben Gegenstand im Sinn hat. Doch dann muss die zweite Person ebenfalls wissen,
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dass die erste Person einen Scheitelpunkt desselben Dreiecks bildet, welches einen anderen Scheitelpunkt aufweist, der von ihr – der zweiten Person – eingenommen wird. Damit zwei Personen von einander wissen können, dass sie – dass ihre Gedanken – in einer solchen Beziehung zueinander stehen, ist erforderlich, dass es zwischen ihnen zur Kommunikation kommt. Jede dieser beiden Personen muss mit der jeweils anderen reden und von der anderen verstanden werden.“ (207/208/209) 6. Davidson fasst die Resultate des Arguments folgendermaßen pointiert zusammen: „Ehe jemand Gedanken haben kann, muss es ein oder mehrere Lebewesen geben, die mit dem Sprecher interagieren.“ (207) „Eine Bedingung dafür, dass man ein Sprecher sein kann, ist die, dass es andere geben muss, die uns selbst hinreichend ähnlich sind.“ (207/208) „Diese Argumentation zeigt, dass die erste Sprache einer Person nicht privat sein kann, d. h. es kann sich nicht um eine Sprache handeln, die von nur einem Lebewesen verstanden wird.“ (209) „Erkenntnis des Fremdpsychischen und Erkenntnis der Welt (sind) wechselseitig abhängig, keine dieser beiden Formen des Wissens ist möglich ohne die andere.“ (352)
1.2 Gehen wir die wichtigsten Schritte des Arguments kritisch durch. Zu 1 und 2 und damit zur Problemstellung: Wir fragen zunächst: Worin genau besteht für Davidson das Problem? Es besteht in erster Linie (i) darin, dass unklar sei, was genau der Reiz ist, auf den das Lebewesen reagiert, wenn es für sich und als isoliert von möglichen Kommunikationspartnern betrachtet wird. (351). Es sei unklar, worauf sich das Lebewesen mit seiner Reaktion bezieht (206), worauf der Ausdruck „Tisch“ referiert, was durch die Begriffe dieses Lebewesens (wenn es denn schon Begriffe hat W.K.) begrifflich erfasst wird (206). Und wenn dies unklar sei, dann sei auch unklar, was der spezifische Inhalt des Denkens bzw. Redens des Lebewesens ist, d. h. es gebe gar keinen solchen Inhalt, keinen propositionalen Inhalt. (351/352) Zu dieser Unklarheit komme es nach Davidson, weil die sehr verschiedenartigen Phänomene, die auf der Reizbahn zwischen dem Gegenstand draußen und den einschlägigen Gehirnteilen des Lebewesens eine Rolle spielen können, bei dem betroffenen Lebewesen alle denselben Effekt auslösen, zu denselben Reaktionen führen, für das Lebewesen also als dasselbe gelten müssen. Es gebe für das Lebewesen nach Davidson keine Möglichkeit, zwischen ihnen zu unterscheiden, d. h. ein bestimmtes Phänomen auf der Reizbahn oder einen bestimmten Ort darauf auszuzeichnen.
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Das Problem besteht für Davidson in zweiter Linie (ii) darin, dass ein Lebewesen allein die Idee von Objektivität und darum auch die Idee einer Differenz zwischen richtig und falsch, zwischen Wahrheit und Irrtum nicht haben könne (221), was damit zusammenhänge, dass das Lebewesen allein keine propositionalen Inhalte festlegen könne. Dieser Aspekt des Problems, der ja eine Folge des primären Problems ist, schafft eine deutliche Verbindung zum Wittgensteinschen Privatsprachenproblem, die Davidson auch immer wieder hervorhebt. Einen dritten Aspekt des Problems (iii) sieht Davidson darin, dass noch in einem weiteren Sinn unklar sei, worauf genau das Lebewesen reagiert, „ein wie großer Teil der Gesamtursache (des Gesamtreizes W.K.) einer Überzeugung für den Inhalt relevant ist.“ (222) Wir verstehen das so, dass unklar sei, auf welche Aspekte des Reizes das Lebewesen jeweils abhebt. Es ist nach unserer Auffassung wichtig, zu sehen, dass es sich hier um durchaus verschiedene Probleme handelt. So haben z. B. Problem (i) (welcher Ort auf der Reizbahn?) und Problem (iii) (welcher Aspekt des Reizkomplexes?) kaum etwas miteinander zu tun. Wenn Problem (i) gelöst wäre, hätten wir immer noch mit Problem (iii) zu tun. – Problem (i) (Reizbahn) und (ii) (Objektivität) verhalten sich so zueinander, dass gilt, eine Lösung von Problem (i) ist eine notwendige Bedingung für eine Lösung von Problem (ii). – Dass die Probleme alle zusammengenommen werden bei Davidson, macht die Sache nicht klarer. Zu 3 und damit zu Davidson Auflösung des Problems. Es geht um den Nachweis, dass wichtige Leistungen, das Haben von Gedanken (die sich auf etwas Bestimmtes beziehen), das Umgehen mit Geltungsdifferenzen, nur erbracht werden können, wenn eine bestimmte soziale Konstellation gegeben ist. Dazu muss offenbar (a) gezeigt werden, dass diese Leistungen nicht ohne die soziale Konstellation, also nicht durch das betreffende Lebewesen allein, erbracht werden können, und (b) dass und wie die soziale Konstellation zur Ermöglichung dieser Leistungen tatsächlich wesentlich beiträgt. – Zu (a): Kann das betroffene Lebewesen (A) wirklich nicht allein mit dem Problem fertig werden? – Wir untersuchen die Sache zunächst mit Bezug auf das Problem (i) (das Reizbahnproblem). Davidson behauptet ein Lebewesen (A) allein könne im gegebenen Fall keinen Ort auf der Reizbahn auszeichnen. Das, was am Ende bei Davidson das Problem auflösen wird, dass die erste Reizbahn durch eine zweite geschnitten wird, derart, dass ein Punkt auf der Reizbahn als Schnittpunkt sich auszeichnen lässt, dazu könne es nur durch das Hinzutreten eines weiteren (zu A) ähnlichen Lebewesens kommen. – Es ist m. E. sehr merkwürdig, dass Davidson mit keinem Wort in den vier verschiedenen Aufsätzen, in denen das Triangulationsargument vorgetragen wird, auf die wohlbekannten Fakten eingeht, – dass wir zwei Augen und zwei Ohren haben,
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– –
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dass wir von Gegenständen in der Welt über verschiedene Sinne zugleich (Auge und Hand, Gesichts- und Tastsinn) erfahren können, dass wir uns relativ zu den Objekten mit offenen Sinnen bewegen können etc.
Werden aber diese Fakten beachtet, dann scheint es gar nicht zuzutreffen, dass A allein immer nur jeweils mit einer Reizbahn zwischen ihm und dem Objekt zu tun hat und auf dieser Reizbahn mit für A ununterscheidbaren Phänomenen. A hat im Gegenteil fast immer, auch wenn er allein ist, mit mehreren Reizbahnen und mit Schnittpunkten auf den Reizbahnen zu tun. D. h. A kann allein für das sorgen, wozu nach Davidson mindestens zwei einander ähnliche Lebewesen aufgeboten werden müssen. Zum Problem (ii), dem Problem der Objektivität bzw. der Differenz richtig und falsch. Davidson behauptet, auch das „Problem der Objektivität des Denkens“ könne „ohne das Dreieck (aus dem Triangulationsargument W.K) nicht erklärt werden.“ (220) Er schreibt: „Woher rührt die Vorstellung, dass wir uns womöglich irren?“… „Wittgenstein hat… vorgeschlagen, dass wir ohne unsere Interaktionen mit anderen Personen gar keinen Begriff davon hätten, dass man etwas richtig oder falsch machen kann. Das von mir beschriebene Dreieck steht für die einfachste interpersonale Situation. In ihr korrelieren zwei (oder mehr) Lebewesen ihre eigenen Reaktionen auf äußere Phänomene mit den Reaktionen des jeweils anderen Lebewesens. Sobald diese Korrelationen hergestellt sind, kann jedes der beiden Lebewesen das äußere Phänomen erwarten, wenn es die damit assoziierte Reaktion des anderen wahrnimmt. Die Möglichkeit des Irrtums wird dadurch ins Spiel gebracht, dass Erwartungen gelegentlich enttäuscht werden; hier ist die wechselseitige Beziehung zwischen den Reaktionen nicht gegeben.“ (221) Dazu folgendes: Es ist zunächst nur eine trockene Versicherung, dass einer allein die Idee eines Irrtums nicht haben kann⁶, eine Versicherung überdies, die bekanntlich von sehr vielen Philosophen vehement bestritten wird. Und wenn außerdem, wie eben nahegelegt wurde, bei Lebewesen einer bestimmten Komplexitätsstufe von Anfang an die Möglichkeit und Notwendigkeit intrasubjektiver Triangulation unterstellt werden muss, dann muss man schon etwas sagen zu der Möglichkeit, dass ein Lebewesen auch allein schon die entsprechenden Erwartungen und Enttäuschungen an den Tag legen könnte, über die das Davidsonsche Argument hier läuft. Wenn diese Möglichkeit nicht zwingend ausgeschlossen wird, hat das Argument überhaupt keine Kraft. – Ganz Ähnliches gilt auch für das folgende Argument von Davidson: Er behauptet: „Das Kriterium, auf dessen
Ich halte die Behauptung im Grunde für richtig, aber das hat mit der Qualität des Arguments nicht zu tun.
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Grundlage von einem Lebewesen gesagt werden kann, es behandle gewisse Reize als ähnlich – als zu einer Klasse gehörig -, ist die Ähnlichkeit der Reaktionen des betreffenden Lebewesens auf diese Reize. Doch welches ist das Kriterium der Ähnlichkeit dieser Reaktionen? Dieses Kriterium lässt sich nicht mehr aus den Reaktionen des betreffenden Lebewesens ableiten, sondern es kann sich nur aus den Reaktionen eines Beobachters auf die Reaktionen dieses Lebewesens ergeben.“ (350) Davidson unterstellt dabei ganz selbstverständlich, dass es sich dabei um einen „Beobachter“ handeln muss, der verschieden ist von dem betreffenden Lebewesen. Das aber ist bei höheren Lebewesen, zumal solchen, die so etwas wie intrasubjektive Triangulation mobilisieren müssen, gar nicht selbstverständlich, sondern ein stillschweigendes und illegitimes Absehen von der Möglichkeit von Reflexion.⁷ Derselbe Einwand betrifft auch Davidsons Lösung zum Problem (III) (welcher Aspekt des Gesamtreizes). Die Frage ist: „ein wie großer Teil der Gesamtursache einer Überzeugung für den Inhalt relevant ist. Kurz gefasst, lautet die Antwort, dass es derjenige Teil oder Aspekt der Gesamtursache ist, der Rektionen hervorruft, die im Regelfall in relevanter Hinsicht ähnlich sind. In relevanter Hinsicht ähnlich werden die Reaktionen wiederum dadurch, dass diese Reaktionen auch von anderen für ähnlich angesehen werden.“ (222) Wieder wird ohne eigene Prüfung unterstellt, dass einer allein nicht in der Lage ist, etwas als „in der relevanten Hinsicht ähnlich“ auszuzeichnen. Wenn Davidson das Recht seiner Hauptthese dartun will, nach der die Möglichkeit für Lebewesen, Gedanken zu haben, eine Sprache zu sprechen, daran hängt, dass mehrere einander ähnliche Lebewesen auftreten und miteinander interagieren, dann muss er zunächst nachweisen, dass ein Lebewesen allein keine Gedanken haben kann, keine Sprache sprechen kann. Man kann nicht sagen, dass Davidson dieser Nachweis gelungen ist. Seine Argumente sind in allen drei Varianten unzureichend. Damit ist das Hauptziel Davidsons in diesem Zusammenhang, der Nachweis der Berechtigung der Hauptthese, schon jetzt nicht mehr erreichbar. Wir wollen trotzdem noch kurz ansehen, wie Davidson die zweite Aufgabe angeht, die in dem Nachweis bestehen müsste, dass und wie das Hinzukommen von anderen Lebewesen zum einsamen A wesentliche Schwierigkeiten des einsamen A beseitigen kann. Zu (b): In diesem Nachweis muss zunächst davon ausgegangen werden, dass A allein die relevanten Leistungen nicht erbringen kann. Am Ende des Nachweises muss sich dann herausstellen, dass A die Leistungen nunmehr doch erbringen kann, weil das Hinzukommen von anderen Lebewesen, z. B. von B, die
Vgl. dazu auch Pagin (2001), 203.
Bemerkungen zu Donald Davidson
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Situation wesentlich verändert hat. B, der dazu kommen soll, muss dabei zunächst verstanden werden als ein zweiter A, d. h., als jemand der ebenfalls allein die relevanten Leistungen nicht erbringen könnte. Anderenfalls würde das Problem nur verschoben auf die Frage, woher denn B die Möglichkeit hat, die relevanten Leistungen zu erbringen. Wir haben also zu Beginn der Geschichte mit A und B zusammen zu tun, die beide jeweils allein das hier Entscheidende nicht können. Diese kommen nun nach Davidson zusammen, interagieren, und durch die Interaktion bekommen beide die Möglichkeit, Gedanken zu hegen, eine Sprache zu sprechen etc. Wie kann man sich das im Einzelnen vorstellen? Das Hauptproblem besteht darin, dass die Beteiligten zu dem Prozess der Entstehung der neuen Möglichkeiten immer nur nach ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit beisteuern können, also am Anfang wenig und später nur soviel, wie ihnen unterwegs legitim und nachweislich zugewachsen ist. Für den Autor einer solchen Rekonstruktion bedeutet das, dass er genau Rechenschaft ablegen muss über das, was die involvierten Lebewesen auf jeder Stufe schon können und daher zum Weiteren (zur Evolution der Verhältnisse) beitragen können. Das aber geschieht bei Davidson nicht, und so entsteht an mehreren Stellen des Arguments der Anschein von zirkulärer Argumentation.⁸ Davidson schreibt statt dessen – wir haben es oben schon zitiert -: „Nun wollen wir zwei Punkte zusammenbringen: Erstens, wenn jemand Gedanken hat, muss es ein anderes empfindungsfähiges Wesen geben, dessen angeborene Ähnlichkeitsreaktionen den eigenen hinreichend ähneln, um die Frage zu beantworten, auf welchen Reiz der Sprecher denn eigentlich reagiere. Zweitens, wenn die Reaktionen des Sprechers sprachlicher Art sind, müssen sie bewusst und absichtlich Reaktionen auf spezifische Reize sein. Der Sprecher muss den Begriff des betreffenden Gegenstandes – der Glocke oder der Tische – haben. Da die Glocke bzw. der Tisch nur mit Hilfe des Durchschnitts von zwei (oder mehr) Mengen von Ähnlichkeitsreaktionen (die wir nachgerade Denklinien nennen könnten) identifiziert wird, besteht das Haben des Tisch- bzw. des Glockenbegriffs darin, dass man das Vorhandensein eines Dreiecks erkennt, dessen einer Scheitelpunkt man selbst ist, während ein weiterer ein anderes Lebewesen von ähnlicher Artung und der dritte eine Gegenstand (Tisch oder Glocke) ist, der sich in einem somit gemeinschaftlich gestalteten Raum befindet.“ (208) Das ist das Ausführlichste, was von Davidson hier zu hören ist. Was man gerne wüsste, ist, wie A und B, die zu Anfang keine Gedanken haben können, als solche zum Besitz des Begriffs eines Tisches kommen, also zur Einsicht – nach Davidson -, dass sie jeweils Scheitelpunkt eines Dreiecks usw. sind, eines Gedankens der ja nicht gerade durch seine Einfachheit auffällt. Kurz, es bleibt unklar, was Bs Ge-
Vgl. dazu auch Pagin (2001), 204, 205, 208.
