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German Pages 214 [217] Year 1963
BERICHTIGUNG
S. 118, 19. Zeile von oben muß es heißen: Echter gnostischer Libertinismus . . .
2090/9 Koch „Frauenfrage und Kelzertuin"
GOTTFRIED
KOCH
F R A U E N F R A G E U N D K E T Z E R T U M IM
MITTELALTER
Die Frauenbewegung im R a h m e n des K a t h a r i s m u s u n d des Waldensertums und ihre sozialen Wurzeln (12.—14. J a h r h u n d e r t )
FORSCHUNGEN ZUR MITTELALTERLICHEN GESCHICHTE Herausgegeben von H. Sproemberg, H. Kretzschmar, E. Werner, E. Müller-Mertens und G. Heitz
BAND 9
A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N 1962
GOTTFRIED
KOCH
FRAUENFRAGE UND KETZERTUM IM MITTELALTER Die Frauenbewegung im Rahmen des Katharismus und des Waldensertums und ihre sozialen Wurzeln (12.—14. Jahrhundert)
A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N 19 6 2
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3-4 Copyright 1962 b y Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/166/62 Gesamtherstellung: IV/2/14 • VEB Werkdruck Gräfenhainichen • 1824 Bestellnummer: 2090/9 • ES 14 D
INHALT
Abkürzungen
7
Einleitung
9
I. Katharismus und Frauenfrage bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts . .
13
1. Aus welchen sozialen Schichten rekrutierte sich der katharische Frauenanhang?
13
2. Die Frauenfrage als allgemeines Problem der Sozialgeschichte
30
. .
II. Bogomilen, lateinische Ketzer und Beginen
34
III. Bonae mulieres und Frauenkonvente in Südfrankreich bis zum Fall von Montsegur 1244
49
1. Die weiblichen Vollendeten und ihre Lebensform
49
2. Vom Albigenserkreuzzug bis zum Fall von Montsegur
64
IV. Der Niedergang des Katharismus und die Frauenfrage
71
1. Der Rückgang der Frauenbewegung (1250-1300)
71
2. Letztes Aufleben und Untergang des Katharismus (1300-1325) . .
78
V. Die dualistische Dogmatik
89
VI. Die dualistische Moral
107
1. Askese
107
2. Libertinismus?
113
VII. Der neumanichäische Kult
122
VIII. Feudale Kirche, Neumanichäer, Trobadors und die Emanzipation der Frau IX. Die katholische Gegenbewegung: Prouille und die Inquisition
. . .
134 145
X. Waldensertum und Frauenfrage 1. Mulieres valdenses und ihre Lebensform (12.-14. Jahrhundert)
156 . .
156
2. Der Kult
169
3. Die Moral
175
XI. Zusammenfassung
181
Quellenanhang: Aussage der perfecta Arnauda de Lamota aus Montauban (Tarn-et-Garonne) vor dem Inquisitor Ferrarius im Jahre 1244
186
Quellen- und Literaturverzeichnis
201
ABKÜRZUNGEN
CEC
Cahiers d'Etudes cathares, Arques (Aude).
CP
Guiraud, J., Cartulaire de Notre-Dame de Prouille, précédé d'une étude sur l'Albigéisme languedocien aux Xlle et XlIIe siècles, 2 Bde., Paris 1907.
DLZ
Deutsche Literaturzeitung, Berlin.
Doat Döllinger
Sammlung Doat der Nationalbibliothek París. Döllinger, J. v., Beiträge zur Sekten geschichte des Mittelalters, 2 Bde, München 1890. Gönnet, G., Enchiridion Fontium Valdensium Bd. I (1179-1218), Torre Pellice, 1958.
EFV HGL
Vie, C. de, Vaissète, J., Histoire générale de Languedoc. Neuausgabe E. Dulaurier u. a. Bd. 6 - 8 , Toulouse 1879.
Mansi
Mansi, J. D., Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collectio, Venedig.
MGH SS
Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores.
MIÖG
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Innsbruck.
MOPH
Monumenta ordinis fratrum praedicatorum histórica, Rom.
MPG, MPL
Migne, J. P., Patrologiae cursus completus, Series graeca ; Series latina ; Paris.
RHE
Revue d'histoire ecclésiastique, Louvain.
RHF
Bouquet, M. u. a., Recueil des historiens des Gaules et de la France, Paris.
TLZ
Theologische Literaturzeitung, Leipzig.
ZfG
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin.
