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German Pages 162 Year 1969
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 102
Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik Von
Friedrich Müller
Duncker & Humblot · Berlin
FRIEDRICH
MÜLLER
Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik
Schriften
zum ö f f e n t l i c h e n Band 102
Recht
Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik
Von Dr. Friedrich Müller
D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N
Alle Hechte vorbehalten © 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1969 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
Vorwort Freiheit der Kunst bleibt nur so lange terra incognita, als nicht erforscht wird, was innerhalb ihrer Grenzen liegt. Das soll hier durch eine in der Sache abgestützte Dogmatik des Grundrechts geschehen. Die bisherige Behandlung der Freiheitsgarantie i n Rechtspraxis und Rechtslehre kennzeichnet sich vor allem durch zwei Merkmale: Zum einen w i r d der Anknüpfungsbegriff „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG als inhaltlich normierender Wertbegriff mißverstanden. Demgemäß w i r d die hierfür denkbar ungeeignete Frage, was Kunst „sei", zum Angelpunkt verfassungsrechtlicher Entscheidung gemacht. Es nimmt nicht wunder, daß ein so erfragter „Kunst"begriff nicht über ideologische Vorgriffe oder tautologische Formeln hinauskommt. Zum andern entfernen sich die Versuche, m i t Hilfe von Gemeinschaftsvorbehalten, für „immanent" erklärten Schrankenprojektionen, m i t Nichtstörungsschranken, der Übertragung von Grenzen andrer Grundrechte, Güterabwägung oder allgemeinen Mißbrauchsgesichtspunkten das ohne Vorbehalt garantierte Grundrecht zu begrenzen, vom geltenden Recht. Voreilig verallgemeinern sie von den Schranken her gedachte Aussagen dort, wo statt dessen Struktur und sachliche Eigenart des als „frei" verbürgten Normbereichs zu untersuchen und wo auf dieser Grundlage die Elemente einer Bereichsdogmatik des Einzelgrundrechts zu entwickeln sind, die dem Verfassungsgesetz nicht Gewalt antut und für die der Sache nach die Erarbeitung des normativen Geltungsgehalts ineins m i t der Bestimmung der Grundrechtsgrenzen fällt. Die folgende Arbeit liefert also nicht eine Kasuistik aller möglichen Kunstfreiheits-Fälle i m Sinn einer auf Vollständigkeit abzielenden Kommentierung des Grundrechtsartikels, sondern die Grundzüge seiner dogmatischen Erfassung.
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Typen bisheriger Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie. Neue Problemstellung I. Zur Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie
11
1. Kunstfreiheit als „Höchstwert"?
11
2. Selbständigkeit grundrechtlicher Garantie
13
I I . Spezielle Schrankenkonstruktionen für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG . .
14
1. „Institutionelle" Deutung?
14
2. Schrankenschluß
16
I I I . Begrenzungsversuche mittels der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG, immanenter Gemeinschaftsvorbehalte oder allgemeiner Nichtstörungsschranken
18
I V . Begrenzungsversuche durch Güterabwägung u n d den Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
20
1. „Totalität des verfassungsrechtlichen Wertsystems"?
20
2. Einheit der Verfassung
21
3. Wertabwägung
22
4. Interpretation u n d Dogmatik der Grundrechte
24
V. Gesichtspunkte des Grundrechtsmißbrauchs
25
1. „Mißbrauchs"urteil als Subsumtionsurteil
25
2. Z u A r t . 18 GG
27
3. Z u r „Mißbrauchs"praxis der Bundesprüfstelle
27
4. Grundrechts„mißbrauch"
28
V I . Ideologische Verengung Satz 1 GG
als Frage materialer Vorrangigkeit?
des „Kunst"begriffs
i n A r t . 5 Abs. 3 31
1. Inhaltliche Unterstellungen
31
2. K u n s t als Mechanismus der „Veredelung"
32
8
Inhaltsverzeichnis
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtlichen „ K u n s t " i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG 1. Verfehltheit sungsrecht
Anknüpfungsbegriffs
inhaltlicher Definition von „ K u n s t " i m
35 Verfas35
2. „ K u n s t " i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG als Anknüpfungsbegriff
..
37
3. Fehlen eines Gesetzesvorbehalts
39
4. Strukturelle Vielfalt des Normbereichs „ K u n s t "
40
5. Gattungstypik
40
6. Abgrenzung der Werktypen
42
7. „ K u n s t " i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG als Rechtsbegriff
45
V I I I . Zur Problemstellung einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit . .
47
2. Teil Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit I. Ausschaltung von Drittwirkungsfragen
49
I I . Z u r Rolle des Normbereichs für Interpretation u n d Dogmatik der Grundrechte •..
50
I I I . Z u r Bedeutung der Gesetzesvorbehalte für die Grundrechtsdogmatik
52
1. Keine Vorbehaltsgesetze zu A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G
52
2. Normative Rangunterschiede
54
3. Wechselseitige Begrenzung von Verfassungsnormen
55
I V . Die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie als normativer Ansatzpunkt
56
1. Tatbestandsabgrenzung u n d Kollision
56
2. Konkurrenz
58
3. Vorbehaltsgesetze
59
4. Maßstäblichkeit des Grundrechts
60
5. Sozialbezug der Grundrechte des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG
62
6. Z u r Rolle des Übermaßverbots
62
V. Dogmatische Fragerichtungen i m Normbereich der Kunstfreiheitsgarantie
63
1. Normative Unterscheidungen „ i m " Freiheitsrecht
63
2. „Typische" Grundrechtsverwirklichung
64
Inhaltsverzeichnis 3. Teil Untersuchung des Normbereichs „Kunst" — Grundzüge der Dogmatik des Grundrechts I. Sachliche Einheitlichkeit des Normbereichs
67
1. Eigengesetzlichkeit der geschützten „Sache"
67
2. Untrennbarkeit der Elemente des Normbereichs
68
I I . Werkcharakter von K u n s t
70
1. W e r k : „ F o r m " , „ I n h a l t " , Dinglichkeit, Objektivität. Folgerungen f ü r die Interpretation
70
2. Sozialbezug. L ' a r t pour l'art. Stilbegriff
74
I I I . Z u r Stellung der Künstler i n der Gesellschaft
75
1. Unzulässige Unterscheidungen (l'art pour l ' a r t ; „Klassiker") . .
75
2. Z u r sozialen Stellung von Künstler u n d K u n s t
78
3. Grundrechtliche Freiheit von staatlichem Dirigismus
82
I V . Z u r Unsicherheit ästhetischer Wertung
83
V. Relativität i n der Kunstgeschichte 1. Das K u n s t w e r k innerhalb und außerhalb geschichtlicher sammenhänge
85 Zu-
2. Vieldeutbarkeit; „utopischer" Uberschuß; Offenhalten der Bewertung V I . Künstlerische K r e a t i v i t ä t u n d Psychoanalyse
85 87 90
V I I . „ K u n s t " als der m i n i m a l objektivierbare grundrechtliche Normbereich — Kunstfreiheit u n d Gewissensfreiheit
92
1. Objektive Fixierbarkeit der „Sache" Kunst, Wissenschaft, Gewissen
92
2. Strukturelle Definitionen
94
3. Strukturvergleich: „ K u n s t " — „Gewissen"
95
V I I I . Werkbereich u n d Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie
97
1. Recht des Schaffens, Recht des Verbreitens. Gleichwertige „Stufen" des Freiheitsrechts
97
2. Der Schutz des Werkbereichs
99
3. Der Schutz des Wirkbereichs
101
10
Inhaltsverzeichnis
I X . Dogmatische Differenzierungen
103
1. Z u r praktischen Holle des Wirkbereichs
103
2. Z u r praktischen Rolle des Werkbereichs
104
3. Begrenzbarkeit des Werkbereichs der Kunstfreiheit
106
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
109
1. Spezifische Maßstäblichkeit
109
2. Formaler K o n t e x t
112
3. Kombinationen
114
4. Zweckentfremdung
116
5. Gattungstypik von Werken u n d Wirkungsweise
116
6. Besonderheiten des Films
119
7. Jugendschutz
122
8. Polizeirechtliche Generalklausel
123
9. Baukunst
126
10. Kunstförderung
128
11. Strafrechtliche Fragen: Grundrecht u n d Strafrechtsnormen
130
12. Strafrechtsprobleme i m Wirkbereich der Kunstfreiheit
132
Literaturverzeichnis
136
1. Teil
Typen bisheriger Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie. Neue Problemstellung I . Zur Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie
1. Kunstfreiheit
als „Höchstwert"?
Die Freiheit der Kunst, noch vor kurzer Zeit das „unbekannte Grundrecht", erweist sich auch gegenüber den ihr jüngst gewidmeten monographischen Gesamtdarstellungen 1 als widerständig. Das liegt nicht nur an der Eigenart des grundrechtlichen Normbereichs, den A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG m i t dem Stichwort „Kunst" andeutet. Auch die Tatsache ihrer vorbehaltlosen Garantie hat die Kunstfreiheit einer Reihe von Fehldeutungen ausgesetzt. Dabei w i r d das Grundrecht der freien Kunst angesichts seiner der Sprachgestalt der Verfassung zu entnehmenden „Schrankenlosigkeit" i n der Regel vorschnell isoliert. Das belastet dann den Normbereich „ K u n s t " m i t dem Odium, als grundgesetzlich anerkannter „Höchstwert" behandelt werden zu müssen. Diese Aussicht hat Rechtsprechung und Literatur zu unermüdlichen Versuchen veranlaßt, die Garantie der Kunstfreiheit durch Auslegung m i t gebührenden Schranken auszustatten, da solche „als vom Verfassunggeber gewollt angesehen werden" 2 müßten. Die normative und sachliche Verbindung m i t der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit pflegt wegen der Treueklausel des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG übersehen zu werden. Diese wendet sich gegen unwissenschaftlich einseitige, politisierende Stellungnahmen; nicht aber versieht sie das Grundrecht der freien Wissenschaft m i t einer zusätzlichen Beschränkung 3 . Die Garantien des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG sind nur durch die Verfassung begrenzt. 1 Ropertz, Freiheit der Kunst, 1966; Erbel, I n h a l t u n d Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie, 1966; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967; ebd., I f f . zur t r a d i tionellen Vernachlässigung des Rechts der Kunstfreiheit. — Vgl. schon Lorenz Stein, Die Verwaltungslehre, Bd. 5, 1868, 282 ff., 284. 2 Maunz, Deutsches Staatsrecht, 1β 1968, § 14 I V 4, 109. — Vgl. die Zusammenstellung der dahingehenden Versuche seit I n k r a f t t r e t e n von A r t . 142 Satz 1 W R V bei Erbel, 102 ff. 3 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, 21968, 153 f. m. Nw.en; ebd., 153 zur Begrenzung der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG n u r durch die Verfassung selbst.
12
1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
Die sachliche Selbständigkeit und Eigengeprägtheit ihrer Normbereiche 4 hebt sie vom weit weniger konturierten Grundrecht der freien „Meinung" als gesonderte Verbürgungen ab 5 . Der für sich allein noch nicht ausreichende Befund des Wortlauts von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG w i r d somit durch die „teleologischen" Interpretationsgesichtspunkte ebenso bestätigt wie durch den gesetzestechnischen Aufbau des Art. 5 GG: Da „Kunst" und „Wissenschaft" i. S. des Abs. 3 nicht unter den Begriff „diese Rechte" i n Abs. 2 fallen, bezieht sich Abs. 2 m i t seinen Grenzvorbehalten nur auf die Freiheiten von Art. 5 Abs. 1 GG 6 . Der Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" ergibt sich für die Freiheiten des Art. 5 Abs. 3 GG auch nicht aus dem genetischen Material, demzufolge Kunstund Wissenschaftsfreiheit ihre Aufnahme i n den Art. 5 GG nur dem Bestreben nach stärkerer Textkonzentration verdanken sollen. Rückgriffe auf Äußerungen einzelner Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung und Hinweise auf die Dokumentation der redaktionellen Entstehungsgeschichte können den übrigen Auslegungsaspekten nur bestätigend beigesellt werden. Nicht aber ist mit ihrer für die Ermittlung des „objektivierten Willens" des Verfassunggebers unmaßgeblichen Hilfe das Ergebnis der auf Text und Kontext der verfassungsgesetzlichen Vorschrift gegründeten Konkretisierung umzustoßen 7 . Die Gesetzesmaterialien erlauben es nicht, den objektiven Normgehalt auf die subjektiven — sachlichen wie redaktionellen — Vorstellungen der (verfassungs-)gesetzgebenden Instanzen zu reduzieren. Das gilt auch für die systematische Interpretation, die hier in ihrer Übereinstimmung mit den übrigen Hilfsgesichtspunkten der Konkretisierung nicht durch die Tatsache der „nur redaktionellen" Hinzufügung des Absatzes 3 zu den Absätzen 1 und 2 des Art. 5 GG entwertet w i r d 8 . Hingegen ergibt das Gesetzesmaterial i n einem die Auslegung bestätigenden Sinn, daß i n allen Stadien der Arbeit des Parlamentarischen Rats bis zur redaktionellen Zusammenfassung die Freiheit von Kunst und Wissenschaft als 4 Z u diesem Begriff F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 1966, ζ. B. 1071, 117 f., 1251, 131 ff., 137 ff., 142 ff., 184 ff., 201 ff.; ders., Normbereiche von Einzelgrundrechten i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1968. Z u m Verständnis der Grundrechte als je sachlich eigenständiger verfassungsrechtlicher Schutzverbürgungen für bestimmte Lebensbereiche vgl. schon Scheuner, W D S t R L 2 2 , z.B. 45 ff., 5 0 1 ; ders., D Ö V 1967, 585 ff., 586. 5 Vgl. Scheuner, W D S t R L 2 2 , 8 f.; Hesse, Grundzüge, 153. — Der i n der tief dringenden Untersuchung von Knies, 56 ff. bei der Auslegung des A r t . 5 G G aufgewendete Scharfsinn ist wegen des dort vertretenen formell-technischen Grundrechtsverständnisses i m Ergebnis wenig fruchtbar. 6 So auch Knies, 60 ff., 63 m. Nw.en; Nw.e zum folgenden ebd., 62 ff., 64 ff. 7 Das k o m m t i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa i n BVerfGE 1.312; 8.307; 10.244; 11.1301; 13.268 zur Geltung. 8 Was Knies m i t seiner Subjektivierung des systematischen topos, m i t der Entgegensetzung eines „ordnenden Willens" u n d des Ergebnisses „bloßen Zufalls" annehmen w i l l , ebd., 65.
I. Z u r Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie
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selbständige Gewährleistungen und ohne Erwähnung eines Schrankenproblems behandelt worden waren 9 . 2. Selbständigkeit
grundrechtlicher
Garantie
Sind die Grundrechte freier Kunst und Wissenschaft von ihren Sachgarantien her als dogmatisch eigenständige Verbürgungen statt als Unterfälle der allgemeinen Meinungsfreiheit erkannt, so entfällt die Berechtigung, ihr Verhältnis zu den anderen Vorschriften der Verfassung auf die Relation zur Meinungsfreiheit einzuengen und die Fragestellung nur noch dahin gehen zu lassen, ob die Garantien des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber denen des Art. 5 Abs. 1 GG „materiell aufgewertet" seien oder nicht und ob ihnen das Grundgesetz ein „Schrankenprivileg" eingeräumt habe oder nicht 1 0 . Auch eine „Privilegierung" etwa der Grundrechte der A r t . 4 Abs. 1 und 2 GG oder A r t . 8 Abs. 1 GG gegenüber dem aus Art. 5 Abs. 1 GG w i r d nicht diskutiert. Historische Querverbindungen, traditionelle kulturstaatliche Ansichten und andere Überschneidungen außerrechtlicher A r t sind kein zureichender Grund dafür, selbständige Verbürgungen des positiven Verfassungsrechts m i t Inhalts- und Begrenzungsaspekten anderer selbständiger Verbürgungen zu überfremden. Das ist gegenüber der Freiheit der Kunst immer i n dem Bestreben geschehen, eine „Aufwertung" oder „Privilegierung" des Grundrechts i m Sinn eines die Einheit der Verfassung sprengenden isolierten „Höchstwerts" 1 1 zu verhindern. „Absolute Schrankenlosigkeit" i n 9 Nachweise bei Knies, 61 f., A n m . 44 (B), 69 ff. — Die von Knies kritisierte A r t der Auslegung des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG i n B V e r w G E 1.303.306 f. w i r d damit noch nicht verteidigt. 10 Das ist aber durchgängig die Fragestellung bei Knies (Anm. 1). Er faßt „ M e i n u n g " zum T e i l als Oberbegriff auch f ü r künstlerische Bewußtseinsinhalte auf u n d u n t e r w i r f t die hiernach von A r t . 5 Abs. 1 GG umfaßten Aspekte individueller Kunstfreiheit den Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG u n mittelbar. M i t t e l b a r t u t er das wegen einer „Ubereinstimmung der K o n f l i k t situationen f ü r alle Kunstformen", auch f ü r die seiner Meinung nach dem Abs. 3 des A r t . 5 G G unterfallenden Partikel der Kunstfreiheit, w e i l m i t dem „Wegfall des Wertgesichtspunkts als Legitimation eines Schrankenprivilegs jeder G r u n d f ü r eine Vorzugsstellung der Kunstfreiheit gegenüber anderen Formen der Geistesfreiheit" schwinde; ebd., 243 ff., 257 ff., 287. Die von vornherein verengte Fragestellung versperrt trotz aller subtilen A r g u mentation i m einzelnen den Blick für den Ausgangspunkt: daß K u n s t - u n d Wissenschaftsfreiheit v o m Grundgesetz als eigenständige Grundrechte v o r behaltlos garantiert sind; daß damit aber noch keineswegs ihre „Privilegier u n g " oder „absolute Schrankenlosigkeit" i m Sinn einer Exemtion aus der (Verfassungs-)Rechtsordnung normiert w i r d ; daß es also nicht erforderlich ist, u m der Vermeidung eines solchen (in der Tat abwegigen) Ergebnisses w i l l e n durch Überbeanspruchung einzelner Elemente der Verfassungsauslegung die Schranken anderer, gleichfalls selbständig gewährleisteter G r u n d rechte, hier jener des A r t . 5 Abs. 1 GG, auf die K u n s t - u n d Wissenschaftsfreiheit zu übertragen. 11 Diese Befürchtung findet sich neuestens wieder i m Urt. des Bundes-
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
diesem bereits die Rechtsqualität der Grundrechte übersehenden Sinn ist verfassungsrechtlich nicht diskutabel. Es ist Sache der Verfassungsinterpretation und der Verfassungstheorie der Grundrechte, vor allem aber einer von den Normbereichen her konkretisierten Dogmatik der einzelnen grundrechtlichen Garantien, i m einzelnen die Reichweite des Geltungsgehalts der Garantienormen und die Linien ihres Kontakts m i t der Rechtsordnung zu bestimmen. Daß dabei vielfach dieselben praktischen Ergebnisse wie bei der „Übertragung" von Schranken anderer Grundrechte erzielt werden, rechtfertigt nicht diese letztgenannte A r t , m i t positiven Verfassungsnormen umzugehen. Es bekräftigt vielmehr die Notwendigkeit, eine genauere Bereichsdogmatik der Grundrechte zu entwickeln. Wegen der radikalen Schwierigkeit ihrer Konkretisierung eignen sich die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte besonders gut dazu, diese Aufgabe zu verdeutlichen. Das Grundrecht der Kunstfreiheit weist überdies den vielleicht am schwierigsten zugänglichen, jedenfalls den minimal objektivierbaren Normbereich („Kunst") auf. I I . Spezielle Schrankenkonstruktionen für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G
1. „Institutionelle"
Deutung?
Dieser i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos für „frei" erklärte Normbereich eignet sich weniger als jeder andere dazu, „institutionell" fixiert zu werden, soll dieser juristisch ohnehin nur mühsam zu klärende Begriff einen rationalen Sinn behalten. Doch hat die Wortfassung der Garantie seit A r t . 142 Satz 1 WRV immer wieder dazu verleitet, die Freiheitsverbürgung für den sachlich umgrenzten Lebensbereich, der die kaum überschaubar vielfältigen Produktions- und Kommunikationstypen des „Kunstlebens" umschließt, „institutionell" zu deuten 1 2 . So ungenügend eine nur auf die subjektive künstlerische Betätigungsfreiheit gerichtete Sicht auch ist, so wenig besteht Anlaß zu einer irrationalen Dialektik, nach der A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG zwar die subjektiv-rechtliche Gewährleistung wie die objektiv-rechtliche Normierung freier gerichtshofs v o m 20. März 1968 — I ZR 44/66 — (Mephisto-Klaus Mann) ausgedruckt; jetzt J Z 1968. 697. e t w a Kitzi n 9 e r > S. 465; v. Mangoldt - Klein, X 2 b zu A r t . 5 GG, openz t 74 f.; Ridder, z.B. 18, 19 ff.; Erörterung bei Knies, 177 ff., f. t r · Als „ p r i m ä r " objektiv-rechtliche, überindividuelle Freiheitsgarantie w i l l Knies, 177 ff., 198 ff. u. ö. die Kunstfreiheitsgarantie auffassen, zugleich aber durch eine solche Sicht die subjektiv-rechtliche Seite der Gewährleistung starken. Formulierung und rechtliche S t r u k t u r des Grundrechts w e r den hier w o h l zu dem Zweck ineins gesetzt, die Vorbehaltlosigkeit der K u n s t freiheitsgarantie zu unterlaufen. Gegen ein „institutionelles" Verständnis der Kunstfreiheit ferner Scheuner, V V D S t R L 2 2 , 9 ff., 10; Heckel, Staat — Kirche — Kunst, 1968, 74 f.
ο ο 2
;
R
I I . Spezielle Schrankenkonstruktionen für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG
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Kunst gleich konstitutiv umschließt, die überindividuelle Seite der Garantie aber gleichwohl als „primär" anzusehen sein soll. Über das Bestreben hinaus, die Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts zu umgehen und aller individuellen Kunstfreiheit die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG einzupflanzen, ist für ein solches Vorgehen kein Grund ersichtlich. Auch hier zeigt die i m einzelnen noch durchzuführende Analyse des Normbereichs „Kunst" als der garantierten „Sache", daß die Zusammenhänge von Werkfreiheit und Wirkfreiheit, von Schaffen, Verbreiten, Veranstalten, Interpretieren und Deuten i m Kunstleben schlechterdings nicht trennbar sind, soll nicht die auf „Freiheit" zielende grundrechtliche Gewährleistung Schaden nehmen. Die rechtliche Struktur des Grundrechts ist i n seinem schon aus Gründen der Prägnanz „objektiv" formulierbaren Wortlaut weder unbedingt zuverlässig noch vollständig abgebildet. Die Gegenansicht läuft auf eine auch für die Grundrechtsdogmat i k unbrauchbare sens-clair-Doktrin hinaus. Die selbständige Gewährleistung des Grundrechts läßt keinen Raum, schöpferische Individualität und soziale Wirkung von Künstler und Werk, das Ganze des typologisch umgrenzbaren künstlerischen Lebens i n all seinen sachspezifischen Erscheinungsformen verfassungsrechtlich aufzuspalten 13 . Die normative Einheitlichkeit der Garantie eines strukturell und sachlich eigengeprägten Sektors individuellen und sozialen Lebens i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und damit die Selbständigkeit der Gewährleistung freier Kunst (wie auch freier Wissenschaft) sind i n Literatur und Rechtsprechung anerkannt, soweit sich nicht die Suche nach „übertragbaren" Schranken auf Art. 5 Abs. 2 GG und damit auf die Behauptung richtete, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit seien verfassungsrechtlich letztlich unspezifische Unterfälle der allgemeinsten Meinungs- oder Geistesfreiheit 14 . 13
Hierzu vor a l l e m Heckel, 76, 77 f.; ferner ebd., 22, 54, 86, 89, 131. F ü r sachliche u n d normative Selbständigkeit der Garantien freier K u n s t u n d Wissenschaft von verschiedenen Ansätzen her ζ. B. v. Mangoldt - Klein, A n m . X 6 zu A r t . 5 GG; vgl. auch ebd., A n m . X 2; Hamann, A n m . 13 zu A r t . 5 G G ; Wernicke , Bonner Kommentar, A n m . I I 3 c zu A r t . 5 GG; Potrykus, § 1 A n m . 19; Schilling, S. 14 f.; Stein, JZ 1959, 721 f.; B V e r w G E 1.303.307; Scheuner, V V D S t R L 22, 10; Leonardy, N J W 1967, 715; Ott, N J W 1963, 617, 618; Arndt, N J W 1966, 26, 28; Heckel, 78, 87 f. m i t Hinweis auf eine „eigene Sphäre besonderer u n d gesteigerter Freiheit auch der äußeren W i r k u n g " , ebd., 88. Z u r insoweit bestehenden strukturellen Gemeinsamkeit von Wissenschaft u n d Kunst ebd., 14; Erbel, 15 f., 50, 102 ff. 116 ff.; Hesse, 152 ff., 153; Bauer, JZ 1965, 491 ; Dünnwald, JR1965, 47 f.; ders., GA1967, 33 ff., 38 f.; Berg, 101; Wösner,NJW 1966, 1731; Gallwas, 84; L G Hamburg, N J W 1963, 675; BGH, Urt. v o m 20.3. 1968 — I ZR 44/66 —. Ebenso für die Rechtslage unter A r t . 142 Satz 1 W R V : Kitzinger, 457, 459 ff. — I n diesem Sinn f ü r das Verhältnis des A r t . 5 Abs. 3 zu 5 Abs. 1 GG: Berg, 142f., der allerdings i n Nachfolge der „Persönlichkeitskerntheorie" zu A r t . 2 Abs. 1 GG diese Vorschrift auch für gegenüber A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG speziell halten w i l l , sofern es sich bei (engagierter) K u n s t u m „ E n t f a l t u n g des echten Menschentums" handle. — F ü r eine „zwanglose" Anwendung der Grenzen des A r t . 5 Abs. 2 GG auf die subjektiv-rechtliche Seite der Kunstfreiheit wegen „ p r i m ä r " objektiv-rechtlicher Bedeutung des 14
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
Zum andern wurde diese Konstruktion i n den praktisch gewordenen Fällen politisch nicht genehmer „engagierter" Kunst dazu gebraucht, alle die Kunstäußerungen dem Grenzvorbehalt der Meinungsfreiheit zu unterwerfen, die sich nicht i m Bezirk eines reinen, dezidierte Stellungnahme tunlichst vermeidenden l'art pour Γ art ansiedeln lassen. Wenn sich künstlerische Arbeiten eine Meinung zum „Gegenstand" machten oder die „Form" einer Meinungsäußerung annähmen, solle ihnen der Schutz der vorbehaltlosen Garantie nicht mehr gebühren 15 . Auch diese Ansicht trennt i n verfassungsrechtlich nicht gestützter Weise sachlich Zusammenhängendes und normativ einheitlich Garantiertes. Nicht nur die Freiheit der Kunst, sondern auch andere selbständig verbürgte Freiheitsrechte wie die Wissenschafts-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sind auf die i n A r t . 5 Abs. 1 GG genannten M i t t e l der Kommunikation ebenso angewiesen wie zum Teil etwa auch auf die von der Vereins- und Versammlungsfreiheit eröffneten Möglichkeiten freier Organisation. Das stellt jedoch ihre grundrechtliche Selbständigkeit nicht i n Frage 16 . Solche Überschneidungen tatsächlicher, verfassungsrechtlich jeweils gesondert garantierter Aktions- und Organisationsformen sind nichts Neues. Sie sind nicht imstande, Typisierungen und Abstufungen insbesondere von Grundrechtsgrenzen und Garantievorbehalten i m positiven Verfassungsgesetz zu überlagern 17 . 2. Schrankenschluß Einer der grundlegenden Irrtümer, von denen gegenläufige Versuche immer wieder inspiriert werden, besteht i n der Befürchtung, als eigenständig erkannte Schutzgarantien, auf die sich angesichts ihrer vorbeA r t . 5 Abs. 3 GG: Lerche, Werbung u n d Verfassung, 1967, 91. — Das O V G Münster hatte i n dem inzwischen nahezu berüchtigten Bescheid v o m 18.11. 1958 (OVGE 14.185) die Kunstfreiheit den Beschränkungen des A r t . 5 Abs. 2 GG unterworfen wissen wollen. A u f die einhellige Ablehnung der Entscheidung i m Schrifttum h i n hat das O V G Münster diese Ansicht ausdrücklich aufgegeben: U r t . v o m 3.10.1961, RdJ 1962, 55; vgl. auch die Bestätigung durch das BVerwG, U r t . v o m 12.1.1966, RdJ 1966, 191. 15 Vgl. etwa Schmidt, G A 1966, 97 ff., z.B. 103, 105, 109; dagegen: Erbel, 97 f., 156 f. u. ö. m. Nw.en. Z u r Garantie der Freiheit auch engagierter, „ m e i nungsäußernder" K u n s t vgl. Erbel, 128 f., 129; O L G Hamburg, N J W 1964, 559, 561; Maetzel, M D R 1955, 263; Berg, 154, 155; Ropertz, 84 f., 126; Böckenforde - Grebenhagen, JuS 1966, 362; Heckel, 87 f. (vor allem gegen Ridder, nach dem politisch gezielte Äußerungen künstlerischen Schaffens dem A r t . 5 Abs. 1 G G unterfallen sollen, Ridder, 18 f.; ders., GR I I , 268); ferner unter zutreffendem Hinweis auf die Vergleichbarkeit der Problematik f ü r m e i nungsäußernde K u n s t und Wissenschaft, BVerwG, U r t . v. 7.12.1966, M D R 1967, 520 ff., 522. Z u r Rechtslage unter der W R V vgl. Häntzschel, HdbDStR I I , 1932, 654 ff.; Rothenbücher, V V D S t R L 4, 15 f.; Smend, ebd., 50. 16 So auch Rüfner, 47 f. 17 Vgl. Lerche, DÖV 1965, 212 ff., 213; Hesse, 125. — Auch gegenüber der i m Ergebnis plausiblen Entscheidung des L G Hamburg, N J W 1963, 675 (Jean Genet, Notre Dame des Fleurs) ist zu bemerken, daß der Schutz meinungs-
I I . Spezielle Schrankenkonstruktionen für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG
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haltlosen Einräumung die Schranken anderer Grundrechte nicht übertragen lassen, schon deshalb als „höherwertig" behandeln zu müssen. Auch vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrechte sind als Rechte von der Verfassung begründet und durch ihren Normbereich sachlich begrenzt. Die allgemeine Grundrechtslehre kann genügend von der Normbereichsanalyse und der Bereichsdogmatik der einzelnen Grundrechte zu konkretisierende Gesichtspunkte der Begrenzung, der Zuordnung und der Konkordanz m i t den anderen Normen der (Verfassungs-)Rechtsordnung erarbeiten. Der immer wieder unternommene Versuch, positivrechtliche Grenzen anderer Garantien deshalb als auch für vorbehaltlose Garantien verbindlich zu behaupten, w e i l kein Grundrecht absolut unbegrenzt bleiben könne, erinnert als vorschneller „Schrankenschluß" i n der Umkehrung an den von Carl Schmitt kritisierten 1 8 „Grenzenlosigkeitsschluß" und entspringt zudem keinem praktischen Bedürfnis der Verfassungsdogmatik. Er überzeugt auch nicht in jener Fassung, nach der das fragliche Grundrecht — so vor allem die Kunst- und die Gewissensfreiheit — zwar unbeschränkt garantiert sein, dafür aber über die Intimität des privaten Schaffensbereichs bzw. des forum internum hinaus verfassungsrechtlich nicht spezifisch geschützt sein soll 1 9 . So wenig wie bei der Freiheit von Kunst und Wissenschaft ist es bei Art. 4 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zulässig, die in Art. 5 Abs. 1 GG normierte allgemeine Geistesfreiheit als „Muttergrundrecht" 2 0 ihrer verschiedenen „Unterfälle" zu behandeln und sie nach Bedarf, das heißt praktisch: auf der Suche nach Begrenzungsmöglichkeiten in die Bresche springen zu lassen. „Schlicht aus der Selbständigkeit beider Grundrechte" 2 1 verbietet es sich, die Schranken der Meinungsfreiheit auf A r t . 4 GG beziehungsweise auf die Garantien des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG anzuwenden; verbietet es sich, „die Freiheit des Gewissens als eine Gedankenfreiheit in Sachen (!) des Glaubens und des Gewissens" aufzufassen, die „ i m Grunde (!) in der Meinungsfreiheit aufgehe und deshalb auch den gleichen Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegen äußernder Kunst nicht auf einer gerichtlichen Güterabwägung i m Einzelfall beruht, sondern auf der positivrechtlichen Normierung des Grundgesetzes, die punktuelle „Güterabwägung" insofern nicht n u r entbehrlich macht, sondern normativ abschneidet; hierzu auch Berg, 154. 18 I n : Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichs Verfassung (1931), jetzt i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924—1954, 1958, 147, 148. 19 So für die Kunstfreiheit Dietze, 82 f.; Geiger, FS Leibholz I I , 197, 198 u n d f.; f ü r die Gewissensfreiheit Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, 204, 206. 20 Möglicherweise seinerseits aus A r t . 2 Abs. 1 GG als, das Wort ist k a u m zu vermeiden, Groß-Muttergrundrecht herleitbar, wenn jene Ansicht folgerichtig bleiben w i l l . 21 Scheuner, DÖV 1967, 585, 590 zur Glaubensfreiheit. 2 Müller, Kunst
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1. T e i l : Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
müsse" 22 . Ebenso unzulässig ist es, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft einer umfassenden „Meinungsfreiheit als grundrechtlich gesicherter Freiheit des geistigen Ausdrucks und Austauschs" 23 einzugemeinden. Kann die verfassungsrechtliche Freigabe der Wahl von Kommunikationspartnern und von Kommunikationsthemen als komplementärer Rechte i m Rahmen der Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG auch unter Aspekten der politischen Soziologie nicht getrennt erfolgen 24 , so belegt diese Einsicht vom Normbereich her nicht nur die Gleichrangigkeit der Freiheit des Schaffens und der sozialen Wirkung, sondern auch die verbürgte Freiheit des Künstlers, i n für „Kunst" typischen Gestaltungsformen gegenüber einer für „Kunst" typischerweise ansprechbaren spezifisch begrenzten Öffentlichkeit sich ohne thematische Bindung auszudrücken. I I I . Begrenzungsversuche mittels der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG, immanenter Gemeinschaftsvorbehalte oder allgemeiner Nichtstörungsschranken
Die Grundrechte sind i n sich verständliche, sachlich geprägte wie sachlich begrenzte Schutzgarantien. A n der positivrechtlichen Gegebenheit ihrer je eigenständigen Verbürgung scheitern die Bemühungen, die Freiheit der Kunst (wie auch die der Wissenschaft) zur nach Bedarf als Unterfall der allgemeinen Geistesfreiheit zu behandelnden normativ unselbständigen Ausprägung der Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG zu erklären. U m so archaischer muten die Versuche an, die Grundrechte insgesamt, so auch die des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG, der sogenannten Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG zu unterstellen 25 . Zum Teil w i r d das als Notbehelf nur gegenüber den vorbehaltlos garantierten Grundrechten wie der Kunstfreiheit getan 20 . Diese Lehre steht i n Widerspruch zu der je selbständigen normativen Garantie der Grundrechte. A r t . 2 Abs. 1 GG ist weder i n seiner Verbürgung noch i n seinen Begrenzungs22 Vgl. die Stellungnahme von Scholler, 203 ff., 205 f. gegen diese Ansicht bei v. Mangoldt, A n m . 2 zu A r t . 4 GG, u n d gegen Wernicke , Bonner K o m mentar, Anm. I I 2 c zu A r t . 4 GG. 23 Knies, 243 ff., 254 ff. m i t i m wesentlichen geistesgeschichtlicher Begründung; s. auch ebd., 248. 24 Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, 98, 99. 25 Vgl. beispielsweise L G Hamburg, N J W 1963, 675 (Jean Genet — Notre Dame des Fleurs); O L G Stuttgart, N J W 1963, 776; O L G Bremen, N J W 1963, 1932; O L G Karlsruhe, J Z 1964, 761, 763; BayObLG, N J W 1964, 1149; B G H Z 12, 197, 203; BGH, GA61, 240 (Döhl — Missa profana) = U F I T A 38 (1962), 181. 28 v. Mangoldt - Klein, A n m . X 6 f. zu A r t . 5 GG. Der B G H läßt jetzt i m U r t e i l v o m 20. 3.1968 —· I ZR 44/66 — (Mephisto-Klaus Mann) die Frage ausdrucklich offen, ob die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG als eines „ M u t t e r grundrechts" auf A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG übertragen werden könne oder nicht.
I I I . Begrenzungsversuche mittels der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 G G
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möglichkeiten ein „Muttergrundrecht", das substantiell die Normen der A r t . 2 Abs. 2 ff. GG umschließen und sie i m Ergebnis normativ unselbständig machen könnte 2 7 . Ebensowenig ist es zulässig, die Grundrechte als Verfassungsrecht m i t „immanenten" Begrenzungen versehen zu wollen, nach denen praktisch schon die Behauptung des Schutzes „höherrangiger Gemeinschaftsgüter" zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen genügen soll. Dieser früher vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung 28 fehlt der verfassungsrechtliche Ansatzpunkt. Sie kann überdies — auch hierin den materiellen Gemeinwohlklauseln analog 29 — keine rechtsstaatlich genügenden Maßstäbe für die behauptete Einschränkbarkeit entwickeln. Daß kein Grundrecht „schrankenlos" i m Sinn von unbegrenzt gilt, läßt sich von einer rational m i t Hilfe der Normbereichsanalyse zu entwickelnden Bereichsdogmatik der einzelnen Garantien dartun und für praktische Fallgestaltungen verwerten. Es legitimiert aber nicht das Postulat grundrechtsbegrenzender Generalklauseln 30 . Ebensowenig kann der „Soweit-Satz" des A r t . 2 Abs. 1 GG, insoweit funktionsdifferierend, als Anknüpfungspunkt für die Herausarbeitung allgemeiner Schranken auf alle übrigen Grundrechte übertragen werden. Würde er i n der Tat nur als Hilfsgesichtspunkt der Interpretation, also m i t nicht-normativer Wirkung, i n Betracht gezogen, hinge die Gewinnung von Schranken von der positivrechtlichen Ausgestaltung und vom Sachgehalt des einzelnen Grundrechts ab und müßte zu jeweils verschiedenen Ergebnissen führen. W i r d jedoch die Schrankentrias darüber hinaus als „Verfassungsvorbehalt zur Interpretation immanenter 27 Gegen die Zulässigkeit dieser Annahme vgl. etwa Zeidler, Z u r Problem a t i k von A r t . 2 Abs. 1 GG, N J W 1954, 1068; Herbert Krüger, Neues zur F r e i heit der Persönlichkeitsentfaltung u n d deren Schranken, N J W 1955, 201 ff.; Scheuner, Grundrechtsinterpretation und Wirtschaftsordnung, DÖV 1956, 65 ff.; Lerche, Übermaß, 126, 295 ff.; Copie , 29 ff., 31 ff. I m besondern gegen eine Übertragung auf A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G s. z.B. Ott, N J W 1963, 618; Stein, JZ 1959, 721; Bauer, J Z 1965, 491; Arndt, N J W 1966, 26 ff., 28; Dünnwald, JR 1965, 47 f.; ders., G A 1967, 33 ff., 38 f.; Leonardy, N J W 1967, 715; Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 362 m i t A n m . 21. Vgl. auch Knies, 85 ff., 103 ff. F ü r die Anwendung der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG auch auf A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG: Leiss, N J W 1962, 2323; L G Hamburg, N J W 1963, 675; BGH, G A 1961, 240; BayObLG, N J W 1964, 1150; Erbel, 119 ff., 121. 28 Vgl. etwa B V e r w G E 1.48.52; 1.307; 2.89.93f.; 2.295.300; st.Rspr. bis B V e r w GE 5.153 ff. Siehe ferner B V e r w G E 2.85.87; 4.167.1711 m i t der Behauptung der Zulässigkeit von Eingriffen i n den grundrechtlichen Wesensgehalt bei „unabweisbarer Notwendigkeit" der gesetzlichen Maßnahmen. Hiergegen BVerfGE 7.377.411. 29 Siehe hierzu auch P. Schneider, Pressefreiheit u n d Staatssicherheit, 1968,
116.
80 Z u r K r i t i k vgl. etwa Bachof, JZ 1957, 337; Lerche, Übermaß, 292 ff.; Hesse, Grundzüge, 123; Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 363; Knies, 93 ff.; Berg, 95 f.
2·
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1. T e i l : Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
Grundrechtsschranken" angesehen, welche die Gewinnung „jederzeit objektiv erkennbarer Nichtstörungsschranken" ermögliche 31 , so w i r d deutlich, daß hier den Grundrechtsverbürgungen apokryphe Begrenzungsnormen von nur scheinbar interpretativer Funktion unterstellt werden. Verkürzungen des sachspezifischen Geltungsgehalts der Grundrechte sind Eingriffe i n die Freiheitsgarantien. Sie können nicht als bloße „Zurückverweisungen" i n die Grenzen gemeinförderlicher Grundrechtsaktualisierung legitimiert werden 3 2 . Nur von der Reichweite der normativen Freiheitsgarantie aus 33 läßt sich beurteilen, ob ein Eingriff vorliegt oder nicht. Ist ein Eingriff gegeben, so kann er nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes gerechtfertigt werden, das von einem dem Grundrecht positivrechtlich beigegebenen Gesetzesvorbehalt gedeckt w i r d 3 4 . I V . Begrenzungsversuche durch Güterabwägung und den Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
1. „Totalität
des verfassungsrechtlichen
Wertsystems"?
Aus demselben positivrechtlichen Grund können Grundrechtseinschränkungen, die sich weder auf einen Gesetzesvorbehalt noch auf ein durch einen solchen getragenes Vorbehaltsgesetz stützen können, durch das „Bezugssystem des Verfassungsganzen", durch die „materiale A l l gemeinheit der Verfassung" oder „die Totalität des verfassungsrechtlichen Wertsystems" 35 nicht gerechtfertigt werden. Das Ganze der Verfassung als solches ist weder von normativer Kontur noch von normativer Qualität. Als „rigide" Verfassung gibt das Grundgesetz i n der 31 Vgl. Dürig, J Z 1957, 169 ff.; ders., M a u n z - D ü r i g , Rdnr. 69 ff. zu A r t . 2 Abs. 1 GG, bes. Rdnr. 70 u n d 72. Kritisch z. B. Beyer, N J W 1954, 713; Zeidler, N J W 1954, 1068; (hierzu Dürig, N J W 1954, 1395. Ferner z.B. Herbert Krüger, DVB1.1955, 597; ders., N J W 1955, 204; ders., Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, 554; Ridder u n d Stein, D Ö V 1962, 361 ff.; Knies, 103 ff., z.B. 105 A n m . 248. — Z u Pauschalvorbehalten ähnlicher A r t kommen E. R. Huber, DÖV 1956, 135; Herbert Krüger, N J W 1955, 201 ff., 204; Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 363. 32 Wie das Dürig versucht, Maunz - Dürig, Rdnr. 82 zu A r t . 2 Abs. 1 GG. 33 Scheuner, V V D S t R L 2 2 (1965), 45, 47 ff., 50 f.; Copie , 31, 33 ff., 35 f., 37; Müller, Normsitruktur u n d Normativität, z.B. 131 ff., 137 ff., 142 ff., 184 ff., 201 ff.; vgl. auch ders., Normbereiche von Einzelgrundrechten i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1968. 34 Speziell f ü r die Kunstfreiheit haben Dürigs Immanenz-These übernommen: Schäuble, Rechtsprobleme der staatlichen Kunstförderung, 178 ff.; Ropertz, 96 ff., 101 ff., 104 ff., 111 ff.; Erbel, 118 ff., 121 f.; Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 363 m i t Einschränkungen für den Umfang der i m m a nenten Begrenzungsmöglichkeiten. — Vgl. dagegen die zutreffende K r i t i k bei Knies, 103 ff. 35 Vgl. Häberle, 5 und ff.; 32 u n d ff.; 51 u. ö. — Pauschale Interessenabwägungsklauseln bei Eike υ. Hippel, ζ. B. 19, 26, 29 u n d passim.
I V . Begrenzungsversuche durch Güterabwägung
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einen Bedeutungsvariante dieses Begriffs Normklarheit und Eindeutigkeit des geltenden Verfassungsbestandes auf, gebietet es i m Umgang m i t dem geschriebenen Verfassungsgesetz opitmale Methodenklarheit 3 6 . Fehlende positivrechtliche Ansatzpunkte für Grundrechtseingriffe sind durch verfassungstheoretische Überlegungen nicht ersetzbar. Das gilt trotz der gebotenen Abkehr von einem einseitig nur-formalen Denken, trotz der Anerkennung positiver Deutungsmöglichkeiten der Gesetzesvorbehalte. Doch ist diese Rechtsfigur weiter i n ihrer Bedeutung als formalisierte Eingriffsermächtigung für die Freiheitsgarantien festzuhalten. Die Ganzheit eines grundrechtlichen „Wertsystems" ist auch m i t Hilfe des formalen Prinzips der „Güterabwägung" 3 7 nicht rationalisierbar. Dieser Grundsatz entbehrt leitender normativer Anhaltspunkte i m Grundgesetz, die über die formale Typik der Ausgestaltung der Grundrechtsgarantien und der Abstufung der Gesetzesvorbehalte hinausgehen sollen. Das Prinzip kann keine inhaltlichen Maßstäbe zur Verfügung stellen, die rechtsstaatlichen Anforderungen an Normklarheit und Methodenklarheit genügten. 2. Einheit der Verfassung I m übrigen ist Güterabwägung m i t ihrer grundsätzlichen Annahme von Axiomen wie „Vorrang" oder „Höherwertigkeit" verfassungsrechtlicher „Interessen" beziehungsweise Rechtsgüter stets i n Gefahr, i m praktischen Fall eine Verfassungsnorm zu ausschließlich auf Kosten einer andern „vorgehen" zu lassen und dabei das Interpretationsprinzip der Einheit der Verfassung aus den Augen zu verlieren 3 8 . I m Kollisionsfall bleiben — unbeschadet aller normativen Verbindungslinien zwischen Verfassungs- und Unterverfassungsrecht — die Verfassungsnormen verbindlicher Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Gesetzesrechts. Soweit das Prinzip der Güterabwägung auf materielle Erwägungen zurückgreift, die i m Einzelfall nicht dem Detail positivrechtlicher Regelung entnehmbar sind, bleibt es mit seiner praktisch nicht seltenen Bewertung von Grundrechten und grundrechtsausgestaltenden Gesetzen als gleichrangig Kriterien hinreichenden Normranges schuldig. Daher kann — g a n z abgesehen von dem nicht überspielbaren Fehlen von Gesetzesvorbehalten i m Einzelfall — nicht angenommen werden, M Vgl. etwa Herbert Krüger, DÖV 1961, 721; ders., Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, 286, 292 f.; ferner F.Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 158 ff., 153 f., 181 f., 208 f.; Hesse, Grundzüge, 14 f. 37 Hierzu Häberle, 32, 37; Eike v. Hippel, 31; v. Pestalozza, Der Staat 2 (1963) 448. 38 Z u r K r i t i k am Güterabwägungsprinzip vgl. z.B. Hesse, Grundzüge, 29; ferner ebd., 18, 24, 103 ff.; Knies, 33 ff., 38 ff.; Copie, 22 ff., 26 f., 29; v. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 448; F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, 115, 124 f., 136 f., 207 ff., 214. — Die Formalität des Prinzips w i r d eingeräumt bei Häberle, 32, 37; Eike v. Hippel, 31.
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1. T e i l : Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
alle Grundrechte unterlägen gleichermaßen einem Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" i m Sinn jener Gesetze, „die von der Verfassung gegenüber dem betreffenden Grundrecht als gleich- oder höherwertig ausgewiesen sind" 8 9 . Soweit die Verfassung durch direkte Normierung solche „Höherwertigkeit" deutlich macht, genauer: eine Höherbewertung politischer oder ethischer Herkunft durch formale Vorzugsregelung normativ verbindlich zur Geltung bringt, ist „Güterabwägung" entbehrlich. Soweit die Verfassung das nicht tut, reicht der Hinweis auf das nicht-normative „Ganze" der Verfassung oder eines verfassungstheoretischen „Wertsystems" als Basis für Grundrechtseingriffe nicht aus. Die Abstufung der Gesetzesvorbehalte, die Anordnung unmittelbarer Bindung der Legislative an die Grundrechte, die Vorschriften des A r t . 19 Abs. 1 und 2 GG, die Einrichtung einer auch die Normenkontrolle umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit und andere zentrale Hegelungen des Grundgesetzes drücken für die Rolle der Gesetzgebung i m Grundrechtsbereich die Verteilung normativer Maßstäblichkeit deutlich genug aus. Solche differenzierenden Regeln, Abstufungen und Einrichtungen des Verfassungsgesetzes können nicht durch materiale Erwägungen des Einzelfalls „abwägend" unterlaufen werden, sollen nicht die Grundrechte dem „Vorbehalt" letztlich irrationaler Einzelentscheidung überantwortet sein. 3. Wertabwägung I m übrigen ist auch eine Nivellierung der als sachgeprägte Garantien normativ unterschiedlich wirksamen Grundrechte durch allgemein-materiale Theorien nicht statthaft. Der m i t Hilfe der Normbereichsanalyse rational möglichst genau ermittelte und dogmatisch möglichst einsichtig stabilisierte Geltungsgehalt der einzelnen Verbürgung ist es, der die materialen Kriterien für die Grenzen der Reichweite der Einzelgarantie anbietet, der „aus dem Gehalt des Grundrechts" Maßstäbe von Verfassungsrang gegenüber dem Gesetzgeber liefert, der „sich i n dem grundrechtsgeschützten Raum bewegt" 4 0 . Verfassungsinterpretation überschreitet ihre Grenzen, wenn sie eine normativ i m einzelnen nicht greifbare Totalität einer vorausgesetzten Wertordnung an die Stelle der Ermittlung der „sachlichen Reichweite eines Grundrechts" 4 1 stellt, wobei 89 Häberle, 32 u. ö. — Vgl. ferner Eike v. Hippel, 25 f. u. ö. — Z u r Diskussion des Güterabwägungsprinzips s. a. Lerche, Übermaß, 129, 244; ders., DÖV 1965, 212 ff.; ders., DVB1.1961, 694; ders., Werbung u n d Verfassung, 101 f.; Bettermann, JZ 1964, 601 ff.; J.P.Müller, Die Grundrechte der Verfassung u n d der Persönlichkeitsschutz des Privatrechts, 1964, 101; Hesse, Grundzüge, z.B. 118, 127, 140, 152, 159; Berg, 95; P.Schneider, Güterabwägung i m freiheitlichen Rechtsstaat, 355 ff.; Arndt, N J W 1966, 871. 40 Vgl. BVerfGE 7.198.208 f.; 7.377.404. 41 BVerfGE 12.45.53.