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genwart für A (und As Gegenwart für B) bringen soll, wenn weder A noch B imstande sind, den Gedanken zu fassen, dass der jeweils andere gegenwärtig ist und das und das tut.
1.3 Wir sind an einem Vergleich mit der Transzendentalpragmatik, mit dem entsprechenden Theoriestück bzw. Argument aus der Transzendentalpragmatik, interessiert. Erinnern wir dazu kurz, um den entsprechenden Vergleich durchführen zu können, an das oben vorgeführte⁹ Argument zum privaten Regelbefolgen. Das Argument lief folgendermaßen: 1. Privates Regelbefolgen kann nur dann als möglich gelten, wenn Fälle von privater Regelbefolgung direkt oder indirekt als solche erkannt und identifiziert werden können. 2. Etwas kann nur dann als Fall von Regelbefolgung (und nicht nur als bloße Regularität) erkannt und identifiziert werden, wenn es – das fragliche Handeln – entweder als regelrecht oder regelwidrig, als richtig oder falsch verstanden werden kann. – Regelfolgen ist wesentlich normativ. Man kann nicht davon reden, dass etwas als Regelbefolgen erkannt und identifiziert wurde, wenn nicht dieser zentrale Zug eine Rolle dabei gespielt hat. 2a. Etwas kann nur dann als regelrecht bzw. regelwidrig, richtig bzw. falsch eingesehen und verstanden werden, wenn die bestimmte Regel bekannt ist, in deren Sinn etwas als richtig bzw. falsch gelten soll. Man kann nicht etwas als regelrecht/regelwidrig, richtig/falsch tout court erkennen. Die Ausdrücke haben erst dann einen bestimmten Sinn, können erst dann greifen, wenn bekannt ist, im Sinne welcher Regel sie gemeint sind. Privates Regelbefolgen kann also nur dann erkannt, als solches identifiziert und als etwas Normatives von einer bloßen Regularität unterschieden werden, wenn die in ihm involvierte Regel öffentlich zugänglich ist. 3. Etwas kann nur dann als (normativ verfasstes) Regelbefolgen verstanden werden, wenn es (i) kognitiv zur Kenntnis genommen und es (ii) als regelrecht oder regelwidrig bewertet werden kann. Die Bewertung eines Versuchs, einer Regel zu folgen, als richtig oder falsch im Sinne dieser Regel, ist aber keine rein kognitive Leistung eines distanzierten Betrachters, der sich aus der betrachteten Sache heraushält. Es gehört vielmehr wesentlich dazu, dass man sich einlässt auf das Spiel des Gegenübers, dass man sich daran beteiligt, dass man mitspielt in diesem
S. o. S. 165 ff.
Bemerkungen zu Donald Davidson
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Spiel. Das Verstehen von Regelbefolgen besteht also nicht nur darin, dass man das zu Verstehende theoretisch distanziert zur Kenntnis nimmt, es anschaut, von außen betrachtet, sondern auch darin, dass man dem zu Verstehenden den Standard oder Maßstab entnimmt, diesen sozusagen in die Hand nimmt, an die Sache anlegt und damit misst, d. h., beurteilt, ob die Sache dem Standard entspricht oder nicht, wobei der Verstehende sich dabei selbst nach Regeln richtet, die aus dem Interpretandum stammen. – Dies alles ist in klarer Weise mehr und anderes als bloß theoretisches Zur-Kenntnis-Nehmen, bloß theoretisches Betrachten. Etwas kann also nur dann als normativ verfasstes privates Regelbefolgen erkannt und verstanden werden, wenn Mitspielen in diesem Sinne möglich ist. 4. Nun handelt es sich bei diesem Mitspielen nicht um ein Mitwirken in dem Sinne, dass man zu einem bloß natürlichen Geschehen irgendwie dazu passende physikalische Effekte beisteuert (so wie ein Surfer mit den Wellen spielt). Es geht vielmehr darum, zu einem regelkonstituierten institutionellen Sachverhalt bestimmte institutionelle Effekte beizusteuern. Zum Regelfolgen von P also: unsere Bewertung der Handlung von P, eine Bewertung, die die entsprechende Bewertung der eigenen Handlung durch P selbst entweder genau treffen und bestätigen soll, oder gegebenenfalls die falsche Bewertung der eigenen Handlung durch P punktgenau und so, dass es auch für P selbst zählt, zu widerlegen in der Lage sein soll. Mitspielen in diesem Sinne ist aber nur möglich, wenn andere Mitspieler und deren Züge eigens zum Mitspielen autorisiert sind, wenn sie durch die Regeln des Spiels von Anfang an eigens vorgesehen sind. Anderenfalls können hier die Regeln des Spiels nicht greifen, die fremden Züge nicht dem Spiel integriert werden und als Züge nicht zählen. Ein fünfter Man kann im Tennisdoppel keinen Punkt machen, und wenn er noch so gut ist. 5. Wenn aber das Mitspielen anderer Mitspieler beim Spiel des Privatus von Anfang an eigens vorgesehen sein muss, damit Privatus’ Aktivität überhaupt als Regelfolgen verstanden und bewertet werden kann, dann kann Privatus’ Aktivität nicht mehr als privat im oben angegebenen Sinne gelten. Das damit erinnerte Argument ist zweifellos von ganz anderer Art als das Davidsonsche. Man könnte sogar die Vergleichbarkeit problematisieren, indem man sich fragt, ob die Argumente überhaupt (ob sie nun funktionieren oder nicht) in dieselbe Richtung zielen, auf hinreichend ähnliche Resultate hinauslaufen. Wir denken aber, diese Bedenken lassen sich zerstreuen. Bei Davidson geht es um das Resultat: „Nicht einer allein, sondern erst mehrere Personen und deren Kooperation können für die fragliche Leistung aufkommen.“ Im transzendentalpragmatischen Argument geht es um das Resultat: „Die Leistung kann nicht von einem Subjekt allein, das ganz für sich und ohne allen Bezug auf Kosubjekte, auf mögliche Kommunikationspartner, tätig ist, erbracht werden, sondern nur von Wesen, die in einem von Anfang an auf Öf-
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fentlichkeit und Kooperation zugeschnittenen Spiel mitspielen. (Dabei ist freilich der exotische Sonderfall, dass faktisch einer ganz allein dies durch und durch intersubjektivistische Spiel (dessen Existenz dann freilich nur durch ein Wunder zu erklären wäre) spielt, nicht auszuschließen. – So formuliert scheinen uns die Resultate hinreichend ähnlich zu sein, so dass der Vergleich, dem wir uns jetzt zuwenden, sinnvoll ist. Die Ansatzpunkte und zentralen Evidenzen der beiden Argumente liegen zweifellos sehr weit auseinander. Bei Davidson ist es der Punkt, dass einer allein mit dem Problem des Inhalts seiner Gedanken, mit dem Reizbahnproblem, nicht fertig werden kann. Er kann nicht zwei Perspektiven zugleich haben und braucht daher einen Kooperationspartner. In dem transzendentalpragmatischen Argument ist es der Punkt, dass (der Philosoph) Publicus, der das Privatsprachenproblem aufzulösen versucht und der der Normativität des Regelbefolgens durch Bewertung Rechnung zu tragen sucht, nur mitspielen kann, wenn das Spiel eigens für die Beteiligung anderer zugeschnitten ist. Die Argumente sind formal in dem Sinne sehr verschieden, dass Davidsons Argument ein direktes und insofern einfaches und elegantes Argument ist. Es geht um die Frage: Kann Privatus allein, ganz für sich, die relevante Vernunftleistung (das Haben von Gedanken mit bestimmten Inhalten etc.) erbringen. D. h. das Argument bezieht sich direkt auf die relevante Vernunftleistung selbst und deren notwendige Bedingungen. – Das transzendentalpragmatische Argument ist dagegen sehr indirekt, komplizierter und daher wesentlich weniger elegant. Hier geht es um das Problem: Kann Privatus’ einschlägige Vernunftaktivität erkennbar (und d. h. auch als richtig oder falsch bewertbar) sein, und was sind die dafür notwendigen Bedingungen? D. h. es geht nicht direkt um die notwendigen Bedingungen der Leistung selbst, sondern um notwendige Bedingungen der Erkennbarkeit einer derartigen Leistung. Der Hauptvorteil des indirekten, umwegigen Vorgehens ergibt sich nun durch den folgenden Punkt, in dem sich die Argumente zusätzlich unterscheiden. Davidson behandelt das Problem als ein Problem von notwendigen Bedingungen für gewisse natürliche (jedenfalls nicht institutionelle) Effekte. In der Transzendentalpragmatik dagegen wird das Problem behandelt als Problem notwendiger Bedingungen für gewisse institutionelle Effekte. – Davidson versteht das Problem folgendermaßen: Ein Lebewesen allein ist ein System mit jeweils nur einer Perspektive und einer Reizbahn, das daher – wie Davidson behauptet – auf der jeweiligen Reizbahn keinen Punkt auszeichnen kann. Dabei handelt es sich um einen natürlichen Defekt solcher Systeme, dem nur dadurch abgeholfen werden kann, dass solche Systeme sich zusammentun. Die Probleme, mit denen er unter diesen Bedingungen zu tun bekommt, sind die folgenden: 1. Es ist schwer, notwendige Bedingungen für natürliche Effekte auszuzeichnen, wenn die Möglich-
Bemerkungen zu Donald Davidson
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keit experimenteller Intervention in natürliche Verläufe sehr eingeschränkt ist. 2. Könnte das System das Problem nicht doch allein bewältigen? 3. Inwiefern kann ein zweites System mit denselben Defekten wie das erste Leistungen erbringen, die dem ersten helfen? Und inwiefern kann ein zweites System für ein erstes mit diesem Defekt eine hilfreiche Rolle spielen? – Wir haben gesehen, dass Davidson mit diesen Problemen nicht fertig wird. Der Witz des transzendentalpragmatischen Arguments besteht dagegen gerade darin, dass es am Ende um institutionelle Fakten geht, bei denen die Frage notwendiger Bedingungen ersichtlich sehr viel einfacher zu beantworten ist (die Welt der institutionellen Sachverhalte ist sehr viel ärmer und übersichtlicher als die natürliche Welt, denn hier gibt es nur das, was eigens vorgesehen ist, was eigens als solches anerkannt und gelten gelassen wird). Das Argument führt von den Prämissen: „Privates Regelbefolgen ist nur möglich, wenn es als solches erkennbar ist“, und: „Privates Regelbefolgen kann als solches nur erkannt werden, wenn es als richtig/falsch bewertet werden kann“, über die Behauptung: „Bewerten ist nicht nur Erkennen, sondern auch eine Art des Mitspielens“ auf das Resultat: „Mitspielen beim privaten Regelbefolgen ist nur möglich, wenn dies auf Seiten Ps eigens vorgesehen ist, wenn die Idee anderer Mitspieler bei Privatus, der dann freilich seinen Namen nicht mehr verdient, schon da ist.“ Das Problem kann als Problem institutioneller Verhältnisse gestellt werden, weil es bei der Frage, ob Publicus (der Philosoph) bei Privatus mitspielen kann so, dass es zählt, ersichtlich nicht um naturkausale Beiträge zu einem wesentlich nur physischen Geschehen geht, sondern um die Frage, ob hier bestimmte, wesentlich symbolische Leistungen für die Beteiligten als zugelassene Spielzüge zählen können. Und das ist eine Frage die für institutionelle Verhältnisse charakteristisch ist. Wenn nun aber das Problem als Problem institutioneller Verhältnisse gestellt werden kann, dann hat das den Vorteil, dass alle drei Probleme von Davidson ihre Schwierigkeit verlieren: (a) Die Frage, ob es eine notwendige Bedingung von Ps Regelbefolgen ist, dass P Bezug nimmt auf andere Kooperationspartner, ist jetzt leicht zu beantworten. – Wenn es Ps Regelbefolgen nur geben kann, wenn dieses durch uns als solches erkannt, identifiziert, als richtig/falsch bewertet werden kann, d. h., wenn wir mitspielen können, dann folgt: Ps Regelbefolgung ist nur möglich, wenn auf Seiten von P die Mitwirkung anderer bereits vorgesehen ist. Und dies folgt analytisch, d. h. ganz unproblematisch. Es ist eine für institutionelle Sachverhalte konstitutive, mit solchen Sachverhalten analytisch verbundene Bestimmung, dass das, was in einem solchen Sachverhalt vorkommt, eigens vorgesehen sein muss. – Die Frage, (b) ob Privatus nicht doch allein, d. h. ohne Bezugnahme auf andere zurechtkommen kann, ist damit genauso beantwortet, wie die Frage (c) nach der nützlichen Rolle der anderen. Wenn Privatus die Ko-
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operation anderer nicht eigens vorsieht, kann seine Aktivität nicht als Regelfolgen identifiziert werden. Es ist nicht uninteressant, zu sehen, dass das Problem, das im transzendentalpragmatischen Argument im Zentrum steht, genaugenommen auch im Davidsonschen Argument eine Rolle spielt und dort berücksichtigt werden müsste. Bei Davidson muss B hinzukommen, um A beim Reizbahnproblem zu helfen. Damit B dem A helfen kann muss B A und seine Aktivität zur Kenntnis nehmen, d. h. die Hilfe läuft wesentlich über kognitive Beziehungen zwischen B und A und umgekehrt. Diese kognitiven Beziehungen aber verwickeln die Beteiligten unvermeidlich in gerade die Probleme, von denen das transzendentalpragmatische Argument handelt. Dann aber gilt: Wenn B den A versteht als einen, der privatim einer Regel zu folgen versucht (privatim einen Gedanken zu hegen versucht), und sich dabei klarmacht, was er in Anspruch nehmen muss, um A so zu verstehen (Mitspielen und Notwendige Bedingungen des Mitspielens), dann ist das Davidsonsche Problem bereits gelöst, bevor B dem A helfen kann, sich als eine Spitze des Dreiecks zu verstehen.