EINLEITUNG
Die vorliegende Arbeit möchte zur Erforschung einiger Aspekte der mittelalterlichen Häresien und der Frauenfrage beitragen. Die bisherigen Arbeiten über die Frauenfrage haben sich fast ausschließlich auf die Beginen beschränkt, in denen die mittelalterliche Frauenbewegung ihren klarsten und konkretesten Ausdruck fand. 1 Andererseits ist die einschlägige Ketzerforschung auf die Frauenfrage, die sich innerhalb der größten mittelalterlichen Häresien - der Katharer und der Waldenser - verbarg, kaum eingegangen. 2 Im Blickpunkt der Historiker standen die Zentralprobleme der einzelnen Häresien. Dagegen interessierte sie die Frauenfrage wenig, da sie nur eine Komponente der Bewegung darstellte, die sich zudem oftmals unter der Oberfläche verbarg und schwer zu fassen war. So existiert bisher keine Arbeit, die sich speziell mit der Rolle der Frau innerhalb des mittelalterlichen Neumanichäismus und Waldensertums befaßt. 2 a Methodologisch unterscheidet sich die Untersuchung «von den bisherigen bürgerlichidealistischen Darstellungen. Während jene die religiös-ketzerischen Ideologien des Mittelalters als von der Sozialgeschichte unabhängige Und selbständige Phänomene 1
Vgl. A. Mens, Oorsprong en betekenis van de Nederlandse Begijnen - en Begardenbeweging. Vergelijkende Studie: XII de - XIII de eeuw (Univ. de Louvain, Ree. de travaux d'hist. et de philos., Serie 3, Fase. 30), Löwen 1947; E. W. McDonnell, The Beguines and Beghards in médiéval Culture, New Brunswick, New Yersey 1954. 2 Die Auseinandersetzung mit der Literatur findet sich grundsätzlich in den einschlägigen Abschnitten der Arbeit. - Noch im Jahre 1960 bezeichnete E. Delaruelle die Untersuchung der Rolle der Frau, besonders in Südfrankreich, als eine dringende Forschungsaufgabe, die bisher gänzlich vernachlässigt wurde (Le Catharisme en Languedoc vers 1200. Une enquête, in : Annales du Midi, 72, N. 50, 1960, S. 149-167, 155). 2a Erst nach dem Vorliegen der Fahnen erhielt ich Kenntnis von der Miszelle E. Werners, Die Stellung der Katharer zur Frau, in: Studi medievali, 3 a Serie, 2. Jg., Fase. I, 1961, S. 295 bis 301, die aus meiner ungedruckten Dissertation (Ketzertum und Frauenfrage im Mittelalter. Die Frauenbewegung im Rahmen des Katharismus und ihre sozialen Wurzeln (12. bis 14. Jh.), Phil. Diss. Leipzig 1960), auf der die vorliegende Arbeit weitgehend basiert, zusammengestellt wurde. Dabei hat es W. allerdings unterlassen - abgesehen von einer Stelle in einer Spezialfrage (S. 299) - mich als Autor zu nennen. Neu sind bei W. lediglich die angeführte Quellenstelle von Joachim von Fiore (S. 297) und die in den Anm. 13, 27 und 33 zitierte Literatur.
9
auffassen, soll hier versucht werden, die soziale Verankerung jener Überbauerscheinungen aufzuspüren. Da die katholische Kirche im Mittelalter die allbeherrschende Macht war, mußten auch die ideologischen Widerspiegelungen der Klassenkämpfe religiöse Formen annehmen. Das hat in klassischer Weise Friedrich Engels ausgedrückt: „Es ist klar, daß hiermit alle allgemein ausgesprochenen Angriffe auf den Feudalismus, vor allem Angriffe auf die Kirche, alle revolutionären, gesellschaftlichen und politischen Doktrinen zugleich und vorwiegend theologische Ketzereien sein mußten." 3 Dabei handelt es sich bei der alten Häresie des Dualismus vor allem um bereits überliefertes Gedankengut, das nun von den einzelnen Klassen für ihre Interessen ausgenutzt und verändert, d. h. den jeweiligen sozial-ökonomischen Verhältnissen angepaßt wurde. 4 Wir hoffen, insbesondere durch die Benutzung bisher unveröffentlichter Quellen, auch einen gewissen Beitrag zu den allgemeinen sozialen Grundlagen des Katharismus zu leisten. Eine alleinige Beschränkung auf das Frauenproblem erschien aus zwei Gründen unangebracht; einerseits hat das Buch von Borst gerade im Hinblick auf die soziale Verwurzelung der Sekte noch viele Fragen offen gelassen 5 , andererseits aber war es unmöglich, die Frauenfrage von den allgemeinen sozialen Problemen der Sekte zu isolieren. Wir können die Meinung Grundmanns nicht teilen, derzufolge sich die Frauenfrage vor allem „aus dem wachsenden Drang von Frauen aller Stände nach aktivem Anteil am religiösen Leben" ergab. 6 Auch für das Mittelalter gilt die Bemerkung von Bebel, daß die Frauenfrage nur eine Seite der allgemeinen sozialen Frage darstellt. 