I V . Begrenzungsversuche durch Güterabwägung
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nicht nur deren Wesensgehalt 42 , sondern ihr ganzer Umfang nur gesondert für jedes Grundrecht ermittelt werden kann. Die stabilisierende und die Rechtssicherheit steigernde Wirkung verfassungsrechtlicher Dogmatik kann der Gefahr einer „unzulässigen Veränderung der verfassungsmäßig normierten Verhältnisbestimmung von Grundrechten und anderen Rechtsgütern" 43 ebenso entkommen wie dem Rückzug auf die Umstände des Einzelfalls 44 . Soweit dogmatische Grenzbestimmung wegen ungewöhnlicher Fallgestaltung oder wegen der Grenzen rationaler Auflösbarkeit des Grundrechtsgehalts durch dogmatische Generalisierung einen praktischen Fall nicht zureichend sollte lösen können, ist dem auf beiderseits optimierende Zuordnung gerichteten Verfahrensvorschlag praktischer Konkordanz 4 5 der Vorzug vor „abwägender" Pauschalierung der Geltungsgehalte zu geben. Praktische Konkordanz kann allerdings nur dort angestrebt werden, wo Normen gleichen Ranges miteinander zu vermitteln sind. Das gilt für die gegenseitige Begrenzung von Verfassungs(Grundrechts-)normen ebenso wie für diejenige zwischen Grundrechten und den sie aufgrund eines Gesetzesvorbehalts einschränkenden Vorbehaltsgesetzen. Bei Rangdifferenz kann Verfassungsinterpretation nur die dogmatische Grenzlinie herausarbeiten, nicht aber den Rangunterschied interpretativ beseitigen und unterverfassungsrechtliche Regeln und Rechtsgüter „abwägend" unversehens auf Verfassungsrang heben. Insoweit zutreffend hat das Bundesverwaltungsgericht i n einem U r teil aus dem Jahr 196646 jede Interessenabwägung zwischen Jugendschutz und Kunstfreiheit als grundsätzlich unzulässig bezeichnet. Das Gericht stützt sich auf § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS, der jede Schrift erfaßt, die „der Kunst dient". Das Gericht hält diese Gesetzesnorm, die überwiegend als Wiederholung der Garantie des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gilt, für eine Regel, die kraft positiven Rechts jede Abwägung von vornherein abschneidet. Ergäbe nun die Dogmatik dieses Grundrechts i m Weg der Verfassungsauslegung gleichfalls einen dem des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS entsprechenden „Kunstvorbehalt", dann würde allein die grundrechtliche Garantie ohne weitere gesetzliche (deklaratorische) Konkretisierung Güterabwägungen ausschalten. Der Weg dogmatischer Grenzbestimmung ist gewiß mühsamer als der einer vor allem von der Rechtspraxis allzu leicht als Ausweg übernommenen gegenseitigen „ A b 42
BVerfGE 22.180.219. Hesse, Grundzüge, 126 f. 44 Vgl. aber Häberle, 35; BVerfGE 7.198.210 f.212. Z u „Güterabwägungen" i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. ferner etwa B V e r f GE 7.230.234; 14.263.282; 21.239.243 f. 45 Z u diesem Hesse, Grundzüge, ζ. B. 28 f., 126 f., 130. 46 U r t . v. 12.1.1966 = B V e r w G E 23.104. 43
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1. T e i l : Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
wägung" sachlich nicht differenzierter Termini. Doch könnte beispielsweise auch der „Kunstwert" eines inkriminierten Werks gegen den von § 166 StGB oder von § 185 StGB geschützten „Wert" nicht „abgewogen" werden, ohne daß zuvor die Struktur des grundrechtlichen Normbereichs, ohne daß Intensität und Grenze des grundrechtlichen Geltungsgehalts eingehend herausgearbeitet worden sind. Ist das geschehen, dann können die Auswirkungen strafrechtlicher Sanktionen gegen den Normbereich, können die sich aus der Eigenart des Normbereichs ergebenden Modifizierungen der einschlägigen strafrechtlichen Maßstäbe dogmatisch begründet werden, ohne daß es einer „Abwägung" noch bedürfte. 4. Interpretation
und Dogmatik der Grundrechte
Andernfalls steht Güterabwägung i n der zusätzlichen Gefahr, ohne dogmatische Klärung i m wesentlichen nur Wörter m i t pauschal erfaßten Sachbereichen und allgemeinen Wertungsvalenzen gegen Wörter auszuspielen. Diese Gefahr besteht auch dort, wo eine dogmatische Grenzbestimmung ergeben müßte, daß eine Überschneidung des grundrechtlichen m i t dem gesetzlichen Geltungsgehalts gar nicht vorliegt. Greift etwa eine aufgrund des § 166 StGB ergangene strafrechtliche Sanktion i n den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht ein, so ist kein Grundrechtsproblem gegeben. Von einem „Vorrang" oder einem „größeren Gewicht" des i n § 166 StGB geschützten Rechtsguts gegenüber der Kunstfreiheitsgarantie ist dabei mangels normativer Kollision gerade nicht zu sprechen. Güterabwägung wäre jedoch gezwungen, ein solches materiales Rangverhältnis i m Interesse schlüssiger Begründung des Ergebnisses zu behaupten. Zeigt i m vorliegenden Beispiel dagegen die dogmatische Abgrenzung, daß die Sanktion den sachspezifisch garantierten Normbereich „Kunst" i m Einzelfall tatsächlich verkürzt, so kann § 166 insoweit auch nicht als Vorbehaltsgesetz auftreten, da dem Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für die Freiheit der Kunst kein Gesetzesvorbehalt beigegeben ist. I n diesem Fall wäre Güterabwägung nicht nur entbehrlich, sondern verfassungswidrig. Güterabwägung darf dogmatische Verfassungsinterpretation anhand der deutlich getroffenen positivrechtlichen Normierungen i n keinem Fall ersetzen. Sie w i r d von dieser aber vielfach entbehrlich gemacht. Auch i n den praktisch wohl strittigsten Fällen, bei der strafrechtlichen Behandlung deliktischer Verhaltensweisen, die zugleich i n Zusammenhang m i t einer Aktualisierung der Kunstfreiheitsgarantie stehen oder die selber die Kunstfreiheit aktualisieren, darf gleichfalls nicht i m Sinn der Güterabwägung pauschal argumentiert werden. Ein positives Kompetenzverständnis zu Art. 74 Nr. 1 GG erlaubt es noch nicht, das „verfassungsmäßige Strafrecht" als „allgemeine Grenze aller Grundrechte"
V. Gesichtspunkte des Grundrechtsmißbrauchs
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auszugeben und durch „Hineinverlagerung" dahin zu kommen, neben anderen verfassungsrechtlichen und unterverfassungsrechtlichen Normenkomplexen seien i m grundrechtlichen Wesensgehalt auch „die Strafgesetze mitgedacht" 4 7 . Vielmehr sind für jedes einzelne Grundrecht Inhalt, abgestufte Schutzintensität und sachliche Grenze seines Geltungsgehalts dogmatisch zu entwickeln. Für jede i n Frage kommende Strafrechtsnorm ist auf dieser Grundlage zu fragen, ob und gegebenenfalls wie sie durch Anknüpfung, durch die A r t der rechtlichen Maßstäbe oder durch die Auswirkung ihrer strafrechtlichen Sanktionen diesen Geltungsgehalt einschränkt. I n den genannten Beispielfällen kann weder für „den" Jugendschutz noch für „das" Strafrecht i m allgemeinen pauschal angenommen werden, die durch sie geschützten „Werte" hätten „Vorrang" oder „niedrigeren Rang" gegenüber dem Wertgehalt der Kunstfreiheitsgarantie. Es kann nicht einmal für alle Fälle möglicher Kollision m i t § 166 StGB angenommen werden. Die bei dessen deliktischer Erfüllung möglichen Rechtsfolgen können den Geltungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, können den als frei gewährleisteten Normbereich „Kunst" auf verschiedene Weise beeinflussen, die verfassungsrechtlich nicht einheitlich zu beurteilen ist. Wiederum eine andere Richtung der Notwendigkeit dogmatischer Inhalts- und Grenzbestimmung zeigt sich dort, wo „meinungsäußernde" Elemente eines Kunstwerks i m Ergebnis als durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG mitgeschützt erscheinen. Dieses Ergebnis ist nicht erst aufgrund einer punktuellen Güterabwägung i m Einzelfall zu erzielen 48 , sondern aufgrund der für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG generell zu entwikkelnden Einsicht, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 sei gegenüber A r t . 5 Abs. 1 GG normativ selbständig. Die Garantie freier Kunst w i r d weder von inhaltsbestimmenden Maßstäben des A r t . 5 Abs. 1 noch von grenzbestimmenden des A r t . 5 Abs. 2 GG betroffen. V. Gesichtspunkte des Grundrechtsmißbrauchs
1. „Mißbrauchs"urteil
als Subsumtionsurteil
Der, systematisch gesehen, i m Ansatz am ehesten einleuchtende Versuch, allen Grundrechten eine generelle Grenze zu ziehen, findet sich i n den verschiedenen Ausprägungen der Mißbrauchslehre. Soweit sich diese Doktrin auf dogmatische Grenzziehung i m Interesse von Normklarheit und unbedingter Gelümg der Grundrechte beschränkt 49 , unter47 So aber Häberle, 5, 37, 60, 61; ebd., pauschal auch zur Privatrechtsordnung als „allgemeiner Grenze" aller Grundrechte. 48 So aber L G Hamburg, N J W 1963, 675. Hierzu Berg, 154 m i t Anm. 312. 49 So Herbert Krüger, Mißbrauch u n d V e r w i r k u n g von Grundrechten, DVB1.1953, 97 ff.; 99: k e i n Grundrechtsmißbrauch außerhalb der vom G r u n d -
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
liegt sie nicht den zu den sonstigen Thesen allgemeiner Grundrechtsbegrenzung genannten Bedenken. Sie behauptet nicht Grundrechtsbegrenzungen außerhalb der vom Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle. Pauschale Gemeinschaftsvorbehalte sind auch i m Gewand von „Mißbrauchs" vorbehalten m i t undeutlicher Umrißschärf e normativ ohne Halt. Soweit das „Mißbrauchs"urteil als Subsumtionsurteil gebraucht wird, das den Gebrauch eines (Grund-)Rechts von seinem Nicht-Gebrauch abgrenzt, d. h., das jedes Sich-berufen auf das Grundrecht bei einem Verhalten, das sachlich-normativ zum Geltungsgehalt des (Grund-) Rechts gehört, von einem Rückgriff unterscheidet, der sich dogmatisch nicht mehr auf das Grundrecht stützen kann, ist „Mißbrauch" eine Umschreibung für die sachliche Begrenztheit aller Rechtspositionen, auch der Freiheitsgarantien der Verfassung, und für die Notwendigkeit dogmatischer Ausarbeitung von Inhalt, Struktur und Begrenzung der einzelnen sachgeprägten Verbürgungen. Wegen der terminologischen Mißverständlichkeit sollte für diese Variante der „Mißbrauchs"lehren dieser Ausdruck besser vermieden werden. Auch w i r d dann nicht länger der Gedanke impliziert, der Staat könne grundrechtlich an sich geschützte Aktions-, Organisations- oder Sachgarantien durch gesetzliche Regelung zu „mißbräuchlichen" stempeln 50 . Er kann nach der strikten Maßgabe positivrechtlicher Gesetzesvorbehalte den Geltungsbehalt der betreffenden Grundrechte verkürzen, wobei er sich nicht nur an A r t . 19 Abs. 1 und 2 GG und nicht nur an den normativen Rahmen und die Voraussetzungen des betreffenden Eingriffs-, Inhaltsbestimmungs-, Ausgestaltungs- oder Regelungsvorbehalts, sondern auch an andere gegesetz, v.a. i n A r t . 18 GG, ausdrücklich geregelten Fälle; 98: Mißbrauchsu r t e i l als Subsumtionsurteil. „ A l s Mißbrauch i m weitesten Sinne erscheint jeder Gebrauch eines Rechtes, f ü r den dieses nicht gedacht u n d daher nicht gewährt ist". — Allgemein zur Lehre v o m Rechtsmißbrauch vgl. Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, 1926, 236 ff.; Siebert, V e r w i r k u n g u n d Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, 68 ff. 50 Krüger, ebd. (Anm. 49) braucht diesen Schritt nicht zu gehen, w e i l er i n seinem Zusammenhang die Problematik der Gesetzesvorbehalte und der grundrechtsausgestaltenden, -inhaltsbestimmenden, -regelnden u n d allgemein der grundrechtsbezogenen Gesetzgebung nicht ins Zentrum rückt. Siehe auch die Wendung, die Freiheitsrechte umschrieben „demjenigen Bereich des menschlichen Lebens, i n dem der Staat nichts entscheiden darf, w e i l er hier nach der N a t u r der Sache . . . nichts entscheiden k a n n oder . . . nichts entscheiden sollte. H i e r liegt die Entscheidung vielmehr ausschließlich beim I n d i v i d u u m " . — Diese Aussage ist zu allgemein gefaßt. Wieweit die Inhaltsbestimmung der Freiheit dem I n d i v i d u u m überlassen ist, bestimmt die positivrechtliche Regelung, die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Freiheitsgarantie. Hier sind entscheidende Unterschiede zwischen vorbehaltlos garantierten Grundrechten u n d Vorbehaltsgrundrechten, ferner auch je nach A r t der Gesetzesvorbehalte zu machen. — Festzuhalten ist, daß Einschränkungen grundrechtlicher Geltungsgehalte durch ungeschriebenes Nicht-Verfassungsrecht i n keinem F a l l zulässig sind u n d daß an die Annahme ungeschriebener verfassungsrechtlicher Eingriffsermächtigungen scharfe Anforderungen gestellt werden müssen.
V. Gesichtspunkte des Grundrechtsmißbrauchs
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schriebene (z. B. Art. 80) und ungeschriebene (etwa das Übermaßverbot) verfassungsrechtliche Maßstäbe zu halten hat. Hat er solche gesetzlichen Einschränkungen getroffen, so ist die sich daraus ergebende dogmatische Grenzlinie i m Einzelfall zu klären. Nicht aber sind die eingeschränkten Teile des grundrechtlichen Normbereichs m i t dem Erlaß von Vorbehaltsgesetzen bereits schlechthin als „mißbräuchlich", also als nicht mehr tatbestandsmäßig ausgewiesen. 2. Zu Art. 18 GG Vor allem sollte die vornehmlich dogmatische Klarheit anstrebende Ansicht terminologisch nicht m i t jenen Mißbrauchslehren vermischt werden, die, wie die bereits erörterten Begrenzungsversuche, allen Grundrechten allgemein-materiale Gesichtspunkte als Grenzen ihrer Ausübung unterstellen wollen. Bei ihrer Erörterung kann von dem speziellen Verwirkungstatbestand des A r t . 18 GG hier abgesehen werden. A r t . 18 GG ist enumerativ aufgebaut, nicht als Verwirkungsgeneralklausel 5 1 . Die Freiheit der Kunst ist nicht nach Art. 18 GG verwirkbar. Zu einem andern Ergebnis kommt nur eine Auffassung, die den Normzweck des A r t . 18 GG zur Abwehr „gegen jede Art von physischem oder geistigem A n g r i f f " 5 2 umdeutend verallgemeinern, demgemäß dem Begriff „Meinungsäußerung" i n A r t . 18 Satz 1 GG einen weiteren Sinn als i n Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geben und damit auch Kunstwerke, die politische Stellungnahmen enthalten, der Verwirkungsmöglichkeit unterwerfen w i l l . Nach der hier entwickelten Grundrechtsauffassung ist ein solches Verfahren abwegig, weil ohne positivrechtliche Stütze. 3. Zur „Mißbrauchs" praxis
der Bundesprüfstelle
I n der Praxis vor allem der Bundesprüfstelle w i r d der Vorwurf de? „Mißbrauchs" gegenüber der Kunstfreiheit dazu verwendet, das nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS für der Kunst dienende Schriften ausnahmslos geltende Indizierungsverbot zu umgehen. Das ist weder m i t Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG noch m i t § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS zu vereinbaren. Das Beispiel zeigt, wie leicht sich verbale „Mißbrauchs"postulate, die i n Anlehnung an die schon kurz erörterten „immanenten" Gemeinschaftsvorbehalte aller Grundrechte behauptet werden, vor der eindeutigen Rechtsgrundlage zu entfernen vermögen, ohne immanent kritisierbar zu sein. Das erklärt sich aus ihrer irrationalen Verschwommenheit ebenso wie aus ihrer über normative Detailregelung großzügig hinweggehenden A t t i 51
"
So etwa Maunz, Deutsches Strafrecht, 16. Aufl. 1968, § 16 I I 2. Erbel, 225 f., 226; Hervorhebung i m Original.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
tüde 5 3 . Tatbestandserfüllung bei strafrechtlichen oder jugendschützenden Vorschriften ist ebensowenig wie bei rechtsgutschützenden Normen i m allgemeinen bereits m i t Rechtsmißbrauch gleichzusetzen 54 . Auch wenn man am Begriff „Mißbrauch" i n Zusammenhang m i t der Frage nach allgemeinen Grundrechtsbegrenzungen festhalten wollte, wäre das Problem ohne Entwicklung des Sachgehalts der Freiheitsgarantien nicht zu lösen. Deren Abgrenzung, nicht aber das Postulat eines „Vorrangs" von Verfassungsnormen untereinander oder von Grundrechten und Strafrecht 55 markiert die verfassungsrechtlich erhebliche Fragestellung. 4. Grundrechts „mißbrauch" als Frage materialer Vorrangigkeit? Das w i r d dort verkannt, wo Mißbrauch von Grundrechten, obgleich als „Handeln ohne Recht", als ein „Handeln außerhalb der Grenzen der Grundrechte" 5 6 bezeichnet, nicht zu dogmatischer Grenzbestimmung der einzelnen Garantien führt 5 7 , sondern zur Beschreibung material-allgemeiner, den Grundrechten „vorrangiger" Gegen-Normen, die dann gegeben sein sollen, „wenn eine bestimmte Grundrechtsausübung das vorrangige Interesse eines anderen Interessenträgers verletzt" 5 8 . Damit w i r d die Eigenständigkeit der Grundrechtsgarantien übersehen. Die Mißbrauchsformel w i r d zum rechtsstaatlich unkontrollierbaren, weil nicht rationalisierbaren Einlaß für Wertungen verschiedenster A r t , die ohne Rücksicht auf den besonderen Geltungsgehalt jeder Einzelgarantie verallgemeinert werden. Die typisierende Aufgliederung der Pauschal53 Nachweise, auch zur Praxis der Bundesprüfstelle, bei Knies, 102, A n m . 234; 115, A n m . 303. S. a. Schilling, Literarischer Jugendschutz, 27 f. 54 So auch Lerche, Übermaß, 132. 35 So aber Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, 1967, 49 u n d ff. 56 Gallwas, 31 u. ö. i. S. von typologiisch aufgelockerten Generalklauseln, die jedoch so angelegt sind, daß vielfach nichts als der Rückgriff auf die u n differenzierte materiale Leerformel übrig bleibt. 57 I m Ergebnis ähnlach wie der vorliegend gemachte Vorschlag die A u f fassung, die erforderlichen Ermächtigungen zur Mißbrauchswehr würden von „ungeschriebenen Annexen der jeweiligen Grundrechtsnormen" zur Verfügung gestellt; so Lerche, Übermaß, 122 u n d ff.; s. a. ebd., 117 ff., 123 f., 124 f.; ferner ebd., 157, 288. — Nach der hier vertretenen Normauffassung handelt es sich jedoch bei den sachgeprägten Begrenzungslinien der Grundrechte u m geschriebene Normgehalte statt u m unigeschriebene Annexe. 58 Gallwas, 37. Ebd., 41 f. ein Beispiel zur Kunstfreiheit, das i n die E m p fehlung einer „Interessenabwägung" ausläuft. — Dagegen vermeidet der Bundesgerichtshof i m U r t e i l v o m 20. 3.1968 — I ZR 44/66 — (Mephisto-Klaus Mann) die von der Lage des Falls her naheliegende Mißbrauchstermiinologie. Er p r ü f t nur, ob durch die Stärke der Mischung von Dichtung u n d Wahrheit i n Klaus Manns Schlüsselroman „die Grenzen der Freiheit der K u n s t überschritten" seien. Ob das k o n s t r u k t i v i m Sinn einer Grundrechtsdogmatik oder eines nicht ausdrücklich genannten allgemeinen Mißbrauchsvorbehalts gemeint ist, bleibt unklar.
V. Gesichtspunkte des Grundrechtsmißbrauchs
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formel 5 9 leidet nicht nur an ihrer weiterhin unbestimmten Fassung und an metapositiver Ausweichtendenz, sondern vor allem daran, nicht vom Geltungsgehalt des zu begrenzenden, des als „mißbraucht" auszuweisenden Grundrechts her abgestützt zu sein. Damit werden positivrechtliche Regelungen der Verfassung je nach Bedarf übergangen. So soll auch nach dieser Meinung bei Kollisionen zwischen Grundrechtsausübung und strafrechtlicher Tatbestandserfüllung nach dem „Vorrang" gefragt werden. Eine Tatbestandserfüllung könne nicht deswegen ohne Strafe bleiben, weil sie „ i m Gewand einer künstlerischen Äußerung" erfolgt sei. Daß die Freiheit der Kunst ohne Gesetzesvorbehalt garantiert ist, daß das verfassungsrechtliche Hauptproblem hier also darin besteht, wie Eingriffe durch Gesetz beziehungsweise aufgrund Gesetzes möglich sein sollen, bietet für eine so pauschale Sicht kein Hindernis. Die rechtstechnische Ausgestaltung der Grundrechte sei i n der Regel „nicht an den hier angesprochenen Konfliktslagen orientiert und daher auch nicht geeignet, ein griffiges Lösungsmodell zu liefern" 6 0 . Es sollte entbehrlich sein, daran erinnern zu müssen, daß nicht die noch so erstrebenswerte Griffigkeit des Lösungsvorschlags, sondern die erkennbare verfassungsrechtliche Normierung Ausgangspunkt der Erörterung zu sein hat. Demgemäß können die Strafrechtsvorschriften nicht allgemein für „echte Schranken jeder Grundrechtsausübung" 01 erklärt werden. Die verfassungsrechtliche Frage geht angesichts der normativen Ausgestaltung der Grundrechtsverbürgungen durch das Grundgesetz nicht auf pauschal zu bejahende oder pauschal zu verneinende Axiome von „Vorrang" oder von Generalschranken. Bei etwaigen Mißbrauchs„vorbehalten" oder -„annexen" handelt es sich nicht um Partikel eines auf die Grundrechte aufzuteilenden Allgemeinvorbehalts. Vielmehr sind die Begrenzungen zu entwickeln, die sich aus der Sachstruktur des Normbereichs und der Sachhaltigkeit der Freiheitsgarantie ergeben. „Grenz"bestimmung und „Inhaltsbestimmung sind nicht trennbar. Wirklich „immanent" sind nur die Begrenzungen, die m i t Hilfe der Normbereichsanalyse herausgearbeitet werden; nicht aber jene, die unter Absehen vom Geltungsgehalt der einzelnen Grundrechte an allgemein-materialen Postulaten legitimiert und anschließend zu „immanenten" Grenzen ernannt wurden. Solche Grenzen sind auch nicht „vorhanden", sondern von der durch Rechtsprechung und Rechtslehre zu leistenden Verfassungsinterpretation und Grundrechtsdogmatik unter voller Beachtung der verfassungsgesetzlich positivierten Einzelregelun59 Gallwas, 38 ff. (Verletzung vorrangiger Interessen eines anderen Grundrechtsträgers), 66 ff. (Verletzung vorrangiger Interessen der Allgemeinheit), 87 ff. (Verletzung schutzwürdiger Interessen der staatlichen Gewalten). Gallwas, 49 ff., 50. 81
Gallwas,
50 f.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
gen und Markierungspunkte zur Diskussion zu stellen und zum traditionsbildenden Konsens zu bringen. Diese Aufgabe w i r d durch Bestimmungen abgeschnitten, nach denen beispielsweise i m F a l l eines offenkundig anstößigen Kunstwerks die Vorschrift des § 6 GjS dem A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG „vorgehen" soll, w e i l sich § 6 GjS als „sittliche Norm" von „rechtserheblicher A r t " dergestalt darstelle, daß weder Verfassunggeber noch Gesetzgeber i n der Lage seien, die Kollisionsmaterie i n Abweichung von dieser überpositiv prästabilierten Harmonie zu regeln 62 . Eine Berufung auf A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist i n diesem Fall jedoch nicht einfach als „Handeln ohne Recht", als Mißbrauch zu kennzeichnen. U m Vorrang geht es erst dann, wenn die (partielle) Überschneidung und Gegenläufigkeit rangverschiedener Normen festgestellt ist. Dann hat die Verfassungsnorm Vor-Rang vor der Gesetzesnorm; es sei denn, diese sei als Vorbehaltsgesetz, das sich normativ i m Rahmen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts hält, insoweit als ranggleich zu behandeln. Beim Grundrecht der Kunstfreiheit ist diese Möglichkeit wegen seiner vorbehaltlosen Garantie ausgeschlossen. § 6 GjS kann i n keinem Fall „Vorrang" vor diesem Grundrecht haben. Was zuerst zu fragen bleibt, ist jedoch — nur der Verdeutlichung halber wurde die unzutreffende Reihenfolge der „Mißbrauchs"prüfung hier übernommen —, ob sich die Normbereiche von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG und von § 6 GjS überhaupt (partiell) überschneiden und ob i m Umfang einer solchen Überschneidung die beiderseitigen Normprogramme Entgegengesetztes anordnen. Erst nach Feststellung einer solchen Kollision durch dogmatische Grenzbestimmung t r i t t die rechtliche Prüfung i n ihr entscheidendes Stadium. Hier läge eine K o l l i sion nur dann vor, wenn A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG die unbegrenzte Verbreitung des Kunstwerks allein nach Wahl des Künstlers oder Verbreiters i n allen technisch möglichen Modalitäten grundrechtlich sichern würde. Das ist zumindest zweifelhaft. Ist diese Frage aufgrund der Normbereichsanalyse genauer beantwortet, dann w i r d das zugleich die Lösung des so nach der zutreffenden dogmatischen Fragestellung aufgegliederten Falls sein. Eine „Abwägung" der (dogmatisch ungeklärt belassenen) Grundrechtsnorm m i t einer den „Mißbrauch" signalisierenden (dogmatisch noch weniger klaren und teilweise auf überpositive Postulate ausweichenden) Gegen-„Norm" entspringt keinem praktischen Bedürfnis und stellt eine verfassungswidrige Behandlung von Verfassungsnormen dar.
62
So aber zu diesem Beispiel Gallwas, 84.
V I . Ideologische Verengung des „Kunst"begriffs i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG 31 V I . Ideologische Verengung des „Kunst"begriffs in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G
1. Inhaltliche
Unterstellungen
Neben der „Übernahme" nicht i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG normierter Schranken oder Vorbehalte sieht sich das vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit zusätzlich zahlreichen Bemühungen gegenüber, die benötigten Begrenzungen seiner praktischen Wirksamkeit i n den Begriff „Kunst" als den Anknüpfungsterminus der Grundrechtsgarantie zu verlagern. So w i r d aus der positivrechtlichen Schrankenlosigkeit elegant gefolgert, das Grundgesetz müsse dementsprechend „einen restriktiven Kunstbegriff zugrundegelegt haben" 6 3 . Einzelfragen der praktischen Konkretisierung lösen sich diesem Ansatz getreu etwa i n der Richtung, verfassungsfeindliche Werke könnten nicht Kunstwerke sein. Ferner könne ein Kunstwerk „nicht zugleich unzüchtig sein", weshalb die Verlegenheit, die Anwendung von § 184 StGB auf ein Kunstwerk dogmatisch rechtfertigen zu müssen, als entfallen gilt 6 4 . Andere Manipulationen verfassungsrechtlicher Begrifflichkeit stilisieren beispielsweise „die allgemeinen Strafgesetze" zum inhaltlichen Moment künstlerischer Erscheinungen 65 . Solche Gewaltsamkeit kann sich nicht auf A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen. Sie mag angesichts der vorbehaltlosen Garantie als Notlösung ebenso unterlaufen wie die Beschränkung der vorbehaltlos eingeräumten Kunstfreiheit allein auf den Raum persönlicher schöpferischer Intimität des Künstlers 6 6 . Rechtlich zulässig w i r d sie dadurch nicht. Gleichwohl begegnet die ideologische Unterwanderung des verfassungsrechtlichen „Kunst"begriffs in verschiedensten Spielarten auf «3 Dünnwald, G A 1967, 33 ff., 40, 41. « 4 Ebd. (Anm. 105), 39, 41. Vgl. auch ders., JR 1965, 48. Siehe ferner ζ. B. Hamel, N J W 1966, 20 (Begrenzung der Kunistfreiheit aus dem „Wesen" der K u n s t ) ; zum „Wesens"-Argument i m Recht F.Müller, Normstruktur und Normativität, 20, 69, 70, 98, 178, 197 m. Nw.en. — Als Beispiele f ü r die E n t leerung der Kunstfreiheitsgarantie durch passende „ B e g r i f f s b e s t i m m u n g vgl. ferner z.B. Potrykus, Kommentar zum GjS, A n m . 19 zu § 1 ; Schilling, Literarischer Jugendschutz, 15, 27 f. 65 Potrykus, ebd. (Anm. 106) ; bezüglich des Sittengesetzes und der Rechte D r i t t e r als „begriffsimmanenter Schranken" der Kunistfreiheit: Dünnwald, JR 1965, 48. U n k l a r Stein, JZ 1959, 722. Die K u n s t als „sittlichen Begriff" entdeckt Schäuble, 30, 237. — K r i t i k an solchem Vorgehen bei Bauer, Staat u n d Sexus, i n : W. Böckmann (Hrsg.), Jugendgefährdend?, 1964, 9 ff., 11; ders., Was ist unzüchtig?, i n : Vorgänge, 1962, Nr. 4/5, 8 ff., 9; zur K r i t i k an Bauers methodischen Voraussetzungen, insbesondere seiner — ins „liberale" E x t r e m geführten — Verengung der dogmatischen Fragen auf das Verhältnis von Kunstfreiheit u n d Sexualethik: Knies, 30 ff. Gegen die Ethisierung des Kunstbegriffs ferner Ropertz, 80; Erbel, z.B. 9 ff., 116; Knies, 112 ff.; Geiger, FS Leibholz, I I , 188. 66 Dietze, 82 f.; ähnlich Geiger, ebd. (Anm. 107), 195, 197 f.; entsprechend zur Gewissensfreiheit Scholler, 204, 206.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
Schritt und Tritt. Findet sich i n der neueren Rechtsprechung auch die Einsicht, die Fähigkeit, Kunst verbindlich von Nichtkunst abzugrenzen, werde „auch durch längere richterliche Tätigkeit und die Beschäftigung des gebildeten Menschen m i t Fragen der Kunst nicht ohne weiteres erworben" 6 7 , so scheinen moralische Bewertungen eher erlernbar zu sein. Solche werden dem „Kunst"begriff des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht ungern unterschoben. So hat das OVG Münster nur gekonnte Werke als nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG frei, solche Arbeiten dagegen, die (nach dem Urteil der beteiligten staatlichen Stellen, letztlich der Gerichte) als mißlungen zu gelten hätten, als nicht von der Schutzgarantie erfaßt ansehen wollen 6 8 . Ein Kölner Schöffengericht gab zu erkennen, es verstehe unter „Kunst" ein „Erzeugnis, das den Durchschnittsbürger über den Alltag erhebt und i h m das Edelste darstellt, was er sich vorstellen kann" 6 9 . Das fügt sich einer judiziellen Tradition ein, nach der es die Kunst — i n rechtlicher Betrachtung — vermöge, Gegenstände, die i n sexueller Hinsicht als schamverletzend gelten müßten, derart zu „durchgeistigen" und zu „verklären", daß sie dem Bereich des Unzüchtigen entrückt seien 70 ; nach der schließlich „Kunstwerke in des Wortes höchster Bedeutung" schon als solche nicht unzüchtig sein und damit entsprechender strafrechtlicher Sanktion nicht unterworfen werden könnten 7 1 . 2. Kunst als Mechanismus der „Veredelung" Die „Veredelungs"- und „Vergeistigungs"-These w i r d auch i m Schrifttum noch heute vertreten 7 2 . Sie ist nicht nur unbrauchbar, sondern auch ~
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O L G Hamburg, N J W 1964, 559; ebenso B V e r w G E 25.318 ff.326. N J W 1959, 1890. — Die Einschränkung des Bundesverwaltungsgerichts, der Kunstvorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS, der nach Ansicht des Gerichts den A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G lediglich wiederholt, komme n u r zur Geltung, wenn es sich „ u m ein ernst zu nehmendes K u n s t w e r k handelt", B V e r w G E 23.104 ff.106.107 f. ist w o h l nicht i m Sinn bestimmter ethischer oder k ü n s t lerischer Qualitätsanforderungen gemeint. Vielmehr soll offenbar n u r ganz allgemein die Notwendigkeit festgehalten werden, K u n s t von Nichtkunst i m Sinn einer „unteren Grenze" zu künstlerischen Anspruch nicht erhebenden Arbeiten zu unterscheiden. Dieses Verständnis der Entscheidung auch bei Leonardy, N J W 1967, 714. — I n dem genannten U r t e i l geht das Bundesverwaltungsgericht nach entsprechend einlenkender Äußerung des I. Senats von der Definition i n B V e r w G E 1.303.305 ab, Werke w i e Spielfilme, Theaterstücke, Romane seien dann Erzeugnisse der Kunst, w e n n sie „erdachte H a n d lungen zum Gegenstand" hätten, „ohne zugleich erkennbar eine bestimmte Stellung zu irgendwelchen Problemen zu beziehen". Der I. Senat interpretiert nunmehr die viel bekämpfte Begriffsbestimmung einschränkend allein auf die Problematik des „Sünderin"-Falls h i n ; vgl. ebd., 106 f. 69 Nach der „Süddeutschen Zeitung" v o m 3. 6.1967. Das Gericht berief sich demnach darauf, „schon v o r 100 Jahren" habe Adalbert Stifter erkannt, daß eine „freche Darstellung p r i m i t i v e r Dinge das Abendland gefährdet". 70 U r t e i l des Reichsgerichts v o m 6.11.1893, RGSt 24, 365 u. ö. 71 U r t e i l des Reichsgerichts v o m 22.11.1904, RGSt 37, 315. 72 Von Leiss, N J W 1962, 2323 ff.; vgl. hierzu etwa die Auseinandersetzung bei Ott, N J W 1963, 617 ff., 618 ff. m. Nw.en. 68
V I . Ideologische Verengung des „Kunst"begriffs i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG 33
verfassungsrechtlich ohne Anhaltspunkt. Dem Grundgesetz, das den Normbereich „Kunst" als gerade in seiner Eigengesetzlichkeit und Vielfalt „frei" gewährleistet, kann kein eben diese Freiheit schon i m Ansatz aufhebender, von inhaltlichen Vorstellungen nicht-künstlerischer A r t bestimmter „Kunst"begriff unterlegt werden. Die „Veredelungstheorie", die Kunst von dem völlig heteronomen Gegenbegriff „Unzucht" her zu bestimmen sucht, mag von ihrem einst rein strafrechtlichen Ausgangspunkt her verständlich erscheinen. Unverzeihlich aber w i r d ihre Übernahme unter einer Verfassung, die Freiheit der Kunst grundrechtlich gewährleistet. Die Grundrechtsnorm ist es, die hier i n erster Linie der Interpretation bedarf; nicht Strafrechtsvorschriften, deren ins Negativ gewendete Tatbestandsmerkmale eine verfassungsrechtliche Begriffsbestimmung („Kunst" als das nicht-verfassungswidrige, nicht-obszöne, nicht-gotteslästerliche Werk) in keinem Fall ergeben oder ersetzen. „Kunst" und „Unzucht", „Kunst" und „Gotteslästerung" definieren einander weder positiv noch negativ. Solche aufgrund verschiedener Normen verschiedenen Ranges gefällte rechtliche Bewertungen können nur vom konkreten Rechtsfall her miteinander in Beziehung gebracht werden. Die Verbreitung von als „Kunst" grundrechtlich geschützten Werken kann dabei beispielsweise ohne weiteres den Tatbestand des § 166 StGB erfüllen. Die zentrale Rechtsfrage beginnt erst nach dieser Feststellung 7 5 . I m übrigen kann auch unabhängig von strafrechtlichen Gegen-Definitionen mit Allgemeinbegriffen wie „Schönheit", „Adel", „Erhebung aus dem Alltag", die i n gleicher Weise auf Naturdinge anwendbar sind, Spezifisches der Kunst insoweit nicht getroffen werden, als spätestens seit den Arbeiten Worringers zu Beginn des Jahrhunderts das Kunstwerk „als selbständiger Organismus gleichwertig neben der Natur und i n seinem tiefsten innersten Wesen ohne Zusammenhang mit i h r " 7 4 gesehen wird. U m die Autonomie künstlerischer Maßstäbe zumindest für den A n knüpfungsbegriff „Kunst" i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist die Rechtsprechung zum Teil jedoch noch immer erstaunlich unbekümmert. Dabei läßt bereits eine nur vordergründige Beschäftigung m i t dem Grundrecht der Kunstfreiheit Bestimmungen als abwegig erscheinen, nach denen etwa die Anerkennung eines Buchs als Kunstwerk auch davon 78 Es sei denn, man sehe wie Ropertz, 121 ff. i m Vorliegen einer „ A f f i n i t ä t " der fraglichen Handlung „ z u m Künstlerischen" kurzerhand einen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund, w o m i t den verfassungsrechtlichen Fragen nicht auf den G r u n d gegangen w i r d . 74 Worringer, Abstraktion u n d Einfühlung, Neuausgabe 1959, 35; vgl. auch ebd., 81 ; Hervorhebung i m Original.
3 Müller, Kunst
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1. T e i l : Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
a b h ä n g i g g e m a c h t w i r d , ob e i n i n d e m b e t r e f f e n d e n R o m a n sich e r e i g n e n d e r U n f a l l t o d als „schicksalhafte V e r f l e c h t u n g " u n d e i n e d i e i n s o w e i t u n s c h u l d i g e R o m a n f i g u r t r e f f e n d e Todesstrafe „ a l s S ü h n e i m S i n n e e i n e r u n e r f o r s c h l i c h w a l t e n d e n G e r e c h t i g k e i t " f ü r e i n anderes „ a u f h e m m u n g s l o s e r T r i e b h a f t i g k e i t b e r u h e n d e s V e r b r e c h e n " sich d e u t e n lasse; a n d e r n f a l l s , so i s t dieser n e u e r e n E n t s c h e i d u n g des B u n d e s verwaltungsgerichts 75 zu entnehmen, w ä r e f ü r den Kunstcharakter der S c h r i f t z u f ü r c h t e n . Das G e r i c h t l ä ß t d e n n auch seine U n t e r s u c h u n g e n i n d e n ( u n t e r e i n e m V e r f a s s u n g s z u s t a n d ohne g a r a n t i e r t e K u n s t f r e i h e i t f o r m u l i e r t e n ) b e f r e i e n d e n Schluß m ü n d e n , d e r „ b e i n u r oberflächlicher L e k t ü r e niederziehende Charakter der Schrift" werde durch ihren Gesamtcharakter „als K u n s t w e r k " i n einer juristisch v o n K u n s t offenb a r noch i m m e r e i n g e f o r d e r t e n Weise „ v e r e d e l t " u n d „ d u r c h g e i s t i g t " 7 6 . M a g es v i e l l e i c h t angehen, e i n d e r a r t i g f i x i e r t e s B e u r t e i l u n g s s c h e m a m i t d e n i n k e i n e r l e i sachlicher B e z i e h u n g z u e i n a n d e r stehenden S k a l e n e n d e n „ o b s z ö n " u n d „ k ü n s t l e r i s c h " i n T e i l f r a g e n der E i g n u n g v o n S c h r i f t e n z u r J u g e n d g e f ä h r d u n g a n z u w e n d e n 7 7 , so w i r d b e i d e r a r t i g e r B e h a n d l u n g des A r t . 5 A b s . 3 Satz 1 G G n i c h t n u r j e d e r A n s a t z einer d e m G r u n d r e c h t gerecht w e r d e n d e n V e r f a s s u n g s i n t e r p r e t a t i o n v e r f e h l t 7 8 . Es w i r d auch d i e g r u n d r e c h t l i c h e i n g e r ä u m t e F r e i h e i t v o n v o r n 75 B V e r w G E 23.104.111. Vgl. ferner die auch i n dieser Richtung bemerkenswerten Ausführungen i m „Sünderin"-Urteil, B V e r w G E 1.303 ff. 76 B V e r w G E 23.104.111 (zu: James M. Cain, „The postman always rings twice", deutsch: „Die Rechnung ohne den W i r t " ) . 77 Siehe die Entscheidung B V e r w G E 27.14 (Azizah de Niamkoko — H e n r i Crouzat), deren Ausführungen ebd., 19 f. und 20 f. bewußt machen, daß Pornographie nicht n u r aoif d e m Gebiet der schöngeistigen Prosa anzutreffen ist. 78 D e n k w ü r d i g etwa die Ausführungen des (nur i m praktischen Ergebniis einleuchtenden) Urteils des L G Hamburg v o m 31. 7.1962 (Jean Genet — Notre Dame des Fleurs), N J W 1963, 675 f.; dort w i r d zutreffend zum Ausgangspunkt der Überlegung genommen, ein K u n s t w e r k könne durchaus „unzüchtig" i. S. des § 184 Abs. 1 Ziff. 1 StGB sein. Der Kunstch'arakter des Romanis sieht sich i m folgenden nicht nach verfassungsrechtlicher Gattungstypik oder sonst m i t Hüfe juristischer Begrifflichkeit, sondern allein „durch seine gewaltige, ausdrucksvolle u n d bildhaft-schöpferische Sprache, durch seinen lapidaren, bisweilen schamlosen und doch (!) von lyrischer A n m u t getragenen, eigenwilligen u n d doch nicht (!) progressiven S t i l sowie durch die Verwendung zahlreicher kühner, aber (!) 'außerordentlich ausdrucksvoller Metaphern" erwiesen. Dem A u t o r w i r d bescheinigt, nicht die „Absicht" zu verfolgen, „ m i t seinem W e r k die Lust des Lesers an abnormer Sexualbetätigung zu erregen oder das Böse m i t dem Ziel der Nachaihmung zu glorifizieren", vielmehr selbst bei der Deskription von Lustmorden eine „beabsichtigte abstoßende, ekelerregende oder geradezu schockierende W i r k u n g " i m Sinn zu haben. Demgemäß ist es die „sich selbst an verschiedenen derartigen Stellen" f i n dende „besondere lyrische Ausdrucksfähigkeit des Dichters", seine „ a n düstere Roheit grenzende, jedoch großartige Poesie", diie das Buch vor dem Einstampfen u n d den Drucksatz vor dem Einschmelzen gemäß §§ 41, 42, 184 StGB i. V. m i t §§ 430, 431 StPO bewahren, ebd., 675 f. — Es sollten dogmatische Folgerungen aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit sein, die praktische Rechtsfälle rational einsichtig u n d juristisch eigenständig begründet lösen
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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herein m i t Hilfe verfassungsrechtlich nicht normierter ideologischer Leerformeln außer Gefecht gesetzt. Dasselbe gilt für die Unterstellung, das Grundgesetz schütze nur „echte" Kunstwerke, nur „wertvolle", „reine", „ernstzunehmende" Kunst, es setze einen „substantiellen, elitären Begriff der Kunst" voraus, fordere einen „ethischen Kunstbegriff", nämlich den „hohen ethischen Kunstbegriff unserer abendländischen K u l t u r " 7 9 . Derartige Verfahren, die sich noch i n keinem Fall juristisch am geltenden Recht ausgewiesen, sondern sich noch immer auf den unreflektierten Konsens der Volksseele postulatorisch verlassen haben, könnten ohne Anstrengung des Begriffs auf Glauben und Gewissen, auf Persönlichkeitsentfaltung, auf Meinung und Wissenschaft umgelegt werden. Hier hört nicht nur das Verfassungsrecht auf. V I I . Entwicklung des verfassungsrechtlichen Anknüpfungsbegriffs „Kunst" in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G
1. Verfehltheit „Kunst"
inhaltlicher Definition im Verfassungsrecht
von
So gut wie alle der zahlreichen Versuche einer juristischen „ K u n s t " definition, vor allem der Bestimmung des Begriffs „Kunst" in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, gehen am verfassungsrechtlichen Problem vorbei. Sie sind offenkundig ideologisch oder tautologisch, geben der Rechtspraxis keine brauchbaren, rationalen Hilfen und stellen die grundrechtliche Freiheitsgarantie i n Frage. Ausgangspunkt dieser Bemühungen ist die Überzeugung, „Kunst" müsse sich als abstrakter Allgemeinbegriff fassen lassen, dem dann von Rechtspraxis und Rechtslehre die i m Einzelfall fraglichen Gegenstände i m Hinblick auf ihre „Kunst"qualität zu subsumieren seien 80 . und damit auch das rechtsstaatliche M i n i m u m an Rechtssicherheit gewährleisten. Doch wäre es Sache der Wissenschaft v o m öffentlichen Recht gewesen, die nicht beneidenswerten Strafgerichte von der Nötigung zum Feuilleton zu entlasten. 79 So v. Hartlieb, U F I T A 28 (1959), 32 ff., 46; ders., Die rechtliche, insbesondere die verfassungsrechtliche Seite der Selbstkonitrolle, i n : Löffler-CronV. Hartlieb u.a., Selbstkontrolle von Presse, F u n k u n d F i l m , 1960, 10 ff., 13; Potrykus, Kommentar zum GjS, A n m . 19 zu § 1; mißverständlich i n der Formulierung B V e r w G E 23.104.108; ferner Riedel, Kommentar zum GjS, 1953, 76; Potrykus, Bundesgesetze zum Schutz der Jugend i n der Öffentlichkeit u n d über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, Kommentar, 1964, 189; Becker-Seidel, Kommentar zum GjS, 1953, A n m . 12 zu § 1; mißverständlich auch hierzu wieder B V e r w G E 23.104,106; vgl. ferner B V e r w G E 23.112.120. Z u den „ethischen" Kunstbegriffen: Riedel, N J W 1954, 1261; ferner etwa Dünnwald, JR 1965, 50; ders., G A 1967, 40; Krauss, FamRZ 1960, 56ff., 57; Leiss, N J W 1962, 2323 ff., 2326; OVG Münster, JZ 1959, 719, 720; O V G M ü n ster, RdJ 1962, 56. Z u Recht kritisch Ropertz, 80; Erbel, z.B. 23 ff., 24 f., 89 f.; Knies, 112 ff., 134 ff. 80 Belege für diesen Ansatzpunkt bieten neben zahlreichen anderen z. B. die Darlegungen bei v. Mangoldt-Klein, A n m . X 3 zu A r t . 5 GG; Hamann, I·
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
Einige Beispiele für grundrechtlich unzulässige Ideologisierung des „Kunst"begriff s wurden bereits gegeben. Die tautologischen Umschreibungen brauchen hier nicht genannt zu werden; sie sind Legion. Ob für den Schutz des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nur subjektiv „das ernsthafte künstlerische Bestreben des Künstlers genügen" 8 1 oder i n Verbindung subjektiver mit objektiven Kriterien ein „künstlerischer Gestaltungsw i l l e " erkennbar sein soll, der objektiv eine eigenständige Gestalt als „eine neue künstlerische Wirklichkeit der Aussage" zur Folge hat 8 2 ; ob für „Kunst" i m Sinn der Verfassung der Eindruck notwendig sein soll, es sei etwas nicht Alltägliches m i t Symbolwert geschaffen, das ästhetisches Empfinden i n besonderem Maß anspreche 83 , oder die Überzeugung, es handle sich um eine „unmittelbar anschauliche Gestaltung des Schönen" 84 beziehungsweise um eine durch eine gewisse Gestaltungskraft gekennzeichnete „schöpferische Leistung" 8 5 — immer bleibt die Bestimmung des grundrechtsdogmatischen Ausgangspunkts theoretisch so verwaschen wie praktisch unnütz. M i t dem Ausweichen i n die Behauptung, künstlerische Gesichtspunkte seien für die rechtliche Beurteilung gänzlich unerheblich 86 , eine Definition von Kunst sei eben nicht möglich 8 7 ; der Sachverständige sei es, der „anerkannte KunstwissenGrundgesetz, Armi. 13 zu A r t . 5 GG; Stein, JZ 1959, 722; Ott, N J W 1963, 620; v. Hartlieb, U F I T A 28 (1959), 46 ff.; Dünnwald, F i l m u n d Recht, 1966, 55; ders., G A 1967, 38; ferner z.B. Tetzner N J W 1961, 1748; Leiss, N J W 1962, 2323; m i t Vorbehalten gegen das „Abschließende" der Definition auch Böckenförde-Greijfenhagen, JuS 1966, 362. Aus der Rechtsprechung vgl. z. B. L G Hamburg, N J W 1963, 675; O L G Hamburg, N J W 1964, 559 ff., 561; OVG M ü n ster, OVGE 14, 185, 191; O V G Münster, RdJ 1962, 55; BVerwG, RdJ 1966, 191. — Die bestenfalls tautologische, auch Wissenschaft nicht ausschließende Definition des Großen Brockhaus, Kunst sei „die Gestaltung eines geistigseelischen Gehaltes durch eine eigenwertige Form nach bestimmten Gesetzen", ist über ihre unkritische Übernahme bei v. Mangoldt-Klein , X 2 zu A r t . 5 GG, u n d seit der sich auf diese Stelle stützenden Entscheidung OVGE 14, 185, 191 insbesondere für die Rechtspraxis nachgerade kanonisch geworden. Nachweise zu dieser u n d zu verwandten Traditionsbildungen bei Knies, 128 ff., 129. Z u den bisherigen Versuchen i m Überblick ebd., 128 ff.—176; ferner Erbel, 3 ff., 13 ff. 81
So Ott, N J W 1964, 1156. So Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 362. 83 B V e r w G E 11.32.35. 84 So Zinn-Stein, Anm. 2 zu A r t . 10 der Hessischen Verfassung. 85 Bundesfinanzhof i n N J W 1960, 2359. 86 So beispielsweise B V e r w G E 1.303.305; Hamann, Anm. 13 zu A r t . 5 GG; i n beiden Fällen vielleicht mißverständlich formuliert und i m Hinblick auf ein gerichtliches Bewertungsverbot künstlerischer Qualität i m Einzelfall gemeint; jedes andere verfassungsrechtliche K r i t e r i u m w i r d jedoch verschwiegen. 82
87 z. B. Ropertz, 82, der aber die Bestimmung beisteuert, der Schutzbereich des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G umfasse „alle Betätigungen, die eine A f f i n i t ä t zur künstlerischen Idee haben", ebd., 78f., 79, auch 79 ff.; ferner etwa Leonardy, N J W 1967, 715.
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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schaftler" 88 , der die Gretchenfrage nach der Kunstqualität jeweils i m Einzelfall gutachtlich zu lösen habe, ist es andererseits auch nicht getan. Verfassungsrecht und Grundrechtsdogmatik können sich jedenfalls mit derartigen Urteils- und Gutachtenvorbehalten angesichts fundamentaler normativer Freiheitsverbürgungen nicht zufriedengeben. Kein anderes Sachgebiet entbehrt so sehr der allgemeinverbindlichen, allgemein konsensfähigen Maßstäbe wie das der Kunst. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt künstlerische Erscheinungen als oft gerade in ihrer Irregularität lebendige Wirklichkeit. Er schützt nicht eine einzelne philosophische, ethische, ästhetische Kunstauffassung, am wenigsten einen bestimmten Begriff von Kunst. Die grundrechtliche Garantie ist u m der Sache willen eingeräumt, auf die sie sich bezieht. Die Vielfalt künstlerischer Möglichkeiten mag, theoretisch gefaßt, zum „Wesen" von Kunst gehören. Verfassungsrechtlich gehört sie jedenfalls zu dem, was als „frei" geschützt sein soll. Daß Kunst sich nicht auf einen ästhetischen, ethischen oder politischen Nenner bringen läßt, ist ihre Stärke. Eine Verfassung, welche die Kunst als freie garantiert, läßt diese Erscheinung damit von Rechts wegen selbstgesetzlich sein: dieses geschichtlich vielfach wirksame, dieses sich für die Bewertung als vieldeutig, gegen heteronomen Eingriff als widerständig erweisende Phänomen m i t allen Widersprüchlichkeiten, Unwägbarkeiten und Fragwürdigkeiten einer der ursprünglichen Weisen menschlicher Weltdeutung und Weltgestaltung. Ein auch nur definitorisch fixiertes Kunstverständnis ist der Verbürgung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu unterlegen. 2. „Kunst"
in Art 5 Abs. 3 Satz 1 GG als Anknüpfungsbegriff
Der Verzicht auf inhaltliche Begriffsbestimmung von „Kunst" ist keine Kapitulation vor der Erscheinung Kunst, sondern deren juristisch allein adäquate Erfassung als verfassungsrechtlich geschützter Normbereich; er bedeutet nicht Mangel an Genauigkeit, sondern Ergebnis größerer Genauigkeit; nicht Irrationalität, sondern die Praxis entlastende Rationalität, die den Normgehalt des Grundrechts wie die Sachstruktur der sich der Fixierung entziehenden Sache ernst nimmt. Zu fragen ist nicht pseudo-ontologisch, was Kunst „ist", sondern rechtlich, wie der i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG m i t dem Wort „Kunst" evozierte Normbereich i n seiner verbürgten Freiheit umgrenzt werden kann. 88 Leonardy, ebd. (Anm. 129). Aufschlußreich und kritisch Knies, 162 ff. m i t der n u r allzu berechtigten Feststellung, das U r t e i l des Sachverständigen werde „zum punktuellen Ersatz eines generellen grundrechtüchem K u n s t begriffes", ebd., 163; ebd., 162 ff. auch Nachweise. Unkritisch dagegen Erbel, 227 f.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
Nicht um die Formulierung des Wesens von Kunst handelt es sich, sondern um die juristische Brauchbarkeit der Bezeichnung von Schutzobjekten und Schutznormen; nicht u m die inhaltliche Überfremdung oder die sich i n den „Grenzenlosigkeitsschluß" flüchtende Resignation, sondern um methodisch selbständige Verfassungsauslegung. Die B i l dung des gesuchten rechtlichen Zweckbegriffs hat davon auszugehen, daß das Wort „Kunst" i m Text der Grundrechtsgarantie diesen Bereich nicht von Verfassungs wegen inhaltlich normiert, ihn nicht de iure festlegt. Es dient als für die Andeutung des Normbereichs unumgänglicher Anknüpfungsbegriff. Als Verweisungsbegriff muß „Kunst" i m Sinn des Verfassungsrechts subsumtionsfähig sein, praktisch eindeutig umschrieben. Das steht i n Gegensatz zu allen bisherigen Versuchen inhaltlicher (wenn auch in der Formulierung noch so abstrakt, weil dadurch scheinbar „wertfrei", „allgemeingültig" gefaßter) Abgrenzung, deren A n spruch irrationale Dezision nur verbergen h i l f t und deren Geltungsradius über die W i l l k ü r dieses oder jenes Stand-Punkts nicht hinausreicht. Die Freiheitsgarantie bietet den Ansatzpunkt auch für die Methodik der Begriffsbildung. Nicht nur verbietet es der politische Sinn- und Funktionszusammenhang der öffentlichen Meinung, das nicht zuletzt i n Art. 5 Abs. GG garantierte Prinzip demokratischer Öffentlichkeit, daß „die einzelnen Diskussionsbeiträge von der Justiz auf ihre Sachlichkeit' überprüft und auf diese Weise zensiert werden" 8 9 . Auch die umfassend gewährte Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG läßt künstlerisch wertende Vor-Entscheidungen der rechtsanwendenden Organe nicht zu. Solche normverletzenden Praktiken werden auch durch die häufig getroffene Feststellung nicht entschuldigt, irgendwie müsse „Kunst" um der Wirksamkeit der sie schützenden Vorschriften willen doch definiert werden. Daß das Grundgesetz nicht nur „Kunst von besonderem Wert" schützt 90 , muß formell-begrifflich sichergestellt werden. Die schon bisher mehrfach herausgestellte Garantie eigener „Sachgesetzlichkeit" von Kunst (und von Wissenschaft) 91 ist schon bei Umschreibung des A n knüpfungsbegriffs gegen Unterwanderung durch kunstfremde Wertgesichtspunkte zu schützen. Das Rechtsgebot grundrechtlicher „Freiheit" ist zuallererst in der Auslegung zu verwirklichen. Diese muß I n Kühler, Anm. zum U r t e i l des Bundesgerichtshofs vom 21. 6.1966 ( „ H ö l lenfeuer"), i n : J Z 1967, 174, JZ 1967, 177 ff., 178 f. 90 So grundsätzlich auch B V e r w G E 23.104.105. 81 So z.B. Köttgen, GR I I , 291 ff., 293, 294, 301 ff.; ders., Das Grundrecht der deutschen Universität, 1959, 17 f., 39 ff., 41; Scheuner, V V D S t R L 22, I f f . , ζ. Β . 9 ff., 45, 56 ff.; Hesse, Grundzüge, 117 f., 152 ff.; Erbel, 56, 106 u. ö.; Knies, 205 ff. u. ö.; Heckel, 71 f., 97 ff. („offener", nicht inhaltlich bestimmter K u n s t begriff der Verfassung), 105 ff. speziell zur Eigengesetzlichkeit kirchlicher K u n s t auf dem Hintergrund „innerer Sachgesetzlichkeit" von Kunst überhaupt (103 f.); Ridder, ζ. B. 11 f.; Geiger, FS Leibholz I I , 191 ff.