2 Der zweite Punkt, mit dem wir uns hier auseinandersetzen wollen, besteht darin, dass Davidson seiner berühmten und in vielen Punkten sehr verdienstvollen Analyse des Verstehens unserer Ansicht nach eine unangemessene und schiefe Vorstellung vom Verhältnis des Interpreten zur Äußerung, vom kognitiven Verhältnis und vom kommunikativen Verhältnis, zugrundelegt und dass daher Davidsons Ansatz sich weder zur Grundlegung einer Hermeneutik noch zu einer Grundlegung einer differenzierten Epistemologie eignet. Gemeint ist folgendes: Davidson entstammt – wie erwähnt – einer einheitswissenschaftlichen Tradition. Charakteristisch für diese Tradition war, dass sie alle seriöse kognitive Auseinandersetzung mit Realien nach dem Muster naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung dachte, d. h., zunächst einmal als Bemühung um Gesetze, mit deren Hilfe die Phänomene des jeweiligen Gegenstandsbereichs erklärt werden könnten. Davidson löst sich zum Teil aus dieser Tradition, indem er eine in sich differenzierte Epistemologie vorschlägt und indem er z. B. mit dergleichen wie anomalem Monismus rechnet. Aber er löst sich nur halbherzig davon, indem er nämlich an wichtigen tieferliegenden Voraussetzungen dieser Tradition weiter festhält. Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass alles, womit wir uns kognitiv seriös auseinandersetzen können, den Status von Gegenständen hat, über die wir uns verständigen, die wir vor uns bringen und
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betrachten können nach Art der Phänomene aus der Außenwelt und über die wir Vermutungen, Hypothesen – und am Ende – Wissen erwerben können. Damit negligiert Davidson eine für die allgemeine Epistemologie und vor allem für den Gegenstandsbereich, für den er sich vor allem interessiert, enorm wichtige Unterscheidung, die tiefer liegt als die Unterscheidung zwischen nomologischen und nicht-nomologischen Verfahren, bzw. solchen Gegenständen, die sich einen solchen Verfahren fügen und solchen, die das nicht tun.
2.1 Die gemeinte Unterscheidung hängt zusammen mit zentralen und grundlegenden Struktureigenschaften menschlichen Erkennens. In der deutschen Sprache gibt es aufschlussreiche Wendungen zur Artikulation der uns interessierenden Strukturverhältnisse. Einige davon wollen wir uns etwas näher ansehen. (i) Eine Wendung (die das Erkennen vor allem als Sache eines einzelnen Subjekts begreift) ist die, nach der es beim Erkennen darum geht, etwas über etwas herauszubekommen oder zu gewinnen. Erkennen ist an Gedanken über etwas, an Repräsentation von etwas gebunden, und diese Gedanken oder Repräsentationen können in verschiedenen Hinsichten jeweils mehr oder weniger gut sein. Erkennen ist wesentlich die Bemühung, immer bessere Gedanken, Überzeugungen, Hypothesen, wahre Meinungen, wahre und begründete Meinungen, Wissen über etwas zu gewinnen. Diese Wendung kann leicht missverstanden werden. Sie legt dann nahe zu denken, was hier – mit ihrer Hilfe – gerade bestritten werden soll, nämlich dass alles, womit man sich kognitiv auseinander setzen kann, den Status von Gegenständen hat, über die man etwas wissen will. Die Wendung so verstanden ist nach meiner Überzeugung sogar eine der Hauptstützen für die genannte These, die ja in der allgemeinen Epistemologie quasi konkurrenzlos herrscht. Wenn man diesen Schluss aus der gegebenen Beschreibung des Erkennens zieht, übersieht man freilich etwas Wichtiges, nämlich, dass Gedanken, Überzeugungen, Hypothesen, Antworten selbst in einem gewissen Sinn zu den empirisch vorfindlichen Phänomenen gehören können, um die man sich kognitiv bemühen kann. Gedanken, Hypothesen, Antworten sind ja nicht nur etwas, das sich im logischen Raum befindet, sondern auch etwas das ich jeweils anstrebe, das ich etablieren will. Irgendwann sind sie vielleicht etabliert und dies entweder von dir oder von mir. Wenn sie von dir etabliert sind, kann es sein, dass ich sie noch nicht kenne oder schon habe. Es kann dann vorkommen, dass ich an ihnen interessiert bin. Sie sind dann empirische Phänomene, um die ich mich eigens kognitiv bemühe, und zwar mit empirischen Verfahren, apriorische nützen hier nichts. Die
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hermeneutischen Disziplinen haben in diesem Sinne ständig mit empirisch vorfindlichen Meinungen, Überzeugungen. Antworten, Hypothesen etc. zu tun. Wird dies berücksichtigt, d. h., werden die Wendungen „etwas über etwas gewinnen wollen“, bzw. „eine vernünftige Hypothese über x gewinnen oder haben wollen“, in diesem Sinn verstanden, in dem Sinn, dass zu dem, was man gewinnen will, auch empirisch schon vorfindliche Antworten, Hypothesen etc. gehören können, dann macht die Wendung aufmerksam auf eine grundsätzliche Differenz zwischen verschiedenen empirisch vorkommenden Phänomenen und auf eine entsprechende Differenz zwischen verschiedenen kognitiven Verhaltensweisen zu diesen Phänomenen. Wir haben hier mit Unterscheidungen zu tun, die in der deutschen – und in den meisten europäischen – Sprache(n) grammatisch berücksichtigt werden, mit Unterscheidungen also, die seit sehr langer Zeit für unsere Kommunikationsgemeinschaft ein großes Gewicht haben. Es geht um die (epistemologische) Unterscheidung zwischen empirisch gegebenen Phänomenen wie z. B. dem Vulkanausbruch gestern oder dem jetzt beginnenden Versiegen des Golfstroms auf der einen Seite und (empirisch gegebenen) Überzeugungen über den Vulkanausbruch, der neuen Hypothese über des Versiegen des Golfstroms auf der anderen Seite. Diesen Phänomentypen zugeordnet ist nach der sprachlichen Wendung jeweils ein bestimmter Typ kognitiven Verhaltens. Zu Entitäten wie dem Vulkanausbruch oder dem Versiegen des Golfstroms verhält man sich kognitiv so, dass man versucht, zu vernünftigen Hypothesen oder Wissen über sie zu gelangen. Zu Entitäten wie den Überzeugungen oder Hypothesen darüber verhält man sich anders. Man will keine Hypothesen über sie haben, sie sind ja selbst schon Hypothesen, man will vielmehr sie selbst haben, erwerben (derart, dass man sie so zur Verfügung hat, dass man sie dann akzeptieren oder verwerfen kann). (ii) Eine zweite aufschlussreiche Wendung, die in eine ähnliche Richtung zielt (das Erkennen aber eher als sozialen Vorgang fasst), ist diese: „Wir, du und ich, wir verständigen uns mit Hilfe unserer Äußerungen über etwas.“ Wir denken wieder an Verständigung über empirische Entitäten und in dem Zusammenhang an Formulierungen wie z. B.: „Deine Antwort über x, die ich mir aus der Bibliothek, wo sie (empirisch) verfügbar ist, besorgen und dann bei meiner Arbeit über x verwenden könnte…“ und wir haben dann etwas ganz Ähnliches vor uns wie eben. Wieder geht es um die Artikulation sehr grundlegender, zentraler Verhältnisse von Kognition und Kommunikation, und wieder wird ein grundlegender Unterschied (in diesem Fall kommunikationstheoretisch) zwischen zwei Typen von empirischen Phänomenen mit grammatischen Mitteln gemacht, zwischen den empirischen Gegenständen einerseits und den – empirisch gegebenen – Äußerungen, mit deren Hilfe wir uns auf diese Gegenstände beziehen können andererseits. Die Phänomene des ersten Typs liegen auf der Ebene dessen, worüber kommuniziert wird, worüber Wissen erworben werden soll. Die Phänomene des zweiten Typs
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liegen auf der Ebene, auf der über etwas kommuniziert wird, auf der etwas erkannt, Wissen über etwas erworben werden soll. Wieder gilt, dass dem fundamentalen Unterschied in der Art der „Gegenstände“ ein ebenso fundamentaler Unterschied in der Art des kognitiven und kommunikativen Umgangs mit diesen entspricht. Die Äußerungen (Phänomene des zweiten Typs) sind das, womit wir uns über etwas verständigen, womit wir über etwas reden. Die Objekte (Entitäten des ersten Typs) sind das, worüber wir mit unseren Äußerungen reden. (iii) Es findet sich nun in der Umgangssprache eine ganze Reihe von Wendungen, mit deren Hilfe wir unsere einschlägigen Tätigkeiten auf der Ebene, auf der über etwas kommuniziert wird, genauer fassen können und die interessanterweise die Beziehungen zwischen den besprochenen Wendungen noch vertiefen. Es zeichnet sich hier ein ganzes System von gleichlaufenden grammatischen Unterscheidungen ab. Da ist die Rede von „die Information weitergeben“ bzw. „die Information entgegennehmen“, von „die Hypothese jemandem mitteilen“ bzw. „die Hypothese sich geben lassen, sie wissen oder haben wollen“, von „die Überzeugung jemandem übermitteln“ bzw. „sie sich sagen lassen, sie sich aneignen“, vor allem aber von „die Antwort geben“ bzw. „die Antwort haben/wissen wollen, sie sich aneignen“ etc. Diese Wendungen artikulieren, was in der Kommunikation über etwas geschehen kann, und sie machen den Zusammenhang zwischen den Wendungen „etwas über etwas wissen wollen“ und „sich mit jemandem mit Hilfe von Äußerungen über etwas verständigen“ hinreichend klar. Der wichtigste Punkt ist natürlich dieser: Das jeweils angegebene kommunikative und kognitive Verhalten zu den Äußerungen steht in klarer Opposition zum theoretischen kognitiven Verhalten zu bloßen Objekten, z. B. zu den Objekten, von denen in den Äußerungen jeweils die Rede ist. Die Antworten, Hypothesen, Überzeugungen sind gerade nicht selbst etwas, über das man etwas wissen will, das man als theoretischen Gegenstand betrachtet oder beobachtet, sondern etwas, das man sich aneignet, das man wissen oder haben will, das man sich sagen lässt oder zu eigen macht. Wie Frege sich ausdrückt: Gedanken sind nicht in erster Linie dazu da, Gegenstände von Hypothesen zu werden, sie sind dazu da „gefasst“ zu werden.¹⁰ Der paradigmatische Fall, an dem das Gemeinte am besten klar wird, ist der Äußerungstyp: Antwort. Eine Antwort ist eine Äußerung, mit deren Hilfe man sich über etwas verständigt, sie ist zugleich das, was man wissen, haben, sich zu eigen machen will. An dieser Stelle wird m. E. unser Hauptpunkt besonders gut sichtbar: Dabei beziehen wir uns nur auf die von Frege formulierte Art der kognitiven Verhaltensweise zu etwas von der Art von Gedanken, Hypothesen etc, nicht dagegen auf den Gesichtspunkt, dass Gedanken bei Frege zu einem „dritten Reich“ gehören.Vgl. G. Frege: Der Gedanke, in: Frege (1966), 44.
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Es gibt – sonderbarerweise – empirisch vorfindliche Entitäten, von denen man sagen kann, ja sagen muss: „Sie selbst sind es, was wir wissen oder haben wollen.“ Eine Antwort ist ersichtlich in der Regel nicht dazu da, als etwas, über das man etwas wissen will, gar als Gegenstand einer theoretischen Untersuchung zu fungieren. Sie ist in der Regel vielmehr dazu gemacht, dass der Adressat sie bekommt, sie übernimmt, sie „fasst“ und dann akzeptiert oder verwirft. Dies ist das vorgesehene und angemessene kognitive und kommunikative Verhalten dazu. – Nun können fast alle Äußerungen und Texte (auch längere Äußerungen wie Artikel, Abhandlungen, ganze Bücher), als Antworten, als Antworten mindestens auf mögliche Fragen des Hörers, verstanden werden und sollten daher auch zunächst als solche behandelt werden. Dies impliziert, dass man sie zunächst jedenfalls nicht als Objekte behandelt, über die man etwas wissen will. Sie sind ja selbst schon von der Art von Wissen, das man sich aneignen, integrieren könnte. – Die hier vertretene These ist also: Hermeneutische Interpretanda sind zunächst (d. h., wenn man die üblichen Intentionen der Autoren berücksichtigt) nicht Gegenstände, über die man etwas herausbekommen will, sie sind zunächst vielmehr Antworten, die man haben oder wissen will. Dies also die Unterscheidung, die Davidson nach unserer Überzeugung vernachlässigt. Es ist eine wichtige Unterscheidung, die das kognitive und kommunikative Verhalten des Interpreten zu Äußerungen betrifft. Für das kognitive Verhalten geht es um die Differenz zwischen: die Antwort wissen/haben/sich aneignen wollen – die Antwort zum Gegenstand einer Hypothese machen, etwas über die Antwort wissen wollen. Für das kommunikative Verhalten geht es um die Differenz: Verhalten eines Beobachters bzw. Theoretikers, der die Spielzüge des Sprechers von außerhalb des Spiels bloß betrachtet und untersucht – Verhalten eines Mitspielers im Spiel der Kommunikation, der auf die Spielzüge des Kommunikationspartners gemäß den Regeln des Spiels so reagiert, wie sie gemeint sind. Mit diesen Unterscheidungen verbunden ist eine spezifische Differenz im Blick des Interpreten auf sein Interpretandum. Im einen Fall hat er mit einem mehr oder weniger opaken Objekt zu tun, das er von außen betrachtet und über das er etwas wissen will, im anderen Fall mit einer auf das thematische Objekt durchsichtigen Antwort, die ihm über das Objekt etwas sagen könnte. Es gehört dazu ferner eine Differenz in der Beschaffenheit und im Status der „Gegenstände“ der interpretativen Bemühung. Im ersten Fall geht es um ein bloßes Objekt, über das er etwas wissen will, im zweiten um Bestandteile der subjektiven Praxis (von Kommunikation und Kognition), die selbst von der Art des etwas über etwas sind. Ein Grund ist schon genannt worden, weshalb man diese Differenz übersehen kann. Er liegt in dem naheliegenden Missverständnis des Ausdrucks: „etwas über etwas wissen wollen“. Es gibt noch einen zweiten, der mit dem ersten zusammenhängt. Er liegt darin, dass das, was zunächst vom jeweiligen Autor nicht dazu
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bestimmt ist, Gegenstand theoretischer Betrachtung anderer zu werden, sondern vielmehr dazu, als Antwort übernommen, als Mitteilung empfangen, als Information geteilt zu werden, dass dieses unter bestimmten und nicht seltenen Umständen gleichwohl auch und legitimerweise zum Gegenstand von Betrachtung und Hypothese werden kann. Eine Antwort kann – aus verschiedenen Gründen – sehr schwer verständlich sein, dann muss man versuchen, etwas über sie herauszubekommen, sie zuerst untersuchen, zum Gegenstand von (Interpretations‐) Hypothesen machen, um sie am Ende übernehmen zu können. Außerdem gibt es natürlich den Fall, dass Äußerungen in bestimmten Kontexten von Wissenschaften eigens zum Objekt gemacht werden (Kommunikations-, Sprach-, Literaturwissenschaften). In beiden Fällen handelt es sich um das Phänomen der sekundären Objektivierung von etwas, das zunächst vom Produzenten nicht als Objekt gemeint und ins Spiel gebracht wurde. In den hermeneutischen Disziplinen, die ja vor allem mit problematischen Interpretanda zu tun haben (großer historischer oder kultureller Abstand) ebenso wie in den einschlägigen systematischen Disziplinen, die mit Sprache und Kommunikation zu tun haben, spielt das Phänomen der sekundären Objektivierung eine bedeutende Rolle, und es kann sogar den Blick ganz dafür verstellen, dass sprachliche Interpretanda zunächst für ein ganz anderes kognitives Verhalten gemacht sind. Es kann vor allem dazu führen, dass die grundsätzliche Differenz zwischen primärer Objektivierung, die für das normale realwissenschaftliche Vorgehen charakteristisch ist und sekundärer Objektivierung ganz übersehen wird. Sekundäre Objektivierung kommt ja zu dem nichtobjektivierenden aneignenden Verhalten nur zusätzlich hinzu, überformt dieses, ja kann selbst als eine Form des Aneignens, des In-BetriebNehmens des Interpretandums zählen. Wir kommen auf diesen Punkt noch zurück. Wenn, wie bei Davidson der Fall, über diese Fragen mit keinem Wort gehandelt wird, dann liegt der Verdacht nahe, dass genau dieses – die Vermengung von primärer und sekundärer Objektivierung und als Konsequenz die stillschweigende Verabsolutierung des objektivierenden Blicks des theoretischen Beobachters, der nur an Hypothesen über das Interpretandum interessiert ist, hier vorliegt.