7 Die Unterdrückung der Frau ist ein Wesensmerkmal der auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Klassengesellschaft. 8 So kommt Engels bei der Behandlung des Problems des Ursprungs der Familie und des Privateigentums zu der Schlußfolgerung: „Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weih in der Einzelehe und die erste Klassenunterdrückung mit der F. Engels, Der deutsche Bauernkrieg, Berlin 1951, S. 57. * Ders., Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Marx/Engels, Ausgewählte Schriften in 2 Bänden, Bd. II, Berlin 1952, S. 373. 3 A. Borst, Die Katharer. (Schriften der M.G.H. 12), Stuttgart 1953. Zur Auseinandersetzung mit den Thesen von Borst vgl. die entsprechenden Abschnitte. Gerade bei den sozialen Grundlagen der Sekte macht sich auch rein sachlich negativ bemerkbar, daß Borst die ungedruckten Quellen nicht benutzen konnte. - Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß trotz Verschiedenheiten in der Gesamtauffassung diese Arbeit in vielen Fragen dem grundlegenden Werk von Borst zahlreiche Anregungen verdankt. 6 H. Grundmann, Eresie e nuovi ordini religiosi nel secolo XII, in: Relazioni del X congresso internazionale di science storiche, Bd. III, Florenz 1955, S. 357-402, S. 401. 7 A. Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Berlin 1950, S. 41. (Hervorhebung von G. K.) s Dieser Grundzug ist immer zu beachten. Wenn im folgenden die ungünstige Stellung der Frau in der Zeit des Feudalismus herausgearbeitet wird, so soll damit nicht gesagt sein, daß ihre Lage sich grundsätzlich von der Stellung der Frau in den anderen Stadien der Entwicklung der Klassengesellschaft - Sklaverei und Kapitalismus - unterschieden hat. Ebenfalls ist nicht zu verkennen, daß in der Zeit des Feudalismus gewisse Wandlungen festzustellen sind.
10
des weiblichen Geschlechts durch das männliche." 9 So lag auch im Feudalismus die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Produktionsinstrumente fast ausschließlich in der Hand des Mannes. Diese ökonomische und gesellschaftliche Abhängigkeit des weiblichen Geschlechts galt vor allem für die Frauen aus den Unter- und Mittelklassen. Dagegen haben Frauen aus dem Hochadel teilweise eine ökonomisch und politisch recht bedeutende Position eingenommen, wenngleich auch sie sich — auf höherer Stufenleiter — oft nicht den patriarchalischen Tendenzen entziehen konnten. Neben dieser Minderbewertung der Frau im Patriarchat ließ die europäische Sozialgeschichte das Problem seit dem 12. Jh. besonders drängend werden. Auf diese sozialen Ursprünge der Frauenfrage in Südfrankreich soll in der Arbeit eingegangen werden. Auch bei der Frauenfrage versuchte die feudale Kirche die durch die Ausbeutergesellschaft bedingte soziale Abhängigkeit und Erniedrigung der Frau ideologisch zu begründen und zum Dogma zu erheben, indem sie diese auf göttliche Bestimmung zurückführte. Bei diesen Verhältnissen mußten auch Emanzipationsbestrebungen der Frauen vorwiegend in religiöser Form auftreten. Es ist verständlich, daß die Frau von jeder Ketzerei stark angezogen wurde, die eine Besserung ihrer gesellschaftlichen Stellung und in der Sektenpraxis eine weitgehende Gleichstellung mit dem Manne verhieß. Schon im Jahre 1875 schrieb August Bebel treffend: „Mit dem den Frauen innewohnenden feinen Gefühl, welches sie als selbst Unterdrückte f ü r die Unterdrückten stets empfanden und das ihnen instinktiv die Hoffnung gab, durch die Befreiung eines Unterdrückten ihre eigene Unterdrückung z\i beendigen oder zu erleichtern, haben sie noch in jeder großen Bewegung ihre Rolle gespielt und sich mit Eifer hingegeben. Es zeigte sich dies bei der Gründung und Ausbreitung des Christentums, bei allen religiössozialen Bewegungen des Mittelalters, im Bauernkrieg, in der Französischen Revolution, in der Junischlacht, in der Kommunebewegung." 1 0 Wir wollen herauszuarbeiten suchen, welche Grenzen dem Emanzipationsbestreben der Frau innerhalb der sozial-religiösen Bewegungen der Katharer und Waldenser gesetzt waren. Zeitlich wurde versucht, einen Bogen zu spannen von den frühen Bogomilen über die lateinischen Ketzer des 11. und 12. Jh. bis zum Untergang des Katharismus im 14. Jh. Es erschien als besonders notwendig, das frühe Bogomilentum als den eigentlichen Vorläufer des lateinischen Katharismus wenigstens im Überblick mit in die Untersuchung einzubeziehen, da sich auf diese Weise die Wandlungen des mittelalterlichen Neumanichäismus vom 10. bis 14. Jh. schärfer fassen lassen. Auf diese Veränderungen der häretischen Ideologie entsprechend den einzelnen Entwicklungsphasen des Feudalismus wurde besonderer Wert gelegt. Den territorialen Schwerpunkt der Untersuchung bildet Südfrankreich, da die dualistische Frauenbewegung hier ihre klarste Ausprägung fand. Außerdem bot sich in 9