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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strumente zur Verfügung stellen, die sich gegen Aufladung m i t weltanschaulichen, politisch-sozialen und sonst ideologischen, das heißt hier: außerkünstlerisch-normativen Funktionsbedeutungen sperren. Die Definition von „Kunst" darf i m Wortsinn in der Tat nur Grenzbestimmung sein: eine formale „Linie", die aufgrund sorgfältiger Strukturanalyse des Normbereichs „Kunst" der Praxis hinreichende Handhaben für alle Typen von Rechtsfragen der Kunstfreiheit liefert, ohne das als „frei" Verbürgte a priori zu präjudizieren. Nur dann ist, u m es zum Schlagwort zu verknappen, der „weltanschaulich neutrale Staat" 9 2 des Grundgesetzes gemäß der Garantie des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG auch „ästhetisch neutral". 3. Fehlen
eines
Gesetzesvorbehalts
Zweiter Ansatzpunkt ist die Überlegung, die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten dieses Grundrechts lägen nicht, wie bisher zumeist angenommen, i n der Definition des Anknüpfungsbegriffs, sondern i n der auf die allgemeine Grundrechtslehre zurückführenden Problematik der Konkretisierung vorbehaltlos garantierter Grundrechte. „Kunst" kann, ohne übertriebene Bedeutungsfracht und unter Verzicht auf „elitär" verengende Wertungen, nach den entwickelten Grundsätzen definiert werden, ohne daß dadurch schon wegen des „zu weiten" Kunstbegriffs ein das Geflecht verfassungsrechtlicher Zuordnungen sprengender „Höchstwert" der Kunstfreiheit usurpiert zu sein braucht. Vorbehaltlose Garantie bedeutet nicht: durchweg privilegierende Freistellung von der Rechtsordnung, sondern: Unverkürzbarkeit des sachspezifisch Geschützten, der Eigen-Art, d. h. der auf andersartige Sachverhalte und Bezugssysteme nicht mehr reduzierbaren Elemente des Normbereichs. W i r d ein Objekt als „Kunst" i. S. von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG qualifiziert, so sind mit diesem juristischen Zwischenergebnis beispielsweise weder seine Verbreitung gegenüber Kindern und Jugendlichen noch die strafrechtliche „Immunität" seines Erzeugers oder Verbreiters gesichert. Solange dagegen der Anknüpfungsterminus „Kunst" des grurrdrechtlichen Normtextes mit aller Erdenschwere sämtlicher Rechtsfragen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG belastet bleibt, w i r d die dann unausweichliche Irrationalität rechtlicher Bewertung die Fragen der Kunstfreiheitsgarantie wie bisher i n unsicherer Kasuistik versanden lassen. Statt dessen ist sie nach den Möglichkeiten einer i m Umkreis der normativen Anordnung verallgemeinernden und damit rechtsstaatlich klärenden Bereichsdogmatik und Verfassungstheorie der Kunstfreiheit zu rationalisieren. 92
z. B. BVerfGE 12.1 ff. 4.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
4. Strukturelle
Vielfalt
des Normbereichs
„Kunst"
Ein dritter Aspekt macht darauf aufmerksam, daß inhaltlich konzipierte Allgemeinbegriffe der herkömmlichen A r t beanspruchen, allen Aktivitäten auf dem weiten Feld des Kunstlebens als verfassungsrechtliche Fundierung der vielfältigsten rechtlichen Streitfragen und Konfliktmöglichkeiten genügen zu können. Das ist wegen der Sachgeprägtheit grundrechtlicher Garantien illusionär. „Kunst" in dem durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Umfang umschließt Kunstprodukte aller Gattungen, enthält strukturell eine unerhörte Fülle menschlicher Ausdrucksleistung. U m einer abstrakt-verbalen Scheinfolgerichtigkeit w i l len kann nicht alles zwischen Streichquartett und Bauwerk verfassungsrechtlich einheitlich behandelt werden. Ein alle Aktivitäten von der Skizze bis zur Ausstellung, alle Gattungen von der Graphik bis zur Pantomime umfassender rationaler und praktisch verwertbarer Substanzbegriff ist nicht zu bilden. Der Normbereich „Kunst" weist zahlreiche i n sich eigengeprägte Strukturen auf. Sie sind nicht als Teile eines sachlich einheitlichen Phänomens, sondern als gleichwertige, je eigenständige Ausdrucksformen zu sehen. Nur unter außer künstlerischen Gesichtspunkten — etwa denen der Psychologie, der Soziologie, der Philosophie — sind sie zu „der" Kunst abstrahierbar. Sache einer Grundrechtsgarantie, die gerade die „Freiheit" eigengeprägten Wirkens einräumt, ist es nicht, solche Unterschiede in der Sache selbt zu nivellieren. Ideologische Wertungsbegriffe sind wegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unzulässig. Tautologische Umschreibungen sind für die Rechtspraxis unbrauchbar und für die Rationalität ihrer Entscheidungen gefährlich. „Kunst" i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist wegen der sachlichen Vielgestaltigkeit des grundrechtlichen Normbereichs strukturell nicht fixierbar, ist also eher ein Wort als ein Begriff. „Kunst" ist nicht mehr als eine konventionell gebrauchte Bezeichnung, die insoweit zulänglich auf den Normbereich i n seiner vielfältigen, nicht generalisierbaren Eigenart verweist. Anders kann etwa der Begriff der politischen Partei i n Art. 21 GG strukturell so bestimmt werden, daß die von Art. 21 normierten Freiheiten nicht schon durch die Definition verkürzt werden. Ähnliches gilt zum Beispiel auch für „Vereine und Gesellschaften" in A r t . 9 Abs. 1 GG und für „Ehe und Familie" in Art. 6 Abs. 1 GG, wo es sich um rechtserzeugte und weitgehend rechtlich ausgestaltete Normbereiche handelt. 5. Gattungstypik Bei dem nicht-rechtserzeugten Gesamt-Normbereich „Kunst" sind strukturelle Umschreibungen nur für einzelne Typen künstlerischer A k t i v i t ä t und für einzelne Werkgattungen möglich. Sie sind aber auch ausreichend. Die Tätigkeit des Ausstellens von Gemälden i n Ausstel-
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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lungsräumen ist typologisch als A k t i v i t ä t in Zusammenhang mit Kommunikation von Kunst, das einzelne Gemälde ist als Exemplar einer bestimmten Werkgattung aus dem Umkreis der bildenden Künste kontrollierbar zu bestimmen. Damit ist der für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zureichende Anknüpfungspunkt gegeben. Nicht nur bedarf es nicht eines alle Aktivitäten i m Kunstleben, alle Werktypen künstlerischer Produktion umfassenden Allgemeinbegriffs. Ein solcher ist auch aus den genannten Gründen bei tautologischer Fassung überflüssig und gefährlich, bei ideologischer (inhaltlicher) Fixierung grundrechtswidrig. Was der „Anwendung" der Allgemeinbegriffe der bisherigen Lehre und Rechtsprechung i m Einzelfall jeweils zugrundelag, war denn auch erkennbar nichts anderes als die empirischen Strukturmerkmale der einzelnen jeweils zur Entscheidung stehenden Gattungen künstlerischer Produktion oder Kommunikation. Daß „Notre Dame des Fleurs" ein Roman i m gattungstypischen Sinn sei, hat noch kein damit befaßtes Strafgericht bezweifelt. Die Frage nach der grundrechtlichen „Tatbestandserfüllung" war damit für den Anknüpfungsbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 i n rationaler, nachprüfbarer, diskutierbarer (bzw. nicht mehr zu diskutierender, weil offenkundiger) Weise beantwortet. Die Frage, ob Jean Genets Verleger strafrechtlich belangt und ob Exemplare und Druckstöcke des Werks vernichtet werden konnten oder nicht, war in keinem Fall mehr vom Gegebensein des Anknüpfungstatbestands „Kunst", sondern allein von der Dogmatik des vorbehaltlos garantierten Grundrechts der Kunstfreiheit und von der verfassungsrechtlichen Vermittlung von Grundrecht und Strafnorm(en) aus zu beurteilen. I n grundsätzlicher Verkennung der verfassungsrechtlichen Fragestellung haben statt dessen Gerichte und Interpreten die ausgedehnten und nur differenziert lösbaren dogmatischen Fragen in den nicht-normativen, weil nur umgangssprachlich-konventionellen Anknüpfungspunkt „Kunst" des grundrechtlichen Wortlauts zu pressen versucht. Der insoweit herausgearbeitete Normgehalt der Freiheitsgarantie läßt nur die sachspezifische Eigenart künstlerischer Erscheinungen respektierende Strukturbegriffe zu. Die Forderung nach rationaler praktischer Brauchbarkeit der (verfassungs-) rechtlichen Begriffsbildung und das Gebot rechtsstaatlicher Norm- und Methodenklarheit erlauben nur individualisierte Strukturbegriffe. Nur eine gattungstypische Differenzierung des Wortes „Kunst" i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG w i r d der Gewährleistung gerecht 93 . Nicht auf den „Tätigkeitstyp", der in sich sehr 93 Ansätze i n dieser Richtung bei Leisner, U F I T A 48 (1966), 47 ff., der zu Recht eine material-qualitative Bestimmung des Kunstbegriffs ausschließt, seinen technischen Kunstbegriff allerdings zu wenig v o m Normgehalt des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG her sieht; i n diesem Sinn auch die zutreffende K r i t i k von Knies, 219 Anm. 202, 221 A n m . 209; ferner bei Lerche, Werbung und V e r -
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
i n k o h ä r e n t s e i n k a n n (die „ T ä t i g k e i t des B i l d h a u e n s " besteht b e i w e i t e m n i c h t n u r aus B i l d h a u e n ) , w i r d dabei abgestellt, s o n d e r n auf d e n W e r k t y p , h i e r also: auf d i e P l a s t i k , das B i l d w e r k . Dieses ist auch i n G r e n z f ä l l e n oder b e i erst i n j ü n g e r e r Z e i t der K u n s t g e s c h i c h t e a u f getretenen Erscheinungsformen (ready-made, objet trouvé, M o b i l e u n d ähnliches) t y p o l o g i s c h e i n d e u t i g erfaßbar, w ä h r e n d die T ä t i g k e i t selber e t w a b e i m r e a d y - m a d e , das als k ü n s t l e r i s c h e r W e r k t y p a n z u e r k e n n e n ist, n i c h t als spezifisch erscheinen m u ß . N i c h t n u r w e g e n solcher G r e n z p h ä n o m e n e , d e n e n v e r g l e i c h b a r e aus L i t e r a t u r u n d M u s i k h i n z u z u f ü g e n w ä r e n , s o n d e r n w e g e n d e r (bei der s p ä t e r f o l g e n d e n N o r m b e r e i c h s analyse h e r v o r t r e t e n d e n ) z e n t r a l e n B e d e u t u n g der k ü n s t l e r i s c h e n O b j e k t i v i e r u n g i m W e r k w i r d h i e r ausschließlich a u f eine k u n s t w e r k bezogene G a t t u n g s t y p i k abgehoben. D i e m i t d e r P r o d u k t i o n u n d K o m m u n i k a t i o n der W e r k e spezifisch 9 4 v e r b u n d e n e n T ä t i g k e i t e n ( g l e i c h g ü l t i g , ob sie „ a l s solche" spezifisch „ k ü n s t l e r i s c h " s i n d oder nicht) s i n d w e g e n der h i e r h e r a u s g e s t e l l t e n verfassungsrechtlichen G l e i c h r a n g i g keit subjektiver und objektiver Komponenten der Kunstfreiheitsgarant i e m i t gleicher W i r k s a m k e i t geschützt. 6. Abgrenzung
der
Werktypen
Die Abgrenzung v o n W e r k t y p e n ist konventionell nicht i n dem Sinn, daß n u r b i s l a n g b e k a n n t e W e r k g a t t u n g e n d e n Schuz des G r u n d r e c h t s fassung, der neben der allgemein-materiellen Wertung der Kunstfreiheitsgarantie als der Gewährleistung eines autonomen Sachbereichs (88 f.), neben der resignierenden Feststellung, Kunst >sei „wesensgemäß" einer abschließenden Definition entzogen (89), u n d neben einer an die gewohnten Allgemeinbegriffe erinnernden Aussage, eine 'typische Eigenschaft künstlerischer Gestaltung bestehe i n „der persönlichkeitsgebundenen Präsentation eines geistig-seeliischen Eigenwerts" (90), zu Recht darauf abhebt, für die Frage des grundrechtlichen Schutzes müsse es genügen, wenn „ein traditioneller T ä t i g keitstyp" vorliege: ein „Malen", „Bilidhauen" u n d so fort. Kritisch Knies, 220 A n m . 207. — Erbeis Kuns'tdefinition ist entgegen ihrem Anspruch i m wesentlichen nicht „formal" u n d „wertdifferenzierungsfrei". M i t dem „Lebensbereich der schöpferischen Künste" und dem „Schaffen u n d Publizieren", ebd., 93 f., ist zutreffend der Umfang der Garantie angegeben. I m einzelnen hingegen fällt die Ausstattung des Kunstbegriffs m i t ungenauen inihaltlichwertenden Elementen wieder auf die Ebene der h i e r kritisierten Allgemeinbegriffe zurück; zu Recht kritisch daher Knies, 219 f. A n m . 203 u n d Leonardy, N J W 1967, 715, der allerdings seinerseits n u r den Ruf nach dem Gutachten des Sachverständigen beisteuert. — I m Ergebnis weitgehend w i e hier Knies, 214 ff., 217 ff., der zu Recht die Fragestellung von der Freiheitsgaranitie des Grundrechts her entwickelt, zu einem Verbot qualitativer Definition und Differenzierung (im Hinblick auf die Schranken des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG) sowie zum grundrechtlichen Kunstbegriff als einer „technisch-formalen K a t e gorie" k o m m t : die Tätigkeit u n d die Ergebnisse des Malens, Bildhauens, Dichtens u n d so fort seien von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 geschützit. Das Abheben auf die „ T ä t i g k e i t " u n d die Qualifizierung des Werks n u r als „Ergebnis" dieser Tätigkeit erscheint typologisch noch zu wenig differenziert. I m praktischen Ergebnis d ü r f t e sich kein Unterschied ergeben. 94
Wie w e i t das Spezifische reicht, ist i n V e r m i t t l u n g der Strukturen des
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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genießen könnten 9 5 . Sie ist es aber i n der Richtung, daß eine Werkgattung Merkmale an sich zu tragen hat, die sie potentiell als konventionsbildend ausweisen. Die i n Neuschnee geritzte Zeichnung entfällt unter diesem Aspekt. Das Happening w i r d sich zumindest einer skeptischen Diskussion zu stellen haben. Ein Konsens von Kunstpublikum und/oder Rechtslehre und Rechtsprechung w i r d sich jedenfalls erzielen lassen, in welchem Sinn auch immer die Entscheidung zu einzelnen neuen, aus anderen Gründen problematischen oder zu problematisch gewordenen Werkgattungen ausfallen mag. Nicht ist hingegen die Konsensfähigkeit für „Kunst" i m Sinn der bisher üblichen tautologischen Leerformeln oder ideologischen Wert-Unbegriffe gegeben. Die möglichen Kontroversen u m die Anwendung oder Nichtanwendung an „Kunst" anknüpfender Rechtsnormen werden damit enger begrenzt. Zugleich werden sie von der Erscheinungsweise der Kunst her sinnvoll aufgegliedert und angesichts der Freiheitsgarantie in einer Weise präzisiert, die das Grundrecht nicht unterläuft. Der Vorschlag verschiebt die jeweils konkreten Entscheidungsprobleme. I n den Geisteswissenschaften, auch i n der normativen der Jurisprudenz, sind „absolut" differierende Konzeptionen i m Sinn der Evidenz der exakten Wissenschaften ohnehin fiktiv. Die Verschiebung bringt aber wegen der genaueren Fassung der Frage größere Durchsichtigkeit der Entscheidungsalternativen und ungleich verläßlichere Entscheidungshandhaben für die Praxis m i t sich, ohne dadurch den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zum rechtlich unbegrenzten „Höchstwert" zu befördern. Diese unbegründete Furcht der bisherigen Lehre und Rechtsprechung war, wie gezeigt wurde, weder aus dem Begriff noch aus dem grundrechtlichen Normgehalt begründet. Sie entsprang der grundsätzlichen Verkennung von A r t und Ort der grundrechtsdogmatischen Probleme. Ganz sind Wertungen, i m Einzelfall als ultima ratio methodisch auszuweisen und zu begrenzen, in Grundrechtsfragen nicht ausschaltbar. Hier folgen sie aus dem Formanspruch, den die allgemeine Werkgattung „Roman", „Graphik" und so fort als solche stellt. Nicht länger aber kommen sie aus philosophischen, ethischen, ästhetischen, soziologischen Prämissen, deren inhaltlich fixierender Vorgriff durch die abstrakte Fassung der „Kunstbegriffe" der genannten A r t nur unvollkommen verschleiert wurde. Dem Recht fällt es leichter als der Philosophie, Theologie, Ästhetik, Ethik und politischen Ideologie, Kunst „frei" zu lassen, ohne ihr einen Bezugs- und Bewertungsrahmen außerkünstlerischen Anspruchs aufzunötigen, ohne sie i n den Dienst der eigenen Normbereichs m i t dem grundrechtlichen Normprogramm des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G gleichfalls noch i m folgenden zu entwickeln. 95 Insofern- zumindest mißverständlich Lerche, Werbung u n d Verfassung, 89.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
außerkünstlerischen, „Geltung" fordernden Systematik der Wertungen zu nehmen. Unter einer Verfassungsordnung vollends, die Freiheit der Kunst als Grundrecht m i t unmittelbarer Geltung einräumt, ist solches Freilassen verbindliche Norm. Daß ein Objekt, um i m Sinn einer formal umschriebenen Werkgattung „Kunstwerk" zu sein, bestimmten Anforderungen seiner Geformtheit oder, wie i m Fall der objets trouvés und verwandter Gattungen, jedenfalls seiner Präsentation zu genügen hat, daß also gewisse (minimale) Qualitätsanforderungen auch dem gattungstypisch aufgefächerten Kunstbegriff zugrundeliegen, ist vom eigenen Anspruch des Werks her keine die Kunstfreiheit verkürzende Anknüpfung. Diese A r t der Wertung ist insofern von jener der kritisierten Kunstbegriffe wesentlich verschieden. Erst die Nichtzugehörigkeit zu einer (als solcher anerkannten oder potentiell „anerkennungsfähigen") Kunstgattung, beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer „Kunst" ausgrenzenden Gattung .(Sachbuch, politisches Pamphlet, unorganisierter — also nicht: aleatorisch organisierter — L ä r m und so weiter) verhindert die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Für individuelle Grenzfälle werden die bisher überbeanspruchten und unter dem Gattungsbegriff von „Kunst" noch nicht überflüssigen Sachverständigen „materielle" Gesichtspunkte beizutragen haben. Die weit überwiegende Zahl von Fällen jedoch, i n denen die Gattungsqualifikation der fraglichen Werke überhaupt nicht zweifelhaft ist, i n denen verfehlte Kunstbegriffe bisher gleichwohl die Gerichte entweder zu unzulässigem staatlichem Kunstrichtertum drängten oder sie dem Spott künstlerischer wie auch juristischer Fachleute preisgaben, ist ohne Expertenorakel zu meistern 96 . Aus der Individualität künstlerischer Werke w i r d nunmehr der (von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG normativ geforderte) Schluß gezogen, auf materielle Bewertung generalisierender A r t zu verzichten; nicht aber der bisher gebräuchliche, diese Individualität aus Unverständnis für die Funktion des Wortes „Kunst" i m grundrechtlichen Normtext ihrerseits zu einem inhaltlichen Begriffsbestandteil zu machen, unter den es zu subsumieren gelte; an dem das fragliche Werk also nachzuweisen habe, ob es denn auch wirklich „individuell" sei. Das auch bis96 Eine Identität der verfassungsrechtlichen u n d urheberrechtlichen K u n s t begriffe ist d a m i t nicht behauptet. Doch steht die Rechtsprechung, die auf „echte K u n s t " abheben möchte, m i t i h r e r Ablehnung des urheberrechtlichen Kunstbegriffs als „zu w e i t " von der hier vorgeschlagenen Konzeption aus auf schwankendem Boden; vgl. etwa B V e r w G E 35.318 ff., Leitsatz 5 u n d 327 f. i n bezug auf § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS. Der Kunstbegriff des Jugendschutzrechts und der des Urheberrechts sind allerdings funktionell unterscheidbar; ebd., 327 f. Z u m Kunstbegriff des Urheberrechts vgl. Würtenberger, JuS 1968, 320 ff. m. Nw.en u n d eingehender Erörterung; ebd., 322, zum Begriff des Kunsthandwerks, das i m Sinn der hier vorgeschlagenen Gattungstypik gleichfalls als Gattung eigener A r t anzusehen und i n dieser Fassung i m H i n blick auf Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum Normbereich des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G zu diskutieren ist.
V I I . Entwicklung des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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her immer schon bemerkte Dilemma, das „Wesen" von Kunst „eigentlich" nicht definieren zu können, „Kunst" schützende Normen aber praktisch anwenden und ihren Bezugspunkt daher abgrenzen zu müssen, ist lösbar. 7. „Kunst"
in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als Rechtsbegriff
Es löst sich, wenn der Grundrechtscharakter dieser Freiheitsgarantie i n Rechnung gestellt und die Frage nicht i m engen Rahmen eines allzu sehr spezialisierten „Kunstrechts", sondern vor dem Hintergrund der Strukturprobleme von Verfassungskonkretisierung und Grundrechtstheorie behandelt wird. Nur dann auch ist der Kunstbegriff als ein nach dem „Wesen" der Sache, die er in normativem Zusammenhang nennt, nicht fragender, als ein i n seinem Erkenntnisanspruch bescheidener, aber für praktische Rechtsanwendung funktionsfähiger und rational transparenter Rechtsbegriff zu fassen. Diesem entgleitet jede weihevolle, der Sicht feiertäglicher Konsumtion entstammende Auffassung „der" Kunst als eines „höheren Wertes", sei es der Menschheit, sei es sogar der Nation. Die bisherigen Kunstbegriffe der Rechtslehre und Rechtspraxis konnten dagegen angesichts ihrer Osmose mit me ta juristischen Wertvorstellungen besten Karats stets auf Respekt rechnen. Solcher Respekt blieb aber gleichfalls ohne stabilisierenden Wert für die Normkonkretisierung. Wegen der i m Vergleich mit anderen verfassungsrechtlichen Normbereichen minimalen Objektivierbarkeit künstlerischer Wertprobleme ist ein materieller Allgemein „begriff" von Kunst nicht wie eine Reihe anderer wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe durch den unterstellten Konsens aller billig und gerecht Denkenden zu stabilisieren. Hier geht es nicht um Fragen der Billigkeit und Gerechtigkeit, sondern um solche heteronom nicht ableitbarer, wenn auch ihrerseits sozial wirksamer Kreativität. I m übrigen ist auf dem Feld der Kunstbewertung die Streubreite gleich gut begründbarer Werturteile weit größer als i n anderen rechtlichen Normbereichen, ist die ideologische Bedingtheit der Urteile weit schwieriger nachzuweisen als dort. Allgemeinste Entwicklungen von Meinungen über „die Klassiker", „die moderne Kunst" und ähnliches haben i m Rechtssinn auch deshalb keinen Konsenscharakter, weil die bekannte Formel nicht nur Billiges und Gerechtes, sondern zunächst vor allem Denken voraussetzt. Für den gattungstypologischen Begriff ist wegen seines formalen und juristischen Charakters eine „Wertausfüllung" dieser A r t nicht erforderlich. Die Gerichte werden, in nicht auszuschließenden Grenzfällen auch m i t der Hilfe Sachverständiger, genügend Kriterien empirischer Natur zur Verfügung haben, die zusätzlich auch aus der A r t der Dar-
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
bietung begründbar sind. Das Gedicht auf der Papierserviette 1st „Kunst" i. S. des Grundrechts. Die Zeichnung auf dem Bauzaun ist es (gleich, ob obszön oder nicht; gleich, ob von Kinder- oder Erwachsenenhand gefertigt) typologisch nicht; es sei denn, der Bauzaun werde demontiert und i n einer Ausstellung dargeboten. I m Zeichen der Pop-Art könnte das auch mit nicht bekritzelten Bauzäunen geschehen: auch sie sind als (inzwischen, seit dem Dadaismus, sogar schon „traditionell" gewordene) Gattung „objet trouvé" oder „ready-many" „Kunst" i. S. des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Etwaige affektive Reserven gegen dieses Ergebnis wären noch der „hohen" oder der Kunst „ i n des Wortes höchster Bedeutung" verhaftet und übersähen die dogmatische Struktur des Grundrechts der Kunstfreiheit. Die Frage: Ist der (bekritzelte) Bauzaun „Kunst" i m Sinn des Verfassungsrechts oder nicht?, ist nicht länger der für solche Belastung denkbar ungeeignete und die Kunstfreiheit schon i m Ansatz in Frage stellende Angelpunkt der rechtlichen Beurteilung. Sie ist allein i h r Anknüpfungspunkt. Der Pop-Artist kann wegen Diebstahls des Bauzauns, wegen Sachbeschädigung, wegen Verbreitung unzüchtiger Abbildungen strafbar und außerdem zivilrechtlich schadensersatzpflichtig sein, ohne daß die spezifische Grundrechtsgarantie der Kunstfreiheit entgegensteht. Diese dogmatischen Linien werden i m einzelnen noch zu entwickeln sein 97 . Für das Verhältnis von Werkgattung und Darbietungsgattung ergibt sich schon jetzt, daß die Darbietungsgattung grundsätzlich konventionell sein wird, während die Werkgattung offenbar in weiterem Maß der Revolte künstlerischen Ausdrucks offen steht; von jener i m individuellen Werk, die hier nicht zu untersuchen ist, zu schweigen 98 . 97 Beispiele f ü r Gattungsunterscheidungen i n der bisherigen Rechtsprechung ζ. B. i m Urt. des V G H Baden-Württemberg v o m 28. 7.1964, BaWüVBl. 1967, 103 (Stadttiheater und Zimmertheater — Marionettentheater unter Gesichtspunkten des A r t . 3 Abs. 1 GG bei der Subventionierung); B V e r w G E 23.104.111 m i t interessanten Aspekten zur Präsentation i m Hinblick auf die Selbsteinschätzung des Verlags, die Veröffentlichung i n 'bestimmten ( K r i m i etc.)Buchreihen; allerdings v o m Ausgangspunkt eines materiellen Allgemeinbegriffs von K u n s t i m S i n n der „Durchgeistigungs"- und „Veredelungs"lehren her. — K r i m i n a l r o m a n u n d „literarischer K r i m i n a l r o m a n " lassen sich gattunigstypologisch durchaus unterscheiden, wobei, w i e ausgeführt, i n Grenzfällen auch Wertgesichtspunkte wegen der formalen Differenz künstlerischen Anspruch erhebender und künstlerisch nach der A r t der Präsentation (Einzelveröffentlichuntg, Buchreihe, Groschenheft etc.) anspruchsloser Gattungen zur Geltung kommen. Auch k a n n das U r t e i l des Sachverständigen, bisher i n jedem F a l l m i t der Zentralfrage des Kunst-Rechtsfalls belastet, i n Ausnahmefällen die individuelle „Kunst"quali'tät einer nach A r t einer nichtkünstlerischen Gattung präsentierten Arbeit nachweisen. Solche Grenzfälle sind unschädlich, da der formalisierte Wertungscharaikter gattungstypischer Unterscheidung bewußt gehalten w i r d . Die w e i t überwiegende Z a h l der Fälle w i r d unproblematisch sein. — Wertvolle Untersuchungen zur Gattungstypik sind v o m Urheberrecht her bereits geleistet worden; vgl. Kummer, Das u r heberrechtlich schützibare Werk, 1968. 98 Vgl. die Beispiele bei Kummer, 75f.; zur Revolution i n den Ausdrucks-
V I I . E n t w i c k l u n g des verfassungsrechtl. Anknüpfungsbegriffs „ K u n s t "
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Von der hier vertretenen Grundrechtsauffassung aus ist ferner schon an dieser Stelle festzuhalten: Zwar besteht ein „qualitatives Differenzierungsverbot" 90 , das heißt, daß A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG die verschiedene rechtliche Behandlung einelner Kunstwerke auch i m Hinblick auf die Freiheitsbeschränkungen je nach ihrer künstlerischen Qualität, nach ihrem formalen und expressiven Niveau verbietet. Aber auf der anderen Seite gehört ein gattungstypisches Differenzierungspebot zum Geltungsgehalt der Kunstfreiheitsgarantie. Die normativ-sachliche Freiheitsgarantie hat für ein Gedicht nicht in jeder Hinsicht, vor allem nicht für die Modalitäten des Kommunikationsbereichs und für die möglichen Kollisionen m i t der Rechtsordnung, gleichen Inhalt wie für ein Bauwerk, für einen Spielfilm nicht dieselben rechtlichen Wirkungen zur Folge wie für ein Gemälde, für das Original nicht dieselben wie für seine massenhafte Reproduktion. V I I I . Zur Problemstellung einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
Als eines der Ergebnisse sei nochmals festgehalten, daß die „elitäre" Verengung des „Kunst"begriffs i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als Versuch einer Kompensation der vorbehaltlosen Gewährleistung das Grundrecht verletzt und überdies einen für rechtsstaatliche Praxis untauglichen, weil nicht subsumierfähigen materiellen Allgemeinbegriff von „Kunst" zum Ergebnis hat. Soweit ersichtlich, bietet allein die gattungstypische Auffächerung des Normbereichs „Kunst" der Rechtspraxis konkrete Handhaben. Sie vermeidet es, das als „frei" Garantierte schon bei der definitorischen Begriffsbestimmung des Grundrechtsgehalts verfassungswidrig zu verkürzen. Derselbe Einwand t r i f f t i m Ergebnis die besprochenen Thesen, die i n direkter oder „mittelbar-interpretativer" Ausdehnung der Begrenzungen des Art. 2 Abs. 1 GG, durch Unterstellen aller Grundrechte unter die „allgemeinen Gesetze" und Bestimmen ihrer Zuordnungsrelationen durch permanente „Güterabwägung" oder auf dem Weg über eine materiell-allgemeine Mißbrauchsdoktrin allen, auch den vorbehaltlos garantierten Grundrechten gleichartig strukturierte Grenzen ziehen wollen. Diese Lehren gehen darüber hinweg, daß die positivrechtlichen Freiheitsgarantien als Schutzverbürformen aller künstlerischen Hauptgaittungen ebd., 70 ff.; zum (urheberrechtlichen, aber i n Einzelelementen f ü r den gattungstypischen Kunstbegriff des Verfassungsrechts brauchbaren) Werkbegriff: 5 ff., 80; zu einzelnen Gattungen u n d Gattungsgruppen: 10 ff. (Vorgegebenes: Alltagsgegenstände). 102 f. (in der N a t u r Vorgegebenes), 103 ff. (objets trouvés, ready-mades), 138 ff. (Tanz, Schaubühne), 141 ff. (Musik und Geräusche), 143 ff. (elektronische u n d konkrete Musik, Geräuschkulissen), 152 ff. (zweckbedingter und zweckfreier Lärm), 165 f. (Kombination artungleicher Ausdrucksmittel, Film), 170 ff. (Handarbeit u n d Automat), 193; 221 f. (Kunsthandwerk). 99 Knies, 221.
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1. Teil: Versuche einer Begrenzung der Kunstfreiheitsgarantie
gungen von Verfassungsrang für einzelne sachgeprägte Normbereiche aufzufassen sind, deren politischer und rechtlicher Freiheitswert sich nach historischer Erfahrung von öffentlicher Gewalt besonders bedroht sieht und deren verfassungsrechtliche Freiheitsgewährung einen Verfassungsstaat wie -den des Grundgesetzes an hervorragender Stelle sachlich legitimieren hilft. Die materiell-allgemeinen Begrenzungsversuche sind ein Symptom für den noch nicht genügend entwickelten, i n Wissenschaft und Praxis noch nicht zu einem hinreichend soliden traditionsbildenden Konsens gelangten Stand der Verfassungsinterpretation und hier i m besonderen der nicht zuletzt durch Rationalisierung der Normbereiche gestützen Bereichsdogmatik der Grundrechte. Solche Bereichsdogmatik entwickelt auch die Kontaktlinien, an denen die grundrechtlich geschützten Normbereiche mit Vorschriften der Rechtsordnung zusammentreffen. Das ist bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten ebenso möglich wie bei Grundrechten m i t Gesetzesvorbehalt. Bei diesen stellen der Vorbehalt und die Rechtfertigung grundrechtseingreifender Vorbehaltsgesetze an seinen Voraussetzungen (daneben, wie stets, an sonstigen einschlägigen Verfassungsnormen) zusätzliche Untersuchungspunkte dar. Der auf befahrener Straßenkreuzung den Verkehr behindernde plein-air-Maler hat dazu — u m das i n der Literatur zur Kunstfreiheit mehrfach gegen die {scheinbare) „Schrankenlosigkeit" des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ins Feld geführte Beispiel aufzugreifen — kein Recht. Er hat es deshalb nicht, weil, wie bei der A n alyse des Normbereichs der Kunstfreiheitsgarantie noch zu zeigen sein wird, dieses Grundrecht nur kunst-spezifische Strukturnotwendigkeiten künstlerischer Produktion und Kommunikation schützt, nicht aber unspezifische Modalitäten „bei Gelegenheit" der Grundrechtsausübung. Nicht aber kann, um den Maler von der Kreuzung zu entfernen, A r t . 2 Abs. 1 m i t seiner Schrankentrias unmittelbar oder mittelbar auf dem Weg der „Nichtstörungsschranken" samt der polizeilichen Generalklausel auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ausgedehnt werden; nicht unterliegt das malende Verkehrshindernis den „allgemeinen Gesetzen" i. S. des Art. 5 Abs. 2 GG, nicht auch ebendiesen deshalb, weil hier die Flüssigkeit des Straßenverkehrs (oder das i n Überspannung konstruktiver Jurisprudenz herangezogene Grundrecht der Verkehrsteilnehmer auf freie Fahrt — was hier zur unheilschwangeren Kollision zweier Grundrechte und zum notwendig nur mangelhaft rationalen Versuch ihrer „Abwägung" führen würde) das „höhere" Rechtsgut gegenüber der Freiheit künstlerischen Schaffens wäre; schließlich auch nicht deswegen, weil solches T u n ein Mißbrauch der Grundrechtsaktualisierung wäre: Es ist nicht einmal Gebrauch der Freiheitsverbürgung.
2. Teil
Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit I . Ausschaltung von Drittwirkungsfragen
Wie weit der Gebrauch des Grundrechts reicht, muß von einer die Kunstfreiheitsgarantie i m ganzen umfassenden Dogmatik entwickelt werden. Ein Ausschluß von Fällen, die herkömmlich als solche der sogenannten D r i t t w i r k u n g bezeichnet werden, kann den Umfang dieser Dogmatik nicht einschränken. I m Gegenteil w i r d die Dogmatik genauer als bisher herauszuarbeiten haben, wo Fälle von D r i t t w i r k u n g und wo solche normaler Grundrechtsgeltung gegeben sind. Enthält ein literarischer Text, der einer Werkgattung i m Sinn des Begriffs „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG angehört (Gedicht, Roman, Erzählung etc.) eine aus dem Kontext heraustretende, deutlich genug isolierbare Beleidigung oder Verleumdung eines andern, so kann die Grundrechtsfrage nicht m i t der Überlegung ausgeschaltet werden, i m Verhältnis zwischen dem Künstler und dem beleidigten oder verleumdeten Privaten habe das Grundrecht der Kunstfreiheit wegen der gebotenen Ablehnung einer umfassenden D r i t t w i r k u n g keine Gültigkeit. Damit wären die Grundrechtsfragen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG auf direkte staatliche Eingriffe, etwa auf polizeiliche Einschränkungen der Kunstfreiheit (Schließen einer Ausstellung, Verbot einer Theateraufführung, Verweisen eines Malers von der Straßenkreuzung) eingeengt. Diese Einengung müßte den grundrechtlichen Geltungsgehalt verfehlen. Das Stellen einer Strafanzeige gegen den Künstler ist noch keine Verletzung des grundrechtlichen Normbereichs. Erst die gerichtliche Bestrafung wegen der Beleidigung oder Verleumdung beeinträchtigt seine Rechtsstellung. Ob die Strafe eine rechtliche oder tatsächliche Beschneidung eines vom Grundrecht aus spezifischen Freiheitsbereichs betrifft oder eines Bereichs, der grundrechtsindifferent ist, muß dogmatisch noch geklärt werden. A u f jeden Fall hat m i t dem Gericht ein Träger öffentlicher Gewalt durch das Urteil den Verletzungstatbestand gesetzt. Das Grundrecht gilt unmittelbar. Das ist immer dann der Fall und immer dann entsteht kein Problem der Drittwirkung, wenn ein Grundrechtsträger von einem Träger öffentlicher Gewalt in Anknüpfung an eine Grundrechtsaktualisierung rechtlich oder unmittelbar tatsächlich beeinträchtigt wird. Die Sanktion braucht dabei nicht i n das durch die 4 Müller, Kunst
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2. T e i l : Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
Anknüpfungshandlung ursprünglich aktualisierte Grundrecht einzugreifen. Der F a l l ist auch dann ein Problem der Kunstfreiheit, wenn der Künstler durch eine Freiheitsstrafe i n seinem Grundrecht aus A r t . 2 Abs. 2 Satz 2 GG oder durch eine Geldstrafe i n seinem Eigentum verkürzt wird. Entscheidend für die Anwendbarkeit des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nur, ob die Anknüpfungshandlung, das Ausstellen oder Malen des Gemäldes und so fort, nur als Modalität „bei Gelegenheit" einer Grundrechtsausübung zu werten ist, oder ob sie selbst noch zum grundrechtlich geschützten Normbereich gehört. Die Anknüpfungsebene und die Verletzungs(Sanktions-)ebene können auseinanderfallen, ohne daß dadurch die Frage der D r i t t w i r k u n g ins Spiel kommt. Die zu entwikkelnde Bereichsdogmatik von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG w i r d durch diesen häufigen Typus der grundrechtlichen „Gerichtsfälle" i m Umkreis der Kunstfreiheitsgarantie nicht eingeschränkt 1 . I I . Zur Rolle des Normbereichs für Interpretation und Dogmatik der Grundrechte
Die Bereichsdogmatik kann als verfassungsrechtliche Dogmatik keinen Ausgangspunkt wählen, der nur den Normbereich („Kunst") für verbindlich erachtet. Der schaffende Künstler als exemtes Genie, der bestrafte Künstler als Märtyrer der Justiz 2 sind keine Elemente des grundrechtlichen „Leitbilds" von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Der Normbereich „Kunst" enthält Strukturmerkmale, die solch „absolute" A b hebung künstlerischen Schaffens von andern Arten menschlichen Tuns i n gewisser Weise rechtfertigen. Doch überläßt eine hermeneutisch reflektierte .(Verfassungs-)Interpretation nicht den Strukturmerkmalen des Normbereichs das Feld. Diese sind m i t dem Normprogramm, das i n der Regel durch grammatische, systematische, historisch-genetische und „teleologische" Auslegung des Wortlauts hinreichend konkretisiert werden kann, normativ zu vermitteln. Auf diese Weise kann eine wie auch immer begründete „normative K r a f t des Faktischen" 3 nicht zum Zug kommen. A u f der andern Seite genügt ebensowenig die vom Normbereich aus weder belegte noch modifizierte These, die Freiheit der Kunst sei „kein isolierter Höchstwert der verfassungsmäßigen Wertordnung, dem alle anderen Werte unterzuordnen wären" 4 . Weder eine der Rechtsordnung o i n £ U F rZa ug r e n d e r D r i t t w i r k u n g der Kunstfreiheitsgarantie allgemein Erbel, Γ; Τ Schutzverpflichtung des Staates für die freie K u n s t gegenüber gesellschaftlichen Mächten (abgesehen von der Frage einer D r i t t w i r k u n g ) · Heckel, 95 f. m. Nw.en. 2 Anklänge bei Bauer, Staat u n d Sexus, 9 ff., ζ. Β. 11; ders., Stellungnahme zu: L u d w i g Marcuse, Obszön. Geschichte einer Entrüstung, 1962, 6 f. 3 Vgl. F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 77 ff., 188. 4 Bundesgerichtshof, U r t e i l v o m 20.3.1968 — I ZR 44/66 — (Mephisto —
I I . Z u r Rolle des Normbereichs f ü r Interpretation u n d Dogmatik
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unterlegte „natürliche Freiheit" noch ein formal-technisches Grundrechtsverständnis, das ohne sachliche Differenzierung nach „Höherwertigkeit" und ähnlichen Vorstellungen fragt, treffen die Eigenart der Freiheitsgarantien. Das positive Verfassungsrecht begründet die A n erkennung und Freiheitsverbürgung für einen je i n sich verständlichen, eigengeprägten, i n der Rechtsordnung „frei" zu belassenden Bereich organisatorischer und sachlicher Gegebenheiten und menschlicher Verhaltenschancen. Die inhaltliche Bestimmtheit der Freiheitsgarantie umschreibt zugleich die sachliche Begrenztheit des einzelnen Grundrechts. Je nach der Struktur der Normbereiche, je nach dem Ausmaß inhaltlicher Unabhängigkeit des als „frei" Garantierten von gesetzlicher Ausgestaltung kann das Grundrecht Züge des vorwiegend ausgrenzenden, staatliche Inhaltsbestimmung aussparenden „Rechtsraums" 5 annehmen. Bei stark eigengeprägten und zu einem erheblichen Teil nicht rechtserzeugten Normbereichen wie Glaube, Gewissen und Bekenntnis, Kunst, Wissenschaft, Ehe und Familie ergeben sich die Sachkriterien der Interpretation überwiegend aus ihnen selbst. U m so weniger sind allgemeinmateriale Grundrechtsbegrenzungsthesen wie jene einer durchgängigen Güterabwägung oder einer materialen Mißbrauchslehre den verschiedenen Normtypen der Freiheitsgarantien positivrechtlich gewachsen. Als gesteigert sachgeprägte Normen zwingen die Grundrechte zu gesteigerter Individualisierung ihres Sachgehalts nicht nur für den praktischen Einzelfall, sondern für die Grundzüge ihrer Dogmatik. Als Garantien für historisch und sachlich eigengeprägte Normbereiche, als „gegenständlich abgegrenzte Verstärkungen des rechtlichen Schutzes für bestimmte Rechte und Freiheiten" 6 fordern die Grundrechte eine dogmatische Erfassung, die den Geboten maximaler Normen- und Methodenklarheit gerecht wird, indem sie m i t Hilfe der strukturellen Merkmale der Normbereiche die rechtlichen Fragestellungen i n überschaubare Einzelprobleme auflöst und sie auf diese Weise rational durchsichtig macht. M i t den bisherigen pauschalen Grundrechtsbegrenzungslehren wurde i n der Regel praktisch das Gegenteil erreicht. Wenn Grundrechtsdogmatik innerhalb der grundrechtlichen Geltungsgehalte zum Teil verschiedene „Schutzzonen" und innerhalb dieser unterscheidbare Fragerichtungen erarbeitet, so ist solche „verräumlichende" Metaphorik unschädlich. Sie ist M i t t e l einer klareren DarKlaus Mann). Der Bundesgerichtshof k a n n von seiner Auffassung des Falls her die dogmatische Frage offen lassen; also die Frage, wo die Kunstfreiheit „ i m einzelnen unter Berücksichtigung der v o m Verfassungsgeber angeordneten besonders umfassenden Verbürgung ihre Grenzen findet". 5 I m Sinn von BVerfGE 12.1 ff. 3. « Scheuner, D Ö V 1967, 585, 586; ebd., 590; ders., V V D S t R L 22 (1965), 44 f., 47, 50 f., vgl. ferner Copié, 31 ff. — E i n entsprechender Ansatz findet sich i n BVerfGE 7.377.404; 12.1 ff.; 12.45.53. 4'
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
Stellung. Mehr ist m i t ihr nicht gesagt. Sie muß i n der A r t ihrer A n wendung deutlich machen, daß ontologische Aussagen von juristischer Methodik nicht gesucht werden können. Auch die Rede vom ausgrenzenden „Rechtsraum" gehört i n diese Gruppe begrifflicher Behelfe. Der Begriff sagt aus, daß bestimmte Grundrechte wegen ihrer als „frei" verbürgten sachlichen Eigenart von Verfassungswegen weder durch den Staat inhaltlich geprägt noch i m Sinn aktiver gesellschafts- und staatsbezogener Integration funktionalisiert werden sollen. Als relativ unpolitisch gewährleistete Normbereiche wie „Gewissen", „Kunst", „Wissenschaft" sind jedoch keine Fremdkörper i n der Verfassung. Die A u f nahme rechtlich nicht erzeugbarer, sachlich selbständiger, von der Verfassung sozusagen vorgefundener Sachbereiche als Normbereiche von Freiheitsgarantien ist eine rechtliche und politische Leistung, die gerade durch das Freilassen dieser Normbereiche die freiheitliche Verfassungsordnung legitimieren hilft. Sachliche Sonderstellung ist etwas anderes als „Höherstellung". Auch Grundrechte wie die der A r t . 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 3 Satz 1 sind unter dem Gleichheitssatz stehende, tatbestandlich abgegrenzte und sachlich i n ihrer Reichweite eingeschränkte Garantien, nicht aber schlechthin aus der Rechtsordnung eximierende Privilegien. Vor-Rechte räumen sie nur i m begrenzten Rahmen ihres Geltungsgehalts ein, und zwar um seiner eigenen sachlichen Bedeutung wie um seiner Rolle i n einer freiheitlichen Verfassungsordnung willen. Die Rechtsqualität der Grundrechte führt alle Thesen ihrer „Unbegrenztheit" oder ihrer Eigenschaft als „Höchstwerte" ad absurdum. Das gilt für vorbehaltlos garantierte Grundrechte wie für Vorbehaltsgrundrechte. Bei diesen kommen die Gesetzesvorbehalte als zusätzliche normative Elemente ihrer Eingliederung i n die (Verfassungs-)Rechtsordnung und ihrer Vermittlung m i t anderen (Verfassungs-)Rechtsnormen hinzu. Ι Π . Zur Bedeutung der Gesetzesvorbehalte für die Grundrechtsdogmatik
1. Keine Vorbehaltsgesetze zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Für das Grundrecht der Kunstfreiheit hat sich bisher ergeben, daß auf der einen Seite sein Geltungsgehalt durch fixierenden Mißbrauch des Anknüpfungsbegriffs „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG als eines normativen Wert- oder Inhaltsbegriffs nicht verkürzt werden darf; daß zum andern der Normbereich der Kunstfreiheit mangels eines positivrechtlichen Gesetzesvorbehalts und wegen der Unzulässigkeit material-allgemeiner Grundrechtsbegrenzung weder durch Gesetz noch auch aufgrund eines Gesetzes sachlich eingeschränkt werden kann. Auch in dieser Hinsicht sind an die Feststellung ungeschriebenen Verfassungsrechts, vor allem an die seiner Verfassungsqualität, scharfe Anforde-
I I I . Bedeutung der Gesetzesvorbehalte für die Grundrechtsdogmatik
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rungen zu stellen. Für die Kunstfreiheit sind nach der bisherigen Erörterung besondere ungeschriebene Begrenzungsnormen von Verfassungsrang nicht nachweisbar. Eingriffe durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes sind daher nicht zulässig. Die Freiheit der Kunst ist, wie auch jene der Wissenschaft, nur durch die Verfassung selbst begrenzt 7 ; das schließt nicht zuletzt die eigene sachliche Begrenztheit der normativen Reichweite des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein. Diese Begrenztheit ergibt sich hier nicht aus vorbehaltsgesetzlichem Eingriff. Unter „Eingriff" w i r d jede Verkürzung sachspezifisch garantierter Aktions-, Organisationsoder Sachkomplexe i m Normbereich des Grundrechts verstanden, betreffe sie allgemein den Geltungsgehalt der Garantie oder ihren Wesensgehalt, der als sachgeprägter „harter K e r n " der einzelnen Verbürgung dogmatisch herauszuarbeiten ist 8 . Die Gesetzesvorbehalte werden hier wegen ihrer sorgfältigen Abstufung i m Grundgesetz und wegen der rechtsstaatlichen Rationalitätsanforderungen der Verfassung nur als Eingriffsvorbehalte betrachtet. Ausgestaltungs-, Inhaltsbestimmungsund Regelungsvorbehalte, die weder nach ihrer normativen Fassung noch i n ihrer Konkretisierung durch einzelne grundrechtsbezogene Gesetze zu Einschränkungen des dogmatisch umgrenzten Geltungsgehalts führen, stellen keine besonderen Probleme. Soweit aber Inhaltsbestimmungs-, Regelungs- oder Ausgestaltungsgesetze i m Ergebnis i n grundrechtsspezifisch Geschütztes eingreifen, sind sie als Gesetze zu behandeln, die nur durch einen Eingriffsvorbehalt gerechtfertigt werden können; nach der hier vorgeschlagenen Wortwahl somit als „Vorbehaltsgesetze". Gesetzesvorbehalte der Verfassung, die zu Grundrechtseingriffen nicht ermächtigen, sind in dieser Sicht nur deklaratorisch. Grundrechtsbezogene Gesetze, die nicht i n den grundrechtlichen Normbereich eingreifen, bedürfen keines Vorbehalts. Die von ihnen aufgeworfenen Rechtsfälle sind keine Grundrechtsfälle. Die zu Grundrechtseingriffen ermächtigenden Gesetzesvorbehalte sind vom Grundgesetz abschließend positiviert. Ungeschriebene Eingriffsermächtigungen sind nach der insoweit verläßlichen Normsystematik der Verfassung nicht gegeben. Das gilt auch für die Versuche der „Übertragung" von Schranken einzelner Grundrechte auf andere. Weder die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 G G noch der Grenzvorbehalt des A r t . 5 Abs. 2 GG oder andere Vorbehalte haben über das ihnen zugeordnete Grundrecht oder die ihnen zugeordneten Garantien hinaus normativ verbindliche Wirkung.
7
Vgl. Hesse, Grundzüge, 153. Zutreffend i m Ansatz, w e n n auch i m einzelnen nicht näher konkretisiert: BVerfGE 21.180.219. 8
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
2. Normative
Rangunterschiede
B e i Kollisionen v o n Rechtsnormen sind formale Rangunterschiede trotz aller inhaltlichen Interdependenzen u n d funktionellen Abhängigk e i t e n v o n V e r f a s s u n g s - u n d U n t e r v e r f a s s u n g s r e c h t stets i m B l i c k z u behalten. Verfassungsnormen sind untereinander gleichrangig 9. Dasselbe g i l t dogmatisch f ü r d i e L ö s u n g p r a k t i s c h e r Rechtsfälle b e i K o l l i sionen v o n G r u n d r e c h t e n m i t Vorbehaltsgesetzen, d i e i n i h r e r e i n g r e i f e n d e n W i r k u n g v o n e i n e m Gesetzesvorbehalt gedeckt sind. E i n e w e sentliche W i r k u n g g r u n d r e c h t l i c h e r Gesetzesvorbehalte besteht i n der formalen Gleichstellung v o n Grundrecht u n d grundrechtseinschränkend e n N o r m e n u n d M a ß n a h m e n . A u f dieser G r u n d l a g e ist die dogmatische G r e n z l i n i e i n i h r e r a u f d e n E i n z e l f a l l bezogenen K o n k r e t i s i e r u n g d u r c h das V e r f a h r e n p r a k t i s c h e r K o n k o r d a n z 1 0 z u e r m i t t e l n . V o n materiellrechtlichen Rangunterschieden k a n n auf Verfassungsebene i n diesem Z u s a m m e n h a n g n i c h t gesprochen w e r d e n . W e r t u n g e n , S a c h k o m p l e x e u n d N o r m b e r e i c h e , d i e außerrechtlich, e t w a p o l i t i s c h oder moralisch, als h ö h e r w e r t i g b e u r t e i l t w e r d e n , k ö n n e n i m p o s i t i v e n Recht d u r c h f o r m a l e R e g e l u n g e n eine V o r z u g s s t e l l u n g u n d gesteigerten Schutz e i n g e r ä u m t e r h a l t e n . W e g e n d e r V e r b i n d l i c h k e i t solcher N o r m i e r u n g e n geschieht der B e w e r t u n g der N o r m b e r e i c h e als h ö h e r r a n g i g d a m i t Genüge. D o c h h a n d e l t es sich d a b e i nach w i e v o r u m eine a u ß e r r e c h t l i c h - m a t e r i a l e A u f w e r t u n g , die v o m Recht d u r c h f o r m a l e A b s t u f u n g u n d D i f f e r e n z i e r u n g gesichert w i r d . N i c h t aber i s t der h ö h e r e B e w e r t u n g s g r a d schon d e s h a l b r e c h t l i c h e r A r t . F r e i e K u n s t ist v e r f a s sungsrechtlich gegenüber d e m E i g e n t u m oder d e r B e r u f s f r e i h e i t n i c h t m a t e r i e l l „ h ö h e r w e r t i g " , o b w o h l A r t . 5 A b s . 3 Satz 1 G G s t ä r k e r abgesichert ist als A r t . 14 u n d A r t . 12 GG. Dasselbe g i l t f ü r die A b s t u f u n g d e r sonstigen Gesetzesvorbehalte. I m E r g e b n i s f ü h r t sie z u verschied e n e n G r a d e n r e c h t l i c h e r Sicherung. V e r f a s s u n g s r e c h t l i c h u n d v e r f a s sungstheoretisch k ö n n e n aus i h r k e i n e Schlüsse a u f eine m a t e r i a l e W e r t h i e r a r c h i e der geschützten N o r m b e r e i c h e gezogen w e r d e n 1 1 .
9 BVerfGE 19.135.138 hebt zutreffend n u r auf die Frage formaler Rangrelationen ab. Materiale „Höherwertigkeits"erwägungen sind d-urch die positivrechtlichen Regelungen der Verfassung insoweit abgeschnitten. Das gilt, obwohl A r t . 4 GG i m Ganzen der Verfassung gewiß von weiterreichender Bedeutung ist als A r t . 12 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 GG. — Das Bundesverfassungsgericht hält an diesem dogmatischen Befund auch i m Beschluß v o m 5. 3.1968, J Z 1968, 521 ff., fest. Hiernach „konkretisiert u n d beschränkt" A r t . 4 Abs. 3 G G „ f ü r den F a l l der Wehrpflicht abschließend die Reichweite der freien Gewissensentscheidung". — Z u r Diskussion vgl. Arndt, N J W 1961, 355; ders., N J W 1965, 2195; ders., N J W 1968, 979 f.; Evers, J Z 1968, 525. 10
Z u diesem allgemein Hesse, Grundzüge, z. B. 28 f., 105, 126 f., 130.
11
Siehe auch Hesse, Grundzüge, 125.
I I I . Bedeutung der Gesetzesvorbehalte für die Grundrechtsdogmatik
3. Wechselseitige
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Begrenzung von Verfassungsnormen
Kollidieren Grundrechte m i t andern Grundrechten oder m i t sonstigen Verfassungsnormen, so ist zunächst von den sachlichen Geltungsgehalten her zu prüfen, ob eine (partielle) Überschneidung der Normbereiche bei (partieller) Gegenläufigkeit oder Disharmonie der Normprogramme, ob also eine Normenkollision vorliegt. I n vielen Fällen regiert i n Wahrheit nur die eine der beteiligten Vorschriften tatbestandlich den Fall. Bei Normenkollision sind die Vorschriften einander verhältnismäßig zuzuordnen mit dem Ziel, beide zu optimaler Wirksamkeit kommen zu lassen. Dabei werden nicht zuletzt für die sachliche Substantiierung des Verhältnismäßigkeitsurteils die Kriterien gebraucht, die von der Normbereichsanalyse und von der Dogmatik der beteiligten Grundrechts(Verfassungs-)normen bereitgestellt werden. I n Sonderfällen w i r d die materielle Zuordnung durch formale Speziai- oder sonstige Vorzugsregelung der Verfassung normativ abgeschnitten 12 . I m übrigen sind auch konstruierte Extremfälle wie etwa der i n der Literatur zur Kunstfreiheit mehrfach auftauchende „Mord auf der Bühne" 1 3 von der Verhältnismäßigkeit als dem Maßstab beiderseitiger Optimierung der beteiligten Normen aus lösbar. Der „Wert" des Lebens (im Kähmen einer Abwägung ohne Zweifel „höher" zu veranschlagen) braucht dem „Wert" von Kunst insoweit nicht abwägend gegenübergestellt zu werden. Praktische Konkordanz konkretisiert die dogmatische Abgrenzung der beteiligten kollidierenden Normen auch dann, wenn Vorbehaltsgrundrechte m i t den i n sie eingreifenden Vorbehaltsgesetzen zusammenmentreffen. Dabei kann i n diesem Zusammenhang angenommen werden, daß das Eingriffsgesetz i m übrigen verfassungsgemäß ist; daß es z. B. nicht gegen andere Grundrechte, gegen A r t . 80, Art. 19 Abs. 1 und 2 GG oder gegen das Übermaßverbot verstößt. Auch hier sind es Normbereichsanalyse und Bereichsdogmatik des Grundrechts, die hauptsächlich die materiellen Gesichtspunkte der Lösung und i m übrigen auch die Kriterien dafür liefern, was an einzelnen Aktions-, Organisations- oder Sachgegebenheiten des Normbereichs als „Wesensgehalt" des Grundrechts so entscheidend, nicht ersetzbar und nicht austauschbar ist, daß bei ihrer Verletzung durch das Vorbehaltsgesetz oder aufgrund seiner die „Sache", u m deretwillen die Garantie von der Verfassung gegeben wird, i m Einzelfall beseitigt wäre 1 4 . 12
Hierzu etwa BVerfGE 19.135.138 u n d BVerfG, JZ 1968, 521. Das Konstruierte liegt weniger i m F a l l selbst — die Nachrichten über die Entstehung einzelner Szenen von Jacopettis F i l m „ A f r i c a A d d i o " i n j ü n gerer Zeit mögen das belegen — als i n der Annahme, die unbedingte künstlerische Notwendigkeit eines „echten" Mords auf der Bühne oder etwa der wörtlichen Auffassung von Shylocks Begehr durch einen Sthakespeare-Regisseur u n d -Schauspieler sei i m praktischen F a l l unabweisbar. 14 Dies i m Sinn der sogenannten Individualtheorie zu A r t . 19 Abs. 2 GG. 15
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit I V . Die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie als normativer Ansatzpunkt
1. Tatbestandsabgrenzung
und Kollision
Vorbehaltlos garantierte Grundrechte wie die Freiheit der Kunst können durch Vorbehaltsgesetze nicht eingeschränkt werden. Die Reichweite ihres Geltungsgehalts ist dogmatisch aus der Garantie selbst zu entwickeln. Teilweise schränken die grundrechtlichen Normprogramme breits i m Wortlaut der Vorschrift die Normbereiche hinreichend deutlich ein. Das ist bei Vorbehaltsgrundrechten (ζ. B. „ m i t der Waffe" i n Art. 4 Abs. 3 GG — wobei der Regelungsvorbehalt nicht zu Eingriffen ermächtigt, also i m strikten Sinn kein Eingriffsvorbehalt ist; 9 Abs. 3 GG: „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen") wie auch bei vorbehaltlos garantierten Grundrechten (Beschränkung auf „friedliche" Versammlungen „ohne Waffen" i n A r t . 8 Abs. 1 GG) der Fall. Der Wortlaut von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält keine Eingrenzung des m i t dem Anknüpfungsbegriff „Kunst" (parallel zu „Wissenschaft", die allerdings durch die Hinzufügung von „Forschung und Lehre" wenigstens i m Ansatz differenziert erscheint) denkbar weit angedeuteten Normbereichs durch das Normprogramm. I n die durch die Kunstfreiheitsgarantie als frei gewährleisteten spezifischen Sach-, Organisations- und Aktionsmöglichkeiten darf weder durch Gesetz noch aufgrund Gesetzes verkürzend eingegriffen werden. Bei Normenkollisionen regiert das Grundrecht wegen seines formalen Vorrangs den Rechtsfall für den Umfang der Überschneidung allein. Für das Verfahren praktischer Konkordanz ist insoweit kein Raum. Die dogmatische Bestimmung der Reichweite der Freiheitsverbürgung hat zugleich eine zuverlässigere Abgrenzung der Kollisionslagen von Fällen nur scheinbarer Kollision zum Ergebnis. Zahlreiche von der bisherigen Lehre und Rechtsprechung als Probleme der Kunstfreiheit behandelte Fälle betreffen das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG i n Wahrheit nicht. Eine Gesetzesvorschrift, die den Künstler mit Sanktionen belegt, wenn er malt, bedürfte eines Gesetzesvorbehalts, ganz abgesehen von der Verletzung des A r t . 19 Abs. 2 GG. Eine Vorschrift, die das Malen auf Straßenkreuzungen verbietet, muß nicht durch einen Vorbehalt gedeckt sein. I m ersten Fall w i r d eine Aktionsform beschnitten, die zum grundrechtlichen Normbereich gehört; i m zweiten Fall I n wenigen positivrechtlichen Ausnahmefällen (zu diesen Hesse, Grundzüge, 133) w i e der lebenslänglichen Freiheitsstrafe oder der Anordnung der U n t e r bringung gefährlicher Geisteskranker genügt die Aufrechterhaltung der F u n k t i o n des Grundrechts i m allgemeinen („Sozialtheorie"), sofern die Begrenzung, i m Einzelfall hier einem totalen Entzug gleichkommend, verhältnismäßig ist.