2.2 Sehen wir uns jetzt – nach dieser Vorklärung – genauer an, was Davidson zum Verstehen sagt und wie er es im Einzelnen formuliert. Davidsons Interesse für das Phänomen Verstehen geht zurück auf sein Interesse an Sprachphilosophie, an Bedeutungstheorie. Eine Theorie der Bedeutung in einer natürlichen Sprache ist
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nach Davidson wesentlich das, was einen Interpreten in die Lage versetzt, beliebige Äußerungen in dieser Sprache zu verstehen. Eine solche Bedeutungstheorie entwickeln heißt demnach, die Kompetenz eines solchen Interpreten zu rekonstruieren. Der Kern dieser Kompetenz ist eine rekursive Theorie, die es erlaubt, die Bedeutung von Äußerungen jeweils zu verstehen als Resultat des Zusammenwirkens der Bedeutungen ihrer Teile. Das Vorbild für eine solche Theorie ist die Wahrheitstheorie von Tarski, die für beliebige – strukturell beschriebene – Sätze einer Sprache die Wahrheitsbedingungen angeben kann in der Form von WÄquivalenzen der Art: „“p“ ist wahr dann und nur dann wenn p“. Die Tarskische Theorie kann hier als Vorbild dienen, weil das bekannte Wittgensteinsche Diktum: „Einen Satz verstehen, heißt wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist,“ zeigt, wie eine Wahrheitstheorie als Bedeutungstheorie verwendet werden kann. In der Davidsonschen Bedeutungstheorie spielt das Verstehen eine doppelte Rolle nämlich einmal insofern, als die Kompetenz, die dem Verstehen zugrunde liegt gerade das ist, was rekonstruiert werden soll, und zum anderen, weil das Verstehen (radical interpretation) auch zum Aufbau dieser Kompetenz, zum Erstellen dieser Theorie als einer empirischen Theorie, führt. Wegen dieser zentralen Bedeutung des Verstehens ist in den Schriften Davidsons sehr häufig vom Verstehen die Rede. Oft bezieht er sich sehr global und nichttechnisch auf das Phänomen, wenn er – was sehr häufig vorkommt – seine Konzeption kurz zusammenfasst oder Folgerungen aus ihr zieht. Das ist dann weniger ergiebig für unser Problem. Aufschlussreich für uns sind dagegen die genaueren Analysen zur radical interpretation einerseits (Teil 2 von „Wahrheit und Interpretation“¹¹) und zum Verstehen uneigentlicher Rede andererseits in dem Aufsatz „A Nice Derangement of Epitaphs“¹² Zunächst, wie sieht das Bild vom Verstehen aus, das Davidson in seinen Schriften zur radical interpretation entwirft? – In der Situation der radical interpretation geht es darum, dass ein Interpret konfrontiert mit Äußerungen des Sprechers in einer völlig fremden Sprache, diese kontrolliert vom Nullpunkt her zu erschließen versucht, vom Nullpunkt her zu verstehen versucht. Etwas Derartiges ist aussichtsreich nur in einer Situation, in der der Sprecher sich mit seinen Äußerungen auf solches bezieht, was auch der Interpret beobachten und im günstigsten Fall sogar technisch manipulieren kann. Er könnte dann die Wahrheitsbedingungen der Sätze kontrollieren und in einem gewissen Sinn mit der Bedeutung der Sätze experimentieren. – In einer solchen Situation könnte der Interpret angesichts der für ihn zunächst unverständlichen Äußerung p des
Davidson (1986). Davidson (1990).
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Sprechers zu einer Hypothese der folgenden Art kommen: „S hält p zum Zeitpunkt t für wahr, genau dann, wenn es zum Zeitpunkt t in seiner Umgebung regnet.“ Er könnte dann unter bestimmten Bedingungen, die wir hier auf sich beruhen lassen, zu der weiteren Hypothese gelangen: „(x)(t) Wenn x zur Sprachgemeinschaft y zählt, dann (hält x p zur Zeit t dann und nur dann für wahr, wenn es in der Umgebung von x zur Zeit t regnet)“¹³ und diese Hypothese könnte dann die Basis bilden für die W-Äquivalenz: „“p“ ist genau dann wahr, wenn es regnet.“ Diese Verstehensleistungen und ihre Resultate bilden den ersten Einstieg in die Etablierung der empirisch-rekursiven Bedeutungstheorie zur Sprache y. Sie bilden das Zentrum der sog. „radical interpretation“. Alle Analysen zum Verstehen bei Davidson beziehen sich mehr oder weniger auf Leistungen dieses Typs. Jetzt zu unserer Frage: Wie sieht im Falle der radical interpretation die kognitive und kommunikative Einstellung des Interpreten zur Äußerung p aus? – Ersichtlich wird die fremde Äußerung p hier vom Interpreten nicht behandelt wie ein normaler Gesprächs- oder Kommunikationsbeitrag, der z. B. von einem Kollegen des Interpreten herrühren könnte, etwa wie eine Antwort des Kollegen auf eine (mögliche) Frage des Interpreten, die dem Interpreten das, was er über etwas wissen wollte, wonach er gefragt hatte, sagen könnte. Sie wird nicht behandelt als Zug in einem gemeinsamen Spiel der Kommunikation. Sie ist zunächst vielmehr für den Interpreten ein bloßes Objekt oder Ereignis, über das er etwas wissen will, über das er Hypothesen entwirft, ein Objekt, das selbst (von sich aus) nichts über etwas sagt, bzw. noch nichts sagt, noch nichts sagen kann. Der Interpret agiert nicht als Mitspieler des Sprechers, sondern als Betrachter von außen, als Theoretiker¹⁴, der sich mit sich selbst oder gegebenenfalls mit anderen über die fremde Sache p und über ihren Autor zu verständigen sucht. Bei alledem wird p nicht behandelt als etwas, mit dessen Hilfe der Interpret allererst etwas über die Realität erfahren könnte, ihm etwas über die Realität klar werden könnte, was ohne die Äußerung nicht geschehen würde. Die Sache liegt genau anders herum. Es ist vielmehr so, dass der Interpret das, was er unabhängig von p schon über die Realität weiß, hier ins Spiel bringt, um p allererst verständlich zu machen, um p eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben. Die Situation ist – wie es scheint – eine Situation vollständiger Fremdheit, in der jede Gemeinsamkeit zwischen Interpret und Sprecher, die ein gemeinsames Spiel (der Kommunikation) ermöglichen könnte, fehlt. Es geht um radical interpretation. – Mit wünschenswerter Deutlichkeit beschreibt Davidson selbst sie folgendermaßen: Es geht darum „bestimmte Ereignisse (!) in aufschlussreicher Weise neu zu beschreiben…“ Es geht
Davidson (1986), 197. Das ist auch Wellmers These in: Wellmer (2004), 184 ff. u. ö.
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darum, „dass die Äußerung bestimmter Geräusche neubeschrieben wird als Akt des Sagens, dass Schnee weiß ist.“¹⁵ – Wir denken, man kann daher sagen, dass radical interpretation bei Davidson aus der Position und Einstellung eines außenstehenden Beobachters erfolgt, der sein Interpretandum als Gegenstand behandelt, über den es etwas herauszubekommen gilt. Die Position eines Kommunikationsteilnehmers, die normalerweise für hermeneutische) Interpreten vorgesehen ist, wird damit verfehlt. Nun könnte man gegen unsere These von der Unangemessenheit dieser Einstellung folgendes einwenden. Erstens: Es geht hier gar nicht um die Rekonstruktion von (normalen) Kommunikationsleistungen, sondern um die ersten Schritte bei der Erstellung einer (sprachphilosophisch relevanten) Bedeutungstheorie, und für diese Aufgabe ist die gewählte Einstellung des Beobachters und Theoretikers gerade richtig. Zweitens: Auch wenn man die Situation schon als eine Kommunikationssituation betrachtet, so geht es hier um die verdienstvolle radikale Rekonstruktion der Kommunikationsleistungen und dabei insbesondere der das Fundament derselben betreffenden Leistungen zur erstmaligen Etablierung eines kommunikativen Verhältnisses. Es geht um Rekonstruktion hermeneutischer Leistungen vom Nullpunkt her, von einer Situation äußerster Fremdheit her. Auch für diese Aufgabe ist die Einstellung richtig gewählt. Den ersten Einwand können wir teilweise zugeben. Aber wir könnten hinzufügen, dass dann auch Davidsons Analysen für das hermeneutische Verstehen im eigentlichen Sinne wenig besagen. Die Leistungen, an denen sich z. B. Gadamer orientiert, Leistungen von der Art: Bruno Snell oder Karl Reinhardt interpretieren Homer, Heidegger interpretiert Aristoteles, die sind dann gar nicht mehr betroffen, und das würde die Eignung Davidsons zum Kirchenvater der Hermeneutik doch ernsthaft in Frage stellen.¹⁶ Den zweiten Einwand dagegen können wir nicht einfach zugeben. Radical interpretation und die dazu gehörige Einstellung des Interpreten als Beobachter, als Theoretiker ist nach Davidson selbst gerade nicht reserviert nur für den allerersten Einstieg in die Kommunikation. Selbst wenn der Interpret die fremde Sprache y gelernt hat, d. h., eine „Ausgangstheorie“ für die Bewältigung fremder Äußerungen in dieser Sprache bei sich etabliert hat – so schreibt Davidson in „A Nice Derangement of Epitaphs“ – so stellt doch das faktische Sprachverhalten des Sprechers (in der Sprache y) den Interpreten immer wieder vor eine Situation, die der der radikalen Interpretation strukturell gleicht. Wie Davidson es ausdrückt:
Davidson (1986), 232. So etwa auch Wellmer, der in eine ähnliche Richtung argumentiert und moniert, dass Davidson nur die allererste Phase des Verstehensprozesses berücksichtige. Vgl. Wellmer (2004).
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Selbst im Besitz einer Ausgangstheorie zu y braucht man angesichts der faktischen Äußerung „p“ des Sprechers eine neue „Übergangstheorie“ zur Interpretation dieser Äußerung, womit er den traditionellen Begriff einer Sprecher und Interpreten gemeinsamen Sprache verabschiedet. Von dieser Übergangstheorie aber gilt: „Es gibt keine Regeln dafür, wie man (von einer Ausgangstheorie W. K.) zur Übergangstheorie gelangt, jedenfalls keine Regeln im strengen Sinne im Gegensatz zu ungefähren Maximen und methodologischen Gemeinplätzen.“¹⁷ Wir haben damit „nicht bloß den üblichen Sprachbegriff fallengelassen, sondern darüber hinaus die Grenze beseitigt… zwischen dem Können einer Sprache und dem Sichauskennen in der Welt insgesamt.“¹⁸ Mit der letzten Bemerkung, die im Text direkt anschließend noch einmal bekräftigt wird, behauptet Davidson, dass es keinen Unterschied gebe zwischen dem kognitiven Verhalten eines Interpreten zu zu interpretierenden Äußerungen und zu Dingen der Außenwelt (über die wir ja nur etwas wissen wollen können). D. h., hart gesagt, nicht nur in der Situation der radical interpretation habe man mit – im Grunde – völlig fremden Ereignissen oder Geräuschen zu tun, über die man nur etwas wissen wollen kann, sondern auch in der Normalsituation der Kommunikation, des Verstehens. Die Einstellung und Position des Beobachters und Theoretikers ist nicht reserviert nur für die allererste Phase kommunikativer Kontaktaufnahme, sondern bleibt maßgebend auch für die normalen kommunikativen Verhältnisse. Davidson hat mit alledem nicht nur die Idee einer Sprecher und Interpret gemeinsamen Sprache verabschiedet, sondern auch die Idee von kommunikativer Erfahrung zugunsten objektivierender Beobachtung. – Wir können also daran festhalten: Davidson versteht die Einstellung und Haltung des Interpreten als die Einstellung und Haltung eines Betrachters und Theoretikers von außen, der zu vernünftigen Vermutungen und am Ende zu Wissen über die Äußerungen des Sprechers kommen will, und insofern die tatsächlich geforderte – vom Produzenten der Äußerung normalerweise geforderte – Einstellung des Zuhörers verfehlt. Soweit, so gut.