10
F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, in: Marx/Engels, a. a. O., Bd. II, S. 209. A.Bebel, Über die gegenwärtige und künftige Stellung der Frau, in: Ders., Glossen zu Yves Guyot's und Sigismond Lacroix's „Die wahre Gestalt des Christentums", 3. Aufl., Berlin 1892, S. 44 f. (Hervorhebungen von G. K.)
11
der Languedoc, dem klassischen Gebiet des Katharismus, ein sozialgeschichtlich geschlossener Raum, in dem es möglich war, der sozialen Verwurzelung der Frauenfrage nachzugehen. Der italienische Neumanichäismus wurde zum Vergleich herangezogen; seine vollständige Einbeziehung hätte jedoch den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Da die Frauenfrage ein gesamteuropäisches Problem war, schien es fruchtbar, die dualistische Frauenbewegung mit ihrer nördlichen Schwester, dem Beginentum, zu konfrontieren. Auch f ü r die Armen von Lyon wurde das Problem der Frauenfrage von ihren Anfängen bis zum 14. Jh. vornehmlich f ü r Frankreich und Italien untersucht.
I. K A T H A R I S M U S
UND
B I S Z U R MITTE D E S
1. Aus welchen sozialen Schichten
13.
rekrutierte
FRAUENFRAGE JAHRHUNDERTS
sich der katharische
Frauenanhang?
Die seit dem 11. Jh. in Westeuropa, besonders in Italien und Frankreich auftauchenden Lehren des „östlichen Dualismus" dürften ohne Zweifel mit der neuen sozial-ökonomischen Situation dieser Gebiete, dem Entstehen der städtischen Kommunen, in Zusammenhang stehen. Bei der Verbreitung dieser Lehren bzw. ihrer Herkunft aus dem Osten haben die Fernhandelsbeziehungen sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt. 1 So wurde auch Südfrankreich nicht zufällig das klassische Zentrum des Katharismus. Wie in den anderen Gebieten mit früher Entwicklung von Handel und städtischem Gewerbe, so fand die Ketzerei vor allem einen günstigen sozialen Nährboden in den mit der ökonomischen Renaissance des 11. Jh. sich kräftig entwickelnden Städten der Languedoc. 2 Schon seit dem Anfang des 12. Jh. schaltete sich Südfrankreich mit Erfolg 1
2
Darauf hat H. Sproemberg im Anschluß an H. Pirenne (Histoire de l'Europe des invasions au XVI e siècle, Paris, Brüssel 1936, S. 46, 152, 178 ff.) noch einmal eindrücklich in seiner Rezension des Buches von Borst (DLZ, 78. Jg., 1957, H. 12, Sp. 1095-1104) hingewiesen, östlicher Dualismus: ebd. Sp. 1102. Leider hat A. Borst in seinem großen Werk der Verbindung der Ketzerei mit dem Wiedererstehen der Kommunen im Okzident keine Bedeutung beigemessen; ja er wendet sich ausdrücklich dagegen und meint: „Die ganze Bewegung ist religiös, nicht sozial" (a. a. O., S. 92, Anm. 13. Vgl. auch ebd. S. 127 und 227). Den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Stadt und der Ausbreitung der Ketzerei haben noch betont: F. Engels, Der deutsche Bauernkrieg, Berlin 1951, S. 58; G. Volpe, Movimenti religiosi e sette ereticali nella società medievale italiana, Secoli XI-XIV, Firenze 1922, bes. S. 93, 140, 183; P. A. Evans, Social Aspects of Médiéval Heresy, in: Persécution and Liberty. Essays in Honor of G. L. Burr, New York 1931, S. 93-116, bes. S. 94, 100; / . Girou, Simon de Montfort. Du catharisme à la conquête. 3. Aufl. Paris 1953, bes. S. 35. Auf die Bedeutung der Kommunen hat auch R. Morghen hingewiesen; vgl.: Atti del X congresso internazionale di scienze storiche, Roma 4 - 1 1 Settembre 1955, Rom 1957, S. 354. Über die Entwicklung der Städte in der Languedoc vgl.: G. Sautel, Les villes du midi méditerranéen au moyen âge. Aspects économiques et sociaux (IXe-XIIIe siècles), in: Recueils de la société Jean Bodin VII, 1955, S. 313-355, bes. S. 324; P. C. Timbal, Les villes de consulat dans le Midi de la France, ebd. VI, 1954, S. 343-369; Y. Dossat, La société méridionale à la veille de la croisade albigeoise, in: Révue hist. et litt, du Languedoc I, 1944, S. 66-87, bes. S. 7 1 - 8 1 ; G. Espinas, Villes du midi et villes du nord, in: Annales d'hist. écon. et sociales VI, 1944, S. 85-93.