I V . Die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie
57
nicht. Das einfache Beispiel mag das allgemeine Differenzierungsprinzip deutlich machen 15 . Dieses verhindert auch bei strafrechtlichen Vorschriften eine pauschale Bejahung oder Verneinung ihrer Verbindlichkeit gegenüber Grundrechtsaktualisierungen aus A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Der Bildhauer, der Holz für eine Plastik gestohlen hat, ist für den Diebstahl strafbar. Das Delikt steht nur i n Zusammenhang m i t einer Aktion, die für den Normbereich „Kunst" spezifisch ist; es selbst ist unspezifisch. Dagegen wäre — die allerdings unwahrscheinliche künstlerische Notwendigkeit zur Verdeutlichung einmal vorausgesetzt — der Totschlag auf der Bühne nicht mehr nur „bei Gelegenheit" einer Grundrech tsausübung einzustufen. I n diesem Fall w i r d jedoch das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gleichrangig begrenzt. Es muß i m Verfahren verhältnismäßiger Zuordnung ohne Zweifel hinter das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurücktreten, ohne daß eine materiale Abwägung erforderlich wird. Kollisionen wie auch Scheinkollisionen sind nach begrenzt verallgemeinerungsfähigen Grundsätzen dogmatisch lösbar, ohne daß sie „wertinterpretatorisch" 1 6 dem Einzelfall überantwortet werden müßten. Das gilt nicht nur i n Fällen so krasser Verwechslung grundrechtsneutraler Handlungen m i t Grundrechtsaktualisierung wie dem Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 192717, i n dem die Notwendigkeit der Bindung des Künstlers an die dem physischen Schutz von Menschen dienenden Strafgesetze damit begründet wird, andernfalls „müßte man . . . auch den Mörder nicht für strafbar erachten, der sein Opfer mit einer künstlerisch wertvollen (!) Marmorbüste niederschlägt". Saubere dogmatische Tatbestandsabgrenzung entlastet auch sonst vielfach von der unnötigen Annahme einer Grundrechtsproblematik 18 . Wirtschaftsgüterwerbung am Straßenrand m i t Reklametafeln w i r f t keine Fragen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG auf 1 9 , da sie typologisch nicht zum Normbereich der Kunstfreiheit gerechnet werden kann. 15
Ohne diesen Ansatz der Differenzierung macht auch dieser eindeutige F a l l konstruktive Schwierigkeiten. Erbel — der allerdings von der Maßgeblichkeit der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG auch für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G ausgeht — muß zu seiner Lösung die Kunstfreiheitsgarantie der polizeilichen Generalklausel unterstellen u n d zugleich f ü r deren liberale H a n d habung plädieren, 161; ebd. w i r d erwogen, „ob i n gewissem Umfang ein Gewohnheitsrecht" auf Malen von K u n s t w e r k e n auf öffentlichen Straßen u n d Plätzen bestehe. 16 So Erbel, 146, zum Verhältnis von Kunstfreiheit u n d Strafrecht. 17 R G U. v o m 28. 2.1927, A Z . : J 50/26 X 46/26; nach Erbel, 147. Selbst hier wurde qualitativ ästhetisch gewertet. 18 Vgl. z. B. die Nachweise zu Fällen zweifelhafter Konkurrenzen bzw. Scheinkonkurrenzen zwischen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 u n d A r t . 14 GG bei Berg, 3; s.a. Erbel, 134f., 165ff.; B V e r w G E 2.172; O V G Münster, VerwRspr. Bd. 5, 468. 19 V G H Kassel, Thiel, Bd. 3, 197, 200 n i m m t dagegen die Anwendbarkeit von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG an. Kennzeichnenderweise kann sich das Gericht
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
2. Konkurrenz Auf der andren Seite kann die dogmatische Formulierung des grundrechtlichen Geltungsgehalts auch bei Normkonkurrenzen die Reichweite verdeutlichen. W i l l man etwa das literarische Kabarett als einen Gattungstypus des Normbereichs „Kunst" ansehen, dann unterfallen auch darin enthaltene Meinungsäußerungen der Schutzgarantie des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Es handelt sich i n einem solchen Fall genau genommen nicht u m eine Grundrechtskonkurrenz zwischen Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GG, bei der es letztlich auf das weniger einschränkbare i m Ergebnis nicht mehr konstruktiv-dogmatisch, sondern n u r noch durch A n nahme „immanenter" Beschränkungen helfen, u m zu dem gewünschten „ k u n s t f e i n d l i c h e n Ergebnis zu kommen.—Vergleichbar B V e r w G E 2.172.178f. Dort w i r d eine zunächst grundsätzlich bejahte Schutzwirkung der K u n s t freiheitsgarantie i m Ergebnis unter Aspekten spezieller Regelung wieder beseitigt. — Z u beiden Entscheidungen zutreffend: Berg, 136f.; vgl. auch ebd., 138 f. — Bei v. Mangoldt-Klein, A n m . I V 1 d zu A r t . 2 GG u n d besonders A n m . X 6 b zu A r t . 5 GG werden entsprechend „systematische u n d sachliche Gewährleistungsschranken" entwickelt, bevor die .grundrechtlichen Geltungsgehalte sachlich abgegrenzt u n d dogmatisch stabilisiert (i. S. von: rationalisiert) worden sind. Auch dieses Vorgehen ist f ü r die bisher überwiegende Behandlung von Grundrechtsfragen symptomatisch, gleich, ob sie sich selber als „ f o r m a l " oder sin polemischer Wendung hiergegen als „material" versteht: Die Lösung praktischer Einzelfälle w i r d von den (wie auch i m m e r begründeten) Beschränkungsmöglichkeiten genereller A r t statt von der Begrenzung des konkreten Geltungsgehalts des fraglichen einzelnen Grundrechts aus gesucht. — K o n s t r u k t i v zweifelhaft bleiben nach der hier vorgeschlagenen Auffassung allenfalls die Extremfälle, i n denen die individuelle künstlerische Notwendigkeit einer v o m Normbereich her durchaus untypischen Tätigkeit (Totschlag auf der Bühne, Maler auf der Straßenkreuzung) behauptet w i r d . A l l e i n die Behauptung, n u r zu dieser Zeit (Verkehrszeit etc.) u n d n u r exakt an diesem O i t (nicht etwa ebendort neben der Fahrbahn) malen zu „müssen", w i r d allerdings nie ausreichen. Die Annahme rationaler Belegbarkeit eines solchen individuellen „ M u ß " bedeutet die K o n s t r u k t i o n eines Grenzfalls, der nicht die Grundlinien der dogmatischen Lösung praktisch werdender Fälle i n Frage stellen kann. I m übrigen w i r d , w i e bei der Kollision von A r t . 2 Abs. 2 Satz 1 u n d A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG, vielfach eine andere N o r m von Verfassungsrang i m Spiel sein. — Schließlich ist festzuhalten, diaß der sachliche Umfang des Normbereichs durch individuelle Abweichungen v o m spezifisch Typischen nicht unibegrenzt ausgedehnt werden kann. Der Normbereich sichert v o r inhaltlicher Bestimm u n g durch staatliche Stellen gerade wegen des Gesichtspunkts des Spezifischen an dieser Grenze nicht i m Sinin von möglichen Ubergriffen auf andere, durch andere Rechtsnormen geschützte Sach- u n d Garantiematerien, sondern n u r i n typisch „künstlerischer" Richtung. Das ist durchaus etwas anderes als das Postulat genereller Einschränkung der Kunstfreiheit durch die polizeiliche Generalermächtigung oder als die Errichtung einer „Nichtstörungsschramke". — Allgemein zeigt sich hier, daß v o m extremen (und unpraktischfiktiven) Grenzfall her eine Dogmatik der praktischen Rechtsfragen weder gefunden noch i n Frage gestellt werden kann. Die Unzuträglichikeiten m a n cher genereller Hypothesen leiten sich gerade daraus her, auch das auf dem Papier ersonnene E x t r e m erfassen zu wollen u n d demgemäß i n ihrer F o r m u lierung f ü r die breite Skala von Problemen der Praxis ungeeignet zu sein oder für sie über das rechtsstaatlich zulässige Maß hinauszugehen.
I V . Die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie
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Grundrecht ankommt 2 0 , sondern von vornherein u m eine Frage der Spezialität. A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist die spezielle Vorschrift, w e i l die fragliche Anknüpfungshandlung seinem Normbereich — die gattungstypische „Kunst"qualität des literarischen Kabaretts einmal vorausgesetzt — zur Gänze unterfällt. Aus dem entsprechenden Grund kann eine Kunstausstellung nicht nach Maßstäben verboten werden, die allgemein für die Regelung der Berufsausübung gelten. Das Ausstellen von Werken der bildenden Kunst gehört gattungstypisch zum Schutzbereich der Kunstfreiheitsgarantie. Der Bundesgerichtshof nennt das Ausstellen von Originalarbeiten —Vervielfältigungen stellen schon gattungstypisch andere Probleme — zutreffend einen „dem Wesen des Kunstwerks entsprechenden . . . Gebrauch" 21 . Gemeint ist allerdings entgegen dem sprachlichen Ausdruck der Begründung durchaus nicht das „Wesen des Kunstwerks", sondern der Geltungsgehalt der Kunstfreiheitsgarantie. Dieser stellt wohl i n allen praktischen Fragen möglicher Konkurrenz von Grundrechten die materiellen Kriterien zur Verfügung. W i r d zum Beispiel der Inhalt künstlerischer (oder religiöser) Schriften beeinflußt, wobei gewerberechtliche Normen oder Vorschriften des Presserechts vorgeschoben werden, so handelt es sich nicht mehr um (zulässige) Schrankensystematik. Das braucht aber nicht allein dann der Fall zu sein, wenn der „Kernbereich" des fraglichen Grundrechts berührt w i r d 2 2 . Da A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 wie auch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ohne Vorbehalt garantiert sind, ist es immer schon dann der Fall, wenn das dem einen oder dem andern Grundrecht zugeordnete Unterverfassungsrecht einen der beteiligten grundrechtlichen Normbereiche einschränkt. Die normative Ausgestaltung von Gesetzesvorbehalten, beziehungsweise deren Fehlen ist als eines der zentralen Entscheidungsmomente stets festzuhalten. Es kommt aber immer erst dann ins Spiel, wenn eine Verkünzung des Grundrechts i n seinem Geltungsgehalt vorliegt. 3. Vorbehaltsgesetze So definiert sich auch ein (eines Gesetzesvorbehalts bedürftiges) Vorbehaltsgesetz vom tatsächlich erfolgten Grundrechtseingriff her. Subjekt! v-intentional richtet sich ein Gesetz, das künstlerische Tätigkeit auf Straßenkreuzungen unmittelbar verbietet, gegen ein Tun, das i n den Umkreis der Kunstfreiheit fällt. Es gehört m i t der hier entscheidenden Modalität „auf Straßenkreuzungen" jedoch nicht zu ihrem Normbereich. Das Gesetz vermag spezifische Aktionsmöglichkeiten des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu beschränken. Es braucht nicht durch einen 20 21 22
So Berg, 154. BGH, N J W 1965, 983 f.; BGHSt 20, 192. So aber Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., 59 f., 60 f.
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
Gesetzesvorbehalt gedeckt zu sein. Dasselbe würde etwa für ein Predigtverbot oder ein Verbot politischer Meinungsäußerungen auf den schon mehrfach bemühten Straßenkreuzungen gelten. Diese praktisch einfachen, konstruktiv jedoch nicht immer richtig erfaßten Beispiele mögen nochmals illustrieren, daß nur dann ein Grundrechtsfall gegeben ist, wenn durch Gesetz oder durch hoheitlichen A k t aufgrund eines Gesetzes spezifisch geschützte Teile eines grundrechtlichen Normbereichs beschnitten werden. So sind bau-, feuer- oder seuchenpolizeiliche Normen gegenüber der Kunstfreiheit keine Vorbehaltsgesetze. Umgekehrt sind beispielsweise Strafrechtsvorschriften, die auch auf Meinungsäußerungen, Kunstwerke oder wissenschaftliche Arbeiten anwendbar und die bei ihrer Anwendung geeignet sind, die Normbereiche von A r t . 5 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GG zu beschneiden, ihrem objektiven Normgehalt nach auf solche Grundrechtseingriffe „gerichtet", mag der Gesetzgeber „daran gedacht haben" oder nicht, daß auch Meinungen, wissenschaftliche und künstlerische Arbeiten tatbestandsmäßig unter die Verbotsvorschrift fallen können. 4. Maßstäblichkeit
des Grundrechts
Soweit die Frage nicht nach grundrechtlich geschützten Anknüpfungshandlungen und grundrechtseingreifenden Sanktionen, sondern dahin geht, wie ein Grundrecht durch die A r t der i m behördlichen oder gerichtlichen Verfahren angelegten Maßstäbe verletzt werden kann, ist auch danach zu unterscheiden, ob ein grundrechtsbezogenes Gesetz sein Rechtsgut aus grundrechtsneutralen oder aus grundrechtsspezifischen Motiven und m i t ebensolchen Maßstäben sichern w i l l . Ein Gesetz gegen „nicht-volkstümliche", gegen „künstlerisch zersetzende", „undeutsche" oder „entartete" Kunst, ist verfassungswidrig. Es substantiiert seinen Tatbestand m i t tendenziell kunstspezifischen Wertungen, die von der Freiheitsgarantie gerade als „frei" normiert worden sind. W i r d der Tatbestand dagegen kunstunspezifisch differenziert — gegen „rassenhetzerische", „kriegstreibende", „grob unzüchtige" Äußerungen —, so ist Verfassungswidrigkeit i n der Frage der Maßstäblichkeit nicht gegeben. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes unter dem Aspekt von Grundrechtseingriffen hängt dann von der A r t der Anknüpfungshandlung (Schaffen, Verbreiten, Werben, Reproduzieren des unter den Tatbestand fallenden Kunstwerks und so fort) und der i n dasselbe Grundrecht oder in ein anderes oder i n sonstige Rechtspositionen des Künstlers (Verbreiters) eingreifenden Sanktion ab (Vernichtung, Einziehung, Verbreitungsbeschränkung, Berufsverbot, Geld- oder Freiheitsstrafen). Ob ein Kunstwerk einen Dritten beleidigen „darf" oder ob es den Tatbestand des § 166 StGB erfüllen „kann" oder nicht, ist nicht einmal für alle Fälle desselben Grundrechts pauschal beantwortbar. I n jenen wie
I V . Die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie
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i n diesen Fällen muß eine ausgearbeitete Dogmatik des Einzelgrundrechts die rechtsstaatlich eindeutige A n t w o r t finden. Weder die Güterabwägung noch die Mißbrauchslehren noch die direkten oder indirekten „Übertragungen" der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG auf andere Grundrechte finden demgegenüber zu klaren, Rechtssicherheit gewährleistenden Bestimmungen. Eine (tatbestandlich i m übrigen näher zu differenzierende) Gesetzgebung gegen „zersetzende" Kunst etwa w i r d sich unter den politischen Verhältnissen, für die sie Zeugnis ablegt, ohne größere Mühe und vor allem ohne die Möglichkeit verfassungsjuristischen Nachweises des Gegenteils aus der Schranke „des Sittengesetzes" rechtfertigen lassen. Die Formel leidet schon für A r t . 2 Abs. 1 GG unter ihrem Mangel an Genauigkeit. Bei ihrer — normativ nicht gestützten — Transplantation auf andere, sachgeprägte Grundrechte w i r d sie vollends zur Leerformel, m i t der sich jede Freiheitsgarantie i m Ernstfall aus den Angeln heben läßt, ohne daß dogmatische Maßstäbe hierfür oder für das Gegenteil zur Verfügung ständen. Angesichts der Schranke „des Sittengesetzes" wäre zum Beispiel auch Madame Bovary einzustampfen, wenn die Schrankentrias ernsthaft für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 verbindlich sein soll. Aus Art. 6 Abs. 1 GG ließe sich zur Unterstützung ein weiteres Argument i n dieser Richtung „ableiten". Daß Flauberts Meisterwerk unter dem Grundgesetz nicht eingestampft wird, darf weder am Rang des Romans noch an Flauberts Ruhm, weder am ehrwürdigen Alter Madames noch an der menschlichen Einsicht der Strafverfolgungsbehörden liegen. Es müßte daran liegen, daß Grundrechtsbegrenzungslehren, die diese Einstampfung ohne weiteres zu rechtfertigen vermögen, wenn man nur w i l l , mangels normativer Grundlage nicht vertreten werden. Wo sich i m Einzelfall herausstellt, daß ein Gesetz nicht „ i n das Grundrecht" eingreift, weil seine sachliche Garantie von i h m nicht spezifisch betroffen ist, w i r d die Grenze der Reichweite des Grundrechts nicht vom Gesetz gezogen, sondern nur anläßlich der Prüfung dieses Falltyps verdeutlicht. Das Gesetz ist nicht mehr als ein Anlaß der dogmatischen Grenzbestimmung. Nicht etwa vermag das von ihm repräsentierte Rechtsgebiet (Strafrecht, Jugendschutzrecht, Steuerrecht, Zivilrecht und so weiter) das Grundrecht „zurückzudrängen" oder dank „höheren" Ranges „zurückzuverweisen". Auch wenn es sich u m ein Vorbehaltsgrundrecht auf der einen, um ein seiner subjektiven Intention nach grundrechtsbezogenes (etwa ein grundrechtssicherndes oder den grundrechtlichen Normbereich i m Sinn der Erweiterung ausgestaltendös) Gesetz auf der anderen Seite handelt, ist i n einem solchen Fall dogmatisch vom Fall der Normenkollision scharf der andre Fall zu trennen, i n dem sich die beteiligten Normbereiche thematisch nicht überschneiden.
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
5. Sozialbezug der Grundrechte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Die Ausarbeitung einer detaillierten Dogmatik ist für Vorbehaltsgrundrechte wie für vorbehaltlos garantierte Grundrechte grundsätzlich von gleicher Bedeutung. Bei diesen allerdings ist die praktische Fallösung ausschließlich auf die Ergebnisse der Bereichsdogmatik angewiesen. Angesichts der verbindlichen Rechtslage, weder durch Gesetz noch aufgrund eines Gesetzes einschränkbar zu sein, müssen die vorbehaltlos gewährleisteten Verbürgungen des Grundgesetzes nicht unbedingt i n einen einheitlichen verfassungstheoretischen Erklärungszusammenhang gebracht werden können. I n einem besonders geringen Sozialbezug freier Kunst und Wissenschaft, u m hier nur kurz A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG herauszugreifen, kann der Grund der Vorbehaltslosigkeit jedoch nicht liegen 2 3 . Wirkung und Gegenwirkung von Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft sind Gegenstand ausgedehnter Analysen wie empirischer Einsicht. Sie brauchen hier nicht wiederholend ausgebreitet zu werden. Dagegen sind die Grundrechte aus A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG, hierin zum Teil auch A r t . 4 Abs. 1 GG vergleichbar, i n der Höchstpersönlichkeit ihrer kreativen Bereiche, i n ihrer relativ geringen Objektivierbarkeit u n d politischen Funktionalisierbarkeit und nicht zuletzt i n ihrem Bezug zum Ernst individueller Wahrheitssuche i n eine sachliche Beziehung zu setzen, die allerdings trotz der Nähe zur Menschenwürdegarantie nicht zu einer stringenten „Ableitung" oder partiellen „Wertsystematik" gesteigert werden kann. Wollte man dagegen die Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissenfreiheit auf das forum internum, die Freiheit von Wissenschaft und Kunst auf den kommunikationslosen Bereich des Schaffens beschränken, hätte man die wichtigsten und für eine freiheitliche Gesellschaft fruchtbarsten Elemente dieser Grundrechtsverbürgungen ausgeschaltet. 6. Zur Rolle des Übermaßverbots Auch wenn ein vorbehaltlos garantiertes Grundrecht wie die Freiheit der Kunst durch andere Verfassungsnormen begrenzt wird, ist es der Geltungsgehalt der beteiligten Vorschriften, der die dogmatische Grenzlinie finden läßt. Dabei sind nicht abstrakte Grundrechte „als solche", sondern bestimmte Grundrechtsaktualisierungen bestimmter Berechtigter einander verhältnismäßig zuzuordnen. Hat etwa ein Werk der L i t e r a t u r 2 4 oder der bildenden Kunst eine offenkundig würdeverlet25 So aber Berg, 105 und f., 108, 168; Häberle, 182 f. — Vgl. ferner allgemein Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, 543; BVerfGE 6.389.433; ferner — f ü r den Sozialbezug der Berufsausübung — auch BVerfGE 7.377.403. 24 Der Bundesgerichtshof arbeitet i m U r t e i l v o m 20.3.1968 (Mephisto — Klaus Mann) — I ZR 44/66 — allein m i t der „immanenten Begrenzung" der Kunstfreiheit durch das seiner Auffassung nach durch A r t . 2 Abs. 1 GG v e r -
V. Fragerichtungen i m Normbereich der Kunstfreiheitsgarantie
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zende Darstellung eines andern zum Inhalt, dann w i r d die Aktualisierung des Grundrechts aus A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch jene aus Art. 1 Abs. 1 GG begrenzt 25 . Was bei solcher Zuordnung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (bzw. das Übermaßverbot) anlangt, so kommt er nicht nur bei Feststellung der Begrenzung des „angreifenden" Grundrechts, sondern ebenso bei der Auswahl der Anknüpfungshandlungen, der Maßstäbe oder der Sanktionen zur Geltung. So macht es zum Beispiel vom eingeschränkten Grundrecht der Kunstfreiheit her einen entscheidenden Unterschied, ob aufgrund der Begrenzung durch Art. 1 Abs. 1 GG der Künstler für schadensersatzpflichtig erklärt oder strafrechtlich belangt, das Kunstwerk eingezogen oder vernichtet werden soll. V. Dogmatische Fragerichtungen im Normbereich der Kunstfreiheitsgarantie
1. Normative
Unterscheidungen
„im" Freiheitsrecht
Solche Unterscheidungen gehören zu den Fragestellungen, die nach dem hier gemachten Vorschlag zur Grundrechtsdogmatik „innerhalb" der Normbereiche der einzelnen Garantien differenzierend entwickelt werden können. Die Unterscheidung solcher Fragerichtungen führt vielleicht weiter als die zum Teil empfohlene Ausarbeitung verschiedener „Schutzzonen" innerhalb des grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsbereichs. Eine derartige Unterscheidung nach „Zonen" findet nur hinsichtlich jener nach Wesensgehalt („Kernbereich") und Grundrechtsschutzbereich außerhalb des Wesensgehalts verfassungsrechtlich eine Stütze. Die hier gemeinten Gesichtspunkte differenzieren dagegen nicht nach Bezirken grundsätzlich stärkerer oder schwächerer rechtlicher Sicherung, sondern heuristisch danach, wo vom Normbereich und seiner sachlichen Eigenart her gesehen austauschbare und wo nicht austauschbare Aktions-, Organisations- und Sachkomplexe betroffen sind; welche von ihnen verfassungsrechtlichen, weil etwa den nicht-rechtserzeugten Normbereichsteilen entstammend, beziehungsweise unterverfassungsrechtlichen Ranges sind und nach welchen Sachaspekten sie überhaupt ins Blickfeld der Dogmatik gelangen. Aspekte der letztgenannten A r t umschreibt die Differenzierung nach: Anknüpfungspunkt — Maßstäblichkeit — Sanktion. Ein Grundrecht kann beispielsweise schon allein dadurch verletzt sein, daß entgegen seinem spezifischen Normgehalt eine geschützte Tätigkeitsform zum Anknüpfungspunkt für eine fassungsrechtlich positivierte Persönlichkeitsrecht. Da es sich dabei u m das Ergebnis einer gerichtlichen „Güterabwägung" i m Einzelfall handelt, ist die Bezeichnung der gefundenen Grenzen als „immanenter" nach der hier v e r tretenen Auffassung nicht zu empfehlen. 25 Vgl. insofern die Lage des Falls i n BVerfGE 12.1 ff.
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2. Teil: Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
Rechtsfolge gemacht wird, die den Grundrechts„träger" rechtlich oder tatsächlich belastet. Das Grundrecht kann ferner, sollte seine Garantie einer solchen Anknüpfung nicht grundsätzlich entgegenstehen, dadurch verkürzt werden, daß i m behördlichen oder gerichtlichen Verfahren bei der Beurteilung der Anknüpfungshandlung die staatliche Stelle „die Einwirkung der Grundrechte" auf die gesetzliche Rechtsordnung „verkennt" 2 8 . Schließlich kann das Grundrecht dann verletzt sein, wenn belastende Sanktionen entweder i n seinen eigenen Garantiebereich zurückwirken (das inkriminierte Kunstwerk w i r d vernichtet oder eingezogen), ein anderes Grundrecht desselben Grundrechts„trägers" verkürzen (Geld- oder Haftstrafe) oder i n sonstige Rechtspositionen des Betroffenen eingreifen, sofern nur die Anknüpfungshandlung für diese Sanktion ein T u n war, das zu dem grundrechtsspezifisch geschützten Normbereich gehört. 2. „Typische"
Grundrechtsverwirklichung
Dessen Abgrenzung i m Einzelfall kann zunächst von den typischen Ausübungs-, Organisations- und Sachzustandsformen des betreffenden Grundrechts ausgehen 27 . Die „Normalformen" der Grundrechtsausübung i n diesem Sinn ergeben sich aus der Interpretation des objektiven Normgehalts und nicht aus der Überlegung, ob sie dem Verfassunggeber hätten „vorschweben" müssen 28 oder nicht. Das Typische kann jedoch nicht einfach auf das Übliche, Gebäuchliche eingeengt werden. Je nach Eigenart der Grundrechtsmaterie und nach der Formulierung des grundrechtlichen Normprogramms läßt es die Garantie gerade frei, wie sie inhaltlich verwirklicht werden soll. W i r d die Typisierung des Normbereichs, oben bei der Entwicklung des „Kunst"begriffs i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG als ein Teil der Normbereichsanalyse und ihrer Vermittlung m i t dem Normprogramm bereits durchgeführt, jedoch nicht inhaltlich-fixierend, sondern strukturell-freihaltend verstanden, dann leistet die Aufgliederung nach den vom Normbereich umschlossenen oder umschließbaren Möglichkeiten typischer oder typisierbarer Gestaltungsformen gute Dienste. Innerhalb des strukturell Typischen kann gerade auch das inhaltlich Α-Typische, das Spontane, Neue und i m höchsten Grad Individuelle geschützt sein. Nicht nur, was vom Normbereich her tradiert, sondern auch, was nach seiner sachlichen Eigenart selbst wieder traditionsbildend werden könnte, gehört zum „Typischen" i n diesem Sinn. Es mag an dieser Stelle daran erinnert werden, daß der 28 27
55. 28
BVerfGE 7.198, Leitsatz 3 für das Bürgerliche Recht. Siehe z.B. Erbel, 128ff.; Berg, z.B. 83 f.; Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., So Erbel, 128.
V. Fragerichtungen i m Normbereich der K u n s t f r e i h e i t s g a r a n t i e 6 5
Typus i n dieser Sicht nicht das „Normative" eines Idealtypus, sondern allein das Heuristische eines sachlich-rationalisierenden Unterscheidungsgrundsatzes repräsentiert. Der Rückgriff auf das Typische als auf das Übliche allein würde sich häufig nur auf den normativ nicht maßgeblichen Sachbereich stützen, dessen Strukturen i n der sozialen W i r k lichkeit konventionell erstarrt sein mögen. Der Normbereich läßt hingegen, soweit das die Vermittlung m i t dem „Freiheit" garantierenden Normprogramm — bei freier Kunst und Wissenschaft i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ohne formale Einschränkung — je nach der Eigenart des Grundrechts ergibt, dank der Verfassungsgarantie i m Rahmen des sachlich überhaupt Spezifischen alle Möglichkeiten neuer Entwicklung offen. Das Malen auf der Straßenkreuzung ist mangels spezifischer Sachhaltigkeit künstlerischer A r t damit nicht erfaßt. U m wesentlich realisiert werden zu können, um nach der Struktur dessen, worumwillen sie verbürgt sind, Wirklichkeit gewinnen zu können, sind die vom Normbereich des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfaßten Garantieformen auf die Modalität „auf der Straßenkreuzung" weder angewiesen noch beschränkt. Eine Ausübungsform ist i n diesem Sinn dann spezifisch, wenn ihr nicht nachweisbar der sachliche Zusammenhang m i t der (zuvor dogmatisch zu klärenden) Struktur des grundrechtlichen Normbereichs fehlt. Bei solcher Abgrenzung sind Wertungen gemäß der Struktur juristischen Entscheidens nicht vermeidbar. Sie werden aber durch die dogmatische Differenzierung der Fragestellungen jeweils auf einen sachlich kleinen Umkreis beschränkt und i m übrigen auch weitgehend an rational diskutierbare Kriterien geknüpft, die von den Pauschalurteilen der vielfach angewandten A r t wegführen. Die verschiedenen „Schutzzonen" oder besser: dogmatischen Fragerichtungen „innerhalb" des grundrechtlichen Geltungsgehalts helfen zu ihrem Teil, die Typologie des Normbereichs weiter aufzuschlüsseln. Für Grundrechte wie jene von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre, Glauben und Religionsausübung w i r d sich i n der Regel ergeben, daß die produktiven, den individuellen Gehalt der Grundrechtsaktualisierung formenden Bezirke der Normbereiche einer individuellen Ausprägung gerade wegen der Freiheitsgarantie der Normprogramme maximal offen stehen; daß dagegen i n den Kommunikationsbezirken das Typische i m Sinn des Konventionellen stärker i n den Vordergrund tritt. Der demontierte Bauzaun ist gattungstypisch noch nicht „Kunst" i m Sinn des Anknüpfungsbegriffs i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Das ist aber der Fall, sobald er sich i n einer Ausstellung als objet trouvé oder als Exemplar der Gattung readymade präsentiert. Daß die Strafbarkeit wegen Diebstahls des zum Werk erhobenen Objekts eine andere Frage ist, wurde schon gesagt. Die Modalität „Diebstahl" (beziehungsweise der Normbereich von § 242 StGB) ist für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht mehr sachspezifisch, handle es sich 5 Müller, Kunst
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2. T e i l : Grundlagen einer Bereichsdogmatik der Kunstfreiheit
dabei um ein objet-„trouvé" oder um den Diebstahl von Holz zur Herstellung eier „seriös" gebildeten Plastik. Das für den Anknüpfungsbegriff und damit für die grundsätzliche Möglichkeit des Grundrechtsschutzes verdeutlichende K r i t e r i u m liegt hier so gut wie ausschließlich i n der A r t der Darbietung, i m Kommunikationstypus. Wäre auch dieser unkonventionell, müßte der Grundrechtsschutz versagt werden, w e i l hinreichend rationalisierbare verfassungsrechtliche Ansatzpunkte fehlten. Dem Künstler darf wegen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht von Staats wegen vorgeschrieben werden, was er herstellt und wie er (kunstspezifisch gefragt) zu seinem Werk kommt. Es darf i h m also etwa das Produzieren eines ready-made allein i m Weg der Benennung, der Präsentation, des Postulats nicht verboten werden, da solche Möglichkeit strukturell zum Normbereich des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gehört. Die Wahl der Kreationsart ist unvertretbar und gehört sogar zum „Kernbereich", zum unantastbaren Wesensgehalt der Freiheitsgarantie. Sie kann i n Fällen der genannten A r t etwa auch beim Schaffen aleatorischer oder konkreter Musik- und Sprachwerke i n gleicher Weise auftauchen. Dem Künstler kann auch nicht vorgeschrieben werden, auf welchem Weg allein er sein Werk verbreiten dürfe. Aber er hat umgekehrt i m Maß der Austauschbarkeit, der Pluralität gleichwertiger Kommunikationsmöglichkeiten unter Umständen keinen Anspruch auf eine bestimmte Verbreitungsart i m besonderen. Das w i r d für die Kunstfreiheit noch näher zu entwickeln sein.
3. Teil
Untersuchung des Normbereichs „Kunst" — Grundzüge der Dogmatik des Grundrechts I . Sachliche Einheitlichkeit des Normbereichs
2. Eigengesetzlichkeit
der geschützten „Sache"
Die verfassungsrechtlichen Überlegungen zur Freiheit der Kunst hatten schon unter der Geltung des A r t . 142 W K V zu der Einsicht geführt, der „Kerngedanke" dieser Garantie sei die verfassungsmäßige Anerkennung und Begrenzung der „Eigengesetzlichkeit" von Kunst (und Wissenschaft). Die (Weimarer Reichs-)Verfassung verbiete Eingriffe der Staatsgewalt einschließlich der Gesetzgebung „ i n Kunst und Wissenschaft als solche, das heißt unter rein künstlerischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten, unter dem Gesichtspunkt, daß sie als Kunst oder Wissenschaft abwegig, verfehlt, minderwertig sei" 1 . Diese Zielbestimmung einer Interpretation des Grundrechts freier Kunst ist nicht mehr verlorengegangen. Kunst und Wissenschaf t sind unter dem Grundgesetz m i t Nachdruck als „autonome Sachbereiche" bezeichnet worden, als „ i n sich geschlossene, eigenständige Sachgebiete", denen kraft der Freiheitsgarantie „heteronome Bindungen" nicht auferlegt werden dürften 2 . Das eigene Gesetz, unter dem Kunst und Wissenschaft auch i m Verfassungsrecht angetreten sind 3 , muß verfassungsrechtlich erarbeitet werden, wenn die Hede von der verfassungsrechtlich normierten und gesicherten Eigenständigkeit der als frei verbürgten Normbereiche ergiebig sein soll. 1
Kitzinger, 459, 461 f. Vgl. v o r allem auch Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 110 f., 111. 2 Köttgen, GR I I , 303, 304 f., 305. Ebd. 303 die nicht allgemein auf G r u n d rechtsinterpretation bezogene, auf die Möglichkeiten rationaler Unterscheidung von „ K u n s t " u n d „Wissenschaft" beschränkte Überlegung, „kunsttheoretische u n d kunstsoziologische Überlegungen" erschlössen „besondere v e r fassungsrechtliche Perspektiven", u m deretwillen die Ergebnisse der U n t e r suchung zur Wissenschaftsfreiheit nicht k r i t i k l o s „auf das lediglich s t r u k t u r verwandte Phänomen der K u n s t übertragen werden" dürften. — Köttgen folgend: Mallmann, 262. 3 Vgl. i n diesem Sinn ferner Hesse, Grundzüge, 152 ff. — Skeptisch Knies, ζ. B. 170, f ü r den „der Jurist vor der Vielzahl der Kunstbegriffe" zu dem Schluß kommen muß, „daß eindeutige u n d allgemein anerkannte, daher auch verfassungsrechtlich brauchbare Maßstäbe des Künstlerischen nicht existie5·
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
A u f einen Strukturvergleich wissenschaftlicher und künstlerischer Produktivität kommt es dabei nicht i n erster Linie an. Berührungs- und Differenzpunkte der beiden Hauptelemente des Normbereichs von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG werden sich bei der Behandlung von Einzelfragen herausstellen. So sehr der Vorgang der Produktivität als solcher strukturelle Gemeinsamkeiten für Kunst und Wissenschaft aufweist und etwa unter Gesichtspunkten der Psychoanalyse weitgehend parallel gesehen werden kann 4 , so sehr unterscheidet sich die Eigen-Ständigkeit ihrer Produkte. Entscheidende „sachliche" Divergenz bei gleichzeitigem strukturellen Zusammenhang kann man sich an einem Vergleich der Vorgänge des Schaffens eines Kunstwerks mit dem Verstehen, der Interpretation des Kunstwerks (auch durch den Autor selbst) vergegenwärtigen 5 . Für die Abhebung künstlerischer Produktion und Produkte von denen der Wissenschaft hat sich insbesondere die Genieästhetik i n ihren verschiedenen historischen Spielarten gerne die Gesichtspunkte von Regel und Regellosigkeit, Plan und Überwältigung, Lehrbarkeit und Unerlernbarkeit herausgesucht. Kant demonstriert das i n der „ K r i t i k der Urteilskraft". Diesseits psychoanalytischen Tiefblicks und kunsttheoretischer Subtilität kann ohne weitere literarische Auseinandersetzung als empirische Einsicht vorausgeschickt werden, daß an solchen Unterscheidungen i m Ergebnis viel Richtiges ist. Daß „an einem Kunstwerk Wahrheit erfahren wird, die uns auf «keinem anderen Wege erreichbar ist"*, umschreibt den Sachverhalt auf eine Weise, die man angesichts der unermüdlichen Bemühungen um den Archimedischen Punkt einer Analyse „der" Kunst mittlerweile schon tautologisch nennen kann. Sie sagt ebensoviel und ebensowenig Konkreteres wie die verfassungsrechtliche Ausgangsformel von der Eigenständigkeit des garantierten Normbereichs „Kunst". 2. Untrennbarkeit
der Elemente des Normbereichs
Was jedoch, wiederum parallel zu dieser Feststellung, praktisch erhärtet werden kann, ist schon an dieser Stelle der Unsinn einer A b rei
\ " · — D a s ist f ü r den Streit u m material-qualitätsorientierte Kunstbegriffe u n d -definitionen gewiß richtig, doch geht die verfassungsrechtlich erhebliche Fragestellung nicht i n diese Richtung. Was klärbar ist: empirische Eigenarten der G r u n d s t r u k t u r von „ K u n s t " (wie auch von „Wissenschaft" u n d anderen grundrechtlichen Normbereichen), d a r f nicht m i t begriffsrealistischen Idealismen vermengt werden. Dazu kommt, daß der Ort solcher empirischer Bestandsaufnahme die Analyse des Normbereichs ist, nicht aber die d e f l a t o r i sche A u f f ü l l u n g des (Anknüpfungs-)Begriffs „ K u n s t " i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG, der als Inbegriff typischer Gattungserscheinungen gefaßt werden muß. 4 Vgl. die Belege bei Lawrence S. Kubie , Neurotic Distortion of the Creative Process, passim. ^Λ?^?", B e m e r k u n g e n bei Betti, Allgemeine Auslegungslehre Methodik der Geisteswissenschaften, 161 ff. 6 Gadamer , Wahrheit u n d Methode, X I V .
als
I. Sachliche Einheitlichkeit des Normbereichs
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trennung verschiedener Elemente künstlerischer Produktion oder Werke voneinander; ist für die Vermittlung von Normprogramm — das des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bietet auch insofern keine Einschränkung an — und Normbereich die Unzulässigkeit der Gewährung verschiedenen rechtlichen Schutzes danach, ob ein „Teil" eines Werkes etwa eine „Meinungsäußerung" enthalte, der „Rest" hingegen „rein künstlerisch" konzipiert sei und so fort. Das setzt voraus (verfassungsrechtlich wie außerrechtlich) zu wissen, was Kunst sei; zumindest aber, was sie nicht sei. Kunst läßt sich jedoch durch „Meinungsäußerung", durch inhaltliche Aussage, durch Stellungnahme zu aktuellen Fragen und derlei mehr ebenso wenig positiv oder negativ definieren wie durch „Unzucht", „Gotteslästerung" oder „Ehrverletzung". Die Richtigkeit dieses Zwischenergebnisses sollte nicht durch Kataloge mit historischen und aktuellen Belegen nachgewiesen werden müssen 7 . Die viel berufene Untrennbarkeit von Form und Gehalt, von Künstlern jeder Richtung immer wieder beteuert, von Kunstwissenschaftlern jeder Schule immer wieder nachempfunden, von Werken der Kunst täglich ad oculos vorgeführt, bekräftigt die Undurchdringlichkeit des Normbereichs „Kunst" für Inhaltsgesichtspunkte und Beschränkungsmöglichkeiten anderer Grundrechte, wie etwa der des Art. 5 Abs. 1 GG. Nicht nur i n P r i m i t i v kulturen ist die „Tatsache der Ungeschiedenheit von Gegenständlichem und Bedeutung oder Sinn" 8 m i t der Erfahrung von Kunst auf wohl nicht weiter reduzierbare Weise verknüpft. Dasselbe strukturelle I n einander weist Kunst i m Verhältnis zu Naturdingen auf 9 , was auf allen historischen Stufen der Reflexion über Kunst erkannt worden ist; dasselbe auch i n einer merkwürdigen Verschränkung subjektiver Extase und transpersonaler Wirkung. Vielleicht läßt sich der Tatbestand dahin formulieren, die Intensität „gültiger" überindividueller und (begrenzt) über-zeitlicher Wirkung von Kunst wachse entsprechend dem Maß individueller Passion des Autors und ein-maliger Geformtheit des Werks. Form ist nichts Hinzutretendes, Inhalt nichts als Thema oder Gegenstand zu Verselbständigendes. Das mag als idealtypische Bestimmung angesehen werden, wenn mißglückte Leistungen, wenn narzistisch überwuchernder Formalismus (irrig vielfach m i t dem Phänomen der Künstlerkunst, des l'art pour Γ art gleichgesetzt) oder treuherzig i n den Vordergrund geschobene Thematik eines „sozialistischen Realismus" oder 7 „ V o n Aischylos bis Brecht, von Phidias bis Calder birst die K u n s t von Meinungen", Arndt, N J W 1966, 28. 8 Ziegenfuß, 311. 9 Nicht wahllos, aber unsystematisch herausgegriffen seien hierzu: Kant, K r i t i k der Urteilskraft, z. B. §§ 44 u n d 45; Worringer, Abstraktion u n d E i n fühlung, ζ. B. 35, 81; Ziegenfuß, 311: schon die K u n s t der P r i m i t i v e n geradezu als „ N i c h t - N a t u r " i n die Augen springend „als ein i n sich selbst gründendes Ausdrucksgebiet".
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
anderer „integrierender" Polit- und Suggestionsgattungen bedacht werden. Doch spielt das hier keine Rolle. Der Idealtypus, wenn es denn einer ist, macht sich i n Kunstwerken jeder Stilepoche, jeder Richtung, jeder Werkgattung beständig geltend. Die mißglückte Leistung bringt sich als solche häufig gerade am wunden Punkt mangelnder Synthese von „Form" und „ I n h a l t " zu Bewußtsein. I m übrigen ist auch das mißglückte Produkt, sofern gattungstypisch erfaßbar, durch A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ohne normative Einbuße geschützt. Die verfassungsrechtliche Strukturanalyse des Normbereichs auf dem Hintergrund der hier vorausgesetzten Hermeneutik, Interpretation und Dogmatik von (Grundrechts-)Normen ist gerade davon entlastet, ihre Befunde fortwährend daran messen zu müssen, ob denn das praktische Ergebnis eine ungute „Aufwertung", Isolierung" oder „Höchstwertigkeit" der Kunstfreiheitsgarantie zur Folge haben werde, die dann durch Modifizierung des Befunds gegebenenfalls zu verhüten ist. Wie der Blick auf die bisherigen Definitionen des Begriffs „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gezeigt hat, ist dieser F a l l allzu häufig „gegeben", solange die (Grundrechts-) Norm m i t ihrem Wortlaut, Normativität m i t sachleerem Befehl, ein Anknüpfungsbegriff m i t einem Wertungsbegriff und „Abwägung" von Termini unklaren Sachbezugs m i t Verfassungsdogmatik verwechselt werden. Da „Kunst" i n Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch keinen materialen Wertungsbegriff darstellt und m i t dem Inbegriff gattungsmäßig aufgefächerter Werktypen zulänglich erfaßt ist, muß eben nicht jedes einzelne Kunstwerk sich rechtfertigen, wegen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG das aufzuweisen, was der Normbereich als die ohnehin nur begrenzt generalisierbare Grwndstruktur von „Kunst" bietet. Die Normbereichsanalyse ist weder hier noch bei anderen (Grundrechts-)Normen als Fortsetzung pseudonormativer Vorgriffe oder apokrypher Wertungen m i t anderen Mitteln zu brauchen. Die verfassungsrechtliche Behandlung von Werken der Kunst hat somit das als „frei" Verbürgte i n seiner i m besprochenen Sinn verstandenen Einheit zu respektieren, die als „die Gestalt der Schönheit" und folglich als „die Durchdringung der Anschauung oder des Bildes durch den Gedanken", die als Form nicht dies oder jenes, nicht länger ein Thema oder einen Gegenstand (als die „gestaltlose Negativität" des reinen Denkens) zum Inhalt hat, sondern „jene Durchdringung selbst" 10 . Π . Werkcharakter von Kunst
1. Werk: „Form", „Inhalt", Dinglichkeit, Objektivität Folgerungen für die Interpretation Das Werk steht i m Zentrum dessen, was i n den Umkreis von „Kunst" gehört; stärker von seinem Autor abgelöst, verselbständigt als die Mei10
I n der Ästhetik erweist sich Hegels Ansatz als weniger gewaltsam denn
I I . Werkcharakter von K u n s t
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n u n g v o m M e i n e n d e n ; ausschließlicher „ i n s i c h " gegeben als das W e r k d e r Wissenschaft, das auch i n F ä l l e n höchster i n d i v i d u e l l e r L e i s t u n g des Forschers w e s e n t l i c h n u r als D u r c h g a n g s p u n k t f ü r w e i t e r e S c h r i t t e a u f d e m W e g z u e i n e r genauer v e r i f i z i e r b a r e n W a h r h e i t z u v e r s t e h e n ist. D i e z e n t r a l e S t e l l u n g des W e r k s 1 1 w i r d h ä u f i g v o r a l l e m a m P h ä n o m e n seines U n a b g e l e i t e t s e i n s d e u t l i c h ; e i n e r K r a f t d i n g l i c h e r S e l b s t behauptung, die m i t der D i n g l i c h k e i t a l l e i n 1 2 nicht befriedigend e r k l ä r t w e r d e n k a n n . D i e U n t r e n n b a r k e i t v o n „ F o r m " u n d „ I n h a l t " 1 3 , oder sogar, b e h ä l t m a n m a n g e l s g e n a u e r e r B e g r i f f l i c h k e i t diese W ö r t e r bei, d i e E n t b e h r l i c h k e i t des I n h a l t s f ü r d i e F o r m 1 4 , s i n d andere S e i t e n des „ W e r k " p h ä n o m e n s . Das W e r k i s t als s u b j e k t i v e E n t l a s t u n g , Daseinsb e s t ä t i g u n g oder G e f ü h l s ä u ß e r u n g seines A u t o r s n u r u n v o l l k o m m e n erfaßt. Dessen A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e r N ö t i g u n g z u r F o r m ist i n j e d e r Phase eine o b j e k t i v i e r e n d e , a u f g ü l t i g e Ergebnisse zielende, a u f E r z e u g u n g e i n e r W i r k l i c h k e i t eigener A r t gerichtete A u s e i n a n d e r s e t z u n g 1 5 . Das gegenüber s e i n e m U r h e b e r S e l b s t ä n d i g e des W e r k s b i e t e t bei andern „Gegenständen"; vgl. die genannte Stelle i n der Heidelberger Enzyklopädie (Jubiläums-Ausgabe Bd. 6, §§ 458—461), i n seinen Schriften zur Ästhetik vielfach ausgefaltet. 11 Z u m Werkbegriff des Urheberrechts, der wichtige Aspekte auch f ü r die verfassungsrechtliche Überlegung bereithält, vgl. Kummer, 5 ti., 80; Würtenberger, JuS 1968, 320 ff. — Die Zusammenfassung bei Kummer, 80, hebt zu Hecht auf folgende Teilfaktoren ab: sinnlich aufnehmbare Äußerung gedanklicher Vorstellung, I n d i v i d u a l i t ä t i m Sinn einer Abgrenzung des statistisch Einmaligen v o m Gemeingut, nicht v o m Dienst an einem bestimmten Zweck gestalthaft geprägte Formung, die nicht n u r Vollzug einer Anweisung ist u n d die sich den Sachumständen nach als Werk der „ L i t e r a t u r u n d K u n s t " , folglich als Werk i m Sinn des Urheberrechts, präsentiert. Ebd. 87 ff., das „ W e r k als geschlossenes Ganzes" unter urheberrechtlichen Aspekten. 12 Durchdringend analysiert bei Heidegger, Der Ursprung des K u n s t w e r kes, 1960, u. a. 11 ff. 13 Z u r Vertauschbarkeit dieser Begriffe i n der ästhetischen L i t e r a t u r siehe Croce, Ästhetik als Wissenschaft v o m Ausdruck, z. B. 324. 14 Beispiele aus der modernen L i t e r a t u r — i m Einzelnen von großer V i e l falt des Grades u n d der Tönung solcher „Entbehrlichkeit" — bei Friedrich, Die S t r u k t u r der modernen L y r i k , bes. 10 ff., 36 ff., 42 ff., 46 ff., 54 f., 60 ff., 69 ff., 90 ff., 102 f., 104 ff., 130 ff., 133 ff., 139 ff.; Hocke, Manierismus i n der Literatur, 182, angesichts von Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, Joyce als den (modernen) Erzvätern des „lyrischen ,musicisme u l . 15 Wie gegen die durch W ö l f f l i n u n d Riegl geprägten Auffassungen i n der Kunstwissenschaft vor allem E r w i n Panofsky k l a r gemacht hat; vgl. v o r allem seine Schrift: Das Problem des Stils i n der bildenden Kunst, 1915. — Es versteht sich, daß es i m Deutschen Idealismus wiederum Hegel ist, der das über die Subjektivität des Autors Hinaustreibende am K u n s t w e r k hervorhebt: N u r dann ist das W e r k Ergebnis des Volksgeistes u n d „Ausdruck des Gottes", w e n n „ k e i n Zeichen von subjectiver Besonderheit" m e h r i n i h m erkennbar bleibt; w e n n die Vermittlung, „durch den Schmerz u n d die T h ä t i g keit eines Subjects hindurchgegangen u n d zur Gestalt gekommen zu seyn", unmittelbar aufgehoben ist, das K u n s t w e r k „die Substanz des Subjects" darstellt u n d „der Geburtsschmerz" nichts anderes ist als „eben diese absolute Entäußerung u n d Negativität der absoluten Besonderheit", Heidelberger Enzyklopädie (Jubiläums-Ausgabe, Bd. 6), § 462; Hervorhebungen dort.
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
der Kunstphilosophie das Problem, wo der Maßstab für die Vollendung eines Kunstwerks fixiert werden könne, oder ob das Werk sich nicht nur „wie der Abbruch eines virtuell über es hinausweisenden Gestaltungsvorganges" darstelle, der i n sich selbst nicht vollendbar ist 1 6 . Nicht nur die Frage: Was ist Kunst? kann sinnvoll nur gestellt werden, wenn sie geschichtlich präzisiert w i r d ; auch das Befragen eines einzelnen Kunstwerks findet daran seine Grenze, daß i m Werk nicht ein beliebiger einzelner Inhalt anschaulich dargestellt wird, sondern daß das Werk erst hervorbringt, was Anschauung überhaupt geschichtlich ist 1 7 . Trotz dieser evozierenden K r a f t ist das Kunstwerk mehr als andere Objektivationen geistigen Aussagegehalts nicht nur von seinem Autor, sondern auch von menschlicher Gesellschaft isoliert; bezeugt es die nur „immanente Sozialität des Künstlerischen" 18 . Bei aller Plurivalenz der Kommunikation von Aussagen und ihrer Übertragbarkeit hält ein Kunstwerk nach aller Erfahrung noch am sichersten den Anspruch aus, seine Aussage könne nicht noch einmal anders ausgesprochen werden als das von seinem Urheber eben i m Werk getan wurde 1 9 . Verfassungsrechtliche Behandlung von Werken der Kunst hat die zentrale Bedeutung des Werks für künstlerisches Schaffen, künstlerische Tradition, Verbreitung, K r i t i k und Wirkung ernster zu nehmen, als das bisher vielfach geschieht. Die Kunstfreiheit ist, vereinfachend gesagt, auch als Grundrecht des Grundgesetzes um der Freiheit des Schaffens und der Wirkung von Kunstwerken w i l l e n gewährleistet, nicht als Sonderrecht 16 Vgl. Gadamer , Wahrheit u n d Methode, 89 f., i n Auseinandersetzung m i t der Kunsttheorie von Paul Valéry. Wenn Gadamer , ebd., 90, darin „ u n h a l t baren hermeneutischen Nihilismus" erblicken w i l l , w i r d das Unvermögen auch der Philosophie deutlich, K u n s t als das zu belassen, als das sie sich darstellt, anstatt sie i n das Bezugssystem eines letztlich wohlgefügten hermeneutischen Universums einzuweisen. — Siehe ferner Hauser, Philosophie der Kunstgeschichte, 273. 17 Halder, K u n s t u n d K u l t , 53. 18 Ziegenfuß, 329; ebd. 335 u n d ff. zu den Werken als den eigentlichen A n satzpunkten der Kunstsoziologie. — A m plastischsten sagt es Picasso: Meine B i l d e r sind verlorene Söhne. 19 Das w i r d selbst von Nicolai H a r t m a n n eingeräumt, der sich bemüht, K u n s t von seiner Variante der Wertphilosophie aus i n den G r i f f zu bekommen; der das Überzeugende großer Dichtung auf G r u n d einer N o r m sehen w i l l , „die über Zeitalter u n d Gegenden hinweggreift", wobei es die „ W e l t der Werte" sein soll, die solche Gemeinsamkeit zu stiften vermöge. Vgl. Philosophische Gespräche, 71 f., 77, 54 f. Ebd., 72: Dichterische Wahrheit selbst lasse sich nicht m i t einer fixen N o r m festlegen. — D a m i t hängt zusammen, was nicht n u r bei Hegel u n d Schelling i m m e r wieder als die Komponente des „Absoluten" an K u n s t beschworen w i r d , ohne doch wesentlich über Tautologien (vgl. als Beispiel: Weischedel, Die Tiefe i m A n t l i t z der Welt) oder großes Pathos hinauszugelangen, w i e i n Kandinskys W o r t von K u n s t als der „Offenbarung des Absoluten i m Ernst seines weltbildenden Spiels". — Vielleicht läßt sich der angedeutete Zusammenhang einfacher dahin u m schreiben, ein K u n s t w e r k biete, soweit es über sich hinausweist, die W a h r heit von „etwas", nicht über „etwas".