2.3 In Wahrheit aber liegen die Verhältnisse – so denken wir – sowohl in der Situation der radical interpretation wie auch in der Situation normalen Verstehens wesentlich komplizierter als bisher unterstellt, wo wir nur mit den einfachen Oppositionen (Beobachter – Kommunikationspartner; Objekt – Antwort; Wissen
Davidson (1990), 226. Ebenda.
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über x erwerben – x selbst aneignen etc.) gearbeitet haben. – Äußerungen, mit denen als potentiellen Interpretanda wir im Alltag konfrontiert werden, können mehr oder weniger vertraut bzw. fremd, können mehr oder weniger Antwort oder Objekt für uns sein. D. h., auch im Falle normaler Kommunikation können wir sehr wohl auch etwas über die Äußerungen, mit deren Hilfe wir uns verständigen, wissen wollen. Wir können – und zwar ohne das kommunikative Verhältnis zu zerstören – zu Hypothesen und Wissen über sie gelangen. Und damit scheint Davidson doch wieder Recht zu bekommen. Aber das ist ein Irrtum. Es geht hier nicht einfach um empirische Hypothesen über Äußerungen, die sich von empirischen Hypothesen über Dinge der Außenwelt qualitativ oder prinzipiell gar nicht unterscheiden. Es geht hier um das Phänomen der sekundären Objektivierung, durch das Davidson bei seinen einschlägigen Überlegungen wie durch Glas hindurchsieht, das er also vollständig übersieht. Wir reden von sekundärer Objektivierung¹⁹, wenn wir Entitäten, die zunächst für den Gebrauch der Verständigung über etwas gemacht sind, nun selbst zum Gegenstand der Verständigung, von thematischer Kognition machen, aber dies so, dass sie ihren Charakter von Verständigungsmitteln, die wir auf der Ebene der Verständigung über etwas gebrauchen, gerade nicht vollständig verlieren. – Man kann Äußerungen mehr oder weniger (sekundär) objektivieren. Daher gibt es ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten. Es liegt zwischen den folgenden Extremen: Die Antwort drüben nur aneignen und nichts über sie wissen wollen, einerseits. (Z. B. ich frage: „Wie spät ist es?“ Ich erhalte von dir die Antwort: „Es ist jetzt fünf Uhr.“ In diesem Fall ist die Antwort eine genau zu meiner Frage passende Antwort. Sie ist genau das, was ich wissen will, und sie hat auch genau die Form dessen, was ich wissen will. Damit ich sie verwenden kann, muss ich sie nicht noch verändern. Ich will hier nichts über sie wissen, sondern sie selbst. Ich nehme sie mir und habe sie dann.) Und andererseits die Antwort nur als Gegenstand, über den ich etwas wissen will, untersuchen. (Z. B. die Antwort qua Akustiker/Physiker als bloßes Geräusch untersuchen.) Im ersten Fall wird gar nicht objektiviert, auch nicht sekundär, im zweiten Fall wird die Äußerung vollständig objektiviert und zwar so, dass sie Sinn, Bedeutung, Zeichencharakter vollständig verliert. Hier geht es um primäre Objektivierung. – Die Antwort: „Es ist fünf Uhr“ wird schwach objektiviert, wenn ich sie mir einerseits sagen lasse, sie als Antwort behandle und übernehme, ich mir aber andererseits zugleich einiges über sie klar mache: z. B., dass sie sehr schnell kam, dass sie unfreundlich gegeben wurde, dass sie kurz und zweckmäßig formuliert ist etc. Das Verhalten zur Äußerung, das vom Sprecher her vorgesehen ist, dominiert hier, das objektivierende Verhalten kommt bloß (hilfs-
Vgl. o. S. 35 ff.
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weise) hinzu. Die Antwort: „Es ist fünf Uhr“ wird stark objektiviert, wenn das kommunikative Verhalten zur Antwort nur insoweit ins Spiel kommt, dass überhaupt verstanden wird, wovon die Rede ist, im Übrigen die Antwort aber nur als Gegenstand behandelt wird, über den man etwas wissen will, z. B. als Beispieläußerung, an der über Syntax, Semantik oder Pragmatik vieles klar werden kann. Die verschiedenen Formen von (verstehenden) Humandisziplinen (Literaturwissenschaft, Philosophiegeschichte, Ideologiekritik, Psychoanalyse, Linguistik etc.) repräsentieren ebenso viele Typen sekundärer Objektivierung. In diesem Spektrum liegt Davidsons Standardfall der radical interpretation, ein Falltyp, bei dem das Interpretandum nach Davidsons Angaben ungefähr so wie ein naturwissenschaftlicher Gegenstand kognitiv zu behandeln ist, zwar ziemlich weit auf der Seite der primären vollständigen Objektivierung des Akustikers. Aber genaugenommen liegt hier weder ein naturwissenschaftlicher Gegenstand vor, noch das kognitive Verhalten nach Art der Naturwissenschaftler. Radical interpretation führt nach Davidson zu (zu prozessierenden) empirischen Hypothesen, die die Form der W-Äquivalenz haben: „“p“ ist wahr genau dann, wenn es regnet“. P ist das, was der Sprecher geäußert hatte, nach Davidson ein Geräusch. Die W-Äquivalenz ist ein Satz über p, sie ist bei Davidson eine empirische Hypothese über p. Aber p wird hier ein Prädikat zugeschrieben, nämlich wahr zu sein, das z. B. der erwähnte Akustiker angesichts seiner Gegenstände nicht ins Spiel bringen könnte. D. h., wenn p als wahr (unter bestimmten Bedingungen) angesehen wird, dann wird p gerade nicht nur als Gegenstand, über den man nur etwas wissen wollen kann, verstanden, dann wird p vielmehr schon als Behauptung, als behauptete Aussage verstanden. Nun gilt aber, wenn p eine behauptete Aussage mit Wahrheitsanspruch ist, dann ist genau dies, dass p eine behauptete Aussage mit Wahrheitsanspruch ist, etwas das der Sprecher von p explizit oder implizit sagt bzw. zu verstehen gibt und was der Interpret sich sagen lässt bzw. aneignet. Es ist nichts, worüber der Interpret etwas wissen will, sondern gehört zu dem, was er wissen will. Das bedeutet, wenn der Interpret bei der radical interpretation über p die Hypothese entwirft: „“p“ ist wahr genau dann, wenn es regnet“, dann hat der Interpret in p nicht nur ein bloßes Objekt vor sich, über das er etwas wissen wollen kann, über das er Hypothesen entwirft, sondern er hat zu tun mit etwas, das man sich – mindestens partiell – aneignen kann. Er hat zu tun mit etwas, das er von Anfang an behandelt, als hätte er es sich – partiell zumindest – angeeignet, nämlich – in der Sprache der Sprechakttheorie: „Du behauptest hiermit als wahr, dass…“, – in der Sprache Davidsons: „…, und dies ist eine Behauptung (mit Wahrheitsanspruch)“. – Etwas von dieser Art ist generell bei sekundärer Objektivierung der Fall. Sekundär objektivierte Äußerungen sind solche, die zum Teil – in bestimmten Hinsichten, auf bestimmten Ebenen – in der Weise kognitiv behandelt werden, dass man sich durch sie direkt etwas sagen
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lässt, etwas von ihnen direkt sich aneignet, die zum Teil aber auch zum Gegenstand von Hypothesen über sie gemacht werden. Dies aber so, dass der Charakter der Äußerung, Objekt zu sein für Hypothesen, den Charakter, Antwort zu sein überlagert, überformt. Nur so lange, wie der Charakter, Antwort zu sein bei etwas (auch) im Spiel ist, so lange handelt es sich überhaupt um etwas, das Sinn und Bedeutung, Zeichencharakter hat, um etwas, angesichts dessen man sich sinnvoll fragen kann, wie es gemeint ist. D. h., nur wenn es schon oder noch eine Gemeinsamkeit zwischen dem Interpreten und dem Sprecher bzw. der Äußerung gibt derart, dass der Interpret das mit der Äußerung Gemeinte sich direkt aneignen kann, sei diese Gemeinsamkeit tatsächlich gegeben, sei sie auch – wie in der Situation der radical interpretation nur versuchsweise unterstellt, nur dann hat der Interpret überhaupt mit etwas Verstehbarem zu tun. Was angeeignet wird, was geteilt wird zwischen beiden, muss ja auf beiden Seiten, beim Interpreten und beim Sprecher die gleiche Rolle spielen können. Deshalb müssen auf beiden Seiten gleiche Kontexte, in denen das Geteilte seine Rolle spielen kann, da sein. – Wenn diese Gemeinsamkeit nicht besteht, dann haben wir mit dem Fall des Akustikers, bzw. mit der primären oder vollständigen Objektivierung zu tun. Und das Gemeinsame, immer schon Geteilte, betrifft Dinge wie die generelle Art des Umgangs mit der Sprache, die Einstellung und Position zur Welt, zu sich selbst, zum Kommunikationspartner. Es betrifft Ideen wie: „Ich meine hiermit etwas über etwas“, „ich behaupte gegenüber jedermann als wahr…“, es betrifft die wichtigsten Sprechakttypen, die wichtigsten Geltungsansprüche, Referenz, Prädikation, elementare Logik. Nur wenn dies alles schon als gemeinsam bei Sprecher und Interpret vorhanden unterstellt wird, kann die radical interpretation überhaupt anfangen. Hat man sich dies klargemacht, dann sieht man, dass eine Reihe der wichtigsten Überzeugungen, die Davidson in sein Konzept vom Verstehen investiert, extrem erläuterungsbedürftig sind. 1) Davidson sieht in der W-Äquivalenz eine empirische Hypothese. Sie ist in der Tat eine empirische Hypothese aber eine sehr ungewöhnliche. Den Charakter einer vorläufigen (langfristig zu verbessernden) Vermutung hat an ihr nur das inhaltliche Moment: dass tatsächlich p genau dann und nur dann wahr ist, wenn es regnet. Es könnte sich am Ende herausstellen, dass p genau dann und nur dann wahr ist, wenn es nieselt. Nicht bloß hypothetisch ist dagegen an ihr, dass p – wenn p überhaupt als Äußerung in Frage kommt und nicht nur ein bloßes Geräusch ist – eine Äußerung ist, mit der etwas gemeint ist, mit der etwas über etwas gesagt wird und die wahr von etwas sein soll. Es gibt hier überhaupt keinen Spielraum für Annahmen der Art, dass vielleicht das, was der Interpret mit den Wendungen: „etwas meinen“, „etwas über etwas sagen“, „wahr sein von etwas“ meint, beim Sprecher etwas anders liegen könnte, dass der Sprecher andere davon mehr oder weniger abweichende Vorstellungen
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von dergleichen ins Spiel bringen könnte. Genau dies aber wäre es, was man bei einer normalen empirischen Hypothese erwarten muss, die ja unterwegs – vor Erreichung der ultimate opinion – immer nur mehr oder weniger trifft. Es gilt, im Gegenteil: Nur wenn der Interpret mit seiner W-Äquivalenz die entsprechenden Unterstellungen beim Sprecher und seiner Äußerung schon punktgenau getroffen hat, macht das Prozessieren der empirischen Hypothese, die die W-Äquivalenz ist, überhaupt Sinn. Denn nur wenn p in genau demselben Sinn sowohl auf Seiten des Interpreten, wie auch auf Seiten des Sprechers (und auch auf unserer Seite) eine Äußerung ist, mit der man etwas meinen, etwas über etwas behaupten kann, die wahr sein kann, nur dann kann der Interpret herausbekommen und immer besser herausbekommen: wann, unter welchen Umständen p wahr ist und d. h., was p bedeutet. – Das Verhältnis zwischen Sprecher und Interpret, das die radikale Interpretation erst möglich macht, muss also von der Art sein, dass beim Sprecher und beim Interpreten immer schon strikt identische Vorstellungen von „etwas meinen“, „etwas über etwas sagen“, „von etwas wahr sein“ etc. im Spiel sind. Wenn sie strikt identisch sind, können wir davon reden, dass der Interpret p so behandeln muss, als hätte er sich die entsprechenden Teile von p schon „angeeignet“²⁰, was die Basis dafür ist, dass er sich jetzt den Rest von p noch aneignen kann. Und wenn der Interpret die Äußerung so behandelt, dann muss als Voraussetzung für Verstehen überhaupt eine schon bestehende Minimumgemeinsamkeit wie eben angedeutet unterstellt werden. Beide Punkte: Dass wir zum einen davon reden können, die Hypothese enthalte solches, das sich der Interpret aus seinem Gegenstand schon angeeignet habe, wie auch davon, dass der Interpret mit seiner Hypothese immer schon punktgenau das trifft, was drüben beim Sprecher immer schon unterstellt ist, beide Punkte sind sehr ungewöhnlich für eine empirische Hypothese. 2) Davidson versteht radical interpretation explizit als radikal, es gehe um „interpretation from scratch“, vom Nullpunkt her. Mit Hilfe des Modells der radical interpretation soll das Verstehen fremder Äußerungen rekonstruiert werden und dies so vollständig wie möglich. Es soll möglichst nichts Relevantes unberücksichtigt bleiben. Dies ist der Sinn von „radikal“ hier, und in diesem Sinn ist sein Projekt zu bejahen. Andererseits suggeriert die Idee von „radical interpretation from scratch“ ein völlig falsches Bild. Verstehen, Sich-etwas-sagen-Lassen ist von einem Nullpunkt her nicht möglich. Es ist nicht möglich, ein Wesen (bzw. dessen Produkte), das völlig fremd und unverstanden ist, durch Verstehen allmählich zu etwas Ver-
Der Interpret muss davon ausgehen, er habe sich schon angeeignet, was der Sprecher mit seinem performativen Satz gesagt habe: „Ich sage hiermit …, ich behaupte hiermit…“
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trautem, etwas Verstandenem zu machen. Verstehen ist nur so möglich, dass eine schon bestehende Gemeinsamkeit, ein schon bestehender Vorrat an gemeinsamen und als solchen strikt identischen Vorstellungen hüben und drüben vergrößert oder erweitert wird. Dies ist im Zusammenhang des Davidsonschen Projekt ein durchaus nichttrivialer Punkt, und die Art, wie Davidson damit umgeht – immer wieder gibt es nur die Hinweise darauf, dass es eben möglich sei, empirische Indizien für bestimmte propositionale Einstellungen zu finden – ist unzureichend. 3) Davidson behauptet, dass zur radikalen Interpretation die Einstellung und Position des Beobachters gehört. Der naheliegenden Auffassung, dass man diese als reserviert nur für die erste Einstiegsphase ansehen sollte, eine Auffassung die außerdem gestützt wird durch die zitierte Wendung, nach der es darum gehe „die Äußerung bestimmter Geräusche (neu zu beschreiben) als Akt des Sagens, dass Schnee weiß ist“, tritt er in dem Aufsatz „A Nice Derangement…“ sehr energisch entgegen. Jetzt haben wir uns daran erinnert, dass die normale Einstellung und Position des Verstehenden in Kommunikationssituationen die des Mitspielers ist, der die Mitteilungen oder Anordnungen des anderen entgegennimmt, der, was der andere meint, sich sagen lässt, es wissen will, sich aneignet, die Gedanken fasst und nicht vielmehr betrachtet oder gar beobachtet. Es ist außerdem klar geworden, dass aus der Position und Perspektive eines reinen Beobachters, der noch nichts verstanden hat, bzw. als schon verstanden unterstellt hat, auch gar nichts verstanden werden kann. Der Akustiker kann als solcher mit Sinn, Bedeutung, Zeichencharakter seines Gegenstandes gar nichts anfangen. Nur ein „teilnehmender“ Beobachter, der mitspielt und das gemeinsame Spiel als geteilte Voraussetzung im Rücken hat, kann verstehen. Ein in diesem Sinn teilnehmender Beobachter, bei dem das Betrachten der fremden Gedanken das Fassen derselben nur überlagert, ist aber etwas qualitativ anderes als ein einfacher Beobachter. Auch zu diesem Punkt äußert sich Davidson nicht. 4) Schließlich behauptet Davidson – das war unser Hauptpunkt – dass das Verstehen im Wesentlichen als ein Entwerfen und Prozessieren von Hypothesen über das Interpretandum zu gelten hat. Verstehen von Äußerungen heißt demnach Wissen über sie erwerben. – Wir haben inzwischen gesehen, dass dies die Sache verfehlt. Wir sind alle ständig selbst Autoren von Äußerungen und Texten und wissen, wozu wir unsere Äußerungen ins Spiel bringen. Wir wissen, dass wir sie nicht dazu produzieren, damit unsere Adressaten neue, interessante Gegenstände für ihre Hypothesen erhalten. Wir schreiben unsere Briefe vielmehr, um unseren Adressaten etwas über etwas zu sagen, mitzuteilen, damit sie Antworten erhalten usw. Und als kompetente Adressaten wissen wir auch, wie wir mit ihnen umzugehen haben. – Nur in Ausnahmefällen, bei besonderen Verständnisschwierig-
Bemerkungen zu Donald Davidson
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keiten kommt es dazu, dass Hypothesen über die Äußerungen wichtig und nützlich werden. Und diese kommen in der Regel nur ins Spiel, damit das normale Verhalten zu Äußerungen, z. B. das Entgegennehmen von Antworten, wieder möglich wird. Von diesen Hypothesen über das jeweils Gesagte, die tatsächlich in der Lage sind, das Gesagte verständlicher zu machen, gilt: Zum einen: Sie kommen nur zusammen mit Akten der Aneignung, des In-Betrieb-Nehmens des Gesagten vor. Das Entwerfen von Hypothesen über das Gesagte überlagert das Aneignen und In-Betrieb-Nehmen nur. Zum anderen: Es kommen nur solche Hypothesen überhaupt in Frage, die auch inhaltlich zum Spiel des Aneignens passen. D. h. sie dürfen nur solche Prädikate wesentlich enthalten, die zur sekundären Objektivierung, nicht zur primären Objektivierung, passen. – Wenn Zusätze dieser Art fehlen, dass also die Hypothesen nur in Ausnahmefällen auftreten, dass sie nur hinzukommen können, dass sie zu dem, wozu sie hinzukommen, inhaltlich passen müssen, wenn dies alles unerwähnt bleibt, wird die These, dass Interpretation, Verstehen im Entwerfen und Prozessieren von Hypothesen über das Interpretandum besteht, falsch.