13
in den Mittelmeerhandel ein. 3 Besonders Toulouse wurde das Zentrum einer blühenden Textilproduktion. Schon f ü r die apostolische Häresie des 12. Jh. konnten so N. A. Sidor o w a 4 und E. W e r n e r 5 einen vor allem spezifisch städtischen Charakter feststellen. Dennoch haben sich verschiedene Schichten am Katharismus beteiligt. Dies galt sowohl f ü r das sozial heterogene Gebilde der Stadt als auch f ü r den kleinen Landadel Südfrankreichs. H. Grundmann leitet u. a. davon seine These ab, daß die Ketzerei nicht auf soziale Ursachen, sondern auf die religiöse Ergriffenheit der Menschen aller Stände zurückzuführen sei. 6 In der Tatsache, daß es nicht immer nur die untersten Klassen waren, die häretischen Lehren anhingen, sondern daß Angehörige verschiedener sozialer Schichten von der Ketzerei infiziert wurden, glaubt man so einen Grund zu sehen, die Bedeutung sozialer Faktoren f ü r die Ketzerbewegung des Mittelalters weitgehend leugnen zu müssen. Dagegen hoffen wir im folgenden nachweisen zu können, daß bei allen Anhängern, auch wenn sie aus verschiedenen Schichten kamen, vorwiegend soziale Tendenzen im Vordergrund standen. Im Mittelalter konnte nicht nur der Kampf sozial tiefer stehender Klassen gegen die bestehende Gesellschaftsordnung die Form der Häresie annehmen, wenn auch dies wohl insgesamt gesehen im Vordergrund stand. Ebenfalls innerhalb der herrschenden Klassen beginnt besonders seit dem 11. J h . ein Umschichtungsprozeß, durch den Teile dieser Klassen und Schichten in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Stellung getroffen wurden. I h r e Opposition dagegen konnte sich durchaus in der Hinneigung zu Ketzerlehren äußern. Die Beweggründe konnten in den einzelnen Schichten unterschiedlich sein, sie entsprangen aber im wesentlichen alle der sozialen und politischen Lage der betreffenden Klasse. Südfrankreich bietet d a f ü r ein gutes Beispiel. Schon K. Kautsky 7 wies darauf hin, daß sich gerade beim Albigensertum gut beobachten läßt, wie einzelne Klassen den Ausdruck ihrer verschiedenen Klasseninteressen in der Häresie suchten. M a n muß sich jedoch davor hüten, bei der Hervorhebung der sozialen Ursachen der Ketzerei die Problematik zu vulgarisieren. Es soll nicht behauptet werden, daß der einzelne in jedem Fall und bewußt von materiellen Überlegungen geleitet ein Anhänger der Häresie wurde. Religiöse Beweggründe haben durchaus auch eine Rolle gespielt. Primär bleibt jedoch m. E., daß reale Ursachen, die aus der konkreten sozialökonomischen Situation der verschiedenen Klassen und Schichten erwuchsen, deren Handlungsweise vorwiegend bestimmten bzw. die Vorbedingung f ü r ihre Ansprechbarkeit auf bestimmte religiös-ketzerische Strömungen schufen. 3
A. Dupont, Les relations commerciales entre les cités maritimes du Languedoc et les cités méditerrannéennes d'Espagne et de l'Italie du Xe au XHIe siècle, Montpellier 1942, S. 51 ff. 4 H. A. CnflopoBa, HapoHHHe epeTiiiecKHe HBH>KCHHH BO