I I . Werkcharakter von K u n s t
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der Künstler, nicht als von der Rechtsordnung eximierende Regelungsmaterie des „Kunstlebens". Das „Freiheit" einräumende Normprogramm des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG anerkennt m i t seiner nicht eingeschränkten Anknüpfung die zentrale Stellung der Werke für die W i r k lichkeit von Kunst als ein Grundelement des Normbereichs. Damit ist keine „institutionelle" Deutung der Garantie impliziert, keine Abschwächung subjektiver Berechtigungen, sondern ohne solche Vorgriffe (die i m Normprogramm ihren eindeutigen Ausdruck gefunden haben müßten) zunächst nur die Feststellung, daß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jedenfalls auch und m i t besonderem Nachdruck die Existenz von Kunstwerken als „frei" gewährleistet. Wie und ob sich das m i t Gesetzesrecht vereinbaren läßt, das die Vernichtung von Kunstwerken anordnet, w i r d noch zu prüfen sein, ist aber schon hier m i t einem Fragezeichen zu versehen. Es könnte sein, daß die Existenz des Kunstwerks zu den schlechth i n unverzichtbaren Faktoren als frei garantierter Kunst, zum grundrechtlichen Wesensgehalt gehört und überdies zu jenen Geltungsaspekten des Grundrechts, die angesichts der Vorbehaltlosigkeit seiner Garantie nicht oder nur minimal flexibel sind. Ferner ergibt sich schon hier, daß unter dem Grundrecht freier Kunst nicht inhaltlich (ideologisch) gefragt werden und zum Anknüpfungspunkt rechtlicher Folgen gemacht werden darf, was i m einzelnen die Tätigkeit von Künstlern „sinnvoll" mache, was sie rechtfertige und so fort. Der „Sinn" künstlerischen Schaffens, Verbreitens, Kritisierens, Tradierens liegt darin, Werke herzustellen und ihnen die Möglichkeit der Wirkung zu eröffnen. Die dazugehörigen Aktionsformen sind wie auch die Werkformen typologisch erfaßbar. Darüber hinaus braucht sich Tätigkeit i m Normbereich von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu legitimieren und darf rechtliche Fragestellung solche Nachweise nicht verlangen. Kunstwerke sind so zu behandeln, wie es die Grundstruktur des Normbereichs „Kunst" (ungeachtet individueller Abweichungen) verlangt: als etwas, das nicht etwas „beabsichtigt", etwas „ w i l l " ; sondern als etwas, das „bedeutet", das „ist"; das nicht die Behandlung eines bestimmten Themas i n bestimmter Form bietet, keinen abgegrenzten Ausschnitt aus dem Gegebenen, sondern das m i t dem Anspruch auftritt, ein Ganzes eigener A r t zu sein 20 . 10 Solche Einsichten können zum Allgemeingut der Kunsttheorie gerechnet werden, vgl. n u r etwa Guardini , ζ. B. 21, 24, 25. — M i t ihrer Anerkennung w i r d A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht m i t einem bestimmten kunsttheoretischen Standpunkt gleichgesetzt. Das wäre auch nicht das, was der Normbereichsanalyse erlaubt und erreichbar ist. — Z u r Vieldeutigkeit des Werkphänomens vgl. ζ. B. noch G. Husserl , Recht u n d Zeit, 21, 26; Β er g str aesser, 411; Weischedel, Die Tiefe i m A n t l i t z der Welt, 15 ff., 18 („weltloses Weltsein"), 19 ff., 21 u n d f., 42 ff., 51 ff., 54 ff. — Z u m Verhältnis von Werk u n d Absolutem vgl. f ü r den Deutschen Idealismus: Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1 (hrsg. ν. H. Glockner), Werke, Bd. X I I , 1937, 107: K u n s t als „die sinnliche Darstellung des Absoluten selber"; Schelling, Philosophie der Kunst, Werke, Bd. I I I 1927 (hrsg. ν. M. Schröter), 392: K u n s t sei „selbst ein Ausfluß des
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Das Ereignishafte, das heißt das nicht auf die dingliche Gegenständlichkeit des Kunstwerks Beschränkte, sondern als Vorstellungsschema i m Betrachter, Leser, Hörer Aktualisierte w i r d dabei nicht verkannt. Theoretisch ist das Werk als eine sinnlich-anschaulich vorliegende „Sache" isolierbar, auch wenn es als „Ereignis" ein „Produkt aus Haltung und Situation" m i t dem Anstoß durch die Wirkung seiner sinnlichen Perzeption darstellt 2 1 . 2. Sozialbezug. L'art pour Vart. Stilbegriff Die ursprüngliche „soziale" Bezogenheit ist zum einen latent, 'kann i n zahllosen Einzelfällen ohne Aktualisierung bleiben; zum andern kann sie wegen des Ereignishaften künstlerischer Erfahrung und Wirkung nicht als „Eigenschaft" des Kunstwerks verdinglicht werden. Das Isolierte am Kunstwerk ist nur relativ. Es ist sachlich m i t der Latenz sozialer Wirkung identisch. Der Sozialbezug ist wegen dieser Latenz und wegen des Ereignishaften seiner Aktualisierung nichts, was dem Kunstwerk beigelegt, was von i h m erwartet oder verlangt werden könnte. Damit erledigen sich von der Normbereichsanalyse her die vielen, Rechtsprechung und Literatur durchziehenden und mangels Sachhaltigkeit an dieser Stelle nicht noch einmal zu belegenden Ansichten, nach denen Kunst i m Sinn des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bestimmten „Aufgaben" nachzukommen habe, bestimmten „ethischen" Anforderungen genügen müsse oder zumindest einen gehörigen Sozialbezug aufzuweisen habe, andernfalls sie nicht als verfassungsrechtlich geschützte Kunst anzuerkennen sei. Aus Gründen, die schon bei der Entwicklung des Kunstbegriffs anhand einer gattungstypologischen Auffächerung des Normbereichs „Kunst" dargelegt wurden, wie auch aus weiteren Gründen, die sich soeben bei der Skizze der Werk-Struktur von Kunstschöpfungen ergaben, sind solche Unterstellungen unzulässig. L'art pour l'art ist ohne normativen Unterschied durch A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG als frei garantiert. Das Gemälde, das „a painter's painter", wie die englische Sprache gelassen formulieren läßt, hergestellt hat, genießt keinen geringeren Schutz als das von Wilhelm II. höchstselbst inspirierte, überaus „sozialbezogene" Knackfuß-Gemälde „Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter!" Kunst als „reine Spielform" ist als Einlagerungserscheinung vermutlich auch i n frühen Zeiten kultischer und magischer Kunst w i r k Absoluten". — Z u m Ereignishaften von K u n s t als dem eigentlich Objektiven des Kunstverstehens aus der Sicht der Kunstsoziologie: Mierendorff-Tost, 27 (zum objektiven Charakter des Vorstellungsschemas des Deutenden und Erlebenden). 21 Vgl. Mierendorff-Tost, 27, 50; pathetischer bei Weischedel, z.B. 15, 23; subtiler bei Gadamer, Wahrheit u n d Methode, z. B. 121 f.
I I I . Z u r Stellung der Künstler i n der Gesellschaft
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sam gewesen und durchzieht alle kunstgeschichtlich aufgehellten Epochen, von Zeit zu Zeit vorübergehend das Feld beherrschend 22 . Davon abgesehen, ist das Element der Spielform, sieht man es nicht vom Künstlerbewußtsein, sondern von der Wirkung des Werks her, i n jedem Erzeugnis künstlerischer Produktion nachweisbar: als den wie auch immer gebundenen und motivierten Zweck hinter sich lassender „Überschuß" an formaler Energie, als die Selbstgenügsamkeit der Gestalt. A n Kunstwerken, die magischer, kultischer oder sonst zweckgebundener, gesellschaftlich fixierter Motivierung entstammen, deren Charakter als aktuelle Werke durch das Entfallen ihres Entstehungszusammenhangs, ihrer Entstehungszeit, ihres Entstehungszwecks aber grundsätzlich nicht beeinträchtigt wird, ist das besonders gut zu verdeutlichen. Die Emanzipierung des Werks von seinem Urheber nach Beendung des Schaffensvorgangs 23 mag m i t dieser umfassenden Möglichkeit der Emanzipierung vom gesellschaftlichen Kontext der Entstehungszeit zusammenhängen. Für die Vermittlung der Grundstruktur des Normbereichs m i t dem Normprogramm des Grundrechts ergibt sich unter dem Werk-Aspekt immer wieder dieselbe entwickelte Schlußfolgerung. Die Betonung des Werks als eines eigenständigen Gefüges verkennt i m übrigen nicht, daß die Idee „des" Kunstwerks vielleicht die kühnste kunstwissenschaftliche Abstraktion darstellt und daß eine Auffassung von der Einheit des Werks über das hier Gesagte hinaus i m Sinn eines vollkommen einheitlich, eines organisch aufgebauten, in allen Elementen vom gleichen Stil- und Formprinzip durchdrungenen Ganzen kaum mehr ist als ein klassizistisches Dogma. Die Fragen um den Stilbegriff dürften zu den ungeklärtesten Teilen der kunstwissenschaftlichen Grundlagendiskussion zählen. Weder als logischer Oberbegriff, als genetischer oder teleologischer Maßstab noch als fixierbarer Gattungsbegriff ist „ S t i l " verläßlich. Er ist allenfalls als Relationsbezeichnung verwendbar, die „sich so gut wie m i t jedem Werk von neuem konstit u i e r t " 2 4 . Doch ist hier diejenige Grenze zur Fachdiskussion erreicht, die i n der weitere Differenzierungen weder erlaubenden noch erfordernden Perspektive des grundrechtlichen Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG keine neuen Gesichtspunkte mehr liefert. Ι Π . Zur Stellung der Künstler in der Gesellschaft
2. Unzulässige Unterscheidungen (l'art pour Vart; „Klassiker") L'art pour l'art, das wohl widerspruchsvollste Problem der Ästhetik 2 5 , stellt für die Frage des Umfangs der Schutzgarantie vom Werk her .
22 ts u 15
Vgl. Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t u n d Literatur, Bd. I, 75, 78 ff. Vgl. etwa Hauser, Philosophie der Kunstgeschichte, 77 f. Hauser, ebd. (Anm. 23), 231; ferner zum T e x t ebd. 108, 164, 414 ff. Siehe die eindringliche Analyse bei Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
keine Probleme. Das von innerkünstlerischen Wertungen freie, diese gerade frei haltende Normprogramm erlaubt keine Differenzierungen unter solchen Aspekten. Das gilt auch für das Verhältnis des Künstlers zur Gesellschaft i m Licht der verfassungsrechtlichen Fundierung dieses Verhältnisses. Zum einen schließt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG aus, daß der Künstler i n seinem Schaffen auf die eine oder andere Weise m i t Hilfe staatlicher M i t t e l für das politische Gemeinwesen inhaltlich fixierend i n Pflicht genommen wird. Er schließt zum andern aus, daß angesichts der Unsicherheit noch jeder Öffentlichkeit gegenüber den Arbeiten künstlerischer Avantgarde von Rechtswegen unter Zurückweisung dieser A r t (unfreiwilliger) Künstlerkunst dem Bewährten, Klassischen eine Vorzugsstellung eingeräumt wird. Das darf auch nicht i n Form wertenden Vergleichs bei der Bestimmung eines (verfassungs-)rechtlichen „Kunst"begriffs, bei Förderungsmaßnahmen i m Sinn einer verfestigten Richtung der Kunstpolitik oder durch Bevorzugung „gemäßigter" Kunstprodukte i m Rahmen von (beispielsweise polizeirechtlichen) Ermessensentscheidungen geschehen. Die Rekrutierung der jeweiligen „Klassik" ist selten mehr als ein Vorurteil. Die Schwankungen i n der Wirkungsgeschichte heute als so unbestreitbar erscheinender Größen wie Dante, Shakespeare, Rubens, E l Greco, Rembrandt, J. S. Bach veranlassen zu beträchtlicher Vorsicht. A m Rand sei bemerkt, daß die unbesehene Besserstellung von „Klassikern" i n strittigen Einzelfragen wie etwa dem „Unzuchts"-Urteil des Strafrechts durchaus unbegründet ist. Macht es sich ein Gericht zur Aufgabe, bei Beurteilung eines (literarischen) Kunstwerks zu prüfen, ob es dem „sittlichen Empfinden des deutschen Durchschnittslesers" entspreche oder nicht 2 6 , so müßte es sich darüber i m klaren sein, daß so gut wie keiner der für groß gehaltenen Dichter von der Antike bis zur Gegenwart in Aufstellungen fehlen würde, die nach solchen Kriterien erstellt worden wären. Von philosophischer Hermeneutik hat das Klassische i n jüngerer Zeit ein neue Deutung eru n d Literatur, Bd. I I , z. B. 251, 259 f. — Moraltheologische Bedenken gegen eine autonom verstandene Künstlerkunst, die „der hierarchisch geordneten W i r k l i c h k e i t u n d der Einheit des menschlichen Lebens" widerspreche, so Egenter, A r t . K u n s t und Ethos, moraltheologisch, L e x i k o n f ü r Theologie u n d Kirche, 19612, Bd. 6, Sp. 687, sind f ü r A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht v e r w e r t bar. — Vgl. bei Watson , Kunst, Künstler u n d soziale Kontrolle, 10 f., die Nachweise zu Autoren w i e Ross, Dowd, Cooley u n d andern, die noch u m 1930 davon ausgehen, K u n s t habe Gefühle und Ideen zur Förderung der menschlichen Wohlfahrt zu vermitteln. Parteiprogramme u n d kunsttheoretische Schriften weisen hier m i t u n t e r Berührungsstellen auf. — Z u m Nachwirken der sozial wirksamen Vorstellung, nach der ein unmoralischer Mensch kein bedeutendes B i l d malen könne, vgl. A. Guérard, A r t for Art's Sake, Boston, 1936, 161. îe So das Landgericht F r a n k f u r t i n einer Entscheidung zu dem Roman „ K a i n " des schwedischen Autors Bengt Anderberg, Pressenotiz i n der F A Z v o m 14.1.1955; hierzu Jäger, 120.
I I I . Zur Stellung der Künstler i n der Gesellschaft
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f a h r e n ; n i c h t l ä n g e r i m S i n n k a n o n i s i e r t e r E r s t a r r u n g , s o n d e r n eines E i n r ü c k e n s i n e i n Überlieferungsgeschehen, das v o n e i n e r g r u n d s ä t z l i c h unbegrenzten u n d jeweils i m Einzelfall aktualisierten Fortdauer u n mittelbarer Aussagekraft künstlerischer W e r k e ausgeht27. Die Möglichk e i t solcher F o r t d a u e r abzuschneiden, ist d e m Staat, seinen B e h ö r d e n u n d G e r i c h t e n w i e der Gesetzgebung d u r c h A r t . 5 A b s . 3 Satz 1 G G v e r w e h r t . Das g i l t gerade auch gegenüber solchen K ü n s t l e r n d e r V e r g a n g e n h e i t oder d e r G e g e n w a r t , d i e auf e i n e r l i s t a s a n c t o r u m der K l a s s i k n i c h t z u f i n d e n sind. E i n d e r a r t i g e s V e r f a h r e n , seit d e r Z e i t des K a i s e r reichs b i s z u m G r u n d g e s e t z noch n i c h t ausgestorben, d ü r f t e z u m i n d e s t n i c h t übersehen, daß n i e m a n d schärfer d e n n der n a c h m a l i g e K l a s s i k e r als R e v o l u t i o n ä r z u b e g i n n e n h a t . D e r A u f r u h r m a g aber nach e i n e m J a h r h u n d e r t als s t a a t s e r h a l t e n d erscheinen, w i e die A r g u m e n t a t i o n des Preußischen O b e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t s i m U r t e i l v o m 27. S e p t e m b e r 1923 z u K l e i s t s „ H e r r m a n n s c h l a c h t " d e u t l i c h m a c h t 2 8 . A u c h noch u n t e r A r t . 5 A b s . 3 Satz 1 G G f i n d e n sich z u m B e i s p i e l E r w ä g u n g e n , d i e S t r a f b a r k e i t l i t e r a r i s c h e r W e r k e danach z u b e u r t e i l e n , ob diese nach A n s i c h t des Gerichts d e r W e l t l i t e r a t u r a n g e h ö r e n oder n i c h t 2 9 . Solche E n t s c h e i d u n g e n v e r s t o ß e n schon w e g e n g r u n d r e c h t s w i d r i g e r M a ß s t ä b l i c h k e i t i m d a r g e l e g t e n S i n n gegen d i e F r e i h e i t s g a r a n t i e u n d s i n d d a m i t v e r f a s sungswidrig. 27 Gadamer , Wahrheit u n d Methode, 269 ff., 274 f. — Allgemeine Einsichten i n die dem redlichen Bewußtsein k a u m vorstellbare Relativität kollektiver Bewertung von Kunst(-richtungen) beispielsweise bei L. L. Schücking, Soziologie der literarischen Geschmacksbildung; Hauser, Sozialgeschichte der Kunst u n d L i t e r a t u r ; ders., Philosophie der Kunstgeschichte; Nicolas Slonimsky, Lexicon of Musical Invective. Critical Assaults on Composers since Beethoven's Time, New Y o r k 1953. 28 p r o V G E 78.272 ff. Die Prüfung anhand der polizeilichen Generalklausel des 10 I I 17 A L R i m Hinblick auf ein von der SPD nach dem Tod Rathenaus beantragtes Aufführungsverbot orientierte sich zum einen am I n h a l t des Stücks, zum andern an der voraussichtlichen W i r k u n g der A u f f ü h r u n g i. S. von P r V e r w B l . Jg. 24.829 u n d P r V e r w B l . Jg. 30, 172. Das Gericht läßt der „Herrmannschlacht" freie Bahn; das Drama sei „ k e i n i m Hinblick auf die politischen Verhältnisse der Gegenwart geschriebenes Tendenzstück, sondern ein klassisches deutsches Drama, dessen dichterischen Wert jeder Deutsche ohne Unterschied der politischen Gesinnung anerkennen kann". „Gerade gegenüber derartigen großen K u n s t w e r k e n " müsse „die Polizei besonders sorgfältig prüfen, ob ein durchgreifender Anlaß zu verbotsweisem Einschreiten" vorliege, 275. Vgl. ferner die i m Hinblick auf Kleists Intentionen erheiternden Ausführungen ebd., 275 f. — Tendenzstücken bekommt das A l t e r n gut, w o Fragen der Kunstfreiheit polizeirechtlich u n d n u r polizeirechtlich t r a k tiert werden. W i r d das Grundrecht der Kunstfreiheit ernst genommen, k o m m t es auf solche Unterscheidungen nicht an. — Vgl. zum KlassikerArgument auch das Kgl.Sächs.Ob.LGer., Entscheidung v. 16. März 1901 = Reger 22, 3 ff. (zu Tolstojs „ D i e Macht der Finsternis"). 29 Vgl. Krauss, FamRZ 1959, 485 ff., der 488 „grundsätzlich" die Geltung der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG auch für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG behauptet, die „Ausnahmefälle", i n denen diese Vorbehalte jedoch n u r angewendet werden sollen, nach den K r i t e r i e n : Establishment oder NichtEstablishment abgrenzt: „ M a n w i r d den Komödien des Aristophanes, den
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t " 2. Zur sozialen
Stellung
von Künstler
und
Kunst
A r t . 5 A b s . 3 Satz 1 G G v e r b i e t e t j e d e m i t t e l b a r e oder u n m i t t e l b a r e staatliche B e s t i m m u n g d a r ü b e r , w i e K u n s t auszusehen h a b e ; d a m i t auch i m w e i t e r e n S i n n j e d e A u s l e g u n g d e r F r e i h e i t s g a r a n t i e oder g r u n d r e c h t s b e r ü h r e n d e r R e c h t s v o r s c h r i f t e n i n e i n e r R i c h t u n g , d u r c h d i e des K ü n s t l e r s soziale R o l l e f i x i e r t w e r d e n k ö n n t e . Diese R o l l e i s t eines d e r d u r c h das g r u n d r e c h t l i c h e N o r m p r o g r a m m r e z i p i e r t e n G r u n d e l e m e n t e des N o r m b e r e i c h s , das w e g e n d e r G a r a n t i e f r e i e r K u n s t d u r c h s t a a t lichen Eingriff nicht funktionalisiert u n d an irgendwelche inhaltlich festgelegte Z i e l v o r s t e l l u n g e n g e b u n d e n w e r d e n darf. D a m i t s i n d n i c h t n u r die groben Zwangsmaßnahmen verboten, die K u n s t d i k t a t u r e n j e d e r C o u l e u r noch i m m e r k u l t i v i e r t h a b e n 3 0 . Es i s t auch sonst n i c h t Sache des Staates, d i e p r o b l e m a t i s c h e S t e l l u n g d e r K ü n s t l e r i n d e r G e sellschaft des Sozialstaats s t r u k t u r e l l g r u n d s ä t z l i c h z u „ s a n i e r e n " . D a m i t i s t gegen s t a a t l i c h e K u n s t f ö r d e r u n g , d i e sich e i n e r e i n g r e i f e n d e n , f i x i e r e n d e n oder sonst k u n s t p o l i t i s c h s t e u e r n d e n Tendenz e n t h ä l t , n i c h t s gesagt. Das g i l t , o b w o h l die F ö r d e r u n g s b e d ü r f t i g k e i t v o n K ü n s t l e r n u n d K u n s t ihrerseits Ausdruck tiefgreifender s t r u k t u r e l l e r Schwierigkeiten ist. Es i s t n i c h t z u l e t z t eine F o l g e d e r „ a t m o s p h ä r i s c h e n " w i e d e r h a n d Epigrammen des Martial, der italienischen Novelle, dem Schelmenroman, der L y r i k des galanten Zeitalters u n d der modernen K u n s t bis herab zu Henry M i l l e r nicht unter Berufung auf A r t . 2 Abs. 1 GG entgegentreten." — Dem O L G Celle geht es i m U r t e i l v o m 15. A p r i l 1953, N J W 1953, 1317, u m die Beurteilung einer galanten Anthologie als K u n s t w e r k oder N i c h t - K u n s t w e r k unter Gesichtspunkten des § 184 StGB. Die Strafkammer verneint „dann aber eine objektive Unzüchtigkeit der genannten Broschüren, w e i l die Werke Casanovas u n d Zolas der Weltliteratur angehörten u n d auch die Schrift von Skadé, die zwar minderen Ranges sei, noch nicht als unzüchtig angesprochen werden könne". Der Senat findet übergeordnete Rechtsmaßstäbe: „Hinsichtlich des letztgenannten Werkes ergeben sich schon hier rechtliche Bedenken. Auch i n literarisch bewanderten Kreisen w i r d w e i t h i n das W e r k von Skadé unbekannt sein. Es hätte daher der Darlegung bedurft, w a r u m das Werk, aus dem die Broschüre ,Nächte i n Sevilla' einen Auszug darstellt, als ganzes betrachtet nicht unzüchtig sei. Diese Bedenken treten bei d e n Werken Casanovas u n d Zolas nicht h e r v o r . . . " , ebd., 1317. — Das U r t e i l des Senats hätte bessere Aussichten, i n die diesbezügliche judizielle W e l t l i t e r a t u r einzuziehen, wenn nicht die Konkurrenz auf dem Feld der Verkenniung grundrechtlicher N o r m a t i v i t ä t gerade bei der Kunstfreiheit allzu groß wäre. — Nicht weniger bedenklich ist die Rückführung verfassungsrechtlicher „Gewissens"urteile auf ein „objektives" Establishment (vom jeweiligen Beurteiler) anerkannter „ I n h a l t e " ; Anschauungsmaterial i n dieser Richtung bei Brinkmann, Grundrecht u n d Gewissen i m Grundgesetz, 1965. 80 Vgl. f ü r die Zeit von 1933 bis 1945 i n Deutschland ζ. B. Brenner, Die K u n s t i m politischen Machtkampf 1933/34, Vierteljahreshef te für Z e i t geschichte 10 (1962), 17; dies., Die K u n s t p o l i t i k des Nationalsozialismus, 1963; Roh, „Entartete" Kunst. Kunstbarbarei i m D r i t t e n Reich, 1962; Wulf, Die Bildenden Künste i m D r i t t e n Reich, 1963; ders., M u s i k i m D r i t t e n Reich, 1963; ders., L i t e r a t u r u n d Dichtung i m D r i t t e n Reich, 1963; ders., Theater u n d F i l m i m D r i t t e n Reich, 1964 (Dokumentationen); ferner etwa die Bemerkungen bei Erbel, 65 ff. (bis 81).
I I I . Z u r Stellung der Künstler i n der Gesellschaft
79
fest sozialen Isolierung des Künstlers i n der pluralistischen Wohlstandsgesellschaft, daß seine wirtschaftliche Lebensgrundlage wie auch, als ihre Durchgangsstufe, seine Anerkennung i n der Öffentlichkeit zunehmend von der i m übrigen vielfach kunstfremd motivierten Kooperationsbereitschaft eines Oligopois von Großverlagen und Großorganisationen des Kunstkonsums abhängig w i r d 3 1 . Es übersteigt die Vorstellungskraft des gutgläubigen Kunstkonsumenten, wie umfangreich und wie relevant die i m Ergebnis unterdrückten, w e i l nicht „ins Geschäft gekommenen" Produktionen jeder Werkgattung sind. Dem sozialpsychologischen Archetyp des „verkannten Künstlers", einem Grundmuster, das historisch präzisiert und begrenzt werden kann, fügt die W i r t schaftsstruktur der sozialstaatlichen Gruppengesellschaft durchaus neue Faktoren hinzu. Mäzenatentum, das i n feudalen Gesellschaften wenigstens zuweilen große Begabungen erfaßte, ist von privater wie staatlicher Seite zur quantité négligéable geworden. Seine Wirkung ist wegen der i n Kunstwissenschaft, Kunstgeschichte und Kunstsoziologie genügend belegten Verspätung des künstlerischen Geschehens i n der Resonanz des Publikums, die sich kurz gesagt darin äußert, daß etwa seit 1800 „der Durchschnittsbürger für die Kunst der Zeit seiner Großmütter schwärmt" 3 2 , durch nichts ersetzbar, das sich bisher dafür hielt. Gerade auch ökonomisch profitiert Kunst durchaus nicht von der Tatsache, zur verkäuflichen Massenware geworden zu sein. Zum Verlust an gesellschaftlichem Halt tragen nicht nur Kommerzialisierung und der vage Charakter der Rolle des Künstlers bei. Wachsende Esoterik künstlerischer Ausdrucksmittel bei wachsender Ausdrucksfreiheit auf Seiten der Autoren, eher noch zunehmender Umfang des Reagierens nach ideologischen Klischees auf Seiten des immer weniger „sachverständigen" Massenpublikums und insgesamt eine Verschärfung des „Kunstschocks", der „kulturellen Verspätung", des cultural lag sind wohl die hauptsächlichen Merkmale der Verbreiterung der spätkulturellen Distanz zwischen Künstler und Publikum. Die Kunst erscheint 81 Vgl. die zutreffenden Bemerkungen bei Scheuner, W D S t R L 22 (1965), I f f . , 9 f., 10; ferner z.B. E. R. Huber, Z u r Problematik des Kulturstaats, 9; Gehlen, I n die Freiheit verstrickt. Z u r Situation der modernen Kunst, M e r k u r 14 (1960), 301; ders., Zeit-Bilder. Z u r Soziologie u n d Ästhetik der modernen Malerei, 19652. — Vgl. dagegen die Quacksalberei der „Kunstprogramme" der politischen Parteien; hierzu Mierendorff, K u l t u r a r b e i t 1959, 227. — Siehe ferner die wenig ermutigenden Angaben schon bei Lutze, Künstlerhilfe, K u l turarbeit, 1950, 179 f.; weiter etwa: Henze, Die zweite Hälfte der Kunst, K u l turarbeit 1962, 61 u n d die Bemerkungen zur Beeinträchtigung künstlerischer Leistung durch wirtschaftliche Not z. B. bei Roh, Der verkannte Künstler, 355. — Z u r Entfremdung des Künstlers i n der Gesellschaft als psychologisches Problem vgl. Mierendorff, K u l t u r a r b e i t , 1957, 70. 82 So läßt sich i n der Tat der bedenkliche Befund von Roh, Der verkannte Künstler. Studien zur Geschichte u n d Theorie des k u l t u r e l l e n Miß verstehens, 1948, passim, salopp zusammenfassen.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
als nicht utilitäre, als sekundäre Institution 8 3 , während sie i n u r t ü m l i chen Gesellschaften m i t einfacher Arbeitsteilung als utilitäre Primärinstitution integriert ist. Isolierung durch Abnahme des aktiven Interesses der Mittelschicht, Isolierung als Folge der ökonomischen M a r k t orientierung und Isolierung i m Sinn einer Beziehungslosigkeit, als deren Ausdruck l'art pour l'art zum Teil verständlich wird, sind vom Ergebnis her gesehen weitere Grundzüge des Normbereichs „Kunst". Neue Bewegungen der Kunst sind nur noch als Fremdkörper innerhalb der sozialen Umgebung begründbar. Die soziologische Erscheinung der Bohème hängt auch hiermit zusammen 34 . Das keinem Auswahlprozeß mehr unterliegende demokratisierte Massenpublikum muß mangels hinreichender Fähigkeit zu sachlichem Konsens und sozialer Aktion, wegen der Stereotypie seiner Reaktionen und der Zufallsanfälligkeit sozialer Interaktion als i m Sinn der Soziologie nur mehr „diffuses" Publikum bezeichnet werden 3 5 . K a r l Mannheims Optimismus, trotz dieser Diagnose stehe eine Wiedereingliederung der Künstler i m Sinn einer Konsolidierung ihrer sozialen Rolle bevor 3 6 , w i r d durch die reale Entwicklung nicht gestützt. Noch immer erscheint die Grundlage von Sartres Literaturtheorie zutreffend, wenn nicht i m Akzent noch verschärft: Die Arbeit des Schriftstellers als Appell an die Freiheit des Andern; sein Unternehmen i m ganzen als A k t i o n der Freiheit, die das utopische Wesen von Freiheit wieder sichtbar macht, wenn sie den Menschen aus seiner Verlorenheit an die Welt der Dinge löst, indem sie selber die i n ihrer bestimmten Gesellschaft dominante Form der Selbstentfremdung hinter sich läßt. Diese scharfsichtige Theorie 3 7 ist ihrerseits Ausdruck einer Lage, i n welcher der Schriftsteller sein Publikum verloren hat, i n der er es m i t jedem Werk nicht nur von neuem zu suchen, sondern i n gewissem Sinn hervorzubringen hat. Werden der Erörterung empirische Befunde so allgemein nachgewiesener A r t zugrundegelegt, dann bleibt i m Bewußtsein zu halten, daß auch diese Frage nach der Stellung „des" 33 I m soziologischen Sinn des Begriffs; hierzu die Analyse der sozialen Rolle des Malers i n der modernen Gesellschaft bei Watson , 48 ff., 52; ebd. 50 f., 54 zum folgenden. 34 Vgl. C. Ware, Greenwich Village, Boston, 1935; Watson, 58, 60 ff.; siehe auch die Bemerkung bei Luhmann, Grundrechte als Institution, 69 A n m . 48: die Bohème als Beispiel f ü r die Ersatzfumktion der Subkulturen (hier i m Sinn eines „Selbstdarstellungsasyls"). 35 I m Sinn der Bestimmung bei K a r l Mannheim, Systematic Sociology, London 1957, 107. Siehe auch Watson, 63 ff. 36 Essays on the Sociology of Culture, 206. Zuversichtlich (wenn auch n u r i m prognostischen, nicht i m „teleologischen" Sinn): Watson, 101. 37 Sartre, Qu'est ce que c'est que la littérature?, Situations I I , Paris 1948; hierzu Rohrmoser, 637; ebd. zur Abhängigkeit dieser Theorie von der realen Lage des Künstlers ohne Gegenüber. — Z u r Zweideutigkeit dieser „ F r e i setzung" des Künstlers gegenüber der Gesellschaft ungefähr seit Beginn des vorigen Jahrhunderts vgl. auch Gadamer, Wahrheit u n d Methode, besonders 83.
I I I . Zur Stellung der Künstler i n der Gesellschaft
81
Künstlers i n der Gesellschaft geschichtlich wandelbar ist, national i n erstaunlichem Grad verschieden 38 , verschieden zudem für verschiedene Kunstgattungen und nicht zuletzt für verschiedene Begabungshöhen und Grade der Anpassungsbereitschaft: das Gefällige, Modische und Arrivierte gibt es i n jeder „Lage". Doch umschreiben die angedeuteten Merkmale durchaus die Grundstruktur des Normbereichs „Kunst" für ihre Fragestellung. Eine i n den vergleichbaren Industriegesellschaften bemerkbare gesellschaftliche Einebnung t r i f f t bei allen Unterschieden i m einzelnen die empfindliche Sache „Kunst" i n gleichem Ausmaß und m i t gleicher Tendenz. Gesellschaftliche Schichten, deren Kunstgeschmack die Auswahl für die Gesamtgesellschaft traf, sind nicht mehr vorhanden. Das Feuilleton ist nicht funktioneller Ersatz, sondern seinerseits Ausdruck der Erwartungen eines diffus gewordenen Publikums 8 9 . Die Geschmacksträgertypen 40 sind entfallen, die i n der Vergangenheit eine (partiell) verläßliche Grundlage für Werk und Wirkung von Kunst lieferten. Neue, die sie i n dieser Funktion wirklich ersetzen könnten, sind nicht zu erkennen. Ist Kunst auf bestimmte Geschmacksgruppen auch nicht unbedingt zugeschnitten, muß sie gerade i n ihren bedeutenden Leistungen keineswegs auf solche zugeschnitten sein, so ändert das nichts an der Einsichtigkeit der These, Kunst sei i m ganzen durchaus „ i n ihren bestimmten Erscheinungsformen von gewissen Geschmacksträgertypen und das Sichdurchsetzen dieser Gruppen wiederum davon abhängig", welche Potenz sie i m sozialen Gefüge darstellen, „genauer gesagt, wie weit sie den Mechanismus des Kunstlebens beherrschen 41 ' 42 . 88 Z u dem überaus verschiedenen Grad der „Einbürgerung" des Künstlers, vorab des Schriftstellers, i n Frankreich u n d Deutschland hat Robert Minder erhellende Untersuchungen beigesteuert; vgl. etwa: K u l t u r und L i t e r a t u r i n Deutschland u n d Frankreich. F ü n f Essays, 1962, ζ. B. 5 ff. Unter vorwiegend historischen Aspekten aufschlußreiche Feststellungen i n derselben Richtung (vor allem an Beispielen aus dem französischen u n d deutschen Mittelalter) bei Ernest Jouhy, Literarisches Engagement i n der entgrenzten Welt, i n : liberal, Jg. 7 (1965), 89 ff., bes. 93 ff. — Historisch w i r d die Grenzscheide von K u n s t als praktischer u n d sozial-nützlicher Erscheinung zur endgültigen Subjektivierung erst i n der europäischen Romantik angesetzt: Hauser, P h i l o sophie der Kunstgeschichte, 59. 89 Siehe auch bei Mierendorff - Tost, 82 ff., 88 ff., 94 f. 40 Den heuristisch wertvollen Begriff hat L e v i n L. Schücking i n die L i t e ratursoziologie eingeführt, vgl. seine Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, etwa 81 ff., 85, 92, 108 f.; v. a. 87 ff., 92, 95 ff., 99 ff. m i t näheren historischen u n d nationalen Unterscheidungen u n d wenig ermutigenden sachlichen Perspektiven für die Möglichkeit real freier Kunst i n der Zukunft. 41 Schücking, 92. — Ebd., 24 ff. zur Verschiebung der sozialen Stellung des Künstlers; 36 ff. zur Vertiefung der K l u f t zwischen P u b l i k u m und K u n s t durch den Naturalismus; 40 ff. zu: „ Z e r k l ü f t u n g des Publikums u n d Zurücktreten des literarischen Elements i m gesellschaftlichen Leben"; s. a. 44, 47 u n d ff.; 76 ff., 81 ff., 87 ff. 42 Aufschlußreiche historische Untersuchungen bei Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t u n d Literatur, z. B. 118 ff. (zur sozialen Stellung von Dichtern u n d K ü n s t l e r n i m A l t e r t u m ) ; 341 ff. (zur B i l d u n g des uns geläufigen Einheits-
6 Müller, Kunst
82
3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
3. Grundrechtliche
Freiheit von staatlichem Dirigismus
Die grundrechtliche Garantie des Normbereichs als „frei" verwehrt es dem Staat, erkannte strukturelle Schwächen und Bedenklichkeiten i n eigener Regie verbessern zu wollen. Kunst, die bei allem Gemachten immer wieder aus dem „Gemußten" kommen kann, bei der Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit des Kreativen immer ineinanderspielen können, die keine Beziehung zwischen ästhetischer Qualität und sozialer Funktion erkennen läßt 4 3 , darf nach dem normativen Gehalt der Kunstfreiheitsgarantie nicht von Staats wegen „ i n Ordnung gebracht werden", sei die Überzeugung der Machthaber auch noch so gefestigt, diese oder jene Misere i m Kunstleben beheben zu können 4 4 . Kunst entzieht sich schlechthin der durchgängigen Funktionalisierbarkeit, wo sie m i t der Grundstruktur ihres tatsächlichen Erscheinungsbildes durch die Verfassung als „frei" verbürgt wird. Sie widerstrebt solcher Funktionalisierung auch aus eigener sachgeprägter Widerstandskraft in dem Maß, i n dem soziale Wirkung und soziale Funktion von Kunst i m allgemeinen schlechthin nicht zutreffend definierbar sind. Sozialität wie Α-Sozialität können Bedingungen ihres Entstehens sein. Hermetische Kunst, Ausdruck abseitigster Individualität, kann auf längere Sicht stärkste Wirkung zur Folge haben. Der Künstler kann sich esoterischer oder exoterischer Symbole bedienen, ohne daß damit auch nur i m mindesten etwas über Qualität, Originalität, über Resonanz beim Zeitpublikum oder über geschichtliche Fernwirkung ausgesagt wäre. Nur in begrenztem Sinn kann Kunst als Kommunikationsmittel verstanden werden. Bestgemeinte staatliche Projekte der Kunstpolitik sind nach aller Erfahrung nur zu häufig zu Lasten freier schöpferischer Entfaltung gegangen. Die grundrechtliche Freiheitsgarantie umschließt Risiken für die Kunst wie für das politische Gemeinwesen. Diese Risiken sind der Preis dafür, daß eines der großen und ursprünglichen menschlichen Ausdrucksgebiete i n seiner Eigengesetzlichkeit belassen werden soll, mag auch diese Eigengesetzlichkeit bei der Untersuchung der Normbereichsstruktur des Grundrechts noch so viele Labilitäten ergeben. Nicht einmal der cultural lag, das sozusagen historisch institutionalisierte Mißverstehen neuer Formen künstlerischer Aussage, ist periodisierbar oder zuverlässig als Erkenntnismittel rationalisierbar. Von der Sache her hat der Staat hier kein A m t austeilender oder ausgleichender Gerechtigkeit. U m der Eigengesetzlichkeit der Sache willen schneidet begriffs „ K u n s t " i n Renaissance und Humanismus); 347 u n d ff. (zu Michelangelo als dem Prototyp des modernen Künstlers u n d zur E n t w i c k l u n g des Geniebegriffs); ebd., Bd. I I , z. B. 63 ff., 124, 173 u. ö. 43 Vgl. D. W. Gotshalk, A r t and the Social Order, Chicago 1947. 44 Die Frage einer nicht-steuernden Möglichkeit punktueller Kunstförder u n g w i r d dabei, w i e auch oben, nicht berührt.
I V . Z u r Unsicherheit ästhetischer Wertung
83 45
das Freiheitsrecht i h m jeden Beruf zu steuerndem Eingriff ab . „Sein" und „Funktion" des Kunstwerks erscheinen als unverbunden 4 6 . Jedenfalls ist eine rational einsichtige und konstante oder sich nach verfolgbaren Periodisierungen wandelnde Verbindung zwischen ihnen nicht nachweisbar. Schlüsse vom Werk auf seine „Aufgabe" positiver oder negativer Bestimmung, Rückschlüsse von der festgestellten Wirkung eines Werkes auf seine Individualität, seinen „Wert", seine „Schutzwürdigkeit" und so fort sind staatlichem Handeln und Beurteilen i n Respektierung dieser i m Normbereich angelegten Ambivalenz der Grundgesichtspunkte verwehrt. Diese Ambivalenz muß auf sich beruhen, wenn Kunst frei bleiben soll. I V . Zur Unsicherheit ästhetischer Wertung
Die Sperrwirkung des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegen ästhetische Werturteile staatlicher Stellen als Grundlage (belastender) rechtlicher Entscheidung 47 ist schon bei dem Teil der Normbereichsuntersuchung hervorgehoben worden, der die hier vorgeschlagene Entwicklung des Anknüpfungsbegriffs „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestützt hat. Sie findet Rückhalt auch noch i n anderen, vor allem historisch-empirisch zu belegenden Elementen des Normbereichs. Diese bezeugen eine mit Kunst offenbar sachnotwendig verbundene Unsicherheit des ästhetischen Urteils, die als eine der Grundstrukturen der als frei garantierten Sache „Kunst" auch i m Sinn des Verfassungsrechts zu den norminhaltbestimmenden Faktoren zu zählen ist. 45 Α-Sozialität kann der Kunst notwendig u n d unersetzlich sein; Vergleiche m i t Recht, Religion u n d Wissenschaft sind insoweit fehl am Platz: B r i n k mann, A r t . Kunstsoziologie, 425. „Individuelles" u n d „soziales" Schaffen sind i n jedem T y p v o n Gesellschaft u n d nebeneinander anzutreffen, auch i n der funktionsteiligen Großgesellschaft. Funktionelle Einschichtungsphänomene machen durchgängig objektivierende Thesen über „die" soziale Rolle der K u n s t unmöglich u n d erlauben allenfalls Periodisierungen und Typlsierungen, die aber nie ohne abweichende Einschichtungen anzutreffen sind: vgl. etwa Zwilgmeyer, 1134ff.; Ziegenfuß, z.B. 328. Siehe auch Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t u n d Literatur, Bd. I , ζ. B. 75 u n d ff., 108, 331 ff., 341 ff. 46 Vgl. Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t u n d Literatur, Bd. I I , 260, wo am Phänomen des l'art pour l'art die „dualistische, innerlich geteilte N a t u r der ästhetischen H a l t u n g " illustriert w i r d . Der Sinn des einzelnen Werkes könne beständig schwanken „zwischen einem immanenten, v o m Leben und jeder w e r k jenseitigen W i r k l i c h k e i t abgeschnürten Sein und einer durch das Leben, die Gesellschaft, die Praxis bedingten Funktion". Die „unauflösbarste Paradoxie des Kunstwerks" w i r d d a r i n gesehen, „daß es f ü r sich u n d wieder nicht n u r für sich da zu sein scheint; daß es sich an ein konkretes, historischsoziologisch bedingtes P u b l i k u m wendet, gleichzeitig aber so w i r k t , als ob es von einem P u b l i k u m überhaupt keine Kenntnis nehmen wollte", ebd., 261. Diese Stelle stehe f ü r die Vielzahl analoger Beobachtungen und Umschreibungsversuche i n Kunstgeschichte, Kunsttheorie und Soziologie der Kunst. 47 Wiederum abgesehen von Fragen der Förderung. Das Grundrecht gibt keine subjektiven Ansprüche auf Förderung. Es steckt dem fördernden Staat die Grenzen des Zulässigen ab.
6·
84
3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Die erdrückende Vielzahl der Beispiele radikaler ästhetischer Wertungswandlungen, von einem Extrem ins andre taumelnder Umwertungen braucht hier nicht ausgebreitet zu werden. Ginge die Frage rechtlichen Schutzes von Kunstwerken auf die Frage ihrer Qualität, genauer gesagt: der derzeit vorherrschenden Meinung über ihre Qualität, so wäre er noch kurz nach der Jahrhundertwende den Arbeiten Hölderlins versagt worden, die von der „Geschichte eines u m ein Jahrhundert aufgesparten Werkes" Zeugnis geben 48 . Der Nachweis der soziologischen Relativität von Qualitätsurteil und Genie-Bewertung hat verwickelte Zusammenhänge zutage gefördert, deren am wenigsten wirksamer Faktor häufig die Qualität der fraglichen Werke i s t 4 9 ' 5 0 . Zudem sind angesichts der i n der westlichen K u l t u r wahrscheinlich trotz aller historischen Umbrüche i m ganzen beispiellosen Revolution der modernen Kunst i n besonderer Weise die Maßstäbe oder vielleicht gar „die Grenzen zwischen künstlerischer und außerkünstlerischer Wirklichkeit . . . unsicher geworden" 5 1 . Auch die Tatsache, daß die Ästhetik einer Epoche i n der Regel derjenigen der ihr vorhergehenden entgegengesetzt ist, hat der Kunst- und Literaturgeschichte bislang noch nicht zu Periodisierungsgesichtspunkten verholfen, die mehr denn spekulative Vereinfachungen wären 5 2 . Daß seit K a n t Ästhetik i m Sinn von Theorie der 48 Gadamer y H ö l d e r l i n u n d das Zukünftige, i n : Kleine Schriften, Bd. I I , 1967, 45 ff., 46 u n d f. Unzutreffend dagegen die Hinzufügung, es sei dies „ e i n i n der neueren Geistesgeschichte einzigartiger Vorgang"; das Gegenteil zeigen — u m n u r bei der L i t e r a t u r des 19. Jahrhunderts zu bleiben — Beispiele von Lautréamont bis Georg Büchner; zu schweigen i n diesem Zusammenhang von den gegenläufigen Exemipeln, die zwischen E m i l L u d w i g , Paul Heyse u n d Rudolf Herzog Legion sind u n d eine auch v o m heutigen „Gebildeten" k a u m mehr bewußt gehaltene Hekatombe degradierter literarischer Größen umfassen, die von den Zeitgenossen u n d zeitgenössischen Experten jeweils bona fide u n d vollen Ernstes neben Goethe gestellt worden waren. — I m übrigen zeigt auch Goethes Wirkungsgeschichte charakteristische Schwankungen. Deren relativ geringe A m p l i t u d e läßt jedoch nicht den Schluß zu, i n Fällen höchster Qualität setze sich das Große eben doch durch; die Beispiele Dantes, Miltons, Shakespeares, Rembrandts, E l Grecos, Tintorettos, J. S. Bachs u n d nicht weniger anderer zerstören auch diesen Glauben. 49 Vgl. etwa n u r Lange - Eichbaum, Das Genie-Problem, 1951; z.B. 10 ff. (Genie-Begriff), 14 ff. (Genie als Wertproblem), 24 f., 47 ff., 51 ff. (zum Problem des Ruhms), 62 ff. (zur Theorie des Schaffensakts), 91 ff. (Leistung und W i r k u n g des psychisch Abnormen). 50 Das w i r d verständlicher, w e n n m a n sich v o r Augen hält, daß f ü r die Zeitgenossen „sich die wirkliche L i t e r a t u r aus einer unübersehbaren Fülle von Zwischenstufen u n d Wertschattierungen zwischen hoch u n d niedrig zusammensetzt", Bauer, JZ 1967, 167 m. N w . — Auch i n dieser Hinsicht erweist sich Vergangenheit als das Produkt der jeweiligen Gegenwart. 51 Hof mann, Grundlagen der modernen Kunst, 1966, 460; vgl. aus dem ausgedehnten Schrifttum z.B. noch Herbert Read, Formen des Unbekannten. 1963. 52 Vgl. beispielsweise die Versuche E. R. Curtius Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, etwa 275, 284, u n d R. Hamanns, Geschichte der Kunst, von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart, 1952 άΠ W ' '
V. Relativität i n der Kunstgeschichte
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Kunst als einer autonomen Erscheinung möglich ist 5 3 , ändert nichts am Ausgeliefertsein von Kunst und Künstlern an die Zufälligkeiten kollektiver Geschmacksbildung. Staatliches Handeln darf weder die Labilität noch die Fixierung der Geschmacksbildung autoritativ verstärken, indem es sich m i t irgend einem status quo oder status quo ante kollektiver Bewertung identifiziert. Solche Indentifizierung wäre unausweichlich, sobald der Staat innerkünstlerische Bewertungen zum normativen Anknüpfungspunkt für (belastende) Rechtsfolgen machen wollte. Sie ist durch A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ohne Einschränkung verboten 54 . Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden, daß dies i n gleicher Weise für künstlerische „Richtungen" i m ganzen, also für ihre ideologische Überfremdung m i t nicht-qualitativen Gesichtspunkten, gilt. Maßnahmen gegen „abstrakte Kunst" bespielshalber, wie sie aus einer Reihe von Staaten der zeitgenössischen Gegenwart hinreichend bekannt sind, verfehlen nicht nur das Freiheitsgebot eines Normprogramms, wie es A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält. Sie verkennen auch die Fragestellung, die angesichts der Sachgegebenheiten des Normbereichs geboten und die i m übrigen i n der Freiheitsgarantie rezipiert und zum norminhaltsbestimmenden Strukturelement gemacht worden ist. Das sei hier i m Anschluß an das schon Gesagte schlagwortartig i n der Andeutung zusammengefaßt, daß auch „abstrakte" Kunst als existierendes Werk „gegenständlich" und daß auch „gegenständliche" Kunst als Werk i n seiner Differenz von und seiner Distanz zu der Lebenswirklichkeit entscheidend „abstrakt" ist. V. Relativität in der Kunstgeschichte
1. Das Kunstwerk innerhalb und außerhalb geschichtlicher Zusammenhänge Die Untrennbarkeit einzelner Aspekte am Kunstwerk, die eigenartige Form von Selbständigkeit des Werks, die kennzeichnende Unsicherheit ästhetischer Wertungen und nicht zuletzt das Mehrdeutige der Rolle von Künstler und Kunst i m gesellschaftlichen Zusammenhang sind Faktoren der Erscheinungsweise von Kunst. Sie mögen für ihr Teil begreiflich machen, daß nicht nur Autoren und Stilrichtungen Gegenstand einer fortwährenden Umwertung künstlerischer Werte sind; und daß sie es so gründlich sind, daß sich die Kunstinteressierten jeder Beurteilungsepoche letztlich und i n Abhebung von den Unsicherheiten ihrer 53
Hierzu Gadamer, Wahrheit u n d Methode, 46. Entsprechend sind staatlichen Stellen innerwissenschaftliche Bewertungen durch die Garantie freier Wissenschaft i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG versagt. Hierzu das Bundesverfassungsgericht i m U r t e i l BVerfGE 5.85 ff.: „ W i s senschaft als solche" sei „selbstverständlich frei", sie könne „vorgetragen, gelehrt, weiterentwickelt, allerdings auch diskutiert u n d bekämpft werden"; i h r „wissenschaftlicher Wahrheitsgehalt" könne „der Beurteilung eines Gerichts nicht unterliegen", ebd., 145. 54
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Vorwelt i n voller Überzeugung für die wahrhaft zuständige Instanz halten werden. Auch die einzelnen Werke geraten i m Lauf der Geschichte auf eine Skala der Vieldeutigkeit, die weder einen Archimedischen Punkt noch auch nur eine irgend verstehbare Regelmäßigkeit des Bewertungswechsels erkennen läßt. Das sich eindringlich geltend Machende künstlerischer Aussage, das sich bei vielen Werkgattungen (Bildende Künste, L y r i k , Musik) einer inhaltlichen, paraphrasierenden Umschreibung entzieht und sich damit auf die A r t der Glosse, des Kommentars, der parallelen Umschreibungsformel nicht tradieren läßt, sondern allein i n der gegen Umschreibungen abweisenden Gestalt des Werks selbst, bietet den sachlichen Ansatz dafür, daß das Werk vielfach einer nicht abgeschlossenen Anzahl von Deutungsmöglichkeiten „sinnvoller", das heißt: ereignishaft-aktueller A r t zugänglich ist, ohne seine Identität einzubüßen. Kunstgeschichtlicher Forschung legt sich der Eindruck nahe, das Werk bewahre seine Identität auf eine nur der Kunst mögliche A r t quer durch alle Deutungsvarianten und Verständnishorizonte. Solche Plurivalenz der Aussagemöglichkeiten — auch bei Sprachwerken vorhanden, wenn auch i n entsprechend engerem Rahmen — ist m i t der „Sache" Kunst gegeben. Als ein weiteres Strukturmerkmal des als frei verbürgten Normbereichs w i r d sie von der Freiheitsgarantie anerkannt und vor staatlichem Eingriff geschützt, der sie abschneiden könnte. Nach historischer Erfahrung entlockt, u m ein einfaches Beispiel zu wählen, das, was zwei Generationen zuvor als grob unzüchtig, anstößig, skandalös verfolgt wurde, auch dem pflichteifrigsten Staatsanwalt kein Interesse mehr. Umgekehrt durchsetzen wiederkehrende puritanische Regimente, Viktorianische Zeitalter und Phasen diktatorisch durchgesetzter Ideologie die Geschichte der K u l t u r w e l t und lassen aus wechselnden Gründen Renaissancenovellen, die Hymnen Swinburnes, Heines Lieder i m Volksliedton oder den Kubismus staatlich verfemen und verfolgen. Keine Zeit kann sich die Zuständigkeit anmaßen, nach künstlerischen oder nach außerkünstlerischen Gesichtspunkten endgültige Urteile über Werke der Kunst zu fällen (und zu vollstrecken), ohne die Kunst und ihre Freiheit zugleich nachhaltig zu verletzen. Hier liegt ein zweiter grundsätzlicher Einwand gegen die Vernichtung von Kunst von Staats wegen auf Grund einfach-gesetzlicher Vorschriften. Solche Vernichtung ist nicht zulässig, wenn die Freiheitsgarantie, von der doch die Kunst i n der Eigenart ihrer Erscheinungs- und Wirkungsweise geschützt wird, einen normativen Sinn behalten und wenn das vorbehaltlos garantierte Grundrecht als Norm der Verfassung dem Gesetzesrecht an formalem Rang überlegen sein soll. Dieses Merkmal des Normbereichs „Kunst" ist i n der Rückschau allgemein einsichtig. Ein Kunstwerk aus einer weit zurückliegenden Ver-
V. Relativität i n der Kunstgeschichte
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gangenheit kann für jeden heutigen Betrachter — der Einfachheit halber w i r d an Arbeiten der Bildenden Kunst gedacht — unmittelbar und ereignishaft „aktuell" sein. Es kommt ganz aus seiner Zeit, ist entstehungszeitlich von seiner (vergangenen) U m w e l t vielfältig bedingt und geprägt. Es mag M i t t e l magischer Praktik, Gegenstand des Kults oder praktisch zweckhaftes Gerät gewesen sein. Ohne diese Zweckbestimmung wäre es überhaupt nicht und ferner auch nicht so geschaffen w o r den. Der historische und zweckbedingte Kodex und Kontext mag dem Betrachter vollkommen unbekannt sein — der Torso des sumerischen Frauenkopfs aus Uruk, die Kupfermaske des Königs Sargon von A k k a d sind von einer K r a f t der Gegenwärtigkeit, die den zeitlichen, kulturellen, ideologischen Abstand überhaupt nicht bewußt werden läßt. Wissenschaftliche, juristische, sekundärtheologische Texte oder rechtliche codices desselben Landes, derselben Entstehungszeit dagegen sind specialissima für eine Handvoll über die Fachinstitute der Welt verstreuter philologischer und historischer Experten. Eine v o l l entzifferte und zuverlässig deutbare Rechtsnorm aus dem viertausendjährigen Codex U r - n a m m u 5 5 ist keine Rechtsnorm mehr, kein Normtext, nur noch Sprachtext. Sprachliche und demgemäß auch nur sprachlich zu überliefernde Kunstwerke teilen m i t den Rechtstexten ihre stärkere Verflochtenheit m i t dem Ambiente, setzen nicht nur die Fähigkeit zur Anschauung voraus, sondern gewisse kulturgeschichtliche Mindestkenntnisse über ihre Entstehungszeit und so fort. Und doch vermitteln die Übersetzungen der Epen aus dem Kreis der Mythen um Gilgamesch zwar nicht, wie euphorischer Unverstand zuweilen annahm, ein alles Spätere qualitativ und substantiell „vorwegnehmendes" universales Menschheits- und Weltgedicht, wohl aber die Wucht der Aktualität einer k u l t u r e l l und geschichtlich deutlich bedingten und geprägten, aber zugleich unüberholbaren Dichtung. 2. Vieldeutbarkeit; Offenhalten
„utopischer" Überschuß; der Bewertung
Der angestellte Vergleich möge abkürzend einige der entwickelten Thesen verdeutlichen. Was hier nicht einmal angedeutet werden kann, ist die Überfülle von Parallelbeispielen, die die Kunst- und Literaturgeschichte insgesamt für die Vieldeutigkeit und die legitime Vieldeutbarkeit von Kunstwerken b i e t e t 5 6 ' 5 7 . Das Kunstwerk konstatiert viel55 V o n Ur, u m i m Umkreis der Ausgangsbeispiele zu bleiben. Die Gesetzessammlung ist ziemlich genau drei Jahrhunderte älter als der Codex H a m m u rabi. M Vgl. n u r etwa die Belege bei Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t und Literatur, Bde. I u n d I I ; ders., Philosophie der Kunstgeschichte. — Allgemein und unter dem gerafften Gesichtspunkt philosophischer Hermeneutik siehe
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
fach nicht seine Gegenwart i m Sinn der Beschreibung. Es überschreitet seine geschichtliche Position, auch und häufig gerade indem es von ihr zur hermeneutischen Bedeutung des Zeitenabstandes : Gadamer , Wahrheit u n d Methode, 275 ff. 87 Vgl. z. B. die Bemerkungen bei Betti, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften, dt. 1967, 349 f., 356: jeder Versuch, die Kunstgeschichte unter dem Gesichtspunkt einiger bestimmter Gestaltungsprobleme zu sehen, muß einseitig bleiben. Die Kunstleistungen wandeln sich w i e die Kunstziele entsprechend der kulturellen Gesamtlage. Relativität aller Beurteilungen, da sie unausweichlich das „ K u n s t w o l l e n " ihrer Zeit an frühere Objektivationen herantragen; Absage an die Vorstellung eines „teleologischen" Ablaufs. — A u f die Fragwürdigkeit des Begriffs des „Kunstwollene" ist hier nicht einzugehen. — Vgl. ferner Schücking, Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, etwa 62 f., 63: m a n könne „dem Glauben daran, daß das Gute sich durchsetzt, n u r zweifelnd entgegenhalten, ob es nicht oft eher umgekehrt ist, d. h. daß das, was sich durchsetzt, hernach als das Gute betrachtet w i r d " ; oder das vielfach belegte Resumé, nach dem „die Übereinstimmung des Gefallens an künstlerischen Werken, die man als Geschmack bezeichnet, nicht einfach aus der inneren Sieghaftigkeit von deren Qualität hervorgeht, sondern meist das Ergebnis eines verwickelten Prozesses ist, i n dem sehr verschiedenartige, teils ideologische, teils auch höchst materielle K r ä f t e miteinander ringen, u m ein nicht immer vor Zufallseinwirkungen geschütztes Ergebnis herbeizuführen"; vgl. auch ebd., z.B. 85, 106, 108, 109. — Ferner etwa Mierendorff - Tost, z. B. 40, zur Unzulänglichkeit ideologischer w i e auch nicht-ideologischer Kunstdeutung; 41 zur Verkennung von K u n s t stilen i m Entstehen, für das nachträgliche „Erkennen" zu wenig differenzierend; Halder, K u n s t u n d K u l t , 96: zur wesentlichen geschichtlichen Relativ i t ä t der Frage nach dem, was K u n s t sei. Diese Frage ist für die Gegenwart bestenfalls gestellt. — Reiches Material bei Hauser, Philosophie der K u n s t geschichte, z. B. 23 f. (Kunst zusammen m i t Philosophie, Wissenschaft, Recht, Sitte als T e i l der Bemühung einer Generation, „eine D i r e k t i v e i n der W e l t " zu finden; aus diesem K o n t e x t nicht isolierbar), 37 u n d f. (unausweichliche Ideologiehaftigkeit von K u n s t „ g e l t u n g " ; die Wertungen u n d Umwertungen der Kunstgeschichte u n d Kunstwissenschaft sind notwendig ideologisch; die Wissenschaft bietet kein Mittel, dieser i m Kunstbereich w o h l maximalen Relativierung zu entkommen; Hinweis darauf, daß etwa „die K u n s t eines Raffael oder Rubens fortwährend umgewertet w i r d , daß Künstler w i e Greco, Breughel oder Tintoretto aus dem Schutthaufen vollkommener Vergessenheit oder Vernachlässigung ausgegraben werden müssen"); 39: „ M a n deutet, entdeckt, w ü r d i g t oder vernachlässigt Kunstrichtungen und Kunstwerke der Vergangenheit j e nach den Gesichtspunkten u n d Maßstäben der jeweiligen Gegenwart". Ebd., 127 ff., 138 ff. (es ist i n der Kunstgeschichte kein höheres, i m platonischen oder Hegeischen Sinn ideelles Prinzip festzustellen; die Schritte der Kunstgeschichte sind schlechthin alogisch; nicht einmal von einer Unumkehrbarkeit einzelner Phasen k a n n gesprochen werden u n d es sind nicht n u r die Lehren einer dialektischen, rhythmischen oder periodischen Entwicklung, sofern sie Regelmäßigkeiten aufzudecken behaupten, geschichtsphilosophischer Mystizismus); hierzu ferner z.B. 164, 181 ff., 187 ff., 201 ff., 206 ff., 207; auch Soziologie und Sozialgeschichte der K u n s t können weder dem Wesen von K u n s t noch einer Gesetzmäßigkeit der Kunstgeschichte u n d ihrer Wertvorstellungen u n d Umwertungen beikommen, v o r allem 299 ff., 306; ebd., 300: „Es gibt nichts, das als ein allgemeingültiges Gesetz der Sozialgeschichte der K u n s t angesprochen werden könnte, u n d zwar nicht nur, w e i l es keine Regeln des künstlerischen Schaffens gibt, sondern auch, w e i l zur Unbestimmbarkeit der K u n s t hier noch der Umstand kommt, daß die K u n s t als soziales Agens i n einen sich nie wiederholenden, stets neue K o m b i n a tionen schaffenden Prozeß verwickelt ist, der die Bedeutung eines Stils für die Gesellschaft stets zu verändern, ja, i n i h r Gegenteil zu verwandeln mag".