2.4 Zum Schluss dieses Abschnitts soll noch kurz, in wenigen Strichen angedeutet werden, wie nach unserer Auffassung eine Konzeption des Verstehens aussehen muss, die mit den zuletzt gegen Davidson ins Feld geführten Schwierigkeiten fertig werden kann. Davidson hat seine Lehre vom Verstehen als Nebenprodukt seiner Bedeutungstheorie entwickelt und hat sich dabei nur wenig gekümmert um die Besonderheiten des hermeneutischen Verstehens als einer Form der Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation in Opposition zur Erkenntnis in der Subjekt-Objekt-Relation, wie sie üblicherweise in der Wissenschaftstheorie analysiert wird. Wie also kann eine Konzeption des Verstehens aussehen, die diese Besonderheiten berücksichtigt, die also dem Rechnung trägt, – dass Sprecher und Hörer (bzw. Autor und Interpret) gewöhnlich nicht übereinander reden, sondern miteinander; – dass das Interpretandum, das vom Sprecher Geäußerte, selbst schon von der Art dessen ist, was der Interpret am Ende seiner kognitiven Bemühung um das Interpretandum zu erwerben hofft, nämlich eine Überzeugung über etwas, vielleicht Wissen über etwas; – dass also nicht nur Sprecher und Interpret, sondern auch das Interpretandum und das angestrebte Resultat der Verstehensbemühung sich auf jeweils
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denselben logischen Ebenen befinden, sich also nicht einfach auf Objekt- und Metaebene verteilen lassen; dass Sprecher und Interpret qua Kommunikationsteilnehmer, die auf denselben Ebenen wirken, normalerweise nichts über einander bzw. über ihre jeweiligen Äußerungen wissen wollen, sondern über die gemeinsam von ihnen thematisierten oder untersuchten Objekte ihrer Rede, wobei von den Antworten und Vorschlägen ihrer Mitspieler über diese Objekte (den Interpretanda) gilt, dass sie diese selbst haben oder wissen wollen, von den Mitspielern, dass sie diese als wahrheitsfähige Subjekte anerkennen und behandeln wollen, von denen sie gegebenenfalls etwas lernen könnten, und nicht vielmehr als Objekte, die sie mithilfe von Theorien über sie am Ende (technisch) kontrollieren könnten?
Hier eine kurze Skizze eines solchen Verstehensprozesses²¹: a) Der Interpret, der zunächst nur mit einem irgendwie auffälligen, für ihn wahrscheinlich nichtnatürlichen, empirischen Phänomen konfrontiert ist, bereitet seine eigentliche kognitive Auseinandersetzung damit dadurch vor, dass er einerseits (i) über primär objektivierendes Verhalten zum Phänomen sich die materiellen Eigenschaften desselben (das materielle Substrat des Interpretandums) klar macht; dass er andererseits (ii) über die versuchsweise Unterstellung: „Der Autor des Phänomens will mir damit das und das über x sagen“²² sich in die Position eines Mitspielers, eines möglichen Adressaten des Textes bringt; und dass er schließlich (iii) über sekundär objektivierendes Verhalten sich der sprachlichen Elemente, aus denen das Interpretandum besteht (Buchstaben, Wörter, Sätze, Sprechakte etc.), versichert. Der Interpret bewegt sich damit von Anfang an auf zwei Ebenen, nimmt von Anfang an zwei verschiedene Einstellungen und Positionen zum Interpretandum ein: Er bewegt sich auf der Ebene der Kommunikation über die Sache (x) und auf der Ebene der Metakommunikation über die Äußerung selbst, er verhält sich zum Interpretandum als Mitspieler, als möglicher Adressat, der die Antwort über x haben will, sich durch den Text etwas über x sagen lassen will und er verhält sich als Betrachter, der etwas über die Antwort, über den Text (jetzt besonders über seine sprachliche Struktur) erfahren will.
Für eine ausführliche Vorstellung s. o. S. 69 – 100. Einer Unterstellung, mit der er präsupponiert, dass das Phänomen den Gedanken: „Ich (der Autor) sage damit das und das über x,“ enthält, einen Gedanken, den er zugleich dem Interpretandum als darin enthaltenen fremden Gedanken entnimmt, sich aneignet.
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b) Nach dieser Vorbereitung beginnt das eigentliche Verstehen, die eigentliche Aneignung des Fremden. Es besteht wesentlich darin, dass der Interpret mit seinem (aus dem Vorfeld seiner Bemühungen stammenden) Vorverständnis des Interpretandums an den Text herangeht und versucht, dieses vorläufige Vorverständnis in ein definitives Verständnis zu überführen. Bei diesem Vorverständnis²³ handelt es sich um eine Struktur, die auf zwei Ebenen zugleich situiert ist, auf der Ebene der Kommunikation über die Sache (x) (als Vermutung darüber, was im Text mit der Sache geschehen wird) und auf der Ebene der Metakommunikation (als Vermutung über den Text selbst). Dies Vorverständnis spielt bei der Interpretation eine doppelte Rolle: Es ist einerseits das wichtigste Instrument der Bemühung und es ist zugleich Zwischenresultat, das durch den Interpretationsprozess ergänzt, korrigiert, präzisiert und so in das definitive Resultat transformiert werden soll. Qua Instrument hat das Vorverständnis vor allem drei Funktionen: Insofern als es wesentlich eine lückenhafte Struktur mit vielen Leerstellen enthält, hat es die Funktion einer Frage über x, die durch den Text vervollständigt bzw. beantwortet werden soll; insofern als es explizite aber vorläufige Vermutungen über den Text selbst enthält, die an dem Text scheitern, durch den Text korrigiert werden können, hat es die Funktion einer vorläufigen Hypothese, die zu definitivem Wissen über den Text verbessert werden soll; insofern als diese Vermutungen/Hypothesen über den Text als implizite, die Frage steuernde Hintergrundannahmen über den Text ins Spiel kommen können, hat es auch die Funktion eines quasitranszendentalen Schemas, das den Text auf bestimmte Hinsichten hin stellt, ihn damit allererst sichtbar macht, ihm Konturen verleiht etc. Diese verschiedenen Funktionen kann das Vorverständnis für den Interpreten übernehmen, weil der Interpret im Verlauf seiner Aneignungsbemühungen Ebene, Position und Einstellung, von woher er jeweils agiert, ständig wechselt, er zwischen den genannten Ebenen und Positionen ständig hin und her geht, woraus sich die verschiedenen Phasen des Verstehensprozesses ergeben. Er beginnt (erste Phase) in der Einstellung und Position eines Mitspielers im Spiel der Kommunikation über die Sache, der sich vom Interpretandum direkt etwas über die Sache sagen lassen will. Dominant ist jetzt die Ebene der Kommunikation über die Sache, und dominant ist hier die Fragefunktion des Vorverständnisses, die für das Aneignen wichtigste Funktion. Der Interpret versucht mit seinen lückenhaften
Ein allgemeines Schema dafür könnte folgendermaßen aussehen: „Ich (der Interpret) vermute im Hinblick auf den Text, von dem ich bisher das und das zu wissen glaube, dass die im Text verhandelte Sache sich so und so entwickeln wird.“
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Vermutungen über die Sache durchzukommen und die Leerstellen seiner Fragestruktur durch das Interpretandum auffüllen zulassen. Er lässt sich dabei leiten durch die jetzt (bei dominierender Kommunikation über die Sache) als bloß implizite (daher momentan der Kritik entzogene) Hintergrundsideen ins Spiel kommenden (metakommunikativen) Vorstellungen über den Text, die ja ebenfalls im Vorverständnis stecken. Weil sein Vorverständnis dem Text und dem darin enthaltenen Verlauf der Sache noch gar nicht entspricht – er kennt den Text und den Verlauf der Sache ja noch nicht, zu solchen Kenntnissen soll er ja durch seine gegenwärtigen Bemühungen allererst kommen – muss er freilich mit diesen ersten Versuchen scheitern. Er wird zu einem Reflexionsschritt genötigt („Was genau habe ich getan? Was ist mit dem Text?“), betritt (zweite Phase) explizit die Ebene der Metakommunikation und übernimmt die Position und Perspektive eines (freilich auch noch mitspielenden) Betrachters des Interpretandums. Dadurch verlieren die im Vorverständnis enthaltenen Annahmen über das Interpretandum den Status von quasitranszendental wirksamen impliziten Hintergrundsannahmen, erhalten dagegen den von explizit ins Spiel gebrachten falliblen Hypothesen über den Text, die am – sekundär objektivierten – Interpretandum scheitern, durch es korrigiert werden können. – Mit einem so korrigierten Vorverständnis kann der Interpret seinen Aneignungsversuch erneut beginnen Er kehrt zurück in die Position des Adressaten, versucht durchzukommen mit den neuen Vermutungen über die Sache, bis er wieder scheitert, was ihn erneut in die Position des Betrachters zurückführt, der zu einem dem Interpretandum besser angepassten Vorverständnis kommen kann etc. Der Interpret wechselt also mehrfach hin und her zwischen den beiden Positionen und Einstellungen bis aus dem zuerst unvollständigen, globalen, schiefen Vorverständnis so etwas wie ein vollständiges, präzises, zum Interpretandum passendes Verständnis geworden ist. Wie gesagt, die Details finden sich oben (S. 69 ff). Der Hauptpunkt hier ist, dass sichtbar wird, dass der Interpret einen beträchtlichen Aufwand an verschiedenen kognitiven Verhaltensweisen und Leistungen treiben muss, damit er der komplizierten Doppelrolle des Interpretandums, qua Antwort und qua Objekt, gerecht werden kann. Es ist ein ganzes Arsenal an Mitteln und Wegen nötig: direktes Aneignen, sekundär objektivierendes Vorgehen, primär objektivierendes Vorgehen, das InsSpiel-Bringen des Vorverständnisses als Frage, als Hypothese, als transzendentales Schema und das Hin-und-Her zwischen den Positionen und Einstellungen des Mitspielers und des Betrachters. Die These, dass hermeneutisches Verstehen im Wesentlichen das Prozessieren von Hypothesen über das Interpretandum ist, ist ganz sicher nicht ausreichend.
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3 Zum Schluss zur dritten Frage: Zur Struktur der in sich differenzierten Epistemologie, zum Verhältnis der von Davidson unterschiedenen drei Spielarten empirischen Wissens bzw. Erkennens: das Erkennen der natürlichen Welt, das Erkennen der Bewusstseinsinhalte (bzw. Äußerungen) anderer Personen, das Erkennen der eigenen Bewusstseinsinhalte. Davidson nennt es ein „seltsames Faktum“, dass wir über diese drei Spielarten des Wissens verfügen und erklärt: „Wir brauchen ein Gesamtbild, das nicht nur alle drei Arten des Wissens unter Dach und Fach bringt, sondern außerdem ihre wechselseitigen Beziehungen verständlich macht. Dass uns ein und dieselbe Welt in drei derart verschiedenen Weisen bekannt ist, sollte uns ohne ein solches Gesamtbild völlig rätselhaft bleiben.“²⁴ Dieses Bild sollte nicht nur zeigen, dass die drei Spielarten des Wissens nicht aufeinander zurückgeführt werden können, es sollte auch zeigen, warum nicht, was die begriffliche Rolle jeder Erkenntnisform ist, und warum jede von ihnen unentbehrlich ist.²⁵ Es sind ersichtlich wichtige Probleme, die Davidson hier aufwirft. Es geht einmal um ein genaues Verständnis der Differenzen zwischen den drei Spielarten. (1) – Es geht dann um das Verhältnis der Spielarten, um die interne Struktur und die Einheit unserer Vernunft. (2) – Es geht damit drittens um unser Verhältnis zur Realität und um unseren Platz in der Welt. (3) – Und es geht schließlich darum, wer oder was sind wir? (4) Sehen wir uns zunächst an, was bei Davidson zu diesen Fragen zu finden ist. Zu (1): Wie liegen die Unterscheidungen zwischen den drei Spielarten des Wissens? – Wie Davidson das Verhältnis zwischen der Erkenntnis der Außenwelt und der Erkenntnis fremder Bewusstseinzustände versteht, haben wir im letzten Abschnitt ausführlich erörtert. Der Hauptpunkt war da – und ist auch hier – der, dass beide Spielarten des Erkennens für Davidson als strukturell von derselben Art gelten. Das ist so im Triangulationsargument²⁶, wo der Lehrer das, was das Kind meint, worauf es sich bezieht, nur erkennen kann, indem er Regularitäten im (Äußerungs‐) Verhalten des Kindes erkennt und zugleich – vermutlich relevante – Regularitäten in der Außenwelt, d. h., indem er etwas über die Regularitäten im Verhalten des Kindes erfährt und etwas über Regularitäten in der Außenwelt und indem er beide Überzeugungen zusammenbringt. – Aber das ist auch generell so bei Davidson, wie wir gesehen haben: Das Erkennen der Außenwelt ist selbst Davidson (2004), 343. Davidson (2004), 344. Das wir – wie gesagt – nicht für haltbar halten, das aber dennoch verdeutlichen kann, wie Davidson sich die Verhältnisse vorstellt.
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verständlich wesentlich Erwerb von Meinungen, Hypothesen, Wissen über die Außenwelt, und das Verstehen von Äußerungen ist – sowohl nach der Lehre von der radical interpretation, wie auch nach seiner Lehre von der Interpretation schlechthin (in „A Nice Derangement..“) Erwerb von Meinungen Hypothesen, Wissen über Äußerungen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Spielarten der Erkenntnis und dem dritten Typ, der Selbsterkenntnis, ist in der für uns interessanten Hinsicht, die ja für Davidson selbst nicht thematisch ist, nicht ganz so leicht zu fassen. In dem Aufsatz: „Drei Spielarten des Wissens“ gibt es dennoch viele Hinweise darauf, dass Davidson auch die dritte Spielart der Erkenntnis, die Selbsterkenntnis in diesem Sinne versteht. Sie gleicht den anderen darin, dass es auch bei ihr um das Gewinnen bzw. Haben von „Wissen über die eigenen Bewusstseinszustände“²⁷ (339) geht. Sie gleicht den anderen im kognitiven Verhalten, in der Position und Einstellung zu ihrem „Gegenstand“. Sie unterscheidet sich von den anderen Erkenntnisarten durch Gegenstandsbereich, Blickrichtung und Begrifflichkeit. Immer dann, wenn Davidson über alle drei Spielarten zusammen redet, behandelt er sie als völlig parallel zueinander und unterschieden nur durch die genannten drei Gesichtspunkte. – Deshalb behaupten wir als These, dass Davidson alle drei Spielarten der Erkenntnis folgendermaßen unterscheidet: Alle drei sind Arten von Erkenntnis, als solche sind sie Typen von Bemühungen, Überzeugungen, Hypothesen, Wissen über die relevanten Gegenstände herauszubekommen. Das ist ihnen gemeinsam. Sie unterscheiden sich dagegen durch den jeweiligen Gegenstandsbereich, die Blickrichtung und die jeweilige Begrifflichkeit Zu (2) Zur Frage der Einheit. – Wenn alle drei Typen der Erkenntnis in Wahrheit Typen von Bemühungen sind, Überzeugungen, Hypothesen, Wissen über etwas zu erwerben, wenn alles zu Erkennende den Charakter von etwas hat, über das man etwas wissen will, dann ergibt sich für die grundlegende Ebene, nämlich für die Ebene des kognitiven Verhaltens, eine in Wahrheit monistische Konzeption der Epistemologie. Erst auf der weniger fundamentalen Ebene der jeweils verwendeten Begrifflichkeit kommt es zu der von Davidson vertretenen trialistischen Konzeption, wobei das einschlägige Hauptargument, das Triangulationsargument, das die wechselseitigen Voraussetzungsverhältnisse nachweisen soll, nicht überzeugt. Die Dreiheit der Typen ergibt sich dabei daraus, dass dieselbe Grundform des kognitiven Verhaltens²⁸ auf drei verschiedene Bereiche, Davidson (2004), 339. Weil es sich bei den drei Typen genaugenommen immer nur um denselben (jeweils leicht abgewandelten) Typ handelt, deshalb funktioniert Davidsons Argument über die wechselseitigen Voraussetzungsverhältnisse nicht. Denn jetzt gilt, entweder funktioniert ein Typ für sich oder nicht. Wenn er funktioniert, braucht er dazu die anderen nicht. Wenn nicht, dann kann ein an-
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die begrifflich verschieden gefasst werden, angewendet wird. Im Grunde wird hier immer wieder dieselbe Leistung erbracht, sie wird jeweils leicht abgewandelt durch die jeweils involvierte Begrifflichkeit, die festlegt, was jeweils über die Gegenstände der Außenwelt, der Innenwelt oder der Welt fremder Bewusstseinszustände gewusst werden kann. Es wird hier sozusagen vom selben Punkt aus auf dieselbe Weise in drei verschiedene Richtungen gesehen. Die Dreiheit entsteht dagegen nicht dadurch – wie Davidsons Argumente für die wechselseitigen Voraussetzungsverhältnisse nahe legen -, dass die Erkenntnistypen je für sich ergänzungsbedürftige Strukturen sind, die erst zusammen ein funktionsfähiges Ganzes bilden. Die Einheit der Vernunft ergibt sich hier trivialerweise durch den in diesem Bild deutlich durchscheinenden Monismus auf der wesentlichen Ebene. Zu (3) Zu unserem Verhältnis zur Realität, unserem Platz in der Welt. – Wenn alles zu Erkennende den Charakter von etwas hat, über das es Wissen zu gewinnen gilt, dann ist für alle drei Typen der Erkenntnis folgende Grundkonstellation verbindlich: Da ist zunächst drüben die Sache, mit Bezug auf die Wissen erworben werden soll. Dann ist da jemand, der über die Sache Wissen haben will. Dieser betrachtet die Sache vor ihm und macht von ihr mehr oder weniger zutreffende Repräsentationen, d. h., bildet über sie mehr oder weniger zutreffende Meinungen oder Hypothesen. Er prüft und verbessert diese Hypothesen über die Sache und besitzt dann eine vorläufig haltbare Überzeugung über diese. – Ist dieses Modell verbindlich für alle drei Typen, so wird damit erstens negligiert, dass es einen Unterschied macht, ob das, womit ich mich kognitiv auseinandersetze, – schon in meinem „Gemüthe“ (Kant) ist (wie z. B. eine mir bewusste propositionale Einstellung von mir: „Ich denke hiermit, x verhält sich so und so“), – schon (wie die Einsicht/Antwort, dass es sich mit y so und so verhält) im „Gemüthe“ eines anderen ist (bzw. als dessen Äußerung vorliegt) und insofern schon im Besitz der Menschheit ist (nur in diesem Sinn sind ja die meisten Einsichten der modernen Physik etwa im Besitz der Menschheit), – oder ein Gegenstand draußen ist, über den es allererst Überzeugungen zu etablieren gilt. Damit wird zweitens übersehen, dass zwar angesichts von Objekten der natürlichen Welt kognitives Verhalten nur darin bestehen kann, Hypothesen, Wissen über sie zu etablieren und zu gewinnen, dass es aber angesichts von Antworten,
derer – deshalb ebenfalls nicht funktionierender – Typ keine nützliche Ergänzung für den ersten sein.
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die schon im Besitz der Menschheit sind, nicht aber schon in meinem Besitz, primär und paradigmatisch für mich darum geht, sie selbst anzueignen, sie zu integrieren, und dass schließlich von meinen propositionalen Einstellungen (wie: „ich behaupte/denke hiermit, x verhält sich so und so“) primär und paradigmatisch²⁹ gilt, dass sie von innen helle (nämlich als etwas artikulierte [nicht dagegen schon beschriebene]) eigene Zustände sind, die ich schon habe. ³⁰ Das Übersehen dieser Differenzen in der Art der „Gegenstände“ und in der Art des kognitiven Verhaltens zu ihnen, scheint uns begründet zu sein, im Semantizismus Davidsons, d. h. in der systematischen Abstraktion von der pragmatischen Zeichendimension, von der Möglichkeit, sich als Sprachverwender zu sprachlichen Entitäten sehr verschiedenartig zu verhalten. Dieser Semantizismus ist – neben dem Absehen von der Problematik der sekundären Objektivierung – eine der wichtigsten Stützen für die bei Davidson immer noch wirksamen Reste der einheitswissenschaftlichen Ideologie. Mit alledem wird drittens übersehen, dass es sich um Falltypen handelt, die sich hinsichtlich des kognitiven Abstandes, hinsichtlich der Fragen: Fremdheit, Vertrautheit, Zugehörigkeit, qualitativ unterscheiden. Es werden strukturelle Differenzen gewaltsam nivelliert. Es wird ja weder ein Unterschied gemacht zwischen dem Fall, in dem über einen fremden äußeren Gegenstand zum ersten Mal eine Hypothese entworfen wird, dem Fall, in dem die Hypothese schon da ist, es für mich nur noch um das „Erkennen des schon Erkannten“ (A. Boeck) gehen kann und dem Fall, in dem ich mir die Hypothese schon angeeignet habe und ich sie jetzt – mir deutlich – besitze. Für alle drei Falltypen wird die größtmögliche kognitive Distanz angesetzt, was ersichtlich unangemessen ist. Noch wird ein Unterschied gemacht zwischen dem kognitiven Verhalten eines Subjekts zur bloß natürlichen Welt, zur sozialen Welt, zu anderen Personen (zu denen er ja nach Davidsons Privatsprachenargument hinzugehört, auf die er – sofern er Gedanken haben will – angewiesen ist) und zur eigenen Innenwelt, zu sich selbst. Alles ist im Prinzip gleich weit entfernt und gleich fremd. So wird aus
Die Einschränkungen „primär und paradigmatisch“ beziehen sich darauf, dass es bei der Erkenntnis fremder Bewusstseinsinhalte und bei der Selbsterkenntnis auch das Phänomen der sekundären Objektivierung gibt. Das Recht dieser Unterscheidungen kann der monistische Epistemologe, der Davidson im Grunde bleibt, nicht leugnen, denn es sind ja gerade die Unterscheidungen, die seinem eigenen Modell zugrunde liegen, aus denen sein Modell gebaut ist.Wenn er alle Erkenntnis als Bemühung, Hypothesen,Wissen über etwas zu erwerben, ansieht, dann gibt er ja damit zu, dass Wissen etwas ist, das man sich aneignen kann, und zugleich, dass es etwas ist, das man dann haben, besitzen kann, derart, dass man dazu Zugang hat, ohne sich zusätzlich noch Wissen darüber verschaffen zu müssen.