V. Relativität i n der Kunstgeschichte
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Zeugnis ablegt. Dieser i m Wortsinn „utopische" Überschuß 58 ist es, den die klassische Ästhetik als Idee des „Schönen" zu begreifen sich mühte. Er hängt eng m i t der Aktualität des Werkphänomens zusammen. Es gibt auf vielfache Weise Tradition i m Leben der Kunst, aber stets auf sekundäre A r t {Schulenbildung, Nachahmung, Geschichtsschreibung, Wiederaufnahme früherer Stilrichtungen, Übersetzung, Interpretation, Darbietung und so fort). Die Werke, solange sie existieren, vermitteln sich selbst. Sie wirken i m Vergleich zu andren Traditionen geistiger Aussage, einschließlich religiöser Überlieferung, als einzige un-vermittelt. Die Möglichkeit der Produktion von Werken und die Fortexistenz geschaffener Werke sind das sachliche Zentrum des Normbereichs „Kunst". Sie gehören i m Sinn der verfassungsnormativen Heraushebung eines sachgeprägten „harten Kerns" der Freiheitsgarantie zum „Wesensgehalt" des Grundrechts. Kunstsoziologie, Kunstwissenschaft, Kunstgeschichte und die Geschichte der Unterdrückung von Kunst lehren unter dieser Fragestellung auf mannigfache Weise dasselbe: Die wertende Rückschau ist aus Gründen, die offenbar notwendig i n Kunst und der Eigenart ihrer W i r kung liegen, m i t ihren Ergebnissen auf das Neue der beginnenden Zukunft nicht „anwendbar". Einsicht i n die Geschichte enthebt nicht von der eigenen Geschichtlichkeit. Einsichten zu bestimmten Werken, Stilrichtungen, Mißverständnissen, Umwertungen der Vergangenheit sind inhaltlich nicht übertragbar. Sie bezeugen nur immer wieder die Notwendigkeit, Kunst i n Bewertung und Behandlung strukturell „offen" halten zu müssen, wenn sie überhaupt eine reale Chance haben soll, „frei" zu sein. Mehr als das kann der Staat, dem steuernder Dirigismus i m Dienst einer noch so gut gemeinten Sanierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Misere der Kunst von Verfassungs wegen verwehrt ist, nicht tun. Kunst umfaßt i m Umkreis ihrer „Eigengesetzlichkeit" eben gerade auch jene sich der Analyse als Widersprüche und Zweideutigkeiten darstellenden Strukturmerkmale. Das Grundrecht der Kunstfreiheit stellt nicht die Aufgabe, m i t staatlichen M i t t e l n die K l u f t zwischen Künstler und Publikum zu verringern, Verkennung und „Kunstschock" 50 zu mildern. Das Grundrecht verbietet, durch Bewertung und Behandlung von Kunst und Künstlern i n Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung Fixpunkte i m Prozeß geistiger Auseinandersetzung künstlerischer Aussagen zu setzen, autoritativ Stellung zu beziehen, Kunst durch innerkünstlerische Wertungen einzuengen oder sie durch außerkünstlerische zu überfremden. Beides läßt die Kunst nicht „frei". 58
Geyer, A r t . K u n s t u n d christlicher Glaube, R G G I V , Sp. 164. Z u m Phänomen zwangsläufiger Verkennung neuer Gestaltungsformen durch die Allgemeinheit, den i n der L i t e r a t u r nach vielen Richtungen erörterten „Kunstschock" vgl. z.B. Roh, Der verkannte Künstler. Studien zur 59
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t " V I . Künstlerische Kreativität und Psychoanalyse
Weitere Ergebnisse einzelwissenschaftlicher Reflexion über die Eigenart des Normbereichs „Kunst", die so weit generalisierbar sind, daß sie als Elemente der Grundstruktur des Normbereichs übernommen werden können, sind i n diesem Kontext nicht ersichtlich. Insbesondere haben sich populäre Verallgemeinerungen von Psychologie und psychoanalytischer Forschung als für die Struktur von Kunst nicht kennzeichnend erwiesen. Der methodische Ansatz der Analyse des „Genie"-Urteils verfehlt die objektivierbare (wenn auch umstreitbare und vieldeutige) Qualität schöpferischer Leistung, wenn er sich auf das massenpsychologische Phänomen des Ruhms und auf seine psychopathologischen A n knüpfungspunkte beschränkt. Damit sind aber gerade die für die „Sache" Kunst charakteristischen Kriterien ausgeklammert 60 . Die psychoanalytische Kunsttheorie muß sich, auch i n ihrer Fassung bei Freud, Kunst sei das Produkt einer gestörten Beziehung zur Wirklichkeit, entgegenhalten lassen, eine voreilige Verallgemeinerung darzustellen. Die vielfache soziale und historische wie ideologische und individuelle Relativität von Kunst erweist sich als Grenze auch psychoanalytischer Kunstdeutung vom Schaffensprozeß her: Das Hervorbringen von Kunstwerken entspringt keiner unveränderlichen oder auch nur eindeutigen, einheitlich fixierbaren geistigen Disposition. I m übrigen handelt es sich dort, wo dieser Erklärungsversuch zutrifft, wohl nicht um mehr, als um a^kausale Beschreibung vom Ergebnis her. Was die eine Entlastungshandlung zu Kunst macht, die andre zu irgendeiner Äußerung außerkünstlerischer Art, obgleich beiden dieselben psychopathologischen Ansatzpunkte gemeinsam sind, wäre gerade herauszufinden 61 . Darüber hinaus ist sich die Wissenschaft nach einem Geschichte u n d Theorie des kulturellen Mißverstehens ; Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t u n d Literatur, Bd. I , 93 ff. ; Argumentation am Beispiel Cézannes u n d der Impressionisten bei Weischedel, 35 ff.; anhand des Baudelaire-Prozesses (Les fleurs d u mal) von 1857: Jäger, 109; ferner z.B. Schükking, Soziologie der literarischen GeschmackSbildung, etwa 50 ff., 55 ff.; v o r allem Mierendorff - Tost, 43 ff.; auch ebd., 39, 41. Während sich „das U r sprüngliche u n d Schöpferische i m menschlichen Leben" aus „dem freien, von B i l d - u n d Gesinnungsstrukturen nicht belegten Raum seiner I n t i m i t ä t " nährt, bestätigt sich die (von D i k t a t u r e n b e r e i t w i l l i g i m Dienst einer Versteinerung des betreffenden cultural lag kultivierte) N a t u r des Kunstschocks als einer tiefgreifenden Kommunikationsstörung „ i n der emotionalen Reaktion, die eine Zerrüttung der Selbstachtung überdecken soll", ebd., 45 ff., 46 f., 56 f. 60 Z u r K r i t i k an Lange - Eichbaum, Genie, I r r s i n n und Ruhm, und ders., Das Genie-Problem, 1951, vgl. Ziegenfuß, 325 f.; ebd., 312, Vorbehalte gegen das Treffen der Sache „ K u n s t " durch die Kunstdeutung der Psychoanalyse. 61 Dabei w i r d nicht verkannt, daß Freuds scharfsichtige Analyse des K u n s t schaffens —- i n Parallele zur Traumarbeit — zahlreiche i m Detail zutreffende Elemente w i e : Symbolisierung, Verdichtung u n d Verschiebung, indirekte D a r stellung, Überdeterminierung, primäre u n d sekundäre Bearbeitung u n d die Differenz von manifester u n d latenter Bedeutung der Aussage herausgearbeitet hat. — Wie hier: Hauser, Philosophie der Kunstgeschichte, 108 („Das
V I . Künstlerische K r e a t i v i t ä t und Psychoanalyse
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Jahrhundert psychiatrischer Erforschung des Schöpferischen seit Moreau und Lombroso ihres Gegenstands inzwischen soweit sicher, daß sie alle populär gewordenen Hypothesen von dem bionegativen Akzent schöpferischer Leistung und genialer Produktion, von destruktiver und notwendig sozial- wie selbstgestörter Abnormität als Irrglauben nachzuweisen i n der Lage ist 6 2 . Die soziologische Relativität des Geniebegriffs bekräftigt das verfassungsrechtliche Gebot durchgehender staatlicher Abstinenz von Eingriffen i n künstlerische Bewertungsvorgänge und trägt insoweit zur Konkretisierung des Normbereichs bei. I m übrigen vermag sie über die sachliche Eigenart von Kunst nichts auszusagen. Der Nachweis des Anknüpf ens des „Genie-Akkords" an psychische Abnormitäten ist i m vorliegenden Zusammenhang daher nicht weiter von Bedeutung. Die vor allem i m Anschluß an Lombroso jahrzehntelang vertretene Auffassung „Genie als Irrsinn" ist heute aufgegeben. Die schöpferischen Fähigkeiten entspringen nicht dem unbewußten, sondern dem vorbewußten System, während das Unbewußte geradezu zum blockierenden Element der Kreativität auf allen Gebieten, auch in Kunst und Wissenschaft, zu werden pflegt: „Wo unbewußte Einflüsse eine beherrschende Rolle spielen, deckt sich der schöpferische Prozeß in Wissenschaft und Kunst beinahe mit dem neurotischen Prozeß; er verwandelt nur die unbewußten Konflikte in eine gesellschaftlich und künstlerisch annehmbare Symbolform 6 3 ." Künstlerische Produktivität differenziert das Sachgebiet „Kunst" nicht von außerkünstlerischen Bezirken. Für die Auslegung des Grundrechts i m Sinn von Privilegien oder speziellen Exemtionen von der Bindung an „normale" Rechtsnormen, wie sie i n der Literatur zur Kunstfreiheit mitunter anklingt, ist insofern aus der Struktur des Normbereichs „Kunst" kein Argument herzuleiten. K u n s t w e r k mag eine Täuschung, eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, eine Flucht vor der Wirklichkeit, ein Beruhigungsmittel, eine Ersatzbefriedigung sein u n d trotzdem ein Kunstwerk, d. h. ein Gefüge bleiben, das seine eigene Bedeutung, seine eigene Einheit u n d Totalität besitzt") ; ebd. auch 59, 104, 107; vgl. auch 104: „Der K ü n s t l e r mag neurotisch sein, und das K i n d , der Wilde oder der I r r e mögen Dinge von künstlerischem Wert hervorbringen, die K u n s t ist nie das Produkt der Neurose, des Irrsinns oder einer p r i m i t i v e n Geistesverfassung". — Das mag pauschal klingen, t r i f f t aber das Entscheidende: daß das sachlich Eigenständige des Normbereichs „ K u n s t " nicht k a u sal „ e r k l ä r t " , sondern i n der sachlichen Konstanz dieser Eigenart unter v e r schiedenen Umständen, m i t verschiedenster H e r k u n f t u n d unterschiedlichsten Voraussetzungen n u r strukturell beschrieben werden kann. 68 Vgl. die vorzügliche Darstellung bei Lawrence S. Kubie, Neurotic Distort i o n of the Creative Process, The University of Kansas Press 1958/61, dt. : Psychoanalyse u n d Genie. Der schöpferische Prozeß, 1966, z.B. 8 ff.: K r e a t i v i t ä t u n d K r a n k h e i t ; 41 ff.: die K r e a t i v i t ä t ; 69 ff.: Verzerrungen i n K u n s t u n d Wissenschaft. V o n seinem Thema her greift K u b i e durchweg gleichsinnig auf Beispiele aus K u n s t u n d Wissenschaft zurück. — Z u m historischen Ausgangspunkt der Diskussion v. a. : C. Lombroso , Genie und I r r s i n n i n ihren Beziehungen zum Gesetz, zur K r i t i k und zur Geschichte, dt. 1887. es Kubie (Anm. 62), 103 f., 104; ferner hierzu 49 ff., 60 ff., 65 ff., 69 ff.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t " V I I . „ K u n s t " als der m i n i m a l o b j e k t i v i e r b a r e grundrechtliche N o r m b e r e i c h — K u n s t f r e i h e i t u n d Gewissensfreiheit
1. Objektive Fixierbarkeit Kunst, Wissenschaft,
der „Sache" Gewissen
Ein Strukturvergleich der grundrechtlichen Normbereiche zeigt, daß jener der Kunstfreiheitsgarantie der minimal objektivierbare ist. Glaube und Gewissen, Kunst und Wissenschaft sind Normbereiche, die zwar als sozialbezogen erscheinen und die erhebliche soziale Auswirkungen zeitigen, deren inhaltliche Aktualisierung und deren überzeugungsproduktiver K e r n jedoch höchstpersönlicher Natur sind. Nicht zuletzt sie sind „ursprünglich durch staatlich nichtorganisierte gesellschaftliche Kräfte" erzeugte Erscheinungen 64 , die zudem i n ihrer sachgeprägten Eigenart nicht auf rechtliche Normierung angewiesen sind, wenn auch die Rechtsordnung schützende und sichernde Sekundärnormierungen beisteuern kann. Keiner dieser Normbereiche hat einen Sinn außerhalb seiner selbst 65 . Kunst hat keine Aufgabe. Sie hat Wirkungen. Das Grundrecht normiert die Respektierung dieses Tatbestands, der sich aus verschiedenen strukturellen Merkmalen des Normbereichs ergeben hat. Kunst hat keine Aufgabe außer der selbst gestellten. Deren inhaltliche Bestimmung aber n i m m t an der grundrechtlich anerkannten Selbstgesetzlichkeit von Kunst teil. Rückschlüsse von der Wirkung des Kunstwerks auf sein „Wesen" wie auf seine Existenz und deren Berechtigung werden von der Freiheitsgarantie, wie dargelegt, positivrechtlich abgeschnitten. Auch gegenüber Ethik und Religion, Wissenschaft und Bekenntnis bietet Kunst das M i n i m u m an intersubjektiv zuverlässig anlegbaren Maßstäben. Die Rückschau auf die Kunstgeschichte, i n der Kunst noch die verhältnismäßig solideste Quelle nachprüfbarer Wertungen, erlaubt nach dem Gesagten keine Anwendung systematisierender oder verallgemeinernder Art. Kunst ist i m Sinn ihrer verhältnismäßig minimalen sozialen, ideologischen und rationalen Greifbarkeit die „zukünftigste" aller menschlichen Tätigkeiten. Eine freiheitliche Rechtsordnung, die ihrem Anspruch gerecht wird, kann Freiheit der Kunst nur als die sachgebundene, durch ihren eigentümlich nichtobjektivierbaren Auftrag geprägte Freiheit eines strukturell einzigartigen Bereichs menschlicher A k t i o n und Kommunikation nach eigener Sachgesetzlichkeit bestehen lassen (und i h n fördern, soweit das nicht gegen das Verbot inhaltlicher Bestimmung und Beeinflussung verstößt). Einschränkungen des strukturell zu ermittelnden Sachgehalts sind nicht zulässig; nur (objektiv intentionale) Verdeutlichungen der Grenzen sei64 So Heller, Staatslehre, 187, zu Gebilden w i e Besitz, Vertrag, Ehe und Familie. 65 Das betont für die Wissenschaft Köttgen, GR I I , 303 u n d f.
V I I . „ K u n s t " als der m i n i m a l objektivierbare grundrechtl. Normbereich
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ner sachlich-normativen Reichweite. Dasselbe gilt für den Normbereich „Wissenschaft", der aber mehr objektivierbare Kriterien seiner sachlichen Voraussetzungen zur Verfügung stellt als jener der Kunst 6 6 . Wie bei Wissenschaft ist freies künstlerisches Schaffen i n seiner Spontaneität, Irrationalität 6 7 , Zukünftigkeit, seinem „utopischen" Einschlag j u r i stischer Definition oder Dezision unter keinen Umständen unterwerfbar, ohne daß die Freiheit der Sache i m K e r n beseitigt ist. Die Kriterien der Beurteilung, sachlichen Bewertung, intersubjektiven Einordnung sind dagegen bei Wissenschaft ungleich einsichtiger, dichter und verläßlicher als i m untersuchten Normbereich „Kunst". Aber auch die Freiheit von Glauben, Gewissen und Bekenntnis ist von der Sachlichkeit ihres Normbereichs her eindeutiger faßbar als die Freiheit der Kunst. Dabei w i r d die Gewissensfreiheit i n Entgegensetzung zu A u f fassungen verstanden, die i n einer erstaunlichen Polemik gegen den ^substanzlosen, wertindifferenten" Begriff der Menschenrechte die Bekenntnisfreiheit ausschließlich „ u m des Bekennens zu absoluten Mächten willen" garantiert sehen möchten 68 , oder die „ein Bedürfnis danach" verspüren, „den Inhalt des i m ^ Grundrechtsteil genannten Gewissens und seine Tragweite überdies einer objektiven Betrachtung zuzuführen" 6 9 , was nicht nur der ideologischen Beseitigung des Grundrechts, sondern i m Ergebnis auch der Rechtfertigung staatlichen Gewissenszwangs gleichkommt. Gewissen „als ein wie immer begründbares, jedenfalls aber real erfahrbares seelisches Phänomen", dessen „Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind" 7 0 , kann inhaltlich ebensowenig wie die Freiheit der Kunst und Wissenschaft von Staats wegen determiniert werden: Es darf — sowenig wie die Freiheit der Kunst M I n Kants K r i t i k der Urteilskraft volkstümlich dahin zusammengefaßt, es sei i m Wissenschaftlichen „der größte Erfinder v o m mühseligsten Nachahmer u n d Lehrlinge n u r dem Grade nach, dagegen von dem, welchen die N a t u r f ü r die schöne K u n s t begabt hat, spezifisch unterschieden" — ausgesprochen ohne „Herabsetzung jener großen Männer, denen das menschliche Geschlecht so v i e l zu verdanken hat, gegen die Günstlinge der N a t u r i n Ansehung ihres Talents f ü r die schöne K u n s t " , ebd. § 47 (S. 161 f., 162 der Ausgabe Vorländer, 1924, 54). — Auch verfassungsrechtlich ist, wie gezeigt, die Heraus arbeitung sachlicher Sonderstellung etwas anderes als die Behauptung einer materiell-rechtlichen Höherstellung. e7 So zu Recht (auch) f ü r die Wissenschaft: Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 89 ff., 106 f. " Hamel, GR IV/1, 37 ff., 64, 72, 76. M U n d zwar das „zumal deshalb, w e i l die Möglichkeit hierzu ausdrücklich bestritten w i r d . Aber desgleichen aus dem Grunde, w e i l sich i m folgenden einzig ein derartiges Verständnis als zutreffend erweisen w i r d , mehr, allein dieses sich letztlich m i t den einschlägigen Grundsatzentscheidungen der V e r fassung vereinbart", Brinkmann, Grundrecht u n d Gewissen i m Grundgesetz, 1965, 3 u n d f.; Hervorhebungen i m Original. 70 BVerfGE 12.45 ff., 54; 54 u n d f. zum folgenden.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
von bestimmten kunsttheoretischen, ethischen, theologischen, politischideologischen Standpunkten aus — nicht i m Sinn bestimmter theologischer und philosophischer Gewissenslehren verstanden werden, sondern ist als Verfassungsbegriff „ f ü r alle Bekenntnisse und Weltanschauungen gleich zu interpretieren". Eine Auseinandersetzung m i t einzelnen inhaltlich fixierenden Lehren über den Normbereich überschritte nach den dankenswerten Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts nicht nur richterliche Kompetenz angesichts der Freiheitsgarantie, sondern wäre überdies „rechtlich unergiebig, weil über viele der hier auftretenden Probleme i n den zuständigen Disziplinen tief gehende Meinungsverschiedenheiten bestehen". 2. Strukturelle
Definitionen
Dieser Ansatz ist auch für die Kunstfreiheit als für ein dem A r t . 4 Abs. 1 GG strukturell verwandtes Grundrecht zutreffend. Inhaltlich ist die Substanz der Freiheitsgarantie, wie für die Freiheit der Kunst hier schon entwickelt wurde, von staatlicher Bestimmung oder Beeinflussung kraft Verfassungsnorm freigehalten. Daher ist die Gewissensfreiheit nur strukturell i m Sinn verfassungsrechtlicher Tatbestandsabgrenzung, die für praktische Rechtsanwendung unerläßlich und nur i m Umfang dieser praktischen Unerläßlichkeit zulässig ist, zu de-finieren. Sie gewährt i n diesem Sinn „dem Einzelnen einen Rechtsraum, i n dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht, mag es sich dabei um ein religiöses Bekenntnis oder eine irreligiöse — religionsfeindliche oder religionsfreie — Weltanschauung handeln" 7 1 . Das Entsprechende wurde hier für die Freiheit der Kunst herausgearbeitet. Diese bietet sich wie die Freiheit des Gewissens ideologischer Inhaltserfüllung offenbar besonders an und ist jedoch, wie diese, einer solchen i n einer freiheitlichen Verfassungsordnung besonders wenig zugänglich, die ihre sachliche Eigenständigkeit sachlich-strukturell anerkennt und schützt, indem sie diese Eigenständigkeit sachlichinhaltlich von heteronomer Bestimmung freihält. Nicht nur „Kunst" und „Wissenschaft", auch „Glaube", „Gewissen und Bekenntnis" sind nicht inhaltlich normierende Inhalts- und „Wert"begriffe, sondern strukturell zu umschreibende und damit für die Rechtsanwendung praktikabel zu machende Anknüpfungstermini. Diese sind für die „Gewissensentscheidung" i. S. des Art. 4 Abs. 3 GG formal-strukturell als jede den einzelnen ernstlich und unbedingt verpflichtende sittliche Entscheidung über die A r t seines konkreten Verhaltens 7 2 und für die Freiheit der Kunst gleichfalls formal-strukturell nach Merkmalen einer 71 72
BVerfGE 12.1 ff., 3 u n d f. BVerfGE 12.45, Leitsatz 2 u n d S. 55.
V I I . „ K u n s t " als der m i n i m a l objektivierbare grundrechtl. N o r m b e r e i c h 9 5
werkbezogenen Gattungstypik bestimmt worden. Darüber hinaus bleibt bei Grundrechten solcher Struktur der wesentliche sachliche Aufbau des Normbereichs als normative Quelle der grundrechtlichen Bereichsdogmatik zur Ermittlung von Inhalt und Grenzen der Freiheitsgarantie (die zudem vorbehaltlos garantiert ist) zu untersuchen. Dasselbe gilt für die andern Grundrechte, bei denen jedoch die rechtserzeugte Natur wichtiger Teile des Normbereichs — wie etwa bei Art. 6 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 3, 12 Abs. 1, 14 — die Analyse erleichtern kann und bei denen etwaige positivrechtliche Gesetzesvorbehalte zusätzliche Gesichtspunkte der Konkretisierung beitragen. Diese Normbereichsanalyse ist hier versucht worden. Für das Grundrecht der Gewissensfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht 73 m i t Merkmalen wie: unbedingte sittliche Verbindlichkeit für den Einzelmenschen, Situationsbezogenheit und Normbezogenheit Ansätze der Bauweise dieses Normbereichs herausgestellt. Die Vergleichbarkeit zeigt sich auch darin, daß staatliche Stellen nicht nachprüfen dürfen, „wie es zu der Gewissensentscheidung gekommen ist", um hieran Wertungen inhaltlicher A r t zu knüpfen. Auch die Wege der Herstellung von Kunstwerken sind, wie gezeigt, staatlicher Bewertung auch i m Rahmen der Normauslegung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch das Grundrecht versperrt. Pop-Art und Gattungen wie ready-made und objet trouvé können nicht aus dem „ K u n s t " Anknüpfungsbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ausgeschaltet werden, w e i l die A r t ihrer Produktion nicht „künstlerisch" sei. Der Frage, wie es zu der grundrechtlich geschützten Objektivation gekommen sei, darf nur insoweit nachgegangen werden, als davon die Subsumtion unter den Tatbestand, als davon die tatbestandliche Umschreibung des A n knüpfungsbegriffs abhängt 74 . Für die Kunstfreiheit ist das hier durch die Unterscheidung von Produktion und Präsentation als strukturell voneinander abzuhebender (im folgenden noch näher zu bestimmender) Momente des Normbereichs und durch Abheben auf die Rolle der (konventionell typischen) Darbietung etwa i m Rahmen einer Ausstellung von Pop- oder Dada-Kunst rationalisiert worden. 3. Strukturvergleich:
„Kunst"
—
„Gewissen"
Der Normbereich „Kunst" ist i n vielem schwerer faßbar als der Normbereichsteil „Glaube und Bekenntnis" wegen deren traditionell präformierter inhaltlicher Gestalt; schwerer selbst als der Normbereichsteil „Gewissen". Gewissensentscheidungen sind von ihrem „Reflex", von dem Ausdruck her grundsätzlich nachprüfbar, den sie i n der Verbindlichkeit und Folgerichtigkeit eines praktischen Verhaltens fin75 74
BVerfGE 12.45, 54 ff.; ebd., 56 zum folgenden. So für A r t . 4 GG: BVerfGE 12.45 ff., 56.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
den. Dieser Gesichtspunkt darf nicht überbeansprucht werden und insbesondere nicht zu einer „nachträglichen" Objektivierung des Inhalts als Gewissensentscheidung umgebogen werden. Doch sind die aus Gewissensentscheidungen kommenden praktischen Folgen i m Sinn einer empirischen Anthropologie vielfach unmittelbarer einsichtig und als Entscheidungen der sittlichen Person von den möglichen Alternativen her stärker beschränkt und inhaltlich „allgemeiner", eher nachvollziehbar als die Ergebnisse künstlerischer Objektivierung. Der Nachvollzug eines Kunstwerks ist m i t der Fähigkeit, sittliche Person zu sein, noch nicht gegeben. Er ist auch nur i m Sinn der Begabung zum „Konsum" künstlerischer Aussage nicht selbstverständlich. Nicht von der Tiefe, wohl aber von der Breite der Disposition zur Erzeugung und zum Nachvollzug von Kunst her erscheint diese gegenüber dem Gewissen als weniger elementar, damit auch als weniger leicht einsichtig. Nichts anderes ist m i t diesem strukturellen Vergleich beider Normbereiche gemeint. Er legt für die Freiheit der Kunst nochmals gesteigerte Vorsicht gegenüber inhaltlichen Unterstellungen nahe. I n beiden Fällen schlägt sich eine unbedingte menschliche Äußerung mehr oder weniger kreativen Charakters i n sozial wirksamen Resultaten nieder, wobei der transpersonale, „werk"hafte Charakter der künstlerischen Objektivation gegenüber dem personalen Charakter gewissenhaften Verhaltens erhöhte Schwierigkeiten des Verständnisses und vervielfachte Möglichkeiten des Mißverständnisses bietet 7 5 . Kunst kann aus einsamer Passion kommen und nur diese ansprechen. Sie ist nicht notwendig auf Normativität und Verbindlichkeit angelegt 76 . Sie kann sich i n diesem Sinn gewissenlos geben, ohne deswegen aufzuhören, Kunst zu sein. Das „Rätsel" von Kunst liegt i n den Werken beschlossen: i n un-menschlichen Gebilden, verdinglichten Antworten auf die Anforderungen eines „ A b soluten". Es liegt i n Werken, die auf Fragen schweigen, w e i l sie nichts als das sagen, was i n ihnen gesagt ist. Gewissensentscheidungen sind i n der Regel nach der Anzahl wählbarer Modalitäten des Verhaltens durch Konvention, Sitte, Erziehung, durch Religion, Ethik, Recht und Ideologie i n kennzeichnender Weise eingeengt. Dieselben Bezugssysteme bieten bereitwillig Maßstäbe für das Ergebnis und die praktische Umsetzung der Gewissensentscheidung an. Die des Rechts sind, soweit sie das Grundrecht i n seinem oben skizzierten Umfang nicht verletzen, verbindlich. Sie differenzieren die Gesichtspunkte einer Vermittlung der 75 Z u r Analyse des Phänomens Gewissen: Würtenberger, V o m rechtschaffenen Gewissen, i n : Existenz u n d Ordnung, Festschrift für E r i k Wolf, 1962, 337 ff. m. Nw.en; Luhmann, Die Gewissensfreiheit u n d das Gewissen, AöR 90 (1965), 257 ff. 76 Daß, wie dargelegt, individuellste, abseitigste Kunstleistung nach E n t stehung u n d Tendenz asozialen Charakters besonders nachhaltige (Fern-) W i r k u n g zeitigen kann, w i e etwa das Beispiel Rimbauds zeigt, ist eine andere Frage.
V I I I . Werkbereich u n d Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie
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Grundrechtsausübung aus A r t . 4 Abs. 1 GG m i t der Rechtsordnung. Für die Freiheit der Kunst gilt das nicht. V I I I . Werkbereich und Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie
1. Recht des Schaffens, Recht des Verbreitern. Gleichwertige „Stufen" des Freiheitsrechts Ein letztes Strukturmerkmal des Normbereichs „Kunst", das sich i n den bisherigen Erörterungen schon i n verschiedener Weise zur Geltung brachte, betrifft die Unterscheidung nach der Produktion und der Präsentation (Kommunikation) von Kunst. Die Frage, welche Kunst„tatsachen", welche Momente des grundrechtlichen Normbereichs Ansatzpunkte für die sachlich-normative Differenzierung der Freiheitsgarantie bieten, stößt immer wieder auf diese Differenz. Sie ist von der Begrenztheit eines Standpunkts frei, ist nicht auf partielle Aspekte der jeweils exklusiven Theorie-Ideologiebildungen beschränkt. Die Unterscheidung von Produktions- und Kommunikationssektor drängt sich allen kunstwissenschaftlichen Untersuchungen i m weitesten Sinn immer wieder auf, wenn sie auch von ihnen je nach A r t der Axiome verschieden bewertet und behandelt werden wird. Sie meint i m Zusammenhang der Normbereichsanalyse nicht die soziologische und sozialgeschichtliche Bedingtheit von Inhalt, Tendenz und Form künstlerischer Stile und Einzelleistungen 77 ; auch nicht die A r t der sozialen Wirksamkeit der Kunst, ihrer Funktion i n der Gesellschaft 78 . Die Untersuchung betrachtet auch den Kommunikationsbereich vom Normbereich des Grundrechts statt vom gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang her, der i n diesem Kontext nur als Seitenthema bewußt zu halten ist. Würde der als frei garantierte „Sinn" von Kunst nur i n dieser Richtung oder mit 77 Als Beispiel: Hauser, Sozialgeschichte der K u n s t u n d Literatur, Bd. I , 445: „ F ü r die Größe Shakespeares gibt es ebensowenig eine soziologische E r k l ä r u n g w i e für die künstlerische Qualität i m allgemeinen. Die Tatsache j e doch, daß es zu Shakespeares Zeiten ein Volkstheater gab, das die verschiedensten Schichten der Gesellschaft umfaßte u n d sie i m Genuß der gleichen Werke vereinigte, muß erklärt werden können"; u n d ebd., 446: „Nicht nur I n h a l t und Tendenz, auch die Form des Shakespearschen Dramas ist durch die politische und gesellschaftliche S t r u k t u r der Epoche bedingt. Sie entsteht aus dem Grunderlebnis der Realpolitik . . . dem Dualismus der Ideen- und Erscheinungswelt". 78 Über diese F u n k t i o n mag man streiten. Sie ist k o m m u n i k a t i v e r A r t , auch wenn, w i e gesagt, von der als frei garantierten K u n s t her gesehen ihre Eigenart m i t dem Stichwort „ K o m m u n i k a t i o n " n u r partiell getroffen w i r d . — Die soziale F u n k t i o n von K u n s t w i r d darin gesehen, „daß das K u n s t w e r k als nichtrationales K o m m u n i k a t i o n s m i t t e l die Ganzheitlichkeit der Gesellschaft b e w i r k t u n d objektiviert", Mierendorff - Tost, 26; vgl. auch ebd., 10, 24 f., u n d die allzu euphorischen Wendungen ebd., 30; ferner ebd., 39, v. a. 41 ff., z.B. 42, 43; ebd., 43 ff., zum „Kunstschock" als Kommunikationsstörung; zur sozialen F u n k t i o n der Kunst nochmals ebd., 53 f., 54.
7 Müller, Kunst
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
einer funktionalen Systemtheorie 79 i n ihrem Beitrag zur Aufrechterhaltung der sozialen Differenzierung durch eine bestimmte Spielart der Kommunikationsfreiheit erblickt, so wäre ebenfalls die Freiheit der Verbreitung geschaffener Kunst als wesentlicher Bestandteil der grundrechtlichen Garantie herausgestellt. Über die sachliche Eigenart freier Kunst, über die übrigen Merkmale des Normbereichs ist damit noch nichts weiteres gesagt. Doch ist das Zwischenergebnis festzuhalten, das Recht des Verbreitens gehöre integral zur Freiheitsverbürgung des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Der Bezirk des Schaffens und jener der Kommunikation sind dabei gemäß ihrer sachlich verschiedenen Struktur auch verschieden zu behandeln, da das grundrechtliche Normprogramm auch i n dieser Hinsicht keine Einschränkungen oder Direktiven anbietet. Fürs erste liegt die Feststellung nahe, daß zwar die Voraussetzungen und Abläufe des Schaffensvorgangs individueller A r t sind, nicht normierbar und dank der Freiheitsgewährleistung m i t Rechtsfolgen nicht auswählbar oder sanktionierbar; daß aber der Bereich der Verbreitung schon von seiner rechtlich nicht beeinflußten Sachlichkeit her eine Vielzahl von Verflechtungen m i t andersartigen sozialen Faktoren umschließt. Werke werden auch normativ verstanden, bilden Nachfolge und Schule, entfalten Wirkung auf die Geschmacksbildung des Publikums, werden zu „Kulturgütern" promoviert, stoßen mit rechtlichen Regeln der Rechtsordnung verschiedensten Inhalts zusammen. Auch für die Gewissensfreiheit lassen sich nach forum internum und sozial effektiver Aktualisierung (Religionsausübung, Glaubenswerbung und -abwerbung und so weiter) Abstufungen verschieden intensiver „innerer" Begrenztheit festhalten 80 . Für die Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht „Stufen" unterschieden, denen zufolge die Berufswahl als A k t freier Selbstbestimmung des einzelnen von Eingriffen öffentlicher Gewalt möglichst unberührt zu bleiben habe, während i h m i m Interesse anderer und der Gesamtheit bei Aktualisierung seines Grundrechts auf Berufsausübung Beschränkungen auferlegt werden können, da er i n diesem Sektor „unmittelbar i n das soziale Leben" eingreife 81 . Die Formulierung des Grundrechts wie die Abstufung nach vorbehaltloser und nach Vorbehaltsgarantie i n Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG selbst zeichnet vom Normprogramm her diese Unterscheidung eindeutig vor. Doch ist die Differenzierung grundrechtlicher Normbereiche i n verschiedene Schutzzonen, verschiedene normative Fragestellungen und verschiedene Sektoren der sachlichen Verbürgung ohne unterschiedliche Eingriffsmöglichkeit nicht an eine derartige sprachliche Formulierung 79 Wie sie Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, einer Untersuchung der Grundrechte dienstbar macht. 80 Vgl. hierzu die Gesichtspunkte i n BVerfGE 12, 1 ff., 3 ff.; 12, 45 ff., 54 ff. 81 BVerfGE 7.377, 403.
V I I I . Werkbereich u n d Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie
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des Normprogramms gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat i m übrigen auch für den allgemeinsten und sachlich am wenigsten konturierten Garantiebereich, den des Art. 2 Abs. 1 GG, die Unterscheidung nach „Intimbereich" und Sozialbereich je nach der Intensität des „Sozialbezugs" einer Grundrechtsverwirklichung als zulässigen dogmatischen Ansatzpunkt behandelt 82 . 2. Der Schutz des Werkbereichs Das Schaffen von Kunstwerken ist kein „innermenschlicher Vorgang" 8 3 . Es ist ein nachdrücklich „nach außen" greifendes, sich i n der Außenwelt objektivierendes „factum". Die Sphäre der Produktion, der Kürze halber hier „Werkbereich" genannt, umfaßt nach dem bisher zur Struktur des Garantiegegenstands „Kunst" Gesagten nicht nur die Tätigkeit des Künstlers i n seiner Klause, sondern hat das Kunstwerk zum Zentrum: das Werk i n seiner realen Gestalt, seinem tatsächlichen Dasein und Fortbestand ebenso wie auch den Gesamtvorgang seiner Herstellung durch den Urheber. Die Sphäre der Kommunikation, vielleicht „Wirkbereich" zu nennen, betrifft das Kunstwerk i n der A r t seiner Darbietung, Verbreitung, Verwendung, Kombination, Vervielfältigung, K r i t i k und Wirkungsweise i m ganzen. Freies Schaffen und unbeeinträchtigtes Dasein von Kunstwerken als die Hauptmerkmale des Werkbereichs markieren das sachlich-normative M i n i m u m dafür, daß Kunst überhaupt sein kann und daß sie „frei" sein kann, wie das Grundrecht garantiert. Sie gehören zum Wesensgehalt von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Der Wirkbereich umfaßt Präsentation 84 und Kommunikation. Er ist anders strukturiert als der Werkbereich, wenn auch i n seinem Mittelpunkt unter den normativen Gesichtspunkten des Grundrechts gleichfalls das Kunstwerk steht. Der Wirkbereich gehört als solcher untrennbar zur Kunstfreiheitsgarantie. Die grundsätzliche Möglichkeit, geschaffene A r beiten zu verbreiten, ist — wie auch bei der Freiheit der Wissenschaft — Bestandteil des grundrechtlichen Wesensgehalts. Das Grundrecht ist nicht nur um individueller Selbstverwirklichung des Künstlers und u m der Entlastung schöpferischer Spannungen ins Werk willen, sondern normativ gleichrangig — verfassungstheoretisch i m Kontext aller Grundrechte beurteilt: primär — u m einer spezifischen und so nur von 82
BVerfGE 6.389, 432 ff., bes. 433 f. „Innermenschliche Vorgänge" als solche Vorgänge, die gesellschaftlicher u n d staatlicher Einflußnahme „wesensnotwendig verschlossen bleiben", w e r den von Köttgen i n bezug auf die Freiheit der Wissenschaft als „jenseits des garantierten Bereichs" charakterisiert, GR I I , 291 ff., 295. 84 Z u r Typisierung der Präsentation v o m Urheberrecht her, aber f ü r die Dogmatik der Kunstfreiheit verwertbar: Kummer, Das urheberrechtlich schützbare Werk, 75 ff. 83
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Kunst zu leistenden Wirkung zwischenmenschlicher A r t willen. Es gehört aber nur das „Daß", nicht schlechthin auch das „Wie" der Kommunikation zum grundrechtlichen Wesensgehalt und Schutzbereich. Der Bereich der Verbreitung ist wesentlich breiter gefächert, ist sachlich diffuser als der Werkbereich. Zahlreiche Modalitäten der Verbreitung sind vertauschbar, einander gleichwertig. Gerade von der Sacheigentümlichkeit des Normbereichs her kann das m i t diesem zu vermittelnde Normprogramm „Kunst ist frei" (im Sinn von: soll frei sein) für den Werkbereich nicht dasselbe wie für den Wirkbereich heißen. Das Schaffen von Kunstwerken und die Existenz wie der Fortbestand der Werke sind durchgängig sachspezifisch. Nicht sachspezifische Tätigkeiten i n äußerlichem Zusammenhang mit, „bei Gelegenheit" von Grundrechtsaktualisierungen, bei Gelegenheit des Schaffens (Materialdiebstahl, Malen auf der Straßenkreuzung, aus dem Kontext offenkundig isolierbare Ehrverletzung und so fort) sind dabei nach allgemeinen Grundsätzen auszuschalten und tatbestandlich auszuschließen. Von solchen das Grundrecht nur scheinbar realisierenden Tätigkeiten, die Grundrechtsfragen nicht aufwerfen können, abgesehen, umschreibt der Werkbereich i n seiner Ganzheit sachspezifisch Geschütztes, das so und nicht anders unbeeinflußt bleiben muß, wenn Kunst „frei" sein soll. Da Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos garantiert ist und durch (objektiv intentionale) Vorbehaltsgesetze welcher Motivation auch immer sachlich nicht eingeschränkt werden darf, folgt aus dieser Umschreibung des Werkbereichs für das Schaffen von Kunstwerken und für deren realen Bestand absoluter rechtlicher Schutz aufgrund der verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantie. Auch unter anderen Aspekten hat dieser Teil des Normbereichs Merkmale erwiesen, die m i t „Nötigung", „Irrationalität", „ I n spiration", „schöpferischem Zwang", der Nähe zu einem „Absoluten" und anderen mehr oder weniger treffenden Metaphern für das Unvertretbare des Produzierens, das höchst Verletzliche der Kreativität und für das eigentümlich Selbst-Ständige des geschaffenen Werks stehen. Das Ergebnis „absoluten" rechtlichen Schutzes entspricht diesem Befund, den der Normbereich insoweit bietet. Es sei festgehalten, daß dieses Ergebnis nicht einer pseudonormativen Unterstellung faktischer Gegebenheiten als des Inhalts normativer Geltung des Grundrechts entstammt, sondern diesem Grundrecht m i t seinem Normprogramm vorbehaltloser Garantie selbst. Das sachspezifisch Geschützte darf weder durch Gesetz noch aufgrund eines Gesetzes verkürzt werden. Produktion von Kunst und das Dasein geschaffener Kunst sind als die Hauptelemente des Werkbereichs durchgängig sachspezifisch und damit ohne sachliche Abstriche geschützt, seien diese durch Gesetz oder gesetzeskonforme Maßnahmen hoheitlicher A r t herbeigeführt, seien sie von Interpretation ermittelt oder von Güterabwägung oder praktischer Kon-
V I I I . Werkbereich u n d Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie
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kordanz zuordnend als notwendig behauptet. Ein Kunstwerk — hier ist nur von Originalen zu sprechen, Reproduktionen bieten andere Probleme — ist entweder (noch) vorhanden oder nicht. Ein Künstler produziert entweder so, wie er sich zu schaffen bestimmt, oder er ist i n seinem Schaffen nicht frei. Die Freiheit von Schaffen und Geschaffenem w i r d von einer freiheitlichen Verfassungsordnung ohne Einschränkung grundrechtlich gewährleistet, soweit sie reicht. Wie weit sie reicht, ist mit der gegebenen Umschreibung des Werkbereichs zum Teil schon gesagt worden. Nähere inhaltliche Differenzierungen und Bedingungen werden vom Grundrecht nicht zugelassen. Sonst könnte i m Ergebnis wiederum nicht der den Inhalt seiner Freiheit bestimmen, der frei sein soll. 3. Der Schutz des
Wirkbereichs
Der Wirkbereich ist dagegen von nicht-sachspezifischen Faktoren durchsetzt. Man kann Butter, Kanonen oder Kunstwerke verkaufen. I m wesentlichen sind Kunsthandel, Kunstmanagement und Verlagsgeschäft big business, nichts weiter. Sie verbreiten Kunst, werden dadurch aber nicht selbst zu von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sachspezifisch geschützten Tätigkeiten. Ebensowenig fällt das Verbreiten von Meinungen über Kunstwerke unter die Kunstfreiheitsgarantie. Es fällt unter Art. 5 Abs. 1 GG. Der Künstler übt eine nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte berufliche Tätigkeit aus, der Verleger oder Kunsthändler eine durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete. Der Wirkbereich bietet nach dem zum Verhältnis des Künstlers zur Gesellschaft, zur Unsicherheit ästhetischer Werturteile, zur Mehrdeutigkeit künstlerischer Objektivationen, zu Verkennen und Kunstschock, zur wirtschaftlichen Lage der meisten Künstler und zur minimalen Objektivierbarkeit der Maßstäbe i m Normbereich von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Gesagten kein „absolutes", sondern ein nachdrücklich „relatives" Bild. Kunst in diesem Zusammenhang ist auch vielfach oder sogar hauptsächlich nicht unvertretbar, sondern eine (im technischen Sinne) vertretbare Sache: Gegenstand von Meinung und Management, von Konsum und Kauf, von K r i t i k und Manipulation; Ware i m marktwirtschaftlichen Sinn, sogar Ware m i t zumeist besonders unsolid fundiertem, der Mode unterworfenen, vielfach untergründig gesteuerten Marktwert; gepriesen, verdammt, ideologisch und politisch auf- und abgewertet, verstanden und mißverstanden. Der Staat darf nach dem Gesagten i n dieses schwer durchschaubare Getriebe nicht „ordnend" eingreifen. Er garantiert aber auch nicht durch die Freiheitsgarantie der Verfassung Rettung von Kunst und Künstler aus der Zweideutigkeit des Wirkbereichs. Er garantiert ferner nur die grundsätzliche Gegebenheit des Wirkbereichs, die durch staatliches Handeln nicht ein-
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
schränkbare Möglichkeit, Geschaffenes i n den Kommunikationsvorgang einzubringen, zur Diskussion zu stellen, mitzuteilen. Nicht gewährleistet Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einen Anspruch auf j ede beliebige Verbreitungsart. Soweit die Verbreitung eines Kunstwerks nicht wesentlich eingeschränkt oder faktisch verhindert wird, ist eine Beliebigkeit oder Unbegrenztheit der Kommunikationsarten i m einzelnen grundrechtlich nicht garantiert. Soweit Kommunikationsmöglichkeiten i n verfassungsrechtlicher Sicht einander gleichwertig, vertauschbar sind, ist nicht eine jede von ihnen i m Nebeneinander geschützt. Insoweit gewährleistet das vorbehaltlos garantierte und sachlich nicht einschränkbare Grundrecht von seinem eigenen Norm- und Geltungsgehalt her nur — i m Wortsinn — relative Freiheit. Der Vermittlung von Normprogramm und dem von Relativität durchsetzten Normbereichsteil des Wirkbereichs ist, anders formuliert, zu entnehmen, daß verhältnismäßige Verkürzungen austauschbarer Kommunikationsarten keinen Grundrechtseingriff darstellen, weil die sachliche Garantie selber so weit nicht ausgedehnt werden kann. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit findet jedoch zwei normative Grenzen: Einmal darf i m Einzelfall die allgemeine Möglichkeit der Verbreitung rechtlich oder faktisch nicht beseitigt werden. Die grundsätzliche Möglichkeit der Kommunikation ist unvertauschbar sachspezifisch. Sie gehört zum Wesensgehalt des Grundrechts. Ferner dürfen einzelne nach der Gattungstypik des Normbereichs als sachspezifisch anzusehende Verbreitungs- und Präsentationsarten auch als einzelne nicht schlechthin ausgeschlossen werden. Es ist, kurz gesagt, von der Eigenart von Kunst her nicht sachspezifisch, daß sie auch Kindern oder Jugendlichen gezeigt werden kann. Es ist ihr nicht sachnotwendig, auch Frauen, auch Menschen dieser oder jener politischen Richtung und so fort gezeigt werden zu können. Es ist ihr aber unverzichtbar, ist zum Wesensgehalt des Grundrechts gehörig, daß sie der Öffentlichkeit überhaupt i n zumutbarer und praktisch effektiverWeise zugänglich gemacht werden kann; und es ist ihr sachspezifisch, i n gattungs-typischer A r t i n die Kommunikation eingeschaltet zu werden. Verbietet die Polizei eine Gemäldeausstellung schlechthin, so ist das Grundrecht der Kunstfreiheit ebenso verletzt, als würden dem Maler generell oder für die betroffenen Werke jede Ausstellung, jeder Verkauf und so fort verboten. Verbietet dagegen die Polizei Kindern, Jugendlichen, Frauen oder Sozialdemokraten den Z u t r i t t zu einer Ausstellung, so ist A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht verletzt (es sei denn, das komme, wie oben gesagt, nach den tatsächlichen Umständen einer totalen Verbreitungssperre für diesen Maler und/oder für diese Gemälde gleich). Verletzt wären A r t . 3 Abs. 2 und 3 GG; unter Umständen auch strafrechtliche und jugendschutzrechtliche Vorschriften, falls sie von der staatlichen Stelle unzutreffend angewandt werden und damit nach der Rechtsprechung des
I X . Dogmatische Differenzierungen
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Bundesverfassungsgerichts unter Umständen auch noch die Fernwirkung einer Verletzung von A r t . 2 Abs. 1 GG haben. Die Kunstfreiheitsgarantie w i r d dadurch nicht verletzt. Sonstige verfassungsrechtliche Maßstäbe einschließlich des Übermaßverbots gelten hier wie sonst. Der Ausschluß von Sozialdemokraten und anderen Benachteiligten wäre verfassungswidrig, jedoch nicht aus Gründen des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Auch wenn man m i t dem Bundesgerichtshof 85 die Kunstfreiheitsgarantie nicht n u r als Abwehrrecht gegen staatlichen Eingriff verstehen w i l l , sondern zugleich als m i t dem Grundrecht der Menschenwürde zusammenhängende „Wertentscheidung des Verfassungsgebers", als Grundentscheidung „für einen bestimmten Bereich der Rechts- und Sozialordnung", ist damit nicht mehr als hier gesagt. Auch dann bleibt es bei dem Befund, sachlich-normativ lasse Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG die Schöpfung, das Dasein und die reale Möglichkeit der Kommunikation von Kunstwerken frei sein, ohne aber damit eine A r t von Exemtion aus der Rechtsordnung oder auch nur jede beliebige Weise der Verbreitungsmöglichkeiten i n ihrem Nebeneinander zu gewährleisten. I X . Dogmatische Differenzierungen 1. Zur praktischen
Rolle des
Wirkbereichs
Der Wirkbereich ist dem Werkbereich gegenüber nicht verfassungsrechtlich minderen Ranges. Er w i r d vom Normprogramm nicht weniger geschützt als dieser. Aber die Normierung: „ist frei" (im Sinn von: soll frei sein) besagt für die verschieden strukturierten Hauptaspekte des grundrechtlichen Normbereichs nicht dasselbe. Sowenig die Anerkennung der Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit des von einer Freiheitsverbürgung Garantierten entgegen dem verbreiteten Mißverständnis eine „HöherStellung" dieses Grundrechts gegenüber anderen zur Folge hat, sowenig deklassiert das verfassungsrechtliche Ergebnis zu A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG die verfassungsrechtliche Stellung des W i r k bereichs der Kunstfreiheit 8 6 . Der Wirkbereich verfügt über eine grö85
I m U r t e i l v o m 20. 3.1968 — I ZR 44/66 (Mephisto - Klaus Mann). I m Ergebnis ähnlich wie hier: Geiger, FS Leibholz, Bd. I I , 187 ff., 19-3, 195, 196; ζ. B. ebd., 193: es lasse sich aus der Verfassungsgarantie, die Geiger allerdings als „institutionelle Garantie" sieht, nicht ableiten, „daß auch gewisse Annexe, Hilfsdienste, Zugehörungen wie das Recht zur beliebigen A u s stellung eines Kunstwerks oder zu beliebigem Vertrieb eines Kunstwerks oder die Freiheit der K u n s t k r i t i k u. ä. durch A r t . 5 Abs. 3 GG mitgeschützt seien". — Vgl. auch das Ergebnis bei Dünnwald, G A 1967, 33 ff., 40: A r t . 1 Abs. 1 GG w i r k e auf den Sinngehalt des A r t . 5 Abs. 3 GG dahingehend ein, „daß dieser die absolute Freiheit künstlerischen Schaffens u n d die adäquate, d . h . kunstbezogene Verbreitung künstlerischer Werke garantiert"; hierzu auch υ. Hartlieb u n d Dünnwald, F i l m und Recht (1965), 200 ff., (1966) 55 ff., 60 ff. — Der Sache nach zum Erfassen von Werkbereich u n d Wirkbereich durch A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G : Heckel, 76 m. Nw.en; 78: „Der Künstler 88
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
ßere Flexibilität der Aktions- und Organisationsformen. Das Grundrecht garantiert hier, von der sachlichen Eigenart des Garantierten aus gesehen, die grundsätzliche Möglichkeit von Kommunikation für jeden Künstler und für jedes Werk und darüber hinaus die Möglichkeit, i n einer als gattungstypisch zu beurteilenden Form die Verbreitung der Werke zu bewirken. Zu diesen gattungstypischen Möglichkeiten gehören auch die üblichen Formen von Werbung wie Anzeigen, Auslegen der Schrift i m Ladenlokal und i m Schaufenster, Reklame durch Handzettel, Kataloge und so fort. Werden solche Formen i m praktischen Ergebnis ganz ausgeschlossen, so ist die Toleranzgrenze der Flexibilität austauschbarer Modalitäten des Wirkbereichs überschritten und das Grundrecht verletzt. § 5 Abs. 2 GjS, der die geschäftliche Werbung indizierter Schriften auf die genannte Weise auch gegenüber Erwachsenen ausschließt und sie nur noch in den kein austauschbares, gleichwertiges Äquivalent mehr darstellenden Fachblättern für den Buchhandel zuläßt, ist daher (schon wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 GG und gegen das Übermaßverbot) verfassungswidrig 87 . W i r d i m Einzelfall eine gattungstypisch als „Kunst" i. S. des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einzustufende Schrift demgemäß behandelt, ist auch dieses Grundrecht nach den zur Struktur des Schutzes i m Wirkbereich entwickelten Grundsätzen verletzt. Es braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, daß einschneidende Maßnahmen i m Wirkbereich, die sich i m Ergebnis mittelbar gegen Schutzwirkungen des Werkbereichs auswirken, schon aus diesem Grund gleichfalls unzulässig sind. Auch sie halten sich nicht innerhalb der Variationsbreite austauschbarer Kommunikationswege, die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht i n der ganzen Breite des Nebeneinander, sondern nur grundsätzlich für je eine (oder mehrere) ihrer Spielarten verfassungsrechtlich gewährleistet ist. Die hauptsächlichen Konfliktmaterien des Wirkbereichs der Kunstfreiheit stehen m i t Polizeirecht, Strafrecht, Jugendschutz und Baurecht i m Vordergrund des praktischen Interesses für diese Freiheitsgarantie; auf sie ist noch zurückzukommen. 2. Zur praktischen
Rolle des
Werkbereichs
Die Schutzwirkungen des Werkbereichs sind nicht weniger praktisch. Es handelt sich hierbei entgegen einer i n Rechtsprechung und Literatur nicht selten anzutreffenden Meinung nicht um einen „schöpferischen Intimbereich", nicht um einen „innermenschlichen Vorgang" und dergleichen mehr. Das betrifft allenfalls das Stadium der Konzeption des soll i n Freiheit seinem Werke leben können, das unversehrt i n Freiheit w i r ken können soll"; ebd., 87 f. m. Nw.en zum Einbezug meinungsäußernder K u n s t w e r k e unter den Schutz des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. 87 So auch Knies, 278 ff., 280 u n d ff. m i t Ausführungen zu weiteren V o r schriften des GjS; Lerche, Werbung u n d Verfassung, 110; s. a. ebd., 52.