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dem an der Kommunikation teilnehmenden Mitspieler der externe Beobachter und aus dem, der seine eigenen Gedanken hat, sie denkt, wird jemand, der sie betrachtet. Zu (4) Wer oder was sind wir? – Wenn so alles, was Gegenstand kognitiver Bemühung werden kann – nicht nur äußere Gegenstände, sondern auch die soziale Welt, sogar die eigene Innenwelt, das eigene Wissen – zum von außen entgegenstehenden Gegenstand wird, über den ich etwas wissen will, dann schrumpft das Ich zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, der von allem (der Natur, den anderen, sogar dem eigenen Inneren) gleich weit entfernt ist, der damit keinem „Wir“ angehören kann und der im übrigen auch keinen Platz für den Besitz von Wissen, um das es ihm eigentlich doch geht, lässt. Von diesem ausdehnungslosen Punkt her wird nun in drei Richtungen im Prinzip immer auf dieselbe Weise die Realität gesehen. Das ganze Bild scheint uns wenig plausibel und ziemlich verquer zu sein. Wie muss nun eine Konzeption aussehen, die diese Schwierigkeiten vermeidet? Wir können die Gegenposition, von der in den vorausgehenden Abschnitten dieses Buches ja schon einiges sichtbar wurde, in der hier relevanten Hinsicht nur noch skizzenhaft andeuten. Zu (1) Zu den Differenzen der Erkenntnistypen. – Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Spielarten der Erkenntnis muss schon auf der Ebene des kognitiven Verhaltens selbst und nicht erst auf der Ebene der Begriffe gemacht werden. Es muss hier unterschieden werden zwischen (erstens) der Erkenntnis der Außenwelt, die in der Bemühung um Erwerb von Hypothesen und Wissen über etwas besteht, (zweitens) der Erkenntnis fremder Bewusstseinsinhalte bzw. fremder Äußerungen, die im Kern und primär Aneignung von Antworten ist und (drittens) der Erkenntnis eigener Bewusstseinsinhalte, die im Kern und primär das Haben und Besitzen von – in sich selbst hellen – Zuständen (wie z. B. Wissen) ist. – Dabei darf nicht übersehen werden: Die Unterscheidungen liegen genau wie angegeben nur in den reinen Fällen. Komplizierter und unübersichtlicher wird die Sache, wenn – wie fast immer in der freien Wildbahn der Fall – die reinen Typen der Selbsterkenntnis bzw. der Erkenntnis in der Subjekt-Subjekt-Relation überlagert werden durch sekundäre Objektivierung. Die große Bedeutung der reinen Typen resultiert daraus, dass die an sich viel häufiger vorkommenden Fälle sekundärer Objektivierung nur von den reinen Typen her durchsichtig rekonstruiert, d. h., verstanden werden können. Zu (2) Zur Einheit der Vernunft. – Jeder dieser drei Typen von Erkenntnis ist für sich genommen unvollständig, ergänzungsbedürftig und funktionsunfähig Erst zusammen bilden sie eine vollständige und funktionsfähige Struktur. – Die Grundidee des Ganzen ist die, dass die Epistemologie zentriert ist um eine Struktur, in der A und B sich miteinander in vollem Bewusstsein dessen, was sie tun,
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über x verständigen. In dieser Struktur hängen alle drei bisher unterschiedenen Typen der Erkenntnis zusammen: Die Erkenntnis der Außenwelt („über x“), die Erkenntnis der (Äußerungen der) anderen („miteinander“) und die Selbsterkenntnis („in vollem Bewusstsein dessen, was sie tun“). Es handelt sich um eine Struktur, die in drei Richtungen auf je verschiedene Weise für etwas offen ist, in Richtung auf das x, über das Wissen erworben werden soll, in Richtung auf die anderen, auf die Antworten der anderen, die angeeignet werden sollen, und in Richtung auf die je eigenen Akte und Zustände der Beteiligten (die Verständigungsverhältnisse), die für diese „hell“ sein müssen. Der Zusammenhang ergibt sich hier nicht wie im Vorigen durch die Identität einer Struktur, die dreimal – leicht variiert – repetiert wird. Der Zusammenhang ist vielmehr ein überaus fester funktionaler Zusammenhang zwischen drei grundverschiedenen Strukturen, die über wechselseitige Voraussetzungsverhältnisse miteinander verbunden sind: – Die kognitive Bemühung von A um x, As Etablieren von Hypothesen über x, zählt nicht als solche(s), wenn die Bemühung nicht für A da wäre (konstituiert, gewusst durch ein: „Ich tue hiermit das und das“) und wenn nicht zu ihr die kognitive Beziehung auf Angehörige der Kommunikationsgemeinschaft gehörte, die antworten könnten, und gegenüber denen A unvermeidlich immer schon Geltungsansprüche erhoben hat. – Die kognitive Bemühung von A um die Antwort von B ist als solche notwendig Bemühung um eine Antwort über etwas und zählt wieder nur als Bemühung, die für A da ist, die durch ein: „Ich tue hiermit,…“ von A begleitet wird. – Die kognitive Bemühung von A, der sich reflexiv seiner eigenen Vernunft- oder Verständigungsleistungen versichert, ist notwendig Bemühung von jemand, der bestimmte Überzeugungen über irgendein x für wahr hält und kognitive Beziehungen hat zu anderen Angehörigen der Kommunikationsgemeinschaft, die antworten können, und denen gegenüber er immer schon Geltungsansprüche erhoben hat. Zu (3) Zu unserem Verhältnis zur Realität, unserem Platz in der Welt. – In Davidsons Modell hat das erkennende Subjekt immer dasselbe kognitive Verhältnis zu allem und immer denselben Platz, denn des außenstehenden Beobachters, d. h., keinen Platz in der Welt. In unserem Modell werden schon auf der Ebene des kognitiven Verhaltens drei verschiedene Bereiche der Realität unterschieden, zu denen die kognitiven Subjekte sich sehr verschieden verhalten, mit denen sie sich aus je verschiedener Position, Einstellung, Perspektive und kognitiver Distanz ganz verschiedenartig kognitiv auseinandersetzen: – mit den Objekten der äußeren Welt, als dem, worüber sie etwas wissen wollen,
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mit den Antworten der Kommunikationspartner als dem, was sie wissen wollen, mit den Kommunikationspartnern als solchen, die wie sie selbst sind, die Wissen über etwas etablieren, haben und weitergeben können, mit sich selbst als denjenigen, von woher alles hell ist, von woher alles gesehen wird, von woher alle Initiative ausgeht, die Wissen erwerben wollen und es dann haben können. – Mit alledem bekommen die kognitiven Subjekte auch einen eigenen Platz in der durch die Grundstruktur: „A und B verständigen sich – wissend, was sie tun – über etwas“ immer schon gegliederten Welt, nämlich auf der Ebene derjenigen, die sich über etwas verständigen. Sie gehören der Kommunikationsgemeinschaft an („wir“). Aber sie können auch partiell – über sekundäre Objektivierung – zum Gegenstand der Verständigung werden.
Zu (4) Wer oder was sind wir? – Bei Davidson ist der Blick der erkennenden Instanz immer nur auf das gerichtet, worüber sie etwas wissen will, sie hat kognitiv nur zu tun mit dem, worüber sie etwas wissen will. Hier dagegen, wo die erkennende Instanz in drei Richtungen zugleich auf je verschiedene Weise für etwas offen ist, hat die erkennende Instanz nicht nur (a) mit dem zu tun, worüber sie etwas wissen will, sondern zugleich auch (b) per strikte Reflexion (als reine Form, die dann auch durch hinzukommende sekundäre Objektivierung überformt werden kann) mit sich selbst als demjenigen, was etwas über etwas wissen will, was manche Überzeugungen schon hat, andere noch nicht, die ihr dann fehlen, nach denen sie fragen kann, die sie etablieren oder übernehmen und dann haben, ja auch korrigieren kann. Und (c) per kommunikative Erfahrung (zunächst per reines Verstehen, reines Aneignen fremder Antworten, das dann durch hinzukommende sekundäre Objektivierung überformt werden kann) mit Antworten von anderen, die sie sich aneignen und dann haben kann und darin mit den anderen selbst als denjenigen, mit denen sie über etwas kommunizieren, mit denen sie gemeinsam etwas über etwas herauszufinden versucht, von denen sie sich etwas sagen lässt, die sie aber auch kritisiert etc. D. h., hier sind wir kognitive Subjekte, die bestimmte Überzeugungen schon haben, durch bestimmte Überzeugungen schon geprägt sind, die bestimmte Fragen aus bestimmten Perspektiven stellen, entsprechende Überzeugungen sich aneignen, verbessern und dann haben. Wir sind weiter Angehörige einer Kommunikationsgemeinschaft, die miteinander über etwas reden, die interagieren, sich gegenseitig etwas mitteilen, einander kritisieren etc. Und wir sind schließlich kognitive Subjekte, die als Angehörige einer Kommunikationsgemeinschaft ihr jeweiliges Wissen ständig verändern und verbessern und die dieses alles von sich wissen.
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Insgesamt haben wir den Eindruck, dass diese Konzeption mit den Aufgaben, die Davidson sich stellt, besser zurechtkommt, als Davidsons Konzeption selbst.
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Register Absolutes Wissen 117 Abwandlung 37 f., 85, 91 Akustiker 10 ff., 18, 151, 154, 219 f., 222 Amalgam 144, 148, 150 ff., 156 f. Aneignen (siehe auch: Verstehen als Aneignen) 1 – 59, 70 – 82, 106 f. – direktes – indirektes A. 9, 19 ff., 27, 39, 71 – Ebenen des A. 32, 38 f., 75 – als Erkennen 17, 23 – 30 – als Herüberholen 50 f. – als Wiederholen von Handlungen 27 – 30 – und das materielle Substrat des Interpretandums 42 – 50 Antiprivatsprachenargument 56, 195 Antwort (s. Interpretandum qua Objekt bzw. Antwort) 14 ff. Applikation 121, 132, 160 f. Apriori der Kommunikation 186 f. Argumente zum Geltungsproblem 129 f. Assimilation 64, 135 f., 146 ff., 150 ff. Background 132 Bedeutungstheorie 213 ff. Bewerten 167, 174 f., 204 Biologische Evolution 184 Buchstaben/Phoneme 45 Diskursethik
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Ebenen 3 f., 10, 13, 31 ff., 40 ff., 45 ff. 50, 79, 216 f., 224 f. Einstellung 4, 10, 14 f., 35, 69, 83 ff., 104, 215, 217, 222 Einstellungswechsel 43, 69, 79, 83 ff., 95 Epistemologie 1, 5, 15, 22, 52 – 59, 193 ff., 208, 225, 227 – 234 Erkennbarkeit 166, 169 – 172, 174, 191, 204 Erkennen 22 – 30 – Grundstruktur 53 – Normalform 15, 22 f. – Realwissenschaftliches E. 7 f., 10, 20 – Teilleistungen des E. 23 f., 25 f., 59 https://doi.org/10.1515/9783110677454-008
– Leistungstypen des E. 53 – 59 – Typen des E. 7 f., 52 ff., 59, 227 – 234 – Vorder- und Rückseite des E. 23 – 26, 53 – 59, 124, 151, 153 f., 158 f. – Intra- bzw. intersubjektives E. 55 f. Erkenntnischancen 148 Fortschritt 130, 136 f. Frage, Frage-Antwort-Struktur 3, 24, 60 – 68, 77, 80 ff., 87, 108 – Fragefunktionen 67 f., 88 – Fragepräsuppositionen 65 ff. 87 ff. Geisteswissenschaften 16 ff., 97 Geltungsansprüche 113 ff., 129, 149 f. Geltungsdifferenzen 200 Geltungsproblem 1 ff., 101 – 164 Generalunterstellung 43 f., 48, 72, 224 Handlung, einstöckig – zweistöckig 28 – 30 Handlungswissen 28 – 30, 35 ff., 84 Hermeneutischer Zirkel 69 Hintergrundwissen 131 f. Horizontverschmelzung 82 Hypothesen, normale – sekundär-objektivierende 22, 39 f., 77 f. Hypothetisches Räsonieren 65, 122, 135 Idiolekt 144 Infrastruktur, materielle des Interpretandums 42 – 50 Institutionelle Sachverhalte 167 ff., 176 f., 205 ff. Interesse 18, 67 f., 108 f., 141 f. Intersubjektivität, Herstellung von I. 134 f. Interpret – als Betrachter 1 ff., 11 f., 18 f., 22 f., 42 f., 75, 79, 83, 95, 151 f., 212, 215 ff., 222 – als Mitspieler 2 ff., 8 f., 11 f., 18 f., 22 f., 43 f., 50, 75 f., 79, 83, 95, 145 ff., 151 f., 212, 215 ff., 222
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Register
Interpretandum – qua Objekt bzw. Antwort 1 ff., 8 f., 13 f., 17 ff., 31, 43 ff., 85, 106, 108, 130, 153, 208 ff., 215 ff., 226 – qua Meinung des Autors 103 – Ebenen des I. 45 – 50, 85 – Normativität de I. 12, 35 – Typen von I. 141 ff. – Unterbestimmtheit des I. 121, 131 Intra-intersubjektive Verhältnisse 25 f., 48 ff., 55 f., 74 Komplexität – des Geltungsproblems 127 – des Interpretandums 44 f., 97 f., 121 f. – des Verstehens 97 f., 148 f., 154 – des Scheiterns 87 Kommunikationsgemeinschaft 165, 178, 183, 185 Materielle Infrastruktur des Interpretandums 42 – 50 Methodischer Solipsismus 186 f. Mitspielen (s. auch Verstehen als M.) 160, 167 f., 174 f., 181 f., 189, 204 f., 207 Möglichkeit, logische – reale M. 170 Normativität 167 f., 172 ff., 204, 206 Objektivieren – Grade des O. 18, 48 f., 66, 146 – primäres O. 17, 20, 34, 43, 155, 213, 218, 220, 224 – sekundäres O. 20, 22, 30 f., 35 – 42, 57 ff., 85, 132 f., 147, 213, 217 – 224, 231 Objektivität 193, 200 f. Personalpronomina 179, 181 Präsuppositionen (s. Fragepräsuppositionen) Principle of charity 92 privates Regelfolgen 166 – 188, 204 Privatsprache 174, 195 f., 206 radical interpretation 194, 214 ff. Rationalitätsunterstellungen 12 f., 87, 91 ff. Reflexion 114 f., 202 Reflexionsschritt 84, 226 Regel vs. Regularität 166, 172 ff.
Regelfolgen/Regelbefolgen Relevanzgrenzen 144 Reizbahn 187, 199 f., 206
165 – 188, 204
Sätze 45 f. Selbsteinholung 115 f., 129, 159 f. Semantizismus 230 Sozialisierung 180 Sprachgebrauch 14, 209 ff. Sprachphilosophie 213 ff. Sprecherintuitionen 14 Stimulus 15, 50 f. Subjektive Praxis 4, 49, 55, 58, 106, 126, 131, 142, 145, 151, 212 Texte 46 f. Theoria-Metapher 30 Transzendentalpragmatik 112, 204 Triangulationsargument 196 – 204 Übersetzen 138, 148, 150, 161 Unified-Science-Bewegung 194 Vernunft/Rationalität 165 f., 179 f., 186 f., 193, 206 Verstehen 193 ff., 208 – aneignendes – betrachtendes V. 21 f., 75 f., 141 ff., 151 f. – elementares – hermeneutisches V. 6 f., 16 f., 57 ff., 141 f., 143 ff., 155 – flaches – tiefes V. 95 ff. – intrasubjektives – intersubjektives V. 25 ff., 55 ff. – objektivierendes – nicht-objektivierendes V. 18, 86 – Auffassungen vom V. 1 ff., 101 f. – Ebenen des V. 17, 76 – Einheit des V. 5 f. – Falltypen des V. 142 – 153, 155 – 158 – Formen des V. 18, 141, 143 – 150 – Fortschritt beim V. 1 ff., 123 f., 130, 136 ff., 150 – Grundform/Normalform des V. 7, 19 f., 143 – Komplexität des V. 97 f., 126 ff., 148 f., 154 – Modelle des V. 130 f., 138 f., 153 f., 157 f. – Phasen des V. 69 f., 99 – Standards des V. 101 f., 123
Register
– Störung im V. 82 ff. – Struktur des V. 69 – 100, 123, 140 – Ziele des V. 1 ff., 101 f., 104, 119, 123 – als anders bzw. besser V. 101 – 130, 138 f., 146, 161 – als Aneignen 1 – 59, 70 – 82, 118 f., 123, 160 – als Betrachten 1 ff., 118, 123 – als einfaches bzw. doppeltes Projekt 105 ff. – als Ergänzen 121, 130 ff., 147 – als Geschehen (vs. Handeln) 110 ff. – als Mitspielen 1 ff., 8 ff., 18 f., 22, 31, 40, 43 f., 50, 218 ff. – als progressive Forschung 103 ff., 123 f., 139 f., 145 – als punktgenaues Treffen vs. Ergänzen 129, 143 f., 176, 205, 221 – als Projekt der Menschheit bzw. partikularer Gruppen 125 f. 130, 134 f., 138 – als Untersuchen bzw. Übersetzen 1 ff., 138
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– und Applikation 121, 132, 160 f. – und die Rolle der Sache 73, 75, 80, 83 f., 106 ff. – und die materielle Infrastruktur des Interpretandums 17, 42 – 52 – und Intersubjektivität 134 ff. – und die Geisteswissenschaften 16 ff., 103 Vorkenntnisse 73 f. Vorstruktur 114 ff. Vorverständnis 69 f., 74 – 82, 225 – Funktionen des V. 77 ff. – Kontrolle des V. 112 f. – Scheitern des V. 83, 86 ff., 90 – 98 – Schema des V. 75 – Falsifikation/Nonsensifikation des V. 90 – 96 Wahrheit 193, 200 f. Wahrheitsgeschehen 110 ff., 116 Wahrheitstheorie 214 W-Äquivalenz 215, 220 f. Wörter/Satzteile 45