I X . Dogmatische Differenzierungen
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Werks vor jeder materiellen Fixierung. Es handelt sich aber ebensowenig nur u m das sich manifestierende Schaffen i n Dichterstube oder Atelier. Die hier vorgeschlagenen dogmatischen Differenzierungsgesichtspunkte der Grundrechtsbehandlung geben beispielsweise mit der Unterscheidung nach: Anknüpfungspunkt, Maßstäblichkeit, Sanktionen und m i t jener nach den Hauptgesichtspunkten des Werkbereichs: freies Schaffen und unbeeinträchtigtes Vorhandensein des Geschaffenen genauere Leitlinien an die Hand. So betrifft etwa die dem Künstler i m Rahmen von Werkverträgen oder Werklieferungsverträgen zuzugestehende grundsätzliche, wenn auch i n Grenzen vertraglich beschränkbare 88 Gestaltungsfreiheit, die seiner „künstlerischen Eigenart", „seiner individuellen Schöpferkraft und seinem Schöpferwillen" i n der freundlichen Terminologie des Bundesgerichtshofs entspricht, eine konkrete Auswirkung grundrechtlicher Sicherung des Werkbereichs. Die Bestrafung eines Künstlers allein wegen der Herstellung eines als unzüchtig oder ehrverletzend bewerteten Werks ist grundrechtlich unzulässig. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet, da er ohne Vorbehalt garantiert ist, i m entwickelten Sinn mit „absoluter" Wirkung, Aktualisierungen des Grundrechts, die spezifisch dem Werkbereich angehören, zum Anknüpfungspunkt für belastende Rechtsfolgen zu machen. Eine entsprechende vorbeugende Unterlassungsklage wäre nur gegen die Verbreitung, nicht gegen das Schaffen der Arbeit selbst zulässig. Für die Anknüpfung ist, wie stets, zunächst zu untersuchen, ob der einfachgesetzliche Tatbestand an einen Zustand oder ein Verhalten anknüpft, das sachspezifisch geschützt ist, da es zu dem typischen oder typisch werden könnenden Normbereich des Grundrechts gehört, oder nur an ein Verhalten „bei Gelegenheit", in Zusammenhang mit einer Grundrechtsverwirklichung (der Bildschnitzer stiehlt Holz, der Komponist einer Kadenz für Posaune läßt sich zur Nachtzeit i m Mietshaus oder auf öffentlichen Wegen am Instrument inspirieren). I m Rahmen der für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG umrissenen Struktur grundrechtlichen Schutzes verbietet es die Garantie, an Aktualisierungen aus dem Werkbereich anzuknüpfen {sc. immer: für belastende Rechtsfolgen), nicht aber für solche aus dem Wirkbereich. Auch Sanktionen dürfen nicht in den Werkbereich eingreifen, dürfen nicht anordnen, künstlerische Produktion zu unterlassen oder das Werk zu vernichten. Die Maßstäblichkeit staatlicher Kunstbehandlung darf gleichfalls nicht gegen Aktualisierungen des Werkbereichs verstoßen; die gesamte zivilrechtliche Entscheidung zur Frage künstlerischer Gestaltungsfreiheit im Rahmen von ββ Dazu i m hier entwickelten Sinn: B G H v. 24.1.1956, N J W 1956, 627; ebd., die folgenden Wendungen. Der Bundesgerichtshof stützt sich allerdings nicht auf eine entsprechende Konkretisierung der Freiheitsgarantie.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Werk- oder Werklieferungsverträgen gehört zu dieser Gruppe von Fällen. Sanktionen und Maßstäblichkeit dürfen praktische Verkürzungen i m Wirkbereich herbeiführen, soweit sie nicht an die Grenze des vom Grundrecht i m Wirkbereich Geschützten stoßen, soweit sie also nicht eine totale Verbreitungssperre i m allgemeinen oder die totale Beseitigung einer bestimmten einzelnen gattungstypisch geschützten Kommunikationsart zur Folge haben; ferner noch, soweit sie nicht mittelbar verkürzend auf den Werkbereich zurückwirken würden. Zu wenig differenziert sind die von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts i n den Vordergrund gestellten Aspekte, nach denen zu prüfen ist, ob anzuwendende Normen des einfachen Rechts durch ein Grundrecht „inhaltlich beeinflußt", „grundrechtlich beeinflußt" sind und ob der Richter das Grundrecht durch das U r t e i l als durch einen A k t öffentlicher Gewalt i. S. von § 90 BVerfGG dadurch verletzt, daß er „die Einwirkung der Grundrechte auf das bürgerliche Recht verkennt" 8 9 . Die Struktur dieser Einwirkungsmöglichkeiten ist dogmatisch noch zu rationalisieren. Allein der Hinweis auf die Möglichkeit einer i m Einzelfall in Gang zu setzenden „Wechselwirkung" genügt den Geltungsanforderungen der Freiheitsgarantien nicht. Die hier entwickelte Lösung gewährleistet, daß sowohl der Gehalt als auch die Begrenzung grundrechtlichen Schutzes am Sachspezifischen des Garantiegrundes und Garantiegegenstandes — hier: der „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG — orientiert sind statt an heteronomen Unterscheidungen, die schon i m Ansatz das Geschützte m i t Maßstäben überfremden, die nicht vom grundrechtlichen Sachgehalt, sondern von den möglichen Beschränkungen her denken, seien diese formal oder material begründet, und die damit die verfassungsrechtliche Sachgarantie von vornherein unterlaufen. Lösungsvorschläge etwa i n der Richtung, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schütze eben nicht die Verbreitung unzüchtiger Gemälde oder lästerlicher Theaterstücke, mögen zwar „griffig" sein, verfehlen aber mit ihrer Unterstellung von Vorbehalten der „allgemeinen Gesetze", m i t ihren Grundrechtsbegrenzungen durch „das" Zivilrecht oder „das" Strafrecht sowohl den Sachgehalt der Freiheitsgarantie als auch die Abstufung der Vorbehaltsregeln und verstoßen bei vorbehaltlos garantierten Grundrechten wie denen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG i n all den Fällen gegen das Freiheitsrecht, i n denen die Gesetzesnorm zur Verkürzung des spezifischen Normbereichs führt. 3. Begrenzbarkeit
des Werkbereichs
der
Kunstfreiheit
Der Werkbereich ist kein Bereich „natürlicher" Freiheit, sondern rechtlich geschützter Freiheit 9 0 . Er ist durch Gesetz oder aufgrund Ge89 90
BVerfGE 7.198 Leitsatz 3 und ebd., 203 ff., 204, 206 f. „Natürliche Freiheiten" i n Zusammenhang m i t künstlerischen Bewußt-
I X . Dogmatische Differenzierungen
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setzes nicht verkürzbar. Anderes gilt nur bei einer praktische Konkordanz anstrebenden Zuordnung von (formal gleichrangigen und daher praktische Konkordanz auch bei vorbehaltlos garantierten Grundrechten ermöglichenden) einander begrenzenden Verfassungsnormen. Schon allein deshalb ist die Rede vom „absoluten" Grundrechtsschutz auch nur des Werkbereichs i m Sinn einer Exemtion aus der Rechtsordnung pauschaler A r t abwegig. Die „absolute" Qualität des Schutzes i m Werkbereich ist hier nicht i n diesem Sinn, sondern allein i n Abhebung vom „relativen", d. h. von dem i m Rahmen austauschbarer Möglichkeiten der Kommunikation nicht alle einzelnen Modalitäten garantierenden Schutz so genannt worden. I m Werkbereich gibt es in diesem Sinn keine Austauschbarkeit. Der Künstler schafft das Werk so, wie er w i l l ; oder er ist nicht frei. Das Werk ist (noch) vorhanden oder nicht. Kann es aufgrund staatlicher Normen vernichtet werden, so ist Kunst — als Werk — nicht frei. Anderes würde nur dann gelten können, wenn dem Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für die Kunstfreiheit ein Gesetzesvorbehalt beigefügt wäre. I m F a l l gegenseitiger Begrenzung von Verfassungsnormen dagegen ist die Gleichrangigkeit der Vorschriften gegeben, die zwischen Grundrecht und Vorbehaltsgesetz erst aufgrund des Gesetzesvorbehalts bewirkt würde. Hier sind, die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips 9 1 oder allgemeiner des Übermaßverbots und sonstiger verfassungsrechtlicher Maßstäbe wie immer vorausgesetzt, auch Verkürzungen des Werkbereichs vom Grundrecht her möglich. Das kollidierende „Rechtsgut" muß aber — wie i m Fall des „Totschlags auf der Bühne" seinsinhalten, m i t der Freiheit künstlerischen Erlebens und auch m i t asozial e m Kunstschaffen werden bei Ridder, GR I I , 243 ff., 245 f., 248 angenommen. Das ist angesichts der Möglichkeiten technisch, psychotechnisch, biochemisch u n d nicht zuletzt ideologisch-suggestiv gestützter A k t i v i t ä t e n des modernen Staates, die i n der Gegenwart durchaus nachweisbar sind, bemerkenswert zuversichtlich gesehen. Das Asoziale einer Grundrechtsaktualisierung stellt diese nicht i n einen rechtsleeren, „natürlichen", vorstaatlichen Zusammenhang. Freiheiten der genannten A r t gehören sachspezifisch zu dem durch A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G Geschützten; das ist der entscheidende Maßstab. Sie sind grundrechtlich als frei gewährleistet. Es gibt unter den Bedingungen der Gegenwart k e i n retour à la nature intérieure. Angesichts weitgehender totalitärer Möglichkeiten der Beeinflussung sollten die antitotalitären Garantien nicht zugunsten einer (nicht mehr vorhandenen) „ N a t u r " preisgegeben werden. I m übrigen reicht der grundrechtliche Geltungsgehalt, von seiner sachlichen Eigenart u n d eben nicht von den Möglichkeiten der Einschränkung u n d Begrenzung her beurteilt, der Sache nach so weit, wie ausgeführt. Das g i l t auch dann, w e n n sich i n der Rechtspraxis keine K o n f l i k t p u n k t e m i t der sonstigen Rechtsordnung finden lassen sollten. Sie lassen sich aber finden. 91 K l a r herausgearbeitet v o m Bundesgerichtshof i m U r t e i l zu Klaus Manns „Mephisto" v o m 20. 3.1968 — I ZR 44/66 — zwischen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG u n d dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) bei der Frage möglicher Sanktionen nach Feststellung einer Verletzung des A r t . 2 Abs. 1 G G : V e r breitungsverbot f ü r das ganze Werk — Umgestaltung des Romans — klärendes V o r w o r t des Verlegers — Ausreichen des Vorworts des Autors? und so weiter.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
und vergleichbaren anderen Fällen — selber grundrechtlich geschützt sein. Es genügt nicht die metapositive „Ableitung", d. h. die allgemeine verfassungstheoretische Legitimierung irgend eines Rechtsguts anhand irgend eines Grundrechts. So ist das Rechtsgut Jugendschutz, wegen der vorbehaltlosen Garantie der Kunstfreiheit keine positivrechtliche Eingriffs-Grenze dieses Grundrechts, nicht zum Zweck praktischer Konkordanz zwischen Verfassungs(Grundrechts-)Normen aus Art. 6 GG „ableitbar". Dasselbe gilt für Normen wie § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB; sie sind keine grundrechtlichen Rechtsgüter i m Sinn der behandelten wechselseitigen Begrenzung von Verfassungsnormen. Aufgrund einer derartigen Tatbestandserfüllung und einer aus i h r folgenden Bestrafung des Künstlers darf also der Werkbereich nicht verkürzt, darf das Gemälde nicht unbrauchbar gemacht werden, auch wenn § 41 StGB tatbestandlich darauf anwendbar ist 9 2 . Das gilt einmal deswegen, weil dem Schutz des Werkbereichs hier keine begrenzende Verfassungsnorm gegenübersteht; weil aber i m Verhältnis Grundrecht — eingreifendes Gesetz der Werkbereich ohne jeden sachlichen Abstrich geschützt w i r d und weil i m Umfang der kollidierenden Überschneidung der Normen das Grundrecht wegen seines höheren Rangs vorgeht. Es gilt ferner deshalb, weil die Existenz des geschaffenen Kunstwerks zum Wesensgehalt der Freiheitsgarantie i. S. von Art. 19 Abs. 2 GG gehört. Schließlich können zwar Aktionen aus dem W i r k bereich zum Anknüpfungspunkt für belastende Rechtsfolgen genommen werden, es können aber — d i e Beachtung des Grundrechts i n der Frage der Maßstäblichkeit einmal vorausgesetzt — hieraus folgende Sanktionen nicht in den Werkbereich eingreifen 93 . Das begründet sich nicht erst aus der allgemeinen Überlegung, je mehr ein gesetzlicher Eingriff „elementare Äußerungen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, um so sorgfältiger" müßten „die zur Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden" 9 4 , obwohl das i m Werkbereich Geschützte in der Tat „elementarer" sein mag als die Möglichkeiten des Wirkbereichs. Es ist dogmatisch aus der Sachstruktur des Normbereichs, der Reichweite und der Abstufungen des Geltungsgehalts des Grundrechts und aus dessen 92
Hierzu BGHSt. 20, 192, U r t e i l v. 23. 3.1965. Inwiefern und ob überhaupt die Bestrafung des Künstlers m i t dem Grundrecht vereinbar ist, w i r d später behandelt. A n dieser Stelle geht es u m die Schutzwirkung der Freiheitsgarantie i m Werkbereich. 94 So allgemein BVerfGE 20, 150, 159; s. a. BVerfGE 17, 306, 314. Hierzu Berg, 110 f. Es braucht nicht m i t Berg auf die „Intimsphäre" und die V e r bindung m i t der Menschenwürde des A r t . 1 Abs. 1 GG, sondern nur auf den spezifischen Sachgehalt der Freiheitsgarantie und die positivrechtliche Ausgestaltung des Grundrechts abgehoben zu werden, die i m verfassungstheoretischen u n d verfassungspolitischen Sinn m i t A r t . 1 Abs. 1 GG zusammenhängt. 93
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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positivrechtlicher Ausgestaltung begründet. Von -den angedeuteten totalitären Möglichkeiten einer Verkürzung des Werkbereichs abgesehen, darf der Staat ferner beispielsweise seinen Beamten nicht belangen, der i n (an sich genehmigter) Nebentätigkeit malt, weil er so und nicht anders malt; muß künstlerische Tätigkeit, mag sie i m Wirkbereich gegenüber dem Publikum noch so erfolglos geblieben sein, i m Rahmen entsprechender Vorschriften als hauptberufliche Tätigkeit anerkannt werden und so fort. Diesem Beispiel benachbart, nur i n totalitärer Wendung, ist das Urteil gegen den russischen Lyriker und Übersetzer Brodskij, das i m Jahr 1964 durch die Presse ging 9 5 . I m übrigen sind zahlreiche Formen politischer Auflagen, staatlicher Richtlinien und Repressalien gegen Künstler denkbar, die direkt oder indirekt die Eigenart des künstlerischen Schaffens bewerten, um belastende Rechtsfolgen an die Bewertung zu knüpfen, oder die das Schaffen als solches zum Anknüpfungspunkt für die Verhängung von Rechtsnachteilen machen. Einschränkungen solcher A r t sind i m ganzen Umfang und i n jeder Richtung durch den sachlich nicht einschränkbaren Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG i m Werkbereich von Kunst gegen eingreifende Gesetze oder eingreifende Maßnahmen des Staates jeder A r t aufgrund Gesetzes abgeschnitten. X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit (Spezifische Maßstäblichkeit — formaler Kontext — Kombinationen — Zweckentfremdung — Gattungstypik von Werken und Wirkungsweise — Besonderheiten des Films — Jugendschutz — polizeirechtliche Generalklausel — Baukunst — Kunstförderung — Straf recht) 1. Spezifische
Maßstäblichkeit
Der dogmatische Aspekt grundrechtskonformer Maßstäblichkeit kann bestimmte Gruppen praktischer Fälle selbständig lösen. Es wurde schon ausgeführt, daß etwa ein Gesetz gegen (tatbestandlich näher substantiierte) „entartete", „undeutsche" oder „künstlerisch zersetzende" Kunstwerke, ganz abgesehen von der Frage, an welche Handlungen (die eine Aktualisierung der Kunstfreiheit sein könnten) es anknüpft und welche Sanktionen es verhängt und ob es unter beiden Gesichtspunkten i n von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG Geschütztes eingreift oder nicht, schon allein wegen der Einmischung i n Maßstäbe verfassungswidrig wäre, die nach der Verbürgung gerade „frei" sein sollen, w e i l sie zur spezifischen Aus95 Brodskij w u r d e diesen Meldungen zufolge deshalb zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, w e i l er durch seine literarische Produktion und durch die Tätigkeit als Übersetzer beruflich v o l l i n Anspruch genommen w a r u n d daneben einen der Gemeinschaft „nützlichen" weiteren Beruf auszuüben verweigerte. Die Tätigkeit als Übersetzer und L y r i k e r w a r von den Gerichten als gemeinnützliche Beschäftigung nicht anerkannt worden.
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
wähl-, Gestaltungs- und Formfreiheit freier Kunst gehören. Für Gesetze, die — tatbestandlich auch auf Kunstwerke anwendbar — obszöne, ehrverletzende, landesverräterische oder gotteslästerliche Äußerungen unter Strafe verbieten, g i l t das unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Maßstäblichkeit noch nicht. Kunst kann obszön sein oder nicht; dasselbe gilt für Nicht-Kunst. „Kunst" und „Unzucht" stehen nicht i n sachnotwendiger Verbindung miteinander. Ob Kunst „entartet" oder „gesund" sei, künstlerisch „zersetzend" oder „konstruktiv" und so fort, sind dagegen Werturteilsalternativen, die mangels sachspezifischer Substanz, mangels selbständiger Sachlichkeit unweigerlich mitten i n das hineinführen und das terminologisch m i t Beschlag belegen, was das „Künstlerische" an Kunst ist: was inhaltlich gerade nicht vorweg definiert werden darf, w e i l seine inhaltliche Konkretisierung und Individualisierung, seine Hervorbringung der freien Wahl, Konzeption, Gestaltung des Künstlers überlassen wird. Gesetze der genannten A r t verstießen somit schon unter der Fragestellung ihrer generellen Maßstäblichkeit gegen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Bei Gesetzen wie den §§ 184 Abs. 1 Nr. 1 oder 166 StGB hängt das von ihrer — eingreifenden oder nicht eingreifenden — Wirkung unter Aspekten der Anknüpfungshandlung und/ oder der i n dasselbe Grundrecht, i n ein anderes oder i n sonstige Rechtspositionen eindringenden Sanktionen ab. Ferner kann etwa auch die Anwendung eines i m Sinn genereller Maßstäblichkeit nicht verfassungswidrigen Gesetzes wie der §§ 185 ff. oder 166 StGB i m konkreten Fall durch Behörden oder Gerichte unter dem Gesichtspunkt konkreter Maßstäblichkeit grundrechtswidrig sein, wenn die Rolle des Grundrechts für die Einzelheiten der Fallbearbeitung und -lösung verkannt wird. Solche Maßstäbe lassen sich rational nachprüfen. Die Rechtsprechung hat auch i n andren Fällen, so für den Begriff eines „künstlerisch hochstehenden" Konzerts i m Vergnügungssteuerrecht, den wie etwa auch „anständige Baugesinnung" oder „Sitte und Anstand" unweigerlich m i t Wertungen verbundenen Terminus für einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff erklärt, der keinen Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum lasse, bei dem es nur eine einzige richtige Entscheidung geben könne. Das zur Objektivität gezwungene Urteil des Richters könne dabei gegebenenfalls durch Sachverständige unterstützt werden9®. Mangels Wiederholbarkeit der einmaligen Prüfungssituation sei bei Prüfungsbewertungen ein Spielraum einzuräumen; bei objektivierten Werken hingegen sei die Wiederholbarkeit der Beurteilungssituation gegeben. Die Einhaltung von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nach A n sicht des Bundesverwaltungsgerichts daher auch für die Frage kontrollierbar, ob staatliche Förderungen und ähnliche behördliche Aus99 B V e r w G E 21,184 ff., 186 f. (Armstrong-Urteil) m i t Hinweisen auf B V e r w GE 2, 172; 10, 164; 17, 322. S. a. 21, 194.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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Wahlakte nicht einer unterschwelligen staatlichen Kunstpolitik Vorschub leisteten 07 . Das Entscheidende dieser Rechtsprechung liegt verfassungsrechtlich i n der Einsicht, daß -die zulässigen Maßstäbe aus dem objektiven Normgehalt erarbeitet und nach bestimmten Falltypen unterschieden werden müssen; daß also das Verstecken subjektiver Wertungen vor allem hinter fiktiven Anthropomorphismen, hinter konstruierten Idealfiguren wie dem „künstlerisch aufgeschlossenen oder zumindest u m Verständnis bemühten, wenn auch ästhetisch nicht besonders vorgebildeten Menschen", dem „normalen Durchschnittsleser" und ähnlichen Selbstschätzungen der erkennenden Richter nicht weiterführt 9 8 . Was allerdings, nicht als scheinobjektiver Maßstab, wohl aber als verfassungspolitisches Leitbild auch für Fragen der Maßstäblichkeit gegenüber „unzüchtigen", „gotteslästerlichen" Kunstwerken plausibel bleibt, ist „der mündige und zum eigenen Urteil i m Kampf der Meinungen aufgerufene Bürger i n der freiheitlichen Demokratie" 9 9 , dem beispielsweise zu entscheiden überlassen bleiben muß, was i h m nach Erreichen der bürgerlichen Volljährigkeit an ausgestellter Druckgraphik oder an zeitgenössischer Romanliteratur moralisch bekömmlich ist und was nicht. Das läuft anders als die genannten Personifikationen auf rationale Unterscheidungen der Grundrechtsdogmatik hinaus. So darf hiernach eine Gemäldeausstellung aus anderen als etwa bau-, feuer- oder seuchenpolizeilichen und ähnlichen Gründen (bei denen, wie dargelegt, mangels normativer Überschneidung und Kollision kein Problem des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegt) gegenüber der Öffentlichkeit der Erwachsenen nicht schlechthin geschlossen oder verboten werden, weil damit ein sachspezifisch geschützter Kommunikationstyp von Kunst i m Wirkbereich ganz abgeschnitten wäre 1 0 0 . 97
B V e r w G E 21, 194 ff., 199 ff., 201. Diese Ausdrücke bei: L G Hamburg, N J W 1963, 675 (Jean Genet — Notre Dame des Fleurs); ebd., 675 u n d f., Ausführungen darüber, „dagegen, daß ein K u n s t w e r k i n dem u m künstlerisches Verständnis bemühten Leser geschlechtliche Lüsternheit, W i d e r w i l l e n oder Abscheu" hervorrufe, spreche „die Tatsache, daß aus dem Kreise der Leser eines i n verhältnismäßig hoher Auflage verlegten u n d alsbald restlos verkauften Druckwerkes irgendwelche Unmutsäußerungen nicht bekannt geworden sind". — Vgl. die Maßstabspersonifikationen aus anderen Rechtsgebieten, die v o m „sogenannten gebildeten Durchschnittsmenschen", hinter dem sich w o h l durchschnittlich gebildete Menschen verbergen, B V e r w G E 2, 172, 177, über den „besonnenen Mann", den „verantwortungsbewußten, gewissenhaften, sorgfältigen K r a f t fahrer" des Straf rechts, vgl. hierzu BGHSt. 7, 118; 12, 83; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 9. Aufl. 1965, § 18 I l a beta, bis zum „ a m politischen Leben A n t e i l nehmenden, staatsbewußten Bürger" (VG Freiburg, BaWüVBl. 1964, 187 ff. — Staatstrauer f ü r Theodor Heuss) reichen. 99 „Höllenfeuer"-Urteil des Bundesgerichtshofs v o m 21. 6.1966, J Z 1967, 174 ff., 177. — I n Fragen des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G bricht Geiger, FS L e i b holz, Bd. I I , 203, gegen die Alleinherrschaft „des gehobenen Kunstbetrachters" eine Lanze für „das U r t e i l des gesunden Menschenverstandes all derer, die dieser K u n s t i h r Interesse zuwenden". 100 Diskriminierungen bestimmter Gruppen v o n Erwachsenen wären ange98
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
2. Formaler
Kontext
Die angesichts von Rechtsfragen i n Zusammenhang m i t Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu beachtenden Maßstäbe dürfen auch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß zahlreiche Werkgattungen wie: Theaterstück, Roman, Erzählung, Ballett und so weiter einzelne als „unzüchtig", „ehrverletzend", „gotteslästerlich" bewertete „Stellen" oft durch den Kontext des Ganzen, durch die von der Werkgattung als solcher errichteten formalen Barrieren neutralisieren, entschärfen oder i n einen i m ganzen durchaus nicht unzüchtigen oder lästerlichen Gesamtzusammenhang einordnen können. Würde das unter Konzentrierung auf anstößige Passagen verkannt, läge eine insoweit heteronome Behandlung von Kunstwerken und schon allein dadurch eine Verletzung des Grundrechts vor. Nicht erst die individuelle Formung der Arbeit, auch schon bei nicht wenigen Gattungen die typisch erschwerte Zugänglichkeit können i n dieser Hinsicht Anhaltspunkte geben. Verstöße gegen diese normativen Aspekte des Grundrechts würden i m übrigen auch das Übermaßverbot verletzen, wie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts i n Fragen der Teil-Indizierung aus Gründen des Jugendschutzes hervorgehoben hat 1 0 1 . Man kann — wiederum von einzelnen Gattungen wie dem Aphorismus, dem kurzen Gedicht und ähnlichem abgesehen — sozusagen von einer erhöht anzusetzenden juristischen {nicht: „natürlichen", obwohl diese dahintersteht) Reizschwelle sprechen. Ist diese nicht überschritten, darf die Verbreitung etwa eines Romans nicht zum Anknüpfungspunkt belastender Sanktionen gemacht, bzw. darf, sobald sich die Nicht-Isolierbarkeit der beanstandeten Stelle i m Strafverfahren herausstellt, der Künstler (Verbreiter) nicht bestraft werden. Die strafrechtliche Tatbestandserfüllung muß über die normalen Anforderungen hinaus eine Offenkundigkeit aufweisen, die vom Kontext nicht aufsichts der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote unzulässig. Der Ausschluß von K i n d e r n und Jugendlichen betrifft keine sachspezifisch garantierte Verbreitungsmodalität (es sei denn, es handle sich u m K u n s t oder u m Schriften speziell für K i n d e r u n d Jugendliche, die einem Gattungstypus von „ K u n s t " i. S. des A r t . >5 Abs. 3 Satz 1 GG zugerechnet werden könnten). 101 B V e r w G E 27, 21, 29 unter Gesichtspunkten des „Gesamteindrucks". — Vgl. ferner z.B. Schmidt, G A 1966, 97, 107: ein W e r k sei dann unzüchtig, wenn der „sexuelle Teilbezug des Ganzen nicht diesem, sondern dieses jenem dient". — Siehe ferner Geiger, FS Leibholz, Bd. I I , 200: die A r t der Wiedergabe, der Verbreitung, der eine anstößige Passage herausgreifenden Werbung u n d so fort könne i m Ergebnis unzüchtige oder jugendgefährdende W i r k u n g haben. — Vgl. ferner B V e r w G E 25, 318 ff. (Schamoni — Dein Sohn läßt grüßen), v. a. 325, die Frage, „ob nicht etwaige jugendgefährdende E i n zelheiten durch andere Stellen des Buches aufgehoben werden"; allerdings unter dem schon i n anderen Zusammenhängen angetroffenen bedenklichen Aspekt, ob denn nicht der Selbstmord eines Protagonisten „ f ü r jeden auch nur oberflächlichen Leser eine unüberhörbare Warnung" vor einem „dem Treiben" der Romanfiguren ähnlichen Leben enthalte. — Vgl. auch die zutreffenden Erwägungen bei: Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 364.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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gefangen wird. Ist dagegen eine Tatbestandserfüllung offenkundig isolierbar, so kann es sich — wie ζ. B. bei Namensnennung i n Schmähgedichten, literarischen Kabaretts, Schlüsselromanen — insoweit häufig um Äußerungen handeln, die nur „bei Gelegenheit" der Grundrechtsaktualisierung getan werden. Ihre Isolierbarkeit aus dem einer als „Kunst" anerkannten Werkgattung angehörenden Kontext ist voraussetzungsgemäß angenommen worden. Problematisch bleiben noch die Fälle, i n denen die Tatbestandserfüllung, wie ζ. B. eine Ehrverletzung Dritter, offenkundig erscheint und dennoch nicht i n diesem Sinn (Auszug auf Werbezetteln und so fort) aus dem Werkzusammenhang isoliert worden ist bzw. isoliert werden kann. Dann ist — die gattungstypische Ausgliederung „künstlerischer" Gattungen wie: Roman, Erzählung, Schlüsselroman 102 aus nicht-künstlerischen wie: Biographie, Sachbuch, Dokumentation, Skandalchronik, Enthüllungsliteratur und so fort mußte der Prüfung vorausgehen — weiter zu fragen, ob neben der eindeutigen Erkennbarkeit etwa der Ehrenkränkung „für den normalen Durchschnittsbeobachter" 103 die betreffende Äußerung des Erzählers oder einer der literarischen Personnagen eindeutig genug als Meinung und Äußerung des Autors, m i t der sich dieser, wenn auch i n literarischer Spiegelung, identifiziert wissen w i l l (was strafrechtlich von Belang ist), angesehen werden kann. Diese „Absicht" kann nur dem objektiven Inhalt und dem Gesamtzusammenhang der Arbeit entnommen werden 1 0 4 . Wertungen sind dabei nicht auszuschalten. Doch sind sie unbedenklich, da sie hier ebenso wie die Aussage von Experten nicht Fragen künstlerischer Qualität, Richtung oder „Gesinnung" betreffen, sondern allein die aus dem Kontext hervortretende Evidenz und Erkennbarkeit, die sich aufdrängende Deutlichkeit einer Ehrverletzung, eines Geheimnisverrats, einer Gotteslästerung und ähnlicher Tatbestandserfüllungen. Das läßt sich rational einsichtig machen oder widerlegen, ohne daß von der Maßstäblichkeit her das Grundrecht der Kunstfreiheit verletzt zu werden braucht 1 0 5 . Die Entscheidung des United States District Court/Southern District of New York vom 6. Dezember 102
Z u diesem als einer „ K u n s t " - G a t t u n g u n d zu den i n i h r bestehenden Grenzen des Zulässigen eingehend der Bundesgerichtshof i m U r t e i l zu Klaus Manns „Mephisto" v o m 20. 3.1968 — I ZR 44/66 —. 108 So zu Recht: Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 364. Hier handelt es sich nicht u m Bewertungen von „ K u n s t " oder „ N i c h t - K u n s t " , für die das U r t e i l der durchschnittlich Gebildeten, der bemühten Kunstkonsumenten herangezogen w i r d , was fehlsam ist, sondern u m die Frage, ob die E h r verletzung (oder eine andere strafrechtliche Tatbestandserfüllung) eindeutig erkennbar ist oder nicht. 104 S. v. a. Böckenförde - Greiffenhagen, JuS 1966, 364. los v g l die Erwägungen des Reichsgerichts i m U r t e i l v o m 11.1.1927 — RGSt. 61, 151 zur Frage, ob ein i n einem Gedicht gebrauchter Vergleich unter Berücksichtigung von Zusammenhang, Zweck, Nebenumständen, A r t der V e r 8 Müller, Kunst
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
1933, d u r c h d i e der E h r e n w e r t e J o h n M . W o o l s e y das V e r b o t des „ U l y s ses" v o n James J o y c e aufhob, h a t auch i n bezug a u f d i e F r a g e n v o n Isolierbarkeit u n d K o n t e x t judizielle Maßstäbe gesetzt106. 3.
Kombinationen
E i n a n d e r e r die P r a x i s beschäftigender G e s i c h t s p u n k t dieses Z u s a m m e n h a n g s i s t d i e Frage, w i e w e i t e i n K u n s t w e r k d u r c h K o m b i n a t i o n m i t n i c h t k ü n s t l e r i s c h e n Ä u ß e r u n g e n oder Z w e c k e n oder d u r c h eine v e r f r e m d e t e V e r b r e i t u n g s a r t beispielsweise als „ u n z ü c h t i g " g e l t e n k ö n n e , w e n n das f ü r das W e r k a l l e i n n i c h t der F a l l w ä r e . D i e Rechtsprechung v e r s u c h t diese F r a g e n a l l e i n s t r a f r e c h t l i c h z u lösen, w a s f ü r e i n e n Rechtszustand, d e r w i e j e n e r u n t e r d e r W e i m a r e r Reichs Verfassung u n d der u n t e r dem Grundgesetz die F r e i h e i t der K u n s t grundrechtlich v e r b ü r g t , schon w e g e n m a ß s t ä b l i c h e r V e r n a c h l ä s s i g u n g der F r e i h e i t s g a r a n t i e e i n e n G r u n d r e c h t s v e r s t o ß d a r s t e l l t 1 0 7 . D i e s t r a f r e c h t l i c h e Rechtspreöffentlichung und so fort als gotteslästerlich betrachtet werden könne. — Z u r Berücksichtigung des „Sinnzusammenhangs" ζ. B. auch Leiss, N J W 1962, 2323; Ott, N J W 1963, 617; Kohlrausch - Lange, StGB, 43. Aufl. § 184 A n m . I l l b ; aus der Rechtsprechung ferner z.B. RGSt. 27, 114; 44, 178; O L G H a m b u r g v. 26.11.1963, N J W 1964, 559 ff., v. a. 560. — Vgl. auch schon die Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts v o m 29.2.1912, i n : P r V e r w B l . 33. Jg. (1912), 683 ff., v. a. 684 (zur Aufhebung eines Verbots der A u f f ü h r u n g von Wedekinds „Frühlings Erwachen"): nicht zuletzt angesichts der Zweifel der dramatis persona Moritz Stiefel „über Entstehung u n d Zweck des M e n schen" sowie wegen der Bemühung des Stücks, zu Erziehungsproblemen Stellung zu nehmen, sei dem Drama „ i m Ganzen nach seiner Tendenz und seinem I n h a l t der Charakter eines ernsten Stückes" nicht abzusprechen. Es sei nicht zu ersehen, „ i n w i e f e r n die Zuhörer daraus eine Anregung zu eignem sitten- oder polizeiwidrigem Verhalten empfangen sollten". Der ernste Charakter des Ganzen lasse somit die i m einzelnen anstößigen Stellen h i n r e i chend zurücktreten. 106 „ I n many places i t seems to me to be disgusting, but although i t contains, as I have mentioned above, many words usually considered d i r t y , I have not found anything that I consider to be d i r t for dirt's sake. Each w o r d of the book contributes l i k e a b i t of mosaic to the detail of the picture which Joyce is seeking to construct for his readers". Nach der Definition von „ o b scene" als „tending to stir the sex impulses or to lead to sexually impure and lustful thoughts", die aus der angelsächsischen Gerichtstradition v e r standen werden muß, folgt als Ergebnis: " T h a t reading 'Ulysses' i n its entirety, as a book must be read on such a test as this, did not tend to excite sexual impulses or lustful thoughts but that its net effect on them was only that of a somewhat tragic and very powerful commentary on the inner lives of men and women . . . 'Ulysses* may, therefore, be admitted into the United States"; James Joyce , Ulysses, John Lane The Bodley Head, London 1947, 749 ff., 752, 7'53 u n d f. — Vgl. f ü r den vorliegenden Zusammenhang auch Morris Ginsberg , On Justice i n Society, London 1965, 154 ff., 161. 107 Beispiele zur Rolle „künstlerisch" untypischer Verbreitungsarten bei W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Neudruck 1948, 47'5ff., 476. — Aus der Rechtsprechung vgl. etwa O L G Neustadt, U r t e i l v. 17.10.1951, JR 1952, 287: Verbindung von Aktfotografien m i t zwei Erzählungen von Balzac u n d Barbey d ' A u r e v i l l y zu einer Broschüre. Nach Ansicht des Senats läßt die
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chunig h a t dazu seit l a n g e m d e n B e g r i f f d e r s o g e n a n n t e n „ r e l a t i v e n U n z u c h t " e n t w i c k e l t , nach d e m es v o n d e n U m s t ä n d e n , insbesondere v o n d e r V e r b r e i t u n g s a r t , d e m angesprochenen L e s e r k r e i s e i n e r S c h r i f t a b h ä n g e n k a n n , ob sie u n z ü c h t i g e n C h a r a k t e r h a t oder n i c h t 1 0 8 . A l s „ r e l a t i v " d ü r f e n dabei nicht Qualitäten u n d Substanzen i m S i n n v o n Seinsaussagen angesehen w e r d e n , s o n d e r n W e r t u n g u n d B e h a n d e l b a r keit i m S i n n juristischer Zweckbegriffe. Eine A r b e i t , die gattungst y p i s c h a l s „ K u n s t " z u b e h a n d e l n ist, k a n n i m W i r k b e r e i c h auf eine n i c h t - g a t t u n g s t y p i s c h e K o m m u n i k a t i o n s a r t v e r b r e i t e t w e r d e n . Diese Tatsache k a n n d i e Z u l ä s s i g k e i t einer E i n s c h r ä n k u n g gerade dieser V e r b r e i t u n g s a r t als e i n e r g r u n d r e c h t l i c h n i c h t geschützten oder aus d e m selben G r u n d auch die Z u l ä s s i g k e i t v o n S t r a f s a n k t i o n e n w e g e n dieser V e r b r e i t u n g s a r t z u r F o l g e haben. Das G r u n d r e c h t , das d i e H e r s t e l K o m b i n a t i o n „den literarischen Wert der beiden Erzählungen derart zurücktreten, daß die Broschüre als Ganzes n u r einen Anreiz auf das rohe geschlechtliche Empfinden p r i m i t i v e r Leser darstellt", zumal die Aufnahmen „ i n gar keinem inneren Zusammenhang m i t der Handlung beider Erzählungen" ständen. 108 Vgl. hierzu etwa RGSt 21, 306; 26, 370; 30, 378; 33, 18; speziell i n bezug auf den Leserkreis: R G JW1908, 160; R G JW1926, 2182; RG GA42, 397; RGSt. 24, 365; 27, 114; 29, 133; 32, 418; 56, 175. Ferner BGHSt. 3.295 = U r t e i l v o m 18.11.1952 (Unzüchtigkeit von Druckschriften). I n RGSt. 33, 18 bezieht sich die Untersuchung der „ R e l a t i v i t ä t " der Anstößigkeit auf das P u b l i k u m einer Ausstellung u n d seine Zusammensetzung. — A u f den potentiellen K ä u ferkreis bei Reproduktionen hebt ab: RGSt. 21, 306 und f. unter Berufung auf RGSt. 1, 149, 151; 3, 52, 54 u n d 3, 165 ff., m i t Rückgriff auf die „ Z w e c k " Terminologie. I m U r t e i l RGSt. 26, 370 v o m 17.1.1895 w i r d geprüft, i n w i e w e i t „ i n der öffentlichen Ausstellung o b j e k t i v nicht unzüchtiger Schriften eine unzüchtige, öffentlich Ärgernis gebende Handlung gefunden werden" könne; die interessante Entscheidung hebt anläßlich des Ausstellens der fraglichen Objekte i m Schaukasten am Gehsteig auf den Gesichtspunkt der „ A u f d r ä n gung" gegenüber einem heterogenen P u b l i k u m ab. I n RGSt. 30, 378 ff. w i r d zutreffend darauf abgestellt, „Dinge und Handlungen, die unbedingt und unter allen Umständen unzüchtig sind", gehörten „zu den Ausnahmen; regelmäßig ist die Entscheidung, ob etwas unzüchtig ist oder nicht, bedingt durch die Rücksicht auf Personen, Verhältnisse, Ort, Zweckbestimmung und dergleichen", 380. Da es i n dem Verfahren u m „Photos der lebenden Fürstin Ch." sowie u m lebende Bilder i n einem Tingeltangel ging, stellt das Reichsgericht auf einen Vergleich: Museum — Bühne — öffentliche Straße ab und differenziert demnach, Skulpturen seien Werke der Bildhauerkunst „ u n d Kunst darf den Menschen ohne die H ü l l e n darstellen, welche i n dem gewöhnlichen Leben unentbehrlich sind, wenn das Scham- u n d Sittlichkeitsgefühl nicht gröblich verletzt werden soll", 379; anders stehe es bei der Darbietung „ l e bender B i l d e r " auf der Bühne ohne (gattungstypische) künstlerische A m b i tionen. — Das U r t e i l des Reichsgerichts v o m 22.11.1904 = RGSt. 37, 315 k r a n k t an seinen Unterscheidungen von „ K u n s t w e r k e n i m weitesten Sinne", „Werken der K u n s t " u n d „ K u n s t w e r k e n i n des Wortes höchster Bedeutung", t r i f f t aber die fallentscheidenden Gesichtspunkte m i t seiner Differenzierung nach: Ausstellung der Originale i m Pariser Salon (1904) — Straßenverkauf der Reproduktionen ohne Rücksicht auf das A l t e r u n d andere Qualifizierungen der Käufer. — Aspekte und Kombination m i t Außerkünstlerischem, des verfremdeten Zusammenhangs oder der Zweckentfremdung auch i n BGH, FamRZ 1954, 49 ff., v. a. 50. 8·
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
lung eines Gemäldes nach eigener künstlerischer Verantwortung des Malers, den vom Staat nicht bedrohten Bestand des fertigen Werks und die grundsätzliche Möglichkeit seiner Verbreitung gewährleistet, garantiert allein schon deshalb weder die Möglichkeit noch die Straflosigkeit der wahllosen Verbreitung von Vervielfältigungen des Originals, wenn diese Verbreitung zugleich strafrechtliche Tatbestände, etwa die der §§ 166 oder 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Bei der ersten Sachgruppe handelt es sich u m von der garantierten Sache „Kunst" her gesehen sachspezifische, bei der zweiten u m nicht-sachspezifische Aktions- und Zustandsmodalitäten i m Umkreis freier Kunst. 4. Zweckentfremdung Nicht für die Kunstfreiheit, wohl aber als allgemeine Aussage i n Zusammenhang m i t den Grundrechten der Meinungsfreiheit und des Petitionsrechts hat das Bundesverfassungsgericht aus der sachlichen Eigenart der genannten Verbürgungen die Möglichkeit, eine Volksbefragung durch geheime Stimmabgabe i n ihre Aktualisierung umzudeuten, unter dem Aspekt „sachgemäßen Gebrauchs" der Grundrechte verneint 1 0 ·. Eine offenkundige Verwendung von Kunstwerken für außerkünstlerische, heteronome Zwecke, eine „unangemessene A r t der Verbreitung" von Kunstwerken können i n diesem Sinn „unsachgemäßer Gebrauch" des Grundrechts aus A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG sein, wenn grundrechtsdogmatisch einsichtig zu machen ist, daß diese A r t der Kombination, des Kontexts, der Zweckrichtung oder der Verbreitungsweise gattungstypisch nicht geschützt ist; daß es sich somit nicht u m eine Grundrechtseinschränkung (die unzulässig wäre), w e i l von vornherein nicht um ein Problem der Kunstfreiheitsgarantie handelt. 5. Gattungstypik
von Werken und Wirkungsweise
Dasselbe gilt, wie aus der hier entwickelten Fassung des Anknüpfungsbegriffs „Kunst" i n A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG folgt, dort, wo die t y pologische Prüfung „Nicht-Kunst" ergibt. Die Diskussion hat sich damit von pauschalen und schon aus sachlichen Gründen nicht rationalisierbaren Wertungsbegriffen von „Kunst" zu einer Auseinandersetzung über die Schutzwürdigkeit bestimmter Grenzerscheinungen verlagert, die i n engem Rahmen und m i t überschaubaren Argumenten geführt werden kann. Das gilt etwa für die Frage, ob Satire als unter A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG fallender Gattungstyp angesehen werden solle oder 109
BVerfGE 8, 104, 115.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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nicht 1 1 0 . Es dürfte keine allzu großen Schwierigkeiten bieten, auch den Sektor „Satire" weiter zu differenzieren, etwa in: Karikatur, Kabarett, literarisches Kabarett und dadurch die Diskussion zu begrenzen. Für die Gattung „literarisches Kabarett", die gewiß nicht ohne Wertung von jener des „Kabaretts" unterschieden werden kann, die aber nur eine Wertung i m überschaubaren Rahmen und m i t wenig befrachteter Fragestellung erfordert, dürfte die Zugehörigkeit zum Normbereich des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG deutlich sein. „Künstlerischer Gestaltungswille", „künstlerische Form" und ähnliche Tautologien, die von den nicht-ideologischen Kunstbegriffen i n Lehre und Rechtsprechung für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gefordert zu werden pflegen, sind bei der gattungstypischen Auffächerung des Anknüpfungsbegriffs vom Zwang zu irrational-pauschaler Wertung weitgehend befreit und überdies durch die generell an objektivierte Werktypen zu stellenden Anforderungen der Sache nach aufgefangen. Wenn nach der Polizeiverordnung für den Stadtkreis Berlin vom 19. 3.1898 über die äußere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage am Bußtag und am Karfreitag auch geistliche Musikaufführungen nur i n Form von Oratorien erlaubt, alle andren, insbesondere Choräle sowie die Aufführung nur einzelner Teile geistlicher Oratorien jedoch verboten waren 1 1 1 , so zwang das zu einer gattungstypischen Unterscheidung vom positiven Recht her, die von allen Implikationen künstlerischer oder sonst inhaltlicher Wertung entlastet war. Es umschloß eine Wertung nur i n dem engen, gattungstypologisch definierten Rahmen der Frage, ob die aufgeführten Einzelteile eines Oratoriums „den Zusammenhang des Ganzen erkennen" ließen und damit aufgeführt werden durften oder nicht. Dieselbe Entlastung ermöglicht die Gattungstypik bei der nicht so einfachen Norm der Kunstfreiheitsgarantie. Wegen dieser Entlastung von inhaltlichen Vorgriffen ist es die einzige Definitionsart, die das Grundrecht norma110
Vgl. die Ausführungen zur Satire unter Gesichtspunkten der §§185 ff. StGB i n BayObLGE i n Strafsachen n. F. 7 (1957), 126 ff., 128 u n d f.; ferner O L G H a m b u r g N J W 1964, 5-59 ff., das ebd., 561, auch das Kabarett m i t seiner meinungsäußernden „ K l e i n k u n s t " dem Schutz des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterstellt u n d dabei keine Unterscheidung von politischem u n d l i t e r a r i schem Kabarett macht, w e i l der Kunstbegriff „ w e i t zu fassen" sei u n d „jedes zur Meisterschaft entwickelte Können" umschließe, was als pauschal-wertbestimmter u n d überdies offenkundig nichtspezifischer Ansatzpunkt (im A n schluß an Hamann, GG, 2. Aufl., A n m . 13 zu A r t . 5 G G u n d v. Mangoldt Klein, GG, I , 254) dogmatisch unbrauchbar ist. 111 Hierzu das U r t e i l des Preußischen Oberverwaltungsgerichts v o m 14.12. 1900, PrOVGE 38, 428ff.; ebd., 428, Leitsatz, das folgende Zitat. — Diese E n t lastungswirkung, die m i t der (allerdings harmlosen) Rechtsnorm einherging, w i r d begrüßt von W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung u n d Zweckmäßigkeitserwägung, 1913, 62: „Ob ein Choral schön ist oder nicht, w i r d i n vielen Fällen zweifelhaft sein; ob er dagegen zu den Oratorien gehört, deren A u f führung an ernsten Feiertagen erlaubt ist, darüber gibt die Musikwissenschaft eine klare A u s k u n f t " .
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
t i v z u l ä ß t 1 1 2 . Es w u r d e schon gesagt, daß d a r ü b e r h i n a u s i n S o n d e r u n d G r e n z f ä l l e n , n o t f a l l s m i t H i l f e Sachverständiger, typologische A u s n a h m e n ohne starres H a f t e n a n d e n h e r k ö m m l i c h e n W e r k g a t t u n g e n e r faßbar bleiben. A n d e r e o b j e k t i v e I n d i z i e n f ü r die g a t t u n g s t y p i s c h e E i n o r d n u n g f r a g licher Grenzfälle können neben Verlag, Aufmachung, Vertriebsart, K o m b i n a t i o n e n , A r t der W e r b u n g , Z u s a m m e n h a n g m i t b e s t i m m t e n V e r a n s t a l t u n g e n oder O r g a n i s a t i o n e n auch die M e r k m a l e des A d r e s s a tenkreises l i e f e r n , a n d i e sich das K u n s t w e r k , die A u f f ü h r u n g , d i e Schrift erkennbar w e n d e n 1 1 3 . E i n weiteres v o r allem v o m Strafrecht h e r w i c h t i g e s K r i t e r i u m l i e g t d a r i n , ob sich die (künstlerische) S c h r i f t , A b b i l d u n g , D a r s t e l l u n g oder T o n a u f n a h m e i n e i n e r „ A r t g e i s t i g - p h a n t a s i e m ä ß i g e r G e w a l t e i n w i r k u n g " 1 1 4 der Ö f f e n t l i c h k e i t oder e i n z e l n e n P e r s o n e n i m S i n n e i n e r echten B e l ä s t i g u n g a u f d r ä n g t u n d d a b e i s t r a f rechtliche T a t b e s t ä n d e w i e d e n der G o t t e s l ä s t e r u n g oder d e n der V e r 112 Gattungstypen etwa bei Drews - Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 7. Aufl. 1961, 95 f., 96, i m Anschluß an B V e r w G E 1.303: berichterstattende Filme, Wochenschauen, Dokumentarfilme, Spielfilme m i t künstlerischem Charakter, allerdings gemäß B V e r w G E 1, 303 unter Aspekten der Meinungsäußerung; ferner das U r t e i l des O V G Münster v o m 3.10.1961, veröff. i m Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe Nr. 26 v o m 30. 3.1962, 651 ff.: Gattung der „künstlerischen Kriminalgeschichte"; Jäger, Strafgesetzgebung u n d Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957, 107 ff. (Kunst und Pornographie): Versuch einer typologischen Differenzierung objektiver Indizien f ü r Pornographie, in-sbes. der A r t der Verbreitung. Aufschlußreich Schilling, Literarischer Jugendschutz, 17 ff.; 18: typologisches Ausscheiden der S u b - L i t e r a t u r (Groschenromane) nicht zuletzt nach dem Selbstverständnis der Urheber u n d Verleger solcher Erzeugnisse: nach Verlag, Vertriebsart, Aufmachung und so f o r t ; ebd. i m ff. zahlreiche Nachweise zu tautologischen u n d ideologisch verengten Kunstbegriffen unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes. 118 Hierzu vgl. etwa das Reichsgericht i n J W 1914, 336, Ziff. 8 zur Frage der Unzüchtigkeit einer Übersetzung von Crebillons „Das Sopha"; B G H G A 1961, 240 (Döhl — Missa profana): es sei zu beachten, „daß das Gedicht i n einer Studentenzeitung erschienen ist. Obwohl diese i n Hochschulgebäuden, zu denen jedermann Z u t r i t t hatte, zum Verkauf auslag, w a r sie ersichtlich i n erster L i n i e für Studierende u n d Dozenten, also einen Personenkreis bestimmt, der i m allgemeinen m i t moderner K u n s t vertrauter ist als ein durchschnittlicher Zeitungsleser". — Vgl. auch BGHSt. 20, 192, w o darauf abgehoben w i r d , das umstrittene Gemälde sei „nicht durch Vervielfältigung oder auf ähnliche Weise unter die breite Masse der Bevölkerung gebracht, sondern n u r i n einer kleinen, w e n n auch jedermann zugänglichen Kunstausstellung gezeigt worden". Das sei ein „dem Wesen der K u n s t entsprechender", also genauer: ein gattungstypisch offenkundig zum Wirkbereich des Normbereichs von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG gehöriger „Gebrauch". — Vgl. ferner B G H JZ 1965, 490 f. m i t A n m . Bauer, JZ 1965, 491 f. ( = BGHSt. 20, 192). — Die Differenzierung von „akademischen" und nicht-akademischen Erwachsenen, wie sie B G H G A 1961, 240 vornehmen w i l l , ist unzulässig. Gattungstypisch ist die Missa profana als „ K u n s t " (Gedicht) i. S. von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zweifelhaft. — Anders steht es damit, soweit die Unterscheidung aus rein strafrechtlichen Gründen gemacht w i r d . 114
Jäger, 112; ebd. die folgenden Beispielsfälle.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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breitung unzüchtiger Schriften, Abbildungen und so fort erfüllt; oder ob ein solches Aufdrängen nicht vorliegt und sich etwa ein Käufer ohne Belästigung Dritter ein strafrechtlich unter § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB fallendes künstlerisches »Buch, ζ. B. einen Roman, i m Buchgeschäft aushändigen läßt. Strafrechtlich beruht für Fälle der zweiten A r t ein Strafanspruch auf einer A r t pädagogischer Vormundschaft des Staates gegenüber seinen erwachsenen Bürgern, für sie vorentscheiden zu wollen, was ihnen sittlich zuträglich sei oder nicht. Das ist aus dem Grundgesetz nicht ableitbar. Vielmehr stellt sich umgekehrt die Frage, ob vorkonstitutionelle Rechtsnormen dieser A r t m i t der Verfassung vereinbar sind. Für Schriften (oder sonstige Werke), die Kunstwerke i. S. des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG sind, ist die Bestrafung aufgrund solcher Vorschriften wegen Verletzung des Grundrechts immer dann unzulässig, wenn der Werkbereich i m Hinblick auf Anknüpfung, Maßstäblichkeit oder Sanktion verkürzt w i r d bzw. wenn das m i t der grundsätzlichen Verbreitungsmöglichkeit oder einer einzelnen gattungstypischen Kommunikationsart i m Wirkbereich der Fall ist. Nicht unter Grundrechtsaspekten, w o h l aber i n Konsequenz des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzprinzips hatte der Kartell-Entwurf von 1927 vom „negativen Interesse" gesprochen, „das ein Erwachsener daran hat, unzüchtige Schriften, Bilder u n d dergleichen aus seinem Besitz und seiner Lebenssphäre fernzuhalten". Das müsse der verantwortlichen Entscheidung des volljährigen Einzelnen überlassen bleiben 1 1 5 . Demgemäß wäre Gegenstand der strafrechtlichen Beurteilung nicht länger die Schrift oder die Abbildung, sondern die Form, i n der diese Arbeiten an die Öffentlichkeit gebracht werden. Verfassungsrechtlich folgt ein vergleichbares Ergebnis schon aus der Grundrechtsdogmatik des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG: an geschützte Aktualisierungsformen aus dem Werkbereich dürfen negative Rechtsfolgen überhaupt nicht anknüpfen. Das ist grundsätzlich nur bei solchen aus dem Wirkbereich möglich, wobei aber für Maßstäblichkeit, Sanktionen und Anknüpfung bei i m Wirkbereich spezifisch geschützten Aktualisierungen allein das vorbehaltlos garantierte und durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes nicht einschränkbare Grundrecht gilt. 6. Besonderheiten des Films Die eingangs der Normbereichsanalyse genannte, auch nach Typen der rechtlichen Behandlung aufzufächernde Vielgestaltigkeit des Normbereichs macht sich so gut wie ausschließlich i m Wirkbereich bemerkbar. So ergeben sich für Filme, die der wertend zu bildenden Kategorie „künstlerischer Spielfilm" i n Gegensatz zu Typen wie: Dokumentarfilm, 115 Begründung zu § 269 des Entwurfs, 58; nach Jäger, 113. Ebd. 113 f. zum folgenden.
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Märchenfilm, Unterhaltungsfilm ohne künstlerischen Anspruch und so fort angehören, für ihre Herstellung und für den (archivarischen) Bestand des Streifens keine Sonderprobleme. Wohl aber ist der F i l m i m Wirkbereich sachspezifisch von andern Werkgattungen unterschieden. Die typologische Einteilung ist i m Grund nur beim F i l m problematisch. Dieses Medium setzt der Gestaltung wegen seiner besonderen Kombination technischer und nicht-technischer Herstellungsmittel weniger spezifischen Widerstand entgegen als beispielsweise die Komposition von Musikwerken, das Verfassen eines Theaterstücks oder das Schaffen b i l dender Kunst. Die allgemeine Werkgattung hat hier die Mindestanforderungen an formale Gestaltung, die von den konventionellen Werktypen umfaßt werden, nicht aufgefangen. Die Herstellung des Films als Werk verläuft technisch instrumental. Die Objektivation i m Material w i r d nicht vom Urheber selbst, sondern durch — von i h m gesteuerte — technische Hilfsmittel bewerkstelligt. Daher ist es beim F i l m unumgänglich, auf eine Tautologie der A r t zurückzugreifen, wie sie bisher weith i n die allgemeinen Kunstdefinitionen zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG prägten, und i m Sinn konventioneller Klassifizierung zu dem Notbehelf „künstlerischer Spielfilm" zu greifen. Diese Unterscheidung ist praktisch möglich und i n vielen Fällen nicht problematisch, wenn damit auch die sonst m i t dem typologisch aufgegliederten „Kunst"begriff gegebenen methodischen und juristischen Vorzüge weitgehend entfallen und der Streit um subjektiv-qualitative Bewertung i m Einzelfall wieder entbrennen wird. Das liegt an der leichten formalen Zugänglichkeit einer Produktionsart, die auch i m Wirkbereich durch eine gegenüber Arbeiten der bildenden Kunst entscheidend gesteigerte psychologische (nicht: künstlerische) Suggestions Wirkung und Distanzlosigkeit eigene Probleme aufwirft. Diese Schwierigkeiten beim Film, soweit er künstlerisch anspruchsvoller Spielfilm ist, berechtigen nicht dazu, den ganzen Umkreis der Kunstfreiheit nach Grundsätzen zu behandeln, zu denen der F i l m i n der Eigenart seiner Herstellung und Wirkung veranlaßt. Ihre Differenz zu den sonstigen Grundzügen der Kunstfreiheit9dogmat i k ist überdies begründbar und i m einzelnen angebbar. Die dogmatischen Grundlinien für den Wirkbereich gelten bei künstlerisch an^ spruchsvollen Filmen ebenso wie für die andern Normbereichsteile der Kunstfreiheit. Weder darf die Kommunikationsmöglichkeit eines Streifens i m ganzen noch darf seine typisch zum Normbereich gehörende Verbreitungsart — entgeltliche Aufführung i n geschlossenen Räumen — zur Gänze unterbunden werden. Der Ausschluß von Kindern und Jugendlichen dagegen berührt, wie schon bei andren Werkgattungen dargelegt, sachspezifisch geschützte Garantien des Wirkbereichs nicht, stellt keinen Eingriff i n den grundrechtlichen Geltungsgehalt dar 1 1 6 . 11β Material etwa bei: Hagemann, Der F i l m , 197 ff. (zu den spezifischen Wirkgesetzen der Filmkunst); Kalb, Der Jugendschutz bei F i l m u n d Fern-
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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Für Fragen grundrechtsbezogener Anknüpfung und Sanktionsmöglichkeit gelten dogmatisch keine Besonderheiten; diese treten nur i n der Maßstabsfrage hervor. So ist entsprechend der leichteren Herstellbarkeit und der größeren Suggestivkraft des Films seine formale Fähigkeit, durch Kontext zu neutralisieren, entsprechend geringer. Solche Besonderheiten des Films drücken sich nicht zuletzt in der Sonderregelung des A r t . 5 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 GG aus; sie klangen auch i m Parlamentarischen Rat an 1 1 7 . Der F i l m ist die sich i m oben genannten Sinn am stärksten „aufdrängende" Werkgattung. Soweit sich aber die Verbreitungsart als solche, also die konventionelle Vorführungsart, nicht i n diesem Sinn „aufdrängt", ist wiederum die generelle Verhinderung der Kommunikation gegenüber Erwachsenen durch staatlichen Eingriff (bei künstlerischen Filmen, die somit nicht unter Art. 5 Abs. 1 Satz 2, sondern unter Abs. 3 Satz 1 GG fallen) unzulässig. Der Ausschluß von Kindern und Jugendlichen dagegen greift, wie auch i n Fällen andrer Werkgattungen, nicht i n das für den Wirkbereich spezifisch Geschützte ein und w i r f t insoweit keine Grundrechtsfragen auf 1 1 8 . Dasselbe g i l t für die Beschränkung der Werbung durch Bildaushang aus Gründen des Jugendschutzes. Totaler Ausschluß von Werbung überhaupt dagegen verstieße gegen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG, weil damit eine gattungstypisch anzuerkennende Kommunikationsart, durch die normale Verbreitung erst möglich wird, i m Einzelfall ausgeschaltet würde. Nach den genannten dogmatischen Grundsätzen noch zulässig wäre die Beschränkung einzelner Filme auf Clubaufführungen, sofern diese, nach englischer Praxis, praktisch öffentlichen Veranstaltungen gleichkämen. Das w i r d einschließlich der typologischen Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst i m F i l m nur i n strafrechtlichen Zusammenhängen entscheidend. sehen, 1962, z.B. 45 f. Auch für das Urheberrecht ist der F i l m eine W e r k gattung eigener A r t . 117 Vgl. Doemming, Füsslein, Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), 90. — Vgl. aus der Rechtsprechung etwa die Überlegungen des L V G Rheinland-Pfalz, V e r w Rspr. 4, 733 ff., v. a. 741, 743 f. Übrigens w i r d das von L G Hamburg, N J W 1963, 675 herangezogene Indiz der „Unmutsäußerungen" hier — jedenfalls für den F a l l seines Fehlens — als nicht zugunsten des Films (oder eines sonst fraglichen Werks) sprechend bewertet: „ D i e große Masse der deutschen Bevölker u n g ist zu spontanen Demonstrationen nicht geneigt", 744. 118 Daß die Maßnahmen oder Normen i n allen Fällen auch sonst verfassungsmäßig zu sein haben, also ζ. B. nicht gegen das Übermaßverbot v e r stoßen dürfen, versteht sich von selbst. — Z u r Rechtsproblematik des Films vgl. allg. etwa: Berthold, v. Hartlieb, Filmrecht, 1957; v. Hartlieb, Das G r u n d recht der Filmfreiheit, U F I T A Bd. 20, 129 ff.; ders., Grundgesetz, Filmzensur u n d Selbstkontrolle, U F I T A Bd. 28, 32 ff.; ders., Die rechtliche, insbesondere die verfassungsrechtliche Seite der Selbstkontrolle, i n : Löf fier (Hrsg.), Selbstkontrolle von Presse, F u n k u n d F i l m , 1960, 10 ff.; Erbel, 192 ff.; Noltenius, Die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des Grundgesetzes, 1958. Vgl. auch Drews-Wacke, ζ. B. 93 ff., 123 ff. Ferner Hagemann, Der F i l m , 1952, zum Thema „künstlerischer F i l m " v. a. 182 ff.; Iros, Wesen u n d Dramaturgie des Films, Zürich, 1957, 52 ff.; Kalb, 45 f.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs
Kunst"
7. Jugendschutz Für Fragen des Jugendschutzes ist mangels einer so weit gehenden Verbreitungsgarantie des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG diese typologische Unterscheidung überhaupt entbehrlich, soweit der Wirkbereich, also Verbreitungsbeschränkungen, i n Frage stehen. Eingriffe i n den Werkbereich, wie Schnitte oder sonstige Maßnahmen staatlicher Zensur, sind für nichtkünstlerische Filme durch A r t . 5 Abs. 1 Satz 3 GG, für künstlerische Spielfilme durch A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG verboten. Das gilt schon vom Grundrecht her; also unabhängig von der Motivierung des Eingriffs, etwa aus Gründen des Jugendschutzes 119 . Für A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Jugendschutz, anders als für A r t . 5 Abs. 1 GG, kein verfassungsrechtlich gleichrangiges Pendant, das eine durch praktische Konkordanz zu konkretisierende wechselseitige Begrenzung von Verfassungsnormen herbeiführen könnte. Wegen der Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie können Eingriffe i n den Geltungsgehalt — freies Schaffen, freier Bestand des Geschaffenen, grundsätzliche Möglichkeit gattungstypischer Kommunikation — weder durch jugendschützende Gesetze noch auf Grund solcher erfolgen. Ausstellungen, Aufführungen, Schriftenverkauf können gegenüber Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen, gewisse einzelne Modalitäten der Werbung (Beschränkung i n der Auswahl öffentlich auszuhängender Werbefotos und ähnliches) können verhindert werden, ohne daß grundrechtsspezifisch Garantiertes dadurch berührt wird. Nicht aber darf i n die Freiheit des Schaffens eingegriffen, nicht dürfen Werke vernichtet, unbrauchbar gemacht, dauernd eingezogen oder grundsätzlich an der Verbreitung gehindert werden, was auch durch totale Werbesperre und überhaupt durch die nach dem GjS möglichen Vertriebsbeschränkungen, die auch gegenüber Erwachsenen wirken und die nach dem oben Gesagten verfassungswidrig sind, herbeigeführt w i r d 1 2 0 . Das folgt, von 119 Fragen des Jugendschutzes vgl. ferner z.B. bei Leonardy, N J W 1967, 714 ff.; B V e r w G M D R 1967, 520 ff. = B V e r w G E 25, 318; B V e r w G E 23, 104; B V e r w G E 27, 14; Potrykus, Jugendschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1963. 120 Vgl. auch die Bemerkung des Bundesverwaltungsgerichts i n B V e r w G E 23, 104, 108 f., bei den Möglichkeiten der Vertriebsbeschränkung nach dem GjS handle es sich „ u m praktisch fast einem Verbot gleichkommende Maßnahmen, die n u r aufgrund eines Gesetzes möglich sind". A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG schließt jedoch für seinen Geltungsbereich Vorbehaltsgesetze aus. — So zu Recht für A r t . 142 W R V : Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 110. — Z u den K r i t e r i e n der „ A b w ä gung" entsprechend „dem freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes" vgl. O L G Düsseldorf, N J W 1964, 562 f., 563. S. ferner B V e r w G E 25, 318; B V e r w G E 27, 21; zu § 5 GjS: Lerche, Werbung u n d Verfassung, 110; Knies, 208F; allg. ebd., 273 ff.; Erbel, 161 ff., jeweils m. Nw.en. Vgl. auch Geiger, FS Leibholz, Bd. I I , 200; Schilling, Literarischer Jugendschutz, 1959, z.B. 11 ff., 25 ff., 34; Kalb, 43 ff.; ebd., 44, u n d bei Schilling, 27, statistische Nachweise zum Verbot der wichtigsten gattungstypischen Werbemöglichkeiten durch § 5 Abs. 2 GjS und zu seiner das Grundrecht der Kunstfreiheit i m Wirkbereich praktisch beseitigenden Wirkung.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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Werk und Künstler her gesehen, aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und auch aus A r t . 5 Abs. 1 GG, wenn überdies die Informationsfreiheit der Öffentlichkeit berücksichtigt wird. Verfassungspolitisch ist von der Mündigkeit der erwachsenen Staatsbürger auch i n Sachen Anstand, Konvention, Sitte, Geschmack und Lebensführung auszugehen. Als Rechtsgüterkategorien des Jugendschutzes sind die willensmäßig-intellektuelle Unmündigkeit, die physische und psychische Gesundheit und komplementär das Erziehungs- und Schutzrecht der E l t e r n 1 2 1 herauszustellen. Die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mehrerer Komponenten ändert die Gesichtspunkte der Grundrechtsdogmatik nicht. Die Möglichkeit, an Erwachsene verkaufte Schriften oder Abbildungen, die Kunstwerke sind, könnten mittelbar auch Jugendlichen zur Kenntnis kommen, erlaubt keine universale Ausdehnung von Jugendschutzaspekten. Auch eine solche dürfte i m übrigen, wie dargelegt, in das vorbehaltlos garantierte Grundrecht nicht verkürzend eingreifen. Der Schutz der Jugend i n der Öffentlichkeit ist durch die genannten Typen der Verbreitungseinschränkung i m Wirkbereich ohne Grundrechtseingriff zu bewerkstelligen. Werbung muß i n vollem Umfang ermöglicht werden, soweit sie nicht selbst i n bestimmten austauschbaren Einzelformen (Textauszug auf Handzetteln, Bilderaushang vor Filmtheater) als jugendgefährdend erscheint. Die Möglichkeit, daß Kindern und Jugendlichen durch ihre Eltern Kunstwerke, die als jugendgefährdend bewertet wurden, zugänglich gemacht werden, spielt insoweit keine Rolle. I m Hinblick auf die Norm des A r t . 6 Abs. 2 GG darf der Gesetzgeber m i t generellen Verboten i n das Erziehungsrecht der Eltern nur dann eingreifen, wenn individuelle Maßnahmen nicht ausreichen, wenn generelle Maßnahmen das .gebotene und adäquate M i t t e l sind, die Gefährdung der Jugendlichen abzuwehren, und wenn das Erziehungsziel durch einen Mißbrauch des elterlichen Erziehungsrechts gefährdet ist, was nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts i n der Regel nur i m Einzelfall festgestellt werden kann 1 2 2 . 8. Polizeirechtliche
Generalklausel
I n das vorbehaltlos garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit darf weder durch Gesetz noch auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. I n diesem Umfang seiner sachlichen Garantie ist es polizeifest 123 . 121
Jäger, 117 f. BVerfGE 7, 320, 323. Bei den dort zur Entscheidung stehenden F r e i körperkulturzeitschriften ist nach Ansicht des Gerichts ein Mißbrauch des elterlichen Erziehungsrechts nicht generell anzunehmen. 125 Lerche, Übermaß, 123, b i l l i g t den Schutzmaterien des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G „beschränkte ,Polizeifestigkeit'" zu; durch Umkehrschluß aus A r t . 5 Abs. 3 Satz 2 könne der grundsätzlich i n Betracht kommende ungeschriebene Annex „teilweise" abgedrängt werden. 122
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Aus Gründen, die auf solche spezifischen Maßstäbe künstlerisch bewertender A r t hinauslaufen, die dank der Freiheitsgarantie gerade nicht zur Grundlage staatlichen Handelns und Entscheidens gemacht werden können, darf die Polizeigewalt nicht eingreifen 1 2 4 . Sie darf Schutzmaterien des Werkbereichs — hier: das Schaffen von Kunstwerken und das Dasein der geschaffenen Werke — nicht zum Anknüpfungspunkt für belastende Rechtsfolgen machen. Sie darf m i t ihren Maßnahmen nicht in den Werkbereich eingreifen und, wie gesagt, m i t den angelegten Maßstäben nicht kunst-immanente, von der Verbürgung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG „frei" gelassene Wertungen treffen. Dabei ist zu bedenken, daß zahlreiche praktische Fälle keine Grundrechtsfälle sein werden, w e i l die polizeiwidrige Modalität der störenden Handlung nicht zu den grundrechtsspezifisch geschützten Aktionsformen gehört. Der plein-airMaler kann von der Straßenkreuzung verwiesen werden, weil die Modalität „auf der Straßenkreuzung" nicht zu den Specifica des Werkbereichs gehört; w e i l sie nur in äußerem Zusammenhang m i t der Grundrechtsaktualisierung i m Werkbereich — Malen des Gemäldes — steht, nur „bei Gelegenheit" ihrer auftaucht. Der Musiker, der zur Nachtzeit auf öffentlicher Straße oder i m hellhörigen Mietshaus seine Komposition für Posaune improvisiert, aktualisiert sein unbeschränkbares Grundrecht auf Komposition von Tonwerken gleichfalls nicht auf eine künstlerisch zwingende, sachlich spezifische Weise: Gerade die Modalität seines Tuns, die polizeiwidrig ist, kann sich nicht als spezifisch geschützte Tätigkeit ausweisen, die vom künstlerischen Gehalt seines Verhaltens her sachlich geboten wäre. Diese Fälle sind polizeirechtlich bzw. bürgerlichrechtlich lösbar (wie etwa auch der Wahlplakat-Fall i n BVerfGE 7.230), ohne daß das Grundrecht der Kunstfreiheit ins Spiel zu bringen ist. Dabei w i r d von konstruierten Extremfällen abgesehen, nach denen einen zwingende künstlerische Notwendigkeit dafür dargetan werden könne, daß der Maler seine Stadtansicht durchaus nicht auch vom Straßenrand aus zu fixieren und der Komponist seinen Einfall für Posaune nicht fürs erste i n Notenschrift festzuhalten i n der Lage ist. Mangels künstlerischer Einsichtigkeit der fraglichen störenden Modalitäten ihres Schaffens tragen sie in einem untechnischen Sinn die „Beweislast" für die zwingende Notwendigkeit einer nur so und nicht anders möglichen Grundrechtsverwirklichung aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG; diese Notwendigkeit w i r d kaum darzutun sein. I n Fällen, in denen Grundrechtsrealisierungen aus dem W i r k 124 Geiger, FS Leibholz, Bd. I I , 199, drückt das dahin aus, f ü r die rechtlichen Schranken der Kunstfreiheit seien „so allgemeine Urteile w i e unmoralisch, politisch unerwünscht, religionsfeindlich, nihilistisch, die öffentliche Ruhe oder Ordnung störend usw." nicht ausreichend; deshalb gehöre die polizeiliche Generalklausel nicht zu den „allgemeinen Gesetzen", die die Freiheit der Kunst einschränken. Das ist konstruktiv nicht recht einsichtig und i m Ergebnis noch zu pauschal gesehen.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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bereich zur Debatte stehen, w i r d gleichfalls nicht selten nur eine Scheinkollision des Grundrechts m i t polizeirechtlichen Normen vorliegen, w i r d es sich also insofern wiederum nicht um Grundrechtsfälle handeln. Ist aber das Grundrecht i m Spiel, so finden die Möglichkeiten polizeilichen Eingreifens auch hier ihre Grenze an dem, was i m Wirkbereich spezifisch geschützt ist, wie an der Beschränktheit zulässiger Maßstäbe. Diese dürfen nicht zum 'kunstspezifisch Geschützten und Freigelassenen gehören. Die Polizei darf nicht gegen „abstrakte", „zersetzende", „entartete" Kunst einschreiten, wohl aber — allein unter dem Aspekt der Maßstäblichkeit gesehen — gegen „unzüchtige", „ehrverletzende" oder „gotteslästerliche" Kunst. Die Sanktionen sind jedoch auch hier spezifisch eingeengt. Beispielsweise darf die Ausstellung nur für Kinder und Jugendliche gesperrt oder nur von einem polizeilich untragbaren an einen angemessenen und zumutbaren Ort verlegt oder für die Zeit m i t telbarer Störung der öffentlichen Sicherheit vorübergehend geschlossen, nicht aber zur Gänze oder auf Dauer verhindert werden. Die polizeilichen Maßnahmen dürfen auch nicht i m Effekt zur Verhinderung der gattungstypischen, sachspezifisch geschützten Kommunikationsart führen. Ein Werk darf allenfalls vorübergehend, nicht aber auf Dauer eingezogen oder gar vernichtet werden. Es versteht sich nach dem Gesagten, daß Maßnahmen etwa auf Grund feuer-, seuchen- oder baupolizeilicher und ähnlicher Vorschriften bei wirklichem Vorliegen ihrer Voraussetzungen i m Rahmen des für sie Zulässigen und Erforderlichen die Kunstfreiheitsgarantie nicht beschränken, w e i l insoweit nicht i n spezifisch geschützte Grundrechtsverwirklichung eingegriffen wird. Die Kunstfreiheit, als positivrechtlich geltendes Grundrecht an hervorragender Stelle zu den normativen Elementen der öffentlichen Ordnung gehörig, kommt hier nicht ins Spiel 1 2 5 . Sofern mit der vorherrschenden 125 Z u m Verhältnis von Grundrechten u n d Polizeirecht i n allgemeiner Problematik vgl. etwa Drews-Wacke, 6. Aufl., 37 ff.; 7. Aufl., z.B. 80 ff., 93 ff., 123 ff., 264; Maunz-Dürig, A n m . 79 ff. zu A r t . 2 Abs. 1 GG auf G r u n d der hier abgelehnten K o n s t r u k t i o n genereller „Nichtstörungsklauseln" ; Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., 57 Anm. 101; Berg, 138 f. zu Handlungsformen i n Zusammenhang m i t Grundrechtsabtualisierungen, die Sicherheitsmaßnahmen u n d -Vorkehrungen außer acht lassen, die für den Schutz menschlichen Lebens erforderlich wären; nach der hier vertretenen Auffassung: die grundrechtlich von vornherein nicht geschützt sind, insofern sie nicht i n sachspezifischem Zusammenhang m i t dem geschützten Normbereich stehen. Vgl. schon Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 111. — Es sind jedoch auch Fälle denkbar, i n denen geschützte Handlungsformen gleichwohl fremdes Leben gefährden; dann begrenzen die G r u n d rechte der A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 u n d A r t . 2 Abs. 2 Satz 1 GG einander. Vgl. ferner noch Berg, 77; Diirig, A r t . 2 des Grundgesetzes u n d die Generalermächtigung zu allgemeinpolizeilichen Maßnahmen, AöR 79 (1953/54), 57 ff.; kritisch Copié , z.B. 30ff., 34f. Ferner Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 359 ff. — Auch B V e r w G E 1, 303, 307 (Sünderin-Urteil) h ä l t fest, die Freiheit der K u n s t unterliege „nicht den Schranken der allgemeinen Gesetze i m Sinne des A r t . 5 Abs. 2, besonders nicht der polizeilichen Generalermächtigung".
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
Lehre unter den Elementen der „öffentlichen Sicherheit" die ausdrücklich normativ geschützten Rechtsgüter gemeint sind, kommen diese ohne überschneidende Kollision m i t dem grundrechtlichen Normbereich zur Geltung. Soweit es sich um die Maßstäblichkeit des Faktors „öffentliche Ordnung" handelt, dürfen vom Grundrecht für „frei" erklärte, innerkünstlerische oder unweigerlich auf künstlerische Wertungen zurückführende Gesichtspunkte wie „zersetzend", „entartet", „undeutsch", „provozierend" und so fort, die mangels eigenständiger sachlicher Bestimmtheit (die hingegen bei „gotteslästerlich", „ehrverletzend", „unzüchtig" gegeben ist) die künstlerische Auswahl-, Gestaltungs- und Darbietungsfreiheit verkürzen, nicht verwendet werden. Die hiernach zulässigen werden i n der Regel auf normativ geschützte Rechtsgüter aus strafrechtlichen Materien oder aus solchen des Jugendschutzes zurückzuführen sein und damit dem Element „öffentliche Sicherheit" zugehören. Insofern braucht die Problematik der normativen Pauschalbestimmung „öffentliche Ordnung" nicht für die Kunstfreiheit i m besonderen aufgerollt zu werden 1 2 6 . 9. Baukunst Durch (Schein-)Kollisionsfälle der Rechtspraxis werden Lehre und Judikatur veranlaßt sein, für einzelne Teile des Normbereichs „Kunst" i m Sinn der Werktypen je nach deren Eigenart verschiedene Varianten der hier entwickelten dogmatischen Grundlinien herauszuarbeiten. Bisher war es neben den Rechtsfragen des Films vor allem die der Baukunst, die tastende Vorschläge i n dieser Richtung nötig machten 127 . A l l 128 Z u r Problematik vgl. etwa Kitzinger, 477 ff.; Erbel, 157 ff.; Knies, 73 ff. u n d 266 m i t Nachweisen zur allgemeinen Diskussion u m die Natur der Generalermächtigung als bloßer Funktionsumschreibung polizeilicher A k t i v i t ä t oder als (dann aber rechtsstaatlich nicht hinreichend bestimmter) gesetzlicher Eingriffsermächtigung. — Nach Köttgen, GR I I , 312 f., ist das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit i m Rahmen des spezifisch geschützten Normbereichs „polizei- und dienstfest". 127 Ungenau werden Konkurrenzfragen zwischen dem Recht der Baukunst u n d anderen Grundrechtspositionen, w i e vor allem A r t . 14 GG bzw. zwischen Baurecht u n d Kunstfreiheitsgarantie behandelt i n : B V e r w G E 2, 172, 179; OVG Münster, VerwRspr. 5, 468; V G H Kassel, bei Thiel, Bd. 3, 197; hierzu Berg, 2 Anm. 3 u n d ebd., 3 m . w . N w . e n ; s.a. ebd. 139, 77. Ebd., 155 i n dem Sinn, echte Konkurrenzen, also normative Überschneidungen der grundrechtlichen Normbereiche zwischen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G und A r t . 14 GG nach allgemeinen Konkurrenzgrundsätzen zugunsten der Kunstfreiheit als dem weniger stark einschränkbaren Grundrecht zu lösen; m i t Hinweis auf Erbel, 134 f., 168 ff. u n d zu Recht kritisch zu Zinkahn, D Ö V 1953, 161, 165, der es i n kennzeichnendem „Schrankenschluß" für „eine Selbstverständlichkeit" hält, „daß auch die Baukunst nicht schrankenlos ausgeübt werden k a n n " u n d der demgemäß ohne Rücksicht auf die normative Ausgestaltung der K u n s t f r e i heitsgarantie die Schranken des konkurrierenden A r t . 14 G G i n den Geltungsgehalt des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG projiziert.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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gemeine Anordnungen der Planung und Raumordnung lassen es nicht zu, jede architektonische Konzeption an jedem Ort zu verwirklichen. Trotz der insoweit gegebenen Beschränkung der Baukunst sollen Bebauungspläne und Planungsgesetze als gegenüber Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unspezifische Gesetze i m Sinn „allgemeiner" Gesetze hinzunehmen sein, während einschränkende Vorschriften des Verunstaltungsrechts grundrechtsspezifische Probleme aufwerfen sollen 1 2 8 . Unspezifisch können solche Einschränkungen nur sein, wenn sie nicht grundrechtlich Garantiertes verkürzen. Nicht aber kann unter Einschränkung auf die Komponente des subjektiven Individualrechts geschlossen werden, das Grundrecht der Baukunst sei bei Einwirkungen auf die Außenwelt schon tatbestandlich nicht gegeben, „ w e i l die Baugestaltung i n die gleichen Rechte der Nachbarn eingreift oder sogar allgemein die Rechte anderer oder das Sittengesetz verletzt und somit dem negatorischen, reinen Abwehrcharakter der Kunstfreiheitsgarantie widerspricht" 1 2 9 . Die Übertragbarkeit der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG auf die übrigen Grundrechte wurde hier auch i n Richtung auf die „Persönlichkeitskerntheorie" abgelehnt. Sie scheitert an der detaillierten Ausgestaltung der grundrechtlichen Garantien und an ihrer sachlich-normativen Eigenständigkeit. Eingriffe i n gleiche Rechte der Nachbarn können nur als wechselseitige Begrenzungen formal gleichrangiger Verfassungsnormen — insbesondere A r t . 14 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG —, hier: mehrerer Grundrechte verschiedener Berechtigter relevant sein und Verkürzungen herbeiführen, die i m Einzelfall m i t dem Verfahren praktischer Konkordanz zu konkretisieren sind. Nicht aber läßt sich vom Ergebnis her bereits mangelnde Tatbestandsmäßigkeit des Grundrechts der Baukunst behaupten. Die zuordnende Verhältnisbestimmung der beteiligten Grundrechte setzt vielmehr deren Tatbestandsmäßigkeit voraus. Andernfalls würde es sich um Scheinkollisionen handeln. Auch die Baukunst w i r d i n der grundsätzlichen Möglichkeit der Kommunikation, die hier mit der realen Verwirklichung, der Objektivierung i m Werk ineins fällt, grundrechtlich geschützt. Wegen dieser strukturellen Eigenart des Normbereichsteils „Baukunst" ist der Sektor möglicher Rechtskollisionen aber immer schon der Wirkbereich. Anders gesagt, läßt sich von der Realisierung des Bauwerks an der Werkbereich vom Wirkbereich nicht trennen. Der i m hier gebrauchten Sinn „absolute" Schutz des Werkbereichs kann nur die Konzeption, die Planung und 128 So zu Recht Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., 56; vgl. auch Erbel, 134 ff., 165 ff. — Z u r Verunstaltungsproblematik i m besonderen: Michel, Die V e r unstaltungsbegriffe i m Baurecht, 1967. 129 So aber Berg, 155 f., unter Hinweis auf Erbel, 170 ff. u n d auf die E i n grenzungen des „Kunsttatbestandes" auf eine nicht recht herausgearbeitete „Sachgesetzlichkeit" ebd., 135, 170 u n d bei Ridder, Freiheit der K u n s t nach dem Grundgesetz, 12, 19.
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
planende Gestaltung i m Entwurfstadium betreffen. Die Ins-Werk-Setzung ist bereits die (gattungstypisch übliche und neben der Einsichtnahme i n die Planungen und Bauzeichnungen einzig mögliche) A r t der Darstellung des Baukunstwerks. Die Verwirklichung des Werks i n der Außenwelt gehört damit von der Sache her bereits zum Wirkbereich, i n dem das Grundrecht wie bei andren Werktypen der Kunstfreiheit nicht jede beliebige Verbreitungsweise und nicht das Nebeneinander aller beliebigen möglichen Arten der Kommunikation schützt, sondern nur die grundsätzlich offen zu haltende Möglichkeit gattungstypischer, d. h. grundrechtsspezifischer Kommunikation. Ein grundrechtlicher A n spruch, ein bestimmtes Werk der Baukunst an diesem und keinem andren Ort zu errichten, besteht damit schon vom Sachgehalt der Freiheitsgarantie her nicht. Aus diesem dogmatischen Grund sind Planungsgesetze und Bebauungspläne keine das Grundrecht einschränkenden Normen, sind sie keine — wegen der Vorbehaltslosigkeit der Garantie unzulässigen — Vorbehaltsgesetze. Dagegen sind bestimmte künstlerische Stilrichtungen und Gestaltungsarten diskriminierende Verunstaltungsnormen Vorbehaltsgesetze. Sie sind grundrechtswidrig und müssen der Freiheitsgarantie weichen. Keine Vorbehaltsgesetze sind bautechnische, baupolizeiliche, sicherheitspolizeiliche Normen und ähnliche Anforderungen, die durch Kunst weder positiv noch negativ definiert werden; die künstlerische und nichtkünstlerische Bautypen (etwa: Reihenhaus — Mietshaus — Zweckbauten und so fort) i n gleicher Weise betreffen und damit für den Normbereich des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht kennzeichnend sind. Unzulässig wäre die Vernichtung der Baupläne und Bauzeichnungen als Eingriff i n den Werkbereich ebenso wie die Verhinderung der Errichtung eines bestimmten Baukunstwerks nicht nur an einem bestimmten Ort, sondern generell. Hier wäre die offen zu haltende grundsätzliche Möglichkeit des Wirkbereichs (grundrechtswidrig) verkürzt. 10. Kunstförderung Soweit Werkbereich und Wirkbereich i n ihren Schutzrichtungen nicht beeinträchtigt werden, soweit staatliche Stellen nicht mittelbar oder unmittelbar dirigierend auf dem Weg positiver Leistung gezielte „sozialstaatliche" Kunstpolitik betreiben, um damit bestimmte Kunstrichtungen zu verfestigen, andre zu diskriminieren 1 3 0 , darf der Staat Kunst fördern. Das Grundrecht gibt keine Ansprüche auf Förderung 1 3 1 , doch 130 Vgl. die zutreffenden Ausführungen i n B V e r w G E 21, 194 (zur steuerbegünstigenden Prädikatisierung eines Dokumentarfilms). ist v g l . v g - H Baden-Württemberg, U r t e i l v. 28. 7.1964 — I I I 179/64 —, BaWüVBl. 1967, 107 (staatliche Zuschüsse f ü r Theaterunternehmen); V G H Baden-Württemberg, U r t e i l v o m 28. 7.1964 — I I I 233/63 —, B a W ü V B l . 1967,
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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stände eine sachgemäße und effektive Förderung von Kunst und Künstlern angesichts von deren i n der Konsumgesellschaft verschärft prekären ökonomischen und sozialen Lage einem Verfassungsstaat w o h l an, der sich auch als Kulturstaat 1 3 2 verstanden wissen möchte. Daß durch institutionalisierte Kunstförderung so gut wie ausschließlich der „ H u mus" (im Sinn der kulturkritischen Unterscheidungen Nietzsches) gefördert und nicht die geniale Einzelleistung erreicht wird, ist eine andere, nicht den fördernden Stellen anzulastende, sondern m i t erörterten Struktureigentümlichkeiten des grundrechtlichen Normbereichs zusammenhängende Frage. A u f verfassungspolitische Gesichtspunkte ist hier nicht einzugehen. Es sei nur bemerkt, daß zum einen die i m Ergebnis überwiegende Konzentration staatlicher Subventionierung auf die Filmwirtschaft von ökonomischen statt von künstlerischen Gesichtspunkten geleitet w i r d und i n der Grundkonzeption wie angesichts der üblichen Handhabung nur zu karger Anerkennung herausfordert. Zum andern beruht die Wirkungslosigkeit staatlicher Kunstförderung auf andren Gebieten nicht zuletzt auf den verfilzten, retrospektiven Vergabegesichtspunkten. Mehr als die Subventionierung lokaler Serienfestspiele, von Ausstellungen der Lebenswerke verdienter und seit langem anerkannter grand old men des zeitgenössischen Kunstbetriebs und mehr als die Verleihung von Preisen für verflossene Leistungen der Arrivierten würde die Förderung junger, noch nicht ausgestellter, aufgeführter, verlegter Künstler zählen und bewirken. Die sich zuverlässig i m Kreis drehende Argumentation von: Unbekanntheit — erhöhtem finanziellen Risiko des Verlags, der Galerie, der Agentur, der Bühne — folglich Ablehnung zugunsten der aus irgendwelchen Gründen bereits Erfolgreichen und damit geringeres finanzielles Risiko Versprechenden hat m i t qualitativen Gesichtspunkten eher nur in Ausnahmefällen zu tun und könnte durch gezielte staatliche Subventionen mit allgemeinsten, künstlerisch nicht wertenden Auflagen (Verwendung zur Förderung „junger" Künstler i m Sinn von Starthilfen — i n der Praxis werden solche Starthilfen i n der Filmwirtschaft eingesetzt) sinnvoll modifiziert werden.
108 (gemeindliche Zuschüsse für Theaterunternehmen). — Auch dort, wo Länderverfassungen Förderungsgebote enthalten, werden subjektive A n sprüche nicht begründet, w e n n damit auch eine Förderungspflicht der Länder normiert ist, so Zuhorn, Hdb. der K o m m . Wiss. u n d Praxis, Bd. I I , 166, die über bloßes politisches Programm hinausgeht; i m letztgenannten Sinn jedoch: Maunz, FS Apelt, 113. Z u den Gefahren staatlicher Kunstförderung für die Freiheit der K u n s t : Ridder, Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, 11; Arndt, Staat u n d Kunst, i n : Geist der Politik, 1965, 312 ff.; ders., N J W 1966, 25 ff., 27. Allgemein vgl. ferner Knies, 224 ff.; Erbel, 174 ff., 176 ff.; Schäuble, Rechtsprobleme der staatlichen Kunstförderung unter Ausschluß bundesstaatlicher Probleme, Diss. j u r . Freiburg i. Br., 1966. 132
E. R. Hub er, Z u r Problematik des Kulturstaats, 1958.
9 Müller, Kunst
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3. Teil: Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
11. Strafrechtliche
Fragen: Grundrecht und Strafrechtsnormen
Für das Grundrecht freier Wissenschaft ist hinsichtlich seines Verhältnisses zu den Strafgesetzen aus dem Mangel jedes Gesetzesvorbehalts zu Recht die allgemeine Folgerung gezogen worden, gleich dem Polizeirecht werde „auch das Straf recht die Autonomie der Wissenschaft zu respektieren haben" 1 3 3 . Die pauschale Aussage ist dogmatisch zu begründen und zu differenzieren. I n den Grundlagen ist das hier i m Lauf der Untersuchung schon geschehen. Daß die pauschale Aussage allein praktische Probleme nicht sinnvoll lösen hilft, zeigt etwa die Folgerung, eine Freiheitsgarantie ohne Gesetzesvorbehalt sei unbeschränkbar; somit seien „unzüchtige oder jugendgefährdende Arbeiten der Kunst oder Wissenschaft" schlechthin „als Kunst oder Wissenschaft frei und nicht rechtswidrig" 1 3 4 . Diese Behauptung bleibt den Nachweis schuldig, inwiefern Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Werke der Kunst davor bewahre und ihre Schöpfer oder Verbreiter davor schütze, strafrechtliche Tatbestände oder jugendschützende Vorschriften zu erfüllen und unter Umständen die daraus folgenden normalen Rechtsfolgen tragen zu müssen. Diese Argumentation geht am normativen Gehalt des Grundrechts, auf den es zuallererst ankommt, ebenso vorbei wie die besprochenen Lehrmeinungen, die alle Fragen der Grundrechtsbegrenzung von allgemeinen Vorbehalten, pauschal-„immanenten" Grenzbestimmungen, durchgängigen „Güterabwägungen", Mißbrauchsverallgemeinerungen oder etwa vom General vorbehält der „allgemeinen Gesetze", „des" Strafrechts und „des" Zivilrechts her lösen zu können glauben. Daß solche praktisch erheblichen Fragen nur auf dem Hintergrund einer die Normbereichsuntersuchung einbeziehenden Dogmatik und nur für jedes Grundrecht und jede m i t i h m (scheinbar) kollidierende Verfassungs- und Gesetzesnorm gesondert beantwortet werden können, wurde hier schon mehrfach ausgeführt. Der dogmatische H i n tergrund kann an dieser Stelle nochmals wie folgt zusammengefaßt werden: Das Grundrecht der Kunstfreiheit ist ohne Vorbehalt gewährleistet. I n seinen sachspezifischen Geltungsgehalt darf nach dem Grundgesetz weder durch Gesetz noch auf Grund Gesetzes verkürzend eingegriffen werden. Es kann i m Weg praktischer Konkordanz durch andere Grundrechte oder Verfassungsnormen begrenzt werden. Die Normen des Strafrechts mögen mittelbar an verfassungsrechtlichen Vorschriften gerechtfertigt werden können. Begrenzenden Charakter i m genannten Sinn haben sie nicht. Nur wenn Grundrechte anderer i m Spiel sind — wie etwa Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 GG —, t r i t t die Begrenzungswirkung als Folge der normativen Vermittlung von Art. 5 188 134
Köttgen, GR I I , 313. — A l l g . etwa Erbel, 140 ff. Bauer, Grundgesetz und „Schmutz- u n d Schund-Gesetz", JZ 1965, 41 ff.,
47 m. Nw.en.
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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Abs. 3 Satz 1 GG m i t dem formal gleichrangigen andren Grundrecht (oder einer sonstigen positiven Verfassungsnorm, nicht aber m i t den strafrechtlichen Gesetzesvorschriften etwa der §§ 211 ff., 242 ff. StGB) ein. Durch Strafgesetz oder auf Grund von Strafgesetzen kann i n den Geltungsgehalt der Kunstfreiheitsgarantie nicht eingegriffen werden. Die Kompetenznorm des A r t . 74 Nr. 1 GG ändert nichts an der Rechtslage. W i r d sie „positiv", i m auch materiellrechtlichen Sinn verstanden, so kann das für bestimmte Fragen systematischer Interpretation von Belang und verfassungstheoretisch von Interesse sein. Doch vermag es fehlende positivrechtliche Gesetzesvorbehalte i n keinem Fall zu ersetzen. Soweit der sachlich-normative Geltungsgehalt des Grundrechts reicht, können strafrechtliche Vorschriften ihn nicht einschränken. Spezifisch geschützte Tätigkeiten und Modalitäten dieser Tätigkeiten i m Werkbereich dürfen nicht zum Ansatzpunkt belastender strafrechtlicher Sanktionen gemacht werden. A l l e i n für das Verfassen eines ehrverletzenden oder unzüchtigen literarischen Textes darf ein Künstler nicht bestraft werden. Etwas andres kann — abgesehen von der technischen Fassung der entsprechenden strafrechtlichen Tatbestände — dann gelten, wenn die Ehrverletzung, die landesverräterische Mitteilung und so fort schon durch ihre genannte sachliche Eigenart, ihren Inhalt (was bei landesverräterischen und verwandten Delikten so gut wie immer der Fall sein wird) und ihre Fassung aus dem literarischen oder sonst gestalterischen Kontext fallen, isolierbar sind und damit nur als kunstspezifisch nicht geschützte Modalität „bei Gelegenheit" der Grundrechtsaktualisierung i m Werkbereich zu behandeln sind. Das entspricht dem ohnehin durchweg zu beachtenden Grundsatz, daß es die sachliche Reichweite des Normbereichs (und damit des grundrechtlichen Geltungsgehalts) ist, die entscheidet, ob ein Fall ein Grundrechtsfall ist, oder ob er nur scheinbar eine normative Überschneidung, eine Kollision von Grundrecht und Gesetzesvorschrift zur Folge hat. Bei echten Kollisionen i m Werkbereich kommen die Frage der Maßstäblichkeit und der zulässigen Sanktionen mangels Anknüpfbarkeit an die Grundrechtsaktualisierung nicht mehr ins Spiel. Der Werkbereich spielt ferner insoweit eine Rolle, als Sanktionen, die an Grundrechtsaktualisierungen i m Wirkbereich oder auch an grundrechtsindifferente Verhaltensweisen anknüpfen, i n keinem Fall den Sachgehalt der Kunstfreiheit i m Werkbereich einschränken dürfen. Die Vernichtung und Unbrauchbarmachung von Kunstwerken (jedenfalls der Originale, bei Werktypen, die keinen entscheidenden Qualitätsunterschied zwischen Kopien und Originalen aufweisen wie Druckgraphik, Preßerzeugnissen, also der gesamten Literatur, auch der Kopien; anders für das Verhältnis bildender Kunst zu fotografischen Ver9*
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
vielfältigungen; wie zur Graphik und Literatur aber wiederum bei Tonaufnahmen) ist auch aufgrund strafrechtlicher Vorschriften unzulässig, weil grundrechtswidrig. Unter dem Gesichtspunkt der Unangemessenheit hat der Bundesgerichtshof i n einem Urteil vom 23. 3.1965 185 die Unbrauchbarmachung eines als Original i n einer Ausstellung, d. h. i n spezifisch geschützter Weise der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebrachten, aber u. U. nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbaren Gemäldes wegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG i m Ergebnis zutreffend für unzulässig erklärt 1 3 8 . Soweit es sich um Grundrechtsaktualisierung i m Werkbereich nach den entwickelten dogmatischen Grundsätzen handelt, ist die Vernichtung der Werke — u m bei der Wortwahl des Bundesgerichtshofs zu bleiben — ausnahmslos „unangemessen". Ein solcher Eingriff könnte nur aufgrund eines Vorbehaltsgesetzes gerechtfertigt werden. Die positivrechtliche Ausgestaltung von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG schließt Vorbehaltsgesetze jedoch zwingend aus. Aus demselben Grund sind auf die künstlerische Tätigkeit bezogene Berufsverbote für Künstler verfassungswidrig. Sie greifen ohne verfassungsrechtliche Legitimation i n eine (zudem zum grundrechtlichen Wesensgehalt gehörende) i m Werkbereich spezifisch geschützte Materie der Kunstfreiheit ein 1 3 7 . 12. Strafrechtsprobleme
im Wirkbereich
der Kunstfreiheit
A n Grundrechtsaktualisierungen aus dem Wirkbereich darf i m Sinn des definierten „relativen" Schutzes angeknüpft werden. Sie können tatbestandsmäßig, wenn auch durch das Grundrecht gerechtfertigt sein. Eine Strafrechtsnorm dagegen, die Aktualisierungen aus dem Werkbereich (also das Herstellen von Kunstwerken selbst) m i t Strafe bedrohen und sie damit für tatbestandsmäßig erklären wollte, wäre wegen Grundrechtsverstoßes verfassungswidrig. Bei strafrechtlichen Sanktionen i n Anknüpfung an Grundrechtsverwirklichungen aus dem W i r k 185
BGHSt 20.192. I m Ergebnis zutreffend auch Schmidt, G A 1966, 97 ff., 108 f., nach dem „die Reaktion des Strafgesetzes" erst beim Veröffentlichen beginnt, woran die §§ 40, 41, 42 StGB ihre grundrechtliche Grenze finden sollen. — Die strafrechtliche Lehrbuch- u n d Kommentarliteratur hat zu § 41 StGB keine G r u n d rechtsproblematik entdeckt; ζ. B. Schönke-Schröder, 12. Aufl. 1965, A n m . zu § 41; Schwarz-Dreher, 27. A u f l . 1965 zu § 41; Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1965, 765; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 7. Aufl. I960, 222 f. 137 Allgemein zur Zulässigkeit von Berufsverboten unter dem Grundgesetz: Stree, Deliktsfolgen u n d Grundgesetz, 1960, 174 ff.; ebd., 164: künstlerische (oder wissenschaftliche) Betätigungen dürfen durch den Strafrichter nicht verboten werden. Weisungen nach § 24 Nr. 2 StGB dürfen sich nicht auf sachspezifische Modalitäten der künstlerischen Berufstätigkeit, sondern n u r auf äußerlich damit zusammenhängende Modalitäten „bei Gelegenheit" der Grundrechtsverwirklichung beziehen, s. hierzu das Beispiel bei Stree, ebd. 136
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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bereich sind die genannten Grundsätze zu beachten, nach denen Verkürzungen des für Werkbereich und Wirkbereich grundrechtlich Geschützten nicht zulässig sind. Ein Eingriff i n andere Rechtspositionen oder i n sonstige Grundrechte des aus A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG Berechtigten etwa i m Anschluß an die Aufführung seines Theaterstücks oder an die Ausstellung von i h m hergestellter Graphik (Geld- oder Freiheitsstrafe) ist unter den dogmatischen Gesichtspunkten von Anknüpfung und Sanktion allein nicht als grundrechtswidrig zu bezeichnen. Hier kommt es für die Zulässigkeit der insoweit weder durch Gesetz noch aufgrund eines Gesetzes i n den grundrechtlichen Geltungsgehalt eingreifenden Strafmaßnahme zusätzlich noch darauf an, ob das Grundrecht i n seiner dritten Geltungsrichtung, bei der Maßstäblichkeit i m konkreten Einzelfall, gebührend i n Rechnung gestellt worden ist oder nicht. Normen, die schon wegen genereller Maßstabswidrigkeit gegen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG verstießen und damit von vornherein verfassungswidrig wären (StrafVorschriften gegen „entartete", „zersetzende" Kunst und ähnliches) sind de lega lata nicht ersichtlich und brauchen hier nicht weiter behandelt zu werden; i m Grundsätzlichen sind sie hier schon erörtert worden. Wiederum gattungstypisch-formal hat das Gericht (oder die Behörde) nicht etwa den individuellen Kunstwert des i n k r i minierten Werks zu taxieren m i t dem Ergebnis, sehr gekonnte Arbeiten seien nicht zu belangen, für weniger vollkommene könnten Künstler und Verbreiter bestraft werden 1 3 8 , sondern die dogmatisch differenzierten und generalisierten dogmatischen Grenzen zulässiger Maßstäblichkeit zu berücksichtigen, die hier schon entwickelt wurden. Fragen wie: Original oder Reproduktion, Verbreitungsart, Adressatenkreis, angemessene oder sich aufdrängende Kommunikationsform, formale (nicht qualitative) Neutralisierung der beanstandeten Elemente durch den Kontext, Isolierbarkeit oder Isolierung (etwa durch Auszüge auf Werbematerial, Handzetteln, Prospekten und ähnlichem) der fraglichen Passa gen sind zusammen m i t der bei zahlreichen Werkgattungen (Ausnahmen etwa: Aphorismus, kurzes Poem) zu berücksichtigenden erhöhten juristischen „Reizschwelle" sorgfältig zu prüfen. Bei Bejahung der Isolierbarkeit (ζ. B. unvermittelte und unverschlüsselte Namensnennung i n Zusammenhang m i t ehrverletzenden Äußerungen i n einem literarischen Text) oder Isoliertheit (Werbematerial) w i r d übrigens i n aller Regel nur eine grundrechtlich nicht spezifisch geschützte Modalität „bei Gelegenheit" der Grundrechtsverwirklichung gegeben sein. Die genannten Gesichtspunkte wie auch solche der Zwecküberfremdung künstlerischer Arbeiten, ihrer Kombination m i t gattungstypisch nicht geschützten Äußerungen, der durch die künstlerische Formung möglicherweise 188 So offenbar die Fragestellung etwa bei L G Hamburg, N J W 1963, 675 (Jean Genet — Notre Dame des Fleurs).
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3. T e i l : Untersuchung des Normbereichs „ K u n s t "
generell auszuschließenden strafrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit 189 sind, wie sich versteht, auch für den subjektiven Tatbestand zu verwerten. Sie können auch bei objektiver Tatbestandserfüllung das Vorliegen der subjektiven Tatseite vor allem bei Delikten wie § 166 oder § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht selten ausschließen. Unter dem Gesichtspunkt des Kontexts ist ferner zu berücksichtigen, ob zum Beispiel eine ehrverletzende Äußerung des Textes nach ihrem objektiven Sinn und nach der subjektiven Vorstellung des Urhebers m i t dessen Meinung identifiziert werden kann oder ob sie unter Umständen nur dem Kontrast, der Charakterisierung oder der i m weitesten Sinn dramaturgischen Komposition zu dienen bestimmt ist 1 4 0 . Werden solche aus der Sachgesetzlichkeit des garantierten und auf dem Weg über eine Grundrechtsaktualisierung den Hechtsfall normativ mitbestimmenden grundrechtlichen Normbereichs folgende Aspekte nicht beachtet, so ist das Grundrecht durch die konkrete Negierung i m Einzelfall verletzt. Ergibt sich jedoch bei Beachtung der vom Grundrecht geforderten Maßstäblichkeit eine Bestrafung von Künstler und/oder Verbreiter {sind beide nicht identisch, so kann sich der Verbreiter, wie ausgeführt, nur auf A r t . 12 Abs. 1, nicht aber auch auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen), so w i r d durch diese Bestrafung unter Berücksichtigung aller entwickelten dogmatischen Markierungen das Grundrecht der Kunstfreiheit nicht sachspezifisch verkürzt. Es verbürgt die Freiheit des Schaffens und der tatsächlichen Existenz von Kunstwerken, die grundsätzlich i n angemessener Weise offen zu haltende Möglichkeit der Kommunikation des Geschaffenen und die i m dargelegten Sinn ausgefaltete Verwirklichung dieser Garantietatbestände i n Richtung auf Anknüpfung, Maßstäblichkeit und Sanktionierbarkeit bzw. Schutz vor Sanktionen. Es schützt jedoch darüber hinaus nicht davor, daß den Grundrechtsberechtigten die Rechtsfolgen positiver Vorschriften treffen, deren normative Voraussetzungen er unter Berücksichtigung dieser dogmatischen Aspekte erfüllt hat, mögen i h n diese Rechtsfolgen auch belasten und faktisch i n seiner Grundrechtsverwirklichung hindern. Die Ansicht, nach der „Kunst nicht strafbar, nicht unzüchtig, nicht gotteslästerlich sein k a n n " 1 4 1 , hat m So allgemein f ü r künstlerische Gestaltung der Äußerung als allgemeinen Ausschlußgrund des Tatbestandsmerkmals „Beschimpfung" i n § 166 StGB: Letss, N J W 1962, 2323, 2324; Ott, N J W 1963, 617, 618. 140 Hierzu vor allem Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 359, 364. 141 Sie geht i n der neueren Rechtsgeschichte Deutschlands w o h l auf K o h l e r zurück, Bespr. von: Lazarus, Das Unzüchtige u n d die Kunst, 1909, i n : G A 1910, 418; wurde unter der Weimarer Reichsverfassung vertreten — vgl. etwa Rothenbücher, V V D S t R L 4, 23, anders allerdings Kitzinger, 469 — u n d findet sich auch noch unter dem Grundgesetz; vgl. hierzu etwa Dünnwald, G A 1967, 41. — I n der strafrechtlichen L i t e r a t u r w u r d e n die dogmatischen Fragen des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG nach dem Vorgang des Verfassungsrechts verständlicherweise vernachlässigt; s. ζ. B. Sauer, System des Straf rechts, Besonderer Teil, 1954, 425 und f.; Kohlrausch-Lange, Strafgesetzbuch, 43. A u f l .
X . Weitere Grundzüge der Dogmatik der Kunstfreiheit
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sich als verfassungsrechtlich unhaltbar erwiesen. Nicht verbale Abwägung, nicht pauschale Schrankenpostulate, nicht verfassungswidrige Schrankenübertragungen oder apokryphe Mißbrauchsurteile leiten die dogmatische und praktische Behandlung von Grundrechtsfragen, sondern der normative Gehalt des fraglichen Grundrechts, das nach A r t . 1 Abs. 3 GG unmittelbar verbindlich gilt. Dieser Gehalt kann nicht von wie auch immer postulierten oder begründeten Schranken her, sondern allein als durch Normbereichsanalyse konkretisierter Sachgehalt der eigengeprägten Freiheitsverbürgung erarbeitet werden. Er markiert dam i t zugleich die Grenzen seiner sachlichen Reichweite, die Begrenzung des grundrechtlichen Geltungsgehalts. Von diesem Ansatz aus sind die grundrechtsdogmatischen Differenzierungen zu entwickeln, die insoweit verallgemeinert werden können, als für jedes Grundrecht die Unterscheidung seiner Schutzrichtungen nach: Anknüpfungsmöglichkeit, zulässiger Maßstäblichkeit und nach der Möglichkeit von belastenden Sanktionen zu treffen ist. Diese Gesichtspunkte haben ergeben, daß i n der zuletzt erörterten Frage strafrechtliche (oder auch zivilrechtliche) 1 4 2 Sanktionen, die dem dogmatischen Bezugsrahmen genügen, nichts verkürzen, was die Freiheit der Kunst normativ verbürgt.
1961, Anm. I I I b zu § 184; Schwarz-Dreher, Strafgesetzbuch u n d Nebengesetze, 27. A u f l . 1965, Anm. 1 A b u n d c zu § 184 u n d A n m . 2 c zu § 166 S t G B ; Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, Komm., 12. A u f l . 1965, A n m . I I 2 zu § 184; Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, Strafrecht u n d Strafverfahren, 37. Aufl. 1961, A n m . 2 a zu § 184; Maurach, Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1964, 430 f.; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 9. Aufl. 1965, 402. — F ü r ihren thematischen Sektor dagegen überzeugend die Untersuchung von Jäger, Strafgesetzgebung u n d Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957, bes. 97—115; vgl. auch 116 ff., 120 f. 142 s i e gelten die entsprechenden dogmatischen Grundlinien der K u n s t freiheitsgarantie. So ist etwa eine auf § 823 Abs. 2 B G B i. V. m. § 185 StGB gestützte vorbeugende Unterlassungsklage nicht gegen das Herstellen eines ehrverletzenden Kunstwerks, w o h l aber—bereits aus verfassungsrechtlichen, nicht erst aus z i v i l - u n d strafrechtlichen Gründen — gegen seine Verbreitung zulässig. — Bei (partieller) Unbrauchbarmachung etwa der ehrverletzenden Einzelstelle ist i n strafrechtlichen wie i n zivilrechtlichen Fällen das Verfassungsverbot des Übermaßes zu beachten.
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